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Full text of "Biochemische Zeitschrift 1.1906"

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—— — 


COLLEGE OF AGRICULTURE 
DAVIS, CALIFORNIA 























zum 


Biochemische Zeitschrift. 


Herausgegeben von 


E. Buchner-Berlin, P. Ehrlich-Frankfurt a. M., C. von Noorden- 
Wien, E. Salkowski-Berlin, N. Zuntz - Berlin 


unter Mitwirkung von 


L.Asher-Bern, J. Bang-Lund, P. Bergell-Berlin, @. Bertrand-Paris, A. Biekel-Berlin, F. Blamen- 
tkal-Berlin, Chr. Bohr-Kopenhagen, F. Ehrlich-Berlin, @. Embden-Frankfurta. M., E. Freund- 
Wien, @. Galeotti - Neapel, H. J. Hamburger - Groningen, A. Heffter - Marburg, M. Jacoby- 
Heidelberg, R. Kobert- Rostock, M. Kumagawa-Tokio, L. Langstein-Berlin, L. von Liebermann- 
Budapest, J. Loeb - Berkeley, A. Loewy - Berlin, J. A. Mandel- New-York, L. Marchlewski- 
Krakau, P. Mayor - Karlsbad, L. Michaelis - Berlin, J. Morgenroth - Berlin, W. Nernst -Berlin, 
R. Pfeiffer-Königsberg, Ch. Porcher-Lyon, F. Boehmana-Breslan, 8. Salaskin-St. Petersburg, 
N. Sieber-St. Petersburg, M. Siegfried-Leipzig, Zd. H. Skraup-Graz, S. P. L. Sörensen- 
Kopenbagen, E. H. Starling-London, H.v. Tappeiner-Müuchen, H. Thoms-Berlin, J. Traabe- 
Charlottenburg, A. J. J. Vanderelde-Gent, A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg -Berlin. 


Erster Band. 


Mit vier Tafeln. 





Berlin. 
Verlag von Julius Springer. 
1906. 
UNIVERSITY OF LALIFURNaA 
LIBRARY 


COLLEGE OF AGRICULTURE 
DAVIS 


Inhaltsverzeichnis. 


Vandevelde, A. J. J. Über die Anwendung von biologischen 
Methoden zur Analyse von Nahrungsstoffen 

Ehrlich, Felix. Über eine Methode zur Spaltung ee 
Aminosäuren mittels Hefe j 

Plesch, Johann. Über objektive Hämoglobinometrie 

Mayer, Paul. Über die Spaltung der lipoiden Substanzen durch 
Lipase und über die optischen Antipoden des natürlichen 
Lecithins . 

Jacoby, Martin. Über die Buap dsi r E EN 
und der Labwirkung E E E E E E 

Rietschel, Hans und Leo Tansslein: "Über das Vorkommen von 
Aminosäuren im Harn der Kinder ; 

Mayer, Paul. Über Lecithinzucker und Jekorin sowie über dús 
physikalisch-chemische Verhalten des Zuckers im Blut . 

Willanen, K. Über das Verhalten des Ovomukoids im Organismus 

— — Zur Frage über die Entstehung des Rhodans im Organismus 

Blumenthal, Ferdinand. Biochemische Untersuchungen über 
Vergiftung und Entgiftung bei der Lysolvergiftung ; 

Bickel, Adolf. Die Chemie der Superazidität und ihre patho- 
logisch -physiologische Erklärung poa i 

Wohlgemuth, J. Zur Chemie der Phoaharleber 

Neuberg, Carl und Ernst Neimann. Über gelatinöse anorganische 
Erdalkalisalze DE er ae ee are Ser er 

Oppenheimer, Carl. Über die Anteilnahme des elementaren 
Stickstoffes am Stoffwechsel der Tiere T E T E. 

Loeb, Jacques. Versuche über den chemischen Charakter des 
Befruchtungsvorgangs 

Rogozinski, Felix. Über den Einfluß der Muskelarbeit auf Gewicht, 
Zusammensetzung und Wassergehalt der Organe des Tierkörpers 

v. Drjewezki, Alexis. Über den Einfluß der alkalischen Reaktion 
auf die autolytischen Vorgänge in der Leber ; 

Manasse, Armand. Über den Gehalt des Eidotters an Lecithin 


CLIL 


Beite 


IV Inhaltsverzeichnis. 


Zelmanowitz, C. Über einen neuen Apparat zur Extraktion 
wässeriger Flüssigkeiten mittels Äther, Ligroin usw. sowie 
anderer Lösungen mittels nicht damit mischbarer, spezifisch 
leichterer Solventien ; an E E 

Hamburger, H. J. Eine Methode zur Betina d osmoti- 
schen Druckes sehr geringer Flüssigkeitsmengen ; 

Neuberg, Carl. Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren II. . 

Wohlgemuth, J. Berichtigung . ; 

Liefmann, E. und R. Stern. Über Gly käse aia Gly De 

Metalnikoff, S. Über die Ursachen der Immunität gegen Tuber- 
kulose bei der Bienenmotte (Galeria melonella) . 

Feigl, J. und H. Meier. Biologisch-chemische Untersuchungen 
über das Chloroform (mit 4 Tafeln) . 

Wohlgemuth, J. Über den Aminosäurenstoffwechsel des Gic htikers 

Großmann, H. Über die Bedeutung von Bleisalzen für die polari- 
metrische Untersuchung des Harns und der Gewebssäfte . 

Morgenroth, J. und D. Pane. Über Beobachtungen reversibler 
Veränderungen an Toxinen 

Scott, L. Über Jodospongin 

Neuberg, C. Über die Entstehung TA Beyer Foikakuren in 
der Natur . 

Neuberg, C. und E. Ascher: Über ontikek: ‚aktive «-8-Diamino. 
propionsäure und B-Thioglyzerinsäure 

Sachs, Fritz. Über den Wert der verschiedenen Farbenslakliönen 
zum Nachweis der Pentosen . ; br a a es 

Jonescu, D. Über das Schicksal der Kresole im Oranian 
und ihren Einfluß auf den Stoffwechsel und die Darmfäulnis 
der Fleischfresser . Be a ge A Re ee re de E 

Vandevelde, A. J. J. Über Diffusion von Enzymen durch 
Cellulosemembrane ; Ei Er Be ak er 

Pribram, Hugo. Beitrag zur Kenntnis des Schicksals des 
Cholesterins nnd der Cholesterinester im tierischen Organismus 

Busck, Gunni. Die photobiologischen Sensibilisatoren und ihre 
Eiweißverbindungen Be ee ee re 

Albu, Albert und Carl Neulärg; Chemisches zur Carcinom- 
frage IV. Über ein Vorkommen von Indol im Mageninhalt 
bei Carcinom a a Te 

v. Drjewezki, Alexis. Berichtigung . 

Jonescu, D. e 


Seite 


Über die Anwendung von biologischen Methoden zur 
Analyse von Nahrungsstoffen. 


Von 
Dir. Dr. A. J. J. Vandevelde (Gent-Belgien). 


(Mitgeteilt auf dem VI. Internat. Kongreß für angewandte Chemie, 
Eom 1906.) 


(Eingegangen am 24. April 1906.) 


Schon seit einigen Jahren habe ich die Giftigkeit von 
chemischen Verbindungen und von organischen Extrakten 
quantitativ untersucht, um die Grundprinzipien einer neuen 
biochemischen Dosierungsweise festzustellen. Für die Therapie 
scheint nämlich die Bestimmung der Gewichts-Konzentration 
der wirkenden Stoffe unzureichend zu sein; denn es wirken 
diese aktiven Stoffe nach der physiologischen Konzentration. 
Darum scheint es auch viel genauer, in der Nahrungsmittel- 
chemie und in der Therapie die physiologische Konzentration 
zu bestimmen. 

Viele chemische Methoden zur Dosierung von aktiven Ver- 
bindungen wie tierischen und pflanzlichen Extrakten, Alkaloiden, 
Antisepticis, Alkoholverbindungen, Essenzen u. s. w. sind schon 
veröffentlicht worden; die meisten dieser Methoden sind nach- 
geprüft worden und liefern genaue Ergebnisse. Dagegen sind 
andere von diesen Methoden, nämlich die zur Dosierung von 
Essenzen und von wässerigen und alkoholischen Extrakten vor- 
geschlagenen, sehr wenig zuverlässig. Außerdem genügen die 
Ergebnisse nicht immer zur Beurteilung der wahren Wirkungs- 


weise der untersuchten Stoffe auf den lebenden Organismus. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 1 


2 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 


Meine Untersuchungen!) über Plasmolyse und Hämolyse 
haben zu der Schlußfolgerung geführt, daß eine biochemische 
Dosierung der aktiven Stoffe möglich ist, und daß ferner die 
Anwendung einer großen Anzahl leicht zugänglicher lebender 
Individuen keine Schwierigkeit darbietet. 

Drei Hauptfaktoren müssen bei solchen Bestimmungen in 
Betracht gezogen werden: die chemische Funktion der Stoffe, 
ihre Konzentration und die Variabilität der untersuchten leben- 
den Organismen. In den bis jetzt ausgeführten Untersuchungen 
scheint der letzte Faktor nicht genügend berücksichtigt zu sein, 
da die Zahl der untersuchten Individuen (Kaninchen usw.) ge- 
ring ist; wenn man aber mit einer großen Anzahl experimentiert, 
dann können auch die Irrtumsursache und der dritte Faktor 
Variabilität ausgeschlossen werden. 

Mit der Plasmolyse gelangte ich zu der Bestimmung von 
toxischen Koeffizienten mit zahlreichen nicht komplizierten 
Organismen, nämlich lebenden Pflanzenzellen ®; später wurden 


') Bepaling van de giftigheid der alcoholen (3. VI. Natuur en Gen. 

Congres 1899). 

Determination du pouvoir toxique (Arch. intern. pharmac. 1900). 

Giftigheid der vluchtige oliën (4. Vl. Natuur en Gen. Congres 1900). 

Une nouvelle méthode de détermination du pouvoir toxique (Ann. 
Soc. Médec. Gand 1900). 

Giftigheidsgraad en plasmolyseerend vermogen (5. Vl. Natuur en Gen. 
Congres 1901). 

Giftigheid van plantaardige en dierlyke uittreksels (ibid). 

Over giftigheid van sterke dranken (Tijdschr. toegep. Scheik en 
Hygiene Amsterdam 1903). 

Über die Bestimmung der Giftigkeit von Alkoholen und Essenzen 
(5. Intern. Kongreß angew. Chemie Berlin 1903). 

Quelques applications des phénomènes critiques en biochimie (Bull. 
Soc. chim. Belgique 1903). 

Giftigheid van anilinekleuren (7. Vl. Natuur en Gen. Congres 1903, 
und 8. ibid. 1904). i 

Application de la methode plasmolytique au dosage des essences dans 
les spiritueux (Bull. denr. aliment. 1904). 

Recherches sur les hémolysines chimiques (Bull. Soc. chim. Belgique 
1905). 

Über die Bestimmung der Giftigkeit chemischer Verbindungen durch 
die Bluthämolyse (Chemiker-Zeitung, I. und II. Mitt. 1905, 
III. Mitt. 1906). 


?, Ber. V. intern. Kongr. angew. Chemie, Berlin 1903, Bd. III, S. 1060. 


A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 3 


meine Untersuchungen mit Blutkörperchen fortgesetzt 1), und 
zwar auf solche Weise, daß nur die Funktion und die Konzen- 
tration der chemischen Verbindungen in Betracht gezogen 
werden brauchen. 

Auf dem V. internationalen Kongreß für angewandte Chemie 
zu Berlin 1903?) habe ich die Resultate meiner Untersuchungen 
über die Giftigkeitsbestimmungen von Alkoholen und Essenzen 
mitgeteilt. Diese Bestimmungen habe ich nun einfacher durch 
die Anwendung der hämolytischen Eigenschaften der Blut- 
körperchen ausgeführt’). Für jede Lösung der geprüften Ver- 
bindungen habe ich die minimalen Konzentrationen dieser 
giftigen Stoffe bestimmt, welche die Blutkörperchen auflösen; 
diese Verbindungen wirken ganz auf dieselbe Weise wie die 
Hämolysine*) der hämolytischen Sera, aber es sind die quanti- 
tativen Bestimmungen natürlich leichter auszuführen. 

Die Lösung, in welcher die Blutkörperchen nach einer be- 
stimmten Zeit [3 Stunden°)] nicht hämolysiert werden, wohl 
aber durch Zuführung der geringsten Spur der zu untersuchenden 
Stoffe, besitzt in dieser bestimmten Zeit keine giftigen Eigen- 
schaften; diese Lösung habe ich, wie in meinen plasmolytischen 
Untersuchungen, die kritische Lösung genannt, und der 
Eintritt dieser Auflösung wird — wie bei den gewöhnlichen 
Bestimmungen mit Serum und Blutaufschwemmungen — in 
kleinen Probierröhren festgestellt. 

Es wurden drei Lösungen bereitet: 1. eine Auflösung von 
0,9 GV.°/o Kochsalz in Wasser; 2. eine Auflösung von 0,9 GV.’/o 
Kochsalz in Äthylalkohol (50 V.P/,) und 3. eine Aufschwemmung 
von 5 V.°/, defibriniertem Rinderblut in der wässerigen Koch- 
salzauflösung. Die alkoholische Flüssigkeit wird nicht allein 
zur Toxizitätsbestimmung des Äthylalkohols selbst benutzt, 
sondern auch zum Auflösen der zu prüfenden Verbindungen, 
deren Toxizität quantitativ mit der Toxizität des Äthylalkohols 
verglichen werden soll. 


1) Chem.-Ztg. 1905, 29, Nr. 41 und 74; 1906, 30, Nr. 27, 

) A. a. O. 

5 A. a. 0. 

© Bull. Société chim. Belgique, 1905, 19, 8. 329. 

*) Verschiedene Untersuchungen haben zu der Schlußfolgerung ge- 
führt, daß die nach 3 Stunden nicht hämolysierenden Flüssigkeiten ge- 
wöhnlich bis 10 Stunden diese Eigenschaften behalten. 

1° 


4 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 


In die Probierröhrchen wurden 1. 2,5 ccm von Mischungen 
wässeriger und alkoholischer Kochsalzlösungen, und 2. 2,5 ccm 
der Blutaufschwemmungen hineingebracht; die Konzentrationen 
des Äthylalkohols wurden so berechnet, daß in den aufeinander 
folgenden Probierröhren die Alkoholmenge um je 0,5 V.?/, steigt. 
Die Blutaufschwemmungen wurden mit Rinderblut bereitet; 
jedoch gab auch Blut von anderen Tieren und Menschenblut 
dieselben Ergebnisse. Fötales Blut besitzt eine höhere Wider- 
standskraft, welche ich zahlenmäßig bestimmen konnte): 
gefunden wurde, daß menschliches fötales Blut eine Resistenz 
besitzt, welche mit 1 V.°/, Äthylalkohol die Resistenz nor- 
malen Menschenblutes übertrifft. Demnach könnte fötales Blut 
zu den Untersuchungen nicht benutzt werden. 

Die Toxizitätsbestimmung für den Äthylalkohol führte zu 
den folgenden Ergebnissen bezüglich der Zusammensetzung der 
kritischen Lösung: 

Blutaufschwemmung: 2,50 ccm. 
Wässerige Kochsalzauflösung: 0,55 ccm. 
Alkoholische (50 V.°/,) Kochsalzauflösung: 1,95 ccm. 

Die Berechnung für 100 ccm gibt 19,5 ccm, oder 19,5 
x 0,7943 = 15,4888 g absoluten Äthylalkohol. 

In meinen Bestimmungen über alkoholische Auflösungen 
verschiedener chemischer Verbindungen wurde dieser Wert von 
15,4888 g auf 100 zurückgebracht und auf diese Weise der 
toxische Koeffizient. bestimmt, welcher ausdrückt, wie viel 
Gewichtsteile der untersuchten Verbindungen mit 100 Gewichts- 
teilen absolutem Äthylalkohol isotoxisch sind. Es wurden zum 
Beispiel für 1,5 GV. °/,-Lösung von Isopropylalkohol in Kochsalz- 
Alkohol (50 V °/,) die folgenden Resultate erhalten: 

Die kritische Lösung enthielt in 5 ccm ein: 

Blutaufschwemmung: 2,50 ccm, 
Wässerige Kochsalzauflösung: 0,70 ccm, 
Alkoholische Auflösung: 1,80 ccm, 
Isopropylalkohol: 0,0270 g 

und in 100 ccm: 
Absoluten Äthylalkohol: 18,0 ccm oder 14,2974 g, 
Isopropylalkohol: 0,5400 g. 


') Note sur un procédé de determination de la résistance des globules 
du sang foetal (Ann. Soc. Medec. Gand 1905). 


A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. B 


Da die kritische Lösung für Äthylalkohol allein 15,4888 g 
enthält, so sind 

0,5400 g Isopropylalkohol und 15,4888 g — 14,2974 g 

= 1,1914 g Äthylalkohol isotoxische Werte, woraus der toxische 


Koeffizient ag = 45,32 berechnet wurde. Dieses heißt: 
? 


45,32 g Isopropylalkohol besitzen die Giftigkeitskraft von 100 g 
absolutem Äthylalkohol. 


Auf diese Weise wurden die folgenden Toxizitätskoeffizienten 


gefunden: 

Alkohole: Essigsäure-isobutyl 4,34 
Methyl 100 Isobuttersäure-äthyl 4,85 
Äthyl 100 ' Propionsäure-isopropyl 5,19 


Isopropyl 46,62 
Isobutyl 28,79 
Amyl 12,52 
Heptyl 0,84 
Octyl 0,89 


Aldehyde: 


Äthyl 13,37 
Isobutyl 7,25 
Heptyl 1,33 


Ketone: 


Dimethyl 23,59 
Methyläthyl 13,37 
Diäthyl 7,25 
Dipropyl 2,71 
Hexylmethyl 0,70 


Säuren: 


Ameisen 0,10 
Essig 0,26 
Propion 0,41 
Butter 0,59 
Valerian 0,30 
Heptyl 0,26 


Ester: 
Ameisensäure-isopropyl 5,67 
Propionsäure-methyl 5,67 
Essigsäure-äthyl 11,31 


Isobuttersäure-isobutyl 1,15 
Heptylsäure-Heptyl 0,62 


Alkohole und Ester ent- 


haltende Essenzen: 
Erdbeeröl, Himbeeröl, Johan- 
nisbeeröl, Aprikosenöl, Quit- 
tenöl, Apfelöl, Ananasöl, 
Birnenöl 4,78 
Pfirsichöl 2,33 
Kognaköl 0,22 und 0,28 
Neroliöl 0,36 
Terpineoläthrol 0,42 


Aldehyde enthaltende Es- 


senzen: 
Zimtsäurealdehyd 0,69 
China Zimtöl 0,86 
Ceylon Zimtöl 0,42 
Benzaldehyd 2,33 
Bittermandelöl 2,33 
(Nitrobenzol 1,10) 


Ketone enthaltende Es- 


senzen: 
Wermutöl, Carven 0,42 
Karvol 1,10 
Karviol 0,86. 


6 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 


Terpene enthaltende Es- | Phenole enthaltende Es- 


senzen: senzen: 
Angelikawurzelöl 0,42 Anisöl, Sternanisöl 0,20 
Angelikasamenöl 0,48 Anethol 0,22 
Zitronenöl 0,69 Thymol 0,28 
Zitronenäthrol 0,16 Weißes Thymianöl 0,36 
Pfefferminzöl 0,48 Rotes Thymianöl 0,32 
Menthol 0,58 Nelkenöl 0,69 
Pfefferminzäthrol 0,32 Nelkenäthrol 0,36 
Lavendeäthrol 0,20 Muskatöl 0,58. 


Eucalyptusäthrol 0,32 


Diese Giftigkeitsbestimmungen finden in der Nahrungs- 
mittelchemie eine praktische Anwendung, nämlich bei der bio- 
chemischen Dosierung höherer Alkohole und Essenzen. Wenn 
die Giftigkeit der untersuchten Stoffe annähernd dieselbe ist, 
wie für Anisöl und Sternanisöl, dann ist die Dosierung der 
totalen Essenzenmenge einfach. Die Methode!) habe ich für 
die Analyse von Anissette, welche gewöhnlich die zwei Essenzen 
Anis und Sternanis enthält, vorgeschlagen und ihr Verhältnis 
zu der belgischen Gesetzgebung?) klargestellt, welche in Spiri- 
tuosen einen Gehalt an Essenzen und höheren Alkoholen von 
3g im Maximum zuläßt. 


Auf diese Weise habe ich einen Giftigkeitskoeffizienten be- 
rechnet, welcher nicht überschritten werden darf; jedoch ist 
eine solche Bestimmung für jede Spirituosenart nötig, und es 
wäre natürlich wünschenswert, daß durch die Gesetzgebung ein 
einziger maximaler Koeffizient festgesetzt würde, welcher mit 
der biologischen Wirkung der aktiven Stoffe ganz in Ein- 
klang stände. 


Auch für Anilinfarben ist, wie ich mit der Plasmolyse’°) 
feststellen konnte, eine Giftigkeitsbestimmung möglich; die 
hiermit gefundenen Ergebnisse stimmen mit denen aus Prüfungen 


') Sur l'appréciation de la toxicité des spiritueux à essences par la 
methode hemolytique. Bull. denr. aliment. Feb. 1906. 


”) Belgique, Arrêté royal 22. Dec. 1905. 


» Handelingen VII. Vl. Natuur en Geneesk. Congres Gent 1903, 
S. 86—95. 


A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 7 


an höheren Tieren’) ziemlich genau überein; die Wirkung von 
Antisepticis und von Süßstoffen, welche zur Herstellung von 
Nahrungsmitteln benutzt werden, scheint mit der hämolytischen 
Methode leicht bestimmbar, und darüber hoffe ich in kurzem 
zu berichten. 

Auf diese Weise kommt die Wichtigkeit der physiologischen 
Konzentration zum Ausdruck; analoge Untersuchungen an höheren 
Tieren und an Menschen, wie diese von Wiley und Bigelow’ 
vorgenommen sind, bilden natürlich in Hinblick auf die mensch- 
liche Hygiene wichtigere Ergebnisse, doch sind sie nicht immer 
anstellbar; in der Hämolyse besitzt man dagegen für solche 
vergleichenden Untersuchungen eine leicht und schnell ausführ- 
bare biochemische Methode, indem sich das defibrinierte sterile 
Blut wie ein echtes chemisches Reagens verhält. 


N) Siehe G. W. Chlopin. Ber. V. intern. Kongreß angew. Chem. 
Berlin 1903, Bd. 4, S. 169. 


”), Influence of food preservatives and artificial colors on digestion 


and health. I Boric acid and borax. U. S. departm. Agric. Bur. chim. 
Bull. 84, Part I, 1904, 1—477. 


Über eine Methode 
zur Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


Von 
Felix Ehrlich. 


(Aus dem Institut für Zuckerindustrie in Berlin.) 


(Eingegangen am 24. April 1906.) 


Von den drei bekannten Pasteurschen Methoden!) zur 
Spaltung racemischer Verbindungen, nämlich der Auslese der 
kristallographisch verschiedenen Modifikationen, der Kombination 
der Racemkörper mit optisch aktiven Substanzen zwecks Diffe- 
renzierung der Löslichkeitsverhältnisse der beiden Antipoden 
und schließlich der Zerstörung der einen Komponente durch 
die Tätigkeit niederer Lebewesen, hat die letztgenannte, die 
biologische Methode, relativ nur wenig praktische Anwendung 
erfahren. Sind auch die Möglichkeiten der Spaltung mittels 
dieser Methode ungleich mannigfaltiger als die des mechanischen 
Ausleseverfahrens, das bisher wohl überhaupt nur von Pasteur 
selbst am Natriumammoniumsalz der Traubensäure und von 
Piutti?) am Asparagin durchgeführt worden ist, so hat man 
allgemein doch mehr und mehr den chemischen oder eine 
Mittelstellung einnehmenden rein fermentativen Spaltungs- 
verfahren den Vorzug gegeben und gerade in den letzten Jahren 
deren Ausbau das Hauptinteresse zugewendet. 

Die Abneigung gegenüber der Anwendung der biologischen 
Methode bei chemisch-physiologischen Arbeiten ist vor allem 


1) Ann. chim. [3] 28, (1850); Ann. 88, 213 (1853); Compt. rend. 46, 
616 (1858); 51, 298 (1860). 
») Jahrb. f. Chem. 1886, 1343; 1887, 1660. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 9 


in ihrer Einseitigkeit begründet, die darin besteht, daß aus dem 
ursprünglichem Racemkörper immer nur die eine optisch aktive 
Komponente erhalten wird, während die andre, und zwar aus- 
nahmslos stets die in der Natur vorkommende Modifikation, 
die dem physiologischen Chemiker gerade das größte Interesse 
bietet, der Vernichtung durch den betreffenden tierischen oder 
pflanzlichen Organismus anheimfällt. Außer dieser ihrem Wesen 
eigenen Unzulänglichkeit bietet nun die Methode bei ihrer Aus- 
führung selbst meistens derartige Schwierigkeiten, daß man, 
wenn chemisch durchsichtige und gut durchgebildete Verfahren 
vorliegen, selten versucht sein wird statt dieser für die Zer- 
legung einer Racemverbindung zu der zerstörenden Tätigkeit 
eines Mikroorganismus seine Zuflucht zu nehmen. Ist schon 
die Beschaffung der geeigneten Pilz- oder Bakterienreinkultur, 
ihre richtige Aufbewahrung und Pflege für den in bakterio- 
logischen Arbeiten Ungeübten eine keineswegs leichte Aufgabe, 
die häufig noch dadurch erschwert wird, daß die erforderlichen, 
meist recht kostspieligen Vorrichtungen hierfür in chemischen 
Laboratorien nicht immer gleich zur Hand sind, gelingt es 
endlich nach vielen Vorversuchen die für den Mikroben 
günstigsten Entwicklungsbedingungen auf einem zur Kombination 
mit der zu spaltenden Substanz geeigneten Nährboden ausfindig 
zu machen, so bietet selbst peinlich steriles Arbeiten nicht 
immer eine Garantie dafür, daß nach wochen-, ja monatelanger 
Einwirkung des Mikroorganismus die Spaltung wirklich im ge- 
wünschten Sinne verlaufen ist. Vielmehr kann sich dabei, wo- 
für viele Beispiele aus der Literatur anzuführen wären, recht 
oft der Fall ereignen, daß durch Nebeninfektionen, Über- 
wucherungen eines Pilzes durch den andern, Ausscheidung 
bestimmter Stoffwechselprodukte der angewandten Kleinlebe- 
wesen usw. in dem eigentlichen Spaltungsprozeß unkontrollier- 
bare Störungen eintreten, die dadurch, daß sie die Haupt- 
reaktion hindern oder die Spaltung nur partiell verlaufen lassen, 
leicht Anlaß zu irrtümlichen Anschauungen über die wahre 
Größe des Drehungsvermögens der zu untersuchenden Substanz 
geben können. Schließlich ist auch die Isolierung der aktiven 
Verbindung aus der großen Zahl der nebenher gebildeten Um- 
satzstoffe des betreffenden Mikroben und der Nährlösung meist 
mit vielen Schwierigkeiten verbunden und dementsprechend 


10 FE. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


steht gewöhnlich die endlich erhaltene Ausbeute an reinem Pro- 
dukt in keinem Verhältnis zu der aufgewandten Zeit und Mühe. 

Trotz ihrer vielen Übelstände hat die biologische Spaltungs- 
methode, seitdem es Pasteur zum erstenmal gelang in einer 
mit Nährsalzen versehenen Lösung von Ammoniumracemat nach 
Aussaat von Penicillium glaucum Linksweinsäure zu erhalten, 
nun doch für die Kenntnis zahlreicher optisch aktiver Substanzen 
und ihrer physiologischen Beziehungen zu niederen und höheren 
Orgarismen unleugbar hervorragende Dienste geleistet. 

Wie wichtig sind namentlich die Untersuchungen E. 
Fischers!) über die Einwirkung verschiedener Hefearten auf 
stereoisomere Zucker nicht allein für den Ausbau der Lehre 
vom asymmetrischen Kohlenstoffatom, sondern auch für die 
Praxis der physiologischen Hefeanalyse, für die Erkennung der 
einzelnen Spezies und Rassen?) und für die Erforschung der 
in ihnen tätigen Enzyme geworden! 

Die von E. Fischer) durchgeführten Vergärungen von 
racemischer Glukose, Mannose, Lävulose und Galaktose mittels 
Bierhefe, wobei stets die natürlich vorkommende d-Form an- 
gegriffen wurde, während die l-Form intakt blieb, können als 
die ersten typischen Beispiele einer vollkommenen biologischen 
Spaltung von Racemverbindungen zwecks Reindarstellung der 
einen aktiven Komponente angesehen werden, denen dann in 
späterer Zeit eine große Zahl von mehr oder minder erfolg- 
reichen Versuchen an verschiedenartigsten Substanzen und mit 
mannigfachen Mikroorganismen, Hefen, Schimmel- und Spalt- 
pilzen, Bakterien usw. unternommen folgten‘). Daß auch für 
höhere Organismen, Tier und Mensch, ähnliche, wenn auch 
bestimmt differenzierte Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich des 
Spaltungsverlaufs racemischer Zuckerarten gelten müssen, zeigen 
die neuerdings von C. Neuberg und seinen Mitarbeitern 


') Ztschr. f. physiol. Chem. 26, 60. 

”) s. darüber Märcker-Delbrück, Handbuch der Spiritusfabrikation, 
8. Aufl. 1903, S. 493 und P. Lindners „Mikroskopische Betriebskontrolle“; 
ferner Lindner, Wochenschr. f. Brauerei 1900, Nr. 49—51. 

®, Ber. d. d. chem. Ges. 28, 370 (1890). 

^ Siehe darüber die Zusammenstellung von O. Emmerling in 
Lafars Handbuch der Technischen Mykologie, 2. Aufl. 1. Bd. 4. Abschn. 
15. Kap. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 11 


durchgeführten Zerlegungen von inaktiver Arabinose!) und 
Mannose °). 

Die Mehrzahl der Spaltungen mittels Mikroorganismen, 
unter denen man außer der gewöhnlichen Hefe Schimmelpilze 
wie Penicillium glaucum und Aspergillus niger bevorzugte, 
wurden bei diesen Versuchen an stickstofffreien Substanzen 
bewirkt, von denen namentlich die den Kohlehydraten nahe- 
stehenden Verbindungen einen vorzüglichen Nährboden für die 
betreffenden Pilze abgaben. Von racemischen Säuren, die man 
durch Pilzgärung aktivieren konnte, sind außer der von Pasteur 
gespaltenen Traubensäure noch die Milchsäure®), Glyzerinsäure°) 
und Mandelsäure®) erwähnenswert. Doch sind gerade manche 
hierüber ausgeführte Arbeiten und viele andere biologischen 
Spaltungsversuche dieser Art chemisch nur von geringem Wert, 
da sich die betreffenden Autoren meist damit begnügten, nach 
einiger Zeit des Wachstums des betreffenden Pilzes eine 
optische Drehung der Nährlösung festgestellt zu haben, ohne 
die Isolierung der vermeintlich gespaltenen Substanz auch wirk- 
lich durchzuführen, wodurch naturgemäß für die Methodik des 
Verfahrens und die Charakterisierung der neuen aktiven Sub- 
stanz nur wenig gewonnen war’). Sehr wesentliche Förderung 


') C. Neuberg u. J. Wohlgemuth, Ztschr. f. physiol. Chem, 85, 
41 (1902). 

» C. Neuberg u. P. Mayer, Ztschr. f. physiol. Chem. 87, 530 
(1903). 

» J. Lewkowitsch, Ber. 16, 2721 (1883) — Optisch aktive 
Glyzerinsäure mit dem richtigen Drehungswert konnten durch Pilz- 
spaltung erst späterhin Frankland u. Frew erhalten. Chem. Soc. 59, 
96 (1891). 

4^ J. Lewkowitsch, Ber. 15, 1505 (1882); 16, 1568 (1883). 

*) Hierunter fällt auch die von Le Bel beschriebene Spaltung des 
r-Methyläthylkarbinols und seine Umwandlung in die Rechtskomponente 
mittels Penicillium (Bull. soc. chim. 25, 545; 31, 104. Compt. rend. 87, 
213). Bei seinen Versuchen ist nicht ausgeschlossen, daß Stoffwechsel- 
produkte des Pilzes die gefundene Rechtsdrehung veranlaßt haben. Außer- 
dem hat man bei der Hefegärung, wo doch ähnliche Verhältnisse obwalten, 
resp. in dem dabei entstehenden Fuselöl nie einen rechtsdrehenden Amyl- 
alkohol nachweisen können. Nachdem Marckwald u. v. Droste-Huels- 
hoff (Ber. 88, 560 [1899]) einen ähnlichen Irrtum Le Bels bezüglich 
seiner vermeintlichen Spaltung des Methyl-Äthyl-Propyl-Isobutylammoni- 
umchlorids (Compt. rend. 112, 724) aufgezeigt haben, erscheint auch die 


12 F. Ehrlich, Spaltung racemische? Aminosäuren mittels Hefe. 


erfuhr dagegen das biologische Spaltungsverfahren in seiner 
Methodik durch die Arbeiten von Ulpiani und Condelli!), 
die für eine Reihe von Pilzen die Art und Weise der günstigsten 
Bedingung der Entwicklung und Spaltung festlegten, und schon 
vorher von Pfeffer?), der zuerst nachwies, daß es auch Mikro- 
organismen gibt, welche die Linksweinsäure in vielen Fällen 
vor der Rechtsweinsäure bevorzugen und daß überhaupt in 
vielen Fällen nicht, wie Pasteur annahm, nur die eine Modi- 
fikation, sondern auch ihr optischer Antipode, wenn auch in be- 
deutend geringerem Maße, den Pilzen als Nährstoff dienen kann. 

Durch ausgedehnte Untersuchungen an einer Reihe race- 
mischer Oxysäuren und durch genaue Nachprüfungen älterer 
Arbeiten konnten dann späterhin Mac Kenzie und Harden‘?) 
zeigen, daß ähnlich, wie es schon Fischers Studien?) der 
Enzymwirkungen voraussehen ließen, und nach analogen 
Gesetzen, wie sie auf chemischem Wege zuerst W. Marck- 
wald und Mac Kenzie’) experimentell bei der Veresterung 
und Verseifung stereoisomerer Verbindungen aufgefunden haben, 
auch für die Spaltung von Racemkörpern durch niedere Lebe- 
wesen allgemein der Satz gilt, daß die Komponenten inaktiver 
Verbindungen verschieden angegriffen werden und daß diese 
Unterschiede im wesentlichen von der Reaktions- oder Angriffs- 
geschwindigkeit der einzelnen Komponenten abhängen. 

Ist schon unter den mit stickstoffreien Substanzen vor- 
genommenen Versuchen die Anzahl der Fälle relativ gering, in 
denen wirklich eine vollständige Spaltung und die Rein- 
darstellung des optisch aktiven Körpers gelang, so lassen sich 
für die stickstoffhaltigen Verbindungen überhaupt nur wenige 
Beispiele eines Spaltungsversuchs mittels Mikroorganismen an- 
führen. Es kamen hier einzig und allein die Aminosäuren in 
Betracht, deren physiologische Wichtigkeit auch für niedere 


erwähnte Arbeit um so mehr der Nachprüfung bedürftig, als sie sich seit 
Jahren durch die ganze Literatur hinzieht und selbst in die Lehrbücher 
übergegangen ist. 

1) Gaz. chim. ital. 80, 382 (1900). 

» Jahrb. f. wissensch. Botan. 28, 206 (1895). 

” Proc. Chem. Soc. 19 (1903), 48. 

*) Ber. 27, 2992 (1894); Ztschr. f. physiol. Chem. 26, 60; s. auch 
Ber. 82, 3617 (1899). 

*) Ber. 82, 2130 (1899); 88, 208 (1900); 84, 469 (1901). 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 13 


Lebewesen man früh erkannt hatte und deren großer Nährwert 
für eine ganze Reihe von niederen Pflanzen verschiedentlich 
festgestellt wurde). 

Soweit sich aus der Literatur ersehen läßt, ist eine totale 
Spaltung einer racemischen Aminosäure durch Pilze bisher nur 
E. Schulze und seinen Mitarbeitern gelungen, die aus dem 
synthetischen Leucin®), der Normalaminokapronsäure®) und der 
Glutaminsäure mittels Penicillium glaucum die entsprechenden 
Antipoden der natürlich vorkommenden aktiven Verbindungen 
mit dem vollen Drehungswerte erhalten konnten. Aber gerade 
aus ihren für die Kenntnis der Stereoisomerie der Aminosäuren 
so wichtig gewordenen Arbeiten erhellt die Schwierigkeit der- 
artiger Spaltungsversuche, da außer der mühevollen Bereitung 
der Reinkultur und der Nährlösung und außer der recht diffi- 
zilen und langwierigen Sterilisierung der Proben eine Versuchs- 
dauer von 5—12 Wochen und noch länger erforderlich war und 
auch nach Ablauf derselben die optisch aktive Verbindung nicht 
immer rein, sondern häufig mit dem Racemkörper gemengt 
gewonnen wurde. 

"Weitere Beispiele einer vollständig durchgeführten Pilz- 
spaltung von Aminosäuren sind bisher nicht bekannt geworden. 
In allen übrigen Fällen, in denen es sich wohl häufig nur 
darum handelte das physiologische Verhalten einzelner Pilze 
gegen verschiedene Aminosäuren festzustellen und aus der nach 
kurzer Einwirkungsdauer erhaltenen Drehungsrichtung auf die 
bevorzugte Komponente zu schließen, verlief die Spaltung stets 
unvollkommen. Hierzu gehören die Beobachtungen Engels‘), 
daß durch Pilzvegetation racemische Asparaginsäure rechts- 
drehend wird, und ähnliche Befunde von Menozzi und 
Appiani°) an der Glutaminsäure. E. Fischer‘) konnte ferner 
zeigen, daß Penicillium glaucum oder besser Aspergillus niger 


) Czapek, Beitr. z. Physiol. u. Pathol. 1902, 1, 538; 2, 557; 8, 47. 
OÖ. Emmerling, Ber. 85, 2289 (1902). 

”) E. Schulze, Ber. 26, 56 (1803); Schulze u. Boßhard, Ber. 
18, 388 (1885); Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 134 (1886); Schulze u. 
Likiernik, Ber. 24, 671 (1891). 

”) Schulze u. Likiernik, Ztschr. f. physiol Chem. 17, 523 (1893). 

© Compt. rend. 106, 1734 (1888). 

$ Atti R. Acc. dei Lincei, 5. Ser., Bd. 1, 38 (1892). 

®) Ber. 82, 2459 (1899). 


14 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


in r-Alaninlösungen wachsen, es ließen sich aber auf diese 
Weise nur 10°/, d-Alanin zum Verschwinden bringen und nicht 
viel bessere Resultate erzielten späterhin Mac Kenzie und 
Harden!) an derselben Aminosäure. Zirka 58°/, Racemkörper 
enthaltendes d-Cystin gewannen Neuberg und P. Mayer?) bei 
der Vergärung von r-Cystin mittels Aspergillus niger. Daß 
dagegen der höhere Organismus in der langen Kette seiner 
komplizierten Verdauungsprozesse wohl imstande ist von ihm 
dargebotenen racemischen Aminosäuren die eine natürlich vor- 
kommende Komponente voll auszunutzen und zu verbrennen, 
während die andere in reiner Form wieder zur Abscheidung 
kommt, zeigten neuerdings in Fortführung der früheren Arbeiten 
C. Neubergs?) und seiner Mitarbeiter von Wohlgemuth‘) 
angestellte Tierversuche. 


Es ist klar, daß alle diese zumeist recht unvollkommen 
verlaufenen Spaltungen nur wenig dazu ermutigten dem bio- 
logischen Verfahren als Arbeitsmethode für die Darstellung und 
Erkennung optisch aktiver Aminosäuren Eingang in die Praxis 
der physiologischen Chemie zu verschaffen. Dem hier seit 
langem bestehenden Mangel haben die von E. Fischer ge- 
schaffenen Methoden gründlich abgeholfen, die auf der Zer- 
legung der racemischen Aminosäuren durch Kombination ihrer 
Benzoyl°)- oder Formyl®)-Derivate mit Alkaloiden und fraktio- 
nierte Kristallisation der erhaltenen Salzpaare beruhen. Mit 
ihrer Hilfe war es erst möglich die natürlich vorkommenden 
Aminosäuren künstlich zu bereiten, die dann weiterhin in 
Fischers Händen das Ausgangsmaterial zu seinen berühmten 
Synthesen der Polypeptide bildeten. 


Wenn nach alledem ein Bedürfnis für die Einführung 
neuer Methoden zur Spaltung racemischer Aminosäuren, be- 
sonders soweit sie auf biologische Verfahren zurückgreifen, 
nicht vorliegt, so möchte ich im folgenden ‚doch über eine 


^) a. a. O. 

?) Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 508 (1905). 

5 a. a. O. 

“ Ber. 88, 2064 (1905). 

5» E. Fischer, Ber. 82, 2451 (1900). 

5 E. Fischer u. O. Warburg, Ber. 88, 3997 (1905). 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 15 


solche Methode berichten, die ich gelegentlich meiner Arbeiten!) 
über die Fuselölbildung der Hefe aufgefunden habe und die 
sich infolge ihrer äußerst leichten und ausgedehnten Verwendbar- 
keit bei Aufwand nur geringer Mittel, die zu ihrer Ausführung 
erforderlich sind, und durch ihren schnellen und vollständigen 
Verlauf für die Erkennung und Reindarstellung der einen 
Komponente natürlich vorkommender und auch anderer race- 
mischer Aminosäuren bisher als sehr brauchbar erwiesen hat. 
Die Methode beruht auf einer partiellen Vergärung 
der racemischen Aminosäuren in sehr kurzer Zeit 
durch viel Hefe in Gegenwart von Kohlehydraten. 


Im Gegensatz zum tierischen und menschlichen Organismus 
vermag bekanntlich die Hefe, ähnlich wie viele andere niedere 
Pflanzen, natives Eiweiß nicht zu assimilieren, sondern sie be- 
vorzugt zum Aufbau ihres Körpereiweißes gerade die löslichen 
diffusiblen Stickstoffkörper von kleinem Molekül. Daß die 
Hefe imstande ist, mit Ammoniak als alleiniger Stickstoffnahrung 
und Zucker als einzigem kohlenstoffhaltigem Material auszu- 
kommen und sich fortzuentwickeln, haben zuerst Pasteur?) 
und später einwandsfrei Duclaux’°) gezeigt und als wichtigste 
Tatsache zur Stütze der vitalen Gärungstheorie Liebig ent- 
gegengehalten. 


Während nun aber für eine ganze Reihe von Pilzen ein- 
gehende Untersuchungen hinsichtlich ihrer Assimilationsfähig- 
keit für organische Stickstoffkörper, insbesondere für einzelne 
Aminosäuren vorliegen?), fehlen solche für die Hefen fast voll- 
ständig. Zwar weiß man, daß die in den natürlichen Maischen 
wohl hauptsächlich durch die Einwirkung proteolytischer En- 
zyme gelösten Amid- und Peptonsubstanzen ein wertvolles 


) F. Ehrlich, Über die Entstehung des Fuselöls, Ztschr. d. Ver- 
eins der deutschen Zuckerindustrie 55, 539 (1905); Refer. Biochem. Zen- 
tralbl. 1905. Chem. Zentralbl. 1905 II, 156 und Vortrag auf der 77. Ver- 
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher u. Ärzte 26. Sept. 1905; 
Refer. Chem. Ztg. 1905, 1044. An den betreffenden Stellen findet sich 
auch bereits eine vorläufige Mitteilung über die hier genauer veröffent- 
lichte Methode. 

?, Compt rend. 47, 1011 (1858). 

”, Compt. rend. 58, 1114; 58, 450 (1864). 

* Czapek und 0. Emmerling, l. c 


16 E. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


Aufbaumaterial für das Hefeeiweiß bilden, und unbewußt macht 
ja die Praxis der Preßhefefabrikation von dieser Kenntnis seit 
Jahren ausgiebigsten Gebrauch. Indes sind nur wenige Einzel- 
untersuchungen darüber veröffentlicht, welche organischen Stick- 
stoffverbindungen die Hefe als Nährmaterial verschmäht und 
welche sie besonders bevorzugt. Im allgemeinen scheint man 
anzunehmen, daß unter den Bedingungen der technischen Gä- 
rung die Amide als Hauptstickstoffquelle für die Hefe dienen, 
nachdem Hayduck!) das in allen natürlichen Maischen weit- 
verbreitete Asparagin in seiner hervorragenden Bedeutung für die 
Hefeernährung erkannnt hat. Dagegen sind die Ansichten über 
den Nährwert der letzten Eiweißspaltungsprodukte, der Amino- 
säuren, für die Hefe bisher noch sehr wenig geklärt. Während 
die Beobachtung Heinzelmanns?) über die günstige Ein- 
wirkung der Diastase auf die Vermehrung des Hefepilzes nur 
in dem Sinne zu deuten ist, daß die stets in ihren Lösungen 
nebenher vorhandenen abgebauten Eiweißstoffe den Stickstoff- 
ansatz der Hefe fördern, glauben andere hervorragende Bakte- 
riologen wie Ad. Mayer’) den Eiweißspaltungsprodukten, die 
zugleich Ausscheidungsstoffe der Hefe sind, wie dem Leucin, 
überhaupt jeden Nährwert als Stickstoffiquelle für den Pilz ab- 
sprechen zu müssen. Demgegenüber hat dann allerdings in 
neuester Zeit P. Lindner‘) mittels seiner Tröpfchenkultur- 
methode zeigen können, daß gerade eine Reihe von stickstoff- 
haltigen Selbstverdauungsprodukten der Hefe, wie sie früher 
von Kutscher’) und Schenk‘) isoliert sind, darunter besonders 
das Leucin, von den verschiedensten Heferassen sehr leicht 
assimiliert wird. Über das Verhalten der Hefe gegen racemische 
Aminosäuren sind schließlich bisher überhaupt keine Beobach- 
tungen angestellt worden. 


Nachdem ich bereits früher bei meinen Arbeiten über 
die Entstehung des Amylalkohols aus dem Leucin bei der 


1) Ztschr. f. Spiritusindustrie 4, 173 (1881). 
”) Ztschr. f. Spiritusindustrie 20, 236 (1897); 21, 357 (1898). 
°) In seinem Werke über die Gärungschemie 5. Aufl. 1902, S. 141. 
Siehe auch Märcker-Delbrück. 8. Aufl. 1903, S. 489. 
t) Ztschr. f. Spiritusindustrie 1906, 459. 
5) Ztschr. f. physiol. Chem. 82, 53; 88, 313. 
= *) Wochenschr. f. Brauerei 1905, 221. 





F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 17 


Gärung') die ungemein leichte Aufnahmefähigkeit des Stickstoffs 
dieser und andrer Aminosäuren durch die Hefe konstatieren 
konnte, lag es nahe, diesen Befund für eine Spaltung racemischer 
Aminosäuren zu verwerten, da anzunehmen war, daß ähnlich 
wie andre Pilze auch die Hefe bei der Assimilation vorzugs- 
weise die eine Komponente angreifen würde. Diese Annahme 
traf auch in vollem Umfang zu. Impft man in einem 
Pasteurschen Kolben Hefezellen in eine Nährlösung der üb- 
lichen Zusammensetzung ein, die einen Überschuß an Kohlen- 
hydraten und als ausschließliche Stickstoffnahrung die betreffende 
racemische Aminosäure z. B. r-Leucin enthält, so tritt zu- 
gleich mit der Vermehrung der Hefe eine Spaltung der Amino- 
säure ein, und man gewinnt bei richtiger Wahl der Versuchs- 
bedingungen reines von Racemkörper freies d-Leucin. Wenn 
nun auch diese Spaltung infolge des viel intensiveren Wachs- 
tums der Hefe gegenüber manchen andern Mikroorganismen 
wesentlich schneller verläuft als bei den sonstigen zur Zerlegung 
von Racemkörpern vorgeschlagenen Pilzen, so haften diesem 
Verfahren doch alle Übelstände der bekannten biologischen 
Methode an, da es ebenfalls die Bereitung einer Nährlösung 
und eine umständliche Sterilisierung derselben erforderlich 
macht, die infolge der leichten Infektionsgefahr für die Hefe 
besonders peinlich durchgeführt werden muß, und da man 
schließlich doch nur bei Innehaltung bestimmter Vorsichtsmaß- 
regeln und bei Anwendung geringer Substanzmengen_ gleich- 
mäßige Erfolge erzielt. 

Die weiteren Versuche ergaben dann, daß man wesentlich 
günstiger verfährt und die Spaltung viel schneller und gleich- 
mäßiger zu Ende führen kann, wenn man nicht die Hefe sich 
erst während des Spaltungsprozesses bilden läßt, sondern gleich 
von vornherein einen Überschuß fertig gebildeter verhältnis- 
mäßig stickstoffarmer Hefe auf die betreffende racemische 
Aminosäure in der genügenden Menge reiner Zuckerlösung ohne 
jedwede sonstige Anwendung von Nährsalzen wirken läßt, wobei 
außer einer vollständigen Vergärung des Zuckers dadurch, daß 
die Hefe sich mit Stickstoff aus der Lösung sättigt, auch eine 
totale Vergärung der einen Komponente der Aminosäure ein- 


» A. a. O. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 2 


18 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


tritt, während der größte Teil der anderen nach Abfiltrieren der 
Hefe durch Eindampfen der Lösung gewonnen werden kann. 

Um diesen Vorgang zu begreifen, muß man sich klar 
machen, daß die Hefe, je nachdem sie sich in Ruhe oder in 
Gärung befindet, je nach der Nährlösung, in der sie wächst, 
und je nach den äußeren Bedingungen, Sauerstoffzufuhr, 
Temperatur usw. in ihrer Trockensubstanz eine sehr verschiedene 
Zusammensetzung aufweist. Besonders labil ist ihr Stickstoff- 
gehalt, der zwischen 5 bis 12 °/, N entsprechend 31 bis 75 °% 
Eiweißgehalt der Trockensubstanz schwanken kann, da die 
Hefe stetig Stickstoff aus der Lösung aufnimmt und anderseits 
während der Gärung solchen in Form autolytischer Zersetzungs- 
produkte wieder abscheidet. Durch Arbeiten von Delbrück 
und Hayduck') ist nun nachgewiesen, daß der Stickstoffgehalt 
der Hefe beträchtlich sinkt, wenn man die Hefe in einer nur 
wenig Stickstoffverbindungen enthaltenden Zuckerlösung bei 
Sauerstoffzufuhr sich vermehren läßt. Dagegen hört in einer 
stickstoffreichen Lösung bei geringer Lüftung die Hefevermeh- 
rung bald auf und dafür tritt eine Mästung der Hefe an Stick- 
stoff ein, die ziemlich proportional dem Stickstoffgehalt der 
Nährlösung ansteigt und dann bei einer gewissen Grenze Halt 
macht. Aus diesen in der Praxis seit langen bekannten Tatsachen 
ist nun für die vorliegende Methode der Spaltung von Amino- 
säuren Nutzen gezogen worden, da, wie die späteren Versuche 
zeigen, die Anreicherung der Hefe mit dem Stickstoff der 
Aminosäuren auch in einer reinen Zuckerlösung ohne sonstige 
anorganische oder organische Nährsalze bei Luftabschluß mit 
großer Schnelligkeit scheinbar nach denselben Gesetzen verläuft 
wie in der technischen Maische. 

Als Hefematerial erwies sich die im Handel jetzt leicht 
und billig zu erhaltende und bequem zu handhabende Preßhefe, 
die dank den verbesserten Reinzuchtmethoden von Hansen, 
Delbrück und Lindner heute in vorzüglicher Qualität ge- 
wonnen wird und verhältnismäßig stickstoffarm ist, als sehr 
geeignet. Speziell für die Mehrzahl der folgenden Versuche diente 
eine obergärige Preßhefe der Klasse XII, die von der Berliner 
Hefenzuchtanstalt des Vereins der deutschen Spiritusfabrikanten 


© Ztschr. f. Spiritusindustrie 1873—1881, s. a. Märcker-Del- 
brück a. a. O. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 19 


in gleichmäßig äußerst reiner Form gewonnen wird und seit 
den letzten Jahren die Betriebshefe fast sämtlicher deutscher 
Kartoffelbrennereien und Preßhefefabriken bildet. Für die stets 
bereitwillige gütige Überlassung der Hefeproben bin ich dem 
Institut für Gärungsgewerbe zu größtem Dank verpflichtet. 
Über die Herstellung dieser Hefe!) sei hier nur soviel mitgeteilt, 
daß die Hefereinkultur in einem Lindnerschen Hefereinzucht- 
apparat in einer mit Roggen versetzten und zwecks Sterilisation 
zuvor mit Milchsäurebakterien gesäuerten Darrmalzwürze unter 
Lüftung der Vermehrung überlassen wird. Die fertige Hefe wird 
in Zentrifugen von der vergorenen Würze befreit, nochmals mit 
Wasser gewaschen, in Filterpressen völlig abgepreßt und dann 
in sterilen Blechdosen verpackt. Der in dieser Form in den 
Handel gebrachten Preßhefe haften nur äußerst minimale 
Spuren der sehr dünnen Würze an, aus der sie gewonnen war. 
Mehrfache Analysen zeigten eine ziemlich regelmäßige Zu- 
sammensetzung der Hefe. Ihr Trockensubstanzgehalt betrug 
durchschnittlich 25 %,, die Menge der Asche 2,2 %,, die des 
Stickstoffs im Mittel 2 °/,, sodaß die Trockensubstanz ca. 8 °/o 
Stickstoff aufwies. Entsprechend diesem geringen Stickstoff- 
gehalt, der sich aus der Herstellungsweise ergibt, zeigte die Hefe 
für Aminosäuren aller Art ein sehr hohes Assimilationsvermögen. 
Nicht minder günstig für die Spaltungsversuche wirkte die von 
derselben Hefezuchtanstalt gewonnene, mir ebenfalls gütigst 
überlassene Heferasse II, nur mit dem Unterschiede, daß diese 
bei der Gärung mitunter eine sehr heftige Schaumbildung ver- 
anlaßte. Späterhin zeigte es sich dann, daß es durchaus nicht 
unbedingt nötig ist mit derartig reinsten Hefen zu arbeiten, 
sondern daß man auch vollkommene Spaltungen racemischer 
Aminosäuren mit Hilfe gewöhnlicher reiner Bäckerhefen, die 
ja jetzt schließlich sämtlich den beiden obenbezeichneten Mutter- 
hefen ihr Dasein verdanken, erzielen kann. Der Zusatz von 
10—15 °/o Stärkemehl, den dieselben zumeist enthalten, ist 
der Ausführung des Verfahrens in keiner Weise hinderlich ?). 


©) Siehe darüber Märcker-Delbrücka. a. 0. S. 570 und P. Lindner 
in Lafars Handbuch der Technischen Mykologie, 2. Aufl., 5. Bd., 10. Kap., 
§ 69, S. 266. 

?) Auch mit untergäriger Bierpreßliefe lassen sich racemische Amino- 
säuren in der gleichen Weise, wie später angegeben, leicht spalten. Doch 


20 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


Was die Praxis der Methode weiterhin anbelangt, so ist 
der größte Wert auf die richtige Abmessung der Mengenver- 
hältnisse der Aminosäuren, des Zuckers und der Hefe zu legen. 
Vor allem ist stets ein beträchtlicher Überschuß an Hefe an- 
zuwenden, um die vollständige Aufnahme des Stickstoffs der 
einen Komponente der Aminosäuren zu ermöglichen und 
gleichzeitig den vorhandenen Zucker durch die Gärung restlos 
zum Verschwinden zu bringen. Anderseits darf auch die 
Menge des Zuckers nicht zu gering bemessen werden, da die 
Hefe mit dem Aufhören der Gärung auch ihre Stickstoffassi- 
milation einstellt und die Spaltung dann event. leicht unvoll- 
ständig verlaufen kann. 

Was die Ausführung der Methode im übrigen anbetrifft, 
so hat sich allgemein folgendes Verfahren für die Reindar- 
stellung der einen optischaktiven Form der Aminosäuren bewährt: 

10 g der zu spaltenden Aminosäure werden zusammen 
mit 200—300 g Zucker, am besten gewöhnlicher Raffinade 
des Handels, in einem geräumigen Stehkolben in 2—3 Liter 
Leitungswasser gelöst. Bei schwerer löslichen Aminosäuren wird 
die Lösung durch Erwärmen beschleunigt. Ein längeres Er- 
hitzen zum Zwecke der Sterilisation, das in den ersten Ver- 
suchen peinlich durchgeführt wurde, hat sich späterhin als 
vollkommen zwecklos erwiesen, da der große Überschuß der 
angewendeten Hefe und die während der Gärung schnell ein- 
tretende Milchsäurung sehr bald alle nebenher eingedrungenen 
Keime vernichtet, so daß nach vollendeter Gärung höchstens 
einige Milchsäurestäbchen in der Maische mikroskopisch nach- 
zuweisen waren. In die event. abgekühlte Lösung wurde dann 
die erforderliche Hefemenge eingetragen, wobei etwa im Kolben- 
hals anhaftende Hefeteile mit destilliertem Wasser in die 
Flüssigkeit hinuntergespült wurden. Als Hefe diente gewöhn- 
lich frisch in der Hefezuchtanstalt hergestelltes, direkt von dort 
bezogenes Versuchsmaterial, das den Büchsen mit einem Metall- 
spatel entnommen wurde. Später zeigte es sich, daß man auch 
ebensogut längere Zeit, sogar bis zu vier Wochen, an einem 


bietet die Anwendung einer derartigen Hefe gegenüber den oben bezeich- 
neten keine weiteren Vorteile, da Bierpreßhefe im Handel weniger 
leicht zugänglich und von anhaftender Würze nicht immer vollständig 
befreit ist. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 21 


kühlen Ort nicht zu feucht aufbewahrte Hefe verwenden kann, 
vorausgesetzt, daß die Schimmeldecke, die etwa währenddessen 
das Hefegut überzogen hat, nicht zu tief eingedrungen und vor 
der Entnahme der Hefe sorgfältig entfernt worden ist. Die zur 
totalen Spaltung von 10 g Aminosäure erforderliche Hefemenge 
von der eben beschriebenen Qualität betrug durchschnittlich 
50—150 g. Diese Hefemenge steigt nicht durchweg proportio- 
nal dem Stickstoffgehalt der Aminosäuren an, sondern scheint 
auch sehr wesentlich von der Konstitution der einzelnen Säuren 
abzuhängen, da oft Aminosäuren von gleicher Bruttoformel, 
aber verschiedener Struktur sehr wesentliche Differenzen in 
der zur totalen Zerlegung nötigen Quantität Hefe bei gleich- 
bleibender Zuckermenge aufweisen. Ich hoffe späterhin auf 
diese interessanten Verhältnisse an der Hand größerer Versuchs- 
reihen eingehen zu können. Bisher war es mir nur möglich 
a-Aminosäuren zu untersuchen. 

Nach dem Eintragen der Hefe wird der Kolben mit einem 
Schwefelsäuregärverschluß versehen, einige Zeit heftig geschüttelt 
und dann bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Einstellen in 
einen Brut- oder Gärschrank oder Konstanthalten der Gär- 
temperatur ist hierbei vollkommen unnötig, da die gewöhnlichen 
Temperaturschwankungen im Laboratorium keinen Einfluß auf 
die Gärung haben. Die meisten Gärungen verliefen innerhalb 
15—25 °C. Höhere Temperaturen sind sogar möglichst zu 
vermeiden, da hierbei leicht mehr Hefesubstanz infolge ge- 
steigerter autolytischer Tätigkeit in Lösung gehen kann. Die 
Gärung setzt gewöhnlich 10—15 Minuten nach dem Eintragen 
der Hefe sehr heftig ein und verläuft am ersten Tage beson- 
ders stürmisch, wobei sich die vorgelegte konz. Schwefelsäure 
gelb färbt. In fast allen Fällen war die Gärung innerhalb 48 
bis 36 Stunden vollkommen beendet, manchmal sogar bereits in 24 
Stunden, was sich schon äußerlich durch Absetzen der Hefe und 
durch Aufhören der Kohlensäureentwicklung beim Schütteln des 
Kolbens kundgab. Eine unter Zusatz von aufgeschlämmtem 
Tonerdehydrat filtrierte hefefreie Probe reduzierte dann gewöhn- 
lich Fehlingsche Lösung nicht mehr und gab auch keine 
Naphthol-Reaktion.e Andernfalls wurde die Gärung bis zum 
Verschwinden der Reaktionen fortgesetzt. Von der zum 
größten Teil abgesetzten Hefe wurde sofort nach beendeter 


22 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


Gärung die überstehende Lösung abgehebert und die zurück- 
bleibende Hefe auf ein großes Filter gespült und mit wenig 
Wasser gewaschen. Die abgeheberte Lösung wurde dann zu- 
sammen mit dem trüben Filtrat nach Zusatz von Tonerde- 
brei oder Kieselgur noch einmal filtriert, wobei stets eine 
klare, blanke Lösung resultierte.e Handelte es sich nur 
um geringere Mengen Hefe, so wurde die vergorene Lösung nach 
kräftigem Schütteln gleich direkt auf ein großes Filter, am 
besten in einem innen gerieften Trichter, gegeben, die Lösung 
über Nacht abtropfen gelassen und am nächsten Tage das 
Filter mit wenig Wasser ausgewaschen. Die filtrierte Lösung 
wurde dann wie oben geklärt. Die reine vergorene Flüssigkeit 
zeigte durchschnittlich stets einen normalen Säuregehalt, der 
pro 100 ccm 1—2 ccm "/ı N.-KOH entsprach. Sie gab niemals 
eine Biuret-Reaktion und die Millonsche Reaktion meist nur 
sehr schwach. Sie wurde nunmehr in einer geräumigen Por- 
zellanschale direkt auf freier Flamme bis zu 100—200 ccm 
eingedampft, dann nochmals von etwa ausgeschiedenen Trübun- 
gen oder Flöckchen event. unter Zusatz von Tierkohle filtriert 
und schließlich auf dem Wasserbade zum dünnen Sirup ein- 
geengt!). Bei Aminosäuren wie Leucin erfolgte die Kristallisation 
bereits während des Eindampfens, bei fast allen andern während 
des Abkühlens des Sirups unter Reiben mit einem Glasstab. 
Nach eintägigem Stehen wird die Kristallmasse über Papier 
oder Filz auf einer Nutsche scharf abgesaugt und durch Pressen 
auf Ton von den letzten Resten anhängender Mutterlauge 
befreit. Die weitere eingedampfte Mutterlauge ergibt gewöhn- 
lich noch eine kleine Kristallmenge. Die auf Ton getrocknete 
Aminosäure war nach einmaligem Umkristallisieren vollständig 
rein und zeigte, im Falle die Racemverbindung einer natürlich 
vorkommenden Aminosäure angewandt war, bei richtiger Wahl 


') Im Falle Gefahr vorlag, daß sich die aktive Aminosäure beim 
Eindampfen der vergorenen Lösung unter der Einwirkung der bei der 
Gärung entstandenen geringen Mengen Milchsäure wieder racemisieren 
konnte, wurde die Flüssigkeit zuvor mit der aus der Titration gegen 
Lackmus berechneten Quantität Kali- oder Natronlauge neutralisiert. Doch 
hat sich diese Vorsicht bisher unter einer großen Zahl von Aminosäuren 
nur in einem einzigen später zu beschreibenden Falle, nümlich bei der 
Methylaethylaminoessigsäure, als nötig erwiesen. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 23 


der ursprünglichen Menge von Hefe und Zucker die richtige 
Drehung des optischen Antipoden. 

Ergibt die Drehung einen niedrigeren Betrag, ist also noch 
Racemkörper vorhanden, so läßt sich die vollständige Ver- 
gärung der einen Komponente leicht dadurch bewerkstelligen, 
daß man die Substanz von neuem mit Zucker und Hefe gären 
läßt und wie beschrieben wieder isoliert. | 

Parallelversuche mit reiner Hefe und reinem Zucker für sich 
vergoren ergaben nur braune Sirupe, aus denen keine kristalli- 
sierte Substanz, auch nicht nach langem Stehen, zu gewinnen 
war, so daß es ausgeschlossen erscheint, daß die gespaltenen 
Aminosäuren, die stets stimmende Analysenzahlen gaben, durch 
Substanzen aus der Hefe verunreinigt waren, zumal sich etwa 
anhaftender Sirup leicht durch Pressen auf Ton und Kristalli- 
sation entfernen ließ. Überdies war die Menge des aus der 
Hefe und dem Zucker stammenden Sirups, aus dem die Amino- 
säuren nach der Gärung auskristallisierten, nur sehr gering und 
betrug z. B. bei Anwendung von 250 g Zucker und 100 g Hefe 
für 10 g Leucin nur ca. 7 g. Wurde dagegen die Flüssigkeit, 
was sich im allgemeinen nicht empfiehlt, vor dem Abfiltrieren 
der Hefe erhitzt, so gingen beträchtliche Mengen Stickstoff in 
Lösung und es wurde viel mehr Sirup erhalten. 


Im folgenden seien die bisher in der einfachsten Weise 
vollkommen gelungenen Spaltungen von r-Alanin, r-Leucin und 
r-a-Aminoisovaleriansäure des näheren beschrieben, denen später 
andere folgen sollen: 


l-Alanin. 


Um zu zeigen, welchen Einfluß bei gleichbleibender Zucker- 
menge eine wechselnde Menge Hefe auf die Spaltung ausübt, 
seien hier zwei Versuche mitgeteilt, von denen der erste, da 
die Hefemenge nicht genügend war, nur zu unvollkommener 
Spaltung führte. 

I. 300 g Zucker (ungeblaute Handelsraffinade von 99,9° Pol.) 
wurden zusammen mit 10 g reinem synthetischen r-Alanin in 
2'/, Liter destilliertem Wasser gelöst und die Lösung nach Verschluß 
des Kolbens mit einem Wattebausch durch 2-stündiges Kochen 
sterilisiert. Nach dem Abkühlen wurde die Flüssigkeit mit 100 g 
frischer Preßhefe versetzt und nach Aufsetzen eines Gärverschlusses 


24 E. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


und Schütteln des Kolbens zur guten Verteilung der Hefe bei 
Zimmertemperatur von 20—22° der Gärung überlassen. Die- 
selbe war in 3 Tagen beendet. Die obstähnlich riechende Lösung 
wurde von der Hefe durch Filtration befreit und eingedampft. 
Aus der mit Wasser gewaschenen Kristallmasse resultierte 7,8 g 
braungefärbtes Rohprodukt, das beim Umkristallisieren 3,5 g 
reine Substanz ergab. Zur Bestimmung der Drehung wurde die- 
selbe in das Hydrochlorat verwandelt. 

1,0246 g Salzsaures Alanin in Wasser gelöst; Gesamtgewicht 
der Lösung 11,0398 g. Prozentgehalt 9,08. Spezif. Gew. 1,027. 
Drehung im 2-dm-Rohr bei 24° und im Natriumlicht: — 1,34°. 


[e] = — 7,18°. 
Da nach E. Fischer!) die Drehung des reinen 1-Alanins 
[@]p° = — 9,68° beträgt, enthält das hier dargestellte optisch 


aktive Alanin also noch ca. 26°/, Racemkörper. 
Weit günstiger verlief der zweite Versuch auch hinsichtlich 
der Einzelheiten der Ausführung des Verfahrens. 


II. In einem 4Liter-Kolben wurden 300 g Zucker mit 10 g 
r-Alanin in 2!/a Liter Leitungswasser zusammen gelöst und sofort 
in die Lösung ohne jede Sterilisation 150 g ganz frische am 
selben Tage bezogene Preßhefe eingetragen. Die anfangs stürmisch 
verlaufene Gärung ist am dritten Tage beendet. Die von der 
Hefe abfiltrierte Flüssigkeit, die Fehlingsche Lösung nicht 
reduzierte und die Naphtol-Reaktion auf Zucker nicht mehr gab, 
wurde auf großen Trichtern über Nacht abfiltriert und das trübe 
Filtrat noch einmal mit Tonerdebrei geklärt. Die eingedampfte 
Lösung ergab, zum dünnen Sirup eingeengt, direkt Bildung von 
Kristallen, die nach zweitägigem Stehen scharf abgesaugt und auf 
Ton getrocknet werden. Aus der Mutterlauge wurden bei weiterem 
Verdampfen ähnlich behandelt noch 0,5 g Substanz gewonnen, 
so daß im ganzen 3,6 g fast reinweißes Rohprodukt resultierte. 
Durch Lösen in wenig heißem Wasser und Fällen mit Alkohol 
ließen sich daraus 3,2 g reines l-Alanin herstellen, das bei 110° 
getrocknet wurde. 

0,1354 g Sbst.: 17,9 ccm N (18°, 764 mm). 
C3 H; NOs Ber. N 15,73 
Gef. „ 15,44 


1) Ber. 82, 2457 (1899). 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 25 


Zur Umwandlung in das Chlorhydrat zwecks Bestimmung 
der Drehung wurde 1 g der reinen Substanz in wenig verdünnter 
Salzsäure gelöst und die Lösung auf dem Wasserbad zur Trockne 
verdampft. Der Rückstand wurde auf Ton gepreßt und die so 
erhaltene weiße Kristallmasse in wenig absolutem Alkohol gelöst 
und mit viel Äther gefällt. Das auf diese Weise in Form feiner 
weißer Nädelchen erhaltene Chlorhydrat wurde nach dem 
Trocknen bei 110° zur Bestimmung der Drehung benutzt. 

1,0251 g Alaninchlorhydrat in Wasser gelöst. 11,4257 g 
Gesamtgewicht der Lösung. Prozentgehalt 8,97. Spezifisches Ge- 
wicht 1,027. Drehung im 2-dm-Rohr bei Natriumlicht: — 1,81°. 

[a] 2 = — 982°. 

Da E. Fischer als spezifische Drehung für l-Alanin bei 
einem Prozentgehalt der Lösung von 9,2996 und einem spezi- 
fischen Gewicht von 1,0278 die Größe [a]? = — 9,68° fand, 
so stimmt die hier beobachtete Drehung fast absolut und die 
Spaltung des r-Alanins durch die Hefe ist als eine total ver- 
laufene zu betrachten. 

Die Ausbeute an reinem 1-Alanin beträgt ca. 65°, der 
Theorie. Da aus den Sirupen der Mutterlaugen weitere Sub- 
stanzmengen bisher nicht zu erhalten waren, muß angenommen 
werden, daß die Hefe außer d-Alanin auch l-Alanin zum Teil 
vergärt. 

d-Leucin. ß 

250 g Raffinade wurden zusammen mit 10 g r-Leucin in 
2'/3 Liter Leitungswasser durch schwaches Erwärmen gelöst. In 
die abgekühlte Lösung wurde 100 g frische Preßhefe eingetragen. 
Die sehr intensive bei Zimmertemperatur verlaufene Gärung war 
bereits nach zwei Tagen vollständig beendet. Die vergorene 
Flüssigkeit roch sehr stark nach Amylester. Von der 
Hefe abfiltriert zeigte sie eine Azidität pro 100 ccm von 1,0 ccm 
Yı N.KOH gegen Lackmus. Die klare Lösung wurde in einer 
großen Porzellanschale auf dem Wasserbad verdampft bis auf 
ca. 200 ccm, dann filtriert und zum dünnen Sirup eingeengt. 
Schon während des Eindampfens schieden sich kristallinische 
Blättchen ab, beim Erkalten erstarrte der Sirup zu einer Kristall- 
masse, die scharf abgesaugt und auf Ton gepreßt wurde. Der 
Sirup lieferte bei weiterem Verdampfen nach einigen Tagen noch 
einen Kristallansatz. Im ganzen wurde 4,75 g grauweißes Roh- 


26 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


produkt gewonnen, aus dem nach Umkristallisieren aus Alkohol 
unter Zusatz von Wasser und durch Klären mit Tierkohle 3,8 g 
völlig reines d-Leucin zu erhalten war. Schmelzpunkt im ge- 
schlossenen Rohr 293°. 
0,1513 g Sbst.: 13,9 cem N (19°, 763 mm). 
0,1400 g Sbst.: 0,2825 g CO,, 0,1250 g H:O. 
CsHı3 NOs Ber. C 54,96 H 9,92 N 10,69 
Gef. „ 55,04 „ 9,99 „ 10,67 
Das erhaltene Leucin drehte in wässeriger Lösung rechts, in 
salzsaurer Lösung links. 
Zur Bestimmung der Löslichkeit wurde die Substanz 
24 Stunden lang in einem Ostwaldschen Thermostaten bei 20° 
mit einer zur Lösung ungenügenden Menge Wasser geschüttelt. 
In 11,4882 g der filtrierten Lösung waren enthalten 0,2389 g 
Substanz. Es bedurfte demnach 1 Teil d-Leucin 48 Teile 
Wasser von 20° zur Lösung. 
Dieselbe Lösung wurde vorher zur Bestimmung der direkten 
Drehung des d-Leucins benutzt?). 


Spez. Drehung des d-Leucins in wässeriger Lösung. 
0,2389 g des Leucin in Wasser gelöst. Gesamtgewicht der 
Lösung 11,4882 g. Prozentgehalt 2,08. Drehung im 2-dm-Rohr 
im Natriumlicht bei 20°: + 0,43°. 
[a] 5° = + 10,34°. 
Spez. Drehung des d-Leucins in salzsaurer Lösung. 
0,6330 g Leucin in 20 °/,iger Salzsäure gelöst. Gesamt- 
gewicht der Lösung 17,2806 g. Prozentgehalt 3,66. Spezifisches 
Gewicht 1,1. Drehung im 2-dm-Rohr im Natriumlicht bei 
20°: — 1,24°., [a] 2 = — 15,40°. 





1) Hiermit ist zum ersten Mal die Drehung des optisch aktiven Leucins 
in wässeriger Lösung festgelegt. Bisher hat nur Lewkowitsch (Ber. 17, 
1439) angegeben, daß das natürlich vorkommende Leucin in Wasser gelöst 
links dreht, ohne daß er die Größe der Drehung bestimmte. Wie die obigen 
Zahlen zeigen, ist die Drebung des aus reinem r-Leucin erhaltenen 
d-Leucin beträchtlich größer als man bisher annehmen mußte. Man wird 
diese Drehungsgröße in Kombination mit der Drehung in salzsaurer Lösung 
auch für die Bestimmung der Reinheit von l-Leucin vorteilhaft besonders 
da verwenden können, wo es sich darum handelt festzustellen, ob aktives 
Leucin rein vorliegt oder ob es mit Racemkörper, Isoleucin oder Amino- 
valeriansäure verunreinigt ist. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 27 


Da die Drehung des aktiven natürlich vorkommenden 
Leucins bisher nicht mit Sicherheit bekannt ist, so schien es 
gelegentlich der Bearbeitung dieser neuen Spaltungsmethode 
von Interesse, eingehender zu untersuchen, ob die obige Drehung 
in salzsaurer Lösung dem Leucin wirklich zukommt oder ob 
es etwa noch mit dem Racemkörper behaftet ist. Bereits bei 
meinem ersten Spaltungsversuch des Leucins gelegentlich meiner 
vorläufigen Mitteilung?) über diese Methode hatte ich eine mit 
der obigen fast übereinstimmende spezifische Drehung in salz- 
saurer Lösung [a] 3° = — 15,26° bei einem Prozentgehalt 
der Lösung von 4,05 gefunden, glaubte aber damals ein nur 
87 °/o d-Leucin enthaltendes Leucin in Händen zu haben, da 
man nach den seit langen Jahren als richtig geltenden Drehungs- 
bestimmungen Mauthners?) und E. Schulzes®) und seiner 
Mitarbeiter annehmen mußte, daß dem natürlichen l-Leucin 
ein Drehungswert von [e] 2° -+ 17,3° bis 17,8°, also ein um 
2° bis 2,5° höherer Betrag zukommt. Indes habe ich schon 
gelegentlich der Auffindung des Isoleucins*) darauf hingewiesen, 
daß alle bisher aus natürlichen Eiweißstoffen hergestellten 
Leucin-Präparate stets mit dem viel stärker drehenden Isoleucin 
verunreinigt gewesen sein müssen, und nach meinen jetzigen 
Erfahrungen unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß auch die 
Präparate Mauthners und E. Schulzes Isoleucin enthalten 
haben, da es auf keine Weise möglich ist, Leucin durch 
Kristallisation oder selbst durch eine einfache Abscheidung 
über das Kupfersalz Isoleucin-frei zu gewinnen. Die Variierung 
der vorliegenden Spaltungsmethode auf reines Isoleucin -freies 
synthetisches Leucin angewandt gibt nun einen neuen Beweis 
für die Richtigkeit dieser Ansicht. 

Bei der oben beschriebenen Spaltung des Leucins war 
nämlich absichtlich ein großer Überschuß von Hefe ange- 
wandt, um auf alle Fälle sämtliches l-Leucin zu zerstören und 
reines, von Racemkörper freies d-Leucin mit dem richtigen 
Drehungswert zu erhalten. Die Versuche wurden dann in 





) Ztschr. d. Ver. d. Deutsch. Zuckerind. 55, 560 (1905). 

”) Ztschr. f. physiol. Chem. 7, 222 (1883). 

®) Schulze und Bosshard, Ztschr. f. physiol. Chem. 9, 100 (1885); 
Schulze und Likiernick Ber. 26, 56 (1893). 

H F. Ehrlich, Ber. 87, 1809 (1904). 


28 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 


verschiedenster Weise variiert, wobei sich zeigte, daß man 
schon bei Anwendung derselben Menge Zucker von 250 g und 
10 g r-Leucin auch statt mit 100 g Hefe mit der Hälfte, also 
75 g derselben Hefe, auskommt und hierbei stets dieselben 
Drehungswerte für d-Leucin in wässeriger und salzsaurer 
Lösung erhält. 

Damit ist auf einem neuen Wege fast genau dieselbe 
Größe des Drehungsvermögens für aktives Leucin in salzsaurer 
Lösung, nämlich [e] 2° = — 15,4° festgestellt, die E. Fischer 
schon vor Jahren an d- und l- Leucin, das er nach seiner 
Spaltungsmethode über die Benzoyl-Verbindungen gewonnen, 
beobachtet hat!) und die er vor kurzem zusammen mit 
O. Warburg?) bei Anwendung der Formyl-Methode von neuem 
bestätigen konnte. Er fand nämlich, daß d- und l-Leucin in 
20°/,iger Salzsäure um durchschnittlich 15,6° nach links resp. 
rechts dreht und konnte auch bei der Verfütterung von r-Leucin 
an Kaninchen nach dem Verfahren von Wohlgemuth aus 
dem Harn ein d-Leucin von der Drehung [a] 2° = — 15,5° 
isolieren. 

Nachdem es mir in Gemeinschaft mit Herrn A. Wendel 
auf recht mühevollem Wege gelungen ist, nun auch aus dem 
Kasein ein von Isoleucin und Aminovaleriansäure freies l-Leucin 
mit dem spezifischen Drehungsvermögen [e] ° = — 10,35° 
in wässeriger Lösung und [a] ?° = + 15,7° in 20°/siger Salzsäure 
rein zu gewinnen), scheint mir in Verbindung mit den obigen 
Befunden die Frage nach dem wahren spezifischen Drehungs- 
wert des Leucins definitiv in dem Sinne entschieden zu sein, 
daß die älteren Angaben hierüber aus der Literatur zu streichen 
und die auf verschiedensten Wegen neu ermittelten und be- 
stätigten Zahlen an ihre Stelle zu setzen sind. 


l-&@- Aminoisovaleriansäure. 


CH; 
cm CH. CHNH,. COOH. 


Mit dieser aus dem von Kahlbaum bezogenen Isobutyl- 
aldehyd nach der Cyanhydrin-Reaktion gewonnenen Amino- 


') Ber. 83, 2377 (1900). 
2) Ber. 88, 4003 (1905). 
®», Die Arbeit wird erst späterhin veröffentlicht. 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 29 


säure habe ich bisher aus vorläufigem Mangel an Material nur 
einen Spaltungsversuch vornehmen können, der indes bereits 
zu einer links drehenden Aminosäure von fast demselben 
Drehungswert geführt hat, wie ihn für die natürlich vor- 
kommende rechtsdrehende «@-Aminoisovaleriansäure E. Schulze 
und Winterstein!) und E. Fischer?) festgestellt haben. Ich 
möchte ihn daher mit dem Vorbehalt einer Nachprüfung hier 
ebenfalls mitteilen. 


200 g Zucker wurden zusammen mit 6 g synthetischer 
a-Aminoisovaleriansäure in 2 Liter Leitungswasser gelöst und 
die Lösung durch 3stündiges Erhitzen auf dem Dampfbad 
sterilisiert. Auf Zusatz von 60 g frischer Preßhefe trat sehr 
lebhafte Gärung ein, die nach 4 Tagen, wie der negative Aus- 
fall der Naphthol-Reaktion im Filtrat zeigte, vollständig beendet 
war. Die von der Hefe abfiltrierte Lösung gab beim Ein- 
dampfen zum Sirup nach kurzer Zeit Kristalle, die nach 
längerem Stehen abgesaugt und auf Ton getrocknet wurden. 
Die Menge des ursprünglichen und aus den Mutterlaugen 
gewonnenen Rohprodukts betrug 2,7 g. Beim Umkristallisieren 
aus Alkohol unter tropfenweisem Zusatz von Wasser wurden 
daraus 2 g weiße glänzende Blättchen erhalten, die bei 110° 
getrocknet im geschlossenen Rohr schnell erhitzt bei 293° unter 
Schäumen schmolzen. 


0,1709 g Sbst.: 17,8 cem N (22°, 747 mm). 
Cs Hıı NO: Ber. N. 11,97 
Gef. „ 11,67. 


Die Aminosäure löste sich bei 20° in 18,4 Teilen Wasser. 
Sie drehte in wässeriger Lösung schwach, in salzsaurer Lösung 
stark nach links. 


Spez. Drehung in wässeriger Lösung. 
0,7417 g Substanz in Wasser gelöst; Gesamtgewicht 13,6684 g. 
Prozentgehalt 5,43. Drehung im Natriumlicht bei 18° im 
2-dm-Rohr: — 0,62°. 
[e] 38 = — 5,1 °. 
') Ztschr. f. physiol. Chem. 85, 299 (1902). 
» Ztschr. f. physiol. Chem. 88, 165 (1901). 


30 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe 


Spez. Drehung in salzsaurer Lösung. 


0,7233 g Sbst. in 20°/,iger Salzsäure gelöst. Gesamtgewicht 
der Lösung 15,8431 g. Prozentgehalt 4,56. Spez. Gewicht 1,094. 

Drehung im Natriumlicht bei 20° im 2 dm-Rohr: — 2,73°. 

[a] e = — 21,36°. 

Der Wert für die Drehung der Aminosäure in salzsaurer 
Lösung stimmt mit dem früher von Schulze und Winterstein 
sowie E. Fischer an der natürlich vorkommenden Amino- 
valeriansäure gefundenen [a], = + 27,9° resp. + 27,95 gut 
überein, so daß anzunehmen ist, daß die Hefe die d-Komponente 
total assimiliert hat. Eine andere Frage, die bisher nicht ent- 
schieden werden konnte, ist allerdings, ob der zur Synthese 
benutzte Isobutylaldehyd tatsächlich ganz frei von isomeren 
Verbindungen war. 

Schließlich sei hier noch darauf hingewiesen, daß bei dem 
Leucin und der Aminovaleriansäure ebenso wie beim Alanin 
außer der natürlich vorkommenden Komponente offenbar stets 
auch ihr optischer Antipode von der Hefe angegriffen wird, da, 
wie die Ausbeutezahlen zeigen, immer nur °/3 bis ®/ı der theo- 
retisch berechneten Menge der einen optisch aktiven Modifikation 
zu gewinnen war. 


In ähnlicher Weise, wie es im vorstehenden für drei der 
bekanntesten Aminosäuren beschrieben ist, lassen sich nun nach 
mehrfach angestellten Vorversuchen noch eine ganze Reihe von 
racemischen Aminosäuren mit Hefe in kurzer Zeit partiell bis 
zur vollständigen Zerstörung der einen Komponente vergären. 
Zu diesen gehören u. a. die Asparagin-, Glutaminsäure und das 
Tyrosin, deren natürlich vorkommende Verbindung. sehr leicht 
von der Hefe assimiliert wird. Auch in der Natur bisher nicht 
nachgewiesene synthetische Aminosäuren ließen sich mit gutem 
Erfolg spalten. So konnte ich gemeinsam mit Herrn 
Wendel die synthetisch gewonnene Methyläthylaminoessig- 


säure, = T )CNH: + COOH, das nächst niedere Homologe des 


Isoleucins, mittels Hefe in Gegenwart von Zucker in eine in 
wässeriger und salzsaurer Lösung linksdrehende Substanz um- 
wandeln, über die wir späterhin berichten werden. Sehr wesent- 
liche Dienste hat mir das Verfahren auch bei der Trennung 


F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 31 


des Gemisches aus d-Isoleucin und d-Allo-Isoleucin geleistet, 
wie es bei der Synthese aus d-Amylalkohol und bei der Um- 
lagerung von dem natürlichen d-Isoleucin durch Barytwasser 
entsteht. Man braucht dieses Gemisch nur in der oben mehr- 
fach angegebenen Weise vergären zu lassen, wobei das d-Allo- 
Isoleucin fast unangegriffen zurückbleibt und das d-Isoleucin 
nach Entziehung seines Stickstoffes durch die Hefe in d-Amyl- 
alkohol übergeführt wird. 

Die hier beschriebene Methode, die vor den bisher be- 
kannten biologischen Verfahren den Vorzug der Schnelligkeit 
und bequemen Anwendbarkeit bietet und im Prinzip der glatten 
Vergärung der Zucker durch Hefe ungemein ähnelt, bietet 
wohl vor allem den Vorzug, daß man mit ihrer Hilfe leicht 
und exakt ohne Gefahr der Wiederracemisierung synthetische 
oder bei der Eiweißhydrolyse partiell oder total racemisierte 
Aminosäuren auf ihren wahren Drehungswert untersuchen kann, 
und dürfte in dieser Hinsicht vielleicht. auch einen gewissen 
diagnostischen Wert besitzen. 

Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß man auch an der 
Hand dieser Methode das physiologische Verhalten der Hefe 
und Heferassen im allgemeinen und ihr Assimilationsvermögen 
für gewisse Aminosäuren chemisch wird einwandsfrei feststellen 
und ein genaues Bild darüber wird erhalten können, ob die 
wichtige physiologische Reaktion der Alkoholbildung aus Amino- 
säuren nach der Gleichung: 

XCHNH; - COOH + H:O = XCH:OH + CO; + NH;, 
die ich zuerst für das Leucin und Isoleucin aufzeigen und be- 
weisen konnte, tatsächlich für alle Aminosäuren Bestand hat. 


Über objektive Hämoglobinometrie, 


Von 
Dr. med. Johann Plesch, Budapest. 


(Aus dem Tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen Hochschule 
in Berlin.) 


(Eingegangen am 28. April 1906.) 


Alle gebräuchlichen Hämoglobinometer haben den Fehler, 
daß die Genauigkeit der Resultate von der Farbenempfindlich- 
keit des Untersuchers abhängig ist. Bei den klinischen Methoden 
steigt die dadurch entstehende Ungenauigkeit bis zu 10°/, des 
wirklichen Hämoglobinwertes. Auch dem Spektrophotometer 
haftet derselbe Fehler, wenn auch in viel geringerem Grade an. 

Bei einer objektiven Untersuchung soll die Konzentration 
einer Farbenlösung unabhängig vom Beobachter festgestellt 
werden. Ich gebrauchte zu diesem Zwecke das Selen. 

Berzelius hat in dem Schlamm der Schwefelsäurefabrik 
zu Gripsholm i. J. 1746 das Selen entdeckt. Eine interessante 
Verwendbarkeit dieses Elements beruht bekanntlich auf der 
Eigenschaft, daß sich auf Belichtung seine elektrische Leitfähig- 
keit ändert. 

Bevor ich auf die genauere Beschreibung dieser Eigenschaft 
eingehe, möchte ich noch die Unterschiede erwähnen, welche 
zwischen dem Selen und den ihm verwandten Elementen be- 
stehen. Da das Selen dem Schwefel am nächsten steht, ist es 
am besten, diese zwei Elemente miteinander zu vergleichen. 

Das Selen und der Schwefel kommen in drei verschiedenen 
Formen vor, von denen eine amorph und die zwei anderen 
kristallinisch sind. Das Selen ist weniger reaktionsfähig als 


J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 33 


der Schwefel. Beide sind in Wasser und Alkohol unlöslich. 
In Kohlenstoffdisulfid, Chloroform, Pyridin, Benzol, Thiophen 
sind beide, aber das Selen schlechter als der Schwefel, löslich, 
wogegen die amorphen Modifikationen unlöslich sind. Lösen 
wir den Schwefel und das Selen in Schwefelkohlenstoff und 
setzen wir die Lösung der Wirkung der Sonnenstrahlen aus, 
so scheiden sich beide in der Form von sogenannten ß-Kristallen 
aus. Schmelzen wir diese Kristalle, dann wandeln sie sich 
unter Wärmeabgabe (welche wahrscheinlich der absorbierten 
Lichtmenge äquivalent ist) in @-Kristalle um und sind dann 
wieder in den angeführten Flüssigkeiten löslich. Das beste 
Lösungsmittel für S und Se ist das Schwefel- resp. Selen- 
chlorid, aus welchen sie selbst bei intensivster Belichtung nicht 
ausfallen, und es ist darum wahrscheinlich, daß es sich hier 
nicht um eine physikalische, sondern um eine chemische 
Lösung handelt. 

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die bessere elektrische Leit- 
fähigkeit auf einer bei Belichtung auftretenden Polymerisierung 
beruht, und es würde dies ein weiterer Beweis für die Richtig- 
keit des Gibsonschen Gesetzes sein, wonach das Licht fähig 
ist, schlechte elektrische Leiter in gute umzuwandeln. Da die 
Leitfähigkeitsänderung des Selens eine viel größere ist, als die 
des Schwefels, ist anzunehmen, daß das Selen eine größere 
Polymerisierungsneigung besitzt. 

Die Erklärung für die Leitfähigkeitsänderung ist nicht ein- 
fach. Es bestehen zahlreiche Hypothesen, aber keine vermag 
diese Erscheinung nach allen Richtungen zu erklären. Unter den 
alten Autoren, die noch Anhänger der Newtonschen Licht- 
theorie waren, wollten einzelne die Erscheinung so deuten, 
daß das strahlende Fluidum durch die Moleküle dringt und die 
gesteigerte Leitfähigkeit durch das eingedrungene Fluidum be- 
dingt werde. 

Dieser Hypothese widerspricht die Tatsache, daß das Selen 
nach der Belichtung nicht sofort, sondern nur allmählich seinen 
ursprünglichen elektrischen Widerstand zurückbekommt. 

Nach einer anderen Hypothese soll die Ursache der Er- 
scheinung mit der schon erwähnten molekularen Änderung er- ` 
klärt werden. Da aber bisher noch keine Verbindung bekannt 


ist, die sich momentan von der monomolekularen Form in 
Biochemische Zeitschrift Band I. 3 


34 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 


polymolekulare umwandeln und wieder momentan zurückver- 
ändern könnte, darf auch diese Hypothese nicht ohne weiteres 
angenommen werden. 

Die neuesten Autoren behaupten, daß das eigentliche 
lichtempfindliche Material nicht das Selen, sondern das Selenid 
wäre, welches bei der Herstellung der Zelle durch Schmelzen 
des Selens auf der Oberfläche des leitenden Metalldrahtes ent- 
steht. Andere Autoren glauben, daß es sich um Thermoströme 
handelt, andere wieder fassen die Erscheinung als eine in einem 
Elektrolyt entstandene Lichthydrolyse auf. 

Zur Entscheidung, ob es sich hier um Licht- oder Wärme- 
wirkung handelt, ist die Lichtabsorption des Selens untersucht 
worden. Es stellte sich dabei heraus, daß das Absorptions- 
maximum annähernd mit den D-Streifen des Natriums zu- 
sammenfällt, d. h. das von der Selenschicht ausgelöschte Licht 
enthält keine gelben Lichtstrahlen, da sie von dem Selen ab- 
sorbiert werden. Wurde das längere Zeit mit gelbem Licht 
bestrahlte Selen untersucht, so zeigte es kaum eine Temperatur- 
änderung, und somit wurde bewiesen, daß die gelben Strahlen 
nicht in Wärme umgewandelt wurden. Außer den gelben 
Strahlen werden die andern Strahlen ebenfalls von dem Selen 
im Sinne einer gewissen Kurve absorbiert, welche einer stumpfen, 
bei dem Natriumstreifen ihren Höhepunkt erreichenden und 
von da ab sich zurückbiegenden Parabel entspricht. Diese 
Absorptionskurve ist aber nicht exakt und allgemein gültig zu 
konstruieren, da sie von der Temperatur, von der Qualität 
und Größe der Zelle, sowie von der Reinheit des Selens ab- 
hängig ist. Bei denselben Bedingungen und bei derselben 
Selenzelle besteht aber das photochemische Gesetz, in dem das 
Absorptionsmaximum mit dem Maximum der Veränderung zu- 
sammenfällt. 

Die beschriebenen Eigenschaften des Selens machen es für 
Bestimmungen der Hämoglobinkonzentration brauchbar. Es ist 
klar, daß das Lichtdurchlassungsvermögen einer Farblösung zu 
der Konzentration im umgekehrten und proportionalen Ver- 
hältnis steht und bei passender Einrichtung mit dem Selen zu 
bestimmen ist. 

Die Versuchsanordnung beruht im wesentlichen darauf, daß 
ein Strom durch eine Selenzelle zum Galvanometer geleitet und 


J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 35 


die Selenzelle von einer Lichtquelle beleuchtet wird, vor welcher 
die zu untersuchende Lösung steht. 





Kompensstionsschaltung der Selenzelle. 
Se = Selenzelle. A = Akkumulator. R == Schieber-Rheostat. 
W == Widerstandskasten. G@ = Galvanometer. 


Die Selenzelle ist so konstruiert, daß der Gesamtwiderstand 
der belichteten Zelle möglichst herabgesetzt und ihre Licht- 
empfindlichkeit erhöht wird. Die von mir gebrauchte Zelle 
besteht aus einem Holzkasten, der mit einem umklappbaren 
Deckel lichtdicht verschließbar ist. In der Mitte des Kästchens 
ist eine rechteckige isolierende Platte angebracht, auf welcher 
ein feiner Kupferdraht aufgespult ist. Zwischen den Draht- 
fugen ist das Selen ausgebreitet. Am Kästchen sind zwei An- 
schlußklemmen, die mit dem aufgespulten Draht in Verbindung 
stehen. Die wirksame Fläche der Zelle ist 30 X 50 mm groß 
und besitzt im ausgeruhten Zustande 60000 2 Widerstand. 
Bei intensiver Bestrahlung mit 25kerziger Glühlampe sinkt 
dieser Widerstand bis 2000 Q. Die maximale Strombelastung 
der Zelle ist ca. 20 Milliampere. Für unsere Zwecke genügt 
ein Akkumulator von 4 Volt Spannung. 

Die Selenzelle wurde in einem vor Licht verschlossenen 
Kasten angebracht. Vor die Zelle kommt ein Diaphragma, 
um das seitliche Licht abzuhalten. Vor die Schaltung des 
Diaphragmas wird die zu untersuchende Lösung gestellt. Als 


Lichtquelle dient eine Lampe, die in der Achse der wirksamen 
3* 


36 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 


Selenfläche und Lumen des Diaphragmas aufgestellt wird. Um 
die Erhitzung und den Temperatureinfluß auf die Zelle zu ver- 
meiden, muß die Lampe in einem andern Kasten untergebracht 
sein und event. die Lichtstrahlen durch einen Kühlapparat 
geleitet werden. 

Die Schaltung ist, wie aus der Zeichnung ersichtlich, eine 
sog. Kompensationsschaltung und bei der Anordnung derselben 
konnte ich mich der Hilfe des Herrn W. Volkmann, Assistent 
am Physikalischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule 
zu Berlin, erfreuen. Wir probierten mit verschiedenen Schal- 
tungen und versuchten auch mit dem Rheocord zu arbeiten, 
aber es konnte mit keiner die Empfindlichkeit erreicht werden, 
wie mit der angegebenen. 

Sehr störend können Thermoströme sein, die aber durch 
Manganinleitung zu beseitigen sind. Eine weitere Schwierigkeit 
besteht darin, den richtigen Empfindlichkeitsgrad zu treffen. 
Es kommt dabei darauf an, das Galvanometer so einzustellen, 
daß der Ausschlag zwischen vollkommener Belichtung und 
Belichtung durch die Testlösung hindurch in dem Maße auf 
die Skala fällt, daß sie womöglich ganz ausgenutzt wird, denn 
je größer der Ausschlag ist, um so genauer wird die Ablesung 
und prozentische Konzentrationsbesimmung. Ist z. B. die 
Länge des Ausschlages 10 cm, so wird 1 mm ein Prozent der 
Testlösung anzeigen, ist der Ausschlag 50 cm, so entspricht 
1 mm 0,2°, usw. 

Die Empfindlichkeit des Apparates ist durch den Wider- 
standskasten W (am zweckmäßigsten von 0,1 bis 100,0 2), die 
Einstellung auf die Skala durch einen Schieberrheostaten (Zt) 
leicht zu regulieren. 

Die in der kurzen Zeit eines Versuches auftretenden gerin- 
gen Schwankungen in dem Akkumulator kommen ebensowenig 
in Betracht wie die Lichtintensitätsschwankungen der Licht- 
quelle. Immerhin ist es zu empfehlen, als Lichtquelle einen 
Normalbrenner oder die noch konstantere Tantalbirne zu 
gebrauchen. 

Zur Messung dient ein isoliertes Spiegelgalvanometer mit 
Fernrohrablesung und Skalaentfernung von ca. 1 Meter. Die 
Genauigkeit der Ablesung kann auch durch weitere Entfernung 
der Skala noch gehoben werden. 


J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 37 


Bei einer Konzentrationsbestimmung hängt der Versuch 
hauptsächlich davon ab, ob wir das Galvanometer auf einen 
Ruhepunkt bringen können, und die ganze Schwierigkeit des 
Arbeitens liegt eigentlich in diesem Punkte. Die Leitfähigkeits- 
änderung der Selenzelle wird nämlich erst nach längerer Zeit 
konstant und man tut darum gut, vor dem Versuch die Zelle 
länger belichtet zu halten. Außer den Widerstandsänderungen 
des Selens beunruhigen das Galvanometer noch die bereits er- 
wähnten Thermoströme, Temperaturschwankungen und andere 
äußere Ursachen, die manchmal recht schwer zu finden sind. 

Um Konzentrationsbestimmungen mit dem Apparat aus- 
führen zu können, gebrauchen wir eine Testlösung, deren 
Konzentration bekannt ist. Bei der Hämoglobinometrie haben 
sich als haltbare Testflüssigkeiten das salzsaure Hämatin nach 
Sahli und das Kohlenxydhämoglobin nach Hoppe-Seyler 
bewährt. Man kann aber auch andere Farblösungen ge- 
brauchen, deren Lichtabsorption derjenigen einer bestimmten 
Blutlösung entspricht. Als solche Flüssigkeit ist die von 
Zetnow angegebene chromsaure Kali- und Kupfersulfatlösung 
zu empfehlen. 

Ist das Galvanometer zur Ruhe gekommen, so stellen wir 
es mittels des Schieberrheostaten bei vollkommener Belichtung 
der Selenzelle auf den Nullpunkt der Skala ein. Es wird dann 
der Ausschlag bei dazwischen gestellter Testlösung bestimmt. 
Ist dies geschehen, so stellen wir statt der Testflüssigkeit die zu 
untersuchende Lösung vor die Selenzelle. Wir erhalten dann 
einen Ausschlag der — je nach dem Verhältnis zwischen der 
Flüssigkeit und der Testlösung — größer oder kleiner als bei dem 
Testversuch sein wird. Die Differenz in den Ausschlägen ist 
proportional der Konzentrationsdifferenz. 

Je größer die Verdünnung, umso kleiner wird der Aus- 
schlag sein, und umgekehrt. Die Konzentration ist somit aus 
der einfachen Formel leicht zu berechnen: 

C: Dı D, C 

© = p> raus Ci = D” 
wobei C die bekannte Konzentration der Testlösung, Cı die un- 
bekannte Konzentration der zu untersuchenden Lösung, D den 
Ausschlag bei der Testlösung und D, den Ausschlag der zu be- 
stimmenden Lösung bedeuten soll. 


38 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. ` 


Es sei noch bemerkt, daß die Untersuchung der Flüssig- 
keiten in genau gleichen planparallelen Glasküvetten auszu- 
führen ist, da die Lichtabsorption von der Schichtdicke der 
Flüssigkeit und Qualität sowie Dicke des Glases abhängt. Runde 
Gefäße eignen sich zur Untersuchung darum nicht, weil sie die 
Selenzelle ungleichmäßig belichten. 

Wie es aus dem Vorhergesagten ersichtlich, ist der Apparat 
nicht konstant ein für allemal einzustellen, es muß vielmehr 
vor jedem Versuch der Nullpunkt und der Ausschlag der Test- 
lösung von neuem festgestellt werden. 

Meine Versuche sind noch nicht beendigt und ich betrachte 
diese Publikation nur als eine vorläufige Mitteilung, der eine 
Arbeit über die Genauigkeit und Resultate dieser Methode nach- 
folgen soll. 

Zum Schluß sei mir noch gestattet, dem Herrn Geheimrat 
Prof. Zuntz für seine Unterstützung und sein Interesse meinen 
besten Dank auszusprechen. 


Über die Spaltung der lipoiden Substanzen 
durch Lipase und über die optischen Antipoden 
des natürlichen Leecithins. 


Von 
Paul Mayer-Karlsbad. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 28. April 1906.) 


Die große biologische Bedeutung der lipoiden Substanzen 
nach den verschiedensten Richtungen hin ist durch eine Reihe 
von Arbeiten aus den letzten Jahren dargetan. Unter ihnen hat 
ganz besondere Beachtung das Lecithin gefunden. Die Ent- 
deckung seiner Rolle bei der Hämolyse, die im Ehrlichschen 
Institut P. Kyes sowie Kyes und H. Sachs!) gelang, bedeutet 
einen Wendepunkt in der Immunitätslehre; einmal erwies sich 
das Lecithin als das Komplement des Cobrahämolysins und da- 
mit als der erste chemisch definierte Bestandteil der bei den 
Immunisationsphänomenen wirksamen Serumsubstanzen; dann 
glückte es den Frankfurter Forschern auch, die Verbindung des 
Cobratoxins mit dem Lecithin in reiner Form darzustellen und 
dadurch den biologischen Versuch auf den Boden des rein 
chemischen Experimentes zu stellen. 

Die Versuche von Kyes?) haben weiter das überraschende 
Ergebnis gehabt, daß die Art der Lecithinbindung in den 


) P.Kyes, Berl. Klin. Wochenschr. 1902, Nr. 38 u. 39; P. Kyes u. 
H. Sachs, ebenda 1908, Nr. 2, 3 u. 4; vergl. J. Morgenroth, ebenda 
1905, Nr. 50. 

» Kyes, Ztschr. f. physiol. Chem. 41, 273, 1904. 


40 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


Organen verschiedener Tiere eine sehr ungleiche ist, Verhält- 
nisse, die für die Erscheinungen der natürlichen Immunität 
z. B. gegen Schlangenbisse von größter Wichtigkeit sind. 

Überdies hat das Lecithin in den letzten Jahren eine 
dauernd noch steigende medikamentöse Verwendung gefunden; 
indes das Urteil über die Lecithintherapie ist noch nicht ab- 
geschlossen. 

Bei dieser allgemeinen biologischen Bedeutung des Lecithins 
war die Klärung einer für die Beurteilung des physiologischen 
Verhaltens wesentlichen Frage von Wichtigkeit, die nämlich 
nach der Wirkung der Enzyme auf das Lecithin. Bekanntlich 
hat Bokay!) nachgewiesen, daß Lecithin durch Dünndarmsaft 
gespalten wird. Aber der Dünndarmsaft ist ein Gemisch von 
Fermenten, und es war daher wichtig, festzustellen, welches 
Enzym die Zerlegung des Lecithins bewirkt, Dünndarmsekret 
selbst, Trypsin, Erepsin oder Lipase. Da die den Fetten ähn- 
liche Konstitution des Lecithins es wahrscheinlich machte, daß 
die Lipase das wirksame Ferment sei, habe ich zunächst das 
Verhalten des Lecithins zu diesem Enzym studiert und will in 
folgendem über das Ergebnis dieser Untersuchungen sowie über 
die Darstellung und das Verhalten der optischen Antipoden 
des natürlichen Lecithins berichten. 


I. Spaltung des Lecithins durch Lipase. 


Für diese Untersuchungen benutzte ich das von der Aktien- 
gesellschaft für Anilinfabrikation in großer Reinheit aus Eigelb 
dargestellte Lecithin Agfa und als Lipase das beste derzeit 
existierende Präparat, das Steapsin von Grübler, dessen „Rein- 
heit“ ich durch den Nachweis, daß es keinerlei proteolytische 
Wirkungen entfaltet, bestätigen konnte. 

Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß 5 ccm 
einer 2°/, wässerigen Lecithinemulsion im Reagensglas mit 
Lipase versetzt und 5, 20 und 40 Stunden im Brutschrank bei 
37° belassen wurden. Nach dieser Zeit wurden dann die 
Lösungen unter Zusatz von 99,6 °/,-igen Alkohol quantitativ in 
ein Becherglas übergeführt und mittels einer !/ıo-Normallauge, 
unter Anwendung von in Methylalkohol gelöstem Phenolphthalein 


') A.Bokay, Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 157. 


P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 41 


als Indikator titriertt, um so die Abspaltung der Fettsäuren 
quantitativ zu bestimmen. Vorher hatte ich mich überzeugt, 
daß Lecithin durch die Brutschranktemperatur allein nicht ver- 
ändert wird. 

Da sowohl die Lecithin- wie die Steapsinlösungen schwach 
saure Reaktion zeigten, wurde der Säuregrad beider durch vor- 
herige Titration festgestellt. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung 
verbrauchen 0,3 ccm "ıo-Lauge, und 1 ccm Lipase verbraucht 
0,4 ccm !/ıo-Lauge zur Neutralisation; diese Zahlen wurden von 
den nach der Digestion verbrauchten ccm UY,o-Lauge in Ab- 
rechnung gebracht. 

Das Ergebnis dieser Versuche ist aus der folgenden Zu- 
sammenstellung ersichtlich. 


Verbrauch von ccm 
o Lauge nach Abzug 
der Zahlen für 
Lecithin und Lipase 


Digestions- 
Lecithin + Lipase dauer 


in Stunden 








nn — mn nn AAAA 


5 cem 2°,,-igen Lösung + 1cem Lipase 5 1,0 


5n 2 n n Hla a 5 0,9 
In 2 y n Fla >», 5 1,0 
54 2 „ ” +1, n 20 1,5 
5,2 „ n sein 20 1,4 
5n 2 mn no Fly on 20 1,5 
In 2 m `“ el 7 n 40 1,5 
9n2 , » Fla » 40 1,5 
5.2, a Are, 5 40 1,4 


Aus diesen Versuchen ergibt sich die Tatsache, daß das 
Lecithin durch Lipase reichlich gespalten wird. Die Ab- 
spaltung der Fettsäuren ist bei fünfstündiger Digestionsdauer 
geringer als bei längerer Lipasewirkung, während eine über 20 
Stunden ausgedehnte Spaltung die Fettsäureabscheidung nicht 
mehr steigert. 

Die Zerlegung des Lecithins läßt sich übrigens schon deut- 
lich aus dem Aussehen der Lecithinemulsion nach Ablauf des 
Versuchs erkennen, da sich die festen Fettsäuren z. T. als kri- 
stallinische Massen abscheiden. 

In einer anderen Versuchsreihe wollte ich eruieren, ob der 
Ablauf der Hydrolyse durch die Reaktionsverhältnisse beeinflußt 
wird. Ich habe deshalb einige Versuche mit einer durch Soda 


42 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


genau neutralisierten Steapsinlösung angestellt und in weiteren 
Versuchen geringe Mengen !/‚o-Normal H,SO, zugesetzt. 
Das Ergebnis zeigt die folgende Tabelle. 










Verbrauch von ccm 
‘eLauge nach Abzug 
der Zahlen für 
Lecithin + Zusatz 


Digestions- 
2°/,,igen Lecithinlösung + Zusatz dauer 
in Stunden 








5cem + 1 cem neutr. Lipase . 0,7 
Sn tla n n 0,8 
5 n + 1 n ” n 1,1 
ön» +i, j 5 P OO: 1,1 
5 „ + 1 Lipase + 0,5 cem '/-H,SO, 1,5 
Sn tl. +5 nn 1,5 
5 n + 1 n + 0,5 n n n 1,5 
5 n F 1 n + 0,5 n n n 1,7 
5 „ + 0,5 ccm "HS0, 0,0 


Die Spaltung tritt also auch bei neutraler Reaktion ein; 
sie ist aber geringer als bei der schwach sauren Reaktion des 
käuflichen Präparates. 

Was den Einfluß des Säurezusatzes anlangt, so habe ich 
zunächst Kontrollversuche darüber angestellt, ob nicht die Säure 
schon allein eine spaltende Wirkung auf das Lecithin ausübt. 
Bei Anwendung der geringen Säuremengen, wie sie in der 
Tabelle verzeichnet sind, wird Lecithin durch die Säure allein 
nicht zerlegt. Dahingegen lehrten mich einige besondere — in 
der vorstehenden Tabelle nicht angeführte — Versuche, daß 
bei Zusatz größerer Säuremengen (1,5—2 ccm !/ıo Normal H: S04) 
eine — allerdings nur ganz geringe — Spaltung statthat. So z. B. 
verbrauchten in mehreren Versuchen 5 ccm einer 2°/,-igen 
Lecithinlösung, denen 1,5 ccm "/ıo-HzSO, zugesetzt waren, nach 
20 stündiger Hydrolyse (nach Abzug von 1,8 cem Yıo-Lauge 
für Lecithin +- Säure) 0,2—0,3 ccm !/ıo-Lauge. Diese Spaltung 
ist eine so geringe, daß sie mit der Fermentwirkung in keiner 
Weise zu vergleichen ist. 

Die Wirkung der Lipase wird nun durch Säurezusatz, wie 
die vorstehende Tabelle lehrt, insofern nicht beeinflußt, als eine 
gesteigerte Fettsäureabspaltung nicht wahrzunehmen ist. Es 
zeigen aber die angeführten Zahlen, daß schon bei fünf- 
stündiger Lipasewirkung die Abspaltung denselben Grad 


P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 43 


erreicht, wie dies ohne Zusatz von Säure erst nach 20 Stunden 
der Fall ist. Die Fermentreaktion wird also nach Zusatz einer 
kleinen Menge von Säure beschleunigt, so daß die Verhältnisse 
beim Lecithin ganz ebenso liegen, wie sie Connstein!) in seinen 
grundlegenden Arbeiten für die fermentative Spaltung der 
eigentlichen Fette fand. 

Von besonderer physiologischer Bedeutung erschien mir 
die Frage, ob das Lecithin auch durch Magensaft zerlegt wird, 
da ja nach verschiedenen Autoren im Magensaft ein lipolytisches 
Ferment vorkommen soll. 

Ich habe deshalb bei genau der gleichen Versuchsanordnung 
Hundemagensaft, den ich dank der Liebenswürdigkeit des 
Herrn Dr. Bickel stets ganz frisch aus der experimentell- 
biologischen Abteilung des Pathologischen Instituts erhalten 
konnte, auf Lecithin einwirken lassen. Einige der angestellten 
Versuche führe ich hier an. 

1. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung werden mit 1 ccm 
Hundemagensaft 20 Stunden im Brutschrank belassen. 
Zu ihrer Neutralisation sind nach Beendigung des 
Versuches 2,3 ccm —, d. h., da 1 ccm Magensaft 1,5 
und 5 ccm Lecithin 0,3 ccm !/,o-Lauge verbrauchen — 
0,5 ccm !/ıo-Lauge nötig. 

2. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung -+ 1 ccm Magensaft 
verbrauchen nach 20Ostündiger Hydrolyse (nach Abzug 
von 1,8) 0,3 ccm !/ıo-Lauge. 

3. 5 cem Lecithinlösung +- 2 ccm Magensaft benötigen 
zur Neutralisation 3,7 — 3,3, d. h. 0,4 ccm !/ıo-Lauge. 

4. 5 ccm Lecithinlösung + 2 ccm Magensaft verbrauchen 
3,7 — 3,3, d. h. 0,4 cem !/ıo-Lauge. 

Diese Versuche zeigen, daß eine, wenn auch geringe 

Spaltung stattgefunden hat. 

Will man aber diese Spaltung auf ein im Magensaft wirk- 
eames lipolytisches Enzym beziehen, so erscheint die Spaltung 
noch viel geringer, sobald man erwägt, daß ja schon dieselben 
Säuremengen, die 1 ccm Magensaft entsprechen, eine geringe 
Zerlegung des Lecithins bewirken, wie ich oben ausgeführt 


t Connstein, Hoyer u. Wartenberg, Ber. der deutsch. chem. 
Ges. 85, 3988, 1902. 


44 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


habe. Berücksichtigt man diese Zahlen, so würde nur ein 
Verbrauch von 0,1—0,2 "/ıo-Lauge übrig bleiben, der auf die 
Wirkung des Magensaftes selbst zu beziehen wäre. 

Diese Zahlen liegen aber eigentlich innerhalb der Fehler- 
grenzen, so daß aus diesen Ergebnissen kaum auf eine lecithin- 
spaltende Wirkung des Hundemagensaftes geschlossen werden 
kann. 

Ich will hier nicht die Frage nach dem Vorhandensein 
eines fettspaltenden Fermentes im Magensaft aufrollen. 

Bekanntlich haben Volhard und seine Schüler Stade, 
Fromme, Zinssen’) sich in den letzten Jahren sehr energisch 
für die Existenz eines solchen eingesetzt, während andere 
Forscher das Vorhandensein desselben bezweifeln. Wenn meine 
Lecithinversuche zunächst nicht für das Vorkommen eines 
lipolytischen Fermentes im Magen zu sprechen scheinen, so ist 
doch anderseits zu berücksichtigen, daß im Magensaft das 
supponierte Ferment im Gemisch mit anderen Enzymen vor- 
handen ist und daher schwächer wirken dürfte als ein isoliertes 
Enzym, wie wir es in dem Steapsin vor uns haben. 

Außerdem könnte ja auch das Magensteapsin so streng 
spezifisch auf die eigentlichen Nahrungsfette eingestellt sein, 
daß es auf Lecithin nicht wirkt. 

Ohne also auf diese Fragen näher einzugehen, möchte ich 
lediglich die Tatsache feststellen, daß das Lecithin durch 
Magensaft nicht oder wenigstens nur in ganz geringem Umfange 
gespalten wird. Dieser Befund ist für die Frage der Lecithin- 
therapie von Wichtigkeit, weil er zeigt, daß wir bei innerlicher 
Darreichung des Lecithins eine Zerlegung desselben im Magen 
nicht zu erwarten haben. 

Außer dem Lecithin kennt man noch andere natürlich 
vorkommende organische Phosphorsäureverbindungen, die eben- 
falls in die Gruppe der Lipoide zu zählen sind, vor allem das 
Jecorin und das Protargon. Die ähnliche biologische Rolle 
und die chemische Verwandtschaft dieser beiden Körper mit 
dem Lecithin legten es nahe, auch ihr Verhalten zu dem fett- 
spaltenden Enzym zu untersuchen. 


') Münch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 5 u.6: Beitr. z. chem. Physiolog. 
u. Pathol. 7, 31—51, 1905. 





P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 45 


In ähnlicher Weise wie bei dem Lecithin habe ich daher 
Lipase auf Jecorin und Protargon wirken lassen. 

Das Jecorin, das ich nach dem Drechselschen Verfahren 
aus Pferdeleber dargestellt hatte, wurde in 1 °/, wässeriger 
Lösung verwendet, die ganz schwach saure Reaktion hatte, so 
daß 2 ccm durch 0,1 ccm !/ıo-Lauge neutralisiert wurden. 

Protargon, das nach der Methode von Kossel und Freytag 
gewonnen war, wurde zunächst in wenig Methylalkohol gelöst 
und dann so viel Wasser zugesetzt, daß eine 1 °/, Lösung, bez. 
Emulsion resultierte. Von dieser wurden 2 ccm schon durch 
2 Tropfen '/ıo-Lauge neutralisiert, so daß dieser minimale Säure- 
grad vernachlässigt werden konnte. Die für diese Versuche an- 
gewandte Lipase zeigte ebenfalls eine Azidität von 0,4 Y/ıo-Lauge, 
und der benutzte Magensaft eine solche von 1,6. 


Weder Jecorin noch Protargon wurden durch die Brutschrank- 
temperatur allein angegriffen, ebensowenig wirkte Zusatz von 
geringen Mengen Säure ohne Lipase spaltend auf die beiden 
Substanzen. Die Versuche ergaben ein ganz analoges Resultat 
wie beim Lecithin, so daß ich nur einige Versuche in der 
folgenden Tabelle anzuführen brauche. 


Nach fünfstündiger Digestionsdauer. 


2 ccm 1°/,ige Jecorinlösung + 1 ccm Lipase verbrauchen nach Abzug von 
Jecorin + Lipase 1,0 '/o- Lauge, 
2 „ 1 „ Jecorinlösung +1 ccm Lipase + 0,5 cem "/ -H,SO, verbrauchen 
nach Abzug von Jecorin + Lipase + H,SO,: 1,5"/.-Lauge, 
2 „ 1 „ Jecorin + 1 Lipase + Il ccm Magensaft verbrauchen nach 
Abzug von Jecorin + Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge, 
2 „ 1 „  Jecorin + 1 Lipase + 2 Magensaft verbrauchen nach Abzug 
von Jecorin 4 Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge, 
2 „ l „ Protargonlösung + 1 ccm Lipase verbrauchen nach Abzug 
von Lipase 0,9 "o Lauge, 
2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase + 0,5 '/o-H,SO, verbrauchen 
nach Abzug von Lipase + H,SO,: 1,6 Y-Lauge, 
2 „ 1 „  Protargonlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach 
Abzug von Lipase und Saft: 0,0 '/.-Lauge, 
„ 1 „  Protargonlösung + Lipase + 2 Magensaft verbrauchen nach 
Abzug von Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge. 


to 


Nach 20stündiger Digestionsdauer. 


2 ccm l'%ige Jecorinlösung +4 1 Lipase verbrauchen nach Abzug von 
Jecorin + Lipase: 1,4 '/o-Lauge, 


46 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins,. 


2 ccm 1°/,-ige Jecorinlösung + 1 Lipase + 0,5 ",-H,SO, verbrauchen nach 
Abzug von Jecorin und Lipase + H,SO,: 1,5 "/„-Lauge, 

2 „ 1 „ Jecorinlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach 
Abzug von Jecorin + Lipase + Saft: 0,0 ’/„-Lauge, 

2 „ 1 „  Protargonlösung + 1 Lipase verbrauchen nach Abzug von 
Lipase: 1,6 '/.-Lauge, 

2 „ l „  Protargonlösung + 0,5 '/,„H.SO, + 1 Lipase verbrauchen nach 
Abzug von Lipase + H,SO,: 1,5 "o- Lauge, 

2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach 
Abzug von Lipase + Saft: 0,2 o- Lauge. 


Die angeführten Zahlen beweisen, daß auch Jecorin und 
Protargon reichlich durch Lipase gespalten werden, und daß 
auch hier die Fermentreaktion durch Zusatz einer kleinen 
Menge Säure beschleunigt wird. Noch deutlicher als beim 
Lecithin zeigt. es sich hier, daß Magensaft keine Zerlegung 
bewirkt. 


II. Die optischen Antipoden des natürlichen Lecithins. 
a) Racemisches Lecithin. 


Bekanntlich zeigt ein durch Extraktion bei höherer Temperatur 
gewonnenes Lecithin kein oder nur ein geringes Drehungs- 
vermögen; aber das so gewonnene Präparat ist durch Spaltungs- 
produkte des Lecithins stark verunreinigt, und die reine optisch 
inaktive Verbindung ist bisher nicht beschrieben. 

Zu ihrer Darstellung habe ich folgendes Verfahren ein- 


geschlagen. 
Gewöhnliches rechtsdrehendes Lecithin — ich habe auch 
für diese Versuche Lecithin Agfa benützt — wird mit der 


10fachen Menge ganz absolutem Äthyl- oder Methylalkohol im 
Schießrohr 5—6 Stunden auf 90—100° erhitzt. Nach dem 
Erkalten verdampft man den Rohrinhalt bei möglichst niederer 
Temperatur und löst den Rückstand in Äther. Die ätherische 
Lösung wird dann im Scheidetrichter mit ca. 0,5 °;o Sodalösung 
durchgeschüttelt, mehrfach mit Wasser gewaschen und dann 
verdampft. Die hinterbleibende dunkelbraune Masse wird im 
Vakuum getrocknet, dann in absolutem Alkohol gelöst und mit 
Knochenkohle in der Siedehitze entfärbtt. Aus dem einge- 
dampften Filtrat scheidet sich nach Aceton-Zusatz das inaktive 
Lecithin in der halbkristallinischen und halb salbenähnlichen 
Form ab, die dem natürlichen Lecithin eigen ist. 


P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 47 


Gleich diesem löst es sich in Alkohol, Äther, Petroläther 
und Chloroform, schwer dagegen in Aceton; mit Wasser bildet 
es eine opake Lösung und ist aus alkoholischer Lösung durch 
alkoholische Platinchlorid- oder Chlorkadmiumlösung fällbar. 
Auch die Farbe gleicht völlig der von aktivem Lecithin; frisch 
dargestellt ist die Verbindung schwach hellgelb, um nach 
kurzer Zeit nachzudunkeln; im zugeschmolzenen Rohr bewahrt 
sie ihre lichte Farbe länger. 

Im Gegensatz zu dem Ausgangsmaterial, das rechtsdrehend 
ist!), zeigt die neue Verbindung in 3prozentiger Lösung kein 
Drehungsvermögen. 

Zur Identifizierung wurde eine Bestimmung des Phosphor- 
und N-Gehaltes vorgenommen, welche das Vorliegen von Lecithin 
dartut: Gefunden: N = 1,98 %%; P = 4,06 o. Berechnet ?): 
N = 1,75; P = 3,98 °%. 

Zur Darstellung größerer Mengen von inaktivem Lecithin 
kann die Operation statt im Schießrohr ebensogut im Autoklaven 
ausgeführt werden; bis 10 g Lecithin können auf einmal in 
Arbeit genommen werden. Wichtig ist es, das Lecithin zuvor 
in dünner Schicht im Vakuum über Phosphorpentoxyd zu 
trocknen; je trockner nämlich das angewandte Lecithin, und 
je absoluter der Alkohol ist, desto besser gelingt die Racemi- 
sierung; d. h. bei Gegenwart von Wasser tritt partielle Ver- 
seifung ein, und die sauren Spaltungsprodukte beschleunigen 
den weiteren Zerfall. Bei Arbeiten mit größeren Mengen läßt 
sich eine geringe Zersetzung nicht vermeiden. 

Die Inaktivierung des Lecithins kann auf doppelte Weise zu- 
stande kommen. Nach Ulpiani’) beruht das optische Drehungs- 
vermögen des Lecithins auf der unsymmetrischen Anordnung 
der Säureradikale am Glyzerinrest (I). 


I. CH—0O » Fettsäure 
i 
H— CO . Fettsäure 
| 
CH—0O »- PO; H—Cholin, 


') Das benützte Lecithin hat ein Drehungsvermögen [z] = + 9,84° 
(a = + 0° 30, 1=2, c = 2,54); es waren 0,58 g in 20,0 ccm Alkohol von 
99,8 °% gelöst. 

”, Im Durchschnitt für Dipalmito, = Distearo, = Dioleolecithin. 

» C. Ulpiani, Gazz. chim. Ital. 81, II, 47, (1901). 


48 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


Die Inaktivierung kann sich nun in der Weise vollziehen, 
daß bei dem Erhitzen unter Druck eine partielle Umlagerung 
dieses d-Lecithins in seinen optischen Antipoden (II), das l-Leci- 
thin, stattfindet, eine Reaktion, die solange fortschreiten muß, 
bis die Hälfte des d-Lecithins umgewandelt ist, d. h. bis r-Leci- 
thin, das Gemisch von I + II, sich gebildet hat. 


II. CH —0O » Fettsäure 
| 
Fettsäure O—CH 


CH:—O e POs H—Cholin. 

Die Inaktivierung kann aber auch auf andere Weise zu- 
stande kommen, nämlich durch einen Platzwechsel der Säure- 
radikale an den Glyzerinhydroxylen, z. B. durch Bildung der 
Form (IID. 

III. CHa—O » Fettsäure 

CH « — PO; H—Cholin 
CH, —0O » Fettsäure 

Da bei dieser Verbindung keine Asymmeterie des mittleren 
Kohlenstoffatoms mehr besteht, muß sie optisch inaktiv sein. 

Die Entscheidung zwischen den beiden für das inaktive 
Lecithin in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten ließ sich treffen, 
wenn es gelang, die nicht drehende Verbindung in wieder optisch 
aktive Formen zu verwandeln; denn nur die Racemform (I + ID, 
nicht aber III ist in optisch aktive Komponenten spaltbar. 

Da einfache Methoden rein chemischer Natur zur Zerle- 
gung eines komplizierten und empfindlichen Esters von der 
Art des Lecithins nicht bekannt sind, habe ich ein biologisches 
Verfahren angewandt. 

Wie ich in dem ersten Teil dieser Arbeit beschrieben habe, 
wird Lecithin durch das fettspaltende Ferment, die gewöhnliche 
Lipase, zerlegt. Nach allem, was wir über die Wirkungsweise 
der Enzyme wissen, war es wahrscheinlich, daß auch inaktives 
Lecithin hydrolysiert werden würde. Dabei mußte Form III 
wegen des symmetrischen Baues inaktive Spaltungsprodukte, 
I+ II hingegen wegen des bekannten halbseitigen Angriffs des 
Fermentes aktive Produkte ergeben. Tatsächlich hat sich nun 
gezeigt, daß die Wirkung der Lipase auf das nicht drehende 
Lecithin eine asymmetrische ist; und damit ist der Beweis 





P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 49 


erbracht, daß in dem künstlich inaktivierten Lecithin keine 
Mesoform, sondern der wahre Racemkörper vorliegt. 

Im folgenden soll über die Spaltung des r-Lecithins und 
über die optisch aktiven Spaltungsprodukte, die ich nachgewiesen 
habe, nämlich l-Lecithin, den optischen Antipoden des natür- 
lichen Lecithins, und d-Glyzerinphosphorsäure berichtet werden. 


b) 1-Lecithin. 

15,0 g inaktives Lecithin werden in 3 Liter Wasser von 
40° unter Schütteln auf der Maschine gelöst, resp. in eine 
gleichmäßige Emulsion verwandelt. Die trübe Flüssigkeit wird 
mit 100 ccm Grüblerscher Steapsinlösung versetzt und im 
Brutschrank bei 38° aufbewahrt. Ohne daß eine Klärung er- 
folgt, gibt sich der Eintritt der Reaktion nach einigen Tagen 
durch Abscheidung von Fettsäure-Kristallen. und -Tröpfchen zu 
erkennen. Nach 14 Tagen wird der Versuch unterbrochen, das 
Gefäß mit der Lecithinlösung auf O° abgekühlt und filtriert. 
Der Niederschlag besteht aus Fettsäuren, schließt aber auch 
Substanzen mit organisch gebundener Phosphorsäure ein; das 
trübe Filtrat (a) wird mehrfach mit Chloroform ausgeschüttelt, 
die vereinigten Chloroformauszüge schnell mit eiskaltem Baryt- 
wasser durchgeschüttelt, und die Chloroformlösung wird sofort 
von der wässerigen Schicht (b) abgetrennt, durch ein trock- 
nes Filter filtriert und im Vakuum konzentriert. Es hinter- 
bleibt eine braune, wachsartige Masse, die in absolut alkoholi- 
scher Lösung mit etwas Knochenkohle entfärbt, eingeengt und 
schließlich mit Aceton gefällt wird. Von dieser Substanz, die 
im Aussehen vom gewöhnlichen Lecithin nicht zu unterscheiden 
ist, wurden 1,9 g erhalten. Das Verhalten zu Platinchlorid 
und Chlorkadmium sowie zu den Lösungsmitteln gleicht völlig 
dem vom natürlichen Lecithin; der einzige Unterschied besteht 
in der Richtung des Drehungsvermögens. Die Verbindung ist 
lävogyr: 0,4802 g Substanz gelöst in 15 ccm Alkohol von 
95 °/,, zeigten im 2-Dezimetcrrohr eine Drehung von — 0°33’; 
daraus berechnet sich [a]p = — 8,59. 

Zur analytischen Kontrolle wurde eine Phosphorbestimmung 
ausgeführt, die einen Gehalt von 3,73 P. ergab. 

Demnach liegt in der lävogyren Verbindung unzweifelhaft 


im wesentlichen l-Lecithin vor. Die niedrigere Drehung, die 
Biochemische Zeitschrift Band L 4 


50 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


das Präparat im Vergleich mit dem Ausgangsmaterial aufweist 
(+ 9,84%), deutet auf einen Gehalt an Racemkörper. Aber 
der Reinheitsgrad ist schwer zu beurteilen; denn das natürliche 
d-Lecithin ist allem Anschein nach keine einheitliche Substanz, 
sondern ein Gemisch verschiedener Oleo-, Palmito- und Stearo- 
Lecithine. Dieselben besitzen, wie man durch Fraktionierung 
festgestellt hat, verschiedene Löslichkeit, und es ist denkbar, 
daß sich das relative Verhältnis dieser Lecithine bei den ver- 
schiedenen Operationen (Racemisierung, Spaltung) und den 
jedesmaligen Isolierungen geändert hat. Natürlich kommt auch 
den verschiedenen Lecithinen ein ungleiches Drehungsver- 
mögen zu. 

Diese Verhältnisse sind z. T. auch die Ursache für die ge- 
ringe Ausbeute an l-Lecithin, die nur 12,7°/, beträgt. Letztere 
kommt aber z. T. auch durch andere Faktoren zustande, nament- 
lich durch die Unmöglichkeit, Lecithin im Gemisch mit seinen 
Spaltungsprodukten einigermaßen quantitativ zu isolieren. So 
schließt, wie erwähnt, der Fettsäureniederschlag reichlich Lecithin 
ein, und auch in dem oben bezeichneten Filtrat (a) bleibt nach 
der Ausschüttelung mit Chloroform eine erhebliche Menge von 
Lecithin zurück. i 

Aber aus dieser Portion läßt sich eine andere optisch aktive 
Verbindung isolieren, deren Entstehung die Theorie voraussieht, 
sobald die enzymatische Spaltung des Lecithins nicht bis zu 
den letzten Bruchstücken führt, sondern gleich der gemäßigten 
künstlichen Hydrolyse bei der Bildung intermediärer Produkte 
Halt macht. Ein solches intermediäres Produkt ist nun die 
Glyzerinphosphorsäure 


welche noch die von Ulpiani’) entdeckte assymetrische Struktur 
des Lecithins bewahrt und nach R. Willstätter und K. Lüdecke’) 
tatsächlich optisch aktiv ist, sobald die Hydrolyse durch Alkali 
mit der nötigen Vorsicht vorgenommen wird. 








') Ulpiani, Gazz. chim. Ital. 81, II, 1901. 
^» Willstätter und Lüdecke, Ber. d. dtsch. chem. Ges. 87, 3753, 1904. 


P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 51 


Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die fermentative Spaltung 
ein noch schonenderer Eingriff ist als die Alkalihydrolyse. In 
der Tat konnte ich die d-Glyzerinphosphorsäure in Form ihres 
Ba-Salzes isolieren. Zur Darstellung desselben wurde die mit 
Chloroform ausgeschüttelte Flüssigkeit (b) bei einer 40° nicht 
überschreitenden Temperatur auf etwa 100 ccm eingemengt und 
mit Barytwasser bis zur deutlich alkalischen Reaktion versetzt. 
Dabei fielen in dicken Klumpen Barytseifen aus, und die nun- 
mehr filtrierte Lösung wurde sodann mit CO, behandelt. Durch 
diese zweimalige Erzeugung eines Niederschlages war die zuvor 
dunkelgelbe Flüssigkeit wasserklar geworden und zugleich von 
ätherlöslichen Phosphorverbindungen befreit, die sich reichlich 
im Niederschlag der Barytseifen fanden. 


Die klare Lösung wurde dann in ca. 1 Liter absoluten 
Alkohol eingetropft, wodurch ein schleimiger, schwer filtrierbarer, 
weißer Niederschlag entstand; derselbe wurde abgesaugt und 
dann mit Wasser aufgenommen, worin er aber nur z. T. löslich 
war, filtriert und von neuem mit absolutem Alkohol gefällt. 
Nach dreimaliger Wiederholung dieser Prozedur, wobei das 
Material stark zusammenschmolz, resultierte schließlich das Salz 
in festen, weißen Flocken. Dasselbe wurde über Phosphorpent- 
oxyd im Vakuum getrocknet; ein Teil diente zur Bestimmung 
des Drehungsvermögens. Es ergab sich 

[e], = — 1,04° 
(a = — 42°; 1 = 2, c = 33,7) 
Willstätter und Lüdecke geben (a. a. O.) als Wert für die 
spezifische Drehung von d-glyzerinphosphorsaurem Baryum Zahlen 
zwischen — 0,68° und — 1,712° an. 

Demnach ist im vorliegenden Falle die Verbindung teil- 
weise racemisiert, was bei dem Eindampfen der großen Flüssig- 
keitsmengen nicht überraschen kann. Zur Kontrolle wurde noch 
eine Baryumbestimmung in dem Baryumsalz ausgeführt. Ge- 
funden wurden 44,28°/, Ba, während die Theorie für das optisch 
aktive Salz CsH0OsPBa + !/2H:0 43,35%, Ba (nach Will- 
stätter und Lüdecke 43,42°/, Ba) verlangt. Ob der etwas zu 
hohe Wert für Baryum mit der partiellen Racemisierung zu- 
sammenhängt, oder durch eine Beimengung zu erklären ist, 


entzieht sich der Entscheidung. An dem Vorliegen des Glyzero- 
4* 


52 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 


phosphates ist trotzdem nicht zu zweifeln; der Wert für Phosphor 
stimmt übrigens ziemlich genau. Berechnet: P = 9,81%. Ge- 
funden: P = 9,449. 

Auf Grund der beobachteten Spaltungsprodukte muß man 
annehmen, daß der Zerfall des racemischen Lecithins durch 
Lipase in der Weise verläuft, daß die 1l-Komponente vom 
Enzym nicht angegriffen wird, die natürliche d-Form dagegen 
in Fettsäuren und d-Glyzerinphosphorsäure zerfällt. 

Es bedarf zum Schluß kaum eines besonderen Hinweises, 
daß die Beobachtung über die asymmetrische Spaltung des 
Lecithins auch praktische Bedeutung besitzt. Lecithin und 
seine Derivate werden vielfach medikamentös benutzt. Da nun 
stets natürliche Produkte von sehr wechselnder Reinheit in Ver- 
wendung kommen, die namentlich in der optischen Aktivität 
stark differieren, d. h. mehr oder minder stark racemisiert sind, 
so kann es nicht wunder nehmen, daß die Resultate der 
Lecithintherapie sehr ungleiche sind. Denn wie durch die vor- 
liegende Untersuchung gezeigt ist, sind d- und l-Lecithin Sub- 
stanzen, auf welche die Enzyme des Organismus völlig ungleich 
reagieren. 


m A no 


Über die Beziehungen der Verdauungswirkung und der 
Labwirkung. 


Von 
Dr. Martin Jacoby, Privatdozent in Heidelberg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 5. Mai 1906.) 


Bei seinen so fruchtbaren Studien über die Physiologie der 
Verdauung hat Pawlow, seinen allgemeinen Gesichtspunkten 
entsprechend, sich die Frage vorgelegt, welche Rolle innerhalb 
des Gesamtmechanismus der Nahrungsverarbeitung die labende 
Funktion des Magensaftes spielt. Zwei physiologische Momente 
waren es besonders, die ihn zu einer Revision der herrschenden 
Ansicht aufforderten. Zunächst würde das Vorkommen von 
Labfermenten an vielen Stellen des Organismus, an die zu 
labendes Kasein nie gelangt, ohne physiologisches Interesse sein, 
wenn das Labferment ein speziell für die Umwandlung des 
Kaseins eingerichtetes Enzym wäre. Sodann ermittelte Pawlow, 
daß auf Milchfütterung keineswegs eine besonders intensive 
Labsekretion in den Magensaft erfolgt, während doch im all- 
gemeinen die Sekretionen nach Pawlows Ansicht ausgezeichnet 
auf die Qualität der Nahrung abgestimmt sind. 

Vor einiger Zeit hat nun Pawlow in Gemeinschaft mit 
Parastschuk'!) ausführliches, experimentelles Material veröffent- 
licht, aus dem die Autoren eine vollkommene Identität des 
Lab- und Pepsinmoleküls folgern; nur die Wirkung des Mole- 
küls auf das Kasein sei eine andere wie die peptische Wirkung, 


') Ztschr. f. physiolog. Chemie 42, 1904. 


54 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


welche das Enzym im allgemeinen auf Eiweißkörper ausübt. 
Das Gleiche gilt nach Pawlow und Parastschuk für die Lab- 
wirkung des Pförtnersaftes, des Brunnerschen Drüsensekrets 
und des Trypsins. Unter bestimmten Versuchsbedingungen ge- 
lang es nachzuweisen, daß zwei Portionen von verschiedenen 
natürlichen Magensäften, die genau dieselbe peptische Wirkung 
hatten, wie durch Verdauung Mettescher Eiweißstäbchen ge- 
prüft wurde, auch Milch genau in derselben Zeit labten. Wurde 
der Magensaft schnell erwärmt oder längere Zeit bei Brut- 
schranktemperatur gehalten, so nahmen beide Wirkungen durch- 
aus parallel ab. Nun hatte aber namentlich Hammarsten 
aus der Magenwand Präparate dargestellt, welche nur eine Fer- 
mentwirkung besaßen. Aber Pawlow und Parastschuk zeigten, 
daß derartige Präparate unter geeigneten Bedingungen sowohl 
Lab- wie Pepsinwirkung besitzen. Man braucht nämlich Lab- 
präparate, die zunächst anscheinend nicht peptisch wirken, nur 
genügend zu verdünnen und sie eventuell noch durch Dialyse 
zu reinigen, um eine Lösung zu erhalten, die dann so peptisch 
wirkt, wie es der Verdünnung entspricht. Pawlow und Parast- 
schuk erklären das durch die auch experimentell begründete 
Annahme von Hemmungsstoffen'), welche die Pepsinreaktion 
bei großer Konzentration stören, aber nicht die Labreaktion. 
Diese Annahme widerspricht nicht der Vorstellung eines ein- 
heitlichen Fermentmoleküls, da ja auch Pawlow und Parast- 
schuk die Reaktion der Labung, auch wenn sie unter dem 
Einfluß desselben Moleküls zustande kommt, von der peptischen 
Wirkung trennen. 

Leider handelt es sich auch wieder bei der Lab-Pepsinfrage 
um sehr komplizierte Verhältnisse. Darauf weist z. B. folgende 
Beobachtung hin, welche die russischen Autoren bei der kri- 
tischen Nachprüfung der Hammarstenschen Fermenttrennungs- 
methoden erhoben. Wie schon lange bekannt ist, schädigen 
Alkalien viele Fermente. Läßt man nun auf Magensaft Magnesium- 
karbonat einwirken und neutralisiert nach einiger Zeit mit Salz- 
säure, so ist die peptische Wirkung im Vergleich zur Lab- 
wirkung nur gering, wenn man sofort die für die Verdauung 
notwendige Säure zusetzt. Wartet man mit dem Säurezusatz, 


) s. z.B. Blum u. Fuld, Ztschr. f. klin. Mediz. 56, Heft 5 u. 6. 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 55 


so nimmt allmählich die peptische Kraft wieder zu. In dem 
neutralen Stadium gehen also anscheinend an dem Fermente 
wichtige Verwandlungen vor sich, deren genaues Studium mit 
Recht von Pawlow und Parastschuk noch zum Gegenstand 
besonderer Untersuchungen gemacht werden soll. 

Es gibt nun in der Literatur mehrere Angaben, die zwar 
nicht Beweise für Pawlows Ansicht darstellen, aber immerhin 
eine gewisse Stütze für seine Behauptungen bieten. So gelang 
es Nencki und Pekelharing nicht, hochwirksame Pepsin- 
präparate darzustellen, die nicht auch Labwirkungen hatten. 
Vernon!) erhielt aus Pankreasextrakten durch Alkoholfällung 
je nach dem Vorgehen verschieden wirksame Trypsinpräparate, 
an denen immer ein vollkommener Parallelismus zwischen 
tryptischer und Labwirkung zu erkennen war. Sawjalow?) ge- 
langt zu der Ansicht, daß die Wirkungsgesetze von Lab und 
Pepsin nicht verschieden sind. Schließlich haben neuerdings 
Reichel und Spiro) ebenfalls in bezug auf die Gesetzmäßig- 
keit entsprechende aufklärende Betrachtungen angestellt. 

Pawlows Lehre hat aber auch entschiedenen Widerspruch 
erfahren. So lehnt Bang‘) Pawlows Anschauungen und Be- 
weisführungen vollkommen ab. „Die dualistische Auffassung 
darf man bis auf weiteres aufrechterhalten.“ Bang betont, daß 
die Labfermente der verschiedenen Spezies nicht identisch sind. 
Das ist in der Tat durch Untersuchungen Bangs u. a. sicher- 
gestellt. Bang meint, man solle vorläufig Pawlows Befunde 
beim Hundelab und Hundepepsin auf die Verhältnisse bei 
anderen Tierklassen nicht übertragen. Das ist aber für die 
prinzipielle Seite der Frage auch durchaus überflüssig, da es 
zunächst genügt, das fundamentale Problem bei einer Tierart 
zu entscheiden. Bangs Einwände gegen Pawlows Versuche 
sind nicht zwingend. Es wird von ihm bemängelt, daß Paw- 
low und Parastschuk die Labprüfungen bei saurer Reaktion 
vornahmen. Ihre Resultate könnten durch Kombination von 
Kaseinkoagulation durch Lab und einfacher Säurefällung des 
Kaseins zustande gekommen sein. Aber auch Bang nimmt an, 


) Journ. of Physiol. 29, 1903. 

?) Ztschr. f. physiolog. Chemie 46, Heft 4, 1905. 
®, Hofmeisters Beitr. 8, 1906. 

* Ztschr. f. physiolog. Chemie 48, 1904. 


56 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


daß das Pepsin, das vom Lab verschieden ist, eine bei saurer 
Reaktion zur Geltung kommende Milch koagulierende Wirkung 
hat. Sawjalow betont, indem er auf die Versuche von Cou- 
rant hinweist, daß Kasein in neutralen Lösungen nicht gerinnt. 
Die Milch gerinnt nur unter dem Einfluß des Labfermentes 
ohne Säurezusatz, weil sie freie Wasserstoff-Ionen enthält. 
Bang und Schrumpf') haben Präparate dargestellt, welche 
nur Lab- oder Pepsinwirkung hatten. Nach den Erfahrungen 
Pawlows und Parastschuks mit Präparaten, die nach Ham- 
marstens Vorschriften dargestellt waren, sind diese Beob- 
achtungen für die Diskussion der Streitfrage erst verwertbar, 
wenn die Verdeckung der jeweils fehlenden Fermentwirkung 
durch Hemmungsstoffe mit Sicherheit ausgeschlossen ist. 
Petry?) hat neuerdings die spaltende Wirkung des Labs 
auf Kasein genauer untersucht und gelangt zu der Anschauung, 
daß es sich um eine, der peptischen nicht ganz unähnliche Art 
von Verdauungsspaltung handelt. Nach seiner Ansicht ist aber 
diese Verdauungswirkung ebenso scharf von der koagulierenden 
Labwirkung wie von der eigentlichen Pepsinwirkung zu trennen. 
Doch ist zu bemerken, daß die Koagulation zumeist nur als 
sekundäre Reaktion betrachtet wird. Auch kann keine strenge 
Scheidung daraus abgeleitet werden, daß die Spaltung des 
Kaseins bei schwach saurer Reaktion anders verläuft als bei 
stärkerer Säuerung. Petry gibt an, daß sein Ferment auch bei 
neutraler Reaktion das Kasein verändert. Es ist aber noch 
abzuwarten, ob damit nicht nur die Wirkung bei der amphoteren 
Reaktion der Milch gemeint ist, die ja auch eine Reaktion in 
Gegenwart von H-Ionen darstellt. Die interessanten Befunde 
Petrys, deren genauere Mitteilung gewiß noch wichtige Einzel- 
heiten lehren wird, scheinen mir bisher nicht imstande, Paw- 
lows Behauptungen einzuschränken oder gar zu widerlegen. 
Petry selbst nimmt übrigens zu Pawlow gar nicht Stellung. 
Eine endgültige Entscheidung, ob es verschiedene Lab- und 
Pepsinmoleküle gibt, würde möglich sein, wenn eine chemische 
Isolierung der Fermente gelingen würde. Daran ist aber leider 
zurzeit noch nicht zu denken. Die Tatsache, daß man seit 


') Hofmeisters Beitr. 6, 1905. 
» Wien. klin. Wochenschr. 1906. 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 57 


Hammarstens grundlegenden Versuchen häufig Fermentpräpa- 
rate dargestellt hat, die nur eine der beiden Wirkungen zeigen, 
ist nur mit größter Vorsicht für die dualistische Auffassung 
verwertbar. Man kann eben nur sehr schwer die Gegenwart 
von Beimengungen ausschließen, welche nur die eine und nicht 
die andere Reaktion stören. Das Kasein, das an und für sich 
von den anderen Eiweißkörpern sich unterscheidet, tritt dem 
Ferment als Bestandteil der Milch in einem ganz anderen 
Milieu gegenüber wie andere Eiweißkörper bei Versuchen mit 
Fibrin, Metteschen Röhren, Gelatine usw. 

Ganz aus der Erörterung muß meines Erachtens vorläufig 
die bestehende oder fehlende Übereinstimmung zwischen den 
Wirkungsgesetzen der Fermente ausscheiden. Es mag dahin 
gestellt bleiben, inwieweit insbesondere die Meßmethoden für die 
Wirkung des Pepsins den strengen Anforderungen hinreichend 
genügen, die man doch notwendig erheben muß, sobald eine 
mathematische Formulierung angestrebt wird. Nach den Unter- 
suchungen von Pawlow werden die Versuchsbedingungen die 
Resultate viel mehr beeinflussen, als für derartige Zwecke zu- 
lässig ist. Eine Entscheidung können wir auf diesem Wege 
überhaupt nicht erreichen. Eine übereinstimmende Gesetz- 
mäßigkeit braucht ja nicht vorhanden zu sein, wenn ein- und 
dasselbe Ferment an zwei verschiedenen Reaktionen beteiligt ist. 
Ferner mahnen die Ausführungen von Reichel und Spiro zur 
Vorsicht. Die Autoren machen darauf aufmerksam, daß die in 
Parallele gesetzten Lab- und Pepsingesetze gar nicht miteinander 
vergleichbar sind und daß vergleichbare Gesetzmäßigkeiten bei 
beiden auch übereinstimmen. Übereinstimmung der Gesetz- 
mäßigkeiten hat auch Sawjalow beobachtet. Aber Sawjalow 
weist mit Recht darauf hin, daß derartige Gesetze sehr leicht 
durch gegenseitiges Sichaufheben zweier entgegengesetzt wirken- 
der Faktoren scheinbar sich ergeben können. Endlich darf man 
nicht vergessen, daß die Gesetzmäßigkeit in beiden Fällen von 
einem sekundären Faktor gleichmäßig bedingt sein kann. 

Nach alledem wird man die Frage noch als unentschieden 
ansehen müssen. Mir scheint sogar," daß es vorläufig wichtiger 
ist, möglichst viel experimentelles Material herbeizuschaffen, das 
unsere Kenntnis der Fermente und ihrer Beziehungen vertieft, 
als zu der Streitfrage präzis Stellung zu nehmen. Wie sich 


58 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


aber das von Pawlow zur Erörterung gestellte Problem klären 
wird, ein bedeutsamer Gewinn für die Biologie scheint mir 
schon darin gegeben zu sein, daß es überhaupt diskutierbar 
geworden ist, daß zwei anscheinend so verschieden geartete 
Wirkungen, die sich in ganz verschiedenem Milieu entfalten, 
die ferner bis zu einem gewissen Grade isolierbar scheinen, 
doch vielleicht an die Gegenwart einer Substanz gebunden sind. 
Wie auch in diesem Einzelfall des Lab-Pepsins die Dinge sich 
entwickeln mögen, wir können uns nicht verhehlen, daß alle 
Vorstellungen über Spezifität revidiert werden müssen. Mehr 
als bisher wird man in Zukunft daran denken müssen, daß 
zwei scheinbar spezifische Fermente, Toxine, Antitoxine usw. 
identisch sein können. Es kann die Wirkung eines einheit- 
lichen Moleküls vorliegen und die Spezifität nur dadurch be- 
dingt sein, daß dasselbe Molekül in dem Einzelfall in einem 
anders gearteten chemischen Milieu seine Wirkung entfaltet. 
Dieses Milieu der Fermente, das außer von Bertrand bisher 
nur sehr wenig planmäßig studiert worden ist, muß bei Studien 
über Spezifität in Zukunft besonders berücksichtigt werden. 


A. Zur Kenntnis des Pepsinnachweises. 


Zunächst schien es wünschenswert, eine Methode zu besitzen, 
um schnell und sicher Pepsinwirkungen zu bestimmen. Es ist 
nicht nötig, hier eine Kritik der gebräuchlichen Verfahren zu 
geben. Die so vielfach angewandten Metteschen Röhrchen kom- 
men für exakte Versuche nur in Betracht, wenn bei nicht zu 
kleiner Konzentration des Fermentes verschiedene Fermentmengen 
in ihrer Wirksamkeit verglichen werden sollen. Will man aber 
die störenden Einflüsse von Hemmungsstoffen ausschließen, so 
muß man eine Methode anwenden, bei der man den Grad der 
Verdünnung ermittelt, bis zu dem herab eine Fermentation noch 
mit Sicherheit nachweisbar ist. Von den bisher beschriebenen 
Verfahren dürften am ehesten die von Fermi sich für derartige 
Zwecke bewähren. Fermi hat erst vor kurzem seine neueren 
Beobachtungen ausführlich dargestellt!). 

Mir wurde in dieser Beziehung eine Beobachtung wertvoll, 
die ich vor fast 6 Jahren bei dem Studium des Ricins gemacht 








') Arch. f. Hygiene 55, 1906. 


= M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 59 


habe. Versetzt man eine Lösung von Ricin (von Merck-Darm- 
stadt) in ca. 1°/siger Kochsalzlösung, welche infolge der nur 
mangelhaft löslichen, dem eigentlichen Toxin beigemengten Ei- 
weißsubstanzen trübe und undurchsichtig ist, mit größeren 
Mengen Salzsäure, so klärt sich die Flüssigkeit. Bei geringen 
Konzentrationen Salzsäure, wie sie bei der Pepsinverdauung in 
Frage kommen, bleiben die Ricinlösungen dauernd durchaus 
trübe. Fügt man außerdem geringe Mengen Pepsins hinzu — 
ich benutzte das sehr wirksame, eigens für wissenschaftliche 
Zwecke hergestellte Pepsinum purissimum, daß mir von der 
Firma Witte-Rostock in dankenswerter Weise zur Verfügung 
gestellt war —, so findet bei geeigneten Dosen fast momentan 
und schon bei Zimmertemperatur eine vollkommene Aufhellung 
der Proben statt, die dann wasserklar werden. 


Für die meisten Versuche diente mir eine Lösung von 
1 g Ricin (Merck) und 1,5 g Kochsalz in 100 ccm Wasser, 
die hinreichend trübe ist. Stets wird einer Kontrollprobe nur 
Salzsäure zugefügt, um die Pepsinproben mit ihr vergleichen zu 
können. Entweder wurde, wenn das bei der betreffenden Ver- 
suchsanordnung angängig war, das Pepsin in der entsprechenden 
Salzsäure gelöst, oder es wurde, wenn es sich um eine Lösung 
von Pepsin in Wasser handelte, der Kontrollprobe die gleiche 
Wasrermenge oder gekochte Pepsinlösung, die unwirksam ist, zu- 
gefügt und die einzelnen Portionen erst zum Schluß mit der 
gleichen Säuremenge versetzt. Man fügt immer die Salzsäure 
dem Gemisch, und nicht die Ricinflüssigkeit der sauren Lösung 
zu, da sonst die einzelnen Ricinteile mit zu starken Säure- 
konzentrationen in Berührung kommen und durch die Säure 
etwas Aufhellung verschuldet werden kann. Da die Reaktion 
empfindlich ist, kann man das Pepsin in starker Verdünnung 
benutzen (1 ccm = 1 mg und weniger). Größere Konzentrationen 
sind schwer zu beurteilen, da starke Pepsinlösungen — wenig- 
stens Lösungen des von mir benutzten Witte-Präparates — 
selbst trübe sind und diese Trübung anscheinend auch nicht 
durch die Verdauung aufgehellt wird. 


Die Reaktion ist sehr fein, selbst Yıoo mg ist durch all- 
mähliche Aufhellung sicher nachweisbar. 


60 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


Ein Versuchsprotokoll möge das erläutern: 











Ricin 
1%, in 14, higer 
Kochsalz]. 









schrank trübe 

Kocht man die Pepsinlösungen vor dem Mischen mit dem 
Ricin auf, so tritt die Aufhellung nicht ein, ebenso nicht ohne 
Säurezusatz. In diesem Falle werden die Eiweißkörper der 
Ricinlösung ausgeflockt. Ob die Ausflockung eine vollständige 
ist, wurde nicht untersucht. 

Es ist möglich, daß diese Methode mannigfach anwendbar ist, 
z. B. für die Untersuchung von Magensaft, für gewisse quantitative 
Zwecke, aber wohl auch zum Studium der Verbreitung peptischer 
Fermente. Ich bin noch damit beschäftigt, zu prüfen, ob das 
kostbare Ricin nicht durch andere trübe Eiweißlösungen ersetzt 
werden kann. Für die Zwecke dieser Arbeit habe ich das Ver- 
fahren jedenfalls mit Vorteil benutzen können. 


3 ccm 1 ccm sofort 

3 ccm 1 ccm ca. 15 Minuten 

3 ccm 1 ccm ca. 30 Minuten 

3 ccm 1 ccm 4-6 Stunden | bei Brut- 

äeäm ica 36—48 Stunden schrank- 
| unvollständig | temperatur 

aoet icin | en bleibt auch im Brut- 


B. Über den Nachweis der Pepsinwirkung in hoch- 
wirksamen Labpräparaten. 


Das Wittesche Lab pulv. purissim. solubile gibt, wenn 
man ihm wie einem Pepsinpräparat Säure zusetzt, die Auf- 
hellungsreaktion genau ebenso. Es ließ sich noch mit 1/29 mg 
die Pepsinwirkung deutlich nachweisen. Es ist nicht zu be- 
zweifeln, daß man durch Reinigung die peptische Wirkung 
des Präparates noch deutlich erhöhen kann. Gekochtes Lab 
ist unwirksam, Lab ohne Säurezusatz flockt wie Pepsin ohne 
Säure das Ricin nur aus. 

Das Witte-Lab ist auch sehr wirksam, wenn man es nach 
dem Ausfall der Lab-Reaktion beurteilt. 0,01 mg labten noch 
5 ccm Milch prompt und vollständig. Für die Zwecke dieser 
Arbeit schien es mir am einfachsten und zugleich am exaktesten, 


r TP _ 


-PT remm a e 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 61 


die Wirksamkeit des Labs zu prüfen, indem der Grad der 
möglichen Verdünnung ermittelt wurde. Meistens wurden nach 
Morgenroth die gelabten Milchportionen erst längere Zeit in 
der Kälte gehalten und kamen erst dann in den Brutschrank. 
In bezug auf die Vorbereitung der Milch und andere Einzel- 
heiten wurden die sehr zweckmäßigen Angaben von Korschun!) 
verwertet. 


C. Über die Aufhebung der labenden und peptischen 
Wirkung der Labpräparate durch Erhitzen, 

Pawlow und Parastschuk haben untersucht, bei welcher 
Temperatur die Fermentwirkungen des sauren Magensaftes auf- 
gehoben werden. Sie fanden vollkommene Übereinstimmung 
für Lab und Pepsin. Da ich früher diese Versuche übersehen 
hatte und erst bei der Niederschrift dieser Arbeit auf sie auf- 
merksam werde, habe ich selbst Versuche hierüber angestellt. 
Ich teile meine Beobachtungen mit, weil sie unter anderen Be- 
dingungen gemacht wurden. Die Resultate bestätigen übrigens 
durchaus die Angaben der Autoren. 

Es wurden gegen Lackmus neutrale Lösungen von Witte- 
Lab auf verschiedene Temperaturen im Wasserbade erhitzt und 
dabei ausnahmslos festgestellt, daß beide Fermentwirkungen 
vollkommen parallel beeinflußt wurden. Um einigermaßen zu 
verhindern, daß von Glas abgegebenes Alkali auf die Fermente 
einwirkt, wurde die Erhitzung in einem Kolben aus Jenenser 
Glas vorgenommen. 

Versuche: Frische Lablösung (1 ccm = 1 mg) wird 

10 Minuten bei einer Temperatur von 42—44° gehalten. 

Sowohl die Wirkungen auf Milch wie auf Ricin sind etwas 

abgeschwächt, indem sie verzögert eintreten. 

Eine entsprechende Lablösung wird 10 Minuten auf 50 
bis 51° erhitzt, beide Wirkungen ganz verschwunden. 

In anderen Versuchen waren die Wirkungen noch bei 
etwas höherer Temperatur vorhanden. Es ist bekannt, daß die 
Zerstörungstemperatur nach der Konzentration der Lösung und 
wohl auch je nach dem Verhalten anderer Faktoren schwankt. 
Immer aber war ein durchaus paralleles Verhalten beider 
Wirkungen vorhanden. 


') Ztschr. f. physiolog. Chemie 86, 1902. 


62 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


D. Membrandialyse und Diffusion des Labs 
und Pepsins. 


v. Calcar!) hat vor einiger Zeit mitgeteilt, daß es ihm 
durch eine besondere Methode der Membrandialyse gelungen 
sei, verschiedene giftige Stoffwechselprodukte des Diphtherie- 
bazillus, die von Ehrlich aus mehreren Gründen hypothetisch 
erschlossenen, sogenannten Toxine und Toxone, voneinander zu 
trennen und außerdem die indifferenten Eiweißkörper, welche 
die Giftstoffe begleiten, in eine besondere Fraktion zu bringen, 
Sein Verfahren gestaltet sich folgendermaßen; Die Lösung, welche 
in verschiedene Fraktionen zerlegt werden soll, wird zunächst 
von den leicht dialysablen Stoffen befreit, indem die Flüssigkeit 
in einen gewöhnlichen Pergamentdialysator gebracht wird. Dann 
wird mit Benutzung eines besonderen, von v. Calcar konstru- 
ierten Apparates die Dialyse durch eine eigens präparierte, 
tierische Membran vorgenommen. Als solche dient Amnion 
vom Menschen. v. Calcar fand, daß bei wechselnder Spannung 
Anteile der Giftlösung mit verschiedenen Eigenschaften die 
Membran passierten, nämlich entweder Toxine oder Toxone 
oder indifferente Eiweißkörper. Derartige Befunde sprechen da- 
für, daß in den einzelnen Fraktionen verschiedene chemische 
Individuen oder Gruppen von Individuen vorhanden sind. 

Es war also die analytische Möglichkeit gegeben, vielleicht 
durch das Verfahren Lab und Pepsin voneinander zu trennen, 
falls sie verschiedene chemische Substanzen sind. Umgekehrt 
kann man freilich daraus, daß die Wirkungen durchaus parallel 
jenseits der Membran erscheinen, nicht folgern, daß dieselbe 
Atomgruppierung die Grundlage für beide Wirkungen ist. Denn 
auch wenn es sich um verschiedene Gruppen handelt, die nur 
direkt oder durch eine indifferente Brücke mit einander ver- 
kuppelt sind, würde die Trennung durch Dialyse irgend welcher 
Art nicht zu erwarten sein — ganz abgesehen davon, daß 
Übereinstimmung zweier getrennter Moleküle in bestimmten An- 
ordnungen, Größe usw. auch einen vollkommenen Parallelismus 
bei der Dialyse bedingen kann. 

Ich habe das Verfahren zunächst ohne Spannung der 
Membran benutzt, weil auch so nach einiger Zeit die Ferment- 


') Berlin. Klin. Wochenschr. 1905. 


N _ 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 63 


wirkungen jenseits der Membran nachweisbar waren. Es sei 
gleich bemerkt, daß durchaus gleichsinnig diesseits der Membran 
beide Fermentwirkungen abnahmen und jenseits auftraten. Dabei 
konnte gleichzeitig auch ermittelt werden, daß auch durch 
Untersuchung der freien Diffusion der Enzymmoleküle innerhalb 
der Außenflüssigkeit keine Verschiedenheit zwischen einer Lab- 
und einer Pepsinsubstanz nachweisbar wurde, während Arrhenius 
und Madsen!) für die sicher voneinander verschiedenen Toxine 
und Antitoxine Differenzen gefunden hatten. 


Anordnung der Dialyseversuche nach v. Calcar. 


Calcarsche Dialyseversuche sind ohne Kenntnis des Apparates 
und ohne Angabe der Präparationsmethode der Amnionmembranen 
nicht leicht zu verstehen, noch weniger zu beurteilen oder 
nachzuprüfen. Ich schildere daher zunächst den Apparat und 
die Membranen, wie ich sie mir nach v. Calcars Angaben in 
der Berliner klinischen Wochenschr. 1905 S. 1369 habe anfertigen 
lassen resp. präpariert habe. Die Ein- 
richtungen des Apparats, die nur der 
Spannung der Membran dienen, werde 
ich hier weder schildern noch abbilden, 
da wir sie in dieser Arbeit nicht ver- 
werten. 

Ein Glasgefäß von Kugelform (4) 
geht nach oben in einen Zylinder über. 
In diesen Zylinder ist durch einen 
langen Schliff ein anderes Gefäß (I) 
von Zylinderform eingelassen, das oben 
durch einen eingeschliffenen Glas- 
stöpsel verschlossen wird. Nach unten 
ragt der Zylinder (/) offen in die 
Kugel hinein und endet mit einem 
überstehenden, durch eine Verjüngung abgesetzten Rand, der 
die bequeme Befestigung einer Membran gestattet. Das Kugel- 
gefäß faßt mehr als ein Liter Flüssigkeit, es besitzt an den 
aus der Abbildung kenntlichen Punkten die eingeschliffenen 
Hähne B und C. In das Innengefäß kommt die mit Chloroform 


——. 








') Festschr. zur Eröffnung des Serum-Instituts, Kopenhagen 1902. 





64 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


gesättigte Fermentlösung, in das Außengefäß ein Liter mit 
Chloroform gesättigtes Wasser. Durch den Hahn B werden 
die zu untersuchenden Proben entnommen, durch C kann Luft 
in das Außengefäß gelassen werden. 

Die zur Herstellung der Dialysiermembranen notwendigen 
Eihäute verdanke ich dem freundlichen Entgegenkommen des 
Herrn Dr. Liepmann, Assistent der Frauenklinik der Charite. 
Die Amnia habe ich nach v. Calcars Angaben präpariert und 
kann bestätigen, daß man sehr brauchbare Membranen auf 
diesem Wege erhält. Ich gebe hier die Vorschriften v. Calcars 
wörtlich wieder: 


„Bei der Ankunft auf dem Laboratorium werden die 
Häute eine Minute mit einer verdünnten Sublimatlösung (1 : 5000) 
tüchtig abgespült und sodann während 12 Stunden bei Körper- 
temperatur in den Brutofen in einer physiologischen Kochsalz- 
lösung gestellt. Darauf sieht man, daß die bedeckende Epithel- 
schicht geschwollen ist und an einigen Stellen sich schon 
einigermaßen von der Unterschicht abzulösen anfängt. Jetzt 
wird die Haut mit einer verdünnten Pankreatinlösung über- 
gossen, ein paar Stunden in den Brutofen gelegt, um darauf 
wieder während einiger Stunden in eine erwärmte Salzlösung 
überzugehen. Übergießt man jetzt die Häute noch einige 
Augenblicke mit stark abgekühlter Salzlösung, so läßt sich die 
oberflächliche stark geschwollene Epithelschicht leicht entfernen 
und hat man eine an den meisten Stellen so glashelle Haut, 
daß man, wenn man schwarze Buchstaben darunter legt, fast 
nicht sehen kann, welche Buchstaben von der Haut bedeckt 
sind und welche nicht.“ 

Es stellte sich heraus, daß schon nach kurzer Zeit durch 
ungespannte Membranen die Fermente in kleiner Menge durch- 
treten. Das ließ sich in den ersten Tagen immer nur so nach- 
weisen, daß die ganze Außenflüssigkeit abgelassen und durch- 
gemischt wurde. Wurde dagegen nur eine kleine Probe entnommen 
(20—50 ccm), so daß nur die untersten Teile der Außenflüssigkeit 
zur Untersuchung gelangten, so wurde die Lab- wie die Pepsin- 
wirkung vermißt. Wartete man aber längere Zeit (6—7 Tage), 
so wurden die Enzymmoleküle bis nach unten diffundiert und 
es konnten unten beide Fermentwirkungen festgestellt werden. 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 65 


Versuche: 

1. In das Innengefäß werden 36 ccm einer 1 °/sigen Lösung 
von Lab und Pepsin in Wasser getan, die Mischung ist trübe 
und hat einen Bodensatz, dazu etwas Chloroform. — In das 
Außengefäß 1 Liter Chloroformwasser. 

Nach zwei Stunden wird die Innenflüssigkeit entleert, 
43 ccm werden erhalten. Die Außenflüssigkeit wird abgelassen 
und durchgeschüttelt. 

Innenflüssigkeit: 0,001 ccm laben noch prompt und 
klären Ricin auf. 

Außenflüssigkeit: 2 ccm sind für beide Reaktionen negativ. 

2. Innengefäß 20 ccm einer entsprechenden Lösung, 
außen wie oben. 

Nach 23 Stunden werden zunächst unten ca. 25 ccm ab- 
gelassen, dann sofort der Rest, der durchgemischt wird. 

Innenflüssigkeit (24 cem): 

0,001 ccm Grenze der kompletten Labung, 
0,0002 ‚„ keine Labung, 
0,0002 , Grenze der kompletten Ricinaufklärung. 

Außenflüssigkeit: 

unterste Portion: 2 ccm für beide Reaktionen negativ, 
durchgemischte Außenflüssigkeit: 

0,1 ccm Grenze der kompletten Labung, 

0,02 ,  Labung negativ, 

0,1 , komplette Ricinaufhellung, 

0,02 „ ganz geringe Klärung der Ricinlösung. 

3. Innengefäß 40 ccm, außen wie immer. 

Ganz unten, Entnahme nach 24, 48, 60 Stunden: 2 ccm 
beide Reaktionen negativ, nach 140 Stunden 2 ccm komplete 
Labung, 1 ccm geringe Labung, 2 ccm keine Rizinaufklärung. 

Innenflüssigkeit nach 140 Stunden beträgt 45 ccm. 

0,1 ccm beide Reaktionen komplett, 
0,01 ‚ beide Reaktionen negativ. 


4. Innengefäß 40 ccm, außen wie immer. 
Ganz unten nach 7 Tagen: 1 ccm beide Reaktionen komplett, 
0,1 ,, keine Labung, 
0,1 ,, geringste Spur Aufhellung, 
nach 8 Tagen: 0,1,, beide Reaktionen komplett. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 5 


66 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


Es ist danach wohl sicher nachgewiesen, daß weder bei 
der Dialyse durch die Amnionmembran noch bei der eigent- 
lichen Diffusion sich irgendwie Unterschiede in der Geschwindig- 
keit für die beiden Wirkungen ergeben, die die Grenze der 
Versuchsbedingungen überschreiten!. Wenn dieses Resultat 
auch fessteht, so bietet doch dieser Punkt noch manche inter- 
essante Frage. Ich bin daher noch mit Untersuchungen hierüber 
beschäftigt, über die ich vielleicht später berichten werde. 


E. Versuche über die Bindung des Labs und 
Pepsins an Kasein. 

In einer besonderen Versuchsreihe wurde untersucht, ob 
durch Schütteln einer Fermentlösung mit gepulvertem Kasein 
eine der Wirkungen besonders intensiv aus der Flüssigkeit ver- 
schwindet. Besteht ein besonderes Labferment, so ist es denkbar, 
daß es eine ausgesprochenere Affinität zum Kasein hat. Das 
war möglich, obwohl ich, wie ich früher ausgeführt habe, 
durchaus nicht davon überzeugt bin, daß hier Beziehungen 
vorliegen, wie man sie im allgemeinen zwischen Rezeptoren 
und Toxinen vermutet. 

Versuche: 

50 ccm einer 0,2 °/sigen Lösung von Lab und Pepsin 
(Witte) werden im Apparat 5 Stunden mit 2 g Kasein ge- 
schüttelt, filtriert, das klare Filtrat auf 50 aufgefüllt. 

1 ccm würde also, wenn kein Ferment verschwunden, 
= 2 mg Lab +4 2 mg Pepsin darstellen. 

0,1 cem labt und klärt Ricin schnell und komplett auf, 

0,01 „ labt nicht und hat nur spurweise Wirkung auf Ricin. 
60 ccm einer 0,5 °/,„-Lösung werden ebenso behandelt. 

1 ccm =5 mg Lab + 5 mg Pepsin, 

0,01 ccm beide Reaktionen komplett, 

0,001 „ beide Reaktionen negativ. 


') Absolute Übereinstimmung der Grenzwerte ist nicht zu verlangen. 
In den mitgeteilten und in anderen entsprechenden Versuchen schwanken 
die Resultate immer ein wenig so, daß mal noch die Labreaktion, mal 
die Pepsinreaktion ein wenig weiter nachweisbar. — Die Ausgangs- 
lösungen ergaben bei der Prüfung übrigens gute Übereinstimmung in der 
Verdünnungsmöglichkeit für beide Wirkungen, was natürlich nicht un- 
bedingt zu verlangen war, da ja die Empfindlichkeit der Reaktionen 
Schwankungen unterliegt. 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 67 


Es konnte also auch hier kein Unterschied zwischen beiden 
Wirkungen ermittelt werden. 


F. Versuche mit Antikörpern. 


Für die Frage der Spezifität von Lab und Pepsin sind die 
Antifermente noch nicht experimentell verwertet worden. Im 
normalen Serum sind ziemlich bedeutende Antilabwirkungen 
aufgefunden worden, die man immunisatorisch unter Umständen 
erheblich steigern konnte. Auch ein Antipepsin, allerdings ein 
nicht sehr wirksames, hat Sachs!) bei der Gans immunisatorisch 
herstellen können. Eine Notiz von Hahn?) deutet, wenn auch 
unsicher, darauf hin, daß Normalserum antipeptisch wirkt: 
„Wenn man Pepsinlösung und Serum mischt, die Mischung 
24 Stunden bei 37° digeriert und alsdann die nötige Salzsäure- 
menge zufügt, so tritt keine nennenswerte Wirkung mehr ein, 
während die gleichfalls digerierte Kontrollprobe des Pepsins 
ohne Serum fast das ganze Serumeiweiß verdaut.“ Schnappauf, 
In.-Dissert, Rostock 1888 zit. nach Maly 1889 S. 200 hat 
bereits angegeben, daß Blutserum Pepsin zerstört. E. Zunz 
(Bull. de l’Académie Roy. de Medicine de Belgique 1905) fand 
Serum auch nur wenig hemmend für die Pepsinwirkung. 


Auch antitryptische Serumwirkungen sind bekannt; ob- 
auch gegen die Labwirkungen der Pankreasextrakte ein Anti- 
körper im Serum besteht, ist meines Wissens bisher nicht 
bekannt. 

Meine Versuche habe ich zunächst, da die Herstellung von 
Immunserum ziemlich lange Zeit in Anspruch nimmt, mit dem 
sehr wirksamen normalen Pferdeserum gemacht. — Über Ver- 
suche mit Immunserum werde ich vielleicht später berichten. — 
Das Normalserum wurde nach den sehr brauchbaren Angaben 
von Korschun zunächst durch mehrtägige Dialyse von den diffu- 
siblen Hemmungssubstanzen befreit, seine Antikörperwirkung 
gegenüber dem Witteschen Lab nach der Korschunschen 
Anordnung in Reihenversuchen geprüft. 

Man kann sich leicht überzeugen, daß ein hochwirksames 
Antilabserum keine wesentliche — wenigstens keine ohne 


1) Fortschritte der Medizin 1902. 
» Berliner klinische Wochenschr. 1897. 
p * 


68 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


weiteres nachweisbare — Antipepsinwirkung hat. Als ich ge- 
rade beginnen wollte, diese Verhältnisse zu analysieren, erschien 
die hochinteressante Arbeit von Morgenroth!) über die Tren- 
nung von Schlangentoxin - Antitoxinverbindungen durch Säure- 
einwirkungen. Es lag nahe, daran zu denken, daß der Anti- 
körper vielleicht nur bei bestimmten Alkalescenz- oder Säure- 
graden auf das Ferment wirken könne. Sehr schnell konnte 
ich feststellen, daß schon ein sehr minimaler Säuregrad die 
Wirkung des Antilabs auf das Lab behindert und daß bei 
nachträglicher Zufügung von Säure zu einem unwirksamen 
Lab-Antilabgemisch wieder die Labwirkung hervortritt. Es 
wird nun besonders wichtig werden, das von Sachs immuni- 
satorisch erhaltene Antipepsin auf die neue Fragestellung hin 
wieder zu studieren, womit ich zurzeit beschäftigt bin. Sieht man 
von der Sachsschen Beobachtung ab, so würde der Mangel 
eines Antipepsins im Normalserum nicht wunderbar sein, wenn 
seine Wirkung ebenso wie die des Antilabs durch Säure ver- 
hindert wird °). 
Versuche: 


In 4 Röhrchen kommt 0,1 mg = 0,1 ccm Witte-Lab, 

dazu überall 1 ccm Pferdeserum, das durch 48stündige 
Dialyse auf das dreifache verdünnt ist, also !/s ccm Ausgangs- 
serum entspricht. Diese Serummenge ist ein mehrfaches der 
zur Neutralisation des Labs notwendigen Quantität, 

dazu 0 — 0,1 — 0,2 — 0,3 ccm 1/10 Normal-Salzsäure 

0,3 — 0,2 — 0,1 — 0 ccm Wasser. 

Zuerst wird Wasser, dann die Säure, dann das Serum 
und zuletzt das Lab in die Gläser getan. — Das Röhrchen 
ohne Säure ist nach der Mischung trübe, die übrigen ganz klar. 


1) Berliner klinische Wochenschr. 1905. 

») Nicht direkt hierher gehört, soll aber doch erwähnt werden, daß 
Weinlands „Antipepsin“ aus der Magenschleimhaut unwirksam wird bei 
reichlichem Zusatz von Salzsäure zu dem Ferment-Antifermentgemisch. 
(Ztschr. f. Biologie 44, 1902). Inwieweit bei Weinlands Versuchen 
durch das Antiferment nur die für die Verdauung nötige Säure abgestumpft 
war, scheint noch nicht hinreichend geklärt. Es ist wahrscheinlich so 
auch zu erklären, daß R. O. Herzog (Ztschr. f. physiolog. Chemie 89, 
1903) Askarispreßsaft antipeptisch fand, ohne eine Antilabwirkung zu 
erhalten. 


M, Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 69 


Nach 15 Minuten wird überall 5 ccm mit Chloroform 
versetzte Milch zugefügt. Der Versuch ist doppelt angesetzt: 

a) In der ersten Versuchsabteilung bleiben die 4 Röhrchen 
nach dem Milchzusatz nur 15 Minuten bei Zimmertemperatur 
und kommen dann in den Brutschrank. 

Es werden die Röhrchen mit 0,2 und 0,3 ccm (?/10) 
Normalsäure sofort nach Erreichen der Brutschranktemperatur 
gelabt, die beiden anderen auch in mehreren Tagen nicht. 

b) In der zweiten Reihe kommen alle Röhrchen erst 
für 20 Stunden in die Kälte, dann in den Brutschrank. 
Wiederum werden die Röhrchen mit 0,2 und 0,3 ccm (!/ıo) 
N.-Säure sofort gelabt, die beiden andern überhaupt nicht 
verändert. 

Da sich immer in derartigen Versuchen eine scharfe Grenze 
für die Säure herausstellte, so war es möglich, daß die Milch 
eine bestimmte Säuremenge unwirksam machte. Es wurde 
deshalb ein Versuch angestellt, bei dem alles gleich gehalten 
wurde, überall nur 0,1 (!/i0) Säure, aber wechselnde Milch- 
mengen gewählt wurden (1, 3, 5 ccm). Aber auch bei nur 
1 ccm Milch trat die Labung nicht ein, während die Labmenge 
ohne Antilab und ohne Säure prompt 1 ccm Milch labte, 
übrigens auch das Gemisch Lab-Antilab ohne Säure 1 ccm Milch 
in keiner Weise labte. 

Bei diesen Versuchen habe ich noch einige, nicht direkt 
hierher gehörige Beobachtungen gemacht, die hier registriert 
sein mögen, da sie noch weitere Untersuchung ermöglichen. 
Fügt man zu einer leicht getrübten Lösung von Witte-Lab 
dialysiertes, mit Toluol konserviertes Pferdeserum, das selbst 
trübe ist, so bildet sich ein Niederschlag. Man könnte ver- 
muten, daß mit dieser Niederschlagsbildung die Wirkung des 
Serums auf das Lab zusammenhängt. Direkt ist das jedenfalls 
nicht der Fall. Entfernt man nämlich durch Zentrifugieren 
und Filtrieren den Niederschlag, so daß man eine klare Lösung 
zurückbehält, so kann man in der Flüssigkeit noch die Ferment- 
Antifermentverbindung nachweisen. Oder wenn wir dasselbe 
ausdrücken, indem wir es noch als hypothetisch ansehen, daß 
eine Verbindung entsteht, so läßt sich das durch das Antiferment 
larvierte Ferment wieder in der klaren Lösung manifest machen. 
Setzt man nämlich zu der klaren Lösung die Säuremenge, welche 


70 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


nötig ist, um entweder die Antifermentwirkung am Zustande- 
kommen zu hindern oder die eingetretene aufzuheben, so enthält 
die geklärte Lösung die Labwirkung wieder. Mit Versuchen, 
aus dieser Lösung die Ferment- Antifermentverbindung zu 
isolieren usw., bin ich noch beschäftigt. 

Die Antifermentreaktion ist also keine direkt makroskopisch 
sichtbare. Damit stimmt auch eine andere bei dieser Gelegen- 
heit gemachte Beobachtung überein. Fügt man nämlich zu dem 
Ferment-Serumgemisch, das nicht filtriert wurde, steigende Säure- 
mengen, um die Antifermentwirkung aufzuheben, so klärt sich 
die Flüssigkeit vollständig, aber schon bei einem Säurezusatz, 
der geringer ist als der für die Aufhebung der Antifermentwirkung 
notwendige. Also ist es unwahrscheinlich, daß Entstehen und 
Verschwinden der Antifermentwirkung mit der Bildung und 
Auflösung des sichtbaren Niederschlags unmittelbar zusammen- 
hängt. 


G. Über die Labwirkung der Pankreaspräparate 
und die Einwirkung der Antikörper. 


Bei Versuchen mit einem von Grübler bezogenen, vor- 
züglichen Trypsinpräparat habe ich nach einigen Vorversuchen 
Befunde erhalten, die in bezug auf die Beziehungen der Lab- 
wirkung und Verdauungswirknng von Interesse sind. Nament- 
lich Pawlow und Parastschuk haben neuerdings darauf auf- 
merksam gemacht, daß es nicht oder kaum gelingt, bei alkalischer 
Reaktion, bei der die Verdauungswirkung des Trypsins deutlich 
hervortritt, die Labwirkung der Pankreaspräparate zu beobachten. 
Sie nehmen an, daß bei alkalischer Reaktion das Kasein so 
schnell weitgehend aufgespalten wird, daß die Labung leicht 
übersehen werden kann. In der Tat gelingt es am leichtesten, 
starke Labung mit Trypsinpräparaten zu erzielen, wenn man 
die Milch mit Säure — ich habe stets Salzsäure benutzt — 
versetzt. Jedoch ist nur sehr wenig Salzsäure dazu nötig. Stets 
habe ich ausgezeichnete Labung frischer, ungekochter Kuhmilch 
mit Trypsin erhalten, wenn ich zu 100 ccm Milch 2 ccm einer 
1/10 Normal-Salzsäure fügte. Da zu jedem Versuche nur 5 ccm 
Milch genommen wurden, so ist der absolute Salzsäuregehalt, 
der das Zustandekommen der Labung sicherstellt, ein sehr kleiner. 
Der relative ist sehr gering, da zu den 5 ccm Milch ja noch 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 71 


das Trypsin in 1 oder 2 ccm Wasser gelöst, hinzukam. Bei 
Milch, die einige Zeit unter Chloroformzusatz in der Kälte auf- 
bewahrt war, erwies sich in mehreren verschiedenen Proben der 
Säurezusatz nicht als notwendig, obwohl wenigstens gegenüber 
Lackmus eine Änderung der Reaktion sich nicht nachweisen 
ließ. Jedoch schien es mir zuverlässiger, alle im folgenden in 
Betracht kommenden Versuche mit frischer Milch unter ent- 
sprechendem Säurezusatz anzustellen. 

Mir lag daran, zu untersuchen, ob sich neben der bekannten 
Antifermentwirkung im Pferdeserum, die gegen die Verdauungs- 
wirkung des Trypsins gerichtet ist, auch eine entsprechende 
gegen die Labwirkung desselben Präparates nachweisen läßt. 
Das gelingt in der Tat, wenn man die Versuchsbedingungen 
richtig wählt. Benutzt man Milch, die in der oben geschilderten 
Art — 2 ccm !/ıo Normal-Salzsäure auf 100 ccm Milch — an- 
gesäuert ist, so zeigt sich, daß das dialysierte Pferdeserum 
ebenso wie gegen das Magenlab auch gegen das Pankreaslab 
wirksam ist. Dabei ließ sich ein entschiedener Parallelismus 
zwischen der Hemmung der Verdauung und der Labung nicht 
verkennen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine absolute 
Identität besteht. Das wird sich aber kaum sicherstellen lassen, 
da die Prüfung an ganz verschiedenen Substraten und bei ver- 
schiedener Reaktion erfolgen muß. 

Bei 0,1 ccm Salzsäure (1/‚o Normal) auf 5 cem Milch tritt 
also sichere und ausgesprochene Trypsinlabung ein und diese 
Wirkung wird durch Zusatz von dialysiertem Pferdeserum in 
bestimmbarer Quantität aufgehoben. Aber schon bei 0,3 ccm 
('/ıo) Normalsäure auf 5 ccm Milch gelang es mir nicht, eine 
Antifermentwirkung des Serums nachzuweisen. Die Säure ver- 
stärkt auf der einen Seite die Labwirkung und verhindert die 
Antilabwirkung. 

Zur Prüfung der Verdauungswirkung benutzte ich die 
Fermische Gelatinemethode in der von Sachs bei seinen Anti- 
pepsinversuchen verwandten sehr brauchbaren Anordnung. Die 
Ricinmethode habe ich hier nicht benutzt, obwohl das Trypsin 
auch die Ricinlösungen aufhellt, weil die dialysierten Sera sehr 
trübe sind und daher das Fehlen der Aufhellung bei Serum- 
zusatz nicht leicht zu beurteilen und zu beobachten ist. Ob 
die Gelatineauflösung oder das Verschwinden der Erstarrungs- 


72 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


fähigkeit der Gelatine unter dem Einfluß eines einheitlichen 
Trypsing stattfindet oder ob es sich um eine besondere Glutinase- 
wirkung handelt, darüber habe ich keine eigenen Untersuchungen 
angestellt. Wer sich Pollack!) anschließt, wird also meine 
Resultate dahin formulieren müssen, daß ich einen ausge- 
sprochenen Parallelismus zwischen den Antifermentwirkungen 
des Serums gegenüber der Glutinase und dem Lab des unter 
der Bezeichnung Trypsin von Grübler vertriebenen Pankreas- 
präparates gefunden habe. Man darf aber wohl danach auch 
einen Parallelismus zwischen der Antifermentwirkung gegen Lab 
und eigentliche Trypsinwirkung ohne Gefahr annehmen. 

Versuche: 

1. In eine Reihe von Röhrchen kommt je 0,3 ccm einer 
Trypsinlösung, dazu überall 0,1 ccm Salzsäure ('/ıo normal), 
dann 0—0,1—0,2— usw. bis 1,0 dialysiertes Pferdeserum 
(durch Dialyse auf 1/3 verdünnt) oder entsprechende Wasser- 
mengen, so daß die Verdünnung überall gleich ist, natürlich 
ebenso in allen anderen Reihen. 

Nach 15 Minuten wird zu den Gemischen je 5cem Milch getan. 

Dann kommen die Röhrchen in den Brutschrank. 

Bei Serumgehalt O bis 0,5 tritt sofort Labung (d. h. bis 
in einer !/2 Stunde) ein, 0,6—0,8 in 3—4 Stunden, 0,9 und 
1,0 werden überhaupt nicht gelabt. 

Bei einer gleichzeitig angestellten Reihe, in der alles 
ebenso war, nur überall 0,3 ccm HCl (!/10 normal) zugefügt 
wurde, trat überall in einer halben Stunde im Brutschrank 
Labung ein. 

In einer weiteren Reihe wurde wieder je 0,3 ccm der 
Trypsinlösung überall angewandt, anstatt der Säure immer 
0,3 com Soda (1°/,) zugetan, dieselben Serummengen und 
schließlich 3 ccm einer 7°/sigen Chloroformgelatine in flüssigem 
Zustand. Die Gemische kommen über Nacht in den Brut- 
schrank, dann in die Kälte. 

Die Proben mit Serum: 0 —0,5 bleiben flüssig, 


0,6—0,7 ,„ fast ganz flüssig, 
0,8 werden halb fest, 
0,9—1,0 ,, ganz fest. 


) Hofmeisters Beitr. 6, 1904; s. auch Ehrenreich und Pollack, 
Arch. f. Verdauungskrankh. 11, 1905. 


- 


M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 73 


2. Diesmal überall 0,2 ccm = 2 mg Trypsin, 0,1 Salz- 
säure (1/ıo normal), ein durch Dialyse auf 1/2 verdünntes 
Pferdeserum: 0—0,2—0,4—0,6—0,8—1,0. 5 Milch. 

Die Proben kommen über Nacht in die Kälte, dann in 
den Brutschrank. 

Bei 0 Serum sofort Labung, die übrigen bleiben unverändert. 

0,2 Trypsin, 0,5 Soda (1°/,), Serum wie oben, 3 ccm 
Gelatine. 

Die Proben mit O und 0,2 Serum bleiben flüssig, die 
übrigen erstarren, nachden sie aus dem Brutschrank in die 
Kälte gebracht sind. 

3. 0,2 ccm Trypsinlösung, 0,1 (1/10) Säure, 0—0,6—0,7 
—0,8—0,9—1,0 eines dialysierten Serums. 

0 und 0,6 sofort Labung, die übrigen negativ. 

0,2 ccm Trypsin, 0,3 Soda (1°/,), 3 ccm Gelatine, Serum 
wie oben. 

O bleibt flüssig, 0,6 halbflüssig, 0,7—1,0 erstarrt. 


Schluß. 


Überblickt man das experimentelle Material, das in der 
Literatur niedergelegt ist, und die Ergänzungen, welche diese 
Arbeit bringt, so scheint folgendes sichergestellt: 

Man kann Präparate darstellen, welche wenigstens in be- 
stimmten Konzentrationen nur die eine Fermentwirkung ent- 
falten. Damit ist ohne Zweifel erwiesen, daß es sich nicht um 
die einheitliche Reaktion eines Enzymmoleküls handelt, die in 
beiden Fällen in einem für die Fermentreaktion identischen 
Milieu vor sich geht. Auf der anderen Seite bestehen aber 
doch so viele Übereinstimmungen zwischen beiden Reaktionen, 
daß es Sache der Überlegung sein muß, sich klar zu machen, 
worin das Gemeinsame bestehen kann. Also nochmals, das für 
ihre Wirkung notwendige Milieu der Fermente nehmen wir 
ohne weiteres als verschieden an. Es fragt sich nur, ob und 
welche Gründe wir haben, Verschiedenheiten am eigentlichen 
Enzymmolekül anzunehmen. Es sind zwei verschiedene Re- 
aktionen. Aber Schwefelsäure als Katalysator beeinflußt auch 
ganz verschiedene Reaktionen. Und schon seit Hammarsten 
ist man geneigt, die Labwirkung als eine Spaltung aufzufassen, 


74 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 


so daß also der Unterschied zu der Pepsinwirkung in dieser 
Beziehung nicht erheblich ist. 

Die Antikörper hätten auf eine Differenz hinweisen können. 
Das ist aber nicht der Fall. Zurzeit wenigstens bestehen nach 
den Befunden dieser Arbeit keine Gründe, welche eine Spezifität 
der Antikörper gegen Lab und Pepsin sicherstellen und von 
dieser Seite aus eine Trennung notwendig machen. Sollten 
sich bei weiteren Untersuchungen durchschlagende Differenzen 
ergeben, so leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß damit nur 
eng umschriebene Modifikationen der Vorstellungen bedingt sein 
würden. 

Jedenfalls kann wohl nicht mehr bezweifelt werden, daß 
nach dem nunmehr vorliegenden Material die Zusammengehörig- 
keit der Atomgruppierungen, durch welche die beiden Wirkungen 
zustande kommen, zu einem einheitlichen Molekül das wahr- 
scheinlichste ist. Es ist ja denkbar, daß innerhalb des Moleküls 
eine verschiedene Gruppierung für die Einzelwirkung maßgebend 
ist. Das wird aber erst dann als erwiesen gelten können, wenn 
wirklich ein Enzym dargestellt worden ist, welches nur Lab- 
oder Pepsinwirkung besitzt und wenn gleichzeitig die Unter- 
drückung der fehlenden Enzymwirkung durch Hemmungsstoffe, 
die das Enzym begleiten, mit Sicherheit ausgeschlossen ist. 


-— —— ~- 


Über das Vorkommen von Aminosäuren im Harn 
der Kinder. 


Von 


Hans Rietschel und Leo Langstein, 
Assistenten der Klinik. 


(Aus dem Laboratorium der Kgl. Universitäts-Kinder-Klinik in Berlin. 
Direktor Geh. Rat Heubner.) 


(Eingegangen am 5. Mai 1906.) 


Die Beantwortung der Frage, ob im Harn von Säuglingen 
und älteren Kindern unter physiologischen resp. pathologischen 
Verhältnissen Aminosäuren zur Ausscheidung gelangen, bean- 
sprucht ein gewisses Interesse. Denn Pfaundler!) hat auf 
Grund umfassender Untersuchungen über die Stickstoffverteilung 
im Harn der Säuglinge seinerzeit die Anschauung vertreten, 
daß speziell im ersten Lebenshalbjahr sich im Harn eine Gruppe 
stickstoffhaltiger Körper findet, zu welcher Oxysäuren, Amino- 
säuren und vielleicht auch noch andere unbekannte Substanzen 
gehören. Er fand für den sogenannten Aminosäuren-Stickstoff 
durchschnittlich einen Wert von 12,01 °/, des Gesamtstickstoffs, 
eine Zahl, welche die von den Untersuchungen des Harns Er- 
wachsener her bekannte um mehr als das Doppelte übersteigt. Ein 
besonderes Relief erhalten diese Zahlen dadurch, daß Pfaundler 
in einigen Fällen außerordentlich niedrige Werte für den Harn- 
stoffstickstoff fand. Einmal betrug dieser sogar nur 17,2 °/, des 
Gesamtstickstoffe.. Camerer?) und Keller?) kamen allerdings 


ı) Pfaundler, Über Stoffwechselstörungen bei magendarmkranken 
Sänglingen. Jahrbuch f. Kinderheilmethode 54, 247. 

7) Camerer, Stoffwechsel des Kindes, Tübingen, Ztschr. f. Biologie 
35, 218; 38, 276; 48, 13; 45, 1. 

” Keller, Die Malzsuppe; Verlag von Gustav Fischer 1898. 


76 B. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 


zu anderen Resultaten. Sie fanden, daß auch vom Säugling 
60—84 °/, des Gesamtstickstoffs in Form von Harnstoff zur 
Ausscheidung gelangen, und Langstein und Steinitz!) konnten 
in zahlreichen Untersuchungen diese Anschauung bestätigen. 
Immerhin blieb die Frage, ob nicht doch im Harn der Säug- 
linge abnorme Stoffwechselendprodukte zur Ausscheidung ge- 
langen, eine unbeantwortete, denn es fehlte bis vor kurzer Zeit 
an einer direkten Methode, um die Ausscheidung von Amino- 
säuren im Harne zu beweisen. Die indirekte Methode, der sich 
Pfaundler?) wie auch späterhin Krüger und Schmidt?) be- 
dienten, sagt, wie Ignatowski*) in einer Arbeit aus der Klinik 
Friedrich Müllers ausführte, über das Vorhandensein von 
Aminosäuren in Harn nichts aus. Denn diese Methode berück- 
sichtigt nicht nur die Ausscheidung von Aminosäuren, sondern 
auch die der Hippursäure, des Kreatins, des Indoxyls, des 
Allantoins, und vielleicht auch die der Oxyprotsäure: Sub- 
stanzen, über deren Ausscheidungsverhältnisse im Kindesalter 
wir noch kaum unterrichtet sind. Dazu gesellt sich noch der 
von Ignatowski betonte Umstand, daß die Methode selbst in 
geübten Händen oftmals beträchtliche Fehler gibt. Von diesen 
Erwägungen geleitet, haben wir versucht, über die Ausscheidungs- 
verhältnisse von Aminosäuren im Harn der Säuglinge und 
älteren Kinder zur Klarheit zu gelangen mit Hilfe der Me- 
thode, um die Emil Fischer und Bergell®) die wissen- 
schaftliche Forschung bereichert haben. Sie beruht darauf, daß 
die Aminosäuren enthaltende Flüssigkeit mit Naphthalinsulfo- 
chlorid bei schwach alkalischer Reaktion geschüttelt wird, wobei 
sich die Naphthalinsulfoverbindungen der Aminosäuren bilden. 
Bei schwach saurer Reaktion werden diese ausgefällt und identi- 
fiziert. Wir können es uns hier versagen, ausführlich auf die 
Methode einzugehen. Sie findet ihre eingehende Schilderung 


) Langstein u. Steinitz, Die Kohlenstoff- und Stickstoffaus- 
scheidung durch den Harn beim Säugling und älteren Kinde. Jahrbuch 
f. Kinderheilk. 61, 94. 

”, Pfaundler, Ztschr. f. physiol. Chem. XVII. 

”, Krüger u. Schmidt, Ztschr. f. physiol. Chem. XXXI, 556. 

^ Ignatowski, Über das Vorkommen von Aminosäuren im Harn, 
vorzugsweise b. Gicht. Ztschr. f. physiol. Chem. 92, 388, 1904. 

», Emil Fischer u. P. Bergell, Über 3 Naphthalinsulfoderivate 
der Aminosäuren. Berichte der deutschen chem. Ges. XXXV, 3779, 1902. 


H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 77 


in den Arbeiten von Emil Fischer und Bergell, und die 
Modifikation, deren wir uns bedienten, hat Ignatowski aus- 
führlich bekannt gegeben. Gehen wir nun zur Mitteilung der 
Resultate über. 

Zunächst wurde der Harn natürlich ernährter Säuglinge 
untersucht. Aus 180 ccm konnte keine kristallinische Ver- 
bindung isoliert werden. Ebensowenig gelang dies mit einer 
Menge von 4!'/3 Liter eines Mischharns, die auf dem Wasser- 
bade eingeengt worden war und streng nach den Vorschriften 
von Ignatowski verarbeitet wurde. In 560 ccm des Harns 
eines mit Buttermilch ernährten Säuglings bildete sich nach der 
Ansäuerung ein geringer amorpher Niederschlag, aus dem sich 
Kristalle nicht gewinnen ließen. 

Ferner wurde der Harn von Kindern untersucht, die eine 
an Eiweißspaltungsprodukten relativ reiche Ernährung erhielten, 
die Malzsuppe. Es wurden je 450 resp. 725 ccm untersucht. 
In letzterem Falle wurde allerdings ein etwas reichlicheres 
braunes amorphes Pulver gewonnen, dessen Einheitlichkeit je- 
doch nicht feststand, weswegen auf eine genaue Analyse ver- 
zichtet wurde. Auf Grund dieser Resultate müssen wir zu der 
Anschauung gelangen, daß sich unter normalen Verhält- 
nissen im Harn natürlich und künstlich genährter 
Säuglinge Aminosäuren in einer irgendwie in Betracht 
kommenden Menge im freien Zustande nicht finden; 
denn die von uns angewandte Methode ließ sich dadurch als 
einwandfrei erweisen, daß wir mit ihrer Hilfe dem Harn in 
geringer Menge zugesetzte Aminosäuren im kristallinischen Zu- 
stande isolieren konnten. Aus der Anwesenheit amorpher 
Niederschläge hingegen die Gegenwart von Aminosäuren zu er- 
schließen, halten wir ebenso, wie Abderhalden und Schitten- 
helm!) und auch Samuely?) für unstatthaft. 

Ehe wir an einen Vergleich unserer Resultate mit denen der 
bei Erwachsenen angestellten Untersuchungen herangehen, wollen 
wir noch kurz mitteilen, wie sich die Ausscheidung der Amino- 
säuren beim älteren Kinde bei pathologischen Zuständen ver- 


)Abderhalden u. Schittenhelm, Über den Gehalt des normalen 
Menschenharns an Aminosäuren. Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 4—6, 339. 

”, Samuely, F., Zur Frage der Aminosäuren im normalen u. patho- 
log. Harn; Ztsch. f. physiol. Chem. 47, 4—6, 376. 


78 H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 


hält. Bei einem Kind ließ sich während der Lösung einer 
krupösen Pneumonie aus dem Harn 0,32 g Leucin isolieren. 
Die Identifikation geschah nach der alten Methode der Aus- 
fällung wie Kristallisation und der Reinigung über das Kupfer- 
salz. 0,334 Kupfersalz hatte einen Gehalt an CuO von 24,81 °/o. 
(Berechnet CuO = 24,75 °/),.) Die Menge des vorhandenen 
Leucins war sicherlich eine größere. Leider gelangte in dieser 
zwei Jahre zurückliegenden Untersuchung noch nicht die von 
Emil Fischer angegebene Methode zur Anwendung, sodaß sich 
über die wahre Menge des Leucins wie auch die eventuelle 
Anwesenheit anderer Aminosäuren nichts aussagen läßt. 

Die Untersuchungen des Harns bei Pertussis, dem ins- 
besondere russische Autoren eine abnorme Zusammensetzung 
zuschreiben, ergab zwar die Anwesenheit größerer Mengen 
amorpher Niederschläge, jedoch ließ sich ein einheitliches Pro- 
dukt nicht isolieren. 

Die Untersuchung des Harns in einem Falle von infantilem 
Myxödem durch Hougardy und Langstein!) ergab sowohl 
in der unbehandelten als auch in der Tyreoidinperiode, in der 
es zu einer Einschmelzung von Körpergewebe kam, ein absolut 
negatives Resultat. Dasselbe gilt von den von uns untersuchten 
Fällen von Diabetes?) sowohl während der vorkomatösen Zeit 
als auch während des Komas, währenddessen Abderhalden in 
einem von ihm untersuchten Falle Tyrosin nachgewiesen hat, 
ein Befund, den er auf die herabgesetzte Oxydationsfähigkeit 
des Organismus bezieht. 

Auf Grund unserer Untersuchungen können wir ferner 
mitteilen, Jaß wir in einem Falle von Morbus coeruleus eine 
beträchtliche Ausscheidung von mit Naphthalinsulfochlorid, wie 
auch mit dem Neubergschen?) Reagens, dem «-Naphthylcyanat, 
reagierende Substanzen erhielten, mit deren Aufarbeitung wir 
gegenwärtig noch beschäftigt sind. Auf diese Verhältnisse 
wird anläßlich unserer noch nicht abgeschlossenen Unter- 


ı) Hougardy u. Langstein, Stoffwechselversuch an einem Fall 
von infantilem Myxödem; Jahrb. f. Kinderheilkunde 61, 4. 

» L. Langstein, Beiträge zur Kenntnis des Diabetes mellitus im 
Kindesalter; Deutsche medizin. Wochenschr. 12, 1905. 

» C. Neuberg u. A. Manasse, Berichte d. deutschen chem. Ges. 38, 
2359 (1905). 


H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 79 


suchungen über den Stoffwechsel bei Morbus coeruleus zurück- 
zukommen sein. 

Vergleichen wir nun die kurz mitgeteilten Resultate mit 
den bisher vorliegenden an Erwachsenen, so stehen sie mit diesen 
zum Teil in guter Übereinstimmung. Allerdings haben Embden 
und Reese!), nachdem die Untersuchungen von Ignatowski 
erschienen waren, der das Vorkommen von Glykokoll im Ham 
einiger Fälle von Gicht mitteilte, betont, daß sich in jedem 
normalen Harne Glykokoll nachweisen lasse, wenn man die von 
Emil Fischer und Bergell angegebene Methode dahin modi- 
fiziere, daß man anstatt bei schwach alkalischer Reaktion bei 
stark alkalischer mit Naphthalinsulfochlorid schüttele. Bis 
zu einem gewissen Grade wurden diese Untersuchungen auch 
bestätigt und Forßner?) betont auf Grund neuerlicher Unter- 
suchungen an der Klinik Friedrich Müllers, daß es sehr 
wohl möglich sei, daß freies Glykokoll im normalen Harne oft 
vorkomme, daß die Glykokollausscheidung jedoch keineswegs 
regelmäßig sei. Zu demselben Resultat waren gleichzeitig 
Wohlgemuth und Neuberg?) gelangt, die sich des Naphthyl- 
cyanats bei ihren Untersuchungen bedienten und eine Aus- 
scheidung von in Betracht kommenden Mengen Glykokolls 
nicht nachweisen konnten. Abderhalden und Schittenhelm 
erhielten, wenn sie nach der Vorschrift von Emil Fischer und 
Bergell arbeiteten, in zahlreichen Versuchen am normalen 
Menschenharn keine ß-Naphthalinsulfoderivate. Sie betonen, 
wie früher schon Neuberg und Wohlgemuth, daß das Gly- 
kokoll, wenn es vorhanden, kaum im freien Zustande, sondern 
sicher nur als Verbindung vorhanden sei, aus der es durch die 
Methodik von Embden und Reese abgespalten werde. Welcher 
Art diese Verbindung sei, lassen sie dahingestellt und erwähnen 
nur kurz die Möglichkeit, daß diese Abspaltung entweder aus 
der von Embden und Reese supponierten labilen Ureidosäure 
oder dem von Bondzynski entdeckten und von Abderhalden 





1) Embden u. Reese, Hofmeisters Beitr. z. chem. Physiol. u. 
Pathol. 7, 411 (1905). 

» Forßner, s. Über das Vorkommen von freien Aminosäuren im 
Harn und deren Nachweis; Ztschr. f. physiol. Chemie 47, 15, 1906. 

» Wohlgemuth u. Neuberg, Zur Frage des Vorkommens von 
Aminosäuren im normalen Harn; Medizin. klinische Wochenschr. 9, 1906. 


80 H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 


und Pregl’) untersuchten schwer dialysierbaren Eiweißabkömm- 
ling herrühre. 

In einem gewissen Gegensatz zu den genannten Unter- 
suchungen, wie auch zu der uneerigen, stehen die Resultate der 
Arbeit von Samuely, der im normalen Harn Erwachsener 
wie auch Neugeborener Glykokoll immer nachweisen konnte 
und die stark alkalische Reaktion für keine conditio sine qua 
non für den qualitativen Nachweis hielt. Samuely hat in 
600 ccm des Harns von Neugeborenen immerhin quantitativ 
bestimmbare Mengen von Glykokoll erhalten. Die von Sa- 
muely verarbeitete Harnmenge (600 ccm) ist zu groß, als daß 
sie die Tagesmenge eines Individuums repräsentieren könnte. 
Somit ist die Verallgemeinerung des von Samuely erhobenen 
Befundes vorläufig nicht statthaft, und unsere Untersuchungen 
sprechen sogar direkt dagegen, daß freie Aminosäuren ein regel- 
mäßiger Bestandteil des Harns an der Brust ernährter Säuglinge 
sind. Damit soll natürlich keineswegs bestritten werden, daß 
sich dieser stickstoffhaltige Körper unter Umständen im Säug- 
lingsharn finden kann, für dessen Entstehung im kindlichen 
Organismus nicht nur der intermediäre Stoffwochsel, sondern 
nach den Untersuchungen von Abderhalden und Hunter’) 
auch gewisse Milcheiweißkörper die Quelle abgeben können. 

Inwieweit und unter welchen Verhältnissen stomachal ein- 
verleibte Aminosäuren beim Säugling zur Ausscheidung gelangen, 
darüber wird demnächst der eine von uns gemeinsam mit 
L. F. Meyer berichten. 


1) Über einen im normalen menschlichen Harn vorkommenden schwer 
dialysierbaren Eiweißabkömmling; Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 19, 1905. 

”), Abderhalden u. Hunter, Vorläufige Mitteilung über den Ge- 
halt der Eiweißkörper der Milch an Glykokoll; Ztschr. f. physiol. Chemie 
47, 704, 1906. 


Über Lecithinzucker und Jekorin sowie über das 
physikalisch-chemische Verhalten des Zuckers im Blut. 


Von 
Paul Mayer-Karlsbad. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 7. Mai 1906.) 


Seit der Entdeckung des Jekorins durch Drechsel?) ist 
diese Substanz nur selten Gegenstand physiologisch -chemischer 
Untersuchungen gewesen. Drechsel selbst hatte bereits fest- 
gestellt, daß der von ihm aus dem Alkohol-Ätherextrakt der 
Pferdeleber dargestellte Körper eine reduzierende, den Lecithinen 
nahestehende Na- und S-haltige Substanz ist, und hatte die 
wichtigsten chemischen Eigenschaften und Reaktionen derselben 
mitgeteilt. 

Später sind auch aus anderen Organen — Milz, Gehirn, Blut 
(Baldi?)) und Nebennieren (Manasse°)) — nach demDrechsel- 
schen Verfahren Substanzen isoliert worden, die sich im wesent- 
lichen wie das Drechselsche Jekorin verhielten, jedoch in 
ihrem Reduktionsvermögen und in den erhaltenen Analysen- 
zahlen nicht unerheblich voneinander abwichen. Die wichtig- 
sten Aufschlüsse über die chemische Konstitution des Jekorins 
sind in Hoppe-Seylers Laboratorium von Manasse erbracht 
worden. Dieser wies in dem aus Pferdeleber dargestellten 
Jekorin die Spaltungsprodukte des Lecithins nach, indem er 


) Drechsel, Journal f. prakt. Chemie 88, 425. 1886. 

» Baldi, Archiv f. Physiologie Suppl. 1887, Suppl. S. 100. 

» Manasse, Ztschr. f. physiol. Chem. 20, 478. 1895. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 6 


82 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


durch Kochen mit Barytwasser Cholin, Glyzerinphosphorsäure 
und Fettsäuren isolierte. Manasse bestimmte weiterhin die 
reduzierende Substanz des Jekorins näher, indem er das Osazon 
desselben darstellte, das einen Schmelzpunkt von 204° hatte 
und deshalb als Glukosazon von ihm angesprochen wurde. 
Die nächsten Autoren, welche sich mit dem Jekorin beschäftigten, 
haben ihr Interesse vorwiegend der von Baldi festgestellten 
Tatsache zugewendet, daß Jekorin auch im Blute vorkommt. 

Nachdem schon lange vermutet worden war, daß außer 
dem Traubenzucker noch andere reduzierende Substanzen im 
Blute vorhanden sind, hat Otto!) durch genaue quantitative 
Bestimmungen nachgewiesen, daß neben der gärungsfähigen 
Dextrose noch gärungsunfähige reduzierende Substanzen im 
Blute vorkommen, über deren chemische Natur der Autor 
nichts Sicheres aussagen konnte. Gestützt auf die Tatsache, 
daß das Jekorin in den Ätherauszug des Blutes übergeht und 
nach der Angabe Baldis Kupferoxyd reduziert, hat zuerst 
Jacobsen?) die gärungsunfähige Substanz des Blutes für 
Jekorin erklärt, und die weiteren Forschungen dieses Autors 
gehen sämtlich von der Voraussetzung aus, daß alle äther- 
löslichen reduzierenden Substanzen des Blutes Jekorin sein 
müssen. Weder Jacobsen, der nur das Leberjekorin genauer 
untersucht hat, noch der nächste Untersucher, Henriques?), 
haben Jekorin aus dem Blute dargestellt; sie haben also weder 
die chemischen Eigenschaften des Blutjekorins näher studiert, 
noch haben sie, was doch vor allem notwendig gewesen wäre, 
sich über die Natur der reduzierenden Substanz des Blutjekorins 
unterrichtet. Und ohne mit der Möglichkeit zu rechnen, daß 
im Blute noch andere reduzierende Substanzen vorhanden sein 
können, die gleichfalls in Äther löslich, aber nicht mit dem 
Jekorin identisch sind, haben die genannten Autoren, nachdem 
sie festgestellt hatten, daß in vielen Fällen der in Äther lösliche 
Teil der reduzierenden Substanz der überwiegende ist, die Be- 
hauptung aufgestellt, daß der größte Teil des Blutzuckers nicht 
als solcher, sondern an Lecithin gebunden, als Jekorin im 


') Otto, Pflügers Archiv 85, 1885. 

» Jacobsen, Zentralbl. f. Physiol. 1892 u. Skandin. Archiv 
für Physiol. 6, 262. 1895. 

» Henriques, Ztschr. f. physiol. Chem. 28, 244. 1897. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 83 


Blute kreis. Nachdem dann Bing'), der die sorgfältigsten 
Untersuchungen nach dieser Richtung ausgeführt, aber leider 
gleichfalls die Voraussetzung Jacobsens als feststehende Tat- 
sache hingenommen hat, gezeigt hatte, daß durch Zusammen- 
bringen von Lecithin und Glukose Lecithinzucker entsteht, galt 
es um so mehr als ausgemacht, daß das Jekorin nichts anderes 
als eine Verbindung von Lecithin und Traubenzucker ist, 
und der Zucker de norma nicht frei, sondern gebunden im 
Blute kreist. 

Kolisch?), der ebenfalls lebhaft für diese Anschauung ein- 
getreten ist, hat allerdings selbst zugegeben, daß die von ihm 
gemeinschaftlich mit Steyskal ausgeführten Versuche nicht 
stichhaltig sind, weil, wie die Autoren sich nachträglich über- 
zeugten, bei der von ihnen angewendeten Jacobsen-Henriques- 
schen Methode auch Traubenzucker in den Ätherauszug des 
Blutes übergehen kann. 

Später hat sich Kolisch?) auf Grund von klinischen Tat- 
sachen und Beobachtungen für die Anschauung von der Bindung 
des Traubenzuckers im Blut ausgesprochen. 

Ich habe bereits vor fünf Jahren gelegentlich meiner 
Untersuchungen über das Vorkommen der Glukuronsäure im Blut 
darauf hingewiesen, daß jedenfalls ein Teil der von den Autoren 
als Jekorin angesprochenen Substanz gepaarte Glukuronsäure ist, 
da ja die Glukuronsäureverbindung des Blutes ebenfalls in den 
Ätherextrakt übergeht‘). Seither haben Lépine und Boulud’) 
in zahlreichen Arbeiten den Nachweis geführt, daß in vielen 
Fällen gerade der Glukuronsäuregehalt des Blutes nicht un- 
erheblich gesteigert ist, so daß eine Vermehrung der äther-. 
löslichen reduzierenden Substanz oft auf die Glukuronsäure zu 
beziehen ist. Um daher zu zeigen, ob der Jekoringehalt des 
Blutes erhöht ist, ist es nicht angängig, einfach die Menge der 
ätherlöslichen reduzierenden Substanz zu bestimmen, wie dies 


) Bing, Skandin, Archiv f. Physiol. 9, 336. 1896. 

?) Kolisch und Steyskal, Wiener klin. Wochenschr. 1897, 
1101—1103; 1898, 135. 

”, Kolisch, Diätetische Therapie 1900. 

*, P. Mayer, Ztschr. f. physiol. Chem. 82, 518. 1901. 

») Lépine et Boulud, Comptes rendus des séances de l'Académie 
des Sciences 1903—1905. 

6* 


84 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Jacobsen, Henriques, Bing, Kolisch und Steyskal getan 
haben. 

Zweifellos ist die Frage, ob der Zucker in freiem Zustande 
oder gebunden im Blute zirkuliert, für unsere ganzen Vor- 
stellungen vom Zuckerumsatz im Tierkörper von größter Wichtig- 
keit; aber so verlockend die Hypothese von der Bindung des 
Zuckers auch erscheinen mag — und es ist nicht zu leugnen, 
daß sie mit manchen unserer modernen Vorstellungen gut im 
Einklang steht — so muß doch gerade bei der Bedeutung 
dieser Frage betont werden, daß ein Beweis für die Richtigkeit 
dieser Anschauung bisher nicht erbracht ist. 

Der Wunsch, zur Klärung dieser Verhältnisse beizutragen, 
war es, der mich veranlaßte, mich mit dem Jekorin näher zu 
beschäftigen, und so habe ich bei den im folgenden mitzu- 
teilenden Untersuchungen diese Frage in erster Linie ins Auge 
gefaßt. Da das Jekorin von verschiedenen Autoren im wesent- 
lichen als eine Verbindung von Lecithin und Traubenzucker 
aufgefaßt wird, erschien es mir notwendig, zunächst die künst- 
liche Lecithinglukose näher zu studieren, um sie mit dem 
natürlich vorkommenden Jekorin vergleichen zu können, und 
dann das Jekorin selbst eingehender zu untersuchen. 

Meine Versuche sind allerdings noch nicht zum Abschluß 
gelangt — aber da ich dieselben erst im nächsten Winter 
wieder aufnehmen kann, wollte ich die Mitteilung meiner 
bisherigen Ergebnisse nicht verzögern. 


I. Lecithinglukose. 


Über diese hat Bing!) bereits berichtet. Er hat in alko- 
holischen Lecithinlösungen verschiedene Mengen von Glukose 
aufgelöst und den Alkohol im Vakuum bei 42° abgedampft. 
Wenn im Verhältnis zur Glukosemenge viel Lecithin vorhanden 
war, so löste sich der Abdampfungsrückstand vollständig klar 
in wasserhaltigem Äther; wenn jedoch viel Glukose zugegen 
war, so blieb ein weißer Niederschlag zurück, von dem der 
Äther abfiltriert wurde. Der Abdampfungsrückstand desselben 
wurde mit 20°, HSO, gespalten und gab nach Neutralisation 
eine Zuckerreaktion bei Behandlung mit Fehlingscher Lösung. 


) Bing, a.a. O. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 85 


Es war also Glukose in die Ätherlösung übergegangen. Durch 
Zusatz von Alkohol zu der ätherischen Lösung entstand eine 
Fällung, die durch Überschuß ganz oder teilweise wieder auf- 
gelöst wurde. Umgekehrt fand Bing, daß der Lecithinzucker 
aus einer Alkohollösung durch Äther gefällt wird. Auf Grund 
dieser Reaktionen glaubt Bing, daß die Lecithinglukose eine 
echte chemische Verbindung ist und spricht sich gegen die 
Annahme aus, daß der Zucker durch die Anwesenheit des 
Lecithins, ohne sich mit demselben zu verbinden, ätherlöslich 
wird. Die rein dargestellte Substanz selbst hat Bing nicht 
untersucht. Da nun das Jekorin ganz ähnliche Löslichkeits- 
verhältnisse Alkohol und Äther gegenüber zeigt, so kommt 
Bing zu dem Schluß, daß Jekorin und Lecithinglukose identische 
oder wenigstens einander sehr nahestehende Verbindungen 
seien. Schwefel und Natrium, die stets im Jekorin zu finden 
sind, rühren seiner Ansicht nach lediglich von Verunreinigungen 
der Präparate her. 

Für meine Versuche habe ich das schon für andere Zwecke 
von mir verwendete Lecithin der hiesigen Anilinfabrik mit der 
Handelsmarke „Agfa“ und reinsten, kristallisierten Trauben- 
zucker benützt. Das Lecithin wird unter Schütteln in Alkohol 
gelöst; der Traubenzucker wird zunächst in einer Spur Wasser 
gelöst und dann mit absolutem Alkohol versetzt. Beide Lösungen 
werden filtriert, und die so resultierende völlig klare alkoholische 
Lösung in einer Schale auf dem Wasserbad bis zur Sirup- 
konsistenz eingeengt. Es ist nicht nötig, nach dem Vorgang von 
Bing die Einengung im Vakuum vorzunehmen, da, wie ich mich 
überzeugte, die Lecithinglukose bei Einengung auf dem Wasser- 
bad ganz in der gleichen Weise entsteht. — Der Abdampfungs- 
rückstand wird nun in Äther aufgenommen. Dabei zeigt es sich, 
daß je nach den angewandten Mengen der Rückstand in Äther 
entweder völlig löslich ist, oder daß ein Teil des Traubenzuckers 
ungelöst zurückbleibt. Im letzteren Falle machte ich dieselbe 
Erfahrung wie Bing, daß nämlich der ungelöste Traubenzucker 
in feinster Emulsion im Äther suspendiert ist, so daß eine 
Trennung desselben vom Äther äußerst schwierig und nicht 
einmal nach Absetzenlassen der Flüssigkeit im Scheidetrichter 
durch wiederholtes Filtrieren und selbst Zentrifugieren der 
Lösung stets zu erzielen ist. 


86 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Da hierbei die rasche Verdunstung des Äthers eine weitere 
Störung ist, habe ich mich bemüht, das Verhältnis zwischen 
dem Lecithin und der Glukose so zu wählen, daß der alkoholische 
Abdampfungsrückstand sich völlig klar löste. Durch eine Reihe 
von Versuchen stellte es sich heraus, daß dies meist der Fall 
ist, wenn man Lecithin und Traubenzucker im Verhältnis von 
5:2 zusammenbringt. Ich habe dieses Verhältnis bei den 
meisten Versuchen innegehalten. Einige Male aber beobachtete 
ich, daß trotz Einhaltens desselben Mengenverhältnissee der 
Rückstand sich sehr schwer im Äther löste. Ich habe dann bis- 
weilen noch im letzten Moment, nachdem schon fast alles 
gelöst war, ganz plötzlich eine Trübung eintreten sehen. An 
anderer Stelle werde ich auf diese Beobachtung noch zu sprechen 
kommen und will hier nur betonen, daß möglicherweise auch 
der Wassergehalt des Äthers hierbei mitspielt. Am zweck- 
mäßigsten erwies es sich mir, einen Äther, der etwa 10°% 
Wasser enthielt, zu benutzen. 

Diese Störungen traten nun seltener ein, wenn ich anstatt 
des Äthers ein anderes Lösungsmittel benutzte — nämlich 
Benzol, in dem der alkoholische Abdampfungsrückstand sich 
zu einer vollständig klaren Flüssigkeit löst. Die Anwendung 
von Benzol anstatt des Äthers hat noch den gewichtigen Vor- 
teil, daß in den Fällen, wo ein Überschuß von Glukose ge- 
nommen war, der ungelöst zurückbleibende Traubenzucker sich 
vom Benzol viel leichter als vom Äther trennen läßt. Aus diesen 
Gründen habe ich mich meistens des Benzols und nicht des 
Äthers bedient. Die Lösungen werden nun zunächst ca. 8 Stunden 
stehen gelassen, und dann von dem spontan abgeschiedenen 
Traubenzucker!) abfiltrier. Versetzt man die filtrierte, voll- 
ständig klare Äther- oder Benzollösung vorsichtig mit absolutem 
Alkohol, so fällt die Lecithinglukose in gelblich-weißen Flocken 
aus, die im Überschuß des Fällungsmittels sich zum Teil wieder 
lösen. Daß der entstehende Niederschlag nicht freies Lecithin 
und ebensowenig freie Glukose sein kann, ist von vornherein 
klar. Es kann sich nur um eine in irgend welcher Weise zu- 
stande gekommene Verbindung beider Substanzen handeln, da 
jede für sich durch die geschilderte Prozedur nicht gefällt 


— 





') Dieser Punkt wird an anderer Stelle noch besprochen werden. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 87 


werden konnte, und da andrerseits der Niederschlag sowohl 
Lecithin wie Glukose enthält. Der Ausdruck „Verbindung“ 
soll aber keineswegs präjudizieren, daß es sich hier wirklich 
um eine echte chemische Verbindung handelt, sondern soll nur 
andeuten, daß Lecithin und Traubenzucker irgendwie mitein- 
ander in Relation getreten sind. Die Frage, ob die Lecithin- 
glukose als wirkliche Verbindung zu betrachten ist, wird später 
noch erörtert werden. 

Die Lecithinglukose setzt sich nach Fällung derselben aus 
der Benzollösung sehr gut ab, so daß die darüber stehende 
Flüssigkeit sich bequem abgießen läßt. Der Niederschlag wird 
nun zunächst, ohne ihn aus dem Becherglas zu entfernen, noch- 
mals in Benzol gelöst, filtriert und wiederum mit absolutem 
Alkohol gefällt. Schließlich wird der Lecithinzucker, der un- 
gemein hygroskopisch ist, mit den letzten Resten der anhaften- 
den Flüssigkeit im Becherglas mehrere Tage im Vakuumexsikkator 
über Phosphorpentoxyd getrocknet. Auf diese Weise erhält man 
ein fast farbloses Pulver, das sehr schnell bei Berührung mit 
Luft Wasser anzieht, sich bräunt und schließlich verschmiert. 
Wenn man aber die Substanz rasch, möglichst unter der Exsik- 
katorglocke in ein gut verschließbares Gefäß bringt, läßt sie sich 
unverändert als trockenes Pulver aufheben. Die nach dem ge- 
schilderten Verfahren dargestellte Substanz löst sich leicht in 
Wasser zu einer opaken Flüssigkeit, ist im Gegensatz zu ihrem 
Verhalten, solange sie noch feucht ist, unlöslich in Äther 
und kann auch in Benzol jetzt nur noch unvollständig gelöst 
werden. — 

Die wässerige Lösung wird durch konzentrierte Chlornatrium- 
oder Chlorbaryumlösung gefällt, ebenso durch Silbernitrat. Die 
silberhaltige Lösung wird nach Zusatz von NH; klar und färbt 
sich beim Erhitzen rot: Reaktionen, die in derselben Weise vom 
Jekorin gegeben werden. Der Nachweis von Phosphor gelingt 
leicht, indem in der gewöhnlichen Weise die Substanz mit 
Salpetermischung geschmolzen, die Schmelze in verdünnter 
HNO, gelöst usw., und dann mit molybdänsaurem Ammon ver- 
setzt wird. Die Lecithinglukose reduziert stark Kupferoxyd in 
alkalischer Lösung, zeigt starke Gärung und gibt bei Behand- 
lung mit essigsaurem Phenylhydrazin ein Osazon, das bei 205° 
schmilzt. 


88 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Den Gehalt an Traubenzucker habe ich quantitativ durch 
eine Reduktionsbestimmung und zwar durch Wägung des aus- 
geschiedenen Kupferoxyduls festgestellt. Es ergaben sich für 
0,1 g Lecithinglukose 0,0845 g Glukose. Die Lecithinglukose 
enthält demnach 84,5°/, Traubenzucker. Dieser Wert stimmt 
sehr gut mit dem durch eine quantitative Gärungsbestimmung 
erhaltenen überein. Ich fand mittels des Lohnsteinschen 
Apparates!) 85°/, Glukose. — 

Die Elementaranalyse der Lecithinglukose sowie des von 
mir benuzten Lecithins (Agfa) ergab folgendes Resultat. Des 
Vergleiches halber stelle ich die Zahlen für Traubenzucker da- 
neben: 


Leeithinglukose | Lecithin | Glukose 





C = 38,7%, 65%, 40°, 
H = 9,29 YA 10,8 h 6,7 ho 
N = 1,09% 1,8 lo — 

P = 0,66%, 3,9% = 
16) == 50,26 % 18,5 o 53,8 fo 


Auffallend in der elementaren Zusammensetzung der Lecithin- 
glukose ist der niedrige Phosphorgehalt und der außerordentlich 
hohe Gehalt an Traubenzucker. 

Die Analysen?) würden darauf hindeuten, daß ein phosphor- 
haltiger Komplex bei der Vereinigung von Traubenzucker und 
Lecithin aus letzterem ausgetreten wäre. Doch die Entscheidung 
dieser Frage muß einer größeren Reihe von Analysen vorbehalten 
bleiben, die ich mit Produkten verschiedener Darstellungen noch 
vornehmen möchte. 

Was nun die Frage anlangt, ob wir in der Lecithinglukose 
eine echte Verbindung zu erblicken haben, so sei zunächst darauf 
hingewiesen, daß, wenn es sich um eine solche handelt, wir 


ı) Quantitative Gärungsbestimmungen durch „Ablesung“ sind bei 
wissenschaftlichen Untersuchungen mangels einer einwandsfreien Methode 
bisher kaum ausgeführt worden. Ich kann den Lohnsteinschen Apparat, 
der sich in der Praxis bereits bewährt hat, auch für wissenschaftliche 
Versuche warm empfehlen. Wie ich mich durch zahlreiche Kontrollversuche 
überzeugt habe, arbeitet er sehr exakt und liefert mindestens so genaue 
Resultate wie die verschiedenen Reduktionsmethoden. 

») Dieselben sind wegen der enormen Hygroskopizität besonders 
schwierig auszuführen. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 89 


über die Art der Bindung vor der Hand gar nichts aussagen 
können. Es ist a priori möglich, daß es verschiedene solcher 
Verbindungen gibt, je nach den Mengen Lecithin und Trauben- 
zucker, die man aufeinander einwirken läßt; es ist also denkbar, 
daß, wenn man die beiden Substanzen in einem anderen Mengen- 
verhältnis zusammenbringt, als ich es gewählt hatte, sie auch 
in einem anderen molekularen Verhältnis zueinander in Relation 
treten, so daß die von mir mitgeteilten Analysenzahlen zunächst 
nur für die unter den geschilderten Bedingungen von mir dar- 
gestellte Lecithinglukose in Betracht kommen. 

Um diese Möglichkeit experimentell zu prüfen, muß man 
verschiedene Lecithin- und Zuckermengen aufeinander einwirken 
lassen und die elementare Zusammensetzung aller erhaltenen 
„Lecithinglukosen“ feststellen. Bisher habe ich diese Versuche 
noch nicht ausführen können. Sehr erschwert werden alle 
diese Untersuchungen durch die leichte Spaltbarkeit der Lecithin- 
glukose. Wenn man die trockene Substanz in wasserhaltigem 
Äther löst, so scheidet sich beim Stehen der Lösung ganz all- 
mählich — innerhalb 1—2 Tagen — ein Teil des Trauben- 
zuckers ab, der leicht als solcher identifiziert werden kann. 
Lecithin läßt sich in dem Niederschlag nicht nachweisen. Läßt 
man diese ätherische Lösung auf dem Wasserbade verdunsten, 
so kann die Spaltung eine vollständige werden, indem der Rück- 
stand dann eine fast völlige Trennung von Lecithin und Glukose 
zeigt. Nimmt man jetzt den Rückstand in Benzol auf, so gehen 
nur noch Spuren oder gar kein Zucker mehr ins Benzol über, 
so daß die Benzollösung nur noch schwach oder gar nicht 
reduziert, und durch Zusatz von absolutem Alkohol eine sehr 
geringe oder keine Fällung mehr entsteht. 

Wenn man diese Versuche nicht mit der isolierten Lecithin- 
glukose, sondern, wie es Bing ausschließlich getan hat, mit 
dem Ätherauszug des ursprünglichen alkoholischen Abdampfungs- 
rückstandes oder mit dem Benzolauszug anstellt, so fällt eben- 
falls ein Teil des Traubenzuckers aus. Die Abscheidung der 
Glukose beginnt aber viel rascher, als dies bei der Äther- oder 
Benzollösung der reinen Lecithinglukose der Fall ist. Schon 
nach 1—2 Stunden, oft — je nach den angewandten Mengen — 
noch früher kann man eine Ausscheidung von Traubenzucker 
wahrnehmen; ja bisweilen beginnt dieselbe, wie oben beschrieben, 


90 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


schon, bevor noch der ganze alkoholische Abdampfungsrückstand 
völlig gelöst ist. — Nach einigen Stunden scheint zunächst die 
Abscheidung beendet zu sein; nach Ablauf von 1—2 Tagen 
jedoch hat die Menge des Niederschlages deutlich zugenommen. 
Diese Beobachtung macht es wahrscheinlich, daß ein Teil des 
im Benzol oder Äther übergegangenen Traubenzuckers mit dem 
Lecithin gar nicht in feste Verbindung tritt, und daher sehr bald 
wieder ausfällt, während der an das Lecithin herantretende 
Anteil sich später durch Spaltung der Lecithinglukose zum Teil 
auch wieder abscheidet. Jedenfalls darf man quantitative Be- 
stimmungen über die Glukosemenge, die im Lecithinzucker vor- 
handen ist, nicht, wie dies Bing bei seinen Versuchen getan 
hat, in dem Ätherextrakt des alkoholischen Abdampfungsrück- 
standes ausführen, ohne diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen; 
und wenn Bing!) zu dem Schluß kommt, daß es mehrere Ver- 
bindungen zwischen Lecithin und Zucker gibt, daß bald mehr, 
bald weniger Moleküle Zucker an jedes Molekül Lecithin ge- 
bunden sind, so mag dies zutreffen; seine Versuche jedoch 
können zur Entscheidung dieser Frage nicht herangezogen werden. 
Es ist unbedingt erforderlich, alle Untersuchungen mit der 
isolierten, rein dargestellten Lecithinglukose selbst auszuführen. 
Die leichte Spaltbarkeit der Lecithinglukose zeigt sich auch darin, 
daß bereits mehrfaches Waschen der Substanz mit Alkohol 
genügt, um eine Spaltung herbeizuführen. — 


Ich habe nun auch versucht, die geschilderten Verhältnisse 
quantitativ zu verfolgen, und führe einen solchen Versuch hier 
an: 5 g Lecithin und 2 g Glukose werden in der beschriebenen 
Weise in Alkohol gelöst, die alkokolische Lösung abgedampft, 
und der Rückstand in 100 ccm Benzol, die sukzessive zugesetzt 
werden, gelöst. Diese Benzollösung zeigte bei der polarimetrischen 
Untersuchung eine Rechtsdrehung von 2,2°/, auf Traubenzucker 
berechnet. Da das angewandte Lecithin selbst rechtsdrehend 
ist und zwar in 5°/, Lösung = 0,7°/, (auf Glukose berechnet) 
rechts dreht, so lassen sich aus dieser Zahl gar keine Schlüsse 
ziehen, zumal wir ja nichts über die spezifische Drehung der 
Lecithinglukose wissen. Nach 12 Stunden wird der innerhalb 
dieser Zeit spontan ausgefallene Traubenzucker auf ein gewogenes 


) Bing, a. a. O. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 91 


Filter gebracht. Seine Menge beträgt 0,38 g. Darnach würden 
also von den angewandten 2 g nur 1,62 g Glukose in nähere 
Relation mit dem Lecithin getreten sein. Das Filtrat wird nun 
mit absolutem Alkohol vorsichtig gefällt, und die gewonnene 
Lecithinglukose nach dem Trocknen über Phosphorpentoxyd ge- 
wogen. Es wurden nur 0,8 g Lecithinglukose isoliert. Die 
Fällung konnte indes keine vollständige sein, da das Filtrat 
derselben noch immer stark reduzierte und sich als phosphor- 
haltig erwies. Erneuter Zusatz von Alkohol gibt keine Fällung 
mehr, und bei Einengung der Lösung tritt wiederum eine 
partielle Spaltung ein, so daß eine weitere quantitative Durch- 
führung des Versuches nicht möglich ist. Eine Reihe anderer 
Versuche führte zu einem ähnlichen Resultat; — es gelingt 
also nicht, auf diesem Wege Aufschlüsse darüber zu erlangen, 
in welchem Verhältnis Lecithin und Traubenzucker sich mit- 
einander verbinden. Die gemachten Beobachtungen zeigen, daß, 
wenn die ursprüngliche Benzollösung sogleich mit absolutem 
Alkohol gefällt wird, die erhaltene Lecithinglukose rein mecha- 
niech beigemengten Traubenzucker enthalten kann. Es ist aber 
andrerseits schwierig, gerade den Zeitpunkt zu treffen, wo der im 
Überschuß gelöste Zucker bereits ausgeschieden, und doch noch 
keine Spaltung der eigentlichen Lecithinglukose eingetreten ist. 

So sehen wir denn, wie kompliziert die Verhältnisse liegen, 
und wie schwierig es ist, zu richtigen Vorstellungen über die 
Vorgänge, welche sich bei der Bildung ‘der Lecithinglukose ab- 
spielen, und über diese selbst zu gelangen. Am wahrschein- 
lichsten erscheint es mir, daß beim Eindampfen alkoholischer 
Lecithin- Traubenzuckerlösungen die beiden Substanzen sich in 
ihren Löslichkeitsverhältnissen derart beeinflussen, daß die Glu- 
kose äther- und benzollöslich wird, aber nicht die Gesamtmenge 
derselben in engere Relation zum Lecithin tritt. 

Daß aber die Lecithinglukose eine echte chemische Ver- 
bindung ist, halte ich nach allen ihren Eigenschaften für sehr 
zweifelhaft. Vielmehr scheint es mir viel plausibler anzunehmen, 
daß hier nur eine sogenannte feste Lösung vorliegt. 

Es kann sich aber auch um sogenannte Molekular- 
verbindungen handeln, wie sie bei zahlreichen organischen 
Substanzen von heterogenstem Charakter bekannt sind; es sei 
an die Pikrinsäureverbindungen der Kohlenwasserstoffe, an die 


92 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


„Kristall-Pyridin- und Nitrobenzolverbindungen“ erinnert, bei 
denen alle Übergänge von lockeren Additionsprodukten bis zu 
ausgesprochen stöchiometrischen Verbindungswerten bekannt sind. 

Schließlich muß auch an die Möglichkeit einer einfachen 
Adsorptionserscheinung gedacht werden, wie sie bei Kol- 
loiden nicht selten sind; denn die hochmolekularen Lipoide, 
wie das Lecithin, stehen den wahren Kolloiden außerordent- 
lich nahe. 


II. Jekorin. 


Das Jekorin stellte ich im wesentlichen nach der Drechsel- 
schen Methode aus Pferdeleber dar. Es wurden stets 6 Pfund 
Leber, die mittels einer Hackmaschine in einen gleichmäßigen 
Brei verwandelt wurden, auf 3 Portionen verteilt, und jede 
Portion mit 1 Liter Alkohol auf der Schüttelmaschine 5—8 
Stunden geschüttelt. Mit dem Rückstand wurde diese Prozedur 
stets noch 3 mal wiederholt, und die vereinigten Alkoholauszüge 
wurden successive im Vakuumapparat bei einer Temperatur 
zwischen 35 und 40° abdestilliert. 

Der Abdampfungsrückstand wurde zur Entfernung von 
Lecithin und Fett mehrere Male mit absolutem Alkohol be- 
handelt, bis derselbe sich nicht mehr färbte, und dann in wasser- 
haltigem Äther (1 Teil Wasser, 3 Teile Äther) aufgenommen. Nach 
24 Stunden — nicht früher, damit der Äther sich vollkommen 
klar absetzt — wird filtriert, und die völlig klare Ätherlösung 
vorsichtig mit absolutem Alkohol versetzt. Das Jekorin fällt 
als weißlich-gelber Niederschlag aus, der sich schnell absetzt, so 
daß die darüber stehende Flüssigkeit sich leicht abgießen läßt. 
Die Substanz wird dann sofort wieder in Äther gelöst und nach 
dem Filtrieren mit absolutem Alkohol gefällt. Nachdem diese 
Prozedur noch 4—6 mal wiederholt worden ist, wird das Jekorin 
mehrere Male mit absolutem Alkohol gewaschen und dekantiert 
und schließlich im Becherglas mit den letzten Resten der an- 
haftenden Flüssigkeit in einen gut vakuumhaltenden Exsikkator 
gebracht und tagelang über Phosphorpentoxyd getrocknet. 

Wenn man besonders darauf achtet, daß die Ätherlösungen 
vor dem Zusatz des absoluten Alkohols völlig klar sind, erhält 
man ein fast weißes Präparat, das in einem möglichst gut 
schließenden Gefäß sich nur ganz wenig gelb färbt. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 93 


Eine Extraktion der Leber mit Aceton vor der Alkohol- 
extraktion, die Meinertz!) empfiehlt, dürfte sicherlich recht 
vorteilhaft sein; ich konnte sie nicht mehr anwenden, da mein 
Material längst dargestellt war, als die Arbeit von Meinertz 
erschien. 


Das auf die geschilderte Weise gewonnene Jekorin zeigt 
alle für dasselbe charakteristische Reaktionen, reduziert sehr 
stark und gibt sehr schön die Reaktion mit ammoniakalischer 
Silberlösung. Die wässerige Lösung ist fast klar; sie zeigt nur 
eine ganz minimale Opaleszenz, die durch Zusatz von Salzsäure 
kaum zunimmt. 


Hervorheben möchte ich die leichte und völlige Löslichkeit 
meines Jekorins in Benzol, die im Widerspruch steht zu der 
Angabe von Siegfried und Mark?), daß das Jekorin in Benzol 
unlöslich ist. Einer freundlichen privaten Mitteilung des Herrn 
Professor Siegfried zufolge wäre diese Differenz dadurch zu 
erklären, daß das von mir dargestellte Jekorin noch bei- 
gemengtes Lecithin enthält. Da ich jedoch meine Substanz sehr 
sorgfältig durch wiederholtes Umfällen und reichliches Waschen 
mit absolutem Alkohol gereinigt habe, und da ich in wässerigen 
Lösungen keinen sicheren Niederschlag durch Platinchlorid zu 
erzielen vermochte, so können dem Jekorin höchstens minimale 
Spuren von Lecithin anhaften. Daß diese geringen Spuren 
die Ursache der leichten und vollständigen Löslichkeit des 
Jekorins in Benzol sein könnten, wäre immerhin auffallend und 
bemerkenswert. 


Die Elementaranalyse meines Jekorins ergab folgende Zahlen. 


C = 55,79 0%, 
H = 4,44 „ 
N = 2,59 „ 
S Ze les 
P S ri 
Na = 3,54 „ 


Zum Vergleich führe ich die Zahlen von Drechsel und 
Siegfried und Mark an. 


) Meinertz, Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 1905. 
» Siegfried und Mark, Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 492. 1906. 


94 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Drechsel. Siegfried u. Mark. 
C = 51,5 o/o 39,7 o 
H = 8,2, 6,4 „ 
N = 29 „ 5,2 „ 
S = 1,45, 2,2 „ 
P = 8,5: ,; 1,9 „ 
Na = 2,72, 5,9 ,„ 


Man sieht, daß die Zahlen nicht nur für die absoluten 
Werte, sondern auch für das prozentuale Verhältnis recht 
wesentlich voneinander abweichen. Bisher zeigen alle von den 
verschiedenen Autoren dargestellten Jekorine so erhebliche Diffe- 
renzen in ihrer elementaren Zusammensetzung, daß schon diese 
Tatsache dafür spricht, daß das Jekorin keine einheitliche Sub- 
stanz sein kann. Das ist aber a priori auch nicht zu erwarten. 
Gemeinsam ist allen Jekorinen, daß sie neben S und Na einen 
Lecithinkomplex enthalten. Wenn man das Jekorin deshalb 
als eine immerhin charakterisierte Substanz ansprechen will, so 
kann dagegen nichts eingewendet werden. Aber ein chemisch 
einheitlicher Körper kann es schon aus dem Grunde nicht sein, 
weil das Lecithin keine einheitliche Substanz ist. Da es je nach 
der Art und der Anordnung der Fettsäureradikale verschiedene 
Lecithine gibt, müssen wir auch die Existenz verschiedener 
Jekorine annehmen. Aber selbst wenn wir von dieser Tat- 
sache, die allein nicht imstande wäre, die sehr erheblichen 
Differenzen in den erhaltenen Analysenzahlen zu erklären, ab- 
sehen, kann das Jekorin als ein einheitliches Produkt nicht auf- 
gefaßt werden, wie dies die Versuche von Meinertz und Sieg- 
fried und Mark!) einwandsfrei beweisen. Und wenn Wald- 
vogel und Tintemann in ihrer neuesten Arbeit?) das Jekorin 
als ein recht gut charakterisiertes chemisches Individuum, aber 
nicht als einen reinen Körper bezeichnen, so ist dies eine con- 
tradictio in adversum; denn ein nicht reiner Körper ist kein 
chemisches Individuum. Überhaupt läßt sich das Jekorin von 
Waldvogel und Tintemann mit dem aller übrigen Autoren 
nicht ohne weiteres vergleichen, weil es nicht aus normalen 


) Meinertz, a.2.0. Siegfried u. Mark, a. a. O. 
» Waldvogel u. Tintemann, Ztschr. f. physiol. Chemie 1906, 
47, Heft 2 u. 3. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 95 


frischen Organen, sondern aus phosphorvergifteten, fettig de- 
generierten, zum allergrößten Teil aber aus autolysierten Lebern 
und anderen Organen (Dauer der Autolyse 128—552 Tage!) 
gewonnen und in anderer Weise dargestellt worden ist (Fällung 
des Jekorins aus wässerigen oder alkoholischen Lösungen durch 
Aceton). So wertvoll auch der Befund der genannten Forscher 
an sich wäre, daß aus autolysierten Lebern mehr Jekorin isoliert 
werden könne als aus normalen Organen, so muß doch andrer- 
seits betont werden, daß bei einer Substanz, wie dem Jekorin, 
dessen genaue chemische Konstitution erst aufgeklärt werden 
soll, die verschiedene Herkunft und Darstellung der Präparate 
nicht ohne weiteres einen Vergleich mit dem in der üblichen 
Weise gewonnenen Jekorin zuläßt. Deshalb dürfen auch die 
Schlußfolgerungen von Waldvogel und Tintemann nur mit 
größter Vorsicht verallgemeinert werden, und die Anschauung 
der Autoren, daß das Jekorin als Sintersubstanz des Protoplas- 
mas anzusehen ist, dürfte vor der Hand wohl sicher nicht all- 
gemein akzeptiert werden. 


Zur Feststellung der elementaren Zusammensetzung des 
Jekorins gehört auch die quantitative Bestimmung des in ihm 
enthaltenen Kohlehydrates.. Daß dieses Traubenzucker ist, war 
auf Grund des Schmelzpunktes des Phenylosazons angenommen 
worden. Da mir die Schmelzpunktsbestimmung des Osazons 
allein nicht ausreichend erschien, um die reduzierende Substanz 
als Glukose zu identifizieren, habe ich auch eine Elementar- 
analyse des Osazons, die bisher nicht gemacht worden war, 
ausgeführt. Die Phenylhydazinverbindung entsteht übrigens 
mit großer Leichtigkeit, ohne daß es nötig ist, die reduzierende 
Substanz durch Säure abzuspalten. 

Die Elementaranalyse zeigte nun in der Tat, daß Glukosa- 
zon vorliegt. 

Substanz 0,2058 g CO: = 0,4593; H:0 = 0,1086 g. 

p 0,1500 g N = 20,3 cem (18°, 756 mm). 

Berechnet: C 60,34, H 6,15, N 15,64. 

Cis H22N40, Gefunden: C 60,87, H 6,44, N 15,54. 
Den Gehalt an Traubenzucker habe ich durch quanti- 


tative Reduktionsbestimmungen (und zwar durch Wägung des 
Kupferoxyduls) ermittelt. Wenn man die Substanz direkt mit 


96 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Fehlingscher Lösung behandelt, so ist die Reduktion erheblich 
geringer als nach vorheriger Spaltung mit Säure). 

Ich fand in 0,1 g Jekorin 0,01 g (das Mittel von drei gut 
übereinstimmenden Versuchen) Glukose. Nach vorausgegangener 
Abspaltung des Zuckers durch Kochen mit 5°, HsSO, am 
Rückflußkühler erhöht sich dieser Wert fast auf das Doppelte, 
nämlich auf 0,0182 g. Das von mir dargestellte Leber-Jekorin 
enthält also 18,2°/u Traubenzucker. 

Von besonderer Wichtigkeit erschien es mir, die Gär- 
fähigkeit des Jekorins zu prüfen, zumal die Angaben hierüber 
verschieden lauten. Jacobsen’), der zuerst die Gärfähigkeit 
des Leber-Jekorins untersucht hat, sagt, daß das Jekorin wohl 
gären kann, wenngleich nicht so gut, als wenn die Jekorin- 
lösung vorher mit Säure invertiert und hierauf neutralisiert 
worden ist. Meinertz?) hingegen gibt an, daß es ihm niemals 
gelang in der wässerigen Jekorinlösung durch Hefe eine Gä- 
rung zu erzielen. Bei beiden Autoren vermißt man die Angabe, 
welche Konzentration die zu den Gärungsversuchen benutzten 
Jekorinlösungen hatten. Denn es ist einleuchtend, da ja das 
Jekorin nur kleine Mengen Traubenzucker enthält, daß bei einer 
zu geringen Konzentration ein positiver Ausfall der Gärungsprobe 
überhaupt nicht zu erwarten ist, ein negatives Resultat also 
nicht gegen die Gärfähigkeit des Jekorins sprechen würde. In 
1 g Jekorin beispielsweise lassen sich, wie aus meinen obigen 
Mitteilungen hervorgeht, vor der Spaltung mit Säure nur 0,1 g 
Zucker durch die Reduktionsbestimmung nachweisen. Eine 
1°/, ige Jekorinlösung würde also für den Gärungsversuch einer 
0,1°/,igen Glukoselösung entsprechen. Dies ist etwa gerade 
die kleinste Menge, welche durch die Gärung noch nach- 
gewiesen werden kann. Ein absolut eindeutiges Resultat wird 
man aber mit einer 0,1°/,igen Zuckerlösung bei der gewöhn- 


— 





ı) Wenn trotzdem das Osazon ohne vorhergehende Hydrolyse sehr 
reichlich entsteht, so handelt es sich entweder um eine Spaltung durch 
die bei der Osazondarstellung angewandte Essigsäure, oder um eine Ver- 
drängung eines anderen Restes durch Phenylhydrazin; derartige Ver- 
drängungen sind öfter beobachtet, vergl. C. Neuberg, Ber. d. dtsch. chem. 
Ges. 82, 2397. 1899 und Physiologie der Pentosen u. d. Glukuronsäure 
Ergebnisse der Physiologie 8, 409. 1904. 

» Jacobsen, Skandin. Archiv. f. Physiol. 6, 1896. 

» Meinertz, a.a. O. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 97 


lichen Anstellung der Gärungsprobe kaum erhalten, da nur zu 
leicht die Hefe für sich kleine Mengen von Gas entwickelt. — 
Hier ist die Anwendung des Lohnsteinschen Apparates, der 
auch geringere Mengen recht exakt anzeigt, bei gleichzeitiger 
Anstellung der entsprechenden Kontrollversuche, sehr zu emp- 
fehlen. Ich fand nun, daß eine 1°/,ige Jekorinlösung im 
gewöhnlichen Gärungsröhrchen niemals eine sichere Gärung 
zeigte. Im Lohnsteinschen Apparat jedoch erhielt ich stets 
eine geringe Gärung, die 0,04—0,06°/, Zucker anzeigte. — 

Mit einer 2°/, igen Jekorinlösung konnte ich auch bei der 
gewöhnlichen Anstellung der Probe regelmäßig deutliche CO;- 
Entwicklung konstatieren. Die Versuche wurden mit allen 
Kautelen ausgeführt, um Bakterienwirkung sicher auszuschließen, 
ebenso habe ich stets die nötigen Kontrollversuche gemacht und 
das gebildete Gas sicher als CO; identifiziert. Bei noch höheren 
Konzentrationen, bei 3 bis 4 bis 5 °/nigen Jekorinlösungen ist die 
Gärung so ausgesprochen, daß ein Zweifel an der Gärfähigkeit 
des Jekorins nicht bestehen kann. 

Es könnte allerdings der Einwand erhoben werden, daß 
die Gärung nicht durch das Jekorin selbst, sondern nur durch 
beigemengten Traubenzucker hervorgerufen ist, eine Anschauung, 
die von Waldvogel und Tintemann!) vertreten wird. Diese 
Forscher betonen, daß es ihnen nicht gelang das Jekorin zu 
vergären, ohne indes über die bei ihren Gärungsversuchen an- 
gewandten Mengen irgend welche Angaben zu machen. — Nach 
ihren eigenen Mitteilungen haben sie jedoch sehr häufig positive 
Gärungsproben mit dem Jekorin erhalten. Als Beweis, daß 
diese Gärung aber nicht auf Jekorin, sondern lediglich auf 
Verunreinigungen mit Traubenzucker zu beziehen sei, führen 
sie mehrere Punkte an. 

Erstens fanden sie diese „Verunreinigungen mit Trauben- 
zucker“ dann, wenn sie zur Fällung des Jekorins nicht die 
3— 4 fache Menge Aceton — wie gewöhnlich — sondern die 
7—8 fache Menge verwandten. — Diese Angabe ist auffallend; 
denn es ist zwar denkbar, müßte aber erst bewiesen werden, 
wieso der Traubenzucker aus einer wässerigen oder alkoholischen 
Lösung durch Zusatz einer 3—4fachen Menge Aceton nicht 


ı) Waldvogel u. Tintemann, a.a. O. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 7 


98 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


gefällt werden soll, während dies bei der 7—8 fachen Menge 
Aceton der Fall ist. 

Zweitens betonen Waldvogel und Tintemann, daß sie 
solche mit Traubenzucker verunreinigten Jekorine daran er- 
kannten, daß sie, mit Hefe vergoren, eine starke CO,-Entwick- 
lung lieferten. Es fehlt aber der Beweis, daß diese CO;- 
Entwicklung nicht durch das Jekorin hervorgerufen ist! Wenn 
man feststellen will, ob eine Substanz gärt, kann man doch 
nicht von vornherein einen positiven Ausfall der Gärungsprobe 
als einen Beweis dafür ansehen, daß die Substanz mit Trauben- 
zucker verunreinigt ist! — Weiterhin wird noch als Erkennungs- 
zeichen der mit Glukose verunreinigten Jekorine angegeben, 
daß sie nicht wie das reine Jekorin in schönen weißen, sich 
schnell absetzenden Flocken ausfielen, sondern daß am Boden 
sich ein braunschwarzer Sirup absetzte.. — Diese Beobachtung 
kann man auch mitunter bei der gewöhnlichen Darstellung des 
Jekorins machen, man überzeugt sich aber stets, daß nach 
Lösung dieses Sirups und erneuter Fällung das Jekorin in der 
normalen Weise ausfällt. Wodurch diese Verhältnisse bedingt 
sind, läßt sich schwer mit Sicherheit sagen, ebensowenig wie 
wir die so oft beobachtete Tatsache einwandsfrei erklären 
können, daß für gewöhnlich kristallinisch ausfallende Substanzen 
bisweilen amorph oder selbst als Schmieren gefällt werden. 
Wahrscheinlich sind es rein physikalische Momente, wie die 
Konzentrationsverhältnisse der Lösung, die die Hauptrolle dabei 
spielen. — Jedenfalls kann dieser Befund von W. u. T. nicht 
als Beweis für eine Verunreinigung des Jekorins mit Trauben- 
zucker angesprochen werden. 

Endlich schließen die Autoren auf eine Beimengung von 
Glukose daraus, daß sie bisweilen bei der quantitativen Reduk- 
tionsbestimmung der Jekorine größere Werte erhielten, als dies 
meist der Fall war. — Auch dieses Glied der Beweisführung 
scheint mir nicht stichhaltig zu sein. — Wir wissen ja, daß 
die verschiedenen Jekorine sich hinsichtlich ihres Reduktions- 
vermögens sehr ungleich verhalten; gibt es doch sogar Jekorine, 
die überhaupt keine reduzierende Substanz enthalten (z. B. das 
Jekorin aus Nebennieren). Nun haben aber gerade Waldvogel 
und Tintemann nicht ein bestimmtes Jekorin — wie die 
anderen Autoren und ich selbst (das Jekorin aus der Pferde- 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 99 


leber), — sondern Jekorine von verschiedener Herkunft (Hunde- 
leber, Hundemilz, Menschenleber, Menschenherz) untersucht, 
die noch dazu nicht aus frischen, sondern aus degenerierten 
oder lange autolysierten Organen gewonnen waren. — Daß bei 
diesen verschiedenen jekorinähnlichen Substanzen auch einmal 
besonders hohe Reduktionswerte gefunden werden, kann nicht 
verwundern, und spricht noch nicht dafür, daß dieselben durch 
beigemengten Traubenzucker veranlaßt sind. 

Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß die von 
den genannten Autoren dargestellten Jekorine nicht wirklich 
durch beigemengten Zucker verunreinigt waren. Ihre von der 
gewöhnlichen abweichende Darstellungsmethode (Fällung des 
Jekorins aus wässeriger Lösung durch Aceton) läßt solche Ver- 
unreinigung wohl möglich erscheinen. Aber die Kennzeichen, 
an denen W. und T. solche Beimengungen erkannt haben 
wollen, können nicht als solche angesprochen werden, und 
ihre Untersuchungen beweisen also keineswegs, daß eine Gärung 
des Jekorins auf Verunreinigung mit Glukose zu beziehen ist. 

Daß das von mir dargestellte Jekorin, das wiederholt um- 
gefällt und reichlich mit Alkohol gewaschen wurde, mechanisch 
beigemengten Traubenzucker enthält, erscheint in hohem Maße 
unwahrscheinlich. Ich glaube daher, daß die Gärung, welche 
man mit Jekorinlösungen von nicht zu geringer Konzentration 
erhält, durch das Jekorin selbst veranlaßt wird. — Dagegen 
spricht keineswegs der Umstand, daß es niemals gelingt, 
die ganze reduzierende Substanz zu vergären. Es ist vielleicht 
die Bindung des Traubenzuckers im Jekorin eine derartige, 
daß erst eine Spaltung stattfinden muß, die ihrerseits aber 
nicht zu Ende geht, analog dem Verhalten mancher Glukoside 
(z. B. des Koniferins), die durch Enzyme (z. B. Emulsin) nur 
langsam und unvollständig zerlegt werden. 

Stärkere chemische Eingriffe, wie z. B. eine Säurehydrolyse, 
machen aber die Kohlehydratgruppe des Jekorins der Zymase in 
erhöhtem Grade zugänglich, denn nach Spaltung des Jekorins 
mittels 5°, Ha SO, und Neutralisation der Lösung ist die Gärung 
eine weit stärkere. 

Die mitgeteilten Untersuchungen über das Leberjekorin sind 
bei weitem nicht ausreichend, um uns über die Konstitution des 
Jekorins genügende Aufschlüsse zu geben. Es wird bei weiteren 

71 


100 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


Forschungen vor allem notwendig sein, den bisher recht wenig 
berücksichtigten S- und Na-Gehalt des Jekorins näher zu 
studieren. Zweifellos sind Schwefel und Natrium integrierende 
Bestandteile des Jekorins; ihre Menge ist viel zu erheblich, wie 
die verschiedenen angeführten Analysen zeigen, um als Verunreini- 
gungen betrachtet zu werden. Versuche, die ich über die Natur des 
im Jekorin enthaltenen Schwefel bereits begonnen habe, haben 
zu einem einheitlichen Resultat bisher nicht geführt. Die Ver- 
suche sollen später von mir fortgesetzt werden. 

Schon der konstante Gehalt des Jekorins an S und Na 
beweist m. E., daß das Jekorin nicht einfach als Lecithinzucker 
angesehen werden kann. 

Dieser unterscheidet sich weiterhin ganz wesentlich von 
dem Jekorin dadurch, daß die Glukose sich nur in ganz locke- 
rer Bindung befindet, so daß die Lecithinglukose, wie ich 
früher ausgeführt habe, wahrscheinlich gar keine chemische 
Verbindung darstellt, Lecithin und Traubenzucker vielmehr sich 
nur in lockerer Bindung, resp. in Form einer festen Lösung 
befinden. Demgegenüber sind zweifellos im Jekorin Glukose 
und Lecithin in festerer Bindung, wenn wir auch über die Art 
dieser Bindung bisher nichts Sicheres aussagen können. — 
Während der Lecithinzucker ungemein leicht gespalten wird, ja 
die Abspaltung des Zuckers schon beim Waschen mit Alkohol, 
sogar schon beim Stehen der Lösungen erfolgt, ist der Trauben- 
zucker im Jekorin so fest verankert, daß er nur in geringem 
Umfange vergärt, und daß es, wie auch Meinertz!) festgestellt 
hat, nicht gelingt, durch wiederholtes Umfällen mit Alkohol 
eine Abspaltung desselben zu erzielen. 


II. Zur Frage des physikalischen Verhaltens des 
Zuckers im Blute. 


Wie ich früher ausgeführt habe, ist von einigen Forschern 
die Anschauung entwickelt, daß der Zucker nicht frei, sondern 
größtenteils an Lecithin gebunden, als Jekorin, im Blute kreist. 

Ich glaube im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt zu haben, 
daß die Versuche, welche die genannten Autoren für diese 
Anschauung beigebracht haben, nichts zugunsten derselben 


') Meinertz, a. a. O. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin. und Blutzucker. 101 


beweisen können, da sie sich lediglich auf quantitative Bestim- 
mungen der in den Ätherextrakt des Blutes übergehenden 
reduzierenden Substanz stützen. 

Wenngleich Jekorin und Lecithinzucker mancherlei Ähnlich- 
keiten in ihren Reaktionen aufweisen, die sich einfach dadurch 
erklären lassen, daß beide Lecithin und Traubenzucker ent- 
halten, so kann doch, wie ich bereits betont habe, von 
einer Identität beider schon deshalb keine Rede sein, weil die 
Bindungsverhältnisse zwischen Lecithin und Zucker total ver- 
schieden sind. 

Immerhin ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, daß im Organismus zwischen Lecithin und Zucker eine 
festere Bindung zustande kommt, als wir sie außerhalb des 
Körpers synthetisch herstellen können, indem dann aber gleich- 
zeitig Schwefel und Natrium sich mit dem Lecithin verbinden. 
Nun haben aber alle bisher ausgeführten Dialysierversuche — 
ich denke vor allem an die Experimente von Schenk!) aus dem 
Jahre 1890 — gezeigt, daß der Zucker aus dem Blut bis zum 
Gleichgewicht zwischen Innen- und Außenflüssigkeit diffundiert, 
und man hat infolge dieser Ergebnisse den Schluß gezogen, daß 
der Zucker im Blute frei gelöst ist, und nicht in gebundenem 
Zustand vorhanden sein kann. In neuester Zeit hat L. Asher) 
diese Dialysierversuche wieder aufgenommen. Seine Versuche 
unterscheiden sich von den früheren im wesentlichen dadurch, 
daß er nicht gegen Wasser, sondern gegen Blut, das durch Ver- 
gärung zuckerfrei gemacht war, dialysiertee Auch Asher hat 
durch seine mit allen Kautelen ausgeführten Versuche fest- 
stellen können, daß der Blutzucker aus dem Blut durch Diffu- 
sion verschwindet, und zwar auch dann, wenn die Außenflüssig- 
keit selbst wieder Blut gleicher Zusammensetzung, abgesehen 
vom Zuckergehalt, ist. Er kommt daher ebenfalls zu dem Schluß, 
daß physikalisch-chemisch der Zucker sich in freigelöstem Zu- 
stand im Blute befindet. 

Gegen die Ashersche Schlußfolgerung läßt sich nun aber 
ein gewichtiger Einwand erheben. Wenn nämlich der Zucker 
im Blute gebunden ist, so muß man sich natürlich vorstellen, 


) Schenk, Pflügers Archiv 47, 1890. 
» L. Asher, Zentralbl. f. Physiol. 1905, No. 14. 


102 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


daß er je nach Bedarf aus seiner Bindung abgespalten werden 
kann. Nach allen unseren Vorstellungen müssen wir dann 
annehmen, daß im Blute ein Ferment vorhanden ist, das den 
Zucker aus dem Jekorin abspaltet. Es könnte nun sehr wohl 
möglich sein, daß dieses zuckerabspaltende Ferment während 
des Dialysierprozesses dauernd wirksam ist, so daß schließlich der 
Zucker, trotzdem er ursprünglich gebunden ist, aus dem Blute 
durch Diffusion verschwinden kann. 

Ich glaube daher, die Schlußfolgerung, daß der Zucker 
frei gelöst im Blute zirkuliert, erst dann als bewiesen ansehen 
zu dürfen, wenn der Nachweis geführt ist, daß ein zucker- 
abspaltendes Ferment im Blute nicht existiert. 

Da für die Annahme einer Bindung des Zuckers in erster 
Linie die Bindung an Lecithin, also das Jekorin, in Betracht 
kommt, war vor allem festzustellen, ob durch die Einwirkung von 
Blut das Jekorin seinen Zucker abspaltet. 

Ich habe deshalb eine Reihe von Versuchen angestellt, die 
diese Frage entscheiden sollten. Bei allen Untersuchungen über 
das Vorkommen eines bestimmten Fermentes im Blute hat 
man von vornherein mit zwei Schwierigkeiten zu rechnen, die 
sich nicht völlig umgehen lassen. Will man das Blut als 
solches, und nicht seine Komponenten, Blutserum und Blut- 
körperchen, untersuchen, so muß man darauf bedacht sein, die 
Gerinnung des Blutes zu verhindern. Dies geschieht am zweck- 
mäßigsten durch Zusatz von gerinnungshemmenden Substanzen. 
Von diesen kann man aber nicht mit Sicherheit wissen, ob sie 
nicht gerade auf das gesuchte Enzym schädigend einwirken, 
beziehungsweise seine Wirkung ganz aufheben. 

Benutzt man andrerseits Blutserum, so ist die Möglichkeit 
nicht auszuschließen, daß das betreffende Ferment bei der Ge- 
rinnung des Blutes durch die Blutkörperchen mitgerissen wird. - 

Was den ersten Punkt betrifft, so besitzen wir in dem 
Fluornatrium ein Mittel, das schon in sehr geringer Menge die 
Blutgerinnung aufhebt und gleichzeitig das Manifestwerden des 
glykolytischen Fermentes verhindert. Es ist also nicht ausge- 
schlossen, daß auch das supponierte zuckerabspaltende Ferment 
durch Fluornatrium unwirksam gemacht wird. Trotzdem durfte 
mir a priori in meinen Versuchen ein negativer Ausfall derselben 
beweisend für die Abwesenheit eines jekorinspaltenden Fermentes 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 103 


erscheinen. Asher hat nämlich bei seinen besprochenen Dialpsier- 
Versuchen das zu dialysierende Blut mit Fluornatrium versetzt. 
Da nun der Zucker dieses Fluornatriumblutes bei der Dialyse 
aus dem Blut verschwindet, so muß er entweder frei gelöst 
sein, oder es kann, wenn der Zucker gebunden ist, das in 
diesem letzteren Falle notwendig vorhandene zuckerabspaltende 
Ferment durch das Fluornatrium in seiner Wirkung nicht 
beeinträchtigt werden. 

Was den zweiten Punkt betrifft, so dürfte es von vorn- 
herein als ziemlich sicher angesehen werden, daß man das suppo- 
nierte Ferment im Blutserum finden müsse; und die angedeutete 
Möglichkeit, daß es bei der Gerinnung des Blutes von den 
Blutkörperchen mitgerissen würde, war nach allen Erfahrungen 
als sehr gering zu veranschlagen. Ich habe nun bei meinen 
Versuchen beide Verfahren benützt. — Die Versuche wurden 
unter den größten Kautelen ausgeführt; sämtliche mit dem 
Blut und dem Jekorin in Berührung kommenden Gefäße und 
Instrumente wurden sorgfältigst sterilisiert, um jede Bakterien- 
wirkung sicher ausschließen zu können. Ich benützte für die 
Versuche Hundeblut, das ich direkt aus einer Arterie des Tieres 
(ohne Narkose operiert) in das vorbereitete sterile Gefäß hinein- 
fließen ließ. 

Ich möchte nicht verfehlen, Herrn Dr. Bickel, dem Vor- 
steher der experimentell-biologischen Abteilung des pathologischen 
Institutes, der so liebenswürdig war, die Operation jedesmal 
persönlich vorzunehmen, für seine bereitwillige Hilfe auch an 
dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen. 

Es wurde eine bestimmte Menge Blut dem in physiologischer 
Kochsalzlösung gelösten Jekorin oder dem Jekorin in Substanz 
zugesetzt, und die Lösungen 24 Stunden bei einer Temperatur 
von 35° im Brutschrank belassen. 

Zur Kontrolle wurden stets dieselbe Quantität Blut ohne 
Jekorin und dieselbe Menge Jekorin ohne Blut lediglich mit 
dem nötigen Zusatz von physiol. ClNa-Lösung, um die gleichen 
Mengenverhältnisse zu erhalten, gleichzeitig in den Brutschrank 
gebracht und ebenfalls nach 24 Stunden herausgenommen. 
Die Zuckermenge habe ich nicht durch Reduktionsbestimmungen, 
sondern durch quantitative Gärungsbestimmungen im Lohnstein- 
schen Apparat bestimmt, nachdem ich ja schon vorher fest- 


104 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


gestellt hatte, daß das Jekorin als solches nur ganz schwach 
gärt, nach Spaltung mit Säure indes erheblich stärkere Gärung 
zeig. Zu bemerken habe ich noch, daß in denjenigen Ver- 
suchen, in denen ich Fluornatriumblut verwendete, dem mit 
Blut zu beschickenden, gut verschließbaren Gefäß vorher so 
viel Fluornatrium in Substanz zugesetzt wurde, daß eine 
0,2 °/sige Lösung entstand. Von diesem Fluornatriumblut 
wurden dann mittels sterilisierter Pipetten 10—20 ccm dem 
vorbereiteten Jekorin zugesetzt, so daß die einzelnen Proben 
nur sehr kleine Mengen Fluornatrium enthielten. Bevor die 
Flaschen in den Brutschrank gestellt wurden, wurde zu jeder 
1 Tropfen Toluol zugesetzt, nachdem ich mich vorher durch 
quantitative mit reinen Traubenzuckerlösungen ausgeführte Ver- 
suche überzeugt hatte, daß dieser geringe Toluolzusatz die 
Gärung nicht im geringsten beeinflußt. 


Zuckergehalt 
nach 24stünd. 
Versuch I. en 
Lösung von 1 g Jekorin in 20 ccm en Cl Na- 
Lösung + 20 cem Blut . . . 0,18 °% 
Lösung von 1 g Jekorin in 20 ccm CINa- Lösung 
+ 20 ccm ClNa-Lösung . . . Eee WIR: 
20 ccm Blut + 20 ccm CINa- Lösung ee 008, 
Versuch II. 
Lösung von 0,5 g Jekorin in 10 ccm phys. ClNa- 
Lösung + 10 cem But . . . . 0,15 „ 
Lösung von 0,5 g Jekorin in 10 ccm CINa. isine 
+ 10 ccm CINa-Lösung . . noa a a, OD 
10 cem Blut + 10 ccm CINa- Löne awu da e SE 
Versuch III. 
0,1 g Jekorin direkt gelöst in 10 ccm Blut . . . 019, 
0,1 g Jekorin gelöst in 10 ccm ClNa-Lösung . . . 0,05 „ 
10 cem But . . 2 2 2 2 2 2 2 2 2.2... 018, 
Versuch IV. 
0,3 g Jekorin gelöst in 20 cem Blut . . . . . 0,22, 


0,3 g Jekorin gelöst in 20 ccm ClNa-Lösung . . . 0,08 
20 cem Blut . . 2 Su cu See ee 013 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 105 


Versuch V. Zuckergehalt 


nach 24sttind. 
Lösung von 0,2 g Jekorin in 10 ccm CINa-Lösung Direto 
+ 10 cem Blutserum . . . 0,08 % 
Lösung von 0,2 g Jekorin in 10 ccm CINa- Lösung 
+ 10 cem ClNa-Lösun . . . . . . 004, 
10 ccm Blutserum + 10 cem ClNa- Leane . . . 008, 
Versuch VI. 
0,5 g Jekorin in 10 ccm Blutserum . . OR , 
0,5 g Jekorin gelöst in 10 ccm CINa- Doig: s w 20,8 5 
10 ccm Blutserum. . . 2. 2 2 2 2 2.2.0..015 „ 


Unter Berücksichtigung der vorhergehenden Aus- 
führungen zeigen die vorstehenden Zahlen in aller 
Eindeutigkeit, daß durch die Einwirkung von Blut 
kein Zucker aus dem Jekorin abgespalten wird. Es 
muß also die Existenz eines aus dem Jekorin zucker- 
abspaltenden Fermentes im Blute in Abrede gestellt 
werden. Mithin würden meine Versuche gegen die 
Annahme sprechen, daß der Zucker im Blute in ge- 
bundenem Zustande, als Jekorin, vorhanden ist. 

Ich gebe allerdings zu, daß die Versuche vielleicht nicht 
völlig beweisend sind. Man könnte nämlich einwenden, daß 
ich das Blut nicht auf Blutjekorin, sondern auf Leberjekorin 
habe einwirken lassen; denn es ist nicht undenkbar, daß das 
Blutjekorin sich anders als das Leberjekorin verhält. Auch der 
Einwand könnte erhoben werden, daß ich nicht Jekorin und 
Blut von derselben Tierspezies angewendet habe, da ich ja aus 
Pferdeleber gewonnenes Jekorin und Hundeblut benützt habe. 
— Ob diese Einwände berechtigt sind, kann nur durch das 
Experiment entschieden werden. 

Vor allem erscheint es notwendig, die Untersuchungen über 
das Jekorin nicht nur auf das Leberjekorin zu beschränken, 
sondern auch die aus andern Organen stammenden Jekorine 
genauer zu studieren, als dies bisher geschehen ist, und be- 
sonders das Blutjekorin, das seit Baldi überhaupt nicht mehr 
dargestellt worden ist, eingehender zu untersuchen. Baldi hatte 
festgestellt, daß das aus Pferdeblut gewonnene Jekorin ebenso 
wie das Leberjekorin stark reduziert. Eigene Untersuchungen, 
die ich mit dem Blutjekorin bereits in Angriff genommen habe 


106 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 


und später fortzusetzen beabsichtige, haben bereits ein bemerkens- 
wertes Faktum ergeben. Es hat sich nämlich gezeigt, daß 
Jekorin, welches ich aus Rinderblut dargestellt habe, keine 
reduzierende Eigenschaft besitzt. Es ist einleuchtend, daß dieser 
Befund gerade für die Frage, ob der Zucker als Jekorin im 
Blute kreist, von großer Bedeutung ist. Weitere Forschungen 
müssen zeigen, ob wirklich das Blutjekorin verschiedener Tier- 
spezies, wie es den Anschein hat, sich hinsichtlich seiner Zucker- 
gruppe ganz verschieden verhält, oder ob vielleicht der Kohlen- 
hydratkomplex des Jekorins eine vollkommen inkonstante Größe 
ist. — Es könnte ja sein, daß der Gehalt an Traubenzucker 
von verschiedenen Momenten, z. B. von den Ernährungsver- 
hältnissen abhängig ist. Man müßte also den Kohlenhydrat- 
gehalt des Jekorins unter den verschiedensten Ernährungsbe- 
dingungen quantitativ bestimmen, man müßte das Jekorin von 
Hungertieren, von phloridzin-diabetischen und von pankreas- 
diabetischen Tieren untersuchen und wird auf diese Weise 
vielleicht manche wichtigen Aufschlüsse erlangen. 

Auch das Verhalten des Jekorins zu den Fermenten ist für 
die hier aufgerollten Fragen von Bedeutung, und von speziellem 
Interesse dürfte es sein festzustellen, ob durch bestimmte 
Fermente der Zucker aus dem Jekorin abgespalten werden kann. 
Untersuchungen, die ich nach dieser Richtung begonnen habe, 
haben für das Emulsin gezeigt, daß dieses Ferment keinen 
Zucker aus dem Jekorin abspaltet. 

So ergeben sich denn aus den mitgeteilten Untersuchungen 
eine Reihe von neuen Fragestellungen, durch deren Bearbeitung 
auch die Frage, ob der Zucker in freiem Zustande oder gebunden 
im Blute vorhanden ist, von neuen Gesichtspunkten aus be- 
leuchtet werden kann. —- 


Anhang. 


Da Kyes!) festgestellt hat, daß das Lecithin sich nach Art 
eines Komplementes mit dem Kobragift verbindet, war es nahe- 
liegend, auch die Beziehungen des Jekorins und der von mir 
dargestellten Lecithinglukose zu dem Kobragift zu studieren. 
Ich habe diese Untersuchungen gemeinschaftlich mit Herrn 


') Kyes, Berl. klin. Wochenschr. 1902, 38 u. 39. 


P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 107 


Professor Morgenroth ausgeführt. Es stellte sich heraus, daß 
eine Lösung von Jekorin in physiologischer Kochsalzlösung 
Kobragift genau so aktiviert wie Lecithin selbst, ohne daß 
zwischen dem Verlauf der Kobragifthämolyse mit Lecithin und 
mit Jekorin ein Unterschied wahrzunehmen war. 

Auch die klare, neutral reagierende Lösung von Lecithin- 
zucker in physiologischer Kochsalzlösung aktiviert Kobragift. 
Während aber die Hämolyse von Kaninchenblut durch frische 
Gemische von Kobragift und Lecithin auch bei erheblichem 
Lecithinüberschuß nur langsam eintritt, erfolgt sie durch ein 
frisch bereitetes Gemisch von Kobragift und entsprechenden 
größeren Mengen der Lecithinglukose bei Zimmertemperatur in 
wenigen Minuten — eine Beschleunigung, die nicht etwa auch 
durch Zusatz von Traubenzucker zur Lecithinlösung zu erzielen 
ist. Es besteht also zwischen dem Verlauf der Kobragifthämolyse 
mit Lecithin und mit Traubenzuckerlecithid ein charakteristischer 
Unterschied, so wie ihn Kyes!) beim Vergleich der Hämolyse 
durch Kobragift-Lecithingemische einerseits und durch das von 
ihm dargestellte Kobralecithid andrerseits beobachtet hat. Kyes 
bezieht diese Differenz auf die zur Bildung des eigentlichen 
toxischen Agens, des Lecithids, notwendige Zeit. Wir müssen 
demnach der Lecithinglukose eine dem Lecithin gegenüber erhöhte 
Reaktionsfähigkeit mit dem Kobrahämolyesin zuschreiben, an der 
vielleicht deren bessere Löslichkeit beteiligt ist. Bemerkenswert 
ist auch, daß die Toxizität der Lecithinglukose an und für sich 
Kaninchenblut gegenüber eine erheblichere ist als die der 
käuflichen Lecithinpräparate.e Die Hämolyse erfolgt rascher und 
durch Mengen von (berechnet) geringerem Lecithingehalt. 

Wir beabsichtigen, die Beziehungen der Substanz zum 
Kobragift noch genauer zu untersuchen. 


') Kyes, Berl. klin. Wochenschr. 1903, 42—43. 


Über das Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


Von 
Dr. K. Willanen aus Petersburg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 12. Mai 1906.) 


Ovomukoid, das fast gleichzeitig von Neumeister’), 
E. Salkowski?) und C. Th. Mörner”) entdeckt und beschrieben 
worden ist, stellt einen wichtigen Bestandteil des Eierklars dar. 

Seit seiner Entdeckung ist es schon Gegenstand einiger 
Untersuchungen gewesen, in denen man seine chemische 
Konstitution aufzuklären versuchte. 

Bekanntlich kann man diese Substanz auf verschiedenem 
Wege darstellen. 

Neumeister bereitete sein „Pseudopepton“ durch Sättigung 
des Filtrats von auskoagulierter wässeriger Eierklarlösung mit 
Ammoniumsulfat, Behandlung des Niederschlages mit Alkohol 
und Ausziehen desselben mit Wasser; E. Salkowski durch 
Eindampfen des Filtrats der auskoagulierten Eierklarlösung zur 
Trockne als bräunlich gefärbten Rückstand, andererseits durch 
Fällung des eingeengten Filtratse mit Alkohol und Waschung 
mit Äther „als äußerst zartes weißes Pulver, welches sich 
reichlich in Wasser löst‘; er bezeichnete sein Präparat ‚als 
eigentümliche Albumose, die ihre physikalischen Eigenschaften 


1) Neumeister, Zeitschr. f. Biol. 27; 1890, S. 369. 

» E.Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1893, S. 513 u. 706. 

») C. Th. Mörner, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1893, S. 705 und 
Zeitschr. f. physiol. Chemie, 18, S. 525 (1894). 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 109 


verändern kann“. C. Mörner stellte sein Ovomukoid, unab- 
hängig von E. Salkowski, gleichfalls durch Ausfällen des 
oben erwähnten Filtrates mit absolutem Alkohol, Nachwaschen 
mit Äther und Trocknen dar. 

Die Ausfällung mit Alkohol und Behandlung mit Äther 
wird jetzt gewöhnlich zur Darstellung in größeren Mengen des 
Ovomukoids angewendet. Unter diesen Produkten, die auf ver- 
schiedene Art und Weise aus Eierklar entstehen, versteht man 
ein und dieselbe Substanz, von ihren chemischen Eigenschaften 
aus betrachtet. Was die physikalischen Gesichtspunkte an- 
betrifft, so gibt es Unterschiede je nach der verschiedenartigen 
Bearbeitung und Darstellung des Ovomukoids.. Während das 
durch Eindampfen gewonnene Ovomukoid in Wasser fast un- 
löslich ist, und nur zu einer geleeartigen Masse anschwillt, ist das 
durch Alkoholfällung erhaltene leicht löslich. Wie schon die 
oben erwähnten Autoren bemerkten, konnte auch ich mich davon 
überzeugen, daß nach längerer Bearbeitung des gewöhnlich leicht 
löslichen Ovomukoidpulvers mit Alkohol dieses letztere seine 
Fähigkeit, sich in Wasser leicht zu lösen, verliert. Es hatte 
eine in Wasser schwerer lösliche Form angenommen. 

Ich habe auch bemerkt, daß sich dieses Pulver besser und 
in größeren Mengen auflöst, wenn man es allmählich in Wasser 
bringt und nicht gleich größere Mengen hineinwirft. Besonders 
bei heißem oder kochendem Wasser bleibt ein großer Teil un- 
gelöst, der als Klumpen bildende, gelatinöse Masse umher- 
schwimmt. 

Über die chemischen Eigenschaften des Ovomukoids herrscht 
bei allen Autoren dieselbe Meinung. 

Die Ovomukoidlösung gibt positive Biuret- und Millonsche 
Reaktion; betreffs der Adamkiewitzschen Reaktion sind die 
Ansichten geteilt. Mörner und andere haben ein negatives 
Ergebnis erhalten, während Langstein’) immer eine positive 
Reaktion gefunden hat. Er sagt: „vielleicht ist der negative 
Befund in manchen Fällen darauf zurückzuführen, daß der an- 
gewandte Eisessig keine Glyoxylsäure enthielt.‘“ Nach meinen 
eigenen Beobachtungen ist die Reaktion positiv, wenn der Eis- 
essig etwas Glyoxylsäure enthält; aber diese positive Reaktion 


ı) L. Langstein, Hofmeisters Beiträge, III, Heft II, S. 510. 


110 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


war immer sehr schwach, so daß ich nur etwas violettrötliche 
Farbe bekam. Eisessig ohne Glyoxylsäure gab immer ein 
negatives Resultat. 

Das Ovomukoid fällt aus der Lösung beim Kochen und 
durch Einwirkung von vielen eiweißfällenden Körpern nicht aus. 
Es wird durch Mineral-, organische Säuren, Metallsalze, Chlor- 
natrium, schwefelsaures Natrium und Magnesium nicht gefällt; 
nur durch Sättigung mit schwefelsaurem Ammonium, Ansfällen 
durch Alkohol, Tannin, Phosphorwolframsäure und Bleiacetat 
bei Anwesenheit von Ammoniak kann man Ovomukoid aus 
seinen Lösungen erhalten. 

Durch seine Fähigkeit mit Ammoniumsulfat ausgesalzen zu 
werden, unterscheidet sich das Ovomukoid von Peptonen, mit 
denen es einige Ähnlichkeiten hat (deswegen hat Neumeister 
es „Pseudopepton‘ genannt). Infolge seiner chemischen Eigen- 
schaften verhält sich das Ovomukoid wie ein albumosenähnlicher 
Körper, seines reichlichen Gehaltes an reduzierenden Gruppen 
und seiner konstitutionellen Merkmale wie ein Glykoproteid 
bezw. ein Chondroproteid (Langstein). 

Schon Mörner hat im Ovomukoid 12,68°/, Stickstoff, 
2,2% Schwefel und 1,60—2,48°/, Asche gefunden. In Über- 
einstimmung mit diesen Zahlen stehen auch die Elementar- 
analysen von Zanetti’) und Langstein: 

C H N S P 
48,75%, 6,9 % 12,46% 2,22°/o — 
48,94 „ 6,94, — — — 
Langsteins ,, 48,79 „ 6,96, 12,51, 2,23,, Spuren 

In der folgenden Zeit hat Milesi?) dieselbe Substanz durch 
direktes Versetzen des Hühnereiweißes mit einem großem Über- 
schusse von 99°/, Alkohol gewonnen; der gebildete Niederschlag 


Zanettis Zahlen: 


wurde im Vakuum bei gewöhnlicher Temperatur getrocknet und: 


pulverisiert; mit einer geringen Menge kalten Wassers wurde 
dieses Pulver extrahiert und danach aus dieser Extraktions- 
flüssigkeit wieder mit Alkohol ausgefällt. So hat er auch ein 
weißes Pulver dargestellt, das nach Analysen von Langstein 
48,82°/, C, 6,9%, H, 12,41%, N, 2,19°/, S und Spuren von P 
ergab, also mit gewöhnlichem Ovomukoid identisch war. 


ı), Zanetti, Annali di Chimica e di Farmacologia, XXVI, 12, 529. 
») C. Milesi, Bollettino della società medico-chirurgica di Pavia 1898. 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 111 


Diese Angabe beweist, daß Ovomukoid schon im Hühner- 
eiweiß präformiert ist. 

Die Werte der Elementaranalyse des Ovomukoids scheinen 
jetzt endgültig festgesetzt zu sein, nur über den Prozentgehalt 
des Phosphors und die Form des Schwefels ist man sich noch 
nicht im klaren. Milesi hat in einem Präparat 1,65 °/, Phosphor 
gefunden, Langstein in demselben nur Spuren. 

Über die Form des Schwefels im Ovomukoid herrschen 
verschiedene Meinungen. Mörner meint den Schwefel als lose 
gebunden annehmen zu müssen. Zanetti dagegen bemerkt, 
daß bei der Behandlung des Ovomukoids mit Salzsäure ein Teil 
des Schwefels als Schwefelsäure abgespalten wird. ‚Die kalte 
wässerige Lösung des Mukoids gibt, mit einigen Tropfen Salz- 
säure versetzt, keinen Niederschlag bei Behandlung mit Chlor- 
baryum; kocht man aber die Flüssigkeit eine Zeitlang auf, so 
färbt sie sich bräunlich, und es scheidet sich schwefelsaures 
Baryum ab. Kocht man so eine Mukoidsubstanz mit 5°/,-iger 
Salzsäure 18 Stunden lang, so wird etwa !/s des Gesamtschwefels 
abgespalten.“ Langstein konnte das nicht konstatieren, im 
Gegenteil, „erst nach dreimal zwölfstündigem Kochen werden 
Spuren von Schwefelsäure in Freiheit gesetzt, ein Prozeß, der 
wohl einer sekundär-oxydativen Wirkung des Kochens mit Salz- 
säure zuzuschreiben ist.“ Er hatte ferner nach der Methode 
von F. N. Schulz feststellen können, ‚daß von 2,22 %/, Schwefel 
1,39 bis 1,43 °/, leicht abspaltbar sind, also nicht viel weniger 
als ®/, des Gesamtschwefels.“ 

Weil meine Versuche in diesem Sinne nicht bis zum Ende 
durchgeführt werden konnten, muß ich mich über diese Frage 
vorläufig mit oben Gesagtem begnügen. 

In der letzten Zeit hat E. Abderhalden') eine Hydrolyse 
des Ovomukoids nach der bekannten Methode von E. Fischer 
ausgeführt und fand in den einzelnen Fraktionen: Leucin, æ- 
Pyrrolidin-Karbonsäure, Phenylalanin, Asparaginsäure und 
Glutaminsäure. 

Als ein Glykoproteid enthält das Ovomukoid eine Kohle- 
hydratgruppe. Diese durch Kochen mit Mineralsäuren ab- 
spaltbare Gruppe ist nach ihrer Konstitution, wie es von 





) E. Abderhalden, Zeitschr. f. Phys. Chem., XLIV, 8. 44. 


112 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


Zanetti und Seemann jetzt festgestellt ist, Glukosamin oder 
Chitosamin. Seemann!) hat die Zuckersubstanz im Ovomukoid 
auch quantitativ bestimmt und fand berechnet auf Trauben- 
zucker 34,9 °/o. 

Das ist alles, was wir bis jetzt über Ovomukoid und seine 
Eigenschaften wissen. 

Wie bereits erwähnt, interessierten sich alle Autoren nur 
für die chemischen Eigenschaften dieses Körpers. 

Über seine physiologische Bedeutung gibt es bisher noch 
keine Versuche. Der außerordentlich große Gehalt des Ovo- 
mukoids im Hühnereiweiß — etwa 12 °/ọ — kann nicht ohne 
physiologische Bedeutung sein, und es schien die Möglichkeit 
vorhanden, daß diese Substanz auch zu den Nährstoffen des 
Albumens gehören könne. Deswegen war es von hohem Interesse, 
sein Verhalten im Organismus zu prüfen. 

Auf Anregung von Herrn Prof. E. Salkowski möchte 
ich einige wichtige Punkte in dieser Frage zu klären versuchen. 
Bevor ich aber zu meinen Untersuchungen übergehe, sei es hier 
erwähnt, daß Ovomukoid erklärlicherweise auch in hartgekochten 
Eiern vorhanden ist. Ich habe aus solchen Eiern ganz reines 
Ovomukoid mit allen seinen chemischen Eigenschaften gewonnen. 

Die Methode der Darstellung war folgende: Hartes Eiweiß 
wurde zerhackt, mit etwas Wasser in einer Reibschale verrieben 
und unter Zusatz von einer kleinen Menge einer Essigsäurelösung 
in einem großen Volumen Wasser gekocht. Der Zusatz von 
Essigsäure erschien mir notwendig, um ein ganz klares Filtrat zu 
bekommen. Aus diesem wurde durch Verarbeitung mit Alkohol 
und Äther das Ovomukoidpulver erhalten. 

Nach beschriebener Methode gelang es mir, aus 3 Eiern 
0,84 g des Ovomukoids darzustellen, eine Menge, welche fast 
genau dem Gehalt von 10 °/, dieser Substanz im Hühnereiweiß 
entspricht. Es ist erklärlich, daß eine vollständige Extraktion 
aus dem hartgekochten Ei nicht erreicht wurde. In bezug auf 
die Größe der Kohlehydratgruppe war das so erhaltene Ovomukoid 
dem gewöhnlichen identisch. Dieser Versuch zeigt uns, daß 
wir beim Genusse von gekochten Eiern auch unverändertes 
Ovomukoid in uns einführen. 


) J. Seemann, Inaug.-Diss. Marburg 1898. 





K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 113 


Weitere Untersuchungen von mir wurden nach folgendem 
Schema durchgeführt: 

1. Verfahren zum Nachweis des Ovomukoids im Harn. 

2. Übergang in den Harn bei Einspritzung in die Venen, 

subkutan und Fütterung mit Ovomukoid. 

3. Verdauung mit Pepsinsalzsäure. Ob die Kohlehydrat- 

gruppe abgespalten wird? 

4. Verdauung mit Pankreaspulver. Dieselbe Frage wie 

vorher. 

5. Abspaltung der Kohlehydratgruppe bei der Autolyse 

mit Milz. 

6. Abspaltung dieser Gruppe bei der Fäulnis. 

Zur Beantwortung aller dieser Fragen war es sehr wich- 
tig, zuerst den Gehalt der Zuckersubstanz im Ovomukoid fest- 
zustellen. 

Wie oben erwähnt, hat nur Seemann quantitative Be- 
stimmungen der reduzierenden Substanz im Ovomukoid gemacht. 

Für diese wie für alle weiter beschriebenen Versuche habe 
ich das Ovomukoid in der üblichen Weise dargestellt. 

Hübnereiweiß wurde mit dem 4 fachen Volumen Wasser 
gut durchgeschüttelt, koliert, in das 1!/s fache Volumen sieden- 
den Wassers eingegossen, unter Zusatz von Essigsäure bis zur 
schwach sauren Reaktion unter gutem Umrühren auf freiem 
Feuer, zuletzt bis zum starken Sieden erhitzt und abfiltriert; 
das Filtrat, das keine Fällung mit Quecksilberchlorid und Sal- 
petersäure gab, wurde anfangs auf freiem Feuer, dann auf dem 
Wasserbade auf ein kleines Volumen eingedampft, abfiltriert 
und in die 5 fache Menge absoluten Alkohols gegossen. 

Der erhaltene Niederschlag wurde mehrmals in Wasser 
gelöst und wieder mit absolutem Alkohol gefällt, filtriert, mit 
Äther nachgewaschen und so entwässert. 

Diese Reinigung des Körpers dauerte so lange fort, bis es 
in Wasser gelöst keine Spuren von Reduktion in Fehlingscher 
Lösung mehr gab. 

Die Zuckerbestimmung in diesem Ovomukoidpulver ging 
nach der Wägungsmethode vor sich, und bestand in folgenden: 

30 cem Fehlingscher Lösung wurden mit 50 cem Wasser 
verdünnt, in einem Erlenmeyerschen Kölbchen (von 200 cem 


Volumen) zum Sieden erhitzt, 10—20 ccm der mit Salzsäure 
Biochemische Zeitschrift Band I. 8 


114 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


erhitzten Ovomukoidlösung bestimmter Konzentration hinzu- 
gesetzt, 5 Minuten in gelindem Sieden erhalten und dann 
mit etwa 100 ccm gekochtem Wasser versetzt. Nach einigen 
Stunden wurde durch ein doppeltes, vorher gewogenes Filter 
(Schleicher und Schüll Nr. 590) abfiltriert, reichlich mit heißem 
Wasser ausgewaschen (bis eine Probe des Waschwassers durch 
Salzsäure 4 Chlorbaryum nicht mehr getrübt wird) dann mit 
Alkohol und Äther nachgewaschen, und bei 110—115° C. bis 
zur Gewichtskonstanz getrocknet. Die Differenz zwischen dem 
Gewichte des Filters und Filters 4 Niederschlages gab die 
Menge des Kupferoxyduls an. Zur Berechnung des Zucker- 
gehaltes aus dem Kupferoxydul multipliziert man mit 0,5042. 

Bekanntlich kann die reduzierende Substanz des Ovomukoids 
nur durch Kochen mit Salzsäure (Mineralsäure) nachgewiesen 
werden. Den Angaben von Fr. Müller und Seemann folgend, 
habe ich auch vielfach geprüft, um Optimumbestimmungen zu 
finden. In Übereinstimmung mit diesen Autoren habe ich auch 
mehrere Bedingungen gefunden, die auf die Vollkommenheit der 
Spaltung und der Bestimmung der Zuckersubstanz Einfluß haben 
können. Wenn man nach dem Kochen mit Salzsäure die Flüssig- 
keit längere Zeit stehen läßt, ohne sie zu neutralisieren, so verliert 
man einen bedeutenden Teil der reduzierenden Substanz. Auch 
bei neutralisierter, besonders aber bei alkalischer Reaktion konnte 
die Flüssigkeit nicht lange Zeit stehen bleiben, ohne daß die 
Menge der reduzierenden Substanz sich verminderte. Optimum 
der Zersetzung für Ovomukoid war bei 1—3 stündigem Kochen 
mit 5—10°/, Salzsäure (bezogen auf HCl = 20—40°/, Salz- 
säure von 1,124 D) auf freiem Feuer mit Durchleiten von Wasser- 
dampf. Um alle schädlichen Einflüsse fern zu halten, habe ich 
bei meinen Versuchen möglichst schnell gearbeitet. Nach 
1—3 stündigem Kochen des Ovomukoids mit 5—10°, Salz- 
säurelösung auf dem Sandbade unter Durchleiten von Wasser- 
dampf wurde die Flüssigkeit unter der Wasserleitung zum Er- 
kalten gebracht und gleich bis zur neutralen oder schwach 
alkalischen Reaktion mit Natronlauge und mit Natriumkarbonat 
versetzt, wiederum abgekühlt und mit destilliertem Wasser bis 
zu einer bestimmten Menge der Lösung aufgefüllt. Eine genau 
abgemessene Menge wurde mit der Pipette sofort in schwach 
kochende Fehlingsche Lösung gegossen. 





K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 115 


Um gut fällbares und abfiltrierbares Kupferoxydul zu be- 
kommen, hielt ich es für vorteilhaft, der Fehlingschen Lösung 
noch etwas Natronlauge zuzusetzen. Mit dieser einfachen Me- 
thode konnte ich, wie meine Kontrollanalysen bewiesen, ziemlich 
genau arbeiten. Meine Versuche führten zu folgenden Resultaten: 


Analyse 1. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit 
50 ccm 3°/, HC], neutralisiert auf 104 ccm aufgefüllt. 
Gefunden: in 20 ccm 0,045 und 0,038 Cu:0, oder in 
100 g Ovomukoid — 41,6 CwO = 20,97 °/, der Zucker- 
substanz. 

Analyse 2. 0,5.g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit 

50 ccm 5°/, HCl, neutralisiert auf 40 ccm aufgefüllt. 
Gefunden: in 10 cem 0,028, 0,039, 0,032 g CwO, oder 
19,9°/, Zuckersubstanz in Ovomukoid. 

Analyse 3. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit 
| 50 cem 5°, HCl, neutralisiert bis 60 ccm. 
Gefunden: in 10 ccm 0,032 und 0,036 g CusO, oder 

19,46°/, der Zuckersubstanz im Ovomukoid. 

Analyse 4. 0,5 g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit 
| 50 ccm 5°, HCl, neutralisiert bis 100 cem. 
Gefunden: in 10 ccm — 0,024, 0,020 und 0,022 g CO, 

oder 22,18°/, der Zuckersubstanz im Ovomukoid. 

Analyse 5. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit 

50 ccm 5°/, HCl neutralisiert bis 100 ccm. 
Gefunden: in 10 ccm 0,021, 0,022 und 0,021 g CwO, 
oder 21,17°/, Zucker im Ovomukoid. 

Analyse 6. 0,5 g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit 

50 ccm 10°/, HCl, neutralisiert bis 100 cem. 
Gefunden: in 10 ccm 0,0215, 0,0205 und 0,0205 Cu:O, 
oder 21,17°/, Zucker im Ovomukoid. 

Analyse 7. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit 

10°, HCl, neutralisiert bis 100 ccm. 

Gefunden: in 10 ccm 0,023, 0,0215 und 0,022 CugO, 
oder 22,33 °/, des Zuckers im Ovomukoid. 

Wie man aus diesen Analysen ersehen kann, schwankt der 


Gehalt an Zuckersubstanz im Ovomukoid zwischen 19,46 °/, 
und 22,30°/,, Zahlen, die im Einklang mit den von Pavy') 


) Pavy, The Lancet 1. Juli 1905. Nr. I of Vol. II 1905 p. 4. 
8* 


116 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


in seiner kürzlich erschienenen Arbeit gegebenen Zahlen (18,6 
bis 26,5 °/,) stehen. 

Nach diesen Angaben konnte ich für meine weiteren Ver- 
suche als Grundzahl 22°/, des Zuckergehalts im Ovomukoid 
annehmen, ein Prozentgehalt, der bei weitem geringer ist, als 
der, den Seemann gefunden hat. Worin die Ursache dieser 
Differenz liegt, vermag ich nicht zu sagen. 


1. Verfahren zum Nachweis des Ovomukoids 
im Harn. 


Zum Nachweis und zur Bestimmung des Ovomukoids im 
Harn konnte ich nur die Ausfällungsmethode wählen und im 
Niederschlag das ausgeschiedene Ovomukoid nach dem Gehalte 
an Zuckersubstanz bestimmen. 

Es erschienen mir, entsprechend den chemischen Eigen- 
schaften des Ovomukoids, zwei Methoden als brauchbar: 

a) Ausfällen mit Phosphorwolframsäure und 

b) Fällen mit Alkohol, nachdem der Harn auf ein kleineres 

Volumen eingedampft war. 

Aber schon die Versuche mit einer Lösung von reiner 
Ovomukoidsubstanz zeigten, daß bei weiterer Verarbeitung des 
durch Phosphorwolframsäure entstandenen Niederschlages mit 
Barytwasser und Kohlensäure (um die Phosphorwolframsäure 
zu entfernen) der größte Teil der reduzierenden Substanz ver- 
loren ging. 

Deswegen erwies sich nur die Alkoholfällungsmethode, die 
nach einigen Vorprüfungen sich als sehr brauchbar zeigte, als 
geeignet. 

Für diese Versuche nahm ich zwei gleiche Portionen des 
Harns, und setzte zu einer von diesen eine abgewogene Menge 
des Ovomukoids, das sich sehr leicht im Urin löste. Der so 
erhaltene ovomukoidhaltige Harn wurde dann in gleicher Weise 
wie reiner Harn verarbeitet. Die Differenz zwischen der Menge 
der reduzierenden Substanz des Harns mit Ovomukoid und des 
reinen Harns (normaler Kaninchenharn enthält beträchtliche 
Mengen einer alkoholfällbaren, nach der Hydrolyse reduzierenden 
Substanz) wurde auf Ovomukoid berechnet. Für die Analysen 
habe ich immer 100 cem Harn genommen, auf dem Wasserbade 
auf 20—30 ccm eingedampft, in 150 ccm Alkohol absol. gegossen 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 117 


und weiter nach oben beschriebener Methode des Ovomukoids 
verarbeitet. 

Das so erhaltene weiße Pulver (alkoholfällbare Substanzen 
des Harns und solche + Ovomukoid) wurde dann aus dem 
Filter mit 10°, Salzsäure im Erlenmeyerschen Kölbchen 
ausgewaschen, die Menge der salzsauren Lösung in diesen auf 
50 ccm aufgefüllt und als der ganze Niederschlag sich gelöst 
hatte, wurde diese Flüssigkeit zwei Stunden auf dem Sandbade 
unter Durchleiten von Wasserdampf gekocht. Die sauer re- 
agierende, dunkelbraune Flüssigkeit wurde unter der Wasser- 
leitung abgekühlt, neutralisiert und mit kochender Fehling- 
scher Lösung in bekannter Weise weiter verarbeitet. Nachdem 
die Flüssigkeit einige Stunden sich selbst überlassen war, wurde 
der Niederschlag abfiltriert, mit Wasser, absolutem Alkohol und 
Äther nachgewaschen und getrocknet. Da dieser Niederschlag 
nicht nur Kupferoxydul enthielt, sondern auch andere Sub- 
stanzen aus dem Harn, so konnte ich nicht die einfache Wöä- 
gungsmethode benutzen. Ich löste den Rückstand auf dem 
Filter mit heißer Salpetersäure, dampfte die Lösung in einer 
Porzellanschale bis zur Trockne unter Zusatz von Schwefelsäure 
ein, um sie von der überschüssigen Salpetersäure zu befreien. 
Dann wurde der Rückstand wieder in ziemlich viel Wasser ge- 
löst, in einem Becherglase zum Sieden erhitzt und mit einer 
Lösung von 10°/, Natriumthiosulfat so lange versetzt, als noch 
ein Niederschlag entstand. (Das Ausfällen des Kupfersulfür 
vollzieht sich quantitativer, wenn man einige Tropfen verdünnter 
Schwefelsäure hinzusetzt.) Sobald sich der schwarz gewordene 
Niederschlag abgesetzt hatte und die überstehende Flüssigkeit 
nur noch suspendierten Schwefel enthielt, war alles Kupfer 
gefällt. Der Niederschlag bestand aus Kupfersulfür und ließ 
sich leicht auswaschen, ohne daß er sich oxydierte. Derselbe 
wurde abfiltriert, mit heißem Wasser ausgewaschen (bis das 
Waschwasser nicht mehr sauer reagierte), getrocknet, verascht 
und wieder mit Salpetersäure gelöst. Nach dem Eindampfen 
(um die überschüssige Salpetersäure zu entfernen) und Auf- 
nehmen mit Wasser wurde diese Lösung bis zum Sieden in 
einer Porzellanschale erhitzt und mit reiner, sehr verdünnter 
Natronlauge versetzt, so lange noch ein Niederschlag entstand. 
(Die Flüssigkeit darf nicht zu stark alkalisch werden, weil ein 


118 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


Überschuß von Natronlauge einen Teil des Kupfers leicht wieder 
lösen kann.) Nachdem man die Lösung einige Minuten im 
Kochen erhalten hat, läßt man den Niederschlag absetzen und 
filtriert die Flüssigkeit ab, ohne den Niederschlag auf das 
Filter zu bringen. Der Niederschlag wird mit Wasser über- 
gossen, wieder zum Sieden gebracht, nach dem Absetzen filtriert 
und überhaupt weiter nach den Regeln der quantitativen Ana- 
lyse behandelt (Fresenius, Quant. Analye, 6. Aufl., I, S. 329). 


Folgende Zahlen zeigen den Unterschied zwischen ovomu- 
koidhaltigem und reinem Harn: 
Versuch 1: 
A. 100 ccm Harn ohne Ovomukoid ergab: 
0,0375 und 0,036 g CuO. 
B. 100 ccm Harn +4 0,1 g Ovomukoid ergab: 
0,0930 und 0,087 g CuO. 
B — A = 0,0555 und 0,0510 g CuO, oder 0,0251 und 0,0231 g 
Zucker aus 0,1 g Ovomukoid. 
Versuch 2: 
A. — 0,0369 und 0,366 g CuO. 
B. — 0,0823 und 0,0826 g CuO. 
B — A = 0,0454 und 0,0460 g CuO = 0,026 und 0,0208 g 
der Zuckersubstanz aus 0,1 g Ovomukoid. 
Versuch 3: 
A. 0,0378 und 0,0374 g CuO. 
B. 0,0838 und 0,0814 g CuO. 
B — A = 0,046 und 0,044 g CuO, oder 0,0208 und 
0,0199 g CuO aus 0,1 Ovomukoid. 

Die Analysen zeigten, daß ich immer die zugesetzte Menge 
des Ovomukoids im Urin wiederfinden konnte, was aus der Zu- 
nahme der reduzierenden Substanz hervorging. 

Auch nach 24stündigem Stehen des ovomukoidhaltigen 
Urins in der Kälte oder bei Zimmertemperatur unter Zusatz von 
etwas Chloroform habe ich keine Verminderung der Zucker- 
substanz gefunden. Nach diesen Versuchen konnte ich zu den 


2. Tierversuchen übergehen. 
Ich suchte die Frage aufzuklären, von welchem Werte das 
Ovomukoid im tierischen Organismus ist. 
Als Versuchstiere wurden Kaninchen gewählt. 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 119 


Das Behandeln der Tiere und Sammeln des Harns war 
gleich so eingerichtet, wie es gewöhnlich bei Stoffwechselversuchen 
üblich ist. 

Die Tiere haben die abgemessene Menge des Ovomukoids 
in 10 °/o Wasserlösung auf verschiedenen Wegen (in den Magen, 
subkutan und in die Ohrvene eingespritzt) bekommen; ich habe 
nicht mehr als 1 g pro Kilo des Körpergewichts gegeben, weil 
eine größere Menge des Präparats, in die Venen eingeführt, von 
den Tieren nicht vertragen werden konnte. 

Die gefundenen Resultate sind in folgenden Tabellen an- 
gegeben: 

a) Einführung in den Magen. 
Versuch 1: Kaninchen von 1850 g Körpergewicht. 


Normaler Urin. 
Reduzierende Substanz berechnet 


in a Stunden in 100 com in 100 Rn En Tages-Urin 
400 ccm 0,045 0,0205 0,0830 
420 „ 0,0323 0,0146 0,0604 
500 , 0,0573 0,0250 0,1250 


Summa 0,2674 g 
Nach Einführung von 1,85 g Ovomukoid. 


220 ccm 0,0560 0,0259 0.0559 
600 , 0,0366 0,0166 0,0996 
400 , 0,0371 0,0168 0,0672 


Summa 0,2227 g 


Versuch 2: Kaninchen von 1550 g Körpergewicht. 


Normaler Urin. 
Reduzierende Substanz berechnet 


in Stunden in 100 sem in 100 a a Togiuns 
260 ccm 0,0528 0,0239 0.0620 
240 , 0,0630 0,0286 0,0680 
280 , 0,0580 0,0265 0,0740 


Summa 0,2040 g 
Nach Einführung von 1,55 g Ovomukoid. 


280 ccm 0,0510 0,0231 0,0646 
340 „ 0,0467 0,0211 0,0717 
870 „ 0,0431 0,0210 0,0700 


Summa 0,2053 g 


120 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


In diesen Fällen wurde so keine Vermehrung der redu- 
zierenden Substanz im Harn nachgewiesen. 


b) Subkutane Einspritzung der Ovomukoidlösung. 
Versuch 1: 
Kaninchen von 1850 g Körpergewicht. 
Normaler Harn. 


Menge des Urin Gramm CuO Reduzierende Substanz berechnet 


in 24 Stunden in 100 ccm in 100 Megi ana ages-Urin 
480 ccm ć ° 0,0420 0,0190 0,0912 
430 , 0,0510 0,0232 0,0999 
465 „ 0,0460 0,0210 0,0978 


Summa 0,2889 g 
Nach Einspritzung von 1,85 g Ovomukoid. 


500 ccm 0,0569 0,0258 0,1290 
410 , 0,0296 0,0134 0,0549 
550 „ 0,0501 0,0227 0,1248 


Summa 0,3087 g 


Differenz = 0,0198 g, berechnet auf das eingeführte Ovo- 
mukoid = 0,09 g = 4,8 o. 


Versuch 2. 
Kaninchen von 1550 g Körpergewicht. 
Normaler Urin. 


Menge des Urin Gramm CuO a berechnet 
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm aa Tages-Urin 
310 ccm 0,0512 0,0232 0,0719 
340 „ 0,0499 0,0226: 0,0768 
280 „ 0,0576 0,0261 0,0731 


Summa 0,2218 g 
Nach der Einspritzung von 1,55 g. 


150 ccm 0,0750 0,0340 0,0510 
420 , 0,0645 0,0292 0,1224 
180 , 0,0693 0,0314 0,0565 


Summa 0,2299 g 
Die Differenz beträgt 0,0081 g, eine so geringe Menge, die 
keine Bedeutung haben kann. 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 121 


c) Einspritzungen in die Ohrvene. 
Versuch 1: 
Kaninchen von 1850 g Körpergewicht. 


Normaler Harn. 


Menge des Urin Gramm CuO peee ee berechnet 
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm im Tages-Urin 
420 ccm 0,0435 0,0197 0,0827 
485 „ 0,0482 0,0218 0,1057 
505 „ 0,0420 0,0190 0,0959 


Summa 0,2843 g 
Nach dem Einspritzen von 1,85 g Ovomukoid. 


325 ccm 0,1300 0,0590 0,1918 
425 „ 0,0502 0,0227 0,0965 
425 „ 0,0388 0,0176 0,0748 


Summa 0,3631 g 


Differenz: 0,0788 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid 
= 0,358 g = 13,9 °/o. 


Versuch 2: 
Dasselbe Kaninchen nach einigen Wochen. 
Normaler Harn. 


Menge P E G un G0 N berechnet 
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm im Tages-Urin 
450 ccm 0,042 0,019 0,0855 
520 „ 0,034 0,0154 0,0800 
420 „ 0,052 0,0235 0,0987 


Summa 0,2642 g 
Nach Einspritzung von 0,8 g Ovomukoid. 


480 ccm 0,054 0,0249 0,1195 
520 , 0,041 0,0185 0,0943 
530 , 0,038 0,0172 0,0911 


Summa 0,3049 g 


Differenz = 0,0407 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid 
= 0,13 g = 16,2. 


122 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


Versuch 3: 
Kaninchen von 2600 g Körpergewicht. 


Normaler Urin. 


Menge des Urin Gramm CuO Reduzierende Substanz berechnet 


in 24 Stunden „m. L00 scou in 100 a A Tages-Urin 
405 cem 0,0452 0,0204 0,0826 
580 , 0,0388 0,0176 0,1020 
460 , 0,0396 0,0179 0,0823 


Summa 0,2669 g 
Nach der Einspritzung von 2,0 g Ovomukoid. 


250 ccm 0,145 0,066 0,1625 
440 , 0,0720 0,0326 0,1434 
840 , 0,054 = 0,0244 0,0829 


Summa 0,3915 g 
Differenz = 0,1246 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid 
= 0,54 g = 28 fi: 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das Ovomukoid 
bei Einführung in den Magen oder in das Unterhautbinde- 
gewebe vollständig oder fast vollständig oxydiert wird, ebenso 
wie die Eiweißkörper. Nach Einführung in das Venensystem 
werden 13,9—28 °/, unverändert ausgeschieden. Auch in dieser 
Beziehung steht es in Übereinstimmung mit den Eiweißkörpern, 
von denen nach J. Munk und Lewandowski!) zwischen 46 °/o 
und 2 °/,, je nach der Natur der Eiweißkörper im Harn wieder 
erscheint. 


3. Abspaltung der Kohlehydratgruppe bei der 
Verdauung mit Pepsinsalzsäure. 
Vorbereitung der Pepsinsalzsäure. 

2 g käufliches, in Wasser unlösliches Pepsin (Pepsin pulv. 
pur. „Finzelberg“) wurde in einer Schale mit etwas Wasser 
verrieben, filtriert und mit Wasser solange nachgewaschen, bis 
das Waschwasser keine Milchzuckerreaktion mehr gab; der 
Rückstand wurde mit 100 ccm Verdauungssalzsäure (10 ccm 
offizinelle Salzsäure von 1,124 spez. Gewicht auf 1 Liter verdünnt 
= 0,281 °/, HCI) in einen Kolben gebracht, nach 24stündigem 


) J. Munk u. Lewandowski, Arch. f. Anat. u. Phys. v. His- 
Engelmann 1890, Suppl.-Bd. 63— 86. 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 123 


Stehen unter öfterem Schütteln bei Zimmertemperatur abfiltriert 
und mit Verdauungssalzsäure auf 500 ccm aufgefüllt. 

Die Verdauungsversuche selbst waren folgenderweise ein- 
gerichtet: 

1 g des Ovomukoids werden mit 100 ccm Pepsinsalzsäure 
24—48 Stunden bei 38°C im Brutschrank digeriert. Nach 
dieser Zeit wurde die ganz klar gebliebene Flüssigkeit mit 
Natriumkarbonatlösung neutralisiert und ihr Reduktionsvermögen 
in bekannter Weise mit Fehlingscher Lösung geprüft. Als 
Kontrollproben wurden auch Verdauungssalzsäure + Ovomukoid 
(ohne Pepsin), reine Pepsinsalzsäure, einfach wässerige Ovo- 
mukoidlösung (1: 100), gekochte Pepsinsalzsäure 4 Ovomukoid 
wie die Hauptprobe verarbeitet. 

Da ich für diese Untersuchungen eine neue Menge des 
Ovomukoids darstellen mußte, bestimmte ich auch in dieser 
den Kohlehydratgehalt und zwar, wie bei allen weiteren Ver- 
suchen, nach dem oben beschriebenen Verfahren, welches in 
Wägung des Kupferoxyds ausläuft. 

1. Hydrolyse (1stündiges Kochen mit 10%,HC!.). 

Gefunden in 0,2 g Ovomukoid — 0,0894 und 0,0904 g 
CuO = ungefähr 20,2 °/, der Zuckersubstanz, Zahlen, 
die nochmals die früher gefundenen bestätigen. 

2. Verdauungsversuche: 100 ccm Verdauungsflüssigkeit 

+ 1g Ovomukoid. Neutralisierung mit Natriumkarbonat- 
lösung und Zusatz von Wasser bis 110 ccm. Für 
Analysen wurden je 22 ccm genommen = 0,2 g des 
Ovomukoids. 

Gefunden: a) Pepsinsalzsäure + Ovomukoid 

Nach 24 Stunden. 
0,0466 und 0,0430 CuO |. 
0,0440 und 0,0388 CuO jin K 
Nach 48 Stunden. 
0,0296 und 0,0304 CuO |. ; 
0,0270 und 0,0282 Cuo |" 2 8 Ovomukoid. 
b) Verdauungssalzsäure ohne Pepsin 4 Ovomukoid. 
Nach 24 Stunden. 
0,020 und 0,0188 g CuO 
Nach 48 Stunden. $ in 0,2 g Ovomukoid. 
0,022 und 0,0232 g CuO 


124 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


c) Gekochte Salzsäure 4 Ovomukoid. 
Nach 24 Stunden. 
0,0182 und 0,0179 g CuO | 
Nach 48 Stunden. 
0,0171 und 0,0169 g CuO | 


Kontrollproben mit reiner Pepsinsalzsäure und wässeriger 
Ovomukoidlösung gaben keine Reduktion mit Fehlingscher 
Lösung. 

Diese Versuche zeigen, daß schon die Verdauungssalzsäure 
bei längerer Einwirkung in gelinder Wärme einen Teil der Kohle- 
hydratgruppe aus Ovomukoid abspalten kann, doch kommt diese 
Möglichkeit bei Pepsinsalzsäureeinwirkuug viel mehr zur Geltung. 

Während die Salzsäure nur 0,020—0,0188 g CuO nach 
24stündigem Digerieren gegeben hat, gab in derselben Zeit 
Pepsinsalzsäure 0,0466—0,388 CuO aus 0,2 g Ovomukoid. 

Auch E. Salkowski hat schon das Auftreten einer redu- 
zierenden Substanz nach der Einwirkung der Pepsinsalzsäure 
beobachtet. Er sagt darüber in seiner zweiten Mitteilung a. a. O. 
707: „Die Vermutung, daß die reduzierende Substanz durch 
die Verdauung abgespalten sei, lag danach auf der Hand. Es 
war mir aber zweifelhaft, ob diese Reaktion nicht auf Spuren 
von Zucker beruhte, welche dem Präparate anhängen mochten, und 
welche in der Tat nicht leicht vollständig auszuschließen sind.“ 


in 0,2 g Ovomukoid. 


Nach meinen Versuchen können wir, glaube ich, mit 
Bestimmtheit sagen, daß die Pepsinsalzsäure die Kohlehydrat- 
gruppe aus dem Ovomukoid abspaltet. 

Ich möchte noch auf einen Punkt, der aus meinen Ver- 
suchen hervorgeht, aufmerksam machen: Wie die angeführten 
Analysenzahlen zeigen, ist das Reduktionsvermögen der 48- 
stündigen Verdauungsflüssigkeit bemerkenswert kleiner, als das 
der 24stündigen. Ich habe nämlich gefunden 0,0466—0,0388 g 
CuO nach 24stündiger Verdauung und nur 0,0296—0,0304 CuO 
nach 48stündiger Verdauung in 0,2 g Ovomukoid. 

Eine Erklärung für diese Erscheinung konnte ich nicht 
finden. Vielleicht liegt der Grund darin, daß das abgespaltene 
Glukosamin bei längerer Einwirkung von Pepsinsalzsäure durch diese 
zerstört wird, oder daß vielleicht nach Angaben von J. Lewinski’) 


) J. Lewinski, Berl. klin. Wochenschr. N. 5. 1906. 





K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 125 


das dabei gebildete Pepton störend auf die Reaktion mit Fehling- 
scher Lösung einwirkt. 


4. Pankreasverdauung. 


Die Versuche wurden mit Pankreaspulver (nach Kühne) 
angestellt. Rinderpankreas, welches 24 Stunden gelegen hat, 
wurde sorgfältig von allem sichtbaren Fett befreit, zerhackt, 
mit Alhohol absol. zerrieben, abgepreßt, wieder mit Alkohol 
absol. verarbeitet, mit Äther zweimal verrieben (um Alkohol zu 
entfernen), abgepreßt, getrocknet und durch Drahtgaze gesiebt. 
10 g von diesem Pulver wurden dann mit 500 ccm Chloroform- 
wasser unter Zusatz einiger Tropfen Natriumkarbonatlösung 
einen Tag über im Brutschrank digeriert und das Filtrat 
hiervon zu den Versuchen verwendet. 

Die Verdauungskraft dieser Lösung, wie auch bei der 
Pepsinsalzsäure, wurde mit Blutfibrin geprüft. Zu den Ver- 
suchen ist 1 g Ovomukoid mit 100 ccm dieser Pankreaslösung 
genommen worden. Kontrollproben waren: Digerieren des 
Ovomukoids mit gekochter Pankreaslösung, mit schwacher 
Natriumkarbonatlösung und der reinen Pankreaslösung ohne 
Ovomukoid. 

Wie in der Hauptprobe, so auch in allen Kontrollproben 
habe ich kein Reduktionsvermögen bekommen, durch Pankreas- 
verdauung wird also die Kohlehydratgruppe im Ovomukoid nicht 
abgespalten. | 

5. Autolyse mit Milz. 

In der einen Reihe von Versuchen wurde frische, zerhackte 
Milz gebraucht, in der andern aus ihr dargestelltes Acetonpulver. 

Die Wirksamkeit dieser beiden Präparate in bezug auf 
Eiweißspaltung habe ich nach Entstehung und Stärke der 
Peptonreaktion nach 24stündiger Selbstverdauung geprüft. 


a) Versuche mit frischem Milzbrei. 

Frische, klein zerhackte Rindermilz wurde auf drei Portionen 
zu je 50 g verteilt. 

Eine Portion wurde mit 2g Ovomukoid (in einer kleinen 
Menge Wasser gelöst) und Chloroformwasser bis auf 500 cem 
aufgefüllt, eine andere zuerst mit 200 ccm Wasser gekocht und 
dann in derselben Weise bis auf 500 ccm mit Ovomukoid und 
Chloroformwasser aufgefüllt; die dritte Portion des Milzbreis 


126 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


wurde nur mit Chloroformwasser ohne vorheriges Kochen und 
ohne Ovomukoid bis auf 500 ccm aufgefüllt. 
So bekam ich: 
1. Milzbrei + Ovomukoid, 
2. Milzbrei ohne Ovomukoid und 
3. Gekochten Milzbrei 4 Ovomukoid in Chloroformwasser. 
Alle diese Flüssigkeiten wurden fünf Tage lang unter täg- 
lichem Schütteln im Brutschrank bei 38° C digeriert. Nach- 
dem Essigsäure bis zur schwachsauren Reaktion hinzugesetzt 
war, wurden dieselben gekocht, abfiltriert, der Rückstand so 
lange ausgewaschen, bis das Waschwasser keine Reaktion mehr 
auf Chloride gab, und die Flüssigkeitsmenge auf 1 Liter mit 
Wasser nachgefüllt. 
Für die Analysen wurden von jeder Flüssigkeit je 100 ccm 
(0,2 g Ovomukoid entsprechend) genommen und nach Neutrali- 
sierung mit Fehlingscher Lösung 5 Minuten gekocht. Folgende 
Quantitäten CuO habe ich erhalten: 
a) Autolyse der Milz + Ovomukoid. 
Gefunden CuO: 0,0194 und 0,0208 g. 
b) Autolyse der Milz ohne Ovomukoid, 
Gefunden CuO: 0,0203 und 0,0213 g. 
c) Autolyse von gekochter Milz 4— Ovomukoid. 
Gefunden CuO: 0,0046 und 0,0044 g. 


b) Versuche mit Acetonpulver. 

Acetonpulver wurde nach der Methode von Buchner dar- 
gestellt und zwar auf folgende Weise: zerhackte Milz wurde 
zweimal mit großen Mengen Aceton verrieben und durch- 
geschüttelt, dann abgepreßt, mit Äther so lange gewaschen, 
bis der Geruch nach Aceton verschwunden war, abgepreßt, bis 
zur Trockne verrieben und durch feine Drahtgaze gesiebt. 

Für Versuche sind genommen: 

a) 2 g Acetonpulver + 1 g Ovomukoid in 200 g Chloroform- 

wasser. 

b) 2 g Acetonpulver in 200 ccm Chloroformwasser ohne 

Ovomukoid. 
c) 2 g gekochtes Acetonpulver + 1 g Ovomukoid in 200 cem 
Chloroformwasser. 

Diese Proben blieben auch im Brutschrank bei 38° C. 

5 Tage stehen. Nachdem mit Essigsäure gekocht und bis auf 


K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 127 


250 ccm mit Wasser und Natriumkarbonatlösung aufgefüllt war, 
wurden dieselben abfiltriert und je 50 ccm (= 0,2 g Ovomukoid) 
mit Fehlingscher Lösung gekocht. Alle Proben gaben voll- 
kommen negative Resultate oder bestätigten die oben gegebenen 
Befunde. Ich muß hier noch bemerken, daß das Acetonpulver 
im Gegensatz zu dem frischen Milzbrei selbst keine Reduktion 
gab, d. h., es war aller Zucker bei der Bearbeitung mit Aceton 
aus der Milz gelöst und entfernt. 

Für Kontrollversuche wurden auch bei beiden Versuchs- 
anordnungen die Fällung mit Alkohol nach dem Eindampfen 
der Verdauungsflüssigkeit (wie es bei der Darstellung des Ovo- 
mukoids beschrieben ist) und Hydrolyse mit 10 %, HCl des 
Niederschlages gemacht. Es ist mir gelungen, in jedem Falle 
die entsprechende Menge der reduzierenden Substanz wiederzu- 
finden, was noch einmal bestätigt, daß wirklich keine Ab- 
spaltung des Glukosamins stattgefunden hatte. 


6. Fäulnisversuche. 


Für diese Versuche wurde ein Fäulnisgemisch (30 g zer- 
hacktes Fleisch + 5 ccm Natriumkarbonatlösung + 300 ccm 
Wasser wurden 48 Stunden im Brutschrank digeriert) gebraucht, 
und drei Proben eingestellt: 

a) 2 g Ovomukoid in 100 cem Wasser 4 1 ccm Natrium- 

karbonatlösung 4 1 ccm der Fäulnisflüssigkeit; 

b) 2g Ovomukoid in 100 ccm des Fäulnisgemisches auf- 

gelöst, und 

c) das Fäulnisgemisch ohne Ovomukoid (Kontrollversuch). 


Alle diese Proben blieben im Brutschrank fünf Tage hindurch 
stehen; nach dieser Zeit wurde unter Zusatz von Essigsäure 
gekocht, abgekühlt, mit Natriumkarbonatlösung neutralisiert, 
auf 200 ccm mit Wasser aufgefüllt und abfiltriert. 

Das Filtrat von allen drei Proben gab keine Reduktion 
mit Fehlingscher Lösung. 

Die Ursache der negativen Resultate konnte man durch 
folgende Kontrollanalysen bestätigen: 

Für diesen Zweck wurden je 100 cem (= 1 g Ovomukoid) 
von jedem Filtrate genommen, bis auf ungefähr 20 ccm ein- 
gedampft, mit 100 ccm Alkohol absol. versetzt und der erhaltene 
Niederschlag nach bekannter Weise hydrolisiert. 50 ccm von 


128 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 


dem Filtrat a gaben 0,053 und 0,051 g CuO, die anderen 
Proben ergaben gar keine Reduktion. 

Diese Resultate beweisen, daß in ovomukoidhaltigen Flüssig- 
keiten die Kohlehydratgruppe abgespalten und das freigewordene 
Glukosamin zersetzt worden ist. 

In Probe a war ein Teil des Ovomukoids (ungefähr 1/5) 
noch unverändert geblieben (Fäulnis war unvollkommen), da- 
gegen war in Probe b alles Ovomukoid gespalten und das 
Glukosamin zersetzt. Es ist außerdem festgestellt, daß diese 
Zersetzung von Glukosamin bei starker Fäulnis schnell geht; 
deswegen habe ich auch bei der Hauptprobe a keine Reduktion 
mehr bekommen. 

Diese Befunde sind auch deswegen interessant, weil es 
bisher in der Literatur noch keine Angaben über die Möglich- 
keit der Zersetzung von Glukosamin bei der Fäulnis gab. 


Ergebnisse. 


Wenn wir jetzt die Resultate noch einmal kurz zusammen- 
fassen, so ist es gelungen, auf oben gestellte Fragen folgender- 
weise zu antworten: 

Da das Ovomukoid den Charakter eines Glukoproteids hat 
und nach Einführung in den Magen nicht wiedererscheint, 
also oxydiert wird, so ist es höchstwahrscheinlich, daß dasselbe 
zu den Eiweißnährstoffen gehört. 

Beim Genusse von Hühnereiern gelangt diese Substanz 
vollkommen zur Geltung. Sie ist schon in frischen Eiern 
präformiert und ändert sich nicht beim Kochen. In meinen 
Versuchen wurde die Kohlehydratgruppe im Ovomukoid bei 
der Verdauung mit Pepsin und bei der Fäulnis abgespalten, 
dagegen konnte ich bei der Verdauung mit Trypsin und bei 
der Autolyse keine Abspaltung des Glukosamins finden. 

Wie die Versuche mit Fäulnis gezeigt haben, ist es auch 
anzunehmen, daß sich das Glukosamin bei Fäulnisvorgängen zer- 
setzen kann. Das Ovomukoid gibt bei Anwesenheit von Glyoxyl- 
säure im Eisessig schwach positive Adamkiewitzsche Reaktion. 

Zu großem Danke fühle ich mich Herrn Prof. E. Salkowski 
gegenüber verpflichtet, der mich bei der Ausarbeitung des von 
ihm gütigst angeregten Thema stets in liebenswürdiger Weise 
unterstützt hat. 


Zur Frage 
über die Entstehung des Rhodans im Organismus. 


Von 
Dr. K. Willanen aus Petersburg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 12. Mai 1906.) 


Schon vor vielen Jahren hat man die Schwefelcyanverbin- 
dungen in verschiedenen Teilen des Tierkörpers gefunden: 
Tiedemann und Gmelin’) im Speichel, Leared?) im Blut, 
Nencki°) im Magensaft, Gscheidlen‘), J. Munk’), G. Külz®) 
u.a. im Urin. Die Entstehung des Rhodans im Organismus 
ist aber bisher noch nicht aufgeklärt. 

Nach der Anschauung von Bernard (zit. nach Gscheidlen) 
sind die Rhodanverbindungen in dem Speichel nicht präformiert, 
sondern ‚entstehen in letzterem durch einen unbekannten Zer- 
getzungsprozeß. Gscheidlen‘) hat durch Anlegung von Fisteln 
an den Ausführungsgängen der Parotis und Submaxillaris die 
Ausscheidung des Speichels nach außen herbeigeführt und fand, 
daß das Rhodan bei solchen Tieren aus dem Urin ganz ver- 
schwunden war. Deswegen meinte er, daß die Schwefelcyan- 


1) Zit. nach Gscheidlen s. u. 

») Zit. nach Gscheidlen s. u. 

”*) Ber. d. d. Chem. Gesellsch. 28, 10, 1318 (1895). 

*) Pflügers Arch., 14, 401 (1877). 

5 Virchows Arch. 69, 354 (1877). 

®) Sitzungsberichte der Ges. z. Beförder. d. Ges. Naturwiss. in Mar- 
burg, 76 (1878). 


Biochemische Zeitschrift Band I. 9 


130 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 


verbindungen des Harns aus dem Speichel oder den Speichel- 
drüsen stammen. 

J. Kelling!) betrachtet den verschluckten Speichel auch 
als Quelle des Vorkommens von Rhodan im Magen. 

Nencki und Schuman-Simanowski?) halten dagegen 
diese Auffassung für irrtümlich, weil der von ihnen untersuchte 
Magensaft bei ösophagotomierten Hunden, bei denen keine 
Speichelbeimischung zum Magensaft stattfinden konnte, immer 
rhodanhaltig war. 

Auch Rjasantzen?) hat bei wiederholten Untersuchungen 
Sulfocyansäure im vollkommen getrennten Fundusblindsack ge- 
funden. 

Nach Bruylants*) wird die Schwefelcyansäure im Orga- 
nismus gebildet, denn ihre Ausscheidung ist unabhängig von 
der Art der Ernährung. Die Schwefelcyansäure kann nach ihm 
ihre Quelle nur in den Albuminstoffen haben; das sei anzu- 
nehmen, denn die Cyangruppe könne in Albuminstoffen vor- 
kommen und erhielte sich in den von denselben abstammenden 
Xanthinkörpern. Verfasser nimmt deswegen die Möglichkeit an, 
daß die Schwefelcyansäure aus letzteren entstehen könne. 

Im allgemeinen hielt er es für wahrscheinlich, daß im 
Organismus die Synthese von Cyan und Schwefel stattfinden 
könne. 

Die Ausscheidung des Rhodans im Urin ist nach ihm des- 
wegen so gering, weil der größere Teil der gebildeten Schwefel- 
cyansäure wieder zersetzt werde. 

Er hat nämlich gefunden, daß von in den Organismus 
eingeführten schwefelcyansauren Salzen nur ein kleiner Teil 
wieder im Urin erscheint. Lang’) konnte bei einem Versuche 
am Hunde auch nur '/; der eingeführten Rhodanmenge im 
Harn wiederfinden. | 

Anderseits gibt es schon viele Angaben, welche darauf 
hinweisen, daß Cyanwasserstoff im Organismus in Rhodan- 
wasserstoff übergehen kann. Nach der Fütterung mit Blau- 


‘) Zit. nach Nencki. 

») Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakolog., 84, 332, (1894). 
” Zit. nach Nencki. 

4) Jahresbericht der Tierchemie 134 (1888). 

*) Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. 84, 247 (1899). 





K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 131 


säure und Nitrilen der Fettreihe hat man ihren Übergang in 
Rhodanverbindungen beobachtet. Giacosa!) hat nachgewiesen, 
daß bei der Fütterung mit Acetonitril und Propionitril die 
Ausscheidung des Rhodans im Harn sich vermehrte. Lang?) 
bestätigte dies bei der Einführung der Aceto-, Propio-, Butyro-, 
Capronitrile und der Blausäure selbst ir den Organismus. 

Pascheles®) hat außerdem bei seinen Versuchen mit 
Muskeln, Rinderleber, Eiereiweiß, Eierdotter und Cystin gefun- 
den, daß die Eiweißstoffe, welche locker gebundenen Schwefel 
enthalten, unter Verhältnissen, wie sie im Organismus gegeben 
sind, Cyankalium leicht in Rhodankalium überführen. Diese 
Experimente von Pascheles können das von Lang gefundene 
Verhalten der Blausäure und der aus den Nitrilen abgespaltene 
Cyangruppe aufklären: Die Organe des Körpers bestehen zum 
großen Teil aus Eiweißstoffen, die locker gebundenen Schwefel 
enthalten. Wie die Stoffwechseluntersuchungen lehren, findet 
überdies ein fortwährender Eiweißzerfall unter Schwefelspaltung 
statt. Unter diesen Verhältnissen muß die in den Körper ge- 
langte Cyangruppe in den Rhodanrest übergeführt werden. 

So herrscht jetzt die allgemeine Ansicht, daß Cyanwasser- 
stoff im Organismus in Rhodanwasserstoff übergehen müsse. 

Anderseits gibt es auch Befunde, welche zeigen, daß Cyan- 
säureverbindungen aus Eiweißstoffen oder aus Zersetzungspro- 
dukten der Eiweißstoffe herstammen können. 

Wie oben erwähnt, hat schon Bruylants darauf auf- 
merksam gemacht, daß die Cyangruppe im Organismus aus 
den aus Eiweißstoffen herstammenden Xanthinkörpern her- 
rühren könne. 

Auch Nencki*) meint, daß man auf Grund der Arbeiten 
von Lang und Pascheles annehmen kann, daß in der 
Magenschleimhaut während der Saftbildung aus den Eiweiß- 
stoffen durch Hydrolyse zunächst Amidosäuren der Fettreihe 
entstehen, die bei der Oxydation in die um einen Kohlenstoff 
ärmeren Nitrile übergehen; diese würden dann durch den 


') Ztschr. f. physiol. Chem. VIII, 95. Annali di Chim. e di Far- 
macol. (1885). 
» A. a. O. 
”») Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. 84, 281. 
^ A. a O. 
9 


132 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 


Schwefel des Eiweißes unter Abspaltung des mit der C: N-Gruppe 
verbundenen Alkyls in Rhodan übergeführt. 

In jüngster Zeit hat Plimmer!) gefunden, daß bei der 
Oxydation verschiedener Eiweißkörper mit der Neumannschen 
Salpetersäuremischung oder mit Chromsäure Blausäure entsteht. 
Er hat nämlich bei der Oxydation einzelner Spaltungsprodukte 
der Eiweißkörper folgende Zahlen bekommen: Glykokoll gab 
11,1 °% HCN, Asparagin 7,7 °/,, Alanin, Leucin, Tyrosin, 
Tryptophan u. 8. w. viel weniger. 

Da nun nach der allgemeinen Ansicht Cyanwasserstoff im 
Organismus in Rhodanwasserstoff übergeht, anderseits Amino- 
säuren, u. a. Glykokoll bei der Oxydation außerhalb des 
Körpers nicht unerheblich Cyanwasserstoff liefern, so liegt die 
Annahme nahe, daß auch im Organismus als Nebenreaktion 
eine Oxydation von Aminosäuren unter Bildung von Blau- 
säure stattfindet, welche dann in Rhodan übergeht. 

Diese Hypothese suchte ich auf Anregung von Herrn 
Prof. E. Salkowski experimentell zu prüfen, und zwar durch 
Einführung von großen Mengen Glykokoll bei Tieren. 

Für die Versuche wurden Kaninchen gewählt, weil normaler 
Kaninchenharn frei von Rhodan ist oder nur kleine Spuren 
davon enthält. Das Rhodan im Urin wurde durch die Probe 
mit Ferrichlorid und Salzsäure nachgewiesen. Für Kontroll- 
versuche habe ich immer auch die Methode von J. Munck 
angewandt. 

Diese letzte besteht darin, daß man 200 ccm Urin mit 
Salpetersäure ansäuert, mit Silbernitrat ausfällt, den Nieder- 
schlag, der außer Chlorsilber auch Rhodansilber enthält, unter 
Wasser mit H3»S zersetzt, abfiltriert und im Filtrat mit Eisen- 
chlorid und Salzsäure durch die eintretende Rotfärbung des 
Rhodan nachweist. Munck sagt weiterhin hierüber: „Bleibt 
diese Reaktion aus oder ist sie nicht deutlich genug, so 
destilliert man die Flüssigkeit mit Schwefelsäure, und man 
wird dann im Destillat die Anwesenheit von Blausäure stets 
dartun können“ (J. Munck, a. a. O.). 

Bei meinen Untersuchungen nahm ich 100 cem Urin, 
zersetzte den Silberniederschlag in 50 ccm Wasser und nach 


') Journ. of Physiol. 82, 51—58 30. 12 1904, zitiert nach Chem Zen- 
tralbl. 1905. 


K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 133 


Durchleitung von HS benutzte ich immer die gleiche Menge 
des Filtrats (10 ccm) für die Prüfung. Zu dieser Probe wurden 
3—5 Tropfen Eisenchlorid und 1 ccm HCl hinzugesetzt. So 
konnte ich sehr gut bei allen Untersuchungen die Stärke der 
Reaktion vergleichen. Auch frischer Harn wurde in gleicher 
Weise im normalen Zustande und nach Einführung des Präpa- 
rats untersucht. 

Der normale Kaninchenharn gab bei solcher Verarbeitung 
keine oder nur sehr schwache rötliche Färbung. Auch nach 
der Destillation konnte ich keine Spuren von Blausäure finden. 
Was diesen Punkt betrifft, so bin ich zu einem von den 
Angaben Muncks abweichenden Resultat gekommen. Auch 
wenn ich im Filtrat schon deutlich rote Färbung mit Eisen- 
chlorid und Salzsäure bekommen hatte, fiel die Berliner Blau- 
probe im Destillat jedesmal ganz negativ aus. Dasselbe konnte 
ich auch mit reinem schwefelcyansaurem Salze in wässerigen 
Lösungen verschiedener Stärke bestätigen. 

Nach den beschriebenen Methoden ist es mir gelungen, 
das Vorkommen von Rhodan im Urin darzutun, nachdem das 
Glykokoll in den Magen der Kaninchen eingeführt war. Bei 
allen Tieren, deren Harn im normalen Zustande keine 
Rhodanreaktion gab, habe ich nach Einführung von nicht 
zu kleinen Mengen des Glykokolls (5—10 g, je nach der 
Größe des Tieres) starke Rotfärbung im Urin nach Bearbei- 
tung mit Eisenchlorid + HCl, direkt oder nach J. Munck, 
erhalten. 

Dasselbe Resultat gab auch Kreatinin, das Anhydrid des 
Kreatins, schon bei Einführung von viel kleineren Mengen 
(1 g auf jedes Kaninchen). Kreatin ist bekanntlich synthetisch 
aus Cyanamid und Sarkosin (Methylglykokoll) dargestellt und 
spaltet sich beim Kochen, u. a. in Harnstoff und Sarkosin, 
daher kann es auch Blausäure bei der Spaltung geben. 

Unsere positiven Befunde mit Kreatinin bestätigten die 
angenommene Voraussetzung. 

Die Versuche mit Adenin') gaben positive Resultate. Die 
Reaktionen waren sehr schwach, was wahrscheinlich darauf 


!) Wir verdanken dasselbe der Firma Böhringer und Söhne in 
Waldhof bei Mannheim. 


134 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 


zurückzuführen ist, daß uns zu kleine Mengen von Adenin’) 
zur Verfügung standen. Alle oben angegebenen Versuche zeigen 
mit Bestimmtheit, daß Aminosäuren (Glykokoll, wie auch 
einige andere Substanzen, die Blausäure bei ihrer Oxydation 
oder Spaltung geben (Kreatin, Kreatinin, Adenin), als Quelle 
des Rhodans im Organismus anzusehen sind. Diese Angaben 
bestätigen die Ansichten von Autoren, die den Eiweißkörpern 
und ihren Zersetzungsprodukten die Hauptrolle bei der Ent- 
stehung des Rhodans im Organismus zuschreiben. 


') Die Versuche mit Adenin haben mir auch gezeigt, daß es von 
Kaninchen sehr gut vertragen wird. Nach Einführung von 1 g Adenin 
konnte ich keine pathologische Veränderung des Harns nachweisen ; dieser 
Befund steht in Übereinstimmung mit solchen von Schittenhelm (Arch. 
f. exp. Pathol. u. Pharmak. 47, 432—437), der auf den auffälligen Unter- 
schied in dem Verhalten von Hunden und Kaninchen zu Adenin hin- 
gewiesen hat. 


Biochemische Untersuchungen 
über Vergiftung und Entgiftung bei der Lysolvergiftung. 


Von 
Prof. Dr. Ferdinand Blumenthal. 


(Aus der I. medizinischen Klinik zu Berlin.) 
(Eingegangen am 12. Mai 1906.) 


Während wir wissen, daß die Wirkung der bakteriellen 
Toxine u. a. darin besteht, daß sie im Tierkörper Antitoxin- 
bildung anregen, ist etwas derartiges von zahlreichen aus der 
Chemie bekannten Giften nicht nachgewiesen, und es besteht 
bis jetzt nach dieser Richtung ein scharfer Gegensatz zwischen 
den bakteriellen Toxinen und diesen Substanzen. Die Toxine 
werden mit ihrer haptophoren Gruppe an die entsprechende 
Gruppe der Zelle gebunden, und wenn zugleich die toxophore 
Gruppe in der Zelle zur Wirksamkeit kommt, so tritt eine 
Vergiftung ein. Dann stößt die Zelle das Toxinmolekül mit- 
samt der haptophoren Gruppe der Zelle ab, und es wird der 
Defekt durch eine hypertrophische Bildung von haptophorer 
Substanz in der Zelle wieder gut gemacht. Die hypertrophisch 
gebildete Substanz wird in die Zirkulation resorbiert und ist 
dort zum schützenden Antitoxin geworden, da sie nunmehr 
in der Zirkulation etwaiges an sie herantretendes Gift neu- 
tralisiieren kann. Ganz anders verläuft die Vergiftung der 
gewöhnlichen Gifte, wenigstens nach bisheriger Anschauung. 
Diese verursachen entweder lokale Veränderungen, Anätzungen, 
dort, wo sie hingeraten, wie die Ätzgifte, andere scheinen 
durch den Reiz, den sie auf die Nervenzellen ausüben, Krämpfe 
hervorzurufen oder Gefäßverengerung, Gefäßerweiterung usw. 


136 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


Ob dabei überhaupt eine gewisse Entgiftung statthat, ist für 
viele zweifelhaft. Nur bei einer bestimmten Gruppe von Giften, 
die an Schwefelsäure oder Glukuronsäure gebunden werden, 
können wir einen solchen Entgiftungsprozeß nachweisen. Die 
Wirkung der Gifte stellten wir uns bisher vor als beruhend 
auf anatomischer Läsion des Substrats.. Von vermehrter Anti- 
toxinbildung oder Gegengiftbildung wissen wir bisher nichts. 
Tritt ja doch auch keine Immunität auf, die auf zirkulierendem 
Antitoxin beruht; dagegen findet bei einzelnen eine Gewöhnung 
statt, d. h. der Organismus zeigt eine geringere Empfindlichkeit. 

Gelegentlich einer Anzahl von Fällen von Lysolvergiftung 
habe ich den Modus der Vergiftung der metbylierten Karbol- 
säure, der Kresole, die ja 50 °/, des Lysols ausmachen, unter- 
sucht. Dabei ergab sich zuerst, daß das Lysol nicht immer 
die gleiche Menge von Kresolen enthält. Die von der Fabrik 
angegebenen 50 °/;, mögen ja in den meisten Flaschen vor- 
handen sein, ich habe aber auch weit niedrigere Werte gefunden: 
33 und 25 °/,. Meine Untersuchungen habe ich angestellt mit 
einem Lysolpräparat, welches 48 °/, Lysol enthielt. Der Ein- 
fachheit halber werde ich es als 50 °/o-iges Kresol in Anrechnung 
bringen. 


I. Verbrennungsfähigkeit des Organismus für Kresole. 


Wir müssen also, wenn wir die tatsächliche Menge der im 
Lysol aufgenommenen Kresole berechnen wollen, diese Zahlen 
zugrunde legen. Es entstand nun für mich die Frage: wieviel 
Lysol wird denn nun eigentlich resorbiert oder aufgenommen, 
ohne daß die Kranken zu sterben brauchen. Die größte Dosis, 
nach der Genesung erfolgte, war beim Erwachsenen 60 g 
(Haberda) und 25 g beim Kind; die kleinste tödliche Dosis 
bei Kindern 4—5 g. Dahmen rechnet pro Kilo Mensch 0,83 g 
d.h. für 60 kg ca. 50 g. Ich habe einige mit Lysol Vergiftete 
durchkommen sehen und habe bei vieren täglich den Urin 
genau auf die ausgeschiedene Menge Kresol untersucht. Ehe 
ich darüber einen klaren Blick bekam, mußte ich wissen, wie 
groß die Verbrennungsfähigkeit des menschlichen Organismus für 
Kresol war. Ich gab einer Patientin ein Gramm Lysol in Gelatine- 
kapseln, nachdem ich am Tage vorher die Menge des Kresols im 
Harn bestimmt hatte; sie betrug 0,062 g Kresol, nach 1 g Lysol 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 137 


also nach !/s g Kresol, da 50 °/, des Lysols Kresol sind, stieg 
die Menge auf 0,174, um am nächsten Tage wieder auf die 
gewöhnliche Menge Kresol 0,0828 g zu sinken; d.h. die Patientin 
hatte 0,112 g Kresol oder ca. 20 °/, des eingeführten Kresols 
ausgeschieden, 80 °/, wurden verbrannt. Die Patientin erhielt 
nunmehr 2 g Lysol. Sie hatte am folgenden Tage 0,336 g und 
am Tage darauf wieder die normale Menge 0,0814 g, also 
0,25 g des gesamten Kresols, ca. 25 °/, ausgeschieden. 


Versuche am Menschen. 


Gesamt-| Äther- 
Schwefelsäure 






i reso! 











$ Bemerkungen 





a) Schmalke. 


2. | 400 | 3,99 |0,0336| 0,753 |0,07060,0121 |0,0139 ER 
24.2.2 80 
2. | 400 | 2,91 |0,0484| 0,467 |0,063 |0,00208/0,0112 m 25.2.25 I.ynol 
1.26.2.| 1300 | 5,17 |0,370 | 0,863 |0,328 | Spar 0,0410 — 
27. 2. | 900 | 6,12 |0,0707| 1,035 |0,140 [0,0093 |0,0087 am 28.2.2 g Lysol 
3. | 600 | 5,29 [0,167 | 0,927 |0,290 |0,00312 — — 
3 


800 | 7,57 |0,0547| 1,360 |0,158 |0,0041 | — er 
b) Schulz. 


9. 2. | 1300 | 9,41 |0,062 | 1,780 |0,180 |0,0067 | 1g Lysol 

10. 2. | 2000 | 12,10 (0,174 | 2,284 |0,336 |gering| — 0,1 Pol. 
11. 2. | 2300 | — |0,0828]| — — — | 2g Lysol 

12. 2. | 2200 | 17,06 10,336 | 3,32 |0,647 |gering| — 0,15 Pol. 
13. 2. | 1900 | 14,84 |0,0814| 2,33 |0,279 [0,0099 = 

14. 2. | 2200 | 12,32 |0,298 | 2,254 |0,452 0 = 


Eine zweite Patientin Schmalke schied an den Tagen vor 
der Lysoldarreichung 0,03 und 0,04 g Kresol aus. Sie erhielt 
4 g Lysol und schied nunmehr am folgenden Tage 0,370 und 
am Tage darauf 0,0707 g Kresol aus, d. h. die Kresolmenge 
war um 0,4 gestiegen; da sie 2 g Kresol in 4 g Lysol bekommen 
hatte, so ist die Ausscheidung ca. 20 °/, der aufgenommenen. 

Die Verbrennungsfähigkeit für Kresol ist danach außer- 
ordentlich hoch. Wir sehen, daß kaum 20—25 °/, des auf- 
genommenen Kresols im Harn erscheinen. Nun kann man den 
Einwand machen, daß ein Teil des Kresols mit den Fäces aus- 
geschieden wird und gar nicht zur Resorption gelangt. Um 
diesen Einwand zu entkräften, habe ich die Fäcer untersucht, 
aber keine wesentliche Erhöhung der Kresole in den Fäces 
nachweisen können. Daraus geht hervor, daß unsere An. 


138 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


schauungen über die Verbrennungsfähigkeit der Phenole im 
Organismus eine Korrektur erfahren müssen. Man kann nicht 
von der Verbrennungsfähigkeit der Karbolsäure ohne weiteres 
schließen auf die Verbrennungsfähigkeit der Karbolderivate und 
es scheint, als ob z. B. für die Kresole eine größere Ver- 
brennungsfähigkeit existiert. Diese Tatsache ist von nicht un- 
wesentlicher Bedeutung für unsere Kenntnisse von der Phenol- 
ausscheidung bei Krankheiten. Wir werden also in Zukunft 
rechnen müssen erstens mit einer verschiedenen Fähigkeit des 
Organismus, die einzelnen Phenole zu verbrennen, und da wir 
immer nur die Gesamtmenge der destillablen Phenole, nicht 
ein einzelnes bestimmen, so wird die Verbrennungsfähigkeit, 
d. h. die Größe der Ausscheidung davon abhängen, welches der 
Phenole gebildet wurde. Zweitens werden wir namentlich in 
pathologischen Zuständen die anzunehmenden individuellen 
Schwankungen in der Verbrennungsfähigkeit für die einzelnen 
arom. Körper berücksichtigen müssen, und es ist nicht unwahr- 
scheinlich, daß häufig eine vermehrte Phenolausscheidung ihre 
Ursache weniger hat in einer vermehrten Bildung als vielmehr 
in einer gestörten Verbrennungsfähigkeit des Organismus dafür. 
Ausgeschlossen ist es nicht, daß das auch für eine andere 
ähnliche Substanz, für das Indol zutrifft, und daß wir in der 
häufig beobachteten, gar nicht durch vermehrte Fäulnisprozesse 
zu erklärenden vermehrten Indikanausscheidung einen Mangel 
des Organismus für die Verbrennungsfähigkeit von Indol er- 
blicken müssen, eine Auffassung, die, wie ich gesehen habe, 
in dem neuesten Handbuch von Noorden auch von Strauß 
vertreten wird. Legen wir diese durch meine Zahlenbefunde 
sehr wahrscheinlich gemachte Möglichkeit der verschiedenen 
Verbrennungsfähigkeit für die einzelnen Phenole unserer Be- 
trachtungsweise für das Verhalten der aromatischen Substanzen 
im Tierkörper zugrunde, so wird sich vielleicht endlich Licht 
in diese verworrene Lehre bringen lassen. 

Da nun meine experimentellen Kenntnisse über die Lysol- 
vergiftung im wesentlichen am Hunde gewonnen sind, so suchte 
ich die am Menschen gewonnenen Ergebnisse am Hund zu 
kontrollieren. Ein Hund schied vor der Lysoldarreichung pro 
Tag 0,01 g Kresol aus, nach 2 g Lysol per os 0,35 g Kresol, 
d. h. ca. 34 °/,; nach 4 g Lysol 0,72 g, d.h. 35 %/, Kresol. 


F. Biumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 139 


In einem andern Falle anstatt 0,0126 g vor der Darreichung 
0,97 g nach der Darreichung von 4 g Lysol, d. h. also ca. 48 °/o. 
Bei der subkutanen Darreichung schied er aus anstatt 0,03 g 
0,15 g, d. h. 25 °/,, in einem andern Falle vorher 0,02 g, nach 
1 g Lysol subkutan 0,20 g, d.h. 36 °,. Es ergibt sich also 
daraus, daß bei der subkutanen Darreichung mehr Kresol ver- 
brannt wird, als bei der Darreichung per os. Ein dritter Hund 






Äther- 


j | Kresol |Schwefel-|Indikan Bemerkungen 








säure 
Hund ]. 

13. 1. | 500 | 14,56 | 0,014 | 0,0850 |0,0045 _ 

n I) 800 | 25,65 | 0,030 | 0,1243 |0,0104|am 15. 1 g Lysol subkutan 
16. 1. | 400 | 9,52 | 0,152 | 0,324 |0,0050 = 

17. 1. | 400 | 13,15 | 0,0209 | 0,0941 |0,058 |am 18. 1 g Lysol subkutan 
19. 1. | 300 | 10,54 | 0,207 | 0,401 0,093 |— 0,3 Pol. 

20. 1. | 300 | 13,18 | 0,118 | 0,073 [0,093 = 
| Hund II (Gewicht 6,5 kg). 

23. 1 400 | 12,46 | 0,0115 | 0,0368 |0,0065| am 24. 2 g Lysol per os 
25. 1. | 400 | 17,68 | 0,358 | 0,480 |o,013 | — 0,6 Pol. 

26. 1. | 500 | 138,62 | 0,112 | 0,071 |0,0068|am 28. 4 g Lysol 

29. 1. | 500 | 16,45 | 0,687 |0,857 | — |— 1,2 Pol. 

30. 1 400 | 12,99 | 0,096 | 0,161 [0,0175| — 0,2 Pol. 

31. 1. | 700 | 13,44 | 0,0126 | 0,0706 |0,0121|am 2.2. 4g Lysol 

3. 2. | 700 | 16,66 | 0,97 | 1,03 1!0,0247|— 0,8 Pol. 
4.u.5.2.| 600 | 20,23 | 0,0356 | 0,184 | — |— 0,2 Pol. 

Hund Ill. 
Gesamt- 
Schwefel- 
säure 
23. 2. | 800 | 15,79 | 2,27 0,074 — am 23.2. 4g Lysol 
24. 2. | 600 8,11 | 8,30 0,607 — — 0,9% Pol. 


25.0.26.2] 600 | 17,86 | 8,56 | 0,179 | — — 


schied aus vor der Darreichung 0,07 g Kresol, er erhält 4 g Lysol 
und scheidet nunmehr aus 0,60 g, also mehr 0,53 g oder 20°/, 
des zugeführten Kresols. Wir sehen also, daß die Hunde eine 
verschiedene Verbrennungsfähigkeit für Kresol haben. Der eine 
Hund verbrennt ungefähr wie der Mensch 80 °/, des zugeführten 
Kresols, der andere Hund nur ca, 50 %o. 


140 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


II. Menge des aufgenommenen Kresols bei der 
menschlichen Lysolvergiftung. 


Da für uns für die Betrachtung der Lysolvergiftungen die 
bei Menschen gewonnenen Zahlen natürlich wichtiger sind, so 
wollen wir diese bei der Frage der aufgenommenen Mengen 
Kresol bei Lysolvergiftungen zugrunde legen. Ich habe vier 
Fälle von Lysolvergiftung genauer untersucht. In dem Falle 
Hinz, der sofort nach der Vergiftung eingeliefert wurde, betrug 
die am Tage der Vergiftung entleerte Kresolmenge 0,396 g, 
die am folgenden Tage 0,492 g. Es waren also resorbiert 
worden 0,888 g Kresol. Nehmen wir also an, daß zirka 25°), 
des gesamten Kresols ausgeschieden wurden, so würde die vier- 
fache Menge genommen worden sein, also 3,5 g Kresol oder 
7,0 g Lysol würden zur Resorption gelangt sein. Die übrige 
Menge ist entweder durch Magenauspülung, vielleicht auch 
ein kleiner Teil durch den Darm zur Ausscheidung gekommen. 
Am dritten Tage war die Gesamt-Kresolmenge bereits 0,058 g, 
d. h. normal. Die ganze Vergiftung spielte sich also in 
48 Stunden ab; erhebliche Nierenstörungen waren nicht zu be- 
obachten, Störungen von seiten des Magens und des Darms 
ebenfalls nicht. Die Patientin machte bei der Aufnahme einen 
schweren Eindruck, war bewußtlos, cyanotisch mit schwachem 
Puls. Wir machten nun die übliche Magenausspülung und 
gaben Herzmittel (Digalen) intramuskalär. Bereits am selben 
Abend war die Patientin wieder ziemlich munter. Wenn man 
diese geringen Mengen Lysol, die hier zur Resorption gelangt 
sind, betrachtet, so wird man sich nicht wundern, daß die 
Patientin durchgekommen ist, zumal man beim Hund 4 g 
Lysol per os ohne die geringste Störung gegeben hat. 
Natürlich hat die Patientin eine weit größere Menge zu sich 
genommen als resorbiert wurde, aber auch lokal scheinen 
diese Ätzwirkungen, die man manchmal bei der Lysolvergif- 
tung sieht, nicht sehr groß gewesen zu sein, denn sonst hätte 
sie nicht dauernd sich eines guten Allgemeinbefindens er- 
freuen können. 


Im Falle Kunert hielten wir die Kranke bei der Auf- 
nahme für vollständig hoffnungslos. Patientin war pulslos, 
cyanotisch, kalt; wir hüllten sie erst bei der Aufnahme in 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 141 


Lysolvergiftungen beim Menschen. 





Datum 





fel- 
säure | felsäure 





a) Hinz 
12.12.05 | 800 | 5,46 | 2,88 | 0,396 | 1,429 — Spur | — 6,5 
13.12.05 | 950 | 19,5 | 4,37 | 0,492 | 1,003 — . — 0,5 
14.12.05 | 550 | 11,5 | 1,66 | 0,058 |0,0878| — Z — 
15.12.05 | 1050 | 15,88 | 3,88 | 0,084 | 0,198 — jetwasmehr| — 
16.12.05 | 1500 | 12,94 | 6,75 | 0,087 | 0,0882] — Spur — 
b) Kunert. 
29. 12. 05 | 1200 | 11,89 | — |2,270 | 1,350 — — — 6,6 
30.12.05 | 780 | 16,66 | — |0,088 | 1,300 | — = Jag 
2. 1. 06 730 | 18,07 | — | 0,132 | 0,190 — — — 0,2 
3.1.06 450 | 8,88 | — | 0,055 | 0,079 — — — 





c) Kriesel. 








1.1: 2 Br — 2,89 | 2,28 | 2,81 E = | = 
8.1. |1250 | 25,0 | — Jorzslıoa| — |—19| — | — 
d) Keller. 


19.4. 06) 700 | 5,27 | 3,92 |2,81 | 0,976 | 1,32 | — 6,4| 1,446 | 0,126 
(12 Std.) 
20.4.06| 700 | 8,30 | 6,16 |0,636| 0,711 | 1,213 | — 1,6 | 1,658 | 0,445 


22. u. 23. 4. | 1300 | 31,81 | 5,72 |0,272| 0,382 | 5,42 | — 0,4 | 5,897 | 0,447 
(650) | (15,9) | (2,85) |10,136)| (0,191) | (2,71) (2,948) 
24. 4. | 1000 | 20,10 | 3,10 0,087) 0,184 | 3,46 | — | — [02235 





warme Decken und machten ihr eine Reihe von Kampfer-, 
Äther- und Digaleneinspritzungen, und erst als wir etwa nach 
einer Viertel- bis einer halben Stunde den Puls wieder fühlen 
konnten, wagten wir es, den Magenschlauch einzuführen. Wir 
entfernten durch denselben eine große Menge Lysol. Diese 
Patientin schied aus in den ersten 24 Stunden 2,27 g Phenol, 
am nächsten Tage 0,88 g, am dritten Tage 0,13 g, am vierten 
Tage 0,05 g. Wir sehen also auch hier im wesentlichen die 
Lysolvergiftung abgeklungen nach 48 Stunden, vollständig 
nach 72. Die ausgeschiedene Kresolmenge betrug 3,2 g. 
Legen wir hier wieder 20—25°/, der nicht ausgeschiedenen 


142 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


Menge zugrunde, so kommen wir hier zu dem erheblichen 
Werte von 12—15 g Kresol oder von 24—30 g Lysol, die 
zur Resorption gelangt sind. Auch hier wird natürlich die 
aufgenommene Menge eine weit größere gewesen sein, da ein 
großer Teil durch die Magenausspülung entfernt wurde. Auch 
bei dieser Patientin war es nach 24 Stunden sicher, daß sie 
durchkommen würde. 

Ein dritter Fall Kriesel zeigte nach gleicher Berechnung; 
es wurden 3,6 g Kresole ausgeschieden = 28,8 g Lysol; im vierten 
Fall Keller waren die Zahlen 3,44 g Kresole — 28 g Lysol. 


DI. Verhalten der Phenole im Tierkörper. 


Über den Mechanismus der Phenol-Vergiftungen ist fol- 
gendes bekannt. Die in den Organismus eingeführten Phenole 
werden, wie Baumann u. a. gezeigt haben, ausgeschieden 
zum Teil als Schwefelsäure, zum Teil als Glukuronsäure. 
Die Schwefelsäure wird geliefert von den Eiweißkörpern, die 
Glukuronsäure wahrscheinlich von Kohlenhydraten und Eiweiß- 
körpern. Beide Verbindungen sind relativ ungiftig. Es handelt 
sich also bei der Paarung der Phenole an die Schwefelsäure 
und Glukuronsäure um einen echten Entgiftungsprozeß. Da 
der entgiftende Körper auch aus dem Eiweiß stammt, so ist es 
nicht wunderbar, daß ein ziemlich starker Eiweißzerfall statthat. 
Im Falle Hinz sehen wir am zweiten Tage nach der Ein- 
lieferung, obwohl die Nahrungsaufnahme infolge der Verätzung 
des Mundes nur eine höchst kümmerliche war, 19,5 g Stick- 
stoff im Harn, während die Charite-Kranken bei guter Er- 
nährung ca. 10 g pro Tag auszuscheiden pflegen. Einen 
Anhaltspunkt für die geringe Nahrungsaufnahme erhält man 
auch in der Ausscheidung der Chloride. Dieselbe betrug an 
diesem Tage 4,37 g, während normalerweise die Ausscheidung 
der Chloride gleich der Stickstoffmenge ist. Am folgenden Tage 
wurden 11,5 g Stickstoff ausgeschieden gegen 1,66 g Chloride, 
dann 15,8 g Stickstoff gegen 3,8 g Chloride; erst am 16. steigt 
die Chlormenge auf 6,7 g gegenüber einer Stickstoffmenge von 
12,9 g; es ist also eine vollkommene Ausgleichung auch an 
diesem Tage noch nicht erzielt. 

Im Falle Kunert, wo die Lysolvergiftung noch weit 
schwerer war, sind die Verhältnisse nach dieser Richtung hin 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 143 


sehr interessant. Wir finden im Harn eine Chlorausscheidung, 
die der Stickstoffausscheidung entsprach, resp. sie noch über- 
stieg. Das ist uns ein Zeichen, daß die Patientin, ehe sie den 
Vergiftungsversuch unternommen hat, sehr reichlich Nahrung 
aufgenommen haben muß, und diesem Umstand verdankt sie 
vielleicht auch ihre Rettung. Am folgenden Tage ist die 
Stickstoffausscheidung 16,66 g, die der Chloride 2,09 g; sie hat 
also nach der Vergiftung gehungert. Am Tage darauf ist die 
Stickstoffausscheidung 13,07 g, die Ausscheidung der Chloride 
3,7 g. Am dritten Tage ist die Ausscheidung an Stickstoff 
nur 8,3 g, die Ausscheidung der Chloride 7,6 g, also hier ist 
der Stoffwechsel schon am dritten Tage wieder ein normaler. 

Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, ein wie großer Teil 
der Phenole als Schwefelsäureverbindungen und ein 
wie großer als Glukuronsäure ausgeschieden wird, eine 
Frage, die nicht unwichtig ist, weil eine Anzahl von Autoren 
immer noch gewohnt ist, aus der Menge der Ätherschwefelsäure, 
das heißt der gepaarten Schwefelsäuren einen Rückschluß zu 
machen auf die Menge der im Harn ausgeschiedenen aromati- 
schen Körper, so finden wir folgendes: Im Falle Hinz beträgt 
am ersten Tage die Phenolmenge 0,396, die Menge der Äther- 
schwefelsäuren 1,429 g. Am zweiten Tage ist die Phenolmenge 
höher, 0,492, die Menge der Ätherschwefelsäure 1,003, also 
niedriger. Eine schätzungsweise Bestimmung für die Glukuron- 
säure finden wir in der Linksdrehung des Harns. Bekanntlich 
drehen die gepaarten Glukuronsäuren links. Wir finden am 
Tage nach der Aufnahme eine Linksdrehung des Harns be- 
rechnet auf Traubenzucker 6,2°/, bei einer Urinmenge von 800. 
Am folgenden Tage 0,5°/, Linksdrehung. Später ist überhaupt 
eine Linksdrehung nicht mehr zu konstatieren. Wir sehen 
also fast die gesamten gepaarten Glukuronsäuren schon in den 
ersten 24 Stunden im Harn erscheinen, und es zeigt sich ferner 
in diesem Falle, daß gar keine Kongruenz ist in bezug auf 
die Menge des ausgeschiedenen Kresols und die Summe der 
im Harn erscheinenden gepaarten Schwefelsäuren und Glukuron- 
säuren. Am zweiten Tage ist die Glukuronsäuremenge höher als 
am ersten. Im Falle Kunert wurden am ersten Tage 2,27 g 
Phenole ausgeschieden und nur 1,35 g Ätherschwefelsäure. Die 
Linksdrehung des Harns beträgt 6,6°/,, am nächsten Tage 


144 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


noch 1,2°/,, am dritten Tage 0,2%. Wir sehen also im 
zweiten Falle ungefähr die gleiche Menge Ätherschwefelsäure 
im Harn erscheinen, obwohl über dreimal so viel Phenol aus- 
geschieden war, woraus hervorgeht, daß die Ausscheidung der 
Ätherschwefelsäuremenge in keiner Weise proportional ist der 
ausgeführten Phenolmenge. 

Baumann hat behauptet, daß zuerst die Schwefelsäure 
zur Entgiftung herangezogen werde, und erst, wenn dieselbe 
verbraucht sei, die Glukuronsäure. Es ist nun in neuerer Zeit 
von Wang und anderen gezeigt worden, daß bei der Dar- 
reichung des Indols gleichzeitig die Bildung der Glukuron- 
säure mit der Schwefelsäure stattfindet, daß immer ein Teil 
des Indols als Glukuronsäure ausgeführt wird. Wenn wir nun 
unsere Zahlen hier ansehen, so sehen wir bei dem Falle 
Keller, daß am Tage der Lysolvergiftung fast die gesamte 
Schwefelsäure als Ätherschwefelsäure ausgeschieden ist. Im 
Falle Kriesel ist das gleiche der Fall. Wir sehen aber, daß 
in beiden Fällen mehr Kresol im Harn erschienen ist, als der 
gesamten Menge der im Harn erschienenen Ätherschwefelsäure 
entspricht, namentlich im Falle Keller. Wir könnten uns 
also, wenn wir den Fall Keller zugrundelegen, sehr wohl mit 
der Baumannschen Theorie abfinden. Doch ist auch in diesem 
Falle, ebenso wie in anderen Fällen, die gebildete Menge 
Glukuronsäure zu groß, als daß sie nur als Ergänzung dienen 
könnte zur Entgiftung des durch die Schwefelsäure noch nicht 
gebundenen Kresols. Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß 
der Organismus nicht genügend Schwefelsäure zur Verfügung 
gehabt haben sollte, denn wir sehen die Menge der Schwefel- 
säure direkt bei der Einführung von Phenöl herabgehen. 
Wolff’) und ich haben vor zwei Jahren beim Kaninchen fest- 
gestellt, daß bei Zuführung von Phenol in den Organismus sofort 
die gesamte Schwefelsäuremenge stark herabging und zwar von 
0,203 auf 0,079, während die Ätherschwefelsäure 0,054 g betrug. 
Dasselbe sehen wir in auffallendster Weise im Falle Keller, und 
ferner, wie die Schwefelsäure wieder in die Höhe geht, als die 
Kresolvergiftung abgelaufen war, am 22., 23. und 24. April. 
Daraus geht hervor, daß dem Organismus in keiner Weise 


©) Blumenthal u. Wolff, Ztschr. f. klin. Medizin 1904. 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 145 


Schwefel zur Entgiftung mangelt, denn er würde ja sonst nur 
den Schwefel anstelle von anorganischem Schwefel, d. h. von 
anorganischer Schwefelsäure als organische Schwefelsäure, d. h. 
Ätherschwefelsäure ausscheiden. Es würde also eine Verschie- 
bung zwischen diesen beiden Faktoren eintreten, eine Verschie- 
bung, wie sie auch Wohlgemuth!) neuerdings in einem Falle 
gesehen hat. Wir sehen aber, daß die gesamte Schwefelsäure 
heruntergeht, daß überhaupt weniger Schwefel in Form von 
Säure ausgeschieden wird. Das ist uns ein Zeichen dafür, daß 
der Organismus an Fähigkeit, den Schwefel zu oxydieren, über- 
haupt verloren hat, das heißt also mit anderen Worten, es be- 
steht bei der Lysolvergiftung auch eine Oxydationsstörung. 


IV. Versuche zur Klarstellung des Chemismus 
der Kresolvergiftung. 


Wenn ich nun zu den künstlichen Versuchen mit Lysol 
übergehe, welche mir den Mechanismus der Lysolvergiftung 
noch genauer dartun sollten, so sehen wir an der Patientin 
Schmalke, daß bei kleinen Gaben von Lysol ebenfalls ein 
Teil der Glukuronsäure den Harn verläßt, denn wir finden am 
25./26. Februar mehr Kresol im Harn, als der Gesamtmenge an 
Ätherschwefelsäuren entspricht. In gleicher Weise sehen wir bei 
der Patientin Schulz weniger deutlich nach 1 g Lysol als 
nach 2 g die Stickstoffausscheidung steigen. Bei der Patientin 
Schmalke ist das nicht zu beobachten. Beim Hund steigt die 
Ätherschwefelsäuremenge proportional der eingeführten Kresol- 
menge wenigstens bei einem Gramm Lysol. Bei 4 g Lysol 
finden wir, daß das nicht mehr der Fall ist. Es zeigt sich, 
daß im wesentlichen bei kleineren Mengen Lysol die Bildung 
und Ausfuhr der Ätherschwefelsäuren vermehrt ist. Dann aber 
bleibt dieselbe zurück und tritt dann mehr die Glukuronsäure- 
bildung zutage. Bei Einfuhr des Lysols in solchen Mengen, 
die den Organismus nicht erheblich schädigen, wie das beim 
Hund geschieht, sehen wir proportional der eingeführten Lysol- 
menge die Kresol-, Ätherschwefelsäure- und Glukuronsäure- 
menge ansteigen. Nach 2 g Lysol zeigt der Harn 0,6 °/, Links- 
drehung, nach 4 g 1,2 °/, und an einem andern Tage, wo die 


1) Wohlgemuth, Berliner klin. Wochenschr. 1905, April. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 10 


146 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


Urinmenge etwas höher ist, 700 gegen 500 ccm 0,8°/,. Vielleicht 
wachsen die Werte etwas; es bedarf aber nach dieser Richtung 
noch spezieller Untersuchungen. Dort aber, wo die Einführung 
von Lysol eine wirkliche schwerere Vergiftung hervorruft, da 
läßt sich die Bildung und Ausscheidung der einzelnen Ver- 
bindungen des Kresols nicht mehr so regulieren. 


V. Ist die Entgiftung der Kresole durch Glukuronsäure 
in Analogie zu setzen mit der Entgiftung der Toxine 
durch Antitoxine? 


Wir haben also gesehen, daß das Gegengift gegen das 
Kresol besteht in der Bildung von Schwefelsäure und Glukuron- 
säure, die sich an das Kresol anlagern und zu einer ungiftigen 
Verbindung führen. Es ist dies insofern nicht uninteressant, 
als Ehrlich und seine Schule solche Anlagerungen bei den 
bakteriellen Toxinen und Antitoxinen annehmen, denn sie 
konnten in vielen Fällen die Verbindung des Antitoxins und 
Toxins derart wieder zerlegen, daß die eine oder andere 
Substanz dabei wieder wirksam wurde. Es beruht also die 
Unschädlichmachung der Toxine im Organismus nicht etwa 
in einer vollständigen Vernichtung des Giftes, sondern in einer 
Überführung in eine ungiftige Modifikation durch Anlagerung 
der Antitoxine, die von den Zellen geliefert werden. — Vor- 
bedingung für die Wirkung der Toxine ist ihre Bindung an 
die Zellen. 

a. Ablagerung der Krosole in den Zellen. 

Hund 1, 7 kg schwer, erhält 10 g Lysol am Nachmittag 5 Uhr; 
eine halbe Stunde später beginnen die Krämpfe, nach etwa 
einer Stunde liegt er in krampfartigen Zuckungen da. Er 
stirbt gegen morgen des folgenden Tages. Der Darminhalt 
enthält 0,0662 g Kresol, der Mageninhalt 0,160 g, zusammen 
also ca. 0,2 g sind nicht resorbiert worden. Die Verarbeitung 
der Lunge ergibt 0,0418g, der Leber 0,192g, des Gehirns 0,0292 g, 
der Niere 0,0406 g. 

Hund 2, 10 kg, erhält 20 g Lysol um 7 Uhr abends. 
Nach wenigen Minuten starke Krämpfe, am nächsten Morgen 
ebenfalls Krämpfe, die schon schwächer geworden sind. Er 
droht jeden Augenblick zu verenden; durch Verbluten aus der 
Karotis wird der Hund getötet. Der Darminhalt des Hundes 


F. Biumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 147 


enthielt 600 g mit Spülwasser; nach direkter Destillation 
enthält er 0,1508 g Kresol, nach Destillation mit Schwefelsäure 
0,0216 g, zusammen 0,1724 g. Mageninhalt ist nicht unter- 
sucht. 100 g Lunge enthalten 0,027 g, 100 g Leber 0,032 g, 
100 g Gehirn 0,027 g, 100 ccm Blut 0,0228 g Kresole. Wir 
sehen also, daß das Blut am wenigsten enthielt. 


Hund 1. 
Darminhalt . . 0,0662 g Leber. . . . 0,192g 
Mageninhalt . . 0,160 g Gehirn. . . . 0,0292 g 
Lunge . . . . 0,0418 g Blut: u 2% & — 








Kresol 
ohne | mit 
Schwefelsäure destilliert 


100 g Organ 





Organ Gewicht 






enthalten 







Hund 2 (10 kg mit 20 g Lysol vergiftet). 








Darminbalt. 600 g 0,1508 0,0216 0,1744 — 
Mageninhalt — _ — — — 
Lunge . .| 160g | 0,0248 0,0173 | 0,0421 0,027 
Leber. . .| 550g | 0,090 0,0855 | 0,1755 0,032 
Gehim . . 84 g 0,0176 0,0052 0,0228 0,027 
Niere. . . 56 g | 0,0144 0,0468 | 0,0612 = 
Blut . . .| 100 ccm | 0,00668 0,0162 0,0228 — 

Hund 8 (8,5 kg mit 10 g Lysol vergiftet). 
Blut . . . | 25 ccm 0,0023 0,0045 0,0068 0,0272 
Gehirn . . 72g | 0,0272 0,0068 | 0,0340 0,047 
Leber. . . 200 g 0,0789 0,0828 0,1617 0,0808 
Lunge . . 86 g | 0,0328 0,0131 | 0,0459 0,0540 
Muskel . .| 100g | 0,0337 0,0103 | 0,0440 0,0440 
Niere. . . 33 g | 0,01944 | 0,0068 | 0,0262 0,080 

Hund 4 (10 g Lysol) am 3. 4. 1906 vergiftet. 

Fettgewebe (60 g) 0,069 0,0233 0,0923 0,0923 

auf 100 g 

berechnet 
Gehim . . 70g 0,0204 0,0027 0,0231 0,0311 
Blut . . . | 25 cem kaum nachweisbare Spuren 
Leber. . .| 192g 0,0659 0,0698 | 0,1357 0,0770 
Lunge . .| 128g 0,0652 0,0259 | 0,0911 0,0712 
Muskel . .| 100g 0,0232 0,0061 0,0293 0,0293 





Hund 3 erhält 10 g Lysol um 5 Uhr nachmittags. Der 
Hund wird am nächsten Morgen durch Verbluten getötet, 
nachdem er vorher ebenfalls die heftigsten Krämpfe gehabt 


hat. 100 g Blut enthalten 0,027 g, 100 g Gehirn 0,047 g, 100 g 
10* 


148 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


Leber 0,080 g, 100 g Lunge 0,054 g, 100 g Muskel 0,044 g. 
Auch hier enthält das Blut am wenigsten. Auch in dem Falle von 
menschlicher Lysolvergiftung, der zum Tode kam, enthielt das 
Aderlaßblut kaum nachweisbare Mengen von Kresol. Hund 4 
wurde nach Vergiftung mit 10 g Lysol ebenso untersucht, außerdem 
noch das Fettgewebe. 100 g Fettgewebe enthielten 0,0928 g, Gehirn 
0,0331 g, Leber 0,0770 g, Lunge 0,0712 g, Muskel 0,0293 g. 
Aus diesen Zahlen geht zuerst herver, daß die Ablagerung 
und die Entgiftung des Kresols nicht im Blut statthat, sondern 
daß das Kresol schnell aus der Blutbahn verschwindet und in 
die Gewebe gelangt, und hier ist es in allen Fällen besonders 
die Leber, welche das Kresol aufnimmt. Nun fragt es sich erstens, 
was bedeutet die Ablagerung des Kresols in den einzelnen Organen, 
zweitens, wo findet die Entgiftung, das heißt die Überführung 
des Kresols in Kresolglukuron- resp. -Schwefelsäure statt. Um 
dies zu entscheiden, wurden alle Organe zuerst destilliert unter 
Zusatz von einer Spur Sodalösung, um das noch freie Kresol 
zu bestimmen und dann mit Schwefelsäure, um das an Schwefel- 
säure resp. Glukuronsäure gepaarte Kresol frei zu machen und 
zu bestimmen. Dabei zeigte sich, daß im Darminhalt, wie aus 
Hund 2 hervorgeht, fast die gesamte Kresolmenge ungebunden 
war und nur eine minimale Spur gebunden gefunden wurde. 
In der Lunge war ebenfalls eine weit größere Menge in ungebun- 
dener Form, ebenso im Gehirn. In letzterem wurde überhaupt 
weder bei Hund 2 noch bei Hund 3 eine nennenswerte gebundene 
Menge konstatiert. Dagegen sind sehr groß die Zahlen der ge- 
bundenen Kresolmenge in der Leber, sowohl bei Hund 2, wo 
sie ebenso groß ist wie die des ungebundenen Kresols und bei 
Hund 3, wo sie noch etwas größer ist, und in der Niere, nament- 
lich bei Hund 2. Die Niere kommt weniger in Betracht, da 
hier möglicherweise schon etwas Urin in den Harnkanälchen 
vorhanden ist, in welchem gepaarte Glukuronsäure enthalten ist. 
Wir sehen also, daß die Entgiftung in geringem Grade in allen 
Zellen vor sich gehen kann, ganz besonders aber in der Leber 
oder daß die Leber das Organ ist, in welchem von allen Organen 
am meisten entgiftende Substanz deponiert wird. Nun habe ich 
vorhin gezeigt, daß die Lysolvergiftung einen Reiz ausübt auf das 
Zentralnervensystem und damit scheint im Widerspruch zu stehen 
der sehr geringe Gehalt des Gehirns an Kresol. Das spricht 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 149 


aber nicht dagegen, daß das Kresol einen besonderen Reiz 
ausübt auf die Nervensubstanz, denn die Größe der Giftauf- 
nahme einer Zelle geht nicht proportional der Intensität der 
Vergiftung. Die Nervenzelle kann ja bereits auf kleinere Reize 
reagieren, während eine andere z. B. Leberzelle größerer Mengen 
hierzu bedarf. Es ist auch nicht nötig, daß jede Zelle durch 
die Aufnahme eines Giftstoffes mit einer Vergiftung antwortet. 
Es müssen hierzu zwischen der Zelle und dem Gifte noch be- 
sondere Beziehungen bestehen. Es kann sogar im Gegenteil 
dadurch, daß im Organismus außer den für das Gift empfind- 
lichen Zentren, z. B. für das Nervengift, noch andere Zellen 
vorhanden sind, welche das Gift in sich aufnehmen, ein 
Schutz geschaffen werden für die Nervenzentren, indem das 
Gift auf seinem Wege zu den Nervenzentren von anderen 
Organen abgefangen und dadurch gehindert wird, die gift- 
empfindlicheren Zentren zu schädigen. So kann ja auch hier 
die Aufnahme des Kresols in die Lungen- und Leberzellen 
eine Art Schutz darstellen für die Nervenzellen, indem die 
Lungen- und Leberzellen das Gift auf dem Wege zum Gehirn 
und Rückenmark der Blutbahn entziehen. Ähnliches sehen 
wir beim Tetanusgifte. Bei diesem Gifte zeigt sich, daß die 
Tiere, z. B. Kaninchen, deren Leber-, Lungen-, sowie Muskel- 
zellen usw. eine besondere Affinität zum Tetanusgifte haben, 
viel weniger empfindlich sind für Tetanus als solche Tiere, bei 
denen das Gift vorzugsweise vom Zentralnervensystem angezogen 
wird und bei denen andere Organe für die Resorption des 
Giftes nicht in Betracht kommen, z. B. Meerschweinchen. Wenn 
nun auch das Eindringen der Kresole in die Nervenzellen für die 
eigentliche Vergiftung von allein wesentlicher Bedeutung ist, so 
soll nicht gesagt sein, daß die übrigen Zellen vollständig reak- 
tionslos sich gegenüber dem Kresol verhalten. Es spielt bloß 
die Aufnahmefähigkeit der übrigen Zellen des Organismus für 
Kresol eine untergeordnete Rolle gegenüber den Wirkungen, 
welche das Kresol ausübt, wenn es in die Nervenzellen gerät. — 


b. Entgiftung der Kresole. 
Man hat angenommen, daß die Antitoxine vorzugsweise in 
denjenigen Organen entstehen, in denen auch die Vergiftung 
sich vollzieht, Diese Ansicht fand ihre Grundlage in den 


150 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


schönen Befunden A. Wassermanns, der nachgewiesen hat, 
daß beim Tetanus im Gehirn und Rückenmark Antitoxine prä- 
formiert vorhanden sind. Es ist aber nicht nötig, daß nur das 
vergiftete Organ das Antitoxin bildet. Wir wissen im Gegen- 
teil, daß alle Organe an der Antitoxinbildung teilnehmen 
können. Für die Kresolvergiftung ist von präformierten Anti- 
toxinen keine Rede. Von der Glukuronsäure ist zu sagen, daß 
die Gewebe, soweit bisher bekannt, keine Glukuronsäure prä- 
formiert enthalten. Sie entsteht erst im Moment, wo der Orga- 
nismus ihrer zur Entgiftung bedarf. Nun finden wir bei der 
Vergiftung mit bakteriellen Toxinen zumeist mehr Antitoxin im 
zirkulierenden Blute als der zugeführten Toxinmenge entspricht. 
Auf den ersten Blick scheint dies bei der Glukuronsäure nicht 
der Fall zu sein, denn wir finden überhaupt keine freie Glukuron- 
säure analog dem frei zirkulierenden Antitoxin. Die Zahlen zeigen 
aber, daß soviel Glukuronsäure gebildet wird, daß es kaum anzu- 
nehmen ist, daß dieselbe nur zur Neutralisierung der Phenole dient. 

So ist im Fall a) 0,9 g Phenole vorhanden bei gleichzeitiger 
Anwesenheit 800 ccm — 6,2°/, und 950 ccm — 0,5°/, drehen- 
den Harns. Würde die Drehung des Harns auf Traubenzucker 
bezogen, so wären 54 g Traubenzucker enthalten. Das ist ein 
so großer Wert, daß er um ein vielfaches die für 0;9 g Phenole 
nötige Menge Glukuronsäure übersteigt. 

Im Fall b) Kunert sind die Zahlen 3,3 g Phenole. Die 
Drehung des Harns auf Traubenzucker berechnet ergibt 90 g. 

Im Fall c) Kriesel sind die Zahlen 3,6 g Phenole. Ent- 
giftende Substanz als Traubenzucker berechnet 116,7 g. 

Im Fall d) Keller sind ausgeschieden 3,7 g Phenole. Ent- 
giftende Substanz als Traubenzucker berechnet 61,2 g. Diese 
Zahlen als Phenolglukuronsäure berechnet sind a) 34 g; b) 56 g; 
c) 74 g; d) 38,4 g. 

Nun ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Teil der in 
den Organismus eingeführten Kresole zu Hydrochinon und 
Brenzcatechin oxydiert wird und bei der Bestimmung der Phe- 
nole nach der Methode von Kossler-Penny, welche von mir 
teilweise mit der Neubergschen!) Modifikation in allen Unter- 
suchungen verwandt wurde, sich dem Nachweis entzieht. Ander- 
seits ist aber nur die Entgiftung durch Glukuronsäure in Betracht 


) C. Neuberg, Ztschr. f. physiol. Chem. 27, 123. 1899. 


F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 151 


gezogen und ganz außer acht gelassen, daß ein sehr großer Teil 
der Phenole durch Schwefelsäure entgiftet wird. Bei Nachunter- 
suchungen, wieviel Brenzkatechin und Hydrochinon in den einzel- 
nen Fällen gebildet waren, wurden jedesmal nur einige Milligramm 
in je 200 Harn, also einige Zentigramm in der Tagesmenge gefunden. 
Ich glaube daher annehmen zu dürfen, daß auch 
bei der Kresolvergiftung im Überschuß Glukuronsäure 
entsteht. Wenn dieselbe aber nicht frei im Organismus nach 
der Vergiftung zirkuliert, so ist das kein Gegenbeweis gegen meine 
Auffassung, sondern zeigt nur, daß die Glukuronsäure andere 
Substanzen findet, mit denen sie sich paaren kann z. B. mit 
Harnstoff (Neuberg'). Es könnte nun allerdings dadurch eine 
Mehrbildung von Glukuronsäure nötig werden, daß bei dem durch 
die Kresolvergiftung bedingten Eiweißzerfall Produkte gebildet 
werden, die zur Neutralisierung der Glukuronsäure bedürfen. 
Was nun die Frage anbetrifft, wie das Gift von der 
Zelle aufgenommen wird, so ist von großem Interesse dafür 
der Befund, daß Kresol in ganz bedeutender Menge in das 
Fettgewebe übertritt. Hierauf bin ich aufmerksam gemacht 
worden durch eine Arbeit von Ehrlich aus dem Jahre 
1887”), welcher zeigte, daß solche Substanzen, die eine besondere 
Affinität haben für die Hirnsubstanz, besonders Farbbasen, 
auch meist im Fettgewebe löslich sind. Es ist demnach sehr 
wahrscheinlich, daß das Kresol in den Lipoiden der Zellen 
sich löst und mit denselben in die Zellen eintritt. Die Kresole 
verbinden sich nicht mit den Eiweißkörpern der Zellen, denn 
ich habe durch einen besonderen Versuch die Eiweißkörper des 
mit Kresol vergifteten Hundes dargestellt, habe aber kein 
Kresol aus denselben darstellen können. Der Mechanismus ist 
also kurz folgender: durch die Lipoidsubstanz dringt das Gift 
in die Zellen hinein, sind besondere Beziehungen des Giftes 
zur Zelle vorhanden, so kommt es zur Vergiftung derselben; 
die vergiftete Zelle bildet nunmehr aus ihrem Eiweiß- und 
Kohlenhydratvorrat die Schwefelsäure und Glukuronsäure und 
zwar im Überschuß. Diese wirken dann wie echte Antitoxine 
d. h. sie werden an die Kresole gekuppelt und machen so den 
Entgiftungsprozeß. 
ı) C. Neuberg u. W.Neimann, Ztschr.f.physiol. Chem. 44, 100. 1905. 
» P. Ehrlich, Therapeutische Monatshefte 1887. 


152 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 


VI. Die Ausscheidung der Kresole durch die Galle. 


Huber und Bial haben gezeigt, daß Glukuronsäure in den 
Fäces erscheinen kann und wahrscheinlich durch die Galle aus- 
geschieden wird. In diesem Falle fand sich zwar in den Fäces 
keine Kresol-Glukuronsäure oder nur minimale Spuren, dagegen 
in der Galle konnte dieselbe nachgewiesen werden. Es entstand 
erstens scharfer Kresolgeruch nach Kochen der Galle mit 
Schwefelsäure; ferner reduzierte die Galle nach Kochen mit 
Salzsäure und gab intensiv die Orcinprobe. Da nun das Blut 
so gut wie kein Kresol enthält, in der Galle aber das Kresol 
ziemlich angereichert ist, so ist es nicht ausgeschlossen, daß die 
Galle einen der Wege darstellt, durch den die Kresol-Glukuron- 
säure von der Leber aus den Organismus verläßt. Sie dürfte dann 
vom Darm aus wieder resorbiert und der Niere zugeführt werden. 

Wir haben gesehen, daß nur die Wirkung des Kresols 
auf das Zentralnervensystem bez. auf die Nervenzelle eine 
schwerere Vergiftung hervorruft, daß es zwar von den anderen 
Zellen aufgenommen wird, aber hier keine allgemeine Schädigung 
zu verursachen braucht. So habe ich z. B. die Autolyse in der 
Leber und Lunge erhalten gefunden; obwohl die Leber ein sehr 
stark giftbindendes Organ ist. 

Ich komme also zu dem Ergebnis, daß die Giftwirkung des 
Lysols auf dem Gehalt desselben an Kresolen beruht. Diese sind 
kein eigentliches Ätzgift, insofern als die Ätzwirkungen bei der 
Vergiftung nicht vorhanden zu sein brauchen. Das Kresol 
wirkt dadurch tödlich, daß es Krämpfe, vor allem Herzkollaps 
hervorruft. Diese Erscheinungen sind bedingt durch Aufnahme 
des Giftes durch die Zellen. Die Aufnahme geschieht durch 
die Lipoidsubstanz. Bei den Entgiftungsvorgängen wird mehr 
entgiftende Substanz gebildet, als dem zugeführten Gifte entspricht. 


Autolyse. | 
Leber eines durch Lysol vergifteten Hundes (30 g + 200 g 
Wasser mit Toluol und Chloroform). 
24./3. 0,00378 g nicht koagulierbarer Stickstoff in 10 ccm 
26./3. 0,01106 g 
4./4. 0,01596 g 
Lunge (30 g + 200 g Wasser mit Toluol und Chloroform). 
24./3. 0,00308 g Stickstoff, 26./3. 0,00798 g, 4./4. 0,01092 g. 


Die Chemie der Superazidität 
und ihre pathologisch -physiologische Erklärung. 


Von 
Adolf Bickel. 


(Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen 
Instituts der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 16. Mai 1906.) 


Unter Superazidität (= Hyperazidität) versteht man be- 
kanntlich den Krankheitszustand, bei dem der Mageninhalt die 
für ihn empirisch ermittelten durchschnittlichen normalen Säure- 
werte überschreitet. Die Bestimmung der Säure geschieht dabei 
durch Titration mit '/ıo-Normal-Natronlauge und Phenolphthalein 
als Indikator; der hierdurch festgestellte Säurewert wird, auf 
100 ccm Mageninhaltfiltrat bezogen, „Gesamtazidität“ (G. A.) 
genannt. 

Es ist klar, daß zu diesem Säurewert verschiedene Kom- 
ponenten beitragen können: einmal die von der Magenschleim- 
haut selbst produzierte Salzsäure und die gleichfalls von ihr 
gelieferten anderweitigen sauren Produkte!); außerdem aber alle 
diejenigen Säuren, die per os in die Magenhöhle eingeführt 
oder die darinnen unter dem Einfluß einer Flora von Mikro- 
organismen aus Speisenmaterial gebildet werden (Fettsäuren, 
Milchsäure usw.). 

Im Hinblick auf diese verschiedenartigen ätiologischen 
Momente, die zur Durchsäuerung des Mageninhalts beitragen 
können, ist es a priori nicht vorherzusagen, welche obere Grenze 
diese Werte für die G. A. in der Pathologie gelegentlich er- 
reichen können. Denn diese gesamte Magensäure hängt ja 
nicht nur von denjenigen Bedingungen ab, unter denen die 


') Vergl. P. Fraenckel, Zeitschr. für experimentelle Pathologie 
und Therapie, 1. 


154 A. Bickel, Chemie der Superazidität. 


Magenschleimhaut Säure abscheidet, sondern, wie wir sahen, 
ganz besonders auch von gewissen exogenen Momenten: der 
Einführung von Säure durch den Mund oder der Bildung von 
Säure in der Magenhöhle durch Gärung. 

Eine besondere Form der Hyperazidität ist diejenige, die 
sich durch einen abnorm hohen Gehalt des Mageninhalts an 
Salzsäure, die von der Magenwand abgeschieden wurde, aus- 
zeichnet. Man nennt diesen Krankheitszustand, der durch die 
chemische Analyse des Mageninhalts allein diagnostiziert werden 
kann, Hyperchlorhydrie. Sie kommt einmal als ein klinisch 
wohl charakterisiertes Krankheitsbild sui generis auf nervöser 
Basis vor. Die subjektiven Symptome bestehen dabei in Sod- 
brennen, Aufstoßen saurer Massen, Brennen und Bohren in der 
Magengegend. Diese Beschwerden sind stärker nach dem Genuß 
von kohlehydratreicher oder fettiger Nahrung, als nach einer 
Fleischmahlzeit. Der Appetit ist gut, oft besteht sogar Heiß- 
hunger. Der Stuhl ist mitunter angehalten, zuweilen auch 
diarrhöisch. Unter den objektiven Symptomen, die dieses 
Krankheitsbild auszeichnen, nenne ich eine gelegentlich vor- 
kommende Druckempfindlichkeit der Magengegend, die aber 
ebenso, wie die manchmal beobachtete Dilatation und motorische 
Insuffizienz in reinen Fällen ganz fehlen kann. Die chemische 
Untersuchung des Mageninhalts nach der Gabe eines Probe- 
frühstückes läßt eine Erhöhung der Gesamtazidität neben einer 
Vermehrung des prozentualen Salzsäuregehaltes des Magen- 
inhaltes erkennen. In manchen Fällen finden sich jedoch auch 
durchaus normale Säurewerte trotz des Vorhandenseins der 
übrigen klinischen Symptome. Der Mageninhalt soll ferner bei 
dieser Krankheit nach Schüler ein abnorm niedriges spezifisches 
Gewicht haben. Im Harn ist die Chlorausscheidung oft herab- 
gesetzt, ebenso die Azidität. Nicht selten besteht Phosphaturie. 

Diesem hier skizzierten Krankheitsbilde [— ich habe mich 
an die Schilderung, die Boas von ihm gibt, gehalten —] der 
Hyperchlorhydrie auf nervöser Basis können einige andere 
Magenerkrankungen klinisch außerordentlich ähnlich verlaufen, 
so ähnlich, daß eine Differentialdiagnose in vielen Fällen ganz 
unmöglich ist: das ist ein chronisches Magengeschwür ohne 
manifeste Ulcussymptome, der Magensaftfluß und die Myasthenia 
ventriculi. 


A. Bickel, Chemie der Superazidität. 155 


Bei allen diesen Krankheiten finden wir — genau wie 
bei der nervösen Hyperchlorhydrie — eine Steigung des pro- 
zentualen Salzsäuregehaltes im Mageninhalt, und auch die 
übrigen Symptome können außerordentlich ähnliche sein. In- 
dessen steht bei allen diesen Erkrankungen das Verhalten der 
Magensäure im Vordergrunde des physiologischen Interesses. 

Es war daher naheliegend, einmal die Frage zu unter- 
suchen, welche Ursache der Störung in der Azidität des Magen- 
inhaltes bei diesen verschiedenen Krankheiten zugrunde liegt, 
ob wir es bei allen mit der nämlichen Sekretionsstörung zu tun 
haben, oder ob verschiedene Sekretionsanomalien bei den ge- 
nannten Erkrankungen des Magens, die sämtlich mit Hyper- 
chlorhydrie einhergehen, anzunehmen sind, oder endlich ob 
eine Hyperchlorhydrie nicht auch bei normaler sekretorischer 
Funktion durch anderweitige Störungen bedingt sein kann. 

Um diese Untersuchung anstellen zu können, müssen wir 
zunächst die Vorfrage erledigen: wodurch kann der prozentuale 
Salzsäuregehalt des Mageninhalts überhaupt gesteigert werden? 

Bei der Beantwortung dieser Frage gehe ich von der Vor- 
aussetzung aus, daß dem Magen eine quantitativ und qualitativ 
bestimmte Nahrung, z. B. ein Ewald-Boassches Probefrühstück, 
bestehend aus 35 g Semmel und 400 ccm Wasser zugeführt 
und daß diese Mahlzeit innerhalb einer bestimmten Zeit (15 
Minuten) von dem zu untersuchenden Individuum verzehrt wird. 
Eine Stunde nach Beginn der Aufnahme dieser Nahrung wird 
der Mageninhalt ausgehebert und untersucht. Ich nehme weiter- 
hin an, daß auf diese Nahrung beim normalen Individuum eine 
gewisse Anzahl Kubikzentimeter Magensaft von der Magenwand 
in die Magenhöhle ergossen wird und daß dabei die Dauer der 
Sekretion gleichfalls einen bestimmten durchschnittlichen Wert 
hat, eine Annahme, die allerdings nur bis zu einem gewissen 
Grade zutreffend ist. Denn wir wissen, daß bei demselben 
Individuum an verschiedenen Tagen zum Teil aus unbekannten 
Gründen die sekretorische Leistung der Magenschleimhaut auch 
bei sonst gleichen äußeren Versuchsbedingungen sich innerhalb 
einer gewissen physiologischen Breite bewegt. Endlich wird 
angenommen, daß die dem Magen zufließenden Speichelmengen 
die gleichen sind und daß der Speichel einen konstanten 
Alkaleszenzgrad aufweist; die von der Magenschleimhaut pro- 


156 A. Bickel, Chemie der Superazidität. 


duzierten Schleimmengen werden ebenfalls als konstanter Faktor 
bei diesen Versuchen angesprochen. 

Bei den genannten Voraussetzungen kann nun der 
prozentuale Salzsäuregehalt des Mageninhalts, den man eine 
Stunde nach dem Beginne der Aufnahme des Probefrühstücks 
durch Aushebern erhält, noch immer von zwei Ursachen ab- 
hängen: 1. von dem prozentualen Salzsäuregehalt des nativen 
Magensaftes, 2. von der motorischen Leistung der Magenwand. 

Wurde innerhalb der genannten Stunde allemal dieselbe 
Menge von Ingesta in den Darm befördert und dieselbe Menge 
Saft abgeschieden, so müßte der prozentuale Salzsäuregehalt 
des Mageninhaltes am Ende dieser Stunde umso höher sein, 
je reicher der native Saft an Salzsäure ist. 

Der prozentuale Salzsäuregehalt des normalen menschlichen 
Magensaftes hat aber einen relativ konstanten Wert; er beträgt 
nach den Angaben von Hornborg, Roeder und Sommer- 
feld, wie nach meinen eigenen Beobachtungen 0,4 bis 0,5 °/ ') 
und wie Rubow’) überzeugend neuerdings nachgewiesen hat, 
ist nicht ein einziger Fall in der Literatur bekannt, bei dem 
im Mageninhalt des Menschen ein Salzsäuregehalt nachgewiesen 
worden wäre, der diesen Wert übertroffen hätte. Das gilt be- 
sonders auch für alle Fälle von sog. Hyperchlorhydrie. 

Diese Beobachtungen deuten, wie eine Reihe tierexperi- 
menteller Erfahrungen, darauf hin, daß der natürliche Magen- 
saft einen bestimmten prozentualen Salzsäuregehalt hat, der 
auch unter pathologischen Verhältnissen nicht überschritten 
werden kann’). 

Denn alle diejenigen Momente, von welchen bekannt ge- 
worden ist, daß sie die Magensaftbildung günstig beeinflussen 
(Wasserzufuhr, Kochsalzzufuhr bei chlorarmen Tieren, starke 
Reize durch bestimmte Nahrung usw.) vermögen nicht den 
prozentualen Salzsäuregehalt des nativen Sekrets zu 
steigern, sondern nur die Sekretmenge zu erhöhen 
(Pawlow, Wohlgemuth). 


') Kongreß für innere Medizin 1906. Deutsche medizinische Wochen- 
schr. 1906. 

» Archiv für Verdauungskrankheiten 1906. 

®) Bickel, Experimentelle Untersuchungen über die Magensaft- 
sekretion beim Menschen. Kongreß für innere Medizin 1906. 


A. Bickel, Chemie der Superazidität. 157 


Aus alledem ergibt sich, daß für eine Salzsäurevermehrung 
im Mageninhalt bei der genannten Versuchsanordnung nur 
noch die motorische Funktion der Magenwand verantwortlich 
gemacht werden kann. 

Bei gleicher sekretorischer, aber ungleicher motorischer 
Leistung des Magens kann der Mageninhalt verschieden sauer 
werden. Denn ist eine Stunde nach der Ingestion in dem 
einen Falle z. B. die Hälfte, in dem anderen ?/ des einge- 
führten Probefrühstücks in den Darm befördert worden, so 
muß bei gleich starker und gleich lange währender Sekretion 
in dem letzteren Falle der Mageninhalt prozentisch mehr Salz- 
säure enthalten, als in dem ersteren. Die Resorption von 
Flüssigkeit bezw. Lösungen seitens der Magenwand — diese Re- 
sorption ist ja bekanntlich nur ganz minimal (v. Mehring u.a.) — 
kann dabei vernachlässigt werden. 

In dieser Weise vermag eine Hypermbotilität sehr wohl 
zu einer Steigerung des prozentualen Salzsäuregehaltes des 
Mageninhalts zu führen. 

Die gleiche Erscheinung wird aber auch durch eine 
Herabsetzung der motorischen Leistung des Magens zustande 
kommen können. Je länger Ingesta im Magen liegen bleiben, 
umso länger dauern die Sekretionsreize, umso mehr Saft wird in 
Magenhöhle ergossen. Wegen der motorischen Störung wird 
der Mageninhalt verzögert oder unvollkommen in den Darm 
entleert. Je schwerer die Myasthenie ist, umso seltener wird 
der Magen leer sein, umso kontinuierlicher wird die Magen- 
schleimhaut zur Saftbildung gereizt. So kann im Magen ein 
Überschuß an Sekret vorhanden sein und dadurch wieder 
kann der Mageninhalt salzsaurer werden, auch wenn die 
Komposition des betreffenden nativen Sekretes hinsichtlich 
seines Säuregehaltes eine normale ist. So ließe sich diejenige 
Hyperchlohydrie erklären, die man im Anfangsstadium einer 
motorischen Insuffizienz so häufig beobachtet. 

Jedenfalls zeigen diese Überlegungen, daß Motilitäts- 
störungen unter Umständen zu Veränderungen im prozentualen 
Salzsäuregehalt des Mageninhalts führen müssen und daß 
speziell dadurch dasjenige klinische Symptom erzeugt werden 
kann, das man „Hyperchlorhydrie“ nennt. 

Ändern wir insofern die Voraussetzungen, die wir oben 


158 A. Bickel, Chemie der Superazidität. 


machten, daß wir für die Konstante der abgeschiedenen 
Sekretmenge als Konstante eine bestimmte normale motorische 
Leistung einsetzen und die quantitativen Verhältnisse bei der 
Saftabscheidung sich ändern lassen, so werden wir zu folgenden 
Schlußfolgerungen geführt: 

Eine Vermehrung der durchschnittlichen, in der Zeit- 
einheit abgesonderten Saftmenge muß gleichfalls zu einer 
Steigerung im prozentualen Salzsäuregehalt des Mageninhalts 
führen. Je mehr Sekret einem bestimmt zusammengesetzten 
Mageninhalt zufließt, umso mehr Salzsäure wird ihm beige- 
mischt, um so höher muß auch der prozentuale Salzsäuregehalt 
des gesamten Mageninhalts werden, wenn auch derjenige des 
abgesonderten Saftes seinen normalen konstanten Wert hat. 

Man sieht: eine Steigerung in der Quantität bei der Ab- 
sonderung eines normal komponierten Saftes kann zu einer 
Veränderung in der Qualität des Mageninhaltes führen. Dem 
Symptom der Hyperchlorhydrie liegt in diesem Falle eine 
quantitative Störung in der Saftbildung zugrunde. 

Die tierexperimentelle Forschung lehrt nun, daß es durch 
künstliche Eingriffe leicht möglich ist, Störungen in der moto- 
rischen Leistung und solche in der Quantität des auf be- 
stimmte Reize und Reizgruppen zur Abscheidung gelangenden 
Saftes zu erzielen, daß aber eine Alteration in der Komposition 
des Sekrets — soweit dieselbe den prozentualen Salzsäuregehalt 
betrifft — nur sehr schwer durchführbar ist. So vermögen z. B. 
psychische Prozesse die Motilität des Magens vorübergehend 
zu lähmen'), die Sekretbildung auf ein Minimum herabzu- 
drücken ?), aber es ist bis jetzt nicht möglich gewesen, da- 
dadurch den prozentualen Salzsäuregehalt des Sekretes zu alte- 
rieren. So vermindert die Chlorentziehung die Menge des ab- 
gesonderten Saftes, aber sein prozentualer Salzsäuregehalt bleibt 
nach wie vor ungefähr der nämliche (Wohlgemuth). 

Wenn es auch a priori nicht ausgeschlossen ist, daß es 
Krankheitszustäinde in der Magenschleimhaut oder in ihrem 
sekretorischen Nervenapparat geben könnte, die zu einer 
Steigerung des prozentualen Salzsäuregehaltes des von der 





») Kongreß für innere Medizin 1906. 
®) Bickel-Sasaki, Deutsche medizinische Wochenschr. 1905. 


A. Bickel, Chemie der Superazidität. 159 


Schleimhaut gebildeten Sekretes führen, so ist doch ein 
stringenter Beweis für eine solche Funktionsänderung bislang 
nicht erbracht worden und alle Erfahrungen deuten im Gegen- 
teil darauf hin, daß die Magenschleimhaut mit einer erstaun- 
lichen Zähigkeit daran festhält, die normalen Säurewerte 
ihres Sekretes nicht nach oben zu verschieben. 

Es wird nach alledem die weitere Aufgabe klinischer 
Forschung sein, festzustellen, wie weit die einzelnen Krankheits- 
bilder, bei denen das Symptom der „Hyperchlorhydrie‘‘ auf- 
tritt, in dem Sinne: durch Störungen in der Motilität bez. in 
der Größe der sich abscheidenden Sekretmengen kompliziert 
sind, daß aus diesen beiden Funktionsstörungungen heraus die 
„Hyperchlorhydrie‘“ erklärt werden kann. 

Ohne weiteres verstehen wir so die „Hoyperchlorhydrie“ 
bei dem sog. Magensaftfluß (Reichmannsche Krankheit), ohne 
weiteres die Hyperchlorhydrie bei Hypermotilität, wie in den 
ersten Stadien der motorischen Insuffizienz; und es ist nur 
die Frage zu ventilieren, wie weit bei den einzelnen Fällen 
eine motorische Störung sich mit der sekretorischen verbindet, 
um das Symptom der Hyperchlorhydrie hervorgehen zu lassen. 
Auch der Hyperchlorhydrie beim Ulcus ventriculi scheint keine 
qualitative, sondern vornehmlich eine quantitative Störung in 
der Sekretbildung zugrunde zu liegen. Wenigstens sprechen 
dafür die reinen tierexperimentellen Beobachtungen Pawlows. 

Daß durch die gewöhnlichen klinischen Untersuchungs- 
methoden wir keinen exakten Aufschluß über die abgesonderten 
Sekretmengen erhalten, ist klar, darum kann auch die Kranken- 
beobachtung allein nie mit Sicherheit entscheiden, ob im Falle 
einer bestehenden Hyperchlorhydrie die Quantität oder die 
Qualität des Saftes gestört ist. Hier können uns nur bestimmt 
angeordnete experimentelle Studien weiterbringen. Gerade 
diese lassen aber, wie ich zeigte, die Existenz einer 
Hyperchlorhydrie auf Grund einer Veränderung des 
prozentualen Salzsäuregehaltes des natürlichen Se- 
kretes als höchst problematisch erscheinen. 

Aus alledem ergibt sich, daß die Hyperchlorhydrie wahr- 
scheinlich in ihrer Deutung kein einfaches Symptom ist, wie 
man früher annahm, sondern daß sie auf verschiedenen Ur- 
sachen, von denen mehrere sich gelegentlich wohl zu vereinigen 


160 A. Bickel, Chemie der Superazidität. 


vermögen, beruhen kann. Besonders wird dabei die Verände- 
rung in der motorischen Funktion und eine quantitative Sekre- 
tionsanomalie zu berücksichtigen sein. 

Wenn so auch die Deutung der Hyperchlorhydrie als 
Symptom einer Revision bedarf, so bleibt darum die klinische 
Charakterisierung derjenigen Krankheitsbilder unverändert, bei 
denen sie beobachtet wird, und mag es sich auch um das Bild 
der nervösen Hyperchlorhydrie, also der reinsten Form dieser 
Störung handeln. Wie diejenigen Fälle allerdings zu erklären 
sind, bei denen der Chemismus des Mageninhalts sich bei vor- 
handenen sonstigen klinischen Erscheinungen der Hyperchlor- 
hydrie als normal erweist, muß vor der Hand dahingestellt 
bleiben. Möglich ist es ja, daß es sich dabei um abnorme 
Reizzustände der sensibelen Magennerven handelt. 

Für die Praxis aber lehren uns alle diese Betrachtungen, 
daß wir bei den Fällen von Hyperchlorhydrie — auch dann, 
wenn wir durch die chemische Untersuchung des Mageninhaltes 
diese Diagnose gestellt haben — die Motilitätsprüfung nicht 
vernachlässigen sollen. Gerade mit Berücksichtigung der Störungen 
in den motorischen Funktionen werden wir oftmals in wirkungs- 
voller Weise eine Therapie der Hyperchlorhydrie einleiten 
können. Im übrigen führen diese Vorstellungen, die ich hier 
über die pathologisch-physiologische Deutung der Hyperchlor- 
hydrie entwickelte, zu einer Behandlung, die alles das fernhält 
oder mildert, was als starker Sekretionsreiz für die Drüsen 
der Magenschleimhaut uns bekannt ist, oder was durch direkten 
Einfluß oder indirekt durch Vermittlung des Nervensystems die 
quantitative sekretorische Leistung der Magenschleimhaut zu 
steigern geeignet ist. 

Ich weise zum Schlusse noch darauf hin, daß man daran 
denken muß, es könnten sich gelegentlich die hier erörterten 
Faktoren so kombinieren, daß trotz vorhandener Störungen und 
krankhafter klinischer Erscheinungen ein normaler Chemismus 
bei der Mageninhaltsprüfung gefunden wird. Dieser Fall ist 
gegeben, wenn z. B. die Sekretmenge vermindert und die Mo- 
tilität herabgesetzt ist, oder wenn der entgegengesetzte Zustand 
besteht. Man muß eben allemal dieser Momente bei der Unter- 
suchung der Magenfunktionen mit Hilfe des Probefrühstücks 
usw. eingedenk sein. 


Zur Chemie der Phosphorleber. 


Von 
J. Wohlgemuth. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 16. Mai 1906.) 


Gelegentlich meiner Untersuchung über den Gehalt des 
Phosphorharns von Kaninchen an Eiweißspaltprodukten !) wurde 
die Frage diskutiert, ob man den Eiweißzerfall in der Leber als 
einen totalen oder als einen partiellen aufzufassen hat, d. h. ob 
man annehmen darf, daß bei dem gesteigerten Eiweißumsatz in 
der Leber die Lebersubstanz in toto abgebaut wird oder ob nur 
einzelne Komplexe vom Ganzen losgetrennt werden und der 
weiteren Zersetzung anheimfallen. Nun setzen sich die Eiweiß- 
substanzen der Leber, wenn wir von der Einteilung von Plösz?) 
absehen, im wesentlichen zusammen aus dem Eiweiß des Zell- 
protoplasmas und dem des Zellkernes. Für das erstere hat 
bereits Wakeman°) in Kossels Laboratorium festgestellt, daß 
es bei der Phosphorvergiftung an seinen basischen Bestandteilen, 
speziell an Arginin, verarmt ist. 

Es war nun zunächst zu entscheiden, ob nicht auch andere 
Gruppen des Zelleiweißes bei der Phosphorvergiftung gegenüber 
der Norm vermindert sind wie z. B. der Cystinkomplex, dann 
aber auch besonders, wie sich das Eiweiß des Zellkerns gegen- 


) J. Wohlgemuth, Ztschr. f. physiol. Chemie 44, 74 (1905). 
») Plösz, Pflügers Archiv 7, 871. 
» Wakeman, Ztschr. f. physiol. Chemie 44, 335 (1905). 


Biochemische Zeitschrift Band I. 11 


162 J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 


über dem gesteigerten Zerfallsprozeß in der Phosphorleber ver- 
hält. — Zur Beantwortung dieser Frage war es notwendig, in 
einem möglichst unter gleichen Bedingungen gewonnenen Material 
neben dem Stickstoff die Repräsentanten jener beiden Komplexe, 
den Phosphor und Schwefel, zu bestimmen. 

Der Gang der Untersuchung war folgender: Es wurden 
Kaninchen, die im Gewicht nicht wesentlich differierten, mit 
subkutanen Dosen von Phosphoröl vergiftet und kurz vor ihrem 
Tode durch Entbluten getötet. Sodann wurde die Leber ge- 
wogen, sofort zerkleinert, in Chloroformwasser aufgeschwemmt 
und so lange mit Wasser gewaschen, bis dasselbe keinen Blut- 
farbstoff mehr aufnahm. Die Substanz blieb darauf mehrere 
Tage unter 96° Alkohol, der von Tag zu Tag gewechselt 
wurde, kam 24 Stunden unter 99,8°/, Alkohol und wurde 
schließlich im Soxhletapparat entfettet. Darnach konnte die 
Substanz in einer Reibeschale leicht zu einem feinen Pulver 
zerrieben und von der Gerüstsubstanz mittels Absieben durch 
ein Haarsieb getrennt werden. — Mit den Lebern der Kontroll- 
tiere wurde in gleicher Weise verfahren, nachdem die Tiere 
vier Tage gehungert hatten und durch Entbluten getötet waren. 
Die kurze Hungerperiode wurde jedesmal deshalb streng 
innegehalten, weil die mit Phosphor vergifteten Tiere gleich 
nach der ersten Giftdosis ebenfalls nicht mehr fraßen und für 
gewöhnlich von da ab noch vier Tage lebten. — Die Stickstoff-, 
Phosphor- und Schwefelbestimmung wurde in der üblichen 
Weise ausgeführt und hatte folgendes Ergebnis: 


Tabelle I. Normale Kaninchenleber. 
Schwefel 





Stickstoff] Phosphor 
in 100g | in 100g 

getrockneter| getrockneter 

Substanz | Substanz 





Versuchs- 
tier 














Mittelzahlen 


J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 163 


Tabelle II. Kaninchenleber nach Phosphorvergiftung. 























Stickstoff| Phosphor Schwefel 

Versuchs- | in 100g in 100 g in 100 g 
tier getrockneter| getrockneter getrockneter N 

Substanz |; Substanz Substanz 


Mittelzahlen 


Aus der ersten Tabelle ist ersichtlich, daß der Stickstoff 
sowohl wie der Phosphor und der Schwefel in allen fünf Fällen 
sich im großen und ganzen gleich hoch halten, und daß infolge- 
dessen auch die Zahlen für die Quotienten à und a fast an- 
nähernd gleich sind. 

In der II. Tabelle fällt zunächst auf, daß auf 100 g 
Trockensubstanz weit weniger Stickstoff kommt als bei sämt- 
lichen normalen Lebern, und zwar geht die N-Zahl einmal bis 
fast um die Hälfte zurück. Vergleicht man aber die ent- 
sprechenden Mittelzahlen aus beiden Versuchsreihen, so ist die 
Differenz nicht so groß. — Im Gegensatz dazu stehen die 
Zahlen für Phosphor und Schwefel. Sie halten sich auf an- 
nähernd gleicher Höhe wie in den Kontrollversuchen, infolge- 
dessen ist auch ihr Verhältnis zum Stickstoff wesentlich ver- 
schoben. Der P-Gehalt zeigt eine relative Zunahme, die etwa 
um ein Drittel die Normalzahl übersteigt, während der S-Gehalt 
auch relativ vermehrt erscheint, wenn auch nicht in so hohem 
Maße. 

Aus diesen Versuchen geht zunächst hervor, daß die Ka- 
ninchenleber bei Phosphorvergiftung prozentisch ärmer an Stick- 
stoff wird, ein Befund, den in gleicher Weise Wakeman an 
Hunden erheben konnte, und den er, wie ich schon eingangs 
erwähnte, dahin erweiterte, daß speziell der basische Anteil des 
Eiweißkomplexes es ist, der diesen N-Verlust bedingt. Diese 
Tatsache beansprucht insofern ein wesentliches Interesse, als 
wir andererseits wissen, daß überall da, wo normales Gewebe 


in Umwandlung begriffen ist, Proteinstoffe von vorwiegend 
11” 





164 J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 


basischer Natur auftreten. So hat schon Miescher darauf hin- 
gewiesen, daß man es bei den basischen Eiweißkörpern mit 
Substanzen zu tun hat, die durch Umwandlung aus den ge- 
wöhnlichen Eiweißkörpern hervorgegangen sind, und ebenso 
konnte Kossel!) am Fischhoden zeigen, daß derselbe im un- 
entwickelten Zustand zusammengesetzt ist wie die normalen 
Proteinstoffe, während bei zunehmender Reife die basische 
Gruppe ganz beträchtlich wächst. Ferner wies gelegentlich 
Bang’) darauf hin, daß bei Geschwülsten (Rundzellensarkom) 
Eiweißkörper vorkommen, die einen hohen Gehalt an basischen 
Produkten aufweisen können, und endlich zeigte Neuberg?) 
am Amyloid, daß es je nach dem Stadium der Metamorphose, 
in der es sich befindet, mehr oder weniger reich an Diamino- 
säuren ist, und betonte, daß Proteinstoffe von ausgeprägt ba- 
sischem Charakter überall dort auftreten können, wo normales 
Gewebe in Umwandlung sich befindet. Demnach scheint der 
basische Anteil im Eiweißkomplex recht beweglich zu sein; 
denn in dem gleichen Maße wie das Eiweißmolekül bei ge- 
wissen Prozessen an Diaminosäuren reich wird, geht es ebenso 
leicht beim Zerfall wieder derselben verlustig. 

Weit stabiler scheint dagegen derjenige Komplex im Ei- 
weißmolekül zu sein, der mit dem Phosphor verknüpft ist, 
nämlich die Kernsubstanz. Sie widersteht offenbar längere Zeit 
selbst so destruktiven Prozessen, wie sie sich bei der Phosphor- 
vergiftung in der Leber abspielen; denn die Zahlen sprechen 
unzweideutig dafür, daß der Phosphor und damit der Nuklein- 
gehalt sich fast auf gleicher Höhe gehalten hat wie in den 
Kontrollebern. Interessant ist hierbei die Übereinstimmung des 
chemischen Befundes mit dem mikroskopischen. Wissen wir 
doch, daß im mikroskopischen Bild die Leberzelle bei der 
Phosphorvergiftung wohl stark verfettet, daß dagegen der Zell- 
kern sich noch lange Zeit gut erhält, bis auch er schließlich 
der Degeneration anheimfällt. 

Eine Mittelstellung zwischen den basischen Produkten und 
dem Phosphor scheint der Cystinkomplex einzunehmen. Der 


1) Kossel, Ztschr. f. physiol. Chemie 41, 409, 1904. 
?) Bang, Beitr. zur chem. Physiol. u. Pathol. 4, 362, 1904. 
» Neuberg, Verbandlg. d. dtsch. pathol. Gesellsch. 19, 1904. 


J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 165 


Schwefelgehalt zeigt zwar absolut eine Abnahme, wie aus dem 
Vergleich der beiden entsprechenden Mittelzahlen ersichtlich, 
aber dieselbe entspricht keineswegs der des N-Gehalts. Darnach 
scheint der Schwefelkomplex ebenfalls in das Eiweißmolekül 
ziemlich fest eingefügt zu sein. 

Nach alledem beantwortet sich obige zu Anfang aufgeworfene 
Frage dahin, daß während das Protoplasmaeiweiß in der 
Phosphorleber sehr bald zerfällt, das Kerneiweiß noch 
recht lange dem Zerfallsprozeß Widerstand entgegen 
setzt. Natürlich wird auch dieses schließlich der Zerstörung 
anheim fallen, aber stets wird man finden, daß das Kern- 
eiweiß bei weitem nicht in dem Maße zerfällt wie das 
Eiweiß des Zelleibes. Ein Vergleich des Gehaltes an Di- 
aminosäuren und an Phosphor dürfte am besten Auskunft 
darüber geben, ob und inwieweit die beiden Faktoren mit- 
einander Schritt halten. 

Unsere nächste Aufgabe wird es nun sein, auch bei anderen 
destruktiven Prozessen der Leber obigen Untersuchungsmodus 
. anzuwenden und dabei vielleicht noch, wie schon angedeutet, 
das Verhalten der Pentose zu berücksichtigen. Wir hoffen bald 
weiteres Material in dieser Frage beibringen zu können. 


Über gelatinöse anorganische Erdalkalisalze. '!) 


Von 
Carl Neuberg und Ernst Neimann. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 24. April 1906.) 


Den gelatinösen und kolloidalen Substanzen wird augen- 
blicklich eine besondere Beachtung geschenkt, die physikalische, 
die reine und die physiologische Chemie sind an denselben 
gleichmäßig interessiert. Die hier beschriebenen Verbindungen 
bilden eine Gruppe bisher unbekannter gelatinöser Substanzen. 

Die Beobachtungen, die den Gegenstand der folgenden 
Mitteilung bilden, sind ursprünglich auf einem ganz anderen 
Gebiete als dem der anorganischen Chemie gemacht. Bekannt- 
lich ist eine der elegantesten Methoden, Kohlehydrate aus 
komplizierten Substanzgemischen zu isolieren, das Benzoylierungs- 
verfahren von Schotten-Baumann. Bei der mangelhaften 
Charakteristik der Ester ist man zumeist auf eine Regenerierung 
der zugrunde liegenden Kohlehydrate angewiesen. Die Verseifung | 
der Benzoylester mit Mineralsäuren bleibt unvollständig?) oder 
zerstört die Zucker’); in der Regel wird sie mit Natrium- 
äthylat‘) vorgenommen. Man befindet sich dann in der 


t!) Vorgetragen in der Sitzung der deutsch. chem. Ges. vom 11. Juli 
1904. Siehe auch Chemikerzeitung 1905, S. 1044. 

^) Wedenski, Ztschr. f. physiol. Chem. 18, 126 (1888). 

”) Neuberg und Heymann. Beitr. zur chem. Physiol.-Pathol. 2, 
206 (1902). 

^ Kueny: Ztschr. f. physiol. Chem. 14, 330 (1889). 


C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 167 


Schwierigkeit, der man sich immer gegenüber sieht, wenn man 
Natriumsalze aus Lösungen zu entfernen hat. 


Nachdem seit einiger Zeit wasserfreies Baryumoxyd zu 
einem billigen Preise in den Handel gebracht wird, hat der 
eine von uns (Neuberg) Versuche angestellt, die Verseifung 
der Benzoate mit methylalkoholischem Baryumoxyd auszu- 
führen; sie verläuft in der Tat vielfach glatt und ermöglicht 
eine erhebliche Vereinfachung der Methode. Bei der Ausfällung 
überschüssigen Baryts aus derartigen methylalkoholischen Zucker- 
lösungen durch Kohlensäure resp. Schwefelsäure wurde zuerst 
ein Auftreten gelatinöser Baryumsalze beobachtet; anfangs 
wurde dieser Zustand auf die Gegenwart der Kohlehydrate 
geschoben, ist es doch bekannt, daß im Schutze kolloidaler 
oder auch hochmolekularer Medien sonst kristalloide Ver- 
bindungen Neigung zu Gelbbildung annehmen. Allein diese 
Vermutung erwies sich im vorliegenden Falle als unzutreffend, 
denn Versuche, die mit reinen methylalkoholischen Baryum- 
oxydlösungen ausgeführt wurden, zeigten genau die gleichen 
Erscheinungen, die wegen ihrer Seltsamkeit eine etwas ein- 
gehendere Untersuchung erfuhren. 


Gelatinöses Baryumsulfat. 


Fügt man zu einer methylalkoholischen Barytlösung ver- 
dünnte wässerige (alkoholische ist nicht nötig!) Schwefelsäure, 
so scheidet sich ein opakes Gerinnsel ab, das schnell den Inhalt 
des Gefäßes in eine durchsichtige Gallerte verwandelt. Saugt 
man dieselbe ab und wäscht sie auf der Nutsche mit Methyl- 
alkohol schwefelsäurefrei, so bleibt die Verbindung im ursprüng- 
lichen rein gelatinösen Zustand zurück, der auch beim Trocknen 
im Vakuum und selbst beim Glühen bis zum gewissen 
Grade erhalten bleibt, indem nur die klare Durchsichtigkeit 
verloren geht; es hinterbleibt aber dabei das Baryumsulfat in 
größeren, sehr harten Stücken, die porzellanartig durchscheinend 
sind. Im Vakuum verliert die Substanz den mechanisch 
anhaftenden Methylalkohol und stellt nach der Analyse reines 
Baryumsulfat dar, obgleich es von dessen gewöhnlicher mikro- 
kristallinischer Form erheblich abweicht. Erst durch sehr 
langes Kochen mit sehr viel Wasser gelingt die Umwandlung 


168 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 


in die gewöhnliche Form, die sich etwas schneller auf Zusatz 
von Salzsäure vollzieht. 

Mit verdünnter methyl- oder äthylalkoholischer Schwefel- 
säure werden dieselben Resultate erhalten. 


1. Analyse: H3SO.. 
0,2914 g geglühte Substanz ergaben nach dem Aufschluß 
mit K CO; + NasCO; und Fällung mit BaCl;: 
0,2903 g BaSO, = 99,62 °/, der Ausgangssubstanz. 


2. Analyse: Ba. 


0,2357 g geglühte Substanz ergaben nach dem Aufschließen 
mit Kaliumnatriumkarbonat etc. und Fällung mit Schwefelsäure: 
0,2360 g BaSO, = 100,13 °/, des Ausgangsmaterials. 


Das gelatinöse Baryumphosphat. 


Färbt man die methylalkoholische Baryumoxydlösung mit 
Phenolphthalein und setzt wässerige Phosphorsäure bis zur 
genauen Entfärbung hinzu, so entsteht ein gelatinöser Nieder- 
schlag, der nach der Analyse das sekundäre Phosphat BaHPO, 
darstellt (Präparat I. Auch diese Verbindung behält nach dem 
Absaugen den gelatinösen Zustand und wird beim Trocknen 
pulverig. Bei Fällung mit etwas überschüssiger Phosphorsäure 
entsteht gleichfalls das Salz BaHPO, (Präparat II). 


1. Analyse: 
I. Präparat. 
0,3822 g enthielten 0,2283 g Ba. 
Ber. Ba 58,70 °/.. 
Gef. „ 59,75 °/,. 
Dieser Wert stimmt angenähert auf BaHPO.,. 


II. Präparat. 
0,2337 g enthielten 0,1367 g Ba. 
Ber. Ba 58,70 °/.. 
Gef. „ 58,50 °o. 
Diese Zahl stimmt genau auf BaHPO,. 


C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 169 


2. Analyse PO.. 

0,1622 g ergaben 0,0780 g Mg P: 07. 
Ber. PO, = 40,70 °/o. 
Gef. PO, = 41,03 °/,. 


Gelatinöses Baryumkarbonat. 


Leitett man in Barytwasser Kohlensäure, so erzeugt die 
erste Gasblase bereits eine Ausfällung von Baryumkarbonat 
(BaCO;). Ganz anders verhält sich die methylalkoholische 
Baryumoxydlösung, bei der man vier deutlich verschiedene 
Zustände unterscheiden kann. 

1. Läßt man selbst in eine gesättigte Lösung Kohlendioxyd 
einströmen, so bleibt die Flüssigkeit geraume Zeit klar; auf- 
steigende Blasen erzeugen schließlich an der Oberfläche gelatinöse 
Häutchen, die sich beim Umrühren jedoch vollständig klar 
wieder lösen. 

2. Plötzlich erstarrt die Flüssigkeit unter deutlicher Er- 
wärmung durch die ganze Masse zu einer Gallerte.. Saugt 
' man diese ab und wäscht mit Methylalkohol aus, so hinter- 
bleibt die Verbindung im ursprünglichen rein gelatinösen 
Zustand und zeigt alkalische Reaktion. 

3. Setzt man das Einleiten der Kohlensäure noch längere 
Zeit fort, so verwandelt sich die Gallerte langsam in ein weißes 
Pulver, daß sich gut absaugen und auswaschen läßt. Äußerlich 
gleicht es dem gewöhnlichen gefällten Baryumkarbonat (BaCO;), 
zeigt aber ein von diesem stark abweichendes Verhalten. Zu- 
nächst führt die Analyse nach mehrtägigem Trocknen im 
Vakuum über Phosphorpentoxyd und Paraffin zu der Formel: 
BaCO; + H:O, die man vielleicht im Hinblick auf die eigen- 
tümlichen Löslichkeitsverhältnisse in 
„ON 9 

C 


SO NOH 
(Monobaryumorthokarbonat?) auflösen kann. 


Ba 


l. Analyse: Ba. 
0,2622 g Substanz enthielten 0,1668 g Ba. 
Ber.: BaCO; + 1 H:O 63,72 o, 
Gef.: „ +1 „ 63,62 „. 


170 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 


2. Analyse: COs. 


0,2079 g Substanz ergaben 0,0432 g CO3. 
Ber.: CO, = 20,43 o, 
Gef.: „ = 20,78 „. 


Die Verbindung ist im trockenen Zustande sehr beständig. 
Sie löst sich in bemerkenswerter Weise zum Unterschied vom 
gewöhnlichen Baryumkarbonat (BaCO;) in Wasser und zwar 
in viel weniger, als für das gewöhnliche Bikarbonat [Ba(HCO;);] 
erforderlich wäre. 

Die Lösung in Wasser ist zunächst klar, trübt sich aber 
bald unter Abscheidung eines flockigen Niederschlages, dessen 
Zusammensetzung vorläufig nicht untersucht ist. 


4. Sowohl das gelatinöse Baryumkarbonat (zweiter Zustand) 
wie sein Umwandlungsprodukt, das pulverige (dritter Zustand), 
haben die höchst auffallende und bemerkenswerte Eigenschaft, 
bei längerem Stehen unter Methylalkohol in Lösung zu gehen. 
Wenn die Substanzen abgesaugt und frisch oder getrocknet in 
dieses Lösungsmittel gebracht werden, so erfolgt, ebenso ohne 
weiteres beim Stehen der nicht filtrierten Niederschläge in der 
methylalkoholischen Mutterlauge, Lösung. Bei letzteren voll- 
zieht sich dieselbe in einigen Tagen fast vollständig, wenn ur- 
sprünglich etwa zwei- bis dreiprozentige Lösungen von Baryum- 
oxyd in Methylalkohol angewandt sind. Bei den zuvor ab- 
filtrierten Niederschlägen dauert die Lösung etwas länger; sie 
erfolgt auch nicht ganz vollständig, indem ein kleiner Teil eines 
weißen Pulvers zurückbleibt, vielleicht an der Luft entstandenes, 
gewöhnliches Baryumkarbonat. Wie wir uns besonders über- 
zeugt haben, ist auf die übliche Weise gefälltes Baryumkarbonat 
wie auch natürliches (Witherit) in Methylalkohol total unlöslich. 
Ähnlich verhält sich ein durch Ammonkarbonat aus der methyl- 
alkoholischen Baryumoxydlösung gefälltes Baryumkarbonat. 

Die nicht filtrierte Lösung des gänzlich in Lösung ge- 
gangenen Baryumkarbonates oder die filtrierte des bis auf den 
erwähnten Rest gelösten zeigen das typische Aussehen kolloidaler 
Flüssigkeisen, d. h. sie sind durchsichtig in durchfallendem und 
milchig in auffallendem Licht. Die Lösungen enthalten neben 
Baryum Kohlensäure, denn sie brausen auf Zusatz von Salz- 
säure auf. Sie enthalten das Baryum in kolloidaler Form und 


C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 171 


geben auf Zusatz von Schwefelsäure die früher beschriebene 
dicke Gallerte von Baryumsulfat, durch deren träge Masse sich 
fortwährend Kohlensäurebläschen drängen. Sie zeigen eine auf- 
fallend hohe Viskosität, obgleich ihr Gehalt an Baryum nur 
ein geringer ist und höchstens 3 °/, beträgt. Unter Abschluß 
von Feuchtigkeit läßt sich aus diesen Lösungen der Methyl- 
alkohol zum Teil abdestillieren, ohne daß der Kolloidcharakter 
gestört wird; man gelangt so zu vollkommen durchsichtigen 
ausgesprochenen Gallerten von der Konsistenz eines sehr dicken 
Kollodiums. Anfangs geben diese kolloidalen Baryumkarbonat- 
lösungen Kohlensäure ab, es tritt beim Stehenlassen im ge- 
schlossenen Gefäß Druck auf; später ist dies nicht mehr der 
Fall, offenbar, nachdem ein gewisser Gehalt erreicht ist. Läßt 
man den Methylalkohol im Vakuum möglichst weit verdunsten, 
so hinterbleibt das Karbonat in Form zelluloidähnlicher, sich 
rollender Blättchen von hoher Durchsichtigkeit. 


Um uns über die Zusammensetzung der methylalkoholischen 
Baryumkarbonatlösung zu orientieren, haben wir nach bekannten 
Methoden das Verhältnis von Baryum zu Kohlensäure bestimmt 
und gefunden, daß die Lösung mehr Kohlensäure enthält, als 
dem sauren Karbonat zukommen würde, wenn auch die Werte 
bei den Präparaten verschiedener Darstellung etwas schwanken. 
So wurde unter anderem das Verhältnis Ba : CO; = 1 : 4 erhalten. 
Allem Anscheine nach liegt also ein Vertreter der bisher un- 
bekannten Polykarbonate des Baryums vor, vergleichbar 
den lange bekannten Polysilikaten, die bemerkenswerterweise 
ja auch zur Kolloidbildung neigen. 


I. Methylalkoholische Baryumkarbonatlösung. 
Analyse: Ba und CO; 
5 ccm enthielten 0,0450 g Ba 
5 ccm j 0,0634 g CO». 


Der gefundenen Menge Ba entsprechen, berechnet auf 
BaCO; + 1H30: 0,0144 g CO: 
0,0144 1 


Also: -0,0634 = 4 


172 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 


II. Methylalkoholische Baryumkarbonatlösung. 
Analyse: Ba und CO; 
5 ccm enthielten 0,0652 g Ba 
5 ccm i 0,0744 g COs. 
Der gefundenen Menge Ba entsprechen, berechnet auf 
BaCO; + 1H:0: 0,0209 g CO; 
hiso: -00200 _ 1 
0,0744 3,6° 
Bezüglich der Analyse dieser kolloidalen Verbindungen — 
dasselbe gilt auch für die gewöhnlichen methylalkoholischen 
Baryumoxydlösungen — ist folgendes zu bemerken. Zur Be- 
stimmung des Baryums müssen die zur Analyse bestimmten 
Flüssigkeitsmengen in einem Platingefäß zunächst auf dem 
Wasserbade, schließlich durch schwaches Erwärmen über der 
Flamme möglichst vom Methylalkohol befreit werden, da auch 
auf Zusatz von viel Wasser zur methylalkoholischen Lösung 
der Kolloidcharakter insofern gewahrt bleibt, als auf Zusatz von 
Schwefelsäure mehr oder minder ausgeprägtes gelatinöses Baryum- 
sulfat ausfällt. Auch Zusatz wässeriger Salzsäure und gleich- 
zeitiges Aufkochen beseitigt den Kolloidcharakter, eine Er- 
scheinung, die damit zusammenhängt, daß nur die auch in der 
Norm unlöslichen anorganischen Sauerstoffsalze, nicht da- 
gegen die löslichen und die halogenhaltigen bisher in gelatinösem 
Zustande erhalten sind. 
Beim Verdünnen der methylalkoholischen Baryumkarbonat- 
lösung mit dem gleichen Volumen Wasser wird der kolloidale 
Charakter nicht geändert. Beim Verdünnen mit viel destilliertem 
oder Leitungswasser erfolgt in der Regel gallertige Ausscheidung, 
die dem Aluminiumhydroxyd ähnelt. 


Das gelatinöse Baryumoxalat. 


coo 
| N Ba 


coo 
Wässerige Oxalsäure ruft in der methylalkoholischen Bary- 
umoxydlösung einen ähnlichen Niederschlag hervor, wie er für 
das Sulfat angegeben ist; beim Trocknen verwandelt er sich 
in ein weißes Pulver. 


C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.e 173 


1. Analyse: Ba. 
0,4155 g Substanz enthielten 0,2561 g Ba 


Ber. Ba 60,89 °/, 
Gef. ,„ 61,63% 


2. Analyse: Oxalsäure. 


0,2361 g Substanz ergaben titrimetrisch einen Gehalt von 
0,0938 g Oxalsäure. 
Ber. 39,93 %/, Oxalsäure 
Gef. 39,74 %/o E 


Das methylalkoholische Baryumoxyd. 


Gibt man zu der methylalkoholischen Baryumoxydlösung 
entweder ca. gleichviel Äthylalkohol und dann einige Tropfen 
Wasser, oder ein halb Volumen Wasser und dann etwas Äther, 
so entsteht ein grobkristallinischer Niederschlag, der in prächti- 
gen Nadeln aus der Lösung ausfällt. Dieser Niederschlag zeigte 
nach kurzem Trocknen über Schwefelsäure die Zusammen- 
' setzung von Ba(OH»} + 8 H,O, wie das normale Hydrat. Bei et- 
was längerem Trocknen über Phosphorpentoxyd nahm der Wasser- 
gehalt ab und ging im Verlauf weniger Tage bis auf ein Mole- 
kül Wasser herunter, wobei Konstanz eintrat. Dieses Ver- 
halten steht im Gegensatz zu dem des normalen Hydrates, das 
auch nach längerem Aufbewahren über Phosphorpentoxyd seinen 
Gehalt an 8 Molekülen Wasser bewahrt. Ferner besitzt das 
Oktohydrat möglicherweise andere Kristallform und löst sich 
zum Unterschied vom typischen Hydrat glatt in Methyl- 
alkohol. Läßt man methylalkoholische Baryumoxydlösung im 
Vakuumexsikkator langsam verdunsten, so hinterbleiben schöne, 
sternförmig gruppierte durchsichtige Nadeln, die das Methylat 
des Baryums darstellen. 


Baryummethylat. 


Bei schneller Abscheidung bildet die Verbindung perl- 
mutterartig glänzende cholesterinähnliche Plättchen, die von 
einigen wohlausgebildeten Nadeln durchsetzt sind. Die Ana- 
lyse führt zur Formel Ba(OCH;3):. 


174 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 


0,2194 g Substanz: 0,2576 g BaSO, 
0,2535 g a 0,1110 g CO, und 0,0737 g H,O 
Ber. für Ba(OCH;%; Ba = 69,92; C = 12,04; H = 3,09 °%,. 
Gef. Ba = 69,11; C = 11,94; H = 3,23 °/o. 


Die Verbindung löst sich wieder unzersetzt und völlig klar 
in absolutem Methylalkohol, dem sie stark alkalische Reaktion 
erteilt; aus der Lösung in Methylalkohol fällt HəSO, wieder 
gelatinöses BaSO,. In Äthylalkohol ist die Verbindung nur 
wenig, aber immerhin merklich löslich; die Flüssigkeit reagiert 
alkalisch und scheidet auf Zusatz von HSO, gelatinöses Sulfat 
aus. In Äther und Aceton ist die Substanz gänzlich unlöslich, 
in Wasser löst sie sich zu einer fast klaren Flüssigkeit. Beim 
Erhitzen färbt sich die Substanz schwarz und es entweichen 
brennbare Dämpfe. 


Das gelatinöse Baryumsulfoxydhydrat. 


Fügt man zur methylalkoholischen Baryumoxydlösung 
äthylalkoholisches Kaliumsulfhydrat im Überschuß, so fällt eine 
gelatinöse Verbindung aus, die ihren Zustand aber beim Aus- 
waschen ändert und ein feinkörniges Pulver liefert von der 
= Ba Z ba 

NOH 


Zusammensetzung BaS.H: O, vielleicht 


Analysen: 


0,4145 g Substanz enthielten 0,8088 g Ba 
0,2259 g 5 0,2773 g BaSO, 
0,2503 g a 0,0244 g H,O 
Ber. Ba 73,26°%, H = 1,07%; S = 17,11. 
Gef. „ 74,33%, H =: 1,08%; S = 16,84 °/o. 


Versucht man dieselbe Verbindung durch Anwendung von 
methylalkoholischem Kaliumsulfhydrat darzustellen, so 
fällt keine feste Verbindung aus. Diese Erscheinung war 
Veranlassung, das Verhalten des festen Sulfoxydhydrates zu 
reinem Methylalkohol zu untersuchen. Ks löst sich in 
demselben genau wie das gelatinöse Karbonat bei mehrtägigem 
Stehen glatt auf zu einer Flüssigkeit, die den typischen 


C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 175 


Charakter der kolloidalen Lösungen zeigt, d. h. sie ist klar in 
durchfallendem Licht und erscheint im reflektierten trübe. 
Aus dieser Lösung, die etwas nach Schwefelwasserstoff riecht, 
fällt wässerige Schwefelsäure unter Entbindung von Schwefel- 
wasserstoff wieder gelatinöses Baryumsulfat. 

Kurz bemerkt sei, daß u. a. auch Baryumsulfocyanat 
und -tannat in gelatinöser Form existieren. 

Wenn sich durch weiterere Untersuchungen herausstellt, 
daß die Lösungen des gelatinösen Baryumkarbonates und 
Sulfoxydhydrates den bisher bekannten wässerigen kolloidalen 
Zuständen analog sind, so hätte man hier den eigentümlichen 
Fall, daß Kolloide in einem Medium (Methylalkohol) sich 
bilden, das man bisher stets für einen Feind dieses Zustandes 
gehalten hat; man hätte dann von Hydrogelen Alkohologele 
zu unterscheiden, wie man eine Alkoholyse neben der 
Hydrolyse kennt. Für diese Auffassung ist es gleichgültig, 
. ob die gelatinösen Verbindungen, wie nicht ganz sicher be- 
wiesen, in reiner Form wirklich frei von Methyalkohol 
sind, oder ob sie den Hydraten vergleichbare Alkoholate dar- 
stellen. 

Kurz erwähnt sei noch, daß man auf ähnlichem Wege 
auch gelatinöse Kalzium-, Strontium- und Magnesium- 
Verbindungen bereiten kann und auch andere Substanzen, die 
bisher nur schwer oder nicht gelatinös erhältlich waren. 

Zur Erzeugung des gelatinösen Zustandes bedarf es bei 
den Erdalkalisalzen keineswegs des Methylalkohols; auch mit 
gewöhnlichem Alkohol versetzte wässerige Lösungen desHydroxyds 
und der löslichen Salze zeigen z. T. die gleichen Phänomene, 
wenn auch weniger deutlich, sodaß es eigentlich wunderbar ist, 
daß diese Erscheinungen bisher in der Literatur nicht be- 
schrieben sind. 

Die Beständigkeit dieser Klasse von gelatinösen Verbin- 
dungen und auch die Neigung zu ihrer Bildung nimmt allem 
Anschein nach vom Magnesium über Kalzium, Strontium, also 
mit steigendem Molekulargewicht, bis zum Baryum zu und 
ist bei letzterem am deutlichsten ausgeprägt. Es ist nicht un- 
denkbar, daß dem in diese Reihe gehörendem noch höher 
molekularen Radium vielleicht in besonders ausgeprägten Maße 
jene Eigenschaft zukommt. Da das gelatinöse Sulfat äußerst 


176 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 


voluminös ist, erscheint ein Versuch in dieser Richtung nicht 
ohne Aussicht. 

Die kolloidalen Baryumsalze, insbesondere das lösliche 
Karbonat, haben ein pharmakologisches Interesse. Die Toxizität 
des letzteren ist ca. dreimal so gering wie die gewöhnlicher 
Baryumsalze, analog der Erfahrung, daß Substanzen im 
kolloidalen Zustande zumeist weniger giftig sind als im kristal- 
linischen. 


Über die Anteilnahme des elementaren Stickstoffes am 
Stoffwechsel der Tiere. 


(Aus dem tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen 
Hochschule in Berlin.) 


Von 


Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer, 
Assistent am Institut. 


(Eingegangen am 11. Juni 1906.) 


Vorläuflge Mitteilung. 

Die Frage, ob bei den Stoffumsetzungen der Tiere der 
gasförmige Stickstoff der Atmosphäre eine Rolle spielt, sei es, 
daß er in den Stoffwechsel hineinbezogen werden, oder umge- 
kehrt sich aus zerfallenden Eiweißsubstanzen bilden könne, darf 
als eine der wichtigsten in der Physiologie des Stoffwechsels 
gelten, da alle Bilanzen darauf aufgebaut sind, daß eine solche 
Anteilnahme nicht stattfindet. Man hat deshalb schon sehr 
frühzeitig angefangen, sich mit diesem Problem experimentell 
zu beschäftigen. Obwohl seit Lavoisier eine große Anzahl 
von Arbeiten erschienen sind, kann die Frage noch nicht als 
restlos gelöst gelten, da immer wieder Einwände erhoben 
worden sind. Man hat nach zwei Verfahren gesucht, der Ent- 
scheidung näher zu kommen. Wenn man Einnahmen und 
Ausgaben an gebundenem Stickstoff genau berechnet, so 
müßte sich ein Zuwachs oder ein Defizit ergeben. Die andere 
Methode arbeitet mit dem Respirationsapparat und bestimmt 
den Gehalt der Atemluft an Stickstoff vor und nach dem Ver- 
such direkt. 

Mit der ersten Methode hat besonders Voit in einer Reihe 


von klassischen Arbeiten die Frage untersucht und ist zu der 
Biochemische Zeitschrift Band I. 12 


178 C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 


Entscheidung gekommen, daß bei den von ihm untersuchten 
Tieren an eine Anteilnahme gasförmigen Stickstoffes nicht zu 
denken ist. Es sind aber gegen diese Ergebnisse besonders von 
Seegen und Nowak Einwände erhoben worden, die die Ge- 
nauigkeit der Voitschen analytischen Methoden anzweifeln und 
im Stoffwechselversuch erhobene Resultate ihnen gegenüber- 
stellen. Diese Einwände sind nun nicht unbegründet, die Voit- 
schen Zahlen sind tatsächlich mit Fehlern behaftet. 
Indessen kann man diese Fehler zahlenmäßig in Rechnung stellen, 
und findet dann, daß trotzdem die Hauptergebnisse in ihrem 
entscheidendem Wert völlig unangetastet bleiben. Was 
dann an Beweismaterial noch fehlt, liefert der berühmte Ver- 
such von Gruber, der an Hunden den absolut stringenten 
Beweis geführt hat, daß hier von einer Anteilnahme des ele- 
mentaren Stickstoffes gar keine Rede sein kann. Nicht so ab- 
solut sicher läßt sich der Beweis an anderen Tieren führen. 
Hier sind die experimentellen Schwierigkeiten enorm groß. 
Immerhin aber ergibt eine genauere Durcharbeitung der Ar- 
beiten von Henneberg, Stohmann, Maercker u. a., daß auch 
für die Wiederkäuer der Beweis so gut wie geführt ist. Beim 
Pferde, wo die groß angelegten Arbeiten von Wolff vorliegen, sind 
die Zahlen weniger sicher, vor allem, weil der Stickstoff des 
Schweißes nicht berücksichtigt worden ist. Am schlechtesten 
sind die Ergebnisse bisher beim Menschen, für den unter 
den zahllosen Stoffwechselversuchen nur wenige aufzufinden 
sind, bei denen in längeren Zeiträumen die Einfuhr und Aus- 
fuhr an Stickstoff sich deckten. Es zeigen sich meist regel- 
mäßige Schwankungen. Die Schwierigkeiten sind also hier bis- 
her unüberwindbar gewesen. 

Mit der Methode der direkten Messung der Atemgase 
im geschlossenen Respirationsapparat haben an einer großen . 
Reihe von Tieren Regnault und Reiset die Stickstoffrage 
untersucht und kommen zu folgenden Resultaten: In den 
meisten Fällen finden sie eine nicht unbedeutende Ausschei- 
dung von Stickstoff, in einer geringen Zahl dagegen auch 
eine Aufnahme. Irgendwelche sicheren Hinweise über die 
näheren Umstände, unter denen das eine oder das andere sich 
vorfindet, können sie nicht geben; ihre eigenen in hypothetischer 
Form aufgestellten Ideen halten einer strengen Kritik nicht stand. 





C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 179 


Späterhin hat Reiset allein an einem viel geräumigeren 
Apparat die Frage an größeren Tieren geprüft und hat dabei 
in einigen Fällen ganz ungeheure Werte von Stickstoffaus- 
scheidung gefunden. 

Bei dem glänzenden Ruf, dessen sich speziell Regnault 
mit Recht erfreute, wurden diese Resultate als sicherer Besitz 
angesehen. Da sie aber zum mindesten für den Hund in 
direktem Widerspruch mit den Voit-Gruberschen Ergebnissen 
standen, so klaffte hier eine Lücke zwischen den beiden un- 
vereinbaren Angaben. Seegen und Nowak, die mit uner- 
müdlichem Eifer gegen Voit zu Felde zogen, haben die Mühe 
nicht gescheut, auch ihrerseits in mehreren großartig angelegten 
Arbeiten mit Hilfe eines neuen Respirationsapparates die Frage 
nochmals zu untersuchen. Sie finden nun regelmäßig Aus- 
scheidung von Stickstoff, befinden sich also auch im 
Gegensatz zu Regnault und Reiset, die, wie gesagt, in einer 
Minderzahl von Fällen auch Aufnahme gefunden hatten. Ja 
noch mehr, sie finden in dieser Ausscheidung auffallende 
Regelmäßigkeiten, die eine Abhängigkeit dieser Größe von dem 
Gewicht des Tieres, seiner Spezies, und der Dauer des Ver- 
suches erkennen lassen. 

Hier sind also mehrere unvereinbare Widersprüche, die es 
notwenig erscheinen lassen, die Frage nochmals aufzunehmen. 

Wenn man die Arbeiten im Respirationsapparate einer 
eingehenden Kritik unterzieht, so gelingt es tatsächlich, eine 
ganze Reihe von Fehlerquellen aufzufinden, und zwar 
sowohl bei Regnault und Reiset, wie bei Seegen und 
Nowak. Neben einer Reihe von weniger wesentlichen Dingen, 
auf die ich in dieser vorläufigen Mitteilung gar nicht eingehen 
will, ist es vor allem die Frage der Temperaturmessung, 
die die wichtigste Fehlerquelle darstellt. Genaue Über- 
legungen, die durch meine eigenen gleich zu erwähnenden 
Experimente gestützt werden, zeigen, daß in allen früheren 
Versuchen eine richtige Bestimmung der wahren 
Durchschnittstemperatur in dem Kasten zum Schlusse 
des Versuches unmöglich gewesen ist, daß hier vielmehr 
Fehler von einer Größenordnung vorliegen müssen, die in der 
Tat imstande sind, die gefundenen Differenzen im Stickstoff- 


gehalt zu erklären. Wenn nämlich die Temperatur am Schlusse 
12° 





180 C.Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 


des Versuches zu niedrig abgelesen wird, so ergibt die Reduktion 
auf 0° und 760 mm ein zu hohes Volum und infolgedessen 
einen zu hohen Stickstoffgehalt. Umgekehrt natürlich einen zu 
niederen, wenn die Temperatur zu hoch abgelesen worden 
ist. Eine genauere Erwägung der Bedingungen, unter denen 
Regnault und Reiset einerseits, Seegen und Nowak andrer- 
seits gearbeitet haben, läßt nun zeigen, daß bei den Arbeiten 
der Franzosen beiden Möglichkeiten Raum gegeben war, es 
konnte bald eine zu hohe, bald eine zu niedrige Ablesung der 
Temperatur in Frage kommen, und so ist zu erklären, daß sie 
bald Zuwachs, bald Ausfall an Stickstoff gefunden haben. 
Dagegen ergibt eine Prüfung der Versuchsbedingungen von 
Seegen, daß er immer zu niedrig abgelesen haben muß, 
so daß er also immer einen größeren Gehalt an Stickstoff finden 
mußte. Bei Seegen kommt noch als zweiter wichtiger Einwand 
hinzu, daß seine Probeentnahme aus dem Kasten zwecks Analyse 
den Fehler hatte, daß sie notwendigerweise ein an Kohlen- 
säureärmeres, infolgedessen aber an Stickstoff reiche- 
res Gas geben mußte, als dem Durchschnitt entsprach. 
Auch dies mußte natürlich eine Ausscheidung von Stickstoff 
vortäuschen. So hatten denn alle diese Arbeiten ihre Fehler, 
und es war nötig, an einem Apparat diese Versuche zu wieder- 
holen, bei dem die Fehlerquellen nach Möglichkeit vermieden 
waren. Besonders mußte also nach dem Gesagten auf eine recht 
genaue Messung der wahren Durchschnittstemperatur ge- 
achtet werden. Die wesentlichsten Teile dieses neuen Apparates 
sind schon vor Jahren von Zuntz konstruiert worden, aber 
bisher nicht zur Benutzung gekommen. Ich habe den Apparat 
zusammengebaut und einige Verbesserungen angebracht. In 
seiner jetzigen Gestalt ist der Apparat von Zuntz in der 
Physiologischen Gesellschaft zu Berlin (12. V. 1905) demonstriert 
worden. Er besteht im wesentlichen aus folgenden Haupt- 
bestandteilen: Der Atemraum ist ein ca. 160 Liter fassender 
starker Kasten, der mit Hilfe eines Deckels und Gummi- 
verschlusses abgedichtet werden kann. Durch eine Pumpe wird 
die Luft im Kasten hin- und hergesaugt. Dabei passiert sie 
Ventile, die mit starker Kalilauge gefüllt sind, um die Kohlen- 
säure zu absorbieren. Am Kasten findet sich ferner ein feines 
Manometer, sowie ein Thermobarometer, das in Form eines 


C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 181 


langen Metallrohres den ganzen Kasten durchzieht und am 
einen Ende geschlossen ist, während das andere Ende ebenfalls 
mit einem empfindlichen Manometer verbunden ist. Diese von 
Zuntz erdachte Vorrichtung ist eigentlich das prinzipiell Wich- 
tigste an dem Apparat, da sie eine der Wirklichkeit sehr nahe 
kommende Messung der wahren Durchschnittstemperatur 
im Kasten während und am Schlusse des Versuches gestattet 
und so den wesentlichsten Fehler aller bisherigen Arbeiten ver- 
meiden läßt. Ganz anders wie bei allen vorhergehenden Ver- 
suchen ist auch die Zufuhr des Sauerstoffes, bei der nach 
vielen Bemühungen schließlich auf die Messung durch Gasuhren 
ganz verzichtet und anstatt dessen ein Glasgasometer verwendet 
wurde, in dem das Volum Sauerstoff durch Wägung des aus 
einem Druckgefäß nachfließenden Wassers sehr genau bestimmt 
werden konnte. Die genaueren Details aller dieser Vorrich- 
tungen werde ich in meiner später erscheinenden ausführlichen 
Publikation geben. 

In diesem Kasten wurde nun der Stickstoffgehalt aus den 
abgelesenen physikalischen Konstanten und den Analysen am 
Schlusse des Versuches ermittelt. 

Eine Erwägung der Fehlergrenzen der Methodik ergab, daß 
im günstigen Falle man auf etwa 100 ccm Stickstoff nach 
beiden Seiten hin rechnen muß. Nur erheblich größere Aus- 
schläge also könnte man als Beweise für eine Ausscheidung 
resp. Aufnahme von Stickstoff ansehen. Ich habe nun an 
diesem Apparat eine größere Reihe von Respirationsversuchen 
mit gesunden und diabetischen Hunden, sowie mit Kaninchen 
gemacht, und nur die Versuche, die gute analytische Werte 
lieferten, für die vorliegende Frage benutzt. Dabei ergab sich 
nur in einem Falle eine jeder Erklärung spottende, kolossale 
Abnahme des Stickstoffes, die sicherlich auf einem unbeachteten 
groben Versuchsfehler beruhen muß. Sonst aber geben meine 
Resultate nicht den geringsten Hinweis, daß der Stickstoff 
im Kasten sich irgendwie an den Stoffwechselvorgängen des 
Tieres beteiligt. Die Differenzen, die sich etwa gleichmäßig im 
Sinne eines Zuwachses und eines Defizits verteilten, blieben 
meist unter 100, nur wenige gingen unwesentlich darüber hinaus. 
Besonders wichtig aber ist, daß ich unter den mannigfachsten 
Bedingungen Gelegenheit hatte zu konstatieren, daß die an dem 


182 C.Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 


Thermometer im umgebenden Wasser abgelesene Temperatur sich 
von der wirklichen, mit Hilfe des Thermobarometers gefundenen 
so sehr unterscheiden kann, daß die erstere völlig falsche, 
die Resultate der früheren Autoren durchaus erklärende Werte 
ergeben kann. Nur unter bestimmten Umständen, wenn nämlich 
die Änderungen der Temperatur im Kasten und Arbeitsraum 
sehr geringfügig sind, kann man die Thermometerablesungen 
gelten lassen. Ganz besonders treten die Fehler hervor, wenn 
man die Versuche bei künstlich geänderter Temperatur vor- 
nimmt, es zeigen sich dabei Fehler, die mit Sicherheit in der 
durch die Überlegung geforderten Richtung liegen. Dadurch 
wird also das durch kritische Überlegung gewonnene Resultat, 
daß die früheren Versuche mit falschen Temperaturangaben 
gearbeitet haben, durch eigene Beobachtung bestätigt und ferner 
erwiesen, daß an eine irgendwie erhebliche, über die er- 
wähnten Fehlergrenzen hinausgehende Anteilnahme 
des elementaren Stickstoffes an den metabolischen 
Vorgängen der untersuchten Tiere nicht fernerhin 
gedacht werden kann. 

Wegen der Einzelresultate und aller Details muß ich auf 
die ausführliche Publikation verweisen, die aus äußeren Gründen 
sich noch einige Zeit hinziehen wird. 


Versuche über den chemischen Charakter des 
Befruchtungsvorgangs. 


Von 
Jacques Loeb. 


(From the Herzstein Research Laboratory of the University of California.) 


(Eingegangen am 25. Juni 1906.) 
L Einleitung. 

Vor sieben Jahren gelang mir der Nachweis, daß es mög- 
lich ist, normale Larven aus den befruchteten Eiern von Seeigeln 
dadurch hervorzubringen, daß man diese Eier ca. 2 Stunden 
(bei einer Temperatur von etwa 18°) hypertonisch gemachtem 
Seewasser aussetzt. Die für diesen Zweck benutzte Lösung be- 
stand aus ungefähr 50 ccm Seewasser + 8 bis 10 ccm einer 
2'/3 N.-NaCl-Lösung. Das normale Seewasser hat eine Kon- 
zentration, die einer !/s bis °/;N.-NaCl-Lösung gleich ist. Die 
Seeigeleier, bei denen diese Versuche ausgeführt werden, ent- 
wickeln sich nicht zu Larven und furchen sich nicht ohne 
die erwähnte Behandlung mit hypertonischem Seewasser oder 
Befruchtung mit Samen. Die Fortsetzung dieser Versuche ergab, 
daß nicht nur die unbefruchteten Eier von Seeigeln, sondern 
auch von Repräsentanten anderer Tiergruppen, nämlich Mollus- 
ken und Anneliden, durch dieselbe vorübergehende Behandlung 
mit hypertonischem Seewasser zur Entwicklung bis zu schwim- 
menden Larven veranlaßt werden können. Ja, Bataillon hat 
durch dieselbe Methode selbst die Anfänge der Entwicklung 
bei den Eiern von Wirbeltieren, nämlich Fröschen und Petro- 
myzon, erzielt. 


184 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


Es war von vornherein klar, daß diese Versuche berufen 
sein würden, Aufklärung über das Wesen des Befruchtungs- 
vorganges zu geben, da es ja aussichtslos schien, aus der Be- 
schaffenheit des Spermatozoons eine solche Aufklärung zu er- 
. langen. Allein es waren in der physiologischen Literatur — 
soweit ich sie kenne — keine Angaben vorhanden, welche uns 
erlaubten einen Schluß auf den Einfluß hypertonischer Lösungen 
zu ziehen. Es war zu vermuten, daß derartige Lösungen dem 
Ei Wasser entziehen, allein wie der Wasserverlust die Befruch- 
tung veranlassen könne, war ein Rätsel. Wer meine ersten 
Abhandlungen über den Gegenstand liest, wird finden, daß ich 
schwankte, ob es sich um eine physikalische Wirkung (auf die 
Kolloide im Ei) handele, oder um eine chemische Wirkung, ob- 
wohl ich mich bald der letzteren Möglichkeit zuwendete. Erst 
im vorigen Jahr führte mich eine zu anderen Zwecken an- 
gestellte Versuchsreihe auf die Vermutung, daß die hyper- 
tonischen Lösungen vielleicht Oxydationsvorgänge im Ei anregen 
oder beschleunigen. Ich hatte nämlich bei meinen Versuchen 
an Molluskeneiern (Lottia gigantea) stets beobachtet, daß die 
Eier, welche durch Behandlung mit hypertonischem Seewasser 
befruchtet werden können, durch den Samen von Lottia nicht 
befruchtet wurden!), Die Eier waren offenbar „unreif“ und 
ich fand, daß sie auch nach tagelangem Liegen in normalem 
Seewasser nicht reiften. Sie konnten aber ziemlich rasch zur 
Reife gebracht werden, wenn man sie alkalisch gemachtem See- 
wasser (50 ccm Seewasser + 1 ccm N/-KHO) aussetzte °- 
Brachte man solche Eier nach etwa 4 Stunden (bei etwa 18° C.) 
in normales Seewasser zurück, so wurden sie auf Samenzusatz 
befruchtet. Das alkalische Seewasser hatte aber diese Wirkung 
nur in Gegenwart von freiem Sauerstoff. Vertreibt man den 
atmosphärischen Sauerstoff aus dem alkalischen Seewasser durch 
einen Strom von sorgfältig gewaschenem, reinem Wasserstoff, 
so reifen die Eier nicht. Das brachte. mich auf die Vermutung, 
daß die Behandlung der Eier von Lottia mit hypertonischem 
Seewasser nicht nur ihre Entwicklung anrege, sondern sie auch 
außerdem zur Reife bringe. Die letztere Vermutung bestätigte 


) University of California Publications, Physiology vol. I, p. 7. 1903. 
?) Daselbst, vol. III, p. 1. 1905. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 185 


sich, die mit hypertonischem Seewasser behandelten Eier konnten 
durch Samen befruchtet werden. Das ließ sich dadurch nach- 
weisen, daß die durch künstliche Parthenogenese mit hyper- 
tonischem Seewasser und die durch Samenbefruchtung erzielten 
Larven von Lottia sich in bestimmter Weise unterscheiden; die 
durch Samenbefruchtung erzielten Larven schwimmen an der 
Oberfläche und leben lange, die durch hypertonisches Seewasser 
bis jetzt erzielten Larven schwimmen am Boden und gehen 
nach zwei Tagen zugrunde. Fügte man zu den mit hyper- 
tonischem Seewasser von Lottia behandelten Eiern Samen zu, 
so erhielt man Larven von der durch Befruchtung entstehenden 
Art. Das führte mich auf den Gedanken, zu untersuchen, ob 
nicht auch für die entwicklungserregenden Wirkungen des hyper- 
tonischen Seewassers die Anwesenheit von atmosphärischem 
Sauerstoff in der hypertonischen Lösung absolute Vorbedingung 
sei. Diese Vermutung prüfte ich am Seeigelei und sie erwies 
sich als richtig. Wie ich bereits in einer kurzen Notiz!) mit- 
teilte, findet die Entwicklungserregung im unbefruchteten See- 
igelei nur dann statt, wenn das hypertonische Seewasser freien 
Sauerstoff enthält. Diese Versuche regten den Gedanken an, 
daß die wesentliche Seite in der Entwicklungserregung des Eis, 
sei es durch Samen, sei es durch künstliche Mittel, in einer 
Anregung resp. Beschleunigung von Oxydationsvorgängen be- 
stehe. Ich habe diese Vermutung neuerdings weiter verfolgt und 
will die Ergebnisse hier mitteilen. Wo nicht das Gegenteil ge- 
sagt ist, wird es sich im folgenden um Versuche am Seeigelei 
(Strongylocentrotus purpuratus) handeln. 


I. Versuche am befruchteten Seeigelei. 


1. Ohne freien Sauerstoff kann sich das befruchtete 
Seeigelei nicht furchen. 


Vor zehn Jahren veröffentlichte ich die Beobachtung, daß, 
wenn man frisch befruchtete Seeigeleier in eine Engelmann- 
sche Gaskammer bringt und in derselben die Luft durch reinen 
Wasserstoff ersetzt, kein Ei sich zu furchen imstande ist). Da 
es eine Zeitlang dauert, bis der Wasserstoffstrom alle Luft aus- 


1) University of California Publications, Physiology, vol. III, p.39. 1906. 
2) Pflügers Archiv 62, 249. 1895. 


186 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


getrieben hat, und da in dieser Periode das Ei Zeit hat, die 
Kernteilung und vielleicht auch eine Furchung auszuführen, 
muß man die Engelmannsche Kammer zunächst auf Eis 
stellen und dann zwei Stunden lang einen Weasserstoffstrom 
durchtreiben. Nimmt man dann die Engelmannsche Kammer 
vom Eis, so tritt keine Kernteilung und keine Zellteilung ein. 
Bringt man die Eier aber (nach nicht zu langem Verweilen in 
der Weasserstoffatmosphäre) in lufthaltiges Seewasser zurück, so 
furchen sie sich mit der der Temperatur entsprechenden Ge- 
schwindigkeit und absolut regelmäßig. Diese Versuche habe ich 
neuerdings wiederholt und bestätigt. Es folgt daraus, daß die 
Befruchtung durch das Spermatozoon nur dann zur Furchung 
führt, wenn freier Sauerstoff zugegen ist. Das führt auf die 
Vermutung, daß die durch die Befruchtung angeregten Prozesse 
wesentlich Oxydationsprozesse sind. In einem eben erschienenen 
Buche '’) habe ich darauf hingewiesen, daß ein zweiter chemischer 
Prozeß unstreitig durch die Befruchtung eingeleitet wird, nämlich 
die Bildung von Nukleinverbindungen aus gewissen Bestandteilen 
des Protoplasmas. Da diese Umwandlung ebenfalls nur in der 
Gegenwart von freiem Sauerstoff stattfindet, so ist zu vermuten, 
daß Oxydationen direkt oder indirekt dieser Synthese von 
Nukleinverbindungen zugrunde liegen. 


2. Eine Spur von Cyankalium hemmt die Furchung 
des befruchteten Seeigeleis. 


Da, wie Schönbein, Claude Bernard, Geppert und 
andere gezeigt haben, die Autoxydation durch KCN gehemmt 
wird, so schien es wünschenswert zu versuchen, ob die Furchung 
des befruchteten Seeigeleies ebenfalls durch Zusatz von KCN 
zu Seewasser gehemmt wird. Es ist erstaunlich, wie wenig 
KCN für diesen Zweck nötig ist. Schon der Zusatz von !/ ccm 
einer 1/2% /o KCN -Lösung hemmte die Furchung vollständig. Die 
Konzentration des Cyankaliums in einer solchen Lösung war 
also "sooo /o! Setzt man aber etwas weniger Blausäure zu, so 
tritt eine Furchung ein, deren Verlauf um so mehr der nor- 
malen Geschwindigkeit sich nähert, je geringer die Menge des 


" Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen S. 98 u. 
239. Leipzig 1906. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 187 


zugesetzten KCN ist. Zu je 50 ccm Seewasser wurden 0,1, 0,2, 
0,3 und 0,4 ccm einer '/so°/o Lösung von KCN zugefügt, und 
in jede dieser Lösungen wurden Seeigeleier gebracht, welche 
6 Minuten vorher durch Samen befruchtet worden waren. Nach 
4 Stunden waren die Eier in der Lösung mit 0,2 ccm oder mehr 
1/20°/o KCN alle ungefurcht, die Eier in der Lösung mit nur 
0,1 ccm Y/s0 Yo KCN im Vierzellstadium, während die in nor- 
malem Seewasser gebliebenen Kontrolleier im Acht- bis Sechzehn- 
zellstadium waren. Am nächsten Morgen fanden sich ca. Yıo /o 
der Eier in der Lösung mit 0,4 ccm KCN im Zwei- bis Vier- 
zellstadium, in der Lösung mit 0,3 ccm KCN etwa 10°, der 
Eier in den ersten Furchungsstadien (2—4 Zellen), in der Lösung 
mit 0,2 ccm waren die Resultate nur wenig besser, aber in 
der Lösung mit 0,1 ccm "/so°/o KCN waren fast alle Eier zu 
schwimmenden Larven entwickelt. Wir werden später sehen, 
daß der Zusatz von 0,5 bis 3 ccm !Y/so Yo KCN zu 50 ccm See- 
wasser die befruchteten Eier des Seeigels nicht dauernd schädigt, 
sondern nur die Entwicklung derselben hemmt. Bringt man 
dieselben in normales Seewasser zurück, so entwickeln sie sich, 
vorausgesetzt, daß sie nicht zu lange dem vergifteten Seewasser 
ausgesetzt blieben. Wir werden ferner zeigen, daß das KCN 
(wie der Sauerstoffmangel) nur die Bildung der Chromatin- 
substanz aus Protoplasma und damit indirekt auch die Kern- 
und Zellteilung hemmt, während es andere Funktionen des Eies 
intakt läßt. 


3. Das befruchtete Ei bildet mehr Säure als das 
unbefruchtete Ei. 


Wenn es wahr ist, daß das Wesen der Befruchtung in 
einer Anregung resp. Beschleunigung von Oxydationsprozessen 
besteht, so muß sich eine Zunahme der Koblensäurebildung im 
Seeigelei nach der Befruchtung nachweisen lassen. In einfacher, 
aber überzeugender Weise läßt sich der Versuch so ausführen. 
Gleiche Volumina von Eiern werden in Flaschen von etwa 
300 ccm Volumen mit 50 ccm Seewasser gebracht. In der 
einen Partie wird Samen zugesetzt und die Flaschen werden 
dann luftdicht geschlossen. Nach etwa 15 bis 20 Stunden wird 
der Säuregehalt des Seewassers in beiden Flaschen titrimetrisch 
festgestellt. Das Seewasser in Pacific Grove gibt mit Phenol- 


188 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


phthalein keine Rotfärbung (es unterscheidet sich darin vom 
Seewasser des atlantischen Ozeans in Woods Hole). Bestimmt 
man nun die Menge von KHO, welche man zusetzen muß, um 
mit Phenolphthalein Rotfärbung des Seewassers zu erzielen, so 
findet man, daß diese Menge größer ist für die befruchteten 
als die unbefruchteten Eier, und daß die Menge zunimmt mit 
der Zahl der sich entwickelnden Eier. So waren in einem Ver- 
such, in welchem die Eier bei ungefähr 15° 17 Stunden lang 
in den verschlossenen Gefäßen geblieben waren, ca. 0,2 ccm 
N/ıo-KHO für die Erzielung der Rotfärbung des Seewassers bei 
den unbefruchteten Eiern nötig, während die befruchteten für 
den gleichen Zweck etwas über 0,4 ccm derselben Lauge er- 
forderten. Kontrollversuche mit Seewasser allein und mit See- 
wasser, dem Spermatozoen in derselben Masse zugefügt waren, 
wie im Falle der befruchteten Eier, ergaben, daß 0,1 bis 0,2 ccm 
N/ıo-KHO zur Rotfärbung von 50 ccm Seewasser ausreichten. 
Es scheint also, daß auch die unbefruchteten Eier etwas Säure 
bilden und daß die Befruchtung die Säurebildung nur erheblich 
beschleunigt. Diese Versuche wurden vielfach wiederholt und 
variiert, ergaben aber stets dasselbe Resultat. In einer Versuchs- 
reihe wurden die Eier von vornherein in alkalisch gemachtes 
Seewasser (50 ccm Seewasser -+ 0,5 cem N/10-KHO) gebracht 
und dann nachher durch Säurezusatz der übrig gebliebene Alkali- 
gehalt festgestellt. Wie ich schon früher zeigte, regt derartig 
alkalisch gemachtes Seewasser die ersten Furchungsvorgänge bei 
unbefruchteten Seeigeleiern an; aber zu einer über die erste 
Furchung hinausgehenden Entwicklung kommt es nicht. Auch 
bei diesem Versuche fällt der Unterschied im Verhalten der 
befruchteten und unbefruchteten Eier in demselben Sinne aus, 
wie bei der früher erwähnten Versuchsanordnung. 

Daß die befruchteten Eier des Seeigels CO, abgeben, ist 
schon von Lyon gezeigt worden. Es ist ferner eine allgemeine 
Tatsache, daß bei der Entwicklung von Eiern wie von keimenden 
Pflanzensamen CO, gebildet wird. Es ist deshalb zu vermuten, 
daß die in diesen Versuchen gefundene Säurebildung ganz oder 
zum Teil in der Abgabe von CO, durch das Ei besteht. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 189 


II. Die Rolle des Sauerstoffs und der Oxydationen bei der 
künstlichen Parthenogenese. 


1. Der Vorgang der Entwicklungserregung beim 
Seeigelei setzt sich aus zwei verschiedenen Prozessen 
zusammen!). 


Wir können nicht direkt entscheiden, wie das Spermatozoon 
die Entwicklung des Eies bewirkt, und diese Lücke muß in der 
Weise ausgefüllt werden, daß wir versuchen, den Vorgang der 
Befruchtung in allen Details durch uns bekannte physikalische 
oder chemische Agentien nachzumachen. Dieser Versuch ist 
für das Seeigelei gelungen und hat ergeben, daß der Vorgang 
der Entwicklungserregung sich aus zwei verschiedenen Eingriffen 
zusammensetzt. Der eine Eingriff ist die Membranbildung des 
Eies, welche erfolgt, sobald das Spermatozoon in das Seeigelei 
eingedrungen ist. Es scheint, daß dieser Vorgang in einer 
Sekretion von Flüssigkeit von seiten des Eies besteht, wodurch 
die Oberflächenlamelle des letzteren abgehoben wird. Der Vor- 
gang ist vielleicht äußerlich vergleichbar dem Vorgang der 
Abhebung der Epidermis durch einen Flüssigkeitserguß bei 
oberflächlicher Verbrennung der Haut. Dieser Sekretionsvorgang 
oder die Membranbildung kann künstlich beim unbefruchteten 
Ei durch verschiedene Mittel eingeleitet werden, am besten 
dadurch, daß man die Eier etwa 1'/s bis 2 Minuten (bei 15° C.) 
in 50 ccm Seewasser bringt, dem man etwa 3 ccm einer N/ho- 
Lösung einer einbasischen Fettsäure, z. B. Buttersäure zusetzt. 
Wenn man die Eier dann herausnimmt, so bilden sie alle 
Membranen, die ebenso vollkommen sind, wie die von be- 
fruchteten Eiern gebildeten. 

Wenn man solche Eier dann weiter beobachtet, so findet 
man, daß der Kern anfängt, sich zu teilen und daß auch oft 
eine oder mehrere Zellteilungen eintreten; aber das Ei entwickelt 
sich nicht zu einer Larve, sondern zerfällt und ist in weniger 
als 24 Stunden abgestorben. Der Vorgang der Membranbildung 
hat also zwei Wirkungen: erstens die Zellteilungsvorgänge oder 
richtiger die Synthese von Nukleinverbindungen in den Gang 


1) Ich habe eine kurze Darlegung der Methoden der künstlichen 
Parthenogenese in meinen „Vorlesungen über die Dynamik der Lebens- 
erscheinungen“, Leipzig 1906, gegeben. 


190 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


zu setzen, und zweitens das Ei zu töten; denn das unbefruchtete 
Ei kann eine Reihe von Tagen am Leben bleiben, wenn man 
die künstliche Membranbildung in demselben nicht anregt. 

Setzt man aber Eier, in welchen man die künstliche 
Membranbildung hervorgebracht hat, hinterher (bei 16° C.) 
etwa 30 bis 50 Minuten lang hypertonischem Seewasser (50 ccm 
Seewasser + 8 ccm 2!/s N.-NaCl.) aus, so entwickeln sich alle 
oder die meisten dieser Eier zu schwimmenden Larven. Ein 
gewisser, oft recht großer Prozentsatz dieser Eier furcht sich 
völlig regelmäßig und entwickelt sich zu normalen Larven. 
In der Art der Furchung und dem Verhalten und Aussehen 
der Larven ist die Entwicklung dieser Eier nicht zu unter- 
scheiden von der durch Samen bewirkten Furchung und Ent- 
wicklung. Ein Teil der Eier aber furcht sich nicht so regel- 
mäßig und man findet, daß die Furchung um so unregelmäßiger 
wird, je länger die Eier dem hypertonischen Seewasser ausgesetzt 
bleiben. Es handelt sich hier um eine toxische Nebenwirkung 
des hypertonischen Seewassers, die dadurch nahezu vollständig 
oder doch wenigstens in hohem Grade vermieden werden kann, 
daß man die Eier früh genug aus der hypertonischen Lösung 
nimmt. Diese Behandlung der Eier mit hypertonischem See- 
wasser für die kurze Dauer von etwa 40 Minuten genügt nicht 
zur Entwicklungserregung, wie Kontrollversuche an Seeigeleiern, 
die nicht zur Membranbildung veranlaßt worden waren, zeigen. 
Die kurze Behandlung der Eier mit hypertonischem Seewasser 
nach voraufgegangener Membranbildung dient vielmehr dazu, 
die fehlerhaften chemischen oder sonstigen Prozesse in solchen 
Eiern in die richtigen Bahnen zu lenken. 

Daß nun auch bei der Befruchtung durch Samen die 
Membranbildung ein besonderer Prozeß ist, der in seiner Wirkung 
der künstlichen Membranbildung durch eine einbasische Fett- 
säure vergleichbar ist, wird durch Beobachtungen, welche Herr 
Dr. H. Kupelwieser neuerdings in meinem Laboratorium aus- 
geführt hat, sichergestellt. Ich hatte schon vor 3 Jahren be- 
obachtet, daß man bei Seeigeleiern die Membranbildung durch 
Annelidensamen (Ophelia) hervorrufen kann. Diese Eier ent- 
wickelten sich nicht. Herr Dr. Kupelwieser hat nun ge- 
funden, daß, wenn man den Samen von Seeigeln, Seesternen, 
ja von Mollusken durch Hitze zum Gerinnen bringt und filtriert, 


- m en un u a PER ER 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 191 


das klare Filtrat die Membranbildung beim unbefruchteten See- 
igelei hervorruft. Seeigeleier, welche auf diese Weise zur 
Membranbildung gezwungen werden, verhalten sich ganz genau 
so, wie die Seeigeleier, bei denen eine Membranbildung durch 
Buttersäure hervorgerufen wird. Die Kernteilung (Spindelbildung) 
beginnt, die Eier gehen aber dann im Laufe der nächsten 
24 Stunden zugrunde. Behandelt man sie jedoch nach der 
Membranbildung etwa 40 Minuten lang mit hypertonischem 
Seewasser!), so entwickeln sie sich zu normalen Larven, in 
genau derselben Weise wie die Eier, deren Membranbildung 
durch eine einbasische Fettsäure veranlaßt war. Welcher Stoff 
im Spermatozoenextrakt die Membranbildung verursacht, ist 
noch nicht untersucht worden, allein es ist nicht wahrscheinlich, 
daß es sich um eine Säure handelt. Mit Hilfe dieser Daten 
ist es nun möglich, die Rolle des Sauerstoffs bei der Ent- 
wicklungserregung etwas genauer zu untersuchen. 


2. Der Vorgang der Membranbildung wird durch 
geringe Dosen von KCN nicht verhindert. 


Wir haben erwähnt, daß schon der Zusatz von !/; ccm 
I/so/o KCN zu 50 ccm Seewasser genügt, um die Entwicklung 
frisch befruchteter Eier völlig zu unterdrücken. Setzt man aber 
1, 2 oder selbst 3 ccm KCN zu 50 ccm Seewasser zu, so findet 
in solchem Seewasser doch noch die Membranbildung auf Zusatz 
von Samen statt. Auch die künstliche Membranbildung durch 
Buttersäure wird durch einen solchen Zusatz von KCN nicht 
gehemmt. Ich glaubte anfangs, daß das vielleicht daher rühre, 
daß das KCN nicht rasch genug in das Ei eindringe. Ich ließ 
daher Eier bei 15° C. eine Reihe von Stunden — bis zu 24 
Stunden lang — in einer Mischung von 50 ccm Seewasser 
+ 2 cem !/so%/o KCN und fügte dann Samen zu. Die Eier 
bildeten in dem cyankaliumhaltigen Seewasser doch sofort eine 
vollkommene Befruchtungsmembran. Es ist also damit er- 
wiesen, daß der Akt der Membranbildung durch solche Mengen 
von Cyankalium, welche ausreichen, die Furchung absolut zu 
unterdrücken, nicht gehemmt wird. Wir dürfen daraus schließen, 


ı) Im folgenden wird unter hypertonischem Seewasser die Mischung 
von 50 com Seewasser + 8 ccm 2'/, N.-NaC] verstanden, wenn nicht das 
Gegenteil ausdrücklich bemerkt ist. 


192 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


daß der Akt der Membranbildung (oder die der Membranbildung 
zugrunde liegenden Sekretion) entweder keinen freien Sauerstoff 
oder weniger Sauerstoff und Oxydationen erfordert, als der Akt 
der Furchung, oder die chemischen Vorgänge, welche der 
Furchung zugrunde liegen. Das ist auffallend angesichts der 
Tatsache, daß die Membranbildung die Entwicklung, also 
energische Oxydationsvorgänge, einleitet. Es ist aber möglich, 
daß die Sekretion, welche der Membranbildung zugrunde liegt, 
Stoffe aus dem Ei entfernt, welche diese Oxydationen zu hemmen 
imstande sind). 


3. Durch die Membranbildung allein werden 
Oxydationsprozesse im Ei hervorgerufen oder be- 
schleunigt, welche zum raschen Zerfall und Tod des 
Eies führen. 

Wir haben bereits erwähnt, daß die künstliche Membran- 
bildung im Ei zunächst die der Furchung zugrunde liegenden 
Kernveränderungen hervorruft. Eine Spindel wird gebildet und 
es mag auch eine Zellteilung erfolgen, aber dann setzt meist 
der rasche Zerfall und Tod des Eies ein. Daß die Bildung der 
Spindel nur in Gegenwart von Sauerstoff möglich ist und durch 
Sauerstoffmangel und Zusatz von KCN verhindert wird, haben 
wir bereits für das befruchtete Ei erwähnt. Ich habe mich 
nun durch Versuche überzeugt, daß dieselben Agentien, nämlich 
eine Wasserstoffatmosphäre?) oder Zusatz von 1 ccm 1/2 ?/0 KCN 
zu 50 ccm Seewasser die Bildung der Spindel auch bei der 
künstlichen Membranbildung hindern. Es stellte sich aber 
weiter auch die höchst überraschende Tatsache heraus, daß in 
einer Wasserstoffatmosphäre oder bei dem Zusatz der erwähnten 
geringen Menge von KCN der Zerfall und Tod des Eies nach 
der künstlichen Membranbildung ausbleiben. Wenn man nach 
24 Stunden oder später die Eier untersucht, welche nach der 
Bildung der Membran durch eine Fettsäure in cyankalium- 
haltiges Seewasser gebracht wurden und dort verblieben, so wird 
man finden, daß sie genau so aussehen, wie zur Zeit als sie in 
die Lösung gebracht wurden; während die Eier derselben Serie, 


1) Siehe Dynamik der Lebenserscheinungen S. 252. 
2) University of California Publications, Physiology vol. III, 
p. 33. 1906. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 193 


welche in gewöhnliches Seewasser gebracht wurden, alle zerfallen 
und tot sind. 

Daß in der Tat die Bildung der künstlichen Membran die 
Oxydationsvorgänge im Ei anregt resp. beschleunigt, ist schon 
aus dem Gesagten ersichtlich. Man kann es aber noch direkt 
durch die früher erwähnte Titration des Seewassers fest- 
stellen. Ich habe nur zwei derartige Bestimmungen aus- 
geführt, die in der Tat das Gesagte stützen, wenn auch die 
Säurebildung geringer war als bei den mit Samen befruchteten 
Eiern. 

Man gewinnt den Eindruck, daß infolge der Membran- 
bildung die Oxydationsvorgänge, welche zur Synthese der 
Chromatinsubstanz führen, angeregt werden, daß aber die 
Oxydationsvorgänge oder von diesen abhängende Vorgänge in 
fehlerhaften Bahnen verlaufen, wodurch das Ei zerfällt oder 
abstirbt. Hemmt man die Oxydationen durch Sauerstoffmangel 
oder Zusatz von Cyankalium, so treten jene fehlerhaften Prozesse 
nicht ein und das Ei bleibt am Leben. 

Ich habe schon vor Jahren einen Fall beobachtet, in dem 
Sauerstoffmangel und Cyankalium das Leben eines Eies retteten'). 
Es handelte sich um das Seesternei. Sobald das Ei dieser Tiere 
ins Seewasser gerät, erfolgt (zur geeigneten Jahreszeit) die Reifung 
des Eies, die sich in wenigen Stunden vollzieht. Dieser Reifungs- 
vorgang ist, wie ich vermute, ebenfalls ein Oxydationsprozeß, 
oder von einem solchen abhängig, da Zusatz von KCN die 
Reifung hemmt. Wenn nun solche Eier reifen, ohne hinterher 
befruchtet oder sonstwie zur Entwicklung veranlaßt zu werden, 
so sterben sie in wenigen Stunden ab; während sie tagelang 
am Leben bleiben, wenn man ihnen den Sauerstoff entzieht 
oder dem Seewasser Cyankalium zusetzt. Man kann auch hier 
sagen, daß die im reifen aber unbefruchteten oder nicht zur 
Entwicklung angeregten Ei verlaufenden Oxydationsvorgänge 
den raschen Tod des Eies herbeiführen. In beiden Fällen wird 
das Ei in einen Anaeroben in sofern verwandelt, als nun der 
Sauerstoff für dasselbe giftig ist. 


) Loeb und Lewis, Am. Journ. of Physiology vol. VI, p. 305. 
1902 und Loeb, Pflügers Archiv, 98, 59. 1902. 


Biochemische Zeitschrift Band L 13 


194 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


4. Die Behandlung des Seeigeleies mit hypertonischem 

Seewasser nach der künstlichen Membranbildung leitet 

die Vorgänge im Ei in richtige Bahnen, aber nur in 
Gegenwart von freiem Sauerstoff. 


Wenn man die Eier, in denen man eine künstliche 
Membranbildung hervorgerufen hat, hinterher etwa 40 Minuten 
bei geeigneter Temperatur in hypertonisches Seewasser bringt, 
so entwickeln sie sich alle, und bei einer relativ großen Zahl 
derselben ist die Entwicklung völlig normal. Es macht nicht 
viel Unterschied, wie bald nach der Membranbildung die Eier 
in das hypertonische Seewasser gebracht werden, wenn man 
nicht zu lange wartet. Ich habe selbst noch Erfolg gesehen, 
wenn die Eier erst in die hypertonische Lösung gebracht wurden, 
nachdem sich schon die Spindel gebildet hatte und der Zerfall 
schon anfing. Natürlich ist der Erfolg erheblich besser, wenn 
man die Eier schon nach etwa 10 Minuten in das hypertonische 
Seewasser bringt. 

Daß nun in der Tat das hypertonische Seewasser chemisch 
und nicht physikalisch auf das Ei wirkt, wird, wie ich schon 
mitgeteilt habe!), durch Messung des Temperaturkoeffizienten 
klar. Wie erwähnt, muß man die Eier eine bestimmte Zeit 
im hypertonischen Seewasser lassen, um den Zerfall der Eier 
zu verhindern und eine Entwicklung derselben zu Larven zu 
veranlassen. Diese Zeit ist eine Funktion der Temperatur und 
durch Erhöhung der Temperatur um etwa 10° C. wird die 
nötige Expositionszeit auf etwa t/s reduziert. Einen Tempe- 
raturkoeffizienten von 23 finden wir aber nur bei chemischen 
Reaktionen. 

Die chemischen Reaktionen, um die es sich hier handelt, 
sind, wie es scheint, an Oxydationen geknüpft; denn wenn 
man die Eier in hypertonisches Seewasser bringt, dessen freien 
Sauerstoff man vorher durch einen Wasserstoffstrom ausgetrieben 
hat, so benehmen sich die Eier genau so, wie wenn sie nicht 
in hypertonischem Seewasser gewesen wären. Diese Versuche 
sind aber technisch schwierig, weil mit den Eiern immer etwas 
Luft in die hypertonische Lösung gebracht wird. Man könnte 


1) University of California Publications, Physiology, vol. III. p. 39. 
1906. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 195 


nun diese Schwierigkeit umgehen, allein ich hielt es für viel 
bequemer statt dessen die Versuche in hypertonischem Seewasser 
anzustellen, dem man etwas Cyankalium zusetzt. 

Bei den Eiern eines Weibchens wurde künstliche Membran- 
bildung mittels Buttersäure hervorgerufen und zehn Minuten 
später wurden die Eier in zwei Gefäße mit hypertonischem 
Seewasser (50 ccm Seewasser + 8 ccm 2!/; N.-NaCl) übertragen. 
Dem einen dieser Gefäße war 2 ccm !/so /o KCN zugesetzt 
worden. Die Temperatur war 18°C. Nach bestimmten Inter- 
vallen wurde eine Partie Eier aus jedem der beiden Gefäße in 
normales Seewasser zurückgebracht. Am nächsten Morgen fand 
sich das folgende Ergebnis. Die nach 30 Minuten aus dem 
hypertonischen Seewasser in normales Seewasser übertragenen 
Eier waren meist zerfallen, ganz wie die Eier, welche nach der 
Membranbildung nicht mit hypertonischem Seewasser behandelt 
worden waren. Nur etwa 2°/, der Eier hatten sich zu Blastulae 
entwickelt, die völlig normal waren. Von den nach 40 Minuten 
aus dem hypertonischen Seewasser genommenen Eiern hatten 
sich etwa 50°/, entwickelt, meist zu normalen Blastulen. Die 
nach 50 Minuten herausgenommenen hatten etwa ebensoviele 
Larven, aber eine größere Zahl der Larven sah nicht normal 
aus. Eier, die 135 Minuten im hypertonischen Seewasser ge- 
wesen waren, hatten sich in großer Zahl zu entwickeln ange- 
fangen, aber sie gingen in frühen Stadien zugrunde. In solchen 
überexponierten Eiern sind, wie ich schon früher gezeigt habe, 
die ersten Furchungsvorgänge schon abnorm und solche Eier 
sterben, je nach der relativen Dauer der Überexposition, rasch 
ab. Eier, die noch länger, nämlich 195, 285 und 335 Minuten 
dem hypertonischen Seewasser ausgesetzt gewesen waren, hatten 
in noch höherem Grade gelitten, und viele dieser Eier gingen 
sofort nach dem Übertragen in normales Seewasser an schwarzer 
Cytolyse!) zugrunde. 

Die Eier dagegen, die gleichzeitig aus dem cyankalium- 
haltigen hypertonischen Seewasser übertragen worden waren, 
gingen alle in wenigen Stunden nach der Herausnahme zu- 
grunde, und zwar in derselben Weise, wie die dauernd in nor- 
malem Seewasser gebliebenen Eier. Erst unter den Eiern, die 


1) University of California Publications, vol. III, p. 49. 1906. 
13* 


196 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


nach 8 und 22 Stunden aus dem cyankaliumhaltigen hyper- 
tonischen Seewasser genommen wurden, entwickelten sich ein 
paar Eier zu Larven. 

Dieser Versuch wurde mit ungefähr demselben Erfolg 
zehnmal wiederholt. Meist verhinderte der Zusatz von Cyan- 
kalium zum hypertonischen Seewasser dessen Wirkung absolut, 
in anderen Fällen nahezu vollständig. Für die Wiederholung 
dieser Versuche wird es beachtenswert sein, daß das Cyan- 
kalium mit dem hypertonischen Seewasser gründlich gemischt 
sein muß, ehe die Eier hineingebracht werden dürfen. 

Diese Versuche lassen aber das Bedenken aufkommen, daß 
vielleicht das Cyankalium die Eier getötet oder wenigstens ent- 
wicklungsunfähig gemacht habe. Dieses Bedenken wird durch 
die folgenden Versuche beseitigt. 

Die Eier eines Weibchens wurden nach künstlicher Mem- 
branbildung (mittels Buttersäurebehandlung) in zwei Gefäße mit 
je 50 ccm hypertonischem Seewasser gebracht. Dem einen 
Gefäß wurde 2 cem 1/a0°/o KCN zugesetzt. Je eine Portion 
Eier wurde in Intervallen von 10 Minuten aus dem hyper- 
tonischen Seewasser in normales Seewasser übertragen. Das 
Ergebnis war folgendes. 

Von den früher als nach 35 Minuten aus dem hyperto- 
nischen in normales Seewasser übertragenen Eiern entwickelte 
sich nichts, von den nach 35 Minuten in normales Seewasser 
übertragenen Eiern entwickelten sich etwa 5°/, zu guten Larven, 
von den nach 45 Minuten übertragenen entwickelten sich fast 
alle, und zwar meist zu normalen Larven. Von den nach 
55 Minuten übertragenen waren fast alle entwickelt, aber nur 
20°/, bildeten normale Larven; die noch länger in dem hyper- 
tonischen Seewasser gewesenen Eier lieferten mit zunehmender 
Expositionsdauer schlechter werdende Resultate. 

Von den Eiern, die gleichzeitig in dem cyankaliumhaltigen 
Seewasser gewesen waren, entwickelte sich kein einziges nach 
dem Übertragen in normales Seewasser. Die Eier gingen viel- 
mehr rasch in derselben Weise zugrunde, wie die Eier, welche nach 
der künstlichen Membranbildung in normalem Seewasser bleiben. 
Von den Eiern, die nach 55 Minuten aus dem cyankalium- 
haltigen Seewasser genommen worden waren, wurde der größere 
Teil in hypertonisches Seewasser ohne Cyankalium gebracht. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 197 


Nach 20, 30, 40, 50 und 60 Minuten wurde je eine Partie 
dieser Eier in normales Seewasser übertragen. Von den nach 
40 Minuten aus dem hypertonischen Seewasser genommenen 
Eiern entwickelten sich etwa 5°/,, von den nach 50 Minuten 
herausgenommenen etwa 30°/,, und die nach 60 Minuten her- 
ausgenommenen entwickelten sich so gut wie alle, wenn auch 
ein Teil derselben sich abnorm furchte — also bereits die 
Effekte der Überexposition zeigte. Dieser Versuch, der mit 
demselben Erfolg mehrfach wiederholt wurde, zeigt, daß die 
hypertonische Lösung in Gegenwart der geringen Menge Cyan- 
kalium unwirksam bleibt, daß aber die Eier, in so kurzer Zeit 
wenigstens, nicht geschädigt werden. 

Da nun, wie ich in einer früheren Mitteilung gezeigt habe’), 
Sauerstoffmangel ebenso wirkt, so folgt daraus, daß das hyper- 
tonische Seewasser seinen Einfluß auf die Entwicklung der Eier 
nur im Zusammenhang mit Oxydationsvorgängen äußert. Ver- 
mutungsweise kann erwähnt werden, daß das Ei im hyper- 
tonischen Seewasser gewisse Stoffe bildet, welche die durch die 
Membranbildung angeregten oder beschleunigten Oxydations- 
prezesse wieder in die richtigen Bahnen lenkt, und daß diese 
Stoffe selbst nur in der Gegenwart von freiem Sauerstoff ent- 
stehen können. 


5. Hypertonisches Seewasser bringt die unbefruchteten 

Seeigeleier, welche keine Membran besitzen, ebenfalls 

nur dann zur Entwicklung, wenn freier Sauerstoff 
zugegen ist. 

Die Methode der künstlichen Parthenogenese, welche ich 
in meinen ersten Arbeiten benutzte, bestand darin, daß unbe- 
fruchtete Seeigeleier direkt (ohne voraufgehende Membranbildung) 
in hypertonisches Seewasser gebracht wurden. In dem Falle 
aber war es nötig, die Eier erheblich länger in der hyper- 
tonischen Lösung zu lassen, als in dem vorhin beschriebenen 
Versuche an Eiern mit Membran, nämlich etwa 2 bis 3 Stunden 
bei einer Temperatur von 18° oder etwas darüber. Hierbei 
findet keine Membranbildung statt und auch in anderer Hin- 
sicht unterscheidet sich die Entwicklung solcher Eier etwas 


) University of California Publications, vol. III, p. 33. 1906. 


198 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


von der durch Befruchtung hervorgerufenen, worauf wir aber 
hier nicht näher eingehen wollen. (Es sei nur in Parenthese 
erwähnt, daß die neue Methode der künstlichen Parthenogenese 
eine nahezu vollkommene Nachahmung des natürlichen Be- 
fruchtungsvorgangs ist.) 

Es läßt sich nun noch viel besser zeigen, als das bei den 
bis jetzt diskutierten Versuchen der Fall war, daß das hyper- 
tonische Seewasser nur dann beim unbefruchteten, membran- 
losen Seeigelei die Entwicklung anzuregen vermag, wenn das 
Seewasser freien Sauerstoff enthält und wenn die Oxydationen 
im Ei stattfinden können. 

Unbefruchtete Eier wurden in fünf Flaschen mit je 50 ccm 
hypertonischen Seewassers verteilt. Eine Flasche bleibt offen, 
d. h. der Luft ausgesetzt stehen, die andern, aus denen durch 
eine zwei Stunden lange Wasserstoffdurchströmung alle Luft 
verdrängt war, bleiben dem Wasserstoffstrom auch ferner aus- 
gesetzt. Nach 2, 3, 41/; und 5"/s Stunden wurde je eine 
Flasche vom Wasserstoffapparat getrennt und die darin ent- 
haltenen Eier wurden in normales lufthaltiges Seewasser über- 
tragen. Die Eier waren völlig unverändert und furchten und 
entwickelten sich nicht. Daß sie nicht bloß dem Aussehen nach, 
sondern auch in Wirklichkeit unverändert waren, ging daraus 
hervor, daß sie sich auf Samenzusatz alle normal furchten und 
entwickelten. Gleichzeitig wurde je eine Probe von Eiern aus 
dem lufthaltigen hypertonischen Seewasser in normales See- 
wasser übertragen. Die nach 2 Stunden in normales Seewasser 
übertragenen Eier entwickelten sich in großer Zahl in normale 
Blastulae, von den nach 3 Stunden übertragenen entwickelten 
sich nur wenige (ca. 1°/,), von den später übertragenen ent- 
wickelten sich keine, sondern alle zerfielen (schwarze Cytolyse). 

Als zweiter Versuch sei der folgende erwähnt. Normale 
unbefruchtete Eier ohne Membran wurden in eine Reihe von 
Flaschen mit hypertonischem Seewasser verteilt. Eine dieser 
Flaschen blieb offen stehen, in Berührung mit Luft und die 
übrigen Flaschen wurden mit einem Wasserstoffentwicklungs- 
apparat verbunden. Vor Beginn des Versuchs war aus den 
letzteren Flaschen alle Luft durch einen Wasserstoffstrom aus- 
getrieben worden. Nach 2, 3, 4 und 5 Stunden wurde je eine 
Flasche vom Wasserstoffapparat getrennt. Ein Teil der in der 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 199 


Flasche enthaltenen Eier wurde sofort in normales Seewasser 
übertragen. Keins dieser Eier furchte und entwickelte sich. 
Sie waren intakt und auf Zusatz von Samen furchten sie sich 
in normaler Weise. Der andere Teil der Eier blieb 1 resp. 
2 Stunden lang in dem hypertonischen Seewasser, das aber 
nunmehr der Luft ausgesetzt wurde. Die Eier, welche 3 Stunden 
in dem hypertonischen Seewasser ohne Sauerstoff und 1 Stunde 
in demselben hypertonischen Seewasser mit Sauerstoff gewesen 
waren, entwickelten sich der Mehrzahl nach zu schwimmenden 
Blastulen. Das hypertonische Seewasser ohne Sauerstoff bleibt 
unwirksam, das mit Sauerstoff regt die Entwicklung an. 

Analoge Versuche, in welchen 1 oder 2 ccm Yo Yo KCN 
zu 50 ccm des hypertonischen Seewassers zugesetzt wurden, 
zeigten, daß die Verhinderung der Oxydationen durch Cyan- 
kalium im Ei auch die entwicklungserregende Wirkung des 
hypertonischen Seewassers hemmt. 

In diesen Fällen muß die hypertonische Lösung die Ent- 
wicklung sowohl anregen, wie auch die Oxydationsvorgänge in 
die richtigen Bahnen lenken. Die Versuche zeigen, daß hyper- 
tonisches Seewasser diese Wirkungen nur in der Gegenwart von 
freiem Sauerstoff hat. 


6. Sind die Oxydationsvorgänge die einzigen Vorgänge, 
welche durch die Befruchtung beschleunigt resp. modi- 
fiziert werden? 


Es ist sicher, daß mit der Hemmung der Oxydations- 
vorgänge alle Entwicklungsvorgänge und auch die Umwandlung 
von Protoplasmabestandteilen in Chromatin resp. Nukleinver- 
bindungen unterbleiben. Es fragt sich, ob auch noch andere 
chemische Vorgänge als die auf Oxydation beruhende oder mit 
der Oxydation verknüpfte Synthese der Chromatinsubstanz 
durch die Befruchtung im Ei angeregt werden. Das scheint 
der Fall zu sein, wenn auch in relativ geringem Grade. 

So lange wir nicht die gesamten Stoffwechselvorgänge im 
Ei direkt bestimmen können — wozu einstweilen wenig Aus- 
sicht vorhanden ist — bietet sich nur ein indirekter Weg zur 
Entscheidung dieser Frage. Wenn nämlich die Oxydations- 
vorgänge der einzige Vorgang sind, der durch die Befruchtung 
angeregt resp. beschleunigt wird, so darf die Unterdrückung 


200 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


der Oxydationsvorgänge durch Sauerstoffmangel oder Cyan- 
kalium im befruchteten Ei keine schlimmeren Folgen haben, 
als im unbefruchteten Ei. Lewis und ich haben nun vor 
Jahren gezeigt, daß das unbefruchtete Ei des Seeigels eine Reihe 
von Tagen in cyankaliumhaltigem Seewasser verweilen kann, 
ohne seine Befruchtungs- und Entwicklungsfähigkeit einzubüßen'). 
Die Frage ist, kann das befruchtete Ei dasselbe leisten? Ich 
muß dem Bericht über derartige Versuche die Angabe voraus- 
schicken, daß das Cyankalium unwirksam wird, wenn die Lösung 
den Geruch nach Blausäure verliert. Das dürfte vielleicht darin 
seine Erklärung finden, daß die gesamte oder die wesentliche 
giftige, in diesem Falle oxydationshemmende Wirkung des Cyan- 
kaliums auf der durch hydrolytische Dissoziation gebildeten 
Blausäure beruht. Da die letztere flüchtig ist, so muß allmäh- 
lich alles Cyankalium in Blausäure verwandelt werden und zu- 
letzt verdampfen. Sobald das geschehen ist, ist kein CN mehr 
vorhanden. Die Giftwirkung des KCN beruht vielleicht auch 
nur auf der Wirkung der in das Ei eindringenden HCN, die 
dort mit Katalysatoren (und vielleicht anderen Stoffen) Verbin- 
dungen bildet, welche deren Wirksamkeit aufhebt. Diese Re- 
aktionen müssen umkehrbar sein, da sonst die völlige Erholung 
der Eier, wenn man sie in normales Seewasser zurückbringt, 
nicht verständlich wäre. Fügt man Cyankalium im Überschuß 
zum Seewasser, so erholen sich die Eier nur sehr langsam, weil 
dann das Ei zu viel HCN erhält und die Abgabe nur sehr all- 
mählich erfolgt. Es gibt aber eine Konzentrationsgrenze für 
das KCN, bei der seine giftigen Wirkungen zum Tod des Eies 
führen. Ob es sich hier um die Bildung nicht umkehrbarer 
Verbindungen handelt — was ich nicht glaube — sondern ledig- 
lich um eine Komplikation, brauchen wir hier nicht zu disku- 
tieren; für die Dosen von Cyankalium, welche in unseren Ver- 
suchen angewendet wurden, können die Reaktionen des KCN 
oder vermutlich HCN als völlig umkehrbar angesehen werden. 

Unbefruchtete und befruchtete Eier desselben Weibchens 
wurden je in eine Schale mit 50 ccm Seewasser + 2 ccm !/s0%o 
KCN gebracht. Nach verschiedenen Intervallen wurden Proben 
dieser Eier in normales Seewasser zurückgebracht. Die unbe- 


) Loeb u. Lewis, Am. Journ. of Physiology, vol. VI, p. 305. 1902. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 201 


fruchteten Eier wurden nach dem Herausbringen befruchtet, 
um zu sehen, ob sie völlig normal seien, und die schwächer 
befruchteten zeigten durch ihre weitere Entwicklung ihren Zu- 
stand an. 

Das Resultat der Versuche ließ an Deutlichkeit nichts zu 
wünschen übrig. Die Eier, welche unbefruchtet im cyankalium- 
haltigen Seewasser gewesen waren, entwickelten sich noch nach 
zweitägigem Verweilen in der Lösung in normaler Weise, wäh- 
rend die, welche vor dem Einbringen in das cyankaliumhaltige 
Seewasser befruchtet worden waren, bereits nach 24stündigem 
Verweilen in der cyankaliumhaltigen Lösung im frühen Blastula- 
stadium abstarben. Schon nach vier- bis fünfstündigem Ver- 
weilen in cyankaliumhaltigem Seewasser wurden befruchtete 
Eier etwas geschädigt, was sich darin zeigte, daß die Larven 
nicht an der Oberfläche, sondern am Boden des Gefäßes 
schwammen und daß viele während der ersten Tage starben. 
In keinem Falle trat bei diesen Eiern, während sie im cyan- 
kaliumhaltigen Seewasser verweilten, eine Furchung ein. (Ich 
setzte, wenn der Geruch nach HCN in der Lösung verschwand, 
eine neue Spur !/so°/o KCN zu, so daß stets genug KCN zur 
Unterdrückung der Furchung und Entwicklung vorhanden war.) 
Bei den zahlreichen Versuchen, welche ich mit KCN bei Eiern 
angestellt habe, ist mir dieser Unterschied im Verhalten der 
befruchteten und unbefruchteten Eier in cyankaliumhaltigem 
Seewasser stets aufgefallen. 

Diese Beobachtungen werden ergänzt durch parallele Beob- 
achtungen über die Wirkung des Sauerstoffmangels auf be- 
fruchtete und unbefruchtete Eier. Bringt man befruchtete und 
unbefruchtete Eier in Seewasser, aus dem aller Sauerstoff durch 
Wasserstoff verdrängt ist, so findet man, daß nach 24stündigem 
Verweilen in dieser Lösung die befruchteten Eier sich zwar 
noch entwickeln, daß aber ein Prozentsatz derselben früh zu- 
grunde geht, während das bei unbefruchteten Eiern nicht der 
Fall ist. 

Diese Versuche beweisen nun, daß die Oxydationsvorgänge 
resp. die davon abhängende Chromatinbildung zwar die wesent- 
lichen aber nicht die einzigen Vorgänge im Ei sind, welche 
durch die Befruchtung angeregt resp. beschleunigt werden. Die 
Oxydationsvorgänge, welche der Entwicklung zugrunde liegen, 


202 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


werden durch das Cyankalium soweit wenigstens unterdrückt, 
daß keine Kern- und Zellteilung erfolgt. Daneben müssen aber, 
wenn das Spermatozoon einmal in das Ei eingedrungen ist, noch 
andere chemischen Vorgänge angeregt resp. modifiziert werden, 
welche an sich nicht zur Kernteilung oder Zellteilung führen. 
So lange diese Vorgänge im Verband mit den Oxydations- 
vorgängen verlaufen, gehören sie wohl in den normalen Chemis- 
mus der Entwicklung, sobald aber die Oxydationsvorgänge ge- 
hemmt sind, während die anderen Vorgänge weiter gehen (wie 
im Falle des Sauerstoffmangels), müssen in immer zunehmendem 
Maße Stoffwechselprodukte entstehen, welche schließlich durch 
ihre Masse die Entwicklung schädigen. Das ist wohl auch, wie 
hier in Parenthese erwähnt werden soll, der Grund, daß die 
Hemmung der Oxydationsvorgänge im Ei zwar für eine Zeit- 
lang, aber nicht dauernd die toxischen Wirkungen von hyper- 
tonischen Lösungen auf das Ei zu verhindern imstande ist. 

Für die hier entwickelte Auffassung der giftigen Wirkung 
kleiner Dosen von Cyankalium und des Sauerstoffmangels, daß 
sie die Oxydationsvorgänge im Ei unterdrücken, während neben- 
sächliche, aber auf die Dauer bemerkbare andere chemische 
Veränderungen im Ei weitergehen, spricht auch die folgende 
Beobachtung. Wenn man nämlich befruchtete Eier auf Eis 
bringt und nahe dem Gefrierpunkt des Wassers hält, so 
bleiben dieselben lange Zeit ungeschädigt, viel länger als bei 
Sauerstoffmangel oder Cyankaliumvergiftung. Bei 0° werden 
nämlich nicht nur die Oxydationsvorgänge, sondern alle chemi- 
schen Änderungen im Ei gehemmt. 


7. Über Umstände, unter denen niedrige Temperatur, 
Sauerstoffentziehung und Cyankalium die künstliche 
Parthenogenese begünstigen. 


Die im voraufgehenden erwähnten Tatsachen geben, wie 
ich vermute, den Schlüssel für das Verständnis einer sonst 
sehr paradoxen Tatsache, nämlich daß eine vorübergehende 
Verringerung der Oxydationsgeschwindigkeit im Ei durch 
Temperaturerniedrigung oder vorübergehende Aufhebung der 
Oxydationsvorgänge durch Sauerstoffmangel oder Cyankalium- 
vergiftung die parthenogenetische Entwicklung begünstigen kann. 
Diese Tatsachen führen uns zurück zur Besprechung der Folgen 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 203 


der künstlichen Membranbildung. Wir sehen, daß die Hervor- 
rufung einer künstlichen Membran beim Seeigelei die Bildung 
einer Spindel und gelegentlich eine oder mehr Zellteilungen 
im Gefolge hat, daß aber solche Eier rasch zugrunde gehen 
(und zwar außerordentlich viel rascher als normale unbefruchtete 
Eier), wenn sie nicht mit hypertonischem Seewasser in Gegen- 
wart von Sauerstoff behandelt werden. Wir schlossen daraus, 
daß die Membranbildung die Entwicklung hervorruft, daß aber 
gewisse Prozesse im Ei in falschen Bahnen verlaufen, und daß 
das den raschen Zerfall des Eies bedingt. Durch die Einwirkung 
des hypertonischen Seewassers werden die durch die Membran- 
bildung hervorgerufenen falschen Prozesse in die richtigen 
Bahnen gelenkt. 

Nun haben wir bereits gesehen, daß, wenn die Eier 
nach deı künstlichen Membranbildung in sauerstoffreies oder 
cyankaliumhaltiges Seewasser gebracht werden, der Zerfall aus- 
bleibt. Das weist darauf hin, daß die in falschen Bahnen ver- 
laufenden Prozesse Oxydationsvorgänge oder von solchen ab- 
hängende Stoffwechselprozesse sind. 

Ich habe nun gefunden, daß, wenn man die Eier nach der 
künstlichen Membranbildung in normalem Seewasser einer 
niederen Temperatur, etwa 2° bis 5° C., aussetzt, eine regel- 
mäßige wenn auch der Temperatur entsprechend langsame 
Furchung und Entwicklung eintreten kann. Ich habe auf diese 
Weise einen kleinen Prozentsatz solcher Eier sich bis zum 
Blastulastadium entwickeln gesehen, während solche Eier bei 
gewöhnlicher Zimmertemperatur alle ohne Ausnahme rasch, 
ohne sich zu entwickeln, zugrunde gingen. Die niedere Tem- 
peratur bot also einen allerdings schlechten Ersatz für die Be- 
handlung mit hypertonischem Seewasser. Ich bin geneigt an- 
zunehmen, daß auch das Ei ohne Hilfe des hypertonischen 
Seewassers nach der Membranbildung die Stoffe bilden kann, 
welche die Entwicklungsvorgänge in die richtige Bahn lenken; 
nur geschieht das viel langsamer als bei der Behandlung der 
Eier mit hypertonischem Seewasser. Kann man also die Ge- 
schwindigkeit der Oxydationsvorgänge herabsetzen, so daß die 
zu rasche Zerstörung des Eies vermieden wird, und werden die 
anderen Stoffwechselprozesse im Ei nicht ganz gehemmt,. so 
kann eine Entwicklung bis zur Blastula eintreten. Aber solche 


204 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


Eier sind nicht ganz normal und sterben doch früh ab. Viel 
günstiger erweist sich für diesen Zweck die Sauerstoffentziehung 
und die Behandlung mit Cyankalium, wie ich bereits in einer 
früheren Arbeit mitgeteilt habe. So will ich als Beispiel hier 
einen schon in einer früheren Mitteilung erwähnten Versuch 
wieder mitteilen. Unbefruchtete Eier, bei denen eine Butter- 
säuremembran gebildet war, wurden in 50 ccm Seewasser + 
1 ccm einer 1°/,igen KCN-Lösung gebracht. Die Konzentration 
des KCN war also zehn- bis vierzigmal größer als zur Hemmung 
der Furchungsvorgänge und der Degenerationsprozesse nötig war. 
Von den nach 45 Minuten aus dieser Lösung herausgenommenen 
und in normales Seewasser zurückgebrachten Eiern entwickelten 
sich etwa 5°/, zu normalen Larven. Es war nötig, die Eier 
in Uhrschälchen zu halten, um die Verdampfung des in den 
Eiern zurückgebliebenen resp. gebildeten HCN zu erleichtern. 
In diesem Falle trat die Furchung nach einer Reihe von Stunden 
(14 Stunden oder mehr) ein. Es scheint nun, daß dieser letztere 
Umstand eine Vorbedingung für das Gelingen dieses Versuches 
ist. Ich bin geneigt mir das so zurechtzulegen, daß in diesem 
Falle das allmählich erst aus dem Ei diffundierende Cyankalium 
die Oxydationsprozesse hemmte oder verzögerte, während andere 
chemische Vorgänge im Ei weitergehen konnten. Die letzteren 
führten nun im Laufe einiger Stunden zur Bildung der Stoff- 
wechselprodukte, welche die normale Entwicklung des Eies er- 
laubten und welche in den früher erwähnten Versuchen durch 
die Behandlung mit dem hypertonischen Seewasser gebildet 
wurden. Als dann das Cyankalium aus dem Ei verschwunden 
war und die Oxydationsvorgänge wieder eintraten, konnte eine 
normale Entwicklung erfolgen. Ähnliches gilt für die Wirkung 
des Sauerstoffmangels. Ich will aber betonen, daß in allen 
diesen Fällen mittels KCN, Sauerstoffmangel oder niederer Tem- - 
peratur nur wenige Eier sich entwickelten, während dieselben 
Eier, welche nach der Membranbildung mit hypertonischem 
Seewasser behandelt wurden, sich alle entwickeln konnten. > 


Lyon hat vor drei Jahren in Neapel gefunden’), daß un- 
befruchtete Eier, welche keine Membranen besitzen — die Be- 
deutung der Membranbildung für die Entwicklung war erst im 


» Am. Journ. of Physiology, vol. IX, p. 312. 1903. 


J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 205 


vorigen Jahre erkannt worden — gelegentlich dadurch zur 
Entwicklung veranlaßt werden können, daß man sie lange Zeit 
in ziemlich konzentrierte Cyankaliumlösung bringt. Er erhielt 
nur in vier Versuchen positive Resultate und die Zahl der 
Larven war stets sehr klein. Ich habe diesen Versuch wieder- 
holt, aber ohne jeden Erfolg. Nur an Eiern, bei denen eine 
künstliche Membran hervorgebracht war, erhielt ich positive 
Resultate. Daraus möchte ich aber nicht schließen, daß Lyon 
sich geirrt hat, ich vermute vielmehr, daß es sich hier um 
einen Unterschied bei verschiedenen Spezies von Seeigeln handelt. 
Lyons Versuche waren an Strongylocentrotus lividus in Neapel 
angestellt, meine Versuche an Strongylocentrotus purpuratus 
der californischen Küste. Es ist jedem, der auf diesem Ge- 
biete arbeitet, bekannt, daß die verschiedenen Arten Unterschiede 
in ihrer Reaktion zeigen, wie sie ja auch vermutlich Unter- 
schiede in anderen Reaktionen zeigen würden. Es handelt sich 
wohl darum, daß wohl jedes Ei die Stoffe oder Änderungen 
des chemischen Gleichgewichts, welche zur Entwicklungserregung 
nötig sind, aufzubringen vermag, daß aber die Zeit und sonstige 
Bedingungen, die hierzu erforderlich sind, erheblichen Schwan- 
kungen unterliegen. Diese Verschiedenheiten bilden die Brücke 
von den spontan parthenogenetischen Eiern zu den Eiern, die 
sich nur durch Samen oder durch künstliche Eingriffe zur 
Entwicklung bringen lassen. 


IV. Zusammenfassung der Resultate. 


Wir dürfen es wohl als sicher ansehen, daß das Wesen 
der Entwicklungserregung bei der Befruchtung wie bei der 
künstlichen Parthenogenese in einer Beschleunigung von Oxy- 
dationsprozessen im Ei besteht. Diese Oxydationsvorgänge 
bilden die Voraussetzung für die Entstehung von Nukleinver- 
bindungen aus protoplasmatischen Substanzen des Eies und 
damit für die Kern- und Zellteilung. Unsere Versuche machen 
es wahrscheinlich, daß der Vorgang der Entwicklungserregung 
beim Seeigelei aus zwei getrennten Prozessen besteht. Der eine 
dieser Prozesse ist die Membranbildung resp. der dieser Mem- 
branbildung zugrunde liegende Sekretionsprozeß. Dieser Prozeß 
genügt, um eine Beschleunigung der Oxydationsvorgänge im Ei 
anzuregen (vielleicht durch Beseitigung oxydationshemmender 


206 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 


Stoffe oder Bedingungen). Allein diese Oxydationsprozesse ver- 
laufen in falschen Bahnen und führen zum raschen Tod des 
Eies. Wir finden so die paradoxe Tatsache, daß für solche 
Eier der Sauerstoffmangel oder Cyankaliumvergiftung, auf eine 
Zeitlang wenigstens, lebensrettend wirken. 

Der zweite Prozeß bei der Entwicklungserregung besteht 
in einem Eingriff, durch welchen die Oxydationsprozesse in 
richtige Bahnen gelenkt werden. Das geschieht bei der künst- 
lichen Parthenogenese durch kurze Behandlung der Eier mit 
hypertonischem Seewasser. Es wurde gezeigt, daß diese Be- 
handlung chemisch wirkt und daß sie nur in Gegenwart von 
freiem Sauerstoff Erfolg hat. Es ist deshalb zu vermuten, 
daß es sich hierbei um die Bildung gewisser Stoffe handelt, 
welche nunmehr die Oxydationsvorgänge in die richtigen Bahnen 
lenken. 

Allein die Oxydationsprozesse sind vielleicht nicht die ein- 
zigen Prozesse, welche durch die Befruchtung im Ei angeregt 
oder beschleunigt werden. Das zeigt sich darin, daß die Cyan- 
kaliumvergiftung und der Sauerstoffmangel schädlicher für das 
befruchtete als für das unbefruchtete Ei sind. Diese sekun- 
dären Prozesse werden also durch das Cyankalium und den 
Sauerstoffmangel nicht gehemmt. 

Es scheint, daß die sekundären Prozesse ebenfalls, wenn 
auch relativ langsam, zur Bildung von Stoffen führen können, 
welche die durch die Membranbildung im Ei beschleunigten 
Oxydationsprozesse wieder in richtige Bahnen lenken. So er- 
klärt es sich, daß, wenn man im Ei nach der Membranbildung 
die Oxydationsprozesse durch Cyankalium oder Sauerstoffmangel 
verzögert, ohne die anderen chemischen Reaktionen in gleichem 
Maß zu verzögern, ein kleiner Prozentsatz von Eiern sich eben- 
falls zu entwickeln vermag. 


Über den Einfluß der Muskelarbeit auf Gewicht, 
Zusammensetzung und Wassergehalt der Organe des 
Tierkörpers. 


Von 
Dr. Felix Rogozinski (Krakau). 


(Aus dem tierphysiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen 
Hochschule zu Berlin.) 


(Eingegangen am 25. Juni 1906.) 


Die Frage, inwieweit die Gewebe des tierischen Organismus 
unter der Einwirkung verschiedener Faktoren ihre chemische 
Zusammensetzung verändern, hat bis jetzt in der Wissen- 
schaft keine gebührende Würdigung gefunden. Die darüber 
herrschenden Ansichten beruhen teils auf Hypothesen, die 
einer exakten Begründung entbehren, teils beschränken sie sich 
nur auf ein Gewebe, nämlich auf das Blut. Schon im Jahre 
1878 vertrat G. Jäger!) die Ansicht, daß das Muskelgewebe 
infolge andauernder Arbeit reicher an aktiven Bestandteilen 
(Eiweißkörpern) wird, während die inaktiven (Fett und Wasser) 
abnehmen. Diese Ansicht stützte Jäger auf seine Beobachtungen 
über das spezifische Gewicht des Körpers bei Rekruten und 
gedienten Soldaten. Bei letzteren fand er das spezifische Ge- 
wicht erheblich höher und erklärte diese Zunahme, an der das 
Muskelgewebe als hauptsächlichster Bestandteil des Körpers einen 
erheblichen Anteil haben mußte, durch Schwund des leichteren 
Fettes und Wassers, und Ersetzung derselben durch das spezifisch 
schwerere Eiweiß. 

Als weiteres Beispiel führt Jäger den Unterschied in den 
Bein- und Flügelmuskeln unserer Hausvögel an: die Flügel- 
muskeln, die im domestizierten Zustande wenig gebraucht 
werden, sind bedeutend weicher, lockerer und fetter. Bei wild 
lebenden Tieren dieser Arten, bei denen beide Gruppen der 


1) G. Jäger, Die menschliche Arbeitskraft. 1878. 


208 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Muskeln stark in Anspruch genommen sind, ist dieser Unter- 
schied viel geringer. 

Da zur Prüfung der Ansicht Jägers bis jetzt keine exakten 
Untersuchungen vorliegen, so muß die Frage über den Einfluß 
andauernder Arbeit auf die Zusammensetzung der Muskeln noch 
als ungelöst betrachtet werden. 

Nur der eine Punkt steht fest, daß während der Tätig- 
keit der arbeitende Muskel wasserreicher wird. Diese von 
mehreren Forschern konstatierte Tatsache wurde durch Zunahme 
des osmotischen Druckes in dem arbeitenden Muskel infolge der 
Entstehung von Spaltungsprodukten erklärt. Diese Wasser- 
bereicherung des Muskels ist jedoch von kurzer Dauer und 
scheint mit den gleichzeitigen Vorgängen in dem Blute im 
engsten Zusammenhang zu stehen. Es ist nämlich längst be- 
kannt, daß als Folge der Muskelarbeit eine Eindickung des 
Blutes eintritt. Sie ist nur zum kleinsten Teil aus der bei der 
Arbeit gesteigerten Verdunstung zu erklären, im wesentlichen 
entsteht sie durch Übertritt von Wasser in das Muskelgewebe. 
Sie gibt sich kund sowohl durch Erhöhung der Zahl der roten 
Blutkörperchen in einem Volumteile, wie auch durch Zunahme 
des spezifischen Gewichtes des Blutes. Wir verweisen in der 
Hinsicht auf die Untersuchungen an Menschen von Zuntz’) 
und seinen Mitarbeitern. Sie fanden, daß diese Eindickung des 
Blutes nur von kurzer Dauer ist: schon am nachfolgenden Tage 
läßt sie sich nicht mehr feststellen. Selbst wochenlang dauernde 
angestrengte Arbeit brachte keine dauernde Veränderung in der 
Zusammensetzung des Blutes hervor. 

Die folgende Arbeit, in welcher ich mir das Ziel gesetzt 
habe, in die Frage über die Zusammensetzung des Blutes und 
einiger Organe unter der Einwirkung der Muskelarbeit etwas 
mehr Klarheit zu bringen, habe ich auf Anregung und unter 
der Leitung des Herrn Prof. Dr. N. Zuntz in dem tier- 
physiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen Hoch- 
schule zu Berlin ausgeführt. Obgleich die gewonnenen Resultate 
nicht ganz eindeutig sind, erscheinen sie mir doch der Ver- 
öffentlichung wert, teils um andere Forscher vor gleichen Fehler- 


) Zuntz und Schumburg, Studien zu einer Physiologie des 
Marsches. 1901. — N. Zuntz, A, Loewy, F. Müller, W. Caspari, 
Höhenklima nnd Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. 1906. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 209 


quellen zu warnen, teils aber um einige positive Tatsachen 
bekannt zu machen. 

Da in den beiden ausgeführten Versuchsreihen die Ver- 
suchsanordnung die gleiche war, so lasse ich eine kurze Be- 
schreibung der letzteren dem Zahlenmaterial vorausgehen. 


Die Versuchsanordnung. 


Als Versuchstiere wurden Hunde benutzt. Für jeden Ver- 
such sollten möglichst ähnliche Tiere gewählt werden. Die 
Auswahl geschah nach ungefährer Schätzung, so gut es das 
vorhandene Material zuließ. Die individuellen Unterschiede, zu 
denen sich in meinem Falle auch vielleicht Rasse- und Alters- 
differenzen gesellten, erwiesen sich leider als groß genug, um 
den etwaigen Einfluß der Muskelarbeit nahezu zu verschleiern. 
Das einzige Mittel, um diesem Übelstande wenigstens teilweise 
abzuhelfen, würde in der Verwendung von Tieren eines gleichen 
Wurfes bestehen. Die Umstände haben mich leider verhindert, 
so zu verfahren. 

Am Beginne des Versuches wurde auf Grund des Lebend- 
gewichts die Menge des darzureichenden Futters berechnet. Die 
Berechnung geschah nach den Ergebnissen der zahlreichen an 
Hunden ausgeführten Respirationsversuche von N. Zuntz. Die 
Hälfte des ganzen Energiebedarfs wurde durch Pferdefleisch 
gedeckt; auf diese Weise wurde den Tieren eine genügende 
Menge von Eiweiß zugeführt. Die andere Hälfte des Bedarfs 
wurde durch Reis gedeckt. Im Versuche I bewährten sich die 
so berechneten Futterrationen sehr gut: das Lebendgewicht blieb 
fast konstant, die Tiere befanden sich sehr wohl und fraßen 
gern. Im Versuche II dagegen schienen die in gleicher Weise 
berechneten Futterrationen eine Zunahme des Lebendgewichts 
und somit eine Ablagerung von Fett zu verursachen. Deshalb 
wurden in diesem Versuche nachträglich Veränderungen in der 
Fütterung vorgenommen, die weiter unten noch besprochen 
werden sollen. Das aufgenommene Wasser wurde im Versuche I 
nicht direkt bestimmt: ich beschränkte mich darauf, für die 
beiden Tiere bei der Zubereitung des Futters stets die gleiche 
Menge Wasser zu nehmen; im Versuche II dagegen wurde das 
im Futter gebotene Wasser täglich durch Wägung genau be- 


stimmt. In beiden Versuchen wurde Wasser in reichlicher 
Biochemische Zeitschrift Band I. 14 


210 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Menge gereicht; das ergibt sich schon daraus, daß die Tiere 
das ihnen täglich zur Verfügung gestellte Trinkwasser stets, mit 
einer einzigen Ausnahme, verschmähten. 

Nachdem die Tiere ein paar Tage in der bezeichneten 
Weise gefüttert waren und das täglich vor der Fütterung und 
nach Entleerung von Harn und Kot bestimmte Lebendgewicht 
sich als annähernd konstant erwiesen hatte, wurde zur Blut- 
entnahme geschritten. Sie geschah morgens nach 24stündigem 
Fasten aus der arteria femoralis der rechten Seite unterhalb 
des Abgangs der art. profunda. Es wurden jedesmal ca. 40 ccm 
Blut entnommen. Von dem Blute wurde ein Teil mit Queck- 
silber defibriniert, ein zweiter der Gerinnung überlassen und 
behufs Serumausscheidung 24 Stunden in der Kälte verschlossen 
stehen gelassen. Eine Probe wurde direkt aus der Arterie in 
die Thoma-Zeißsche Mischpipette behufs Zählung der roten Blut- 
körperchen aufgesaugt. Die Zählung geschah stets in 100 Qua- 
draten. In dem defibrinierten Blute wurden bestimmt: 1. das 
spezifische Gewicht und zwar sowohl mit dem Pyknometer, wie 
auch nach der von Hammerschlag angegebenen Methode; 
2. der Gehalt an Trockensubstanz; 3. der Gehalt an Stickstoff. 
Im Serum endlich, das in allen Fällen ganz klar und frei von 
Farbstoff zur Ausscheidung gelangte, wurden bestimmt: 1. das 
spezifische Gewicht (nur pyknometrisch); 2. der Gehalt an 
Trockensubstanz; 3. der Gehalt an Stickstoff; 4. der Gefrierpunkt. 

Da die Operation möglichst aseptisch ausgeführt wurde, 
so heilten die Wunden sehr schnell. Nur bei dem Arbeitstier 
im Versuch II verzögerte eine oberflächliche Eiterung die Heilung 
um zwei Tage. 

An dem Tage der Blutentnahme wurde den Tieren kein 
Futter gereicht. Vom nächsten Tage ab fraßen sie wieder 
regelmäßig. | 

Nach einigen Tagen, nachdem die Wunden ganz verheilt 
waren, schritt ich zu dem eigentlichen Versuch. Er bestand 
darin, daß von den beiden Versuchstieren das eine auch weiter 
in vollständiger Ruhe (im Versuchskäfig) blieb, während das 
andere täglich eine bestimmte Arbeit auf der Tretbahn!) leistete. 
Aus der Zahl der Umdrehungen, der Neigung der Bahn, dem 


!) N. Zuntz, A. Loewy, F. Müller, W. Caspari, a. a. O. 
S. 168—170. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 211 


Lebendgewicht des arbeitenden Tieres ließ sich die täglich ge- 
leistete Arbeit genau berechnen. Auf Grund der an arbeiten- 
den Hunden ausgeführten Respirationsversuche von Prof. Zuntz 
wurde der dieser Arbeit entsprechende Verbrauch des Tier- 
körpers in Kalorien berechnet und dem arbeitenden Tiere eine 
Zulage an Schweinefett gereicht, welche dem Mehrverbrauch 
entsprach. An den Tagen, an welchen keine Arbeit geleistet 
wurde, entfiel auch die Fettzulage. Die Periode der Arbeits- 
leistung dauerte je 18 Tage. Am Vortage des Todes arbeiteten 
die Tiere nur morgens, um dem Blute und den Organen 
Zeit genug zu lassen, sich von den unmittelbaren Folgen 
der Arbeit zu erholen und ihre normale, dauernde Zusammen- 
setzung zu gewinnen. Im Versuche I, wo die Tiere nach 
24stündigem Fasten getötet wurden, war der Darmkanal bis 
auf Spuren von Schleim leer. Im Versuche II wurde am 
Vortage aus Versehen das Futter um 4 Stunden später gereicht 
und infolgedessen fanden sich bei der Sektion im Darmkanal 
noch Futterrückstände. Dieselben wurden sorgfältig gesammelt, 
gewogen, das Gewicht von dem Lebendgewicht abgezogen, und 
die so erhaltene Zahl den weiteren Berechnungen zugrunde 
gelegt, um mit Versuch I vergleichbare Resultate zu erzielen. 

Die Tötung der Tiere fand durch Verblutung aus der 
arteria femoralis der linken Seite statt. Aus der Kanüle wurden 
zuerst die für die Untersuchung nötigen Blutproben entnommen, 
ebenso wie bei der Blutentnahme im Vorversuch; ihr Gewicht 
wurde genau bestimmt. Die übrige Blutmasse wurde in einem 
tarierten Gefäße gesammelt. In den letzten Stadien wurde der 
Ausfluß des Blutes durch Massage des Bauches und des Brust- 
kastens befördert. Das bei der Sektion hervortretende Blut, 
sowie die in der Bauchhöhle angetroffene Blutmenge wurde mit 
gewogener Watte gesammelt und das Gewicht ebenfalls bestimmt. 
Die Summe aller dieser Zahlen ergab die Menge des frei aus- 
fließenden Blutes. Die Untersuchung der gewonnenen Blut- 
proben geschah genau in derselben Weise, wie im Vorversuch. 

Unmittelbar nach dem Verbluten und dem Tode des Tieres 
wurde die Sektion vorgenommen. Zunächst wurde eine Anzahl 
scharf begrenzter Muskeln des linken Hinterbeines möglichst 
rein abpräpariert, ihr Gewicht in tarierten verschlossenen Ge- 
fäßen bestimmt, die ganze auf diese Weise gewonnene Muskel- 

14* 


212 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


masse auf einem Hackbrett zerkleinert. Von dem Brei wurden 
50 g für die Glykogenbestimmung abgewogen und in die bereit 
stehende heiße Kalilauge gebracht; außerdem wurde eine kleine 
Portion des Breies für die direkte Trockensubstanz-Bestimmung 
verwendet. Der gewogene Rest des Muskelbreies wurde in 
einem Vakuumtrockenapparat bei ca. 70° 24 Stunden lang ge- 
trocknet, 48 Stunden an der Luft stehen gelassen, gewogen, zerklei- 
nert, in einer kleinen Probe der Wassergehalt bestimmt, und der 
Rest in wohlverschlossenen Gefäßen für die Analyse aufbewahrt. 

Nach dem Abpräparieren der Muskulatur wurde die Bauch- 
höhle geöffnet, mit der Leber ebenso wie mit den Muskeln 
verfahren und dann das Gewicht einer Anzahl der inneren 
Organe bestimmt. Das Gekröse wurde zusammen mit dem 
Fett besonders gewogen, ebenso wie der Muskel- und Leberbrei 
getrocknet und aufbewahrt. Endlich wurde der Schädel ge- 
öffnet und das Gewicht des dicht hinter der Pyramidenkreuzung 
abgeschnittenen Hirns bestimmt. 

Die chemische Untersuchung der gewonnenen Muskel- und 
Lebersubstanz geschah nach den üblichen Methoden: der Stick- 
stoffgehalt wurde nach Kjeldahl bestimmt, der Fettgehalt 
durch 24stündige Extraktion im Soxhletschen Apparat mit 
wasserfreiem Äther, Behandlung mit salzsaurem Alkohol, 
Trocknen, abermaliger 24stündiger Extraktion mit Äther. Die 
Glykogenbestimmungen wurden in frischem Material nach der 
von Pflüger!) angegebenen Methode ausgeführt. Für die Fett- 
bestimmung im Gekröse wurde das mit einer Schere grob 
zerkleinerte Gekröse in eine Flasche gebracht, mit 750 ccm 
Äther übergossen und 10 Tage unter häufigem Umschütteln 
stehen gelassen. Das gewonnene Extrakt wurde abfiltriert, auf 
1 l ergänzt und in je 50 resp. 100 ccm der Fettgehalt bestimmt. 
Der Rückstand samt dem zerschnittenen Filter wurde getrocknet 
und in gewöhnlicher Weise mit Äther extrahiert. Nach den 
gewonnenen Daten wurde die Summe des Fettes im Gekröse 
berechnet. 

Ich gehe nunmehr zu den Ergebnissen der Versuche über ^). 


ı) E. Pflüger, Das Glykogen und seine Beziehungen zur Zucker- 
krankheit. 1905. S. 104—115. 

*» Der Kürze halber bezeichne ich im folgenden die arbeitenden 
Tiere im Versuch I und II mit A, resp. A,, die ruhenden mit R, resp. R. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe, 213 


Versuch I. 


Die zu diesem Versuche benutzten zwei ausgewachsenen 
männlichen Hunde wiesen keine bedeutenden Unterschiede auf, 
weder im Körperbau, noch im Ernährungszustand und Tem- 
perament; dagegen differierte ihr Lebendgewicht ziemlich be- 
deutend.. Am 11. Dezember wurden sie gewogen und jedes 
Tier für sich in einen Käfig gebracht. Der Energiebedarf der 
7080 resp. 5840 g wiegenden Hunde wurde, da nach den bis- 
herigen Erfahrungen bei Hunden dieser Größe einem Kilogramm 
Lebendgewicht ein Ruhebedarf von etwa 80 Kal. entspricht, 
für den Hund A, zu 560 Kal., für Hund R, nach dem Ver- 
hältnis der Körperoberflächen zu 492 Kal. berechnet. 


Die hiernach für die beiden Tiere bestimmten Rationen 
hatten folgende Zusammensetzung und folgenden Wert: 


Hund A, Hund R, 
200 g Fleisch 260 Kal. 170 g Fleisch 221 Kal. 
75 g Reis 300 Kal. 67 g Reis 268 Kal. 
Zusammen 560 Kal. Zusammen 489 Kal. 


Die Fütterung fand immer um 11!/s Uhr vormittags 
statt; das Futter wurde im Laufe einer Viertelstunde voll- 
ständig aufgefressen. Am 15. Dezember fand in der oben be- 
schriebenen Weise die Blutentnahme aus der arteria femoralis 
statt. Am 29. Dezember wurde mit der Arbeit begonnen. Sie 
bestand darin, daß das Tier auf der geneigten Tretbahn lief, 
und zwar zweimal täglich: von 9—10 Uhr vormittags und von 
5—6 Uhr nachmittags. Am 29. und 30. Dezember wurde nur 
die Hälfte der bestimmten Arbeit geleistet (4000 Touren); vom 
2. Januar an dagegen die ganze Anzahl (8000 Touren an dem 
Tourenzähler). Diese Arbeit läßt sich auf folgende Weise be- 
rechnen: 5,5 Touren am Tourenzähler entsprachen einer Um- 
drehung der ganzen Tretbahn, welche eine Länge von 358,4 cm 
hatte; die Steigung betrug 28,52 °/o. Demzufolge entsprachen 
8000 Touren einer Strecke von 5213 m mit 1486,7 m Steigung. 

Folgende Tabelle I gibt eine Übersicht über die Schwan- 
kungen des Lebendgewichts, die Menge des aufgenommenen 
Futters und der geleisteten Arbeit. 


214 F.Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 





Tabelle I. 
Hund A, Hund R, 
Datum | Lebend- Lebend- 
gewicht Futter Arbeit gewicht Futter 
in g in g 
lei j x 170 g Fleisch 
11. XII. | 7080 aA e keine Arbeit | 5840 67 A Reis 
12. 6900 A r 5630 a 
13. 7070 á i 5700 à 
14. 7000 à á 5670 a 
15. 6920 kein Futter j 5660 kein Futter 
200 g Fleisch 170 g Fleisch 
16. 6520 2 Reis b 5440 p 2 Reis 
17. 6930 5 ý 5510 n 
18. 6820/6875 n „ 554070535 n 
19. 6710 e ï 5560 A 
20. 6720 R j 5540 a 
21. 6760 i 4 5560 : 
22. 6870 . É 5570 $ 
23. 6600 a i 5570 2 
24. 6600 3 i 5570 o 
25. 6620 a ’ 5620 n 
26. 6700 5 k 5700 s 
27. 6930 5 K 5700 s 
28. 6920 ú x 5670 3 
29. 6920 + 6g Fett | 4000 Touren | 5740 5 
30. 6900 # É 5790 b 
3l. 6850 kein Fett | keine Arbeit | 5750 m 
1. I. | 6870 P 5 5820 N 
2. 6900 + 12,5 g Fett | 8000 Touren | 5840 a 
3. 6900 z i 5800 N 
4. 7030 ý e 5820 " 
5. 6970 à u 5850 j 
6. 6890 h 2 5860 A 
T; 7020 kein Fett | keine Arbeit | 5870 i 
8. 6900 + 12,5 g Fett | 8000 Touren | 5850 y 
9. 6700 r " 5870 / 
10. 6850 y x 5870 i 
11. 6875 y i 5885 i 
12. 6900 p = 5860 
13. 7000 R n 
14. 6870 kein Fett | keine Arbeit 
15. 6870 + 12,5 g Fett | 4000 Touren 
16. 6790 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 215 


Der der geleisteten Arbeit entsprechende Stoffverbrauch 
läßt sich aus den von Zuntz (Pflügers Archiv 95, S. 202, 
Tab. V) zusammengestellten Ergebnissen der Respirationsversuche 
berechnen. Danach ist der Energieverbrauch für die Horizontal- 
bewegung nicht dem Körpergewicht k, sondern dem Ausdruck 
k'» proportional. Im Mittel zahlreicher Versuche an 7 Hunden 
beträgt er für k`» = 1,61 mkg = 3,788 kal. Es braucht daher 
unser Hund von 6,8 kg Gewicht für 5213 m Weg: 

6,8% X 3,788 X 5213 = 70,9 Kal. 
Für die Steigarbeit von 1 mkg ergeben 
dieselben Versuche einen Energie- 
verbrauch = 3,0 mkg = 7,06 kal. 
Unser Hund braucht daher für 1486 m 
Steigung . . . . . 6,8 X 7,06 X 1486,7 = 71,4 Kal. 
Im ganzen also Mehrverbrauch für Arbeit = 142,3 Kal. 


Zur Deckung des Mehrverbrauchs erhielt der Hund an den 
Arbeitstagen 12,5 g Fett, welche bei einer Verbrennungswärme 
von 9,5 Kal. und einem Verlust von etwa 2°/, durch den Kot 
und einer Verdauungsarbeit von 0,21 Kal. pro g rund 9 Kal. 
nutzbare Energie liefern. Die Zulage deckte also 112,5, so daß 
noch etwa 30 Kal. durch Körpermaterial zu decken waren. 
Wenn dieses Defizit durch Körperfett allein gedeckt wurde, 
mußte der Hund täglich nahezu 4 g an Körpergewicht ein- 
büßen. In der Tat wog der Hund 


im Mittel des 17. u. 18. XII. = 6875 g 
am 28. XII. = 6920 g 


Er nahm also vor der Arbeit in 10 Tagen um: 55 g = 5,5 p. d. 
zu. — An den beiden letzten Arbeitstagen wog er 6870 g, hat 
also in 18 Tagen, wovon aber nur 13 volle Arbeitstage waren, 
um 50 g abgenommen, oder pro Arbeitstag um 4 g. Gegen- 
über dem vorher beobachteten Ansatz von 5,5 g beträgt der 
Gewichtsverlust 9,5 g, also mehr als das Doppelte des aus dem 
Energieverbrauch berechneten Verlustes. Da ein Fleischverlust 
nach den Erfahrungen über die Einwirkung der Arbeit auf den 
Stickstoffumsatz nicht anzunehmen ist, spricht das Resultat für 
eine geringe Wasserverarmung des Körpers durch die Arbeit. 
Freilich wäre der ganze Wasserverlust nur auf etwa 90 g, also 
etwas über 1°/, des Körpergewichts zu taxieren. 





216 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Der Ruhehund, welcher in der Vorperiode vom 17./18. XII. 
bis 28. XII. um täglich 14,5 g zugenommen hat, zeigt fast die- 
selbe Zunahme, nämlich 13,0 g für die Zeit vom 28. XI. 
bis 12. I. — Da beide Hunde nebeneinander in zwei Käfigen 
sich aufhielten, dürfen wir wohl annehmen, daß außer 
der Arbeit keine den Stoffwechsel ändernde Momente ein- 
wirkten. 

Am 12. Januar wurde das ruhende, am 16. das arbeitende 
Tier in der oben beschriebenen Weise getötet. Die Ergebnisse 
der Blutuntersuchung, die unmittelbar nach dem Tode erfolgte, 
sind in der Tabelle II mit denen der früheren Entnahme 
zusammengestellt. 


Tabelle II. 





Hund A, Hund B, 


Erste Blut-| Zweite Blut- {Erste Blut-| Zweite Blut- 


entnahme | entnahme |entnahme | entnahme 
(15. Dezemb.)| (16. Januar) |(15.Dezemb.)| (12. Januar) 


Zahl der roten Blut- 
körperchen . . . . 17736000) 7232000 |6880000| 7368000 
Spezifisches Gewicht: 
a) m. Pyknometer . . | 1,063 1,062 — 1,058 
b) n.Hammerschlag | 1,064)) 1,062 1,051 (?) 1,059 


Trockensubstanz im de- 23,63 o; 121,87 
fibrinierten Blut 22,75 2383128,739), 20,02 °% 21722155 
Stickstoffgehalt des de- = 8,50 ö w 3,22 0 
fibrinierten Blutes 2541852 fo aa 3,25% 
Spezifisches Gewicht des 
Serum. . . . . . {| 108 1,024 1,024 1,023 
Trockensubstanz im 7,82 7,32 
Sem m | goso | ers] 748% | 77% 
Stickstoffgehalt im 1,06 0,97 
nn 1,02 %,, 1081,06% 0,97%, ar 0,97% 


Gefrierpunkt des Serum |—0,475° 3) — 0,470° | —0,460°| — 0,450° 


Die Sektion und die damit verbundene Bestimmung 
der Gewichte der einzelnen Körperorgne gab folgende 
Resultate: 


1) Die Zahlen für das spezifische Gewicht nach Hammerschlag 
und für den Gefrierpunkt des Serum bilden das Mittel aus je drei gut 
übereinstimmenden Einzelbestimmungen. 


F. Rogosinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 217 





Tabelle IH. 
Hund A, Hund R, 
+ : > > : = 
Bezeichnung der Organe | w 3.53 TE CH“ 3.83 TE 
EBENE HF FE 
& 3852805 Š 385% 
Musc. sartorius 2,5 | 0,037 | 4,06] 2,7 | 0,046 | 4,72 
„  Tectus femoris 9,7 | 0,143 | 15,751 6,7 | 0,114 | 11,71 
„  adductores 57,2 | 0,840 | 92,80 | 77,01 1,810 | 134,60 
rectus abdominis 29,8 | 0,439 | 48,38 | 21;3 | 0,863 | 37,24 
Bengkmuskeln und Glutaeen.. | 236,3 | 8,480 |383,60 | 186,0 | 2,321 | 23,78 
Oberflächliche Wadenmuskeln | 28,3 | 0,417 | 46,52] 22,7 | 0,387 | 39,68 
Hauptmasse des Fettes von der 
Rückseite des Oberschenkels 
und Gesäßes 59,3 | 0,873 | 96,26 | 73,4 | 1,253 | 128,32 
Magen (leer) 56,0 | 0,825 | 90,91| 56,8 | 0,969 | 99,80 
Herz mit Herzbeutel and; me- 
diastinalem Fett . . . 74,9 | 1,103 |121,59 | 56,2 | 0,959 | 98,25 
Herz am Herzbeutelrand sb 
geschniften . 64,5 | 0,950 [104,71 | 39,5 | 0,674 | 69,06 
Lunge &n der Trachenteilung 
abgtschnitten . . 3 50,4 | 0,742 | 81,82| 40,9 | 0,698 | 71,50 
Lebe (ohne Ber): 183,2 | 2,698 |297,41 | 152,0 | 2,594 | 265,73 
Mil, 15,6 | 0,230 | 25,32] 11,0 | 0,188 | 19,23 
Gskröse . 73,8 | 1,087 |119,81 | 71,8 | 1,217 | 124,65 
Beide Nieren . 80,5 | 0,449 | 49,51] 26,4 | 0,450 | 46,15 
Pankreas 17,1 | 0,252 | 27,76 | 15,7 | 0,268 | 27,45 
Him . 61,6 | 0,907 |100,00| 57,2 | 0,976 | 100,00 
Linkes Fenr a 24,5 | 0,361 | 39,77 | 19,6 | 0,334 | 34,27 
Gesamtmenge des éwon 
Blutes 476,6 | 7,019 1773,70 | 298,7 | 5,097 | 522,20 


Ich gehe nunmehr zu den Ergebnissen der chemischen Untersuchung 
der in vorher beschriebener Weise vorbereiteten Organe. 


Untersuchung der lufttrockenen Muskelsubstanz. 


Hund A, Hund R, 
Trockensubstanz 9'89 } 98,82 9, ILGA N 91,679, 
Stickstoffgehalt ns ) 11,68 %, a } 10,61 %,, 
Fettgehalt ei ) 17,93 %, A ) 22,47 


Die Glykogenbestimmungen ergaben folgende Resultate: 
Zuckerlösung nach Pflüger: 


0,0546 
0,0528 


}0,0537 g Cu 


0: 0,0572 
’ 0, ‚0578 


in 8l ccm 


10,0575 g Cn,0. 


i . . ane. 


hl in Glykogenzehl 7 ] i 
i den Glykogengehalt ın der frischen Sub 


Nach Umrechnung dieser 
und Überführung der Glukosez: 
mit dem Faktor 0,9 wurden für 
stanz folgende Zahlen ermittelt: 

Hund A, 
0,428 °/, Glykogen 
Der Aschengehalt wurde in der ent 


Hund R, 
0,458 °/, Glykogen. | 
fetteten Substanz bestimmt; er betrug: 
5,09 fo 


Bei dem Hunde A wurde au a 

bsta a 22 RIN and dabei 28,26 °/, Trockensubstanz g l f 

jen D Mittelzahlen gewinne 
Durch Umrechri 


wir folgende Werte: 


der gewonnenen 






Frisches Fleisch 






Trockensubsta Hund A, Hund R, 
Hund A, Hund R= 352%% 2,77% 
Stickstoffgehalt . 12,45 % 11,57 0/0 Š We S 5,86 "E 
Fettgehalt . . 19,11 ,, 24,51 ,, 5,4 0,46 „ 


Glykogengehalt. 1,52 ,, 1,92 „ 0,43 „ 1,92 „ 
Aschengehalt . 3,54 „ 384 „ | 125 „ = 
Untersuchung der Lebersubstanz. 

Hund A, Hund R, 

Trockensubstanz . . . 0896 } 93,93 °/, 9608 \ 9,05%, 
l 9,86 l og: 9,72 

Stiokstott 2 2 2 2 . 900 } 9,88" ges 199% 
11,48 8,87 

1 EEE os FE, Sea 1% 


81 ccm Zuckerlösung gaben: 


0,2956 0,3426 
0'3018 7 0,2987 g 010; an 0,8437 g CuO 


und somit betrug der Gehalt an Glykogen in der frischen Lebersubstanz: 


2,82 %/, 3,29 %/,. 
Der gesamte Gehalt an Trockensubstanz in der frischen Leber betrug: 
29,59 9, 30,01 %,,. 


Die Zusammensetzung der Trockensubstanz läßt sich nach 
den gewonnenen Zahlen folgenderweise berechnen: 


Hund A, Hund R, 
Stickstoff . . . 10,47% 10,19 °% 
Bolt. 04.8.4085 9,58 „ 
Glykogen . . . 9,53 „ 10,96 „ 


1) Eine kleine Probe des Muskelbreies wurde im Wägegläschen 
zuerst auf dem Wasserbade, dann im Wassertrockenschranke bei etwa 
97° 24 Stunden lang getrocknet. 





F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe, 219 


Das Gekröse. 


Die durch 10-tägige Extraktion des grob zerschnittenen Gekröses 
erhaltenen Ätherextrakte wurden auf je 1 1l ergänzt. In je 50 ccm dieses 
Extraktes wurde durch Vertreiben des Äthers der Rückstand bestimmt. 
Er betrug bei 


Hund A, Hund R, 
2,5586 2,5405 
a } 2,5611 g ar } 2,5427 g. 
Im ganzen Extrakt also: 
2,5611 X 20 = 51,222 g 2,5427 X 20 = 50,854 g. 


Die extrahierte Masse wurde im Mörser zerkleinert und auf gewöhn- 
liche Weise mit Äther im Extraktionsapparat, mit salzsaurem Alkohol und 
abermals mit Äther extrahiert; sie lieferte dabei: 

2,6555 g 1,3554 g. 

Die ganze Menge des nach den angewandten Methoden 
extrahierbaren Fettes im Gekröse betrug also bei Hund A, — 
53,8775 g, bei Hund R, — 52,2094 g. In Prozenten des Lebend- 
gewichts: bei Aı — 0,793 °/o; bei Rı — 0,891 °. 


Versuch II. 


Zu diesem Versuch wurden ebenso wie im Versuch I zwei 
ausgewachsene männliche Hunde verwendet. Im Gegensatz zu 
den Tieren A, und R, waren ihre Lebendgewichte annähernd 
gleich, sie wiesen dagegen bedeutende Unterschiede in ihrem 
Körperbau und im ganzen Habitus auf. Der zur Arbeitsleistung 
bestimmte Hund A, hatte gedrungenen Körperbau, einen 
schweren, großen Kopf und dicke, kurze, etwas krumme Beine. 
Der Hund Re dagegen war schlank gebaut, hatte einen kleinen, 
leichten Kopf und lange, dünne Beine. Zur Veranschaulichung 
dieser Unterschiede mögen die Dimensionen des os femoris der 
beiden Tiere dienen: Bei As betrug die Länge 11,05 cm, die 
Dicke an der schmalsten Stelle 1,15 cm; bei Rs dagegen war 
die Länge 12,55 cm, die geringste Dicke 1,05 cm. Diese Wahl, 
die durch Unmöglichkeit passendere Tiere zu finden veranlaßt 
wurde, dürfte von entscheidendem Einfluß auf die Versuchs- 
ergebnisse sein. 

Am 18. Januar, wo die Vorfütterung begann und die Tiere 
in die Versuchskäfige gebracht wurden, wogen sie: As — 8410 g, 
Ra — 8850 g. Der Futterbedarf wurde ebenso wie in Versuch I 
berechnet und zunächst gereicht: 


220 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Hand A, Hund R, 
260 g Fleisch = 338 Kal. 272 g Fleisch = 354 Kal. 
85 g Reis = 340 , 90 g Reis = 360 „, 
Zusammen = 678 Kal. Zusammen = 714 Kal. 


Da aber bei dieser Futtermenge eine stetige Zunahme des 
Lebendgewichts stattzufinden schien, wurde vom 24. Januar an 
die Menge von Reis für As auf 65 g, für Rə aber auf 80 g 
herabgesetzt. Mit dieser neuen Ration blieb das Lebendgewicht 
der Tiere annähernd konstant. Die Versuchsanordnung war der 
im Versuch I gleich; nur wurde die Menge des täglich im ge- 
kochten Futter aufgenommenen Wassers genau reguliert (bei 
As — 405 g, bei Rs — 408 g). Angebotenes Trinkwasser ver- 
schmähten die Tiere regelmäßig. Seit dem 8. Februar, das heißt 
in den letzten 11 bezw. 13 Tagen, wurde gehacktes Pferdefleisch 
von bekannter Zusammensetzung, das auf einmal abgewogen 
und in Glasbüchsen präserviert worden war, gereicht. Von dem 
14. Februar ab wurde auch der Kot behufs Ermittlung der 
Ausnutzung gesammelt. Die Blutentnahmen und die Sektion 
wurden genau ebenso wie im Versuch I ausgeführt. Die Arbeit 
war in bezug auf die Länge des Weges und die Steigung die 
gleiche; die Zulagen an Schweinefett wurden anfangs etwas zu 
niedrig bemessen, später im Hinblick auf die Abnahme des 
Körpergewichts ein wenig (von 16 auf 21 g) erhöht. 

S. Tab. IV. 


Der für Hund A, in der S. 215 dargelegten Weise be- 
rechnete Mehrverbrauch für die Arbeit betrug für die ganze 


Arbeitszeit . . » 2 2 2 nme nn nn. 2584 Kal. 
Die zugelegten 271 g Fett entsprechen . . . . 2439 „ 
Es wurde also der Mehrverbrauch bis auf . . . 95 Kal. 


entsprechend 11 g Fettgewebe oder 0,7 g pro Tag durch die . 
Zulage gedeckt. 


Das Körpergewicht von As hatte vor der Arbeit vom 
26. I. bis 31. I. um 220 g, also um 44 g pro Tag zugenommen. 
Während der Arbeit sank es vom 3. II. bis 18. II. um 100 g, 
d.h. um 6,7 g pro die. — Wenn wir die Gewichtsänderung 
auf durch die Arbeit bedingten Wasserverlust beziehen dürfen, 
hätte derselbe pro Arbeitstag (44 + 6,7 — 0,7) = 50 g be- 
tragen. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 221 


Tabelle IV. 





25. 


onen mumm ASSAS 


= g un keins. Arbeit 


”„ 
kein Futter 
260 g Fleisch 
65 g Reis 


” 


” 


+8g Fett 

+12g Fett 

+15 g Fett 
7 

+ 16 g Fett 


1 
+21 g Fett 


” 
+13g Fett 


500 Touren 
3000 Touren 
4000 Touren 
6000 Touren 
8000 Touren 


2? 
4000 Touren 


8850 


8970 
9010 
9000 
9120 
9060 


8650 


8900 
9050 
8980 
9000 
9050 
9080 
9110 


9120 
9130 
9150 
9100 
9020 
9020 
9050 
9000 
9050 
8950 
8980 
8950 
8960 
8970 
8900 
8920 
8870 
8900 
8980 
8890 
8910 


272 g Fleisch 
90 g Reis 


” 
kein Futter 
272g Fleisch 
80 g Reis 


” 


222 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Tabelle V. Untersuchung des Blutes. 


Hund A, Hund R, 


Erste Blut- | Zweite Blut- | Erste Blut- | Zweite Blut- 


entnahme entnahme entnahme entnahme 


(23. Januar) (19. Februar) (23. Januar) (21. Februar) 


Zahl der roten Blut- 


körperchen . . . . | 7224000 6 312 000 7 536 000 6 552 000 
Spezifisches Gewicht: 
a) m. Pyknometer . . 1,061 1,061 1,064 1,064 
b) n.Hammerschlag 1,060 1,061 1,062 1,063 


Trockensubstanz im de- 23,34 %, 


a 71 
fibrinierten Blut = 57 57122, 50%] 23,49 %/, 14)24, 53%), 


Stickstoffgehalt des de- 3,26 3,49 
aai Bine 8 4 1113, 41° 3'20 8,2 "el 3 91% 49%] 3 Baala, 47° 
Spezifisches Gewicht des 
Serum. . . . | 1023 1,023 1,024 1,025 
Trockengubstans im | 779o, Te] 859% | 9341938 % 
a | 170611,08 % | 090]1,00 % | 1111111% | 170]110% 
(Gefrierpunkt des Serum | — 0,460° | — 0,450° — 0,460 ° — 0,450 ° 


Nun hat aber auch der Kontrollhund analoge Gewichts- 
änderungen erfahren. Vom 26. I. bis 31. I. hat er um 60g 
= 12 g pro Tag zugenommen, vom 4. II. bis 18. II. hat er 
um 200 g = 14,3 g abgenommen. Es ist also ohne Änderung 
der Lebensweise eine tägliche Gewichtsänderung um (12 + 14,3) 
= 26,3 g erfolg. Als durch die Arbeit bedingten 
Wasserverlust dürfen wir also nur (50 — 26,3) = 23,7 g 
in Rechnung stellen. Der Umschlag im Verhalten des 
Körpergewichts beruht wohl zum Teil darauf, daß die Hunde 
bei der kohlenhydratreichen Kost anfangs Glykogen ansetzten, 
das ja mit seinem 4fachen Gewicht an Wasser!) angelagert 
wird, und dabei etwas Fett einbüßten. Als der Glykogenansatz 
beendet war, und dafür die äquivalente Menge Fett, welche 
etwa nur !/s wiegt, angesetzt wurde, nahm das Gewicht nicht 
mehr zu. 


1) Vgl. Zuntz u. Cons., Höhenklima u. Bergkrankheit, Berlin 1906, 
S. 114. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 223 








Tabelle VI. Organgewichte. 
Hund A, 
3 le 25]#83|3 
Bezeichnung der Organe |'S u |S232 sadzaj % 
PIANE 
& 2802 wich 
Musc. sartorius 5,2 | 0,059 | 7,081 3,6 
„  Tectus femoris 12,2 | 0,138 | 16,62 | 19,1 
„ Vasti 86,0 | 0,971 |117,16 | 79,6 
„  adductores . . 91,7 | 1,035 |124,98 | 66,4 
»  pectineus . 2,3 | 0,026 | 3,13] 3,8 
„  Tectus abdominis 47,8 | 0,539 | 65,12 | 47,0 
Beugemuskeln und Glutaeen. | 168,9 | 1,906 1230,11 | 258,3 
Oberflächliche Wadenmuskeln | 34,9 | 0,394 | 47,55] 39,2 
Hauptmasse des Fettes von der 
Rückseite des Oberschenkels 
und Gesäßes 84,3 | 0,387 | 46,73] 52,0 
Magen (leer) 90,0 | 1,016 1122,62] 79,1 
Herz mit Herzbeutel id me- 
diastinalem Fett . 85,0 | 0,959 1115,80 | 94,2 
Herz am Herzbeutelrand ab- 
geschnitten . 73,2 | 0,826 | 99,73] 84,4 
Lunge an der Tracheateilung 
abgeschnitten . . . . . | 56,5 | 0,638 | 76,97 | 75,7 
Leber (ohne Blase) . 227,3 | 2,566 |309,67 | 242,4 
Milz 21,7 | 0,245 | 29,56| 14,7 
Gekröse . 110,9 | 1,252 151,09 | 157,2 
Beide Nieren 43,0 | 0,485 | 58,58 | -47,6 
Pankreas 21,0 | 0,237 | 28,61 | 22,7 
Him . . 73,4 | 0,828 |100,00| 62,5 
Linkes Femur. ... | 29,2 | 0,330 | 39,78| 29,1 
Gesamtmenge des gewonnenen 
Blutes . 601,7 | 6,792 |819,75 | 615,0 


ın o/o 
des Lebend- 


6,968 


gewichts p 


Gewicht in 


0/o des Hirn- 
gewichts 


984,00 


Die Untersuchung der Muskel- und Lebersubstanz geschah genau in 


derselben Weise wie im Versuch I und ergab folgende Resultate: 


Untersuchung der Muskelsubstanz. 
Hund R, 


Hund A, 
92,49 
Trockensubstanz 92.81 } 92,65 °/, 
. 11,01 90 
Stickstoff . . 11.02 \ 11,02 °% 


96,03 
95,90 
12,65 
12,89 


) 95,97 %, 


\ 12,77 9%, 


1) Von dem Lebendgewicht wurde das Gewicht des Inhaltes des 
Darmkanals (bei A, — 80,6 g, bei R, — 84,4 g) in Abzug gebracht und 
die auf diese Weise gewonnene Zahl der Berechnung zugrunde gelegt. 


224 F.Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


Hund A, ` Hund R, 
Fett \ 16,28 %/ 19,08 } 10,71 %/ 
16,28 o 10,76 f 1971 


Die Glykogen-Bestimmungen ergaben folgende Zahlen: 
A = . 0,0820 0,0714 
in 81 cem derZuckerlösung: }0,0828 g Cu 0; }o,0721 g CO 


0,0836 ` 0.0728 
und nach Umrechnung auf frische Muskelsubstanz: 
Hund A, Hund R, 

0,702 °/, Glykogen 0,599 °/, Glykogen. 
Der Aschengehalt der entfetteten trockenen Muskelsubstanz betrug: 

4,43%, 4,24 °),- 
Der gesamte Gehalt des frischen Fleisches an Trockensubstanz: 

26,84 °/, (direkt 27,36 °/,) 26,89 °/, (direkt 26,84 °/,). 


Durch Umrechnung der Mittelzahlen gewinnen wir folgende 


Werte: 
Trockensubstanz Frisches Fleisch 
Hund A, Hund R, Hund A, Hund R, 


Stickstoff . . 11,89%, 13,31% 3,25 %0 3,57 ?/o 


Fett . . . . 17,57 „ 11,56 „ 4,81 ,, 3,00 ,, 
Glykogen . . 2,61 „ 2,23 „, 0,70 ,, 0,60 ,, 
Asche . . . 83,65 „ 3,75 „ 1,00 ,, 1,01 ,, 
Untersuchung der Lebersubstanz. 
Hund A, Hund R, 
93,42 5,83 
Trockensubstenz . . . 93749 } 93,46 %, 5 = } 96,09 %/, 
Stickstoff . . . . . 98 \ 8,89 %, 2) 9,37%, 
8,09 7,59 
51518127, 168) zot, 
81 ccm der Zuckerlösung gaben: 
02190 105187 g 0,0; 10,4074 g Cu,0 
0,5190 de u 0,4074 a ia 
und somit war der Gehalt an Glykogen in der frischen Lebersubstanz: 
5,404 °/, 4,006 9%. 
Der gesamte Gehalt an Trockensubstanz in der frischen Leber betrug: 
30,85 9, 31,17 %.. 


Die Zusammensetzung der Trockensubstanz der Leber 
läßt sich nach den gewonnenen Mittelzahlen folgenderweise 
berechnen: 


Hund A, Hund R, 
Stickstoff . . . 9,51% 9,75 /o 
Fett opowie 8,09 7,87 „ 


Glykogen . . . 17,52 „ 12,85 ,, 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 225 


Das Gekröse. 


Durch 10-tägige Extraktion des grob zerschnittenen Gekröses in 
Flaschen mit Äther wurde je 1 1 Ätherextrakt gewonnen. In 100 ccm 
dieses Extraktes ermittelte ich folgende Fettmengen: 


Hund A, Hund R, 
7,0258 10,6762 
Sr \ 7,0803 g oooi } 10,6728 g. 


Im ganzen Extrakt also: 
7,0303 X 10 = 70,803 g 10,6728 x 10 = 106,728 g. 

Durch die Extraktion des Rückstandes in der üblichen Weise wurde 
gewonnen: 2,344 g 5,818 g. 

Die ganze extrahierbare Menge des Fettes im Gekröse be- 
trug also: bei Hund As — 72,647 g, bei Hund R — 112,546 g. 
In Prozenten des Lebendgewichts: bei As — 0,820 °/0; bei 
Ra — 1,275 °/⁄. 


Der Ausnutzungsversuch. 


Wie oben erwähnt, wurde in der zweiten Pefiode des Ver- 
suchs II den Tieren analysiertes Fleisch gereicht und der Kot 
gesammelt. Dieser Versuch sollte einen Beitrag zu der Frage 
über die Ausnutzung des Futters bei dem arbeitenden und dem 
ruhenden Tiere liefern. Die gewählte Versuchsanordnung schloß 
freilich individuelle Unterschiede der beiden Tiere nicht aus, 
dennoch mögen die gewonnenen Zahlen hier Erwähnung finden. 
Analysiertes Fleisch wurde vom 6. II. an gereicht; am 13. II. 
wurde den beiden Tieren ale Abgrenzungsmittel Kieselsäure und 
Fuchsin mit einem kleinen Teil des täglichen Futters, und nach 
drei Stunden das übrige Futter gereicht. Der so sehr deutlich 
abgegrenzte Kot wurde von diesem Tage ab bis zum Tode der 
Tiere gesammelt. Der Kot wurde im Wassertrockenschrank bei 
ca. 70° 24 Stunden lang getrocknet, nachdem er mit alkoholi- 
scher Oxalsäurelösung befeuchtet worden war. Am Ende des 
Versuches wurde der bei der Sektion der Tiere gewonnene In- 
halt des Dick- und Mastdarms in derselben Weise getrocknet 
und mit dem Kote vereinigt. 


Untersuchung des Fleisches. 
Die Stickstoff-Bestimmung wurde im frischen Fleisch ausgeführt und 


dabei a | 3,48 ° N gefunden. Die Trockensubstanz-Bestimmungen, die 
| 

26,37 

25,97 

Biochemische Zeitschrift Band I. 15 


sowohl direkt wie indirekt gemacht worden sind, ergaben: 26,17 o- 


226 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 


10,87 0 
Bi 11,02%. 


Außerdem wurde in der Mahlerschen Bombe die Verbrennungswärme des 
lufttrockenen Fleisches bestimmt und dabei auf 1 g Substanz folgende 
Werte gefunden: 5,021 Kal. 
5,084 Kal. 
5,058 Kal. 
Im Mittel also 5,054 Kal. für 1 g lufttrockenes Fleisch (mit 89,28 °/, 
Trockensubstanz). 


Der Fettgehalt, auf Trockensubstanz berechnet, betrug: 


Untersuchung des Kotes. 

Die ausgeschiedene Kotmenge betrug in frischem Zustande (samt 
Darminhalt): bei Hund A, — 119,4 g; bei Hund R, — 261,7 g. Diese 
Mengen gaben nach dem Trocknen 39,9 bezw. 82 g lufttrockene Substanz 
von folgender Zusammensetzung: 


Hund A, Hund R, 
95,82 o 91,84 ö 
Trockensubstanz . . . 95.68 } 95,75%, 92. 42 } 92,13 %/, 
; 7,46 6,04 
Stickstoff . ... 2... 752 } 749%, 5,88 \ 5,96 %/, 
8,09 7,18 
Fett . e... < 803 \ 8,06 %, 7'66 N 742 h. 
Auf Trockensubstanz berechnet: 
Stickstoff . . . 2.» 7,82%, 6,47 %,, 
Fett . . 2 2 20.0. 8,43 „ 8,11 „. 


Es erscheint unbedenklich für die Zusammensetzung des geschälten 
Reises und des Schweineschmalzes, die direkt nicht untersucht worden 
sind, die Mittelzahlen nach J. König!) zu verwenden. So würden sich 
an der Hand der gewonnenen Zahlen die Verdauungs-Koöffizienten in 
folgender Weise berechnen lassen: 


Hund A,. 


Im Futter wurde während der 6-tägigen Versuchsperiode gereicht: 
390 g Reis, 1560 g Fleisch, 118 g Schweineschmalz und darin: 


ne... Stickstoff Fett 

Im Reis . . 2 2 220 . . . 388,68 5,07 5,03 

„ Fleisch . . . 2 . . . . — 408,25 54,29 44,93 

n Schmalz . . . 3:5 . e 117,117 0,05 116,87 
Gereicht zusammen: 864,05 g 59,41 g 166,83 g 

Im Kot ausgeschieden . . . . 88,20 2,99 3,22 


Somit verdaut: 825,85 g 56,42 g 163,61 g 
Verdauungs-Koöffizienten . . . 9,58% 94,97% 98,07 %, 


1) Chemie der menschlichen Nabrungs- und Genußmittel I, 38 und 
565. 1903. 


F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 227 


Hund R, 
Im Futter wurde während der 8-tägigen Versuchsperiode gereicht: 
640 g Reis, 2176 g Fleisch und darin: 


Trocken- gtickstoff Fett 

Im Reis . . 22 2.2.22... 555,72 8,83 8,26 

n„ Fleisch . . 2 2 . . . . 569,46 75,73 62,67 
| Gereicht zusammen: 1125,18 g 84,06 g 70,93 g 

Im Kot ausgeschieden . . . . _ 75,92 4,91 6,16 
Somit verdaut: 1049,26 g 79,15 g 64,77 g 
Verdauungs-Koöffizienten . . . 95,43%, 94,16%, 91,81 °% 


Vorstehender Versuch zeigt für den Stickstoff nur einen 
innerhalb der Fiehlergrenzen liegenden Unterschied zwischen 
beiden Tieren. Die Ausnutzung des Fettes ist dagegen beim 
Arbeitshund sehr viel besser. 

Zur Erklärung der Differenz wird man daran denken müssen, 
daß bei absolut geringen Fettmengen in der Nahrung, wie sie 
Hund Rs erhielt, die ätherlöslichen Darmsekrete das Resultat 
erheblich beeinflussen. Dies Moment genügt aber nicht. Denn 
selbst wenn man das verfütterte Schmalz als absolut verdaulich 
rechnet, würde von dem nun gleichen übrigen Nahrungsfett 
93,56 °/o bei As, dagegen nur 91,31 °/o bei Rs resorbiert sein. 

Im Hinblick auf die im hiesigen Institut ausgeführten 
Versuche von Rosenberg (Pflügers Archiv 52, S. 401), welcher 
bei ruhenden und arbeitenden Hunden ganz gleiche Ausnutzung 
der Nahrung gefunden hat, kann dies Resultat keine allgemeine 
Gültigkeit beanspruchen. Wahrscheinlich beruht es auf einer 
individuellen Besonderheit des Hundes Rs, der ja auch bei 
gleicher Nahrung viel weniger Fett an Muskeln und Leber zum 
Ansatz gebracht hat als As. — 


Im übrigen sei als Resultat der vorstehenden Arbeit folgen- 

des hervorgehoben: 

1. Weder die physikalischen Eigenschaften noch 
die chemische Zusammensetzung des Blutes 
haben unter dem Einfluß der Arbeitsperioden 
eine Veränderung erlitten. 

2. Die Untersuchung des Wassergehalts der Or- 
gane, welche meine Hauptaufgabe bildete, 
spricht im Sinne einer Verarmung der Muskel- 
substanz an Wasser infolge lange fortgesetzter 

15* 


228 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz, d. Organe. 


Arbeit. Die Wasserarmut der trainierten Mus- 
keln war in dem einwandfreieren Versuch I 
recht erheblich, in Versuch II lag der Unter- 
schied im Bereich der Fehlergrenzen. Die An- 
nahme einer geringen Wasserverarmung wird 
auch durch das Verhalten des Körpergewichts 
während der Arbeitsperiode gestützt. 

3. Eine Zunahme der Masse der arbeitenden 
Muskeln und des Herzens konnte nur in Ver- 
such I nachgewiesen werden. 

Angesichts der erheblichen, durch Individualität und Rasse 

bedingten Schwankungen der ÖOrgangewichte und auch des 
Wassergehalts der Organe erscheinen weitere Untersuchungen 
der hier angeschnittenen Frage erforderlich. 


_ Über den Einfluß der alkalischen Reaktion auf die 
autolytischen Vorgänge in der Leber. 


Von 
Dr. med. Alexis von Drjewezki aus St. Petersburg. 


(Aus der ohemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität 
zu Berlin.) 


(Eingegangen am 28. Juni 1906.) 


Die Frage der Selbstverdauung, oder wie man sich jetzt 
auszudrücken pflegt, der Autolyse, wurde im Jahre 1890 von 
E. Salkowski!) als erstem systematisch bearbeitet. Seit der 
Zeit ist eine größere Reihe von Arbeiten erschienen, die die 
näheren Einzelheiten der Autolyse in den Geweben und Organen 
des tierischen Körpers behandeln. Trotzdem sind manche 
Einzelheiten dieses Vorganges bis jetzt noch nicht erkannt und 
harren ihrer Entdecker. Ohne mich eingehender mit der ge- 
samten einschlägigen Literatur zu befassen, bezüglich deren ich 
aber auf die zusammenfassende Abhandlung „Über die Auto- 
lyse‘‘?) von E. Salkowski verweise, möchte ich nur bei einer 
von den hierher gehörigen Untersuchungen verweilen, und zwar 
bei der Frage, welchen Einfluß die alkalische Reaktion auf die 
Autolyse ausübt. 

Von grundlegender Bedeutung ist die Frage, ob die 
Autolyse im lebenden Organismus vor sich geht, oder ob sie 
nur eine dem Tode zukommende Erscheinung ist. Zur Auf- 
klärung dieser Frage soll diese Arbeit beitragen. 


1) Zeitschr. für klinische Medizin Bd. XVII, Supplbd. S. 77. 1890. 
2) Die Deutsche Klinik Bd. XI, S. 147. 


230 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


Wie bekannt, läßt man eine Autolyse in üblicher Weise 
in einem antiseptischen Medium in frischen Organen vor sich 
gehen, wobei die Flüssigkeit stets sauer reagiert. Nun haben 
aber, während die Zellen leben, die Flüssigkeiten, die ihnen 
den Stoffwechsel ermöglichen — Blut und Lymphe —, alkalische 
Reaktion. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Autolyse in 
einem alkalischen Medium überhaupt vor sich gehen kann, ob 
ferner, wenn die Möglichkeit erwiesen ist, die Autolyse einen 
ähnlichen Verlauf nimmt, wie in einem saueren Medium, oder 
einen anderen. 

Die ersten Untersuchungen in dieser Richtung stellte 
Schwiening')an und erbrachte den Nachweis, daß die alkalische 
Reaktion die Autolyse aufhält und zwar anscheinend proportional 
dem Grade der Alkaleszenz. Leider hatte der Verfasser andere 
Ziele im Auge, aus welchem Grunde er die Versuche nur 
nebenher und nur zweimal im ganzen ausführte. So ist auch 
die Konzentration und die Menge der angewendeten Natrium- 
karbonatlösung nicht genau vermerkt und es sind auch nur 
Bestimmungen des als nicht koaguliertes Albumin vorliegenden 
Stickstoffes ausgeführt worden. Zu demselben Resultat gelangte 
auch Hildebrand’). Hedin und Rowland?) zeigten, daß die 
alkalische Reaktion die Wirkung der proteolytischen Fermente 
in dem Milzsafte verschiedener Tiere aufhält. Bei ihren Ver- 
suchen entsprach die Konzentration der Alkalilösungen der des 
Blutes. Im vorigen Jahre erschienen dann gleichzeitig die 
Arbeiten von Baer und Loeb*) und von Wiener?°). In der 
Abhandlung der beiden an erster Stelle Genannten tauchte auch 
die Frage auf, welchen Einfluß die Alkaleszenz auf die Autolyse 


1) „Über fermentative Prozesse in den Organen“, Virchows Archiv 
Bd. CXXXVI, p. 443. 

2) „Zur Lehre von der Milchbildung“, Hofmeisters Beiträge 1904, 
V, p. 49. 

3) „Untersuchungen über das Vorkommen von proteolytischen 
Enzymen im Tierkörper“, Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiolog. 
Chemie XXXII, 1901, p. 531. 

4) „Über die Bedingungen der autolytischen Eiweißspaltung in der 
Leber“, Archiv f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 53, 
Heft I. 1905. 

5) „Über den Einfluß der Reaktion auf autolytische Vorgänge“, 
Zentralblatt f. Physiologie 1905, Bd. XIX, Nr. 11. 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 231 


ausübt. Leider war bei ihren Versuchen der Gehalt an Alkalien 
derartig gering, daß man meiner Meinung nach auf Grundlage 
ihrer Ergebnisse keine unanfechtbaren Schlußfolgerungen hin- 
sichtlich der vorliegenden Frage aufstellen kann. Die Autoren 
selbst nehmen an, daß die alkalische Reaktion die Autolyse 
bestenfalls etwas aufhält, jedenfalls aber nicht unterbricht. 
Wiener (a. a. 0.) hingegen verwendete bei seinen Versuchen eine 
Lösung von NaaCOs oder NaHCO;, deren Konzentration einem Ge- 
halt von 0,2—0,4 NaOH entsprach, also etwa der Alkaleszenz des 
Blutes entsprach. Auf Grund seiner Versuche kam der Verfasser 
zu dem Schlusse, daß eine Alkaleszenz von angeführtem Gehalte 
im Verlaufe von mindestens 7 Tagen die Autolyse vollständig 
aufhebt. Mit seiner Schlußfolgerung stellt Wiener sich auf 
die Seite derjenigen Forscher, die es für unmöglich halten, daß 
in der lebenden Zelle und im lebenden Organ die Autolyse vor 
sich gehen kann (Pohl, Langstein, Neubauer). Alle oben 
erwähnten Autoren haben sich mit der Frage nach dem Einfluß 
der Alkaleszenz auf die Autolyse nur nebenher beschäftigt, ohne 
daß deren Aufklärung ihnen Selbstzweck war. Außerdem wurden 
nur Gesamtstickstoffbestimmungen ausgeführt, die Autoren be- 
gnügten sich eben festzustellen, ob die Autolyse bei Anwesenheit 
von Alkalien stärker oder schwächer auftritt als bei Abwesen- 
heit der Alkaleszenz. Ob aber der Prozeß in der üblichen 
Weise, entsprechend dem Verlauf einer gewöhnlichen Autolyse, 
stattfindet, oder ob er auf einem anderen, ihm eigentümlichen 
Wege vor sich geht, darüber finden wir keine Andeutungen in 
den erwähnten Arbeiten. Unter der Bezeichnung „gewöhnlicher 
Gang der Autolyse‘‘ verstehe ich die Erscheinung, die wir an 
tierischen Organen beobachten können, wenn wir sie in einem 
antiseptischen Mittel ohne Zusatz von Säuren oder Alkalien sich 
selbst überlassen. In Hinblick auf alles, was ich bis jetzt 
auseinandergesetzt habe, steckte ich mir auf Anraten von Prof. 
E. Salkowski das Ziel, den Einfluß der alkalischen Reaktion 
auf die Autolyse, sowie den Verlauf dieses Prozesses unter diesen 
Bedingungen im Vergleich zu den gewöhnlichen einer sorg- 
fältigeren Untersuchung zu unterwerfen. 

Ich bereitete die autolytischen Lösungen nach der im 
hiesigen Laboratorium üblichen Methode, die oft von Salkowski 
selbst, wie auch von seinen Schülern erprobt und angewendet 


232 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali, 


worden ist. An dieser Stelle werde ich den allgemeinen Gang 
meiner Untersuchungen beschreiben, die näheren Einzelheiten 
und Abänderungen werde ich an der betreffenden Stelle auf- 
führen. 

Käufliche Kalbsleber wurde in möglichst frischem Zustande, 
d.h. einige Stunden nach dem Schlachten, mittels der Fleisch- 
hackmaschine zerkleinert. Von der auf diese Weise breiförmig 
erhaltenen Leber wurden immer abgewogene Mengen untersucht. 
Als Grundlage für die in antiseptischem Mittel auszuführende 
Autolyse diente Chloroformwasser. 

Der Gang der Untersuchung war folgender: 

Versuch A. In eine 1,5 l fassende weithalsige Flasche 
mit eingeschliffenem Stopfen wurden 100 g kleingehackte Leber 
mit 1 l destilliertem Wasser unter Zusatz von 7,5 ccm 
Chloroform gut durchgeschüttelt. 


Versuch B. In einem ebensolchen Gefäß wurden von 
demselben Leberbrei 100 g mit 1 1 Chloroformwasser ver- 
rührt. Dazu wurde eine weiter unten bemerkte Menge Natrium- 
carbonat zugegeben und gut gemischt. 


Versuch C. Man verfuhr wie bei B und benutzte dieselbe 
Menge Natriumcarbonat, nur das man die gehackte Leber vor 
dem Einbringen in das Autolysengefäß kochte, um die Fermente 
zu vernichten. 


Alle drei Flaschen wurden dann gleichzeitig in einen auf 
37—40° gehaltenen Brutschrank gestellt und dort 70—72 Stunden 
unter öfterem Schütteln belassen. Außerdem wurden gewöhnlich 
noch 100 g gehackte Leber in schwach essigsaurer Lösung auf- 
gekocht und sofort verarbeitet. 


Nach Beendigung der Autolyse reagierte die Flüssigkeit des 
Versuches A immer sauer, in B und C aber alkalisch. Die 
Portionen B und C wurden mittels verdünnter Schwefelsäure 
schwach angesäuert. Dann wurde der Inhalt der drei Flaschen 
gleich lange Zeit hindurch gekocht, um das durch Hitze koagu- 
lierbare Eiweiß abzuscheiden. Nach dem Abkühlen wurden die 
Mengen auf je 1 1 (einschließlich fester Substanz) gebracht 
und durch ein trockenes Filter in einen mit Marke versehenen 
Kolben von genau 800 ccm Inhalt filtriert. Nach eintägigem 
Stehen eingedampft, auf etwas weniger als 400 ccm mit Wasser 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 233 


verdünnt, in einen Meßkolben von 400 ccm quantitativ über- 
geführt, auf 400 ccm genau nachgefüllt und wiederum durch 
ein trockenes Filter filtriert. Auf diese Weise wurde eine 
konzentriertere, von koagulierbaren Substanzen freie Lösung er- 
halten, und zwar in A nach gewöhnlicher Autolyse, in B nach 
einer in derselben Zeit in alkalischer Lösung verlaufenen Auto- 
lyse, in C endlich nur die Produkte einer Hydrolyse, da die 
Fermente durch vorheriges Kochen zerstört worden waren. Aus 
D wurde eine Lösung erhalten, die noch stickstoffhaltige, nicht 
mehr koagulierbare Substanzen der frischen Leber enthielt. 


Was die chemische Analyse selbst betrifft, so bestimmte 
ich den Gesamtstickstoff nach der Kjeldahlschen Methode. 
Zu diesem Zwecke wurden je 2 Proben von je 20 ccm ent- 
nommen, mit konzentrierter Schwefelsäure verbrannt, der Stick- 
stoff in Ammoniak überführt und als solcher titrimetrisch mit 
!/ıo Normal-Schwefelsäure bestimmt. Das Mittel aus beiden 
Bestimmungen wurde auf 1 kg Leber umgerechnet. Darauf 
wurde der sogenannte Monaminsäuren-Stickstoff auf folgende 
Weise bestimmt. 50 ccm Lösung wurden mit 5 ccm verdünnter 
Salzsäure ausgesäuert und darauf eine 10 °/oige Phosphorwolfram- 
säurelösung solange zugesetzt, bis kein Niederschlag mehr ent- 
stand. Im Niederschlag befanden sich alle möglichen stick- 
stoffhaltigen Substanzen. Filtrat samt Niederschlag wurden mit 
Wasser auf ein bestimmtes Volumen gebracht, durch ein trockenes 
Filter filtriert, dem Filtrat mittels einer Pipette eine bekannte 
Menge Flüssigkeit entnommen und darin der Stickstoff nach 
Kjeldahl bestimmt und auf 1 kg Leber berechnet. Außer- 
dem bestimmte ich die Menge des als Albumosen vorliegenden 
Stickstoffs. Zu diesem Zweck wurden 50 ccm Flüssigkeit mit 
1 ccm verdünnter Schwefelsäure angesäuert und dann mit 
pulverisiertem Zinksulfat gesättigt nach der Vorschrift von 
K. Baumann und Bömer!). Nach den Angaben von Rosen- 
berg?) dauert die Sättigung 24—28 Stunden. Der so erhaltene 
Albumosenniederschlag wurde filtriert, an der Luft ein wenig 


1) Zitat nach Zunz, Zeitschr. f. physiolog. Chemie Bd. 27, p. 219. 


2) „Über den Umfang der Eiweißverdauung im meuschlichen Magen 
unter normalen und pathologischen Verhältnissen“, Zeitschr. für klinische 
Medizin Bd. 76, Heft 5, 6, p. 1. 


234 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


getrocknet und mit dem Filter nach Kjeldahl verbrannt, der 
Stickstoff bestimmt und auf 1 kg Leber umgerechnet. Ich halte 
es nicht für überflüssig, hierbei zu bemerken, daß, wenn man die 
Waschflüssigkeit von der Albumosenfällung sorgfältig ablaufen läßt 
und zur Verbrennung Schwefelsäure von 1,84 spez. Gew. anwendet, 
die Verbrennung ruhig und ohne zu stoßen vonstatten geht. Wenn 
aber der Albumosenniederschlag noch mit einer gewissen Menge 
Flüssigkeit vermengt ist, dann muß man diese erst auf dem 
Wasserbad eindampfen, sonst kommt es häufig vor, daß der 
Kjeldahlkolben springt. Selbstverständlich muß man sich 
bei diesen Analysen vorher vergewissern, daß das anzuwendende 
Zinksulfat frei von Ammonsalzen ist. Endlich bestimmte ich 
den Stickstoff, der in den Purinbasen enthalten war. Zu diesem 
Zwecke wurden 100 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit 
mit einigen Tropfen Ammoniak alkalisch gemacht, von 
den ausgefällten Phosphaten abfiltriert, und im Filtrat die 
Purinbasen mit 3 °/,iger ammoniakalischer Silbernitratlösung 
gefällt. Nach 6—12stündigem Stehen an einem dunkeln Orte 
wurde abfiltriert, der Niederschlag gut gewaschen und darauf 
der Stickstoff bestimmt und auf 1 kg Leber umgerechnet. So 
wurde bestimmt: 


1. Gesamtstickstoff, 

2. Sog. Monoaminosäurenstickstoft, 
3. Albumosenstickstoff, 

4. Purinbasenstickstoff. 


Die Differenz zwischen dem Gesamtstickstoff und der 
Summe von 2, 3 und 4 ergibt den Stickstoff der Diamino- 
säuren, der Peptone und des Ammoniaks. 


In folgenden Tabellen sind die Resultate meiner Versuche 
enthalten. 


Versuch I. 


Dauer der Autolyse 72 Stunden. Portion C wurde 5 Minuten 
lang vor dem Einstellen in den Brutschrank gekocht, um die 
Fermente abzutöten. Nach Beendigung der Autolyse wurden 
“alle Portionen 10 Minuten lang gekocht. 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 235 










A c 
mit Na, CO 
le „ohne Fermente 







des Qe- 


auf 1 Kilo berechnet 
samt-N 


Gesamtstickstoff . 


Monoaminosäuren 34,77 
Albumosen 
Purinbasen 1,30 


Diaminosäuren u. Peptone 


Die Resultate A, B und C sind Bar unter Vorbehalt mit- 
einander vergleichbar, weil C im ganzen 15 Minuten gekocht 
hatte, während A und B nur 10 Minuten gekocht hatten. 


Versuch II. 


Dauer der Autolyse 72 Stunden. Portion C wurde 5 Minuten 
vor dem Einbringen in den Thermostaten gekocht. A und B 
wurden nach der Autolyse 5 Minuten lang dem Sieden 
unterworfen. 


A B © D 


. mit Na, CO,, |sofort koa- 
ohne Na, CO, | mit Na, CO, ohne Fe guliert 








o; O/o 0 
art rer 

Gesamtstickstoff . | 5,9763 8,770 3815| — 2,975 
Monoaminosäuren . | 8,612 | 60,44 | 1,995 | 52,91 
Albumosen . . .|0,560 | 9,37 | 0,588 | 15,59 
Purinbasen . . . |0,924 | 15,36 | 0,651 | 17,27 
Diaminosäuren und 
Peptone . . . [0,880 | 14,83 | 0,536 | 14,23 

Versuch LI. 


Dauer der Autolyse 72 Stunden. Alle Portionen werden 
im ganzen je 6 Minuten gekocht, C 2 Minuten vor, 4 nach 
der Autolyse. 

Tabelle 8. 236. 


236 A. v. Drjeweski, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 





A B C D 
mit Na,CO, | mit Na,CO, | sofort koa- 
ohie NACO; mit Fermenten | ohne Fermente | guliert 
To 1 TTS 0 TON 
g db g den de: g des e- g dee - 
samt-N samt-N samt-N samt-N 
Gesamtstickstoff . | 6,545 4,1125 8,570 8,15 
Monosminosäuren . | 4,022 | 61,60 | 2,184 |53,16 | 1,722 | 48,28 
Albumosen . . . [0,490 | 7,48 | 0,532 | 19,93 | 0,601 | 16,83 I 0,756| 24,00 


Purinbasen . . . |0,826 | 12,62 | 0,490 | 11,91 | 0,049 | 1,87 
Diaminosäuren und 
Peptone . . . {1,197 | 18,3 |0,9065| 15,00 | 1,198 | 83,57 


Untersuchungen mit einer 3°/,-igen Sodalösung. 


Versuch IV. 


Dauer der Autolyse 72 Stunden. Dauer des Siedens 
wie oben. 


A | B C D 
ohne NaCO, | mit Na CO, | mit Na CO, | sofort koa- 
mit Fermenten | mit Fermenten | ohne Fermente | guliert 









Gesamtstickstoff . 
Monoaminosäuren . 1,378| 59,06 
Albumosen . i 
Purinbasen . . . 0,238| 10,62 
Diaminosäuren und 


Peptone . . 1,4785| 39,99 


Versuch V. 


Dauer der Autolyse 72 Stunden. Dauer des Siedens je 
5 Minuten. 

























A C D 
ohne Na, CO, mit Na, CO,.| sofort koa- 
mit Fermenten ohne Fermente| guliert 
o — ra ö 
den &e- g den Ga g des Öe- 
samt-N samt-N samt-N 











Gesamtstickstoff . 













Monoaminosäuren . 58,92 | 1,680 | 42,29 1,302] 50,96 
Albumosen . 8,12 | 0,896 | 22,55 23,56 
Purinbasen . 14,70 | 0,476 | 11,98 j 


Diaminosäuren und 
Peptone 





1,165 | 18,26 | 0,9205] 23,18 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


237 


Versuche mit einer Alkaleszenz, welche die des Blutes 








übersteigt. 
Versuch VI. 
Dauer der Autolyse 70 Stunden. Dauer des Siedens je 
6 Minuten. 

A B © D 
ohne Na, CO, | mit Na, CO, | mit Na, CO, | sofort koa- 
mit Fermenten mit Fermenten | ohne Fermente guliert 

07, ro Tre ea 
g des Ge- g des Qe- g |a be: g des Qe- 
samt-N samt-N samt-N samt-N 

Gesamtstickstoff . | 5,600 8,5875 8,2375 2,450 
Monoaminosäuren . |3,339 | 59,62 | 1,596 | 44,48 | 1,470 | 45,40 | 1,281| 52,29 
Albumosen . 0,378| 6,75 |0,910 | 25,36 | 0,812 | 28,08 | 0,504| 20,57 
Purinbasen . 0,826 | 14,75 [0,035 | 0,92|0,028 | 0,87 0,014, 0,57 

Diaminosäuren und 

Peptone 1,071 | 18,88 | 1,0465) 29,24 | 0,9275| 28,65 | 0,651| 26,57 


Wenn man also ein Medium von 0,5 NaCO; Alkaligehalt 


anwendet, so ergibt sich eine vollständige Übereinstimmung in 
dem prozentualen Verhältnis aller Zahlen in den Portionen 
B und C, d.h. eine Autolyse findet bei diesem Gehalt an 
NaCO; nicht mehr statt. 


Zur deutlicheren Veranschaulichung meiner Ergebnisse hielt 


ich es für angebracht, eine kombinierte Tabelle zusammenzu- 
stellen; sie enthält die Zahlen des Gesamtstickstoffs in Gramm. 


Gesamtstickstoff. 
















A Mit Na, CO, D 
ohne NaCO, B c sofort koa- 
mit Fermenten | ohne Fermente guliert 


















0,2% 
Versuch I 4,2875 
„u 3,815 2,975 


3,570 
0,3% 


3,6975 
3,5700 


Versuch IV 
y 








Versuch VI 


238 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


Diese Tabelle zeigt deutlich, daß die Eiweißkörper unter 
dem Einfluß der Alkalien bedeutend langsamer gespalten werden. 
Vergleicht man nun Kolumne B mit C, d.h. die Autolyse in 
einem alkalischen Mittel mit der alleinigen Wirkung der Hydro- 
lyse ohne Fermente, so scheint es, als ob die Fermente hierbei 
gar keine Rolle spielen, weil die Zahlen, die die Menge des 
Gesamtstickstoffes angeben, fast gleich sind, vielleicht, daß 
die Fermentwirkung ein kleines Plus verursacht. Bei dieser 
Aufstellung übergehe ich den Versuch I, wo eine beträchtliche 
Differenz im entgegengesetzten Sinne vorliegt, die, wie ich schon 
andeutete, wahrscheinlich darin ihre Begründung findet, daß 
Portion C länger als die übrigen gekocht hatte. Solche Ergeb- 
nisse koinzidieren vollständig mit den Angaben von Wiener 
(a. a. O.), der darum auch die Tätigkeit der autolytischen Fer- 
mente in einem alkalischen Medium, dessen Gehalt etwa dem 
des Blutes entspricht, verneint. Dennoch muß man eine der- 
artige Anschauung fallen lassen, wenn man sich nicht nur an 
die Zahlen des Gesamtstickstoffes hält, sondern sein Augen- 
merk auf die Art der Eiweißspaltung richtet, nämlich auf das 
quantitative Verhältnis der verschiedenen stickstoffhaltigen 
Körper zueinander bei Anwesenheit von Fermenten und bei 
ihrer Abwesenheit. 


Stickstoff der Monoaminosäuren-Fraktion in g. 
Mit Na CO, D 
sofort koa- 
ohne Fermente guliert 


A 
ohne Na, CO, B 


mit Fermenten 








Versuch I 
no II nicht bestimmt 
„ HI 1,722 
Versuch IV 1,323 
n v 1,302 
Versuch VI 1,281 


A.v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 239 


Gehalt an Purinbasen. 
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.) 
A Mit Na, CO, D 


ohne NaCO, BB | œ | sofort koa- 
mit Fermenten | ohne Fermente guliert 





Versuch I 
E 0 | 
„ DI 
Versuch IV 0,238 
n Vv 0,035 
Versuch VI 0,028 0,014 


Wir bemerken beständig eine deutliche Steigerung der Mono- 
aminosäurenmenge und eine außerordentliche, in die Augen 
fallende Zunahme der Purinbasen in der Kolonne B, wenn wir 
sie mit Spalte C vergleichen; d.h. es bilden sich mehr Amino- 
säuren und Purinbasen bei der Eiweißspaltung, wenn die Fer- 
mente wirksam sind, als bei der Wirkung des Alkalis allein. 
Was anderseits die Albumosen und die Diaminosäuren +- Peptone 
betrifft, so ist ihre Menge bei Fermentwirkung entsprechend 
geringer als bei Ausschluß letzterer. 


Gehalt an Albumosen. 
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.) 








a | mm |» 
ohne NaCO, B c sofort koa- 
mit Fermenten | ohne Fermente guliert 
0,2 Ta 0,2 o 
Versuch I 0,518 0,616 —- — 
„ u 0,560 0,588 = z 
„ DI 0,532 0,756 
Versuch IV 0,378 
n„ V 0,602 
Versuch VI 0,504 





240 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


Gehalt an Diaminosäuren und Peptonen. 
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.) 


Mit NaCO, D 
sofort koa- 
mit Fermenten | ohne Fermente guliert 


A 
ohne Na,C0, B 








Versuch I 
s II 
„ II 
Versuch IV 0,301 
4 v 0,616 
Versuch VI 1,071 1,0465 0,9275 0,651 


Aus allen diesen Tabellen geht zweifellos hervor, daß die 
Autolyse in einem alkalischen Mittel von der Konzentration 
0,2—0,3 °/, stattfindet, und zwar in derselben Weise wie unter 
gewöhnlichen Bedingungen, nur tritt die autolytische Wirkung 
weniger stark hervor. Wenn nun die Alkaleszenz die Autolyse 
verlangsamt, so ergibt sich daraus die Frage, wie weit man 
die Konzentration treiben muß, um die Tätigkeit der Fermente 
aufzuheben. Aus meinen Versuchen kann man ersehen, daß 
die Grenze der Alkaleszenz nicht weit von dem Gehalte des 
Blutes an basisch reagierenden Stoffen entfernt ist. Aus der 
Tabelle, die zum Versuche VI gehört, ist ersichtlich, daß bei 
einer Alkaleszenz von 0,5 °/o NaCO; die absoluten Werte sowohl 
für den Gesamtstickstoff als auch für die übrigen stickstoffhaltigen 
Körper nur überaus wenig voneinander abweichen. Was aber 
den Gang der Spaltung betrifft, den man besser in dem pro- 
zentualen Verhältnis zwischen den einzelnen Körpern zu dem 
Gesamtstickstoff überblicken kann, so sind die Verhältnisse bei 
Fermentwirkung sowie bei Ausschluß derselben fast die gleichen, 
ihre Abweichungen liegen innerhalb der Fehlergrenze. 

Bei meiner Arbeit begegnete ich einigen Tatsachen, die 
mit den Literaturangaben in Widerspruch stehen. Das ver- 
anlaßte mich, einige Kontrollversuche anzustellen, über die ich 
kurz zu berichten nicht für unangebracht halte. Wie man aus 
den beigefügten Tabellen ersehen kann, vermochte ich immer bei 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 241 


der Autolyse eine verhältnismäßig beträchtliche Menge Albu- 
mosen feststellen (0,378 —0,896 N entsprechen etwa 2,268 bis 
5,376 Albumosen. Andere Autoren dagegen (Salkowski, 
Jakobi, Biondi), die den autolytischen Prozeß in der Tier- 
leber erforscht haben, fanden Albumosen entweder gar nicht 
oder nur in Spuren. Vor allem taucht der Verdacht auf, ob 
diese Erscheinung nicht ihre Ursache in einem Fehler der von 
mir angewandten Methode hat, ob nämlich das Zinksulfat in ge- 
sättigter Lösung auch noch andere stickstoffhaltige Körper 
ausfällt, z. B. Purinbasen. 

Die auf oben beschriebene Weise erhaltenen Albumosen 
wurden in Wasser gelöst. Dabei blieb ein geringer Rück- 
stand, der abfiltriert und in mäßig konzentrierter Natronlauge 
gelöst wurde. Beide Lösungen, sowohl die der Albumosen als 
auch des Niederschlages, gaben eine negative Reaktion auf 
Purinbasen. Ich wiederholte die Probe, um festzustellen, ob in 
dem durch ammoniakalisches Silbernitrat nicht niedergeschlagenen 
Anteilen Purinbasen enthalten wären. Die Albumoselösung wurde 
1/2 Stunde mit Salpetersäure gekocht und nach dem Erkalten 
wiederum auf Anwesenheit von Purinbasen mittels ammoniaka- 
lischem Silbernitrat geprüft. Die Probe fiel negativ aus. Man 
mußte also noch die durch Zinksulfat ausgefällten Körper dar- 
stellen, um ihre chemische Natur nach Möglichkeit zu ergründen. 

1 kg Kalbsleber wurde mit 10 ] Chloroformwasser über- 
gossen und 70 Stunden lang einer gewöhnlichen Autolyse über- 
lassen, wobei die Reaktion schwach sauer wurde. Danach wurde 
das Gemisch 3 Minuten gekocht, vom koagulierten Eiweiß und 
den übrigen festen Anteilen abfiltriert und das Filtrat auf 11 
eingedampft, welches man sodann mit 25 ccm verdünnter 
Schwefelsäure ansäuerte.e Bei Zusatz von Zinksulfatpulver 
erfolgte rasch ein Niederschlag (A). Da nun der Niederschlag 
bei dem zunächst in geringer Menge angewandten Zinksulfat 
nicht aus Albumosen bestehen konnte, wurde die Lösung zur 
weiteren Untersuchung abfiltriert und nochmals gekocht. Das 
Filtrat wurde mit Zinksulfat vollständig gesättigt, worauf ein 
weiterer Niederschlag (B) erhalten wurde, der sorgfältig mit ge- 
sättigter Zinksulfatlösung ausgewaschen wurde. 

Der Niederschlag A wurde in Wasser unter Zusatz von 


NaOH gelöst, filtriert, durch Salzsäure gefällt, zum besseren 
Biochemische Zeitschrift Band I. 16 


242 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


Absetzen mit Alkohol versetzt, abfiltriert, mit absolutem Alkohol 
und Äther gewaschen und getrocknet. Der Niederschlag zeigte 
Nukleoalbuminreaktion, d. h. es wurde die Anwesenheit von 
Phosphor festgestellt, und durch den positiven Ausfall der 
Xanthoproteinreaktion und Millonschen Reaktion war der 
Eiweißcharakter des Niederschlages konstatiert worden. Die 
Orzinreaktion war undeutlich. 

Der sehr voluminöse Niederschlag B löste sich ganz in 
Wasser unter Erwärmen auf. Diese Lösung wurde durch Ein- 
dampfen konzentriert, mit 93°/, Alkohol versetzt, der erhaltene 
Niederschlag abfiltriert, nochmals gelöst, dann wieder mit ab- 
solutem Alkohol gefällt, abfiltriert, mit absolutem Alkohol und 
Äther gewaschen und getrocknet. Der erhaltene sehr feine 
Niederschlag gab alle Albumosenreaktionen: 

1. er löste sich vollständig in Wasser; 

2. beim Erhitzen blieb die mit Essigsäure angesäuerte 

Lösung klar; 

3. die Probe mit gesättigter Kochsalzlösung war positiv, 
die entstandene Trübung verschwand beim Erwärmen 
und trat beim Erkalten wieder auf; 

4. Biuretreaktion positiv; 

5. Xanthoproteinreaktion schwach positiv. 

Demnach entstehen bei der gewöhnlichen Autolyse Albu- 
mosen in ganz beträchtlichen Mengen, allerdings mit dem Vor- 
behalt, daß bei der Abscheidung der Albumosen durch Zink- 
sulfat auch Spuren von Nukleoalbumin auftreten, das durch 
Kochen mit Essigsäure noch nicht koaguliert wurde. Ferner 
möchte ich bemerken, daß in der Autolysenflüssigkeit die 
Biuretreaktion direkt nicht ausführbar ist. Bedingt wird meiner 
Meinung nach letztere Erscheinung durch die große Verdünnung 
der Albumosenlösung, hauptsächlich aber durch die bernstein- 
gelbe Farbe der Flüssigkeit, welche die Biuretreaktion verdeckt. 
Es ist möglich, daß obige Erscheinung der Grund ist, weshalb 
meine Beobachtungen mit denen anderer Autoren nicht über- 
einstimmen. 

Ferner fielen mir bei meiner Arbeit die hohen Werte für 
den Stickstoff der Monoaminosäurenfraktion auf, die 61,31) 
des Stickstoffes für sich beanspruchen. Um die von mir an- 
gewandte Methode zur Bestimmung der Monoaminosäuren auf 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 243 


ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, unternahm ich einige Kontroll- 
versuche. 

Albumosen, Peptone und Ammon werden von Phosphor- 
wolframsäure vollständig ausgefällt.e Weiterhin geht aus 
meinen Versuchen hervor, daß, der allgemeinen Annahme 
entsprechend, auch die Purinbasen durch Phosphorwolfram- 
säure gefällt werden, so daß man sie im Filtrat weder 
in latenter noch in manifester Form neben den Monoamino- 
säuren antreffen kann. Schließlich konnte man annehmen, 
daß ein derartig reichliches Vorkommen der Monoaminosäuren 
von Prozessen abhängig ist, die in der Kalbsleber von dem 
Augenblick des Todes bis zum Beginn der Autolyse stattfinden. 
Um diese Frage zu entscheiden, unterzog ich eine Hundeleber 
unmittelbar nach dem Tode des Tieres der Analyse. Der Hund 
wurde im Laboratorium getötet, die Leber sofort entnommen, 
sofort mit Wasser extrahiert, auskoaguliert etc.; es wurden 
folgende auf 1 kg umgerechnete Zahlen festgestellt: 


Gesamtstickstoff . . . . 3,08 

Monoaminosäuren . . . 1,806 = 58,64 o 
Albumosen . . . . . . 0,686 = 22,27 „ 
Purinbasen . . . . ...0105 = 3,41 „ 


Diaminosäuren und Peptone 0,483 = 15,68 „ 

Diese Resultate widersprechen den Versuchen an käuflicher 
Leber durchaus nicht (vergl. die Zahlen in den Versuchen 
V, VID). 

Die Größe der Monoaminosäurenfraktion widerspricht allen 
unseren bisherigen Vorstellungen über das Vorkommen von 
Monoaminosäuren in den normalen Organen. Es ist nun von 
vornherein einleuchtend, daß der Ausdruck „Stickstoff der 
Monoaminosäuren“ in diesem Falle nur einen Sammelbegriff 
darstellt, unter den alles fällt, was an löslichen stickstoffhaltigen 
Substanzen in der Leber vorhanden und nicht durch Phosphor- 
wolframsäure fällbar ist. Dahin gehört von bekannten Körpern 
u. a. der Harnstoff, das Taurin, das man in der Regel nicht 
im Sinne hat, wenn man von Monoaminosäuren spricht, ferner 
die stickstoffhaltigen Gallensäuren, die mindestens nicht voll- 
ständig durch Phosphorwolframsäure fällbar sind. Dazu mögen 
noch manche andere unbekannte Körper kommen. Ja! es ist 
noch gar nicht einmal bestimmt erwiesen, ob sich in dieser 

16* 


244 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 


„Monoaminosäurenfraktion“ überhaupt Monoaminosäuren be- 
finden. Diese Frage läßt sich mit Hilfe der neuen Naphthylcyanat- 
Methode von Neuberg und Manasse!) leicht entscheiden. 

170 g Leber eines eben getöteten Hundes wurden mit 1,7 1 
Wasser ausgekocht, filtriert und auf ca. 75 ccm eingeengt, von 
dem dabei Ausgefallenen abfiltriert. Das Filtrat wurde mit 
Phosphorwolframsäure total ausgefällt, der entstandene Nieder- 
schlag am nächsten Tage abfiltriert, aus dem Filtrat der Über- 
schuß von Phosphorwolframsäure mit Barytwasser und dessen 
Überschuß mit verdünnter Schwefelsäure entfernt. Es resultierte 
eine wasserklare Flüssigkeit, die keine sichere Schwefelbleiprobe 
und negative Millonsche und Biuret-Reaktion ergab, aber 
Kupferoxyd mit tiefblauer Farbe löste. 

Nach Konzentration auf ca. 20 ccm wurde mit verdünnter 
Natronlauge zunächst neutralisiert und dann wurden 25,0 ccm 
n-NaOH zugesetzt und mit «-Naphthyl-iso-cyanat behandelt, von 
dem 4 g angewendet wurden. 

Nach 1'/sstündigem Stehen wurde filtriert und das Filtrat 
mit verdünnter Salzsäure angesäuert. Sofort fiel ein dichter 
weißer Niederschlag aus, der sich beim Stehen an der Luft 
schwach violettstichig färbte. Am nächsten Tage wurde dieser 
aus den a-Naphthylcyanaten der Monoaminosäuren bestehende 
Niederschlag auf einer kleinen Nutsche abgesaugt, mit kaltem 
Wasser, dann mit 10°/, Alkohol enthaltendem Äther und 
schließlich reichlich mit reinem Äther gewaschen. Dabei nahm 
die Fällung eine fast rein weiße Färbung an. Nach Trocknung 
im Vakuum wog sie 1,84 g. 

Durch Lösung in heißem Ammoniak unter Zusatz einer 
Spur Alkohol, Filtration von einer minimalen Trübung und 
Zugabe von Ba-Acetatlösung wurde auf Glykokoll geprüft. Von 
dem schwer löslichen Ba-Salz des a-Naphthylcyanatglykokolls 

Ba (COO — CH3 = NH = CO =. NHC,o Hz): 
schied sich eine kleine Menge aus = 0,0134 g. Damit ist der 
Nachweis des Glykokolls geliefert. 

Das Filtrat wurde abermals mit verdünnter Salzsäure aus- 
gefällt, abgesaugt, mit Wasser, Alkohol-Äther und reinem Äther 
getrocknet. Es hinterbleiben dann die «-Naphthylhydantoin- 


1) Ber. d. deutschen chem. Ges. 88, 2359. 1905. 


A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 245 


säuren als rein weißes Pulver, in dem das Gemisch der Mono- 
aminosäuren außer dem Glykokoll und dem Tyrosin vorhanden 
sin muß. Der Schmelzpunkt lag nicht ganz scharf bei 
157—162,5°; die Menge betrug 1,08 g. 

Eine Bestimmung des Stickstoffs nach Dumas ergab einen 
N-Gehalt = 9,11 °/o. 

Die Zahl stimmt angenähert aus a-Naphthylisocyanatleucin, 
das 9,33 °/o N enthält. Auch der Schmelzpunkt liegt dem der 
Leucinverbindung nahe; für diesen geben Neuberg und 
Manasse 163,5° an. Demnach kann man annehmen, daß von 
den wirklichen Aminosäuren der „Monoaminosäuren -stickstoff- 
fraktion“ der Hauptanteil auf „Leucin“ entfällt. 

Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich noch 
einmal bemerken, daß die Autolyse, wie aus meinen Versuchen 
hervorgeht, auch in alkalischer Lösung, deren Gehalt dem des 
Blutes entspricht, vor sich geht, nur daß der Prozeß viel lang- 
samer verläuft als in saurer Lösung, indem er aber trotzdem seinen 
ihm eigentümlichen Charakter bewahrt. Meine Resultate stehen 
offenbar mit den theoretischen Erwägungen in Einklang. Und 
in der Tat will es nicht recht einleuchten, warum ein vor- 
handenes Ferment während des ganzen Lebens der Gewebe und 
Organe zur Untätigkeit verurteilt sein soll, um erst nach dem 
Tode in Wirksamkeit zu treten. Es ist darum auch erklärlich. 
daß die Erscheinung dem Zwecke entsprechend langsam vor 
sich geht. Solange irgend ein Organ, irgend ein Gewebe noch 
lebt, solange die lebende Zelle von alkalisch reagierenden Säften, 
Blut und Lymphe, von ihnen Nahrung empfangend, umspült 
wird, solange werden auch die Fermente nur schwach wirken, 
in dem Maße, als die Zelle danach verlangt, unlösliche Eiweiß- 
körper in Lösung zu bringen, um sie beim Stoffwechsel als 
Abfallstoffe zu entfernen. So dient also die in den lebenden 
Geweben, also in alkalisch reagierenden Medien, stetig, aber 
langsam stattfindende Autolyse dazu, den Organismus von ab- 
gestorbenen Stoffen zu befreien, die ihm schädlich, zum 
mindesten aber nur unnötig sein können. 

Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, Herrn Prof. E. Sal- 
kowski für seine freundliche Unterstützung bei Ausführung der 
Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 


Über den Gehalt des Eidotters an Lecithin. 


Von 


Dr. Armand Manasse, 
Volontärassistent der Abteilung. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 30. Juni 1906.) 


Angesichts der großen Bedeutung, welche in neuerer Zeit 
von verschiedenen Seiten dem Lecithin für die Ernährung zu- 
geschrieben wird — ob mit Recht oder Unrecht mag hier un- 
erörtert bleiben — ist es gewiß eine höchst auffallende Tat- 
sache, daß quantitative Bestimmungen des Lecithins im Eidotter, 
von einer älteren Angabe abgesehen, nicht vorliegen. Auf Ver- 
anlassung von Herrn Prof. E. Salkowski, der mich auf diesen 
Tatbestand aufmerksam machte, habe ich diese Lücke durch 
einige Bestimmungen auszufüllen gesucht. 

In den Lehrbüchern findet sich meines Wissens eine An- 
gabe über den Lecithingehalt des Eidotters nicht, dagegen ist 
eine solche in den „Vereinbarungen über einheitliche Unter- 
suchung und Beurteilung von Nahrungs- und Genußmitteln usw., 
Berlin, Verlag von J. Springer 1897“, enthalten. In dem be- 
treffenden, über Eier handelnden, von A. Kossel und Weigmann 
bearbeiteten Abschnitt in Heft I, S. 52 heißt es: „Der Dotter 
der unbebrüteten Hühnereier enthält nach Parke etwa 52,8 °/ 
feste Stoffe, darin 15,6 °/, Eiweiß, 10,7 °/, Lecithin, 22,8 °/o Fett, 
1,7°/, Cholesterin, 0,35 °/, lösliche Salze und 0,61 °/, unlös- 
liche Salze“. 

Die Arbeit von Parke, auf welche sich diese Angaben 
stützen, ist in den von Hoppe-Seyler herausgegebenen 


A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 247 


„Medizinisch-chemischen Untersuchungen, Berlin 1866, Verlag von 
A. Hirschwald“ unter dem Titel „Über die chemische Kon- 
stitution des Eidotters“ (S. 209) erschienen. Von Lecithin ist 
in dieser Arbeit allerdings nicht die Rede; das konnte auch 
nicht sein, denn das Lecithin war damals noch nicht bekannt. 
Parke bezog deshalb den Phosphorgehalt auf das von Liebreich 
im Gehirn entdeckte Protagon, dessen Quantität im frischen Ei- 
dotter er zu 27,45 °/, berechnet. Diesen „Protagongehalt“ haben 
die genannten Autoren auf Lecithin umgerechnet. Die Angabe 
von Parke stützt sich auf eine einzige Untersuchung von drei 
gemischten Eidottern!!) Das ist alles, was in der Literatur über 
diesen so wichtigen Gegenstand vorliegt. 

Das Lecithin läßt sich bekanntlich nicht quantitativ von 
den Fetten trennen und als solches wägen, wir sind vielmehr 
darauf angewiesen, das Lecithin mit Alkohol resp. Äther-Alkohol 
zu extrahieren, den Phosphorgehalt dieses Auszuges, der zuver- 
lässig von Phosphaten frei sein muß, nach dem Schmelzen mit 
Salpetermischung zu bestimmen. Aus dem Phosphorgehalt wird 
dann mit Zugrundelegung eines vereinbarten Faktors die Quan- 
tität des Lecithins berechnet. Ich lasse nunmehr meine Ver- 
suche folgen. 


> Versuch I. 


14,38 g vom Eiweiß getrennten Eidotters wurden wieder- 
holt mit warmem Alkohol absolut. (ca. 80—100 °) extrahiert, 
bis der alkoholische Auszug farblos war. Von diesem letzten 
Auszuge wurden 50 ccm mit 100 ccm Äther versetzt einen Tag 
lang stehen gelassen, darauf von dem entstandenen, übrigens 
minimalen Niederschlag abfiltriert, das Filtrat verdampft und 
der beim Verdampfen bleibende Rückstand qualitativ auf Phos- 
phor untersucht. Das Resultat war ein negatives, ein Beweis 
dafür, daß das Eigelb durch die vorangegangene Ex- 
traktion mit Alkohol vollkommen erschöpft war. 

Es fragt sich nun, ob in die Alkoholauszüge Phosphate über- 
gehen. Zur Prüfung wurden ca. 50 ccm des im ganzen 310 cem be- 
tragenden alkoholischen Auszuges verdunstet, mit 10 ccm Alkohol 
wieder aufgenommen, mit 20 ccm Äther versetzt und stehen 


N Es ist außerdem noch Eidotter am 10. und 17. Tage der Bebrütung 
untersucht, doch kommt dieses hier nicht in Betracht. 


248 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 


gelassen. Das vom entstandenen Niederschlag Abfiltrierte wurde 
zur quantitativen Phosphorbestimmung verwandt. Die Unter- 
suchung des Niederschlages ergab übrigens, daß er keine Phos- 
phate enthielt. Es ergibt sich also, daß wenn man sehr erheb- 
liche Quantitäten Alkohol absolut. für kleine Mengen Eidotter 
nimmt, Phosphate nicht nachweisbar in Lösung gehen. Natür- 
lich müssen die Lösungen ganz klar filtriert sein. Sehr häufig 
wurde übrigens trotzdem noch der zur quantitativen Bestimmung 
genommene Anteil des Alkoholauszuges mit dem doppelten 
Volumen Äther versetzt, um etwaige Phosphate auszufällen. 
Dabei entstanden mitunter ganz minimale Niederschläge, die 
jedoch frei von Phosphorsäure und organischem Phosphor waren. 
Von dem gesamten, wie oben gesagt 310 ccm betragenden,. 
alkoholischen Auszuge wurden zur Analyse je 25 ccm verwandt. 
Der Alkohol wurde abgedampft, der Rückstand mit Soda 
und Salpeter geschmolzen und dann mit Ammoniummolybdat 
und Magnesiamischung in der üblichen Weise die Phosphor- 
bestimmung vorgenommen. 
Es wurden gefunden a) 0,0146 g Mg:P:0: 
b) 0,0133 g š 
im Durchschnitt 0,014 g x 
Wenn man, wie das hier und in den folgenden Unter- 
suchungen geschehen ist, im Lecithin 3,94°/, P annimmt, so 
ergibt das einen Lecithingehalt von 8,896 °/.. 


Versuch LI. 


Bei einem zweiten Versuche wurde ein Eigelb im Gewicht 
von 15,63 g diesmal mit Äther wiederholt im Schütteltrichter 
extrahiert und nach dem Schütteln 12 Stunden stehen gelassen. 

Als der ätherische Auszug farblos war, ergab eine Prüfung 
desselben, daß er keinen Phosphor mehr enthielt. | 

Von 360 ccm Ätherauszug wurden zur Analyse je 25 ccm 
verwandt. 


Es wurden gefunden a) 0,0098 g MgPs0: 
b) 0,0098 g j 
im Durchschnitt 0,0098 g 3 
— 6,184 °/, Lecithin. 


A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 249 


Versuch LI. 


Bei Versuch II wurden 17,50 g Eigelb wieder wie bei I 
mit Alkohol absol. in der Wärme extrahiert und der Auszug 
in der dort angegebenen Weise behandelt. 

Von dem 400 ccm betragenden alkoholischen Auszug wurden 
wieder je 25 ccm zur Analyse verwandt. 

Es wurden gefunden a) 0,0139 g Mg:P:0; 

b) 0,0144 g s 
im Durchschnitt 0,0141 g = i 
was 9,10 °/, Lecithin entspricht. 


Während Versuch I und III mit einem Lecithingehalt von 
8,896 und 9,10°/, ziemlich gut übereinstimmen, wurde bei dem 
mit Äther extrahierten Eigelb in Versuch II mit 6,18°/, ein 
bedeutend geringerer Lecithingehalt konstatiert. 

Um festzustellen, ob diese Abweichung eine zufällige, durch 
die Verschiedenheit der Eier bedingte sei, oder auf den Unter- 
schied in der Extraktionsflüssigkeit zurückgeführt werden müsse, 
wurde bei einem 


Versuch IV 


ein Eigelb in zwei Teile zerlegt und der eine mit Alkohol, der 
andere mit Äther extrahiert. 
Mit Äther behandelt wurden: 5,84 g Eidotter. Von dem 
300 ccm betragenden Auszug wurden 50 g zur Phosphor- 
Bestimmung angewandt. 
Gefunden: 0,0098 g MgsPsO:, entsprechend 7,114 °/, Lecithin. 
Mit Alkohol extrahiert wurden 7,9552 g. Von 250 ccm 
Alkohol-Extrakt wurden zur Analyse 25 ccm genommen. 
Gefunden: 0,0110 g Mg:P:0:, entsprechend 9,769 °/, Lecithin. 
Auch in diesem Falle erhält man bei der Ätherextraktion 
eine geringere Menge Lecithin wie bei der mit Alkohol. 


Versuch V. 


Zum Vergleiche wurden mehrere Teile ein und desselben 
Eidotters mit Alkohol extrahiert, um zu untersuchen, wie die 
Bestimmungen untereinander übereinstimmen würden. 

Der eine Teil des Eigelb, 5,1000 g, wurde mit 230 ccm 
Alkohol extrahiert. Davon zur Bestimmung 50 ccm. 

Gefunden: 0,0154 g Mg:P:0:, entsprechend 9,814 °/, Lecithin. 


250 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 


Der andere Teil, 4,4176 g Eidotter, wurde mit 225 ccm 
Alkohol extrahiert. 
Hiervon wurden zur Untersuchung ebenfalls 50 ccm 
verwandt. 
Gefunden: 0,0134 g Mg:P20;, entsprechend 9,644 °/, Lecithin. 
Die Übereinstimmung ist demnach eine zufriedenstellende. 
Der Unterschied in den Resultaten der Untersuchungen ist 
also mit ziemlicher Sicherheit darauf zurückzuführen, daß mit 
Äther nur eine teilweise Extraktion des im Eigelb enthaltenen 
Lecithins gelingt. Vermutlich handelt es sich dabei um das 
im Dotter frei vorhandene Lecithin, während das an Vitellin 
gebundene nur bei der Behandlung mit Alkohol in Lösung geht. 


Versuch VI. 


Im nächsten Versuche wurde nun, um dies zu konstatieren, 
ein Teil eines Eidotters mit Alkohol, ein anderer mit Äther 
extrahiert. 

Der von der Behandlung mit Äther restierende Rückstand 
wurde noch mit Alkohol behandelt, um das in Äther nicht, 
wohl aber in Alkohol lösliche, vermutlich in gebundener Form 
vorhandene Lecithin in Lösung zu bringen. 

Es wurde außerdem eine N-Bestimmung nach Kjeldahl 
und eine Bestimmung des Wassergehalts in dem zu analysieren- 
den Eidotter vorgenommen. 

Die Teilung des Eigelbs surde in der Weise ausgeführt, 
daß das gesamte Dotter in ein Wägeglas gegeben, für jede Be- 
stimmung eine Portion desselben herausgegossen, und die Differenz 
gewogen wurde. 

Das Gewicht des ganzen Eigelbs betrug 18,0986 g. 

a) Die HO -Bestimmung ergab einen Wassergehalt 

von 55,1 o. 

b) Die N-Bestimmung ergab 2,1 °/o N (bezogen auf feuchtes 
Eigelb). 

c) Extrahiert wurden 2,8854 g Eidotter mit 125 ccm 
Alkohol. Davon dienten 50 ccm zur Bestimmung. 
Gef. 0,0150 g MgsP»0;, entsprechend 9,183 °/, Lecithin. 

d) Extrahiert wurden 5,0270 g Eigelb mit 300 ccm 
Äther. Davon wurden zur Analyse 50 ccm verwendet. 
Gef. 0,0088 g Mg:P:07, entsprechend 7,43 °/, Lecithin. 


A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 251 


e) Der Rückstand der 5,0270 g ausgeätherten Eigelbs 
wurde mit Alkohol extrahiert. 

Der gesamte Alkoholauszug wurde zur Bestimmung ver- 
wandt und enthielt 

0,0167 g Mg:P:0-, entsprechend 2,347 °/, Lecithin. 

Die im Ätherauszug und Alkoholauszug zusammen ge- 
fundene Menge Lecithin (9,77 °/,) überschreitet die bei c 
gefundene merkwürdigerweise etwas. 


Versuch VII. 


Bei einem weiteren Versuche wurde in der Weise verfahren, 
daß zwei Portionen desselben Eidotters zunächst mit Äther, 
darauf der Rückstand der Ätherextraktionen mit Alkohol aus- 
gezogen wurden. Auch hier wurde eine Stickstoff- und Wasser- 
bestimmung vorgenommen. Gewicht des Gesamteigelbs 15,0056g. 

a) N-Bestimmung: 2,344 °/o. 

b) H3O-Bestimmung: 58,37 o. 

c) 4,1876 g Eigelb mit 300 ccm Äther 

extrahiert; davon zur Bestimmung 
100 ccm. 
Gef. 0,0162 g MgeP;0;, entsprechend 8,473 °/, Lecithin. 

d) Der Rückstand hiervon mit 130 ccm 

Alkohol extrahiert; davon 50 ccm zur 
Analyse. 
Gef. 0,0034 g MgsPs0-, entsprechend 1,4915 °/, Lecithin. 
In Summa 9,9645 °/, Lecithin. 
e) 3,7938 g Eigelb mit 300 ccm Äther 
extrahiert; davon 100 ccm zur 
Analyse. 
Gef. 0,0153 g Mg:P:07, entsprechend 8,548 °/, Lecithin. 

f) Der Rückstand davon mit 100 ccm 

Alkohol extrahiert; davon zur Be- 

stimmung 50 ccm. 

Gef. 0,0036 g MgePs0;, entsprechend 1,3405 °/, Lecithin. 
In Summa 9,8885 °/, Lecithin. 

Die gute Übereinstimmung der einzelnen Versuche unter- 
einander scheint die Annahme zu bestätigen, daß das bei der 
Extraktion mit Äther nicht in Lösung Gegangene an Vitellin 
gebundenes Lecithin sei. 





252 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 


Eine Reihe von Bestimmungen, die vorgenommen wurden, 
um zu konstatieren, in welchen Mengen Lecithin an Vitellin 
gebunden vorkommt, sollen demnächst zum Abschluß gelangen. 

Hier sollen nur noch zwei Bestimmungen angeführt werden, 
bei denen etwas größere Mengen Eigelb in der anfangs an- 
gegebenen Weise mit Alkohol extrahiert und in dem Auszug 
P-Ermittelungen vorgenommen wurden. 


Versuch VIII. 


Bei der einen Bestimmung wurden von einem Eigelb 
16,646 g mit 500 ccm Alkohol extrahiert, davon zur Analyse 
250 ccm verbraucht. Es wurden gefunden: 0,1043 g Mg:P:0;, 
entsprechend 8,856 °/, Lecithin. Die Stickstoff- Analyse hatte 
2,6 °/o N, die HsO-Bestimmung einen Wassergehalt von 53,5 °/o 
ergeben. 

Versuch IX. 

Bei der anderen Bestimmung wurden 11,4388 g Eigelb mit 

350 ccm Alkohol extrahiert und davon 150 ccm verwandt. 
Gefunden: 0,0688 g Mg:P:0; = 9,916 o/o Lecithin. 

Die N-Bestimmung ergab: 2,50 °/, Stickstoff, die HzO-Be- 
stimmung: 53,49 °/, Wasser. 

Vergleicht man die Mengen Lecithin, die bei der Be- 
handlung des Eigelbs mit Alkohol erhalten worden sind: 


I. 8,896 °/o, VI 9,18%, 
II. 9,10%, VII. 9,96 %/% und 9,888 /o, 
IV. 9,76 %,, VIII. 8,856 %o, 

V. 9,81%, und 9,64 %,, IX. 9,916 o, 


so kann man sagen, daß die gefundenen Unterschiede nicht 
größer sind, als bei der individuellen Verschiedenheit einzelner 
Eier zu erwarten steht. Ä 
Der Durchschnittswert, der aus diesen Untersuchungen ge- 
wonnen wird, würde einen Gehalt von 9,41 °/, Lecithin im 
feuchten Hühnereigelb ergeben, wovon sich der in den Verein- 
barungen angegebene Wert von 10,7 o nicht allzuweit entfernt. 





Über einen neuen Apparat zur Extraktion wässeriger 
Flüssigkeiten mittels Äther, Ligroin usw. sowie anderer 
Lösungen mittels nicht damit mischbarer, spezifisch 
leichterer Solventien. 


Von 
C. Zelmanowitz. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 30. Juni 1906.) 


Im Laboratorium macht sich oftmals der Übelstand be- 
merkbar, daß zur Erschöpfung größerer Mengen wässeriger 
Flüssigkeiten kein geeigneter Extraktionsapparat vorhanden ist. 

Der Grund hierfür liegt wohl darin, daß die in den wissen- 
schaftlichen Laboratorien gebräuchlichen Extraktionsapparate 
zumeist nur auf kleine Flüssigkeitsmengen berechnet sind. 
Die für größere Quanten in Betracht kommenden Apparate 
sind meist sehr unvollkommen und obendrein recht teuer. 
Aus diesem Grunde nun habe ich einen neuen Apparat kon- 
struiert, der gegenüber anderen Extraktionsapparaten die Vorteile 
besitzt, daß er nicht nur unabhängig von den Konzentrations- 
verhältnissen der Flüssigkeiten schnell und gründlich extrahiert, 
sondern auch für jede beliebige Flüssigkeitsmenge angefertigt 
werden kann. Die Herstellung der zur Aufnahme der extra- 
hierenden Flüssigkeit bestimmten Flasche in allen Größen ver- 
ursacht keine nennenswerten Schwierigkeiten, und die ganze 
Vorrichtung stellt sich im Vergleich mit anderen Extraktions- 
apparaten bedeutend billiger. 


254 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 


Der Ätherextraktionsapparat besteht, wie ihn die Zeichnung 
wiedergibt, aus einer mit mehreren Tuben versehenen Glas- 
flasche @, welche zur Aufnahme der zu extrahierenden Flüssig- 
keit bestimmt ist; sie wird mittels eines eisernen Ringes H, 
der an einem Stativ befestigt ist, gehalten. Die auf den oberen 
Teil der Flasche angebrachten 4 Tuben dienen zur Aufnahme 
von 4 Glasröhren, durch welche der kondensierte Äther aus 










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dem 4-teiligen Aufsatzstück (‚Verteiler‘) V in die wässerige 
Flüssigkeit F geleitet wird. Das Aufsatzstück trägt an einer 
Seite ein im rechten Winkel gebogenes Rohr a; es ist einerseits 
zur Aufnahme des aus dem Ätherdampfleitungsrohr ae steigenden 
Ätherdampfes und Weiterführung desselben bis in den Kühler K 
bestimmt, andrerseits wie bereits bemerkt, zur Ableitung des 
kondensierten Äthers in die 4 Röhren und durch sie in die 
zu extrahierende Flüssigkeit F. In etwa ?/; der Höhe ist an der 
Flasche @ ein weiterer Tubus T angebracht, durch welchen ein 


C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 255 


Glasrohr £ bis in den zur Erzeugung des Ätherdampfes und 
Aufnahme der schon extrahierten Substanz bestimmten Kolben D 
hineinragt. Durch dieses Rohr fließt der mit der Flüssigkeit 
bereits in Berührung gekommene extrakthaltige Äther in den 
Kolben D ab. Am Boden der Flasche sitzt noch ein Tubus E, 
durch dessen mit Quetsch- oder Glashahn versehenen Stopfen 
die bereits mit Äther erschöpfte Lösung abgelassen werden kann. 
Dieser Tubus Æ bietet besondere Vorteile, einerseits beim 
Reinigen des Gefäßes, andrerseits bei Bildung einer starken 
Emulsion. Für den ersten Zweck ist man nicht darauf an- 
gewiesen, den ganzen Apparat auseinander zu nehmen, sondern 
verfährt folgendermaßen. Nach dem Ablassen der ausgeätherten 
Flüssigkeit schließe man bei Æ, entferne den in der kleinen 
Öffnung L am oberen Teil des tubulierten Gefäßes befindlichen 
Korken und gieße durch diese Öffnung mittels eines kleinen 
Trichters Wasser hinein. Dasselbe fließt aus dem seitlichen 
Rohr wieder ab. Auf diese Weise wird die Flasche für eine 
neue Extraktion gebrauchsfähig gemacht. Man kann auch 
einen an die Wasserleitung angeschlossenen kleinen Schlauch 
in die Öffnung einführen und so die Flasche reinigen. Der 
andere Vorteil, der durch den am Boden des Gefäßes an- 
gebrachten Tubus geboten wird, ist folgender: Es ist eine 
nur zu bekannte Tatsache, daß stark eingeengte Flüssigkeiten, 
z. B. besonders Harn usw., sehr zur Bildung von Emulsionen 
neigen. In diesem Falle ist es zweckmäßig, in folgender 
Weise zu verfahren. Man lasse die zu extrahierende wässerige 
Flüssigkeit F bis zu der unteren Emulsionsschicht durch 
den Tubus ablaufen. Dann stelle man den im Gefäß G 
angebrachten Schlangen- oder Wittschen Rührer & so ein, 
daß eine Windung resp. die Löcher desselben knapp die obere 
Fläche der Emulsionsschicht berühren und lasse ihn nun 
ziemlich stark arbeiten. Nach kurzer Zeit schon wird man 
beobachten können, daß die Emulsion mehr und mehr ver- 
schwindet. Nun gieße man durch L mit dem kleinen Trichter 
die kurz vorher abgelassene Flüssigkeit wieder in die Flasche 
zurück und fahre mit der Extraktion fort. Sollte nach ein- 
maligem Ablassen der wässerigen Flüssigkeit und Auffüllen 
derselben nach kurzer Zeit die Emulsion sich wieder zeigen, 
so verfahre man in derselben Weise noch einmal, achte aber 


256 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 


bei Einstellen des Rührers darauf, daß dieser zuerst nicht die 
unteren Schichten der Flüssigkeit, sondern mehr die oberen 
berührt. Auf keinen Fall ist es notwendig, neuen Äther zu 
verwenden. 

Der schon erwähnte Rührer R, der von der Wasser- 
turbine W angetrieben wird, dient noch einem weiteren Zwecke, 
einer Beschleunigung der Extraktion. Mittels dieser Rühr- 
vorrichtung wird nämlich die wässerige Flüssigkeit in stän- 
diger Bewegung gehalten, wodurch der durch die 4 Röhren 
gedrückte Äther immer wieder mit neuen Flüssigkeitsteilchen 
in Berührung gebracht wird. Auf diese Weise geht im Gegen- 
satz zu anderen Apparaten, bei denen die zu extrahierende 
Flüssigkeit ruhig lagert, die Erschöpfung gründlicher und 
schneller vonstatten. Aber noch ein anderer Faktor bedingt 
die gründliche und schnelle Extraktion. Die Ätherteilchen, 
welche durch die 4 Glasröhren in die Flüssigkeit geleitet 
werden, steigen nicht wie bei anderen Apparaten gleich wieder 
in die Höhe, sondern werden infolge der drehenden Bewegung 
der wässerigen Flüssigkeit zu äußerst feinen Teilchen zerstäubt, 
die dann mehrmals die Bewegungen der Flüssigkeit mit- 
machen, ehe sie sich mit dem überstehenden Äther $ mischen. 
Dieser Äther fließt dann (über T durch £) stark gesättigt in 
das zur Aufnahme bezw. Entwicklung der Ätherdämpfe dienende 
Kölbchen D. Zur Erzeugung des Ätherdampfes kann man 
zweckmäßig einen elektrischen Heizkörper (B) verwenden, der 
eine Feuersgefahr durch eventuelles Entweichen von Äther- 
dämpfen vollständig ausschließt. Da im ganzen Gefäß @ kein 
Druck und kein dampfförmiger Äther vorhanden ist, be- 
sonders da die Ätherschicht $ völlig kalt ist, hält die Dichtung 
durch den eingesetzten Rührer R so vollkommen, daß keine 
nachweisbaren Mengen Äther entweichen. Deshalb kann unbe- 
denklich auch jede andere Heizquelle (Dampf- oder Wasserbad) 
verwendet werden. 

Das zum Antrieb der Turbine verwendete Wasser läßt man 
(s. Abbildung) der Ersparnis halber gleich durch den Kühler 
gehen !). Der Gang der Extraktion sowie die Handhabung des 


1) Später hat es sich bewährt, die umgekehrte Anordnung zu wählen, 
d. h. das Wasser erst durch den Kühler und von dort durch die Turbine 
laufen zu lassen. 


C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 257 


Apparates ist äußerst einfach. Zuerst gießt man in das Gefäß G 
durch die kleine Öffnung L die zu extrahierende Flüssigkeit F 
und schichtet über sie Äther (S) bis nicht ganz zur Höhe von F; 
dann wird L durch einen Kork geschlossen. Nun wird das 
Kölbchen D, das mit der großen Flasche F durch £ in 
Verbindung steht, erhitzt, die dadurch erzeugten Ätherdämpfe 
steigen in das Ätherdampfleitungsrohr Ae hinauf in den 
Kühler X, werden hier kondensiert und fallen in flüssiger 
Form in den Verteiler V. Von hier aus wird der Äther durch 
die 4 Röhren, die am unteren Ende zu einer kleinen mit 
mehreren Löchern versehenen Kugel auslaufen, in die wässerige 
Flüssigkeit F geleitet, nimmt hier die zu extrahierende Substanz 
auf und mischt sich mit der über der Flüssigkeit stehenden 
Ätherschicht S, welche durch den fortwährend nachströmenden 
Äther vermehrt wird und den seitlichen Tubus 7 als Überlauf 
benutzend durch ¢ ins Kölbchen D fließen muß. Auf diese 
Weise arbeitet die Vorrichtung völlig selbsttätig. Wie aus den 
nachstehenden Daten ersichtlich ist, sind die mit dem Apparat 
erzielten Daten sowohl hinsichtlich der Ausbeute wie der Zeit 
recht zufriedenstellend. 

a) Es wurden aus 100 ccm einer 6°/„igen Hippursäure- 
lösung — sie war in der Kälte so konzentriert, daß Substanz 
ausfiel — in 3 Stunden 2,3 g, in weiteren 3 Stunden 1,95 g 
und in den folgenden 4 Stunden 1,72 g Substanz extrahiert. 
Die Extraktion dauerte 10 Stunden. Angewandt wurden 6 g, 
wiedergewonnen 5,97 g. 

b) Ein weiterer Versuch, in dem 10,0 g Oxalsäure in 
1 1 destillierten Wassers gelöst wurden, ergab folgende Werte. 
Nach 10stündiger Extraktion 5,54 g, nach weiteren 10 Stunden 
3,4 g. Die Extraktion wurde zufällig nicht zu Ende geführt. 

c) 0,5 g Hippursäure wurden in 250 ccm Harn gelöst, 
mit etwas verdünnter Schwefelsäure angesäuert und ca. 6 Stunden 
extrahiert. Die Ausbeute war eine absolut quantitative. 

d) Um nun feststellen zu können, ob der Apparat auch eine 
vollständige Ausbeute bei sehr verdünnten Lösungen ergibt, 
wurde eine Lösung von 0,5 g Hippursäure in ca. 1,2 1 
destillierten Wassers extrahiert. Nach einer ca. 8stündigen 
Erschöpfung konnte auch hier das volle Gewicht der hinein- 


getanen Substanz zurückerhalten werden. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 17 


258 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 


So wurden noch verschiedene weitere Versuche angestellt, 
die ein ähnliches günstiges Resultat aufwiesen. 

Es braucht kaum besonders betont zu werden, daß dieser 
neue Extraktionsapparat!) in jeder beliebigen Größe konstruiert 
werden kann. Vorläufig bringt die Firma Albert Dettloff, 
Berlin NW. 6, Luisenstr. 59, auf meine Veranlassung 3 ver- 
schiedene Größen in den Handel, von je 250, 500 ccm u. 1 Ltr. 
Kapazität des tubulierten Gefäßes G. 

Da Glasschliffe durchgehends grundsätzlich vermieden sind, 
ist der Ersatz ev. beschädigter Teile sehr billig und der Preis 
der Apparate niedrig, insofern, als Turbine, Stativ und Heiz- 
vorrichtung vielfach in den Laboratorien vorhanden sind. 

Der Wert des Apparates liegt auch darin, daß er nicht 
allein zur Extraktion wässeriger Flüssigkeiten mittels Äther 
dienen kann, sondern ganz allgemein zur Erschöpfung beliebiger 
Lösungen mittels einer nicht damit mischbaren spezifisch 
leichteren Flüssigkeit brauchbar ist. 


1) D. R.P. a. 


Eine Methode zur Bestimmung des osmotischen Druckes 
sehr geringer Flüssigkeitsmengen '). 


Von 
H. J. Hamburger in Groningen. 


(Aus dem physiologischen Institut der Universität.) 
(Eingegangen am 5. Juli 1906.) 


I. Einleitung. 

Nicht selten kommt es vor, daß man von normalen oder 
pathologischen Körperflüssigkeiten, von denen man nicht mehr 
als 1/2 oder !/4 ccm zur Verfügung hat, den osmotischen Druck 
zu ermitteln wünscht. 

Vor solch einen Fall sah ich mich vor einiger Zeit gestellt, 
als mir von ophtalmologischer Seite die Frage vorgelegt wurde, 
wie groß die Konzentration von Flüssigkeiten, speziell von Bor- 
säure, sein müsse, die man für die Behandlung des Auges an- 
wenden soll. Es schien mir rationell — und die Unter- 
suchungen von Massart rechtfertigten diese Meinung?) — für 
Substanzen, für die das Epithelium nicht oder kaum permeabel 
ist, eine solche Konzentration zu wählen, daß sie denselben 
osmotischen Druck besitzen wie das natürliche Medium von 
Cornea und Conjunctiva, nämlich wie die Tränenflüssigkeit. 

Bis jetzt aber wurde der osmotische Druck von Tränen- 
flüssigkeit, jedenfalls auf direktem Wege, nicht ermittelt, höchst- 
wahrscheinlich wegen der Schwierigkeit, eine Quantität dieser 
Flüssigkeit zu bekommen, groß genug für die Anwendung der 


1) Von diesen Untersuchungen erschien eine vorläufige Mitteilung 
in den Sitzungsberichten d. Königl. Akad. d. Wissensch. zu Amsterdam, 
28. Oktober 1905. 

?) Massart, Archives de Biologie, 9, 335. 1889, 

17* 


260 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


gebräuchlichen Verfahren, nämlich der Blutkörperchen-!) und 
der Gefrierpunktmethode?). Dies veranlaßte mich einen Modus 
operandi zu suchen, bei welcher 1/2 ccm, nötigenfalls 1/4 ccm 
Flüssigkeit genügen würde. Es ist mir nun in der Tat gelungen, 
eine derartige Methode ausfindig zu machen. 


II. Prinzip der Methode. 


Die Methode beruht auf dem bereits früher von mir und 
anderen ausgesprochenen Prinzip, daß das Volum der Blut- 
körperchen in hohem Maße vom osmotischen Druck 
der Lösung abhängig ist, in der sie sich befinden‘). 

Dieses Prinzip ist hier in folgender Weise in Anwendung 
gebracht worden. 

In ein trichterförmiges Glasröhrchen, dessen zylindrischer 
Teil aus einem kalibrierten, unten zugeschmolzenen Kapillarrohr 
gebildet wird‘), bringt man die zu untersuchende Flüssigkeit. 
Es sei die Menge !/s ccm. In andere trichterförmige Röhrchen 
von gleicher Form und Größe bringt man je !/2 ccm NaCl-Lösung 
von verschiedenen Konzentrationen (0,8 °/o, 0,9 Yo, 1%0, 1,1%, 
1,2 %/, 1,3 %0, 1,4 Yo, 1,5 %/0, 1,6 °/6) und beschickt alle Röhr- 
chen mit 0,02 bis 0,04 ccm Blut (vergl. unten S. 265). Dann 
werden Flüssigkeit und Blut tüchtig vermischt und eine halbe 
Stunde sich selbst überlassen, damit die Blutkörperchen genügend 
Gelegenheit haben, sich mit ihrer Umgebung in osmotisches 
Gleichgewicht zu setzen. Darauf werden die Röhrchen zentri- 
fugiert, und zwar so lange, bis die Bodensätze ihr Volumen 
nicht mehr ändern. 

Es liegt auf der Hand, daß der osmotische 
Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit dem jener 
NaCl-Lösung entsprechen wird, in der das Blut- 
körperchensediment das gleiche Volumen besitzt, wie 
in der zu untersuchenden Flüssigkeit. — So fanden wir 
z.B. in einem Fall, daß das Blutkörperchenvolumen in der 
Tränenflüssigkeit 71 betrug, und daß die NaCl-Lösung, in der das 
Blutkörperchensediment gleichfalls ein Volumen von 71 Skalen- 


1) Hamburger, Osmotischer Druck u. lonenlehre 1, 440. 

#) Dreser, Archiv f. experim. Path. u. Pharmakol. 29, 305. 1892. 
*» Hamburger, Centralbl. f. Physiol. 17. Juni 1893. 

“%) Hamburger, Journal de Physiol. norm. et pathol. 1900, p. 889. 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 261 


teilen besaß, eine 1,4 °/,ige war. Also war die Tränenflüssigkeit 
mit dieser NaCl-Lösung isotonisch. 


II. Ausführung der Methode. 


a. Das anzuwendende Blut und die Weise, es abzumessen 
und zu vermischen. 

Es liegt auf der Hand, daß man für die Versuche eine 
Blutart wählen muß, von der die Blutkörperchen seitens der zu 
untersuchenden Flüssigkeit keine Zerstörung erfahren. So werden 
z. B. Kaninchenblutkörperchen von Serum des Menschen hämo- 
lysiert. Handelt es sich also um die Bestimmung des osmoti- 
schen Druckes von Menschenblutserum, so darf man kein 
Kaninchenblut benutzen. Von menschlicher Tränenflüssigkeit 
aber wurden die Kaninchenblutkörperchen nicht angegriffen. Im 
allgemeinen empfiehlt es sich, das Blut derjenigen Tierspezies 
zu nehmen, von der die zu untersuchende Flüssigkeit stammt. 

Es ist notwendig,’ das Blut vor dem Gebrauch zu defibri- 
nieren. Dieses erfolgt sehr leicht, indem man in ein kleines dick- 
wandiges Röhrchen (ein Röhrchen von 2,5 cm Länge und ’/4 cm 
Durchmesser genügt hier), das mit 3 bis 4 Glasstückchen (Scherben) 
beschickt ist, Blut tröpfeln läßt und dasselbe nach Korkverschluß 
schüttelt; '/, Stunde genügt. Dann wird das Blut filtriert, nicht 
durch Gaze, weil dieses kleine Fibrinpfröpfchen durchläßt, son- 
dern durch Filtrierpapier. 

Die genaue Abmessung von 0,02 ccm Blut erfordert be- 
sondere Vorsicht. 

Die von mir benutzte Pipette besteht aus einem Kapillar- 
rohr von !/; mm lichte Weite; die Länge beträgt 212 mm. Am 
Ende ist sie zu einer Spitze ausgezogen. Auf einer 
Distanz von 143 mm vom ausgezogenen Ende trägt sie einen 
Teilstrich, der 0,02 ccm angibt. 

Behufs der Abmessung des Blutes wird die Pipette von 
einem schlaffen etwa 20 cm langen Gummischlauch versehen, 
der am Ende ein Glasröhrchen trägt. Letzteres hält man im 
Munde, um das Blut aufzusaugen und nachher wieder durch 
Ausblasen zu entfernen. 

Man saugt das Blut etwas über den Teilstrich hinauf und 
drückt das Gummirohr mit dem Finger zu, am besten in der 
Nähe der Meßpipette. Indem man letztere aus dem Gefäß ent- 


262 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


fernt, hält man, um das Ausfließen von Blut aus der Pipette 
zu verhindern, dieselbe möglichst schnell horizontal und 
trocknet die Spitze mit einem Tuche (nicht mit Filtrierpapier) 
ab. Wenn nun das Niveau der Blutsäule noch über dem Teil- 
strich steht, d. h. wenn noch zu viel Blut in der Pipette 
sich befindet, so muß das Übermaß entfernt werden. Man 
erzielt das, indem man, die Pipette immer horizontal haltend, 
die Spitze entweder ein oder mehrere Male gegen den trockenen 
Finger oder gegen ein Tuch (nicht gegen Filtrierpapier) tupft. 
Es empfiehlt sich, den Stand der Blutsäule in der horizontal 
gehaltenen Pipette so zu beurteilen, daß man ein Stück auf 
dem Tisch liegendes Filtrierpapier als Hinterlage wählt. 

Wenn man in der hier beschriebenen Weise verfährt, so 
geht die genaue Abmessung rasch vor sich. Versäumt man eine 
der genannten Vorsichtsmaßregeln, so wird die Manipulation 
langwierig und unsicher. 

Dieser Umstand möge die detaillierte Beschreibung für die 
Ausführung einer so einfachen Aufgabe rechtfertigen. 


Auch das Überbringen des Blutes in die trichterförmigen 
Röhrchen erfordert besondere Vorsicht. Wenn man die Ausfluß- 
öffnung der Pipette oberhalb der Flüssigkeit des trichterförmigen 
Röhrchens hält und dann das Blut ausbläst, so wird immer 
noch etwas Blut in der Ausflußöffnung und um sie zurückbleiben. 
Deshalb tauche ich die Spitze in die Flüssigkeit und sauge 
letztere bis zum Teilstriche 0,02 ein, blase aus, sauge wieder 
ein und wiederhole das noch ein paarmal. Auf diese Weise 
wird alles Blut aus der Pipette entfernt. Freilich bleibt dann 
an der Wand noch ein wenig von dem Gemisch von Blut und 
Flüssigkeit haften, aber dieses Quantum darf man vernach- 
lässigen. Dieses Verfahren hat noch den großen Vorteil, daß 
bei der jetzt folgenden erneuten Abmessung von 0,02 ccm Blut 
die Kapillarwand der Pipette nicht mehr mit reinem Blute be- 
deckt ist. Lehrt ja die Erfahrung, daß, wenn man mittels einer 
engen Pipette zwei oder drei Male Blut abgemessen hat, es stets 
schwieriger wird, dasselbe aufzusaugen, insbesondere es auszu- 
blasen. Vielleicht rührt das daher, daß an der Innenwand etwas 
Blut antrocknet und die Reibung sehr groß macht. Eine Be- 
feuchtung mit Salzlösung hebt die Beschwerde vollständig auf. 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 263 


Um die Bedingungen, unter welchen die Abmessungen statt- 
finden, für alle Röhrchen gleich zu gestalten, ist es notwendig, 
vor der ersten Abmessung von 0,02 ccm Blut die Pipette 
mit einer NaCl-Lösung (0,9°/, oder 1°/,) zu benetzen. 

Es sei noch darauf hingewiesen, daß es sich empfiehlt, 
vor jeder Abmessung von 0,02 ccm Blut das dieses Blut ent- 
haltende Gefäß zu bewegen, Sonst senken sich die Erythrocyten 
und man mißt jedesmal ungleiche Quantitäten Blutkörperchen 
ab. Schaumbildung ist aus demselben Grunde bei dieser Be- 
wegung zu vermeiden. 

Schließlich habe ich noch folgendes hervor- 
zuheben: um eine vollständige Vermischung des 
Blutes mit der Salzlösung im Röhrchen zu er- 
zielen, derart daß alle Blutkörperchen überall von 
einer vollkommen homogenen Flüssigkeit umgeben 
werden, genügt es meiner Erfahrung nach nicht, 
die Suspension mittels eines Stäbchens kurze Zeit 
umzurühren. Es empfiehlt sich, das Trichter- 
röhrchen entweder unter Verschluß mittels des 
reinen trockenen Daumens, oder unter Ebonit- 
verschluß (siehe unten S. 264) einigemale hin und 
wieder zu bewegen. 


b. Die Trichterröhrchen und die 
Reinigung derselben. 


Die Röhrchen sind bereits vielfach angewandt 
worden '). 

Ein Trichter, dessen Inhalt etwa 2'/; ccm 
beträgt, endigt in einem unten zugeschmolzenen 
Kapillarrohr. Dasselbe ist in 100 Teile genau 
kalibriert. Der kalibrierte Teil hat bei einer Länge 
von 57 mm einen Inhalt von 0,01 ccm‘). Also entspricht der 
Raum zwischen 2 Teilstrichen einem Volumen von 0,0001 ccm. 
Die Anfertigung der Röhrchen erfordert große Sorgfalt. Zunächst 
muß der trichterförmige Teil allmählich in den kapillaren Teil 
übergehen. Ist das nicht der Fall, so bleiben die Blutkörperchen 





1) Vergl. u. a Hamburger, Journal de Physiol. norm. et pathol. 
1900, p. 889; Hamburger, Osmotischer Druck und lonenlehre. 1, 379. 
2) Vergl. S. 265. 


264 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


oft an dieser Stelle stecken. Weiter muß dafür gesorgt werden, 
daß nicht das Glas nach einiger Zeit zerspringt. Früher 
ereignete es sich oft, daß ohne nachweisbare Ursache der untere 
Teil der Kapillare an der Abschmelzungsstelle zersprang. 

Drittens kommt vieles auf eine sehr genaue Kalibrierung 
an, die hier durch Abmessung mit Quecksilber erzielt wird '). 
Um eine vollständige Vermischung von Blutkörperchen und 
Flüssigkeit zu ermöglichen, und weiter um Verdampfung von 
Wasser beim Zentrifugieren vorzubeugen, werden die Trichter- 
röhrchen mittels Ebonitkäppchens verschlossen. Dieselben sind 
derart konstruiert, daß sie genau in den Trichter passen, was 
dadurch erreicht wird, daß ein Kautschukring um den unteren 
Teil gelegt wird. Der obere Teil des Käppchens ragt zur Seite 
nicht über das Glas hinaus, damit das gleichzeitige Zentrifugieren 
von drei Röhrchen in einer Einsatzhülse möglich bleibt. 

Man wird begreifen, daß für eine ungestörte Sedimentierung 
die Reinheit des Kapillarrohres eine erste Bedingung ist. 

Sie wird in folgender Weise erzielt: 

Nachdem ein Versuch beendigt ist, wird mittels eines feinen 
Platindrahtes das Sediment wieder mit der im Trichter sich 
befindenden Flüssigkeit vermischt und der Inhalt des Trichters 
herausgeworfen. Was im Kapillarteil zurückbleibt, wird mittels 
eines fein ausgezogenen Glasrohres, das jeder sich durch Aus- 
ziehen eines Stückes Glasrohr in einer Bunsenschen Flamme 
sehr leicht herstellen kann, entfernt. 

Dann wird der Kapillarteil mittels des soeben gebrauchten 
Kapillarröhrchens mit einer 0,9°/,igen Kochsalzlösung angefüllt. 
Man benutzt hierzu kein Wasser, weil dadurch Blutkörperchen 
sich lösen und die Hämoglobinlösung weniger leicht von der 
Innenwand entfernt wird. | 

Auch die nunmehr Blutkörperchen enthaltende NaCl-Lösung 
wird entfernt. Wieder wird mit Kochsalzlösung ausgewaschen, 
bis man sicher sein darf, daß alle Blutkörperchen ausgespült sind. 

Weiter werden die Röhrchen mit destilliertem Wasser aus- 
gespült. Diese Ausspülung erfolgt wieder derart, daß man 





1) Die Firma Franz Hugershoff, Leipzig, Carolinenstraße 13, liefert 
die Trichterröhrchen sowie auch die Pipetten zu meiner großen Zu- 
friedenheit. 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 265 


das Wasser mittels feiner Glaspipette in die Kapillare des Trichter- 
röhrchens bringt und aus demselben entfernt. 

Hat man die Trichterröhrchen ein paarmal für Versuche 
gebraucht, so empfiehlt es sich, nach der soeben genannten 
Ausspülung mit Wasser eine Behandlung mit doppelt chrom- 
sauren Kali und Schwefelsäure vorzunehmen, derselben Flüssig- 
keit die man auch für die bekannten Chromsäure- Elemente 
benutzt. Man füllt also die Röhrchen mit diesem Gemisch, 
läßt es einige Stunden in demselben verweilen und spült dann 
mit destilliertem Wasser aus. 

Endlich müssen die Röhrchen getrocknet werden. Das 
geschieht einfach dadurch, daß man die Trichterröhrchen, mit 
der offenen Seite nach unten gekehrt, in die Zentrifuge setzt. 
Das Wasser wird dann vollständig ausgeschleudert. Dieses Ver- 
fahren ist weit besser als Trocknung im Trockenschrank, weil es 
sich so leicht ereignen kann, daß das destillierte Wasser einige 
Verunreinigungen gelöst enthält, welche sich natürlich beim 
Eintrocknen auf der Kapillarwand absetzten. 

Die Reinigung von Röhrchen mit 0,01 ccm Kapillarinhalt 
erfordert viel Aufmerksamkeit und Geduld. Außerdem ist das 
Trocknen durch Ausschleudern des anhaftenden Wassers ohne 
sehr kräftige Zentrifuge nicht möglich. Viel bequemer 
wird das Arbeiten, wenn man statt Trichterröhrchen 
von 0,01 cem Kapillarinhalt solche von 0,02 ccm 
Kapillarinhalt nimmt. Da das Blut wohl niemals mehr 
als 50 Volumenprozent Blutkörperchen enthält, empfiehlt es 
sich, dann auch das doppelte Blutquantum zu benutzen von 
dem, was wir für die Röhrchen mit 0,01 ccm Kapillarinhalt 
vorschlugen, d. h. nicht 0,02 ccm, sondern 0,04 ccm. Je 
größer die Sedimentvolumina, desto geringer sind die Fehler. 
Dementsprechend habe ich auch Pipetten anfertigen lassen, 
welche zu den Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt gehören 
und 0,04 ccm Blut fassen. Sie haben dieselbe Länge, wie die 
für die Abmessung von 0,02 ccm Blut. 

Der Leser wird mir die Frage vorlegen, weshalb dann nicht 
immer Röhrchen mit 0,02 ccm Kapillarinhalt gebraucht werden? 
Darauf möchte ich antworten, daß, wenn man nur 0,25 ccm 
der zu untersuchenden Flüssigkeit zur Verfügung hat, so übt 
das Blutserum von 0,04 ccm Blut einen wohl etwas großen 


266 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


Einfluß auf den osmotischen Druck der zu untersuchenden 
Flüssigkeit aus. Hat man dagegen !/s ccm zur Verfügung, so 
wird der betreffende Einfluß viel geringer. Größtenteils jedoch 
wird diese Beeinträchtigung aufgehoben, wenn man dafür sorgt, 
auch genau dasselbe Volumen (0,25ccm) von den NaCl-Lösungen 
anzuwenden. Denjenigen also, die nicht zu viel Geduld und 
viel Sorgfalt erfordernder experimenteller Arbeit veranlagt sind, 
rate ich, Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt und eine 
entsprechende Pipette von 0,04 ccm Inhalt zu nehmen. 
Die Reinigung und ganze Behandlung erfolgt bei den letzteren 
freilich in derselben Weise wie bei den von 0,01 ccm Kapillar- 
inhalt, aber es geht alles viel bequemer und handlicher, wie 
bei einem so außerordentlich engen Lumen. Angesichts der 
Reinigung der 0,02 cem-Röhrchen möchte ich noch hinzufügen, 
daß man dieselbe hier noch durch Benutzung einer Feder 
befördern kann. Hierzu nimmt man eine feine Vogelfeder, 
entfernt die Federhaare an beiden Seiten, ausgenommen an der 
Spitze. Ist letztere benetzt, so kann man dieselbe in das Lumen 
hineindrehen. 


c. Die Zentrifuge. 


Die Zentrifuge soll eine recht kräftige sein. Da die 
Zentrifugalkraft der Größe des Radius und dem Quadrat 
der Umdrehungszahl proportional ist, kann man auf zwei 
Weisen zum Ziel gelangen, entweder indem man eine Zentrifuge 
mit großem Radius und kleiner Tourenzahl oder eine mit 
kleinerem Halbmesser und großer Umdrehungsgeschwindigkeit 
nimmt. Bei der gegenwärtig vielfachen Anwendung von Zentri- 
fugen sind bereits viele Modelle angegeben worden, die, inso- 
weit sie eine genügend große Zentrifugalkraft entwickeln, für 
den vorliegenden Zweck brauchbar sind. 

Es ist vielleicht nützlich, für diejenigen, die sich eine auch 
zu anderen Zwecken bestimmte Zentrifuge kaufen wollen, hier die 
Bemerkung hinzuzufügen, daß nur wenige der käuflichen Maschinen 
für größere Flüssigkeitsmengen brauchbar sind, nicht daß die Einsatzröhre 
eine zu geringe Kapazität hat, sondern daß die übliche Verkupplung der 
Maschine an die Triebkraftsachse zu wünschen übrig läßt. Die meisten 
Zentrifugen leiden nämlich an dem Übelstande, daß beim Absetzen der 
Triebkraft die Umdrehungsgeschwindigkeit eine plötzliche, schroffe Ver- 
ringerung erfährt, so daß die Maschine bald stillsteht, statt allmählich 
auszulaufen. Die flüssigkeithaltenden Röhren gehen dann aus dem horizon- 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 267 


talen rasch in den vertikalen Stand über und erleiden dadurch eine Er- 
schütterung, infolge deren das Sediment aufwirbelt und also der Zweck ver- 
fehlt wird. Sind die Sedimentiergläser lang, wie bei der oben beschriebenen 
Versuchsmethode, so tritt das Aufwirbeln nicht auf; bei weiten Sedi- 
mentergläsern aber macht sich dasselbe in sehr erheblichem Maße geltend. 
Das einzige Mittel, diesen Übelstand zu umgehen, besteht darin, daß eine 
Vorrichtung angebracht wird, welche die Verbindung der Zentrifuge mit 
dem Motor ganz aufzuheben ermöglicht und zwar in der Weise, daß die 
Maschine vollkommen frei auslaufen kann, d. h. ohne irgend welche 
fremde Scheibe mitnehmen zu müssen. Man könnte geneigt sein, zu meinen, 
daß, wenn die Triebkraft von einem Elektromotor stammt, ein allmähliches 
Auslaufen auch zu erzielen sei durch langsame Einschaltung von Widerstand 
in den elektrischen Strom. Das ist jedoch nicht der Fall; der Abfall der 
Stromstärke erfolgt auf diese Weise immer noch in Stößen. Auch ist 
es nicht empfehlenswert, den Riemen auf eine auf der Triebachse sich 
befindende Leerscheibe zu werfen, wenn nämlich diese Leerscheibe von der 
auslaufenden Zentrifuge noch mitgenommen werden soll. 

Die Leerscheibe oder auch eine Friktionsvorrichtung soll also an der 
Zentrifugenachse selbst angebracht sein. Ich wiederhole, daß man 
auf diesen Punkt zu achten hat, wenn man die Zentrifuge auch für die 
Sedimentation in weiten Röhren zu benutzen wünscht. 

Für unsere Methode haben diese Überlegungen keine 
prinzipielle Bedeutung, da, wenn die Blutkörperchen einmal in 
den Kapillarteil getrieben sind, von einem Aufwirbeln — selbst 
bei plötzlichem Stillstand der Zentrifuge — nicht die Rede ist. 

Die von mir für alle in dieser Arbeit als Belege mit- 
geteilten Versuche benutzte Zentrifuge hat eine Umdrehungs- 
geschwindigkeit von 1800 in der Minute, während die Distanz 
zwischen den Bodenflächen zweier in horizontaler Richtung ein- 
ander gegenüberliegender Metallgefäße (in denen die zu zentri- 
fugierenden Glasröhrchen sich befinden) 48 cm beträgt. Diese 
Maschine wird von einem Elektromotor von 2 PS. getrieben '). 

Bei Anwendung einer so bedeutenden Zentrifugalkraft kann 
man das zugeschmolzene Ende der Metallröhrchen nicht auf 
dem Metallboden der Metallröhre ruhen lassen. Der Druck 
zerbricht dann den Kapillarteil unmittelbar. Ich nehme zwei 
hohe Korken, in denen drei entsprechende Kanäle gebohrt sind, 
welche den Kapillarteilen von drei Trichterröhrchen in bequemer 
Weise den Durchgang gestatten. Die Höhe der Korken ist so 
gewählt, daß, wenn das Trichterrohr so weit wie möglich in den 


1) Die Zentrifuge stammt von der Firma Franz Hugershoff, Leipzig, 
und ist sehr solide; ich habe dieselbe bereits 4 Jahre fast täglich gebraucht. 


268 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüss&gkeitsmengen. 


oberen Kork gesteckt ist und mit dem breiter werdenden Teil 
auf dem Kork ruht, das zugeschmolzene Ende des Kapillarteiles 
noch wenigstens einen Zentimeter vom Boden des Metallgefäßes 
entfernt ist. Freilich nähert es sich dann beim Zentrifugieren 
dem Boden, aber erreicht denselben nicht. Das Trichterröhrchen 
wird von der Oberseite des oberen Korkes getragen. Die Metall- 
röhren meiner Zentrifuge haben einen Durchmesser von 44 Milli- 
metern. Wie gesagt, können in jedem Korkenpaar drei Trichter- 
röhrchen einen Platz finden, so daß gleichzeitig zwölf Trichter- 
röhrchen zentrifugiert werden können. 


Da die Zentrifugenwahl hier von hervorragender Bedeutung 
ist, möchte ich hier noch hinzufügen, daß ich in der letzten 
Zeit eine vom Mechaniker Fr. Runne in Heidelberg gebaute 
Zentrifuge in meinem Laboratorium versucht habe, welche vor 
den bis jetzt von mir angewandten viele Vorzüge hat und die, 
wenn sie sich bewährt — was ich zu glauben berechtigt bin — 
in hohem Maße empfehlenswert ist. Die Vorzüge sind: geringerer 
Zeitaufwand zur Erzielung der gleichen Aufgabe, bedeutende 
Raumersparnis, viel geringere Betriebskosten, bequemere Hand- 
habung und viel geringerer Preis. 


In der Hauptsache besteht die Zentrifuge aus einer kupfernen 
Schale, welche auf einem Elektromotor angebracht ist. Inner- 
halb der Schale befindet sich ein Gestell, das 4 Metallhülsen 
trägt. In diesen Metallhülsen können 4 Gefäße von je 80 ccm 
einen Platz finden. Zu unserem speziellen Zweck hat Herr 
Runne 4 Metallgestelle konstruiert, die je 3 Trichterröhrchen 
fassen können, so daß 12 solcher Röhrchen gleichzeitig zentri- 
fugiertt werden können. Der Motor bringt die Schale in Be- 
wegung und damit auch das vierarmige Kreuz, das an der 
Schale befestigt ist. Durch die Anordnung, daß sich die Schale 
dreht, ist der Reibungswiderstand, den die Maschine erfährt, 
äußerst gering. Sie braucht etwa 1 Minute, um frei auszulaufen. 
Bei sorgfältiger Fundamentierung läuft die Maschine äußerst ruhig 
und absolut geräuschlos. Es ist als ob sie stillsteht! Touren- 
zahl 3000 pro Minute. Die Distanz zwischen den Bodenflächen 
zweier in horizontaler Lage einander gegenüberstehender Metall- 
hülsen beträgt 26 cm. 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 269 


IV. Kritik der Methode. Kontrollversuche. 


Zunächst wäre vom theoretischen Standpunkte gegen die 
Methode einzuwenden, daß, wenn man 0,5 ccm der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit mit 0,02 ccm Blut versetzt und die 
Flüssigkeit einen andern osmotischen Druck besitzt, wie das 
Blutserum, diese Hinzufügung von Blutserum eine Änderung 
des osmotischen Druckes der zu untersuchenden Flüssigkeit 
herbeiführen wird. Man ermittelt mit anderen Worten eigentlich 
nicht den Einfluß der zu untersuchenden Flüssigkeit auf 
das Volumen der Blutkörperchen, sondern den eines Gemisches 
von dieser Flüssigkeit und des Blutserums. 

Wir wollen uns eine Vorstellung von der Größe des Fehlers 
machen. 

Wir nehmen an, daß im angewandten Blute 60 Volumen- 
prozent Serum vorhanden waren. Es enthielten dann 0,02 ccm 
Blut 0,012 ccm Serum. Betrug das Quantum der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit !/s ccm, so wird das Gesamtvolumen von 
Flüssigkeit und Serum 0,512 ccm betragen. Wir nehmen an, 
daß der osmotische Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit 
den einer 1,2 °/,-igen NaCl-Lösung besaß, und daß das Serum 
einer NaCl-Lösung von 0,9 °/, entspricht, so wird das Gemisch 
0,012 x 0,9 + 0,5 x 1,2 

0,012 + 0,5 

= 1,19 °% NaCl besitzen. Also hat durch Vermischung von 
1/3 ccm Flüssigkeit mit 0,02 ccm Blut der osmotische Druck 
um 0,01 °/% NaCl abgenommen, ein Wert, der mittels des 
Beckmannschen Apparates kaum mit Sicherheit nachgewiesen 
werden kann (die Depression einer 1 °/,-igen NaCl-Lösung be- 
trägt ungefähr — 0,59°, also ein Unterschied von 0,01 °/, NaCl- 
Lösung etwa — 0,0059 °). 

Wird statt 0,5 cem Flüssigkeit nun 0,25 ccm gebraucht, 
so lehrt die Berechnung, daß Hinzufügung von 0,02 ccm Blut 
den osmotischen Druck um den einer NaCl-Lösung von 0,014 °/, 
abgenommen hat, was mit einer Depression von — 0,0084 ° über- 
einstimmt. Einen derartigen Depressionsunterschied kann man 
gerade noch mittels des Beckmannschen Apparates entdecken. 

Nun haben wir hier den Fall vorausgesetzt, daß der 
osmotische Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit von dem 


einen osmotischen Druck von etwa 


270 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


des Blutserums ziemlich viel abweicht. Gewöhnlich aber ist die 
Abweichung kleiner, also auch der Fehler dementsprechend ge- 
ringer. Aber selbst wenn der Fehler statt kleiner noch 
größer wäre, so würde das kein Bedenken gegen die 
Methode bedeuten, weil ja auch die NaCl-Lösungen mit 
demselben Blutquantum vermischt werden. 

Diese Erwägung hat Veranlassung gegeben zu untersuchen, 
ob die Methode nicht dahin zu vervollständigen wäre, daß mit 
der bereite gebrauchten Flüssigkeitsmenge neue Versuche an- 
gestellt würden. Darüber wird unter V die Rede sein. 

Es erhebt sich noch ein zweiter theoretischer Einwand 
gegen die Methode. Man wird sich erinnern, in welcher Weise 
wir im Anfang das Prinzip ausgesprochen haben. Wir hoben 
hervor, daß es auf der Tatsache beruht, daß das Volumen 
der Blutkörperchen vom osmotischen Druck der umgebenden 
Flüssigkeit abhängig ist. Das ist jedoch nur der Fall, wenn 
die Blutkörperchen für die in der sie umgebenden Flüssigkeit 
gelösten Stoffe vollständig impermeabel sind. Dieser Umstand 
liegt bei unserer Versuchsanordnung aber nicht vor; denn wenn 
ein Blutkörperchen mit einer reinen NaCl-Lösung in Berührung 
gebracht wird, so findet ein Austausch zwischen einem Ion CO; 
der Blutkörperchen und zwei Cl-Ionen der Umgebung statt. Da 
jedes Ion, von welcher Natur dasselbe auch sei, denselben 
osmotischen Druck ausübt, so wird durch den genannten Aus- 
tausch der osmotische Druck des Blutkörpercheninhaltes ge- 
steigert; dem zufolge quillt das Blutkörperchen in einer NaCl- 
Lösung, mit welcher der Inhalt bei völligem Fehlen von 
Permeabilität für Ionen isotonisch gewesen wäre und in der 
das Blutkörperchen das ursprüngliche Volumen hätte behalten 
müssen, wenn das Volumen lediglich vom osmotischen Druck 
der umgebenden Flüssigkeit abhängig war. Ä 

Es ist nun aber die Frage, ob die Blutkörperchen nicht 
dieselbe Quellung auch in der zu untersuchenden Flüssigkeit 
erfahren. Ist das der Fall, so wird der Einwand hinfällig. In 
der Tat werden die meisten Körperflüssigkeiten, die zur Unter- 
suchung gelangen, wohl NaCl enthalten, nur in der Regel nicht 
in so großer Konzentration wie in der reinen NaCl-Lösung, die 
mit der zu untersuchenden Flüssigkeit isotonisch ist. Es liegt 
deshalb auf der Hand, daß durch den genannten Ionenaustausch 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 271 


ein Fehler immerhin möglich bleibt. Nur das Experiment wird 
hier entscheiden können, ob dieser Fehler so groß werden kann, 
daß derselbe einen merkbaren Einfluß auf das Resultat ausübt. 

Zu diesem Zweck haben wir den osmotischen Druck einiger 
Flüssigkeiten ermittelt mittels Gefrierpunktserniedrigung und 
mittels der neuen Methode, d. h. wir haben von der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit und von der nach unserer Methode be- 
stimmten damit isotonischen NaCl-Lösung die Depression er- 
mittel. War unsere Methode zuverlässig, so sollten die beiden 
Gefrierpunktwerte miteinander übereinstimmen. 

Die eine der zum genannten Zweck benutzten Flüssigkeiten 
war Lymphe aus dem Halsgefäße eines Kälbcehens. Nachdem 
Koagulation stattgefunden und das Gerinnsel sich zurückgezogen 
hatte, wurde letzteres mittels Gaze entfernt und dann die klare 
gelbe Flüssigkeit durch Filtrierpapier filtriert. Dann wurde in 
Trichterröhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt 1 ccm der zu 
untersuchenden Flüssigkeit gebracht und letztere mit 0,04 ccm 
Rinderblut versetzt. Gleiches geschah mit Kochsalzlösungen 
verschiedener Konzentration. Mit jeder Flüssigkeit wurden 
zwei Parallelversuche angestellt. Nachdem die Blutkörperchen 
eine halbe Stunde mit den Flüssigkeiten in Berührung gewesen 
waren, wurden dieselben abzentrifugiert und zwar solange, bis 
das Sediment ein konstantes Volumen erreicht hatte. 


Die folgende Tabelle zeigt den Gang eines Versuches. 


Volumen des Blutkörperchensedimentes nach 














Flüssigkeiten Me ie während 
1% 8 d. | 4, St | 1 Ste Std. |, Std. | Y, St Std. td. | 1 S Std. |15 d. 15 Min. in.| 10 Min. 
Lymphe 58 5 i a8 | a7 | 46 a 46 | 46 
M 55 | 47 47 46 46 46 
NaCl 09%, | 58 | 54 | 50 49 49 49 49 
PER 59 | 54 52 50 49 49 49 
NaCl 0,95% | 58 | 49 48 | 4 47 47 47 
E y 55 51 48 | 47 47 7 | 4 
NaCl 1%, 56 50 47 46 45 45 | 8 
Pau" 54 49 47 46 45 45 | 45 
NaCl 1,05%, | 50 46 44 43 43 3 | 8 
ao i 51 46 4 | 83 43 43 | 8 


272 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


Aus diesem Versuche geht hervor, daß die Lymphe den 
Blutkörperchen ein Volumen von 46 erteilt, während eine 
0,95 °/,-ige Kochsalzlösung ein Volumen von 47 herbeiführt, 
eine 1 °/,-ige dagegen ein Volumen von 45. Die Kochsalzlösung 
also, welche den Blutkörperchen dasselbe Volumen wie die 
Lymphe erteilt, liegt zwischen einer 0,95 °/,-igen und einer 
1 °/o-igen. 

Obgleich die richtige Zahl einwandsfrei durch Inter- 
polation berechnet hätte werden können, wurde, weil es sich 
hier um einen Beleg handelte, diese betreffende Zahl auf rein 
experimentellem Wege ermittelt, indem noch zwei neue NaCl- 
Lösungen zwischen den genannten bereitet wurden, nämlich 
NaCl 0,96 °%/, und 0,98 %/o. 

Weiter wurde statt 0,04 ccm 0,06 ccm Blut genommen. 
Wie nämlich aus obiger Tabelle ersichtlich, konnte eine viel 
größere Blutkörperchenmenge als die, welche 0,04 ccm Blut 
entspricht, im Kapillarteile des Trichterröhrchens noch einen 
Platz finden. Und natürlich ist es empfehlenswert, eine größere 
Blutmenge für die Versuche zu nehmen, weil dann der even- 
tuelle Fehler geringer ist. 


Aus der folgenden Tabelle sind die erhaltenen Zahlen 
ersichtlich. 


Volumen des Blutkörperchensedimentes nach 
Zentrifugierung während 


'/, Std. |*/, Std. | Y, Std. | %, Std. |", Std. | 15 Min.| 10 Min. 






Flüssigkeiten 


Lymphe 85 82 79 79 79 

n 85 80 79 79 79 
NaCl 0,9%, 94 89 84 83 83 
n y 88 87 83 82 82 
NaCl 0,95 % 90 86 81 81 81 
A A 88 82 81 81 81 
NaCl 0,96 °, 85 81 80 80 80 
i a 83 80 80 80 80 
NaCl 0,98 %, 83 81 79 79 79 
j ý 83 80 79 79 79 
NaCl 1% 80 79 78 78 78 


85 80 79 | 78 78 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 273 


Man ersieht aus dieser Tabelle, daß die Lymphe einer 
Kochsalzlösung von 0,98 °/, entspricht, denn beide Flüssigkeiten 
erteilen den Blutkörperchen ein Volumen von 79. Diese Koch- 
salzlösung ist auch diejenige, welche sich bei der Berechnung 
aus der vorigen Tabelle ergibt. 

Es erhebt sich nun die weitere Frage, haben die Lymphe 
und die gefundene 0,98 °/,-ige NaCl-Lösung dieselbe Gefrier- 


punktserniedrigung? 
Lymphe . A = — 0,612 
NaCl 0,9%, A = — 0,563 
„n 05%. A = — 0,598 
„ 0,98%, A = —0,615 
se SL o % A = — 0,623. 


Man sieht, daß auch die Gefrierpunktserniedrigung 
der Lymphe mit der einer 0,98 °/,-igen NaCl-Lösung 
sehr gut übereinstimmt. 

Praktisch kann also auch der letzte (siehe Seite 270) gegen 
die Methode erhobene Einwand als hinfällig betrachtet werden. 

Indessen könnte man noch die Bemerkung machen, daß 
in aller Strenge die Kontrolle mittels Gefrierpunktserniedrigung 
nicht einwandfrei ist, denn bei der Depressionsbestimmung 
handelt es sich um einen elektrolytischen Dissoziationszustand 
bei etwa —0,6°, während bei der Volumenbestimmung mittels 
Blutkörperchen die Temperatur Zimmertemperatur ist. Man 
vergesse aber nicht, daß sich bei beiden Methoden Lymphe und 
Kochsalzlösung jedesmal unter denselben Umständen befinden. 


V. Genauigkeitsgrad und Zuverlässigkeit des Verfahrens. 

Obgleich das Beispiel, an dem wir gezeigt haben, daß 
unsere Methode dasselbe Resultat gibt wie die Gefrierpunkts- 
erniedrigung, auch die Genauigkeit des Abmessens und die 
Zuverlässigkeit der Volumenermittelung aus den Parallelver- 
suchen ersehen läßt, wollen wir zum Überfluß noch ein paar 
Versuche erwähnen, aus welchen letzteres noch einmal hervor- 
geht. Sie betreffen Tränenflüssigkeit und Humor aquaeus. 
Die Experimente mit Tränenflüssigkeit sind ausgeführt worden 
mit Trichterröhrchen von 0,01 ccm Kapillarinhalt; die Trichter- 
röhrchen für das Kammerwasser hatten einen Kapillarinhalt 
von 0,02 ccm. 


Die Tabellen werden ohne weitere Erklärung verständlich sein. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 18 


274 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. . 


Osmotischer Druck von Tränenflüssigkeit. 
Benutzt sind hier Trichterröhrchen von 0,01 ccm Kapillar- 
inhalt. Das Volumen der Tränenflüssigkeit betrug 0,25 ccm, 
die Menge des angewandten Kaninchenblutes 0,02 ccm. Es 
wurden jedesmal zwei Versuche mit derselben Flüssigkeit angestellt. 


Volumen der Bodensätze nach den folgenden 
Zentrifugierzeiten 


/, Std. | „Std. | 2, Std. | 1 Sta. | 4, Sta. 






Salzlösungen 





Tränenflüssigkeit 
” 


NaCl 0,9%, 


” ” 


NaCl 1,1% 


” ” 


NaCl 1,2%, 


” „ 


NaCl 1,3%, 


7) 7 


NaCl 1,4% 


39 ” 


NaCl 1,5%, 

Aus diesem Versuch geht hervor, daß die NaCl-Lösung, 
welche den Blutkörperchen des 0,02 ccm Kaninchenblutes ein 
Volumen von 57 erteilt, eine 1,4 °/,-ige ist. Übrigens ersieht 
man, daß die Zahlen der Parallelversuche sehr gut miteinander 
übereinstimmen. (Jede Teilung der Röhrchen entspricht hier 
0,01 


100 = 0,0001 ccm.) 


Das andere Beispiel, das ich hier vorführen möchte, betrifft 
Kammerwasser des Rindes. Ich will dieses Beispiel aber auch 
noch zu einem anderen Zweck benutzen. 

Auf S. 270 wurde nämlich mitgeteilt, daß ich versucht habe, 
mit derselben kleinen Menge der zu untersuchenden Flüssigkeit 
mehrere Experimente anzustellen. Ich verfuhr in folgender Weise. 

Nachdem nach der beschriebenen Methode der osmotische 
Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit ermittelt war, wurden 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 275 


alle in den Trichterröhrchen sich befindenden Flüssigkeiten 
daraus entfernt, in andere Trichterröhrchen übergebracht und 
mit gleichen Mengen vom bereits gebrauchten Blute versetzt. 

Dann wurde zentrifugiert bis zum Eintritt von konstantem 
Volumen und wieder verglichen, welche Salzlösung den Blut- 
körperchen dasselbe Volumen erteilte wie die zu untersuchende 
Flüssigkeit. Diese Salzlösung sollte dann dieselbe sein, wie 
die erst gefundene. 

Ich lasse hier einen Versuch zur Bestimmung des osmo- 
tischen Druckes von Lymphe folgen. 

Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt. 

Die zu untersuchende Flüssigkeit ist Lymphe eines Kalbes. Das 
gebrauchte Blut stammt vom Rind. Es werden 1 ccm Flüssigkeit und 
0,06 ccm defibriniertes und filtriertes Blut angewandt. 

Das Resultat war, daß die Lymphe den Blutkörperchen ein Volumen 
von 85 erteilte, und daß das ebenso der Fall war mit der Kochsalzlösung 
von 0,95 %,. Somit war die Lymphe isotonisch mit einer 0,95 °/,-igen 
Na Cl- Lösung. 

Weiter wurden dann die Flüssigkeiten (Lymph- und Kochsalzlösungen) 
aus den Trichterröhrchen entfernt, in andere übergebracht und aufs neue 
mit 0,06 ccm des Rinderblutes versetzt. Nach Zentrifugierung zum kon- 
stanten Volumen ergab sich nun für die Lymphe 74, während die NaCl- 
Lösung, welche den Blutkörperchen ebenfalls ein Volumen von 74 erteilte, 
wieder eine 0,95 °/,-ige war. 

Beim ersten Anblick könnte man mit diesem Resultate 
zufrieden sein, denn in beiden Fällen erwies sich die Lymphe 
als isotonisch mit einer 0,95 °/„igen NaCl-Lösung. 

Bei näherer Betrachtung muß man sich aber die Frage 
vorlegen, weshalb das Blutkörperchen -Volumen im ersten Fall 85 
und im zweiten nur 74 betrug. 

Es hat ziemlich viel Zeit gekostet, diese Frage zu lösen. 
Ich werde die systematischen Untersuchungen, die ich dar- 
über angestellt habe, dem Leser ersparen. Schließlich erwies 
sich die Erklärung als lächerlich einfach. Der durch das 
Zentrifugieren herbeigeführte Luftstrom hatte in den offenen 
Röhrchen eine erhebliche Wasserverdunstung veranlaßt und 
dadurch Einengung der Flüssigkeit. Deshalb wurde dieselbe 
konzentrierter und das Blutkörperchen -Volumen kleiner. 

Aus diesem Grunde wurden dann die beschriebenen Ebonit- 
käppchen angefertigt. Und von dieser Zeit an kamen die Ab- 
weichungen nicht mehr vor. 

18* 


276 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


Man könnte hier zwei Bemerkungen machen. Zunächst, 
warum die Korke, mit denen die Röhrchen doch nach der Ver- 
mischung von Flüssigkeit und Blut ca. 1/3 Stunde verschlossen 
waren, nicht auch während der Zentrifugierung darauf stehen blie- 
ben. Die Antwort ist, daß dieselben gerade durch das Zentrifugieren 
zu tief in dieRöhrchen und dann in die Flüssigkeit gedrückt werden. 

Weiter wird man einwenden können, daß die Verdunstung 
sich auch in der ersten Versuchsreihe auf das Blutkörperchen- 
Volumen geltend gemacht haben wird. Das kann aber nicht 
der Fall sein, da dieselben bereits nach 10—15 Minuten ganz 
in den Kapillarraum getrieben sind. Sie erfahren dann den 
Einfluß der Oberflächenverdunstung nicht mehr. 

Es steht also nichts im Wege, dieselbe kleine 
Flüssigkeitsmenge, die man zur Bestimmung des osmo- 
tischen Druckes zur Verfügung hat, zwei oder mehr 
Male zu benutzen. Hierdurch gewinnt die Methode in erheb- 
lichem Maße an Brauchbarkeit. Ich erwähne jetzt noch einen 
Versuch mit Kammerwasser. 


Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinbhalt. 

1 ccm Humor aquaeus des Rindes und auch t ccm Chlornatrium- 
lösungen werden vermischt mit 0,04 ccm defribiniertem Rindsblut. Die 
Gemische werden ®/, Stunde sich selbst überlassen, dann zentrifugiert zu 
konstantem Volumen. 


Volumen des Sedimentes nach 


5 Flüssigkeiten Zentrifugierung während 
1 Std. | 1 Std. | 1/, Std. | 1/, Std. |15 Min. 
1 | 1⁄2 com Humor aquaeus + 0,04 ccm Blut| 75 | 73 | 73 | 73 | 73 
2| „ g E IsaIaialras| rs 
31 t com NaCl 0,9% + = „ | 79 | 76 | 76 | 76 | 76 
| „ n PA T „ | 79 |76|76|76]|76 
5| Y, ccm NaCl 0,95% + ,» „1715|5I15|I% 
el „ a Me: ph ‚I7I15I151|5|15 
711, ccm NaCl 1% + k „1 7A 711) 71 | 71 | a 
s| , En: a 5 ‚Ialnılıalnı) a 
91%, ccm NaCl 1,05% + A „174 | 70 | 70 | 70 | 70 
01 so, a „ {73 | 70 | 70 | 70 | 70 
11), ccm NaCl 11% + „1 76 | 72 | 69 | 69 | 69 
2f ao ‘a ‘a o „ | 71 | 70 | 69 | 69 | 69 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 277 


Aus dieser Versuchsreihe geht hervor: 

1. daß die Parallelversuche immer dieselben Resultate 
geben, 

2. daß der osmotische Druck des Kammerwassers einer 
NaCl-Lösung entspricht, welche zwischen 0,95 und 1°) 
und zwar in der Mitte gelegen ist. 

Nachdem dieser Versuch beendigt war, wurden die Flüssig- 
keiten aus den Trichterröbrchen genommen und in andere 
gleichartige Trichterröhrchen übergeführt. Dann wurden diese 
Flüssigkeiten beschickt mit je 0,04 ccm des oben benutzten 
Blutes, das jedesmal vor der Abmessung gut durchgeschüttelt 
war. Nachdem die Flüssigkeiten mit je 0,04 ccm Blut versetzt 
waren, wurden die Trichterröhrchen mit den Ebonitdeckeln 
verschlossen; dann wurde geschüttelt und die Gemische 
3/4 Stunde sich selbst überlassen. Die Zentrifugierung ergab 
die folgenden Resultate: 






Volumen des Sedimentes nach 
Zentrifugierung während 








Flüssigkeiten 


Humor aquaeus + 0,04 ccm Blut 





-+ 


?? 


NaCl 0,9 °% 


” ” 


NaCl 0,95 %, 


” ” 


NaCl 1%, 


” ” 


NaCl 1,05%, 


” ” 


NaCl 1,1%, 
Aus dieser Tabelle erhellt: 
1. daß die Parallelversuche schön übereinstimmende Re- 
sultate geben, 
2. daß der Humor aquaeus einen osmotischen Druck 
besitzt, welcher übereinstimmt mit einer Kochsalz- 
lösung, die in der Mitte steht zwischen dem einer Koch- 





++ ++ ++ ++ ++ 


278 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


salzlösung von 0,95°/, und 1°/,, was auch mit den 
Ergebnissen von nach anderen Methoden ausgeführten 
Untersuchungen übereinstimmt. !) 

3. Sind die in der zweiten Versuchsreihe gewonnenen Zahlen 
für das Volumen der Sedimente genau dieselben, wie die, 
welche in der ersten Versuchsreihe gefunden wurden. 

Hieraus ergibt sich, daß wir in der erwähnten 
Ausbreitung der Methode eine sehr zuverlässige Kon- 
trolle besitzen. 

In Wirklichkeit haben wir in diesen Versuchsreihen die Re- 
sultate dreimal kontrolliert; denn wir haben jedesmal zwei Parallel- 
versuche angestellt. Eigentlich ist letzteres nicht notwendig; 
auch wird es nicht immer ausführbar sein, wenn man nicht 
über die doppelte Menge der zu untersuchenden Flüssigkeit ver- 
fügt. In diesem Falle kann man dann doch Kontroll-Experi- 
mente ausführen, indem man, wie oben gezeigt wurde, die 
Flüssigkeit aus dem Trichterröhrchen entfernt und aufs neue 
mit Blut untersucht. 

Wenn erwünscht, kann dann die Zeit auch noch 
erheblich abgekürzt werden. 

Man braucht nämlich nicht mit der zweiten Versuchsreihe 
zu warten, bis in der ersten konstantes Volumen erreicht ist. 
Sobald in der ersten Versuchsreihe die Blutkörperchen in den 
Kapillarteil der Röhrchen getrieben sind — und das ist immer 
schon innerhalb einer halben Stunde der Fall — so kann 
man die Flüssigkeiten bereits abheben und für die zweite 
Versuchsreihe benutzen. 

Hat die Zentrifuge nur Raum für 12 Röhrchen, so können 
beide Versuchsreihen noch gleichzeitig zentrifugiert werden. 

Da ein Unterschied von 0,1°/, NaCl-Lösung im Mittel 
4 Teilstrichen entspricht und bei der Ablesung Fehler von 
einem Teilstrich nicht gemacht zu werden brauchen, so geht 
die Genauigkeit des Verfahrens doch wenigstens bis zu 0,025 °/o 
NaCl-Lösung, d. h. Unterschiede des osmotischen Druckes, 


1) Dreser, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 29, 318. 1892. — 
Hamburger, Verhand. d. koninkl. Akad. v. Wetensch. 8, Nr. 5. 1893. — 
Kunst, Beitr. zur Kenntnis der Farbenzerstreuung und des osmotischen 
Druckes einiger brechenden Medien des Auges, Inaug.-Diss., Freiburg i. Br. 
1895. — Vergl. auch Hamburger, Osmot. Druck u. Ionenlehre, 8, 163. 


Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 279 


einer 0,025°/oigen NaCl-Lösung entsprechend, können sicher 
aufgedeckt werden. Diese Genauigkeit steht der mittels des 
Beckmannschen Apparates erzielbaren nur wenig nach. 


VI. Anwendbarkeit der Methode. 


Leider aber ist die Anwendbarkeit unserer Methode eine 
beschränkte und nicht so allgemein wie die der Gefrierpunkts- 
erniedrigung. Sie läßt nämlich im Stich, erstens für diejenigen 
Lösungen, welche Hämolyse bei den Blutkörperchen herbei- 
führen, wie z.B. Galle, und zwar weil die Schatten sich gegen- 
über Konzentrationsunterschieden der umgebenden Flüssigkeit 
grundverschieden verhalten von den unversehrten Erythrocyten. 
Zweitens ist die Methode auch unbrauchbar für Flüssigkeiten, 
die in erheblicher Menge Substanzen enthalten, welche trotz 
ihres bedeutenden Anteiles am osmotischen Druck der Flüssig- 
keit das Volumen der Blutkörperchen nicht beeinflussen. 

Als Beispiel ist Harn zu nennen. Der Harnstoff nämlich 
ist in nicht zu vernachlässigender Weise am osmotischen Druck, 
z. B. an der Gefrierpunktserniedrigung des Harns beteiligt. Auf 
das Volumen der Blutkörperchen übt die Substanz jedoch keinen 
Einfluß aus, weil sie sich über diese Zellen und die Umgebung 
gleichmäßig verteilt. Haben z. B. die Blutkörperchen einer ge- 
wissen Blutmenge in einer 0,9°/,igen NaCl-Lösung ein Volumen 
von 88, so bleibt das Volumen nahezu unverändert, wenn man 
in dieser NaCl-Lösung einige Prozente Harnstoff auflöst. Ich 
sage „nahezu“, denn der Harnstoff drängt die elektrolytische 
Dissoziation der 0,9 °/sigen NaCl-Lösung etwas zurück und 
erniedrigt in dieser Weise ein wenig deren osmotischen Druck. 

Hier beim Harnstoff handelt es sich also nicht wie im 
ersten Falle um einen hämolytischen Stoff, der beim Eindringen 
in die Blutkörperchen dieselben zerstört, sondern um eine Sub- 
stanz, welche, obgleich sie ebenfalls in die Blutkörperchen ein- 
dringt, dieselben unversehrt läßt. 

In keinem der beiden Fälle aber ist die Methode zu der 
Ermittlung des osmotischen Druckes brauchbar. Ganz unnütz 
aber würde im zweiten Falle eine Bestimmung nicht sein, denn 
man kann mittels derselben denjenigen Teil des osmotischen 
Druckes der Lösung feststellen, welcher den Substanzen ent- 
spricht, die nicht in die Blutkörperchen eindringen. Auch diese 


280 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 


Zahl hat vom physiologischem Standpunkte einen Wert. Bei 
Kombination mit Gefrierpunktserniedrigung kann man durch 
Subtraktion den Gehalt derjenigen Stoffe ermitteln, für die, 
wie Harnstoff, die Zellen permeabel sind '). 

Schließlich sei noch erwähnt, daß Färbung der zu unter- 
suchenden Lösung der Methode nicht schadet. Sie ist also auch 
anwendbar für blutfarbstoffhaltende Transsudat- und Exsudat- 
flüssigkeit, Cerebrospinalflüssigkeit etc. 


Resume. 


Das oben beschriebene Verfahren läßt sich folgenderweise 
zusammenfassen: 

1. Man nimmt 6 Trichterröhrchen von der angegebenen 
Gestalt und bringt in das erste 0,25 ccm oder mehr der zu 
untersuchenden Flüssigkeit und in die 5 andern dasselbe 
Volumen an Kochsalzlösungen steigender Konzentration. 

Die genannten Flüssigkeiten werden versetzt mit derselben 
Menge defibrinierten und durch Filtrierpapier filtrierten Bluts. 

Nachdem die Trichterröhrchen mittels genau passenden 

Ebonitdeckelchen verschlossen sind, werden die Gemische ge- 
schüttelt und 1/2 bis 3/4 Stunden sich selbst überlassen. 

Nachher wird bis zum Eintritt von konstantem Volumen 
zentrifugiert. Der osmotische Druck der zu untersuchenden 
Flüssigkeit entspricht dann derjenigen Kochsalzlösung, welche 
den Blutkörperchen dasselbe Volumen erteilte, wie die zu unter- 
suchende Flüssigkeit selbst. 

2. Das Resultat läßt sich kontrollieren, indem man die - 
Flüssigkeiten, welche in der vorigen Versuchsreihe im trichter- 
förmigen Teil der Röhrchen sich befinden, abhebt und in neue 
Röhrchen überbringt, aufs neue mit gleichen Quantitäten Blut 
versetzt, wie oben benutzt wurden, schüttelt, wartet und 
zentrifugiert bis zum konstanten Volumen. 

Die nunmehrigen Sedimentvolumina sollen genau dieselbe 
Kochsalzlösung als diejenige anzeigen, welche mit der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit isotonisch ist und auch in der ersten 
Versuchsreihe gefunden wurde. 

3. Mit diesem sub 2 angegebenen Kontrollversuch braucht 
man nicht zu warten, bis in der Versuchsreihe konstantes Volumen 


) Hamburger, Centralbl. f. innere Medizin 21, Nr. 12. 1900. 


Hamburger, Osmotisohe Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 281 


erreicht ist, denn man kann die klaren Flüssigkeiten immer 
schon nach einer Zentrifugierung von einer halben Stunde ab- 
heben. In diesem Zeitverlauf sind nämlich alle Blutkörperchen 
in den Kapillarteil getrieben. 

4. Was die Wahl der Röhrchen betrifft, kann man hierzu 
solche anwenden, deren kalibrierter Kapillarteil nur 0,01 ccm 
faßt. In diesem Falle hat man 0,02 ccm Blut hinzuzufügen. 
Obgleich diese Röhrchen vollkommen zuverlässige Resultate geben, 
muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Reinigung viel 
Geduld und Aufmerksamkeit erfordert. Das ist aber bei weitem 
nicht in dem Maße der Fall bei Röhrchen, deren kalibrierter 
-= kapillarer Teil 0,02 ccm faßt. Das Lumen bei diesen ist weiter. 
Die hierzu erforderliche Blutmenge beträgt 0,04 ccm. 

Hat man 1 ccm Flüssigkeit zur Verfügung, so empfiehlt 
es sich, Röhrchen von 0,04 ccm Kapillarinhalt zu verwenden, 
denn diese Apparätchen haben bei derselben Größe wie die 
vorigen selbstverständlich ein noch weiteres Lumen und lassen 
sich deshalb noch bequemer reinigen. Es ist empfehlenswert 
hier 0,08 ccm Blut zu gebrauchen. In den meisten Fällen 
verwende ich Röhrchen von 0,02 ccm. 

5. Das Abmessen des Blutes erfolgt mittels einer an der 
Spitze ausgezogenen Kapillarpipette, welche mit einem Gummi- 
rohr versehen ist. Wenn das Blut über den Teilstrich hinauf- 
gezogen ist, hält man die Pipette horizontal, trocknet die Spitze 
mit einem Tuch ab und beurteilt den Stand des Blutes über 
einem Stück weißen Papiers als Untergrund. Steht das Blut noch 
über den Teilstrich, so tupft man die Spitze so lange gegen 
die flache Hand oder gegen ein Tuch — nicht gegen Filtrier- 
papier — bis der Teilstrich erreicht ist. 

6. Eine kräftige Zentrifuge ist notwendig. Die Runnesche 
elektrische Zentrifuge, welche nach meiner Angabe 4 Gestelle 
enthält, die je 3 Trichterröhrchen aufnehmen können, genügt 
allen Anforderungen vollkommen (vergl. S. 266 ff.). 


Da es sich hier um sehr kleine Quantitäten handelt, liegt 
es auf der Hand, daß man äußerst genau arbeiten muß. 
Bedenkt man das aber, so erhält man überaus zuverlässige 
Resultate. 


Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. 
III. Mitteilung’). 


Über «@-a,-Diamino-azelainsäure, @-8-Diamino-butter- 
säure und a-Oxy-ß-aminobuttersäure. 


Von 
Carl Neuberg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 12. Juni 1906.) 


Die Aminosäuren haben ein allgemeineres Interesse erlangt, 
seitdem man weiß, daß sie das Material sind, aus dem sämt- 
liche Eiweißkörper sich aufbauen. Schon fast 100 Jahre alt 
ist die Kenntnis des Monoaminosäuren, speziell des Leucins 
und des Tyrosins, die als leicht isolierbare Produkte bereits 
den ersten Untersuchern der Proteinstoffe auffielen. Sehr viel 
jüngeren Datums ist die Kenntnis der etwas komplizierter ge- 
bauten Diaminosäuren und Oxyaminosäuren. Die Entdeckung 
der ersteren verdankt man Drechsel, während die allgemeine 
Beteiligung der letzteren am Aufbau der Eiweißkörper erst auf 
Grund der Arbeiten von Emil Fischer‘), Zd. H. SKraup 
u. a. nachgewiesen wurde. 

Bei den drei genannten Kategorien hat man wieder ein- 
und zwei- und mehrbasische Säuren zu unterscheiden, d. h. 
Säuren vom Typus des Glykokolls und der Asparaginsäure 


1) I. Mitteilung siehe Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 147. 1905. 
II. Mitteilung siehe Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 92. 1905. 
1) Ber. 88, 2660. 1902. 
3) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 274. 1904. Wiener Monatshefte 26, 
247. 1905. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 283 


einerseits, des Lysins und der Kaseansäure, sowie schließlich 
des Serins und der Diaminotrioxydodekansäure andrerseits. 

Bei weitem die Mehrzahl der bei der Spaltung der Eiweiß- 
körper aufgefundenen Aminosäuren sind a-Aminosäuren. Doch 
scheinen gelegentlich Autoren, wie Levene und Ellinger, auch 
ß-Säuren begegnet zu sein. 

Die Substanzen, die der einen wie der anderen Reihe an- 
gehören, besitzen ein gewisses Interesse, und im folgenden sei 
die Synthese einer neuen Diaminodikarbonsäure, der Diamino- 
azelainsäure 


cp,” CH: — CH: — CHN H: . COOH 


NCH: — CHa — CHN H: - COOH, 
einer neuen Diaminomonokarbonsäure, der @-$-Diaminobutter- 


paure CH, -CHNH,-CHNH,-COOH, 
und die einer Oxyaminosäure, der @-Oxy-ß-aminobutter- 
säure (Methylisoserin) 


CH; - CHNH, - CHOH.- COOH, 
beschrieben. 


Die Zahl der künstlich dargestellten Diaminodikarbonsäuren 
war bisher eine sehr spärliche. Sie beschränkte sich auf die 
aa, -Diaminobernsteinsäure 

COOH — CHN H: — CHN H: — COOH 
von Th. Lehrfeld’) und J. Tafel”), sowie auf die jüngst von 
C. Neuberg und E. Neimann®) dargestellten «-a,-Diamino- 


korksäure CH: - CH: - CHNH: . COOH 
| 
CH: - CH, - CHNH,- COOH 


und a-«\-Diaminosebazinsäure 
CH, - CH, - CH, - CHN H; - COOH 
CH; e CH: - CH, - CHN H; » COOH. 

Daß im Gegensatze zu den Monoaminosäuren nur wenige 
Vertreter der Diaminodikarbonsäuren dargestellt wurden, liegt 
an der Schwierigkeit der Synthese. Bei den a-Halogenfettsäuren 
der Essigsäurereihe vollzieht sich der Austausch von Chlor oder 
Brom gegen die Aminogruppe bei den niederen wie höheren 

1) Ber. 14, 1817. 

23) Ber. 20, 244; 26. 1890. 

3) Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 98. 1905. 


284 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


Gliedern mit ziemlich gleicher Leichtigkeit. Dagegen bestehen 
bei den aa,-Dihalogensäuren der Bernsteinsäurereihe erhebliche 
Differenzen. Die letztgenannte Säure läßt sich zwar durch Be- 
handlung mit Ammoniak in kleinen Mengen in die entsprechende 
Diaminosäure umwandeln. Doch die Hauptmenge der Reaktions- 
produkte besteht nach Neuberg und Silbermann aus anderen 
Substanzen, und zwar Acetylendikarbonsäuren, resp. Acetylen. 
Die aa,-Dibromadipinsäure'!) 
CH; - CHBr- COOH 
CH; e CHBr». COOH 
und ihr ß-Methylsubstitutionsprodukt, die aaı-Dibrom-B- 
Metyladipinsäure 
CH, - CHBr- COOH 
CH; » CH -CHBr- COOH 

werden durch Ammoniak, wie R. Willstätter?) fand, in ring- 
förmige Verbindungen mit einem Stickstoffatom verwandelt, in 
Dikarbonsäuren des Pyrrolidins. Der gleiche Autor fand), daß 
die aa,-Dibrompimelinsäure durch wässeriges Ammoniak auch 
in eine ringförmige, aber stickstoffreie Verbindung übergeführt 
wird, in eine Dikarbonsäure des Cyklopentens. Dagegen liefert 
der Ester der letztgenannten Säure nach Emil Fischer‘) bei 
Behandlung mit flüssigem Ammoniak wiederum eine hetero- 
cyklische Substanz, die 1,5-Piperidindikarbonsäure. 

Glatt aber und in typischer Weise verläuft die Reaktion 
zwischen Ammoniak und den höheren Dibromsäuren dieser 
Reihe. Sie führt nach Neuberg und Neimann (a. a. O.) von 
der aaı-Dibromkorksäure und der aa,ı-Dibromsebazinsäure zu 
der entsprechenden aaı-Diaminokorksäure und der aaı-Diamino- 
sebacinsäure. 

Einen weiteren Weg für die künstliche Darstellung von 
Aminosäuren dieser Reihe hat jüngst S. P. L. Sörensen’) an- 
gekündigt, dem es gelang, aus Na-Phthalimidomalonester mit 
Äthylenbromid Äthylendiphthalimidomalonester und weiterhin 


1) Ber. 88, 2065. 1902. 
2?) Ber. 82, 1290. 1890. 
3) Ber. 28, 657. 1895. 
t) Ber. 84, 2544. 1901. 
5) Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 452. 1905. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 285 


aa, -Diaminoadipinsäure, ferner auf analogem Wege mit Tri- 
methylenbromid die a@a,-Diaminopimelinsäure darzustellen. 

Somit sind die hierhergehörigen Säuren mit 6, 7, 8 und 
10 Kohlenstoffatomen durch Synthese zugänglich. 

Zu der noch fehlenden Cy-Säure gelangt man auf folgen- 
dem Wege: 

Die Bromierung der normalen Azelainsäure bei Gegenwart 
von Phosphor führte zu der bisher unbekannten aa,-Dibrom- 


azelainsäure cH /(CHs) « CHBr- COOH 

N (CHs) + CHBr- COOH. 
Letztere ist ölig und liefert bei Behandlung mit konzentriertem, 
wässerigem Ammoniak und kohlensaurem Ammon bei 125° 
die aa,-Diaminoazelainsäure. Diese ist auffallenderweise leichter 
löslich, als die Diaminokork- und Diaminosebazinsäure, zwischen 
denen sie doch in der Mitte steht. Immerhin kann sie durch 
einfaches Auswaschen von dem bei der Umsetzung entstehenden 
Bromammonium befreit werden. Gleich ihren Homologen ver- 
einigt sie den Charakter einer Mono- und einer Diaminosäure. 

Sie löst sich in heißem Wasser, noch leichter in Akalien 
oder Mineralsäuren, desgleichen in Ammoniak. Sie bildet 
außerordentlich wenig lösliche Salze mit den Schwermetallen, 
z. B. mit Kupfer, Silber, Quecksilber und Blei. 

Durch die Fällbarkeit mit Blei unterscheidet sie sich von 
den gewöhnlichen Aminosäuren, gleich diesen gibt sie aber 
weder mit Pikrinsäure noch mit Platinchloridchlorwasserstoff- 
säure oder Goldchlorid eine in Wasser schwer lösliche Vebindung. 
Dagegen nähert sie sich wieder den Diaminosäuren durch die 
wenn auch unvollständige Fällbarkeit durch Phosphorwolfram- 
säure aus saurer Lösung. 

Mit zwei Molekülen Phenylisocyanat vereinigt sich die 
Diaminoazelainsäure zu einer kristallinischen Phenylhydatoin- 
säure; mit Alkohol und Salzsäuregas kann sie verestert werden. 

Bemerkenswert ist, daß die Substanz, die beim Überhitzen 
fichtenspanrötende Dämpfe liefert, nicht süß, sondern lediglich 
fade schmeckt. Trotzdem ist sie zweifelsohne eine @-Amino- 
säure und enthält zweimal die dulcigene Gruppe 

— CHN H: - COOH. 

Genau das gleiche Verhalten haben Neuberg und Neimann 

(a. a. O.) bei der Diamino-korksäure und Diamino-sebacinsäure 


286 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


beobachtet. Später haben E. Fischer und O. Warburg!) mit- 
geteilt, daß die verschiedenen Antipoden des Leucins ungleich 
schmecken, die natürliche l-Verbindung schwach bitter, die 
d-Form stark süß und der Racemkörper entsprechend schwach 
süß. Der fade Geschmack der erwähnten Diaminocarbonsäuren, 
die alle optisch inaktiv sind, kann durch geringe Süßigkeit 
einer der aktiven Komponenten bedingt sein, aber auch durch 
die Länge der Atomkette; bekanntlich nimmt der süße Ge- 
schmack der meisten Aminosäuren bei den Peptiden schon ab, 
viele Peptone sind intensiv bitter. 

Von der Buttersäure leiten sich drei verschiedene Diamino- 
säuren ab. Die a--, a-y- und ß-y-Säure, wenn man von dem 
wenig wahrscheinlichen Falle absieht, daß zwei Aminogruppen 
an einem Kohlenstoffatom haften würden. Die a-y-Säure ist 
durch Synthese von Emil Fischer?) dargestellt. Im folgenden 
sei die Darstellung der bisher unbekannten a-$-Säure beschrieben. 

Das Ausgangsprodukt bildet das sogenannte Crotonsäure- 
dibromid oder die «-8-Dibrombuttersäure, erhältlich durch Ad- 
dition von zwei Atomen Brom an Crotonsäure. Diese Verbindung 
gibt bei Behandlung mit Ammoniak Bromammonium und «-$- 
Diaminobuttersäure. Die Trennung von Bromammonium läßt 
sich durch Entfernung des Halogens mittels AgO und Ver- 
dampfen des Ammoniaks ausführen. Es hinterbleibt nach der 
Konzentration ein gelbgefärbter Sirup, der zum großen Teil aus 
der Diaminosäure besteht; gleich der Mehrzahl der bekannten 
Diaminosäuren kristallisiert sie selbst nicht, resp. schlecht. 

Es wurde jedoch beobachtet, daß in einer über Phosphor- 
pentoxyd aufgehobenen Probe nach einiger Zeit Abscheidung 
von Kristallen begann. Bei etwa vierwöchentlichem Stehen, 
während dessen auf eine reichhaltige Kristallabscheidung ge- 
hofft wurde, gingen dieselben aber wieder in Lösung, um auf 
Zusatz von wenig Wasser wieder auszufallen. Sie wurden durch 
Umkristallisieren rein erhalten, und ihre nähere Untersuchung 
zeigte, daß sie keine Diaminosäure darstellen, indem z. B. ihre 
wässerige Lösung nicht mit Phosphorwolframsäure fällbar ist, 
wohl aber Kupferoxyd mit tiefblauer Farbe löst und überhaupt 
den Charakter einer Monaminosäure zeigt. 


1) Ber. 88, 3997. 1905. 
®) Ber. 84, 2900. 1901. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 2837 


Die Analyse führte scharf zur Formel C,H;0;N, welche 
einer Oxyaminobuttersäure entspricht, und zur Annahme der 
gleichen Zusammensetzung führte die Analyse des kristalli- 
sierenden &@-Naphthylisocyanatderivates 

CH; — CH(NH.-CO.NHC.H7) — CHOH — COOH. 

Die Bildung einer Oxyaminosäure kann man sich nun 
etwa auf folgendem Wege erklären. 

Vielleicht reagieren zunächst die zwei Bromatome der 
a-8-Dibrombuttersäure (I) mit einem Molekül Ammoniak unter 
Bildung einer Imidobuttersäure (II) die dann unter Wasser- 
aufnahme die @«-Amino-B-oxybuttersäure GID oder die ĝ-Amino- 
a-oxybuttersäure (IV) liefern kann, 


I. II. 
CH; ve 
| 
CHB E CH HO 
| i N Hs i IN H ER 
CHBr °> CH/ 
l 
COOH CooH. 
Ill. IV. 
CH; CH; 
| i 
CHOH CHN He 
| | 
CHNH: oder CHOH 
| i 
COOH. COOH. 


Nun ist bekannt, daß bei den in vielen Beziehungen den 
Imidosäuren analogen Epihydrinsäuren') bei Behandlung mit 
Ammoniak die Aufrichtung der Äthylenoxydbindung derart er- 
folgt, daß Oxyaminosäuren und zwar a-Oxy-ß-aminosäuren ent- 
stehen. So erhält man nach Melikoff aus Epiglyzidsäure *’) 
(V) durch Ammoniak eine Oxyaminopropionsäure, für die aus 


1) Ber. 18, 958. 1880. 

%) Die nahe Beziehung der Epiglyzidsäuren zu den Dibromsäuren 
folgt auch aus einer Beobachtung, die jüngst von Neuberg und 
Marx (noch unveröffentlicht) gemacht ist. Die y-5-Dibromvaleriansäure 
CH,Br — CHBr — CH, — CH, e COOH gibt mit wässerigem Ammoniak 
statt der entsprechenden y-°-Diaminovaleriansäure die Epihydrinsäure 
CH, — CH — CH, — CH, — COOH. 

No/ 


288 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


einer späteren Untersuchung von Emil Fischer und Leuchs!) 
die Konstitution des Isoserins folgt (VD) 


vV. CHN VI. CHN H: 


| O NH ?»— | 
CH/ un CHOH 


| | 
COOH. COOH. 


Da bei der Umwandlung der Epihydrinsäure in die. Oxy- 
aminosäure intermediär wohl die Imidosäure auftritt, war nicht 
unwahrscheinlich, daß im vorliegenden Falle das Methylhomo- 
loge des Isoserins, die «-Oxy-ß-aminobuttersäure, entstanden wäre. 
Dieser Schluß kann unbedenklich als richtig gelten, da die 
ganz analoge Bildung des Isoserins aus a-$-Dibrompropionsäure 
inzwischen von Neuberg und Ascher?) konstatiert ist. 

Auch hier begleitet die Oxyaminosäure zu einigen Pro- 
zenten die hauptsächlich entstehende Diaminoverbindung. 

Der Beweis für die Bildung einer «&-Oxy-ß-aminobutter- 
säure konnte durch die Analyse des Kupfersalzes erbracht werden. 
Emil Eischer und Leuchs (a. a. O.) haben zuerst gezeigt, 
daß das Isoserin abweichend von allen anderen Amino- und 
Oxyaminosäuren ein Kupfersalz bildet, das auf ein Molekül 
Aminosäure ein ganzes Atom Cu bindet, indem Substitution 
des Wasserstoffatoms vom Carboxyl und des vom benachbarten 
Hydroxyl eintritt. Kupfersalze von ähnlichem Typus findet 
man bei verschiedenen anderen @-Oxy-ß-aminosäuren, z. B. bei 
der a- und ß-2-Aminoglukoheptonsäure von Neuberg und 
Wolff’), den beiden isomeren Tetraoxybutyl-isoserinen. Er 
tritt auch bei der Diaminotrioxydodekansäure von E. Fischer 
und Abderhalden‘) auf. 

Die vorliegende Oxyaminobuttersäure lieferte in der Tat 
ein Kupfersalz vom Typus des Isoserinkupfers, d. h. von der 
Zusammensetzung 

CH; +» CHNB; » CHO .» COO 
N Cu” 
aus der man mit großer Sicherheit die angenommene Formel 
herleiten kann. 


1) Ber. 85, 3787. 1902. 

2) Noch unveröffentlicht. 

3) Ber. 85, 4012. 1902 u. 86, 618. 1903. 
t) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 543. 1904. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 289 


Der gelbliche Sirup, der nach der Abtrennung von der kristalli- 
nischen Oxyaminobuttersäure resultiert, enthält die @-$-Diamino- 
buttersäure. Im freien Zustande ist sie nicht ganz rein gewonnen 
worden, da kleine Mengen der vorerwähnten Oxyaminosäure in 
ihr gelöst bleiben. Dagegen sind solche Derivate, die unter be- 
stimmten Bedingungen wohl bei Diamino-, nicht aber bei Oxy- 
aminosäuren isolierbar sind, z. B. das Pikrat und das normale 
Quecksilbersalz, rein erhalten. Außerdem wurde die Phenyl- 
hydantoinsäure dargestellt, die durch Addition zweier Moleküle 
Phenylisocyanat entsteht. 

Die «-$-Diaminobuttersäure zeigt die gewöhnlichen Eigen- 
schaften der Diaminosäuren, wie stark alkalische Reaktion, 
Bindungsvermögen für Kohlensäure, Fällbarkeit durch Phosphor- 
wolframsäure usw. Sie bildet Salze mit Säuren und Basen, 
so mit Kupferoxyd und Platinchlorid. Auffallend ist ihre 
große Zersetzlichkeit. Sie ist z.B. aus dem Phosphorwolframat 
durch Zerlegung mit Baryt nur zum Teil zurückzugewinnen, 
sie erleidet hierbei weitgehende Zersetzung. Hierdurch unter- 
scheidet sie sich von den höheren Diaminosäuren, beispiels- 
weise von Lysin, das aus dem Phosphorwolframat durch 
Barytwasser unzersetzt zurückerhalten werden kann. Sie teilt 
aber die Empfindlichkeit mit der nächst niederen Säure, der 
a-8-Diaminopropionsäure, die nach eigenen Beobachtungen 
aus dem Phosphorwolframate durch Barythydrat auch nur zum 
Teil unverändert in Freiheit gesetzt wird. 


Experimentelles. 
(Mitbearbeitet von Max Federer.) 
A. Diaminoazelainsäure. 
/ CH: » CH: - CHNH: - COOH 
NCH: » CH, » CHNH;, » COOH. 

Als Ausgangsmaterial diente die a-a,- Dibromazelainsäure, 
die bisher unbekannt ist. Sie wurde nach dem von Auwers 
und Bernhardi') eingeschlagenen Verfahren zur Bromierung 
von Dikarbonsäuren durch Einwirkung von Brom und roten 
Phosphor auf Azelainsäure erhalten. Es wurden 30 g Azelain- 
säure nach inniger Mischung mit 6,5 g Phosphor mit 235 g 
Brom behandelt. Jedoch wurde statt des von den genannten 


CH; 


1) Ber. 24, 2232. 1891. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 19 


290 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäaren. III. 


Autoren vorgeschriebenen komplizierten Apparates die einfachere 
von Neuberg und E. Neimann (a.a. O.) gewählte Apparatur 
benutzt, d. h. ein gewöhnlicher Rundkolben mit eingeschliffenem 
Kühlrohr, um welches von außen der Mantel eines Liebigschen 
Kühlers gelegt wurde, während durch das Innere ein dünneres, 
oben erweitertes Glasrohr bis fast auf den Boden des Kolbens 
führte; durch letzteres tropfte das Brom hinzu. 

Durch Eingießen in Wasser werden das zunächst entstandene 
Säuredibromid sowie Halogenverbindungen des Phosphors zer- 
setzt; dabei erwärmt sich die Masse, und es scheidet sich a-a,- 
Dibromazelainsäure als schwach gelbliches Öl ab. Trotz längeren 
Stehens kristallisierte dasselbe nicht!). Es wurde daher mit Äther 
ausgeschüttelt und durch Verdampfen des Äthers zurückerhalten. 
Die so erhaltene Dibromazelainsäure ist bei 0° flüssig. Sie 
wurde ohne weiteres zu den folgenden Versuchen benutzt: 

30 g Dibromazelainsäure wurden mit der gleichen Quantität 
gepulverten Ammoniumkarbonats und der zwanzigfachen Menge 
konzentrierten Ammoniaks (25 °,) 6 Stunden lang im eisernen 
Autoklaven auf 120° erhitzt. Es resultierte eine gelbgefärbte 
Flüssigkeit, die durch Abdampfen in flachen Schalen vom über- 
schüssigen Ammoniak befreit und konzentriert wurde. Nach 
24stündigem Stehen verwandelte sich die dickflüssige Masse in 
einen Kristallbrei, der abgesaugt wurde. Wegen der verhältnis- 
mäßig großen Schwerlöslichkeit der Diaminoazelainsäure in kaltem 
Wasser konnte das bei der Reaktion zugleich entstandene Brom- 
ammonium leicht durch Auswaschen entfernt werden. 

Das zurückbleibende, weiße Produkt wurde in heißem 
Wasser gelöst und nach einiger Konzentration durch Zusatz 
von Alkohol zur Abscheidung gebracht. 

Die Diaminoazelainsäure bildet ein mikrokristallinisches 
Pulver, das keinen ausgeprägten, jedenfalls keinen süßen Ge- 
schmack besitzt. Es schmilzt noch nicht bei 330°. 

Die Ausbeute an reiner Verbindung betrug 20°. der 
Theorie, berechnet auf angewandte Azelainsäure. 


Analyse. | 
0,1619 g Substanz ergaben 0,2932 CO; und 0,1186 H,O. 
0,1530 g = A 17,0 cm? N (21°, 762 mm). 


Co Hıs N; O;: 


1) Besondere Versuche, sie ev. weiter zu reinigen, sind nicht angestellt. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 291 


Ber. C 49,54 l H 8,25 % N 12,84 1o: 
Gef. C 49,39 „ H 314 „ N 12,68 , 

Die Diaminoazelaïnsäure ist leicht löslich in Mineralsäuren 
und Alkalien. Die Salze der Schwermetalle sind außerordent- 
lich wenig löslich und können deshalb nicht durch Kochen 
der Diaminosäure mit den entsprechenden Metalloxyden oder 
Karbonaten dargestellt werden, sondern nur durch doppelte 
Umsetzung der Alkalisalze, bereitet durch Lösen der Diamino- 
säure in der berechneten Menge Normalalkali. 


Diaminoazelainsaures Kupfer. 
ycH,-CH, -CHNR;- COON ou 
NCH: - CH: - CHNH: -COO/ ` 

0,5 g Diaminoazelaïnsäure wurden mit 5 cm? n- Natronlauge 
versetzt, mit etwas Wasser verdünnt und erwärmt. Zu der fil- 
trierten Lösung, die das stark dissoziierte Na -Salz enthält, wurde 
nach völligem Erkalten Kupfersulfat im Überschuß gegeben, 
wobei das diaminoazelainsauere Kupfer sofort als hellblauer 
Niederschlag ausfiel. Es wurde abgesaugt, mit Wasser, Alkohol 
und Äther gewaschen und im Vakuum über Schwefelsäure ge- 
trocknet. 


CH: 


Analyse. 
0,2926 g Substanz ergaben nach dem Glühen 0,822 g CuO 


Cə H16 Ne O, Cu. Ber. Cu 22,74 °/o. 
Gef. Cu 22,44 , 


Diaminoazelainsaures Silber. 
cn,/ CH e. CH, » CHNHa » COOAg 
NCH: » CH: » CHNH: » COOAg. 

Diese Verbindung wurde in analoger Weise aus Diamino- 
azelainsäure, n-Natronlauge und Silbernitrat erhalten. Sie stellt 
ein weißes Pulver dar, das abgesaugt und mit Wasser, Alkohol 
und Äther ausgewaschen wurde. Es ist im Wasser ganz un- 
löslich, löst sich aber leicht in Ammoniak und Salpetersäure. 
Dem Lichte ausgesetzt, bräunt es sich allmählich. 


Analyse. 
0,3140 g Substanz ergaben durch Verglühen 0,1574 g Ag 
a u y Ag 49,97 o. 


Gef. Ag 50,12 „ 
19° 


292 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


Ganz ebenso kann man die anderen Salze der Diamino- 
azelainsäure darstellen. Die Lösung des Natronsalzes ergibt mit 
Quecksilberchlorid eine schwere, weiße Fällung, und mit nor- 
malem Bleiacetat einen dichten, weißen Niederschlag, die beide 
im Überschuß des Fällungsmittels unlöslich sind. 

Wie schon erwähnt, fällen die Alkaloidreagentien die 
Diaminoazelainsäure nicht. Nur Phosphorwolframsäure erzeugt 
in mineralsaurer Lösung eine schwache Fällung. 


Phenyl-iso-cyanatverbindung der Diaminoazelainsäure. 
cn,/ CH: e CH: » CH(NHCON HC; Hs). COOH 
N CH: » CH, - CH (NHCON HC; H;) » COOH. 

1,1 g Diaminoazelaïnsäure wurde in 10 cm? n-Natronlauge 
gelöst, mit 20 cm? Wasser verdünnt, und mit 1,8 g Phenylcyanat 
in bekannter Weise behandelt. Nach mehrstündigem Stehen 
wurde filtriert und die Phenylcyanatverbindung mit Salzsäure 
ausgefällt. Sie stellt ein weißes Pulver dar. Aus verdünntem 
Alkohol umkristallisiert, schmilzt es unscharf gegen 120°. 


Analyse. 
0,1263 g Substanz ergaben 13,6 cm? N (21°, 753 mm). 
Ces Has Os N4. Ber. N 12,28%. 
Gef. N 12,14 „ 


Diaminoazelainsäurediaethylester. 
/ CH: — CH, — CH » NH, — COO »: GH; 
NCH: — CHa — CH - NH: — COO : C: H;. 

Analog der Diaminosebazinsäure läßt sich die Diamino- 
azelaïnsäure verestern. Man übergießt 3 g mit 30 ccm abs. 
Alkohol und leitet einen raschen Strom von trockenem Salz- 
säuregas ein. Die Aminosäure geht bald in Lösung, und die 
gesättigte Flüssigkeit wird noch eine Viertelstunde auf dem 
Wasserbade erwärmt. Die im Vakuum konzentrierte Lösung 
hinterläßt als krümliche Menge das Chlorhydrat des Esters, das 
nach dem Trocknen über Kalk und Waschen mit Aether rein ist. 
0,1470 g Substanz verbrauchten: 8,5 ccm =- AgNO; = 0,0302 g Cl 
0,1206 g Substanz ergaben: 8,8 cem N (762 ™ u. 22°). 

C3 Hes O4 N; Clo. 

Ber. Cl 20,46 %/,; N 8,07% 
Gef. Cl 20,54 o; N 8,26 "/o. 


CH; 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 293 


Der freie Ester entsteht als alkalisch reagierendes Öl 
durch Zerlegung des Chlorhydrates in konz. wässeriger Lösung 
mit festem KOH und kann mit etwas Alkohol enthaltendem 
Äther ausgeschüttelt werden. | 


B. «-$-Diaminobuttersäure. 
CH; - CHNH: - CHNH: » COOH. 

Für die Darstellung der Diaminobuttersäure diente als 
Ausgangsmaterial die @-#-Dibrombuttersäure, welche nach den 
Angaben von Kolbe’) aus Crotonsäure erhalten wurde. 

Zu einer kalt gehaltenen Lösung von Crotonsäure- in 
Schwefelkohlenstoff wurde die berechnete Menge Brom, eben- 
falls in Schwefelkohlenstoff gelöst, zugetropft, das Gemisch 
2 Tage im verschlossenen Gefässe gehalten und dann der frei- 
willigen Verdunstung überlassen. Die zurückbleibende Dibrom- 
buttersäure zeigte aus Schwefelkohlenstoff umkristallisiert den 
angegebenen Schmelzpunkt 87°. 

50 g Dibromsäure wurden zur Umwandlung in die Diamino- 
säure mit der gleichen Menge festen, gepulverten Ammonium- 
karbonates und der zwanzigfachen Menge wässerigen Ammoniaks 
(25 °/,) 6 Stunden lang im eisernen Autoklaven auf 120° erhitzt. 
Es resultierte eine gelb gefärbte Flüssigkeit, die durch Ein- 
dampfen vom Ammoniak befreit wurde. Aus dem durch Kon- 
zentration gewonnenen dicken Sirup konnte jedoch das bei der 
Reaktion entstandene Bromammonium wegen der leichten Lös- 
lichkeit der Diaminosäure nicht von dieser getrennt werden. Es 
wurde deshalb das Gemisch von neuem in Wasser gelöst, mit 
Silberoxyd zersetzt und bei gelinder Wärme das Ammoniak ver- 
dunstet, filtriert, alles in Lösung befindliche Silber mit Schwefel- 
wasserstoff ausgefällt und die Flüssigkeit zum dünnen, hell- 
gelben, alkalisch reagierenden Sirup konzentriert. Dieser wurde 
über Phosphorpentoxyd der freiwilligen Kristallisation überlassen. 

Nach kurzer Zeit war geringe Kristallabscheidung bemerk- 
bar. Die Kristalle verschwanden in dem Maße, als dem Sirup 
Wasser entzogen wurde und fielen bei Zusatz von wenig Wasser 
wieder aus. Da die Diaminobuttersäure selbst äußerst hygro- 
skopisch und demgemäß sehr leicht löslich ist, die Kristalle 
außerdem in wässeriger Lösung im Gegensatze zu dem Sirup 


1) C. Kolbe, Journ. f. prakt. Chem. [2], 25, 396. 


294 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


neutral reagierten und mit Phosphorwolframsäure keine Fällung 
gaben, mußten sie als eine von der a-ß-Diaminobuttersäure 
verschiedene Substanz angesehen werden. Sie erwiesen sich, 
wie dargelegt ist, als @-Oxy-ß-aminobuttersäure. 

Der Sirup wurde von den Kristallen durch Absaugen auf der 
Nutsche getrennt und wiederum konzentriert. Er stellte dann 
eine gelbe, dickflüssige, eigenartig nach Leim riechende Masse 
dar, die, mit Alkohol oder Äther übergossen, erstarrte, in Be- 
rührung mit der atmosphärischen Luft aber sehr schnell Feuchtig- 
keit anzog und in kurzer Zeit zerfloß. Von einer Analyse wurde 
deshalb Abstand genommen und nur einige Derivate der a-ß- 
Diaminobuttersäure analysiert. 

Die Menge des über PO; getrockneten Sirups betrug 15 g 
gleich 24 °/, der Theorie (berechnet auf die angewandte Dibrom- 
säure). 

Der qualitativen Prüfung unterworfen, zeigt die &-#-Diamino- 
buttersäure folgendes Verhalten: 

Die wässerige Lösung nimmt mit CuCO; gekocht tiefblaue 
Färbung an. 

HgCl, erzeugt einen weißen, flockigen Niederschlag. 

Phosphorwolframsäure erzeugt in neutraler oder schwefel- 
saurer Lösung eine starke, weiße, massige Fällung. 

Jodwismut-Jodkalium erzeugt einen Niederschlag, der sich 
im Überschuß des Fällungsmittels wieder auflöst. 

Bleiacetat erzeugt weiße Fällung, löslich im Überschuß des 
Reagenzes. 


Derivate der Diaminobuttersäure. 


Da das durch Kochen der wässerigen Lösung der Säure 
mit Kupferkarbonat erhaltene Kupfersalz bei der Analyse stets 
einen zu hohen Kupfergehalt ergab, was darauf schließen ließ, 
daß die Diaminobuttersäure noch durch beigemengte Oxyamino- 
säure verunreinigt sei, wurde zunächst versucht, erstere durch 
Fällung mit Phosphorwolframsäure und nachherige Zerlegung 
mit Barytwasser im reinen Zustande zu erhalten. Dabei trat 
aber weitgehende Zersetzung der Diaminosäure ein. Deshalb 
mußte auf die Isolierung des reinen Kupfersalzes verzichtet 
werden. Dagegen konnten das Phenyl-iso-cyanat und Pikrat, 
sowie das Quecksilbersalz rein dargestellt werden. 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 295 


Phenyl-iso-cyanatverbindung der Diaminobuttersäure. 
CH; 
CH (NH.CO.NHC,H;) 
CH (NH. CO .NHCsH;3) 
COOH. | 


1 g rohe Diaminobuttersäure wurde in 20 cm? Wasser gelöst, 
mit 8,5 cm? n-Natronlauge versetzt, 3 g Phenyl-i-cyanat hinzu- 
gefügt und kräftig geschüttelt, bis der Geruch des Phenyl- 
cyanates verschwunden war. Die Lösung wurde nach mehr- 
stündigem Stehen vom ausgeschiedenen Diphenylharnstoff 
abfiltriert, und die Phenylcyanatverbindung mit Salzsäure als 
ein zunächst gelblich gefärbter Niederschlag ausgefällt. Durch 
Umkristallisieren aus verdünntem Alkohol wurde sie in rein 
weißem Zustande erhalten. Sie schmolz dann bei 238°. 


Analyse 


der im Vakuum über Schwefelsäure getrokneten Substanz: 
0,1747 g Substanz ergaben 23,9 cm® N (20°, 760 mm). 
Cs H20 N4 O4. 
Ber. N 15,73 %%. 
Gef. N 15,66 “v. 


Pikrat der Diaminobuttersäure. 
Ces H: (NO2) + OHCH; (CHNH2)} CO: H + 2H; O. 

Eine Lösung von 1,5 g Pikrinsäure in heißem Wasser 
wurde mit etwas mehr als der berechneten Menge Diamino- 
buttersäure versetzt, und die Flüssigkeit durch Eindampfen 
konzentriert. Nach dem Erkalten schied sich auf Zusatz von 
Alkohol das Pikrat als gelber, flockiger Niederschlag aus, der 
abgesaugt und über Schwefelsäure getrocknet wurde. 

Das Pikrat zersetzt sich beim Erhitzen im Kapillarrohr 
schon gegen 90°. 

Es ist hygroskopisch und demgemäß leicht in Wasser 
löslich. 

Die Analyse ergab einen Kristallwassergehalt!) von 2 mol. 


ı) Das Pikrat der homologen «-8-Diaminopropionsäure enthält gleich- 
falla 2 Moleküle Kristallwasser. 


296 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 


Analyse. 
0,1196 g Substanz ergaben 19,0 cm? N (20,5°, 786 mm). 
0,1235 g Substanz ergaben 0,1411 g CO, und 0,0511 H:O. 
CoHı: Oi: Ns = Cio Hı; N5 Og + 2 HO. 
Ber. C 31,33 o H 4,44 °%/, N 18,25 % 
Gef. C 31,16 „ H 4,59 „ N 18,32 „ 
Eine direkte Wasserbestimmung konnte wegen des niedrigen 
Zersetzungspunktes des Pikrates nicht ausgeführt werden. 


Quecksilbersalz der Diaminobuttersäure. 
(CH; -CHNH;, - CHNH; - COO): Hg. 

Trägt man in die wässerige Lösung der Diaminobuttersäure 
frisch gefülltes Quecksilberoxyd ein und erwärmt auf dem 
Wasserbade, so löst sich ein Teil desselben auf. Nach ein- 
stündigem Erwärmen wird abfiltriert, und die klare, schwach 
gelb gefärbte Flüssigkeit auf dem Woasserbade bis auf ein 
kleines Volumen eingeengt. Dabei scheiden sich schillernde 
Häutchen ab; von diesen wird abfiltriert und die dabei 
abfließende Flüssigkeit in das 10-fache Volumen absoluten 
Alkohols eintropfen gelassen. Dabei fällt das Quecksilbersalz 
als weiße, amorphe Masse, die abfiltrier, nochmals in Wasser 
gelöst und von neuem mit Alkohol gefällt wird. Sie bildet 
dann ein weißes, durchaus luftbeständiges Pulver, das die 
Zusammensetzung des normalen Quecksilbersalzes besitzt. Letzteres 
löst sich außerordentlich leicht im Wasser und erteilt ihm 
alkalische Reaktion. 

Analyse 
der bei 90° getrockneten Verbindung: 

0,2440 g Substanz ergaben 0,1315 g HgS 

0,2392 g Substanz ergaben 13,7 cm? N (18°, 750 mm). 

Cs Hs Na O4 Hg l 

Ber. Hg 46,08 °;, N 6,45 °/, 
Gef. Hg 46,48 „ N 6,44 , 


C. «-Oxy-ß-aminobuttersäure. 
CH; - CHNH, - CHOH - COOH. 
Die bei der Synthese der Diaminobuttersäure als Neben- 
produkt erhaltene Substanz ließ ihrem qualitativen Verhalten 
nach auf eine Monoaminosäure schließen. Denn sie gibt mit 


C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 297 


Kupferkarbonat gekocht eine dunkelblaue Lösung, dagegen mit 
Phosphorwolframsäure keine Fällung. Ebensowenig wird sie 
durch Bleiacetat, Bleisubacetat oder Bleisubacetat und Ammoniak 
gefällt. Auf Grund der Elementaranalyse muß ihr die empi- 
rische Formel C,H,O,N zugeschrieben werden, welche einer 
Oxyaminobuttersäure entspricht. 


Analyse. 
0,1557 g Substanz ergaben 0,2303 g CO, und 0,1060 g H:O 
0,1325 g Substanz ergaben 13,5 cm? N (21°, 758 mm). 
C,H,NO,. 
Ber. C 40,34 °/, H 7,56 °% N 11,76 %%. 
Gef. C 40,34 „ H 7,56 „ N 11,56 „ 


Die Verbindung bildet, aus verdünntem Alkohol umkri- 
stallisiert, schöne, rhombische Tafeln, die sich über 200° zer- 
setzen und intensiv fichtenspanrötende Dämpfe entwickeln. 


10 cm? Wasser lösen bei Zimmertemperatur 0,5278 g 
der Säure. 


Über die Konstitution der Säure, ob die Aminogruppe sich 
in a- oder $-Stellung zur Karboxylgruppe befinde, sollte die ge- 
wöhnliche oder abnorme Zusammensetzung des Kupfersalzes 
eine Entscheidung geben. Denn 8-Oxy-a-aminosäuren bilden 
regelmäßig normale, a-Oxy-3-aminosäuren anomal zusammen- 
gesetzte Kupfersalze. 


Kupfersalz der a-Oxy--aminobuttersäure. 


CH; - CHNH; - CHO.-COO 


NZ 
Cu 


Dieses wurde in gewohnter Weise durch Kochen der wässe- 
rigen Lösung mit Kupferkarbonat dargestellt, filtriert und ein- 
geengt. Da das so bereitete Kupfersalz zu einem nicht kristalli- 
sierenden, blauen Firnis eintrocknet, wurde es aus der konzen- 
triertten Lösung durch Alkohol ausgefällt.e Es bildet dann 
ein himmelblaues Pulver. Dieses zeigt beim Trocknen im 
Vakuum bei 100° keine Gewichtsabnahme, und ist daher — 
bei der angegebenen Art der Darstellung — frei von Kristall- 
wasser, im Gegensatze zum Isoserinkupfer, das davon drei Mole- 
küle enthält und diese erst bei 160° abgibt. 


298 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. IIl. 


Analyse. 


0,1535 g der im Vakuum bei 100° getrockneten Substanz er- 
gaben 10,2 cm? N (20°, 762 mm). 
0,2132 g Substanz ergaben 0,0935 g CuO. 
C,‚H;0;NCu. 
Ber. Cu 35,21 %/, N 7,74 ®/o. 
Gef. Cu 35,04 „ N 7,62 „ 


Demnach wird auf ein Molekül Oxyaminosäure ein ganzes 
Atom Kupfer gebunden. 


a-Naphthyl-iso-cyanatverbindung der @-Oxy-ß-amino- 
buttersäure. 
CH; -CH(NH.- CO. NHC,H;)- CHOH »- COOH. 

0,5 g der Säure werden 6 cm? n-Natronlauge und 20 cm? 
Wasser gelöst und mit 1,2 g a-Naphthyl-i-cyanat, dem jüngst 
von Neuberg und Manasse!) empfohlenen Reagenz, behandelt. 
Sie gibt damit glatt die «-Naphthylhydantoinsäure, die aus der 
alkalischen Lösung durch HCl fast quantitativ ausfällt und 
deren Vorliegen die Analyse bestätigte. Das Naphthylcyanat- 
additionsprodukt wurde zur Reinigung aus alkoholischer Lösung 
durch Wasser ausgefällt. 

Beim Erhitzen im Kapillarrohre zersetzt es sich oberhalb 
170°. 

Analyse. 
0,1947 g Substanz ergaben 16,8 cm? N (25°, 756 mm). 
Cis His O4 Ne. 
Ber. N 9,72%. 
Gef. N 9,57 „ 


1) Ber. 38, 2359. 1905. 


Berichtigung 


zu: J. Wohlgemuth: Chemie der Phosphorleber. 
(Biochemische Zeitschrift 1, S. 161.) 


S. 163, Tabelle II, Versuch 3 und 5 sind die Zahlen für Schwefel 
und folglich N :S durch 2 zu dividieren, müssen also heißen 0,52 und 0,49, 
dementsprechend 1:0,88 und 1: 0,72. 


Über Glykaemie und Glykosurie. 


Von 
E. Liefmann und R. Stern. 


(Aus der inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses 
zu Frankfurt a. M.) 


(Eingegangen am 18. Juli 1906.) 


Wenn wir von den anscheinend nur nach Phlorizinvergiftung 
auftretenden renalen Glykosurien absehen, sind alle uns be- 
kannten Formen der Glykosurie hämatogenen Ursprungs, d. h. 
Vorbedingung für die Glykosurie ist die Hyperglykaemie. Es 
ist demzufolge eine genaue Kenntnis des Verhaltens des Blut- 
zuckere bei den verschiedenen Formen der Zuckerausscheidung 
naturgemäß von großer, nicht nur theoretischer, sondern auch 
praktischer Bedeutung. Es muß befremdlich erscheinen, wie 
wenig sicheres über den Blutzucker unter pathologischen, ja 
selbst unter normalen Verhältnissen bekannt ist. Wechseln 
doch die Angaben der einzelnen Autoren über den normalen 
Blutzuckergehalt des Menschen von Werten von 0,05 bis zu 
solchen von 0,33. 

Es sind augenscheinlich mehrere Umstände, die diesen 
außerordentlichen Mangel an Einheitlichkeit der Resultate be- 
dingen. Einmal kommt es gerade bei Bestimmungen des Blut- 
zuckers, wie es scheint, sehr auf die Art der Entnahme an. 
Wissen wir doch, daß bei manchen Tieren schon geringe 
mechanische Insulte, wie die Fesselung, genügen, um eine ver- 
mehrte Ausschwemmung von Zucker aus der Leber zu ver- 
anlassen, und ebenso dürfte sehr gesteigerte Muskeltätigkeit und 

Biochemische Zeitschrift Band I. 20 


300 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 


andere hier nicht zu erörternde Faktoren auf den Gehalt des 
Blutes an Zucker einwirken. 

Mehr noch aber als die schon geschilderten Verhältnisse 
waren es die rein chemisch-methodischen Schwierigkeiten, die 
die außerordentliche Divergenz der Resultate der einzelnen Unter- 
sucher hervorriefen. Manche der namentlich früher für die Be- 
stimmung des Blutzuckers angewandten Methoden birgt gerade 
bei ihrer Ausführung an Blutfiltraten äußerst starke subjektive 
Momente. Wir denken hier in erster Linie an die Titration 
nach Fehling. Weit besser anwendbar ist die Methode nach 
Allihn und mehr noch die Knappsche Methode, die bei 
richtiger Anwendung Resultate von ganz außerordentlicher 
Schärfe liefert. Was bei allen diesen Methoden, in denen die 
reduzierende Kraft von Blutfiltraten gemessen wird, in Wirk- 
lichkeit zur Titration gelangt, ist zwar sicherlich in der Haupt- 
sache Traubenzucker, unsere Kenntnis von den Filtratkörpern 
des Blutes ist aber keine so vollkommene, daß wir das Vor- 
kommen anderweitiger reduzierender Substanzen völlig aus- 
schließen können, ja es erscheint sogar recht wahrscheinlich, 
daß geringe Mengen anderweitiger reduzierender Substanzen, so 
namentlich leicht spaltbare Glukuronsäuren, im Blute vorkommen 
können. Müssen wir unter diesen Umständen auch immer die 
mit den Reduktionsmethoden gewonnenen Werte mit einer ge- 
wissen Zurückhaltung betrachten, so ist es doch im allgemeinen, 
namentlich von praktischen Gesichtspunkten aus, gerechtfertigt, 
sie auf Traubenzucker zu berechnen. 


Es schien uns daher durchaus erforderlich, unseren Unter- 
suchungen über den Blutzucker unter pathologischen Bedingungen 
eine größere Reihe von Normalbestimmungen und zwar mit der 
gleichen Methode, mit der wir später zu arbeiten gedachten, 
zugrunde zu legen, da die von den verschiedenen Autoren 
gefundenen Werte viel zu sehr divergieren, um an ihnen 
die Grenze des Normalen und Pathologischen festlegen zu 
können. 


Wir lassen zuvor eine Anzahl älterer Werte tabellarisch 
geordnet folgen: 


E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 301 


1) Claude Bernand . Hund 0,1 —0,25 
2) Pavy . . . . | Hund, Katze, Schaf, | 0,06—0,1 
Ochse 
N Seegen . . . . Mensch 0,17 Mittel aus 16 Be- 
stimmungen 

4) Frerichs . . . Mensch 0,12—0,33 

5) v. Mering. . . Mensch 0,1 —0,15 

©) v. Noorden . . Mensch 0,05—0,15 

1) Naunyn ... Mensch 0,08—0,09 


Wir gingen bei unseren Untersuchungen so vor, daß wir 
am ruhenden, nüchternen Menschen mittels einer Hohlnadel 
die V. cubitalis punktierten und das Blut in einen Kolben, der 
100 ccm einer HCl-Lösung von 2°/, und 50 ccm Wasser enthielt, 
einströmen ließen. Nach Fällung mit 100 ccm einer 5prozentigen 
Sublimatlösung nach Schenck ließen wir die Lösung sich 
mehrere Stunden, doch nicht länger als höchstens 24 Stunden 
absetzen, da es, wie sich in bisher unveröffentlichten Versuchen 
von Embden gezeigt hat, bei längerem Stehen mit Sublimat 
zu Zuckerverlusten kommen kann. Im Durchschnitt ließen wir 
die Lösung 6 Stunden stehen und filtrierten dann ab. Das 
Filtrat wurde mit Schwefelwasserstoff entquecksilbert, der 
Schwefelwasserstoff durch einen Luftstrom verjagt, ein aliquoter 
Teil neutralisiert, mit HCl schwach angesäuert und im Vakuum 
auf 20 ccm eingeengt, die eingeengte Flüssigkeit auf 50 ccm 
aufgefüllt, schwach alkalisch gemacht und, wie in der Arbeit 
von Embden?) über Zuckerbildung in der glykogenfreien Leber 
eingehend beschrieben ist, nach Knapp titriert. 

Wir legten Wert darauf, die Untersuchung am ruhenden 
Menschen vorzunehmen, da es auf Grund vorläufiger Versuche °) 
sehr möglich erscheint, daß Muskelbewegungen durch Aus- 
schwemmung des Leberglykogens den Blutzuckergehalt steigern 


1) Zitiert nach Seegen, Zuckerbildung S. 104. 

23 Physiology of the carbohydrates S. 161. 

5 s. o. S. 109. 

4) Frerichs, Diabetes melitus S. 9, 

5) v. Mering, Diabetes melitus im Penzoldt-Stintzing. 
© Pathologie des Stoffwechsels S. 408. 

1) Der Diabetes melitas S. 13. 

°, Hofmeisters Beiträge Bd. VI, S. 49. 

%, Die Versuche werden fortgesetzt. 


302 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 


können, eine Frage, der wir im Tierexperiment näher zu treten 
gedenken. 


Wir lassen jetzt unsere Normalwerte folgen: 








Nr. Stand Zucker Bemerkungen 
0, 
1 | Arbeiter . . . .| 0,071 
2 | Arbeiter . . . .| 0,074 
3 | Tagelöhner . . . | 0,072 
4 | Tagelöhner . . . | 0,0966 
5 | Arbeiter . . . . | 0,078 
6 | Arbeiter . . . . | 0,066 
7 | Arbeiter . . . .| 0,065 
8 | Art .... .| 0,104 Nach körperlichen Bewegungen. 
9 | Art . . . . .]| 0,093 
10 | Art . . . . .}] 0,08 
11 Arbeiter . . . . | 0,086 
12 | Cand med. . . .| 0,101 Nach längerem "Spaziergang. 
13 | Arzt (cfr. Nr. 10) . | 0,0996 | Nach längerem Spaziergang. 
14 | Arbeiter . . . .| 0,0916 
15 | Arzt (cfr. Nr.8) . | 0,09003 | Morgens im Bett. 
16 | Handwerksbursche . | 0,0905 
17 | Bergmann. . . .| 0,105 
18 | derselbe . . . .| 0,08 Nach Schwitzbad. 
19 | Arbeiter . . . . | 0,094 
20 | Art . . . . .| 0081 


Wir finden also als den höchsten Normalwert 
0,105 Prozent, als den niedrigsten 0,065. Als Mittel 
aus 20 Normalbestimmungen ergibt sich 0,086. Wir 
betrachten demnach einen Blutzuckergehalt von 0,1 als hoch- 
normal, 0,11°/, bereits als Hyperglykaemie. Dieser von uns 
gefundene Normalwert deckt sich unter allen publizierten Zahlen 
nur mit der von Naunyn angegebenen (0,08—0,09), welche 
nach der Methode von Abeles gewonnen wurde. — 


Das wohl einzig dastehende Diabetesmaterial der 
von Noordenschen Abteilung gab uns reiche Gelegenheit, 
einer Anzahl interessanter und für das Verständnis des Dia- 
betes wichtiger Fragen näher zu treten. Es galt vor allem, 
Beziehungen aufzudecken zwischen Glykaemie und Glykosurie, 
resp. Zuckerfreiheit. Ferner war es von hohem Interesse, die 
Abhängigkeit der Hyperglykaemie von der Dauer und Schwere 


E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 303 


der Erkrankung, sowie das Verhalten des Blutzuckers bei Kom- 
plikationen (Coma, Nephritis) zu studieren. 

Wir lassen zuerst die untersuchten Diabetesfälle, tabellarisch 
geordnet, folgen: 


Dauer A 
Name TEA Urin Blut | Bemerkungen 






Diabetes fraglich | Ki. 0 0 
oder nicht vor- B 2 
handen m 


























3 Jahre Kr. 3 Jahre Spuren | 0,134 
Je. ur 1,9 | 0,209 
4—5 Jahre |Schl. 4—5 Jahre 








Schl. 4—5 , 0,97 

Schw. 4—5 ,„ Spuren 

Schw. 4—5 , 1,05 
s 





10—15 Jahre 











1/3 oo Albumen 







Diabetes und 
Albuminurie 


Diabetes und 











wenige Tage 





Nephritis Ey. 4—5 Jahre ' 2,4 
Ey. 4—5 „ | 0 0,183 | Erste zuckerfreie 
| Tagesportion 
0,107 | Seit längerer Zeit 
zuckerfrei 


Glykosurie bei 
Hirntumor 






304 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 


















| 
Name des on Urin | Blut | Bemerkungen 
Coma R. ? 89 | 0,44 
diabeticum et | G. ? 3,89 | 0,573 
uraemicum Schl. 2 Jahre 3,1 | 0,53 
Schl. 2 „5 Spuren | 1,01 
Kr. ? 1,4 ‘| 0,85 | Urämie 






Alimentäre Gly- | Ka. | —_ 0,218 
kosurie Ma. | — 1,0 |0,147 
Ko. — 2,7 |0,126 
Hol. — — |0,0812| Normal 
Hol. — — |0,069 | 100 g Glykose 
Hol. — 0,52 |0,098 | 200 g = 


Die Untersuchungsreihe bringt von neuem den Beweis der 
zuerst von Claude Bernard aufgestellten, wohl nur von 
Seegen auf Grund unrichtiger Normalzahlen bezweifelten Be- 
hauptung, daß der Glykosurie primär eine Hyperglykaemie zu- 
grunde liegt, mit andern Worten, daß jede Glykosurie (außer 
der Phlorizinglykosurie) eine hämatogene ist. Wir sehen, und 
zwar besonders bei frischen Fällen, daß schon eine geringe 
Überschreitung der Norm (0,115) genügt, um Zucker im Harn 
auftreten zu lassen. 


Es mußte von besonderem praktischen wie theoretischen 
Interesse sein, das Verhalten der Glykaemie an ein und dem- 
selben Individuum im glykosurischen und aglykosurischen Zu- 
stande zu studieren. So konnte man erwarten, über die ja an 
sich nicht eben überraschende Tatsache der Hyperglykaemie 
bei Glykosurie hinaus feinere Aufschlüsse über die Vorgänge 
des Zuckerhaushaltes zu erhalten. Wir verfügen hier über eine 
Anzahl interessanter Daten. Fall Gr., ein fettleibiger Diabetiker 
der leichten Form, zeigt bei 2°/, Harnzucker 0,25 °/, Blutzucker- 
gehalt, welcher bei Zuckerfreiheit glatt auf die Norm 0,095 ab- 
sinkt. Co., mittelschwerer Diabetiker (vgl. Tabelle), erreicht nur 
einen Wert von 0,11 bei Zuckerfreiheit, derselbe bleibt bei 
längerer Zuckerfreiheit konstant, um bei dem ersten Auftreten 
von Glykosurie wieder auf 0,163 zu steigen. Bei Patient Sch. 
finden wir einen Wert von 0,163 bei Zuckerfreiheit, im Falle 
Schw. 0,188 bei minimaler Glykosurie.. Fall Ey. bleibt bei 
0,183 °/, zuckerfrei, bei lange dauernder Kohlehydratentziehung 


E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 305 


sinkt der Blutzucker auf 0,107 und steigt bei der ersten wieder 
auftretenden Glykosurie auf 0,286. — 


Wir stehen also vor dem theoretisch wie praktisch wich- 
tigen Faktum, daß zwar Hyperglykaemie die Vorbedingung der 
Glykosurie, letztere aber nicht die notwendige Folge der Hyper- 
glykaemie sein muß, wir also auch ohne Glykosurie tiefgreifenden 
Störungen des Kohlehydratstoffwechsels gegenüberstehen können. 
Wir halten es für nicht unangebracht, diesen Tatsachen mit 
der Einführung des Begriffes der inneren Toleranz Rechnung 
zu tragen. Wir verstehen unter der inneren Toleranz die Summe 
der Vorgänge, welche teils durch Regulierung der Einfuhr des 
Zuckers aus den Reservoirs in das Blut, teils durch den Ver- 
brauch in den Geweben, die normale Höhe des Blutzuckers 
gewährleisten. Wir sehen, daß im normalen Organismus diese 
Einstellungsvorgänge ungemein fein arbeiten und jedenfalls nur 
ganz geringe Schwankungen des Blutzuckergehaltes zulassen. 
Wie schon erwähnt, haben wir Grund zu der Annahme, daß 
Muskelarbeit sowie Einflüsse der äußeren Temperatur die Haupt- 
faktoren sind, welche diese Schwankungen, vermutlich durch 
eine verstärkte Glykogenausschwemmung aus der Leber, be- 
dingen, während normalerweise eine Abhängigkeit von der 
Nahrungszufuhr nicht zu bestehen scheint (vgl. Fall Holl.). Der 
inneren Toleranz stellen wir als etwas viel Gröberes die 
äußere Toleranz, d.h. die Dichtigkeit des Nierenfilters für 
Zucker entgegen. Wir sehen also, daß beim zuckerfreien Dia- 
betiker die innere Toleranz noch schwerste Störungen aufweisen 
kann, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die Neigung 
des Diabetikers zu Entzündungen aller Art, zu Neuritiden und 
Muskelschmerzen, auf die trotz Zuckerfreiheit weiter bestehende 
Hyperglykaemie beziehen. Die Möglichkeit, bei länger dauernder 
Kohlehydratentziehung auch die innere Toleranz zu steigern, 
zeigt sich sehr klar am Fall Ey. und führt zu wichtigen thera- 
peutischen Konsequenzen. 


Auffallend ist die bei den einzelnen Individuen ungemein 
schwankende äußere Toleranz. Da wir nicht leicht in die Lage 
kommen, gerade den Schwellenwert der zur Glykosurie führenden 
Glykaemie zu finden, so müssen wir uns mit dem Vergleich der 
Werte begnügen, denen bei den einzelnen Individuen die äußere 


306 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 


Toleranz noch standhält. Eine kleine Tabelle wird diese Ver- 
hältnisse am besten erläutern. 








Name | Dauer Harn Blut Semer: 

kungen 
Ro. . . . | Seit 8 Tagen Spuren 0,105 
Co. . . .| 7 Monate 0 0,11 
Kl. . . .| 4—5 Jahre 0 0,152 
Schl.. . .| 4—5 , 0 0,163 
Schw. . .| 4—5 , Spuren 0,188 

Ey. . . .| 4-5 „ 0 0,183 Nephritis 
St. 2... 10 „ 0 0,154 
We re... l5 a Spuren 0,224 


Man kann sich bei dem Vergleich dieser Zahlen dem Ein- 
druck nicht verschließen, daß auf die äußere Toleranz die 
Dauer der Erkrankung einen offenbaren Einfluß hat. Es scheint, 
daß das Nierenparenchym auf irgend eine Weise sich auf einen 
höheren Schwellenwert einstellt. Es kann hier natürlich nicht 
von den schwersten Fällen die Rede sein, die bei dauernder 
Glykosurie und Einschmelzung von Körpereiweiß einen Ver- 
gleich zwischen innerer und äußerer Toleranz überhaupt nicht 
gestatten, sondern von den leichteren und mittelschweren, bei 
denen überhaupt noch von einer äußeren Toleranz gesprochen 
werden kann. 

Bei diesen scheint allerdings das Nierenfilter an Dichtigkeit 
zu gewinnen), während das Hauptsymptom der diabetischen 
Stoffwechselstörung, die Hyperglykaemie, ungestört ihren Fort- 
gang nimmt. Die Wichtigkeit der Aufgabe, diesem Symptom 
durch unsere Therapie entgegenzuarbeiten, den Blutzuckerwert 
möglichst weit unter den Schwellenwert herabzudrücken, auch 
wenn Zuckerfreiheit des Harns schon erreicht ist, leuchtet ein. 
Sie findet ihren schärfsten Ausdruck in der Naunynschen 
Auffassung der diätetischen Behandlung als einer Schonung 
und Kräftigung der dem Zuckerstoffwechsel dienenden Gewebe. 
Einen zahlenmäßigen Ausdruck findet diese Kräftigung in dem 
Absinken des Blutzuckers von 0,183 auf 0,107 im Fall Ey. bei 
lange durchgeführter strenger Diät. 





1) Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß außer in dem Fall 
Ey. weder Nephritis noch Albuminurie bestand, 


E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 307 


Den höchsten Grad der Hyperglykaemie finden wir in 
jenen Fällen, wo das Nierenfilter nahezu vollständig verstopft 
ist für die angehäuften Stoffwechselgifte, nämlich im Coma 
diabeticum. Wir finden hier Werte von 0,44 bis zu der erstaun- 
lichen Höhe von 1,01. Ebenso finden wir in einem Falle von 
Uraemie bei Diabetes den enormen Wert von 0,85. Ähnlich 
hohe Zahlen fand Naunyn’) in seinen Fällen von Coma, sowie 
in einem Fall von Diabetes mit eitriger Nephritis. Es sprechen 
auch diese Zahlen sehr für die Abhängigkeit der Glykaemie von 
der Beschaffenheit des Nierenfilters. 

Da wir aus den ausgedehnten Untersuchungen von Poll?), 
welche auf der hiesigen Krankenabteilung vorgenommen wurden, 
wissen, daß mehrtägiges Fieber in hohem Maße zur alimentären 
Glykosurie (e saccharo) disponiert, so schien uns die Unter- 
suchung des Blutzuckergehalts bei fieberhaften Erkrankungen 
von besonderem theoretischen Interesse. — Wir wählten hierzu 
Patienten mit kruppöser Pneunomie, bei denen aus thera- 
peutischen Gründen ein Aderlaß gemacht wurde. Es sind diese 
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, doch halten wir es 
für wichtig, die bisherigen höchst auffallenden Ergebnisse schon 
mitzuteilen. 




















Tabelle: 
000 | Harn | o. | DT TTn 
Name un Blut Bemerkungen 
Alb. | Z. 
1. M. ? | o 0,098 
2. A. 0 | 0 0,108 
0 0 0,17 1 Stunde nach Einnahme 
| von 200 g Glukose 
3. R + 0 0,136 
+ 0 0,281 1 Stunde nach Einnahme 
| von 100 g Glukose 
4. Pr.. 0:0 0,155 


Wir stehen hier vor der Tatsache, daß bei der Pneumonie 
nicht nur sehr hohe Blutzuckerwerte ohne Glykosurie vor- 
kommen, sondern daß in zwei Fällen sich durch Glukose eine 
ganz beträchtliche Anreicherung des Blutzuckers erzielen läßt, 

) A.a.0. S. 150. 

2?) Arbeiten aus dem Städt. Krankenhause in Frankfurt a. M. 1896. 


308 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 


ohne daß Glykosurie auftrat. (Daß die Angaben über den 
Urinzucker sich hier, wie in allen untersuchten Fällen, auf den 
unmittelbar vor der Punktion gelassenen Harn beziehen, ist 
wohl selbstverständlich.) Diese eigentümliche Tatsache dürfte 
wohl mit der im Fieber gesteigerten Verbrennung und dem 
entsprechend erhöhten Zuckertransport aus der Leber ins Blut 
in Verbindung zu bringen sein, während das Ausbleiben der 
Glykosurie wohl auf febrile Schädigung des Nierenfilters zu 
beziehen ist. 

Immerhin scheinen hier so komplizierte Verhältnisse vor- 
zuliegen, daß wir uns mit diesem Hinweisen begnügen müssen, 
ohne uns auf weiteres Theoretisieren einzulassen. 

Ob diese eigentümlichen Störungen der inneren Toleranz 
in spezifischer Weise der Pneumonie, oder lediglich dem be- 
gleitenden Symptom, dem Fieber, ihre Entstehung verdanken, 
müssen weitere Untersuchungen an anderen fieberhaften Er- 
krankungen lehren. 


Über die Ursachen der Immunität der Bienenmotte 
(Galeria melonella) gegen Tuberkulose. 


Von 
S. Metalnikoff. 


(Aus der zoologischen Abteilung der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften 
und der chemischen Abteilung des Kaiserl. Instituts f. experim. Medizin 
in St. Petersburg.) 


(Eingegangen am 23. Juli 1906.) 


Die Raupen der Bienen- (oder Wachs-) Motte (Galeria melo- 
nella) besitzen zweifellos eine Immunität in bezug auf Infektion 
mit Tuberkulose (Centr. f. Bact., XLI. Bd., 1906). 


Von dieser Immunität kann man sich unschwer über- 
zeugen, indem man größere Dosen virulenter Tuberkelbazillen 
in die Leibeshöhle dieser Insekten injiziert. Diese Bazillen 
werden sowohl innerhalb der Leukocyten wie auch im Inneren 
besonderer vielkerniger Zellen und Kapseln, welche in der Leibes- 
höhle zur Bildung gelangen, mit erstaunlicher Geschwindigkeit 
vernichtet. Bereits eine oder zwei Stunden nach erfolgter In- 
jektion kann man die Bildung dieser vielkernigen Zellen und 
Kapseln beobachten. Nach 24 Stunden sind fast alle Bazillen 
zerstört und in ein dunkelbraunes Pigment verwandelt. Die 
Geschwindigkeit, mit welcher die Zerstörung der Tuberkelbazillen 
vor sich geht, steht in Abhängigkeit von zwei Ursachen: 


Einerseits spielt hier die Virulenz der Bazillen selbst eine 
Rolle. Stärkere und jüngere Kulturen werden in dem Orga- 
nismus der Raupe mit geringerer Geschwindigkeit zerstört, als 
ältere und schwächere Kulturen. Schwächere Tuberkelbazillen 


310 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 


pflegen nach 2—3 Stunden in so hohem Grade der Ver- 
nichtung zu unterliegen, daß es unmöglich wird, in dem 
Organismus der Raupe ganze, unveränderte Bazillen nach- 
zuweisen. 

Andrerseits hängt die Geschwindigkeit, mit welcher die 
Zerstörung der Bazillen vor sich geht, auch von der Temperatur 
ab, welcher die Raupen ausgesetzt sind. Bei niederen Tem- 
peraturen geht der Zerstörungsprozeß weniger rasch vor sich. 
Bringt man dagegen mit Tuberkulose infizierte Raupen in einen 
Thermostat mit einer Temperatur von 38—39 °, so erfolgt die 
Vernichtung der Bazillen mit einer erstaunlichen Geschwindig- 
keit. Bereits nach '/—1 Stunde kann man in der Leibeshöhle 
der infizierten Tiere ungeheure Mengen dunkelbrauner Gebilde 
entdecken, welche nichts anderes darstellen, als Zerstörungs- 
produkte der Tuberkelbazillen. 

Die Zerstörung der Tuberkelbazillen erfolgt nicht nur im 
Inneren der Raupe, sondern auch durch das Blut außerhalb 
des Organismus, in vitro. 

Nimmt man eine kleine Quantität von Raupenblut und 
fügt Tuberkelbazillen hinzu, so kann man schon nach kurzer 
Zeit diejenigen Veränderungen bemerken, welchen die Bazillen 
unterliegen. Diese letzteren schwellen stark an, hören auf, sich 
mit Fuchsin zu färben, verkleben miteinander und verwandeln 
sich in stark lichtbrechende, glänzende Körper von unregel- 
mäßiger Gestalt, welche man anfangs nur sehr schwer als 
differenzierte Tuberkelbazillen erkennen kann; diese Gebilde 
sind so sehr charakteristisch, daß man nach ihrem Vorhanden- 
sein auf dem Präparat stets darauf schließen kann, ob eine 
Zerstörung der Bazillen vorliegt. 

Das Blut der Raupen besitzt demnach unzweifelhaft bak- 
teriolytische Eigenschaften in bezug auf die Tuberkelbazillen. 
Um mir eine Vorstellung von der Intensität dieser bakteriolyti- 
schen Eigenschaften zu machen, verwendete ich die Methode 
der Verdünnung des Blutes durch eine bestimmte Quantität 
physiologischer Kochsalzlösung. 

Bei der Verdünnung des Blutes durch physiologische Koch- 
salzlösung verringert sich seine Wirkung auf die Tuberkelbazillen 
nach und nach, wobei dieselbe bei einer Verdünnung von 
1 zu 20 oder 25 schließlich gänzlich aufhört. Diese Zahlen 


S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 311 


können in Abhängigkeit von dem Alter und der Stärke der 
Kulturen bedeutend variieren. Es erwies sich, daß ältere 
Kulturen empfindlicher gegen die Wirkung des Blutes sind, 
als jüngere. 

Alle diese Versuche zeigen uns, daß in dem Blute der 
Raupen ein Grundbestandteil enthalten ist, welcher imstande 
ist, Tuberkelbazillen zu zerstören. Welches ist nun diese 
Substanz ? 

Um die Frage zu entscheiden, ob dieser Grundbestandteil 
zu der Kategorie der Fermente gehört, stellte ich eine ganze 
Reihe von Versuchen an, wobei ich das Blut der Raupen bis 
zu gewissen Temperaturgrenzen erwärmte. 

Indem ich das verdünnte Blut der Raupen bis zu einer 
Temperatur von 56°, 60° und 65° erwärmte, konnte ich mich 
davon überzeugen, daß solche Temperaturen keine Wirkung auf 
die bakteriolytischen Eigenschaften des Blutes ausüben. Erst 
wenn das Blut im Verlaufe einer halben Stunde bis zu 72—75 ° 
erwärmt worden ist, verliert es endgültig seine Fähigkeit, auf 
die Tuberkelbazillen einzuwirken. Durch das Filtrieren des 
Blutes durch ein Chamberlandsches Filter werden die bak- 
teriolytischen Eigenschaften bedeutend herabgesetzt. 

Diese Versuche veranlassen uns zu der Annahme, daß wir 
es möglicherweise mit einem Fett spaltenden Ferment, resp. 
Lipase oder ihr nahestehendem Körper zu tun haben, welcher 
ähnliche Eigenschaften besitzt. Wie bekannt, wird die Lipase 
bei 72—75° zerstört und durch ein Filter zurückgehalten. 
Diese Voraussetzung erscheint um so wahrscheinlicher, als die 
Tuberkelbazillen bis zu 40 °/, fett- resp. wachsartige Substanzen 
enthalten und die Lipase bekanntlich die Fähigkeit besitzt, 
Fette zu zerlegen. 

Ist diese Annahme richtig, so muß das Blut der Raupen 
eine beträchtliche Quantität einer solchen Lipase enthalten, 
welche imstande ist, nicht nur Fett, sondern auch die in den 
Tuberkelbazillen enthaltene fett- resp. wachsartige Substanz zu 
zerlegen. Um diese Frage zu entscheiden, wurde eine Anzahl 
von Versuchen über die Wirkung des Blutes der Raupen auf 
Fett und auf Tuberkulosewachs angestellt. Diese Versuche wur- 
den gemeinschaftlich mit Fr. Dr. N. O. Schumowa-Siber in dem 
chemischen Laboratorium des Instituts für experimentelle Medizin 


312 S. Metalnikoff, Tuberkulose- Immunität der Bienenmotte. 


angestellt!. Dem verdünnten Blute von Raupen wurden be- 
stimmte Quantitäten von Fett und Emulsionen gewöhnlichen 
und tuberkulösen Wachses hinzugefügt. 

Bereits nach 24 Stunden konnte eine beträchtliche Zunahme 
der Acidität konstatiert werden. Erst durch Erwärmen des 
Blutes auf 72° gelingt es, die demselben innewohnenden lipo- 
tolytischen Eigenschaften zu zerstören. 

Wenn es sich durch weitere Versuche definitiv herausstellen 
sollte, daß die Lipase in der Tat jene Grundsubstanz ist, welche 
die Ursache für die Zerstörung der Tuberkelbazillen in dem 
Blute der Bienenmotte darstellt, so drängt sich naturgemäß die 
Frage auf, warum die Lipase nicht dieselbe Rolle auch in dem 
Blute anderer Tiere spielt, welches Lipase enthält? 

Um diese Frage zu beantworten, stellte ich Versuche über 
die Wirkung des Serums verschiedener Tiere auf Tuberkel- 
bazillen in vitro an. Diese Versuche wurden in folgender Weise 
ausgeführt. Es wurde einem bestimmten Quantum Serum in 
einem sterilen Reagensglas eine gewisse Quantität Emulsion von 
Tuberkelbazillen hinzugefügt. Nach einigen Stunden, wenn die 
Bazillen sich auf dem Boden des Reagensglases niedergeschlagen 
hatten, holte ich mit Hilfe eines Kapillarröhrchens eine kleine 
Menge dieses Niederschlag vom Boden des Reagensglases und 
machte daraus ein Schmierpräparat auf dem Objektträger. Dieses 
Präparat wurde in der gewohnten Weise gefärbt. 

Ein jedes Serum, welches ich in letzter Zeit prüfen konnte 
(und zwar das Serum des Pferdes, des Hammels, des Hundes, 
der Maus, der Ratte, des Kaninchens und des Meerschweinchens), 
wirkte in höherem oder geringerem Maße auf die Tuberkelbazillen 
ein. Ich fand auf den in der oben beschriebenen Weise ver- 
fertigten Präparaten ähnliche, stark lichtbrechende Körper, wie 
sie für die in Zerstörung begriffenen Tuberkelbazillen so über- 
aus charakteristisch sind. Diese stark lichtbrechenden, glänzen- 
den Körper sehen kleinen Kristallen ähnlich, und zwar besonders 
in denjenigen Fällen, wo die Bazillen untereinander verkleben 
und ziemlich große Gruppen bilden. 





Die Frage über die Rolle der Lipase bei der Infektion mit 
Tuberkelbazillen wird Gegenstand einer speziellen Arbeit bilden, welche 
wir in Gemeinschaft mit Fr. Dr. N. 0.Schumowa-Siber unternommen 
haben; über die von uns erhaltenen Resultate werden wir später berichten. 


S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 313 


Wenn man die Präparate genauer untersucht, so kann man 
alle Übergangsstadien zwischen normalen, gut färbbaren Bazillen 
und jenen lichtbrechenden, kristallähnlichen Körpern auffinden. 

Verdünnt man das Serum mit physiologischer Kochsalz- 
lösung, so läßt sich jene Grenze mit Leichtigkeit feststellen, 
über welche hinaus das verdünnte Serum aufhört, eine Wirkung 
auf die Tuberkelbazillen auszuüben. Das Serum der Mäuse 
und Ratten behält seine Wirksamkeit bei einer Verdünnung von 
1l auf 12 bei, dasjenige der Pferde bei einer solchen von 1 auf 
8—-10, des Kaninchens von 1 auf 4—5, des Meerschweinchens 
von 1 auf 2—3. Selbstverständlich sind alle diese Zahlen 
als relative zu betrachten, indem die Wirkung des Serums 
auf die Bazillen ebenfalls von der größeren oder geringeren 
Widerstandsfähigkeit der Tuberkelbazillen abhängig ist. 

Läßt man die Tuberkelbazillen zwei, drei und mehr Tage 
der Wirkung des Serums ausgesetzt, so erfolgt noch keine voll- 
ständige Zerstörung aller Tuberkelbazillen. Es bleibt stets ein 
kleiner Rest von Tuberkelbazillen zurück, welche der Wirkung 
des Serums nicht unterliegen. Man wird eins von beiden zu- 
geben müssen: entweder enthält das Serum jene Grundsubstanz, 
welche auf die Tuberkelbazillen einwirkt, in nicht genügender 
Menge, oder aber die Kultur enthält unter anderen sehr wider- 
standsfähige Bazillen, welche der Einwirkung des Serums länger 
Widerstand zu leisten vermögen. Die zweite Voraussetzung 
scheint mehr Wahrscheinlichkeit zu enthalten. 

Bei höheren Temperaturen (bis zu 35—39 %) wirkt das Serum 
bedeutend stärker. Indem man das Serum bis zu verschiedenen 
Wärmegraden erhitzt, kann man sich davon überzeugen, daß 
dasselbe erst bei 72° seine bakteriologischen Eigenschaften 
endgültig verliert. Wir haben es demnach hier mit demselben 
Grundbestandteil zu tun, welcher auch in dem Blute der Raupe 
beobachtet wird. 

Es entsteht nun naturgemäß die Frage: Behalten die mit 
Serum bearbeiteten Tuberkelbazillen ihre Virulenz oder nicht? 
Zu meinem Bedauern war es mir bis jetzt nicht möglich ge- 
wesen, diesbezügliche Versuche anzustellen. In der Literatur 
existieren übrigens Beobachtungen in dieser Richtung, z. B. ver- 
lieren nach den von Marogliano mitgeteilten Angaben zu 
urteilen, die mit Serum behandelten Tuberkelbazillen Meer- 


314 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 


schweinchen gegenüber ihre Schädlichkeit (Berl. Klin. Woch. 
1903, Nr. 25, 29). 

Für den Fall, daß die von mir angestellten Beobachtungen 
durch fernere diesbezügliche Versuche eine Bestätigung finden 
sollten, wird man mit noch größerer Wahrscheinlichkeit behaupten 
können, daß gerade diese Substanz jenen Grundbestandteil dar- 
stellt, welcher die Entwicklung der Tuberkulose im infizierten 
Organismus verhindert, d. h. jenen Grundbestandteil, welcher 
den Prozeß der Tuberkulose, selbst bei dieser Krankheit gegen- 
über sehr empfindlichen Tieren, einen außerordentlich langsamen 
Verlauf nehmen läßt. 

Diese Erwägungen finden eine teilweise Bestätigung in ge- 
wissen Erscheinungen, welche gewöhnlich während der Tuber- 
kulose auftreten. 

Nach den Beobachtungen von Garnier (Compt.-Rend. soc. 
biol. 1903, p. 1423) findet bei chronischer Tuberkulose eine 
allmähliche Herabsetzung der Serolipase statt. Bei erfolgreicher 
Heilung und bei Wiedergenesung wächst die lipolytische Ener- 
gie des Blutes, selbst wenn sie anfangs außerordentlich gering 
gewesen ist, allmählich wieder bis zum normalen Stande heran 
Die Tuberkulose wird unzweifelhaft von irgend welchen Störungen 
im Stoffwechsel des Fettes begleitet. Die Heilung der Tuber- 
kulose besteht bekanntlich neuerdings hauptsächlich in der 
Ernährung mit Fetten, wodurch höchstwahrscheinlich eine Stei- 
gerung der lipolytischen Energie befördert wird. 

Zum Schlusse muß ich nochmals auf die Versuche mit den 
Raupen der Bienenmotte zurückkehren. Wie bekannt, besitzen 
diese Raupen eine Immunität in bezug auf die Tuberkulose des 
Menschen und zeigen gleichzeitig eine außerordentliche Empfind- 
lichkeit gegenüber der Fischtuberkulose. Wird ihnen letztere 
injiziert, so gehen sie gewöhnlich in 4—5 Tagen ein. Hängt 
nun die Immunität der Raupen von der Anwesenheit eines be- 
sonderen, auf die Zerlegung des fett- resp. wachsähnlichen 
Bestandteils der Tuberkelbazillen gerichteten Fermentes im Blute 
und in den Zellen dieser Tiere ab, so würde es unverständlich 
scheinen, warum denn dieses Ferment nicht auch auf die 
Bazillen der Fischtuberkulose einwirkt. 

Zur Beantwortung dieser Frage stellte ich folgenden Ver- 
such an. 


S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 315 


Ich infizierte einige Dutzende von Raupen mit Fischtuber- 
kulose. Einen Teil dieser Raupen ließ ich bei der gewöhnlichen 
Zimmertemperatur (20%), die übrigen verbrachte ich in den 
Thermostat bei einer Temperatur von 38—39 °. 

Die ersteren Raupen gingen in der gewohnten Weise nach 
4 Tagen zugrunde. Der zweite Teil dagegen blieb am Leben 
und verwandelte sich in Puppen und Falter. Bei der Unter- 
suchung des Blutes dieser letzteren konnte ich mich davon 
überzeugen, daß die Raupen bei erhöhter Temperatur die Ba- 
zillen der Fischtuberkulose ausgezeichnet zu zerstören vermögen. 
Diese Zerstörung erfolgt sowohl innerhalb der Leukocyten als 
auch im Inneren spezieller Kapseln, gleich denen, welche bei der 
Injektion mit Menschentuberkulose zur Beobachtung kommen. 

Wir haben es demnach im gegebenen Falle mit einem 
Tiere zu tun, welches bei hohen Temperaturen eine Immunität 
in bezug auf Tuberkelbazillen besitzt, bei niederen Temperaturen 
dagegen diese Immunität einbüßt. 

Es sind für diese Erscheinung zwei Erklärungen möglich. 
Entweder zerstören die Raupen die Bazillen der Fischtuberkulose 
nur aus dem Grunde, weil diese letzteren bei höheren Tempera- 
turen geschwächt sind. (In diesem Falle könnte diese Eigen- 
schaft aber nicht als Immunität bezeichnet werden.) Oder aber 
es erfolgt diese Zerstörung der Tuberkelbazillen aus dem Grunde, 
weil der Organismus der Raupen bei niederen Temperaturen 
geschwächt ist und die Raupen ihre Kräfte im Kampfe mit 
der Tuberkulose nur bei hohen Temperaturen ausnützen können. 
Alle Anzeichen sprechen für die zweite dieser Voraussetzungen. 
Die Raupen unserer Motte entwickeln sich nur bei höheren 
Temperaturen. Bei niederen Temperaturen fühlen sie sich 
nicht wohl, nehmen wenig Nahrung auf und entwickeln sich 
gar nicht. 

Außerdem sprechen zugunsten dieser Annahme auch die 
Versuche mit Tuberkelbazillen des Menschen. Teilt man mit 
Menschentuberkelbazillen infizierte Raupen in zwei Gruppen 
ein, und läßt die eine derselben bei einer Temperatur von etwa 
20 ° (Zimmertemperatur), während die andere in den Thermostat 
von 38 oder 39° verbracht wird, so werden sich beide Gruppen 
mit Leichtigkeit von den Tuberkelbazillen befreien; von Interesse 


ist dabei der Umstand, daß die Zerstörung der Bazillen bei 38° 
Biochemische Zeitschrift Band I. 21 


316 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 


bedeutend rascher vor sich geht, trotzdem die menschliche 
Tuberkulose sich gerade bei dieser Temperatur durch größte 
Aktivität auszeichnet. Bei niederer Temperatur entwickelt sich 
die menschliche Tuberkulose, im Gegensatz zu der Fischtuber- 
kulose, nicht, und es ist aus diesem Grunde sehr begreiflich, 
daß die Raupen leicht mit ihr fertig werden. 

Auf Grund dieser Versuche müssen wir demnach zugeben, 
daß den Raupen der Bienenmotte eine unzweifelhafte Immunität 
sowohl in bezug auf Menschentuberkulose als auch in bezug 
auf Fischtuberkulose zukommt, und daß diese Immunität ihren 
Ursprung einem speziellen Grundbestandteil verdankt, welcher 
die Fähigkeit besitzt, fett- resp. wachsähnliche Bestandteile zu 
zersetzen und ferner Tuberkelbazillen sogar in vitro zu zerstören. 


Biologisch-chemische Untersuchungen über das Chloroform. 


Ein Beitrag zur Frage 
nach der Wirkung des Chloroforms auf den Organismus. 


Vorläufige Mitteilung 
von 


Johann Feigl und Hugo Meier. 


(Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. Pathologischen 
Instituts der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 26. Juli 1906.) 


Das wichtigste Inhalationsanästheticum ist das Chloroform. 
Bald nach seiner Entdeckung und chemischen Erforschung er- 
folgte seine medizinische Verwendung. Die pharmakologische 
Wirkung ist der Häufung der Chloratome im Molekül zuzu- 
schreiben, haben doch die Halogenderivate je nach ihrer Struktur 
abgestufte hypnotische Eigenschaften. Speziell für die Methan- 
derivate geht diese Staffelung der Wirkung aus der Reihe her- 
vor, die sich durch schrittweisen Ersatz der Woasserstoffatome 
durch Chlor ergibt. 


Substanz | Formel | Wirkung 








Methan ..... CH, keine 
Chlormethyl . . . CH, Cl schwach 
Methylenchlorid . . CH, Cl, stärker 
Chloroform . . . . CHC], ausgesprochen 
Tetrachlormethan . . CCl, stark 


Bei der Häufung der Chloratome bemerkt man ein all- 
mähliches Ansteigen, und zwar ist das Optimum der gesuchten 
Wirkung beim Chloroform, da Tetrachlormethan bereits Erregung 

21” 


318 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


der Krampfzentren zur Folge hat und durch Herzstillstand zum 
Tode führt. Von England aus wurde daher Methylenchlorid 
empfohlen, da es kein Erbrechen verursacht. Französische 
Autoren schlugen, gestützt auf theoretische Betrachtungen obiger 
Reihe von Chlorderivaten, das Methylchloroform CH, — CCl, vor, 
welches eine gefahrlosere Narkose bedingen sollte. Es zeigt sich 
hierin das Bestreben, den Rest unerwünschter Wirkung im 
Chloroform pharmakodynamisch zu beseitigen. Jedoch ist die 
weite Verbreitung des Chloroforms ebensowenig durch diese Mittel 
eingeschränkt worden, als durch die bereits früh beobachtete 
Unsicherheit im Gebrauche. Der wesentliche Nachteil ist und 
bleibt, daß seine Wirkung innerhalb gewisser Grenzen un- 
kontrollierbar ist. Es bezieht sich dies auf das Verhalten des 
fertigen Präparates und auf seine geringe Stabilität gegenüber 
Luft und Licht. Diesen Umständen mußte die Technik ent- 
gegentreten durch fortschreitende Versuche zur Verbesserung der 
Darstellung wie der Reinigung und Haltbarmachung des Prä- 
parates. Es ist jedoch eine Frucht der jüngsten Bestrebung auf 
dem vorliegenden Gebiete, daß man einsehen lernte, inwieweit die 
technischen Verbesserungen prinzipiell nicht den Kern der Sache 
trafen. Ausgehend von der Überzeugung, daß es nur darauf 
ankomme, ein Präparat rein herauszuarbeiten durch Ausschaltung 
der Nebenvorgänge im Betriebe oder durch sorgfältige nach- 
trägliche Reinigung, um es dauernd haltbar zu machen, ent- 
standen die Chloroforme Schering, Pictet, Anschütz; jedoch 
sind auch diese, der gleichen Behandlung im Handgebrauch 
wie die gewöhnlichen Präparate unterworfen, nicht haltbarer. 
Wir versuchen nun, die ganze Frage auf einen neuartigen 
Boden zu stellen. 

Um den physiologischen Eigenschaften der Chloroform- 
präparate näherzutreten, richteten wir unser Augenmerk zu- 
nächst auf das chemische Verhalten; geht doch aus ihm — 
aus der Klarlegung der chemischen Umsetzungen und Beein- 
flussungen durch Luft und Licht — die Bildung verschiedener 
Umwandlungsprodukte hervor, deren Giftigkeit man in reinem 
Zustande schon längere Zeit erkannt hat. Indem wir nun den 
Oxydationsvorgängen unsere Aufmerksamkeit schenkten und zur 
Kontrolle ihres Verlaufes chemische Methoden heranzogen, zeigte 
es sich, daß diese bei weitem nicht ausreichen. 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 319 


Unsere Versuche ergaben, daß mit aller Wahrscheinlichkeit 
das Phosgen COCls der alleinige Träger der Giftwirkung im 
Chloroform ist; daß aber bei Mengen, in denen es bei der bio- 
logischen Prüfung schon die schwersten Erscheinungen hervor- 
ruft, vielfach die chemischen Methoden versagen oder prinzipiell 
unanwendbar sind. Wir untersuchten Präparate verschiedener 
Herkunft, u. a. Anschütz, Pictet, Schering, Duncan, 
Kahlbaum und Chloroform PH. G. IV. Wir stellten uns die 
Frage, ob die schädlichen Wirkungen in Verunreinigungen von 
der Darstellung her zu suchen seien, und wie schnell ein ein- 
mal gereinigtes Chloroform giftige Eigenschaften erwirbt. Zur 
Klärung der letzteren Frage variierten wir die Versuchs- 
bedingungen in weiten Grenzen. 

Wir stützten uns zunächst auf die rein chemischen Unter- 
suchungsmethoden, die uns aber bald genug im Stiche ließen. 
Wir gewannen die Überzeugung, daß sie für feinere Zwecke 
nicht verwendbar sind, und müssen Langgaard') beipflichten, 
der in einer Arbeit mit Nachdruck betonte, daß die seither an- 
gewandten Prüfungen nicht ausreichend seien, um die Garantie 
zu bieten, die man zu therapeutischen Zwecken zu fordern be- 
rechtigt ist. Langgaard führt loc. cit. eine neue Prüfungs- 
methode?) an, die zur chemischen Untersuchung dienen soll und 
die von ihm als eine äußerst empfindliche beschrieben wird. 

Wir machten von ihr Gebrauch und unterwarfen unsere 
Chloroformsorten sowie zur näheren Kenntnis des Umfanges 
der Reaktion auch eine Reihe anderer Substanzen der Behand- 
lung mit Formalin-Schwefelsäure nach Langgaard). Wir 
konnten zunächst bestätigen, daß diese Probe ungemein empfind- 
lich ist und bei einer Reihe organischer Verbindungen eintritt, 
so z. B. bei aromatischen Substanzen (Benzol, Toluol, Xylol), 
ferner bei Aceton, namentlich aber bei Stoffen mit reaktions- 
fähigen Bindungen, besonders bei Aldehyden. 

Für die Empfindlichkeit sei folgendes Beispiel angeführt. 
Ein Reagensglas mit wenigen Tropfen des Reagens wurde schräg 
gegen ein anderes leeres benzoldampfhaltiges Glas geneigt, sodaß 
die Mündungen einander nahe waren. Wir konnten beobachten, 





!) Ther. Monatsh. 1902. V. 
2, Reagens v. Marquis 3 cem H, S0, + 2 Tropfen HCHO. 


320 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


wie fast momentan beim Hinüberfließen der Dämpfe die Wandung 
des Glases mit der Formalinschwefelsäure erst rot, dann rotbraun 
angehaucht erschien. Beim Umschütteln erschienen im Reagens 
rostrote Flocken. Besonders beobachteten wir die Reaktion bei 
den Verdunstungsrückständen vieler Chloroformsorten. Unter- 
zogen wir dagegen unsere frischen, wie auch der Oxydation 
durch Belichtung und Berührung mit Luft anheimgefallenen 
Chloroforme der Prüfung, so erhielten wir verschiedene Ergeb- 
nisse. Es traten intensivere Färbungen auf bei frischen Präpa- 
raten, während mitunter alte, länger gestandene, die bereits 
deutlich nach Phosgen und freier Säure rochen, nur schwach 
reagierten. Wir kommen daher zu dem Endergebnis, daß 
eindeutige Folgerungen aus dem positiven oder negativen 
Ausfall der Reaktion nicht ableitbar sind. Aus den vielen 
Versuchen glauben wir das eine entnehmen zu dürfen, daß die 
eo scharfe Reaktion im vorliegenden Falle von geringem Werte 
darum ist, weil ihr Chemismus unklar ist. Es ist eben schwer 
zu sagen, was im einzelnen Falle reagiert: ob es die physio- 
logisch indifferenten Verunreinigungen sind, oder das Phosgen, 
bez. seine nächsten Umwandlungsprodukte. Die Bedeutung 
der Reaktion ist jedenfalls darin zu suchen, daß sie uns über 
manche Substanzen aufklären kann, deren Gegenwart im Chloro- 
form unerwünscht ist, womit noch nicht gesagt zu sein braucht, 
daß sie die Träger der Giftwirkung sind. Es ist bekannt und 
wird von den pharmazeutischen Reinheitsproben gebührend be- 
rücksichtigt, daß Handelschloroforme Rückstände hinterlassen. 
Diese können mehr oder minder gefärbt sein und einen unan- 
genehmen Geruch besitzen, wie wir entsprechend Langgaard 
feststellten. Ihr Aussehen ist meist weiß, gelblich, gelegentlich 
dunkler. Es scheinen fettige Tröpfchen zu sein. Wir sehen also 
in der Prüfung nach Langgaard eine erwünschte Erweiterung 
der Untersuchungen des Chloroforms auf Reinheit von technischen 
Verunreinigungen, können jedoch weitergehende Folgerungen 
bezüglich der Ungiftigkeit eines Chloroforms daraus nicht ab- 
leiten. Mit Rücksicht hierauf müssen wir sagen, daß die rein 
chemischen Methoden zum endgültigen Urteil (ob ein Chloro- 
form zu therapeutischen Zwecken unbedenklich verwendet werden 
kann), nicht ausreichen, daß uns darüber erst die biologische 
Versuchsmethode Aufschluß gibt. Fälle, in denen der Rückstand 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 321 


Gifte enthält, werden stets Ausnahmen — Zufälligkeiten — 
sein. Es ist uns nur ein Fall bekannt, der vor einigen Jahren 
dem chemischen Staatslaboratorium zu Hamburg vorlag und 
der das Ergebnis hatte, daß eine giftige Substanz, die mit dem 
Chloroform nicht das geringste zu tun hatte, im Rückstand 
aufgefunden wurde; sie kann nur durch unsachgemäße Behandlung 
in das Chloroform hineingelangt sein. Von der Darstellung her 
Nebenprodukte im Chloroform zu suchen, ist bisher erfolglos 
gewesen. Es könnte sich ja bei dem alten Verfahren, nach 
dem bereits die Entdecker arbeiteten, um Umsetzungsprodukte 
gechlorter Acetale handeln; wird doch bei dem Verfahren der 
Alkohol durch Chlor gleichzeitig oxydiert und chloriert, wobei 
nacheinander eine ganze Reihe von Stoffen intermediär gebildet 
wird — Aldehyd, Chloracetal, Trichloracetal etc. Wenn auch 
aus diesen schließlich durch die Reaktionsfolge Chloroform her- 
vorgeht, so unterliegen doch die Zwischenprodukte mancherlei 
Einwirkungen; vielleicht käme Tetrachlormethan in Frage, das 
bei einer Unregelmäßigkeit des Betriebes mitgebildet werden 
könnte und dann schwer ganz zu entfernen wäre. Besonders 
leicht könnte es sich in Chloroformsorten aus Methan und 
Chlormethyl finden und wäre immerhin bedenklich. Aus- 
geschlossen ist es bei dem Verfahren von Schering, da dieser 
als endliches Chlorierungsprodukt Chloral erst rein gewinnt 
und dann mit Alkali entspaltet. Ganz umgangen wird — 
jedenfalls prinzipiell — diese Gefahr, daß Verunreinigungen von 
der Darstellung her im Chloroform enthalten bleiben, durch die 
Reinigungsmethoden von Pictet und Anschütz. Wenngleich 
diese von der irrigen Voraussetzung ausgingen, daß ein einmal 
gereinigtes Chloroform nun auch Garantie böte für weitergehende 
Haltbarkeit, so ist durch sie doch die Chloroformfrage um ein 
wesentliches weitergekommen. Da bei der üblichen unvor- 
sichtigen Behandlung diese Präparate ebenso schnell verdarben, 
so kann man den Ausspruch Fränkels!) wohl verstehen, »daß 
auch sie keinen Wandel geschaffen haben«. Man glaubte bei 
den reinen Sorten den zum Schutze zugesetzten Alkohol entbehren 
zu können, hat aber diese Ansicht als irrig wieder aufgeben 
müssen, so daß heutzutage die Frage dahin entschieden werden 


1) S. Fränkel, Arzneimittelsynthese, 2. Aufl., Berlin, Julius Springer 
1906. 


322 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


kann, daß es lediglich Sache der Behandlung und Aufbewahrung 
ist, ein einmal gereinigtes Chloroform möglichst lange unschädlich 
zu erhalten. 

Von den Reinigungsmethoden ist jedenfalls das Verfahren 
Anschütz das geeignetste und die Voraussicht, die sich auf 
chemische Betrachtung stützt, hat auch ergeben, daß das Chloro- 
form Anschütz ein zuverlässiges Präparat ist; denn während 
Pictet auf dem physikalischen Wege der Unterkühlung (Ausfrieren 
und Zentrifugieren) arbeitet, so ist das Verfahren Anschütz’) 
eine speziell nur für das Chloroform gültige Reaktion. Die 
Bindung an das innere Anhydrid der Salicylsäure, das Salicylid, 

/ NOH Ou Dy 

3 „00H \ 60 60) +200,H 


Z 


Salicylsäure Salicylid Salicylidchloroform 


erfolgt so, daß das entstehende Produkt, das Salicylidchloroform, 
nicht nur leicht gereinigt werden kann, sondern auch das Chloro- 
form in lockerer Bindung enthält. Es wird also bei mäßiger 
Wärme durch Abdestillieren rein und frei von Verunreinigungen 
gewonnen. 

Über die Oxydationsvorgänge, die zur Bildung des Phosgens 
führen, ist zu sagen, daß sie bei feuchten Präparaten leichter 
eintreten als bei trockenen. Die einmal gebildete Salzsäure 
wirkt katalytisch beschleunigend auf die weitere Zersetzung. 
Lichtwirkung allein ist nicht zu konstatieren, wie denn z. B. 
das englische Chloroform (Duncan, Flockhardt & Co.), das 
bekanntlich in weißen Flaschen in den Handel kommt, ein sehr 
gutes Präparat ist. Die Einwirkung von Licht und Luft zu- 
sammen erfolgt ungemein schnell und ist unbedingt zu einem 
bedenklichen Umfange gediehen, wenn der schützende Alkohol 
verbraucht ist. Daher könnte man wohl Biltz?) zustimmen, 
der in einer kleinen Schrift die Möglichkeit erwog, ob es nicht an- 
gezeigt sei, den Alkoholgehalt über das eine Prozent der Pharma- 
kopöe zu steigern. Verwenden doch die Engländer z. B. in dem 
guten Chloroform Duncan von jeher 2°/, Alkohol. Ob der von 


Ber. d. Chem. Ges. 25, 3512. Liebigs Ann. 273, 97. DRP. 69708, 
70158, 70614. 
5 A. Biltz, Der Schutz des Chloroforms usw. Erfurt, 1892. 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 323 


den Franzosen durchgeführte Zusatz von Schwefel wirkungsvoller 
ist, ist vorerst nicht untersucht, jedenfalls vermag er einmal 
entstandenes freies Chlor leichter zu binden. 

Das Ergebnis unserer chemischen Untersuchungen glauben 
wir jedenfalls darin suchen zu dürfen, daß die üblichen Rein- 
heitsproben für sich allein nicht ausreichend sind. Wenngleich 
sie besonders seit ihrer Ergänzung durch die Probe von 
Langgaard auch in der Lage sind, uns unliebsame Verun- 
reinigungen besonders im Rückstande zu zeigen, so versagen 
sie doch vollständig da, wo es sich darum handelt, annähernd 
quantitativ den Oxydationsvorgang und somit die steigende 
Giftigkeit des Chloroforms zu verfolgen. Sie ermöglichen uns 
das Erkennen einer Reihe von Verunreinigungen, deren Gegen- 
wart gewiß auf das schärfste zu verurteilen ist, obgleich sie, 
wenn überhaupt zur Wirkung gelangend, in der Mehrzahl der 
Fälle physiologisch indifferent sind. In der Hervorziehung dieser 
Tatsache liegt die Stärke und die Schwäche der chemischen 
Prüfung. 

Die biologische Methode, die obendrein durch den glücklichen 
Zufall sehr an Wert gewinnt, daß Hunde gegen Chloroform und 
seine Umwandlungsprodukte ungleich empfänglicher sind, kann 
erst das entscheidende Wort sprechen. Freilich darf man nicht 
außer acht lassen, daß die Anwendung von Prüfungsmethoden 
wohl nur dem Pharmazeuten, der sein Präparat kontrolliert, und 
dem Gerichtsarzte, bez. Gerichtschemiker in forensen Fällen vor- 
behalten bleiben. Für die medizinische Praxis — das muß be- 
tont werden —, liegt der Schwerpunkt vor allem in der sach- 
gemäßen Handhabung und Aufbewahrung des Chloroforms. Eine 
unbedingte Garantie hat man jedenfalls bei der Verwendung der 
wertvolleren Originalpräparate. Daß diese untereinander inner- 
halb geringer Grenzen ziemlich gleichwertig sind, konnten unsere 
biologischen Versuche zeigen, da sie ebenso, wie ein selbst ge- 
reinigtes Präparat, die nämlichen Resultate ergaben. 


Die physiologische Wirkung des Chloroforms besteht darin, 
daß die Funktionsfähigkeit des Gehirns, des Rückenmarks und 
der Medulla oblongata erst vermindert und allmählich ganz 
aufgehoben wird; eine vorangehende Erregung findet nicht statt, 
die Reflexerregbarkeit wird zum Unterschied von der Morphin- 


324 J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


wirkung, bei der in größeren Dosen die Reflexerregbarkeit 
erhöht, in kleinen nicht vermindert wird, beim Chloroform 
von vornherein herabgesetzt und schließlich ganz aufgehoben!). 

Die Gefäße des Gesichts, der Haut und der Gehirn- 
oberfläche beginnen infolge verminderter Erregbarkeit der 
zentralen Ursprünge ihrer Nerven schon sehr früh sich zu 
erweitern; die Körperoberfläche erscheint bei der Chloroform- 
wirkung bis in die höheren Grade der Narkose stark gerötet. 
Beim Kaninchen tritt die Erweiterung der kleinen arteriellen 
Gefäße genau wie nach Sympathicusdurchschneidung sehr 
deutlich zutage, zu Anfang der Narkose findet man eine 
hochgradige Füllung der Ohrgefäße, die wie bei der Sympa- 
thicusdurchschneidung ebenfalls mit einer Temperatursteigerung 
im Ohr begleitet ist; verbindet man den Sympathicus mit 
Elektroden und reizt nun, nachdem durch das Chloroform die 
Füllung der Ohrgefäße eingetreten ist, den Sympathicus elektrisch, 
so verengern sich die Gefäße momentan wieder, es kann sich 
hier also nicht um eine periphere Wirkung handeln‘). Bei 
fortschreitender Narkose verlieren auch andere Gefäßgebiete 
ihren Tonus, bei der tiefen Narkose sind die Gefäßwandungen 
völlig erschlafft, diese Erschlaffung wird durch eine Lähmung 
der Gefäßnervenursprünge im Zentralnervensystem bedingt, dazu 
gesellt sich bei der tiefen Narkose noch eine direkte lähmende 
Wirkung der Chloroforms auf die Muskulatur und auf die 
Endigungen der Nerven in der Wandung der kleinen Arterien, 
die Kapillaren werden direkt nicht beeinflußt, es entsteht bei 
der Chloroformnarkose also keine Kapillarhyperaemie°). 

Am Herzen selbst wird die Motilität vermindert, diese 
Wirkung führt bei Fröschen zum diastolischen Herzstillstand, 
bei Säugetieren zur Abschwächung der Herztätigkeit, zuweilen 
kommt es auch zum Stillstand. Clemens*) ließ Chloroform- 
dämpfe auf das ausgeschnittene Froschherz einwirken, es trat 
Stillstand ein; wurden die Dämpfe entfernt, so setzte die Be- 
wegung wieder ein; dasselbe erhält man, wenn man das aus- 


1) Zitiert nach Schmiedeberg, Pharmakologie 1902, S. 24. 

®) Scheinesson, Arch. d. Heilk. 10, 36. 1869. 

3) Zitiert nach Schmiedeberg, Pharmakologie. 1902. 

% Clemens, Untersuchung über die Wirkung des Äthers und 
Chloroforms auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Diss. Bern 1850. 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 325 


geschnittene Herz mit physiologischer Kochsalzlösung, welche 
etwas Chloroform gelöst enthält, umspült, dem diastolischen 
Stillstand des Herzens folgt nach Fortspülung der chloroform- 
haltigen Kochsalzlösung wieder die normale Schlagtätigkeit. 
Bock!) wies die gleiche Wirkung auch am Säugetierherzen 
nach; er unterband nahe am Herzen alle Arterien des 
großen Kreislaufs und ersetzte diese durch starre Röhren, es 
bestand also nur der kleine Kreislauf in normaler Weise; 
der durch die Herztätigkeit in der arteriellen Röhrenabteilung 
erzeugte Blutdruck sank beim Einblasen von Chloroform in die 
Lunge ganz bedeutend. Unter dieser Versuchsbedingung kann 
das Sinken des Blutdrucks nur die Folge einer Abschwächung 
der Herztätigkeit sein. 

Der Blutdruck in den Arterien sinkt infolge dieser Herz- 
schwäche und Gefäßerweiterung während der Chloroformierung 
kontinuierlich, bis die Reflexe — und namentlich der Korneal- 
reflex — erloschen sind; dann hält er sich dauernd in der 
Tiefe. Bei längerer Dauer der tiefen Narkose sinkt der arterielle 
Blutdruck im raschen Tempo; beim Kymographionversuch sehen 
wir jetzt, wie der Blutdruck fast gleich Null geworden ist, bei 
jeder Herzkontraktion eine weit höhere Pulselevation wie vor- 
hin, weil die vollkommen erschlaffte Arterienwand durch die 
Blutwelle weit leichter ausgedehnt werden kann; die Frequenz 
der Herzkontraktionen ist verlangsamt. 

Das Atemzentrum wird bei der Chloroformwirkung am 
spätesten außer Tätigkeit gesetzt, durch seinen Stillstand tritt 
der Tod ein; die Atemzüge werden immer langsamer und lassen 
sich auf reflektorischem Wege kaum noch beeinflussen. Treten 
infolge der starken Blutdrucksenkung Kreislaufstörungen ein, 
so nimmt die Respirationsfrequenz wieder zu, ähnlich wie bei 
der Erstickung. 

Die Ursache der bei der Chloroformnarkose hin und 
wieder vorkommenden Todesfälle läßt sich nicht mit Be- 
stimmtheit angeben. Man unterscheidet drei Arten von Todes- 
ursachen: die erste Möglichkeit besteht im Shok als Reflex 
von der Nasenschleimhaut aus, die zweite Möglichkeit ist durch 
den Herztod als akute Chloroformwirkung zu suchen, und 





Bock, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. 41, 158. 1898. 


326 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


endlich die dritte Möglichkeit kann durch fettige Degeneration 
des Herzens während der Narkose zustandekommen. 

Der zuweilen gleich zu Beginn der Narkose beobachtete Tod 
hat seinen Grund vermutlich in dem Reflexe, welcher durch 
Reizung der Nasenschleimhaut und der Respirationswege durch 
die Chloroformdämpfe ausgelöst wird. Diesen Reflex kann man 
bekanntlich am besten am Kaninchen demonstrieren; verbindet 
man die Carotis des Kaninchens mit dem Blutwellenschreiber 
und läßt das Tier nunmehr Chloroform einatmen, so sehen wir 
mit dem Respirationsstillstand gleichzeitig eine Blutdruckreaktion 
auftreten, siehe Fig. 1; lassen wir das Chloroform durch eine 
eingebundene Trachealkanüle einatmen, so tritt ebenfalls eine, 
wenn auch schwächere Reaktion auf, siehe Fig. 2. Daß es sich 
hier tatsächlich nicht um eine spezifische Chloroformwirkung 
handelt, sondern um einen Reiz, der bekanntlich allen stark 
riechenden Gasen eigentümlich ist, zeigen Fig. 3 und 4, bei 
denen das eine Mal Tabaksdampf, das andere Mal Schwefel- 
kohlenstoff dem Tier auf die Nase geblasen wurde; bläst man 
diese Dämpfe in die Trachealkanüle, so tritt bei diesen beiden 
ein ganz unerheblicher Reflex auf. Beim Hund kann man nur 
einen weit kleineren Reflex — selbst beim Chloroform — 
beobachten, bei Anwendung einer Kanüle sind Reflexe nicht 
zu bemerken. 

Der Grund für den zuweilen erst spät nach der Chloroform- 
narkose auftretenden Tod ist höchstwahrscheinlich darin zu 
suchen, daß das Chloroform mehrere Organe — worunter in 
erster Linie das Herz zu nennen ist — fettig degeneriert. Diese 
fettige Degeneration ist bereits eingehend studiert, vor allem 
von Junkers’), Unger‘), Straßmann°), Stommel‘), Oster- 
tag’) und Offergeld®). 


Junkers, Über fettige Entartung infolge von Chloroform- 
inhalation. Ing.-Diss. Bonn 1883. 

2) Unger, Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin, N. F. 47. 1887. 

3) Straßmann, Arch. für pathologische Anatomie und Physiologie 
und für klinische Medizin. Bd. 115. 

© Stommel, Zur Lehre von der fettigen Entartung nach Chloro- 
formeinatmungen. Ing.-Diss. Bonn 1889. 

», Ostertag, Arch. f. patholog. Anat. u. Physiologie u. f. klin. 
Med. Bd. 118. 

*, Offergeld, Arch. f. klinische Chirurgie, Bd.75, Heft 3. 


A_— 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 327 


Straßmann beantwortet die Frage, ob die Verfettung der 
Organe als bloße Fettanhäufung — Fettinfiltration — oder als 
fettiger Zerfall — Fettmetamorphose — anzusprechen sei, dahin, 
daß es sich hier, wie seine Stoffwechselversuche unzweideutig 
ergaben, um eine Verfettung handle, die zur Kategorie der 
fettigen Metamorphosen zu rechnen sei. ÖOstertag kommt zu 
folgenden Schlüssen: „Nach langdauernder Chloroformeinatmung 
können bei den verschiedensten Tieren Verfettungen der Organe 
auftreten, und zwar Fettinfiltration der Leber, Fettmetamorphose 
der Herz- und Skelettmuskulatur, der Nieren und des Magens. 
Die Fettmetamorphose ist die Folge einer Einwirkung des 
Chloroforms auf das Blut (Zerstörung roter Blutkörperchen) und 
auf die Gewebszellen selbst. (Gewisse Individuen zeigen eine 
so große Empfänglichkeit für die Nebenwirkungen des ein- 
geatmeten Chloroforms, daß sie kürzere oder längere Zeit 
nach der Anwendung denselben erliegen. Die tödliche Nach- 
wirkung des Chloroforms äußert sich in einer Lähmung des 
Herzens, welche durch eine bisweilen nur wenig bemerkbare 
anatomische Schädigung des Myocardiums und durch eine all- 
mähliche Kohlensäureüberladung des Blutes herbeigeführt wird.“ 
Stommel stellte fettige Entartung der Leber und des Epithel- 
belags der Lungenalveolen fest. 

Diese mitgeteilten Resultate wurden durch Versuche mit 
gewöhnlichem Chloroform gewonnen; im nachstehenden möch- 
ten wir über Versuche berichten, die wir mit völlig reinem 
und unverdorbenem Chloroform ausführten. Bei diesen 
Experimenten kamen wir zu wesentlich anderem Ergebnis: 
das reine Chloroform hat bei Gaben, die die Narkose her- 
beiführen, auf das Gefäßsystem und auf den Blutdruck 
fast keinen, auf das Herz fast keinen akuten Einfluß, 
die Atmung erfährt unter der Wirkung der reinen Substanz 
eine sehr kleine Alteration und zwar ist sie verlangsamt. 
Läßt man das reine Chloroform am Licht und an der Luft 
offen stehen, so zeigt es bald die oben auseinandergesetzten 
Wirkungen. 

Aus der chemischen Betrachtung geht hervor, daß von 
allen Chloroformdarstellungsmethoden die sogenannte Anschütz- 
Methode die einwandfreieste ist, dieses Chloroform haben wir 
für unsere Versuche zunächst verwandt und haben uns mit 


328 J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


Hilfe dieses Chloroforms Aufschluß über die Wirkung des 
reinen Chloroforms verschafft. 

Bevor wir zu unseren Versuchen übergehen, wollen wir 
zunächst die Versuchsanordnung beschreiben, da uns diese für 
einwandsfreie Versuche als sehr wichtig erscheint. Die Versuche 
wurden an kräftigen Hunden angestellt; die Carotis wurde mit 
dem Blutwellenschreiber und dieser mit dem Kymographion 
in Verbindung gesetzt. In die Trachea wurde eine Kanüle 
eingebunden, die durch einen kurzen Schlauch in einen Trichter 
endete (Chloroformiertrichter.. In diesen Trichter wurde ein 
Tupferbausch gelegt, der mit der jeweils zu untersuchenden 
Flüssigkeit in gleicher Weise und gleichmäßig getränkt wurde; 
der Tupfer wurde in allen Fällen, bei denen die Versuchsresultate 
miteinander verglichen werden sollten, gleich stark getränkt, auch 
war die Zeit, während der das Mittel gegeben wurde, in diesen 
Versuchen die gleiche. Bei Ausführung der Operation wurden 
natürlich keinerlei schmerzlindernde Mittel gegeben. Die ab- 
solute Millimeter-Zahl Hg wurde nach dem Versuch mit einem 
Quecksilber-Manometer auskalibriert. 

Vorversuchsweise wurde in den Chloroformiertrichter ein mit 
Wasser durchnäßter Tupfer gelegt, eine bemerkbare Einwirkung 
auf den Blutdruck war hierbei nicht zu beobachten. 

Fig. 5—11 zeigt uns einen Versuch mit reinem Chloroform 
(Anschütz). Fig. 5 ist die normale Blutdruckkurve, jetzt wurde 
ein mit dem Chloroform getränkter Tupfer in den Trichter 
gelegt, die Wirkung zeigen die nächsten Figuren. Der Blut- 
druck sinkt bis zu Fig. 9 insgesamt um 5 mm Hg, die Atem- 
frequenz ist zuerst etwas beschleunigt (Fig. 6, 7, 8 und 9); nun 
wird, da das Tier völlig chloroformiert ist, der Tupfer ent- 
fernt, der Blutdruck steigt sogleich wieder an (Fig. 10), und 
jetzt sehen wir gleichzeitig eine verlangsamte Atmung, 5 Minuten 
später ist der Hund wieder als normal anzusehen (Fig. 11). 

Ob die beobachtete Blutdrucksenkung dem Chloroform zuzu- 
schreiben ist, oder den bekannten und unbekannten im Chloroform 
enthaltenen anderen Körpern, läßt sich nicht mit Bestimmtheit 
angeben. Die die Langgaardsche Reaktion gebenden chemischen 
Körper, wie z. B. Benzol, Toluol und ähnliche, zeigten sich in 
den in Frage kommenden Dosen als absolut unwirksam. Jedes 
Chloroform enthält jedoch noch Alkohol als Konservierungs- 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 329 


zusatz, und daß dieser zu der erhaltenen Reaktion auf den Organis- 
mus beiträgt, ist möglich, jedenfalls bedingt er aber nicht allein 
die Wirkung; in dem nachfolgenden Versuch nahmen wir statt 
des Chloroforms eine 10°/,ige wässrige Lösung von Alkohol. Die 
erhaltenen Kurven ähneln den Chloroformkurven auch bezüglich 
des Sinkens des Blutdruckes sehr (siehe Fig. 12—18). In Fig. 16 
ist der Blutdruck um 5 mm Hg gesunken. Unregelmäßigkeiten 
im Puls sind ebenfalls nicht zu beobachten, eine bemerkenswerte 
Veränderung der Atemfrequenz ist nicht eingetreten, höchstens 
scheint die Atmung, im Gegensatze zur Chloroformkurve, etwas 
beschleunigt zu sein. 10 Minuten nach Entfernung des Alkohol- 
tupfers ist der Blutdruck wieder normal (Fig. 17). Nach weiteren 
5 Minuten zeigt sich eine kleine Nachwirkung, die Atemfrequenz 
ist verlangsamt, sie wird jedoch bald wieder normal. 

Die Alkoholkurve gleicht der Chloroformkurve sehr. Da 
nun aber Chloroform etwa nur den 10. Teil des angewandten 
Alkohols, und das Anschütz-Chloroform, welches hiermit ver- 
glichen wird, nur den 50. Teil enthält, kann dem Alkohol un- 
möglich die ganze Wirkung zugesprochen werden: es müssen 
entweder selbst im reinsten Chloroform noch Körper existieren, 
die den Blutdruck beeinflussen, oder diese nur sehr unbedeutende 
Reaktion muß dem Chloroform selbst zugesprochen werden. 

Die bekannte Wirkung des Chloroforms erhielten wir, wenn 
wir das Chloroform am Licht und an der Luft stehen ließen; 
bereits nach 24 Stunden erzeugt das Chloroform, wie Fig. 19—25 
erweisen, schwere Pulsstörungen. Fig. 19 zeigt die normale Kurve 
vor dem Versuch; jetzt wird auf den Chloroformiertrichter das der 
Zersetzung 24 Stunden ausgesetzte Chloroform gegeben, die sich 
in den Figuren 20—22 ausbildenden Arhythmien sind von einer 
nennenswerten Blutdruckwirkung nicht begleitet, in Fig. 23 
ließen wir das Tier auf einen Augenblick sich erholen, jetzt 
wurde der Versuch wiederholt, sofort bilden sich ausgesprochene 
Arhythmien aus, die Pulselevationen sind vergrößert. Es gibt 
uns die Kurve Beweise dafür an die Hand, daß sich beim 
Chloroform Zersetzungsprodukte — gegen das Hereinfallen von 
Schmutz u. dergl. war das Chloroform natürlich geschützt wor- 
den — gebildet haben, die auf das Herz eine Wirkung ausüben. 

In den nächsten Versuchen, die mit 6 X 24 Stunden ge- 
standenem Anschütz-Chloroform ausgeführt wurden, finden wir 


330 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 


bereits alle Symptome der Chloroformvergiftung vor (Fig. 26—35), 
Fig. 26 zeigt den normalen Puls, es beginnt jetzt die Chloro- 
formierung, für einen Augenblick fällt der Blutdruck für eine 
Weile (Fig. 27), dann steigt er auf kurze Zeit wieder an (Fig. 28), 
von jetzt an fällt er stetig ohne Unterbrechung (Fig. 29—35) [die 
Vorgänge in den Figuren sind zeitlich durch wenige Sekunden 
getrennt], es bildet sich eine stets zunehmende Arhythmie aus. 
Beim Sinken können wir jetzt die oben erwähnte Verlangsamung 
der Herzkontraktion und die großen Elevationen entstehen sehen, 
diesem Punkt folgt alsbald der Tod (Fig: 35). Die Kurvenbilder 
zeigen uns, daß das Chloroform jetzt vollkommen die Wirkung 
aufweist, die über dasselbe bereits seit langem bekannt ist. 
Der folgende Versuch zeigt das Verhalten des verdorbenen 
Chloroforms auf das deutlichste. Der Versuch wurde so angestellt, 
daß der Anfang des Versuchs, a, und das Ende, b, genau über- 
einander stehen; jedem Versuch geht eine normale Kurve voran, 
von einem Versuch zum andern wurde solange gewartet, bis das 
Tier wieder aus der Narkose erwacht, wenn die Kurve als nor- 
mal anzusehen war. Fig. 36 zeigt das auf 3 Tage dem Licht 
und der Luft ausgesetzte Anschütz-Chloroform, das für den 
Versuch Fig. 37 verwandte Chloroform hatte 6 Tage gestanden, 
und endlich zeigt uns der Versuch Fig. 38 das 9tägige Chloro- 
form mit den schweren Wirkungen der Zersetzungsprodukte. Bei 
allen drei Chloroformportionen treten Arhythmie und Blutdruck- 
senkung auf, die dem Grade der Zersetzung proportional sind. 
Die Dauer der Erholung von den einzelnen Versuchen ist eben- 
falls der Schwere der Vergiftung proportional; am langsamsten, 
und zwar erst nach Wiederbelebungsversuchen, erholt sich das 
Tier von dem letzten Versuch, bei der langsamen Erholung 
sehen wir, wie der Blutdruck ganz ebenmälßig steigt (Fig. 39), 
und gleichzeitig ist die Pulsverlangsamung mit der Begleit- 
erscheinung der höheren Elevation deutlich ausgesprochen. 








Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das absolut 
reine Chloroform in den narkotisierenden Gaben wenig 
oder gar nicht auf den Blutdruck, auf das Herz, auf 
das Gefäßsystem einwirkt, die bekannten Wirkungen 
sind nur auf die Zersetzungsprodukte des Chloroforms 
zurückzuführen, das Chloroform zersetzt sich bei Gegen- 
wart von Licht, Luft und Feuchtigkeit sehr schnell. 


J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 331 


Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, welches 
Produkt resp. welche Produkte diese Wirkung verursachen, 
wir sind geneigt, wegen seiner großen Ähnlichkeit in 
der Blutdruckkurve, die das schlechte Chloroform mit 
dem Phosgen hat, diesem die größte oder die ganze 
Schuld aufzubürden. 

Phosgen wirkt, in geringen Spuren, die chemisch nicht 
nachweisbar sind, eingeatmet, prinzipiell wie schlechtes Chloro- 
form, siehe Fig. 40—43. Fig. 40 zeigt das normale Bild des 
Pulses, durch das Phosgen wird eine kleine Blutdruckerhöhung, 
die von einer Senkung gefolgt ist, hervorgebracht, Arhythmie 
ist zu beobachten (Fig. 41), ebenfalls die Pulsverlangsamung 
und die heftige Elevation der einzelnen Pulswellen (Fig. 42). 


Die mitgeteilten Versuche zeigen, daß die bio- 
logische Prüfung weit empfindlicher als die chemische 
ist, vor allem ist die biologische Prüfung des Chloro- 
forms zur Beurteilung der Güte für Narkotisierzwecke 
weit maßgebender als die chemische Prüfung, welche 
uns nur eine Güte in chemischer Hinsicht garantiert. 

In den nachfolgenden Kurven (Fig. 44—49), geben wir eine 
biologische Prüfung verschiedener Chloroformsorten wieder, die 
Versuche wurden gleich angeordnet, d. h. es wurden gleiche 
Mengen Chloroform gegeben, die Exponierzeit war dieselbe, und 
zum besseren Vergleiche wurden Anfang und Ende des Ver- 
suchs übereinander gesetzt. Diese Kurven bestätigen die che- 
mischen, oben bereits erwähnten Tatsachen. 

Die als gut erprobten Chloroformsorten, Anschütz und 
: Duncan, haben wir je 6 Tage der Zersetzung ausgesetzt, das 
Resultat zeigen uns die Kurven Fig. 50 und 51, die Chloro- 
formsorten sind proportional ihrer ursprünglichen Güte ver- 
schlechtert. Diese Kurven lehren ferner, daß das Licht allein 
das fertige Chloroform nicht sehr beeinflußt, da das Duncan- 
Chloroform, wie bereits erwähnt, in weißen Gläsern verschickt 
und aufbewahrt wird; sobald die Luft herantritt, fällt auch 
dies Chloroform der Zersetzung anheim. 


Biochemische Zeitschrift Band L 22 


Über den Aminosäurenstoffwechsel des Gichtikers. 


Von 
J. Wohlgemuth. 


(Aus der chemischen und experimentell-biologischen Abteilung des 
Pathologischen Instituts der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 27. Juli 1906.) 


Seitdem Ignatowski') im Harn eines Gichtikers Glykokoll 
und daneben noch andre Aminosäuren nachgewiesen hatte, sind 
eine Reihe von Autoren gefolgt, die diese Tatsache speziell für 
das Glykokoll bestätigen konnten. Man hat dann auch im 
normalen Harn auf Eiweißspaltprodukte gefahndet, ist aber 
hier zu stark divergierenden Resultaten gekommen. Es hat 
sich in der Folge gezeigt, daß diese Verschiedenheit, in den 
Resultaten zurückzuführen ist auf die Art der für die Isolierung 
angewandten Methodik. Schüttelte man nämlich den Harn mit 
Naphthalinsulfochlorid bei stark alkalischer Reaktion, wie 
Embden und Reese?) es empfehlen, so erhielt man weit 
mehr von dem Reaktionsprodukt, als wenn man nach Fischer 
und Bergell?) nur eine schwache Alkaleszenz wählte. Ich 
konnte dann im Verein mit Neuberg‘) mittels der Naphthyl- 
i-cyanat-Methode zeigen, daß der tatsächliche Gehalt des nativen 
Harns an Aminosäuren, wenn solche überhaupt in ihm vor- 
kommen, ein äußerst spärlicher ist und für physiologische 


1) Ignatowski, Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 388. 1904. 

2 Embden und Reese, Hofmeisters Btrg. 7, 411. 1905. 

5 Fischer und Bergell, Berichte d. deutsch. chem. Ges. Jahr- 
gang 85. 1903. 

^ Wohlgemuth und Neuberg, Medizin. Klinik 1906, Nr. 9. 


J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 333 


Probleme nicht weiter in Frage kommt. Zu demselben Resultat 
kam unabhängig von uns in der Friedrich Müllerschen 
Klinik Forßner') und später auch Samuely?). Eısterer 
teilte gleichzeitig mit, daß es auch Fälle von Gicht gibt, bei 
denen sich keine Eiweißspaltprodukte im Harn nachweisen 
lassen. Das stimmt befriedigend mit dem überein, was ich 
gleichzeitig mit den bereits zitierten Untersuchungen am nor- 
malen Harn in einem Falle schwerster Gicht konstatieren konnte, 
und worüber ich hier kurz berichten möchte. 


Es handelt sich um einen Patienten, der seit 37 Jahren 
gichtleidend war, und bei dem sich im Laufe der Zeit enorme 
Tophi an der Metatarsophalangealgelenken, an den Ellbogen-, 
den Fersen- und Kniegelenken entwickelt hatten. Der Patient 
bekam sehr häufig typische Gichtanfälle bald in diesem, bald 
in jenem Gelenk, war auch in den Zwischenzeiten selten frei 
von Schmerzen, und es genügte mitunter nur eine kleine psy- 
chische Erregung, um einen Anfall auszulösen. Den Harn 
dieses Patienten untersuchte ich zu den verschiedensten Zeiten 
nach der Methode von Neuberg und Manasse?°). Dieselbe 
besteht — kurz skizziert — darin, daß man den nativen Harn, 
ohne ihn irgendwie vorzubehandeln, mit einer bestimmten 
Menge Naphthyl-i-cyanat versetzt, die entsprechende Menge 
n-Natronlauge zufügt und ihn einige Zeit schüttelt. Dabei 
addiert sich das Naphthyl-i-cyanat zu der etwa vorhandenen 
Aminosäure zu einem schwer löslichen Harnstoffderivat, einer 
Naphthylhydantoinsäure, die auf Zusatz von Salzsäure in gut 
filtrierbarem Zustand ausfällt. Der Niederschlag wird zur 
Reinigung in Alkohol oder Ammoniak gelöst, mit Knochen- 
kohle behandelt und aus der stark entfärbten Lösung das 
Glykokoll z. B. als Barytsalz isoliert. Auf diese Weise konnte 
ich weder in der anfallsfreien Zeit noch während eines Anfalls 
Aminosäuren im Harn nachweisen. Gleichzeitig zur Kontrolle 
ausgeführte Untersuchungen mittels der Naphthalinsulfomethode 
hatten dasselbe negative Ergebnis. Darnach ist das Vorkommen 
von Eiweißspaltprodukten speziell von Glykokoll im Harn des 


ı) Forßner, Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 15. 1906. 

%) Samuely, Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 376. 1906. 

3) NeubergundManasse, Ber. d. deutsch. chem. Gres. 88, 2359. 1905. 
22* 


334 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 


Gichtikers keine durchaus immer zutreffende Tatsache, sondern 
man wird selbst schwere Fälle von Gicht finden, in denen sich 
nach den uns heute zur Verfügung stehenden Methoden Amino- 
säuren nicht nachweisen lassen. 


Nun hat aber, gestützt auf den Befund von Ignatowski 
und auf die Untersuchungen von Frey'). vor einiger Zeit 
Kionka?) die Theorie aufgestellt, daß man sich die Entstehung 
der Gicht oder vielmehr des Gichtanfalles so vorzustellen habe, 
daß der Gichtiker die Fähigkeit verloren hat, das im Körper 
freiwerdende Glykokoll ganz zu verbrennen, und daß das im 
Blut kreisende Glykokoll das saure harnsaure Natron leicht 
zum Ausfall bringt; da nun der Knorpel besonders reich an 
Glykokoll ist, so sei es leicht erklärlich, warum gerade die 
Harnsäureablagerungen stets an den knorpelhaltigen Knochen- 
enden zu finden seien. So bequem nun diese Theorie des 
Harnsäureausfalles wäre, so wenig Wahrscheinlichkeit hat sie 
für sich. Abgesehen davon, daß bereits Abderhalden und 
Schittenhelm?) auf Grund rechnerischer Überlegungen zu dem 
Schluß kamen, daß die von Frey aus dem Knorpel isolierten 
Mengen an Glykokoll viel zu gering sein müssen, um eine ge- 
nügende Identifizierung zu gestatten, lassen auch rein theoreti- 
sche Erwägungen diese Hypothese bedenklich erscheinen. Da 
aber ein praktischer -Versuch mehr beweist als alles Theoreti- 
sieren, so soll hier an einem Beispiel gezeigt werden, daß die 
Theorie von Kionka nicht immer zuzutreffen braucht. War es 
nämlich richtig, daß das im Blute frei kreisende Glykokoll zu 
einem Ausfall der Harnsäure führt, so müßte bei einem 
Gichtiker — und noch dazu bei einem solchen, der schon aus 
ganz geringen Anlässen einen Anfall bekommt — dadurch, daß 
man sein Blut mit Glykokoll überschwemmt, prompt ein Gicht- 
anfall ausgelöst werden. | 


Es gab nun drei Wege, das Glykokoll dem Körper ein- 
zuverleiben, entweder per os oder subkutan oder intravenös. 


1) Frey, Ztschr. f. experimentelle Pathologie u. Therapie 2, 26. 1905. 

2) Kionka, Deutsch. medizin. Wochenschr. 1905, S. 1141 u. Ztschr. 
f. experim. Pathologie und Therapie 2, 1. 1905. 

3) Abderhalden und Schittenhelm, Ztschr. f. experim. Patho- 
logie u. Therapie 2, 431. 1906. 


J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 335 


Der letztangedeutete verbot sich wegen der mit ihm verbunde- 
nen Lebensgefahr von selbst, und auch der zweite hatte sein 
Mißliches, da subkutane Injektionen von größeren Flüssigkeits- 
mengen stets heftige Schmerzempfindungen verursachen und 
so das Krankheitsbild hätten beeinflussen können. So blieb 
denn nur der Weg per os. 45 g Glykokoll wurden in 250 ccm 
Wasser gelöst und das ganze Quantum von dem Patienten auf 
einmal getrunken. Der Effekt war ein im Sinne der Kionka- 
schen Theorie durchaus negativer: Der Patient blieb den nächsten 
und die folgenden Tage ohne alle Schmerzen und hatte nicht 
das geringste Unbehagen. Der Urin, der darnach innerhalb 24 
Stunden gelassen wurde, gab mit Naphthyl-i-cyanat behandelt 
und mit Salzsäure versetzt, einen beträchtlichen Niederschlag. 
Derselbe wurde in der üblichen Weise mit Ammoniak aus- 
gekocht, wobei die Harnsäure ungelöst zurückblieb, mit Knochen- 
kohle entfärbt, das fast farblose Filtrat bis zur beginnenden 
Kristallisation eingeengt und dann durch Zusatz von Salzsäure 
die Naphthyleyanatverbindung wieder in Freiheit gesetzt, wobei 
dieselbe teils kristallisch, teils gelatinös ausfiel. Nach dem 
Abfiltrieren und Auswaschen mit Wasser wurde die Substanz 
in der gerade ausreichenden Menge verdünnten Ammoniak ge- 
löst und tropfenweise Chlorbaryum zugesetzt, solange noch ein 
Niederschlag entstand. Derselbe wurde nach kurzem Stehen 
abgesaugt, gewaschen und getrocknet. Die Ausbeute betrug 
ca. 2,1 g, das entspricht 0,5 g Glykokoll. Die Analyse be- 
stätigte das Vorliegen von Baryumnaphthylcyanatglykokoll. 
0,3694 g Substanz ergaben 0,1150 g BaCO; 
gefunden: Ba = 21,65 °/, 
berechnet für (Cıs Hıı Os Ne)z Ba = 21,98 o. 

Es geht aber aus diesem Versuch hervor, daß, obwohl 
Glykokoll in solcher Menge in die Blutzirkulation gelangte, daß 
noch ein halbes Gramm zur Ausscheidung kam, ein Gichtanfall 
nicht ausgelöst wurde. Darnach dürfte der Beweis erbracht 
sein, daß die Theorie von Kionka bezüglich der Entstehung 
der Gicht, speziell des Gichtanfalles nicht allgemeine Gültig- 
keit hat. 

Im Anschluß hieran wurde untersucht, wie der Gichtiker 
sich Aminosäuren gegenüber überhaupt verhält. Denn vielleicht 
konnten sich bei den interessanten Harnbefunden, auf die ein- 


336 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. ` 


gangs hingewiesen wurde, ähnliche Verhältnisse bei der Gicht 
zeigen, wie sie Loewy und Neuberg!) in einem Falle von 
Cystinurie beobachtet haben, und die sie veranlaßten, die 
Cystinurie aufzufassen als eine Störung im Aminosäurenstoff- 
wechsel großen Stiles, die sich nicht allein auf das Cystin be- 
schränkt. Sie konnten nämlich dartun, daß ihr Cystinuriker 
nicht bloß Cystin im Harn ausschied, sondern auch Tyrosin 
und Asparaginsäure, wenn sie ihm solches per os verabfolgten. 
Zwar konnte Simon?) in einem anderen Falle von Cystinurie 
nicht das gleiche Verhalten beobachten, aber die späteren Unter- 
suchungen von Abderhalden und Schittenhelm’?), die in 
einem anderen Falle schon normaler Weise neben Cystin noch 
Tyrosin und Leucin fanden, sprechen doch sehr zu gunsten jener 
Auffassung. Man geht vielleicht nicht fehl, wenn man annimmt, 
daß je nach dem Grade der Stoffwechselstörung die Versuche 
positiv oder negativ ausfallen können, wobei die Menge des zur 
Ausscheidung kommenden Cystins noch nicht einmal der Maß- 
stab für den Grad der Störung zu sein braucht. 

Wir stellten unsere Versuche an mit Leucin und inaktivem 
Alanin. Das Leucin stammte aus mit Pankreas verdautem Fibrin 
und war durch mehrmaliges Umkristallisieren aus heißem Wasser 
unter Zusatz von Knochenkohle gründlich gereinigt worden. 
25 g davon wurden dem Patienten in Kartoffelbrei verabfolgt, 
der Harn von den nächsten 24 Stunden gesammelt, mit Blei- 
acetat behandelt, nach dem Entfernen des Bleies bis zum Sirup 
eingeengt und im Vakuumexsikkator der Kristallisation über- 
lassen. Aber weder so noch durch abermaliges Lösen des 
Siruıps in Wasser und Behandeln mit Naphthalinsulfochorid 
gelang es Leucin oder das entsprechende Derivat zu isolieren. 
Darnach war die Gesamtmenge des Leucins glatt verbrannt 
worden. | 

Von dem racemischen Alanin wurden 35 g in Wasser ge- 
löst gegeben und ebenfalls der Harn von den nächsten 24 
Stunden gesammelt. Bei der Verarbeitung desselben nach der 
Sulfochloridreaktion trat sofort beim Ansäuern ein beträchtlicher 








1) Loewy und Neuberg, Ztschr. f. physiol. Chem. 48, 338. 1904/5. 

3 Simon, Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 357. 1905. 

3 Abderhalden und Schittenhelm, Ztschr. f. physiol. Chem. 
45, 168. 1905. 


J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 837 


Niederschlag auf, der zunächst als helles Öl ausfiel. Derselbe 
wurde mit Wasser gewaschen, nochmals umgelöst und kristalli- 
sierte dann nach längerem Stehen in der Kälte vollständig. 
Nach einmaligem Umkristallisieren aus heißem Wasser erschien 
die Substanz rein und setzte sich aus sehr feinen, meist büschel- 
förmig verwachsenen Nädelchen zusammen. Die alkoholische 
Lösung sowohl wie die ammoniakalische drehten die Ebene des 
polarisierten Lichtes stark links. Im Kapillarröhrchen erhitzt, 
sinterte die Verbindung bei 98—100° und schmolz bei 117 
bis 120°. 
Die Ausbeute betrug 1,3 g. 
0,2060 g Subst. verbrauchten nach Kjeldahl 7,4 ccm %/ıo NaOH 
darnach gefunden: N = 5,00 °/o 
berechnet für Cs His OA NS: N = 5,01 Yo. 


Es war somit, wie zu erwarten war, das racemische Alanin 
im Körper zerlegt, der Anteil des d-Alanin verbrannt und ein 
Teil des l-Alanin unverändert wieder ausgeschieden worden. 


Darnach verhält sich der Gichtiker, wenn diese wenigen 
Versuche schon einen Schluß gestatten, Aminosäuren gegenüber 
wie der normale Mensch. Nur beim Glykokoll hat es den 
Anschein, als ob für dieses die Assimilationsgrenze beim 
Gichtiker tiefer als normal liegt. Jedenfalls erscheint es uns 
notwendig, an einer großen Zahl von Gichtfällen diese Ver- 
hältnisse eingehend nachzuprüfen und außer den drei angewandten 
Aminosäuren noch andre in den Kreis des Experiments zu 
ziehen, möglich, daß sich hier dieselben Unterschiede zeigen 
wie bei der Cystinurie. Alle diese Versuche werden aber nur 
dann einen Wert haben, wenn man die Dosen der zu ver- 
fütternden Substanzen nicht allzu klein wählt. Denn es ist 
klar, daß die Assimilationsgrenze beim Menschen für Eiweiß- 
spaltprodukte weit höher liegt als beim Hund oder gar beim 
Kaninchen, und es ist darum mit kleinen Dosen von 6—10 g, 
wie sie z. B. Reiß!) an Menschen verfütterte oder Baum- 
garten?) bei seinen Versuchen mit Kohlehydratsäuren anwandte, 
— vorausgesetzt natürlich, daß man die in der Natur vor- 


1) Reig, Hofmeisters Beitr. 8, 370. 1905. 
» Baumgarten, Ztschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 8, 
220. 1906. 


338 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 


kommende Komponente wählt — kaum ein Ausschlag zu er- 
warten. Und ebenso wird man bei der Versuchsperson auf den 
Grad ihrer Ernährung achten müssen, nachdem R. Hirsch?) 
an Hunden gezeigt hat, daß im Hunger dieselbe Menge i-Alanin 
spurlos verschwindet, von der sonst bei normal ernährten Tieren 
ein beträchtlicher Teil wieder zur Ausscheidung gelangt. 


») R. Hirsch, Ztschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 2, 668. 


=) 


1906. 


Über die Bedeutung von Bleisalzen für die polarimetrische 
Untersuchung des Harns und der Gewebssäfte. 


Von 
Hermann Großmann, Berlin. 


(Eingegangen am 31. Juli 1906.) 


Die Bestimmung des optischen Drehungsvermögens besitzt 
für die Aanalyse des Harns und der Körperflüssigkeiten bekannt- 
lich besondere Bedeutung, da die d-Glukose, der Traubenzucker, 
ja am leichtesten auf diesem Wege qualitativ erkannt und 
quantitativ bestimmt werden kann. Voraussetzung hierfür ist 
jedoch die Abwesenheit anderer optisch-aktiver Substanzen, 
resp. deren vorherige Entfernung, was gewöhnlich durch Zusatz 
einiger ccm Bleiacetatlösung (Bleizucker) geschieht, welche den 
Harn etc. von Farbstoffen, Phosphaten, Harnsäure sowie eventuell 
vorhandenen albuminhaltigen Substanzen usw. z. T. befreit. 

Von optisch-aktiven Substanzen, deren Vorhandensein in 
größerer Menge natürlich eine exakte Bestimmung des Trauben- 
zuckers auf polarimetrischem Wege unmöglich machen würde, 
kommen nach neueren Untersuchungen vor allem die folgenden 
in Betracht: die Maltose!), die Isomaltose?), die linksdrehende 
Fruktose ?®), das sogenannte tierische Gummi oder Mucin *), ferner 


1) Wedenski, Ztschr. f. physiol. Chem. 18, 122. 

2) Baisch, Ztschr. f. physiol. Chem. 19, 364 u. 20, 248. Rosin u. 
Alfthan, Chem.-Ztg. 24, Rep. 238. 

3) Vergl. über das Vorkommen O. von Lippmann, Chemie der 
Zuckerarten (1904), S.808, sowie Neuberg u. Strauß, Ztschr. f. physiolg. 
Chem. 86, 227. 1902. 

*% Landwehr, Centr.-Bl. 1885, 571. Albertoni, Centr.-Bl. 1890, 
399. Coronedi, Centr.-Bl. 1892, 759 u.a. 





340 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


Glykogen!) und gepaarte Glukuronsäuren*), unter besonderen 
Umständen Milchzucker‘), Milchsäure *), 8-Oxybuttersäure°’) und 
vielleicht auch amidierte Kohlehydrate ô). 

Es ist schon von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen 
worden, daß die Anwesenheit dieser Stoffe, deren Drehungs- 
vermögen zum Teil dem des Traubenzuckers entgegengesetzt ist, 
eine optische Bestimmung der Glukose vollkommen illusorisch 
machen können ^. 

Eine andere Fehlerquelle kann aber auch durch den Zu- 
satz des Bleiacetats entstehen, besonders in solchen Fällen, wo 
alkalische Reaktion vorhanden ist, wie es beim Harn öfter und 
bei den Gewebsflüssigkeiten fast ausnahmslos der Fall ist. 
Abgesehen von der Tatsache, daß verdünnte Alkalien selbst 
schon in Spuren) und ebenso alkalisch reagierende Salze auf 
die meisten Zuckerarten zersetzend einwirken, wobei tiefgreifende 
Veränderungen (Umlagerungen und Zersetzungen) auftreten, wird 
auf Zusatz des an und für sich schon schwach alkalischen Blei- 
acetats diese Zersetzung noch begünstigt, da auch Bleioxyd in 
ganz ähnlicher Weise, wenn auch z. T. unter Bildung anderer Um- 
wandlungsprodukte zu reagieren vermag’); ferner liegt die Gefahr 
vor, daß bei der Ausfällung der Phosphate usw. zugleich Zucker 
als unlösliche Verbindung mit dem Bleiniederschlag ausgefällt 
wird, während anderseits ein Teil als lösliche Bleialkalizucker- 


1) Abeles, Ber. 19, Ref. 385. Fütterer, Centr.-Bl. 1888, 1183. 
Leube, ibid. 1278. Simon, Chem.-Ztg. 26, 966. Wolff, Biochem. Centr. 
1, 490. 

») Flückiger, Ztschr. f. physiol. Chem. 9, 321. Mayer u. Neuberg, 
Ztschr. f. physiol. Chem. 29, 256. 

3) Hofmeister, Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 101. Porcher, Bio- 
chem. Centr. 2, 115. 

4) Araki, Ztschr. f. physiol. Chem. 20, 365. 1895 und Langstein 
u. Neuberg, Verh. d. physiolog. Ges. 1902/03, S. 114. 

5 Külz Ber. 17, Ref. 534; 18, Ref. 451. Magnus-Levy, Centr.- 
Bl. 1899, II, 63. 

®© Pittarelli, Chem.-Ztg. 21, Ref. 283. 

) Cantani, Ztschr. anal. Chem. 16, 132. Salkowski, Ztschr. f. 
physiol. Chem. 17, 228. Catillon, Journ. de pharm. [V] 21, 43. Carles, 
Journ. de pharm. [V] 21, 108. 

3 A. Bickel, Pflügers Archiv 75, 248. 

°) Lobry de Bruyn u. van Ekenstein, Rec. trav. chim. 14, 156 
u. 203; 16, 259 u. 278. 


` 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 341 


verbindung in der Lösung bleibt, die nun häufig ganz andere 
Rotationswerte zeigen kann als die reine optisch aktive Substanz. 
Mit anderen Worten: ein alkalischer Harn, der Bleizucker enthält, 
verhält sich ganz ebenso, als wäre Bleiessig hinzugefügt, und es 
ist schon lange bekannt, daß Bleiessig verdünnte Traubenzucker- 
lösungen, welche Salze — z. B. Kochsalz — enthalten, fällt’). 
Ferner ist ebenfalls schon von anderer Seite beobachtet worden, 
daß das Drehungsvermögen der Glukose bei längerem Stehen 
mit Bleiessig allmählich abnimmt, wobei sich die Lösung anfangs 
gelblich und später dunkler färbt ?). 


Die chemische Natur dieser unlöslichen Niederschläge ist 
kaum genau bekannt°); wahrscheinlich handelt es sich um 
basische Verbindungen, deren Zusammensetzung von den Mengen- 
verhältnissen des Fällungsmittels und der Konzentration der 
Lösung abhängt. Um diese ja schon länger bekannten Un- 
zuträglichkeiten, welche bei der Verwendung von Bleiacetat als 
Klärungsmittel auftreten können, zu vermeiden, hat Patein‘) 
vorgeschlagen, als Klärungsmittel eine Lösung von Quecksilber- 
nitrat Hg (NO,;), zu benutzen. Dieses Verfahren hat allerdings 
den Vorzug, daß bei der stark saueren Reaktion der Lösung 
(die Anwesenheit freier Salpertersäure ist ja bei der Herstellung 
der Lösung zur Vermeidung von unlöslichen basischen Nitraten 
notwendig) die Fällung basischer Verbindungen ausgeschlossen 
erscheint, aber es können durch die freie Salpetersäure, die ja 
sowohl oxydierend wie auch — besonders auf die Disaccharide 
und gepaarten Glukuronsäuren — invertierend wirken kann, 
in anderer Hinsicht Fehler entstehen. Vielleicht würde es sich 
empfehlen, Bleiacetat wie bisher zur Klärung zu benutzen, aber 
stets für sauere Reaktion der Flüssigkeit zu sorgen, indem 
man einige ccm verdünnte Essigsäure hinzufügt. Die Essig- 
säure wirkt als eine sehr schwache, wenig dissoziierte Verbindung 
nur wenig lösend auf die Niederschläge der Substanzen, die 


1) Pellet, Bull. Assoc. des chim. 14, 28; vergl. auch Brücke, Ber. 
Wien. Akad. 89, 10. 

7) Macquaire, Journ. de pharm. [V] 18, 197. Lobry de Bruyn, 
Ztschr. Zuckerind. 46, 69 u. 47, 102$. 

5, Vergl. Lippmann, Zuckerarten S. 552 u. 553, Bleiglykosate. 

4) Siehe Deniges, Ber. des V. internat. Congr. f. angew. Chem. 
Berlin 1903. Band 4, S. 130. 


342 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


entfernt werden sollen, sie verhindert aber die Bildung basischer 
unlöslicher Verbindungen und wirkt nur äußerst langsam in der 
Kälte invertierend !), ferner erscheint eine Oxydation bei Zusatz 
dieser Säure natürlich ausgeschlossen. 

Daß es sich bei der Bildung löslicher Bleialkalizucker- 
verbindungen keineswegs etwa um nur geringe Drehungs- 
beeinflussungen handelt, soll im folgenden gezeigt werden, wo 
die Einwirkung alkalischer Bleilösung auf das Drehungsvermögen 
der Glukose, der Fruktose, Galaktose, Maltose, Laktose, der 
38-Oxybuttersäure, einiger gepaarten Glukuronsäuren, sowie auf 
zwei Glukoside beschrieben ist. Wenn auch bei der Analyse 
des Harns bei vorsichtig bemessenem Bleiacetatzusatz derartig 
außerordentliche Drehungsveränderungen, und zwar sowohl 
Drehungssteigerung wie Drehungsumkehrung, selten in der 
Praxis vorkommen dürften, so erscheinen doch vielleicht den 
Lesern dieser Zeitschrift die folgenden Versuche °) von Interesse, 
da sie auch auf die chemische Seite der hier in Betracht 
kommenden Reaktionen einiges Licht werfen. 


Ferner möchte ich darauf aufmerksam machen, daß man 
in einer alkalischen Bleilösung ein Mittel besitzt, um häufig 
die Drehungsgröße aktiver Verbindungen erheblich zu steigern, 
was bei der Charakterisierung besonders von für sich nur 
schwach aktiven Hydroxylverbindungen von Bedeutung erscheint. 
Bisher hat man zu diesem Zwecke sich meist nur des Blei- 
acetats ohne Alkalizusatz bedient. 

Die Arbeitsweise, deren ich mich bei dieser Untersuchung 
stets bediente, war die folgende. Zu einer bestimmten Menge 
Lösung der optisch aktiven Substanz wurde eine bekannte 
Menge Bleiacetat in steigenden Mengen hinzugefügt. Hierauf 
wurde Natronlauge zugegeben, wodurch zuerst weiße Nieder- 
schläge entstanden, die sich in überschüssiger Lauge beim 
Schütteln leicht lösten. Die Menge des freien Alkalis wurde 
möglichst gering bemessen, um die Anwesenheit größerer Über- 
schüsse an Base zu vermeiden, da diese nach den Unter- 


3) Das Verhältnis der Inversionskonstanten ist 100 : 0,400. Ostwald, 
Journ. prakt. Chem. [II] 29, 385. 

7, Vergl. auch H. Großmann, Ztschr. Zuckerind. 55, 651 u. 940. 
1905. 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 343 


suchungen von Lobry de Bruyn und van Ekenstein!) in 
komplizierter Weise auf die Zucker einwirkt. Bleihydroxyd 
löst sich ja bekanntlich bei Gegenwart von Zuckern und ähn- 
lichen Verbindungen viel leichter in Alkali auf als aus reinen 
Bleilösungen gefälltes, was auf die Bildung von Bleialkali- 
verbindungen schließen läßt, in denen die Hydroxylgruppen 
ganz oder teilweise durch Blei ersetzt sind. Die alkalischen 
Lösungen sind nicht sehr beständig, ihre Rotation ändert 
sich mit der Zeit, jedoch verschieden bei den einzelnen Ver- 
bindungen. 

Zur Untersuchung diente mir ein Landolt-Lippischer 
Polarisationsapparat von Schmidt und Haensch. Die wie 
oben erwähnt hergestellten Lösungen wurden stets mit Wasser 
auf 20 ccm aufgefüllt. Es sei noch erwähnt, daß die Lösungen 
der multirotierenden Zuckerarten vorher zur Beseitigung der 
Multirotation kurze Zeit erhitzt worden waren. 


Tabelle I. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Glukose bei Gegenwart 
von Natronlauge. 


I 100 ccm = 8,0895 g C,H,,0; 
II 100ccm = 19,811 g Pb(C,H,0,), + 3 H,O 
III 100 ccm = 17,470 g NaOH 
t= 16° l] = 2 dcm 
I I III Qp [e] 
ccm ccm ccm bezogen auf C,H,s0, 
I 2 — — + 0,42 ° + 52,0 
I 2 ı 1 -+ 0,37 ° + 45,7 
I 2 2 ı +0,70° +86,5 
IV 2 3 14 +0,84° + 103,8 
V 2 4 3 +1,10 + 136,0* Ma 
vI 2 5 4 + 1,08 + 133,5 
VII 2 6 65 +1,08 + 133,5 
VII 2 7 8 + 1,07 + 132,3 
IX 2 8 10 + 1,06 + 131,0 


Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß durch alkalische Blei- 
lösung eine sehr beträchtliche Erhöhung der Rotation von 
Glukose erzielt wird. Die abgelesenen Winkel bezeichnen nur 
die möglichst schnell beobachteten Anfangsdrehungen. Nach 
einiger Zeit nimmt besonders in den bleireichen Lösungen die 


) a. a. O. 


344 H.Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


Drehung wieder ab, ohne jedoch, selbst nach 24 Stunden, auf 
den Anfangswert für die spezifische Drehung der reinen Glukose 
herabzusinken. Nach 15 Minuten wurde für Lösung V ap = +0,95 0 
beobachtet, woraus sich [a], = + 117,4 ergibt. Aus dem anfäng- 
lichen Ansteigen und nachherigen fast Konstantbleiben der 
Drehung auf weiteren Zusatz von Blei und Alkali ergibt sich 
die wahrscheinliche Anwesenheit einer Komplexverbindung 
COH » CHO » CHO » CHO » CHO » CH:OH, 
Npb/ N Pb/ 

in welcher 4 Atome Wasserstoff durch 2 Bleiatome ersetzt sind. 

Ganz ähnliche Drehungssteigerungen ergeben sich auch, 
wenn man Bleiacetat durch Bleinitrat ersetzt. 

Noch merkwürdiger ist das Verhalten der an sich links 
drehenden Fruktose, welche neben der Glukose im Harn 
der Diabetiker sowie in manchen Körperflüssigkeiten auftreten 
kann und die unter Umständen die Rechtsdrehung gleichzeitig 
vorhandener Glukose vollständig verdecken kann. Natürlich 
muß die Beurteilung solcher Harne mit großer Vorsicht ge- 
schehen, da außerdem nicht selten andere linksdrehende Ver- 
bindungen, wie gepaarte Glukuronsäuren, vorhanden sind. 

Gegen Alkali ist die Fruktose ebenfalls sehr empfindlich, 
ebenso gegen Bleiessig, der, wie zuerst Gill!) gefunden hat, in 
größeren Mengen Übergang von Links- in Rechtsdrehung be- 
wirken kann. Auch durch Zusatz von Blei und Alkali wird 
die Linksdrehung leicht in Rechtsdrehung umgekehrt, wie sich 
aus der folgenden Tabelle ergibt. 


Tabelle II. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Fruktose bei Gegenwart von 
Natronlauge. 
I 100 ccm = 11,75 g C,H, 0O, 
II 100 „ = 19,811 Pb(C,H,0,)} + 3 H,O 
III 100 „ =17,47 NaOH 


l = 1 dcm t = 17° 
I E U o [a] 
ccm ccm ccm bezogen auf C,H,,O 
I 2 - =. —11° — 92,6 
II 2 05 08  — 0,00 — 62,7 
m 2 ı 0,5 — 0,590 — 46,3 








1) Americ. chem. Journ. 1871, 167. 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


II 


17 


«D «D 
ecm cem ccm bezogen auf C, H,. Os 

IV 2 15 06  —0,24° — 18,0 

v2 15 07  —0,08° — 63 U 
VI 2 2 0,7  +0,15° + 11,5 
VII 2 25 09  +0,37° + 29,0 
VII 2 3 1 + 0,56° + 43,9 
IX 2 35 11  +0,81° + 63,5 

X 2 4 1,25 + 0,85°* + 66,7 * Ma 

XI 2 45 15 +0,74 + 58,0 
XII 2 5 1,7 + 0,61° + 47,8 
XIII 2 55 1,8 + 0,52° + 40,8 
XIV 2 6 2 + 0,36° + 28,2 

XV 2 6 22 + 0,08° + 683 U 
XVI 2 65 25  — 0,10 — 78 
XVII 2 7 3 — 0,20 — 15,7 
XVII 2 8 4 — 0,34 — 26,7 
XIX 2 9 5 — 0,38 — 29,1 
XX 2 10 6 — 0,39 — 30,6 


Das Auftreten eines Maximalpunktes der Rechtsdrehung 
bei dem Molekularverhältnis 2 Ce Hız Os : 3 Pb (Cez H; Os} und 
die hierauf stattfindende Bildung bleireicherer linksdrehender 
Komplexe zeigt, daß in Lösung sicher verschiedene Bleifruktosate 
existieren. Auch hier nimmt bei längerem Stehen, jedoch 
langsamer, die Rechtsdrehung ab. 

Eine invertierte Rohrzuckerlösung zeigte die nach obigen 
Versuchen mit Glukose und Fruktose zu erwartende Drehungs- 
änderung von links nach stark rechts und das Auftreten eines 
Maximalpunktes; in den bleireicheren Lösungen tritt jedoch 
infolge der Anwesenheit des stark rechtsdrehenden Bleiglukosats 
nicht wie bei der Fruktose Linksdrehung auf!'). 

Die Galaktose tritt zwar nur selten unter den Produkten 
des Stoffwechsels auf. Ihr Verhalten gegen alkalische Bleilösung 
ist aber so interessant, daß es hier wiedergegeben sei. Galaktose 
ist noch erheblich empfindlicher gegen alkalische Bleilösung als 
Glukose. Es tritt sehr bald Linksdrehung auf, sämtliche 
Lösungen, besonders aber die alkalireichen, färben sich schnell 
gelb, wobei wieder Umkehrung und steigende Rechtsdrehung 
auftritt. Die in der Tabelle III angegebenen, möglichst schnell 
abgelesenen Anfangswerte haben deshalb nur relativen Wert. 


) Großmann, Ztschr. Zuckerind. 55, 945. 1905. 





346 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


In der Tabelle IV ist der Einfluß der Zeit auf das Drehungs- 
vermögen einmal einer alkalischen Galaktoselösung ohne, im 
anderen Falle mit Bleizusatz angegeben. Während im ersten 
Fall die Drehung mit der Zeit nur langsam sinkt, tritt diese 
Veränderung im zweiten sehr schnell ein. Bereits nach einer 
Viertelstunde besitzt die anfänglich linksdrehende Lösung er- 
hebliche Rechtsdrehung. Weiterhin unterliegt eine solche Lösung 
der umlagernden Wirkung des freien Alkalis, welche die Wirkung 
wieder herabdrückt. Die Lösung färbt sich schließlich so dunkel, 
daß eine weitere Beobachtung nicht mehr möglich ist. 


Tabelle III. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Galaktose bei Gegenwart von 
Natronlauge. 
I 100 ccm = 8,364 g C,H,0, 


II 100 „ = 20,115 „ Pb (C,H,0,, +3 H,0 
III 100 „ = 17,47 „NaOH 
l == 1 dem t= 17° 
II III am [| Bemerkungen 
ccm ccm cem 
1 4 2 137 + 82,0 
I 4 05 05 +1,0° +58,9 
II 4 1 07 +075° +449 
IV 4 15 1 + 0,44° +26,3 | Die Rechtsdrehung nimmt mit 
V 4 2 12 +02° +15,0 der Zeit zu 
VI 4 25 15 + 012° + 72 
VII 4 3 1,75 — 0,17° — 10,2 wird schnell gelb und positiv 
VIII 4 4 25 —0,50° — 29,9 nach 25 Minuten ap = + 0,20° 
IX 4 5 83 -—-080° —479 „ 10 , „= — 0,30 ° 
X 4 6 4 —08 —586 ,„ 10 , „= — 0,60 ° 
XI 4 7 6 —099° —592 „ 10 , — — 0,40 ° 
XII 4 8 8 -—-10° — 628 
Tabelle IV. 


Einfluß der Zeit auf das Drehungsvermögen der 
Bleialkaligalaktosate. 
I 100 ccm = 7,120 g C,H, 


II 100 „ = 33,398 „ Pb (NO,), 
III 100 „ =16,10 „ NaOH 
l=2dem t= 22° 
a) 4 ccm I und 2 ccm III auf 20 ccm verdünnt 
a 
t (Minuten) aD [a]? 
5 farblos 1,70° 59,7 
10 „ 1,69° 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 347 


t (Minuten) aD [e]}> 
15 farblos . . . . . . 1,68° 
80 schwach gelb. . . . 1,66 
45 hellgelb. . . . . . 1,64° 

150 gelb . . . .. . . 1,59 55,8 


b) 4 ccm I, 2,5 ccm II, 3,5 ccm III auf 20 ccm verdünnt 


b 

t (Minuten) aD [«]} 
De ee ee ee 36,7 
ee 0‘ 
ao. — 0,780 
a 07 
nn 0540 
0 0,240 
Br. 0,020 
re ra er, 
20 5 we ine ee 0,35? 
Ben. + 057° 
Woa eu a aa e w 40720 
Ben. + 0,760 
022222222 + 0,800 
02222. 0,85? 
0222222 + 090° + 31,6 
20 Stunden dunkel . . + 0,67° 


Von Disacchariden, die unter Umständen im Harn vor- 
kommen können, habe ich die Laktose oder Michzucker und 
die Maltose untersucht. Isomaltose dagegen stand mir leider 
nicht zur Verfügung. 


Der Milchzucker wird durch alkalische Bleilösungen wie 
die Hexosen in seiner Drehungsrichtung umgekehrt. Es löst 
sich auf 1 Mol. Milchzucker 1 Atom Blei in alkalischer Lösung 
glatt auf, erheblich mehr wird nicht aufgenommen. Man erhält 
auch bei sehr großem Überschuß an freier Natronlauge dann 
nur stets trübe Lösungen. Natronlauge selbst setzt die Drehung 
auch bei Anwendung von größeren Überschüssen verhältnis- 
mäßig wenig herab. Die Lösungen bleiben längere Zeit un- 
verändert und färben sich nicht so schnell gelb wie die Lösungen 
der Hexosen. 


Biochemische Zeitschrift Band L 23 


348 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


Tabelle V. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Milchzucker bei Gegenwart 
von Natronlauge. 


I 100 ccm = 14,874 g Cia H3O, + H0O 


II 100 „ = 13,811 „ Pb (C,H,0,), 3H,0 
III 100 „ =1747 „NaOH 
] = 1 dcm t = 18° 
I II III aD [e]y 
ccm ccm ccm 
I 4 —- - +150 -+ 51,9 
II 2 05 05  +0,45° + 31,3 
II 2 ı 1 + 0,12° + 85 
IV 2 15 1 — 0,05° — 35 
V 2 2 15 — 0,34° — 23,7 
VI 2 2 3 — 0,75° — 522 
VI 2 25 2 — 0,58° — 40,3 
VIII 2 35 25  —0,98° — 68,2 
IX 2 4 3 — 1,07° — 75,4 


Um zu zeigen, daß sich Bleinitrat ganz analog dem Acetat 
verhält, sei hier noch die folgende Tabelle VI wiedergegeben, 
welche den Einfluß verschiedener Konzentration auf die Drehung 
besser illustriert. 


Tabelle Vl. 


Einwirkung von Bleinitrat auf Milchzucker bei Gegenwart 
von Natronlauge. 


I 100 ccm = 18,00 g C,H, 0, + H,O 


II 100 „ = 33,398 „ Pb (NO,), 
III 100 „ =16,40 „ NaOH 
] = 2 dem t = 16° 
I II III &D [a}$ 
ccm ccm ccm 
I 2 — 05 +166° + 46,1 
I 2 — l + 1,54° + 42,8 
III 2 — 2 + 1,52° + 42,2 
IV 2 — 4 + 1,46° + 40,6 
V 2 05 3 + 0,33 ° + 92 
VI 2 3 — 0,78° — 21,7 
VII 2 15 3 — 1,38° — 38,3 
VII 2 2 3 — 1,64° — 45,6 
IX 2 2 4 — 2,13 — 59,2 
X 2 25 5 — 2,40 ° — 66,7 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 349 


I u mMm ap [a]} 
ccm ccm ccm 

XI 1 025 06  +0,45° + 25,0 
XII ı 05 07  +0,10° + 56 
XIII ı 075 1,25 — 0,26° — 15,6 
XIV ı 05 3 — 0,38° — 21,1 
XV ı ı 1,8 — 0,88° — 49,3 
XVI ı ı 3 — 1,07° — 59,4 
XVIL 1 15 25 —115° — 63,9 
XVII ı 12% 3 — 1,18° — 65,6 
XIX 1 185 5 — 1,25° — 69,4 


Auch die Maltose erleidet durch Blei und Alkali eine 
sehr erhebliche Veränderung, die für die spezifische Drehung 
etwa 200 Einheiten beträgt. Es tritt auch hier Umkehrung 
der Drehungsrichtung ein; wie bei Milchzucker scheint nur 
1 Atom Blei in das Maltosemolekül zu treten, denn auch hier 
steigt bei weiterem Bleizusatz die zur Erzielung klarer Lösungen 
notwendige Menge Alkali sehr erheblich. Auch der Einfluß 
der Zeit macht sich in derartigen Lösungen stark bemerkbar. 
Vergl. Nr. 7, Tab. VII. 


Tabelle VII. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Maltose bei Gegenwart von 
Natronlauge. 


I 100ccem= 4,177g C,H.0. + HO 
II 100 „ = 20,115 „ Pb (C,H,0,), 3H,0 
III 100 „ =1747 „NaOH 


l=1dem t= 16° 
I Hu mu aD [a] 
ccm ccm ccm 

I 4 05 05 +0,82° + 979 

I 4 1 0,75 +0,40° + 478 

II 4 15 12 #06° + 72 

IV 4 2 1 — 0,33° — 394 
V 4 25 18 -04°  — 549* 

VI 4 3 3 — 034°  — 40,6 

VII 4 4 75 +02° + 263 

nach 18 Stunden + 0,44° + 52,5 

IX 4 - - +11° +1881 


Sehr interessant wäre noch eine Untersuchung des Gly- 
kogens und der Beeinflussung seiner Drehung durch alkalische 
Bleilösung. 

23* 


350 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


Während Blei auch die Hydroxylwasserstoffe optisch aktiver 
Polyoxysäuren wie Wein- und Chinasäure leicht ersetzt'), wobei 
ebenfalls Drehungssteigerungen und Umkehrungen beobachtet 
werden, tritt ein Ersatz bei Monooxysäuren wie Milchsäure und 
ß-Oxybuttersäure nur schwierig ein. 


Bei der aktiven Milchsäure habe ich eine Veränderung 
durch alkalische Bleilösung überhaupt nicht beobachten können, 
während bei der $-Oxybuttersäure eine solche zu konstatieren 
war. Das zur Untersuchung gelangte Natriumsalz dieser Säure 
verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Professor 
A. Magnus-Levy, Berlin, der selbst früher die drehungssteigernde 
Wirkung des reinen Bleiacetats auf diese Verbindung beobachtet 
hat?). Überschüssiges Alkali löst den anfangs ausfallenden 
Niederschlag von Bleihydroxyd viel schwieriger als bei Gegen- 
wart von Zucker auf und auch bei Anwendung eines recht 
beträchtlichen Überschusses von Lauge blieb ein merkbarer 
Niederschlag. Die filtrierte Lösung zeigte in einem Falle eine 
erhebliche Schwächung der Linksdrehung, im andern vollkommene 
Inaktivität. Der Zusatz von Bleiacetat allein bewirkt eine 
Steigerung der Linksdrehung und ist unter allen Umständen 
bei der Polarisation von Traubenzuckerlösungen zu berücksich- 
tigen, da hierdurch ein erheblicher Mindergehalt von Glukose 
vorgetäuscht werden kann. 


Tabelle VIII. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Natrium %-Oxybutyrat bei 
Gegenwart von Natronlauge. 


I 100ccm= 2,352g CH, - CHOH- CH,COON 


IT 100 „ = 11,606 „ OC (C,H, 0,), 3 H,O 
III 100 „ = 534 „NaOH 
l= 2 dem t = 22° 
I II III aD [@]o 
5 rx = — 0,16 — 13,6 
5 2 = — 0,28 — 23,8 
5 1 3 +0 +0 
10 4 = — 0,48 — 20,4 
10 1 4 — 0,10 — 34 


1) Ztschr. Zuckerind. 55, 956 ff. 1905. 
?) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakolog. 41. 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 351 


Von gepaarten Glukuronsäuren konnte ich durch die 
Liebenswürdigkeit von Prof. Neuberg die Urochloralsäure, 
ebenfalls in Form des Natriumsalzes, und die Euxanthin- 
säure untersuchen. Die Urochloralsäure zeigt nur eine sehr 
geringe Veränderung ihrer optischen Drehung. 


Tabelle IX. 


Einwirkung von Bleiacetat auf Urochloralsaures Natrium 
bei Gegenwart von Natronlauge. 
I 100ccm= 1,154g 
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H,0,) 3H,0 
III 100 „ = 5,34 „NaOH 


] = 2 dem t = 22° 
I II III aD [alb 
5 u a — 0,26 — 45,0 
5 2 = — 0,26 — 45,0 
5 1 1 — 0,27 — 48,3 
5 2 2 — 0,25 — 46,7 
5 3 mitüberschüssigem NaOH keine klare Lösung. 


Von der Euxanthinsäure, die bekanntlich eine stark gelbe 
Eigenfärbung besitzt, wurden 0,576 g in 3 ccm NaOH 
100 ccm = 10,68) gelöst und auf 50 ccm verdünnt. Die ziemlich 
dunkel gefärbte Lösung, polarisiert im 2 dem Rohr bei 4facher 
Verdünnung ap: — 0,40° [a]p: — 69,4; eine Lösung, welche 
außerdem noch 1 ccm Bleiacetat und 4 ccm NaOH von der 
bei der Urochloralsäure beschriebenen Konzentration enthielt, 
zeigte denselben Wert. Ein Zusatz von der doppelten Menge 
Bleisalz verbrauchte zur Lösung des anfangs ausfallenden Nieder- 
schlags eine große Menge Natronlauge 10 ccm. Die Drehung 
der filtrierten Lösung war etwas geringer ap: — 0,38 °[a]p: — 66,7. 
Für die freie Euxanthinsäure selbst fanden Gräbe und Aders') 
(ep: — 110. 

Die beiden untersuchten gepaarten Glukuronsäuren zeigen 
also nur eine geringe Beeinflussung ihrer optischen Aktivität 
durch alkalische Bleilösung. Dies hängt jedenfalls mit der ring- 
förmigen Struktur, nach Neuberg und Neimann‘) Glukosid- 
bindung, dieser Substanzen zusammen. 


1) Ann. 818, 345. 
?, Ztschr. f. physivlog. Chem. 44, 114. 1905. 


352 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 


Ähnlich wie die gepaarten Glukuronsäuren verhalten sich 
nun die eigentlichen Glukoside, von denen ich zwei, das a- 
Methylglukosid, das ich ebenfalls Herrn Professor C.Neuberg 
verdanke, und Salicin, welches von Kahlbaum bezogen wurde, 
untersucht habe. 

Tabelle X. 
Einwirkung von Bleiacetat auf «-Methylglukosid bei Gegen- 
wart von Natronlauge. 
I 100ccm = 6,580g C,H.0, ° O- CH, 
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H,0,), 3 H,O 


III 100 „ 5,34 „ NaOH 
l=2dcem t = 22° 

I II III aD [@]o 

5 = _ 5,24 159,3 

2,5 4 = 2,64 160,5 

2,5 = 2 2,64 160,5 

2,5 4 4 2,63 — 159,9 

2,5 6 6 2,63 — 159,9 
Tabelle XI. 

Einwirkung von Bleiacetat auf Salicin bei Gegenwart von 

Natronlauge. 


I 100 ccm = 38,940 g C,H,0; 
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H, 0,), 3H,0 
III 100 „ = 5,34 „ NaOH 


l= 2 dem t = 21° 
I II III &D [@]o 
4 = en — 0,98 — 64,4 
4 2 = — 1,02 — 66,8 
4 = 2 — 1,00 — 65,6 
4 2 4 — 1,02 — 66,8 
4 4 10 — 1,02 — 66,8 


Beide Glukoside zeigen demnach bemerkenswerterweise 
nur eine geringe Beeinflussung des Drehungsvermögens gegen 
alkalische Bleilösung wie gegen neutrales Bleiacetat. 


Zusammenfassung. 


Es wurde gezeigt, daß alkalische Bleilösung auf das 
Drehungsvermögen von Zuckern verschiedener Natur stark ein- 
wirkt, wobei sowohl Erhöhung wie Umkehrung beobachtet wird, 

“hrend 8-Oxybuttersäure verhältnismäßig schwach, Milchsäure, 


H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 353 


gepaarte Glukuronsäuren und Glukoside fast gar nicht beein- 
flußt werden. 

Für die praktische Analyse des Harns und die Körpersäfte 
auf polarimetrischem Wege ergibt sich demnach die Vorschrift, 
unter keinen Umständen alkalisch-reagierende Flüssig- 
keiten mit Bleiacetat oder gar mit Bleiessig zu klären, 
sondern mindestens Essigsäure bis zur deutlich sauren Reaktion 
hinzuzufügen. Hierdurch werden jedenfalls eine Reihe von 
prinzipiellen Fehlerquellen vermieden. Eine genaue chemische 
Untersuchung der einzelnen optisch aktiven Bestandteile ist 
natürlich auch bei der vorgeschlagenen Klärungsmethode un- 
entbehrlich. 


Wissenschaftl. chem. Institut. Berlin N. August 1906. 


Über Beobachtungen reversibler Veränderungen 
an Toxinen. 


Von 
J. Morgenroth und D. Pane.!) 


(Eingegangen am 2. August 1906.) 


Der Nachweis chemischer Veränderungen von Toxinen läßt 
sich bis jetzt nur mittels zweier Methoden führen, einer rein 
biologischen und einer zweiten, die man als chemisch-biologische 
bezeichnen kann. Die biologische Methode begreift die ver- 
gleichende Untersuchung der veränderten und unveränderten 
Toxine in ihren Beziehungen zum tierischen Organismus (Toxi- 
zität und Antikörperbildung) oder zu isolierten Zellen (Reagens- 
glasversuch); die biologisch-chemische Methode untersucht das 
Verhalten des veränderten und unveränderten Toxins zum Anti- 
toxin und läuft in letzter Linie wiederum auf die biologische 
Untersuchung des Toxins hinaus. Da Methoden zur chemischen 
Konstitutionsbestimmung der Toxine nicht existieren, läßt sich 
über die Qualität der durch verschiedene Eingriffe hervor- 
gerufenen Veränderungen der Toxine im allgemeinen wenig auf 
Grund rein chemischer Vorstellungen aussagen, es dienen viel- 
mehr nach dem Vorgang von Ehrlich Hypothesen zur 
Grundlage der Betrachtung, die wiederum chemisch-biologischer 
Art sind, die sozusagen eine erste Annäherung an exaktere 
strukturchemische Vorstellungen bilden. Die Fermentforschung 
befindet sich in einer ähnlichen Lage, vielleicht um weniges 
günstiger. Setzt man die spezifische Fermentwirkung in Analogie 


1) Die Versuche wurden im Kgl. Institut für experimentelle Thera- 
pie zu Frankfurt a. M. begonnen und im Berliner Pathologischen Institut 
weitergeführt. 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 355 


mit der spezifischen Toxinwirkung, so ist dort eine Beziehung 
der Fermente zu der Konfiguration des Substrates, wenigstens 
bei gewissen Gruppen, durch Emil Fischers Vorgang her- 
gestellt, die hier noch fehlt, indem man auf Differenzen des 
Substrates der Toxinwirkung, des „Protoplasmas“, nur ganz all- 
gemein schließen kann aus dessen funktioneller Verschiedenheit 
in den jeweils vom Toxin angegriffenen Zellbezirken '). 

Man spricht seit langem von der hochgradigen „Labilität‘“ 
der Toxine. Darunter versteht man ein Verhalten, welches sich 
darin äußert, daß Toxinlösungen ihre charakteristischen Eigen- 
schaften ganz oder zum Teil verlieren, wenn sie gewissen ther- 
mischen (schon mäßige Temperaturerhöhungen) oder chemischen 
(Säuren, Alkali, Oxydationsmittel) Einwirkungen unterworfen 
werden. Geht die Giftwirkung zu Verlust, während die eng 
miteinander koordinierten Fähigkeiten, Antitoxin zu binden und 
Antitoxinbildung auszulösen, erhalten bleiben, so bezeichnet 
man auf Grund der Ehrlichschen Theorie den Vorgang als 
Toxoidbildung. Wenn aber das Toxin durch den Eingriff für 
unsere Methoden überhaupt nicht mehr nachweisbar wird, dann 
hat nach dem üblichen Sprachgebrauch eine ‚Zerstörung‘ des 
Toxins stattgefunden. 

Es ist klar, daß mit dem Ausdruck „Toxinzerstörung“ sehr 
wenig ausgesagt ist. Ob hier wirklich ein weitgehender Zerfall 
des Toxinmoleküls stattfindet, ob nur irgend eine mehr oder 





1) Daß es trotz dieser schmalen Basis, auf der die chemische Er- 
forschung der Toxine noch steht, nicht ausgeschlossen ist, durch bestimmte 
Eingriffe zu präziseren Vorstellungen über Art und Ort chemischer Ver- 
änderungen der Toxine zu gelangen, darauf weisen neuere Untersuchungen 
von Obermeyer und Pick (Wien. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 12) hin. 
Diese Autoren haben auch die Bedeutung ihres Verfahrens für das Studium 
der Toxine durchaus erkannt, sie mußten sich aber aus technischen 
Gründen auf Antigene anderer Art, nämlich die präzipitablen Substanzen, 
beschränken. Sie behandelten die Lösungen dieser Substanzen nach 
Methoden, die zu einer Nitrierung, Jodierung oder Diazotierung (mit 
weiterer Bildung von Azoverbindungen) führen mußten, und untersuchten 
dann die Antikörperbildung durch diese modifizierten Antigene. Die so 
erzielten tiefgehenden qualitativen Veränderungen der biologischen Reaktion 
der Antigene, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, er- 
laubten den Schluß auf die wesentliche Bedeutung aromatischer Kerne 
für Zustandekommen und Richtung der Immunitätsreaktionen der präzi- 
pitablen Substanzen. 


356 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 


weniger eingreifende Umlagerung, läßt sich nicht feststellen. 
Eines haben die bis jetzt bekannten zahlreichen Veränderungen 
dieser Art gemeinsam: Sie sind anscheinend nicht reversibel. 
Nach Herstellung der ursprünglichen chemischen oder thermischen 
Bedingungen bleiben die gesetzten Veränderungen der Toxine 
bestehen. Ein durch Alkalizusatz unwirksam gewordenes Tetanus- 
gift, ein durch Aufkochen der Lösung wirkungslos gewordenes 
Diphtheriegift gewinnt nach Neutralisation der Lösung durch 
Säure, resp. nach Abkühlung derselben seine Toxineigenschaften 
nicht wieder. 

Die Betrachtung der Vorgänge, wie sie sich bei den eben 
erwähnten Eingriffen, sowie bei der Toxoidbildung abspielen, 
die fruchtbaren theoretischen Vorstellungen über die Bindung der 
Toxine an die Zelle und ihre Giftwirkung, sowie über die Bindung 
an die Antitoxine ließen es bis jetzt als genügend erscheinen, 
wenn man das Toxinmolekül gleichsam als einen starren Bau 
betrachtete, aus dem ein einzelner Teil herausgebrochen werden 
(Toxoidbildung) oder der sozusagen ganz in Trümmer geschlagen 
(„Zerstörung“) werden kann. Intramolekulare Umlagerungen, wie 
sie die Strukturchemie in immer höherem Maß als Erklärungs- 
prinzip in Anspruch nimmt, kamen bisher auf dem Toxingebiet 
kaum in Betracht. 

Zur Annahme derartiger intramolekularer Umlagerungen — 
über deren Natur an dieser Stelle keinerlei Vermutungen auf- 
gestellt werden sollen — wird man erst dann geführt, wenn 
reversible Veränderungen in Toxinlösungen hervorgebracht 
werden können. Eine derartige Erscheinung ist von dem einen 
von uns für die beiden Komponenten des Cobragiftes, das 
Hämolysin und das Neurotoxin, beschrieben worden). Es 
handelt sich um die Beobachtung, daß unter dem Einfluß ge- 
ringer Salzsäurekonzentrationen diese Toxine in eine Modifikation 
übergeführt werden, die nicht mehr fähig ist, mit dem spezi- 
fischen Antitoxin zu reagieren, so zwar, daß nicht nur die 
Verbindung mit dem Antitoxin in saurer Lösung unterbleibt, 
sondern auch die eingetretene Verbindung wieder aufgehoben 
wird. Die Umwandlung ist als vollkommen reversibel gekenn- 
zeichnet, indem nach nicht zu langer Einwirkung der Säure 


1) Morgenroth, Berlin. klin. Wochenschr. 1906, No. 50 u. Arbeiten 
aus dem Patholog. Institut zu Berlin, Berlin, Hirschwald 1906. 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 357 


durch Abstumpfen derselben rasch der ursprüngliche Zustand 
des Toxins, insbesondere seine Fähigkeit, mit dem Antitoxin zu 
reagieren, wieder zurückkehrt. 

Schon längere Zeit vor diesen Beobachtungen waren wir 
bei Studien über das Hämolysin des Cobragiftes auf Er- 
scheinungen aufmerksam geworden, die zweifellos gleichfalls in 
das Gebiet der reversiblen Toxinumlagerungen fallen. Die Be- 
dingungen für ihr Zustandekommen sind weit weniger gut 
definiert, als in dem oben erwähnten Fall, und es ist nicht 
möglich, sie in so regelmäßiger Weise wie in diesem zustande zu 
bringen. Das Phänomen selbst ist aber so eklatant und durch 
eine Modifikation des ursprünglichen Verfahrens immerhin in 
der Mehrzahl der Fälle so sicher hervorzurufen, daß angesichts 
seiner prinzipiellen Bedeutung eine Mitteilung gerechtfertigt ist. 
Wir bezweifeln nicht, daß Vorgänge ähnlicher Art, wenn erst 
einmal die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, auf dem Toxin- 
gebiet noch öfter zur Beobachtung kommen und eine er- 
hebliche Bedeutung gewinnen werden. 

Daß es sich nicht um einen singulären Fall handeln dürfte, 
sondern daß hier Erscheinungen von prinzipieller Wichtigkeit 
und größerer Verbreitung vorliegen, dafür spricht auch die 
Existenz einer den unsrigen entsprechenden Beobachtung, die 
Pawlow und Parastschuk'!) am Pepsin gemacht und mit der 
Aussicht auf eine weitere eingehende Untersuchung in ihrer 
bekannten Arbeit über die Identität des Pepsins und des Labs 
mitgeteilt haben. 

„Wir sahen das Ferment unter Einwirkung der alkalischen 
Reaktion aus dem tätigen in einen untätigen, latenten 
Zustand übergehen, wobei die umgekehrte Umwandluug, der 
Übergang aus dem latenten in den tätigen Zustand, längere 
Zeit dauernde neutrale Reaktion des Mediums erfordert.“ 


Diese Erscheinung entspricht in ihrem Wesen offenbar 
unseren Beobachtungen, von denen zuerst diejenigen, die sich 
auf das Hämolysin des Cobragiftes beziehen, mitgeteilt seien. 

Nach Beobachtungen von Kyes und Sachs?), die wir 
vielfach bestätigt fanden, wird das Cobra-Hämolysin, das in 


1) Ztschr. f. physiol. Chem. 42. 1904. 
2) Berlin. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 2—4. 


358 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 


neutraler Lösung auf 100° erhitzt rasch seine Wirkung verliert, 
in saurer Lösung in erheblichem Maße kochbeständig. 

Unsere eigentümlichen Befunde bestehen nun in folgendem: 
Erhitzt man Cobragift in einer Lösung, die etwa — HCl enthält, 
längere Zeit, und prüft man seine hämolytische Wirkung un- 
mittelbar nach Abkühlung und Neutralisation der Säure in 
der üblichen Weise, so beobachtet man eine Verringerung der 
hämolytischen Wirksamkeit, die sehr wechselnd sein kann und 
von der Dauer des Erhitzens nicht in klarer Weise abhängig 
ist, die aber einen sehr hohen Grad erreichen kann. Läßt man 
nun eine derartige neutralisierte Lösung einige Tage bei Zimmer- 
temperatur oder im Eisschrank stehen und prüft dann ihre 
hämolytische Wirkung von neuem, so beobachtet man in einer 
Anzahl von Fällen das überraschende Resultat, daß die hämo- 
lytische Wirkung wieder stärker geworden, ja in ihrer ursprüng- 
lichen Stärke zurückgekehrt ist. Die Mitteilung eines derartigen 
Versuchs wird den Vorgang ohne weiteres veranschaulichen. 

Eine Lösung von Cobragift 1°/,, Verdünnung 1:10, mit 
einem Gehalt von = HCl wird im siedenden Wasserbad erhitzt, 
und zwar A 1 Stunde, B 2 Stunden lang. Nach dem Kühlen 
mit NaOH neutralisiert. Sofort nach der Neutralisation wird 
mit 0,2 Lecithin 1° 5 eine Bestimmung der hämolytischen 
Wirkung an Ochsenblut vorgenommen. Die Lösungen bleiben 
3 Tage bei Zimmertemperatur stehen und werden dann von 
neuem auf ihre hämolytische Wirkung geprüft. Jedesmal Kon- 
trolle (C) mit genuinem Cobragift !). 

I. Sofort nach Neutralisation. 


A. B. C. 
1 








1. 0,5 om komplet 1. 1,0 ma komplet 1.06 2 komplet 
2. 0,3 komplet |2. 0,7 komplet |2. 0,4 komplet 
3. 0,2 mäßig 3. 0,5 fast komplet ; 3. 0,35 mäßig 
4. 0,15 %4 4. 0,3 wenig 4. 0,3 e 
5. 1,0 . wenig 4 p k n = 0,2 wenig 
i uppe oe 
6. 0,5 Kuppe _ 2 i pP 6. 1,0 100000 sehr wenig 
fe bY ooo ”™ 7. 0,8 To 
8. 0,8 Spur 8. 0,5 Spur 
9. 0,6 0 | 


1) Die Versuchstechnik ist aus den Arbeiten von Kyes, Kyes und 
Sachs und Morgenroth zu ersehen. Eine Übersicht aller einschlägigen 
Arbeiten gibt H. Sachs, Biochem. Centralblatt 1906. 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 359 


I. Nach 3 Tagen. 


A. B. C. 
1. 0,4 ma komplet |1. 0,3 na komplet 1. 0,4 . komplet 
2. 0,35 ziemlich stark | 2. 0,2 komplet |2. 0,35 komplet 
3. 0,3 ziemlich |3. 0,15 mäßig 3. 0,3 mäßig 
4. 0,2 wenig .10 1 g 4. 0,2 á 
5. 0,15 sehr wenig SSR . |5. 0,15 ii 
5. 0,6 sehr wenig 1 
6. 0,8 zooo Sehr wenig 


Nach 1stündigem Kochen in saurer Lösung ist hier bei 
Prüfung unmittelbar nach der Neutralisation noch ca. !/s des 
ursprünglichen Hämolysins vorhanden, nach 2stündigem Er- 
hitzen ca. 1/17. Drei Tage später ist der Gehalt an Hämolysin 
im ersten Fall auf seine ursprüngliche Höhe, im zweiten Fall 
auf ca. !/s derselben, also beinahe wieder auf das Dreifache ge- 
stiegen. Die zur Grundlage dienenden Kontrollen zeigen die 
Resistenz der verwendeten ÖOchsenblutkörperchen. 

Derartige Beobachtungen konnten in größerer Zahl gemacht 
werden. Wenn die Abschwächung weniger als °/,o betrug, so 
war die Rückverwandlung nach 2—3 Tagen mehr oder weniger 
vollständig erfolgt; war die Abschwächung stärker, so war die 
Rückverwandlung meist geringfügig, blieb auch häufig ganz 
aus. Wurde kürzere Zeit als eine Stunde erhitzt, so war eine 
Abschwächung nicht zu beobachten. 

Daß auch nach einer sehr erheblichen primären Abschwächung 
eine bedeutende und dabei ungemein rasch verlaufende Restitu- 
tion des Giftes eintreten kann, zeigt folgender Versuch: 

1°%/ige Lösung von Cobragift + Verdünnung in 2 HCl 
90 Minuten im kochenden Wasserbad. Gekühlt und neutra- 
lisiert. Prüfung auf Ochsenblut mit Lecithin 1% 0,2... Kon- 
trolle (C) mit genuinem Cobragift. 


I. Sofort nach Neutralisation. 


1. 101 komplet 3. 0,25 komplet 

R 4. 0,1 0 
2. 0,5 k 2 

II. 4 Stunden später. 

1 1 BR 
l. 05, komplet | 6. 1,0 z mäßig 
2. 0,35 ñ 7. 0,75 wenig 
8. 0,25 i 8. 0,5 n 
4. 0,2 komplet 9. 0,25 Kuppe 
5. 0,15 fast komplet 10. 0,1 minimal 


360 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 


C. 
1 0,25 weni 
1,0 0 Komplet ee 8 
0,75 fast komplet 01 5 insg] 
0,5 wenig 01 


n 


In diesem Fall ist die Abschwächung, bei der nur !/ss0 der 
ursprünglichen Hämolysinmenge erhalten geblieben war, schon 
im Laufe von 4 Stunden bei Zimmertemperatur derart zurück- 
gegangen, daß wieder 12 mal so viel Toxin manifest war, als 
unmittelbar nach dem Erhitzen. Der Vergleich dieses Versuches 
mit dem vorher beschriebenen zeigt deutlich das Fehlen einer 
klaren Abhängigkeit des Giftverlustes von der Dauer der Ein- 
wirkung der verändernden Faktoren. Während dort nach 2 Stun- 
den noch !/ı7 der ursprünglichen Giftmenge nachweisbar war, ist 
hier nach 1'/sstündigem Erhitzen nur mehr 1/250 vorhanden. 

Nach Kyes und Sachs wird Cobragift, nach halbstündigem 
Erhitzen auf 100° gar nicht geschädigt, ist aber nach zwei- 
stündigem Erhitzen vollständig zerstört. Auch diese Beobach- 
tung weist auf besondere Inkonsequenzen hin, indem ein der- 
artiger Sprung durchaus nicht dem allmählichen Verlauf der 
gewöhnlichen Giftabschwächung entspricht. 

Hätten wir uns mit der Untersuchung der Hämolyse un- 
mittelbar nach der Neutralisation begnügt, so hätte man in 
dem Vorgang eine einfache „Abschwächung“ des Giftes sehen 
können. Die vollkommene Restitution des Giftes bei der 
späteren Untersuchung lehrt, daß hier ein völlig neuartiger Vor- 
gang in Frage kommt: die Umwandlung des Giftes in 
eine ungiftige Modifikation und die Rückbildung 
derselben nach Herstellung der ursprünglichen Ver- 
hältnisse. 

Man darf diese Rückbildung des Hämolysins in gewissem 
Sinne als eine spontane bezeichnen, als einen Vorgang, der 
wesentlich von den Gesetzen des chemischen Gleichgewichts 
beherrscht wird. Die fehlende Regelmäßigkeit der Erscheinung 
weist aber darauf hin, daß gewisse Bedingungen, die den Ablauf 
der Erscheinungen regeln und die offenbar erheblich variieren, 
noch unbekannt sind. Es erscheint durchaus nicht unstatthaft, 
hier die Mitwirkung katalytischer Einflüsse vorauszusetzen und 
zwar solcher, die die Umwandlungsgeschwindigkeit in beiden 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 361 


Richtungen, in positivem oder negativem Sinne, beeinflussen. 
Unter der Voraussetzung, daß derartige Katalysatoren bei der 
Zurückverwandlung der ungiftigen Modifikation in das Toxin 
zur Wirkung kommen, gelangte man zu folgender Vorstellung 
über den Ablauf der Erscheinungen, die eine gewisse Grundlage 
für ein weiteres Eindringen in die hier vorliegenden Fragen 
geben dürften. Man kann sich vorstellen, daß durch Kochen 
der sauren Giftlösung eine Umwandlung in die ungiftige Modi- 
fikation stattfindet, die nach einer gewissen Zeit nahezu voll- 
ständig ist. Sowie die Lösung neutralisiert ist, sind wieder die 
Bedingungen für die Existenz der ursprünglichen, giftigen Form 
gegeben und es setzt nun die Rückbildung derselben ein, durch 
die vorauszusetzenden katalytischen Einflüsse beschleunigt, resp. 
gehemmt. Auf alle Fälle verläuft die Umwandlung im Anfang 
relativ rasch. Stellt man also sofort nach der Neutralisation 
den hämolytischen Versuch an, so zeigt dessen Resultat nicht 
etwa das Maß der ursprünglichen Umwandlungen, sondern die 
Hämolysinquote, die beim Beginn des Versuches oder auch 
noch in dessen Verlauf zurückgebildet worden ist. Die im 
Laufe des hämolytischen Versuches selbst rückgebildete Menge 
dürfte wegen der starken Verdünnung relativ gering sein. Die 
weitere Umsetzung verläuft immer langsamer und erreicht unter 
Umständen erst nach Tagen ihr Ende. Sind die positiv katalyti- 
schen Einflüsse bedeutend, so kann ein völliges Ausbleiben der 
Umwandlung in die ungiftige Modifikation vorgetäuscht werden. 
Die verschieden starke Abschwächung durch gleich langes Kochen 
in verschiedenen Fällen wäre also nur eine scheinbare, beruhend 
auf der sehr differenten Geschwindigkeit bei der Restitution des 
Hämolysins. Diese oder ähnliche Betrachtungsweisen zieht man 
bis auf weiteres wohl mit Recht zur Erklärung der ungleichen 
Resultate heran. Hierzu kommt noch ein weiterer, die Versuche 
erschwerender Umstand. Die reversible ungiftige Modifikation 
stellt offenbar nur ein Zwischenprodukt in einer Umwandlungs- 
reihe dar, die bei einer dauernd ungiftigen, nicht mehr 
reversiblen Modifikation endigt. Denn dies geht, wie schon 
erwähnt, aus zahlreichen Versuchen hervor, daß länger an- 
haltendes Kochen, über 2—3 Stunden hinaus, störend auf das 
Phänomen einwirkt. Man hat es also nicht in der Hand, 
gerade im günstigsten Moment den Versuch abzubrechen, in 


362 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 


dem möglichst viel von dem Hämolysin in die reversible 
Modifikation umgewandelt, aber möglichst wenig von dieser 
weiter (wohl zu Toxoiden sensu strictiori)!) verändert ist. 

Die Rücksicht auf diesen letzteren Umstand veranlaßte uns, 
nach einer schonenderen Prozedur zu suchen und womöglich 
die schädigenden Einflüsse hoher Temperaturen zu vermeiden. 
Zugleich ging unser Bestreben dahin, eine Versuchsanordnung 
zu treffen, welche die Störung durch eine rasche Rückverwandlung 
der unwirksamen Modifikation während des hämolytischen Ver- 
suchs nach Möglichkeit ausschaltet. Wenn man bedenkt, daß 
die Lecithidbildung, die Vereinigung von Cobragift und Lecithin 
im Laufe des hämolytischen Versuchs, bei der oben gewählten 
Prüfungsmethode eine sehr erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, 
so kann gerade in dieser Periode eine Rückverwandlung die 
Resultate in ungünstiger Weise beeinflussen. Es gelang uns 
auch, in der Einwirkung der Säure bei niederer Temperatur 
durch einen längeren Zeitraum und Benutzung des fertigen 
Lecithids an Stelle des Cobragiftes mit Lecithinzusatz eine Ver- 
suchsanordnung zu finden, die regelmäßigere sehr übersichtliche 
Resultate gibt. Die Beurteilung geht hier nicht von dem abso- 
luten Grad der Hämolyse aus, sondern berücksichtigt besonders 
den zeitlichen Verlauf derselben. Da die Hämolyse durch größere 
Mengen fertig gebildeten Cobralecithids fast momentan eintritt, so 
äußert sich das Bestehen der unwirksamen Modifikation zunächst 
in dem anfänglichen Ausbleiben der Hämolyse, die allmähliche 
Rückverwandlung läßt sich aber an deren nachträglichem Ein- 
tritt beobachten und sogar zeitlich messend verfolgen. Die 
folgenden Versuchsbeispiele illustrieren das Verfahren ohne 
weiteres. 

Ein Gemisch von Cobragift 1°/, Verdünnung 1 : 200, 4,0 ccm 
+ Lecithin 5°/, in Methylalkohol 0,4 cem + — HCl 0,12 ccm 
bleibt 6 Tage im Eisschrank. Hierauf wird neutralisiert, ver- 
schiedene Giftmengen werden sofort auf je 1 ccm Kaninchen 
blut 5°/, aufgegossen; der Verlauf der Hämolyse bei Zimmer- 
temperatur beobachtet. Blut frisch vom Eis. 


1. 1,0 


2 05 } nach 26 Min. stark, nach 36 Min. komplet; 
wie b) 


) S. Flexner u. Noguchi, Univ. of Penna. Medical Bulletin, 
Nov. 1902. 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 363 


3. 0,25 nach 26 Min. geringe Aufhellung, nach 35 Min. stärker, nach 
1 Stunde 14 Min. wohl komplet; 


4. 0,15 nach 47 Min. geringe Aufhellung, nicht fortschreitend ; nächster 
Tag komplet. 


5. 0,1 nach 1 Stunde 10 Min. geringe Aufhellung, am nächsten Tage 
komplet; 

6. 0,05 unverändert, erst am nächsten Tage fast komplet; 

7.0 0. 


Das neutralisierte Gemisch bleibt über Nacht bei Zimmer- 
temperatur stehen, am nächsten Morgen zum selben Blut, das 
bis dahin auf Eis gelegen hat, zugesetzt. 


1. 0,25 nach höchstens 2 Min. komplet; 

2. 0,1 nach einigen Minuten komplet; 

3. 0,05 beginnt bald Aufhellung, nach 4 Std. nicht komplet, nächsten 
Morgen stark. 


Es werden folgende Gemische hergestellt: 
I. 20,0 Cobragift 1°/, Verdünnung 1: 100 + 6,0 Lecithin 10%, in Methyl- 
alkohol + 1,0 HC], 
II. 200 „ 1°% Verdünnung 1: 100 +6,0 Lecithin 10%, + 0,4 È HCl. 


Die Gemische bleiben 9 Tage im Eisschrank, werden dann 
neutralisiert (Lackmuspapier und Phenolphthalein) und ohne 
weiteren Lecithinzusatz geprüft mit Kaninchenblut 5°% 1,0. 
Immer Blut vom gleichen Kaninchen, für den letzten Versuch 
frisch aus der Ohrvene gewonnen. Die Versuchsreihen stehen 
2 Stunden im Brutschrank bei 37° (öfters zur Beobachtung 
herausgenommen) und bleiben dann über Nacht im Eisschrank. 


Nach eintägigem 
Verweilen des 
neutralisierten Gemisches 
bei Zimmertemperatur 


Sofort nach Neutralisation 


0,5 nach 20 Min. stark, nach 2 Std. nach 5 Min. komplet 
komplet 

1 
10 z 
0,5 nach 2 Stunden komplet nach 45 Min. komplet 
0,25 

1 nach 2 Stunden nichts deutliches “ 
05 i nächsten Morgen: konplet ’ nächsten Morgen komplet 
0,25 nächsten Morgen wenig am nächsten Morgen stark 
0 0 0 


Biochemische Zeitschrift Band I. 24 


364 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 


u). 


Sofort nach Nach einem Tage Nach 4 Tagen 


Neutralisation 
0,5 nach 2 Std. stark, nach 5 Min. komplet sofort komplet 
nächst. Morg. kompl. 
1.0! nach 2 Std. stark, nach 45 Min. komplet sofort komplet 
’ 10 nächst. Morg. kompl. 
0,5 nach 2 Std. stark, nach-45Min. komplet nach 2 Std. komplet 
nächst. Morg. kompl. 
0,25 nach 1!/, Std. wenig, nach 45 Min. stark, nach 2 Std. komplet 
nächst. Morg. kompl. nächst. Morg. kompl. 


05. nach 2 Std. 0, nächst. Morg. kumpl. nächst. Morg. wenig, 
> 100 nächst. Morg. kompl. Kuppe 
0,25 wenig nächst. Morgen stark, 0 
Kuppe 
0 0 0 0 


Wir haben bei unseren nach diesem Verfahren angestellten 
Versuchen stets beobachtet, daß der Endeffekt der Hämolyse 
derselbe ist wie in den Kontrollproben mit unbeeinflußtem Gift, 
daß also durch die hier gewählten weniger eingreifenden Ver- 
suchsbedingungen die Bildung irreversibler Produkte vermieden 
werden kann und die Entstehung und Rückverwandlung der 
reversiblen Modifikation im zeitlichen Verlauf der Hämolyse 
klar zum Ausdruck kommt. Es mag sein, daß die Lecithid- 
bildung zum Stabilerwerden des Giftmoleküls beiträgt, wie sie 
ja nach den Untersuchungen von Kyes an und für sich schon 
genügt, das Hämolysin kochbeständig zu machen. 


Endlich sei noch über analoge Beobachtungen berichtet, 
die sich auf das Neurotoxin des Cobragifts beziehen. Auch 
hier ruft die Einwirkung der Salzsäure eine Umwandlung hervor, 
die der eben beschriebenen des Hämolysins offenbar in ihrem 
Wesen entspricht. Injiziert man Mäusen subkutan das Zehn- 
fache der Dosis letalis von Cobragift, so sterben sie nach 12 bis 
15 Minuten unter den bekannten Erscheinungen der Paralyse. 
Hält man dagegen eine Cobragiftlösung (1/0 Verdünnug 1:10) 


n ` .. . . 
HCl während 14 Tage im Eisschrank, 


mit einem Gehalt von „, 
so findet man ihre Giftigkeit quantitativ erhalten, im Verlauf der 
Symptome aber eine wesentliche Differenz, indem eine Inkuba- 
tionszeit auftritt, die am deutlichsten bei höheren Dosen er- 
scheint. So tötet die zehnfache Dosis letalis nach ungefähr einer 
Stunde, hat also eine Latenzzeit, die 5mal größer ist, als die des 


J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 365 


genuinen Giftes. Läßt man nun die neutralisierte Giftlösung 
weitere zwei Tage im Eisschrank stehen, so bleibt die Giftigkeit 
der Lösung dieselbe, der Verlauf der Intoxikation ist aber zu 
der ursprünglichen Norm zurückgekehrt und die Tiere, denen 
man die zehnfache Dosis letalis injiziert, sterben wieder im 
Verlauf von 12—15 Minuten. 

Die vorstehenden Versuche, an welche sich dieselben Be- 
trachtungen, wie an die hämolytischen Versuche knüpfen lassen, 
zeigen, daß es sich auch hier um eine reversible Umwandlung 
des Toxins handelt und daß sich das Neurotoxin des Cobra- 
giftes wie in einigen anderen Beziehungen, so auch in seiner 
Wandlungsfähigkeit dem Cobrahämolysin analog verhält. 

Dieses Verhalten des modifizierten Neurotoxins im Tier- 
versuch beansprucht unseres Erachtens ein ganz besonderes 
theoretisches Interesse. Die Neurotoxine der Schlangengifte ge- 
hören zu den wenigen Toxinen, die keine oder nur eine sehr 
geringe Latenzzeit haben. Mehrfache Multipla der Dosis letalis 
töten in wenigen Minuten, ein Zeitraum, von dem bei subkutaner 
Injektion der Giftlösung noch ein Teil auf Rechnung der 
Resorptionszeit zu setzen ist. Die Versuche zeigen nun, daß 
durch die stattgehabte Umwandlung die Toxizität des Giftes 
als solche nicht vermindert ist, indem die Dosls letalis dieselbe 
geblieben ist. Dagegen hat das Toxin eine ausgesprochene 
J.atenzzeit gewonnen. Der Vergleich mit den nach der 
zweiten Methode ausgeführten hämolytischen Versuchen drängt 
sich auf und hier wie dort muß auch zur selben Erklärung 
für die Latenzzeit gegriffen werden: Sie repräsentiert beim 
Neurotoxin den Zeitraum, der von der Injektion resp. Resorption 
und Bindung der unwirksamen Modifikation bis zur Restitution 
mindestens einer Dosis letalis des Toxins verstreicht. 

Es liegt also hier eine Art der Latenzzeit vor, die eine 
wesentlich andere Erklärung erfordert, wie die bisher bei ge- 
nuinen Toxinen beobachtete. Bekanntlich betrachtet Ehrlich 
die Latenzzeit der Toxine als das Intervall, das zwischen der 
Verankerung der haptophoren Gruppe des Toxins und dem 
Wirksamwerden der toxophoren Gruppe liegt, eine Auffassung, 
die der eine von uns durch besondere Versuche gestützt hat'). 





1) Morgenroth, Arch. internat. de Pharmacodyn. 1899. 
24* 


366 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Tovinveränderungen. 


Die von uns beobachtete neuartige Latenzzeit läßt nun 
offenbar den Ausblick zu auf eine zweite Erklärungsmöglichkeit 
dieses Phänomens, die möglicherweise für gewisse Fälle auch 
bei genuinen Toxinen Gültigkeit haben könnte. Angesichts 
der hier demonstrierten weitgehenden Umlagerungsfähigkeit der 
Toxinmoleküle sehen wir für folgende hypothetische Betrach- 
tung kein Hindernis: Die Toxine seien in ihrer ursprünglichen 
Lösung (Giftbouillon, Auszüge aus tierischen oder pflanzlichen 
Organen) nicht oder nur zum Teil als solche vorhanden, da- 
gegen ganz oder überwiegend als ungiftige Modifikationen 
derselben Art, wie sie in unseren Versuchen künstlich erzeugt 
wurden. Die ursprüngliche Lösung bietet nicht die Be- 
dingungen zu einer Rückverwandlung. Nach Injektion der 
Lösung und Aufnahme der Giftmodifikation in die Blutbahn 
oder in gewisse Zellterritorien sind durch die Änderung der 
chemischen Eigenschaften des Lösungsmittels oder durch 
Bindungen an Zellrezeptoren die Bedingungen zu einer Um- 
wandlung in das eigentliche Toxin gegeben, eine Umwandlung, 
die mehr oder weniger Zeit in Anspruch nähme. Dieser 
Zeitraum würde einen integrierenden Teil der Inku- 
bationszeit ausmachen. 

Daß mit der Annahme derartiger Umwandlungen im 
Tierkörper auch eine Erklärung für die Empfindlichkeits- 
schwankungen verschiedener Tierspezies gegen Toxine gegeben 
werden kann, sei hier nur angedeutet. Unempfindliche Tiere 
(Huhn gegen Tetanusgift, Ratte gegen Diphtheriegift) wären 
dann gar nicht oder nur in geringem Maß imstande, die ungiftige 
primäre Modifikation in die sekundäre, das eigentliche Toxin, 
überzuführen?). 


1) Ganz ähnliche Annahmen hat bekanntlich s. Z. R. Pfeiffer für 
die Aktivierung der Choleraamboceptoren im Peritoneum des Meer- 
schweinchens gemacht unter Hinweis auf die Beziehungen der Fermente 
zu den Profermenten. 


Über Jodospongin. 
(Vorläufige Mitteilung.) 


Von 
L. Scott. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 2. August 1906.) 


Welche Gruppe der Schwammsubstanz man als Trägerin 
des organisch gebundenen Jods betrachten muß, hat bisher nicht 
festgestellt werden können. Bei der Hydrolyse des Jodospongins 
mit Mineralsäuren entweichen erhebliche Mengen Jod und Jod- 
wasserstoffsäure, auch bei der Aufspaltung mittels Baryt wird 
Jod aus der organischen Verbindung gelöst. 

Man durfte nun hoffen, daß bei schonender Hydrolyse, 
etwa Aufspaltung durch Enzyme, die Isolierung der jodhaltigen 
Gruppe möglich sei. 

Tatsächlich gelingt es, die an sich unverdauliche Schwamm- 
substanz durch Behandlung mit starker Schwefelsäure löslich 
zu machen und in ein Produkt zu verwandeln, das nunmehr 
durch Pankreassaft bis zum Verschwinden der Biuretprobe 
verdaut wird. 

Geschieht die Behandlung mittels Schwefelsäure unter der 
nötigen Vorsicht, so werden höchstens Spuren des organisch 
gebundenen Jods abgespalten. Nach Entfernung der Diamino- 
säuren durch Phosphorwolframsäure, der Hauptmenge des Leu- 
cins durch Kristallisation usw. kann eine stark jodhaltige 
organische Verbindung durch fraktionierte Kristallisation der 
Kupfersalze von begleitenden Monoaminosäuren getrennt und 
schließlich in einer in Alkohol löslichen Fraktion angereichert 
werden. 

Das gleiche Verfahren wird auch auf die Eiweißkörper der 
Thyreoidea angewandt. 


Über die Entstehung optisch aktiver Fettsäuren 
in der Natur. 


Von 
Carl Neuberg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 1. August 1906.) 


Die Frage der Entstehung von optisch aktiven Fettsäuren 
in der Natur hängt eng mit dem Problem der Erdölbildung 
zusammen. Das letztere ist in eine neue Phase getreten, als 
P. Walden Biots in Vergessenheit geratene Beobachtung der 
optischen Aktivität beim Petroleum wieder ans Licht zog und 
nachdrücklich auf die Bedeutung dieses Befundes sowohl für die 
Naphthafrage wie als historisches Dokument der Biologie hinwies. 

Die natürlich vorkommenden optisch aktiven Verbindungen 
haben sich bisher ausnahmlos als Produkte von Lebewesen der 
Fauna oder Flora erwiesen, und aus diesem Grunde erblickt man 
mit Recht im Drehungsvermögen des Petroleums eine Haupt- 
stütze für die heute in erster Linie akzeptierte C. Englersche 
Theorie einer Erdölbildung aus organisierter Materie. 


I. 


Nach der Englerschen Theorie sind animalische oder 
vegetabilische Fette, resp. die aus ihnen entstehenden Fett- 
säuren die Muttersubstanz der Naphta, zum mindesten be- 
stimmter Erdöle, und in der Tat konnte Engler durch Druck- 
destillation von Fett künstlich „Petroleum“ darstellen. 

Die Entdeckung, daß vielfach der natürlichen Naphtha 
optische Aktivität eigen ist, erheischte eins Revision der 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 369 


Englerschen Theorie; denn mit verschwindenden Ausnahmen’) 
sind Fett und Fettsäuren der heutigen Lebewesen optisch in- 
aktiv und könnten an sich nur ein optisch inaktives Erdöl liefern. 

Die optische Aktivität des Petroleums war noch nicht be- 
friedigend erklärt; Walden?) wie Engler?) haben jüngst zu 
dieser Frage das Wort ergriffen, und Engler hat eine Revision 
seiner früheren Versuche gerade im Hinblick auf die Aktivitäts- 
verhältnisse in Aussicht gestellt. Beiden Autoren ist offenbar 
eine Mitteilung von mir entgangen, die ich auf der vorjährigen 
Naturforscherversammlung in Meran?) gemacht habe und von 
der auch Referate in die Literatur?) übergegangen sind. 

Der Inhalt dieser Mitteilung war folgender: 

„Der Ausgangspunkt meiner Betrachtungen ist die Beob- 
achtung, daß in manchen Fällen das sogenannte Leichenwachs 
oder Adipocire optisch aktiv ist; die Entstehung des letzteren 
ist auch noch nicht völlig aufgeklärt. Da das untersuchte 
dextrogyre Produkt frei von Cholesterin war, ist es klar, daß 
es nicht aus den Kalk- und Magnesiasalzen der gewöhnlichen 
Fettsäuren (Palmitinsäure, Stearinsäure, Ölsäure) bestehen 
konnte; es lag nahe, an fettsäureähnliche Umwandlungsprodukte 
vom Eiweiß der Kadaver zu denken, eine Möglichkeit, deren 
für die Adipocirebildung schon vor vielen Jahren E. Salkowski‘) 
gedacht hat. 

Die Frage, ob solche Umwandlungsprodukte der Protein- 
stoffe optische Aktivität besitzen können, hat man früher nicht 
aufgeworfen; heute, wo wir über die Bausteine der Eiweißkörper 
so viel besser orientiert sind, muß sie aus theoretischen Gründen 
von vorneherein bejaht werden. 

Dank den Aufklärungsarbeiten Emil Fischers wissen wir, 
daß abgesehen von aromatischen Komplexen im wesentlichen 
Aminofettsäuren am Aufbau der Proteine beteiligt sind; es 








1) Siehe hierüber weiter unten. 

2 P.Walden, Chem. Ztg. 1906, Nr. 34, S. 391. 

3) C. Engler, Chem. Ztg. 1906, Nr. 58, S. 711. 

4) Sitzung vom 26. Sept. 1905. 

5) Chem. Ztg. 1905, Nr. 79, S. 1045 u. Ztschr. f. angew. Chem. 1905, 
Nr. 40, S. 1606. 

8) „Zur Kenntnis der Fettwachsbildung‘“, Festschrift f. Rud. Virchow 


1891, S. 19. 


370 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 


ist geradezu eine Forderung der Theorie, daß bestimmte Formen 
dieser Aminofettsäuren beim Übergang in Fettsäuren Produkte 
mit optischer Aktivität liefern müssen. Es sind dieses allgemein 
Aminosäuren mit zwei asymmetrischen Kohlenstoffatomen im 
Molekül, als deren erster Vertreter die Oxypyrrolidincarbon- 
säure!) aufgefunden wurde 


CH, —CH.0OH OH-CH—CH, 

l r | |æ 

CH: CH-COOH resp. CH; CH.COOH 
NZ NZ 
NH NH 


und zu denen auch das Cystin wie die Oxyaminobernstein- 
säure zählen. 

Hierhin gehört auch das durch die ausgezeichneten Arbeiten 
von F. Ehrlich?) bekannt gewordene d-Isoleucin. 

ER — CH: NH; - COOH 

u. a. Verbindungen, die ähnliche verzweigte Kohlenstoffketten 
und daher mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten, 
wie die Trioxyaminododekansäure°), die Caseansäure‘') und 
andere, z. T. wohl noch unbekannte Produkte. 

Betrachten wir die Verhältnisse für das d-Isoleucin, wo sie 
besonders übersichtlich sind. Beim Übergang des d-Isoleucins 
in die entsprechende Fettsäure: 


CH; N 
CH — CH » NH; — CO TE 
C Hs / KR 


el. — CH: — COOH 

müßte die optisch aktive Capronsäure (ß-fı Methyl-äthy]- 
propionsäure) entstehen, deren Radikal zahlreiche optische 
aktive Kohlenwasserstoffe bei der Kondensation mit gleichen 
oder anderen Resten ergeben kann. 

Es ist aber klar, daß auch die Aminosäuren (die aromatischen 
ebenfalls) mit nur einem asymmetrischen C-Atom unter Umständen 
optisch aktive Fettsäuren oder deren Derivate liefern können, 


I) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 85, 2660. 1902. 
2) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 87, 1809. 1904. 
5 Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 543. 1904. 
t) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 274. 1904. 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 371 


nämlich dann, wenn ein Zusammentritt zweier Reste vor oder 
bei der Eliminierung des Stickstoffs stattfindet. Am Beispiel des 
gewöhnlichen Leucins läßt sich dieser Vorgang folgendermaßen: 


C * 

om JOH: — CH: NH; — COOH +Ro>— 
CHN i 

OH SCH — CHR — COOH 


veranschaulichen; ein Fall, in dem R selbst auch optisch inaktiv 
sein kann. 

Es fragt sich nun, ob ein Prozeß bekannt ist, bei dem 
sich unter natürlichen Verhältnissen ein derartiger Übergang 
von Aminosäuren in Fettsäuren vollzieht. Das ist der Fall; 
nämlich die Zersetzung der Eiweißstoffe durch Fäulnis. 
Überblicken wir die Resultate jener Forscher, die z. T. schon 
vor 20 Jahren die Produkte der Eiweißfäulnis studiert haben, 
wie E. u. H. Salkowski, M. Nencki, E. Baumann und L. 
Brieger, so kann man das Ergebnis dieser Forschungen heute 
dahin präzisieren, daß die Fäulnis der Proteïnstoffe nichts als 
eine desamidierende Hydrolyse ist, bei der vornehmlich 
die Aminosäuren in N-freie Produkte übergehen, die gewöhn- 
lichen Aminosäuren in Fettsäuren, die der aromatischen Reihe 
in fett-aromatische Säuren. Daneben verlaufen Kohlen- 
säureabspaltung, oxydative Synthesen und Kondensationen. 

Neben der Fäulnis kommt noch ein zweiter biologischer 
Vorgang in Betracht, die Selbstverdauung oder Autolyse. 
Wo pflanzliche oder tierische Stoffe absterben, setzt nach 
E. Salkowskis Entdeckung diese Selbstverdauung ein, die auch 
nichts anderes als eine enzymatische Hydrolyse ist. A. Magnus- 
Levy hat nun gezeigt, daß auch unter streng aseptischen Be- 
dingungen bei der Autolyse aus den Proteïnstoffen Fettsäuren 
entstehen, also daß auch hier ohne Bakterien eine desamidie- 
rende Hydrolyse eintritt. 

Daß diese Umwandlung von Aminosäuren in Fettsäuren 
so leicht vor sich geht, kann nicht wundernehmen, da ja die 
Fettbildung aus Eiweiß aller Wahrscheinlichkeit nach ein nor- 
maler physiologischer Stoffwechselvorgang ist. 

Diese verschiedenen Überlegungen führen zu einer Er- 
weiterung der Englerschen Theorie der Erdölbildung. Engler 
lehnt ausdrücklich eine Mitwirkung der Proteïne oder ihrer Zer- 


372 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 


setzungsprodukte bei der Entstehung des Petroleums ab!) und 
erblickt allein im Fett das Ausgangsmateriel.e. Gewiß kommt 
letzteres in erster Linie in Betracht; aber neben ihm auch 
Fettsäuren, die durch Umwandlung der Proteinstoffe 
— sei es durch Fäulnis oder unter bestimmten geologischen 
Verhältnissen auch durch die Enzyme der absterbenden Zellen 
selbst (Autolyse) — entstanden sind und von denen ein Teil 
asymmetrische Struktur besitzt und ein optisch aktives 
Petroleum erzeugt. Einerlei, ob tierisches oder pflanzliches 
Material die Muttersubstanz ist, die Verhältnisse sind prinzipiell 
die gleichen; darum ist diese Ausdehnung der Fetttheorie auf 
die aus Eiweiß neugebildeten, z. T. optisch aktiven Fettsäuren 
auch mit der Krämer-Spilkerschen Hypothese (Petroleun- 
bildung aus Algen, Diatomeen usw.) vereinbar. 

Auf die bedeutende Anteilnahme der Proteinstoffe an der 
Erdölbildung weist der starke Stickstoffgehalt mancher Petroleum- 
sorten hin, nicht minder nachdrücklich auch der Schwefel- 
gehalt, der z. T. auf der Gegenwart organischer Sulfide beruht, 
wie ich sie künstlich durch gemeinsame Destillation von Cystin?), 
gleichfalls einem Eiweißspaltprodukt, mit anderen Aminosäuren 
darstellen konnte.“ 


Diese meine Meraner Ausführungen habe ich nun in- 
zwischen experimentell zu stützen versucht. Ein Blick durch 
den Polarisationsapparat bestätigte sofort die Forderung der 
Theorie. 

Aus gefaultem Kasein wurden die Fettsäuren nach der 
Vorschrift von E. Salkowski’”) abgeschieden. Diese Fraktion 
enthält die Fettsäuren von der Essigsäure bis zur Capronsäure 
und ist stark rechtsdrehend, im 2-Dezimeterrohr beträgt die 
direkte Drehung + 1,2°. Bei der Reinigung wurden die Frak- 
tionen der Ameisen-, Essig- und Propionsäure fast inaktiv 


') Auf diesem Standpunkt steht Engler auch jetzt im wesentlichen, 
wenn er auch in seiner jüngst (nach meinem Meraner Vortrag) erschienenen 
Mitteilung |Chem. Ztg. 1906, Nr. 58] für den N-Gehalt mancher Naphtha- 
sorten stickstoffhaltige Ursubstanz annimmt. 

» Vielleicht gibt das Cystin mit seinen 2 asymmetrischen Kohlen- 
stoffatomen zur Bildunz optisch aktiver Sulfide Anlaß. 

3) Practicum der physiol. u. pathol. Chem., 3. Aufl., S. 227, 1906. 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 373 


befunden, dann nimmt die Drehung bis zu der Fraktion der 
Säuren mit 5 und 6 Kohlenstoffatomen zu. 

In den Lehrbüchern findet sich meist die Angabe, daß die 
bei der Fäulnis entstehenden Fettsäuren die normale Struktur 
besäßen; diese Annahme kann angesichts der Herkunft dieser 
Fettsäuren aus den entsprechenden Aminosäuren nicht zutreffen, 
sie besitzen vielfach eine verzweigte Kette; näheres hierüber 
soll später mitgeteilt werden. 

Ebenso wie die Fettsäuren aus Kasein verhielten sich die 
flüchtigen Säuren aus gefaultem Leim'), hier war die Drehung 
etwas geringer. 

Eine Herleitung der optischen Aktivität des Erdöles aus 
Proteinstoffen verinag auch vielleicht die großen Unterschiede 
im Betrage und der Richtung der Drehung zu erklären, die beim 
Petroleum beobachtet sind. 

Dank den Untersuchungen E. Fischers und seiner Mit- 
arbeiter wissen wir heute, wie außerordentlich verschieden die 
Eiweißkörper sowohl hinsichtlich der Natur wie der Menge 
der einzelnen Bausteine sind. Je nach dem Überwiegen der 
einen oder anderen Aminosäuren, nach der Kondensation mit 
diesem oder jenem Radikal, können bei dem Zersetzungsprozeß 
ganz verschieden drehende Produkte entstehen. Ein Schluß 
aber aus der Drehungsrichtung des Enderzeugnisses auf (das 
Ausgangsmaterial oder umgekehrt ist natürlich ganz unmöglich. 

Daß übrigens die Menge optisch aktiver Fettsäuren, die 
aus Eiweiß entstehen kann, nicht klein ist, lehrt eine einfache 
Überrechnung. Die Monoaniinosäuren gehen bei intensiver 
Fäulnis nahezu quantitativ in Fettsäuren über. Von Rohleuein 
hat man bis 40 °/, in bestimmten Proteinen gefunden; nach 
F. Ehrlichs Ermittlungen kann etwa die Hälfte dieses Roh- 
leucins aus Isoleucin bestehen, so daß ca. 20 °/, des Eiweißes 
unter Umständen aktive Capronsäure geben kann, die anderen 
drehenden Eiweißumwandlungsprodukte gar nicht gerechnet. 

Das sind Mengen, die quantitativ weit gelegentliche optisch 
aktive Begleiter des Fettes (Cholesterine) an Quantität übertreffen. 


1) Sie sind vor vielen Jahren von Herrn Prof. E. Salkowski dar- 
gestellt, der mir einen kleinen Teil für die polarimetrische Bestimmung 
gütigst überließ. 


374 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 


I. 


Es soll keineswegs behauptet werden, daß optisch aktive 
Eiweißumwandlungsprodukte allein das beim Erdöl beobachtete 
Drehungsvermögen bedingen. Für dessen Entstehung können 
auch andere Produkte unter Umständen verantwortlich gemacht 
werden. 

So hat vor kurzem J. Marcusson!) die Hypothese auf- 
gestellt, daß eine Quelle der optischen Aktivität in dem die 
tierischen und pflanzlichen Fette begleitenden Cholesterin und 
Isocholesterin bezw. Phytosterin zu suchen sei. Schon früher 
hatte A. Windaus?) durch Druckdestillation aus Cholesterin 
„Petroleum‘‘ dargestellt und auf die event. Bedeutung dieser 
hydroaromatischen Substanz für die Entstehung von gesättigen 
cyklischen Kohlenwasserstoffen hingewiesen. Marcusson stützt 
seine Ansicht auf den gelungenen Versuch, aus Wollfett durch 
Autoklavenspaltung und Destillation des Rückstandes ein rechts- 
drehendes Oleingemisch vom Charakter der Mineral-Maschinen- 
öle zu erhalten. 

Zu diesem interessanten Experiment ist zu bemerken, daß 
ein an optisch aktivem Material besonders angereichertes 
Ausgangsprodukt?) benutzt worden ist, daß im Lanolin kein 
gewöhnliches Fett, im wesentlichen keine Glyzerinester, sondern 
Ester des optisch aktiven Cholesterins vorliegen und noch andere 
drehende Produkte von unbekannter Struktur, so die Lanocerin- 
körper von F. Roehmann‘), vorhanden sind. 

Die gewöhnlichen Fette animalischer oder vegetabilischer 
Herkunft enthalten — nicht einmal regelmäßig — so kleine 
Mengen von Cholesterin oder dessen Verwandten, daß es 
zweifelhaft erscheinen muß, daß diese Produkte allein die 
Muttersubstanz der stark optisch aktiven Erdölbestandteile 
bilden könnten. 

Wie bereits erwähnt, sind die gewöhnlichen Fette optisch- 
inaktiv; nur in vereinzelten Fällen sind einige drehend 


1) Chemische Revue 12, 1. 1905. 

23 Ber. d. dtsch. chem. Ges. 87, 2028. 1904. 

3) In den Destillationsrückständen von der Fettsüäurendarstellung 
reichert sich immer das Cholesterin an. Vergl. Donath und Margosches. 
Chem. Ind. 1904, S. 220. 

4 F. Roehmann, Centralbl. f. Physiologie 19, 317. 1905. 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 375 


befunden und zwar Fette sowohl des Tier- wie des Pflanzen- 
reiches. 

Allerdings ist esmanchmal möglich gewesen, den Grund dieser 
optischen Aktivität nachzuweisen und sie auf bestimmte Produkte 
zurückzuführen, so auf das Cholesterin und Isocholesterin beim 
Wollfett, auf die cyklische Chaulmugrasäure beim Chaulmugraöl, 
auf Isomere der Myristin- und Laurinsäure im Bürzeldrüsenfett 
(F. Roehmann), auf die Rizinusölsäure beim Rizinusöl, auf 
die d-Valeriansäure (Methyl-äthylessigsäure) beim Angelicaöl und 
Convulvin und auf den aktiven Hexylalkohol beim Römisch- 
Kamillenöl'); bei der Mehrzahl namentlich der schwachdrehenden 
Fette ist aber der Grund des Drehungsvermögens unbekannt. 

Die Darstellungsweise mancher Fette schließt nun die 
Möglichkeit einer Verunreinigung außer mit Cholesterinkörpern 
mit einer anderen Klasse von Verbindungen nicht aus, die im 
tierischen und pflanzlichen Organismus weit verbreitet sind, den 
Lecithinen. Es wäre dankbar, daß diese nach C. Ulpianis?) 
Entdeckung optisch aktiven Lipoide z. T. das Drehungsvermögen 
jener Fette bedingen. Das Lecithin hat die bemerkenswerte 
Eigenschaft, eine große Anzahl sonst fettunlöslicher Körper mit 
Lipoiden mischbar zu machen, z. B. Zucker und andere optisch- 
aktive Substanzen (Paul Mayer)°); dieses Verhalten ist bei 
den pflanzlichen Lecithinen besonders ausgeprägt, die nach 
E. Winterstein und Hiestland') regelmäßig einen erheblichen 
Gehalt an Pentosen, also aktivem Material, aufweisen. 

Das reine Lecithin ist nach Ulpiani (a. a. O.) dextrogyr, 
existiert aber nach Paul Mayer’) auch in einer linksdrehenden 
Form. 


1) In den beiden letzten Fällen handelt es sich möglicherweise um 
Eiweißumwandlungsprodukte, die im normalen pflanzlichen Stoffwechsel 
erzeugt werden analog der Bildung des aktiven Amylalkohols bei der 
Hefegärung, wo zuerst an der lebenden Pflanze die Umwandlung von 
aktivem, stickstoffhaltigem Material in ebensolches N-freies nachgewiesen 
wurde (F. Ehrlich). Solche Umwandlungen von stickstoffhaltigem 
Material in optisch aktive N-freie Substanzen besorgt auch der Tierkörper 
(Neuberg und Langstein). 

4) Gazz. chim. Ital. 81, II, 47. 1901. 

®) Diese Zeitschr. 1, 81. 1906. 

4) Ztschr. f. physiolog. Chem. 47, 496. 1906. 

6) Diese Zeitschr. 1, 39. 1906. 


376 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 


Die optische Aktivität der Lecithine selber ist nun eine 
derartige, daß sie für die Bildung optisch-aktiver Erdölkohlen- 
wasserstoffe nicht in Betracht kommen kann. Sie beruht 
nämlich auf der asymmetrischen Anordnung der Fettsäure- 
radikale und des Phosphorsäurerestess an den Glycerin- 
hydroxylen, z. B.: 

CH: »- O — Fettsäureradikal 

HC. O — Fettsäureradikal 

CH, ° O PO; Hp = Cholin, 
und nicht auf der Gegenwart eines nach vollkommener 
Hydrolyse optisch-aktiven Spaltungsproduktes. Da nun vor 
oder mindestens während der Petroleumbildung Verseifung ein- 
tritt, kann das Lecithin selbst keine optische Aktivität in das 
Erdöl hineintragen. 

Bei dieser Gelegenheit mag darauf hingewiesen werden, daß 
die optische Aktivität mancher Fette und Öle auf der Gegen- 
wart von sogenannten gemischten Glyceriden beruhen könnte; 
denn bei letzteren muß man bei bestimmten Anordnungen 
optische Aktivität erwarten, nämlich dann, wenn diese natürlich 
verkommenden Glyceride 3 verschiedene Fettsäureradikale (Rı, 
Rs, R) enthalten oder auch nur 2 ungleiche (Ri, Rs), die 
asymmetrisch am Glycerinrest haften: 


CH: » OR, CHe +» OR: 
Ix p 
HC. OR: oder HC. OR, 
| | 
CH; » OR; CH,OR; 


Diese Formen können zwar den Ölen und Fetten optische 
Aktivität verleihen, aber nicht dem daraus entstehenden Erdöl 
aus ähnlichen Gründen, wie wir sie beim Lecithin gesehen haben. 

Von ungleich größerem Interesse war daher die Frage, ob 
cs möglich sei, aus den symmetrischen, optisch-inaktiven 
Ölen und Fetten unter den natürlichen Verhältnissen analogen 
Bedingungen künstlich optisch-aktive Substanzen zu erzeugen, 
deren Drehungsvermögen auf einem wirklichen asym- 
metrischen Kohlenstoffatom der letzten hydrolyti- 
schen Spaltungsprodukte beruht. Das ist in der Tat möglich. 

Das Ausgangsmaterial für die Versuche besteht in dem 
gewöhnlichen symmetrischen Triolein 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 377 


CH; + O-Ölsäure 
CH e O-Ölsäure 
CH; e O-Ölsäure 
das bekanntlich einen überwiegenden Teil im Fette der maritimen 
Flora und Fauna ausmacht. Um jede Verunreinigung auszu- 
schließen, wurde synthetisches Triolein benutzt. Das 
Trocknen ölsäurehaltiger Fette, aber auch die Veränderungen 
der freien Ölsäure (a) an der Luft beruht!) auf Sauerstoffauf- 
nahme oder Wasseranlagerung an der Stelle der doppelten 
Bindung, wobei Dioxystearinsäure (b), Monoxystearinsäure resp. 
Stearolacton (c) oder andere Polyoxysäuren [Oxyketostearinsäure 
?(d) usw.] entstehen, kurz lauter Verbindungen mit einem oder 
zwei asymmetrischen Kohlenstoffatomen: 
a) CH; + (CHz) » CH === CH - (CH;); + COOH 
b) CHy - (CH2) + CH - OH — CH - OH - (CH;) » COOH 
c) CH + (CH;} + CH- OH — CH: - (CH;} — COOH 
d) CH; - (CHe} «CO —— — CH. OH- (CH) + COOH 
(oder Isomere). 
Diese Systeme sind an sich zwar asymmetrisch, jedoch 





noch inaktiv, resp. racemisch, aber sie können unter Bedingungen, 
die in der Natur durchaus gegeben sind, optisch aktiv werden. 
Diese Bedingungen, die auch im Experiment verwirklicht werden 
konnten und drehende Fettsäuren ergaben, sind folgende: 

Von einem Trioleïn, das durch Wasseraufnahme oder 
langsame Oxydation in das System 


CH, -O — CO - (CHa) + CHX — CHX - (CH:} - CH; 

CH-0 — CO » (CHa) - CHX — CHX » (CH-) - CH, 

CHe < O — CO + (CHa) » ČHX — ČH N + (CHay + CHa 

oder 

CH: -O — CO» (CHo) - CH; — CHY » (CH-} + CH; 

CH -0 — CO- (CHo) - CHs — ČHY - (CH); + CH, 

CH, < O — CO + (CHo) + CHe — ČHY - (CHoy < CH; 

) Vergl. E.Salkowki, Festschrift f. Rud. Virchow 1891, S. 19. 
M. v.Senkowski, Ztschr. f. physiol. Chem. 25, 434. 1808. Scala zit. 


nach Ulzer-Klimont, Chemie der Fette, 1906. S. 93. D. Holde und 
J. Marcusson, Ber. d. dtsch. Chem.-Ges. 86, 2657. 1903. 


378 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 


übergegangen ist, läßt sich voraussehen, daß es durch fett- 
spaltende Fermente bei deren asymmetrischer Wirkungsweise 
zur Hälfte verseift werden wird, indem Glyzerin und freie 
aktive Säure entsteht, während deren Antipode mit der anderen 
Hälfte des Glyzerins zum aktiven Glyzerid vereint bleibt. 

Der Versuch ist in der Weise praktisch ausgeführt!), daß 
vollständig (durch 6 Atome Br) bromiertes synthetisches Triolein 
(Dibromstearinsäure -triglyzerid) mit pflanzlicher Lipase ge- 
spalten wurde. Es resultiert rechtsdrehende freie Dibromstearin- 
säure und ein gleichfalls rechts drehendes Dibromstearinsäure- 
glyzerid. 

Das verwendete Material ist formal vollkommen den 
Produkten der langsamen Oleinoxydation analog. Es ist klar, 
daß auch bei gemischten Glyzeriden oder bei Umwandlung nur 
einer Ölsäurerestes prinzipiell ebensolche durch Lipase spaltbare 
Systeme mit asymmetrischen Stearinsäurederivaten entstehen 
können. 

Fettspaltende Fermente sind in der Natur außerordentlich 
verbreitet, sie finden sich im tierischen und pflanzlichen 
Organismus in den Sekreten wie intrazellullär. Auch die 
Bakterien wie ihre Ausscheidungen wirken gleichfalls stark 
fettspaltend. Die halbseitige Verseifung durch Lipasen ist be- 
reits mehrfach beobachtet, so von Paul Mayer‘), von 
H. D. Dakin?) (vergl. auch O. Warburg)‘), sie ist ein Vorgang’), 
wie er sich unter geologischen Verhältnissen sehr wohl abgespielt 
haben kann. Da die Erdölbildung wahrscheinlich ein langsam 
und allmählich verlaufender Prozeß ist, bietet es beispielsweise 
der Vorstellung keine Schwierigkeiten, daß etwa die durch Lipo- 
lyse entstandenen freien aktiven Fettsäuren entfernt oder schon 


1) Aus äußeren Gründen ist das perbromierte Triolein verwandt; es 
ist leichter zugänglich und reiner erhältlich als die Sauerstoffderivate. 

2) Berlin. klin. Wochenschr. 1905, No. 35. 

3) Journ. of Physiolog. 82, 199. 1905. 

4) Ztschr. f. physiolog. Chem. 48, 205. 1906. 

6) Die asymmetrische Verseifung durch Lipase ist übrigens vielleicht 
auch ein Mittel, um die öfter recht unsichere Existenz der gemischten 
Glyzeride zu erweisen. Soweit sie asymmetrische Struktur besitzen, aber 
racemisch sind, werden sie wahrscheinlich durch Lipase halbseitig ver- 
seift und müßten ein durch das Enzym nicht angreifbares dreliendes 
Glycerid ergeben. Versuche hierüber sind im Gange. 


C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 379 


umgewandelt werden, während das aktive Glyzerid erst später 
zu Petroleum wird. 

Es ist also gezeigt, daß aus inaktiven Fetten infolge lang- 
samer Oxydation und asymmetrischer Spaltung durch belebte oder 
leblose Fermente optisch-aktive Radikale entstehen können. 

Bei der experimentellen Ausführung dieser in zwei Rich- 
tungen sich bewegenden Untersuchungen bin ich von Herrn 
cand. phil. E. Rosenberg unterstützt. Seine Dissertation wird 
die analytischen Einzelheiten bringen und die Mitteilung anderer 
Versuche über die Umwandlung optisch-aktiver Fettsäuren und 
Eiweiß!) in „Petroleum“, die ich mir vorbehalten möchte. 


!) Beim Tieröl fanden wir schwaches Drehungsvermögen;, diese 
Tatsache ist insofern von Interesse, da möglicherweise die stickstoffhaltigen 
Bestandteile des Rohpetroleums mit Träger seiner optischen Aktivität sind. 


Biochemische Zeitschrift Band I. 25 


Über optisch-aktive a-#-Diaminopropionsäure und 
ß-Thioglyzerinsäure'). 


Von 
C. Neuberg und E. Ascher. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der 
' Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 16. August 1906.) 


In Fortführung der früheren Untersuchungen’) über kon- 
figurative Beziehungen zwischen den Substanzen der Drei- 
kohlenstoffreihe wurde die racemische a-$-Diaminopropion- 
säure in die aktiven Komponenten zerlegt. Die Spaltung gelingt 
angesichts des basischen Charakters der Diaminopropionsäuren 
durch direkte Salzbildung und zwar mittels d-Kamphersulfosäure. 

Durch fraktionierte Kristallisation des schön kristallisierenden 
basischen Salzes: 

COOH — CH» NHs — CH; - NB; » CioHiıs ° O - SO;H 
erhält man die rechtsdrehende Form angenähert rein, die links- 
drehende nur zum Teil. 

Das Sulfat der rechtsdrehenden Modifikation wird durch 
Baryumnitrit (zwei mol. HNO3) in 1-Glyzerinsäure übergeführt. 

Unter der Voraussetzung, daß die salpetrige Säure keine 
sterische Umwandlung bewirkt, ist die rechtsdrehende «-$-Dia- 
minopropionsäure als l-Form zu bezeichnen, und es bestehen die 
Beziehungen: 


1) Vorgetragen in der Sitzung der deutschen chem. Ges. vom 
9. Juli 1906. 

3) Ber. d. deutschen chem. Ges. 87, 339 und 342. 1904: Ztschr. f. 
physiol. Chem. 44, 134. 1905. 


Neuberg und Ascher, optisch-aktive Diaminopropionsäure usw. 381 


CH; - OH CH; - NH: 
| | 
HC-OH «—. HC-NH; 
| | 
COOH _ COOH 
(l-Glyzerinsäure) (l-Diaminopropionsäure) 


Das Chlorhydrat der l-Diaminopropionsäure dreht rechts; 
das Kupfersalz der l-Diaminopropionsäure hat die Zusammen- 
eZUnE: (C;H; N303);Cu + H:O. 


Da nach Neuberg und Silbermann sowie Ellinger 
Diaminopropionsäure durch ein mol. HNO; in Isoserin 


CH: - NH; CH; - NH: 
| | 
CH : NH: »— > CH. OH 

| | 

COOH COOH 


übergeht, ist dessen aktive Form gleichfalls zugänglich. 

Die Konfiguration des Cystins ist bestimmt, wenn es ge- 
lingt, dieses in die aktive Glyzerinsäure zu verwandeln. 

Durch Behandlung mit Baryumnitrit in schwefelsaurer 


Lösung geht Proteincystin in das Disulfid der $-Thioglyzerin- 
säure (Desaminocystin) über: 


CH, -S — 12 CH: -S — ]: 
CH-NH, | »-> |CH-oH 
COOH COOH 
Letztere ist lävogyr ([@]o = ca. — 10,6%. Baryumsalaz: 
(C;H4SO;); Ba [e|n = — 19,08°; Silbersalz: CeHaS20O6 Age. 


Die Lösung des Baryumsalzes gibt mit Mercurichlorid, 
Blei- und Kupferazetat starke Fällungen. 


Durch Zinn + Salzsäure wird das Disulfid zur $-Thio- 
glyzerinsäure (a-Oxy-ß-thiopropionsäure) reduziert, die gut 
kristallisiert und mit Blei-, Kupfer- und Eisensalzen ähnliche 
Farbenreaktionen wie Cystein gibt. 


Durch Entschweflung muß diese Verbindung in aktive 
Glyzerinsäure übergehen. Gelingt diese Verwandlung nicht, so 
wird die Synthese des Desaminocystins von der B-Chlor-@-Oxy- 
propionsäure (ß-Chlorglyzerinsäure) möglich sein, die selbst 
durch Alkaloidsalze sich als spaltbar erwies. 


25* 


382 Neuberg und Ascher, optisch-aktive Diaminopropionsäure usw. 


Bei der Darstellung der inaktiven a-$-Diaminopropionsäure 
aus a-ß-Dibrompropionsäure und Ammoniak entsteht bis zu 
10%, des Ausgangsmaterials Isoserin: 


CH: Br | CH: - NH; 
| | 

CH » Br + NH, - OH == 2 HBr + CH-OH 

| | 

COOH COOH. 


Diese Umsetzung ist ganz analog der jüngst von Neuberg 
und Federer!) beschriebenen Bildung von Methylisoserin (@-Oxy- 
-$-aminobuttersäure) CH; — CH NH: — CHOH — COOH aus e-f- 
Dibrombuttersäure CH; — CH Br — CH Br — COOH und NH;. 


Durch trockene Destillation läßt sich Cystin zu Körpern 
der Äthylenreihe abbauen; es entsteht durch Abspaltung von 
Kohlensäure Diaminoäthylendisulfid (Aminoäthyldisulfid): 


CH; . S— 

| CH; » S— 
CH » NH; =200 + Í, J» 
j CH; ° NH: A 
COOH 2 


Die Verbindung bietet Interesse, da sie vielleicht das 
Zwischenprodukt ist, aus dem die verschiedenen schwefelhaltigen 
Substanzen bei der bakteriellen Zersetzung des Cystins entstehen; 
das geschwefelte Amin läßt sich als Pikrat isolieren und ist 
mit dem synthetischen Produkt von S. Gabriel?) identisch. 

Die ausführliche Mitteilung der analytischen Daten wird 
in der Dissertation von E. Ascher erfolgen. 


1) Diese Ztschr. 1, 287. 1906. 
2) Ber. d. dtsch. chem. Ges. 22, 1138. 1889; 24, 1112 u. 2133. 1891. 


Über den Wert der verschiedenen Farbenreaktionen zum 
Nachweis der Pentosen. 


Von 
Fritz Sachs. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 3. August 1906.) 


Seitdem die Pentosurie von Salkowski und Jastrowitz!) 
zum ersten Male beobachtet und beschrieben worden ist (1892), 
sind zwar eine Reihe weiterer Fälle derselben Stoffwechselanomalie 
bekannt geworden, ihre Zahl ist aber immerhin auch bis heute 
noch spärlich geblieben. Obgleich diese seltene Affektion dem 
Träger derselben keine Beschwerden verursacht und auch keine 
Gefahren für die Gesundheit mit sich bringt, so hat sie doch 
in nicht geringem Maße das Interesse der Ärzte in Anspruch 
genommen; und zwar mit Recht. Denn, wenn wir von der 
wissenschaftlichen Bedeutung ganz absehen, auch in der Praxis 
spielt die Pentosenausscheidung durch den Harn eine wichtige 
Rolle, da diese Zuckerart durch ihr starkes Reduktions- 
vermögen einen Diabetes vortäuschen kann. Wenn man be- 
denkt, daß es sich das eine Mal um eine harmlose Affektion, 
das andre Mal um eine schwere Erkrankung handelt, so 
wird man verstehen, daß eine solche Verwechselung Folgen 
recht unangenehmer Art nach sich ziehen kann. Die Dia- 
gnose der Pentosurie hat also auch für den Praktiker ein be- 
deutendes Interesse. Es gelingt nun wohl, durch Kombination 
mehrerer Verfahren, wie Reduktionsprobe, Gärung, Polarisation 


1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, 8. 337. 
Biochemische Zeitschrift Band I. 26 


384 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


das Vorhandensein von Pentose wahrscheinlich zu machen und 
Traubenzucker auszuschließen, es gelingt auch durch umständ- 
lichere chemische Verfahren Pentose ganz einwandsfrei nachzu- 
weisen, vorausgesetzt, daß genügende Mengen von der ver- 
dächtigen Flüssigkeit zur Verfügung stehen: für den Arzt ist 
es aber nötig, ein Reagens in der Hand zu haben, mit dem er 
in einfacher Weise seine Diagnose sicherstellen kann. Es sind 
eine Anzahl Reaktionen bekannt, welche diesen Zweck erfüllen 
sollen, und deren sich auch der Chemiker öfters bedient. Im 
folgenden soll von ihnen die Rede sein. Die ältesten sind die 
Tollenssche Orcin- und Phloroglucinprobe'), die schon vor der 
Beobachtung der Pentosurie bekannt waren und auch heute 
noch viel benutzt werden. Vor einigen Jahren wurde die erstere 
von diesen Proben von Bial) modifiziert. In jüngster Zeit 
fand nun eine Diskussion über den Wert dieser Modifikation 
statt, durch welche die folgenden Untersuchungen veranlaßt 
wurden. Bial verwandte zunächst als Reagens rauchende Salz- 
säure, welche auf 500 g 1 bis 1'Y/s g Orcin und 25 bis 30 
Tropfen 10°/,ige Eisenchloridlösung enthielt. 4 bis 5 ccm 
dieser Flüssigkeit wurden mit 2 bis 3 ccm der zu unter- 
suchenden eben aufgekocht. Bei Anwesenheit von Pentose trat 
Grünfärbung auf, sowie der für die Orcinreaktion charakteristische 
Absorptionsstreifen im Spektrum. Das Wesentliche der Modifi- 
kation besteht in der Anwendung des Eisenchlorids, das als 
Sauerstoffüberträger die Reaktion beschleunigen und sie so be- 
quemer und schärfer machen soll. Bial sah sich indessen ein 
Jahr später veranlaßt, seinen Vorschlag abzuändern?), da bei 
Anwendung von seinem Reagens in der früher angegebenen 
Form eine Verwechselung mit Glukuronsäure möglich war®). 
Um diesem Übelstande abzuhelfen, wandte er statt konzentrierter 
Salzsäure solche von 30°/, HCl-Gehalt an. Im übrigen behielt 
das Reagens dieselbe Zusammensetzung. Nur wurde die Aus- 
führung der Reaktion dahin modifiziert, daß zunächst 4 bis 5 ccm 
von dem Reagens zum Sieden erhitzt und dann bis höchstens 


1) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 22, 1046. Ann. d. Chem. 254, 329; 
260, 304. 

23) Deutsche med. Wochenschr. 1902 u. 1903. 

3) Deutsche med. Wochenschr. 1903. 

+ Vgl. Brat, Ztschr. f. klin. Med. 47. 1902. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 385 


1 ccm Harn zugesetzt wurde, ohne weiter zu erhitzen. So sollte 
eine Verwechselung mit Glukuronsäure nicht möglich sein. 
Jolles!) hält nun das Reagens, in dieser Form angewandt, 
nicht für verläßlich und fein genug. Im Gegenteil hält er es 
für nötig, nach dem Vermischen aufzukochen. Andererseits, 
meint er, sei bei diesem Vorgehen eine Verwechselung mit 
Glukuronsäure möglich. Jolles bringt hier ein neues Verfahren 
zur Unterscheidung von Pentose und Glukuronsäure in Vorschlag, 
von dem weiter unten die Rede sein soll. Dieses hält wiederum 
Bial?) in der Praxis für nicht schnell und einfach genug, 
während sein einfaches Verfahren von ausreichender Schärfe 
und Feinheit sein soll. Zudem hält er ein Verfahren, das, wie 
das Jollessche es tun soll, minimale Spuren, wie 0,02°/o 
Pentose, anzeigt, gar nicht für wünschenswert, da bei einer 
echten Pentosurie nicht Spuren, sondern etwa !/2°/o Zucker 
ausgeschieden werden. 

Nach dem: Gesagten schien es also wünschenswert, die 
beiden konkurrierenden Methoden von Bial und von Jolles 
nachzuprüfen. Dies geschah unter gleichzeitiger Berücksichtigung 
der alten Orcin-, Phloroglucinprobe, der Neumannschen Re- 
aktion sowie der Reaktion mit Anilinacetatpapier. 


Bialsche Probe. 

Zur Untersuchung wurden hier, wie auch bei den anderen 
Reaktionen, herangezogen Lösungen von l-Arabinose, Xylose, 
Glukuronsäure®), normaler Harn, sowie Harne, gesammelt nach 
Verabreichung paarungsfähiger Substanzen. Es sei vorausge- 
schickt, daß nach einigen orientierenden Versuchen immer nur 
1/3 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit dem Reagens zuge- 
setzt wurde, da sich diese geringere Quantität für den Eintritt 
der Reaktion als günstiger erwies. 

Das Reagens wurde in der zuletzt von Bial angegebenen 
Form benutzt, zum Teil käufliches, zum Teil selbst hergestelltes. 
Meine Beobachtungen haben nun folgendes ergeben: 

1. Bei Lösungen sowie Urinen von 0,2°/, Xylose-, resp. 
l-Arabinose-Gehalt tritt, wenn nur vor dem Zusatz der betr. 


1) Centralbl. f. innere Med. 1905, Nr. 43; 1906, S. 100. 

3 Centralbl. f. innere Med. 1906, S. 97. 

©, Die Substanzen verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Herrn 
Geheimrat Salkowski und Herrn Prof. Neuberg. Ba 


386 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


Flüssigkeit das Reagens aufgekocht wird, die Grünfärbung meist 
ein. Im Spektrum findet man einen intensiven Streifen im 
Beginn!) vom Rot, einen schwächeren zwischen Rot und Grün, 
die beide auch in dem beim Schütteln mit Amylalkohol ent- 
stehenden Auszug vorhanden sind. Der erste von ihnen ist, so- 
weit mir erinnerlich, nicht von Bial beschrieben worden. Da- 
gegen beschreibt Blumenthal?) einen Streifen im Rot, den er 
und P. Mayer bei Anstellung der gewöhnlichen Orcinreaktion 
mit verschiedenen Substanzen, namentlich ganz regelmäßig bei 
der Orcinprobe mit den Pentosazonen, sowie auch den Osazonen 
aller anderen untersuchten Kohlehydrate, fanden; er scheint 
mit dem hier bei Bials Probe beobachteten identisch zu sein. 
Blumenthal betont ausdrücklich, daß dieser Streifen nicht der 
charakteristische ist, vielmehr der am Ende des Rot zwischen 
C und D gelegene, den übrigens nach Blumenthals Angabe 
die Phenylhydrazinverbindungen der Glukuronsäure mit den 
Pentosazonen gemeinsam haben. Auch hier bei der Bialschen 
Probe scheint der Streifen im Rot durchaus nicht charakteristisch 
für Pentose zu sein, ich fand ihn zum Beispiel auch bei An- 
stellung der Probe mit Traubenzuckerlösung, wo aber der Streifen 
zwischen C und D fehlte. 

Unter denselben Bedingungen wie oben ließen 1%, ige 
Lösungen von Xylose und Arabinose stets sofort Grünfärbung 
erkennen. Es waren wieder dieselben Streifen zu sehen, wieder 
der links gelegene, im Rot, stärker ausgeprägt. 

Ebenso verhielten sich noch konzentriertere Lösungen, bei 
denen natürlich beide Streifen gleichmäßig stärker erschienen. 
Gelegentlich hatten auch beide Streifen die gleiche Intensität, 
nie aber war der zwischen Rot und Grün stärker, als der im 
Rot. Bei käuflichem Pentose-Urin®) tritt stets Grünfärbung ein, 
wenn man nach der letzten Bialschen Angabe verfährt‘). Hier 


1) Bei allen beschriebenen Spektralerscheinungen bezeichne ich immer 
als Beginn den nach links gelegenen Teil, als Ende den nach rechts ge- 
legenen Teil einer Farbe, vorausgesetzt natürlich, daß sich links Rot, rechts 
Violett befindet. 

7, Ztschr. f. klin. Med. 87, 415. 

5) Erhältlich bei der Firma Klönne u. Müller-Berlin, Luisenstraße. 

4) Ein Pentose-Harn eigener Beobachtung stand mir leider nicht zur 
Verfügung. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 387 


ist immer der Streifen zwischen Rot und Grün stärker, als der 
im Beginn von Rot. Wenn man aber trotz Eintrittes der Grün- 
färbung nachträglich kocht, so ist auch hier der Streifen im 
Rot stärker, indem der eine an Intensität zu-, der andere ab- 
genommen hat. Ebenso scheint auch ohne nachträgliches Er- 
hitzen beim Ausschütteln mit Amylalkohol der Streifen im 
Rot mit der Menge des angewandten Amylalkohols an Intensität 
zu-, der andre abzunehmen. 

2. 0,18°/sige Lösung von freier Glukuronsäure gibt ohne 
nachträgliches Erhitzen keine Färbung, höchstens nach längerem 
Stehen der Probe eine geringe Andeutung, ohne daß dabei ein 
Streifen auftritt. Bei nachträglichem Erhitzen tritt die charakte- 
ristische Grünfärbung unter Sichtbarwerden derselben Absorptions- 
streifen, wie oben ein. Wieder ist derjenige im Rot der stärkere. 
Eine 0,8°/,ige Lösung gibt auch ohne nachträgliches Erhitzen 
schwache, aber unverkennbare Grünfärbung. Die Absorptions- 
streifen, ganz so wie früher, treten jedoch erst auf, wenn man 
nachträglich kocht, wobei die Grünfärbung auch wesentlich 
intensiver wird. 

3. Normaler Menschenharn verdunkelt sich bei Vorgehen 
nach der letzten Bialschen Angabe unmerklich. — Keine 
Streifen vorhanden. Bei nachträglichem Erhitzen: Grünfärbung. 
(Dunkles Olivgrün). — Wiederum die beiden Absorptionsstreifen 
vorhanden. 

4. Chloralharn vom Menschen, nach Verabreichung von 
3 g Chloralhydrat gesammelt, stark reduzierend, Linksdrehung 
= —0,2°/,, auf Traubenzucker berechnet, verhielt sich ebenso 
wie der normale Harn. 

Ein Chloralharn vom Kaninchen (A), nach Einführung ı von 
1 g Chloralhydrat, der stark reduzierte und eine Linksdrehung 
von — 2,4"/,, auf Traubenzucker berechnet, aufwies, verhielt 
sich ganz so, nur wurden trotz nachträglichen Erhitzens die 
Absorptionsstreifen vermißt. 

Ein Chloralharn vom Kaninchen (B), nach Einführung von 
1 g Chloralhydrat, der stark reduzierte und eine Linksdrehung 
von — 0,8°/,, auf Traubenzucker berechnet, aufwies, (er war 
mit Wasser verdünnt), verhielt sich genau so, wie der normale 
Menschenharn. Dasselbe Verhalten zeigte schließlich ein Hunde- 
harn, nach Verfütterung von 3 g Parakresol, mit einer Links- 


388 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


drehung von — 0,8°%,, auf Traubenzucker berechnet, und ge- 
ringem Reduktionsvermögen, sowie ein Menschenharn nach 
subkutaner Verabfolgung großer Kampherdosen von geringem 
Reduktionsvermögen und geringer Linksdrehung. 

Wie wir sahen, trat die Grünfärbung bei 0,2°/,igen Pentose- 
Lösungen und Urinen, wenn man nach der letzten Bialschen 
Angabe verfährt, d. h. nur vor dem Zusatz der pentosehaltigen 
Flüssigkeit aufkocht, meist ein, manchmal aber ohne bestimm- 
ten Grund nicht. Der Eintritt geschieht aber oft auch sehr 
zögernd, sodaß bei geringem Prozentgehalt an Pentose man an- 
nehmen muß, daß die Probe im Stiche lassen könnte. Wenn 
sie bei nachträglichem Erhitzen positiv ausfällt, so besagt das 
nichts, da auch normaler Harn sich dann ebenso verhält. 
Allerdings ist die Farbe bei den Pentoselösungen reiner. Aber 
auch eine 0,18°/, Glukuronsäurelösung gibt bei nachträglichem 
Erhitzen dieselbe reine Farbe. Gewiß ist mit dem Vorkommen 
von freier Glukuronsäure im Harn kaum zu rechnen, wenn 
auch die Beobachtung gemacht ist, daß sich die Menthol- und 
die Terpenoglukuronsäure (nach Verfütterung der entsprechenden 
Substanzen erhalten) beim Stehen der Harne spontan spalten 
können’). Man wird also bei der Bialschen Probe nur 
etwas aussagen können, wenn sie ohne nachträgliches 
Erhitzen positiv ausfällt. Und dies hat ja Bial auch selbst 
ausgesprochen. Sehr fein ist die Probe so aber nicht, da ein 
Gehalt von 0,2°/, Pentose gerade die Grenze zu bilden scheint, 
wo sie noch positiv ausfallen kann. Bei den beschriebenen 
Fällen von Pentosurie hat es sich aber zum Teil auch um 
geringere Mengen gehandelt. Denn sie schwankten zwischen 
0,08 und 1°/,?) oder wenn man, wie Neuberg angibt, diese 
Zahlen verdoppeln muß®, zwischen 0,16 und 2%. Zur 
Sicherung der Diagnose wird in jedem Falle das Aufsuchen 
des zwischen C und D gelegenen Absorptionsstreifens nötig sein. 

Zum Vergleich mögen nun auch die mit der alten Orcin- 
und Phloroglucin-Probe an denselben untersuchten Lösungen 
erzielten Resultate mitgeteilt sein. 


1) P. Mayer, Berl. klin. Wochenschr. 1900, Nr. 1. 

®) Zit. nach Neuberg, „Die Physiologie der Pentosen und der 
Glukuronsäure“ in „Ergebnisse der Physiologie“ III. Jahrg., 1. Abt. 1904. 

23) a. a. O. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 389 


Oreinprobe. 

Die Angaben über die Anstellung der Orcin- und Phloro- 
glucinprobe, die man in der Literatur findet, weichen im 
einzelnen verschiedentlich voneinander ab, stimmen aber doch 
im Wesen mit den ursprünglichen Tollensschen Angaben') 
überein. 
Ich habe die Proben so angestellt, daß ich der zu unter- 
suchenden Flüssigkeit, etwa 4 ccm, das gleiche Volumen 
rauchender Salzsäure, D = 1,19, zusetzte, darauf eine kleine 
Messerspitze Orcin, resp. Phloroglucin in das Reagensglas 
schüttete und zum Sieden erhitzte. 

Bei typisch positivem Ausfall der Orcinprobe soll dann 
zunächst rötliche Färbung, darauf violettblaue Trübung eintreten. 
Die Farbennuancen wechseln aber, und so ist als das Charakte- 
ristischeste an der Probe der Absorptionsstreifen zwischen C 
und D anzusehen, worauf schon Tollens aufmerksam gemacht 
hat. Man schüttelt nach Salkowskis Angabe?) mit Amyl- 
alkohol und betrachtet den Streifen im Amylalkoholauszug, der 
allmählich eine mehr grüne Farbe annimmt. 

1. 0,2 ige Pentose-Lösungen — positiver Ausfall. 

Käuflicher Pentose-Urin Braun-Grünfärbung. Amylalkohol- 
auszug: rein grün. Streifen zwischen C und D. 


2. 0,18 °/, Glukuronsäure-Lösung — schwach, aber un- 
verkennbar positiv. 
.3. Normaler Harn — Braunfärbung. Kein Streifen. 


4. Chloralharn (Mensch) — Braunrotfärbung. Kein Streifen. 

Chloralharn (Kaninchen) A — Braungrünfärbung. Kein 
Streifen. 

Chloralharn (Kaninchen) B — Rotbraunfärbung. Kein 
Streifen. 

Parakresolharn (Hund) — Gelbbraunfärbung, Amylalkohol 
rötlich. Kein Streifen. 

Kampherharn (Mensch) — Rotfärbung. Kein Streifen. 


Phloroglucin-Probe. 
Die Phloroglucinprobe wurde genau so angestellt wie die 
Orcinprobe. Hier kommt es noch mehr auf den typischen 


1) a. a. O. 
3) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, Nr. 32. 


390 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


Absorptionsstreifen an, der hier zwischen D und E im Beginn 
von Grün liegt. Es tritt beim Erhitzen zum Sieden erst Kirsch- 
rotfärbung, dann Trübung ein. In Amylalkohol klare Lösung 
mit roter Farbe. - 

1. 0,2 °/sige Pentoselösungen — positiv. 

Käuflicher Pentose-Urin positiv. 

2. 0,18 °/sige Lösung von Glukuronsäure — deutlich positiv. 

3. Normaler Harn — Rotfärbung. Kein Streifen. 

4. Chloralharn (Mensch) — Rotfärbung. Absorptionsstreifen 
zwischen D und E. 

Chloralharn (Kaninchen) A — Rotfärbung. Kein Streifen. 

Chloralharn (Kaninchen) B — Rotfärbung. Schwacher 
Streifen zwischen D und E. 

Parakresolharn (Hund) — Rotfärbung. Streifen zwischen 
D und E. 

Kampherharn (Mensch) — Rotfärbung. Absorptionsstreifen, 
schwach, aber unverkennbar, zwischen D und E. 

Außer in der oben beschriebenen Weise wurde die Phloro- 
glucinprobe auch in der von Salkowski angegebenen Form') an 
Lösungen und Urinen von 0,2 °/, Pentosegehalt, an 0,18 °/,iger 
Glukuronsäurelösung, an normalem Harn, Kampherharn, Chloral- 
harn vom Menschen und an Parakresolharn vom Hund ausgeführt. 
Der Ausfall der Proben zeichnete sich hier durch größere Reinheit 
des Farbentones und des Spektralbildes aus, stimmte aber im 
Grunde mit den oben notierten Resultaten überein, die ja auch 
Salkowski selbst erhalten hatte. 

Der Nachteil der Phloroglucinprobe als Reaktion auf Pen- 
tose ist schon lange bekannt und, wie man sieht, auch hier 
wieder bestätigt worden. Nicht nur treten bei Anwendung der 
verschiedensten pentosefreien Lösungen Farbentöne auf, die 


1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, S. 594. Ztschr. f. physiol. 
Chem. 27, 512. Nach Salkowski löst man eine kleine Messerspitze 
Phloroglucin in 7—8 ccm Salzsäure von 1,12 D, teilt die Lösung in zwei 
gleiche Hälften. Zu der einen fügt man 0,5 ccm des zu untersuchenden 
Harns, zu der anderen ebensoviel normalen Harns zum Vergleich. Setzt 
man dann beide Proben in siedendes Wasser, so färbt sich die die reaktions- 
fähige Substanz enthaltende rot, während die andere fast unverändert bleibt, 
jedenfalls nicht rot wird. Die Spektraluntersuchung ergibt im ersten 
Falle den charakteristischen Absorptionsstreifen. Am normalen Harn sah 
Salkowski bei dieser Art der Anstellung die Reaktion nie eintreten. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 391 


dem typischen ganz ähnlich sind, sondern es weisen, wenn wir 
von den freien Glukuronsäuren ganz absehen wollen, auch die 
gepaarten des öfteren den Pentosenstreifen auf, sodaß also die 
Möglichkeit einer Verwechselung auf der Hand liegt. Mit der 
Probe mit Anilinacetatpapier erzielte ich übrigens noch 
schlechtere Resultate, indem hier auch normaler Harn eine mehr 
oder minder starke Rotfärbung des Streifens hervorrief. Es be- 
stehen hier zwar graduelle Unterschiede, diese sind aber keines- 
wegs geeignet, eine Entscheidung über das Vorliegen des einen 
oder des anderen Körpers zu bringen. 

Mit der Orcinprobe habe ich dagegen befriedigende Resul- 
tate erzielt. Zwar ist der auftretende Farbenton des öfteren 
unbestimmt, der Absorptionsstreifen war aber bei den mit ge- 
paarten Glukuronsäuren angestellten Proben nicht zu sehen. 
Nun weiß man ja, daß sich die verschiedenen gepaarten Glukuron- 
säuren verschieden verhalten, und es liegen in der Tat auch 
Beobachtungen vor, wo gepaarte Glukuronsäuren vollkommen 
charakteristischen Ausfall der Reaktion mit Absorptionsstreifen 
gaben, wie z. B. diejenige von Wohlgemuth an dem Harn 
einer Lysolvergiftung') oder diejenige von P. Mayer an Menthol- 
und Terpenoglukuronsäure, die sich beim Stehen spontan zer- 
setzen). Jmmerhin, glaube ich, wird es sich in diesen Fällen 
meist um leicht erkennbare künstlich gesetzte Bedingungen ge- 
handelt haben, und die Empfehlung der Orcinreaktion 
durch Salkowski°) und Blumenthal‘) für den klinischen 
Nachweis dürfte, wenn man bei Anstellung der Probe 
zu langes Kochen vermeidet), auch heute noch ihre 
Geltung haben. 

Jolles’ Methode. 

Jolles) empfiehlt zum Nachweis der Pentosen im 

Harn folgendes Verfahren; 10—20 ccm Harn werden mit 


1) Berl. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 17. 

2?) Berl. klin. Wochenschr. 1900, Nr. 1. 

3) Ztschr. f. physiol. Chem. 27, 507. 

1) a. a. O. 

5) Eine Verwechselung mit gepaarter Glukuronsäure soll übrigens 
such in zweifelhaften Fällen (Mentholglukuronsäure) vermieden werden 
können, wenn man bei Anstellung der Probe nicht kocht, sondern nur 
auf 90—95 ° erhitzt (vgl. Brat a. a. O.). 

®© Centralbl. f. inn. Med. 1905, Nr. 43. 


þad 


392 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


entsprechenden Mengen von essigsaurem Natron und salzsaurem 
Phenylhydrazin versetzt, ca. 1 Stunde im Wasserbad gekocht, 
dann 2 Stunden in kaltem Wasser stehen gelassen. Der Nieder- 
schlag wird auf ein Asbestfilter gebracht und einmal mit kaltem 
Wasser gewaschen. Darauf kommt der Niederschlag samt 
dem Filter in ein Destillierkölbchen, dazu 20 ccm destilliertes 
Wasser und 5 ccm rauchende Salzsäure. Nun werden 5 ccm 
in eine vorgelegte, in kaltem Wasser befindliche Eprouvette 
abdestilliert, die vorher mit 5 ccm destillierten Wassers gefüllt 
wird. Bei Gegenwart von Pentose soll dann 1 ccm des Gemenges 
beim Kochen mit 4 ccm Bials Reagens intensive Grünfärbung 
geben. Nach Jolles’ Angabe soll die Probe auch bei Anwesenheit 
größerer Zuckermengen anwendbar sein, da Dextrosephenyl- 
hydrazin unter den angegebenen Bedingungen keinen furfurol- 
ähnlichen Körper liefert. Soweit die Jollesschen Angaben. 


Diese Abweichung, die Jolles in dem Verhalten der Pentose- 
Phenylhydrazinverbindung von demjenigen der entsprechenden 
Traubenzucker- und Glukuronsäureverbindungen!) beobachtet 
hat, ist sehr bemerkenswert und es ist schwer zu erklären, 
warum in dem einen Falle ein furfurolähnlicher Körper gebildet 
wird, in den anderen nicht. Wenn nun die Neubergsche 
Ansicht”), daß die gewöhnliche Orcinprobe nicht auf der 
Bildung von typischem Furfurol selbst beruht, auf die Bialsche 
Reaktion übertragen werden darf, so könnte es sich ja hier 
auch um einen anderen Körper handeln. Ich habe nun aber 
bei Anstellung der letzteren mit sehr verdünntem Furfurolwasser 
Grünfärbung und zwei Absorptionsstreifen erhalten, von denen der 
eine, zwischen C und D, vollkommen mit dem Pentosenstreifen 
zusammenfiel, während der andere im Rot gelegene in seiner 
Lage etwas nach rechts von dem sonst bei der Bialschen Probe 
im Beginn des Spektrums beobachteten abwich. Die Grünfärbung 
bei der Jollesschen Methode könnte also auf Furfurol beruhen °’). 


1) Jolles hatte auch mit Harnen, denen er 0,1 °/, freie Glukuron- 
säure zusetzte, negativen Ausfall seiner Probe beobachtet. 

7) Ztschr. f. physiol. Chem. 81, 564. 

*) Bei der Orcinprobe mit Furfurolwasser habe ich wechselnde Farben- 
töne erhalten, der Amylalkohol nahm immer grüne Farbe an, nie konnte 
ich aber in Übereinstimmung mit Neuberg einen Absorptionsstreifen 
sehen. Nach Salkowski gelingt es jedoch gelegentlich, bei schwer 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 393 


Wenn ich größere Mengen von Pentosazon (es waren einmal 
0,8 g, ein anderes Mal 0,5 g) nach den Jollesschen Vorschriften 
verarbeitete, so gab das Destillat in der Tat mit Bialscher 
Probe Grünfärbung, Streifen waren aber im Spektrum nicht zu 
sehen. Mit dem Destillat wurden auch folgende Reaktionen 
angestellt: Proben mit a-Naphthol, Phloroglucin, Orcin, ammo- 
niakalischer Silbernitratlösung, Anilinacetat, die Trommersche 
und die unten zu besprechende Neumannsche Probe Nur 
die a-Naphtholprobe fiel positiv aus. Dies besagt, daß ein De- 
rivat der Kohlehydrate im Destillat vorgelegen hat. Über die 
Natur desselben ist aber auch unter Heranziehung der Grün- 
färbung bei Bials Probe keine Entscheidung zu treffen. Mit 
entsprechenden Mengen der Glukuronsäure-Phenylhydrazin- 
verbindung konnte ich die Jollessche Methode nicht ausführen, 
da ich hierzu nicht genug freie Glukuronsäure zur Verfügung 
hatte. Indessen kommen ja für den praktischen Nachweis 
gar nicht so bedeutende Mengen in Frage. So begnügte ich 
mich, schwächer konzentrierte Lösungen von Pentose und 
Glukuronsäure zu vergleichen, um die es sich ja doch hier 
handelt. Die Jollessche Methode wurde ausgeführt an Lösungen 
und Urinen von 0,2 °/, Arabinose- und Xylose-Gehalt, an 1 o- 
iger Xyloselösung, an 0,18 °/siger Glukuronsäurelösung und an 
käuflichem Pentose-Urin. Verwandt wurden meist 15 ccm, nie 
weniger als 10 ccm. Diese Mengen mußten genügen, da Jolles 
in 20 ccm Harn noch 0,05 °/, Arabinose nachweisen konnte. 
Mit dem Destillate bekam ich jedoch nur im Falle des käuflichen 
Pentose-Urins ganz minimale Andeutung einer Grünfärbung, in 
allen anderen Fällen gar keine Grünfärbung, während die Ab- 
sorptionsstreifen in allen Fällen fehlten. Es ist mir ganz un- 
verständlich, woran es liegen mag, daß ich zu so abweichenden 
Resultaten gekommen bin. Jedenfalls scheint mir nach meinen 
Erfahrungen die Jollessche Methode für die Praxis nicht 
brauchbar zu sein. 
Neumannsche Probe. 

Vor 2 Jahren hat Neumann ein einfaches Verfahren zur 

Unterscheidung verschiedener Zuckerarten, u. a. auch Pentosen, 


zu bestimmender, geeigneter Zusammensetzung des Gemenges einen solchen 
darzustellen, der in seiner Lage nur wenig von dem eigentlichen Pentosen- 
streifen abweicht. 


394 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


angegeben!), welches bisher wenig Beachtung gefunden zu haben 
scheint. Es handelt sich auch hier um eine, allerdings wesentlich, 
modifizierte Orcinreaktiin.e Das Prinzip besteht darin, daß 
während der Bildung des Farbstoffs einerseits für das Vor- 
handensein eines Lösungsmittels desselben gesorgt, andererseits 
Gegenwart von Wasser bei der Reaktion nach Möglichkeit ver- 
mieden wird. Dadurch wird erstens die Probe verschärft, 
zweitens wird dadurch eine Differenzierung der Farbe bei 
Gegenwart verschiedener Zuckerarten bewirkt. Die Reaktion 
wird in folgender Weise ausgeführt: 10 Tropfen der zu prüfenden 
Lösung werden in einem Reagensglas mit 5 ccm 99 °/,igem 
Eisessig und einigen Tropfen einer 5 °/,igen alkoholischen 
Orcinlösung versetzt und nach Umschütteln bis zum völligen 
Sieden erhitzt. Während das Reagensglas im Halter gehalten 
wird, setzt man dann tropfenweise unter Umschütteln konzen- 
trierte Schwefelsäure zu, bis ein deutlicher Farbenton bestehen 
bleibt. Mehr als 50 Tropfen sind dazu in keinem Falle nötig, 
können vielmehr Zersetzung und unreine Farbentöne hervorrufen. 
Nach Neumanns Angabe gibt auf diese Weise Arabinose: 
Violettrotfärbung, sowie im Spektrum einen Streifen rechts von 
D, der Gelb und Gelbgrün bedeckt; Xylose: Violettblaufärbung, 
sowie 2 Streifen, einen rechts von C im Orange, einen zweiten, 
wie bei Arabinose; Glukuronsäure: Grün-, resp. Grünblaufärbung, 
einen Streifen links von C im Rot; Glukose: Braunrotfärbung, 
sowie einen Streifen rechts von b im Grün. Neben anderen 
eingehenderen Angaben sei noch hervorgehoben, daß bei nach- 
träglichem Wasserzusatz die Farbe bei den Pentosen und der 
Glukose unverändert bleibt, während sie bei Glukuronsäure 
rötlich wird. Diese Neumannsche Reaktion wurde wiederum 
an den bisher angewandten Lösungen nachgeprüft: 

1. 0,2 °/,ige Xyloselösung: Blauviolettfärbung, im Spektrum 
ein intensiver Streifen, der Gelb und Gelbgrün bedeckt, ein 
sehr schwacher links davon im Rot. 0,2 °/„ige Arabinoselösung: 
Rotviolettfärbung, im Spektrum nur der intensive Streifen, wie 
bei Xylose. Bei 0,2°/,„igen Xylose- und Arabinose-Urinen der- 
selbe Ausfall, und zwar nicht minder deutlich. Bei 1 °/,igen 
Pentoselösungen wird der Ausfall noch schöner. Bei Wasser- 


1) Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 41. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 395 


zusatz bleiben die wässerigen Lösungen unverändert, während 
die Urine allmählich grünlich werden. Käuflicher Pentose- 
Urin: Grünblau- resp. Grünfärbung, die auf Wasserzusatz be- 
stehen bleibt, deutlicher Absorptionsstreifen im Rot, etwa in 
der Mitte!). 

2. Traubenzucker-Lösung und Urin: Deutliche Rotfärbung 
mit Stich ins Violette. Bei schwächerer Färbung diffuse Ver- 
dunkelung im Grün, bei starker Färbung rechter Teil des 
Spektrums von Grün ab total verdunkelt. Grenze gegen Gelb 
scharf abgesetzt. 

3. 0,18°/, Glukuronsäurelösung: Ganz minimale Blau- 
färbung. Kein Streifen. Bei weiterem Zusatz von Schwefel- 
säure wird die Färbung braunviolett und schmutzig. Jetzt ist 
ein schwacher Streifen im Beginn von Grün zu sehen. Auf 
Wasserzusatz kein Farbenwechsel. 

0,8 °/o Glukuronsäure: Blaufärbung. Schwacher Streifen im 
Beginn von Grün, auf Wasserzusatz deutlicher Umschlag in 
Rotviolettfärbung. 

4. Normaler Harn: bräunlich-grüne Farbe. Kein Streifen. 

5. Chloralharn (Mensch): Schmutzig-Braunrotfärbung, Spek- 
trum verdunkelt, kein Streifen. 

Chloralharn (Kaninchen): Grünfärbung, kein Streifen. Auf 
Wasserzusatz kein Farbenumschlag. 

6. Parakresolharn (Hund) und Kampherharn (Mensch): 
Burgunderrotfärbung. Verdunkelung des Spektrums von Grün 
ab nach rechts. Kein Streifen, kein Farbenumschlag auf 
Wasserzusatz. 

Meine Befunde an Traubenzucker- und Glukuronsäure- 
lösungen weichen in einigen Punkten von den Neumannschen 
Angaben ab. Namentlich scheint mir auch die Reaktion für 
Glukuronsäure nicht sehr empfindlich zu sein. Die Angaben 
über Pentoselösungen kann ich aber im wesentlichen durchaus 
bestätigen. Sehr merkwürdig ist der ganz andersartige Ausfall 
der Reaktion bei käuflichem Pentose-Urin, der sich ja auch, wie 
wir oben gesehen haben, bei der Bialschen Probe, durch das 
Verhalten der Absorptionsstreiffen von den anderen Pentose- 
lösungen unterschied und sich eher wie eine Furfurollösung ver- 


1) Dasselbe Verhalten, wie der käufliche Pensoseharn, zeigte bei der 
Neumannschen Probe eine 1 °/,ige wässerige Lösung von Furfurol. 


396 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


hielt. Es ist mir nichts Näheres über die Herkunft dieses 
Urines bekannt, und daher ist dieser Punkt eigentlich nicht 
diskutabel. Wenn man aber annimmt, daß der Harn von 
einem Pentosuriker stammt, so könnte man denken, daß 
die Verschiedenheit des Verhaltens darauf beruhe, daß, wie 
Neuberg!) gezeigt hat, ca. die Hälfte der Pentose in diesem 
Falle an Harnstoff gebunden ist. Mit inaktiver Arabinose, aus 
Pentoseharn in Substanz dargestellt, die mir Herr Prof. Neu- 
berg freundlichst überließ, fiel die Reaktion ganz in der 
von Neumann für Arabinose typisch angegebenen Form aus. 
Es wäre jedenfalls von Interesse, eine Anzahl Pentosuriker- 
Urine auf ihr Verhalten zur Neumannschen Probe zu prüfen. 
Vielleicht ist das hier an dem käuflichen Pentose-Urin Be- 
obachtete das charakteristische. Wenn ich aber von dem käuf- 
lichen Pentose-Urin ganz absehe, so muß ich sagen, daß das 
Reagens für Pentosen äußerst empfindlich ist und ihre Auf- 
findung in einwandsfreier Weise ermöglicht. Allerdings sind 
die Unterschiede bei Arabinose und Xylose nicht sehr deutlich 
und eine Verwechselung der beiden nicht ausgeschlossen. Das 
spielt ja aber, wenn es sich um die Frage handelt, ob über- 
haupt Pentose vorliegt oder nicht, gar keine Rolle. Der 
Hauptwert ist jedoch, meiner Meinung nach, auch bei 
der Neumannschen Probe auf den intensiven Ab- 

sorptionsstreifen rechts von D zu legen. Denn bei 
Traubenzuckerlösungen habe ich doch ähnliche Farbentöne be- 
kommen, wie bei Arabinose. Der Unterschied bei der Spektral- 
untersuchung ist aber eklatant. Freie Glukuronsäure könnte 
durch die Blaufärbung unter Umständen Pentose vortäuschen 
(auch die Probe, mit Xylose angestellt, wird allmählich blau). 
Die Lage des Streifens habe ich hier auch, abweichend von 
Neumann, ähnlich derjenigen des Arabinosestreifens gefunden, 
welcher allerdings unvergleichlich intensiver ist. Ganz charak- 
teristisch ist aber, daß bei Glukuronsäureanwesenheit auf 
Wasserzusatz das Gemenge einen rötlichen Ton annimmt’), 
und so kann auch eine Verwechselung mit freier 


1) Ergebnisse der Physiologie 3. Jahrg., I. Abt. 1904, 373. 

» Daß ich bei 0,18 °/,iger Glukuronsäurelösung den Farbenwechsel 
nicht beobachtet habe, liegt wohl daran, daß hier von vornherein die 
Färbung zu minimal war. 


F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 397 


Glukuronsäure vermieden werden. Dazu kommt als für den 
Pentosennachweis besonders günstiges Moment, daß das Reagens 
für freie Glukuronsäure sehr wenig empfindlich ist und die 
gepaarten Glukuronsäuren, wenn auch der Farbenton gelegent- 
lich zur Verwechselung Veranlassung geben könnte, keinen 
Absorptionsstreifen aufweisen. 

Wenn wir nun also mit der oben besprochenen Ein- 
schränkung in der Neumannschen Reaktion ein ausgezeichnetes 
Diagnostikum für Pentose erblicken dürfen, das mir feiner und 
zuverlässiger erscheint als die Orcinprobe in ihrer ursprünglichen 
Form und in der Bialschen Modifikation, so dürften doch auch 
die beiden letzteren Methoden noch ihren Platz behaupten, 
namentlich in der Klinik, solange die Frage über das Verhalten 
des echten Pentose-Urins zu dem Neumannschen Reagens noch 
nicht geklärt ist. Aber auch, wenn dies geschehen ist, dürfte 
es nur von Vorteil sein, wenn wir eine Auswahl von brauch- 
baren Reaktionen zur Verfügung haben. Denn, trotzdem es 
sich in allen drei Fällen um Orcinreaktionen handelt, der Ausfall 
ist doch in jedem Falle andersartig und für jede der Modi- 
fikationen charakteristisch, und wir sind so in der Lage, in 
zweifelhaften Fällen unsere Diagnose unter Heranziehung einer 
zweiten Methode zu stützen. 


Nachtrag. 


Während der Drucklegung hatte ich Gelegenheit, die Orcin-, 
die Bialsche und Neumannsche Reaktion an dem Harn einer 
Lysolvergiftung (Starkes Reduktionsvermögen, Linksdrehung = 
— 3°/,, auf Traubenzucker berechnet) zu erproben. Die Phloro- 
glucinprobe fiel, wie nicht anders zu erwarten war, positiv aus. 
Es stellte sich folgendes heraus: 

1. Orcinprobe: Nach Zusatz von Salzsäure Grünfärbung. 
Beim Kochen nimmt die Lösung einen dunklen, schmutzig- 
braunen Farbenton an; Amylalkoholauszug: schmutzig-braun. 
Deutlicher Absorptionsstreifen zwischen C und D. 

2. Bialsche Probe: Ohne nachträgliches Kochen: geringe 
Verdunkelung. Bei nachträglichem Kochen: starke Verdunkelung, 
schmutzig-brauner Farbenton, der auch in den Amylalkohol 
übergeht. Im Spektrum nur ein sehr schwacher Streifen 
zwischen C und D. 


398 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 


3. Neumannsche Probe: Blauviolettfärbung. Spektrum 
von Grün ab diffus verdunkelt. Die Verdunkelung ist im Be- 
ginn von Grün intensiver und erscheint hier als schlecht 
begrenzter Absorptionsstreifen. Auf Woasserzusatz deutlicher 
Umschlag in Rotviolettfärbung. 

Es ist bemerkenswert, daß ich hier am Lysolharn im 
Gegensatz zu den anderen von mir untersuchten Harnen mit 
gepaarten Glukuronsäuren und in Übereinstimmung mit der 
Beobachtung von Wohlgemuth am Lysolharn die Orcinprobe 
positiv ausfallen sah. Die Anwesenheit sehr großer Mengen 
gepaarter Glukuronsäure, wie sie sich hier fanden (3°/, Links- 
drehung), ist, wie ich glaube, nicht geeignet, die Tatsache hin- 
reichend zu erklären. Vielmehr muß wohl in diesem Falle 
die Art der Bindung eine weniger feste sein. Denn einerseits 
war auch in einem Teil der Harne, wo die Orcinprobe negativ 
ausfiel, die Menge der gepaarten Glukuronsäure ganz beträcht- 
lich, und anderseits gibt, wie wir gesehen haben, eine weit 
schwächere Lösung von freier Glukuronsäure noch deutlich 
positiven Ausfall. Zudem fiel bei Anwendung desselben Harnes 
in sechsfacher Verdünnung die Reaktion, wenn auch weniger deut- 
lich, so doch immer in demselben Sinne aus. Schließlich er- 
klärt sich auch der Farbenton und die Spektralerscheinungen 
bei der Neumannschen Probe sehr wohl durch das Vor- 
handensein eines Gemisches von gepaarter und freier Glukuron- 
säure, welche letztere eben vermöge ihrer eigenartigen Bindung 
bei der Ausführung der Reaktion abgespalten werden mag. 
Ganz besonders ist aber der Farbenumschlag auf Wasserzusatz 
in Rotviolett für freie Glukuronsäure charakteristisch. Daß 
gerade hier beim Lysolharn im Gegensatz zur Orcinprobe die 
Bialsche bei nachträglichem Kochen so wenig schön und 
charakteristisch ausfiel, hat seinen Grund offenbar darin, daß 
die in sehr großer Menge ausgeschiedenen Phenolderivate mit 
dem Eisenchlorid in Reaktion treten und zur Bildung störender 
Farbstoffe Veranlassung geben. 

Meine obigen Schlußfolgerungen hinsichtlich des Wertes 
der verschiedenen Methoden für den Nachweis von Pentosen 
erfahren natürlich angesichts der hier verzeichneten Ergebnisse 
durchaus keine Änderung. 


Über das Schicksal der Kresole im Organismus 
und ihren Einfluß auf den Stoffwechsel und die Darmfäulnis 
der Fleischfresser. 


Von 
D. Jonescu aus Bukarest. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 6. August 1906.) 


In seiner Arbeit über den Harn und den Stoffwechsel der 
Herbivoren!) beschreibt E. Salkowski auch die Rolle des 
Phenols und der Kresole bei der Darmfäulnis. Hierbei bemerkt 
er, daß, obschon man die Frage nach den Oxydationsprodukten 
der Kresole verfolgt hat, direkte Untersuchungen der nach 
Verfütterung von Kresolen durch Destillation des Harns wieder- 
gewonnenen Menge nicht angestellt worden sind. i 

Da die Entscheidung hierüber für die Frage, welchen 
Umfang die Eiweißfäulnis im Darmkanal der großen Pflanzen- 
fresser hat, von Wichtigkeit ist, so habe ich auf Veranlassung 
des Herrn Prof. Salkowski diese Frage zu verfolgen unter- 
nommen. 

Nachdem Baumann die gepaarten Schwefelsäuren im 
Harn entdeckt hatte, hat er mit seinen Schülern auch das 
Verhalten der Kresole im Organismus studiert?). So hat er 


) E. Salkowski, Zur Kenntnis des Harns und des Stoffwechsels 
der Herbivoren. Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 213. 1904. 

r, E. Baumann und E. Herter, Über die Synthese von Äther- 
schwefelsäure und das Verhalten einiger aromat. Substanzen. Ztschr. f. 
physiol. Chem. 1, 264. 1877—78. — Baumann und Preuße, Zur Kennt- 
nis der Oxydationen und Synthesen im Tierkörper. Ztschr. f. physiol. 
Chem. 8, 156. 1879. 

Biochemische Zeitschrift Band I. 27 


400 D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 


feststellen können, daß das verfütterte p-Kresol nur zum kleinen 
Teil zu p-Oxybenzoesäure und zu Phenol oxydiert wird!), der 
größere Teil sich mit Schwefelsäure paart. Nach Verfütterung 
von 0-Kresol kann man keine Salicylsäure nachweisen, sondern 
nur kleine Mengen von Toluhydrochinon,;, der Rest paart 
sich ebenfalls mit Schwefelsäure). Durch Preuße?) wurden 
diese Untersuchungen weiter geführt; er zeigte, daß man nach 
m-Kresol weder Metaoxybenzoesäure noch einen Körper von 
hydrochinonartiger Natur nachweisen kann. 

Külz?) schloß die Reihe dieser Untersuchungen ab. Er 
beobachtete zum ersten Male, daß der Harn der mit Phenolen 
oder ihren Substitutionsprodukten gefütterten Kaninchen nach 
links dreht und eine Substanz enthält, die er als Phenylglukuron- 
säure nachwies. 

Die Frage, die ich zu behandeln hatte, war in erster Linie 
die, wie viel von den eingeführten Kresolen man im Harn 
wieder finden konnte; ferner, wie viel sich davon mit Schwefel- 
säure und wie viel mit Glukuronsäure paart. Hierbei war noch 
der Einfluß dieser Körper auf die Darmfäulnis und die dabei 
entstehenden Produkte, wie Ammoniak und Indol, zu berück- 
sichtigen. Schließlich war noch die Frage zu beantworten, welchen 
Einfluß die Kohlehydratfütterung gegenüber der Fleischfütterung 
auf die Menge der gebildeten Glukuronsäure ausübt. 

Zunächst will ich die technische Ausführung der Versuche 
beschreiben. Eine 11960 g schwere Hündin wurde mit 250 g 
Pferdefleisch und 50 g Speck täglich ins Stickstoffgleichgewicht 
gebracht. Der Harn wurde morgens mit dem Katheter ge- 
wonnen, auf 400 ccm aufgefüllt und unter Zusatz einer kleinen 
Menge Chloroform aufbewahrt. Die Fäces wurden für jede 
Periode getrennt gesammelt. Die Abgrenzung geschah durch 


1) Baumann, Entstehung des Phenols im Tierkörper und bei der 
Fäulnis. Ztschr. f. physiol. Chem. 8, 250. 1879. — Ders., Die aromatischen 
Verbindungen im Harn und die Darmfäulnis. Ztschr. f. physiol. Chem. 
10, 123. 1885. 

3) C. Preuße, Zur Kenntnis der oxyd. aromat. Substanzen im Tier- 
körper. Ztschr. f. physiol. Chem. 5, 57, 66. Siehe such: E. Tauber, 
Beiträge zur Kenntnis über das Verhalten des Phenols im tierischen 
Organismus. Ztschr. f. phys. Chem. 2, 366. 1878. 

5, Külz, Zur Kenntnis der synth. Vorgänge im Tierkörper. Pflügers 
Arch. 80, 484. 1883. 


D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 401 


Kieselgur. Nachdem der Hund im Stickstoffgleichgewicht 
war, wurde mit der Verfütterung der Kresole begonnen. Die 
Kresole wurden in Pillen gegeben, von jedem 1 g täglich, im 
ganzen 3 bis 4 g, und zwar ihrer steigender Toxizität folgend, 
erst meta-, ortho- und endlich para-Kresol. Zwischen jeder 
Kresolperiode wurde eine zwei- bis dreitägige Ruheperiode ein- 
geschaltet. 

Der Stickstoff wurde im Harn und den Fäces nach der 
Kjeldahlschen Methode bestimmt. Für die Ammoniak- 
bestimmung wurden nach vergleichenden Untersuchungen 
zwischen den verschiedenen Vorschriften die von Krüger und 
Reich angegebene und von Schittenhelm in Zeitschrift 
für phys. Chemie!) beschriebene Methode bevorzugt. Die 
Methode ist kurz folgende: In einem mit einem Peligot- 
schen Rohr verbundenen Destillationskolben mischt man 
ca. 25 ccm Harn mit ca. 10 g Natriumchlorid 4 1 g Natrium- 
karbonat (dabei muß deutliche alkalische Reaktion vorhanden 
sein. Der Kolben wird auf ein Wasserbad gesetzt. In das 
mit Eiswasser gekühlte Peligotsche Rohr läßt man etwa 
20 ccm Ž Schwefelsäure und einige Tropfen Rosolsäure hinein- 
fließen und verbindet es dann mit der Wasserstrahlpumpe. 

Sofort evakuiert man bis zu einem Vakuum von 25 bis 
30 mm Quecksilber, und nun läßt man, um spätere Bildung 
von Schaum zu verhindern, durch den am Kolben angebrachten 
Trichter, der mittels eines Quetschhahns mit einem zu einer 
Kapillare ausgezogenen Rohr verbunden ist, 20 ccm absoluten 
Alkohol hineinfließen. Das Wasserbad wird dann auf eine 
Temperatur von 43 bis 45° erhitzt. Man destilliert ca. 40 bis 
50 Minuten lang, indem man von Zeit zu Zeit etwa 10 bis 
15 ccm Alkohol zuläßt. Nach dieser Zeit ist aller Ammoniak 
in die Säure übergegangen und man titriert mit Æ Natronlauge 
zurück. | 

Die Kresole wurden nach dem von Koßler und Penny 
angegebene und von Neuberg?) modifizierten Verfahren be- 
stimmt. 


1) A. Schittenbelm, Zur Methodik der Ammoniakbest. Ztschr. f. 
physiol. Chem. 89, 73. 1903. 
3) Hoppe-Seyler-Thierfelder, Handbuch der phys.-chem. Ana- 
lyse 1903, S. 438. 
27* 


402 D.Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 


Was die Indikanbestimmung anbetrifft, so habe ich die 
Methode von Wang!) angewendet, die in folgender Ausführung 
besteht: 100 ccm Harn wurden mit 100 ccm Wasser + 20 ccm 
Bleisubacetat versetzt; dann auf 300 ccm mit Wasser aufgefüllt. 
Vom Filtrat mischt man 100 ccm mit 100 ccm Obermayer- 
schem Reagens (1000 ccm rauch. Salzsäure 4 3 bis 4 g Eisen- 
chlorid) und läßt die Mischung ca. 8 bis 10 Minuten stehen. 
Dabei wird das Indikan zu Indigo oxydiert, das man mit 
Chloroform extrahiert. Die Chloroformlösung wird nach 
Maillard’) zur Reinigung mit gleichen Teilen stark verdünnter 
NaOH-Lösung (1 pro Mille) geschüttelt, von der Natronlauge 
getrennt und abdestilliert. Der Rückstand wird dann in 10 ccm 
konzentrierter Schwefelsäure auf dem Wasserbad gelöst und 
noch einige Zeit daselbst digeriert. Man gießt dann die Lösung 
in ca. 100 ccm Wasser und titriert das Indigblau mit verdünnter, 
auf Oxalsäure eingestellter Kaliumpermanganatlösung (von einer 
ca. 3°/oo Mutterlösung, die Monate lang haltbar ist, wird für 
jede Titrierung eine 3/2% Lösung frisch hergestellt). 

Die Bestimmungen von Ammoniak, Stickstoff, Indigo wurden 
täglich vorgenommen. Zur Kresolbestimmung wurde ein aliquoter 
Teil des Harns jeder einzelnen Periode verwendet. 

Am Ende des Experiments hatte der Hund nach unbe- 
trächtlichen Schwankungen um 160 g abgenommen. 

Die Versuche wurden in drei Reihen angestellt. Die erste 
Reihe ergab die in nachstehender Tabelle dargestellten Re- 
sultate.e In der zweiten Versuchsreihe habe ich noch einmal 
die quantitative Bestimmung der ausgeschiedenen Kresole wieder- 
holt und speziell ihre Paarung mit Schwefelsäure und Glukuron- 
säure studiert. In der dritten Versuchsreihe habe ich den Ein- 
fluß der Kohlehydratfütterung auf die Glukuronsäureausscheidung 
untersucht. | 


) Wang, Ztschr. f. physiol. Chem. 25, 406. 1898 und 27, 135. 1899. 
Siehe auch Ellinger, Ztschr. f. physiol. Chem. 88, 178. 1903; Salkowski 
a. a. O. und Grosser, Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 321. 1905. 

») Maillard, Über die Entstehung der Indoxylfarbstoffe und die 
Bedeutung des Harnindoxyls. Ztschr. f. physiol. Chem. 41, 487. 1904. 


D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 403 


Versuchsreihe I. 








Harnmenge pro A g & Kresole 
Tag 400 ccm S| 2, g a E Et za 
Taa E rE- ERE AA CEE je 
oj 5 & S S FRHÄFSCHI EEE E 
B Ra = be Hios T f: = © 
Versuchs- 5 A) s Ie 22.3388 .88 S 
` A a 3 „J a jga g 2128 aog £ 2 
periode s| 5% s An |q FICHE 
I SS |g 35% 
ETENEE RIIE ELE ETEA u un A ng jAZE % 
Vorperiode 4 — 34,8 |34,3710,389| 6,45] 0 — 
Tage 
I. Fütterungs- | 4 1 g 1|88,39|29,4 |0,248| 8,35 | 1,768 | 46,5 
periode Tage| m-Kresol 
täglich 
Ruhe 2 — 16,46 | 16,29 | 0,312 | 8,9 0 — 
Tage 
II. Fütterungs- | 3 1 g  |24,96 | 22,96 | 0,284 | 16,0 | 0,907 | 30,2 
periode Tage| o-Kresol 
täglich 
Ruhe 3 —  124,20|23,78|0,328|11,0 | 0 | — 
Tage 
III. Fütterungs-| 3 1 g |25,40 | 24,67 | 0,850 | 10,2 | 0,705 | 23,5 
periode Tage| p-Kresol 
täglich | 
Ruhe 3 — 125,20] 25,66|0,414|100 | 0 | — 


Tage 


Bemerkungen. Im normalen Hundeharn konnte ich keine Kresole 
bezw. Phenole nachweisen. Die Ausscheidung der Kresole war immer 
innerhalb 24 Stunden beendet. In dem Harn der Ruheperiode wurden 
niemals Kresole konstatiert; ebensowenig in den Fäces nach Kresol- 
fütterung. Die verabreichte Menge wurde, wie man sieht, aus dem 
Darmtraktus völlig resorbiert. 


Bei der Betrachtung der Zahlen für die N-Ausscheidung 
in Harn sieht man, daß sie regelmäßig in den Fütterungsperi- 
oden etwas geringer sind, als in den Ruheperioden, vermutlich, 
weil die Ausnutzung des Eiweiß im Darmkanal etwas beein- 
trächtigt ist. 

In bezug auf die täglich gebildete Ammoniakmenge beob- 
achtet man folgende Tatsache: während in der Vorperiode die- 
durchschnittliche Ammoniakausscheidung pro Tag 0,389 g be- 
trägt, sinkt sie unter dem Einfluß des m-Kresols auf 0,248 g 
herab. Sie steigt dann wieder in der nachfolgenden Ruhe- 
periode bis zu 0,312 g, vermindert sich bis zu 0,284 g unter 
der Wirkung des o-Kresols, erreicht aber 0,328 g in der 
Ruheperiode. 


404 D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 


Endlich findet man nach Verfütterung von p-Kresol, 0,35 g 
Ammoniak täglich, das dann in der Nachperiode noch auf 
0,404 g steigt. 

Was die Deutung dieser Verminderung der Ammonsalze 
des Harns in den Fütterungsperioden betrifft, so könnte man 
daran denken, hierin einen Effekt der antiseptischen Wirkung 
der Kresole zu sehen. Dies ist indessen doch unwahrscheinlich, 
da die Verabreichung von Ammoniumkarbonat beim Hunde 
keine Zunahme der Ammonsalze im Harn bewirkt, und gerade 
bei Pferden und Rindern, die sicher eine starke Ammonbildung 
infolge der Fäulnis im Darm zeigen, der Gehalt des Harns 
an Ammonsalzen sehr gering ist. Die Erklärung liegt vielleicht 
darin, daß die Kresole im Organismus die zweiwertige Schwefel- 
säure zum Teil in die einwertige Ätherschwefelsäure umwandeln; 
dadurch also im Organismus den Bedarf an Alkali zur Neutra- 
lisation der Säuren herabsetzen. Damit steht in Einklang, 
daß die Verminderung im Ammoniakgehalt des Harns am ge- 
ringsten ausgesprochen ist beim p-Kresol, weil dieses zum Teil 
in p-Oxybenzoesäure übergeht, die ihrerseits wiederum Alkali 
zur Neutralisierung braucht. 

Weniger lehrreich sind die Indigozahlen. Nur so viel sieht 
man, daß nach m- und o-Kresoldarreichung die ausgeschiedene 
Indigomenge vermehrt ist. Man findet immer größere Werte 
als in den entsprechenden Ruheperioden. So hat man 6,45 mg 
pro Tag in der Vorperiode gegenüber 8,35 mg nach m-Kresol; 
8,9 mg in der Ruheperiode gegenüber 16 mg nach o-Kresol; 
jedoch ist nach p-Kresol der Unterschied nicht mehr so deut- 
lich vorhanden: 11 mg nach p-Kresol und 10 mg in der 
Ruheperiode. 

Ich gehe jetzt über zu den Resultaten der quantitativen 
Bestimmung der unverändert ausgeschiedenen Kresole. 

Es wurde von der gefütterten Menge, bei m-Kresol 46,5 
bis 50 °/o, bei o-Kresol 30,2—35 o, bei p-Kresol nur 23 bis 
27 °/, wieder gefunden. 

Es geht daraus hervor, daß, je giftiger das Kresol ist, es 
desto mehr im Körper verbrannt wird, oder mit anderen Worten: 
die Angreifbarkeit des Moleküls steigt mit seiner Toxizität. 

Aus der Tatsache, daß, wie Baumann und Preuße fanden, 
keine Zwischen-Oxydationsprodukte im Harn für m-Kresol, und 


D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 405 


Oxydationsprodukte des o- und p-Kresol nur in sehr kleinen 
Mengen vorhanden sind, und aus den oben angeführten Zahlen 
folgt, daß der Rest eine sehr weit gehende Verbrennung im 
Körper erfährt. 

Die Ausscheidung der Kresole ist binnen 24 Stunden voll- 
ständig beendet. In dem Harn des ersten Tages ohne Kresol- 
verfütterung ist kein Kresol mehr nachzuweisen. 

Ich habe weiter verfolgt, in welchen Verhältnissen die 
Kresole sich mit Schwefelsäure und mit Glukuronsäure paaren. 
Zu diesem Zweck habe ich für die Vorperiode und die m-Kresol- 
periode die Menge der Gesamtschwefelsäure und der Äther- 
schwefelsäure bestimmt und folgende Werte gefunden: 


Versuchsreihe I. 


Äther- 
















Gesamt- 





Schwefelsäure | Schwefelsäure Kresol 
Harnmenge — 
prs Tag 400 ccm Durch- | 3 Tagen | Wieder- 


; aus- 
schnitt geschie- 

pro Tag dene 

Menge 


gefundene| Prozent 
Menge 


Vorperiode 1 Tag . 
3 Tage m-Kresol je 
1 g pro Tag . 
Desgl. o-Kresol 3 g 


0,828 | 2,4792 





Desgl. p-Kresol 3 g 


Ich habe nun berechnet, wie viel Schwefelsäure für 1,505 m- 
Kresol zur Paarung theoretisch nötig war und 1,37 gefunden. 
Die Analyse gab 1,65; also 0,28 mehr. Der Überschuß der 
Ätherschwefelsäure ist an andere Körper im Harn gebunden. 
Aber die durch Analyse gefundene Menge konnte nicht insgesamt 
dem Kresol entsprechen, weil ein kleiner Teil mit Glukuron- 
säure gepaart war. Es ist deswegen unmöglich, nach der ge- 
fundenen Ätherschwefelsäure zu berechnen, wie viel Kresol sich 
mit ihm paart, und aus diesem Grunde habe ich auf die weitere 
Bestimmung der Schwefelsäure bei den anderen Kresolen ver- 
zichtet. 

Hinsichtlich Glukuronsäure ist zuvörderst zu bemerken, daß 
ich normalen Hundeharn in meinen Versuchen immer optisch 


406 D.Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 


inaktiv gefunden habe!). Nach Kresolgabe findet man Links- 
drehung und zwar — 0,2 °/, für m-Kresol; — 0,3 °/, für o-Kresol; 
— 0,4—0,5 °/, für p-Kresol (im Halbschattenapparat, auf Trauben- 
zucker berechnet). Die Orcin- und die Phloroglucinprobe waren 
für m- und o-Kresole negativ, vor und nach dem Kochen mit 
Säure. Nach p-Kresol war vor der Spaltung die Orcinprobe negativ; 
die Phloroglucinprobe positiv; nach der Spaltung fielen beide 
positiv aus. Keines von den drei Kresolen reduziert Fehling- 
sche Lösung, wie schon Külz a. a. O. beobachtet hat. 

Die bisher berichteten Versuche sind an einem mit Eiweiß 
und Fett gefütterten Tier gewonnen. Schon Cafiero?) hat 
aber beobachtet, daß bei der Kohlehydratfütterung die zur 
Paarung gebildete Glukuronsäure vermehrt ist und die Menge 
der organisch gebundenen Schwefelsäure herabgesetzt wird. 

v. Fenyvessy°) konnte jedoch nicht durch Verfütterung 
von Traubenzucker die Glukuronsäure erhöhen; seine Versuche 
schienen aber Hildebrandt“) nicht beweisend, weil v. Feny- 
vessy zu seinen Versuchen Substanzen benutzte, die nur zum 
kleinen Teile die Paarung mit Glukuronsäure eingehen. Das 
ist eben mit Kresolen der Fall. Deshalb war es interessant, zu 
untersuchen, ob die Kresole bei der Kohlehydratfütterung im- 
stande sind, die Glukuronsäureausscheidung zu vermehren. 

Nach dem letzten p-Kresol-Tag folgte eine zweitägige Ruhe- 
periode. Dann wurde der Hund drei Tage lang mit 50 g ge- 
kochtem Reis gefüttert und bekam wieder täglich 1 g p-Kresol. 
Der Harn zeigte eine Linksdrehung von — 0,8—0,9°/,, gab nicht 
die Orcin-, aber sehr schön die Phloroglucinprobe, reduzierte 
nicht die Fehlingsche Lösung. Für die Spaltung wurden 
100 ccm Harn mit 1 ccm konzentrierter Schwefelsäure versetzt 
und in einer Druckflasche bei 100° 1!/2 Stunden lang im Koch- 


1) Die Farbe der verschiedenen Harne war immer so dunkel, daß 
die Untersuchung der optischen Aktivität ohne partielle Entfärbung durch 
Tierkohle nicht möglich war. 

» Cafiero, Zur Kenntnis der Phenolausscheidung durch den Ham. 
La clin. moderna 1902, Nr. 13. Vgl. noch Maly, Jahresbericht für Tier- 
chemie 1902, S. 514. 

8) von Fenyvessy, Arch. internat. de Pharmacodynamie 12, 1904. 
Vgl. noch Maly, Jahresbericht f. 1904, 84. 

* Hildebrandt, Zur Frage der glykosidischen Struktur gepaarter 
Glukuronsäure. Hofmeisters Beiträge 7, 442. 


D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 407 


topf gekocht. Der Harn zeigte alsdann eine Rechtsdrehung 
von 0,2 °/, und auch die Orcinprobe war positiv*). 


Fassen wir kurz die Resultate dieser Arbeit zusammen, so 

kommt man zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Giftigkeit der drei isomeren Kresole ist das Aus- 
schlaggebende bei ihrem Verhalten im tierischen Or- 
ganismus. 

So werden von den eingegebenen Kresolen ihrer 

e steigenden Giftigkeit nach 50—53 °, für m-Kresol; 

65—69,8 °%/, für o-Kresol; 73—76,5 ə im Körper 
verbrannt. 

2. Die Kresole bewirken eine Abnahme des Gehaltes des 
Harns an Ammonsalzen. 

3. Die Paarung der Kresole findet in erster Linie mit 
Schwefelsäure statt; in kleinen Mengen auch mit Glu- 
kuronsäure, ohne daß man quantitativ die entstehenden 
Teile bestimmen kann. Die Paarung mit Glukuronsäure 
steigt etwas mit der Giftigkeit der drei Isomeren. 

4. Ebenso steigt die gebildete Glukuronsäuremenge nach 
Kresoldarreichung bei Verfütterung mit Kohlehydraten. 


Herrn Prof. E. Salkowski bin ich für die Anregung zu 
dieser Arbeit und seine liebenswürdige Unterstützung zu größtem 
Danke verpflichtet. 


*) Ich erinnere hier an die von verschiedenen Seiten ’) beobachtete 
Vermehrung der Glukuronsäure nach Vergiftungen mit Lysol (Gemisch von 
Phenol und Kresolen). Ich möchte aber bemerken, daß hierbei zu unter- 
scheiden ist, ob die Vermehrung der Glukuronsäure nur eine absolute ist, 
entsprechend der größeren Menge der zu bindenden giftigen Substanz, oder 
auch eine relative, wobei die Glukuronsäure auf Kosten der Schwefelsäure 
zunimmt. 

Blumenthal (a. a. O.) nimmt die zweite Möglichkeit an, da er 
beobachtete, daß bei solchen schweren Vergiftungen die Gesamtschwefel- 
säure heruntergeht und es sich um eine Störung in der Oxydationsfähigkeit 
des Schwefels im Organismus handelt. 


1) F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. Diese Zeittschr. 
1,135. 1906. Vgl. auch Wohlgemuth, Zur Kenntnis der Lysolvergiftung. 
Berl. klin. Wochenschr. Nr. 17, 1906. 


Über Diffusion von Enzymen durch Cellulosemembrane. 


Von 
A. J. J. Vandevelde (Gent-Belgien). 


(Eingegangen am 7. August 1906.) 


Gleichzeitig mit den Untersuchungen von H. Dewaele 
und E. Sugg') und infolge ihrer Bitte habe ich die Diffusion 
einiger Enzyme durch Cellulosewandungen geprüft, und zwar 
an einer bestimmten Celluloseart, den von Leune-Paris ver- 
fertigten Hülsen. In dieser Zeitschrift hat jüngst M. Jacoby’ 
hochbedeutende Untersuchungen über Diffusion des Labs und 
Pepsins nach der Dialyseanordnung von von Calcar mit 
Amnionmembranen berichtet. Die Lektüre dieser Mitteilung 
veranlaßt mich, meine Untersuchungen kurz zu veröffentlichen. 

Die folgenden Enzyme sind mit den Leuneschen Cellu- 
losehülsen und auch mit Schweinedarmmembranen untersucht: 
Invertin, Maltase, Lab, Zymase und Katalase. 


I. Invertin. 


Es wurde eine Lösung von 5 G.-V.-°/, Saccharose bereitet. 
welche mit dem Laurentschen Polarimeter eine Ablenkung von 
31,8 Saccharimetergrade zeigte. Es wurden 240 ccm dieser 
Lösung in ein Becherglas gebracht, und in eine Cellulosehülse, 
welche in die Lösung eintauchte, 40 ccm einer 0,1 °/,igen Invertin- 
auflösung gegossen. Die Flüssigkeiten hatten im Becherglas 


1) Sur la production de l’immunite par la methode des sacs de 
collodion. Soc. Biol. Paris, 30. Dez. 1904. 

» Über die Beziehungen der Verdauungswirkung und der Lab- 
wirkung. Diese Zeitschr. 1, 53. 1906. 


A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 409 


und in der Hülse dieselbe Höhe, und damit waren alle äußeren 
Druckerscheinungen ausgeschlossen. 


Zugleich wurde ein Kontrollversuch ausgeführt, in dem 
sich 40 ccm Wasser in der Hülse, und 240 ccm Saccharoseauf- 
lösung in dem Becherglase befanden. 


Nach 20stündigem Stehen bei Laboratoriumstemperatur 
wurde die Saccharoselösung polarimetrisch untersucht: 

Mit Invertin = 25,3 Saccharimetergrade, 

ahne Invertin (Kontrolle) = 27,6 Saccharimetergrade. 
Nach 26 Stunden: 

Mit Invertin = 24,0 Saccharimetergrade, 

ohne Invertin = 26,2 Saccharimetergrade. 


Nun wurde die Saccharoseauflösung des Becherglases, in 
welches die Hülse mit der Invertinlösung eintauchte, in zwei 
Teile geteilt, einen ersten Teil ohne Hülse, einen zweiten Teil 
mit der Hülse. 


Nach 24stündigem Stehen wurde gefunden: 
Erster Teil früher mit Invertin, nachher ohne Invertin: 
= 24,0 Saccharimetergrade, 
zweiter Teil, mit Invertin zusammen geblieben, 
= 18,0 Saccharimetergrade, 
ohne Invertin (Kontrolle) == 26,2 Saccharimetergrade. 


Daraus kann geschlossen werden: 1. daß nach 26 Stunden 
die Saccharosediffusion durch die Cellulose eine vollständige ist; 
2. daß durch die Cellulose kein Invertin zu diffundieren 
vermag, daß die Enzymwirkung allein im Innern der Hülsen 
vor sich geht, und daß nachher der Invertzucker aus der 
Hülse in die umgebende Rohrzuckerlösung hineindiffundiert. 

Ein ähnliches Experiment wurde auch mit Schweine- 
darm angestellt und führte zu dem Schluß, daß das Invertin 
leicht hindurch zu diffundieren vermag. Nicht allein wenn 
die Hülse in die Zuckerflüssigkeit tauchte, sondern auch nach 
Trennung der Lösung von der Enzymhülse, wurde ein Fort- 
schreiten der Inversion konstatiert; das Invertin dringt folglich 
leicht durch die Darmmembran. 


410 A.J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 


II. Maltase. 


Die Maltaseauflösung wurde nach van Laer’) aus 
100 g Gerstenmalz und 450 ccm Wasser bereitet. Die filtrierte 
Auflösung wurde in eine Cellulosehülse gebracht und in eine 
1°/,ige Kartoffelstärkelösung eingetaucht, bis die beiden Flüssig- 
keiten dieselbe Höhe besaßen. Ich habe 50 ccm Maltase- und 
300 ccm Stärkeauflösung benutzt. Die zwei Auflösungen waren 
noch mit einigen Chloroformtropfen versetzt, um eine Bakterien- 
entwicklung zu vermeiden. ` 

Als Kontrolle dienten: 1. eine direkte Mischung der 
Stärke- mit der Maltaseauflösung; 2. eine Stärkeauflösung, 
in die eine Schweinedarmhülse mit Maltase tauchte. Nach 
20 Stunden war die Stärke in diesen beiden Proben ganz ver- 
schwunden; in dem Experiment mit der Cellulosehülse dagegen 
war die Stärke unverändert geblieben, und selbst nach drei Tagen 
konnte keine Verzuckerung konstatiert worden. 

Damit ist bewiesen, daß die Maltaseenzyme ‘durch die 
Cellulose, nicht wohl aber durch die Darmmembran diffundieren. 


III. Labferment. 


Auf gleiche Weise, wie die beiden vorigen Enzyme, wurde 
das Labferment untersucht; ich benutzte in der Cellulosehülse 
das flüssige Labpräparat von van Hasselt-Rotterdam. 

Die Hülse tauchte in zentrifugierte, rohe, mit Wasserstoff- 
superoxyd versetzte Milch. Nach vier Tagen konnte noch keine 
Koagulation beobachtet werden. Dagegen fand bei Laboratorium- 
temperatur nach 20 Stunden eine vollständige Koagulation statt, 
wenn die Milch mit dem Enzym direkt vermischt wurde. 

Auch auf andere Weise wurde konstatiert, daß das Lab- 
enzym durch Cellulose nicht diffundiert. Die Hülse mit Lab- 
enzym ließ ich während zwei Tage in destilliertes Wasser 
tauchen. Das Wasser wurde dann mit der H0: enthaltenden 
Milch versetzt, ohne daß nach mehreren Tagen eine Koagu- 
lation eintrat. 

Sehr leicht diffundiert dagegen das Labenzym durch die 
Darmmembran. Die Milchkoagulation trat rasch und regel- 
mäßig ein. 


!) Bull. denrées alimentaires, 1901, S. 250. 


A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 411 


IV. Zymase. 

Ich untersuchte die Zymase nicht selbst, wohl aber in 
Form von Hefezellen. Die Hefe wurde mit Wasser vermischt 
und in diesem Stande in die Hülse eingebracht. (Temperatur 
= 25°C). 

Es wurden im Becherglase 500 ccm einer 5 °/sigen Glukose- 
auflösung, in der Hülse 40 ccm einer 4°/,igen Hefeaufschwem- 
mung benutzt. Als Kontrolle diente 500 ccm der Zucker- 
auflösung, und 40 ccm Wasser. Die Untersuchung geschah 
polarimetrisch mit dem Laurentschen Apparat in einer 20 cm 
langen Röhre. 

Gefunden wurde am Anfang der Untersuchung: 

4° 54° polarim. oder 22,5 Saccharimetergrade; 
nach 5 Stunden: Mr 
Glukose und Hefe: 22,0 Saccharimetergrade, 
Glukose ohne Hefe (Kontrolle): 22,3 Saccharimetergrade; 
nach 29 Stunden: 
Glukose und Hefe: 19,9 Saccharimetergrade, 
Glukose ohne Hefe: 21,6 Saccharimetergrade. 

Die Flüssigkeit wurde nun abgetrennt und blieb 24 Stunden 
ohne Hülse; die polarimetrische Untersuchung zeigte, daß keine 
Gärung mehr eingetreten und daß folglich kein Enzym in 
die Flüssigkeit durch die Wandung dialysiert war. 

Durch die Cellulosemembranen diffundierte die Glukose- 
lösung allein, und später auch der Alkohol, welcher in der 
Hülse entstanden war. 

Die selben Ergebnisse, aber in viel kürzerer Zeit, bekam 
ich mit einer Darmmembran. Da ich keiner Zymase besaß, 
konnte ich die isolierten Enzyme selbst nicht untersuchen. 
Die Abwesenheit der Enzyme in den gärungsfähigen Flüssig- 
keiten und die Anordnung der Buchnerschen Versuche be- 
weisen hinreichend, daß die Zymase durch die Zellen- 
(Cellulose-)Membrane nicht zu diffundieren vermag. 


V. Katalase. 

Als Katalaseauflösung diente lackfarbenes, defibriniertes 
Rinderblut, aus einem Volumen Blut und fünf Volumina Wasser 
bereitet. Die rote Flüssigkeit wurde in die Cellulosehülse ge- 
gossen, welche in ein mit Wasser gefülltes Becherglas tauchte. 


412 A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 


Selbst nach fünf Tagen konnte ich die wohlbekannte Katalase- 
reaktion mit Wasserstoffhyperoxyd in der Außenflüssigkeit nicht 
bekommen, dagegen schon nach einem Tag, wenn die Cellulose- 
wandung durch eine Darmwand ersetzt wurde. 

Blutkatalase diffundiert demnach nicht durch Cellulose, 
wohl aber durch die tierischen Membranen. 

Diese kurzen Untersuchungen haben zu der Schlußfolgerung 
geführt, daß die untersuchten Enzyme durch Cellulosemem- 
branen nicht diffundieren und sich in dieser Hinsicht nicht 
wie die Toxine und Antitoxine verhalten. Diese Erscheinungen 
sind von denen an den tierischen Darmmembranen ganz ver- 
schieden. 


Beitrag zur Kenntnis des Schicksals des Cholesterins und 
der Cholesterinester im tierischen Organismus. 


Von 
Hugo Pribram aus Prag. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 8. August 1906.) 


Das Cholesterin hat in der letzten Zeit durch eine Reihe 
chemischer und biologischer Forschungen an Interesse gewonnen, 
und es ist vor kurzem gelungen, wenigstens teilweise seine 
Bedeutung für den tierischen Organismus aufzudecken. 

Ransom!) war es, der zuerst nachwies, daß zwischen 
Cholesterin und Saponin eine gewisse Beziehung besteht, derart, 
daß Cholesterin enthaltende Gewebe Saponin in irgend welcher 
Weise zu binden vermögen. Daher sind die Erythrocyten ver- 
möge ihres Gehaltes als Cholesterin gegen Saponin empfindlich, 
während das Serum, das gleichfalls Cholesterin enthält, die 
Erythrocyten zu schützen vermag. 

Pascucci?) fand, daß etwa !/ der Trockensubstanz des 
Stromas der Erythrocyten aus Cholesterin und Lecithin besteht. 
Aus verschiedenen Gründen sprach er sich für eine membran- 
artige Struktur des Stroma aus. Dieser Vorstellung entsprechend 
machte er Versuche mit künstlichen Blutkörperchen, deren eine 
Wand Seidenstoff, imprägniert mit Cholesterin, Lecithin, be- 
ziehungsweise beiden Substanzen, bildete. Er prüfte die Durch- 


1) Ransom, Saponin und sein Gegengift. Deutsche med. Wochenschr. 
1901, S. 194. | 

23) Pascucci, Zusammensetzung des Blutscheibenstromas und die 
Hämolyse. Hofmeisters Beitr. 6, 543 u. 552. 


414 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


lässigkeit der Membran verschiedenen Giften gegenüber und 
fand, daß dieselbe mit der Abnahme des Cholesteringehaltes 
wuchs. 

Hausmann!) untersuchte zuerst, welche Veränderungen im 
Cholesterinmolekül seine antihämolytische Wirkung zu beein- 
flussen vermögen, und fand, daß bei Ersatz der Hydroxylgruppe 
durch andere Atomgruppen diese Eigenschaft des Cholesterins 
schwand, bei Aufhebung der doppelten Bindung dagegen bloß 
geschwächt wurde. Phytosterin verhielt sich wie Cholesterin. 


Abderhalden und Le Count?) bestimmten dann die 
Beeinflussung der durch Cobragift, Tetanustoxin, Saponin und 
Solanin hervorgerufenen Hämolyse durch dem Blute zugesetzte 
Lösungen von Cholesterin verschiedener Provenienz und von dem 
Cholesterin mehr oder weniger nahestehenden Verbindungen. 

Alle diese Beobachtungen weisen darauf hin, daß dem 
Cholesterin eine gewisse entgiftende Rolle zukommt, und die 
Vermutung erscheint nicht unbegründet, daß es geeignet ist, 
den Organismus vor der Einwirkung endogener (vielleicht kommen 
hier die gallensauren Salze bei Icterus in Betracht) oder von außen 
zugeführter hämolytisch wirkender Substanzen zu schützen). 
Es drängt sich nun die Frage auf, welches die Quelle und 
welches das Schicksal des Cholesterins im Organismus ist. 
Bekanntlich enthalten alle Gewebe Cholesterin, in erster Linie 
die Leber vermöge ihres Gehaltes an Galle und das Gehirn. 
Seit den Untersuchungen von Bondzyński und Humnicki‘) 
wissen wir ferner, daß der Mensch täglich ca. 1 g Koprosterin 
(= Dihydrocholesterin) ausscheidet. 

- Woher stammt nun das Cholesterin, wird es mit der 
Nahrung zugeführt und kann solches eingeführtes Cholesterin 
überhaupt resorbiert werden? 


1) Hausmann, Über die Entgiftung des Saponins durch Cholesterin. 
Hofmeisters Beitr. 6, 567. 1905. 

”) Abderhalden und Le Count, Die Beziehungen zwischen 
Cholesterin, Lecithin und Cobragift, Tetanustoxin, Saponin und Solanin. 
Ztschr. f. exper. Path. u. Ther. 2, 199. 1906. 

5 Salkowski, Vortrag in der Gesellsch. d. Chariteärzte 1. Februar 
1906. Ref. in der Berliner klin. Woch. No. 14, S. 434. 1906. 

4 Bondzynski und Humnicki, Über das Schicksal des Cholesterins 
im tierischen Organism. Ztschr. f. physiol. Chem. 22, 396. 1896/7. 


H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 415 


In dieser Richtung hatJankau!) interessante Untersuchungen 
angestellt. Er fand, daß per os eingeführtes Cholesterin resor- 
biert wird, ohne daß 6 Stunden nach der Darreichung eine Ver- 
mehrung des Gehaltes von Blut und Leber nachzuweisen wäre. 

Ein Teil des verfütterten Cholesterins fand sich in den 
Fäces wieder. Daß wirklich eine Resorption eintrat, wies er 
dadurch nach, daß er nicht alles eingeführte Cholesterin in den 
Fäces wiederfinden konnte. Seine Versuche mit subkutan 
appliziertem Cholesterin ergaben, daß dieses an der Injektions- 
stelle nicht mehr nachweisbar war; es wurde somit auch bei 
diesem Verfahren das Cholesterin resorbiert. 

Stadelmann?) schließt einen Kreislauf des Cholesterins 
aus. Auch Thomas?) findet, daß nach Verfütterung der Gehalt 
der Galle sich nicht ändert. Ähnliche Angaben rühren von 
Doyon und Dufour‘) her. 

Dies wären die wichtigsten einschlägigen Beobachtungen, 
großenteils aus der älteren Literatur. 

Was den normalen Gehalt der einzelnen Organe an 
Cholesterin betrifft, so wollen wir aus der Zahl der durchaus 
nicht übereinstimmenden Angaben folgende herausgreifen: 

In der Galle: bis 5,6°%, Cholesterin (Neumeister)?). 
Im Muskel (in trockenem Zustand) 0,23%, (Dormeyer)®). 
Im Harn äußerst selten, geringe Mengen. 

Im Blut: 

a) Erythrocyten: 0,151°, (beim Menschen, bezogen auf die 
organische Substanz d. Erythr., Manasse)’); 
0,072°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)?®); 


1) Jankau, Über Chol.- u. Kalkausscheidung mit der Galle. Arch. 
f. exper. Path. 29, 237. 1891. 

2) Stadelmann, Über d. Kreislauf d. Galle im Organism. Ztschr. 
f. Biolog. 84, 62. 1896. 

3 Thomas, Dissert. Straßburg zitiert nach Magnus-Levy im 
Handbuch der Stoffwechselkrankh. v. Noorden. 

t) Doyon und Dufour, Elim. de la chol. par la bile. Arch. de 
physiol. VIII, 587. Ref. in Virchow Jahresber. 1896. 132. 

6) Neumeister, Physiol. Chem. II. Aufl. 

©) Dormeyer, zit. nach Neumeister a. a. O. 

”) Manasse, Über d. Lecith. u. Chol. d. rot. Blutkörp. Ztschr. f. 
physiol. Chem. 14, 437. 1890. 

6) Abderhalden, Zur quant. vergleich. Blutanal. Ebenda 25, 65. 1898. 

Biochemische Zeitschrift Band I. 28 


416 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


0,275°/ (beim Pferd, bezogen auf Trockensubst. Hepner)’; 
0,552°/, (beim Hund, „ . R Hepner)’; 
b) Serum: 0,0547°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)’); 
0,216°/, (bei Pneumonie-Kranken, Hoppe-Seyler)’); 
c) Gesamtblut: 0,0611°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)?); 
0,0445 bis 0,0751°/o (beim Menschen, Flint)‘); 
0,147°/, (Vena portae)] Drosdoff?). 
0,341°/, (Ven. hepat.) | (Durchschnittswerte). 
Im Tierfett konstant Cholesterin. 
Im Nervensystem: 
a) Nerv. ischiad: 5,61°/o (beim Menschen, in getrocknetem 
Zustand, Chevalier)ô); 


b) Hirn: 1. weiße Subst.: a) frei: 1,8192 °/o aa ee 
f 0 ezogen au 
p) gebunden: 2,6958 °/, A a 

2. graue Subst.: æ) frei: 0,63 0 Subst. 


p) gebunden: 1,7505°/, |Baumstark’) 

Die meisten Untersucher nahmen keine Rücksicht auf die 
Frage: ist das Cholesterin als solches oder in gebundenem Zu- 
stande vorhanden? 

Baumstark) versuchte zwar beim Gehirn (s. o.) beide 
Formen getrennt zu bestimmen, seine Befunde erfuhren jedoch 
durch Bünz“) eine Widerlegung, der mittels einer anderen 
Methode nachwies, daß im Hirn keine durch Verseifung spalt- 
bare Verbindungen des Cholesterins vorhanden sind, die obige 
Unterscheidung also nicht begründet ist. Hürthle?) unter- 
suchte das Blutserum auf Ester und kam zu folgenden Zahlen, 
die aber, wie er selbst angibt, etwas zu niedrig sind: 


1) Hepner, Über d. Chol.-Gehalt d. Blutkörp. Pflüg. Arch. 78, 
595. 1898. 

2) a. a. Q. 

3) Hoppe-Seyler, Über Seifen als Bestandteil d. Blutplasma u. d. 
Chyl. Ztschr. f. physiol. Chem. 8, 506. 1883/4. 

“% Flint, New-York med. Journ. 65, 752. 1897. 

‘$ Drosdoff, Vergleich. Anal. d. Blutes d. V. port. u. der V. hep. 
Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 232. 1877/8. 

© Chevalier, Chem. Untersuch. d. Nervensubst. Ebenda 10,97. 1886. 

1) Baumstark, Über eine neue Meth. d. Gehirn chem. zu erfor- 
schen usw. Ebenda. 9, 145. 1885. 

s, Bünz, Über das Vorkommen von Cholest.-Estern im Gehirn. 
Ebenda 46, 47. 1905. 

®© Hürthle, Überd. Fettsäure-Esterd. Blutser. Ebenda 21,331. 1895/6. 


H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 417 


1. Hundeserum, nach einer Hungerperiode einmal 0,22°/,, 
ein andermal 0,20°/,, nach verschiedener Fütterung: 0,13, 
bezw. 0,12 und 0,18°/, Ölsäureester. Er fand demnach 
nach dem Hungern mehr Ester, als nach mehr oder minder 
reichlicher Fütterung. 

2. Pferdeserum: 0,08%, Ölsäure-- und 0,006°/, Palmitin- 
säureester. 

3. Kälberserum: 0,09°/, Ölsäure- und 0,008°/, Palmitin- 
säureester. 

Was die Erythrocyten betrifft, so erschien es schon seit 
dem Nachweis Hoppe-Seylers'), daß dieselben keine Fett- 
säuren enthalten — eine Beobachtung, die Abderhalden‘?) be- 
stätigte — sicher, daß das Cholesterin nicht als Ester vorhanden 
sein konnte. 

Zu demselben Resultate kam Wooldridge"), der durch 
einfache Ätherextraktion, das Cholesterin isolieren konnte. 
Hepner‘) fand, daß in den Erythrocyten bloß freies Cholesterin 
sei, während im Plasma nur ausnahmsweise solches nachweisbar 
wäre, sondern in der Regel bloß Cholesterinester sich daselbst 
vorfinden. 

Ein interessanter Nebenbefund Hepners besteht darin, 
daß seine Versuchshunde bei Hungern oder Kohlehydratfütterung 
keine Änderung im Cholesteringehalt zeigten. 

Auf die Schwierigkeit, Cholesterin von seinen Estern zu 
trennen, und auf die Möglichkeit, jene zu überwinden, kommen 
wir später zurück. 

Was unsere Fütterungsversuche betrifft, so wurde Cholesterin, 
der Palmitinsäure- und der Ölsäure-Ester desselben verfüttert. 
Die Ester wurden nach der Methode von Hürthle°) in der 
von Salkowski®) modifizierten Weise dargestellt. Die Dar- 
stellung des des Ölsäureesters war folgende: 


1) Hoppe-Seyler, Handb. d. physiol. u. path.-chem. Anal. 1865, 
S. 304 (zit. nach Hepner). 

N a. a. O. 

» Wooldridge, Zur Chem. d. Blutkörp. Arch. f. Physiol. 1881, 
S. 389 (zit. nach Hepner). 

% a. a. O. 

5 a. a. O. 

6%, Salkowski, Arbeiten aus dem pathol. Instit. zu Berlin 1906, 


Seite 573. 
28* 


418 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


Es wurde ein Teil Cholesterin mit fünf Teilen (es stellte 
sich später heraus, daß auch das Verhältnis 1 : 2 genügt) Ölsäure 
im Ölbad auf 200° durch drei Stunden erhitzt. Nach dem 
Erkalten wurde der Rückstand im Kolben in etwa 100 cm’ 
Äther gelöst, die Lösung in das zwei- bis dreifache Volumen 
eiskalten Alkohols eingegossen. Hierbei schied sich der Ester 
aus, der abfiltriert, durch Waschen mit Alkohol von Cholesterin 
und Ölsäure befreit, dann durch nochmaliges Lösen in Äther 
und Fällen mit Alkohol gereinigt wurde. 

Als Versuchstier diente das Kaninchen, das bei den meisten 
Versuchen Weißkohl, bei einigen Kohlrüben als Futter erhielt. 
Das Cholesterin bezw. seine Ester wurden in Olivenöl emulgiert, 
dem Tiere vermittels Schlundsonde eingespritz. Jeden Tag 
wurde 1 g verfüttert und 1 bis 2 Tage nach der letzten Fütte- 
rung wurde das Tier getötet. In parenthesi sei noch bemerkt, 
daß wir vom Cholesterin keine Giftwirkung beobachten konnten, 
im Gegensatze zu den früher so viel besprochenen Erscheinungen 
der Cholesterämie. Vielleicht waren auch die Dosen zu gering. 

Von dem noch lebenden Tiere gewannen wir das Blut 
durch Einschnitt in die Carotis; nach der spontanen Gerinnung 
wurde es als Ganzes gewogen und in der später zu schildernden 
Weise weiter verarbeitet. 

Die Leber wurde von der Gallenblase und dem Gallengange 
abgelöst, sorgfältig gewaschen, dann abgetrocknet, gewogen und 
zerkleinert. 

Die Muskeln — wir nahmen die Muskulatur der Beine —, 
sowie die Dünndarmwand — einschließlich des Blinddarmes — 
wurden in analoger Weise behandelt. 

Die zerkleinerten Organe wurden in Alkohol 24 Stunden 
stehen gelassen, der Alkohol dann abfiltriert und die Organ- 
stückchen im Soxhletapparate 6 Stunden lang mit Äther 
extrahiert. Der alkoholische Extrakt wurde eingedampft, in 
Äther aufgenommen und mit dem ätherischen Extrakte vereinigt, 
sodaß nunmehr alles in Äther gelöst war. Der Äther wurde 
abdestilliert, dann wurde wieder in Äther gelöst und abfiltriert 
und diese Prozedur ein- bis zweimal wiederholt. 

Hierauf wurde der ätherische Extrakt mit etwas Alkohol 
und konzentrierter Kalilauge 2 Stunden erhitzt; dann wurde 
wiederholt mit Äther ausgeschüttelt, der Äther abgehoben und 


H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 419 


mit dieser ätherischen Lösung die Verseifung und Ausschüttelung 
wiederholt. 

Sodann wurde der Äther abdestilliert, der Rückstand in 
Petroläther gelöst, filtriert, abgedampft und gewogen. 

Die Reindarstellung aus den Organen war mit erheblichen 
Schwierigkeiten verknüpft und es mußten daher des öfteren 
einige Prozeduren wiederholt werden. 

Nach dem Abdampfen blieb in den meisten Fällen ein 
schöner weißer kristallinischer Belag zurück, der die Cholesterin- 
reaktion von Neuberg und Rauchwerger!) mit Methylfurfurol 
und HSO, in charakteristischer Weise gab. 

Doch nicht in allen Fällen waren so schöne Kristalle vor- 
handen, wie es beim Blute die Regel war. Beim Darminhalte 
und den Fäces war meist eine Verunreinigung von bräunlicher 
Farbe nicht zu vermeiden. Wir gaben daher die Untersuchung 
derselben auf. 

Bezüglich des Nachweises des Cholesterins ist folgendes zu 
bemerken: | 

Es wäre wünschenswert gewesen, genau zwischen Cholesterin 
und seinen Estern eine Unterscheidung zu treffen; wir haben 
davon abgesehen, weil das von E. Salkowski?) eingeschlagene 
Verfahren der Verseifung ohne Schädigung der Cholesterinester 
bisher nicht mit hinreichender Sicherheit arbeitet. Wir haben 
uns also bei unseren Tierversuchen mit der einfachen Angabe: 
Cholesterin, ohne Rücksicht, ob es frei oder gebunden ist, 
begnügt. 

Weiterhin wurde der a. a. O. gemachte Vorschlag, die 
Spaltung des Fettes durch Lipase, wobei vielleicht die Ester 
unangegriffen bleiben, auf seine Brauchbarkeit geprüft. 

Wir verwendeten ein Ferment, das von den Rizinussamen 
herstammt?), 

Zu 2 g Lipase setzten wir eine Lösung von 0,5g Palmitin- 
säureester in 10 g Palmöl. Letzteres ist ein aus dem Frucht- 


i, Neubergu.Rauchwerger, Festschr. f.Salkowski 1904, S. 279. 

3) a. a. O. 

3) Das Enzym war dem Laboratorium in entgegenkommendster Weise 
von den Vereinigten chemischen Werken Aktienges. Charlotten- 
burg zur Verfügung gestellt, wofür auch an dieser Stelle bestens ge- 
dankt sei. 


420 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


fleisch der Ölpalme gewonnenes Präparat, das in der Wärme 
leicht schmilzt und den Ester gut löst. 

Es ist, wie Salkowski') nachgewiesen hat, sicher frei 
von Cholesterin und Phytosterin. 

Zu dem Gemenge wurden noch 0,25 cm? einer 0,5 % 
MnSO,-Lösung zugesetzt und sodann wurde dasselbe 3 Tage 
lang bei Brutschranktemperatur belassen. Nach Ablauf dieser 
Zeit wurde alkalisiert, mit Äther ausgeschüttelt und abgehoben, 
der Äther abgedampft, der Rückstand in wenig Äther gelöst, 
dann das dreifache Volum Alkohol zugesetzt, auf 24 Stunden in 
Eis gestellt, und die sich dabei abscheidenden Kristalle abfiltriert, 
gewogen und durch ihren Schmelzpunkt identifiziert. 

Wir fanden bei diesen noch nicht abgeschlossenen Ver- 
suchen tatsächlich den ungespaltenen Palmitinsäureester, jedoch 
nicht quantitativ wieder. Vorläufig können wir daher diese 
Methode nur für den qualitativen Nachweis der Ester verwerten. 

Was nun die Resultate bei der Untersuchung der Kaninchen- 
organe betrifft, so sind sie aus folgender Tabelle (Seite 421) 
zu ersehen. 


Die Tabelle ergibt, daß durch die Fütterung mit Cholesterin 
oder: Ester der Gehalt des Blutes an Cholesterin deutlich zu- 
nimmt. 

Die Untersuchung der Leber, die durch die Schwierigkeit 
der Reinigung sehr erschwert war, zeigt, daß der Cholesterin- 
gehalt derselben abnimmt. Wir wollen diesen so auffälligen 
Befund einfach anführen, ohne ausschließen zu können, daß 
die Zahlen hiebei einerseits durch ausgiebige Reinigungsversuche 
zu gering, anderseits durch etwaige Verunreinigungen zu groß 
ausfielen. 

Die Untersuchung von Darminhalt und Fäces scheiterte 
an demselben Umstand, der die Untersuchung der Leber er- 
schwerte?) und den wir bereits hervorgehoben haben. Die 
Zahlen, welche den Cholesteringehalt von Darmwand und Muskel 
anzeigen, sind sehr schwankend und zeigen keine Regelmäßigkeit. 


3) Salkowski, Ztschr. f. anal. Chem. 26, 557. 1887. 

2) Es sei diesbezüglich an die Arbeit von C. Virchow (Ztschr. f. 
Unters. d. Nahrungs- und Genußmittel 99. 7.) erinnert, der beim Versuche, 
Koprosterin aus den Fäces zu isolieren, beobachtete, daß sich eine ölige, 
dickflüssige, nicht kristallisierende Masse ausschied. 


H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 421 






Cho- Cho- Cho- 
lesterin- | lesterin- | lesterin- 
gehalt d. | gehalt d. | gehalt d. 

Blutes | Darmwand | Muskels 


Gewicht 
des Ka- 
ninchens 







I.| 2200 g 0,017g= | 0,027 g= 
0,029 %, | 0,0183 %, 
II.| 2200 g 0,01758 = 
0,0275 %, 
III.| 1100g | 9 Tage | 0,222g= 0,3188 g = 
Hunger | 0,592 °% 5 0,549 9/, ') 


IV.| 1500g | 4g Öl- [0,0352g= | 0,0365 g = |0,2556g = 
säure- 0,069 °%, | 0,11%, | 0,393 %, 
Ester 

V.| 1200g | 2g Öl- |0,1416g8=| 0,041g= |0,0594g = 
säure- | 0,209 %, | 0,158%, | 0,057 %, 


Ester 
VI.| 2500g | 5g Öl- 0,0148g= | 0,066 g= 
säure- 0,037 °/, | 0,0526 /, 
Ester 
VII.| 1700 6 Tage |0,0985g = 
(vor d. | Hunger | 0,246 °/, 
Versuche)| 2,5 g Öl- 
säure- 
Ester 
VIIL| 1950g |3g Cho- 0,0368 g = | 0,0426 g = | 0,0224 g = 
lesterin 0,081 °% |0,0298°/,)] 0,021 %, 
IX.| 1600 g |3g Palmi-|0,0868g = | 0,0252g = 0,0058 g = 
tins.-Ester| 0,16 °⁄ 5 | 0,033 %/, 0,008 °/, `) 
X.| 15008 |3g Cho- 0,0571g = 0,038 g = 
lesterin 0,127 h } 0,0475 °/, 
XI.| 1000 g 0,0542 = g | 0,0304 g = 
0,076 °% 3) | 0,049 °/, 
XII. | 1000 g sE Chol. 0,0195 g = 
btung 0,0375 °/,') 
nach 5 d. 


Wir können somit als alleiniges sicheres Resultat obiger 
Versuche feststellen, daß das Cholesterin, bezw. seine Ester 
resorbiert werden und, per os eingeführt, im Blute in vermehrter 
Weise auftreten. 

Zum Schlusse sei noch bemerkt, daß dieses an Cholesterin 
reichere Blut für hämolytische Versuche ein geeignetes Objekt 
sein dürfte, und daß auf diesem Wege vielleicht die eingangs 
angeführten Beobachtungen ergänzt werden könnten. 

Es könnte so nicht bloß die biologische Frage nach der 
antihämolytischen Bedeutung des Cholesterins sondern auch 


1) Das Cholesterin konnte nicht ganz rein dargestellt werden. 


422 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


die physiologisch-chemische Frage, ob Cholesterin als solches 
oder als Ester resorbiert wird, ob hauptsächlich im Serum oder 
in den Blutkörperchen, auf biologischem Wege entschieden werden. 

In Kürze sei ein kleiner vorläufiger Vorversuch mitgeteilt; 
eine weitere Verfolgung der ganzen Frage behalte ich mir noch 
vor. Der Versuch gestaltete sich folgendermaßen. Wir ent- 
nahmen einem Kaninchen aus der Carotis Blut, defibrinierten 
dasselbe und machten uns eine 5 °/sige Blutlösung in physio- 
logischer Kochsalzlösung (0,85 °,). Wir hatten somit eine 
Lösung von Blut eines nicht mit Cholesterin gefütterten Tieres. 

Einem anderen Kaninchen, das durch drei Tage mit je 1g 
Cholesterinemulsion in Olivenöl gefüttert wurde, entnahmen wir 
vor und einen Tag nach Ablauf der Fütterungsperiode Blut, 
ließen dasselbe spontan gerinnen und hatten somit Serum des 
Tieres, bevor und nachdem es mit Cholesterin gefüttert war. 
Bemerkt sei noch, daß das cholesterinhaltige Serum deutlich 
opaleszent war. Ein Ätherextrakt desselben enthielt Fett, so 
daß wir annehmen mußten, es sei Olivenöl resorbiert worden. 
Da das Tier dauernd unter denselben Verhältnissen gehalten 
war, so ist wohl anzunehmen, daß, wenn wir Differenzen beim 
hämolytischen Versuche fanden, diese bloß auf den größeren 
resp. kleineren Cholesteringehalt zu beziehen seien. 

Als Hämolyticum wurde Saponin. alb. pur. (Merck) ver- 
wendet, von dem wir uns eine 0,01 bezw. 0,001 ige Lösung 
in physiologischer Kochsalzlösung darstellten. Die ganze Ver- 
suchsreihe wurde gleichzeitig aufgestellt. 


I. Auswertung des Saponins. 












Physiol. 
Kochsalz- 
lösung 


Saponin 





Hämolyse 


fast sofort komplet 





0,01 | 05 rasch komplet 

0,01 0,25 j j 

0,01 | 0,1 nach 10 Min. deutlich 
0,001 1,0 7 „ ?? 
0,001 | 0,5 nach 24 h keine Häm. 
0,001 | 0,25 


0,001 | 0,1 


H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 423 


II. Auswertung der hemmenden Normalserumdosis. 


















Physiol. 
Kochsalz- | ĉo Blut- 
lösung 


0,01 °/, Sapon- 


í Hämolyse 
lösung 


lösung 


fast sofort komplet 


„ I 13 

nach 24 h komplet 

nach einigen Min. deutl. 
geringe Häm. 














Physiol. 
Serum | Kochsalz- 
lösung 


0,01 °/, Sapon- 


lösung 


5°/ Blut- 


A Hämolyse 
lösung 

















” ” 19 „ 
nach einiger Zeit komplet 


Verzögerung, kompl. '/, 
Min. nach d. Kontrolle 
fast sofort komplet 


Ein anderer in ähnlicher Weise angestellter Versuch ergab 
analoge Resultate. Bei diesem letzteren war das Cholesterin- 
serum nicht lipämisch, so daß wir eine Beeinflussung der 
Hämolyse durch den Fettgehalt für unwahrscheinlich halten 
müssen. 

Vergleichen wir die Ergebnisse in Tab. II und III, so 
finden wir, daß, während beim Cholesterinserum bereits 0,25 cm? 
eine hemmende Wirkung ausübte, das Normalserum auch in 
der Dosis von 2 cm?, also in der etwa achtfachen Menge noch 
nicht antihämolytisch wirkte. 

Um auszuschließen, daß das verfütterte Öl die Hämolyse 
beeinflußte, wurde ein Tier neben der einfachen Kost mit Öl — 
jeden Tag etwa 15 cmë — durch drei Tage gefüttert und am 
vierten Tage getötet; die unter denselben Bedingungen, wie oben 
angeführt, vorgenommenen hämolytischen Versuche mit dem 
Serum des noch ungefütterten und des gefütterten Tieres ergaben 
folgende Resultate: 


424 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 


IV. Auswertung des Normalserums. 














Physiol. 
Serum | Kochsalz- 
lösung 






5°, Blut- 
lösung 


0,01 °/, Sapon- 
lösung 






Hämolyse 









nach 24 h keine Hämolyse 
nach !/ h komplet 





0,5 fast sofort komplet 
0,5 0,4 nn n 
0,5 0,5 n n n 





0,01 °/, Sapon- 


lösung Hämolyse 
0,5 nach 24 h keine Hämolyse 
0,5 nach mehreren Stund. inkompl. 
0,5 nach 10 Min. komplet 
0,5 fast sofort komplet 
0,5 eo a 





Wir glauben demnach auf Grund von Tab. IV und V die 
Einwirkung des verfütterten Öles auf die Hämolyse als minimal 
betrachten und deshalb vernachlässigen, die Ergebnisse von 
Tab. II und III als bloß durch die Änderung des Cholesterin- 
gehaltes bedingt erklären zu können. 

Trotz der Spärlichkeit dieser Versuche haben wir die- 
selben doch angeführt, da sie eine erfreuliche Übereinstimmung 
mit unseren chemischen Beobachtungen zeigen: sie sprechen 
für eine Vermehrung des Cholesteringehaltes im Blut; sie ge- 
statten aber, noch andere Schlüsse, freilich bloß Wahrscheinlich- 
keitsschlüsse, zu ziehen. Die hemmende Wirkung des Serums 
spricht dafür, daß zumindest der größere Teil des Cholesterins im 
Serum, und zwar wahrscheinlich in der Form von freiem Choleste- 
rin — Ester sollen nicht antihämolytisch wirken — vorbanden ist. 

Herrn Prof. E. Salkowski erlaube ich mir für die gütige 
Anregung und liebenswürdige Förderung dieser Arbeit meinen 
verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Desgleichen bin ich Herrn Prof. J. Morgenroth für seine 
freundliche Kontrolle der hämolytischen Versuche zu Dank ver- 
pflichtet. 


Die photobiologischen Sensibilisatoren und ihre Eiweiß- 
verbindungen. 


Von 


Gunni Busck. 
(Finsens med. Lichtinstitut. Kopenhagen.) 


[Aus dem pharmakologischen Institut der Universität 
zu München. (Prof. H. v. Tappeiner.)] 


(Eingegangen am 14. August 1906.) 


I. 
Historischer Überblick über die bisherigen Resultate der 
photobiologischen Sensibilisierungsuntersuchungen. 


Die Weise, auf welche die Energie des Lichtes in einem 
absorbierenden Körper umgesetzt wird, wird bekanntlich teils 
von der Schwingungsgeschwindigkeit der absorbierten Strahlen, 
teils von den Eigentümlichkeiten des Körpers bestimmt. Ver- 
ändern sich diese letzten auf diese oder jene Art, so wird 
auch die Lichtwirkung quantitativ oder qualitativ eine andere 
werden. — Während uns die Erfahrung in einer Reihe bestimm- 
ter Fälle gelehrt hat, daß aus der Belichtung eine Temperatur- 
erhöhung, ein chemischer Prozeß, eine Fluoreszenz usw. hervor- 
gerufen wird, so ist es bisher nicht geglückt, zum Verständnis 
dessen zu gelangen, was in dem einzelnen Fall den Umsatzmodus 
der Lichtenergie bedingt. Der Überblick wird u. a. dadurch er- 
schwert, daß das Licht in vielen Fällen nur katalytisch be- 
schleunigend auf Prozesse zu wirken scheint, welche schon im 
Dunkeln vor sich gehen. 

Es war lange Zeit die Annahme vorherrschend, daß lang- 
wellige Strahlen (die sogen. „Wärmestrahlen“) bei ihrer Absorption 
vorzugsweise in Wärmeenergie umgesetzt würden, und daß die 
kurzwelligen („chemischen“) Strahlen besonders leicht chemische 


426 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Reaktionen hervorriefen. Die Hypothese ist hauptsächlich der 
bekannten Empfindlichkeit der Silberhaloide gegenüber kurz- 
welligen Strahlen zuzuschreiben, und sie bekam durch Vogels 
bedeutungsvolle Entdeckung im Jahre 1873 ihren Grundschluß. 

Vogel!) wies nach, daß man durch Zusetzung gewisser 
Stoffe, der sogenannten „Sensibilisatoren“, zu gewöhnlichen 
photographischen Bromsilbergelatine-Platten imstande ist, diese 
gegenüber Strahlenarten empfindlich zu machen, welche sonst 
nur eine minimale oder vielleicht gar keine photographische 
Wirkung besitzen, und es gelang ihm, Platten mit annähernd 
ebenso großer Empfindlichkeit gegenüber rotem oder gelbenı 
Licht wie gegenüber stärker brechbaren Strahlen herzustellen. 
(Farbempfindliche, orthochromatische Platten.) 

Die sensibilisierende Eigenschaften besitzenden Stoffe sind 
meistens, jedoch nicht immer, fluoreszierende organische Farb- 
stoffe. Man kennt nun eine große Menge derartiger Sensibili- 
satoren — von verschiedenen chemischen Gruppen herrührend 
— und ist mittels derselben imstande die Empfindlichkeit der 
photographischen Platte gegenüber den verschiedenen Abschnitten 
des Spektrums zu erhöhen. 

Während die photographische Technik besonders durch 
Vogels und Eders verdienstvolle Arbeiten in den letzten 
30 Jahren eine glänzende Entwicklung durchgemacht hat, so daß 
man nun mit Expositionszeiten von !/ıooo einer Sekunde rechnet, 
hat unser Verständnis des Prinzips der Sensibilisierung keine 
entsprechenden Fortschritte zu verzeichnen. Wir wissen noch 
nicht, was die sensibilisierenden Eigenschaften eines Stoffes be- 
dingt, obwohl es gewisse, für die meisten Sensibilisatoren ge- 
meinsame Eigentümlichkeiten zu geben scheint. Es handelt 
sich häufig um Stoffe, welche eine große Atomzahl haben und 
deren Moleküle unter Lichteinwirkung leicht verändert werden. 
Die Stoffe bleichen in der Regel im Licht, und ihre Bleichung, 
die in starkem Licht und unter sonst günstigen Bedingungen 
mit bedeutender Geschwindigkeit vor sich gehen kann, ist nach 
Gros’?) Untersuchungen wenigstens bezüglich eines Teiles der 


) Vogel, H. W., Photographische Mitteilungen. 9, 236. 1873. 

?) Gros, O., Über die Lichtempfindlichkeit des Fluoreszeins, seiner 
substituierten Derivate sowie der Leukobasen derselben. Zeitschr. f. 
physikalische Chemie 37. 1901. 


G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 427 


Stoffe einem Oxydationsprozeß zuzuschreiben. Eine andere 
den meisten, jedoch nicht allen Sensibilisatoren gemeinsame 
Eigentümlichkeit ist ihre Fähigkeit zu fluoreszieren; es ist sogar 
eine Möglichkeit dafür vorhanden, daß sich die Ausnahmen 
von dieser Regel nur als anscheinende Ausnahmen entpuppen 
werden. Untersuchungen von G. C. Schmidt!) machen es 
nämlich wahrscheinlich, daß alle Farbstoffe in dazu geeigneten 
Lösungsmitteln zum fluoreszieren — resp. phosphoreszieren — 
gebracht werden können, jedoch häufig erst als „feste Lösungen“. 
Es ist eine der direkten Untersuchung zugängliche Möglichkeit, 
daß die anscheinend nichtfluoreszierenden Sensibilisatoren gerade 
ihre Fähigkeit zu fluoreszieren resp. phosphoreszieren erreichen, 
wenn sie in fester Lösung in Gelatine, Collodium usw. gebracht 
werden. 

Verschiedene biologische Phänomene sind schon seit langem 
als Resultate einer natürlichen Sensibilisierung aufgefaßt worden. 

Engelmann?) und Timiriazeff?) haben derart die Be- 
deutung des Chromophylls der Pflanzen für die Kohlensäure- 
assimilation mit der Bedeutung der Vogelschen Sensibilisatoren 
für den photographischen Prozeß parallelisiert. (Becquerel 
hatte schon im Jahre 1874 nachgewiesen, daß sich die photo- 
graphische Platte mittels Chlorophyllis sensibilisieren läßt.) Be- 
kanntlich variieren die Farben der Pflanzenchromophylle von 
grün nach braun und rot; die letztgenannten Farben finden wir 
besonders bei Tiefseepflanzen, welche gezwungen sind die kurz- 
welligen Strahlen auszunutzen, da das Wasser vorzugsweise die 
langwelligen Strahlen des Lichtes absorbiert. Engelmann, 
welcher auf diese Verhältnisse zuerst hinwies, hat im Verein mit 
Gaidukow‘) experimentell Farbenveränderungen in Oxillaria 


N) Schmidt, G. C., Beiträge zur Kenntnis der Fluoreszenz. Ann. 
der Physik 58, 103. 1896. 

3) Engelmann, Th. W., Farbe und Assimilation. Botan. Zeitung 
1888, Nr. 1 u. 2. 

5 Timiriazeff, L'état actuel de nos connaissances sur la fonction 
chlorophylienne. Bulletin du Congres intern. de Botanique et d’Horti- 
culture. St. Petersbourg. 1884. 

4 Engelmann, Th. W., Über experimentelle Erzeugung zweck- 
mäßiger Änderungen der Färbung pflanzlicher Chromophylle durch farbiges 
Licht. Archiv. f. Anatomie u. Physiologie. 1902. Physiol. Abtlg. Suppl. 
S. 333—335. 


428 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


sacta-Kulturen hervorrufen können, indem er diese in mono- 
chromatischem Licht züchtete.e Die Kulturen nahmen immer 
die Komplementfarbe zur Farbe des Lichtes an, in welcher sie 
gezüchtet wurden — und die Farbenveränderung erwies sich 
obendrein als erblich, indem sie sich hielt, selbst wenn die 
Kulturen in gewöhnlichem Tageslicht weitergezüchtet wurden. 

Im Tierreich finden wir im Sehpurpur der Retinastäbchen 
einen Farbstoff, dessen Eigenschaften (Fluoreszenz, Bleichung 
in Licht usw.) in hohem Grad mit denen der photographischen 
Sensibilisatoren übereinstimmen. Ebenso wie das Chromophyli 
bei den Pflanzen, variiert auch die Farbe des Sehpurpurs bei 
den verschiedenen Tierspezies von rot, durch purpur nach violett. 
Daß es, wenigstens betreffs des dunkel adaptierten Auges, für die 
Lichtperzeption von großer Bedeutung ist, darf wohl auch als 
sicher angenommen werden; Trendelenburg') hat die größte 
Übereinstimmung zwischen der Kurve für die spektrale Ab- 
sorption des Sehpurpurs, der Kurve für dessen Bleichung in 
den verschiedenen Spektralfarben und der Kurve für deren 
„Dämmerungswerte“ gefunden. 

Obwohl man also schon seit langem großartige Beispiele 
einer natürlichen photobiologischen Sensibilisierung gehabt hat, 
scheint eigentümlicherweise bei keinem der Gedanke entstanden 
zu sein, daß andere der zahlreichen photobiologischen Prozesse 
vielleicht künstlich auf ähnliche Weise wie die Reduktion der 
Silberhaloide in der photographischen Platte beeinflußt werden 
könnten. Erst eine — in dieser Verbindung — zufällige Beob- 
achtung von Raab’) sollte die biologische Forschung in diese 
Richtung leiten. 

Bei einigen im Jahre 1898 ausgeführten Untersuchungen über 
die Toxizität des Akridins gegenüber Paramäcien fand Raab in 
seinen verschiedenen Versuchen eine eigentümliche Abweichung 
zwischen den Tötungszeiten: Bald gingen die Paramäcien schnell 
zugrunde, bald lebten sie viele Stunden in Lösungen von gleicher 
Stärke. Es gelang indessen Raab und H.v. Tappeiner — 


1) Trendelenburg, W., Quantitative Untersuchungen über die 
Bleichung des Sehpurpurs in monochromatischem Licht. Zeitschr. f. Psych. 
u. Physiolog. d. Sinnesorgane. 87. 1904. 

9) Raab, O., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf Infusorien. 
Zeitschr. f. Biologie 39, H. 4. 1900. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 429 


unter dessen Leitung die Versuche ausgeführt wurden — nach- 
zuweisen, daß die Ursache zur Inkonstanz der Tötungszeiten in 
den wechselnden Belichtungen zu suchen sei, welchen die 
Präparate ausgesetzt waren: Paramäcien in Akridinlösungen von 
1 : 20 000 starben im Sonnenlicht innerhalb 6 Minuten, in ge- 
wöhnlichem Tageslicht in ca. 60 Minuten, während sie im 
Dunkeln noch nach 60000 Minuten am Leben gefunden wurden. 

Man fand eine ähnliche Wirkung bei der Untersuchung 
verschiedener anderer Stoffe (Phenylakridin, Eosin, Chinin), 
welche sämtlich die Eigenschaft mit dem Akridin gemeinsam 
haben, daß sie im Licht fluoreszieren. Dfe Versuche bewiesen 
ferner, daß die wirksamen Spektralstrahlen gerade dieselben 
sind wie die, welche Fluoreszenz in den betreffenden Lösungen 
hervorzurufen vermögen, sowie daß es anderseits nicht das 
Fluoreszenzlicht als solches ist, das tötend auf die Paramäcien 
wirkt. Raab vermutet, daß das Phänomen einer Umsetzung 
der Energie des Lichtes in chemische Energie zuzuschreiben 
sei, — analog derjenigen, welche in den chlorophylihaltigen 
Zellen der Pflanzen vor sich geht, und v. Tappeiner!) ver- 
gleicht hier in seiner ersten Mitteilung über dieses Thema die 
Wirkungsart dieser Stoffe mit der der photographischen Sensibili- 
satoren — ein Vergleich, von welchem er jedoch später Ab- 
stand nimmt und zu welchem er erst in einigen vor kurzem 
veröffentlichten Untersuchungen über dieses Thema zurück- 
kehrt ê). 

In einer Arbeit aus dem Jahre 1902 erwähnt Raab’), daß 
nicht alle fluoreszierenden Stoffe die hier erwähnte Wirkung im 
Licht besitzen, z. B. das Äskulin, das ja gerade wegen seiner 
prachtvollen Fluoreszenz bekannt ist. Da es sich ergab, daß 
Äskulin auch im Dunkel keine schädliche Wirkung auf Para- 
mäcien ausübt, so schloß Raab, daß nur derartige Stoffe zu 


1) Tappeiner, H. v., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe 
auf Infusorien — nach Versuchen von O. Raab. — Münch. med. Wochen- 
schrift Nr. 1. 1900. 

3 Tappeiner, H. v., Über die Beziehung der photochemischen Wir- 
kung der Stoffe der Fluoreszeinreihe zu ihrer Fluoreszenzhelligkeit und ihrer 
Lichtempfindlichkeit. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86, 479. 1906. 

®© Raab, O., Weitere Untersuchungen über die Wirkung fluores- 
zierender Stoffe. Zeitschr. f. Biologie 44. 1902. 


430 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


wirken vermögen, welche schon im Dunkel eine — wenn auch 
schwache — Wirkung besitzen. Er nimmt mit anderen Worten 
an, daß das Licht eine schon im Dunkel vorhandene schwache 
Giftwirkung nur verstärkt; also gerade das entgegengesetzte von 
dem, was betreff des photographischen Prozesses angenommen 
wird, wo der Sensibilisator eine im voraus nur schwache Licht- 
wirkung hervorruft oder erhöht. Jacobson!), welcher fand, 
daß tierisches Gewebezellen-Flimmerepithel von der Ösophagus- 
schleimhaut des Frosches auf ähnliche Weise wie Paramäcien 
beeinflußt wird, gibt dieser Ansicht in folgenden Thesen einen 
prägnanten Ausdruck: 


1. Das Licht erhöht die Giftwirkung fluoreszierender Stotte 
gegenüber Flimmerepithel. 

2. Nichtfluoreszierende, giftige Stoffe erhalten keine er- 
höhte Wirkung im Licht. 

3. Nichtgiftige, fluoreszierende Stoffe besitzen dieselbe 
Wirkung im Licht, wie im Dunkel. 


Raab (a. a. O.) versuchte außerdem eine ähnliche Wirkung 
fluoreszierender Stoffe 4 Licht auf warmblütige Tiere hervor- 
zurufen. Er injizierte verschiedene Farbstofflösungen subkutan 
weißen Mäusen, Meerschweinchen, Tauben usw. und exponierte 
danach die behandelten Tiere der Einwirkung des Sonnenlichtes. 
Der einzige deutliche auf diesem Wege von Raab erzielte 
Ausschlag bestand darin, daß bei den Eosin-injizierten Mäusen 
Nekrose der Ohren 1 — 2 Tage nach der Belichtung eintrat. 
Da die Nekrosen nicht durch Injektion anderer fluoreszierender 
Stoffe (Harmalin, Chinolinrot, Phosphin) und nur bei Mäusen 
hervorgerufen werden konnten — nicht z. B. bei Meerschwein- 
chen —, so schließt Raab daraus, daß sie nicht mit den hier 
erwähnten Phänomenen in Verbindung stehen, sondern einfach 
einer Wärmewirkung, einer Verbrennung infolge der starken 
Absorption der langwelligen Strahlen des Lichtes in den Eosin- 
gefärbten, zarten Ohren zuzuschreiben sind. Diese Auffassung 
ist später mit theoretischen Gründen teils von Dreyer?), teils 


1) Jacobsohn, R., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf 
Flimmerepithel. Zeitschr. f. Biologie 41. 1901. 

®) Dreyer, G., Sensibilisierung von Mikroorganismen und tierischen 
(reweben. Mitteilungen aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft VII. 1904. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 431 


vom Verf.!) bestritten, und ihre Unrichtigkeit ist vor kurzem 
experimentell durch Versuche bewiesen worden, welche ich im 
Verein mit A. Jodlbauer?) vorgenommen habe. Es ergab 
sich nämlich, daß die Ohrnekrosen selbst in den Fällen ent- 
stehen, wo jede Möglichkeit einer schädlichen Wärmewirkung 
ausgeschlossen ist, und daß ähnliche Nekrosen überall auf dem 
Körper hervorgerufen werden können, nicht nur bei Mäusen 
sondern auch z. B. bei Kaninchen (siehe später). 

Ledoux-Lebard?°) lieferte einen wichtigen Beitrag zum 
Verständnis der Natur dieser Prozesse; er fand, daß die Eosin- 
Lichtwirkung gegenüber Paramäcien bedeutend stärker ist, wenn 
die Paramäcien in offenen Schalen belichtet werden, als wenn 
sie sich während der Belichtung in ganz gefüllten, luftdicht 
verschlossenen Glasrohren befinden. . 

Hiermit war auf die Bedeutung des Sauerstoffs für den 
Verlauf des Prozesses hingewiesen,’ und der Anstoß zu späte- 
ren Untersuchungen auf diesem theoretisch wichtigen Gebiet 
gegeben. " 

Ledoux-Lebard fand ferner, daß die Eosinlösungen 
während der Belichtung derart verändert werden, daß sie einen 
für die Paramäcien giftigen Stoff bilden. Es ergab sich nämlich, 
daß nicht-giftige Eosinlösungen nach langdauernder Belichtung 
auch im Dunkel tötend auf Paramäcien wirkten, und Ledoux- 
Lebard sucht hierin die Ursache zu dem schnellen Tod der 
Paramäcien während der Belichtung. Diese Beobachtung 
fand anfangs bei anderen Forschern (Dreyer (a. a. O.), 
v. Tappeiner und Jodlbauer)‘) keine Bestätigung. Die 
zwei letztgenannten Verf. haben jedoch in einer späteren 


 Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des 
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med. 
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904. 

» Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von 
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch. 
internat. de Pharmacodynamieet de Therapie. Vol. XV, S. 263 --278. 1905. 

8) Ledoux-Lebard, Action du Serum sanguine sur les Paramecies. 
Ann. de l'Institut Pasteur 16, 510. 1902. 

4^ Tappeiner, H. v. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung der 
photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe auf Protozoen und Enzyme. 
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904. 

Biochemische Zeitschrift Band I. 29 


432 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Arbeit!) nachgewiesen, daß Ledoux-Lebards Beobachtung in- 
sofern zutreffend ist, als die Bleichung der betreffenden Farbstoffe 
im Licht unter Bildung einer Säure vor sich geht, und Paramäcien 
sind bekanntlich gegenüber Säurewirkungen äußerst empfindlich. 
Eine 0,45°/, Lösung von dichloranthracendisulfosaurem Natron 
wurde in einem Erlenmeyerschen Kolben in einer 1 cm hohem 
Schicht belichtet, und der Kolben wurde luftdicht verschlossen, 
um Absorption von Säure aus der Luft zu vermeiden. Zur 
Neutralisierung von 100 ccm der belichteten Flüssigkeit wurden 
nach 6 Tagen Belichtung 2,6 ccm einer "/ıoo normalen Natron- 
lauge gebraucht, während eine entsprechende Lösung, welche 
ebenso lange Zeit im Dunkel aufbewahrt gewesen war, nur 
0,05 ccm erforderte. Es wurden betreff der Eosin- und 
trythrosinlösungen entsprechende Verhältnisse gefunden. Werden 
die belichteten Lösungen genau neutralisiert, so verschwindet 
auch ihre Toxizität im Dunkeln gegenüber Paramäcien. 

Die Beobachtungen über Säurebildung, über die Form des 
Absterbens der Paramäcien und über das Verhalten des Acridins 
führten die Verfasser zu dem Schlusse, daß die Bleichung der Farb- 
stoffe, welche im Verhältnis zur schnellen Tötung der Paramäcien 
im Lichte nur langsam vor sich geht, kaum für die hier er- 
wähnten Phänomene von irgend welcher Bedeutung sein könne. 
— Die destruierende Wirkung des Lichtes gegenüber sensi- 
bilisierten Fermenten liefert — wie es auch von den genannten 
Verfassern hervorgehoben wird — einen weiteren Beweis für 
die Richtigkeit dieser Auffassung, indem die fermentativen 
Prozesse von der gebildeten Säure ja eher beschleunigt als ge- 
hemmt werden. 

Dreyer (a. a. O.), welcher in Finsens med. Lichtinstitut 
die Untersuchungen von Raab aufnahm und bestätigte, gebührt 
das Verdienst, die Frage von rein lichtbiologischem Standpunkt 
aus behandelt zu haben. Während das Prinzip für die früheren 
Untersuchungen im allgemeinen darauf ausging, den Unterschied 
zwischen der Wirkung der Farbstoffe auf die Mikroorganismen 
im Licht resp. im Dunkel festzustellen, veranschaulicht Dreyer 
tabellarisch den Unterschied zwischen der Wirkung des Lichtes 


) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Die Beteiligung des 
Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender Stoffe. Deutsch. Arch. f. 
klin. Medizin 82. 1905. 


G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 433 


auf die gefärbten und auf die nichtgefärbten Organismen, und 
er pointiert dadurch das Licht als den wirkenden Faktor, und 
den Farbstoff als den Sensibilisator, welcher nur die mikrobicide 
Fähigkeit des Lichtes erhöht. 

Dreyer benutzte zu seinen Versuchen das nach Finsens 
Methode konzentrierte Licht einer starken elektrischen Kohlen- 
bogenlampe und als Sensibilisator Erythrosin (Tetrajodfluoreszein- 
Natrium). Er fand, daß Bakterien sich gegenüber Licht auf 
ähnliche Weise wie Paramäcien sensibilisieren lassen; jedoch ist 
der Unterschied zwischen den Tötungszeiten für die gefärbten 
und für die nichtgefärbten Bakterienkulturen in bedeutend ge- 
ringerem Grade ausgeprägt, als es bei den Paramäcien der Fall 
ist. Jodlbauer und v. Tappeiner!) kamen zu demselben 
Resultat; sie machten ferner die interessante Beobachtung, daß 
der von Bac. pyocyaneus produzierte fluoreszierende Stoff 
photodynamische (d. h. sensibilisierende) Eigenschaften gegenüber 
Paramäcien besitzt. 

Durch Injektion von Erythrosinlösungen in den Rücken- 
lymphsack von Fröschen und nachfolgende Belichtung der 
ad. mod. Cohnheim aufgespannten Zunge vermochte Dreyer 
außerdem Gewebereaktion mit Strahlen hervorzurufen, welche 
keine derartige Wirkung auf normales Gewebe hatten. Es ergab 
sich auch bei Warmblütern (Kaninchen, Menschen), daß eine 
lokale, kutane Erythrosin-Injektion mit nachfolgender Be- 
lichtung der injizierten Partie mit Licht, das vorher durch eine 
monochromsaure Kaliumlösung filtriert wurde, eine Gewebe- 
reaktion hervorrief. Auf Basis dieser Untersuchungen machte 
Dreyer?) den Vorschlag, die Finsensche Lichtbehandlung von 
Lupus vulgaris mit lokalen Injektionen sensibilisierender Lösungen 
zu kombinieren, um dadurch die langwelligen gut penetrierenden, 
aber sonst unwirksamen Lichtstrahlen auszunützen. Eine etwas 
andere Form einer derartig kombinierten Behandlung wurde 


1) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung 
photodynamischer (fluoreszierender) Stoffe auf Bakterien. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 25. 1904. 

Wirkung der fluoreszierenden Stoffe auf Spalt- und Fadenpilze. 
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 84, 529. 1905. 

2) Dreyer, G., Lichtbehandlung nach Sensibilisierung. Dermatolog. 


Zeitschr. X. 1903. 
29* 


434 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


gleichzeitig von v. Tappeiner und Jesionek') an verschiedenen 
Fällen von tuberkulösen, cancrösen und luetischen Affektionen 
praktisch geprüft und insbesondere bei Ulcus rodens von Erfolg 
befunden. Die therapeutischen Versuche, die der Vorschlag von 
Dreyer zur Folge hatte, haben bisher keine befriedigenden Resul- 
tate ergeben, und das klinische Bild der Behandlung weicht auch 
recht bedeutend von dem ab, was die gewöhnliche Finsen- Behand- 
lung charakterisiert. Die Belichtung der injizierten Partie ist 
schmerzhaft und die Gewebereaktion zeichnet sich im Gegensatz 
zu der normalen Lichtreaktion durch Ödeme und durch Neigung 
zu Nekrotisierung des Gewebes aus. Kolster?), der auf Finsens 
med. Lysinstitut eine histologische Untersuchung der Lichtreaktion 
in sensibilisierttem Gewebe vornahm, benutzte weiße Mäuse als 
Versuchsobjekte. Nach subkutaner Injektion von Erythrosin- 
lösungen belichtete er die injizierte Partie unter Wasserüber- 
rieselung mit konzentriertem elektrischem Licht, welches erst 
ein Filter mit monochromsaurem Kalium passierte. In der 
Beschreibung seiner histologischen Funde hebt Kolster nament- 
lich die ödematöse Beschaffenheit des Gewebes sowie die Zellen- 
nekrose hervor. 

In den Betrachtungen über die Natur der Sensibilisierung, 
mit welchen Dreyer seine oben erwähnte Arbeit schloß, äußert 
er sich dahin, daß die Fluoreszenz für das Zustandekommen 
des Prozesses nicht entscheidend ist, da es Stoffe gibt, die 
stark fluoreszieren und welche doch entweder nur schwach oder 
überhaupt nicht sensibilisieren (Fluoreszein, Äsculin), und daß 
es anderseits Stoffe gibt, die nicht fluoreszieren und doch 
sensibilisierende Eigenschaften besitzen (Cyanin). 

Halberstaedter°), welcher Raabs resp. Dreyers Ver- 
suche wiederholte und deren Richtigkeit bekräftigte, ist ebenfalls 


) Tappeiner, H. v. und Jesionek, Therapeutische Versuche 
mit fluoreszierenden Stoffen. Münch. med. Wochenschr. 47, 2042. 1903. — 
Jesionek, Lichttherapie nach Prof. v. Tappeiner. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 19. 1904. — Jesionek und H. v. Tappeiner, Zur 
Behandlung der Hautcarcinome mit fluoreszierenden Stoffen. Deutsch. Arch. 
f. klin. Medizin 82, 217. 1905. 

» Kolster, R., Studien über die Einwirkung gewisser Lichtstrahlen 
auf sensibilisiertes Gewebe. Mitteilungen aus Finsens med. Lichtinstitut, 
Heft X. 1906. 

» Halberstaedter, L., Mitteilungen über Lichtbehandlung nach 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 435 


Dreyers Auffassung bezüglich der Natur dieser Phänomene und 
führt gegen die von v. Tappeiner stark hervorgehobene Be- 
deutung der fluoreszierenden Fähigkeit der Stoffe an, daß Neu- 
tralrotlösungen sensibilisierende Eigenschaften besitzen, obwohl 
sie nicht im Licht fluoreszieren'., Nach v. Tappeiner und 
Jodlbauer‘?) ist dies indessen nicht richtig, indem Neutralrot- 
lösungen eine schwache orangegelbe Fluoreszenz zeigen, wenn 
sie in konzentriertem Sonnenlicht untersucht werden, während 
das Cyanin rot fluoresziert. 

In einer Reihe unter v. Tappeiners Leitung im phar- 
makologischen Institut in München ausgeführten Arbeiten 
wurden die Untersuchungen über die Wirkung der fluores- 
zierenden Stoffe im Licht in neue Bahnen geleitet. Schon im 
Jahre 1897 fand Green?), daß Diastase zerstört wurde, falls 
man sie der Einwirkung des Sonnenlichtes aussetzte. Spätere 
Untersuchungen lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß alle 
Enzyme und Toxine — jedenfalls die thermolabilen — die 
Fähigkeit verlieren, ihre spezifischen Wirkungen zu entfalten, 
wenn sie einer intensiven Belichtung ausgesetzt werden. Die 
Vernichtung ist vorzugsweise auf die am stärksten brechbaren 
Strahlen des Lichtes zurückzuführen. Von Schmidt-Nielsen *) 
sind betreff Labferment eingehende Untersuchungen in dieser 
Richtung angestellt. — v. Tappeiner°) und seine Schüler 
haben indessen gezeigt, daß mehrere Fermente und Toxine 


Dreyer. Zur Theorie der Sensibilisierung und Prüfung einiger Sensibili- 
satoren. Münch. med. Wochenschr. Nr. 14. 1904. 

!) Halberstaedter, L. und A. Neisser, Zur Kenutnis der Sensi- 
bilisierung. "Deutsch. med. Wochenschr., Jahrg. 30, Nr. 21. 1904. 

3 Tappeiner, H. v. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung der 
photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe auf Protozoen und Enzyme. 
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80, 432 und 447. 1904. 

3) Green, J. R., On the Action of Light on Diastase, and its 
biological Significance. Philos. Transactions of the Royal Society of 
London. Vol. 188, S. 167. 1897. 

4 Schmidt-Nielsen, S., Über die Wirkung von elektrischem 
Bogenlicht auf Chymosin, Chymosinogen und Antichymosin. Mitteilungen 
aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft IX. 1904. 

») Tappeiner, H. v., Über die Wirkung fluoreszierender Substanzen 
auf Fermente und Toxine. Ber. d. Deutsch. chem. Gesellsch. Jahrg. 36 
H. 12. 1903. 


436 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


(auch Labferment) sich gegenüber Strahlen von geringerer Brech- 
barkeit sensibilisieren lassen. 


Die einzelnen Untersuchungsreihen sind von Stark!) und 
Liebel?) (Diastase), Tillmetz°) (Invertin), Rehm‘) (Papayotin), 
sowie Riegner°) und Quiring®) (Labferment) und Locher’) 
(Zymase) ausgeführt. Außerdem hat v. Tappeiner und 
Jodlbauer®) Untersuchungen bezüglich einer Reihe Toxine 
angestellt (Diphtherie- und Tetanustoxin, Ricin u. a.). 

Es geht indessen aus obenerwähnten Arbeiten hervor, daß 
sich ein großer Teil der gegenüber Paramäcien wirksamen 
Stoffe indifferent gegenüber Enzymen verhält — und selbst 
gegenüber den verschiedenen Enzymen erwies sich ein und 
derselbe Stoff bald wirksam, bald unwirksam. 


Nach v. Tappeiners und Jodlbauers zusammengefaßter 
Darstellung?) erweisen sich folgende Substanzen photodynamisch 
wirksam gegenüber Invertin: Die Fluoreszeingruppe (mit 
Ausnahme des Fluoreszeins und dessen Chlorverbindungen), die 
Anthracengruppe, die Thiazingruppe sowie die Chinolinfarb- 
stoffe. Unwirksam sind hingegen: Derivate des Phenazins (mit 
Ausnahme von Phenazin und Phenosafranin), die Phenoxazine, 
die Naphthalingruppe, die Alkaloide Chinin, Harmalin und 
Hydrastinin sowie das Glykosid Äsculin. Spätere Versuche 


1) Stark, E., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf Diastase. 
Diss. München, 1903. 

2) Liebel, F., Weitere Untersuchungen über die Wirkung photo- 
dynamischer Stoffe auf Diastase. Diss. München, 1905. 

3) Tillmetz, O., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf den 
Invertierungsproze8ß. Diss. München. 1903. 

“ Rehm, F., Über die Einwirkung fluoreszierender Stoffe auf das 
Eiweiß spaltende Ferment Papain (Papayotin). Diss. München, 1903. 

5 Riegner, H., Über die Wirkung photodynamischer (fluores- 
zierender) Substanzen auf Labferment. Diss. München, 1904. 

°) Quiring, W., Weitere Untersuchungen über die Wirkung 
fluoreszierender Stoffe auf Labferment. Diss. München, 1905. 

”) L. Locher, Über die Wirkung einiger photodynamischer Sub- 
stanzen auf Hefe, Acetondauerhefe und Hefepreßsaft. Diss. München, 1906. 

8) v, Tappeiner, H. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung 
fluoreszierender Stoffe auf Diphtherietoxin und Tetanustoxin. Münchener 
med. Wochenschr. Nr. 17. 1904. 

% Über die Wirkung der photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe 
auf Protozoen und Enzyme. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 437 


ergaben jedoch, daß einzelne dieser Stoffe (z. B. Fluoreszein, 
Akridin, Chinin und Harmalin) eine deutliche Wirkung gegen- 
über Invertin haben, sobald man während der Belichtung für 
eine reichliche Sauerstoffzufuhr sorgt. 

Diese Untersuchungen veranlaßten die Münchener Schule 
die alte Hypothese aufgugeben, daß die betreffenden Stoffe im 
Lichte eine erhöhte Giftwirkung besitzen, indem man meinte, 
den Begriff Giftwirkung nicht gegenüber nichtorganisierten 
Körpern aufrecht erhalten zu können, um so weniger da man 
sich das Zustandekommen der erhöhten Wirkung dadurch 
hervorgerufen gedacht hatte, daß die Belichtung eine Ver- 
änderung der osmotischen Permeabilität der Zellenwand hervor- 
rief (Jacobsen a. a. O.). In der zuletzt zitierten Arbeit, in 
welcher v. Tappeiner und Jodlbauer die theoretische Seite 
der Sache zum Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung 
machen, werden auch verschiedene andere Umstände vorgebracht, 
welche gegen die erwähnte Hypothese sprechen: Bestände die 
photodynamische Wirkung in einer Erhöhung der Giftigkeit, 
so wäre zu erwarten, daß diese Zunahme betreff der ver- 
schiedenen Stoffe einigermaßen gleichartig sei; die Wirkung im 
Licht ist indessen bald doppelt, bald 100 bis 1000 Male größer 
als im Dunkel (nach der Verdünnung berechnet, in welcher der 
betreffende Stoff noch Wirkung im Dunkel resp. Licht aufweist). 

Die Frage, inwiefern die hier besprochene Wirkung der 
Stoffe auf eine Sensibilisierung in Analogie mit der photo- 
graphischen beruht, beantworten v. Tappeiner und Jodlbauer 
— sowohl in dieser wie auch in verschiedenen anderen Ab- 
handlungen — dahin, daß die zwei Prozesse nicht identisch 
sind. Die Führung des Beweises hierfür wird auf folgende 
Weise versucht: 

1. Eine Reihe der am kräftigsten wirkenden photographi- 
schen Sensibilisatoren fluoresziert nicht, wenigstens läßt sich 
mit konzentriertem Sonnenlicht keine Fluoreszenz nachweisen. 
Derartige Stoffe (Methylviolett, Fuchsin, Alizarinblau, diazo- 
schwarzes Glyzinrot, Nigrosin, Äthylrot) weisen keine photo- 
dynamische Wirkung gegenüber Paramäcien oder Enzymen auf. 

2. Anderseits lassen sich Bromsilbergelatineplatten nicht 
mit dem so stark photodynamisch wirkenden Natronsalz der 
Dichloranthracendisulfosäure sensibilisieren. 


438 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


3. Ist Tötung der Paramäcien in z. B. Eosin + Licht einer 
»erhöhten« Lichtwirkung zuzuschreiben, so müssen die wirk- 
samen Strahlen — in diesem Fall die grünen — auch bei 
länger dauernder Einwirkung imstande sein, ungefärbte Para- 
mäcien zu destruieren. Das Sonnenlicht erwies sich indessen 
gegenüber Paramäcien als vollständig unschädlich, wenn es 
durch eine Lösung von Kupfersulfat und Pikrinsäure filtriert 
wurde). 

v. Tappeiner schlägt für die kombinierte Farbstoff-Licht- 
wirkung die Bezeichnung „Photodynamie“ vor, eine Bezeich- 
nung, welche, wie er schreibt, nichts präjudiziert und die man 
in dem Augenblick fallen lassen kann, wo weitere Unter- 
suchungen unzweifelhafte Berechtigung zur Bezeichnung Fluo- 
reszenzwirkung oder ähnlichem ergeben sollten. 

In Übereinstimmung mit Raabs und Dreyers Versuchen 
fanden v. Tappeiner und Jodlbauer, daß die Wirkung den 
Strahlen zuzuschreiben sei, welche den photodynamischen Stoff 
absorbieren, daß aber anderseits die Absorption nicht das allein 
entscheidende Moment ist, indem zahlreiche stark absorbierende, 
jedoch nicht fluoreszierende Farbstoffe keine photodynamische 
Fähigkeit besitzen. 

Es wird ferner stark hervorgehoben, daß bisher nur bei 
fluoreszierenden Stoffen photodynamische Eigenschaften gefunden 
sind, und da schon 53 fluoreszierende und 32 nicht-fluores- 
zierende Substanzen einer Untersuchung unterzogen gewesen 
sind, so besteht eine große Wahrscheinlichkeit für einen gewissen 
Zusammenhang zwischen diesen zwei Eigenschaften. Jedoch 
spielt das ausgesendete Fluoreszenzlicht als solches keine Rolle 
und von der geringeren oder stärkeren Fluoreszenz eines Stoffes 
kann man im großen und ganzen nicht auf die Intensität der 
photodynamischen Wirkungen des Stoffes schließen. : Innerhalb 


1) Das negative Resultat ist auf die Anwendung von zu schwachem 
Licht zurückzuführen. — Ich habe in konzentriertem elektrischem Licht 
von einer Lampe von 50 Amp. 45 Volt, — und hinter einem Filter mit 
ammoniakalischer Kupfersulfat-Pikrinsäurelösung*) Tötung ungefärbter 
Paramäcien nach 1'/),stündiger Belichtung erzielt. 

*) Siehe G. Busck, Über farbige Lichtfilter. Mitteilungen aus 
Finsens med. Lichtinstitut, Heft X, 1906 und Zeitschr. für Psychologie 
u. Physiologie der Sinnesorgane 87. 1905. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 439 


einzelner Gruppen chemisch verwandter Stoffe ergab es sich 
indessen, daß die photodynamische Wirkung gegenüber Mikro- 
organismen und Invertin in der Regel größer ist, je weniger aus- 
geprägt die Fluoreszenz ist. Dieses eigentümliche Verhältnis tritt 
am deutlichsten zwischen den Stoffen innerhalb der Fluoreszein- 
reihe hervor!). Schließlich erwähnen v. Tappeiner und Jodl- 
bauer, daß die photodynamische Wirkung bei einem und 
demselben Stoff mit der Fluoreszenz des Stoffes zuzunehmen, 
resp. abzunehmen scheint, so daß z. B. sowohl die Fluoreszenz 
wie auch die photodynamische Fähigkeit bei $-Naphtholtrisulfo- 
säure mit der Zusetzung von Soda zunimmt, während die 
beiden Eigenschaften in Chininsulfatlösungen mit Zusetzung von 
NaCl verringert werden. Als Gegensatz hierzu lassen sich 
einige Untersuchungen von Pinnow?) nennen, welcher fand, 
daß Akridin als optischer Sensibilisator gegenüber Jodwasserstoff 
wirkt, und daß diese Wirkung durch Hinzusetzung von Schwefel- 
säure verringert wird, »denn nun wird eine größere Lichtmenge 
als Fluoreszenzlicht reflektiert und geht daher für die Zer- 
teilung des Jodwasserstoffes verloren«. Derselbe Verfasser stellt 
übrigens als allgemein geltende Regel auf, daß Substanzen, die 
in Licht zerteilt werden, die Fluoreszenz in den fluoreszierenden 
Lösungen, welchen sie zugesetzt werden, schwächen, und um- 
gekehrt, daß Körper, welche die Fluoreszenz fluoreszierender 
Lösungen schwächen, sich auch als lichtempfindlich erweisen 
werden. 

Die Frage über die Notwendigkeit des Sauerstoffes für die 
Wirkung des Lichtes auf die sensibilisierten Organismen wurde 
schon von Raab (a. a. O.) aufgeworfen. Seine mit Jodkalium 
und Akridin unternommenen Versuche führten aber zu keinem 


') Ich habe Gelegenheit gehabt, einen in photodynamischer Be- 
ziehung nicht früher untersuchten Stoff innerhalb dieser Gruppe zu unter- 
suchen, nämlich Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium. Dieser Stoff, dessen 
starke, grüne Fluoreszenz ich in konz. Sonnenlicht noch in Verdünnungen 
von 1:200000000 beobachten konnte, schien von obenstehender Regel 
abzuweichen, indem ich fand, daß dessen sensibilisierende Fähigkeit größer 
war, als die des sehr schwach fluoreszierenden Tetrajodfluoreszein-Na. 
(Erythrosin). 

2 Pinnow, J., Die photochemische Zersetzung der Jodwasserstoff- 
säure. Ein Beitrag zur Kenntnis der Sensibilisatorenwirkung. Ber. d. 
deutsch. chen. Gesellsch. 84, S. 2528. 1901. 


440 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


positiven Ergebnisse. Hingegen fand Ledoux-Lebard'), daß 
die Eosin-Lichtwirkung bedeutend stärker gegenüber Paramäcien 
ist, wenn diese in offener Schale belichtet werden, als wenn 
der Zutritt des Sauerstoffs der Luft dadurch verhindert wird, 
daß die Paramäcienkulturen in ganz gefüllte, verschlossene 
Glasrohre eingeschlossen werden. Straub?) stellte bezüglich 
dieser Frage Untersuchungen an und wies betreff einer einzelnen 
Reaktion die Notwendigkeit des Sauerstoffs für das Zustande- 
kommen des Prozesses nach. Er fand, daß in einer Jodkalium- 
lösung, welcher Eosin oder Chininsulfat zugesetzt wird, bei 
Belichtung der Lösung freies Jod abgespaltet wird. Bei Hinzu- 
setzung von Stärke zur Lösung kann man während der Be- 
lichtung dem Verlauf der Reaktion folgen. Belichtet man 
dahingegen die Eosin-Jodkaliumlösung im Vakuum, so tritt die 
Reaktion nicht ein. 

Zufolge kürzlich veröffentlichter Versuche von Jodlbauer’?) 
kann die Reaktion indessen überhaupt nicht in absolut neu- 
traler, sondern nur in saurer Lösung hervorgerufen werden; 
jedoch genügt ein sehr geringer Säuregrad (Anwendung eines 
unreinen Handelspräparates). Die Reaktion darf daher an- 
scheinend mit der oben erwähnten Jodwasserstoffreaktion identi- 
fiziert werden. Straub nimmt an, daß sämtliche photo- 
dynamischen Prozesse auf einer Oxydation — obendrein in Form 
einer Verbrennung — beruhen, und er versucht deren Zustande- 
kommen durch die von Bach und Engler aufgestellte Aut- 
oxydationstheorie zu erklären. 

Der experimentelle Beweis dafür, daß das Vorhandensein 
des Sauerstoffs eine Bedingung für das Entstehen gewisser 
photodynamischer Prozesse ist, wurde von v. Tappeiner und 





!) Ledoux-Lebard, Action de la lumiere sur la toxicité de 
l’eosine. Ann. de l'Institut Pasteur 16. 1902. 


2) Straub, W., Über chemische Vorgänge bei der Einwirkung von 
Licht auf fluoreszierende Substanzen und die Bedeutung dieser Vorgänge 
für die Giftwirkung. Münch. med. Wochenschr. Nr. 25. 1904. 

Über den Chemismus der Wirkung belichteter Eosinlösungen auf 
oxydable Substanzen. Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. 51. 1904. 

3) Jodlbauer, A., Weitere Untersuchungen, ob eine „Dunkel- 
wirkung“ der fluoreszierenden Stoffe statthat. Deutsch. Arch. f. klin. 
Medizin 85, 395. 190». 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 441 


Jodlbauer!) sowohl betreff der Bakterien wie der Enzyme 
und Toxine erbracht. Die Versuche zeigen zugleich, daß die 
Wirkung entsteht, sobald nur eine Spur von Sauerstoff vor- 
handen ist. 


Zahlreiche früheren Untersuchungen haben ergeben, daß 
nicht-sensibilisierte Bakterien schneller unter Lichteinwirkung 
in dem Augenblicke getötet werden, wenn der Sauerstoff der 
Luft Zutritt hat, als wenn der Sauerstoff entfernt ist. Die 
Anschauungen sind überdies bezüglich der Frage geteilt, ob 
Bakterien überhaupt von Licht zu destruieren sind, wenn jede 
Spur von Sauerstoff entfernt ist. Bie), welcher sich mit 
diesem Thema viel beschäftigt hat, fand, daß Bakterientötung 
— besonders in ultra-violettem Licht — in sauerstofffreien Um- 
gebungen stattfinden kann, jedoch schwieriger, als wenn der 
Sauerstoff freien Zutritt zum Präparat hat. Nach Pfeffer?) 
vermögen indessen viele Bakterienarten Sauerstoff zu binden, 
so daß sie denselben im sauerstoffreien Raum erst nach und 
nach abgeben, und es ist vielleicht nicht ganz die Möglichkeit 
auszuschließen, daß es in Bies Versuchen nicht gelungen 
ist, jegliche Spur von Sauerstoff zu entfernen. Ich erinnere 
in dieser Verbindung an einen Versuch von Pringsheim*), 
nach welchem mit konzentriertem Sonnenlicht belichtete 
chlorophylhaltige Pflanzenzellen nur in dem Augenblick entfärbt 
werden, wo freier Sauerstoff zugegen ist. Dasselbe ist nach 
meinen Versuchen der Fall, selbst wenn die Zellen mit konzen- 
triertem, elektrischem Licht durch Quarz belichtet werden. — 





1) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Beteiligung 
des Sauerstoffes bei der photodynamischen Wirkung fluoreszierender Stoffe. 
Münch. med. Wochenschr. Nr. 26. 1904. 

Die Beteiligung des Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender 
Stoffe. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 82. 1905. 

» Bie, V., Om Lysets Virkning paa Bakterier. Köbenhavn, 1903. 

3) Zit. nach: A. Jodlbauer und H. v. Tappeiner, Über die 
Wirkung des Lichtes auf Enzyme in -Sauerstoff- und Wasserstoffatmo- 


sphäre, verglichen mit der Wirkung der photodynamischen Stoffe. Deutsch. 
Arch. f. klin. Medizin 85, 386. 1905. 


*%) Pringsheim, Monatsber. d. kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. zu 
Berlin, S. 504. 1881. 


449 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Hertel!) hat vor kurzem die Theorie aufgestellt, daß die 
Lichtwirkung stets in erster Instanz auf einer Sauerstoff- 
spaltung beruht, indem sich diese jedoch sekundär entweder 
als eine Oxydation oder als eine Reduktion manifestieren kann, 
abhängig davon, ob der freigemachte Sauerstoff in dem einzelnen 
Fall Moleküle findet, mit welchen er in statu nascendi Ver- 
bindungen eingehen kann oder nicht. Es lassen sich mittels 
Hertels Hypothese ganz gewiß eine Reihe photobiologischer 
Phänomene erklären; jedoch ruht sie auf allzu enger Basis, um 
allgemeine Bedeutung erlangen zu können, u. a. weil die photo- 
chemischen Umlagerungen keineswegs ausschließlich an Oxy- 
dations- oder Reduktionsprozesse geknüpft sind. 

In der obenerwähnten Arbeit zeigen Jodlbauer und 
v. Tappeiner, daß die Bildung von „aktivem“ Sauerstoff in 
einer Reihe von Fällen das Entstehen der photodynamischen Pro- 
zesse bedingt?). Dies wird mittels verschiedener Ozon-Reaktionen 
nachgewiesen; z. B. wird metallisches Silber unter der Bildung 
von Silberoxyd geschwärzt, wenn ein Tropfen Eosinlösung auf 
das Metall gebracht und dies dem Sonnenlicht ausgesetzt 
wird. Es werden außerdem eine Reihe Umstände angeführt, 
welche gegen die Anwendbarkeit der Autoxydationstheorie auf 
diesem Gebiete sprechen, und es wird schließlich nachgewiesen, 
daß die Oxydation nicht in Form einer totalen Verbrennung vor 
sich geht; jedenfalls war es in Versuchen mit Diastase nicht 
möglich, die Bildung von Kohlensäure nachzuweisen. 

Während demnach die Lichtwirkung gegenüber normalen 
sowohl wie oben sensibilisierten tierischen Zellen, Enzymen, 


1) Hertel, E., Über Beeinflussung des Organismus durch Licht, 
speziell durch die chemisch wirksamen Strahlen. Zeitschr. f. allgem. 
Physiologie IV. 1904. 

Über physiologische Wirkung von Strahlen verschiedener Wellen- 
länge. Zeitschr. f. allgem. Physiologie V. 1905. 


2) Siehe auch: Edlefsen, Experimenteller Beitrag zum Studium der 
oxydierenden Wirkung fluoreszierender Stoffe. Münch. med. Wochenschr. 
Nr. 36. 1904. 

Ibid., Weitere Untersuchungen über die Einwirkung des Sonnen- 
lichtes auf fluoreszierende Substanzen. Münch. med. Wochenschr. Nr.41. 1905. 

Tappeiner, H. v., Über die Oxydation durch fluoreszierende 
Stoffe im Lichte und die Veränderungen derselben durch die Bleichung. 
Münchener med. Wochenschrift. Nr. 44. 1905. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 443 


Toxinen usw. auf einer Oxydation zu beruhen scheint, kennt 
man eine Reihe anderer photochemischer Prozesse, für deren 
Entstehen das Vorhandensein des Sauerstoffs ohne Bedeutung 
ist, und vor kurzem gelang es Jodlbauer und v. Tappeiner'), 
eine von der Belichtung abhängige Reaktion zu finden, deren 
Verlauf durch das Vorhandensein des Sauerstoffs gehemmt 
wurde. Es dreht sich um die Edersche Reaktion zwischen 
Quecksilberchlorid und Ammoniumoxalat : 2 HgCls + 2 (NH4) 
C;0; = HgsCls + 2 NHG, C1 + 2 CO:. — Eder hat diese Rea- 
genz zur Konstruktion eines Photometers angewendet, und 
Gros?) fand, daß die Reaktionsgeschwindigkeit durch Zusatz 
verschiedener Fluoreszeinderivate erhöht wird. Diese Reaktion 
zeigte das eigentümliche Verhältnis, daß sie langsamer in 
Sauerstoff als in atmosphärischer Luft vor sich geht, und daß 
sie sowohl im Vakuum wie auch unter Kohlensäure und Wasser- 
stoff enorm beschleunigt wird. Das Ausfallen von Kalomel wird 
im Licht unter übrigens gleichen Bedingungen außerdem durch 
Hinzusetzung sensibilisierender Stoffe beschleunigt. Ein Teil der 
gegenüber Paramäcien wirksamen Substanzen erwies sich jedoch 
unwirksam gegenüber Quecksilberchlorid-Ammoniumoxalat. Daß 
nichtfluoreszierende Stoffe die Kalomelbildung nicht beeinflussen, 
geht auch aus den Untersuchungen von Jodlbauer und 
v. Tappeiner hervor. 

Jodlbauer und v. Tappeiner schließen ihre letztgenannte 
Abhandlung mit der Vermutung, daß eine — von der absor- 
bierten Lichtenergie hervorgerufene — lIonenbildung der Wir- 
kung der fluoreszierenden Stoffe zugrunde liegt. 

Die Anzahl der photobiologischen Prozesse, welche sich 
bisher für eine Sensibilisierung als zugänglich erwiesen haben, 
hat in dem letzten Jahr weiter zugenommen. Fleischmann‘) 


') Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Die Beteiligung des 
Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender Stoffe. Deutsch. Arch. f. 
klin. Medizin 82. 1905. 

N) Gros, O., Über die Lichtempfindlichkeit des Fluoreszeins, seiner 
substituierten Derivate sowie der Leukobasen derselben. Zeitschr. f. 
physikalische Chemie 87. 1901. 

5$ Fleischmann, Die bei Präzipitation beteiligten Substanzen in 
ihrem Verhalten gegenüber photodynamischen Stoffen. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 15. 1905. 


444 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


hat z. B. nachgewiesen, daß Präzipitine und präzipitable Sub- 
stanzen, welchen Lösungen photodynamischer Stoffe zugesetzt 
sind, ihre präzipitierenden resp. präzipitablen Eigenschaften bei 
Belichtung verlieren. 

Sacharoff und Sachs!) fanden, daß rote Blutkörperchen 
destruiert werden, wenn man sie in einer Eosinlösung Sonnen- 
licht aussetzt. Der Zeitpunkt für die vollbrachte Destruktion 
wird durch die eintretende Hämolyse gekennzeichnet. Pfeiffer?) 
hat gleichzeitig ähnliche Versuche ausgeführt und dasselbe positive 
Resultat erzielt. Er fand keinen Unterschied in der Eosin-Licht- 
wirkung, gleichviel ob er mit ungewaschenen, in physiologischer 
NaCl-Lösung aufgeschlemmten Erythrocyten arbeitete, oder 
Blut benutzte. Die Ursache hierzu ist darin zu suchen, daß 
das Blut mit 0,85 °/, NaCl stark verdünnt wurde, so daß die 
vorhandene Serummmenge im Verhältnis zur zugesetzten Eosin- 
menge sehr gering war. Wie es aus meinen Untersuchungen 
hervorgehen wird (siehe Seite 492), hat nämlich das Vorhanden- 
sein des Serums einen sehr bedeutenden, in vielen Fällen ent- 
scheidenden Einfluß auf den Verlauf der Reaktion. — In 
elektrischem Licht — mit erforderlicher Abkühlung des Prä- 
parates — konnte Pfeiffer nicht Hämolyse normaler Blutkörper- 
chen erzielen also ohne Eosinhinzusetzung?). 

Schließlich geht es aus einigen von Lichtwitz*t) gemachten 
Versuchen hervor, daß sowohl die Komplemente normalen, 
wie auch hämolytischen Serums destruiert werden, falls das 
betreffende Serum mit einer Eosinlösung vermischt und 8—16 
Stunden direktem Sonnenlicht ausgesetzt wird. Die Ambo- 
ceptoren des hämolytischen Serums werden dahingegen von 
der Belichtung nicht beeinflußt. Charakteristisch für diese 
Ursache ist die zur Erlangung der Inaktivierung erforderliche 


1) Sacharoff und Sachs, Über die hämolytische Wirkung der 
photodynamischen Stoffe. Münch. med. Wochenschr. Nr. 7. 1905. 

9) Pfeiffer, Über die Wirkung des Lichtes auf Eosin-Blutgemische. 
Wiener klin. Wochenschr. Nr. 9. 1905. 

Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normales Serum und 
rote Blutkörperchen. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 13. 1905. 

» Die Ursache dieses negativen Resultates ist der Anwendung nicht 
genügend starken Lichtes zuzuschreiben. 

*) Lichtwitz, Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normale 
und hämolytische Sera. Münch. med. Wochenschr. Nr. 36. 1904. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 445 


lange und intensive Belichtung, ein Verhältnis, das eigentüm- 
licherweise nicht Lichtwitz aufgefallen ist, das jedoch eine 
Erklärung in den nachfolgenden Untersuchungen finden wird. 
Es kann hinzugefügt werden, daß sowohl Jodlbauer’!) 
wie auch der Verf.*) mit negativem Resultat versucht haben, 
eine biologische Sensibilisierung gegenüber Röntgen- und Bec- 
querelstrahlen zu erlangen. Zu den Versuchen sind indessen nur 
einzelne der Farbstoffe angewendet, welche dem Licht gegen- 
über gute sensibilisierende Eigenschaften besaßen, und es ist 
a priori gar kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß sich 
auch gerade diese Stoffe gegenüber Strahlen einer ganz anderen 
Art als wirksam erweisen sollten, um so weniger, da die 
Lösungen der betreffenden Stoffe (z. B. Eosin) unter der Ein- 
wirkung der Röntgen- oder Radiumstrahlen nicht fluoreszieren?). 
Über die Ursache resp. über die Gesetze der ungleich 
starken Wirkungen von verschiedenen photobiologischen Sensi- 
bilisatoren weiß man auch jetzt äußerst wenig. v. Tappeiner‘) 
hat hervorgehoben, daß die sensibilisierende Fähigkeit in der 
Regel in derselben chemischen Gruppe bei den am schwächsten 
fluoreszierenden Stoffen am stärksten ist — und umgekehrt. Betreff 

= der Fluoreszeinreihe habe ich mit Jodlbauer°) zusammen nach- 


) Jodlbauer, A., Über die Wirkung photodynamischer (fluores- 
zierender) Substanzen auf Paramäcien und Enzyme bei Röntgen- und 
Radiumbestrahlung. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904. 

23) Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des 
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med- 
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904. 

% Ich führe hier an, daß ein amerikanischer Arzt, Dr. Morton 
(Recent Advances in Electrotherapeuticc. New York Medical Journal. 
April 1905) angibt, gute therapeutische Resultate bei Röntgenbehandlung 
tiefsitzenden Cancers erzielt zu haben, wenn die Patienten kleine Dosen 
Eosin per os erhielten. Die Mitteilung ist jedoch nicht von Daten be- 
gleitet, welche Zutrauen zu den günstigen Wirkungen der Behandlung 
erwecken können. 

*) Tappeiner, H. v., Über die Beziehung der photochemischen 
Wirkung der Stoffe der Fluoreszeinreihe zu ihrer Fluoreszenzhelligkeit 
und ihrer Lichtempfindlichkeit. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86, 
479. 1906. 

5) Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von 
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch. 
internat. de Pharmacodynamie et de Therapie. Vol. XV, S. 263—278. 1905. 


446 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


gewiesen, daß sowohl die sensibilisierende Fähigkeit der Stoffe, 
wie auch deren Toxizität mit der Anzahl der substituierten 
Wasserstoffatome zunimmt, indem sich gleichzeitig eine Steigerung 
in der Wirkung von Chlor — durch Brom — zu den Jodderi- 
vaten nachweisen läßt. 

In einigen vor kurzer Zeit erschienenen Arbeiten haben 
sich v. Tappeiner!) und Jodlbauer?) wiederum der Auf- 
fassung angeschlossen, daß zwischen der Wirkung der „photo- 
dynamischen“ Stoffe und der Wirkung der photographischen 
Sensibilisatoren kein prinzipieller Unterschied existiert. Sie 
bringen für das Invertin den Nachweis, daß dieses auch von 
ultraviolettfreiem Lichte geschädigt werden kann, in sicher be- 
stimmbarem Maße jedoch nur dann, wenn Sauerstoff zugegen 
ist?). Bei Hinzunahme der brechbareren Strahlen aber fanden 
sie weiter, daß eine bedeutende Schädigung auch dann eintritt, 
wenn sie die Anwesenheit durch sorgfältige und in verschiedener 
Weise variierte Anordnungen auszuschließen suchten‘). Eine 
Sensibilisierung in letzteren Fällen war nicht zu erreichen. Sie 
sehen sich daher zu der Annahme gedrängt, daß das Invertin 
sowohl bei Sauerstoffanwesenheit wie Abwesenheit photochemisch 
geschädigt werden könne, einer Sensibilisierung, wenigstens durch 
die bisher angewandten Substanzen, aber nur der erstere Fall 
zugänglich sei. 

Obgleich demnach nun augenscheinlich allgemeine Einigkeit 
darüber herrscht, daß das Prinzip für die Umsetzung der Licht- 
energie dasselbe ist, gleichviel ob von der Wirkung des Lichtes 
auf die sensibilisierte photographische Platte die Rede ist, oder 


1) Tappeiner, H. v., Bemerkungen zur Abhandlung von E. Mettler 
über die bakterizide Wirkung des Lichtes auf gefärbte Nährböden. Arch. 
f. Hygiene. 54. 1905. 

3) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung 
des Lichtes auf Enzyme in Sauerstoff- und Wasserstoffatmosphäre, ver- 
glichen mit der Wirkung der photodynamischen Stoffe. Deutsch. Arch. f. 
klin. Medizin 85, 386. 1905. 

5) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung des 
Lichtes auf Fermente (Invertin) bei Sauerstoffabwesenheit. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 14. 1906. 

t) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung des 
ultravioletten Lichtes auf Enzyme (Invertin.. Deutsch. Arch. f. klin. 
Medizin 87, 373. 1906. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 447 


ob es sich um die Wirkung gegenüber diesem oder jenem sensi- 
bilisierten biologischen Objekt handelt, wird es doch vielleicht 
aus rein praktischen Gründen gut sein, zwischen photographischen, 
photochemischen und photobiologischen Sensibilisatoren zu 
unterscheiden, eine Einteilung, welche natürlich nicht für die 
Stoffe als solche gilt, sondern nur auf die in jedem einzelnen 
Fall beabsichtigte Anwendung hindeutet. Es verdient doch 
hervorgehoben zu werden, daß man kaum auf die Dauer die 
Bezeichnung sensibilisierend oder nichtsensibilisierend für einen 
Stoff beibehalten kann; denn es kann kaum darüber Zweifel 
herrschen, daß die sensibilisierenden Eigenschaften eines Stoffes 
nicht allein von dessen Konstitution bestimmt werden, sondern 
daß in dieser Beziehung das Lösungsmittel, der Dissoziations- 
grad und andere, auf die optischen und physikalischen Eigen- 
tümlichkeiten des Stoffes influierende Verhältnisse ebenfalls mit- 
bestimmend sind. Experimentelle Untersuchungen auf diesem 
Gebiet werden von großem Interesse sein, und ich erachte es 
als wahrscheinlich, daß man durch derartige Untersuchungen 
auch ein Verständnis bezüglich der Frage erreichen kann, wes- 
halb ein Stoff, z. B. gegenüber der photographischen Platte vor- 
zügliche sensibilisierende Eigenschaften besitzen kann, während 
er gegenüber Mikroorganismen vielleicht unwirksam ist. Auch 
der noch hypothetische Parallelismus zwischen der Fähigkeit 
der Stoffe zu sensibilisieren und deren Fähigkeit zu fluoreszieren 
läßt sich vielleicht auf diese Weise experimentell untersuchen. 
Eine zweite naheliegende, bisher gar nicht untersuchte Frage 
ist die, ob man nicht in der Reihe der photobiologischen 
Phänomene Analogien zu der Wirkung der Stoffe zu finden ver- 
mag, welche in der photographischen Terminologie den Namen 
„chemische“ Sensibilisatoren erhalten haben. 


Wie es aus der kurzen Übersicht hervorgeht, die ich hier 
über die bisherigen Resultate der Sensibilisierungsuntersuchungen 
gegeben habe, ist der Stoff der vorliegenden Arbeit noch nicht 
zum Gegenstand direkter Untersuchungen gemacht. Indessen 
berühren eine Reihe Arbeiten dieses Thema indirekt, insofern 
die erreichten Resultate ihre Erklärung erst durch die hier 
vorliegenden Versuche erhalten. Ich denke an die Unter- 
suchungen über Totalsensibilisierung warmblütiger Tiere. 

Biochemische Zeitschrift Band I. 30 


448 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Raab!) konnte, wie schon früher erwähnt, bei Belichtung 
Eosin-injizierter weißer Mäuse Nekrosen der Ohren derselben 
hervorrufen. Es gelang ihm nicht, entsprechende Phänomene 
bei anderen Tieren zu erzielen, und die Nekrosen bei Mäusen 
ließen sich ebenfalls nicht bei Mäusen nach Injektion anderer 
sensibilisierender Lösungen hervorrufen. Raab betrachtete 
daher die erwähnten Ohrennekrosen als das Resultat einer Ver- 
brennung, infolge einer starken Absorption der Wärmestrahlen 
des Lichtes in dem gefärbten Gewebe. 

Neisser und Halberstaedter?) versuchten, ebenfalls mit 
negativem Resultat, eine Totalsensibilisiertung des Meer- 
schweinchens durch intravenöse oder subkutane Erythrosin- 
Injektionen hervorzurufen. 

Jodlbauer und ich?) wiederholten diese Untersuchungen. 
Wir konstatierten, daß sich die von Raab zuerst beobachteten 
Ohrennekrosen bei Mäusen hervorrufen ließen, selbst wenn jeg- 
liche Möglichkeit einer schädlichen Wärmewirkung des Lichtes 
ausgeschlossen war. Die belichteten Ohren haben überdies ein 
vollkommen normales Aussehen am ersten Tage nach der Be- 
lichtung, und erst am zweiten oder am häufigsten am dritten 
Tage tritt eine trockene Nekrose ein, welche zu einer Total- 
abstoßung des Ohres führt; diese spät eintretende Reaktion 
stimmt nicht mit der Hypothese über eine Wärmewirkung 
überein, aber sie hat ihre Analogie in der gewöhnlichen Licht- 
reaktion. Außer den Öhrennekrosen beobachteten wir Haar- 
ausfall auf Kopf und Rücken der Mäuse, häufig von Nekrosen 
der entsprechenden Hautpartien begleitet. 

Die erwähnten Veränderungen ließen sich ferner nicht nur 
nach subkutanen oder intraperitonealen Injektionen von Eosin-Na, 
sondern auch nach Injektion anderer Sensibilisatoren z. B. 
Erythrosin hervorrufen, und hiermit war die Möglichkeit aus- 
geschlossen, daß man den Erscheinungen einer spezifischen 
Bromwirkung gegenüber stand. 


% Raab, O., Weitere Untersuchungen über die Wirkung fluores- 
zierender Stoffe. Zeitschr. f. Biologie 44. 1902. 

») Neisser, A. und L. Halberstaedter, Mitteilungen über Licht- 
behandlung nach Dreyer. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 8. 1904. 

3) Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von 
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch. 
internat. de Pharmacodynamie et de Therapie. Vol. XV, 8. 263—278. 1905. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 449 


Wir vermochten auch bei Kaninchen nach intravenösen 
Eosin-Na-Injektionen durch Belichtung ausgedehnte Nekrosen der 
im voraus enthaarten Haut, sowie starke Ödeme besonders in 
den Ohren und Augenlidern der Tiere hervorzurufen. Zu den 
am häufigsten beobachteten Folgen der Belichtung gehörten auch 
Konjunktivitis und Tränenfluß. Schließlich beobachteten wir 
zu wiederholten Malen, daß die Belichtung Rose-Bengal-injizierter 
Tiere (Ratten, Kaninchen) einen vorübergehenden, jedoch sehr 
bedeutenden Exophthalmos hervorrief'). 

Es war in allen Versuchen notwendig, große Dosen der 
betreffenden Sensibilisatoren anzuwenden, um die erwähnten 
Resultate zu erzielen — und es zeigte sich ferner, daß die 
Hautnekrosen am leichtesten an derartigen Stellen auftraten, 
wo die Haut, z. B. durch den Enthaarungsprozeß leicht be- 
schädigt worden war. Auf derartigen Partien tritt nämlich 
eine wirkliche Gewebsfärbung ein — ebenso wie bei lokalen 


1) Im Anschluß an obenstehende Beschreibung des Symptomkomplexes, 
welchen die Belichtung der total-sensibilisierten Tiere hervorrief, führe ich 
einen Versuch an, den ich auf dem Laboratorium des Lichtinstitutes in 
Kopenhagen ausgeführt habe. 

Einem weißen Kaninchen wurden 0,25 g Eosin-Na pro Kilo Körper- 
gewicht intravenös injiziert. Drei Stunden nach Schluß der Injektion wurde 
ein barbierter Fleck auf Femur 1 Stunde lang mit konzentriertem Licht 
einer elektrischen Bogenlampe von 50 Amp. und 45 Volt belichtet. Das 
Licht wurde durch eine 4°/, monochromsaure Kaliumlösung_ filtriert. 
Während der Belichtung wurde der Fleck mit kaltem Wasser überrieselt. 
Der Fleck erwies sich beim Schluß der Belichtung als gelbgefärbt im 
(regensatz zu der umgebenden roten, Eosin-gefärbten Haut. In den ersten 
Tagen nach der Belichtung ließ sich eine Lichtreaktion im Flecken weder 
sehen noch fühlen; jedoch bildete sich später auf demselben ein trockener 
Schorf, der, da er nach einer Woche abgestoßen wurde, einen Fleck mit 
natürlicher Haut ohne Haarbekleidung hinterließ. Auf der umgebenden 
— gleichzeitig barbierten — Haut hatten die Haare schon begonnen zu 
wachsen. In den folgenden 3 Wochen wuchs das Haar dahingegen 
bedeutend schneller auf dem belichteten Fleck, als auf der umgebenden 
Haut, so daß der Fleck nach Verlauf dieser Zeit mit 2cm langem Haar 
bedeckt war, während die Haare der umgebenden Partie nur eine Länge 
von ca. 0,5 cm hatten. 

Der Grund zu dem starken Haarwachstum ist in einer durch die 
Belichtung hervorgerufenen langdauernden Hyperämie zu suchen, und die 
von den langwelligen Strahlen hervorgerufene Reaktion in dem sensi- 
bilisierten Gewebe verhält sich also hier ähnlich wie die gewöhnliche 
Licht- Reaktion. 

30 * 


450 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Farbstoffinjektionen — während die übrige Totalfärbung der 
Haut nur anscheinend ist, indem sie der vorübergehenden 
Färbung von Blut und Lymphe des Tieres zuzuschreiben ist. 

In der erwähnten Abhandlung heben wir ferner ein der 
medizinischen Fachliteratur entlehntes interessantes Beispiel 
der Möglichkeit hervor, auch Menschen gegenüber Licht in 
toto zu sensibilisieren. Prieme') erwähnt nämlich 26 Epilepsie- 
fälle, die er versuchsweise mit Eosin-Na behandelte, das be- 
kanntlich eine große Menge Brom enthält (47 °/o). Die Anfangs- 
dosis betrug 0,25 g pro die, jedoch wurde sie vergrößert, so 
daß in der neunten Woche 3,5 g Eosin täglich per os verabfolgt 
wurden. Prieme vermochte keinen günstigen Einfluß dieser 
Kur auf den Verlauf der Krankheit zu beobachten; er beschreibt 
dahingegen eine Reihe eigentümlicher Vergiftungssymptome, 
welche regelmäßig eintraten, wenn die Dosierung 2,5 bis 3g 
täglich erreicht hatte. Die Symptome waren ausschließlich 
lokal: Es stellte sich eine, von Ödemen begleitete leichte 
Eosinfärbung der Gesichtshaut und der Hände ein; hieran 
schlossen sich recht ausgebreitete, jedoch oberflächliche Ulce- 
rationen auf denselben Körperteilen, sowie Abfall der Nägel, 
am häufigsten auf den Daumen. Die erwähnten Veränderungen 
traten nur an den unbedeckt gewesenen Körperteilen auf, und 
Prieme schließt hieraus, daß sie mit dem freien Zutritt der 
Luft zu diesen Partien in Verbindung stehen müssen. Es kann 
indessen kein Zweifel darüber herrschen, daß hier das Licht 
und nicht die Luft der entscheidende Faktor gewesen ist; schon 
die Details in Priemes sorgfältiger Beschreibung wirken über- 
zeugend, um so mehr, da er sich diese Möglichkeit nicht selbst 
gedacht hat. 

Das sogenannte Buchweizenexanthem, das oft bei Tieren 
zu beobachten ist, welche mit Buchweizen gefüttert werden, ist 
auch als ein Lichterythem bei den durch dieses Füttern total- 
sensibilisierten Tieren aufzufassen ^). 

Die zahlreichen Untersuchungen der späteren Jahre über 
die mikrobiziden Wirkungen des Lichtes, welche mit Downes 


— 


1) Prieme, J., Des accidents toxiques produits par l’eosinate de 
sodium. These. Paris, 1900. 

2) PBusck, G., Über die Pathogenese des Buchweizenexanthems. Mit- 
teilungen aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft IX. 1904. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 451 


and Blunts grundliegenden Versuchen im Jahre 1877 eingeleitet 
wurden, haben u. a. gezeigt, daß Bakterien und andere Mikro- 
organismen im allgemeinen weniger widerstandsfähig, als tierische 
Gewebezellen, gegenüber der Einwirkung des Lichtes sind. 
Schon hiermit ist die Bedingung für die Möglichkeit gegeben, 
mit intensivem Licht im Gewebe des Körpers eingelagerte 
Bakterien zu töten, ohne gleichzeitig dieses Gewebe zu destruieren, 
und in dieser Richtung angestellte experimentelle Versuche er- 
gaben auch positiven Ausschlag!). Die Versuche gelingen jedoch 
nur, wenn die Bakterien sehr oberflächlich liegen, indem die 
geringe Penetrationsfähigkeit der bakteriziden Strahlen eine 
direkte Beeinflussung der tiefer im Gewebe liegenden Bakterien 
verhindert. Dieses prinzipielle Hindernis zur Erreichung einer 
Tiefewirkung fiel indessen fort, da es sich zeigte, daß sich Mikro- 
organismen gegenüber verhältnismäßig langwelligen Strahlen 
sensibilisieren ließen, denn die Penetrationsfähigkeit der Licht- 
strahlen gegenüber blutgefüllten tierischen Geweben nimmt im 
großen und ganzen mit der Wellenlänge zu, wie ich es in einer 
früheren Arbeit?) nachgewiesen habe. Es war daher bei der 
kombinierten Anwendung langwelliger Strahlen und sensibili- 
sierender Stoffe denkbar, daß eine bedeutende mikrobizide Tiefe- 
wirkung zu erreichen war. Ein derartiges Räsonnement hat 
daher auch sowohl v. Tappeiner°) wie mich‘) dazu veranlaßt, 
hypothetisch die Möglichkeit aufzustellen, auf diesem Wege zu 
einer wirksamen phototherapeutischen Behandlung blutparasitärer 
Krankheiten zu gelangen, und wir haben diese Möglichkeit 
später in Gemeinschaft zum Gegenstand einer Reihe experi- 


1) Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des 
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med. 
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904. 

?) Busck, G., Über die relative Penetrationsfähigkeit der ver- 
schiedenen Spektralstrahlen gegenüber tierischem Gewebe. Mitteilungen aus 
Finsens med. Lichtinstitut, Heft IV. 1903. Vergl. auch Jodlbauer und 
Tappeiner, Über die Wirkung fluoresz. Stoffe auf Toxine, Abschn. VIII. 
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 88. 

3») Tappeiner, H. v., Über die Wirkung der photodynamischen 
(fluoreszierenden) Substanzen. Verhandl. d. XXI. Kongr. f. innere Medizin 
zu Leipzig. 1904. 

“) Busck, G., Om Dagslysets Indflydelse paa Forløbet af Malaria — 
med særlig Henblik paa Kininbehandlingen. Hospitalstidende Nr. 16. 
1904. (The American Journal of Medical Sciences. July 1904.) ° 


452 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


menteller Versuche gemacht!). Weiße Kaninchen, Ratten und 
Mäuse, welche mit Trypanosoma Brucei infiziert waren, wurden 
mit Calciumsulfhydrat enthaart und nach maximalen intra- 
venösen oder subkutanen Eosin- oder Erythrosin-Injektionen der 
Einwirkung des Sonnenlichtes ausgesetzt. Eine Heilung der 
injizierten Tiere gelang indessen nur, wenn die Behandlung 
unmittelbar nach der Impfung eingeleitet wurde, und es ist 
anzunehmen, daß die Trypanosomen in diesen Versuchen getötet 
wurden, bevor sie in die Blutbahnen der Tiere gelangen, — 
also im subkutanen Gewebe liegend. Leiteten wir die Behand- 
lung erst einen Tag nach der Injektion ein, so erzielten wir 
kein günstiges Resultat. Der Grund hierzu ist erstens darin zu 
suchen, daß die Tiere so stark unter der Behandlung leiden, 
daß sie sich nicht mit erforderlicher Energie durchführen läßt. 
(Unter den schädlichen Potenzen der Behandlung sind besonders 
hervorzuheben: 

a) die Enthaarung der Tiere, welche Störungen in ihrer 

Wärmeregulation zur Folge hat; 
b) die toxische Wirkung der injizierten Sensibilisatoren; 
c) die primären und sekundären schädlichen Wirkungen 
des Lichtes auf den total-sensibilisierten Organismus). 

Zweitens legt der injizierte Farbstoff Hindernisse für die Tiefe- 
wirkung des Lichtes in den Weg, indem er die Absorptions- 
verhältnisse des Gewebes gerade gegenüber den im betreffenden 
Fall wirksamen Strahlen verändert. Schließlich erwies sich die 
Anwendung von Dosen erforderlich, welche nahe an die schon im 
Dunkel toxischen heranreichten, um überhaupt dem Blut der 
Tiere die notwendigen sensibilisierenden Eigenschaften mitzu- 
teilen. Es machte sich eine eigentümliche Abweichung zwischen 
den spezifischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe in ihren 
wässerigen Lösungen und der Wirkung derselben Stoffe nach 
ihrer Injektion in den Blutbahnen bemerkbar, eine Abweichung, 
welche übrigens schon durch die von Neißer und Halber- 
städter in ihren früher erwähnten Versuchen über Total-Sensi- 
bilisierung warmblütiger Tiere erhaltenen, negativen Resultate 
angedeutet war. Die vorliegende Arbeit verfolgt u.a. den Zweck, 
die Ursache dieser Verhältnisse zu erklären. 


) Busck, G. und H. v. Tappeiner, Uber Lichtbehandlung blut- 
parasitärer Krankheiten. Deutsch. Archiv für klin. Medizin 87. 1906. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 453 


11. 
Versuchsanordnung, sowie Untersuchungen über die Einwirkung 
der photobiologischen Sensibilisatoren auf das Blut. 


Ich schicke einige Bemerkungen über die Versuchsanordnung 
voraus, die ich bei den Versuchen über den Einfluß des Serums 
auf die spezifischen Wirkungen der photobiologischen Sensibili- 
satoren gegenüber Paramäcien zur Anwendung gebracht habe, 
da die Kenntnis verschiedener Verhältnisse, die ich dabei 
zu besprechen Gelegenheit finde, zum Verständnis späterer Ver- 
suche notwendig ist. 

Unter der bedeutenden Menge von Stoffen, welche sensi- 
bilisierende Eigenschaften gegenüber biologischen Reagenzien 
besitzen, habe ich Typen verschiedener chemischer Gruppen zu 
meinen Arbeiten ausgewählt. Aus diesen Gruppen suchte 
ich ferner derartige Stoffe aus, welche wegen ihrer besonders 
stark ausgeprägten sensibilisierenden Fähigkeit, ihrer eigentüm- 
lichen optischen Verhältnisse oder ihrer günstigen Löslichkeits- 
verhältnisse von vorneherein als für die Versuche besonders 
geeignet erschienen. Diese Versuche wurden in der Regel mit 
Kaninchenserum angestellt, indem mit im ganzen 9 verschiedenen 
Seris vergleichende Untersuchungen angestellt wurden. 

Bei Untersuchungen dieser Art, wo das Resultat jedes ein- 
zelnen Versuches in erster Linie von den 2 Faktoren: Sensibili- 
sator und Licht bestimmt wird, und wo das Interesse an die 
Veränderungen im Resultat geknüpft ist, welche durch eine 
Änderung des ersten Faktors hervorgerufen sind, wird es zweifel- 
los vorteilhaft sein, den zweiten Faktor, das Licht, während 
aller Versuche konstant sein zu lassen, d. h. beständig mit 
qualitativ und quantitativ gleichartigem Licht zu arbeiten. 

Künstliches Licht von genügender Intensität und Konstanz 
stand indessen nicht zu meiner Verfügung, und ich war daher 
gezwungen mit diffusem Tageslicht zu arbeiten. Dies hatte 
erstens den Nachteil, daß vergleichende Versuche immer gleich- 
zeitig ausgeführt werden mußten, was eine Anzahl zeitraubender 
Wiederholungen erforderte; außerdem darf man nur mit einem 
gewissen Vorbehalt die Resultate von gleichzeitig angefangenen 
Versuchen vergleichen; werden nämlich die Belichtungen nicht 
auch gleichzeitig abgebrochen, so wird das Verhältnis zwischen 


454 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


den Belichtungszeiten — wegen der ununterbrochenen wech- 
selnden Intensität und Qualität des Tageslichtes — nur an- 
nähernd ein Ausdruck für das Verhältnis zwischen den den 
verschiedenen Präparaten zugeführten Lichtmengen sein'). 

Die Belichtungsversuche wurden indessen in der Regel in 
der Zeit zwischen 10 und 2 Uhr angestellt, also in den Stunden, 
während welchen die Veränderung der Stärke und Zusammen- 
setzung des Tageslichtes mit der größten Langsamkeit vor sich 
geht. Es ist übrigens hervorzuheben, daß die hier er- 
wähnten Verhältnisse absolut keine Bedeutung für die 
aus meinen Versuchen gezogenen Schlußfolgerungen 
haben. 

Als Reagens bei den Sensibilisierungsuntersuchungen habe 
ich gewöhnlich Paramaecium caudatum-Kulturen benutzt; häufig 
sind jedoch auch Reinkulturen von Trypanosoma Brucei zur 
Anwendung gelangt, und vergleichende Versuchsreihen sind mit 
Flimmerzellen der Frösche, mit roten Blutkörperchen, mit 
Fermenten, Toxinen und Alexinen ausgeführt. 

Die Paramäcienversuche wurden folgendermaßen geordnet: 
Erst wurden Mischungen von Serum mit der sensibilisierenden 
Lösung verfertig. Danach wurde in stark gedämpfter Be- 
leuchtung eine abgemessene Menge dieser Mischung in eine 








!) Der Nutzen der Anwendung photometrischer Messungen bei Ver- 
suchen dieser Art ist ziemlich illusorisch, da kein bisher konstruiertes 
Photometer die Verschiebungen in der qualitativen Zusammensetzung des 
Lichtes angibt. Um möglicherweise diese Schwierigkeit zu überwinden 
machte ich u.a. eine Reihe Versuche mit dem Ederschen Photonieter 
(siehe Seite 443), indem ich der Ederschen Flüssigkeit eine bestimmte 
Menge der sensibilisierenden Lösung zusetzte, mit welcher der betreffende 
biologische Versuch ausgeführt werden sollte. Die Reaktion erwies sich 
auch als geeignet für eine Sensibilisierung mit einem großen Teil der 
photobiologischen Sensibilisatoren, und da die Belichtung durch Glas 
vorgenommen wurde, wodurch die sonst besonders wirksamen ultravioletten 
Strahlen ferngehalten wurden, hatte ich mir gedacht auf diesem Wege 
eine genauere Schätzung der Intensität der bestimmten Spektralstrahlen, 
welche für den betreffenden Versuch Bedeutung hatten, erzielen zu können. 
v. Tappeiners und Jodlbauers gleichzeitiger Nachweis der Bedeutung 
der Sauerstoffspannung für die Reaktionsgeschwindigkeit in der Ederschen 
Flüssigkeit, veranlaßte mich indessen — bei diesen Untersuchungen — 
die photometrischen Bestimmungen als allzu ungenau und allzu zeitraubend 
aufzugeben. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 455 


abgemessene Menge Paramäcien-Kultur überführt und nach 
dem Schütteln brachte ich Tropfen dieses Präparates unter 
dem Deckglas in Böttgerschen feuchten Kammern an. In 
Versuchen mit starken Farbstofflösungen ist die Größe der 
Tropfen von großer Bedeutung, und es wurde daher Gewicht 
darauf gelegt, sie so gleichmäßig groß wie möglich zu machen; 
jeder dieser Tropfen enthielt in der Regel acht bis zehn Paramäcien. 
Aus jeder Mischung wurden beständig wenigstens acht Deckglas- 
präparate hergestellt, von denen ich drei der Einwirkung des 
Tageslichtes aussetzte, während das vierte als Kontrolle im Dunkeln 
angebracht wurde. Zur weiteren Kontrolle stellte ich außerdem 
beständig neben den übrigen Licht-Präparaten ein Präparat mit 
normaler Paramäcien-Kultur ohne jeglichen Zusatz. Es passiert 
nämlich im Sommer nicht selten, daß selbst diffuses Tageslicht, 
vielleicht in Verbindung mit einer hohen Lufttemperatur, auf 
nicht sensibilisierte Paramäcien tötend wirkt. Aus demselben 
Grund wurden die Präparate gewöhnlich in einem Fenster gegen 
Osten angebracht. Zum Vergleich mit den Serumpräparaten 
wurden gleichzeitig eine ähnliche Reihe Präparate exponiert, 
in welchen das Serum durch ein gleiches Volumen Wasser er- 
setzt war. Die angegebenen Tötungszeiten bezeichnen die Zeit 
von dem Augenblick, wo die Präparate dem Licht ausgesetzt 
wurden, bis zu dem Augenblick, wo sämtliche Paramäcien in 
der betreffenden Präparat-Serie tot (d. h. im Auflösungszustand) 
vorgefunden wurden. 


Paramäcien eignen sich vorzüglich zu Versuchen dieser 
Art, und sie sind daher auch häufig von früheren Unter- 
suchern bei Sensibilisierungsversuchen benutzt worden. Es 
wird indessen notwendig in dem Augenblick besondere Maß- 
regeln zu ergreifen, wo die Versuche mit serumbeigemischten 
Flüssigkeiten angestellt werden. Erstens das Serum zu ver- 
dünnen, da die Paramäcien widrigenfalls infolge der Salz- 
wirkung zugrunde gehen, der gegenüber sie äußerst empfind- 
lich sind. Goldberger!) bezeichnet eine 0,3 %/, Na-Cl- 
Lösung als unschädlich für Paramaecium caudatum, und ich 
machte es mir zur Regel die Mischungen von Serum, Farb- 


1) Goldberger, H., Die Wirkung von anorganischen Substanzen 
auf Protisten. Zeitschr. f. Biologie 48. 1902. 


456 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


stofflösung und Kulturflüssigkeit derart herzustellen, daß das 
Serum im Verhältnis 1:4 verdünnt wurde. Es hat sich indessen 
gezeigt, daß Serum selbst in diesen oder in noch größeren Ver- 
dünnungen gegenüber Paramäcien giftige Eigenschaften besitzt. 
Dieses Verhalten wurde zuerst von Raab (a. a. O.) beob- 
achtet. Ledoux-Lebard!) untersuchte das Verhältnis ein- 
gehender. Werden Paramäcien in verdünntes Serum gebracht, 
so hören deren Stellenbewegungen nach einigen Minuten auf 
(Immobilisierung); Formveränderung tritt vorläufig nicht ein, 
und Kornströmungen, sowie ebenfalls ein leichtes Flimmern 
lassen sich noch mehrere Stunden lang wahrnehmen. Nach 
einiger Zeit tritt in der Regel eine Agglutination ein, indem 
die Paramäcien häufig zwei und zwei mit den hintersten Polen 
gegeneinander stoßend vereint werden. Hebt man nun zu diesem 
Zeitpunkt die Giftwirkung durch z. B. starke Verdünnung mit 
Wasser auf, so läßt sich beobachten, wie die Paramäcien ihre 
aktiven Bewegungen allmählich wieder aufnehmen, und wie es 
den agglutinierten Tieren durch plötzliche schnelle Bewegungen 
gelingen kann, sich voneinander frei zu machen. Wird die 
Giftwirkung dahingegen nicht aufgehoben, so sterben die Para- 
mäcien nach kürzerer oder längerer Zeit; die Zeit ist teils von 
dem Verdünnungsgrad des Serums, teils von der Art des Serums 
abhängig. Ochsenserum ist besonders stark giftig, Menschen- 
serum z. B. in verhältnismäßig geringem Grad giftig. Ledoux- 
Lebard fand, daß der hier besprochene Giftstoff (das Serum- 
Alexin) bei 30 Minuten langer Erwärmung des betreffenden 
Serums auf 55° destruiert wird. Ich fand jedoch eine 
derartige Erwärmung betreffs einzelner Seren (z. B. Ochsenserum) 
unzureichend, und ich benutzte daher zu den Paramäcien- 
versuchen Serum, das 45 Minuten auf 56° erwärmt gewesen 
war?). Bei Versuchen mit Trypanosomen war mir der Nachweis 
eines Unterschieds zwischen der Wirkung derart behandelten 
Serums und der Wirkung normalen Serums gegenüber den 
sensibilisierenden Lösungen nicht möglich. 


1) Ledoux-Lebard, Action du Serum Sanguine sur les Parameries. 
Ann. de l'Institut Pasteur 16, 510. 1902. 

» Das derart behandelte Serum wird im folgenden als O-Serum im 
Gegensatz zu dem normalen N-Serum bezeichnet. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 457 


Rößle!) hat in einer vor kurzem erschienenen Arbeit, ohne 
die früheren Untersuchungen auf diesem Gebiete zu kennen, 
eine detaillierte Beschreibung der oben erwähnten Alexinwirkung 
des Serums gegenüber Paramäcien gegeben. Die Beschreibung 
deckt sich in allem wesentlich mit dem oben Ausgeführten; 
R’ößle hebt nur bezüglich der Agglutination hervor, daß diese 
nicht unter den Paramäcien gegenseitig, sondern zwischen den 
Paramäcien und zufälligen Verunreinigungen, Bakterienhaufen 
und ähnlichem, vor sich geht. Der Grund hierzu ist vielleicht 
darin zu suchen, daß Rößle gewöhnlich mit stark verdünnten 
Seren arbeitete; allenfalls habe ich in Verdünnungen 1 Teil 
Serum: 3 Teilen Wasser häufig Agglutination zwischen Paramäcien 
untereinander beobachtet. Von größerem Interesse ist für die 
vorliegende Arbeit folgende Beobachtung. Rößle fand, daß 
die Vitalfärbung der spezifisch gelähmten Paramäcien mit 
dünnen Neutralrot-Lösungen bedeutend langsamer vor sich ging, 
als die Vitalfärbung normaler Paramäcien, und daß die ersten 
in Übereinstimmung hiermit auch bedeutend widerstandsfähiger 
gegenüber konzentrierten Neutralrot-Lösungen als die letzten 
waren. Rößle ist nicht imstande, eine Erklärung dieses 
merkwürdigen Verhältnisses zu geben. Es klingt von vorne- 
herein ganz unwahrscheinlich, daß gelähmte, schon moribunde 
Paramäcien weniger empfänglich als die normalen gesunden 
Paramäcien für eine Vitalfärbung oder für die Einwirkung 
eines neuen Giftes sein sollten, und dies ist in Wirklichkeit 
auch nicht der Fall. Das von Rößle beobachtete Phänomen 
ist ausschließlich darauf begründet, daß das vorhandene Serum 
die Diffusionsgeschwindigkeit des Neutralrot herabsetzt, ein 
Verhältnis, welches später (Absch. 7) näher besprochen werden soll. 

Ich teile im Anschluß an das Obenstehende einige Unter- 
suchungen über die Wirkung des Lichtes auf die erwähnten 
Alexine mit — Untersuchungen, welche für einige der späteren 
Versuchsreihen Bedeutung haben. Es erschien mir schon 
a priori wahrscheinlich, daß ein so thermolabiler Stoff auch 
destruiert werden mußte, wenn er der Einwirkung strahlender 
Energie ausgesetzt wurde, und meine Versuche bekräftigen auch 
diese Annahme. 


1) Rößle, R., Spezifische Sera gegen Infusorien. Archiv für 
Hygiene 54. 1905. 


458 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuch 1. 


N-Kaninchenserum wird in zwei Schmidt-Nielsenschen 
Kammern!) angebracht, von denen die eine Glas-, die andere 
Quarzwände hat. Die Dicke der Serumschicht beträgt 4 mm. 
Die zwei Präparate werden unter möglichst gleichartigen Verhält- 
nissen dem ad. mod. Finsen konzentrierten Licht einer elektrischen 
Kohlenbogenlampe von 35 Amp. und 45 Volt ausgesetzt, und 
sie werden beide während der Belichtung mit kaltem Wasser 
überrieselt, wodurch die Wärmewirkung des Lichtes neutralisiert 
wird. Die Belichtungszeit beträgt 30 Min. 


Danach wird die Giftigkeit der zwei belichteten Seren, sowie 
die eines unbelichteten Kontrollserums gegenüber Paramäcien 
geprüft. 


Durch Glas belichtetes Serum — 1 Teil Param. nach 15 Min. 
Leitungswasser — 1 Teil immobilisiert; Param. 
Paramäcienkultur — 2 Teile } f 4 Stunden. 


Durch QuarzbelichtetesSerum — 1 Teil Param. leben 24 Std. 


Leitungswasser — 1 Teil beständig mit nor- 
Par. Kultur — 2 Teile j} malen Bewegungen. 
Nicht belichtetes Serum — 1 Teil. | Param. nach 15 Min. 
Leitungswasser — 1 Teil immobilisiert; Param. 
Par. Kultur — 2 Teile } t 4 Stunden. 


Der Versuch zeigt, daß das Licht imstande ist, 
den für Paramäcien giftigen Stoff im Serum zu de- 
struieren, sowie daß die Wirkung den ultra-violetten 
Strahlen zuzuschreiben ist, welche Quarz passieren, 
jedoch von Glas absorbiert werden. In einem anderen 
Versuch konnte ich selbst nach einer 45 Min. langen Belichtung 
mit konzentriertem Licht einer 50 Amp. und 45 Volt-Lampe 
keine deutliche Wirkung der Glas passierenden Strahlen nach- 
weisen. Das Alexin erwies sich indessen als geeignet 
für eine Sensibilisierung gegenüber diesen langwelligen 
Strahlen, wie es aus folgenden Versuchen hervorgeht. 


1) Eine Beschreibung derselben ist in „Mitteilungen aus Finsens 
med. Lichtinstitut“ Heft IX zu finden. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 459 


Versuch 2. 


Untenstehende Mischungen wurden im Dunkelzimmer her- 


gestellt: 
N-Kaninchenserum — 1 Teil 


Eosinlösung (1 —- 800) — 1 Teil 


b | N-Kaninchenserum — 1 Teil 
“1 Methylenblaulösung (1 — 65000) — 1 Teil 


i N-Kaninchenserum — 1 Teil 
` | Dichloranthracendisulfosaures Na (1 — 500) — 1 Teil 


N-Kaninchenserum — 1 Teil 


Kontrolle 
| Leitungswasser — 1 Teil. 


Von jeder dieser Mischungen wurde ein Teil ins Dunkel 
gestellt, während ein zweiter Teil in Schmidt-Nielsenschen 
Kammern mit Glaswänden gebracht wurde, um danach 
der Einwirkung des Tageslichts ausgesetzt zu werden. Die Dicke 
der Flüssigkeitsschicht betrug 7 mm, die Expositionszeit 4 Stunden. 
Der Versuch wurde am kürzesten Tage des Jahres ausgeführt 
und zur Sicherung einer genügenden Belichtung setzte ich die 
Präparate in einer der 4 Stunden direktem Sonnenlicht ‘aus. Die 
Belichtung wurde bei Frostwetter am offenem Fenster vor- 
genommen, was eine künstliche Abkühlung der Präparate un- 
nötig machte, indem die Temperatur im Methylenblau-Präparat, 
wo die Wärmesteigerung natürlich am größten war, 23° nicht 
überschritt. 

Darauf bereitete ich im Dunkelzimmer sowohl Präparate 
aus den belichteten wie auch aus den unbelichteten Mischungen, 
indem ich jeder derselben gleich große Mengen einer und 
derselben Paramäcienkultur zusetzte. Die Präparate wurden 
gegen Licht geschützt. 


a. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std. 
Par. Kultur — 1 Teil | mit normalen Bewegungen. 
a. unbelichtet — 1Teil | Par. (im Dunkel) nach 30Min. im- 


Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; leb. 7 Std. t 18 Std. 
b. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std. 
Par. Kultur — 1 Teil | mit normalen Bewegungen. 


b. unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 40Min. im- 
Par. Kultur — 1 Teil j} mobilisiert; leb. 7 Std. t 18 Std. 


| 460 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


c. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std. mit 
Par. Kultur — 1 Teil | normalen Bewegungen. 

c. unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 30 Min. im- 
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; leb. 7 Std. F 18 Std. 


Kontrolle belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 20 Min. im- 
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; f 4 Std. 

Kontrolle unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 20 Min. im- 
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; f 4 Stunden. 

Ich muß hinsichtlich der in obenstehenden sowohl wie in 
den späteren Versuchen angeführten Zeiten folgendes bemerken: 
Die Bezeichnung ‚Par. leb. 24 Std.“ bedeutet, daß sämtliche 
Paramäcien der zusammengehörenden Präparate lebend und 
anscheinend unbeschädigt 24 Stunden nach Beginn der Versuche 
befunden wurden. Betreff der belichteten Präparate gilt, daß 
die Exposition meist gegen 10 Uhr vormittags begann; waren 
die Paramäcien bis um 7 Uhr abends nicht tot, wurde die 
Belichtung am nächsten Morgen bis um 10 Uhr fortgesetzt, 
und wurden sie alsdann unbeschädigt befunden, so wurden sie 
als „24 Stunden leb.“ bezeichnet. Ich erachtete eine weitere 
Belichtung als überflüssig, da mich zahlreiche Versuche über- 
zeugt hatten, daß sich -eine weitere schädliche Wirkung des 
Lichtes auf Paramäcien so gut wie immer innerhalb der ersten 
24 Stunden zu erkennen geben wird. 

Bezüglich Paramäcien, die am Abend lebten, dahingegen 
am folgenden Morgen tot waren, habe ich die Bezeichnung 
„Par. T 24 Stunden“ gebraucht; dies bedeutet also, daß die 
Tötungszeit zwischen 9 und 24 Stunden liegt. 

Vergleicht man die Resultate des oben beschriebenen 
Versuchs 2, so wird eine anscheinende Abweichung auffallend 
sein, indem auch die Gittigkeit der unbelichteten Seren recht 
variierenden Ausschlag gibt. Die Immobilisierung der Paramäcien 
tritt bald nach 20, bald nach 30 und bald nach 40 Min. ein; 
die Tötungszeiten varieren ebenfalls von 4 Stunden zuzeiten 
zwischen 7 und 18 Stunden. Die Ursache muß, da alle anderen 
Verhältnisse gleich waren, im Zusatz der sensibilisierenden 
Lösungen gesucht werden, welche also selbst im Dunkel einen 
hemmenden Einfluß auf die Alexinwirkung des Serums haben 
müssen. Ich machte folgende Versuche zur eingehenderen Unter- 
suchung dieses Verhältnisses. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 461 


Versuch 3. 


Verschieden starke dichloranthracendisulfosaure 
Natronlösungen (M. = 451)') werden mit gleichen Teilen 
normalen Kaninchenserums vermischt. Zu diesen Mischungen 
setzte ich gleiche Teile einer Paramäcien-Kultur, und in ge- 
dämpfter Belichtung verfertigte ich hieraus so schnell wie mög- 
lich Präparate (hängende Tropfen in feuchten Kammern), die 
in diffuses Tageslicht resp. ins Dunkel gebracht wurden. In 
den Kontrollpräparaten wird die dichloranthracendisulfosaure 
Natronlösung durch ein entsprechendes Volumen Paramäcien- 
Kultur ersetzt, so daß der Verdünnungsgrad in allen Präparaten 
gleichmäßig war. 

In der Tabelle werden folgende Bezeichnungen benutzt. 


O — Die Immobilisation eingetreten. 

& — Die eingetretene Immobilisation wieder aufgehoben. 
+ — Tod eingetreten. 

L. — Par. starben infolge der Lichtwirkung. 

A. — Par. starben infolge der Alexinwirkung. 


—A. — Die Alexinwirkung ganz ausgeblieben. 













= 
Q 
Dichloranthra- | . E PERRE CEE 
: au AS Paramäcien im Paramäcien im 
cendisulfo- Eee i 
Ss giS Licht Dunkel 
saures Na d ^ A 
Z, 








Un Mol.—1 
Yo N0.—1| 1 
Yo Mol — 1 








(--A.) Leb. 24 Tim. 
(—-A.) Leb. 24 Tim. 


O 40 Min. — @ 6 Stunden 
— Hälfte + 24 Stunden (A.) 


O 30 Min. + 24 Stunden (A.) 


(—A.) t 50 Min. (L.) 
(—A.) 1 Stunde (L.) 
(—-A.) F 2 Stunden (L.) 


yN 


Yo Mol.—1| 1 | 2 |085 Min. — & 1'/ Stunde 
— Leb. 24 Stunden 


Yo Mol.— 1| 1 | 2 JO 30 Min. — & 2!/, StundenjO 30 Min. + 10Stunden(A.) 
— Leb. 24 Stunden 


Hoo Mol. —1f 1 | 2 | O20 Min. — # 4 Stunden |O 20 Min. t 9 Stunden (A.) 
— Leb. 24 Stunden 


Yoooo Mol. — 1] 1 | 2 | C20 Min. — $ 5 Stunden | O20 Min. F 9 Stunden (A.) 
— Leb. 24 Stunden 


Usoooo Mol. — 1] 1 | 2 1020 Min. + 7 Stunden (A.)| O 20 Min. + 7 Stunden (A.) 
Yooooo MOL. — 1] 1 | 2 [O20 Min. + 4 Stunden (A.)| O 20 Min. + 4 Stunden (A.) 
Kontrolle 1 3 |O20 Min. + 4 Stunden (A.)| O 20 Min. + 4 Stunden (A.) 
1) In der Regel habe ich zu meinen Versuchen grammolekulare 
Lösungen benutzt, und ich benutzte die Bezeichnung: !/,, Mol., "/,, Mol. usw. 
für Lösungen von "gs, '/so usw. Grammoleküle des betreffenden Stoffes in 
1 Liter Wasser. 


462 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Es geht mit größter Deutlichkeit aus vorstehender Ver- 
suchsreihe hervor, daß eine Hinzusetzung von dichloran- 
thracendisulfosaurem Natron zum Serum die Alexin- 
wirkung desselben gegenüber Paramäcien aufhebt resp. 
hemmt. Die Zahlen in den Rubriken rechts zeigen, daß die 
Stärke der dichloranthracendisulfosauren Natronlösung, welche 
im Dunkel imstande ist, vollständig die Alexinwirkung ihres 
gleichen Kubikinhalts Kaninchenserum aufzuheben, zwischen 
1/50 und Y/ıoo Mol. liegt, während sich ein hemmender Einfluß 
noch bei bis zu !/soono Mol. Lösungen nachweisen läßt. Betreff 
der belichteten Präparate werden die Verhältnisse komplizierter, 
indem die Tötungszeiten der Paramäcien von vier einander 
entgegenwirkenden Faktoren abhängig werden. Letztere sind: 


a) Das Alexin — in dessen Wirkung den Paramäcien gegen- 
über. 

b) Der Farbstoff — in dessen Wirkung dem Alexin gegenüber. 

c) Das Licht — in dessen Wirkung gegenüber dem sensibili- 
sierten Alexin. 

d) Das Licht — in dessen Wirkung gegenüber den sensibili- 


sierten Paramäcien. 

Ferner wäre es denkbar, daß die Toxizität der Farbstoff- 
lösungen gegenüber den Paramäcien eine Rolle spielen könnte, 
und dies ist auch in Versuchen mit mehr giftigen Sensibili- 
satoren der Fall; in obenstehendem Versuch ergibt sich für 
die Toxizität aber kein Ausschlag. Bei Vergleich mit den 
Dunkelpräparaten kann man aber leicht die Wirkungen der 
oben genannten Faktoren auseinander halten. In den Präpa- 
raten mit den konzentrierten Farbstofflösungen (Yss und sy 
Mol.) bleibt die Alexinwirkung infolge b) ganz aus. In der 
nun folgenden Lösung ("/ıoo Mol.) trägt c) zur Aufhebung der 
Alexinwirkung mit bei, indem diese betreffs der Dunkelpräparate 
einen deutlichen Ausschlag aufweist. Die Paramäcien werden 
noch in dieser Konzentration von d) getötet. In den stärkeren 
Verdünnungen wird dahingegen keine Wirkung von d) verspürt, 
wohingegen c) sich deutlich bis zu V/soooo Mol. Lösungen er- 
kennen läßt, wo das Resultat in Licht und Dunkel dasselbe ist 
und wo die geringe Hemmung der Alexinwirkung augenschein- 
lich auf b) zurückzuführen ist. Erst !/100000 Mol. dichloranthracen- 
disulfosaure Na-Lösungen erweisen sich sowohl im Licht wie 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 463 


auch im Dunkel ohne Einfluß auf die Alexinwirkung des 
Serums. 

Man wird in untenstehender Tabelle, in welcher ich die 
Resultate eines Versuches mit Rose Bengal zusammengestellt 
habe, ganz analoge Verhältnisse finden. Dieser Stoff ist gegen- 
über Paramäcien bedeutend giftiger als das dichloranthracen- 
disulfosaure Natron und die Toxizität gibt sich daher auch be- 
treff der konzentriertesten Lösungen zu erkennen, wo diese Ur- 
sache zum Tod der Paramäcien mit einem T. angedeutet ist. 








Versuch 4. 
Rose Bengal. (Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na.) 
M. = 1018. 
g |5 
Rose Bengal 2e z Paramäcien im Paramäcien im 
5 Ç © E Licht Dunkel 
Z |& 
Ya  Mo.—ılı)2| <A) 12Min (L.)|(—4.) +5Min (T) 
Yo Mo.—-ı|ı)|2]| A.) +6Min (L.) | (-A.) Hälftet24 Std. (T.) 
Yo  Mol.—1ļ]|1 |2| A) +20Min. (L.) | (—A.) Leb. 24 Stunden 
Yo  Mol.—1ļ| 1 |2| (A)  +t45Min. (L.) |030 Min. — & 4Stunden 
Hälfte t 24 Stunden (A.) 
Yoo Mol.—ı] ı|2| (A. t1 Stunden (L.) |O 20 Min. Größter Teil 
+ 24 Stunden (A.) 
Yon Mol.—ı|ı1[|2| (A) +5Stunden (L.) jO 15 Min. t 24 Stunden (A.) 
sooo Mol.—1|1| 2 | (—A.)Hälfter24Tim. (L.) |O 15 Min. t 24Stunden (A.) 
Yooo Mol.—1ı1| 1 |2| (A. Leb.24Stunden [015 Min. t 24Stunden (A.) 
Ysoooo Mol. — 1] 1 |2 |O035Min. — & 2Stunden |O 15 Min. t 24Stunden (A.) 


— Leb. 24 Stunden 


O 25 Min. — &3Stunden [O 15 Min. + 24Stunden (A.) 
— Leb. 24 Stunden 


"/sooooo Mol. — 1| 1 | 2 |O 15Min. — &5Stunden |O 15 Min. t 7 Stunden (A.) 
— Leb. 24 Stunden 


"/ioooooo Mol. — 1| 1 | 2 {O 15 Min. — & 10 Stunden |O 15 Min. + 5 Stunden (A.) 
— Leb. 24 Stunden 


12000000 Mol.— 1 | 1 | 2 [O15 Min. + 7Stunden (A.) |O 15Min. t 4'/,Stunden(A.) 

"/soooooo Mol.— 1 | 1 | 2 [015Min. + 4'/, Stunden (A.) |O 15Min. + 4'/, Stunden (A.) 

Kontrolle 1 | 3 |015Min. + 4°/,Stunden(A.) [O 15Min. + 4'/, Stunden (A.) 
Die Tabelle zeigt, daß bei Mischung eines Teiles Rose 
Bengal-Lösung von ungefähr 1/200 Mol. mit einem Teil Kaninchen- 
serum und zwei Teilen Paramäcienkultur — wenn die Präpa- 
rate in Dunkel gehalten werden —, absolut keine Giftwirkung 
gegenüber den Paramäcien weder seitens des Farbstoffes noch 

Biochemische Zeitschrift Band L 81 


xD 


idasi Mol. — 1 1 


464 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


seitens des Serumalexins zu beobachten ist. Benutzt man 
dagegen entweder eine stärkere oder eine schwächere Rose 
Bengal-Lösung, so gehen die Paramäcien zugrunde — im ersten 
Fall wegen der Toxizität des Farbstoffes, im letzten wegen der 
Alexinwirkung. Setzt man die Präparate der Einwirkung des 
Tageslichtes aus, so wird das Verhältnis ein ganz anderes. In 
diesem Fall werden sich die Paramäcien vollständig unbeeinflußt 
seitens der verschiedenen schädlichen Agenzien in den Präparaten 
erweisen, zu deren Herstellung Rose Bengal-Lösungen von ca. '/10000 
Mol. verwendet sind. In den konzentrierteren Lösungen werden 
die Paramäcien vom Lichte getötet, und in mehr verdünnten 
Lösungen wird die Alexinwirkung stärker und stärker hervor- 
treten. 

In den obenstehenden Versuchen haben wir noch ein 
Verhältnis, das betont zu werden verdient, da es für die. 
Auffassung des photobiologischen Sensibilisationsprozesses von 
theoretischem Interesse ist. Es wird betreff beider Tabellen 
auffallend sein, daß die sensibilisierende Fähigkeit der Serum- 
farbstoffmischungen gegenüber dem Alexin noch deutlich in 
einer Reihe Verdünnungen zutage tritt, in welchen jegliche 
Spur einer sensibilisierenden Wirkung gegenüber Paramäcien 
aufgehört hat. Die Ursache ist nach meiner Ansicht darin zu 
suchen, daß die Lichtwirkung gegenüber dem Paramäcienrest 
in dem Augenblick zustande kommt, wo etwas des Farbstoffes 
in deren Körper diffundiert ist, während ein derartiges Hinder- 
nis der sensibilisierenden Wirkung der Farbstoffe gegenüber 
Lösungen nicht organisierter Stoffe wegfällt. Hierzu kommt, 
daß die Diffusionsfähigkeit der Farbstoffe durch die Serumbei- 
mischung ganz bedeutend herabgesetzt wird und daß sie, be- 
treffs der Serum-Farbstoffmischungen, in denen sich eine sen- 
sibilisierende Fähigkeit gegenüber Paramäcien nicht länger nach- 
weisen läßt, praktisch gleich Null ist. (Vergleiche die Diffusions- 
versuche in VII.) 

Die hier erwähnte Fähigkeit, die spezifische Gift- 
wirkung des Serums gegenüber Paramäcien im Dunkel 
zu verringern resp. aufzuheben, habe ich bei allen 
den Stoffen in der Fluoreszeinreihe gefunden, deren 
Wirkung ich bezüglich dieses Punktes zur Unter- 
suchung heranzog: Tetrabromfluoreszein-Na, und Tetra- 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 465 


jodfluoreszein-Na, Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na, 
und Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na. Dieselbe Wir- 
kung wurde mit mehreren Farbstoffen anderer chemi- 
schen Gruppen erzielt, z. B. mit dichloranthracen- 
disulfosaurem Na und Phenosafraninchlorid. 

Alle die genannten Stoffe wirken außerdem im 
Licht als kräftige Sensibilisatoren gegenüber dem 
Serum-Alexin. 

Eine Beimischung der oben erwähnten sensibili- 
sierenden Stoffe zum Blut hat auch einen anderen 
Ausschlag zur Folge, sie heben nämlich die Koa- 
gulationsfähigkeit des Blutes auf oder verringern die- 
selbe, gleichviel ob die Beimischung in corpore oder 
in vitro geschieht. 


Versuch 5. 


Graues Kaninchen; Gewicht 2650 g. — 48 ccm einer 
2°/,igen Eosinlösung (in 0,4 °/o NaCl) werden innerhalb 11 Mi- 
nuten durch die vena jugularis dem Kaninchen beigebracht, 
— also 0,36 g Eosin-Na pro Kilo Kaninchen. — 10 resp. 
30 Minuten nach Schluß der Injektion werden von Art. carotis 
"Blutproben genommen. In den in den Eisschrank gestellten 
Blutproben tritt keine Koagulation ein; nach 24 Stunden findet 
man in beiden Präparaten unten die sich als Bodensatz ab- 
gesetzten Blutkörperchen und oben eine Schicht stark eosin- 
grefärbtes, jedoch klares nicht geronnenes Plasma. 


Versuch 6. 


Graues Kaninchen; Gewicht 2850 g. Es werden 28 ccm 
einer 2°/,igen Eosinlösung (in 0,4°/, NaCl) intravenös injiziert, 
also 0,2 g Eosin-Na pro Kilo Körpergewicht. 10 Minuten nach 
Schluß der Injektion werden 20 ccm Blut aus der Art. carotis 
genommen. 

Nach 14-stündigem Stehen im Eisschrank findet man in 
der Blutprobe ein Koagulum von ca. 4 ccm Größe. Der Rest 
wird zentrifugiert und zeigt sich nach der Zentrifugierung als 
in zwei Schichten koaguliert, indem die Blutkörperchen vor 
dem Eintreten der Koagulation Zeit erhalten haben, sich ab- 


zusetzen. 
31* 


466 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Um einen Überblick zu erhalten, eine wie große Menge 
des betreffenden Farbstoffes erforderlich ist, um die Koagulation 
einer bestimmten Menge Blutes zu verhindern, machte ich 
folgende Versuche in vitro. 


Versuch 7. 


Kaninchenblut wird aus der Art. carotis direkt in eine Reihe 
Eosinlösungen verschiedener Stärke geleitet. Einem Teil Eosin- 
lösung werden 2 Teile Blut zugesetzt. Da die Eosinlösungen 
nicht mit einer physiologischen Kochsalzlösung isotonisch sind, 
werden Kontrollversuche mit destilliertem Wasser resp. mit 
einer 0,85 °/,igen NaCl-Lösung vorgenommen. 


6 cem Blut-+3ccm dest. Wasser — nach 5 Min. koaguliert 
6 u, „ +3 „ 0,85%-iges NN Cl— „ 5 „ j 

6 „ „ +3 „ Eosin-Na(1:25) — — Koagulation 

Do ae PO a „ 1:50) — — j 

6,» 8, „ (1:100) — unvollständ. Koagulation 
6. „ +8, „ (1:200) — m a 

6 „ „ #8, „ (1:400) — a 5 

6 s» +3 „ „ (1:800) — = j 

6 a a TFS „ „ (1:1600) — nach 5 Min. koaguliert. 


In den mit „unvollständige Koagulation‘ bezeichneten 
Präparaten nimmt die Größe des Koagulums mit dem Ver- 
dünnungsgrad der Eosinlösung zu. Im letzten Präparat ist die 
Koagulation ungefähr vollständig, jedoch ist das Koagulum 
weniger fest als in den Kontrollmischungen. 

Die übrigen Stoffe in der Fluoreszeinreihe sowie das Me- 
thylenblau haben eine ähnliche Wirkung. 


Versuch 8. 
6ccm Blut + 3ccm Methylenblau(1:50) — — Koagulation 
6 u» +3 „ y9 (1:100) — unvollst. Koagulation 
65» +83, j (1:200) — j i 


Ich will im Anschluß an obenstehendes noch anführen, 
daß koaguliertes Blut Rose Bengal-injizierter Kaninchen auf- 
fallend häufig fehlende Tendenz zur Zusammenziehung und 
Serumausscheidung aufweist. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 467 


III. 


Über den Einfluß des Serums auf die toxischen Eigenschaften 
photobiologischer Sensibilisatoren. 


Nachdem ich im vorhergehenden nachgewiesen habe, wie 
eine Reihe — in ihrer chemischen Konstitution recht ver- 
schiedenartige Sensibilisatoren sowohl direkt (im Dunkel) wie 
auch indirekt (im Licht) imstande sind, die toxischen Wirkungen 
des Serums zu verringern oder gänzlich aufzuheben, will ich 
in diesem Abschnitt einige Versuche besprechen, aus welchen 
hervorgeht, daß die Einwirkung in dieser Beziehung insofern 
gegenseitig ist, als die Serumbeimischung ebenfalls die Toxizität 
der betreffenden Sensibilisatoren verringert resp. aufhebt. 


Die Versuchsanordnung war folgende: Aus dem zur Unter- 
suchung vorliegenden Stoff wurden eine Reihe Lösungen ab- 
nehmender Konzentration hergestellt; aus jeder dieser Lösungen 
machte ich danach Mischungen zu gleichen Teilen mit Serum 
resp. mit Leitungswasser. Das benutzte Serum war vorher 
45 Minuten lang auf 56° erhitzt worden. Sämtlichen Mischungen 
wurde danach das gleiche Volumen einer Paramäcienkultur zu- 
gesetzt, so daß jedes Präparat 1 Teil Farbstofflösung, 1 Teil 
Serum — resp. Leitungswasser — und 2 Teile Paramäcienkultur 
enthielt. 


Versuche dieser Art müssen natürlich am besten in ab- 
solutem Dunkel ausgeführt werden, da die Wirkung des Lichtes 
auf die sensibilisierten Paramäcien sonst leicht die Richtigkeit 
der Resultate kompromittieren wird. Namentlich in Versuchen 
mit stark wirkenden Sensibilisatoren wie z. B. Rose Bengal, 
kann selbst eine geringe Lichtmenge außerordentlich störend 
wirken. Die Mischungen wurden daher in Reagenzgläsern vor- 
genommen, die im voraus in Gehäusen lichtdichten schwarzen 
Papiers angebracht waren, und die augenblicklich zugepfropft 
wurden. Zur weiteren Sicherheit arbeitete ich beständig bei so 
stark gedämpfter Belichtung, daß sich die Einteilung der Pipetten 
gerade ablesen ließ. Bei der Untersuchung der Präparate war 
die Anwendung von Licht ja indessen nicht zu vermeiden, je- 
doch sicherte ich mich gegen dessen Einfluß auf die Tötungs- 
zeiten der Paramäcien durch folgendes Verfahren: 


468 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Ich goß im Dunkelzimmer in bestimmten Zwischenräumen 
Proben der Präparate in Uhrgläser über, und die Proben unter- 
suchte ich danach beim Schein eines Stearinlichtes unter einem 
im voraus eingestellten Mikroskop. Ist alles wohl vorbereitet, 
so erfordert die Entscheidung dessen, ob die Paramäcien noch 
leben oder tot sind, nur einige wenige Sekunden lange Be- 
obachtung, so daß die schwache Beleuchtung keine Zeit zur 
Beeinflussung des Bildes erhält, und durch beständiges Unter- 
suchen neuer Proben von den in absolutem Dunkel aufbewahrten 
Präparaten vermied ich eine Summierung wiederholter Licht- 
wirkungen. 


Versuch 9. 
Tetrabromfluoreszein-Na (Eosin-Na). 


M. = 692.) 












Lei- 
tungs- 
wasser 


Tetrabrom- 


fluoreszein- Paramäcien im Dunkel 











+25 Min. 
Größtenteils + 24 Stunden 
+1 Stunde 
Leb. 24 Stunden 


Hälfte + 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


Orn Sm Om Orm 
kO oO O5 -m& 
DD ON ON DD 


Die Toxizitätsherabsetzung ist schon in diesem Versuch 
unverkennbar — tritt aber im folgenden Versuch mit dem 
in wässerigen Lösungen stark toxischen Rose Bengal viel 
stärker hervor. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 469 


Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na (Rose Bengal)». 


Tetrachlor- 
tetrajod- 
fluoreszein- 


Na 


z— 


3/300 
[s00 
ie 000 


Y 2000 


1/ 
[5000 


1 
/10000 Mol. 


D soa Mol. 


E4 
2 


ew Se - 
T S S g 


© 
— 
. . e . . . . . 


i Te 


Lei- 
tungs- 
wasser 


Onm Om Om Om Om Om Om Omm Om Om 


Versuch 10. 
(M. = 1018.) 

0- 
Kanin- | Param.- 
chen- Kultur 
Serum 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 

0 2 

1 2 


Paramäcien im Dunkel 


+ Momentan 
+ 5 Min. 


+ Momentan 
+ 30 Min. 


+ Momentan 
Hälfte + 24 Stunden 


+ Momentan 
Leb. 24 Stunden 


+ Momentan 
Leb. 24 Stunden 
+ 1 Min. 

Leb. 24 Stunden 


+ 5 Min. 
Leb. 24 Stunden 


+ 35 Min. 
Leb. 24 Stunden 


Hälfte + 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


1) Rose Bengal ist schwer löslich in Leitungswasser, und klare 


Lösungen erhält man erst in Verdünnungen von 1: 15000 bis 1 : 20000. — 
In destilliertem Wasser ist Rose Bengal dahingegen sehr leicht löslich, 
und wird eine derartig hergestellte konzentrierte Rose Bengal- Lösung 
durch Beimischung von Leitungswasser verdünnt, so hält sie sich klar. 


470 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuch 11. 
Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium!) (M. = 830). 





Tetrachlor- Lei 0- 
R B in- | P - 
tetrabrom (as: Kanin sram Paramäcien im Dunkel 
fluoreszein- E chen- Kult 
Ka Serum 
; 1 1 0 2 + Momentan 
fso Mol.d] 0 1 2 + 15 Min. 
1 1 0 2 + Momentan 
'hs Mol.| 0 1 2 t 30 Min. 
/ Mol f1 1 0 2 t Momentan 
100 Ti 0 1 2 Hälfte + 24 Stunden 
1 1 0 2 + 23 Min. 
'/a00 Mol.f] 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
1 1 0 2 + 10 Min. 
soo Mol. TE 1 2 Leb. 24 Stunden 
1 1 0 2 + 10 Min. 
"1000 Mofi] 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
1 1 0 2 + 25 Min. 
'/2000 Mol.fi 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
1 1 0 2 + 4 Stunden 
15000 Mol. 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
'/ Mol. J1 1 0 2 Leb. 24 Stunden 
10000 01.) 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden 


1) Mit diesem Stoff, dessen sensibilisierenden Eigenschaften früher 
nicht untersucht sind, habe ich eine Reihe Untersuchungen angestellt, 
welche folgende Resultate ergaben: Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium 
ist leicht löslich in Wasser mit einer prachtvoll grünen Fluoreszenz, welche 
sich mit konzentriertem Sonnenlicht noch in Lösungen von 1 : 200000000 
hervorrufen läßt. Lösungen in Methylalkohol geben eine mehr gelbliche 
Fluoreszenz in Übereinstimmung mit der Verschiebung der Absorptions- 
linien im Spektrum nach rot. Die wässerigen Lösungen besitzen eine sehr 
kräftige sensibilisierende Fähigkeit, welche in Versuchen mit Paramäcien 
noch in Verdünnungen 1:10000000 sich zeigt. Die Toxizität ist in oben- 
stehender Tabelle angedeutet. 

Wie in der Einleitung erwähnt, haben v. Tappeiner und Jodl- 
bauer die Aufmerksamkeit auf das eigentümliche Verhältnis gelenkt, daß 
die sensibilisierende Fähigkeit bei Stoffen derselben chemischen Gruppen 
gegenüber Paramäcien am schwächsten bei den am kräftigsten fluores- 
zierenden und am stärksten bei den am schwächsten fluoreszierenden Stoffen 
ist. Dies tritt bei der Fluoreszeingruppe am deutlichsten hervor. Tetrachlor- 
tetrabromfluoreszein scheint indessen eine Ausnahme von dieser Regel zu 
bilden, da sowohl dessen sensibilisierende Fähigkeit, wie auch dessen 
Fluoreszenz stärker als die des Erythrosins (Tetrajodfluoreszein-Na) ‘ist. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 471 


Versuche mit anderen Stoffen der Fluoreszeinreihe (z. B. 
Erythrosin) ergaben bezüglich der Toxizitätsherabsetzung durch 
Serumbeimischung entsprechende Resultate, und es ist daher 
wohl anzunehmen, daß sich alle Derivate des Fluoreszeins in 
gleicher Weise verhalten. — Dasselbe gilt für das relativ wenig 
giftige dichloranthracendisulfosaure Na und das stark toxische 
Cyanin: 

Versuch 12. 

Dichloranthracendisulfosaures Na (M. = 451). 








Dichlor- Lei- O- 
anthracendi- Kanin- | Param.- ee 
ulfossunez tungs- pon Kul Paramäcien im Dunkel 
wasser tur 
Na erum 
1 1 0 2 + 6 Stunden 
as Mol. | 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
1 1 0 2 + 24 Stunden 
Yo Mol. Fi 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
Ya Mol 1 1 0 2 Größter Teil F 24 Stunden 
100 ıı 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
so MO. jij 0 1 2 Leb. 24 Stunden 
Yon Mol 1 1 0 2 Leb. 24 Stunden 
1000 11 0 1 2 Leb. 24 Stunden 


Versuch 13. 
Chinolinblau (Cyanin. purissim. Merck) (M. = 538). 
Cyanin (1:30,000) — 1 Teil 
Destilliertes Wasser — 1 Teil Par. im Dunkel t 30 Min. 


Par.-Kultur — 2 Teile 

Cyanin (1: 30,000) — 1 Teil 
O-Kaninchenserum — 1 Teil Par. im Dunkel leb. 
Par.-Kultur — 2 Teile 43 Stunden. 


Cyanin ist schwer löslich in Wasser und es ist selbst in 
bedeutenden Verdünnungen schwer, klare Flüssigkeiten zu er- 
halten. Der Stoff ist als ein vorzüglicher photographischer 
Sensibilisator bekannt, während dessen sensibilisierende Fähig- 
keit gegenüber photobiologischen Prozessen zweifelhaft oder 
mindestens wenig ausgeprägt ist. 


472 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Die Ursache zur sensibilisierenden Fähigkeit einer Lösung 
ist, wie ich im ersten Abschnitt geltend zu machen suchte, 
wahrscheinlich in gewissen optischen Eigentümlichkeiten zu 
suchen, welche nicht nur von der chemischen Konstitution des 
aufgelösten Stoffes bestimmt werden, sondern für welche auch 
andere Faktoren (das Lösungsmittel, die Dissoziationsgrade usw.) 
eine Rolle spielen. Es ist daher a priori kein Grund zu der 
Annahme vorhanden, daß die durch Serumhinzusetzung hervor- 
gerufene Toxizitätsherabsetzung für Stoffe mit sensibilisierenden 
Eigenschaften eigentümlich sein sollte. Mit großer Deutlichkeit 
geht daher auch das Gegenteil aus folgenden Versuchen mit 
den zwei, einander in chemischer Beziehung so nahestehenden 
Stoffen: Hydrastininchlorid und Cotarnin (Oxymethylhydrastinin) 
hervor, von denen der erste fluoreszierend und stark sensibili- 
sierend ist, während der letzte (nach meinen eigenen Versuchen) 
keine dieser Eigenschaften besitzt. 


Versuch 14. 
Hydrastininumhydrochloricum (Merck). 



















Hydra- Ö- A 
ini 5 L it e 1 a .. 

ae we Erona EEE Paramäcien im Dunkel 
hydro- wasser chen- Kultur 








chloricum serum 








20 (if o foa | oa fO + 
ee #34, Stunden 
|| Hoss 
ll ao | ı | 3 stunden 
wo fi] o | 2 | 2 | TRi Stunde 
1—20 (3 o | 1 | 2 | Teb 24 Stunden 





G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 473 


Versuch 15. Cotarnin (Stypticin) (Merck). 











O- 
Leitungs-}| Kanin- | Param.- 


Cotarnin Paramäcien im Dunkel 








wasser chen- Kultur 
serum 










| 





[1 1 0 2 730 Min. 

AN. Il 8 1 2 +4, Stunden 
1250 1 1 0 2 745 Min. 

1 0 ı 2 Größter Teil + 24 Stunden 
ie 3 0 2 +1 Stunde 

1 0 1 2 Einzelne } 24 Stunden 

il i 0 2 +1'/, Stunde 
u | 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden 

1 1 0 2 +24 Stunden 
1—1000 | 11 0 1 2 Leb. 24 Stunden 

1 1 0 2 Leb. 24 Stunden 
iiai | 0 1 2 Leb. 24 Stunden 


Ein Vergleich zwischen diesen zwei Tabellen ergibt, daß die 
Toxizitätsherabsetzung bei dem nicht sensibilisierenden Cotarnin 
bedeutend ausgeprägter als bei dem stark sensibilisierenden 
Hydrastininchlorids ist. 


Binz!) wies schon im Jahre 1867 nach, daß die Giftwirkung 
der Chininsalze gegenüber Infusorien außerordentlich groß ist, 
und bezüglich des therapeutischen Wertes des Chinins bei der 
Behandlung der Malaria sind ‚Versuche über den Einfluß der 
Serumzusetzung auf die Toxizität der Chininlösungen von þe- 
sonderem Interesse. 


Versuch 16. Chininum sulfuricum. 
I. Chininsulfat (1:5000) — 1 Teil 


Destilliertes Wasser — 1 Teil Par. (im Dunkel) 
Par. - Kultur — 2 Teile f 2 Stunden. 
Chininsulfat (1 : 5000) — 1 Teil í 
O.-Kaninchenserum — 1 Teil Par. (im Dunkel) 


Par. - Kultur — 2 Teile T 8 Stunden. 


) Binz, Wirkung antiseptischer Stoffe auf Infusorien von Pflanzen- 
jauche. Centralbl. f. med. Wissensch. Nr. 20. 1867. 





474 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


II. Chininsulfat (1:10000) — 1 Teil Par: im Danke) 
ar. (im Dunke 


Destilliertes Wasser — 1 Teil 

Par.- Kultur — ? Teile t 5 Stunden. 
Chininsulfat (1 : 10000) — 1 Teil l 
O.-Kaninchenserum — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 


Par. - Kultur — ? Teile 24 Stunden. 


Der Versuch zeigt eine deutliche Hemmung der Giftwirkung 
in den Serumpräparaten, und selbst wenn die Toxizitätsherab- 
setzung bei weitem nicht so ausgeprägt wie z. B. in den Ver- 
suchen mit den Derivaten des Fluoreszein ist, so spricht sie 
doch gegen die Auffassung, daß das Chinin bei der Malaria- 
behandlung als ein direktes Blut-Desinfizienz wirkt. 

Das Ehrlichsche „Trypanrot“, daß schon in wässerigen 
Lösungen eine auffallend geringe Toxizität sowohl gegenüber 
Trypanosomen wie auch Paramäcien aufweist, wird durch Serum- 
zusatz so gut wie vollständig ungiftig. Meine Versuche zeigten 
indessen, daß die Paramäcien wohl wochenlang in selbst starken 
Trypanrot-Lösungen zu leben vermochten, daß sie jedoch ihre 
Fortpflanzungsfähigkeit einbüßen, und daß sich diese Hemmung 
der Fortpflanzungsfähigkeit noch in so dünnen Lösungen wie 
1:5000 geltend macht selbst nach Serumzusatz. Vielleicht 
kann diese Beobachtung zum Verständnis des bisher unbekannten 
Prinzips der Chromotherapie beitragen. 

Ich führe noch einige Versuche mit nichtsensibilisierenden 
Giftstoffen an’). 


Versuch 17. Fuchsin (Salzsaures Rosanilin). 
Fuchsin (1:1000) — 1 Teil 


Leitungswasser — 1 Teil } Par. (im Dunkel) ł 10 Min. 
Par. - Kultur — 2 Teile 


1) In einer Arbeit (Zeitschr. f. physiolog. Chemie 47, 173. 1906), 
die erst, nachdem diese Abhandlung im Manuskript vorlag, erschienen ist, 
erwähnten Bechhold und Ehrlich, daß verschiedene stark giftige 
Stoffe (Tetrabrom-o-Kresol, Hexabromdioxydiphenylkarbinol, Tetrachlor- 
o-biphenol) im Serum ihre Toxizität gegenüber Bakterien einbüßen. — 
B. u. E. nehmen als wahrscheinlich an, daß die betreffenden Stoffe mit 
dem Serum-Eiweiß Verbindungen eingehen, obgleich sie es nicht fällen — 
eine Hypothese, deren Richtigkeit ihre Bekräftigung in meinen Unter- 
suchungen findet. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 475 


Fuchsin (1:1000) — 1 Teil 


O.-Kaninchenserum — 1 Teil }Par. (im Dunkel) t 3 Stunden. 
Par. - Kultur — 2 Teile 


Versuch 18. Strychnin. nitric. 


Par. (im Dunkel) 


Strychnin. nitric. (1 : 500) — 1 Teil 

Leitungswasser — 1 Teil : 
Par.- Kultur — 2 Teile | m a0. 2m: 
Strychnin. nitric. (1: 500) — 1 Teil 
O.-Kaninchenserum — 1 Teil Par. (im D unkel) 
Par. - Kultur — 2 Teile T 10 Min, 


Die Versuche ergeben eine bedeutende Toxizitätsherabsetzung 
betreff des Fuchsins; die Giftigkeit des Strychnins scheint 
dagegen von dem Serumzusatz ganz unbeeinflußt zu sein. 


Die angeführten Versuchsresultate werden genügen um 
festzustellen, daß eine Hinzusetzung von Serum die toxi- 
schen Wirkungen einer großen Menge sensibilisierender 
(wie auch nichtsensibilisierender), verschiedenen 
chemischen Gruppen entnommener Stoffe gegenüber 
Paramäcien verringert resp. aufhebt, und obwohl fort- 
gesetzte Untersuchungen auf diesem Gebiet von bedeutendem 
Interesse in toxikologischer Beziehung sein würden, so will ich 
mich doch hier, mit Rücksicht auf die Begrenzung des Themas, 
mit dem oben Mitgeteilten begnügen. 


Die Ursache der herabgesetzten Giftigkeit bespreche ich in 
einem der folgenden Abschnitte. 


IV. 


Über den Einfluß des Serums auf die spezifischen Eigenschaften 
der photobiologischen Sensibilisatoren. 


Die Hauptzüge der von mir bei den folgenden Unter- 
suchungen angestellten Versuchsanordnung sind betreff der 
Paramäcien-Versuche schon in II. beschrieben, und ich gehe 
daher gleich dazu über, die Resultate der Versuche zu be- 
sprechen. 


476 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuch 19. 
Eosin-Na (Tetrabromfluoreszein-Na) (M. = 692). 










gla |B 
Tetrabrom- | s EPI Asa a 
. = 221% Paramäcien Paramäcien 
Muonszein: | BE 5]: im Licht im Dunkel 
faoi 
z © 
Na = 6 : 
Alo |œ 


+5 Min. +25 Min. (T) 


1 Mol J 1 1 0 2 . ee. . 
25 "11j0|1|2 +30 Min. GrößterTeil + 24Std.(T.) 
Ya Mol [111|012 +10 Min. t1Stund (T.) 
50 "11|0|)1|2 +45 Min. Leb. 24 Stunden 
a Mol 1[1[0|2 + 10 Min. Hälfte + 24 Stunden (T.) 
100 "\1[0|I1|2 t1 Stund Leb. 24 Stunden 
ı/ Mol | 111!0|2 + 15 Min. Leb. 24 Stunden 
2 Moliı1l0o|ıla + 1'/, Stunden n 24 nm 
1/ Mol 11110}, 2 +t 20 Min. n 24 n 
[500 Jılolı!a +4 Stunden n 24 ,„ 
Yo Mol. (1110| 2 +35 Min. n 24 y 
1000 '| 1| 0 | 1 | 2 | Größter Teil + 24 Std. n 243 „ 
i / Mol 1111I0|2 +1 Stunde n 24 n 
2000 "11]0|)1|2 Leb. 24 Stunden n 24 „ 
[1l1ıj0|2 + 1'/, Stunden 24 
/sooo Mol. 1110|1|2 Leb. 24 Stunden ; 24 i 
10000772114 OE 2 Leb. 24 Stunden n 2t p, 
Y eooo Mol 1ļ|1/02 Leb. 24 Stunden n A „ 
soono Ol) 0ol1l2 Leb. 24 Stunden n 24 y 
Kontrolle] 1|1]|2 Leb. 24 Stunden p- 4 y 


Es geht aus der Tabelle hervor, daß die Tötungszeiten in 
den Serumpräparaten bei allen konzentrierten Eosinlösungen 
bedeutend verlängert sind, und daß die sensibilisierenden 
Wirkungen des Eosins in Lösungen von "/gooo Mol. und darunter 
vollständig durch Hinzusetzung gleicher Teile Serum aufgehoben 
werden. | 

Dieser hemmende Einfluß der Serumhinzusetzung auf die 
spezifischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe tritt noch 
schöner in dem folgenden Versuch mit Rose Bengal hervor, 
gerade weil die sensibilisierende Fähigkeit dieses Stoffes so 
außerordentlich stark in wässerigen Lösungen ist'). 


1) Durch besondere Versuchsanordnungen konnte ich die sensibili- 
sierende Wirkungen von Rose Bengal gegenüber Paramäcien in Lösungen 
bis zu 1:20000000 nachweisen. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 477 


Versuch 20. 
Rose Bengal (Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na) 











(M. = 1018). 
ae ren 
- £. E Paramäcien Paramäcie 
ıl2 33|& r i ramäcien 
Rose Benga AEE : im Licht im Dunkel 
ale lg 
aA 1 2 Z ea 
/ AREIS. | 0 |2 + momentan t momentan (T.) 
50 "I 0| l1 |2 t 2 Min. +5 Min. CL.) 
ı/ Mol, /1] 1] 0 |2 t momentan t momentan (T.) 
100 #110 | 1 | 2 76Min , Hälfte + 24 Stunden (T.) 
i Mol. 11773 | 0 | 2 t momentan t momentan (T.) 
200 I1] 0 | 1 | 2 + 20 Min. Leb. 24 Stunden 
Mol. 11210 | 2 t momentan t momentan (T.) 
/500 11 0 | 1 | 2 + 50 Min. Leb. 24 Stunden 
Mol! 1| 110 |2 + momentan + 1 Min. (T.) 
/1000 lılolıla + 1%/, Stunden Leb. 24 Stunden 
R ARETES GE + 1 Min. t5 Min (T) 
er FEN a t 5 Stunden Leb. 24 Stunden 
j Mol. 11 110/2 + 2 Min. 735 Min. (T.) 
000 "11] O| 1 |2 |GrößterTeil leb. 24 Std. Leb. 24 Stunden 
ı/ Mol 1 20012 +2 Min. Größter Teil leb. 24 Std. 
10000 11181318 Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden 
1, Mol PURER DE +5 Min. Leb. 24 Stunden 
sooo 711] 0 | 1 | 2 Leb. 24 Stunden n 24 n 
ERSE DE. + 10 Min. 24 
/ıooooo Mol. I1lolı | 2 Leb. 24 Stunden i 24 á 
11111072 + 2 Stunden 24 
/sooooo Mol. I110|1|2 Leb. 24 Stunden 5 24 i 
3/ Mol 3131912 + 4 Stunden > aM 
1000000 1110112 Leb. 24 Stunden n 24 y 
1/ Mol [1] 1| 0 |2 | Größter Teil leb. 24 Std. ao 
900 >77 a 01.1.19 Leb. 24 Stunden n A n 
Kontrolle |1/1|2 Leb. 24 Stunden wo 


Die Beimischung eines gleichen Volumens Serum hebt also 
die sensibilisierende Wirkung der Rose Bengal-Lösungen von 
ca. Ysooo Mol. und darunter auf. Bei den Eosinlösungen 
lag die Grenze schon bei "/sooo Mol. Der Unterschied kann 
seine Ursache darin haben, daß die sensibilisierende Wirkung 
äquimolekularer Rose Bengal- und Eosin-Na-Lösungen in diffusem 
Tageslicht ungefähr 1000mal größer bei dem ersten als bei 


478 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


dem letzten Stoffe ist, so daß ein eventueller minimaler 
Überschuß wirksamen Rose Bengals deutlichen Ausschlag zu 
geben vermöchte, wo ein ebenso großer Überschuß wirksamen 
Eosins in Versuchen mit Paramäcien keine zu beobachtende 
Wirkung besitzt. Es ist möglich, daß der Unterschied weg- 
fallen würde, falls man die Versuche mit dieser oder jener 
nicht organisierten Reagens z. B. Invertin anstellte. 

Die übrigen Stoffe der Fluoreszeingruppe, deren diesbe- 
zügliches Verhältnis ich untersucht habe, wiesen eine ähnliche 
herabgesetzte sensibilisierende Fähigkeit nach Serumzusatz wie 
Eosin-Na und Rose Bengal auf. Ich führe folgende Versuche 
als Beispiele an: 


Versuch 21. Dichlortetrabromfluoreszein-Na. 








Dichl.-Na (1:10000) — 1 Teil 
Leitungswasser —1Teil | Par. |7 ee 
Param.-Kultur — 9 Teile im Dunkel leb. 24 Std. 
Dichl.-Na (1:10000) — 1 Teil l , 
O-Kaninchen-Serum Zen 1 Teil Par. ia Licht leb. 24 Std. 
Param.-Kultur BER 2 Teile ım Dunkel leb. 24 Std. 








Versuch 22. Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na. 














Tetrachl.-Na (1 : 10000) — 1 Teil f , , 
Leitungswasser —1Teil | Par. | !” ee 
Param.-Kultur — 9 Teile im Dunkel leb. 24 Std. 
Tetrachl.-Na (1:10000) — 1 Teil 
O-Kaninchen-Sertum —-1Teil | Par. | ” Licht leb. 24 Std. 
Param.-Kultur — 92 Teile im Dunkel leb. 24 Std. 


Unter den sensibilisierenden Stoffen der Anthracengruppe 
habe ich hauptsächlich das Natronsalz der Dichloranthracen- 
disulfosäure untersucht, das einen besonders niedrigen Toxizitäts- 
grad mit hervorragenden sensibilisierenden Eigenschaften ver- 
eint. Diese letzten sind noch in Verdünnungen von 1:2000000 
zu erkennen. Eine Hinzusetzung von Serum zu Lösungen dieses 
Stoffes haben bezüglich dessen sensibilisierender Fähigkeit ganz 
ähnliche Veränderungen wie die oben erwähnten zur Folge. 





G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 479 
Versuch 23. 
Dichloranthracendisulfosaures Na (M. = 451). 
Dichloran- ; F E 
thracen- JEE 3 Paramäcien Paramäcien 
disulfosaures | 3 CE g im Licht im Dunkel 
Na [316 | 
1/ Mol 1110432 t 8 Min. t 6 Stunden T.) 
25 TELLO 2 t 1 Stunde Leb. 24 Stunden 
J Mol | 1111012 +5 Min. + 24 Stunden T.) 
50 "11[0/1|2 +t 1'/, Stunden Leb. 24 Stunden 
1/ Mol i 1| 0 |2 t 5 Min. Größter Teil + 24 Std. (T.) 
100 10 718 t 2 Stunden Leb. 24 Stunden 
"F Mol li 1| 0 |2 75 Min. Hälfte 7 24 Stunden (T.) 
/so0 1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden 
1/ Mol i 1102 +5 Min. Leb. 24 Stunden 
/ 1000 1| 0; 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 n 
il Mol PEN + 10 Min. a = 
5000 '\1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n A p, 
1/ Mol | 11119812 F 20 Min. n 24 n 
/ 10000 "11] 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden sM oy 
2 Mol F 1/10 |2 + 1 Stunde n A n 
/ 50000 "11] 0| 1/2 | Leb. 24 Stunden n 24 n 
'/ Mol N 1|0|2 + 3 Stunden n A y 
100000 '\1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 r 
1/ Mol.J1| 1] 012 + 24 Stunden Pa 
FOR "11[ 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 4 y, 
1/ Mol fi 1| 0 |2 | Leb. 24 Stunden "E. pe 
11000000 "11] 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 n 
Kontrolle | 1| 1 | 2 | Leb. 24 Stunden a M m 





In obenstehender Tabelle wird der außerordentlich große 


Einfluß auffallen, 


suchsresultate hat; 


den die Serumbeimischung auf die Ver- 


selbst eine 


1/500 Mol. 


dichloranthracen- 


disulfosaure Na-Lösung verliert bei Hinzusetzung eines gleichen 
Teiles Serum vollständig ihre sensibilisierende Wirkung. 
Betrachtet man die Tötungszeiten der nicht mit Serum ver- 


mischten Präparate, so wird es ferner auffallen, daß die Para- 
mäcien in Licht ungefähr ebenso schnell in 1/5000 Mol. Lösungen 
wie in 1/2 Mol. Lösungen zugrunde gehen; bei dieser letzten 
weist die Tabelle sogar eine etwas längere Tötungszeit als in 
den Versuchen mit den folgenden, weniger konzentrierten 


Lösungen auf. Der Unterschied ist so gering, daß er als 
Biochemische Zeitschrift Band I. 32 


480 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


zufällig betrachtet werden könnte; er ist es jedoch kaum, denn 
ich habe in den zahlreichen mit dichloranthracendisulfosaurem 
Na angestellten Versuchen wiederholt ein ähnliches Verhältnis 
beobachtet, während es in Versuchen mit z. B. Eosin oder Rose 
Bengal nicht der Fall war (vergl. die Tabellen in den Ver- 
suchen 19 und 20). Ich nehme an, daß die Ursache in folgen- 
den Verhältnissen zu suchen ist: Selbst die stark konzentrierten 
dichloranthracendisulfonsauren Na-Lösungen haben Paramäcien 
gegenüber eine so geringe toxische Wirkung, daß diese inner- 
halb des kurzen Zeitraums, um den es sich hier handelt, ganz 
bedeutungslos wird. Die Tötungszeiten werden daher aus- 
schließlich von der Konzentration der Lösung und der Be- 
lichtung abhängig, und wäre die letzte konstant, so würden die 
Zeiten wahrscheinlich gemäß dem Verdünnungsgrad gleichmäßig 
zunehmen '). 

Nun ist es aber nicht die Belichtung der Präparate, 
sondern die Belichtung der einzelnen Paramäcien in den Prä- 
paraten, die für die Tötungszeiten ausschlaggebend sein wird, 
und selbst wenn die erste konstant ist, wird die zweite bis zu 
einem gewissen Grad mit der Konzentration der Lösungen 
varlieren, infolge der ungleich starken Absorption der wirksamen 
Strahlen in dem Teil der Tropfen, welchen das Licht passieren 
muß, bevor es die Paramäcien trifft. Diese werden gewisser- 
maßen besser in den konzentrierten als in den dünnen Lösungen 
gegen die schädlichen Strahlen beschützt sein; ebensowohl wie 
sie in großen Tropfen besser als in kleinen Tropfen derselben 
Konzentration beschützt sein werden. Man kann sich mit 
anderen Worten die von der steigenden Konzentration bedingte 
steigende Lichtwirkung dadurch neutralisiert denken, daß die 
steigende Konzentration in diesen Versuchen gleichzeitig eine 
gleichmäßig zunehmende Schwächung der wirksamen Licht- 
strahlen bedingt, bevor diese die Paramäcien erreichen. 








1) Diese Anschauung wird von einigen Untersuchungen bekräftigt, 
die Jodlbauer und v. Tappeiner vor kurzem veröffentlicht haben 
(Über die Abhängigkeit der Wirkung der fluoreszierenden Stoffe von 
ihrer Konzentration. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86, 468. 1906). 
Betreffs der Fluoreszeinreihe finden die beiden Verff., daß die sensibili- 
sierende Wirkung mit dem Verdünnungsgrad der Lösungen bis zu einem 
gewissen Maximum zunimmt (ca. Y/,,0"„normal. Lös.), um danach wiederum 
abzunehmen. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 481 


Ich habe diese Untersuchungen auf verschiedene andere 
photobiologische Sensibilisatoren!) ausgedehnt, und in allen Ver- 
suchen eine ähnliche, mehr oder weniger stark ausgeprägte 
Herabsetzung der sensibilisierenden Fähigkeit der betreffenden 
Stoffe nach der Serumbeimischung gefunden. Es ist indessen 
kaum wahrscheinlich, daß man auf rein empirischem Wege 
dazu gelangen kann, diese Phänomene unter ein allgemein 
geltendes Gesetz zu bringen; die Arbeit würde jedenfalls un- 
verhältnismäßig groß werden und ich betrachte es daher als 
unangebracht, die Reihe der angeführten Beispiele zu erweitern. 
Diese sind zwischen den am stärksten sensibilisierenden Stoffen 
innerhalb der verschiedenen chemischen Gruppen gewählt, und 
werden mit genügender Deutlichkeit den Einfluß des Serum- 
zusatzes illustrieren. 


Im Anschluß an die früher besprochenen Versuche, in 
welchen die Serumbeimischung zu den sensibilisierenden Lösungen 
in vitro vorgenommen ist, habe ich bei einer Reihe derselben 
Sensibilisatoren die Veränderungen untersucht, die ihre spezifischen 
sensibilisierenden Eigenschaften in dem Augenblick erleiden, 
in welchem die betreffenden Stoffe in die Blutbahnen der 
Kaninchen injiziert werden. Die Versuche wurden auf folgende 
Weise ausgeführt. Ich injizierte Lösungen der sensibilisierenden 
Stoffe intravenös den Kaninchen und nahm darauf nach kürzerer 
oder längerer Zeit Blutproben von den injizierten Tieren. Im 
Serum dieser Blutproben wurde in den Fällen, wo sich eine 
derartige Untersuchung überhaupt ausführen ließ, der Farbstoff- 
sehalt auf kolorimetrischem Wege bestimmt und es wurden 
darauf wie gewöhnlich Untersuchungen über die sensibilisierende 
Wirkung der gefärbten Seren angestellt. Ich führe folgende 
Versuche als Beispiele an. 


Versuch 24. 


48 ccm einer 2°/,igen Eosinlösung (in 0,4°/, NaCl) werden 
einem Kaninchen mit einem Körpergewicht von 2600 g intra- 
venös injiziert. 10 resp. 30 Minuten nach Schluß der In- 
jektion werden Blutproben aus der Art. carotis genommen, und 


1) U. a.: Salzsaures Akridin, Phenosafraninchlorid, Methylenblau, 
Methylenviolett, y-Phenylchinaldinchlorid, Hydrastininchlorid. 


32* 


482 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


mit den 2 Seren (A und B) werden untenstehende Versuche 
nach vorausgehender 45 Minuten langer Erwärmung auf 56° 
angestellt. Serum A entspricht kolorimetrisch bestimmt einer 
Eosinlösung von Yırs Mol., während Serum B einer 1/2% Mol. 
Lösung entspricht. 


Serum A  — 1 Teil | Par. i Licht t 2 Stunden 
Par.-Kultur — 3 Teile | "| Dunkel leb. 24 Stunden. 
Serum B — 1 Teil | p l | Licht t 2!/ Stunden 
Par.-Kultur — 3 Teile : Dunkel leb. 24 Stunden. 


Folgender gleichzeitiger Versuch, in welchem die Eosin- 
Serummischung in vitro vorgenommen ist, dient zum Vergleich. 














. 1 FR $ 
Eosin ("/ırs Mol.) 1 Ten . | Licht + 1% Std. 
O-Kaninchen-Serum — 1 Teil } Par. im | Dunkel leb. 24 Std 
Par.-Kultur — 3 Teile l E 
. 1 BE E 
Eosin ("/20 Mol.) 1 Teil Í Licht + 2 Std. 
O-Kaninchen-Serum — 1 Teil } Par. im Dunkel leb. 24 Std 
Par.-Kultur — 2 Teile 
. 1 u 5 
Eosin (1/200 Mol.) 1 Teil . | Licht + 20 Min. 
Leitungswasser —1Teil (Far. im | Dunkel leb. 24 Std 
Par.-Kultur — 2 Teile B 





Die Herabsetzung der sensibilisierenden Fähigkeit des Eosin 
erweist sich also als ungefähr dieselbe, gleichviel ob die Mischung 
mit Serum in corpore oder in vitro vor sich geht. Dasselbe 
gilt für eine Reihe der anderen Sensibilisatoren, u. a. für alle 
Derivate des Fluoreszeins'). Bei einem Teile der Farbstoffe 
wird das Verhältnis indessen dadurch kompliziert, daß sie schnell 
nach der Injektion in die Blutbahnen zu Leuko-Stoffen reduziert 
werden, welche nicht im Besitze sensibilisierender Eigenschaften 
sind. Eine derartige Umbildung ist z. B. bei dem Methylen- 
blau lange bekannt gewesen, und von den im vorhergähenden 
erwähnten Sensibilisatoren verhält sich das Methylenviolett 
ähnlich. 

t) Eine ausführliche Besprechung der Verhältnisse dieser Stoffe nach 
ihrer Injektion auf warmblütige Tiere findet sich in A. Jodlbauer und 
G. Busck: Über die Wirkungen von Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten 
im Lichte und im Dunkeln. Arch. internat. de Pharmacodynamie et de 
Therapie. Vol. XV, S. 263. 1905. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 483 


Es geht aus den in diesem Abschnitt erwähnten 
Versuchen hervor, daß eine Serumbeimischung zu 
Lösungen photobiologischer Sensibilisatoren eine Her- 
absetzung resp. Aufhebung der sensibilisierenden 
Fähigkeit dieser Stoffe gegenüber Paramäcien bewirkt. 


Vor dem Abschluß der Besprechung meiner Paramäcien- 
versuche will ich in ein paar Tabellen ein Gesamtbild aller der 
von mir im vorhergehenden besprochenen Verhältnisse geben. 
Diese Tabellen sind insofern als konstruierte Typen zu be- 
trachten, als die einzelnen Versuche nicht in genau gleich- 
artigem Licht ausgeführt sind. Durch zahlreiche vergleichende 
Versuche habe ich indessen versucht, die Bedeutung dieser 
Fehlerquelle so weit wie möglich zu reduzieren, und selbst wenn 
sie vielleicht einen geringen Einfluß auf die einzelnen Zahlen 
haben kann, so bleiben doch die Relationen unter den Zahlen 
und damit auch das Totalbild, welches die Tabellen gibt, 
im großen und ganzen davon unbeeinflußt. 

Die Versuche, auf deren Resultaten die zwei Tabellen basiert 
sind, wurden in starkem, diffusem Tageslicht ausgeführt 
(in München, mitten am Tage, im Juni, an einem Fenster gegen 
Osten bei klarem Himmel). 


Um das Verständnis der Tabellen zu erleichtern, habe ich 
in jeder einzelnen Rubrik die Ursache des Todes der Paramäcien 
durch folgende Bezeichnungen angedeutet: 

A. = Alexinwirkung, 
L. = Lichtwirkung, 
T. = Toxische Wirkung. 

Außerdem werden die Phasen der Alexinwirkung bezeichnet 
durch: 

O = die Stellenbewegungen der Paramäcien aufgehört, 

& = die Stellenbewegungen der Paramäcien wieder aufgenommen. 














s |s | 
z_'e = 2 . ra . 
EIRE Paramäcien im Paramäcien im 
Rose Bengal E Licht Dunkel 
z lo E 
0 o|ola Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden 
0 1 | 031015 Min.+4'/, Stunden (A.)| O 15 Min. + 4'/, Stunden (A.) 
0 0|1 | 3 Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden 








484 


Rose Bengal 





so 


/ıoo 


"/200 


/soo 


"1000 


"/ao00 


"/soo0 


1/10000 


1/50000 


1/100000 


1/500000 


3] oaia MOL | 


© 
—~ 
p= pei pd p p pd pd fd ja pa 


z 
= 


| 
| 
| 
| 
| 


Ea 

© 

pe 
m 





= 
2 


þó pd pd p p fh jd pd jd p p pan 


= 
> 





er 





pi jd 


1 
a soooooo Mol. | i 


N-Kaninchen- 


mO O.O OmmO Sr © mO © m=O OmO OrnrnO OMO 


= O © 


=O © 


Seo © 


serum 


O-Kaninchen- 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


SO Po "OO MOO0 m OO m SO OO OO HOO 


OO hkm OO m 


OO m 





MoOO m 


serum 
Param.-Kultur 


Do N Do 


DO DDO NNS KDD DD Do b DO NYS BDO NOYO 


Do m 


N 


YOY Y 










Paramäcien im 
Licht 





+ momentan (2.) 
+2 Min. (L.) 
+2Min. (L.) 
+ momentan (T.) 
76 Min. (L. 
+ 6 Min. (L.) 
+ momentan (T.) 
(—A.) 7 20 Min. (L.) 
720 Min. (L.) 
t momentan (T.) 
(—-A.) t 45 Min. (L.) 
+ 50 Min. (L.) 
+ momentan (L.) 


(—A.) t 1!/ Stunde (L.) 
t 1'/a Stunde (L.) 
+ 1 Min. (L.) 

(—A.)t 5 Stunden (L.) 
t 5 Stunden (L.) 
72 Min. (L. 

(—-A.) Hälfte + 24 Std. (L. 


) 
Hälfte 7 24 Std. (L.) 


+2 Min. (L.) 
(—-A.) Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


+5 Min. (L.) 
O 35 Min. — # 2 Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden 


7 10 Min. (L.) 
025 Min. — # 3Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden 


+ 2 Stunden (L.) 
© 15 Min. — #5 Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden 


4 Stunden (L.) 
O 15 Min. — & 10 Stunden 

Leb. 24. Stunden 

Leb. 24 Stunden 


Größter Teil leb. 24 Stunden 
O 15 Min. +5 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Paramäcien im 
Dunkel 


+ momentan (T.) 
75Min. (T.) 
75Min. (T.) 
+ momentan (T.) 


)I(—A.) Hälfte + 24 Std. (T.) 


Hälfte + 24 Std. (T.) 


momentan (T.) 
(—A.) Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 


+ momentan (T.) 
030 Min. — & 4 Stunden 
Hälfte + 24 Std. (A.) 
Leb. 24. Stunden 
71Min. CEJ 
O 20 Min. — Größter Teil 
+ 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


+5 Min. (T.) 
O 15. Min. t 24Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


+35 Min. (T.) 
O 15 Min. t 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Hälfte + 24 Std. (T.) 
O 15 Min. t 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 

© 15 Min. + 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 

O 15 Min. + 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 

O 15 Min. + 7 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 

O 15 Min. 7 5 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O15 Min. t 4'/, Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 








Dichloranthra- 
cendisulfo- 
saures Na 

0 
0 
0 
1 
H Mol.{ 1 
1 
1 
His wol fı 
1 
1 
Mi Mol 1 
1 
1 
ao o! 
1 
1 
í 1 
Joo Mol. 
1 


"/soo0 


"10000 


7 50000 


’/\ooooo Mol. 


7] sooooo Mol. 








En = 
; > 2 
pà pd pi pt pat 


© 
ut 
pa p pad pd pd pod fund pd fund fe pat 


/1000000 Mol. | i 


schweifen, das das Verhältnis der Paramäcien 


Läßt 


D 
S 
® 

Lu 
Q 

S 
=S 
x 

© 

Z 


æ O © =O OmmO OmnmO Omo 


nO © 


Mo © O © 


OnO SH, Sera OnO O 


a 
3 
bas 
D 
Q 


O-Kaninchen- 


SO OO MO 0 


OO m OO m OO m 


OO m 


OO OO MOO0 MMO m 


serum 
Param.-Kultur 





UNY YDYS DD YNYS BD DS N NW Y NW © DO © DD DD NNG wo m 


Paramäcien im 


Licht 


Leb. 24 Stunden 


Paramäcien im 
Dunkel 





Leb. 24 Stunden 


O 15 Min. 4 Stunden (A.)J| O 15 Min. +4 Stunden (A.) 


Leb. 24 Stunden 


+ 8 Min. (L.) 
(—A.) +50 Min. (L.) 
+ 1 Stunde (L.) 

+5 Min. (L.) 

(--A.) 1 Stunde (L.) 
t 1!/, Stunde (L.) 

t5 Min. (L.) 
(—A.) + 2 Stunden (L.) 
+ 2 Stunden (L.) 


+5 Min. L.) 

O 35 Min. — & 1'/, Stunde 
Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


+5 Min. (L.) 
O 80 Min. — $ 2'/, Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden. 


+10 Min. (L.) 
O 20 Min. — & 4 Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden 


+ 20 Min. (L.) 
O 20 Min. — & 5 Stunden 

Leb. 24 Stunden 

Leb. 24 Stunden 


+ 1 Stunde (L 
O 20 Min. + 7 Stunden (A. 
Leb. 24 Stunden 


+3 Stunden (L.) 
O 20 Min. +4 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


+24 Stunden (L.) 
O 15 Min. f 4 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 15 Min. + 4 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


.) 
) 


Leb. 24 Stunden 


t 6 Stunden 
(—-A.) Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


+ 24 Stunden 
(—A.) Leb. 24 Stunden 
Leb. 24 Stunden 


Größter Teil + 24Std. (T.) 

O 40 Min. — & 6 Stunden 

Hälfte + 24 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 

(T.) 


Hälfte + 24 Stunden 
O 30 Min. + 24 Stunden (A.) 


(T.) 


(T.) 


Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 30 Min. t 10 Stunden (A.) 


Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 20 Min. + 9 Stunden (A.) 


Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 20 Min. + 9 Stunden (A.) 


Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 20 Min. t 6 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 15 Min. + 4 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 15 Min. F4Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


Leb. 24 Stunden 
O 15 Min. +4 Stunden (A.) 
Leb. 24 Stunden 


man den Blick über das anscheinende Wirrwarr 


in den zwei 


486 | G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Tabellen darbietet, und sucht man gleichzeitig von den Detail- 
untersuchungen zu abstrahieren, mit denen ich diese Arbeit 
eingeleitet habe, so wird man sich einen Begriff davon machen 
können, wie überraschend die Versuchsresultate im Anfang 
wirkten: In einer Verdünnung des Farbstoffes starben die Para- 
mäcien, sobald sie dem Licht ausgesetzt wurden; in einer zweiten 
Verdünnung starben sie, falls sie nicht belichtet wurden; im 
Dunkel konnten die Paramäcien bald in konzentrierten Lösungen 
leben, während sie in verdünnteren zugrunde gingen, bald 
war das Entgegengesetzte der Fall. — Zieht man die früher 
besprochenen Versuchsresultate in Betracht, so wird eine Analyse 
der Tabellen keine Schwierigkeiten aufweisen, und es lassen 
sich leicht die Wirkungen der vielen verschiedenen Faktoren 
auseinander halten, die sich in den Tabellen abspiegeln. Ich er- 
wähne sie in Kürze: 
1. Die toxischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe 
gegenüber den Paramäcien. 
. Die Wirkung des Serum-Alexins auf die Paramäcien. 
. Die Wirkung des Lichtes auf die sensibilisierten Paramäcien. 
. Die Wirkung des Lichtes auf das sensibilisierte Alexin. 
. Der Einfluß des Serums auf die Toxizität der sensibili- 
sierenden Stoffe. 
6. Der Einfluß des Serums auf die spezifischen Eigenschaften 
der sensibilisierenden Stoffe. 
7. Der Einfluß der sensibilisierenden Stoffe auf die Alexin- 
wirkung (im Dunkeln). 

Außer den hier erwähnten Faktoren, welche sich alle 
deutlich in den Zahlen der Tabellen zu erkennen geben, 
werden noch folgende zwei in dem Augenblick Bedeutung 
erhalten, wo Versuche dieser Art in stärkerem Licht, und 
vor allem in Licht mit größerem Gehalt kurzwelliger 
Strahlen gemacht werden. 

8. Die Wirkung des Lichtes auf die nicht sensibilisierten 


OA U y 


Paramäcien. 
9. Die Wirkung des Lichtes auf das nicht sensibilisierte 
Alexin. 
Ich glaube hiermit alle die für das Verständnis der Tabellen 
bedeutungsvollen Momente genannt zu haben. — Die Resul- 


tate von Versuchen dieser Art können übrigens in zweiter Linie 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 487 


von vielen verschiedenen Verhältnissen beeinflußt werden. 
Ich erwähne einzelne: Die Intensität und Qualität des Lichtes; 
die Größe der Tropfen in den Präparaten und die Konzentration 
der Farbstofflösungen (insofern diese zwei letztgenannten Faktoren 
auf die den einzelnen Paramäcien zugeführte Lichtmenge ein- 
wirken; außerdem die Art und Vitalität der Paramäcien, sowie 
die größere oder geringere chemische Reinheit der Farbstoffe; 
schließlich hat die Serum-Alkalescenz!), — falls man diese 
Bezeichnung noch anwenden darf — sowie vielleicht auch die 
Art und Weise, auf welche die Mischung des Serums mit der 
sensibilisierenden Lösung vorgenommen wird?), einen gewissen 
Einfluß auf das erzielte Resultat. 


Nachdem nachgewiesen ist, daß ein Serumzusatz die spezi- 
fischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe gegenüber Para- 
mäcien verringert oder aufhebt, drängt sich die Frage auf: gilt 
die Herabsetzung nur der Wirkung gegenüber Paramäcien, oder 
dreht es sich um eine tiefergehende Veränderung dieser Stoffe, 
welche eine Herabsetzung oder Aufhebung der sensibilisierenden 
Fähigkeit derselben im allgemeinen zur Folge hat. Es wäre 
ja nämlich denkbar, daß die Ursache zu der verringerten 
Wirkung, solange die Rede nur von Paramäcienversuchen ist, 
z. B. allein den veränderten osmotischen Verhältnissen in den 
Präparaten oder der erhöhten Viskosität, welche die Serumbei- 
mischung bedingt, zuzuschreiben sei. Die auf Seite 464 betonte 
Beobachtung, daß die sensibilisierende Fähigkeit der Serum- 
Farbstoffmischungen gegenüber Alexin sich noch deutlich in 
einer Reihe Verdünnungen zu erkennen gibt, in welchen jegliches 
Zeichen einer sensibilisierenden Wirkung auf Paramäcien ver- 
schwunden ist (Versuch drei und vier), läßt auch eine nähere 
Untersuchung der oben aufgestellten Frage wünschenswert er- 
scheinen. Fortgesetzte Versuche mit Alexin werden indessen zu 


) Siehe S. 515. 

”) Einzelne Beobachtungen, auf die ich hier nicht näher eingehen 
will, da ich bisher keine Gelegenheit zu ihrer näheren Verfolgung gehabt 
habe, lassen es nämlich wahrscheinlich erscheinen, daß die Mischungsweise 
nicht ganz gleichgültig ist, ein Verhältnis, das nicht ohne Analogien 
unter den Reaktionen der Kolloid-Chemie ist. In allen den besprochenen 
Versuchen ist die Mischung unmittelbar vor Beginn des Versuches vor- 
genommen und stets auf möglichst gleichartige Weise. 


488 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


nichts führen, da sich das Alexin vom Serum nicht isolieren 
läßt, und ich habe daher zu meinen Untersuchungen verschiedene 
photobiochemische Reaktionen benutzt, die für eine Sensibilisation 
zugänglich sind, z. B. die Destruktion von Enzymen und 
Toxinen, welche eine Belichtung hervorzurufen vermag. Bevor 
ich zur Besprechung dieser Versuche mit nichtorganisierten 
Stoffen übergehe, will ich doch einige andere besprechen, welche 
den Paramäcienversuchen näher stehen. 

Ich habe den Einfluß des Serumzusatzes auf die spezi- 
fischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe gegenüber anderen 
Mikroorganismen (Trypanosoma Brucei), gegenüber tierischen 
Gewebezellen (Flimmerzellen von Fröschen), sowie gegenüber 
roten Blutkörperchen untersucht. 

Die Trypanosomen wurden direkt von infizierten Ratten 
oder Mäusen genommen. Die Krankheit dauert bei diesen Tieren 
nach subkutaner Injektion einer virulenten Kultur in der Regel 
vier Tage für Mäuse, sechs Tage für Ratten. Am letzten Krank- 
heitstag ist das Blut der Tiere derart mit Trypanosomen über- 
füllt, daß einige wenige Tropfen — z. B. mittels Schnitt aus 
der Schwanzspitze genommen — genügend Material zu einer 
Reihe Versuche geben. Ich habe gewöhnlich das Blut mit 
mehreren Teilen physiologischer NaCl-Lösung verdünnt, sowie 
durch leichtes Umrühren eine Koagulation verhindert, die — 
falls sie einträte — schnell den Tod der Trypanosomen zur 
Folge haben würde. In Tropfen in feuchten Kammern ange- 
bracht, können die Trypanosomen 24 bis 48 Stunden leben'). 

Trypanosomen sind gegenüber Licht bedeutend weniger 
widerstandsfähig als Paramaecium Caudatum; sie gehen 
unter gleichen Bedingungen ungefähr zwei bis dreimal 
schneller zugrunde. Der Einfluß der Serumbeimischung auf die 
Resultate der Sensibilisierungsversuche gab sich, wie es zu er- 
warten war, durch einen ebenso deutlichen Ausschlag gegenüber 
den Trypanosomen wie gegenüber den Paramäcien zu erkennen, 
und das geringe Quantum Ratten-, resp. Mäuse-Serum, welches 


) Ehrlich u. Shiga (Farbentherapentische Versuche bei Trypa- 
nosomenerkrankung. Berl. klin. Wochenschrift Jahrg. 41, Nr. 13 und 14. 
1904) erwähnen, daß Trypan.-Kulturen „Mal de Caderas“ im Eisschrank 
aufbewahrt werden müssen, um ein schnelles Zugrundegehen zu vermeiden. 
Diese Maßregel ist bei Trypan. Brucei unnötig. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 489 


den Präparaten mit der Kultur zugeführt wurde, vermochte die 
Wirkung nicht zu verwischen. Von meinen recht zahlreichen 
Versuchen führe ich nur einen einzelnen als Beispiel an. Die 
sensibilisierenden Stoffe wurden in 0,85°/, NaCl aufgelöst und 
es wurde normales Kaninchenserum angewendet. 





Versuch 25. 
Rose Bengal (1:15,000) — 1 Teil T Licht ł 10 Min. 
0,85°%/, NaCl — 1 Teil A Dunkel leb. 
Trypanosom-Kultur — 1 Teil 24 Stunden. 
Rose Bengal (1:15,000) — 1 Teil Tryvan Licht leb. 24 Std. 
N.-Kaninchenserum — 1 Teil Dunkel 
Trypanosom-Kultur — 1 Teil leb. 24 Std. 


In den Versuchen mit Flimmerzellen von Fröschen benutzte 
ich die Zeit bis zum Aufhören der Flimmerbewegungen als 
Maß für die Lichtwirkung. Die Versuchsanordnung war übrigens 
eine ähnliche wie bei den Paramäcien- und Trypanosomversuchen. 
Die sensibilisierenden Stoffe wurden in 0,7°/o NaCl aufgelöst, 
und nachdem sie mit Serum- resp. 0,7°/, NaCl gemischt waren, 
wurden kleine Tropfen dieser Mischung auf Deckgläser ge- 
bracht. Den Tropfen wurden danach einige Flimmerzellen 
zugesetzt, und die Belichtung wie gewöhnlich in kleinen feuchten 
Kammern vorgenommen. 


Versuch 26. 
1/3000 Mol. Eosin-Na. — 3 Teile Licht nach 2 Std. 
(in 0,7%, NaCl) Flimmerz. -= Bew. 
0,7%, NaCl-Lösung — 1 Teil im Dunkelnach4Std. 
Flimmerzellen — q. s. + Bew. 
1/3000 Mol. Eosin-Na. — 3 Teile Licht nach 4 Std. 
(in 0,7°/, NaCl) Flimmerz. + Bew. 
N-Kaninchenserum — 1 Teil im Dunkelnach 4Std. 
Flimmerzellen — q. 8. -+ Bew. 


Ungefähr gleichzeitig mit dem Aufhören der Flimmerbe- 
wegungen trat eine deutliche Eosinfärbung der betreffenden 
Zellen ein. 


490 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Wie schon in Abschnitt I besprochen, fanden Sacharoff 
und Sachs’), daß in einer Aufschlemmung roter Blutkörperchen, 
der ein sensibilisierender Stoff (Eosin) zugesetzt ist, Hämolyse 
eintritt, falls das Präparat dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, 
während die Hämolyse im Dunkel ausbleibt. Pfeiffer”) machte 
ungefähr gleichzeitig dieselbe Beobachtung. Pfeiffer erwähnt, 
daß in seinen Versuchen die Eosin-Lichtwirkung dieselbe war 
— gleichgiltig ob er mit ausgewaschenen Erythrocyten oder mit 
Blut (5%) arbeitete. Die verhältnismäßig geringe Serummenge, 
die den Präparaten mit dem verdünnten Blut zugeführt wurde, 
hat also in Pfeiffers Versuchen keinen augenfälligen Einfluß 
auf das Versuchsresultat gehabt. Die hemmende Wirkung der 
Serumbeimischung läßt sich indessen mit einer anderen Versuchs- 
anordnung ohne Schwierigkeit demonstrieren. 


Bevor ich die von mir bezüglich dieses Punktes angestellten 
Versuche bespreche, will ich doch ein anderes Verhältnis be- 
rühren. 

Pfeiffer versuchte Hämolyse normaler (nicht sensibili- 
sierterer) roter Blutkörperchen hervorzurufen, indem er diese 
unter erforderlicher Abkühlung — der Einwirkung starken 
elektrischen Lichtes aussetzte. Die Versuche ergaben negatives 
Resultat. Die Ursache ist indessen darin zu suchen, daß das 
angewendete Licht von zu geringer Intensität war. 

Da die Destruktion der Blutkörperchen — so wie es auch 
fast immer bei Lichttötung nicht sensibilisierter Mikroorganis- 
ınen oder tierischer Gewebezellen der Fall ist vorzugsweise 
von den kurzwelligen Strahlen des Lichtes herrührt, ist in der 
Versuchsanordnung hierauf Rücksicht zu nehmen. Ich habe 
in den früher erwähnten Schmidt-Nielsenschen Kammern mit 
Quarzwänden defibriniertes Kaninchenblut, das mit 0,85 %/sige 
NaCl-Lösung im Verhältnis 1:20 verdünnt war, der Einwirkung 
des ad. mod. Finsen konzentrierten Lichtes einer Bogenlampe von 
50 Amp. 45 Volt ausgesetzt. Ich erzielte indessen bei dieser 





1) Sacharoff und Sachs, Über die hämolytische Wirkung der 
photodynamischen Stoffe. Münch. med. Wochenschr. Nr. 7. 1905. 

2) Pfeiffer, Über die Wirkung des Lichtes auf Eosin-Blutgemische. 
Wiener. klin. Wochenschr. Nr. 9. 1905. 

Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normales Serum und 
rote Blutkörperchen. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 13. 1905. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 491 


Versuchsanordnung kein deutliches Resultat, teils weil sieh die 
Blutkörperchen recht schnell senken und dadurch der direkten 
starken Bestrahlung entzogen werden, teils weil sich eine 
schwache Hämolyse schwer in einer so dünnen Schicht fest- 
stellen läßt, um so schwerer, da der Vergleich mit nicht 
belichteten Präparaten durch die während der Belichtung schnell 
eintretenden Methämoglobinbildung beeinträchtigt wird. Vielleicht 
spielt auch der geringe Zutritt freien Sauerstoffes der Luft eine 
gewisse Rolle für den negativen Ausfall des Versuchs. Ich 
ging deshalb dazu über, ganz kleine Tropfen der Blutauf- 
schwemmung zu belichten. Die Tropfen wurden zwischen 
Quarzdeckglas und hohlgeschliffenen Objektgläsern und in Be- 
rührung mit beiden angebracht. Das letzte trägt dazu bei, den 
Tropfen trotz der Neigung, welche die Belichtung mit dem 
konzentrierten Licht erfordert, in der Mitte der Höhlung des 
Objektglases zu fixieren. 

Die eventuell eingetretene Hämolyse ließ sich natürlich 
bei dieser Versuchsanordnung noch schwieriger als bei der 
vorigen erkennen, jedoch ließ sich anderseits die Destruktion 
der Blutkörperchen direkt unter dem Mikroskop beobachten. 


Versuch 27. 
Blutaufschwemmung, belichtet durch Quarz mit konz. 
elektr. Bogenlicht einer 50 Amp. 45 Volt-Lampe. 
Nach 5 Min. Belichtung: Die roten Blutkörperchen anscheinend 


normal. 

„»„ 10 ,, a Ein Teil normale Blutkörperchen; ein 
Teil Schatten. 

ie 19° = z Alle roten Blutkörperchen zerfallen; 
die Leukocyten anscheinend unver- 
ändert). 


Eine erforderliche Abkühlung der Präparate wurde durch 
Überrieselung mit kaltem Wasser erreicht. Die Hinlänglichkeit 
der Abkühlung wurde durch Kontrollversuche bekräftigt, indem 
ähnliche Präparate von der entgegengesetzten Seite, also durch 
das Objektglas belichtet wurden. 


) H. Salvendi (Über die Wirkung der photodynamischen Sub- 
stanzen auf weiße Blutkörperchen. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 87, 356. 
1906) hat gezeigt, daß auch weiße Blutkörperchen sich sensibilisieren lassen. 


492 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Kontrolle (durch Glas belichtet) nach 20 Min. Belichtung: 
die Blutkörperchen normal. 

Die Kontrollversuche zeigen ferner die Bedeutung der 
kurzwelligen Lichtstrahlen für die Destruktion der roten Blut- 


körperchen. 
Eine Belichtung mit intensivem Licht — reich an 
kurzwelligen Strahlen — ist also imstande, Hämolyse 


und Destruktion normaler (nicht sensibilisierter) roter 
Blutkörperchen hervorzurufen. 


Ich kehre zu der Frage zurück über den Einfluß des 
Serumzusatzes auf die spezifische Wirkung der sensibilisierenden 
Stoffe gegenüber roten Blutkörperchen. 

Die Versuche wurden in sehr starkem, diffusen Tages- 
licht angestellt (mitten am Tage im Juli, an einem Fenster 
nach Süden, wobei aber die Präparate gegen das direkte 
Sonnenlicht geschützt wurden). Lösungen der sensibilisierenden 
Stoffe in 0,9 %/, NaCl wurden in Reagensgläser mit Serum resp. 
0,9 °/o NaCl-Lösung gemischt, und man setzte darauf jedem 
Glas einige Tropfen defibriniertes Kaninchenblut zu. 


Versuch 28. 
Eosin-Na (1/5000 — 5 ccm Im Licht nach 3 Stunden 
0,9 °/o NaCl-Lösung — 5 ccm -+ kräftige Hämolyse. 
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen} | Im Dunkel nach 4 Stunden 


—- Hämolyse. 
Eosin-Na (l/so0) —Öccm Im Licht nach 4 Stunden 
N-Kaninchen-Serum — 5 ccm —- Hämolyse. 
Defibriniertes Blut — 5Tropfen j | Im Dunkel nach 4 Stunden 
=- Hämolyse. 





Versuch 29. 
Dichloranthracendisulf. Na (1/5000) — 5 ccm Im nn se 3Std. 
0,9 °/o NaCl- Lösung — 5 cem + Hämolyse. 

Br Im Dunkel nach 
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen) (4 Std. — Häm olyse. 
Dichloranthracendisulf. Na (1/5000) — 5 ccm Im on nn 4Std. 
N -Kaninchen - Serum — 5 ccm a a 

EEE Im Dunkel nach 
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen) l4 Std. — Häm olys«. 





G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 493 


Aus diesen Versuchen, welche ich übrigens mit mehreren 
anderen der in den übrigen Versuchsreihen besprochenen Sensi- 
bilisatoren wiederholt habe, geht die aufgehobene Wirkung der 
Sensibilisatoren mit genügender Deutlichkeit hervor. In einem 
Teil der Versuche trat die Hämolyse erst ein, wenn die Prä- 
parate direktem Sonnenlicht ausgesetzt wurden, es war jedoch 
beständig derselbe Unterschied zwischen den Präparaten ohne 
Serum und den Präparaten mit Serum vorhanden. 


Nachdem ich im vorhergehenden den hemmenden Einfluß 
des Serumzusatzes auf die spezifischen Wirkungen der Sensibili- 
satoren gegenüber einer Reihe verschiedenartiger organisierter 
Elemente nachgewiesen habe, gehe ich dazu über, meine Ver- 
suche mit nichtorganisierten Objekten (Diastase, Invertin und 
Rizin) zu besprechen. 


Die Diastase-Versuche wurden auf folgende Weise aus- 
geführt: Lösungen der sensibilisierenden Stoffe (in destilliertem 
Wasser) wurden mit gleichen Teilen destilliertem Wasser resp. 
norm. Kaninchen-Serum gemischt, darauf wurden den ver- 
schiedenen Mischungen 0,4 °/„ige Lösungen der Diastase zugesetzt. 
Die Präparate wurden in gleich große Erlenmeyersche 
Kolben gebracht und danach der Einwirkung starken, diffusen 
Tageslichtes während so langer Zeit ausgesetzt, daß die Diastase 
in den Präparaten ohne Serumbeimischung ganz oder ungefähr 
ganz destruiertt wurde (die ungefähre Expositionszeit wurde 
durch vorausgehende orientierende Versuche festgestellt. Nach 
der Belichtung wurden 5 ccm jeden Präparates mit 45 ccm 
Stärke (1 °/o) gemischt und danach bei Stubentemperatur ins 
Dunkel gestellt. Die nicht belichteten Kontrollpräparate wurden 
gleichzeitig auf entsprechende Weise behandelt. Es wurden 
darauf mit bestimmten Zwischenräumen Stichproben von sämt- 
lichen Mischungen genommen und den Stärkegehalt bestimmte 
ich qualitativ mit Jod in Jodkalium mittels der Tropfen- 
methode. 

Es ergab sich, daß der Verlauf des diastatischen Prozesses 
durch den Serumzusatz etwas gehemmt wurde, und daß sich 
eine ähnliche Hemmung durch Zusatz einer geringen Nag CO;- 
Menge hervorrufen ließ. 


494 G. Busck, Photobielogische Sensibilisatoren. 


Versuch 30. 
Eosin Na (1/4000 Mol.) — 1 Teil 
À. Destilliertes Wasser — 1 Teil 
0,4 °/, Diastase — 2 Teile. 


Eosin Na (!/sooo Mol.) — 1 Teil 
B. N-Kaninchen-Sertum  — 1 Teil 


0,4 °/, Diastase — 2 Teile. 

Eosin Na (1/4000 Mol.) — 1 Teil 
C. < Yıoo norm. NaCO; — 1 Teil 

0,4 °/, Diastase — 2 Teile. 


Von jeder der drei Mischungen A, Bund C wurde ein Teil 
ins Dunkel gestellt, während ein zweiter Teil 6 Stunden lang 
belichtet wurde. 


Nach Hinzusetzung von Stärke (1 °%,) und Stehen im 
Dunkel wurden mit der Jod-Probe die in der Tabelle angegebenen 
Resultate erzielt. 























































ra | 1 Stunde 4 Stunden 6 Stunden | 20 Stunden 
Licht | stark blaue stark blaue stark blaue | stark blaue 
A | Farbe Farbe Farbe Farbe 
i | Dunkel | schwach blaue | ungefärbt ungefärbt | ungefärbt 
Farbe 
Licht | stark blaue schwach blaue | fast un- ungefärbt 
B Farbe Farbe gefärbt 
“| Dunkel | schwach blaue | ungefärbt ungefärbt ungefärbt 
Farbe 
Licht | stark blaue stark blaue stark blaue | stark blaue 
C Farbe Farbe Farbe Farbe 
` ) Dunkel | stark blaue schwach blaue | fast un- ungefärbt 
Farbe Farbe gefärbt 





Gleichzeitig mit der letzten Jodprobe, also nach 20 Stunden 
langem Stehen, wurden die verschiedenen Präparate mit Hilfe 
der Trommerschen Probe auf Zucker untersucht. In „A-Licht“ 
und „C-Licht‘“ ließ sich kein Zucker nachweisen, während in 
allen übrigen Präparaten natürlich reichlich Zucker vorhanden war. 

Sechsstündige Belichtung hatte also die sensibili- 
sierte Diastase-Lösung in den Präparaten A und C 
vollständig wirkungslos gemacht, während sie in dem 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 495 


serumhaltigen Präparat B nur eine geringe Ab- 
schwächung hervorgerufen hatte. 

Bei den Invertinversuchen benutzte ich folgendes Ver- 
fahren: 0,5 g Invertin wurden mit 25 g dest. Wasser in 
Porzellanmörsern ausgerührt. Die Aufschwemmung wurde zentri- 
fugiert und die klare Lösung zu den Versuchen benutzt. Die 
Präparate wurden in gleich großen Erlenmeyerschen Kolben 
der Einwirkung des diffusen Tageslichtes ausgesetzt und nach 
kürzerer resp. längerer Zeit wurden sowohl von diesen be- 
lichteten Präparaten wie auch von nicht belichteten Kontroll- 
präparaten Stichproben genommen, deren invertierende Fähigkeit 
gegenüber 5 °/, Rohrzuckerlösungen danach polarimetrisch be- 
stimmt wurde. 


Versuch 31. 
Eosin-Na (}/sooo Mol.) — 1 Teil Licht 


A. | Dest. Wasser — 1 Teil 
Invertinlösung — 2 Teile. Dunkel. 
Eosin-Na (!/sooo Mol.) — 1 Teil Licht 

B. | Kaninchenserum — 1 Teil 
Invertinlösung — 2 Teile. Dunkel. 


Nach einer Stunde wurden von jedem der vier Präparate eine 
Probe von 5 ccm genommen. Jede der Proben wurde mit 
95 ccm einer 5 °/ KRohrzuckerlösung gemischt, welche bei 
Stubentemperatur ins Dunkel gestellt und deren invertierende 
Zuckermenge nach 7 resp. 20stündigem Stehen bestimmt wurde (I). 

Nach im ganzen 2"/sstündiger Belichtung wurden wiederum 
5 ccm jeden Präparates 95 ccm einer 5°/sigen Rohrzuckerlösung 
zugesetzt, welche ebenfalls nach 6 resp. 20stündigem Stehen 
polarimetrisch untersucht wurde (II). 

Die polarimetrischen Ablesungen ergaben folgende Resultate: 


I. Präp. 1 Stunde belichtet, 


| Nach 7 Stunden | Nach 20 Stunden 











A. Licht . + 2° 45’ + 2° 27 
A. Dunkel + 0° 25° — 1° 06’ 
B. Licht . + 1° 50’ + 0° 06’ 
B. Dunkel + 0° 40' = 1° 02 


Biochemische Zeitschrift Band I. 33 


496 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


II. Präp. 2'/s Stunden belichtet. 


sm a -ae ma a Č -— —— 


| Nach 6 Stunden | Nach 20 Stunden 


ʻ mn nn an ne Imao a aoaout 











A. Licht . . . + 2° 33 + 2° 4’ 
A. Dunkel . . + 0° 54 1° 04 
B. Licht . . . + 20 38’ + 2° 16 
B. Dunkel . . + 1° 06’ —=— 0° 58’ 


Infolge des Eiweißgehalts des Serums verursacht der 
Serumzusatz indessen eine Drehung der Polarisationsebene nach 
links; die Drehung betrug in diesem Fall 0° 08°, indem die 
Bestimmung der Richtung der Polarisationsebene bei Versuchen 
mit Rohrzuckerlösungen mit und ohne Serumbeimischung fol- 
gendes Resultat ergab. 


5 °/, Rohrzuckerlösung — 95 Teile 


0 ‘ 
Dest. Wasser — 5 Teile wen 
5 °/u Rohrzuckerlösung — 95 Teile 
Kaninchenserum — 2,5 Teile f + 3° O1‘. 
Dest. Wasser — 2,5 Teile 


Diese Korrektion muß also in den 2 obenstehenden Tabellen 
eingeführt werden, und diese bekommen dann folgendes Aussehen. 


I. Präp. 1 Stunde belichtet. 






Nach 7 Stunden | Nach 20 Stunden 





A. Licht... +2 aa + 2° 97 
A. Dunkel . . +f0° 25’ = 1° 06’ 
B. Licht . . . +1’ 423 = 0° o7 
B. Dunkel . . + 0r B2 — 1° w’ 


Il. Präp. 252 Stunden belichtet. 








| Nach 6 Stunden | Nach 20 Stunden 


A. Licht... +20 zw + 2° g 
A. Dunkel . . + 0° 54 — 1° 04 
B. Licht i aa 4 20 30 + 2° 08° 
RB. Dunkel . . + 0° 5g’ — 1° 0’ 


Der hemmende Einfluß des Serums auf die sensi- 
bilisierende Wirkung des Eosin gegenüber dem Invertin 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 497 


ist deutlich in Tabelle I zu sehen. Nach einstündiger 
Belichtung hat das Serumpräparat (B. Licht) noch eine 
kräftig invertierende Fähigkeit, während diese in dem 
Präparat ohne Serum (A. Licht) fast vollständig auf- 
gehoben ist. Aus Tabelle II geht hervor, daß der Serum- 
susatz in diesem Fall doch nur eine Hemmung und bei weitem 
keine vollständige Aufhebung der Eosinwirkung erzielt hat, denn 
schon nach 2!/s stündiger Belichtung ist die vom Licht hervor- 
gerufene Destruktion des Invertins auch im Serumpräparat weit 
vorgeschritten (B. Licht). 

In Analogie mit dem, was bei den früher besprochenen 
Alexinversuchen der Fall war, finden wir also hier, daß Lösungen 
der sensibilisierenden Stoffe nach Hinzufügung gleicher Teile 
Serum noch deutliche senbilisierende Wirkungen gegenüber 
Invertin in Verdünnungen besitzen, in welchen die Wirkung 
gegenüber Paramäcien vollständig aufgehoben ist. 

Die Ursache zu diesem Unterschied darf wohl teils in der 
Veränderung der osmotischen Verhältnisse gesucht werden, welche 
der Serumzusatz in den sensibilisierenden Lösungen hervorruft 
(siehe später) — eine Veränderung, welche zweifellos großen 
Einfluß auf die Resultate in den Paramäcienversuchen hat, während 
es nicht anzunehmen ist, daß sie eine entscheidende Rolle in Ver- 
suchen mit aufgelösten, nicht organisierten Stoffen spielt — 
teils in dem Umstande daß, während die Paramäcien überhaupt 
nicht auf die Lichtwirkung reagieren wollen, sobald dieselbe 
unter ein gewisses Minimum sinkt, die photo-chemischen Reak- 
tionen unter denselben Bedingungen durch beständige Addition 
kleiner Lichtwirkungen einen deutlichen Ausschlag geben können. 

In Versuchen mit Rizin zeigte es sich ebenfalls, daß der 
Serumzusatz einen hemmenden Einfluß auf die spezifischen 
Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe hatte. 

Die Versuchsanordnung war folgende: 1 Teil Rizin wurde 
in einem Porzellanmörser mit 100 Teilen einer 0,9 "/oigen NaCl- 
Lösung angerührt und das Präparat durch Glaswolle filtriert. 
Die sensibilisierenden Stoffe werden ebenfalls in 0,9 %/, NaCl 
aufgelöst. Die Belichtung wurde auch in diesen Versuchen in 
Erlenmeyerschen Kolben vorgenommen und als Maß für 
die Lichtwirkung auf das Rizin benutzte ich die agglutinierende 


Wirkung der belichteten Präparate auf rote Blutkörperchen. 
33% 


498 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Da die Kontrollversuche ergaben, daß die Agglutination be- 
deutend langsamer in Präparaten mit Serum als in Präparaten 
ohne Serum vor sich ging, so versuchte ich diesen Unterschied 
dadurch auszugleichen, daß ich, anstatt wie im Anfang aus- 
gewaschene, in 0,9 °/, NaCl. aufgeschlemmte Blutkörperchen, 
defibriniertes, mit Serum von demselben Kaninchen verdünntes 
Blut anwendete. 


Ich führe einen einzelnen Versuch als Beispiel an: 


Versuch 32. 
Eosin Na ('/so0o0o Mol.) — 1 Teil | Licht 
A. 10,9%, NaCl — 1 Teil 
Rizin (1°/,) — 2 Teile | Dunkel. 
Eosin Na (!/s000 Mol.) — 1 Teil Licht 
B. ?Kaninchenserum — 1 Teil 
nn — 9 Teile Dunkel. 


Die agglutinierende Fähigkeit der Präparate wurde nach 
15 Min., 30 Min. und 45 Min. langer Belichtung untersucht. 
Ich habe in der unten angeführten Tabelle diejenigen Mengen 
Blut angegeben, in welchen 1 Vol. der verschiedenen Präparate 
noch totale Agglutination (das Filtrat klar!) hervorzurufen 
vermochte. 


Nach 15 Min. langer Belichtung: 


A. Licht — 4 Teile Blut 
A. Dunkel — 8 ,, j 
B. Licht — 6 ,, 


B. Dunkel — 8 ,, 


Nach 30 Min. langer Belichtung: 
A. Licht — ca. !'/a Teil Blut 


A. Dunkel — 8 Teile , 
B. Licht — ” E 
B. Dunkel — 8 a a 
Nach 45 Min. langer Belichtung: 
A. Licht — —- agglutinierende Wirkung 
A. Dunkel — 8 Teile Blut 
B. Licht — ca.1 Teil ,, 
B. Dunkel — 8 Teile 


29 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 499 


In dem Serumpräparat (B. Licht) ist die sensibilisierende 
Wirkung des Eosins also bedeutend geringer als in dem Prä- 
parat ohne Serumzusatz (A. Licht) gewesen, indem die vom 
Licht hervorgerufene Destruktion des Rizins viel langsamer in 
dem ersten als in dem letzten vor sich gegangen ist; jedoch 
stoßen wir übrigens hier auf dieselben Verhältnisse, die auf 
Seite 497 besprochen sind, indem das hinzugesetzte Serum 
nicht wie in den Paramäcienversuchen die sensibilisierende 
Wirkung eines gleichen Volumens einer !/so0o0o Mol. Eosinlösung 
aufgehoben, sondern nur verringert hat. 


Die Resultate der im letzten Abschnitt besprochenen 
Versuchsreihen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 

Ein Zusatz von Serum zu Lösungen sämtlicher 
hier untersuchten photobiologischen Sensibilisatoren 
bewirkt Herabsetzung resp. Aufhebung der spezifi- 
schen Wirkungen dieser Stoffe sowohl gegenüber Mikro- 
organismen (Paramaecium caudatum, Trypanosoma 
Brucei), tierischen Gewebezellen (Flimmerzellen der 
Frösche) und roten Blutkörperchen, sowie gegenüber 
Enzymen (Diastase, Invertin) und Toxinen (Rizin). 
Der hemmende Einfluß des Serums tritt stärker in 
Versuchen hervor, wo die Sensibilisationsfähigkeit 
gegenüber Mikroorganismen oder Gewebezellen unter- 
sucht wird, als in Versuchen mit Lösungen nicht orga- 
nisierter Körper. 


V. 


Über die Wirkung verschiedener Seren und anderer Kolloide 
gegenüber den photobiologischen Sensibilisatoren — mit Rück- 
sicht auf deren Toxizität und sensibilisierende Eigenschaften. 


Alle die in dem vorhergehenden Abschnitt besprochenen 
Versuche sind mit Kaninchen-Serum angestellt, und es er- 
hebt sich jetzt die Frage, inwiefern sich Seren anderer Tier- 
arten ähnlich verhalten oder ob sich zwischen den Wirkungen 
der verschiedenen Seren Unterschiede geltend machen. 

Die zu den folgenden Versuchen angewendeten Seren 
wurden bis zur Anwendung ca. 24 Stunden nach dem Aderlai; 


500 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


der betreffenden Tiere im Eisschrank aufbewahrt. Vor dem 
Gebrauch wurden sie — im Hinblick auf die Alexinwirkung — 
eine Stunde lang im Thermostat auf 56° erwärmt; nur bei 
dem Ochsenserum erwies es sich als notwendig, die Erwärmung 
zwei Stunden lang fortzusetzen. Die Exponierung der einzel- 
nen Präparate innerhalb jeder Versuchsreihe wurde gleichzeitig 
und unter gleichartigen Verhältnissen begonnen bei diffusem 
Tageslicht an einem Fenster nach Osten. 


Versuch 33. Eosin-Na. 

























RTF | 
E AE 23 5 3 2 |Paramäcien | Paramäcien 
8 slala|s|á|fE5| im Licht | im Dunkel 
318133[3|3 8|s” 
=] ® |: 
= 23|Sl2elal |” 













2 | + 10 Stunden |Leb. 24Stunden 
2 | r 3 Stunden a 
2 | t 5 Stunden Pr fr 
2 |Leb.24Stunden] „ 24 „ 
1 2 | t 5 Stunden mu 
1 2 | t 24 Stunden | „ 24 „ 
1 2 | + 21/,Stunden| „ 4 „ 
1| 2 |+3Stunden | „4 „ 
3 | + 30 Min. ee 





ng 


Versuch 34. Dichloranthracendisulfosaures Na. 














z =: 
z ' 
22|8|88 : 58 | g| 
Ca = EIES 5 2 = E ES: Paramäcien | Paramäcien 
amg P- 8 $ = w o RB & 72 . . . 
salco | oe | Ss |s I aAl2| 95|5|15 2 im Licht im Dunkel 
ao 9 [5 
"13/15/8j=2|143/23|13|151|% 
3 — Q 9 [am 
AHIA olA |w fos 
1 + 24 Stunden | Leb. 24Stunden 





t 5'/,Stunden]| „ 
+ 6 Stunden n 24 
Leb.24Stunden| „ 

+ 5 Stunden á 

+ 24 Stunden j Si 
t 4 Stunden „ 24 
t 6 Stunden „ 24 
+t 5 Min. n 24 


pó pad pd pd pd pd p pd ja 
GLONN DD DNDDD 


- SS n Sa a na 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 501 


In !/soo Mol. dichl. Na-Lösungen wurde die sensibilisierende 
Wirkung vollständig durch Hinzufügung gleicher Teile der ver- 
schiedenen Seren aufgehoben, — nur in den Präparaten mit 
Hunde-Serum wurden die Paramäcien 24 Stunden nach Beginn 
der Exponierung tot gefunden. 

Wie es aus den Tabellen hervorgeht, ergaben die Versuche 
eine außerordentlich große Verschiedenheit in der Wirkung der 
Seren von verschiedenen Tierarten. Es ließ sich indessen bei 
vergleichenden Versuchen mit einer Reihe Seren von Tieren 
derselben Art eine ähnliche Abweichung in der Wirkung 
nachweisen. 


Versuch 35. 

Serum von 4 verschiedenen Pferden: A, B, C und D. 
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 4 Std. 
Pferde-Serum A — 1 ?ọ Par. im l 
Par. Kultur —? Dunkel. leb. 24 Std. 
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 21), Std. 
Pferde-Serum B — 1 ! Par. im 
Par. Kultur —? Dunkel: leb. 24 Std. 
Rose Bengal ('/100 Mol.) — 1 | Licht: +4 Sta. 
Pferde- Serum C — 1 ?ọ Par. im | 
a m | Dunkel: leb. 24 Std. 
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 31, Std. 
Pferde-Serum D — 1 ọ Par. im 
Par Eal 9 Dunkel: leb. 24 Std. 
Rose Bengal ('/ıooo Mol) — 1 Licht: t momentan 
Dest. Wasser — 1 ọ Par. im 
Pir: Kultur —? Dunkel: 7 2 Min. 


Der Grund dafür, daß ein ähnlicher Unterschied in der 
Wirkung der vielen verschiedenen Kaninchenseren, mit denen 
ich früher gearbeitet habe, nicht augenfällig gewesen ist, muß 
darin gesucht werden, daß die regelmäßige und gleichartige 
Fütterung der Kaninchen eine große Gleichartigkeit ihrer „Blut- 
alkaleszenz‘‘ zur Folge hat. Es ergab sich nämlich, daß ich 
durch Variation der Diät der Kaninchen Seren erhalten konnte, 
welche die sensibilisierenden Eigenschaften des Eosin-Na in 
ungleichem Grad herabsetzten. 


502 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuch 36. 


Zwei Kaninchen desselben Wurfs, welche beständig zusam- 
men in einem Käfig gelebt hatten, wurden auf verschiedene 
Diät gesetzt, indem das eine (A) ausschließlich mit in Wasser 
aufgeweichtem Brot und Hafer gefüttert wurde, während das 
andere (B) nur Kohlblätter erhielt. Die Diät bewirkte, daß 
Kaninchen A eine sparsame Diurese mit saurem, konzentriertem 
Urin bekam, während derselbe bei Kaninchen B reichlich und 
alkalisch reagierend war. Nach 10 Tagen wurden von den zwei 
Kaninchen Blutproben genommen und mit den dadurch ge- 
wonnenen Seren folgende Versuche angestellt. 


I. Eosin-Na. 
Eosin-Na (?/goo Mol.) — 1 Teil Licht: + 31/, Std. 
O-Kaninchenserum A — 1 Teil } Par. im 
Par.-Kultur ae 92 Teile Dunkel: leb. 24 Std. 


Eosin-Na (Y/soo Mol.) — 1 Teil | 


Licht: t 2 Std. 
O-Kaninchenserum B — 1 Teil | Par. im 


Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std. 


II. Dichloranthracendisulfosaures Na. 
Dichl. Na (!/ıoo Mol.) — 1 Teil 


Licht: } 4 Std. 
O-Kaninchenserum A — 1 Teil } Par. im 
Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std. 


Dichl. Na (1/100 Mol.) — 1 Teil Licht: + 3 Std. 
O-Kaninchenserum B — 1 Teil } Par. im 
Par.-Kultur — 2 Teile Dunkel: leb. 24 Std. 


Der Unterschied zwischen den Wirkungen der zwei Seren 
A und B ist in dem obenstehenden Versuch ganz gewiß nicht 
groß, gewinnt jedoch an Bedeutung, wenn er mit der Ver- 
schiedenheit verglichen wird, welche Seren verschieden ge- 
fütterter Kaninchen in anderen Beziehungen in ihrem Ver- 
hältnis gegenüber Lösungen photobiologischer Sensibilisatoren 
aufwiesen (siehe Abschnitt VI und VID. 

Im Anschluß an die oben besprochenen Versuche lag es 
nahe zu untersuchen, inwiefern eine Hinzufügung kleiner Mengen 
von Säure oder Alkali einen Einfluß auf die Fähigkeit des Serums 
hat, die spezifischen Wirkungen der Sensibilisatoren zu vermindern. 
Versuche dieser Art stoßen indessen auf recht bedeutende 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 503 


Schwierigkeiten, indem die Versuchsobjekte, welche das Maß 
tür die Intensität der Lichtwirkung abgeben sollen, selbst so 
außerordentlich stark von Säure oder Alkali beeinflußt werden. 
Bekanntlich sind die Paramäcien besonders empfindlich sogar 
gegen die geringsten Mengen von Säuren und sie vertragen auch 
nur eine sehr geringe Beimischung von Na OH oder NasCO;s; 
ähnliches gilt für die roten Blutkörperchen, und Enzyme werden 
ja vielleicht in noch höherem Grad von Differenzen in der 
Alkaleszenz beeinflußt. Von mir, mit Erythrocyten ausgeführte 
Versuche ergaben daher auch vollständig negative Resultate. 
Die Paramäcienversuche glückten etwas besser; ich führe ein 
einzelnes Beispiel an: 
Versuch 39. 

Das benutzte Serum stammt von einem Kaninchen, das 
zehn Tage ausschließlich von Hafer und Brot gelebt hatte. Die 
Mischungen wurden in einer Reihe Reagensgläsern vorgenommen, 
welche mit Schutzhüllen aus schwarzem Papier gegen das Licht 
geschirmt waren. Erst wurden in jedes Glas 10 Teile Serum 
abpipettiert; danach wurde NasCOs in steigenden Mengen, so- 
wie 10 Teile einer !/s0o Mol. Eosin Na-Lösung zugesetzt. ‘Nach 
dem Schütteln wurden schließlich jedem Glas 20 Teile Para- 
mäcienkultur zugesetzt und es wurde durch Beimischung von 
destilliertem Wasser dafür Sorge getragen, daß die Verdünnung 
überall dieselbe war. Von diesen Mischungen wurden Tropfen 
in feuchten Kammern angebracht, die danach auf einmal 
diffusem Tageslicht ausgesetzt wurden. 
























2|t sjsisjsisisis|s 
oO Jolo SO [a|E| S 

h -a 4 A ER 
E Z 4 4 Z = A E E Paramäcien | Paramäcien 
es) 318% allalab. im im 
= S&S] £ ala eig 
= s' 515 z a| Licht Dunkel 
= Z, z z oloóloöl°lg k 
2 5 S S Z Z, Z, al a 
ZI I2 2228 =)x|o 















to 


10| 20 |F 2 „ 24 


n n 
+71 Stunde | + 7 Stunden 


504 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Selbst wenn die Tötungszeiten der Paramäcien in dem oben- 
stehenden Versuch deutlich mit dem steigenden Na; CO;-Gehalt 
verkürzt sind, so läßt es sich doch nicht mit Sicherheit ent- 
scheiden, inwiefern dies auf eine erhöhte Lichtwirkung zurück- 
zuführen ist oder ob es ausschließlich der zunehmenden toxi- 
schen Wirkung des kohlensauren Natrons zugeschrieben werden 
muß; denn dieser letzten Annahme wird ja nicht von dem 
Umstand widersprochen, daß die Paramäcien in allen Dunkel- 
präparaten mit Ausnahme des letzten am Leben blieben. Später 
zu besprechende Versuche über den Einfluß der Alkali-Bei- 
mischung auf die Fluoreszenz- und Diffusionsverhältnisse der 
Serumfarbstoffmischungen erhöhen indessen die Wahrschein- 
lichkeit der Annahme, daß eine NaOH- oder NaCO;-Bei- 
mischung auch die sensibilisierende Fähigkeit der besprochenen 
Mischungen steigert. In diesem Zusammenhang ist untenstehender 
Versuch auch nicht ohne Interesse. 


Versuch 40. 


Serum von einem Kaninchen, das einige Zeit mit Kohl- 
blättern gefüttert war, wurde in zwei gleiche Portionen geteilt, 
von denen die eine in einem Dialysator angebracht wurde, um 
24 Stunden gegen eine reichliche Menge destillierten Wassers 
zu dialysieren. Der Dialysator mit Inhalt wurde vor und 
nach der Dialyse gewogen und eine der Gewichtserhöhung ent- 
sprechende Wassermenge wurde der zweiten Serumportion bei- 
gemischt. Danach wurden die zwei Seren wie gewöhnlich 
45 Minuten auf 56° erwärmt. 


1/.oo mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: F 2 Std. 
Nichtdialys. Kaninchenserum — 1 Teil (Par. im Dunkel: 
Par.-Kultur — 2 Teile leb. 24 Std. 
!/soo mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: 7 31s Std. 
Dialys. Kaninchenserum — 1 Teil } Par. im Dunkel: 
Par.-Kultur — 2 Teile leb. 24 Std. 


Ebenso wie die spezifischen Wirkungen der sensi- 
bilisierenden Stoffe in verschiedenem Grad von ver- 
schiedenen Seren beeinflußt werden, so haben letztere 
auch einen ungleich starken Einfluß auf die Toxizität 
der Stoffe, und es ließ sich insofern ein deutlicher 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 505 


Parallelismus nachweisen, als die auf die Sensibili- 
sation am stärksten hemmenden Seren auch die 
Toxizität am stärksten herabsetzen. 


Es ließe sich denken, daß der im vorhergehenden nach- 
gewiesene hemmende Einfluß auf die toxischen und sensibili- 
sierenden Wirkungen der hier besprochenen Stoffe in der erhöhten 
Viskosität läge, die die Serumbeimischung den Lösungen bei- 
bringt. Eine derartige Erklärung würde wenigstens bei den 
Paramäcienversuchen nicht von vornherein als unwahrscheinlich 
erscheinen. Die Frage ließ sich indessen leicht durch ver- 
gleichende Versuche mit anderen kolloidalen Lösungen lösen. 
Ich benutzte Leim, Gelatine, Gummi Arabicum!), Stärke in 
Lösungen, welche, nach Untersuchung mit Ostwalds Viskosi- 
meter?), ungefähr dieselbe Viskosität wie Serum hatten. 


I. Toxizitätsuntersuchungen: 
Versuch 41. Rose Bengal. 


1/1000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil 

Leitungswasser — 1 Teil } Par. im Dunkel: + 5 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile 

1/ 000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil Par. an Dinter: 
O.-Kaninchenserum — 1 Teil leb. 24 Stunden 
Par.-Kultur — 2 Teite i l 


1/2000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil 
Gummi Arabicum (2%) — 1 Teil ? Par. im Dunkel: ł 15 Min. 


Par.-Kultur — 2 Teile 
1/1000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil 
Leimlösung (2°/,) — 1 Teil ? Par. im Dunkel: + 10 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile 


Versuche mit anderen Stoffen der Fluoreszeinreihe ergaben 
in dieser Beziehung dasselbe Resultat. Ebenfalls eine Reihe 
der anderen, früher besprochenen Stoffe. Als Beispiel führe 
ich an: 


1) Gummi Arabicum-Lösungen reagieren in der Regel schwach sauer, 
und müssen vor dem Gebrauch zu Versuchen mit Paramäcien sorgfältig 
mit Na,CO, neutralisiert werden. 

%) Ostwald und Luther: Physiko-Chemische Messungen, 2. Aufl., 
S. 260. 


506 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuche 42. on (Chinolinblau). 


Cyanin (1: 30000) 
Destilliertes Wasser 
Par.-Kultur 

Cyanin (1: 30000) 
O.-Kaninchenserum 
Par.-Kultur 

Cyanin (1: 30000) 
Gelatine (1/0) 
Par.-Kultur 


pi è NO i e DD. pt 


| 
X 


en T Par. im Dunkel: +7 30 Min. 
Teile | 
ais 

| Par. im Dunkel: leb. 24 Std. 
2 
= a | Par. im Dunkel: + 35 Min. 
Teile 


II. Sensibilisationsuntersuchungen. 
Versuch 43. Eosin-Na. 


1/500 Mol. Eosin-Na 
Leitungswasser 
Par.-Kultur 


1/5000 Mol. Eosin-Na 
N.-Kaninchenserum 
Par.-Kultur 


1/2000 Mol. Eosin-Na 


Gummi Arabicum (2°/,) 


Par.-Kultur 


1/2000 Mol. Eosin-Na 
Leimlösung (2°/,) 
Par.-Kultur 





Versuch 44. Dichloranthracendisulfosaures Na. 


1/1000 Mol. dichl. Na 
Destilliertes Wasser 
Par.-Kultur 

1/ 000 Mol. dichl. Na 
O.-Kaninchenserum 
Par.-Kultur 


1/ 000 Mol. dichl. Na 
Leimlösung (2°/,) 
Par.-Kultur 


1 


“Dre N e 


1 
2 


1 Teil i an T1!/, Std. 
1 Teil / Par. im Dunkel: 

2 Teile | leb. 24 Std. 

1 Teil Licht: leb. 24 Std. 
1 Teil [perin Dunkel: 

2 Teile leb. 24 Std. 

1 Teil Licht: + 1!/s Std. 
1 Teil Ir im Dunkel: 

2 Teile leb. 24 Std. 

1 Teil Licht: T 2 Std. 
1 Teil Ir | Dunkel: 

2 Teile leb. 24 Std. 
Teil Licht: + 5 Min. 
Teil ? Par. im Dunkel: 
Teile leb. 24 Std. 
Teil Licht: leb. 24 Std. 
Teil Im 3 Dunkel: 
Teile leb. 24 Std. 
Teil Licht: + 10 Min. 
Teil ‘Par. im Dunkel: 
Teile leb. 24 Std. 


Die angeführten Versuche werden genügen, um zu 
beweisen, daß die Erhöhung der Viskosität vielleicht 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 507 


einen geringen Einfluß auf die toxischen und sensi- 
bilisierenden Wirkungen der Farbstoffe besitzt, daß 
dieser Einfluß jedoch keineswegs zur Erklärung der 
Folgen des Serumzusatzes genügt. — Die Versuche 
zeigen ferner, daß die hier besprochenen Wirkungen 
gegenüber den photobiologischen Sensibilisatoren in- 
sofern dem Serum eigen sind, da sie nicht von Kol- 
loiden im allgemeinen hervorgerufen werden können. 
Es muß daher angenommen werden, daß die Wirkung von 
einem bestimmten Stoff herrührt, den das Serum enthält, und 
es liegt nahe die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Eiweiß- 
stoffe des Serums zu richten. 


Versuch 45. 


Kaninchenserum wird mit vier Teilen dest. Wasser verdünnt, 
worauf die Eiweißstoffe mit Essigsäure gefällt werden. Nach 
Filtration durch aschenfreien Filter und sorgfältiger Neutralisation 
mit Natriumkarbonat wird das Filtrat auf Wasserbad zu dem 
ursprünglichen Volumen eingedampft, um danach zu folgenden 
Versuchen benutzt zu werden: 


1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: ł 2 Std 


Dest. Wasser — 1 Teil \ Par. im 

Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std. 

i a _ i 

12000 Mol Eoma Na] Teil | Licht: leb. 24 Std. 

O-Kaninchenserum — 1 Teil $ Par. im Dunkel: leb. 24 Std 

Par.-Kultur — 2 Teile a | 

1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Kaninchenserum — Eiweiß- Par. i Licht: t 2!/3 Std. 
stoffe — 1Teil fr MR) Dunkel: leb. 24 Std. 

Par.-Kultur — 2 Teile 


Der Versuch zeigt, daß der hemmende Einfluß des Serum- 
zusatzes auf die sensibilisierende Wirkung der Eosinlösungen 
entweder den Eiweißstoffen des Serums oder Stoffen zuzu- 
schreiben ist, welche mit diesen gefällt werden. Ich ging daher 
dazu über zu untersuchen, inwiefern sich eine ähnliche Wirkung 
durch Hinzufügung anderer Eiweißstoffe oder von Stoffen her- 
vorrufen ließ, die diesen nahe stehen. 


508 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Toxizitätsuntersuchungen. 
Versuch 46. Eosin-Na-Hühnereiweiß,. 


Hühnereiweiß wurde geschlagen, filtriert und mit dest. 
Wasser verdünnt, bis es dieselbe Viskosität wie Serum hatte. 


Eosin-Na (1:50) — 1Teil 
Leitungswasser — 1Teil ọ Par. im Dunkel: ł 30 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile 
a: no D a) = Se Par. im Dunkel: 
-Kaninchenserum — ei g 
Hälfte 2 ; 
Par.-Kultur — 2 Teile a DRE a 
.. en oo no Par. im Dunkel: 
er ühnereiweiß — ei 
; leb. 8 Std.; T 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile | ° l 


Versuch 47. Rose-Bengal-Hühnereiweiß. 

Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil 

Leitungswasser — 1 Teil ọ Par. im Dunkel: F 10 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile 

Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil 

O-Kaninchenserum — 1 Teil Par. im Dunkel: leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile 
Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil 
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil 


Par. im Dunkel: 
Hälfte T 24 Std. 


Par.-Kultur — 2 Teile 
Versuch 48. Tetrachlortetrabromfluoreszein K. — 
Hühnereiweiß. 
Tetrachl.-K. (1:2000) — 1 Teil | 
Leitungswasser — 1Teil | Par. im Dunkel: f 20 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile | 


Tetrachl.-K.(1:2000) — 1 Teil 
O-Kaninchenserum — 1 Teil }Par. im Dunkel: leb. 24 Std. 


Par.-Kultur — 2 Teile 
Tetrachl.-K. (1:2000) — 1 Teil 
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil Par. im Dunkel: leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 509 


Versuch 49. Eosin-Na— Pepton purissim. (Grübler). 

Das Pepton wurde in 5°sigen oder 10°/,igen wässerigen 
Lösungen benutzt. Es erwies sich eine Neutralisierung mit 
Nas CO, als notwendig. 


!/g, Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Dest. Wasser — 1Teil ç Par. im Dunkel: F 30 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile | 

i/a Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 

O-Kaninchenserum — 1 Teil ; Par.im Dunkel: Hälfte f 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile | 


3s Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 
Peptonlösung (5 °/) — 1 Teil ç Par. im Dunkel: t 30 Min. 
Par.-Kultur — 2 Teile | 


Sensibilisationsuntersuchungen. 
Versuch 50. Rose-Bengal. — Hühnereiweiß. — Pepton. 


Rose-Bengal 


(1:15000) — 1 Teil Bari Licht: 7 5 Min. 
Leitungswasser — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile 
Rose-Bengal 

(1:15 000) — 1 Teil ee Licht: leb. 24 Std. 
O-Kaninchenserum — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile 
Rose-Bengal 

(1:15. 000) — 1 Teil | p, įm J licht: t 8 Std. 
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile | 
Nose Bengi | Licht: + 10 Min. 

(1:15000) — 1 Teil | Par, im ! Dunkel: Größter Teil 
Peptonlösung 10%, — 1 Teil | leb. 24 Std. 
Par.-Kultur — 2 Teile 


Versuch 51. Dichloranthracendisulfosaures Na — 
Pepton puriss. 
!/,ov Mol. dichl. Na — 1 Teil Licht: T 5 Min. 
Dest. Wasser — 1Teil ẹọ Par. im ) Dunkel: Einzelne 
Par.-Kultur — 2 Teile | leb. 24 Std. 


510 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


1/soọ Mol. dichl. Na — 1 Teil 
O-Kaninchenserum — 1 Teil |; Par. im 
Par.-Kultur — 2 Teile 
1/500 Mol. dichl. Na — 1 Teil 
Peptonlösung 10% — 1 Teil ç Par. im 
Par.-Kultur 2 Teile 


Licht: leb. 24 Min. 
Dunkel: leb. 24 Std. 


Licht: F 15 Min. 
Dunkel: 7 24 Std. 


Es geht aus den angeführten Versuchsresultaten 
mit großer Deutlichkeit hervor, daß Hühnereiweiß 
einen ähnlichen!) hemmenden Einfluß gegenüber den 
toxischen und spezifischen Wirkungen der photobio- 
logischen Sensibilisatoren wie das Serum besitzt, 
während sich ein derartiger Einfluß in Versuchen mit 
Pepton überhaupt nicht geltend macht. 

Schon aus diesen Versuchen darf man wohl den 
Schluß ziehen, daß die Eiweißstoffe des Serums die 
bei dem Serumzusatz hervorgerufenen Veränderungen 
der photobiologischen Sensibilisatoren verursachen. 


VI. 


Über den Einfluß des Serums auf die optischen Eigentümlich- 
keiten der photobiologischen Sensibilisatoren. 


Ein Teil der photobiologischen Sensibilisatoren wird bei 
Serumzusatz aus ihren wässerigen Lösungen gefällt, und von 
derartigen Stoffen ist in folgendem nicht die Rede. Ich be- 
spreche außerdem nur in vitro vorgenommene Versuche; ein 
großer Teil der Farbstoffe wird ja bekanntlich im Organismus 
zu Leukostoffen mit ganz anderen optischen Eigenschaften 
reduziert. 

Das optische Phänomen, das in diesen Untersuchungen 
besonderes Interesse besitzt, ist die Fluoreszenz. Wie in der 


1) Manchmal war der hemmende Einfluß des Hühnereiweiß bedeutend 
weniger ausgeprägt als in den hier angeführten Versuchen. Ich habe 
den Grund zu dieser variierenden Wirkung nicht eingehender untersucht. 
Sie ist vielleicht auf ähnliche Variationen zwischen den verschiedenen 
Eiweißen zurückzuführen, wie diejenigen, welche vorher zwischen ver- 
schiedenen Seren nachgewiesen sind; es ist jedo-h auch möglich, sie auf 
die Verschiedenheit in der Zubereitung zurückzuführen (Filtration, Ver- 
dünnung usw.) 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 511 


Einleitung erwähnt, hat man versucht, die Fähigkeit der Sensibili- 
satoren zu fluoreszieren mit ihrer Fähigkeit zu sensibilisieren 
in Verbindung zu bringen, und ich hielt es nicht für unmöglich 
durch Versuche mit Serum gewisse Relationen zwischen diesen 
zwei Eigenschaften zu finden, die in dieser Beziehung even- 
tuell von theoretischem Interesse sein könnten. 

Die Fluoreszenz der Lösungen habe ich einfach in Reagenz- 
gläsern auf dunklem Hintergrund untersucht, — entweder in 
diffusem Tageslicht, oder in direktem Sonnenlicht oder in dem 
mit einer Linse konzentrierten Sonnenlicht. Nur wenn eine 
genauere vergleichende Untersuchung wünschenswert war, 
wurden die Lösungen in Gläser mit geschliffenen, planparallelen 
Wänden gebracht und im Dunkelzimmer mit Hilfe des Spektro- 
skops im Licht einer Nernst-Lampe untersucht. 

Serum ist bekanntlich selbst fluoreszierend;; dies beeinflußt 
jedoch nicht die Untersuchungen in wesentlichem Grade, denn 
teils ist die Fluoreszenz verhältnismäßig sehr schwach, teils 
wird sie hauptsächlich von Strahlen hervorgerufen, welche Glas 
nicht passieren. Recht störend wirkt dahingegen manchmal 
die Opaleszenz, jedoch besitzt man im Nicol-Prisma bekanntlich 
ein gutes Hilfsmittel, um zwischen dem diffus reflektieren — 
teilweise polarisierten — Licht und dem nicht polarisierten 
Fluoreszenzlicht zu unterscheiden. 

Ich bespreche zuerst den Einfluß des Serumzusatzes 
auf die Fluoreszenz in dichloranthracendisulfosauren 
Natron-Lösungen. Wie es beständig mit Lösungen fluoreszieren- 
der Stoffe der Fall ist, nimmt auch die Fluoreszenz dieses 
Stoffes bis zu einem gewissen Punkt mit der steigenden Ver- 
dünnung zu, um darauf wiederum langsam zu fallen. Die 
konzentrierten dichloranthracendisulfosauren Natron -Jösungen 
sind in durchfallendem Licht leicht gelblich, und in auffallen- 
dem Licht (diffusem Tageslicht oder Sonnenlicht) ohne sichtbare 
Fluoreszenz; diese fängt erst an, sich in Verdünnungen von 
ca. 1/2% Mol. zu zeigen und sie nimmt mit der steigenden Ver- 
dünnung zu, bis sie ihr Maximum in Verdünnungen von 
ca. 1/10000 Mol. erreicht. Derartige Lösungen sind in durch- 
fallendem Licht vollständig farblos, während sie in auffallen- 
dem Licht prachtvolle, bläuliche Fluoreszenz aufweisen. Diese 


nimmt bei weiterer Verdünnung sehr langsam ab und läßt sich 
Biochemische Zeitschrift Band I. 34 


512 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


in diffusem Tageslicht noch in "/s0o000 Mol.-Lösungen beobachten. 
In konzentriertem Sonnenlicht ist sie noch in "/s000000 Mol.-Ver- 
dünnungen nachzuweisen. 

Stellt man eine Reihe wässeriger dichloranthracendisulfo- 
saurer Natron-Lösungen von so, '/100, /s0oo Mol. usw. her und 
mischt jeder dieser Lösungen gleiche Teile Kaninchenserum bei, 
so verschwindet die Fluoreszenz in allen Präparaten so gut wie 
vollständig. Die konzentrierten Lösungen — bis zu Y/ıooo Mol. 
dichl. Na +4 Serum ää partes — geben indessen bei Verdünnung 
mit Wasser wiederum kräftige Fluoreszenz, während sich diese 
nicht auf diesem Wege in Mischungen mit "/govo Mol. dichl. Na 
und darunter hervorrufen läßt. 

Bei den konzentrierten Lösungen hat der Serumzusatz 
also nur eine geringe Herabsetzung der im voraus schwachen 
Fluoreszenz bewirkt, und diese tritt auch in dem Augen- 
blick wieder ein, wo man die allgemeinen Bedingungen für 
das Entstehen der Fluoreszenz durch Verdünnung mit Wasser 
günstiger gestaltet. Bei den dünneren Lösungen handelt es 
sich dagegen um eine wirkliche Aufhebung der Fluoreszenz- 
fähigkeit!) und meine Versuche zeigen, daß eine bestimnite 
Menge dichloranthracendisulfosaures Na von einer bestimmten 
Menge Serum gebunden wird. 1 ccm Serum hebt die Fluoreszenz 


3) Kauffmann und Beißwenger (Über Fluoreszenz. Unter- 
suchungen über das Ringsystem des Benzols. Ber. d. Deutsch. chem. 
Gesellsch., Jahrg. 37. 1904) haben gezeigt, daß eine anscheinende Auf- 
hebung der Fluoreszenz einer Flüssigkeit von einer Änderung der Qualität 
des Fluoreszenzlichtes verursacht werden kann. Bei Erhitzung fluores- 
zierender Lösungen wird die Farbe des Fluoreszenzlichtes häufig gegen 
das violette Ende des Spektrums verschoben, und die beiden Verf. suchen 
hierin die Ursache dessen, daß die recht kräftige violette Fluoreszenz bei 
dem in Pyridin aufgelösten Akridon bei Erwärmung fast vollständig ver- 
schwindet; die Lösung sollte also in diesem Zustand „ultraviolett“ fluores- 
zieren. Ich habe in Lösungen schwefelsauren Chinins ein zweites Beispiel 
dieses eigentümlichen Verhältnisses gefunden; die Fluoreszenz verschwindet 
während der Erwärmung, um sich nach der Abkühlung wiederum in ihrer 
vollen ursprünglichen Stärke einzustellen. Dichloranthracensulfos. Na- 
Lösungen verhalten sich nicht in ähnliche Weise, und es ließ sich in den 
Serum-beigemischten Präparaten keine Fluoreszenz nach Erwärmung auf 
57° nachweisen. Übrigens spricht nichts dafür, daß eine derartige 
Anderung der Qualität der Fluoreszenz den durch den Serumzusatz her- 
vorgerufenen Veränderungen zugrunde liegen sollte. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 513 


in 1 ccm einer 1/2000 Mol. dichloranthracensulfos. Na-Lösung auf, 
und in Übereinstimmung hiermit wird die Fluoreszenz z. B. in 
1 ccm einer 1/10000 Mol.-Lösung durch Zusatz von 0,2 ccm Serum 
aufgehoben. Alle die verschiedenen Seren, deren diesbezügliches 
Verhältnis ich untersucht habe (Serum von Menschen, Pferd, 
Ochsen, Schwein, Kaninchen, Ratte), riefen ähnliche Veränderungen 
der Fluoreszenz in dichl. Na-Lösungen hervor; jedoch machten sich 
gewisse Unterschiede geltend. Eine derartig verschiedene Wirkung 
der verschiedenen Seren trat indessen bedeutend kräftiger in 
Versuchen mit Stoffen der Fluoreszeinreihe hervor, und ich 
komme deshalb erst bei Beschreibung dieser Versuche zu einer 
Besprechung derselben. Ein Zusatz anderer kolloider Lösungen 
(Gummi arabicum, Leim, Stärke) hatte keine Aufhebung der 
Fluorenszenz der dichl. Na-Lösungen zur Folge. 

Die wässerigen dichl. Na-Lösungen verändern nicht in 
wesentlichkem Grade ihre Fluoreszenz durch Zugabe von 
Alkalien oder Säuren. Dagegen haben Schwankungen in der 
Alkaleszenz einen außerordentlich großen Einfluß auf die 
Fluoreszenz in Mischungen von Serum und dichl. Na. Mischt 
man z. B. eine '/ıoooo Mol. dichl. Na-Lösung mit ihrem gleichen 
Volumen Serum, so verliert, wie gesagt, die Lösung vollständig 
ihre Fähigkeit zu fluoreszieren. Setzt man zu dieser Lösung 
NaOH oder Na:CO;, tritt indessen wiederum eine prachtvolle 
Fluoreszenz auf. Wird der Lösung bis zum Überschuß freie 
Säure HCl zugesetzt (positive Reaktion mit Phlorogluzin -Vanillin) 
so tritt ebenfalls eine kräftige, wenn auch etwas schwächere 
Fluoreszenz ein. 

Ich gehe zur Besprechung der Stoffe der Fluoreszein- 
gruppe über. Einzelne derselben (z. B. Rose Bengal und 
Erythrosin) fluoreszieren so schwach, daß sie sich nicht zu 
Untersuchungen der hier besprochenen Art eignen. Ein großer 
Teil der übrigen Fluoreszein-Derivate zeichnet sich dagegen 
durch ihre ungewöhnlich starke Fluoreszenz aus, die sich bei 
einigen selbst in extremen Verdünnungen hält. In Tetra- 
chlortetrabromfluoreszein-Kalium konnte ich u. a. mit konzen- 
triertem Sonnenlicht noch in Verdünnungen von 1 : 200000000 
eine deutlich grüne Fluoreszenz hervorrufen. 

Der Einfluß der Serumanwesenheit auf die Fluoreszenz er- 


wies sich bei meinen Versuchen als in allem wesentlich gleich- 
34” 


514 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


mäßig gegenüber den verschiedenen Stoffen dieser Gruppe, 
und ich brauche daher nur die Verhältnisse betreff eines 
Stoffes z. B. des Eosin-Na (Tetrabromfluoreszein-Na) zu 
besprechen. 

Eosin-Na ist leicht löslich in Wasser, mit roter Farbe und 
grünlich-gelber Fluoreszenz. Diese ist in Lösungen !/ıoooo bis 
1/20000 Mol. am stärksten, sie läßt sich in diffusem Licht noch 
in Y/ısooooo Mol.-Verdünnungen beobachten, in Sonnenlicht in 
1/10000000 Mol.-Verdünnungen und in konzentriertem Sonnenlicht 
sogar in !/100000000 Mol.-Verdünnungen. Y/ıoooooo Mol.-Lösungen 
sind in durchfallendem Licht vollständig farblos (Reagenzglas- 
versuch). 

Beim Vergleich einer Reihe wässeriger Eosin-Na-Lösungen 
(z. B. 1/25, 1/50, "100 Mol. usw.) mit einer entsprechenden Reihe 
Eosin-Serum-Mischungen, die aus den wässerigen Eosinlösungen 
durch Beimischung gleicher Teile Pferdeserum hergestellt sind, 
wird man im Hinblick auf die Fluoreszenzverhältnisse folgendes 
beobachten können: Die Fluoreszenz ist in allen Serumpräparaten 
im Verhältnis zu den entsprechenden wässerigen Eosinlösungen 
bedeutend herabgesetzt. Die Herabsetzung ist jedoch weit stärker 
in den verdünnten als in den mehr konzentrierten Lösungen 
ausgeprägt, und in diesen letzten tritt wiederum eine schöne 
Fluoreszenz ein, sobald sie mit Wasser verdünnt werden. In 
Verdünnungen von "/ssoo Mol.-Eosin-Na und darunter wird die 
Fluoreszenz in diffusem Tageslicht vollständig durch Zusatz 
gleicher Teile Serums aufgehoben, und eine Verdünnung 
mit Wasser ist nicht imstande, sie wiederum hervorzurufen. 
In konzentriertem Sonnenlicht untersucht, weisen derartige 
Präparate doch noch eine schwache grünliche Fluoreszenz auf, 
und diese läßt sich sogar in Mischungen von Serum mit gleichen 
Teilen einer "/ıoooo Mol. Eosin-Na noch wahrnehmen. 

Wiederholt man diese Untersuchungen z. B. mit Schweine- 
gerum, so wird sich das Resultat indessen ganz anders 
gestalten. Der Zusatz des Serums wird auch jetzt eine 
Schwächung der Fluoreszenz der Eosinlösungen verursachen, 
jedoch wird diese in keinem der Präparate ganz aufgehoben. 
Die Fluoreszenzherabsetzung braucht außerdem nicht besonders 
stark zu sein. Die verschiedenen, von mir zu meinen Ver- 
suchen benutzten Seren verhielten sich in dieser Beziehung weit 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 515 


verschieden, und sogar Versuche mit Seren derselben Tierart 
konnten recht abweichende Resultate ergeben. 


Die Ursache der inkonstanten Wirkungen der verschie- 
denen Seren muß in den Variationen der ‚„Serum-Alkaleszenz‘“ 
gesucht werden. Dies geht erstens aus vergleichenden Ver- 
suchen hervor; welche ich mit den Seren von zwei Kaninchen 
angestellt habe, von denen das eine in den letzten drei Wochen 
vor dem Aderlaß mit in Wasser aufgeweichtem Brot und Hafer 
gefüttert war, während das zweite in demselben Zeitraum aus- 
schließlich Grünfutter (Kohlblätter) bekommen hatte. In äqui- 
molekularen Eosin-Lösungen rief das Serum von dem ersten 
Kaninchen eine bedeutend stärkere Herabsetzung der Fluoreszenz 
als das Serum von dem zweiten hervor. Zweitens stütze ich 
meine Auffassung auf folgende Verhältnisse. In einer wässerigen 
Eosin-Na-Lösung ruft Alkali keine wesentliche Veränderung 
der Fluoreszenz hervor. Bei Zusatz von Säuren — z.B. HCl 
— spaltet sich Eosin-Na sofort und die in Wasser unlösliche 
Eosin-Säure wird als ein rötlicher Bodensatz gefällt; gleichzeitig 
verschwindet die Fluoreszenz vollständig. Eosinlösungen, zu 
denen Serum gesetzt ist, verhalten sich ganz anders. Wird 
einer Mischung von Serum mit gleichen Teilen einer dünnen 
Eosin-Lösung (z. B. 1/20000 Mol.) NaOH oder NaCO; zugesetzt, 
so wird die Fluoreszenz wiederum in ihrer vollen Stärke auf- 
treten, gleichviel, ob das betreffende Serum sie im voraus 
ganz zum Verschwinden gebracht oder ob es sie nur herab- 
gesetzt hatte. Setzt man zu einer ähnlichen Eosin-Serum- 
Mischung, in welcher die Fluoreszenz nicht aufgehoben ist, 
tropfenweise eine dünne HCl-Lösung, so wird die Fluoreszenz 
allmählich abnehmen, um schließlich ganz zu verschwinden. 
Das Präparat enthält zu diesem Zeitpunkt keinen Überschuß 
freier Salzsäure. Fährt man mit Tropfenzusatz der HCl fort, 
so geschieht indessen das merkwürdige, daß die Fluoreszenz 
wiederum eintritt und daß kein Fällen der Eosinsäure ent- 
eteht!), Das Verhältnis ist um so merkwürdiger, da chemisch 





) Die Rede ist hier nur von Eosinlösungen von weniger als ca. 
goon Mol. mit gleichen Teilen Serum gemischt. Die Verhältnisse werden 
betreff der mehr konzentrierten Lösungen in Abschnitt VIIl besprochen 
werden. 


516 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


reine Eosinsäure in Serum, zu welchem ein Überschuß freier 
HCl gesetzt ist, unauflöslich ist. 

Da eine Zugabe von NaCl zu Lösungen verschiedener 
fluoreszierender Stoffe (schwefelsaures Chinin, y-Phenyl- 
chinaldinchlorid u. a.) die Fluoreszenz in diesen herabsetzt oder 
aufhebt, so wäre es denkbar, daß die im vorhergehenden 
erwähnte Fluoreszenzherabsetzung vom Salzgehalt des Serums 
abhängig sei. Indessen ist dies nicht der Fall, denn selbst 
starke Salzlösungen lassen die Fluoreszenz unbeeinflußt, sowohl 
in Lösungen der Derivate des Fluoreszeins wie auch in dichlor- 
anthracendisulfosauren Natron-Lösungen. 

Daß die Ursache zu den oben geschilderten Phänomenen 
ebenfalls nicht in den amphoteren Eigenschaften des Serums 
zu suchen ist, geht aus Versuchen mit anderen amphoteren 
Elektrolyten (Theobromin, Glykokoll) hervor, mit denen sich 
keine entsprechenden Reaktionen hervorrufen ließen. 

Eine Zufügung verschiedener Kolloide (Lösungen aus 
Gummi Arabicum, Leim oder Stärke) bewirkt in Eosin-Na- 
Lösungen nur eine geringe Herabsetzung der Fluoreszenz, und 
bei Zugabe von Salzsäure zu derartigen Mischungen wird die 
Eosinsäure ebenso wie in rein wässerigen Lösungen gefällt, indem 
die Fluoreszenz natürlich gleichzeitig wegfällt. 

Hühnereiweiß reagiert dagegen im großen und ganzen 
in derselben Weise wie Serum gegenüber den erwähnten Farb- 
stoffen; man erzielt jedoch beständig in Versuchen mit Serum 
bedeutend schönere Resultate als in Versuchen mit Hühnereiweiß. 


Neben den oben besprochenen Veränderungen in der Fluores- 
zenz der Fluoreszeinderivate hat eine Serumhinzusetzung auch 
leichte Farbenveränderungen in Lösungen dieser Stoffe zur Folge. 

Der Farbenveränderung entsprechend ruft der Serum- 
zusatz eine im Spektroskop leicht zu beobachtende Ver- 
schiebung der Absorptionslinien der Lösungen gegen den roten 
Teil des Spektrums hervor. Z. B. haben wässerige Rose Bengal- 
Lösungen zwei Absorptionsstreifen im gelb-grünen Teil des 
Spektrums, der eine entspricht einer Wellenbreite von 548 uu, 
der andere einer Wellenbreite von 511 uu. Nach Zusatz von 
Serum fand ich, daß die Absorptionslinie nach 562 uu resp. 
825 uu verschoben war. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 517 


Bei Hinzusetzung von Serum konnte ich in Tetrachlor- 
tetrabromfluoreszein-Na- und Eosin-Na-Lösungen ähnliche Ver- 
schiebungen der Absorptionsspektren beobachten. Dahingegen 
veränderte eine Hinzusetzung von Gummi Arabicum nicht das 
Aussehen der Spektren. 

Bei Zusatz von NaOH zu einer Mischung von Eosin-Na 
und Serum wanderten die Absorptionslinien wiederum auf den 
Platz zurück, der für das Absorptionsspektrum der wässerigen 
Eosin-Lösung charakteristisch ist. Bei Hinzusetzung von HCl 
zeigten die Linien Tendenz zu einer Bewegung in derselben 
Richtung, sie kehrten jedoch bei weitem nicht zu dem nor- 
malen Platz zurück. 


Die Resultate der obenstehenden Versuche lassen sich 
folgendermaßen zusammenfassen: 

Ein Zusatz von Serum zu Lösungen der hier 
besprochenen photobiologischen Sensibilisatoren hat 
eine mehr oder weniger ausgeprägte Herabsetzung 
der Fluoreszenz derselben zur Folge Der Grund der 
Fluoreszenzherabsetzung hängt teilweise von der größe- 
ren oder geringeren „Alkaleszenz“ des betreffenden 
Serums ab, teilweise vom Verdünnungsgrad der Lösun- 
gen, teilweise von deren Qualität (in Fluoreszein-Na- 
Lösungen wird die Fluoreszenz z. B. verhältnismäßig 
wenig beeinflußt). Das Charakteristische für diese 
Serum-Farbstoffmischungen istindessen, daß die Fluo- 
reszenz immer vollständig verschwindet, wenn sie 
mit HCl neutralisiert werden, und daß ein weiterer 
Zusatz schwacher Salzsäure wiederum eine Fluo- 
reszenz hervorruft. Besonders merkwürdig ist dieses 
Verhältnis betreffs der Fluoreszein-Derivate, da diese 
sonst von starken Säuren augenblicklich gespalten 
werden. Bei Zusatz von NaOH zu Serum-Farbstoff- 
mischungen kommt die Fluoreszenz beständig wieder 
in ihrer vollen Stärke zum Vorschein. 


Die Serumhinzusetzung ruft außerdem eine geringe 
Farbenveränderung in den erwähnten Lösungen hervor, 
und gleichzeitig werden die Absorptionsspektren auf 
charakteristische Weise verändert. 


518 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Bei Zugabe anderer Kolloide (Leim, Gummi Ara- 
bicum, Stärke), anderer amphoterer Elektrolyte 
(Theobromin, Glykokoll) oder NaCl können ent- 
sprechende Reaktionen in den fluoreszierenden Lösun- 
gen nicht hervorgerufen werden. Dagegen verhält 
sich das Hühnereiweiß in dieser Beziehung ähnlich 
wie Serum, wenn auch die Reaktionen bei weitem nicht 
so schön verlaufen wie in den Versuchen mit Serum. 


VII. 


Über den Einfluß des Serums auf die Diffusionsverhältnisse der 
photobiologischen Sensibilisatoren. 


Ich habe früher (S. 497) hervorgehoben, daß Lösungen der 
photobiologischen Sensibilisatoren, deren sensibilisierende Fähig- 
keit gegenüber Paramäcien infolge eines Serumzusatzes gänz- 
lich aufgehoben ist, noch deutliche sensibilisierende Wirkungen 
in Versuchen mit Lösungen nicht organisierter Stoffe be- 
sitzen können, und daß die Ursache wenigstens teilweise darin 
zu suchen ist, daß in den ersten Versuchen osmotische Ver- 
hältnisse große Bedeutung haben, während sie für den Ausfall 
der letzten Versuche kaum eine Rolle spielen. Um u. a. dieser 
Hypothese eine experimentelle Basis zu geben, habe ich die 
untenstehenden Untersuchungen über den Einfluß der Serum- 
anwesenheit auf die Diffusionsgeschwindigkeit der Sensibili- 
satoren angestellt. Diese Untersuchungen waren indessen auch 
in anderer Beziehung von bedeutendem Interesse: Ich habe im 
vorhergehenden biologisch den Beweis geführt, daß die ein- 
greifenden Wirkungen der Serumhinzusetzung ihre Ursache 
darin haben müssen, daß die betreffenden photobiologischen 
Sensibilisatoren mit den Eiweißstoffen des Serums Verbindungen 
dieser oder jener Art eingehen, und es war schon im voraus 
eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß die 
Diffusionsuntersuchungen dazu beitragen würden, Klarheit über 
die Natur dieser Verbindungen zu schaffen. 

Zu den Versuchen verwendete ich teilweise selbstverfertigte 
Dialysatoren mit Membranen aus Hausenblase oder aus Perga- 
ment, teilweise fabrikmäßig hergestellte Dialysatoren von 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 519 


Schleicher und Schüll. Bei den ersten kommt es nicht 
selten vor, daß — selbst nach einer noch so sorgfältigen An- 
legung der Membran und einer anscheinend glücklich ge- 
lungenen Umbindung — die Haarrohrkraft doch auf dieser 
oder jener Stelle Spuren der Lösung zwischen dem Glas und 
der Membran hinauszwingen wird, ein Fehler, der doch leicht 
zu kontrollieren ist, wenn man mit gefärbten Lösungen ar- 
beitet. Er ist zu beseitigen, wenn man den Rand des Glases 
vor Anlegung der Membran z. B. mit Vaseline einfettet, oder 
indem man die Membran unmittelbar über der Umbindungs- 
stelle abschneidet und hierauf diese ganze Partie z. B. mit 
Lackfirnis (wenn mit wässerigen Lösungen gearbeitet wird) über- 
pinselt. Um die Dichtigkeit der Dialysatoren zu untersuchen, 
füllte ich sie bis zum Rand mit Wasser und stellte sie auf 
ein Stück Filtrierpapier. War innerhalb einer Stunde an 
keiner Stelle ein Tropfen durchgedrungen, so betrachtete ich 
den Dialysator als brauchbar. 

Die Serum-Beimischung zu den Lösungen der sensibili- 
sierenden Stoffe wurde beständig vor deren Anbringung im 
Dialysator vorgenommen. Die Flüssigkeitsmenge in den Dialy- 
satoren war in allen Versuchen dieselbe, und sie wurde in der 
Regel gegen 1,5 Mal größeres Volumen dest. Wasser dialysiert. 
Die Menge der dialysierten Farbstoffe wurde teils kolorimetrisch, 
teils — bei den dünnen, farblosen Lösungen — durch Vergleich 
ihrer Fluoreszenz mit der Fluoreszenz in bekannten wässerigen 
Lösungen des betreffenden Stoffes bestimmt. 


Versuch 52. 


Eosin-Na. Dialyse durch Hausenblase in 24 Stunden. 


500 Mol. Eosin-Na — 1 Teil nase Mol. 1 
Kaninchen-Serum — 1 Teil 


'/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | , 
; z /s00000 Mol. 
Kaninchen-Serum — 1 Teil 
1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 i E Mol 
Kaninchen-Serum — 1 Teil | ‘1000900 i 
1) Die Stärke der wässerigen Lösung des Farbstoffes, der — kolo- 
rimetrisch bestimmt — dem Farbstoff außerhalb des Dialysators bei 


Schluß des Versuchs entspricht. 


520 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


!/sooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | !/20000000 Mol. (Spur von Fluo- 
Kaninchen-Serum — 1 Teil] reszenz in konzentr. Sonnenlicht. 
1'zo00 Mol. Eosin-Na — 1 Teil 
Dest. Wasser — 1 = /soooo Mol. 

Der Versuch ergibt, daß der Serumzusatz eine hochgradige 
Hemmung der Dialyse verursacht, und daß die Dialyse praktisch 
betrachtet in Eosinlösungen von weniger als 1/2000 Mol., zu welchen 
gleiche Volumina Serums gesetzt sind, gleich Null ist; jeden- 
falls nähert sich die Langsamkeit, mit welcher das Eosin in 
diesen Mischungen dialysiert, stark der den Kolloiden eigenen. 

Ähnliche Resultate erreichte ich bei Versuchen mit anderen 
Derivaten des Fluoreszein (Rose Bengal und Tetrachlortetrabrom- 
fluoreszein-Na). 

Versuch 53. 
Dichloranthracendisulfosaures Natron. — Dialyse durch 
Hausenblase in 18 Stunden. 


1/500 Mol. dichl. Na — 1 Teil | 7 PE 
Ochsen-Serum — 1 Teil en 


1/2000 Mol. dichl. Na — 1 Teil | 1/5000000 Mol. (Spur von Fluor- 
Ochsen-Serum — 1 Teil j eszenz in konz. Sonnenlicht). 
1/2000 Mol. dichl. Na — 1 Teil 
Destilliertes Wasser — 1 Teil 

Das dichloranthracendisulfosaure Natron verhält sich also 
auch in dieser Beziehung ähnlich wie die Stoffe in der 
Fluoreszeinreihe. 

Man achte auf die Übereinstimmung, die sich zwischen 
den Konzentrationen der Farbstofflösungen findet, welche durch 
Hinzusetzung gleicher Teile Serums ihre sensibilisierende Fähig- 
keit gegenüber Paramaecium caudatum einbüßen, und der 
Konzentration der Lösungen, deren osmotischer Druck durch 
die Serumhinzusetzung auf ein Minimum verringert wird. Es 
scheint mir, daß diese Übereinstimmung in hohem Grade zum 
Beweis für die Richtigkeit der oben besprochenen Hypothese 
spricht. 

Vergleichende Versuche mit Seren verschiedener Tierarten 
ergaben in Analogie mit Sensibilisations- und Fluoreszenz- 
versuchen eine höchst verschiedene Wirkung der verschiedenen 
Seren. 


| 1/ 10000 Mol. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 521 


Versuch 54. 
Eosin-Na. Dialyse durch Pergament in 15 Stunden. 


I. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 | 7 er 
Menschen-Serum — 1 Teil 2000000 Mol. 

II. "/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil 1/ wai 
Hühner-Serum z T Teil 90000 Mol. 
III. Yıooo Mol. Eosin-Na — 1 an 7 ia 
Kaninchen-Serum — 1 Teil f m "9 
IV. 1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | | j wa 
Schweine-Serum er] oi: 

V. !/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | , j en 
Ochsen-Serum — 1 Teil 150000 Mol. 


Zur Kontrolle wurde der Versuch mit ganz entsprechenden 
Mischungen und mit denselben — wohl gereinigten — Dialysatoren 
wiederholt, indem diese umgetauscht wurden, so daß in jede 
derselben ein anderes Serum als in dem ersten Versuch kam. 
Die Resultate stellten sich dieses Mal nach 20 stündiger Dialyse 
folgendermaßen: 


I. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 7 en 
Menschen-Serum — 1 Teil 2000000 MOL. 
II. 1/i0ooọo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 1, ve 
Hühner-Serum — 1 Teil R0000: MAOA: 
III. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | TA TE 
Kaninchen-Serum — 1 Teil Ai -708: 
IV. Yıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil F Fr 
Schweine-Serum SR. ren Mn an 
V. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 1 i 
Ochsen-Serum — 1 Teil 100000 Mol. 


Die Resultate der beiden Versuche stimmen allenfalls ge- 
nügend gut überein, um die ungleich starken Wirkungen der 
verschiedenen Seren zu beweisen. Die Unterschiede sind wahr- 
scheinlich auf deren ungleiche „Alkaleszenz“ zurückzuführen; 
denn ich konnte auch mit Seren derselben Tierart verschiedene 
Resultate in diesen Diffusionsversuchen erzielen, indem ich vor- 
her durch das Futter die Zusammensetzung des Blutes bei den 
betreffenden Tieren in verschiedener Weise beeinflußte. 


522 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Versuch 55. 
Eosin-Na. Dialyse in 15 Stunden durch Pergament. 


Serum A von mit Kohlblättern gefütterten Kaninchen. 
Serum B von mit Brot und Hafer gefütterten Kaninchen. 


1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 reil | V douos MoL 


Kaninchen-Serum A — 1 Teil 
1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | a ia 
Kaninchen-Serum B — 1 Teil | 9 7 


Der Versuch wurde mit denselben, jedoch jetzt umge- 
tauschten Dialysatoren wiederholt, und das- Resultat wurde da- 
durch nicht verändert. 

Im Anschluß an die obenstehenden Versuche stellte ich 
folgende Versuchsreihe an. 


Versuch 56. 
Eosin-Na. Dialyse in 15 Stunden durch Pergament. 


I. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser 
4,5 Teile 

Im Dialysator (/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil 
Dest. Wasser — 2 Teile 


II. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser 
1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Im Dialysator į Kaninchen-Serum — 1 Teil 
Dest. Wasser — 1 Teil 


III. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser 

H 1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Im Dialysator į Kaninchen-Serum — 1 Teil 

Nae Cos (2°/,) — 1 Teil 

IV. Außerhalb des Dialysators: NaCO; (2o) 

!/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Im Dialysator \Kaninchen-Serem — 1 Teil 

Dest. Wasser — 1 Teil 

V. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser 

!/iooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil 

Kaninchen-Sertum  — 1 Teil 

HCl — bis zur Fluoreszenz bei 
schwach saurer Reaktion 


Yo ooo Mol. 


Nun un 


1/350000 Mol. 


1 50000 Mol. 


1/40 000 Mol. 


Im Dialysator —- Dialyse. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 523 


Der Versuch zeigt, daß ein Zusatz von NaCO; zur Serum- 
Eosinmischung die Diffusionsgeschwindigkeit des Eosins in 
hohem Grade fördert, oder vielleicht besser ausgedrückt, daß 
ein Zusatz von Serum zu Eosin-Na-Lösungen nur in geringem 
Grad deren Diffusionsfähigkeit beinflußt, wenn gleichzeitig 
Nae COs (oder KOH) zugegeben wird. 

Da eine Hinzusetzung von HCl in Überschuß — ebenso 
wohl wie die Hinzusetzung von Alkalien — den Serum -Farb- 
stoffmischungen wiederum ihre Fluoreszenz-Fähigkeit zurückgibt, 
könnte es von Interesse sein zu untersuchen, ob ein ähnlicher 
Parallelismus in den Wirkungen mit Rücksicht auf die Diffusions- 
fähigkeit existiert. Versuch 56 sagt doch nichts Sicheres, denn 
das Wasser außerhalb des Dialysators wird schnell einen HCl- 
Gehalt bekommen, welcher bewirken muß, daß das eventuell 
diffundierende Eosin-Na — vielleicht schon in der Membran — 
unter Fällen des in Wasser unlöslichen Tetrabromfluoreszein 
gespaltet wird. Ich wiederholte daher die obenstehenden Ver- 
suche mit der Änderung, daß die Serumfarbstoffmischungen 
nicht gegen Wasser sondern gegen Serum derselben Verdünnung 
wie in der Mischung im Dialysator diffundiert wurden. Außerdem 
wurden gleich große Mengen HCl resp. KOH zum Serum in und 
außerhalb der Dialysatoren hinzugefügt. Durch dieses Verfahren 
wurde das eventuelle Fällen des Eosins verhindert; denn im 
Überschuß des Serum wird, wie früher erwähnt, das Eosin 
nicht durch Hinzusetzung von HCl zu schwach saurer 
Reaktion gefällt. 


Versuch 517. 


Eosin-Na. — Dialyse in 48 Stunden durch Dialysatoren von 
Schleicher und Schüll. 


| Eosin-Na (1: 5000) — 5 ccm f schwach fluo- 
I. Im Dialys. 
\Kaninchensertum — 5 cem reszierend 
Außerhalb des Dialysators o P O 
Kaninchenserum — 5 ccm 
—- Dialyse. 
Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm se He 
[I. Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm | oo 
reszierend 


Kalilauge — 5 Tropfen 


524 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Dest. Wasser — 5 ccm 
Außerhalb des Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm 
Kalilauge — 5 Tropfen 


Dialyse 1:25000 (stark fluoreszierend). 


III. Diesem Präparat wurde gerade soviel Salzsäure zugesetzt, daß 
die Fluoreszenz in der Serum-Eosinmischung verschwand. 


Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm 
Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 cem | —- Fluoreszenz 
1/10 norm. HCl — 3 cem 
Dest. Wasser — 5 ccm 
Außerhalb des Dialysators | Kaninchenserum — 5 cem 
*/io norm. HCl. — 3 cem 
— Dialyse. 


IV. Hinzusetzung von HCl im Überschuß bis zu kräftiger 
Fluoreszenz bei saurer Reaktion der Serum-Eosinmischung. 


Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm RER 
Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm | Be ul: 
!/jo norm. HCl — 6ccm Be 
Dest. Wasser — 5 cem 
Außerhalb des Dialysators | Kaninchenserum — 5 ccm 
Yo norm. HCl — 6 ccm 
—- Dialyse. 


Die Versuche zeigen, daß, während eine Hinzusetzung so- 
wohl von Alkalien wie auch von Säuren (im Überschuß) die 
Fluoreszenz der Serum-Farbstofflösungen erhöht, die Diffusions- 
fähigkeit der Farbstoffe in diesen Lösungen nur durch Hinzu- 
setzung von Alkalien erhöht wird. 

Daß Eosin-Na in wässerigen Lösungen eben sowohl gegen 
Serum wie gegen Wasser zu diffundieren vermag, geht aus 
folgenden Versuchen hervor. 


Versuch 58. 
Eosin-Na. Dialyse in 20 Stunden durch Dialysatoren 
von Schleicher und Schüll. 

Im Dialysator: Eosin-Na (1:10000) — 1 Teil. 

Außerhalb des Dialysators: Kaninchenserum — 1 Teil. 

Dialyse: 1:20000 (+- Fluoreszenz). 

In einer Abhandlung über Einträufelung von Fluoreszein- 
Kaliumlösungen in den Konjunktivalsack als diagnostisches 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 525 


Hilfsmittel bei Kornealeiden erwähnt Bihler!), daß ein 
Zusatz von Soda zu wässerigen Fluoreszein - Kaliumlösungen 
deren Färbkraft und Diffusionsfähigkeit erhöht — und bei 
vergleichenden Diffusionsversuchen mit wässerigen Eosin - Na- 
Lösungen mit und ohne Hinzusetzung von Na CO; konnte ich 
ebenfalls betreff dieses Stoffes einen deutlichen Unterschied der 
Diffusionsgeschwindigkeit in der angegebenen Richtung konsta- 
tieren. Inwiefern angenommen werden muß, daß für die 
Resultate dieser Versuche und der Resultate von Versuch 56: 
III und IV sowie Versuch 57: II ein und dieselbe Ursache 
zugrunde liegt, möchte ich mich nicht näher aussprechen; jedoch 
verdient es hervorgehoben zu werden, daß die Erhöhung der 
Diffusionsgeschwindigkeit, welche die Hinzusetzung von Alkali 
(besonders Kali- oder Natronlauge) in den Serum-Farbstoff- 
mischungen hervorruft, erstens viele Male größer als diejenige 
ist, welche die Sodahinzusetzung in den wässerigen Lösungen 
der Farbstoffe erzeugt, und daß sie zweitens nur als ein 
einzelnes Glied in der Reihe von Veränderungen zu betrachten 
ist, welche die Alkali-Hinzusetzung infolge des vorher mitgeteilten 
in den Eigenschaften der Serumfarbstoffmischungen hervorruft. 

Daß sich die geringe Dialyse in den Serumpräparaten 
keineswegs allein durch die höhere Viskosität in diesen Präpa- 
raten, oder durch die kolloiden Eigenschaften des Serums er- 
klären läßt, geht mit größter Deutlichkeit aus untenstehenden 
Versuchen mit Gummi arabicum und Leim in Lösungen von 
ungefähr gleicher Viskosität wie die des Serums (mit Hilfe 
von Ostwalds Apparat bestimmt) hervor. 


Versuch 59. 
Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na. — Dialyse durch 
Hausenblase in 24 Stunden. 

I. Ygooo Mol Tetrachl. Na — 1 Teil 
Dest. Wasser — 1 Teil 

II. 1/3000 Mol. Tetrachl. Na — 1 Teil 
Dest. Wasser — 1 Teil 


1/10000 Mol. 


| 4 500000 Mol. 


) Bihler, W., Zur Diagnose von Endothelerkrankungen der 
Hornhaut mittels Fluoreszein, insbesonders sympathischer Ophthalmie. 
Münchener med. Wochenschr. Nr. 32. 1899. 


526 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


III. '/200o Mol. Tetrachl. Na — 1 Teil | 1 Mol 
15000 . 


Gummi arabicum (2°,) — 1 Teil 
IV. 1/200 Mol. Tetrachl. Na — 1 Teill, / Mol 
Leimlösung (2 %) = Fall 9» an 


In dieser, ebenso wie in den im vorhergehenden besproche- 
nen Versuchsreihen zeigt es sich hingegen, daß Hühnereiweiß 
eine ähnliche Wirkung wie Serum besitzt. Die Wirkung ist 
jedoch’ bei dem Hühnereiweiß bedeutend schwächer und 
weniger konstant als bei dem Serum. 


Versuch 60. 

Eosin-Na — Hühnereiweiß (geschlagen und filtriert). — 
Dialyse in 24 Stunden durch Dialysatoren von Schleicher 
und Schüll. 

I. "ioo Mol. Eosin-Na — 1 Teil |, A 
Dest. Wasser — 1 Teil j i8000 Mol. 

II. 1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 7 iai 

Kaninchenserum u A 
III. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | TAB 
Hühnereiweiß SER me | oa ol. 


Die Resultate der Diffusionsuntersuchungen lassen sich der- 
art zusammenfassen : 

Die Diffusionsgeschwindigkeit der hier besproche- 
nen sensibilisierenden Stoffe wird in dem Augenblick 
außerordentlich herabgesetzt, wo ihre wässerigen Lö- 
sungen mit Serum gemischt werden. — Die durch den 
Serum-Zusatz bedingte Herabsetzung der Diffusions- 
geschwindigkeit ist geringer, je größer die „Alka- 
leszenz“ des betreffenden Serums ist, gleichviel ob 
diese auf den natürlichen NaCO;-Gehalt des Serums 
zurückzuführen, oder in vitro durch Hinzusetzung von 
Alkali erhöht ist. 

Hühnereiweiß verhält sich, was dies anbetrifft, 
ähnlich wie Serum, wirkt jedoch bedeutend schwächer. 
Andere Kolloide (Leim, Gummi arabicum) haben 
keinen Einfluß auf die Diffusionsgeschwindigkeit der 
Farbstoffe außer demjenigen, den die erhöhte Viskosi- 
tät zur Folge hat. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 527 


VIII. 


Chemische Reaktionen zwischen photobiologische Sensibili- 
satoren und den Eiweißstoffen des Serums. 


In den vorhergehenden Abschnitten ist gezeigt worden, 
wie ein Serumzusatz zu Lösungen einer Reihe verschiedenen 
cheinischen Gruppen angehörenden sensibilisierenden Stoffen so- 
wohl betreffs der Eigentümlichkeiten des Serums wie auch die 
der betreffenden Sensibilisatoren eingreifend verändern kann. 
Was das Serum anbelangt, so wird dessen Koagulationsfähigkeit 
verändert, und dessen Giftigkeit gegenüber Paramäcien (die 
Alexinwirkung) wird verringert oder aufgehoben. Was die 
Sensibilisatoren anbetrifft, so werden deren Toxizität und Sensi- 
bilisationsfähigkeit verringert oder aufgehoben und bezüglich 
deren Fluoreszenz, spektralen Absorption und Diffusionsverhält- 
nisse treten bedeutende Veränderungen ein. Es geht ferner 
aus meinen Untersuchungen hervor, daß diese gegenseitigen 
Einwirkungen vom Eiweißgehalt des Serums bedingt werden. 
Erstens ist es nämlich nur denkbar, daß Veränderungen der 
Eiweißstoffe des Serums den Veränderungen der Koagulations- 
fähigkeit und Alexinwirkung des Blutes zugrunde liegen; 
zweitens ruft Serum nach Fällen und Abfiltration seiner Albu- 
minstoffe nicht die früher erwähnten Veränderungen in Lösungen 
sensibilisierender Stoffe hervor, und drittens lassen sich diese 
Veränderungen nicht allein durch Serumbeimischung sondern 
auch durch Hinzusetzung anderer eiweißhaltiger Lösungen 
(Hühnereiweiß) hervorrufen. 


Zwischen allen den erwähnten Reaktionen ist ein so aus- 
geprägter Parallelismus, daß sie wahrscheinlich ein und dieselbe 
Ursache haben müssen, und diese ist darin zu suchen, daß die 
Eiweißstoffe mit den betreffenden Sensibilisatoren Verbindungen 
mit ganz anderen Eigenschaften als die der zwei Komponenten 
eingehen. 

Es sind in den letzten Jahren — besonders seitens der 
histologischen Farbentechniker — eine Anzahl interessanter 
Untersuchungen über die Eiweißverbindungen der Anilinfarb- 
stoffe erschienen. Ich verweise, ohne auf eine ausführliche 

Biochemische Zeitschrift Band I. 3) 


528 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Erörterung dieser Literatur einzugehen, auf Mathews') und 
Heidenhains’) grundlegende Arbeiten. Der erste Verf. wies 
nach, daß Eiweiß sowohl mit Farbsäuren wie auch mit Farb- 
basen Salze bildet, und Heidenhain erweiterte später unsere 
Kenntnis bezüglich dieser Verbindungen durch umfassende Unter- 
suchungen; gleichfalls wies er ihre theoretische und praktische 
Bedeutung für die histologische Färbetechnik nach, ein Gebiet, 
das Bethe°) in einer vor kurzem erschienenen Arbeit weiter 
bearbeitet hat. 

Die Eiweißverbindungen mit Farbsäuren resp. Farbbasen 
illustriert Heidenhain besonders schön, indem er Beispiele 
solcher Fälle vorführt in denen die freien Farbsäuren resp. 
Farbbasen eine andere Farbe als ihre Salze besitzen. Die freie 
Nilblaubase ist z. B. rot, während deren Salze blaugefärbt sind, 
und wird der Base Eiweiß zugesetzt so tritt die blaue Farbe 
ebenso wie bei Hinzusetzung von Säuren ein. Mit Kongorot 
verhält es sich umgekehrt, indem die blaue Kongosäure durch 
Hinzusetzung von Eiweiß rot gefärbt wird. 

Bezüglich der Auffassung der Natur dieser Verbindungen 
herrscht Uneinigkeit unter denen, die sich mit derartigen 
Untersuchungen beschäftigt haben. Einige fassen sie als echte 
chemische Verbindungen auf, während von anderer Seite be- 
hauptet wird, daß wir hier Phänomenen rein adsorptiver Natur 
gegenüberstehen. Raehlmann‘), der vor kurzem die Frage 


) Mathews, A., A contribution to the chemistry of cytological 
stayning. American Journal of Physiology. 1898. 

?) Haidenhain, M., Über chemische Umsetzungen zwischen Eiweiß- 
körpern und Anilinfarben. Arch. f. d. ges. Physiologie 90. 1902. 

Neue Versuche über die chemischen Umsetzungen zwischen Eiweiß- 
körpern und Anilinfarben, insbesondere unter Benutzung der Dialyse. 
Arch. f. d. ges. Physiologie 96. 1903. 

Über chemische Anfärbung mikroskopischer Schnitte und fester 
Eiweißkörper. Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie u. mikroskop. Technik 
19. 1902. 

3, Bethe, A., Die Einwirkung von Säuren und Alkalien auf die 
Färbung und Färbbarkeit tierischer Gewebe. Beiträge zur chemischen 
Physiologie und Pathologie 6, 349. 1905. 

t^ Raehlmann, E., Neue ultramikroskopische Untersuchungen 
über Eiweiß, organische Farbstoffe, über deren Verbindungen und über 
die Färbung organischer Gewebe. Arch. f. die ges. Physiologie 112. 1906. 


G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 529 


durch ultra-mikroskopische Untersuchungen zu lösen suchte, 
nimmt eine Zwischenstellung ein. 

Ich beschreibe in folgendem einige Reaktionen, welche 
neue Tatsachen in betreff der chemischen und optischen Eigen- 
tümlichkeiten dieser Verbindungen geben. 

Stellt man eine Reihe Eosin-Na-Lösungen von !/ss, "so, 
'/ioo Mol. usw. her, und mischt jede dieser Lösungen mit 
ihrem gleichen Kubikinhalt Serum, so wird eine Hinzusetzung 
von Säure folgende Reaktionen in den verschiedenen Präparaten 
hervorrufen. 

1/25 Mol. Eosin-Na +4 Serum ää partes gibt bei Zuträu- 
felung verdünnter Salzsäure eine Fällung einer voluminösen 
Masse, die, wenn die Fällung ihr Maximum erreicht hat, die 
ganze Flüssigkeitsmenge gelatiniert, so daß man das Reagenz- 
glas wenden kann, ohne daß der Inhalt ausfließt. Eine 
ähnliche Fällung erzielt man indessen durch Hinzusetzung 
von Säure zu konzentrierten wässerigen Eosin-Natrium-Lösungen, 
indem diese gespalten werden und die in Wasser unlösliche 
Eosinsäure gefällt wird. Der Unterschied tritt erst bei weiterer 
Hinzusetzung von HCl zum Vorschein. Während die Eosinsäure 
hiervon nicht beeinflußt wird, löst sich der Bodensatz im Serum- 
präparat wiederum klar auf. Die entstandene Lösung ist nicht 
fluoreszierend, selbst nicht nach Verdünnung mit Wasser. Setzt 
man dahingegen Serum hinzu, so entsteht die Eosinfluoreszenz, 
selbst bei saurer Reaktion. 

Lösungen von '/so und ioo Mol. Eosin-Na + Serum äü 
partes geben bei HC] Hinzuträufelung ebenfalls Fällungen, die 
jedoch weniger stark als die oben erwähnten sind. Bei Hinzu- 
setzung eines Überschusses von Salzsäure werden auch diese 
Bodensätze aufgelöst, jedoch mit Fluoreszenz, und diese ist als- 
dann in dem dünnsten Eosinpräparat am stärksten, selbst wenn 
beide Lösungen derartig mit Wasser verdünnt werden, daß der 
prozentische Eosingehalt derselbe wird. 

Die dünneren Eosin-Serumpräparate geben bei Hinzusetzung 
von HCl geringere und geringere Fällungen, und in Lösungen 
von ca. !/gooo Mol. Eosin-Na -+ Serum ää partes ruft die Säure- 
beimischung überhaupt keine sichtbare Fällung hervor. Dahin- 
gegen verschwindet die Fluoreszenz auch hier vollständig, jedoch 
kehrt sie in diesen Präparaten bei Hinzusetzung von HCl in 


35* 


530 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Überschuß wieder in ihrer vollen Stärke zurück. Die Fähigkeit 
der Eosin-Serummischungen zu fluoreszieren hängt also von dem 
Mengenverhältnis zwischen Eosin und Serum ab, indem ein 
Überschuß des letzteren für das Eintreten der Fluoreszenz not- 
wendig ist. 

Es wird von demselben Mengenverhältnis abhängen, in- 
wiefern sich der gefällte Bodensatz wiederum bei weiterer HCl- 
Hinzusetzung vollständig auflösen wird oder nicht. Derart er- 
fordern 5 ccm einer !/ıooo Mol. Eosin-Na-Lösung ca. zwei Tropfen 
Serum, damit sich der durch HCl-Hinzusetzung entstandene 
Bodensatz wiederum in HCl-Überschuß klar auflösen soll. — 
5 ccm einer !/ss Mol. Eosin-Na-Lösung erfordern ungefähr 
3 ccm Serum. Bei Hinzusetzung geringerer Mengen wird sich 
der Bodensatz nur partiell auflösen. 


Ich erwähnte, daß die von der HCl-Hinzusetzung in Eosin- 
Serummischungen hervorgerufenen Fällungen stark mit dem 
Verdünnungsgrad des Eosins abnehmen; dies ist nicht nur auf 
die absolute Verminderung des Eosingehalts der Präparate zurück- 
zuführen, sondern auch auf den Umstand, daß der Bodensatz 
in Überschuß von Serum selbst bei neutraler Reaktion löslich 
ist. Dies geht erstens daraus hervor, daß die HCl-Hinzusetzung 
überhaupt keine Fällungen in Eosin-Serummischungen mit 
einem verhältnismäßig geringen Eosingehalt z. B. Ysooo Mol. 
Eosin-Na — Serum ää partes hervorruft. Es geht zweitens 
daraus hervor, daß bei Hinzusetzung steigender Mengen Serums 
zu gleich großen Mengen Eosin-Na-Lösung derselben Konzen- 
tration, die durch HCl Hinzusetzung erzeugte Fällung mit der 
steigenden Serummenge stark abnehmen wird, um schließlich 
gänzlich auszubleiben. 


Folgender Versuch ist auch in diesem Zusammenhang von 
Interesse: 

Es werden folgende Mischungen von Serum mit gleichem 
Volumen Eosin-Na-Lösungen abnehmender Konzentration her- 
gestellt. 


I. 25 ccm Pferdeserum 4 25 ccm einer !/s; Mol. Eosin Na 


II. 25 D » + 25 n n 1 50 » n» 
II. 25 , : +25 „ „a Mio s» r 
IV. 25 = n” + 25 n ” i 200 » ” 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 531 


Den vier Präparaten werden HCl zugesetzt bis zur maximalen 
Fällung. | 
I. gibt maximale Fällung mit 2,6 ccm normal. HCl 


I. „ „ 39 2 2,0 » „ 2) 
III. ” ” » » 1 ’ 3 » ” ” 
IV. 39 „ ”„ ”» 0,9 n ”„ „ 


Die Präparate wurden darauf in zylindrischen Gläsern 
zentrifugiert. 


In I. nimmt der Bodensatz einen ebenso großen Kubikinhalt 
wie die Flüssigkeitssäule ein. 
a A 5 i 5 einen halb so großen Kubikinhalt 
wie die Flüssigkeitssäule ein. 
„ III. nimmt der Bodensatz !/;, der Höhe der Flüssigkeitsäule ein. 
U. Pr g > Bo w a 3 a 


In I. ist die obenstehende Flüssigkeit klar, leicht gelblich 
und sehr schwach fluoreszierend. Albumin ließ sich weder 
durch Hellers Probe mit absolutem Alkohol noch mit Essig- 
säure-Ferrocyankalium nachweisen. Bei Verdünnung mit Wasser 
entsteht keine Fällung. 


In II. ist die zentrifugierte Flüssigkeit klar, schwach röt- 
lich eosingefärbt, und sie enthält Albumen, jedoch in geringer 
Menge. 


In II und IV ist die zentrifugierte Flüssigkeit klar, intensiv 
rot und gibt eine sehr kräftige Albuminreaktion. 


Die klaren eosingefärbten, nicht fluoreszierenden Flüssig- 
keiten von II, IIl und IV geben bei Verdünnung mit 
destilliertem Wasser eine Fällung, jedoch wird der gefällte 
Bodensatz bei Hinzusetzung von dünner HCl sowie bei Hinzu- 
setzung von Alkali wiederum aufgelöst, in beiden Fällen mit 
Fluoreszenz. 


Die zur Hervorrufung einer Maximal-Fällung in einer 
Eosin-Serummischung erforderliche Säurenmenge, sowie die 
Menge, welche erforderlich ist, um das Gefällte wiederum in 
Lösung zu bringen, hängt teils von dem Serumgehalt, teils 
von dem Eosin-Na-Gehalt der Mischung ab. Derart verbrauchte 
ich — um eine Maximal-Fällung hervorzurufen — in 


532 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


2 cem !/ıoo Mol. Eosin-Na +0,25 ccm Serum — 7 Tropf.'/ıonorm.HCl 


PA Fer re „ +0,5 , „10 „ e 
2 m de a „ +1,0 , » -15 „ » 7 
Dj 2 w F220 j » 70 u S 
Das, ae in „ +3,0 5 » -45 p se 


Umgekehrt brauchte ich zu 
2 ccm 1/3200 Mol. Eosin-Na + 2 ccm Serum — 16 Tropfen norm. HCl 


2 n, Tiso » j TF2 „15 , 7 
2o oo 3 n PE s =21 % 7 
2 o oo j +2 j „ 23 ,, z 
2 „a Manor » 5 T2 yj mo 0 7 
2 a Mio a Ar 2 5 „30 y en 


Der Versuch deutet an, daß die Fällung erst allmählich 
mit der Spaltung des Eosinsalzes durch die hinzugesetzte Salz- 
säure eintritt. 

Die früher erwähnten Mischungen von Serum mit gleichem 
Volumen Eosin-Na-Lösungen abnehmender Konzentration er- 
geben beim Kochen keine Koagulation in den Präparaten mit 
großem Eosin-Na-Gehalt, eine leichte Trübung entsteht erst in 
der Mischung: Serum -+ !/2% Mol. Eosin-Na ää. In den nach- 
folgenden Mischungen erhält man beim Kochen eine stärkere 
und stärkere Fällung. 

Das in konzentrierten Eosin-Serummischungen bei 
HCl-Hinzusetzung gefällte Eosin-Albumin ist infolge 
deroben beschriebenen Reaktionen in Serum löslich — 
sowohl bei alkalischer Reaktion (4 Fluoreszenz) wie 
bei neutraler (— Fluoreszenz) und saurer Reaktion 
(+ Fluoreszenz); es ist ferner unlöslich in Wasser, 
jedoch löslich in Alkali (4+ Fluoreszenz) und in dünner 
Salzsäure (+ Fluoreszenz. Es wird durch Aus- 
wässerung mit schwefelsaurem Ammoniak aus seinen 
Lösungen gefällt. 

Ich fällte, um die Eigenschaften des Eosin-Albumins näher 
zu untersuchen, eine Mischung von Serum + "ss Mol. Eosin- 
Na ää partes, durch Hinzusetzung von HCl; nach Zentrifugierung 
wurde die obenstehende Flüssigkeit abgegossen, und danach der 
rote, pastöse Bodensatz mit destilliertem Wasser angerührt, 
wiederum zentrifugiert, ausgewaschen usw. Es zeigte sich, daß 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 533 


das Auswaschungswasser beständig, selbst nach zehnmal wieder- 
holter Auswaschung, ganz schwach eosingefärbt und fluores- 
zierend war. Die Masse ließ sich nach Eintrocknung im 
Exsikkator, im Porzellanmörser zu einem feinen, scharlach- 
roten, amorphen Pulver verreiben. 

Dies ausgewaschene, getrocknete und pulverisierte Eosin- 
Albumin ist etwas schwerer löslich als das frischgefällte Prä- 
parat; jedoch löst es sich mit großer Leichtigkeit in Alkali 
auf. Wird das Präparat mit Äther behandelt, so geht nur 
eine geringe Menge Eosinsäure in diesen über; denn beim 
Schütteln des abgehobenen Äthers mit NaOH -Lösung zeigte es 
sich, daß diese nur schwach eosingefärbt und fluoreszierend war. 
Das Eosin-Albumin wird von starker Salzsäure — schon von 
normaler HCl-Lösung — gespalten, indem sich Eosinsäure bildet, 
die sowohl in Wasser wie auch in Serum unlöslich ist. 

Ich schließe mit der Besprechung einiger quantitativer 
N-Bestimmungen fraktionierter Fällungen des Eosin-Albumins. 

Einer Mischung von 40 cem Schweineserum 4 50 ccm 
1/35 Mol. Eosin-Na werden 4,4 ccm normaler HCl-Lösung zu- 
gesetzt, wodurch eine kräftige, jedoch unvollkommene Fällung 
entsteht. Nach Zentrifugierung wird die über dem Bodensatz 
stehende Flüssigkeit abgegossen und zu dieser wird wiederum 
Salzsäure bis zu maximaler Fällung gesetzt. Die Bodensätze der 
zwei Fraktionen: I und II werden wiederholt mit destilliertem 
Wasser ausgewaschen und danach im Vakuum über Schwefel- 
säure getrocknet. Die eingetrockneten Krusten werden in 
Porzellanmörsern pulverisiert, wonach der Trockenprozeß bis 
zur Gewichtskonstanz fortgesetzt wurde. 


Von jedem der zwei Präparate wurden darauf zwei N-Analysen 
nach Kjeldahl mit folgendem Resultat vorgenommen: 


Aue len: Mittelwert 















I. Kjeldahl- 
Bestimmung Bestimmung 
Fraktion I... 12,26 %, 12,39: h 12.319, 
Fraktion II . . 31,10, 11,54% 11,63 %, 
Differenz . . . 0,55%, 0,81%, 0,63%, 


In diesem Versuch enthält also Fraktion I ca. 0,68°, N 
mehr als Fraktion II. Hieraus darf man doch kaum auf den 


534 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


nichtchemischen Charakter der Verbindung schließen, denn der 
Versuch hat den Fehler, daß das Verhältnis zwischen Eosin-Na- 
Gehalt und Serum-Gehalt in der Mischung, in welcher die 
fraktionierten Fällungen vorgenommen wurden, willkürlich ge- 
wählt ist, und ist z. B. die Menge des Eosin-Na größer als 
die gewesen, welche der Eiweißstoff der Mischung zu binden 
vermag, so wird in Fraktion H wahrscheinlich eine Beimischung 
stickstofffreier Eosinsäure entstanden sein, wodurch ein geringerer 
N-Gehalt in dem zuletzt gefällten Eosin-Albumin vorgetäuscht 
werden wird. Der Fehler wäre vielleicht zu vermeiden, falls 
man vor der N-Analyse die getrockneten Präparate mit Äther 
behandelt hätte, um dadurch die eventuell vorhandene Eosin- 
säure zu entfernen. 

1,083 g des im Vakuum über HSO, zur Gewichtskonstanz 
getrockneten Eosin-Albumins wird auf 105° Celsius erwärmt, 
bis wiederum Gewichtskonstanz eintritt. Das Gewicht war dann 
1,059 g, die Differenz beträgt 0,024 g. Für 1 g Substanz be- 
rechnet, wird die Differenz 0,0222 g. 

Ganz entsprechende Reaktionen, wie die, welche ich im 
vorhergehenden betreff des Eosin-Natriums beschrieben habe, 
geben sämtliche Salze der Fluoreszeinreihe, sowie verschiedene 
andere der im vorhergehenden besprochenen Sensibilisatoren. 
Ganz entsprechend verhalten sich eine Reihe Anilinfarbstoffe, 
welche keine photobiologisch sensibilisierenden Eigenschaften 
besitzen (z. B. Fuchsin und das Ehrlichsche Trypanrot). Die 
Albuminverbindungen haben ungefähr dieselbe Farbe wie die 
betreffenden Salze, z. B. ist das dichloranthracendisulfosaure 
Albumin ein gelbes amorphes Pulver, welches einen ca. 9,27 °;o 
N-Gehalt besitzt. 

Es ist wahrscheinlich, daß alle Farbsäuren ähnliche Ver- 
bindungen mit den Albuminstoffen des Blutes eingehen. Man 
wird sich in jedem einzelnen Falle leicht davon überzeugen 
können, indem man z. B. eine 1°/„ige wässerige Lösung des 
betreffenden Farbstoffes mit seinem gleichen Volumen Serum 
mischt. Ruft eine Hinzuträufelung verdünnter HCl einen 
voluminösen Bodensatz hervor, der bei weiterer HCI-Hinzusetzung 
wiederum aufgelöst wird, so ist die Sache damit entschieden. 
Handelt es sich um einen in wässeriger Lösung fluoreszierenden 
Stoff, so kann man auch eine dünne, stark fluoreszierende 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 535 


Lösung wählen; bei Serumbeimischung zu derselben wird die 
Fluoreszenz geschwächt werden, und sie soll bei Hinzuträufelung 
von verdünnter HCl vollständig verschwinden; bei fortgesetzter 
Hinzuträufelung von HCl — oder Hinzusetzung von Alkali — 
soll die Fluoreszenz wiederum eintreten. 

Wie es aus den speziellen Untersuchungen in den vorher- 
gehenden Abschnitten hervorgeht, besitzen die Anilin-Albumine 
Eigenschaften, welche in vielen Beziehungen weit von denen 
verschieden sind, die die zwei Komponenten auszeichnen, — 
ein Umstand, der nicht allein für die histologische Färbungs- 
technik eine bedeutende Rolle spielt — was Heidenhain schon 
gezeigt hat — der aber auch jedesmal in Betracht zu ziehen 
ist, wenn diese Farbstoffe aus experimentellen oder therapeuti- 
schen Gründen gegenüber warmblütigen — möglicherweise auch 
kaltblütigen — Tieren in Anwendung gebracht werden. Es ist 
indessen daran zu denken, daß die Farbstoff-Albumine besonders 
lose Verbindungen sind, welche von der alkalischen, neutralen 
oder sauren Reaktion des Milieus ausschlaggebend beeinflußt 
werden, und welche sich im Organismus recht schnell spalten, 
indem der Farbstoff als solcher durch Nieren und Leber aus- 
geschieden wird. 


Man findet in der Literatur des letzten Jahres einige Unter- 
suchungsreihen, für deren Resultate die hier erwähnten Ver- 
hältnisse zweifellos entscheidend gewesen sind: 

Beim Studium der Wirkung der fluoreszierenden Stoffe auf 
Toxine fanden Jodlbauer und v. Tappeiner?'), daß eine 
Eosin- oder dichloranthracendisulfosaure Na-Beimischung zu 
Diphtherie- und Tetanustoxin deren toxischen Eigenschaften 
herabsetzt, selbst wenn die betreffenden Mischungen vor der 
Injektion in die Versuchstiere gegen die Einwirkung des Lichtes 
geschützt werden. — Die Verff. nehmen an, daß die verhältnis- 
mäßig geringe Beschädigung der betreffenden Toxine in den 
Tieren nach der Injektion eingetreten ist, da sie in Käfigen 








1) A. Jodlbauer und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung 
fluoreszierender Stoffe auf Toxine. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 85, 
399. 1905. 

Jodlbauer, A., Weitere Untersuchungen, ob eine „Dunkelwirkung“ 
der fluoreszierenden Stoffe statthat. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 85, 
395. 1905. 


536 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


gehalten waren, zu denen mäßiges zerstreutes Licht gelangen 
konnte. Es sollte sich also hier um eine schwache Licht- 
wirkung gegenüber dem sensibilisierten Toxin handeln. Diese 
naheliegende Erklärung verliert doch etwas an Wahrscheinlich- 
keit, wenn man bedenkt, daß die Meerschweinchen nur ver- 
hältnismäßig sehr schwachem Licht ausgesetzt waren, daß die 
Tiere außerdem nicht enthaart waren, und daß die Toxizitäts- 
herabsetzung selbst unter den für die Lichtwirkung günstigsten 
Bedingungen (direktes Sonnenlicht, Enthaarung der Tiere), nach 
den Untersuchungen derselben Verfasser niicht sonderlich groß 
ist. — Außerdem haben Flexner und Noguchi') später 
nachgewiesen — jedoch unabhängig von den oben erwähnten 
Untersuchungen —, daß starke Eosinlösungen auch im Dunkeln 
eine schwächende Einwirkung auf Tetanustoxin besitzen. 

Ich habe selbst eine Reihe Versuche teils mit Rizin, teils 
mit Diphtherietoxin?) gemacht. Nach vorausgehender, im 
Dunkeln vorgenommener Beimischung starker Eosinlösungen 
wurden die Toxine subkutan auf Meerschweinchen in Mengen 
von 1, 2, 3, 4 und 5mal tödlicher Dosis injiziert. Obwohl die 
Versuchstiere in Dunkel gehalten wurden, erwies sich eine 
deutliche — wenn auch nicht bedeutende — Herabsetzung der 
toxischen Wirkung im Vergleich mit der Wirkung der nicht- 
Eosinbeigemischten Toxine auf die Kontrolltiere. 

Die Ursache zur Toxizitätsherabsetzung ist wahrscheinlich 
(vergleiche die Alexinversuche in Abschnitt Il) darin zu suchen, 
daß die Toxine mit Farbsäuren (in casu Eosinsäure) relativ 
ungiftige Verbindungen eingehen. Ist die Toxizitätsherabsetzung 
jedoch — trotz einer Farbsäure-Beimischung in Überschuß zu 
dem betreffenden Toxin — nur verhältnismäßig gering, so läßt 
sich dies durch die geringe Stabilität der Verbindungen er- 
klären, indem der Organismus das Eosin als solches ausscheidet, 
während das allmählich freigemachte Toxin im Organismus 
zurückgehalten wird, wo es alsdann seine deletäre Wirkung aus- 
üben kann. 


1) Flexner and Noguchi, The effect of eosin upon tetanus toxin 
and upon tetanus in rats and guineapigs. Journal of experimental 
Medicine. Vol. VIII. Jan. 1906. 

23) Mir vom „Statens Seruminstitut“ in Kopenhagen gütigst über- 
lassen. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 53 


=] 


Resume. 


1. Rote Blutkörperchen werden zerstört, wenn man sie 
mit intensivem Licht belichtet, das reich an kurzwelligen 
Strahlen ist. Die Ursache dessen, daß die früheren Untersucher 
negative Resultate erzielt haben, ist vor allem auf die An- 
wendung ungenügend starken Lichtes zurückzuführen. 


2. Der für Paramäcien giftige Stoff (Alexin), der in ge- 
wöhnlichem Blutserum enthalten ist, wird vernichtet, wenn er 
der Einwirkung ultra-violetten Lichtes ausgesetzt wird. Er läßt 
sich außerdem gegenüber mehr langwelligen Strahlen sensi- 
bilisieren. 

3. Ein Zusatz verschiedener photobiologischer Sensibili- 
satoren (Derivate des Fluoreszeins, dichloranthracendisulfosaures 
Natron usw.) zum Blut warmblütiger Tiere zieht folgende Ver- 
änderungen der Eigenschaften des Blutes und der betreffenden 
Sensibilisatoren nach sich: 


a) Die Koagulationsfähigkeit des Blutes wird aufgehoben 
resp. herabgesetzt, gleichviel, ob die Hinzusetzung in 
corpore oder in vitro geschieht. 

b) Die Alexinwirkung des Serums gegenüber Paramäcien 
wird aufgehoben resp. herabgesetzt, selbst wenn die 
Präparate gegen die Einwirkung des Lichtes geschützt 
werden. 

c) Die Toxizität der sensibilisierenden Stoffe wird aufge- 
hoben resp. herabgesetzt. 

d) Die spezifische Wirkung der sensibilisierenden Stoffe 
wird sowohl gegenüber Mikroorganismen und tierischen 
Gewebezellen, wie auch gegenüber Fermenten, Toxinen 
und Alexinen aufgehoben resp. herabgesetzt. In Ver- 
suchen mit zellulären Reagenzien tritt die Herab- 
setzung bedeutend kräftiger hervor als in Versuchen 
mit Lösungen nicht organisierter Stoffe. Die dies- 
bezügliche Ursache ist darin zu suchen, daß die 
Diffusionsgeschwindigkeit der sensibilisierenden Stoffe 
für den Ausfall der erstgenannten Versuche große 
Bedeutung besitzt, während sie keine Rolle für den 


538 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


Ausfall der letztgenannten spielt — in Verbindung 
damit, daß: 

e) Die physikalischen Eigenschaften der sensibilisierenden 
Stoffe (die Diffusionsfähigkeit) verändert werden. — 

f) In den optischen Eigentümlichkeiten (Fluoreszenz- und 
Absorptionsverhältnisse) der sensibilisierenden Stoffe 
treten Veränderungen ein. 

g) Die chemischen Eigenschaften der sensibilisierenden 
Stoffe werden verändert (Lösungsverhältnisse usw.). 


4, Seren verschiedener Tiere besitzen, selbst wenn sie von 
derselben Art sind, bezüglich der unter c—g genannten Ver- 
hältnisse eine ungleich starke Wirkung. Die Wirkung ist am 
stärksten, je geringer die „Alkaleszenz‘‘ des betreffenden Serums 
ist, und durch künstliche Veränderung derselben — in vivo 
oder in vitro — ist man imstande, die Versuchsresultate in der 
angegebenen Richtung zu beeinflussen. 


5. Die unter Punkt 3 genannten Veränderungen der Eigen- 
tümlichkeiten der sensibilisierenden Stoffe sind nicht auf kolloide 
Eigenschaften des Serums als solche und auch nicht auf dessen 
amphotere Reaktion zurückzuführen; denn sie lassen sich nicht 
durch Hinzusetzung von Leim, Gummi arabicum, Stärke, Pepton 
oder Theobromin und Glykokoll hervorrufen. Hühnereiweiß 
verhält sich dagegen ähnlich wie Serum, wenn auch dessen 
Wirkungen bedeutend ausgeprägter sind. 


6. Die Ursache zu den unter Punkt 3 genannten Ver- 
änderungen ist darin zu suchen, daß die betreffenden Sensibili- 
satoren mit den Eiweißstoffen des Serums Verbindungen mit 
ganz anderen Eigenschaften als denen der beiden Komponenten 
eingehen. Diese Verbindungen zwischen Serum-Albumin und 
Farbsäuren zeichnen sich durch folgende Reaktionen aus: Sie 
sind löslich in Serum — sowohl bei alkalischer Reaktion 
(+ Fluoreszenz!) wie bei neutraler (-- Fluoreszenz) und saurer 
Reaktion (+ Fluoreszenz), sie sind außerdem unlöslich in Wasser, 
jedoch löslich in Alkali (+ Fluoreszenz) und in dünner Salz- 
säure (-- Fluoreszenz). Sie werden von starker HCl gespalten. 
Sie werden durch Entwässerung mit schwefelsaurem Ammoniak 


Wenn die Farbstoffsalze überhaupt fluoreszierend sind. 


G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 539 


aus ihren alkalischen Lösungen gefällt. Durch Kochen werden 
sie nicht gefällt. 


7. Die Schwierigkeit, eine Total-Sensibilisation warmblütiger 
Tiere mittels den bisher in dieser Richtung untersuchten photo- 
biologischen Sensibilisatoren zu erlangen, ist in folgenden Um- 
ständen zu suchen: Ein Teil dieser Stoffe wird aus ihren 
wässerigen Lösungen durch Serum-Hinzusetzung gefällt, und sie 
lassen sich daher überhaupt nicht benutzen; andere werden im 
Organismus zu Leukoverbindungen reduziert, die keine sensi- 
bilisierenden Eigenschaften besitzen, und schließlich gehen eine 
Reihe der am stärksten wirkenden Sensibilisatoren direkte Ver- 
bindungen mit den Eiweißstoffen des Serums ein (obgleich sie 
Eiweiß in alkalischer Lösung nicht fällen); die sensibilisierende 
Fähigkeit wird hierdurch so stark herabgesetzt, das man die 
Farbstoffe zur Erzielung des gewünschten Resultats im Über- 
schuß injizieren muß, wodurch man Dosen erhält, die sich den 
toxischen nähern. 

Hierzu kommt, daß die intravenöse Injektion dieser Farb- 
stoffe keine reelle Gewebefärbung zur Folge hat, da die Stoffe 
nur äußerst langsam in die normalen Gewebezellen hinein- 
diffundieren, während sie anderseits schnell, teils mit den Fäces, 
teils durch die Nieren ausgeschieden werden. Meine Versuche 
deuten jedoch an, daß die Diffusionsgeschwindigkeit mit der 
„Alkaleszenz‘‘ des Blutes variiert. 


8. Nicht nur bei Untersuchungen über Totalsensibilisierung, 
sondern auch z. B. bei chromotherapeutischen Versuchen (die 
Anwendung von „Blut-Desinfizientia‘) muß man mit den oben 
erwähnten Eiweißverbindungen der Anilinfarbstoffe und mit 
deren relativen Nicht-Giftigkeit gegenüber Mikroorganismen 
rechnen. — Die günstigen Resultate der Chromotherapie sind 
wahrscheinlich einer die Phagocytose begünstigenden, entwick- 
lungshemmenden Einwirkung des betreffenden Farbstoffes auf 
die Mikroorganismen zuzuschreiben. 


Die obenstehenden Untersuchungen sind im Frühling und 
Sommer 1905 in dem pharmakologischen Institut in München 
ausgeführt. Ich bin dem Vorstande Herrn Prof. H. v. Tappeiner 


540 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 


zum besten Dank verpflichtet für die liebenswürdige Gast- 
freundlichkeit, mit welcher ich im Laboratorium empfangen 
wurde — und für das lebendige und befruchtende Interesse, 
das er immer meiner Arbeit schenkte. 

Ich bitte auch Herrn Privatdozent Dr. A. Jodlbauer, 
meinen herzlichsten Dank für seine ausgezeichnete Hilfe ent- 
gegenzunehmen. 


Chemisches zur Careinomfrage IV. 
Über ein Vorkommen von Indol im Mageninhalt 
bei Carcinom. 


Von 


Albert Albu und Carl Neuberg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts 
der Universität zu Berlin.) 


(Eingegangen am 1. August 1906.) 


Indol findet sich, abgesehen von den Fäces und als Indoxyl 
im Harn, in der Norm nicht im Organismus; auch unter 
pathologischen Bedingungen ist es an anderer Stelle bisher 
kaum beobachtet. Nur L. Brieger!) gibt an, daß es im ge- 
faulten Eiter vorkomme. 

Daher ist der im folgenden beschriebene Fall bemerkens- 
wert, in dem Indol sich unter eigentümlichen Verhältnissen im 
Mageninhalt bei Carcinom fand. 

Es handelt sich um einen in vivo diagnostizierten Fall von 
Fistula gastrocolica carcinomatosa, d. h. einen Magenkrebs, welcher 
bei seinem geschwürigen Zerfall in den benachbarten Querdick- 
darm durchgebrochen war. Die Sektion hat die Richtigkeit der 
Diagnose bestätigt. Die Ausheberung des Mageninhalts bei dem 
Kranken hatte anfangs das Fehlen freier Salzsäure ergeben, 
später fand sich im Inhalt des nüchternen Magens regelmäßig 
Milchsäure und gleichzeitig Schwefelwasserstoff, dessen An- 
wesenheit sich schon durch den Geruch verriet. Während sich 
der Schwefelwasserstoff allmählich verringerte, fiel an dem Magen- 
inhalt ein von Tag zu Tag zunehmender fäkulenter Geruch auf, 


) Ztschr. f. physivlog. Chem. 5, 366. 1881. 


54% A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt. 


der den Verdacht auf einen Gehalt an Darmfäulnisprodukten 
erregte. Aber Fäces selbst waren in dem Mageninhalt sowie in 
dem zeitweilig Erbrochenen niemals zu entdecken. Die von 
A. Schmidt angegebene Sublimatprobe zum Nachweis des 
Bilirubins, bezw. Urobilins der Fäces war stets negativ. Der 
Mageninhalt war schlecht chymifiziert, mißfarbig, zuweilen 
schmutziggrünlich oder bräunlich gefärbt, reagierte schwach 
sauer und bestand mikroskopisch fast nur aus Detritusmassen. 
Der positive Ausfall der Guajak- und Aloinprobe wies auf den 
Blutgehalt hin. 

Zur Untersuchung auf flüchtige Fäulnisprodukte wurden 
4 Portionen von zusammen 320 ccm nach dem Verfahren von 
E. und H. Salkowski!) verarbeitet. Die einzelnen Portionen 
waren kurz nach der Entnahme aus dem Magen am Rückfluß- 
kühler gekocht, um nachträglich Bakterienwirkung auszuschließen, 
und darauf mit Fluorammonium konserviert. 

Zur Bindung des Schwefelwasserstoffess wurde sodann 
Kupfersulfat zugefügt und das Filtrat vom Schwefelkupfer im 
Dampfstrom destilliert. Das Destillat besaß in der Verdünnung 
den typischen, zugleich jasmin- und fäkalartigen Indolgeruch. 

Die Prüfung auf Phenol und Kresol mittels Eisenchlorid 
oder Chlorkalk hatte ein negatives Resultat, Millons Reagens 
ergab keine Rotfärbung, aber einen weißen Niederschlag. 

Die Reaktionen auf Indol fielen dagegen stark positiv aus. 
sowohl die Nitrit-, die Fichtenspan- wie die Glyoxylsäureprobe. 
Diese letzte von Hopkins angegebene Reaktion ergab einen 
rein rotvioletten Farbenton; ein grüner Ring, wie er für Skatol 
charakteristisch ist, trat nie auf, so daß in diesem Falle das 
Indol nicht in nennenswerter Menge von seinem Homologen 
begleitet war. | 

Zur weiteren Identifizierung des Indols wurde das ca. 
400 ccm betragende Destillat mit Benzol ausgeschüttelt, die 
Benzolschicht abgehoben, über ein wenig frisch geglühtem 
Natriumsulfat getrocknet und nach der Filtration auf etwa 
10 ccm eingeengt. Auf Zusatz einer benzolischen Pikrinsäure- 
lösung schied sich das Indolpikrat bald in den charakteristischen 
roten Nadeln aus. Zu einer Analyse war die Menge zu gering. 


) E. Salkowski. Practicum, 3. Auflage, S. 227. 1906. 


A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt. 543 


Bemerkenswert ist, daß von den flüchtigen Fäulnisprodukten 
im vorliegenden Falle allein oder zum mindestens überwiegend 
das Indol auftrat, eine Erscheinung, die auf die Art der Fäulnis 
im Magen ein Licht zu werfen geeignet sein kann. 

Wie schon hervorgehoben ist, konnten im Mageninhalte 
Fäces niemals nachgewiesen werden; aus diesem Grunde ist 
ein einfacher Übertritt des Indols selbst aus dem Darm höchst 
unwahrscheinlich, zumal da das im Kot reichlich vorhandene 
Skatol fehlte. Denkbar wäre immerhin eine langsame Diffusion 
des Indols durch die Fistel; noch näher aber liegt die Möglich- 
keit einer Einwanderung von indolbildenden Bakterien aus dem 
Darmkanal auf diesem Wege. 

Das Fehlen der Phenole macht es wahrscheinlich, daß die 
Fäulnis keine sehr intensive und lange gewesen sein kann; für 
das Indol haben aber E. und H. Salkowski gezeigt, daß es 
bereits am 2. Tage der Fäulnis reichlich vorhanden ist. Über- 
dies hängt die Natur der entstehenden Zersetzungsprodukte 
bekanntlich eng von der Art der Bakterien ab. Gerade für 
das Indol liegen bezügl. seiner Bildung mannigfache Erfahrungen 
der Bakteriologie vor'), und ähnliches gilt für die Frage, ob 
bei der Fäulnis Indol oder Skatol auftritt, die beide aus einer 
gemeinsamen Muttersubstanz, dem Tryptophan (= Indolamino- 
propionsäure), hervorgehen [Hopkins und Cole] ?). 

Es muß aber auch der Möglichkeit gedacht werden, daß 
einige Besonderheiten der Magenverdauung die Bildung des 
Indols begünstigt haben. 

H. Winternitz°?) und H. Malfatti‘) haben zuerst beob- 
achtet, daß bei der Magenverdauung des Eiweißes Tryptophan- 
reaktion auftritt, die man früher nur bei der Pankreasverdauung 
konstatiert hatte; K. Gläßner°) bezog dann die Bildung dieses 
Indolderivates auf die Wirkung eines besonderen Enzyms, des 
sogenannten Pseudopepsins, das im Gegensatz zum typischen 
Pepsin auch bei neutraler und alkalischer Reaktion tätig sein 


) W. Kühne, Ztschr. f. Biolog. 80, 221. 1894. 0. Emmerling, 
Ber. d. dtsch. chem. Ges. 80. 1863, 1897. 

2) Journal of Physiology 29, 456. 1903. 

3) Ztschr. f. physiolog. Chem. 16, 464. 1892. 

t) Ztschr. f. Physiolog. 81, 43. 1900. 

5 Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 1, 28. 1901. 


Biochemische Zeitschrift Band L 36 


544 A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt. 


soll. Zwar ist die Existenz dieses Fermentes nicht unbestritten 
geblieben [F. Klug'), vergl. auch F. Reach‘)], aber die Tat- 
sache, daß Tryptophan auch normalerweise im Mageninhalt 
auftreten kann, ist wohl sicher, wenn auch die Natur des be- 
treffenden Fermentes dahingestellt bleiben muß. 

Im vorliegenden Falle ist ferner zu beachten, daß beim 
Carcinomgewebe ein beschleunigter autolytischer Eiweißzerfall 
stattfindet, bei dem K. Gläßner‘‘) gleichfalls reichliche Trypto- 
phanbildung beobachtete. Die Produkte der Autolyse sind an 
sich für Bakterien ein ausgezeichneter Nährboden, und sein 
besonderer Reichtum an Tryptophan begünstigt natürlich die 
Entstehung von Indol. 

Jedenfalls liegt es nahe, das auf einem oder anderem 
Wege erzeugte Tryptophan für die Erklärung einer alleinigen 
Entstehung von Indol bei der Magenfäulnis heranzuziehen. 


1) Pflügers Archiv 85. 1902. 
3) Beitr. z. chem. Physiol. u. Patholog. 4, 139, 1903. 
3 K. Gläßner, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 26, S. 599. 1903. 


Berichtigung 
zu: 


1. A. v. Drjewezki: Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 
(Diese Zeitschrift 1, S. 229.) 
S. 234. 5 Zeilen von unten muß vor Versuch I als Überschrift gesetzt 
werden: 
Untersuchungen mit einer 0,2°/,igen Sodalösung. 
S. 236. In der Überschrift vor Versuch IV muß es heißen: 
Untersuchungen mit einer 0,3°/,igen Sodalösung (statt 3°/,igen). 


S. 237. In der Tabelle des Versuches VI muß es heißen für 
Albumosen in Kolumne C 25,08°/, (statt 28,08°/,) in °/, des Gesamt-N. 


2. D. Jonescu, Über das Schicksal der Kresole im Organismus usw. 
(Diese Zeitschrift 1, S. 399.) 
S. 399, Zeile 14 von unten 
lies: „bespricht“ statt: „beschreibt“. 
S. 404, Zeile 17 von unten 
lies: „Indigomenge anscheinend vermehrt“ statt: „Indigomenge vermehrt“. 
S. 406, Zeile 8 von oben 
lies: „Keiner“ statt „Keines“ und: „Kresolharnen“ statt: „Kresolen“. 


S. 406. In Anmerkung 2 und 3 
lies: „Zitiert nach“ statt: vgl. noch“. 


Autorenverzeichnis. 


Albu, A. und C. Neuberg. Che- 
misches zur Carcinomfrage IV. 
S. 541. 

Ascher, E. siehe Neuberg und 
Ascher. 

Bickel, A. Die Chemie der Super- 
azidität und ihre pathologisch- 
physiologische Erklärung. S. 153. 

Blumenthal, F. Biochemische 
Untersuchungen über Vergiftung 
und Entgiftung bei der Lysol- 
vergiftung. S. 135. 

Busck, G. Die photobiologischen 
Sensibilisatoren und ihre Eiweiß- 
verbindungen. S. 425. 

v. Drjewezki, A. Über den Ein- 
fluß der alkalischen Reaktion auf 
die autolytischen Vorgänge im 
in der Leber. S. 229. 

— — Berichtigung. S. 544. 

Ehrlich, F. Über eine Methode 
zur Spaltung racemischer Amino- 
säuren mittels Hefe. S. 8. 

Feigl, J. und H. Meier. Biolo- 
gisch-chemische Untersuchungen 
über das Chloroform. S. 317. 

Großmann, H. Über die Bedeu- 
tung von Bleisalzen für die polari- 
metrische Untersuchung des Harns 
und der Gewebssäfte. S. 339. 

Hamburger, H.J. Eine Methode 
zur Bestimmung des osmotischen 


Druckes sehr geringer Flüssig- 
keitsmengen. S. 259. 

Jacoby, M. Über die Beziehungen 
der Verdauungswirkung und der 
Labwirkung. S. 53. 

Jonescu, D. Über das Schicksal 
der Kresole im Organismus usw. 
S. 399. 

— Berichtigung S. 544. 

Langstein, L. siehe Rietschel 
und Langstein. 

Liefmann, E. und R. Stern. Über 
Glykaemie und Glykosurie. 8.299. 

Loeb, J. Versuche über den che- 
mischen Charakter des Befruch- 
tungsvorganges. S. 183. 

Manasse, A. Über den Gehalt des 
Eidotters an Lecithin. S. 246. 

Mayer, P. Über die Spaltung der 
lipoiden Substanzen durch Lipase 
und über die optischen Anti- 
poden des natürlichen Lecithins. 
S. 39. 

— — Über Leecithinzucker und Je- 
korin sowie über das physikalisch- 
chemische Verhalten des Zuckers 
im Blut. S. 81. 

Meier, H. siehe Feigl und Meier. 

Metalnikoff,S. Über die Ursachen 
der Immunität gegen Tuberkulose 
bei der Bienenmotte (Galeria melo- 
nella). 8. 309. 

36* 


ET er 


546 Autorenverzeichnis. 


Morgenroth, J. und D. Pane. 
Über Beobachtungen reversibler 
Veränderungen an Toxinen. S. 354. 

Neimann, E. siehe Neuberg und 
Neimann. 

Neuberg, C. Synthese von Oxy- 
und Di-aminosäuren. III. S. 282. 

— — Über die Entstehung optisch- 
aktiver Fettsäuren in der Natur. 
S. 368. 

— — und E. Ascher. Über 
optisch-aktive «a-Bß-Dieminopro- 
pionsäure und PB-Thioglyzerin- 
säure. S. 380. 

— — und E. Neimann. Über 
gelatinöse anorganische Erdalkali- 
salze. S. 166. 

— — siehe auch Albu und Neu- 
berg. 

Oppenheimer, C. Über die Anteil- 
nahme des elementaren Stickstoffes 
am Stoffwechsel der Tiere. S. 177. 

Pane, D. siehe Morgenroth und 
Pane. 

Plesch, J. Über objektive Hämo- 
globinometrie. S. 32. 

Pribram, H. Beitrag zur Kennt- 
nis des Schicksals des Cholesterins 
und der Cholesterinester im tieri- 
schen Organismus. S. 413. 

Rietschel, H. und L. Langstein. 
Über das Vorkommen von Amino- 
säuren im Harn der Kinder. 8.75. 


Rogozinsky, F. Über den Ein- 
fluß der Muskelarbeit auf Gewicht, 
Zusammensetzung und Wasser- 
gehalt der Organe des Tierkörpers. 
S. 207. 


Sachs, Fr. Über den Wert der 
verschiedenen Farbenreaktionen 
zum Nachweis der Pentosen. S.383. 

Scott, L. Über Jodospongin. S.367. 

Stern, R. siehe Liefmann und 
Stern. 

Vandevelde, A. J. J. Über die 
Anwendung von biologischen Me- 
'thoden zur Analyse von Nahrungs- 
stoffen. S. 1. 

— — Über Diffusion von Enzymen 
durch Cellulosemembrane. S. 408. 


Willanen, K. Über das Verhalten 
des Ovomukoids im Organismus. 
S. 108. 

— — Zur Frage über die Ent- 
stehung des Rhodans im Organis- 
mus. S. 129. 


Wohlgemuth, J. Zur Chemie der 
Phosphorleber. S. 161. 

— — Über den Aminosäurenstoft- 
wechsel des Gichtikers. S. 332. 

— — Berichtigung. S. 298. 


Zelmanowitz, C. Über einen 
neuen Apparat zur Extraktion 
wässeriger Flüssigkeiten mittels 
Äther, Ligroin usw. S. 253. 


Druck von E Buehbinder (H. Duske) Nou-Ruppia. 


Tafel 1. 


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e des Versuchs. 


546 


Morgenroth, J. und D. Pane. 
Über Beobachtungen reversibler 
Veränderungen an Toxinen. S. 354. 

Neimann, E. siehe Neuberg und 
Neimann. 

Neuberg, C. Synthese von Oxy- 
und Di-aminosäuren. III. S. 282. 

— — Über die Entstehung optisch- 
aktiver Fettsäuren in der Natur. 
S. 368. 

und E. Ascher. Über 
optisch-aktive a-ß-Diaminopro- 
pionsäure und Pß-Thioglyzerin- 
säure. S. 380. 

— — und E. Neimann. Über 
gelatinöse anorganische Erdalkali- 
salze. S. 166. 

— — siehe auch Albun und Neu- 
berg. 

Oppenheimer, C. Über die Anteil- 
nahme des elementaren Stickstoffes 
am Stoffwechsel der Tiere. S. 177. 

Pane, D. siebe Morgenroth und 
Pane. 

Plesch, J. Über objektive Hämo- 
globinometrie. S. 32. 

Pribram, H. Beitrag zur Kennt- 
nis des Schicksals des Cholesterins 
und der Cholesterinester im tieri- 
schen Organismus. S. 413. 

Rietschel, H. und L. Langstein. 
Über das Vorkommen von Amino- 
säuren im Harn der Kinder. 8.75. 





Autorenverzeichnis. 


Rogozinsky, F. Über den Ein- 
fluß der Muskelarbeit auf Gewicht, 
Zusammensetzung und Wasser- 
gehalt der Organe des Tierkörpers. 
S. 207. 


Sachs, Fr. Über den Wert der 
verschiedenen Farbenreaktionen 
zum Nachweis der Pentosen. S.383. 

Scott, L. Über Jodospongin. S.367. 

Stern, R. siehe Liefmann und 
Stern. 

Vandevelde, A. J. J. Über die 
Anwendung von biologischen Me- 
'thoden zur Analyse von Nahrungs- 
stoffen. S. 1. 

— — Über Diffusion von Enzymen 
durch Cellulosemembrane. S. 408. 

Willanen, K. Über das Verhalten 
des Ovomukoids im Organismus. 
S. 108. 

— — Zur Frage über die Ent- 
stehung des Rhodans im Organis- 


mus. S. 129. 
Wohlgemuth, J. Zur Chemie der 
Phosphorleber. S. 161. 


— — Über den Aminosäurenstoft- 
wechsel des Gichtikers. S. 332. 

— — Berichtigung. S. 298. 

Zelmanowitz, C. Über einen 
neuen Apparat zur Extraktion 
wässeriger Flüssigkeiten mittels 
Äther, Ligroin usw. S. 253. 


Druck von E. Buehbinder (H. Duske) Mou-Ruppin. 


DS NSN 








16. 


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e des Versuchs. 


Fig. 12. 


Fig. 22. 


Fig. 17. 


Tafel I. 











-a un nn nn e x . 


—. 


AL ALAA MALTE 





Fig. 38. 


m 
Tafel II. 


37. | 


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m 


ua Are y A BT ram. cn mon Pia ven taata 
tipp e ATD a tf via" opetat hY ryer W A 


Fig. 36. 











Tafel III. 


WINISIK NANU 


baketa t tatata atap aL tati 


Chloroform Anschütz 
(frisch). 


Chloroform Duncan 
(frisch). 


Ah a aesaad aa ai AAA A ALLA A 


UTENTES ENEN A N AE E EA AAAA AAAA Chloroform Kahlbaum 
(frisch). 





Eos ii ee 


e des Versuchs. 








ROUTER NEBEN RN A A AA ne 
In INNEN bie Fig. 47. 


VAA AAALAL ALL LAAA PEARL AAAA AAAA LAARA BA BARLAR LAPA AALLLLAI AAAA SAALE 





ASSN SYSS NENNEN NEN EN NEUEN UNSEREN. N 
Fig. 48. 





ZUR MM ul WKN: à N \ ' rn u Y 
NN, A N NW AN NW Un Ahnen! A Fi g . 49. 





Fig. 50. 


` A AAAA AAAA AAA a o ai 07T APR VPRBEPP TERN TE RE? 177 








Endi h å 


Tafel IV. 


aE E ETE o E SEE E O A V u E A E 





PERIODICAL 


THIS BOOK IS DUE ON THE LAST DATE 
STAMPED BELOW 


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IMMEDIATE RECALL 


Library, University of California, Davis 
Series 458A 














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Biochemisch zeitschrift. B54 








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