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$B L50 561
—— —
COLLEGE OF AGRICULTURE
DAVIS, CALIFORNIA
zum
Biochemische Zeitschrift.
Herausgegeben von
E. Buchner-Berlin, P. Ehrlich-Frankfurt a. M., C. von Noorden-
Wien, E. Salkowski-Berlin, N. Zuntz - Berlin
unter Mitwirkung von
L.Asher-Bern, J. Bang-Lund, P. Bergell-Berlin, @. Bertrand-Paris, A. Biekel-Berlin, F. Blamen-
tkal-Berlin, Chr. Bohr-Kopenhagen, F. Ehrlich-Berlin, @. Embden-Frankfurta. M., E. Freund-
Wien, @. Galeotti - Neapel, H. J. Hamburger - Groningen, A. Heffter - Marburg, M. Jacoby-
Heidelberg, R. Kobert- Rostock, M. Kumagawa-Tokio, L. Langstein-Berlin, L. von Liebermann-
Budapest, J. Loeb - Berkeley, A. Loewy - Berlin, J. A. Mandel- New-York, L. Marchlewski-
Krakau, P. Mayor - Karlsbad, L. Michaelis - Berlin, J. Morgenroth - Berlin, W. Nernst -Berlin,
R. Pfeiffer-Königsberg, Ch. Porcher-Lyon, F. Boehmana-Breslan, 8. Salaskin-St. Petersburg,
N. Sieber-St. Petersburg, M. Siegfried-Leipzig, Zd. H. Skraup-Graz, S. P. L. Sörensen-
Kopenbagen, E. H. Starling-London, H.v. Tappeiner-Müuchen, H. Thoms-Berlin, J. Traabe-
Charlottenburg, A. J. J. Vanderelde-Gent, A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin.
Redigiert von
C. Neuberg -Berlin.
Erster Band.
Mit vier Tafeln.
Berlin.
Verlag von Julius Springer.
1906.
UNIVERSITY OF LALIFURNaA
LIBRARY
COLLEGE OF AGRICULTURE
DAVIS
Inhaltsverzeichnis.
Vandevelde, A. J. J. Über die Anwendung von biologischen
Methoden zur Analyse von Nahrungsstoffen
Ehrlich, Felix. Über eine Methode zur Spaltung ee
Aminosäuren mittels Hefe j
Plesch, Johann. Über objektive Hämoglobinometrie
Mayer, Paul. Über die Spaltung der lipoiden Substanzen durch
Lipase und über die optischen Antipoden des natürlichen
Lecithins .
Jacoby, Martin. Über die Buap dsi r E EN
und der Labwirkung E E E E E E
Rietschel, Hans und Leo Tansslein: "Über das Vorkommen von
Aminosäuren im Harn der Kinder ;
Mayer, Paul. Über Lecithinzucker und Jekorin sowie über dús
physikalisch-chemische Verhalten des Zuckers im Blut .
Willanen, K. Über das Verhalten des Ovomukoids im Organismus
— — Zur Frage über die Entstehung des Rhodans im Organismus
Blumenthal, Ferdinand. Biochemische Untersuchungen über
Vergiftung und Entgiftung bei der Lysolvergiftung ;
Bickel, Adolf. Die Chemie der Superazidität und ihre patho-
logisch -physiologische Erklärung poa i
Wohlgemuth, J. Zur Chemie der Phoaharleber
Neuberg, Carl und Ernst Neimann. Über gelatinöse anorganische
Erdalkalisalze DE er ae ee are Ser er
Oppenheimer, Carl. Über die Anteilnahme des elementaren
Stickstoffes am Stoffwechsel der Tiere T E T E.
Loeb, Jacques. Versuche über den chemischen Charakter des
Befruchtungsvorgangs
Rogozinski, Felix. Über den Einfluß der Muskelarbeit auf Gewicht,
Zusammensetzung und Wassergehalt der Organe des Tierkörpers
v. Drjewezki, Alexis. Über den Einfluß der alkalischen Reaktion
auf die autolytischen Vorgänge in der Leber ;
Manasse, Armand. Über den Gehalt des Eidotters an Lecithin
CLIL
Beite
IV Inhaltsverzeichnis.
Zelmanowitz, C. Über einen neuen Apparat zur Extraktion
wässeriger Flüssigkeiten mittels Äther, Ligroin usw. sowie
anderer Lösungen mittels nicht damit mischbarer, spezifisch
leichterer Solventien ; an E E
Hamburger, H. J. Eine Methode zur Betina d osmoti-
schen Druckes sehr geringer Flüssigkeitsmengen ;
Neuberg, Carl. Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren II. .
Wohlgemuth, J. Berichtigung . ;
Liefmann, E. und R. Stern. Über Gly käse aia Gly De
Metalnikoff, S. Über die Ursachen der Immunität gegen Tuber-
kulose bei der Bienenmotte (Galeria melonella) .
Feigl, J. und H. Meier. Biologisch-chemische Untersuchungen
über das Chloroform (mit 4 Tafeln) .
Wohlgemuth, J. Über den Aminosäurenstoffwechsel des Gic htikers
Großmann, H. Über die Bedeutung von Bleisalzen für die polari-
metrische Untersuchung des Harns und der Gewebssäfte .
Morgenroth, J. und D. Pane. Über Beobachtungen reversibler
Veränderungen an Toxinen
Scott, L. Über Jodospongin
Neuberg, C. Über die Entstehung TA Beyer Foikakuren in
der Natur .
Neuberg, C. und E. Ascher: Über ontikek: ‚aktive «-8-Diamino.
propionsäure und B-Thioglyzerinsäure
Sachs, Fritz. Über den Wert der verschiedenen Farbenslakliönen
zum Nachweis der Pentosen . ; br a a es
Jonescu, D. Über das Schicksal der Kresole im Oranian
und ihren Einfluß auf den Stoffwechsel und die Darmfäulnis
der Fleischfresser . Be a ge A Re ee re de E
Vandevelde, A. J. J. Über Diffusion von Enzymen durch
Cellulosemembrane ; Ei Er Be ak er
Pribram, Hugo. Beitrag zur Kenntnis des Schicksals des
Cholesterins nnd der Cholesterinester im tierischen Organismus
Busck, Gunni. Die photobiologischen Sensibilisatoren und ihre
Eiweißverbindungen Be ee ee re
Albu, Albert und Carl Neulärg; Chemisches zur Carcinom-
frage IV. Über ein Vorkommen von Indol im Mageninhalt
bei Carcinom a a Te
v. Drjewezki, Alexis. Berichtigung .
Jonescu, D. e
Seite
Über die Anwendung von biologischen Methoden zur
Analyse von Nahrungsstoffen.
Von
Dir. Dr. A. J. J. Vandevelde (Gent-Belgien).
(Mitgeteilt auf dem VI. Internat. Kongreß für angewandte Chemie,
Eom 1906.)
(Eingegangen am 24. April 1906.)
Schon seit einigen Jahren habe ich die Giftigkeit von
chemischen Verbindungen und von organischen Extrakten
quantitativ untersucht, um die Grundprinzipien einer neuen
biochemischen Dosierungsweise festzustellen. Für die Therapie
scheint nämlich die Bestimmung der Gewichts-Konzentration
der wirkenden Stoffe unzureichend zu sein; denn es wirken
diese aktiven Stoffe nach der physiologischen Konzentration.
Darum scheint es auch viel genauer, in der Nahrungsmittel-
chemie und in der Therapie die physiologische Konzentration
zu bestimmen.
Viele chemische Methoden zur Dosierung von aktiven Ver-
bindungen wie tierischen und pflanzlichen Extrakten, Alkaloiden,
Antisepticis, Alkoholverbindungen, Essenzen u. s. w. sind schon
veröffentlicht worden; die meisten dieser Methoden sind nach-
geprüft worden und liefern genaue Ergebnisse. Dagegen sind
andere von diesen Methoden, nämlich die zur Dosierung von
Essenzen und von wässerigen und alkoholischen Extrakten vor-
geschlagenen, sehr wenig zuverlässig. Außerdem genügen die
Ergebnisse nicht immer zur Beurteilung der wahren Wirkungs-
weise der untersuchten Stoffe auf den lebenden Organismus.
Biochemische Zeitschrift Band I. 1
2 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse.
Meine Untersuchungen!) über Plasmolyse und Hämolyse
haben zu der Schlußfolgerung geführt, daß eine biochemische
Dosierung der aktiven Stoffe möglich ist, und daß ferner die
Anwendung einer großen Anzahl leicht zugänglicher lebender
Individuen keine Schwierigkeit darbietet.
Drei Hauptfaktoren müssen bei solchen Bestimmungen in
Betracht gezogen werden: die chemische Funktion der Stoffe,
ihre Konzentration und die Variabilität der untersuchten leben-
den Organismen. In den bis jetzt ausgeführten Untersuchungen
scheint der letzte Faktor nicht genügend berücksichtigt zu sein,
da die Zahl der untersuchten Individuen (Kaninchen usw.) ge-
ring ist; wenn man aber mit einer großen Anzahl experimentiert,
dann können auch die Irrtumsursache und der dritte Faktor
Variabilität ausgeschlossen werden.
Mit der Plasmolyse gelangte ich zu der Bestimmung von
toxischen Koeffizienten mit zahlreichen nicht komplizierten
Organismen, nämlich lebenden Pflanzenzellen ®; später wurden
') Bepaling van de giftigheid der alcoholen (3. VI. Natuur en Gen.
Congres 1899).
Determination du pouvoir toxique (Arch. intern. pharmac. 1900).
Giftigheid der vluchtige oliën (4. Vl. Natuur en Gen. Congres 1900).
Une nouvelle méthode de détermination du pouvoir toxique (Ann.
Soc. Médec. Gand 1900).
Giftigheidsgraad en plasmolyseerend vermogen (5. Vl. Natuur en Gen.
Congres 1901).
Giftigheid van plantaardige en dierlyke uittreksels (ibid).
Over giftigheid van sterke dranken (Tijdschr. toegep. Scheik en
Hygiene Amsterdam 1903).
Über die Bestimmung der Giftigkeit von Alkoholen und Essenzen
(5. Intern. Kongreß angew. Chemie Berlin 1903).
Quelques applications des phénomènes critiques en biochimie (Bull.
Soc. chim. Belgique 1903).
Giftigheid van anilinekleuren (7. Vl. Natuur en Gen. Congres 1903,
und 8. ibid. 1904). i
Application de la methode plasmolytique au dosage des essences dans
les spiritueux (Bull. denr. aliment. 1904).
Recherches sur les hémolysines chimiques (Bull. Soc. chim. Belgique
1905).
Über die Bestimmung der Giftigkeit chemischer Verbindungen durch
die Bluthämolyse (Chemiker-Zeitung, I. und II. Mitt. 1905,
III. Mitt. 1906).
?, Ber. V. intern. Kongr. angew. Chemie, Berlin 1903, Bd. III, S. 1060.
A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 3
meine Untersuchungen mit Blutkörperchen fortgesetzt 1), und
zwar auf solche Weise, daß nur die Funktion und die Konzen-
tration der chemischen Verbindungen in Betracht gezogen
werden brauchen.
Auf dem V. internationalen Kongreß für angewandte Chemie
zu Berlin 1903?) habe ich die Resultate meiner Untersuchungen
über die Giftigkeitsbestimmungen von Alkoholen und Essenzen
mitgeteilt. Diese Bestimmungen habe ich nun einfacher durch
die Anwendung der hämolytischen Eigenschaften der Blut-
körperchen ausgeführt’). Für jede Lösung der geprüften Ver-
bindungen habe ich die minimalen Konzentrationen dieser
giftigen Stoffe bestimmt, welche die Blutkörperchen auflösen;
diese Verbindungen wirken ganz auf dieselbe Weise wie die
Hämolysine*) der hämolytischen Sera, aber es sind die quanti-
tativen Bestimmungen natürlich leichter auszuführen.
Die Lösung, in welcher die Blutkörperchen nach einer be-
stimmten Zeit [3 Stunden°)] nicht hämolysiert werden, wohl
aber durch Zuführung der geringsten Spur der zu untersuchenden
Stoffe, besitzt in dieser bestimmten Zeit keine giftigen Eigen-
schaften; diese Lösung habe ich, wie in meinen plasmolytischen
Untersuchungen, die kritische Lösung genannt, und der
Eintritt dieser Auflösung wird — wie bei den gewöhnlichen
Bestimmungen mit Serum und Blutaufschwemmungen — in
kleinen Probierröhren festgestellt.
Es wurden drei Lösungen bereitet: 1. eine Auflösung von
0,9 GV.°/o Kochsalz in Wasser; 2. eine Auflösung von 0,9 GV.’/o
Kochsalz in Äthylalkohol (50 V.P/,) und 3. eine Aufschwemmung
von 5 V.°/, defibriniertem Rinderblut in der wässerigen Koch-
salzauflösung. Die alkoholische Flüssigkeit wird nicht allein
zur Toxizitätsbestimmung des Äthylalkohols selbst benutzt,
sondern auch zum Auflösen der zu prüfenden Verbindungen,
deren Toxizität quantitativ mit der Toxizität des Äthylalkohols
verglichen werden soll.
1) Chem.-Ztg. 1905, 29, Nr. 41 und 74; 1906, 30, Nr. 27,
) A. a. O.
5 A. a. 0.
© Bull. Société chim. Belgique, 1905, 19, 8. 329.
*) Verschiedene Untersuchungen haben zu der Schlußfolgerung ge-
führt, daß die nach 3 Stunden nicht hämolysierenden Flüssigkeiten ge-
wöhnlich bis 10 Stunden diese Eigenschaften behalten.
1°
4 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse.
In die Probierröhrchen wurden 1. 2,5 ccm von Mischungen
wässeriger und alkoholischer Kochsalzlösungen, und 2. 2,5 ccm
der Blutaufschwemmungen hineingebracht; die Konzentrationen
des Äthylalkohols wurden so berechnet, daß in den aufeinander
folgenden Probierröhren die Alkoholmenge um je 0,5 V.?/, steigt.
Die Blutaufschwemmungen wurden mit Rinderblut bereitet;
jedoch gab auch Blut von anderen Tieren und Menschenblut
dieselben Ergebnisse. Fötales Blut besitzt eine höhere Wider-
standskraft, welche ich zahlenmäßig bestimmen konnte):
gefunden wurde, daß menschliches fötales Blut eine Resistenz
besitzt, welche mit 1 V.°/, Äthylalkohol die Resistenz nor-
malen Menschenblutes übertrifft. Demnach könnte fötales Blut
zu den Untersuchungen nicht benutzt werden.
Die Toxizitätsbestimmung für den Äthylalkohol führte zu
den folgenden Ergebnissen bezüglich der Zusammensetzung der
kritischen Lösung:
Blutaufschwemmung: 2,50 ccm.
Wässerige Kochsalzauflösung: 0,55 ccm.
Alkoholische (50 V.°/,) Kochsalzauflösung: 1,95 ccm.
Die Berechnung für 100 ccm gibt 19,5 ccm, oder 19,5
x 0,7943 = 15,4888 g absoluten Äthylalkohol.
In meinen Bestimmungen über alkoholische Auflösungen
verschiedener chemischer Verbindungen wurde dieser Wert von
15,4888 g auf 100 zurückgebracht und auf diese Weise der
toxische Koeffizient. bestimmt, welcher ausdrückt, wie viel
Gewichtsteile der untersuchten Verbindungen mit 100 Gewichts-
teilen absolutem Äthylalkohol isotoxisch sind. Es wurden zum
Beispiel für 1,5 GV. °/,-Lösung von Isopropylalkohol in Kochsalz-
Alkohol (50 V °/,) die folgenden Resultate erhalten:
Die kritische Lösung enthielt in 5 ccm ein:
Blutaufschwemmung: 2,50 ccm,
Wässerige Kochsalzauflösung: 0,70 ccm,
Alkoholische Auflösung: 1,80 ccm,
Isopropylalkohol: 0,0270 g
und in 100 ccm:
Absoluten Äthylalkohol: 18,0 ccm oder 14,2974 g,
Isopropylalkohol: 0,5400 g.
') Note sur un procédé de determination de la résistance des globules
du sang foetal (Ann. Soc. Medec. Gand 1905).
A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. B
Da die kritische Lösung für Äthylalkohol allein 15,4888 g
enthält, so sind
0,5400 g Isopropylalkohol und 15,4888 g — 14,2974 g
= 1,1914 g Äthylalkohol isotoxische Werte, woraus der toxische
Koeffizient ag = 45,32 berechnet wurde. Dieses heißt:
?
45,32 g Isopropylalkohol besitzen die Giftigkeitskraft von 100 g
absolutem Äthylalkohol.
Auf diese Weise wurden die folgenden Toxizitätskoeffizienten
gefunden:
Alkohole: Essigsäure-isobutyl 4,34
Methyl 100 Isobuttersäure-äthyl 4,85
Äthyl 100 ' Propionsäure-isopropyl 5,19
Isopropyl 46,62
Isobutyl 28,79
Amyl 12,52
Heptyl 0,84
Octyl 0,89
Aldehyde:
Äthyl 13,37
Isobutyl 7,25
Heptyl 1,33
Ketone:
Dimethyl 23,59
Methyläthyl 13,37
Diäthyl 7,25
Dipropyl 2,71
Hexylmethyl 0,70
Säuren:
Ameisen 0,10
Essig 0,26
Propion 0,41
Butter 0,59
Valerian 0,30
Heptyl 0,26
Ester:
Ameisensäure-isopropyl 5,67
Propionsäure-methyl 5,67
Essigsäure-äthyl 11,31
Isobuttersäure-isobutyl 1,15
Heptylsäure-Heptyl 0,62
Alkohole und Ester ent-
haltende Essenzen:
Erdbeeröl, Himbeeröl, Johan-
nisbeeröl, Aprikosenöl, Quit-
tenöl, Apfelöl, Ananasöl,
Birnenöl 4,78
Pfirsichöl 2,33
Kognaköl 0,22 und 0,28
Neroliöl 0,36
Terpineoläthrol 0,42
Aldehyde enthaltende Es-
senzen:
Zimtsäurealdehyd 0,69
China Zimtöl 0,86
Ceylon Zimtöl 0,42
Benzaldehyd 2,33
Bittermandelöl 2,33
(Nitrobenzol 1,10)
Ketone enthaltende Es-
senzen:
Wermutöl, Carven 0,42
Karvol 1,10
Karviol 0,86.
6 A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse.
Terpene enthaltende Es- | Phenole enthaltende Es-
senzen: senzen:
Angelikawurzelöl 0,42 Anisöl, Sternanisöl 0,20
Angelikasamenöl 0,48 Anethol 0,22
Zitronenöl 0,69 Thymol 0,28
Zitronenäthrol 0,16 Weißes Thymianöl 0,36
Pfefferminzöl 0,48 Rotes Thymianöl 0,32
Menthol 0,58 Nelkenöl 0,69
Pfefferminzäthrol 0,32 Nelkenäthrol 0,36
Lavendeäthrol 0,20 Muskatöl 0,58.
Eucalyptusäthrol 0,32
Diese Giftigkeitsbestimmungen finden in der Nahrungs-
mittelchemie eine praktische Anwendung, nämlich bei der bio-
chemischen Dosierung höherer Alkohole und Essenzen. Wenn
die Giftigkeit der untersuchten Stoffe annähernd dieselbe ist,
wie für Anisöl und Sternanisöl, dann ist die Dosierung der
totalen Essenzenmenge einfach. Die Methode!) habe ich für
die Analyse von Anissette, welche gewöhnlich die zwei Essenzen
Anis und Sternanis enthält, vorgeschlagen und ihr Verhältnis
zu der belgischen Gesetzgebung?) klargestellt, welche in Spiri-
tuosen einen Gehalt an Essenzen und höheren Alkoholen von
3g im Maximum zuläßt.
Auf diese Weise habe ich einen Giftigkeitskoeffizienten be-
rechnet, welcher nicht überschritten werden darf; jedoch ist
eine solche Bestimmung für jede Spirituosenart nötig, und es
wäre natürlich wünschenswert, daß durch die Gesetzgebung ein
einziger maximaler Koeffizient festgesetzt würde, welcher mit
der biologischen Wirkung der aktiven Stoffe ganz in Ein-
klang stände.
Auch für Anilinfarben ist, wie ich mit der Plasmolyse’°)
feststellen konnte, eine Giftigkeitsbestimmung möglich; die
hiermit gefundenen Ergebnisse stimmen mit denen aus Prüfungen
') Sur l'appréciation de la toxicité des spiritueux à essences par la
methode hemolytique. Bull. denr. aliment. Feb. 1906.
”) Belgique, Arrêté royal 22. Dec. 1905.
» Handelingen VII. Vl. Natuur en Geneesk. Congres Gent 1903,
S. 86—95.
A. J. J. Vandevelde, Biologische Nährstoffanalyse. 7
an höheren Tieren’) ziemlich genau überein; die Wirkung von
Antisepticis und von Süßstoffen, welche zur Herstellung von
Nahrungsmitteln benutzt werden, scheint mit der hämolytischen
Methode leicht bestimmbar, und darüber hoffe ich in kurzem
zu berichten.
Auf diese Weise kommt die Wichtigkeit der physiologischen
Konzentration zum Ausdruck; analoge Untersuchungen an höheren
Tieren und an Menschen, wie diese von Wiley und Bigelow’
vorgenommen sind, bilden natürlich in Hinblick auf die mensch-
liche Hygiene wichtigere Ergebnisse, doch sind sie nicht immer
anstellbar; in der Hämolyse besitzt man dagegen für solche
vergleichenden Untersuchungen eine leicht und schnell ausführ-
bare biochemische Methode, indem sich das defibrinierte sterile
Blut wie ein echtes chemisches Reagens verhält.
N) Siehe G. W. Chlopin. Ber. V. intern. Kongreß angew. Chem.
Berlin 1903, Bd. 4, S. 169.
”), Influence of food preservatives and artificial colors on digestion
and health. I Boric acid and borax. U. S. departm. Agric. Bur. chim.
Bull. 84, Part I, 1904, 1—477.
Über eine Methode
zur Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
Von
Felix Ehrlich.
(Aus dem Institut für Zuckerindustrie in Berlin.)
(Eingegangen am 24. April 1906.)
Von den drei bekannten Pasteurschen Methoden!) zur
Spaltung racemischer Verbindungen, nämlich der Auslese der
kristallographisch verschiedenen Modifikationen, der Kombination
der Racemkörper mit optisch aktiven Substanzen zwecks Diffe-
renzierung der Löslichkeitsverhältnisse der beiden Antipoden
und schließlich der Zerstörung der einen Komponente durch
die Tätigkeit niederer Lebewesen, hat die letztgenannte, die
biologische Methode, relativ nur wenig praktische Anwendung
erfahren. Sind auch die Möglichkeiten der Spaltung mittels
dieser Methode ungleich mannigfaltiger als die des mechanischen
Ausleseverfahrens, das bisher wohl überhaupt nur von Pasteur
selbst am Natriumammoniumsalz der Traubensäure und von
Piutti?) am Asparagin durchgeführt worden ist, so hat man
allgemein doch mehr und mehr den chemischen oder eine
Mittelstellung einnehmenden rein fermentativen Spaltungs-
verfahren den Vorzug gegeben und gerade in den letzten Jahren
deren Ausbau das Hauptinteresse zugewendet.
Die Abneigung gegenüber der Anwendung der biologischen
Methode bei chemisch-physiologischen Arbeiten ist vor allem
1) Ann. chim. [3] 28, (1850); Ann. 88, 213 (1853); Compt. rend. 46,
616 (1858); 51, 298 (1860).
») Jahrb. f. Chem. 1886, 1343; 1887, 1660.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 9
in ihrer Einseitigkeit begründet, die darin besteht, daß aus dem
ursprünglichem Racemkörper immer nur die eine optisch aktive
Komponente erhalten wird, während die andre, und zwar aus-
nahmslos stets die in der Natur vorkommende Modifikation,
die dem physiologischen Chemiker gerade das größte Interesse
bietet, der Vernichtung durch den betreffenden tierischen oder
pflanzlichen Organismus anheimfällt. Außer dieser ihrem Wesen
eigenen Unzulänglichkeit bietet nun die Methode bei ihrer Aus-
führung selbst meistens derartige Schwierigkeiten, daß man,
wenn chemisch durchsichtige und gut durchgebildete Verfahren
vorliegen, selten versucht sein wird statt dieser für die Zer-
legung einer Racemverbindung zu der zerstörenden Tätigkeit
eines Mikroorganismus seine Zuflucht zu nehmen. Ist schon
die Beschaffung der geeigneten Pilz- oder Bakterienreinkultur,
ihre richtige Aufbewahrung und Pflege für den in bakterio-
logischen Arbeiten Ungeübten eine keineswegs leichte Aufgabe,
die häufig noch dadurch erschwert wird, daß die erforderlichen,
meist recht kostspieligen Vorrichtungen hierfür in chemischen
Laboratorien nicht immer gleich zur Hand sind, gelingt es
endlich nach vielen Vorversuchen die für den Mikroben
günstigsten Entwicklungsbedingungen auf einem zur Kombination
mit der zu spaltenden Substanz geeigneten Nährboden ausfindig
zu machen, so bietet selbst peinlich steriles Arbeiten nicht
immer eine Garantie dafür, daß nach wochen-, ja monatelanger
Einwirkung des Mikroorganismus die Spaltung wirklich im ge-
wünschten Sinne verlaufen ist. Vielmehr kann sich dabei, wo-
für viele Beispiele aus der Literatur anzuführen wären, recht
oft der Fall ereignen, daß durch Nebeninfektionen, Über-
wucherungen eines Pilzes durch den andern, Ausscheidung
bestimmter Stoffwechselprodukte der angewandten Kleinlebe-
wesen usw. in dem eigentlichen Spaltungsprozeß unkontrollier-
bare Störungen eintreten, die dadurch, daß sie die Haupt-
reaktion hindern oder die Spaltung nur partiell verlaufen lassen,
leicht Anlaß zu irrtümlichen Anschauungen über die wahre
Größe des Drehungsvermögens der zu untersuchenden Substanz
geben können. Schließlich ist auch die Isolierung der aktiven
Verbindung aus der großen Zahl der nebenher gebildeten Um-
satzstoffe des betreffenden Mikroben und der Nährlösung meist
mit vielen Schwierigkeiten verbunden und dementsprechend
10 FE. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
steht gewöhnlich die endlich erhaltene Ausbeute an reinem Pro-
dukt in keinem Verhältnis zu der aufgewandten Zeit und Mühe.
Trotz ihrer vielen Übelstände hat die biologische Spaltungs-
methode, seitdem es Pasteur zum erstenmal gelang in einer
mit Nährsalzen versehenen Lösung von Ammoniumracemat nach
Aussaat von Penicillium glaucum Linksweinsäure zu erhalten,
nun doch für die Kenntnis zahlreicher optisch aktiver Substanzen
und ihrer physiologischen Beziehungen zu niederen und höheren
Orgarismen unleugbar hervorragende Dienste geleistet.
Wie wichtig sind namentlich die Untersuchungen E.
Fischers!) über die Einwirkung verschiedener Hefearten auf
stereoisomere Zucker nicht allein für den Ausbau der Lehre
vom asymmetrischen Kohlenstoffatom, sondern auch für die
Praxis der physiologischen Hefeanalyse, für die Erkennung der
einzelnen Spezies und Rassen?) und für die Erforschung der
in ihnen tätigen Enzyme geworden!
Die von E. Fischer) durchgeführten Vergärungen von
racemischer Glukose, Mannose, Lävulose und Galaktose mittels
Bierhefe, wobei stets die natürlich vorkommende d-Form an-
gegriffen wurde, während die l-Form intakt blieb, können als
die ersten typischen Beispiele einer vollkommenen biologischen
Spaltung von Racemverbindungen zwecks Reindarstellung der
einen aktiven Komponente angesehen werden, denen dann in
späterer Zeit eine große Zahl von mehr oder minder erfolg-
reichen Versuchen an verschiedenartigsten Substanzen und mit
mannigfachen Mikroorganismen, Hefen, Schimmel- und Spalt-
pilzen, Bakterien usw. unternommen folgten‘). Daß auch für
höhere Organismen, Tier und Mensch, ähnliche, wenn auch
bestimmt differenzierte Gesetzmäßigkeiten hinsichtlich des
Spaltungsverlaufs racemischer Zuckerarten gelten müssen, zeigen
die neuerdings von C. Neuberg und seinen Mitarbeitern
') Ztschr. f. physiol. Chem. 26, 60.
”) s. darüber Märcker-Delbrück, Handbuch der Spiritusfabrikation,
8. Aufl. 1903, S. 493 und P. Lindners „Mikroskopische Betriebskontrolle“;
ferner Lindner, Wochenschr. f. Brauerei 1900, Nr. 49—51.
®, Ber. d. d. chem. Ges. 28, 370 (1890).
^ Siehe darüber die Zusammenstellung von O. Emmerling in
Lafars Handbuch der Technischen Mykologie, 2. Aufl. 1. Bd. 4. Abschn.
15. Kap.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 11
durchgeführten Zerlegungen von inaktiver Arabinose!) und
Mannose °).
Die Mehrzahl der Spaltungen mittels Mikroorganismen,
unter denen man außer der gewöhnlichen Hefe Schimmelpilze
wie Penicillium glaucum und Aspergillus niger bevorzugte,
wurden bei diesen Versuchen an stickstofffreien Substanzen
bewirkt, von denen namentlich die den Kohlehydraten nahe-
stehenden Verbindungen einen vorzüglichen Nährboden für die
betreffenden Pilze abgaben. Von racemischen Säuren, die man
durch Pilzgärung aktivieren konnte, sind außer der von Pasteur
gespaltenen Traubensäure noch die Milchsäure®), Glyzerinsäure°)
und Mandelsäure®) erwähnenswert. Doch sind gerade manche
hierüber ausgeführte Arbeiten und viele andere biologischen
Spaltungsversuche dieser Art chemisch nur von geringem Wert,
da sich die betreffenden Autoren meist damit begnügten, nach
einiger Zeit des Wachstums des betreffenden Pilzes eine
optische Drehung der Nährlösung festgestellt zu haben, ohne
die Isolierung der vermeintlich gespaltenen Substanz auch wirk-
lich durchzuführen, wodurch naturgemäß für die Methodik des
Verfahrens und die Charakterisierung der neuen aktiven Sub-
stanz nur wenig gewonnen war’). Sehr wesentliche Förderung
') C. Neuberg u. J. Wohlgemuth, Ztschr. f. physiol. Chem, 85,
41 (1902).
» C. Neuberg u. P. Mayer, Ztschr. f. physiol. Chem. 87, 530
(1903).
» J. Lewkowitsch, Ber. 16, 2721 (1883) — Optisch aktive
Glyzerinsäure mit dem richtigen Drehungswert konnten durch Pilz-
spaltung erst späterhin Frankland u. Frew erhalten. Chem. Soc. 59,
96 (1891).
4^ J. Lewkowitsch, Ber. 15, 1505 (1882); 16, 1568 (1883).
*) Hierunter fällt auch die von Le Bel beschriebene Spaltung des
r-Methyläthylkarbinols und seine Umwandlung in die Rechtskomponente
mittels Penicillium (Bull. soc. chim. 25, 545; 31, 104. Compt. rend. 87,
213). Bei seinen Versuchen ist nicht ausgeschlossen, daß Stoffwechsel-
produkte des Pilzes die gefundene Rechtsdrehung veranlaßt haben. Außer-
dem hat man bei der Hefegärung, wo doch ähnliche Verhältnisse obwalten,
resp. in dem dabei entstehenden Fuselöl nie einen rechtsdrehenden Amyl-
alkohol nachweisen können. Nachdem Marckwald u. v. Droste-Huels-
hoff (Ber. 88, 560 [1899]) einen ähnlichen Irrtum Le Bels bezüglich
seiner vermeintlichen Spaltung des Methyl-Äthyl-Propyl-Isobutylammoni-
umchlorids (Compt. rend. 112, 724) aufgezeigt haben, erscheint auch die
12 F. Ehrlich, Spaltung racemische? Aminosäuren mittels Hefe.
erfuhr dagegen das biologische Spaltungsverfahren in seiner
Methodik durch die Arbeiten von Ulpiani und Condelli!),
die für eine Reihe von Pilzen die Art und Weise der günstigsten
Bedingung der Entwicklung und Spaltung festlegten, und schon
vorher von Pfeffer?), der zuerst nachwies, daß es auch Mikro-
organismen gibt, welche die Linksweinsäure in vielen Fällen
vor der Rechtsweinsäure bevorzugen und daß überhaupt in
vielen Fällen nicht, wie Pasteur annahm, nur die eine Modi-
fikation, sondern auch ihr optischer Antipode, wenn auch in be-
deutend geringerem Maße, den Pilzen als Nährstoff dienen kann.
Durch ausgedehnte Untersuchungen an einer Reihe race-
mischer Oxysäuren und durch genaue Nachprüfungen älterer
Arbeiten konnten dann späterhin Mac Kenzie und Harden‘?)
zeigen, daß ähnlich, wie es schon Fischers Studien?) der
Enzymwirkungen voraussehen ließen, und nach analogen
Gesetzen, wie sie auf chemischem Wege zuerst W. Marck-
wald und Mac Kenzie’) experimentell bei der Veresterung
und Verseifung stereoisomerer Verbindungen aufgefunden haben,
auch für die Spaltung von Racemkörpern durch niedere Lebe-
wesen allgemein der Satz gilt, daß die Komponenten inaktiver
Verbindungen verschieden angegriffen werden und daß diese
Unterschiede im wesentlichen von der Reaktions- oder Angriffs-
geschwindigkeit der einzelnen Komponenten abhängen.
Ist schon unter den mit stickstoffreien Substanzen vor-
genommenen Versuchen die Anzahl der Fälle relativ gering, in
denen wirklich eine vollständige Spaltung und die Rein-
darstellung des optisch aktiven Körpers gelang, so lassen sich
für die stickstoffhaltigen Verbindungen überhaupt nur wenige
Beispiele eines Spaltungsversuchs mittels Mikroorganismen an-
führen. Es kamen hier einzig und allein die Aminosäuren in
Betracht, deren physiologische Wichtigkeit auch für niedere
erwähnte Arbeit um so mehr der Nachprüfung bedürftig, als sie sich seit
Jahren durch die ganze Literatur hinzieht und selbst in die Lehrbücher
übergegangen ist.
1) Gaz. chim. ital. 80, 382 (1900).
» Jahrb. f. wissensch. Botan. 28, 206 (1895).
” Proc. Chem. Soc. 19 (1903), 48.
*) Ber. 27, 2992 (1894); Ztschr. f. physiol. Chem. 26, 60; s. auch
Ber. 82, 3617 (1899).
*) Ber. 82, 2130 (1899); 88, 208 (1900); 84, 469 (1901).
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 13
Lebewesen man früh erkannt hatte und deren großer Nährwert
für eine ganze Reihe von niederen Pflanzen verschiedentlich
festgestellt wurde).
Soweit sich aus der Literatur ersehen läßt, ist eine totale
Spaltung einer racemischen Aminosäure durch Pilze bisher nur
E. Schulze und seinen Mitarbeitern gelungen, die aus dem
synthetischen Leucin®), der Normalaminokapronsäure®) und der
Glutaminsäure mittels Penicillium glaucum die entsprechenden
Antipoden der natürlich vorkommenden aktiven Verbindungen
mit dem vollen Drehungswerte erhalten konnten. Aber gerade
aus ihren für die Kenntnis der Stereoisomerie der Aminosäuren
so wichtig gewordenen Arbeiten erhellt die Schwierigkeit der-
artiger Spaltungsversuche, da außer der mühevollen Bereitung
der Reinkultur und der Nährlösung und außer der recht diffi-
zilen und langwierigen Sterilisierung der Proben eine Versuchs-
dauer von 5—12 Wochen und noch länger erforderlich war und
auch nach Ablauf derselben die optisch aktive Verbindung nicht
immer rein, sondern häufig mit dem Racemkörper gemengt
gewonnen wurde.
"Weitere Beispiele einer vollständig durchgeführten Pilz-
spaltung von Aminosäuren sind bisher nicht bekannt geworden.
In allen übrigen Fällen, in denen es sich wohl häufig nur
darum handelte das physiologische Verhalten einzelner Pilze
gegen verschiedene Aminosäuren festzustellen und aus der nach
kurzer Einwirkungsdauer erhaltenen Drehungsrichtung auf die
bevorzugte Komponente zu schließen, verlief die Spaltung stets
unvollkommen. Hierzu gehören die Beobachtungen Engels‘),
daß durch Pilzvegetation racemische Asparaginsäure rechts-
drehend wird, und ähnliche Befunde von Menozzi und
Appiani°) an der Glutaminsäure. E. Fischer‘) konnte ferner
zeigen, daß Penicillium glaucum oder besser Aspergillus niger
) Czapek, Beitr. z. Physiol. u. Pathol. 1902, 1, 538; 2, 557; 8, 47.
OÖ. Emmerling, Ber. 85, 2289 (1902).
”) E. Schulze, Ber. 26, 56 (1803); Schulze u. Boßhard, Ber.
18, 388 (1885); Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 134 (1886); Schulze u.
Likiernik, Ber. 24, 671 (1891).
”) Schulze u. Likiernik, Ztschr. f. physiol Chem. 17, 523 (1893).
© Compt. rend. 106, 1734 (1888).
$ Atti R. Acc. dei Lincei, 5. Ser., Bd. 1, 38 (1892).
®) Ber. 82, 2459 (1899).
14 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
in r-Alaninlösungen wachsen, es ließen sich aber auf diese
Weise nur 10°/, d-Alanin zum Verschwinden bringen und nicht
viel bessere Resultate erzielten späterhin Mac Kenzie und
Harden!) an derselben Aminosäure. Zirka 58°/, Racemkörper
enthaltendes d-Cystin gewannen Neuberg und P. Mayer?) bei
der Vergärung von r-Cystin mittels Aspergillus niger. Daß
dagegen der höhere Organismus in der langen Kette seiner
komplizierten Verdauungsprozesse wohl imstande ist von ihm
dargebotenen racemischen Aminosäuren die eine natürlich vor-
kommende Komponente voll auszunutzen und zu verbrennen,
während die andere in reiner Form wieder zur Abscheidung
kommt, zeigten neuerdings in Fortführung der früheren Arbeiten
C. Neubergs?) und seiner Mitarbeiter von Wohlgemuth‘)
angestellte Tierversuche.
Es ist klar, daß alle diese zumeist recht unvollkommen
verlaufenen Spaltungen nur wenig dazu ermutigten dem bio-
logischen Verfahren als Arbeitsmethode für die Darstellung und
Erkennung optisch aktiver Aminosäuren Eingang in die Praxis
der physiologischen Chemie zu verschaffen. Dem hier seit
langem bestehenden Mangel haben die von E. Fischer ge-
schaffenen Methoden gründlich abgeholfen, die auf der Zer-
legung der racemischen Aminosäuren durch Kombination ihrer
Benzoyl°)- oder Formyl®)-Derivate mit Alkaloiden und fraktio-
nierte Kristallisation der erhaltenen Salzpaare beruhen. Mit
ihrer Hilfe war es erst möglich die natürlich vorkommenden
Aminosäuren künstlich zu bereiten, die dann weiterhin in
Fischers Händen das Ausgangsmaterial zu seinen berühmten
Synthesen der Polypeptide bildeten.
Wenn nach alledem ein Bedürfnis für die Einführung
neuer Methoden zur Spaltung racemischer Aminosäuren, be-
sonders soweit sie auf biologische Verfahren zurückgreifen,
nicht vorliegt, so möchte ich im folgenden ‚doch über eine
^) a. a. O.
?) Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 508 (1905).
5 a. a. O.
“ Ber. 88, 2064 (1905).
5» E. Fischer, Ber. 82, 2451 (1900).
5 E. Fischer u. O. Warburg, Ber. 88, 3997 (1905).
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 15
solche Methode berichten, die ich gelegentlich meiner Arbeiten!)
über die Fuselölbildung der Hefe aufgefunden habe und die
sich infolge ihrer äußerst leichten und ausgedehnten Verwendbar-
keit bei Aufwand nur geringer Mittel, die zu ihrer Ausführung
erforderlich sind, und durch ihren schnellen und vollständigen
Verlauf für die Erkennung und Reindarstellung der einen
Komponente natürlich vorkommender und auch anderer race-
mischer Aminosäuren bisher als sehr brauchbar erwiesen hat.
Die Methode beruht auf einer partiellen Vergärung
der racemischen Aminosäuren in sehr kurzer Zeit
durch viel Hefe in Gegenwart von Kohlehydraten.
Im Gegensatz zum tierischen und menschlichen Organismus
vermag bekanntlich die Hefe, ähnlich wie viele andere niedere
Pflanzen, natives Eiweiß nicht zu assimilieren, sondern sie be-
vorzugt zum Aufbau ihres Körpereiweißes gerade die löslichen
diffusiblen Stickstoffkörper von kleinem Molekül. Daß die
Hefe imstande ist, mit Ammoniak als alleiniger Stickstoffnahrung
und Zucker als einzigem kohlenstoffhaltigem Material auszu-
kommen und sich fortzuentwickeln, haben zuerst Pasteur?)
und später einwandsfrei Duclaux’°) gezeigt und als wichtigste
Tatsache zur Stütze der vitalen Gärungstheorie Liebig ent-
gegengehalten.
Während nun aber für eine ganze Reihe von Pilzen ein-
gehende Untersuchungen hinsichtlich ihrer Assimilationsfähig-
keit für organische Stickstoffkörper, insbesondere für einzelne
Aminosäuren vorliegen?), fehlen solche für die Hefen fast voll-
ständig. Zwar weiß man, daß die in den natürlichen Maischen
wohl hauptsächlich durch die Einwirkung proteolytischer En-
zyme gelösten Amid- und Peptonsubstanzen ein wertvolles
) F. Ehrlich, Über die Entstehung des Fuselöls, Ztschr. d. Ver-
eins der deutschen Zuckerindustrie 55, 539 (1905); Refer. Biochem. Zen-
tralbl. 1905. Chem. Zentralbl. 1905 II, 156 und Vortrag auf der 77. Ver-
sammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher u. Ärzte 26. Sept. 1905;
Refer. Chem. Ztg. 1905, 1044. An den betreffenden Stellen findet sich
auch bereits eine vorläufige Mitteilung über die hier genauer veröffent-
lichte Methode.
?, Compt rend. 47, 1011 (1858).
”, Compt. rend. 58, 1114; 58, 450 (1864).
* Czapek und 0. Emmerling, l. c
16 E. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
Aufbaumaterial für das Hefeeiweiß bilden, und unbewußt macht
ja die Praxis der Preßhefefabrikation von dieser Kenntnis seit
Jahren ausgiebigsten Gebrauch. Indes sind nur wenige Einzel-
untersuchungen darüber veröffentlicht, welche organischen Stick-
stoffverbindungen die Hefe als Nährmaterial verschmäht und
welche sie besonders bevorzugt. Im allgemeinen scheint man
anzunehmen, daß unter den Bedingungen der technischen Gä-
rung die Amide als Hauptstickstoffquelle für die Hefe dienen,
nachdem Hayduck!) das in allen natürlichen Maischen weit-
verbreitete Asparagin in seiner hervorragenden Bedeutung für die
Hefeernährung erkannnt hat. Dagegen sind die Ansichten über
den Nährwert der letzten Eiweißspaltungsprodukte, der Amino-
säuren, für die Hefe bisher noch sehr wenig geklärt. Während
die Beobachtung Heinzelmanns?) über die günstige Ein-
wirkung der Diastase auf die Vermehrung des Hefepilzes nur
in dem Sinne zu deuten ist, daß die stets in ihren Lösungen
nebenher vorhandenen abgebauten Eiweißstoffe den Stickstoff-
ansatz der Hefe fördern, glauben andere hervorragende Bakte-
riologen wie Ad. Mayer’) den Eiweißspaltungsprodukten, die
zugleich Ausscheidungsstoffe der Hefe sind, wie dem Leucin,
überhaupt jeden Nährwert als Stickstoffiquelle für den Pilz ab-
sprechen zu müssen. Demgegenüber hat dann allerdings in
neuester Zeit P. Lindner‘) mittels seiner Tröpfchenkultur-
methode zeigen können, daß gerade eine Reihe von stickstoff-
haltigen Selbstverdauungsprodukten der Hefe, wie sie früher
von Kutscher’) und Schenk‘) isoliert sind, darunter besonders
das Leucin, von den verschiedensten Heferassen sehr leicht
assimiliert wird. Über das Verhalten der Hefe gegen racemische
Aminosäuren sind schließlich bisher überhaupt keine Beobach-
tungen angestellt worden.
Nachdem ich bereits früher bei meinen Arbeiten über
die Entstehung des Amylalkohols aus dem Leucin bei der
1) Ztschr. f. Spiritusindustrie 4, 173 (1881).
”) Ztschr. f. Spiritusindustrie 20, 236 (1897); 21, 357 (1898).
°) In seinem Werke über die Gärungschemie 5. Aufl. 1902, S. 141.
Siehe auch Märcker-Delbrück. 8. Aufl. 1903, S. 489.
t) Ztschr. f. Spiritusindustrie 1906, 459.
5) Ztschr. f. physiol. Chem. 82, 53; 88, 313.
= *) Wochenschr. f. Brauerei 1905, 221.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 17
Gärung') die ungemein leichte Aufnahmefähigkeit des Stickstoffs
dieser und andrer Aminosäuren durch die Hefe konstatieren
konnte, lag es nahe, diesen Befund für eine Spaltung racemischer
Aminosäuren zu verwerten, da anzunehmen war, daß ähnlich
wie andre Pilze auch die Hefe bei der Assimilation vorzugs-
weise die eine Komponente angreifen würde. Diese Annahme
traf auch in vollem Umfang zu. Impft man in einem
Pasteurschen Kolben Hefezellen in eine Nährlösung der üb-
lichen Zusammensetzung ein, die einen Überschuß an Kohlen-
hydraten und als ausschließliche Stickstoffnahrung die betreffende
racemische Aminosäure z. B. r-Leucin enthält, so tritt zu-
gleich mit der Vermehrung der Hefe eine Spaltung der Amino-
säure ein, und man gewinnt bei richtiger Wahl der Versuchs-
bedingungen reines von Racemkörper freies d-Leucin. Wenn
nun auch diese Spaltung infolge des viel intensiveren Wachs-
tums der Hefe gegenüber manchen andern Mikroorganismen
wesentlich schneller verläuft als bei den sonstigen zur Zerlegung
von Racemkörpern vorgeschlagenen Pilzen, so haften diesem
Verfahren doch alle Übelstände der bekannten biologischen
Methode an, da es ebenfalls die Bereitung einer Nährlösung
und eine umständliche Sterilisierung derselben erforderlich
macht, die infolge der leichten Infektionsgefahr für die Hefe
besonders peinlich durchgeführt werden muß, und da man
schließlich doch nur bei Innehaltung bestimmter Vorsichtsmaß-
regeln und bei Anwendung geringer Substanzmengen_ gleich-
mäßige Erfolge erzielt.
Die weiteren Versuche ergaben dann, daß man wesentlich
günstiger verfährt und die Spaltung viel schneller und gleich-
mäßiger zu Ende führen kann, wenn man nicht die Hefe sich
erst während des Spaltungsprozesses bilden läßt, sondern gleich
von vornherein einen Überschuß fertig gebildeter verhältnis-
mäßig stickstoffarmer Hefe auf die betreffende racemische
Aminosäure in der genügenden Menge reiner Zuckerlösung ohne
jedwede sonstige Anwendung von Nährsalzen wirken läßt, wobei
außer einer vollständigen Vergärung des Zuckers dadurch, daß
die Hefe sich mit Stickstoff aus der Lösung sättigt, auch eine
totale Vergärung der einen Komponente der Aminosäure ein-
» A. a. O.
Biochemische Zeitschrift Band I. 2
18 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
tritt, während der größte Teil der anderen nach Abfiltrieren der
Hefe durch Eindampfen der Lösung gewonnen werden kann.
Um diesen Vorgang zu begreifen, muß man sich klar
machen, daß die Hefe, je nachdem sie sich in Ruhe oder in
Gärung befindet, je nach der Nährlösung, in der sie wächst,
und je nach den äußeren Bedingungen, Sauerstoffzufuhr,
Temperatur usw. in ihrer Trockensubstanz eine sehr verschiedene
Zusammensetzung aufweist. Besonders labil ist ihr Stickstoff-
gehalt, der zwischen 5 bis 12 °/, N entsprechend 31 bis 75 °%
Eiweißgehalt der Trockensubstanz schwanken kann, da die
Hefe stetig Stickstoff aus der Lösung aufnimmt und anderseits
während der Gärung solchen in Form autolytischer Zersetzungs-
produkte wieder abscheidet. Durch Arbeiten von Delbrück
und Hayduck') ist nun nachgewiesen, daß der Stickstoffgehalt
der Hefe beträchtlich sinkt, wenn man die Hefe in einer nur
wenig Stickstoffverbindungen enthaltenden Zuckerlösung bei
Sauerstoffzufuhr sich vermehren läßt. Dagegen hört in einer
stickstoffreichen Lösung bei geringer Lüftung die Hefevermeh-
rung bald auf und dafür tritt eine Mästung der Hefe an Stick-
stoff ein, die ziemlich proportional dem Stickstoffgehalt der
Nährlösung ansteigt und dann bei einer gewissen Grenze Halt
macht. Aus diesen in der Praxis seit langen bekannten Tatsachen
ist nun für die vorliegende Methode der Spaltung von Amino-
säuren Nutzen gezogen worden, da, wie die späteren Versuche
zeigen, die Anreicherung der Hefe mit dem Stickstoff der
Aminosäuren auch in einer reinen Zuckerlösung ohne sonstige
anorganische oder organische Nährsalze bei Luftabschluß mit
großer Schnelligkeit scheinbar nach denselben Gesetzen verläuft
wie in der technischen Maische.
Als Hefematerial erwies sich die im Handel jetzt leicht
und billig zu erhaltende und bequem zu handhabende Preßhefe,
die dank den verbesserten Reinzuchtmethoden von Hansen,
Delbrück und Lindner heute in vorzüglicher Qualität ge-
wonnen wird und verhältnismäßig stickstoffarm ist, als sehr
geeignet. Speziell für die Mehrzahl der folgenden Versuche diente
eine obergärige Preßhefe der Klasse XII, die von der Berliner
Hefenzuchtanstalt des Vereins der deutschen Spiritusfabrikanten
© Ztschr. f. Spiritusindustrie 1873—1881, s. a. Märcker-Del-
brück a. a. O.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 19
in gleichmäßig äußerst reiner Form gewonnen wird und seit
den letzten Jahren die Betriebshefe fast sämtlicher deutscher
Kartoffelbrennereien und Preßhefefabriken bildet. Für die stets
bereitwillige gütige Überlassung der Hefeproben bin ich dem
Institut für Gärungsgewerbe zu größtem Dank verpflichtet.
Über die Herstellung dieser Hefe!) sei hier nur soviel mitgeteilt,
daß die Hefereinkultur in einem Lindnerschen Hefereinzucht-
apparat in einer mit Roggen versetzten und zwecks Sterilisation
zuvor mit Milchsäurebakterien gesäuerten Darrmalzwürze unter
Lüftung der Vermehrung überlassen wird. Die fertige Hefe wird
in Zentrifugen von der vergorenen Würze befreit, nochmals mit
Wasser gewaschen, in Filterpressen völlig abgepreßt und dann
in sterilen Blechdosen verpackt. Der in dieser Form in den
Handel gebrachten Preßhefe haften nur äußerst minimale
Spuren der sehr dünnen Würze an, aus der sie gewonnen war.
Mehrfache Analysen zeigten eine ziemlich regelmäßige Zu-
sammensetzung der Hefe. Ihr Trockensubstanzgehalt betrug
durchschnittlich 25 %,, die Menge der Asche 2,2 %,, die des
Stickstoffs im Mittel 2 °/,, sodaß die Trockensubstanz ca. 8 °/o
Stickstoff aufwies. Entsprechend diesem geringen Stickstoff-
gehalt, der sich aus der Herstellungsweise ergibt, zeigte die Hefe
für Aminosäuren aller Art ein sehr hohes Assimilationsvermögen.
Nicht minder günstig für die Spaltungsversuche wirkte die von
derselben Hefezuchtanstalt gewonnene, mir ebenfalls gütigst
überlassene Heferasse II, nur mit dem Unterschiede, daß diese
bei der Gärung mitunter eine sehr heftige Schaumbildung ver-
anlaßte. Späterhin zeigte es sich dann, daß es durchaus nicht
unbedingt nötig ist mit derartig reinsten Hefen zu arbeiten,
sondern daß man auch vollkommene Spaltungen racemischer
Aminosäuren mit Hilfe gewöhnlicher reiner Bäckerhefen, die
ja jetzt schließlich sämtlich den beiden obenbezeichneten Mutter-
hefen ihr Dasein verdanken, erzielen kann. Der Zusatz von
10—15 °/o Stärkemehl, den dieselben zumeist enthalten, ist
der Ausführung des Verfahrens in keiner Weise hinderlich ?).
©) Siehe darüber Märcker-Delbrücka. a. 0. S. 570 und P. Lindner
in Lafars Handbuch der Technischen Mykologie, 2. Aufl., 5. Bd., 10. Kap.,
§ 69, S. 266.
?) Auch mit untergäriger Bierpreßliefe lassen sich racemische Amino-
säuren in der gleichen Weise, wie später angegeben, leicht spalten. Doch
20 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
Was die Praxis der Methode weiterhin anbelangt, so ist
der größte Wert auf die richtige Abmessung der Mengenver-
hältnisse der Aminosäuren, des Zuckers und der Hefe zu legen.
Vor allem ist stets ein beträchtlicher Überschuß an Hefe an-
zuwenden, um die vollständige Aufnahme des Stickstoffs der
einen Komponente der Aminosäuren zu ermöglichen und
gleichzeitig den vorhandenen Zucker durch die Gärung restlos
zum Verschwinden zu bringen. Anderseits darf auch die
Menge des Zuckers nicht zu gering bemessen werden, da die
Hefe mit dem Aufhören der Gärung auch ihre Stickstoffassi-
milation einstellt und die Spaltung dann event. leicht unvoll-
ständig verlaufen kann.
Was die Ausführung der Methode im übrigen anbetrifft,
so hat sich allgemein folgendes Verfahren für die Reindar-
stellung der einen optischaktiven Form der Aminosäuren bewährt:
10 g der zu spaltenden Aminosäure werden zusammen
mit 200—300 g Zucker, am besten gewöhnlicher Raffinade
des Handels, in einem geräumigen Stehkolben in 2—3 Liter
Leitungswasser gelöst. Bei schwerer löslichen Aminosäuren wird
die Lösung durch Erwärmen beschleunigt. Ein längeres Er-
hitzen zum Zwecke der Sterilisation, das in den ersten Ver-
suchen peinlich durchgeführt wurde, hat sich späterhin als
vollkommen zwecklos erwiesen, da der große Überschuß der
angewendeten Hefe und die während der Gärung schnell ein-
tretende Milchsäurung sehr bald alle nebenher eingedrungenen
Keime vernichtet, so daß nach vollendeter Gärung höchstens
einige Milchsäurestäbchen in der Maische mikroskopisch nach-
zuweisen waren. In die event. abgekühlte Lösung wurde dann
die erforderliche Hefemenge eingetragen, wobei etwa im Kolben-
hals anhaftende Hefeteile mit destilliertem Wasser in die
Flüssigkeit hinuntergespült wurden. Als Hefe diente gewöhn-
lich frisch in der Hefezuchtanstalt hergestelltes, direkt von dort
bezogenes Versuchsmaterial, das den Büchsen mit einem Metall-
spatel entnommen wurde. Später zeigte es sich, daß man auch
ebensogut längere Zeit, sogar bis zu vier Wochen, an einem
bietet die Anwendung einer derartigen Hefe gegenüber den oben bezeich-
neten keine weiteren Vorteile, da Bierpreßhefe im Handel weniger
leicht zugänglich und von anhaftender Würze nicht immer vollständig
befreit ist.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 21
kühlen Ort nicht zu feucht aufbewahrte Hefe verwenden kann,
vorausgesetzt, daß die Schimmeldecke, die etwa währenddessen
das Hefegut überzogen hat, nicht zu tief eingedrungen und vor
der Entnahme der Hefe sorgfältig entfernt worden ist. Die zur
totalen Spaltung von 10 g Aminosäure erforderliche Hefemenge
von der eben beschriebenen Qualität betrug durchschnittlich
50—150 g. Diese Hefemenge steigt nicht durchweg proportio-
nal dem Stickstoffgehalt der Aminosäuren an, sondern scheint
auch sehr wesentlich von der Konstitution der einzelnen Säuren
abzuhängen, da oft Aminosäuren von gleicher Bruttoformel,
aber verschiedener Struktur sehr wesentliche Differenzen in
der zur totalen Zerlegung nötigen Quantität Hefe bei gleich-
bleibender Zuckermenge aufweisen. Ich hoffe späterhin auf
diese interessanten Verhältnisse an der Hand größerer Versuchs-
reihen eingehen zu können. Bisher war es mir nur möglich
a-Aminosäuren zu untersuchen.
Nach dem Eintragen der Hefe wird der Kolben mit einem
Schwefelsäuregärverschluß versehen, einige Zeit heftig geschüttelt
und dann bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Einstellen in
einen Brut- oder Gärschrank oder Konstanthalten der Gär-
temperatur ist hierbei vollkommen unnötig, da die gewöhnlichen
Temperaturschwankungen im Laboratorium keinen Einfluß auf
die Gärung haben. Die meisten Gärungen verliefen innerhalb
15—25 °C. Höhere Temperaturen sind sogar möglichst zu
vermeiden, da hierbei leicht mehr Hefesubstanz infolge ge-
steigerter autolytischer Tätigkeit in Lösung gehen kann. Die
Gärung setzt gewöhnlich 10—15 Minuten nach dem Eintragen
der Hefe sehr heftig ein und verläuft am ersten Tage beson-
ders stürmisch, wobei sich die vorgelegte konz. Schwefelsäure
gelb färbt. In fast allen Fällen war die Gärung innerhalb 48
bis 36 Stunden vollkommen beendet, manchmal sogar bereits in 24
Stunden, was sich schon äußerlich durch Absetzen der Hefe und
durch Aufhören der Kohlensäureentwicklung beim Schütteln des
Kolbens kundgab. Eine unter Zusatz von aufgeschlämmtem
Tonerdehydrat filtrierte hefefreie Probe reduzierte dann gewöhn-
lich Fehlingsche Lösung nicht mehr und gab auch keine
Naphthol-Reaktion.e Andernfalls wurde die Gärung bis zum
Verschwinden der Reaktionen fortgesetzt. Von der zum
größten Teil abgesetzten Hefe wurde sofort nach beendeter
22 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
Gärung die überstehende Lösung abgehebert und die zurück-
bleibende Hefe auf ein großes Filter gespült und mit wenig
Wasser gewaschen. Die abgeheberte Lösung wurde dann zu-
sammen mit dem trüben Filtrat nach Zusatz von Tonerde-
brei oder Kieselgur noch einmal filtriert, wobei stets eine
klare, blanke Lösung resultierte.e Handelte es sich nur
um geringere Mengen Hefe, so wurde die vergorene Lösung nach
kräftigem Schütteln gleich direkt auf ein großes Filter, am
besten in einem innen gerieften Trichter, gegeben, die Lösung
über Nacht abtropfen gelassen und am nächsten Tage das
Filter mit wenig Wasser ausgewaschen. Die filtrierte Lösung
wurde dann wie oben geklärt. Die reine vergorene Flüssigkeit
zeigte durchschnittlich stets einen normalen Säuregehalt, der
pro 100 ccm 1—2 ccm "/ı N.-KOH entsprach. Sie gab niemals
eine Biuret-Reaktion und die Millonsche Reaktion meist nur
sehr schwach. Sie wurde nunmehr in einer geräumigen Por-
zellanschale direkt auf freier Flamme bis zu 100—200 ccm
eingedampft, dann nochmals von etwa ausgeschiedenen Trübun-
gen oder Flöckchen event. unter Zusatz von Tierkohle filtriert
und schließlich auf dem Wasserbade zum dünnen Sirup ein-
geengt!). Bei Aminosäuren wie Leucin erfolgte die Kristallisation
bereits während des Eindampfens, bei fast allen andern während
des Abkühlens des Sirups unter Reiben mit einem Glasstab.
Nach eintägigem Stehen wird die Kristallmasse über Papier
oder Filz auf einer Nutsche scharf abgesaugt und durch Pressen
auf Ton von den letzten Resten anhängender Mutterlauge
befreit. Die weitere eingedampfte Mutterlauge ergibt gewöhn-
lich noch eine kleine Kristallmenge. Die auf Ton getrocknete
Aminosäure war nach einmaligem Umkristallisieren vollständig
rein und zeigte, im Falle die Racemverbindung einer natürlich
vorkommenden Aminosäure angewandt war, bei richtiger Wahl
') Im Falle Gefahr vorlag, daß sich die aktive Aminosäure beim
Eindampfen der vergorenen Lösung unter der Einwirkung der bei der
Gärung entstandenen geringen Mengen Milchsäure wieder racemisieren
konnte, wurde die Flüssigkeit zuvor mit der aus der Titration gegen
Lackmus berechneten Quantität Kali- oder Natronlauge neutralisiert. Doch
hat sich diese Vorsicht bisher unter einer großen Zahl von Aminosäuren
nur in einem einzigen später zu beschreibenden Falle, nümlich bei der
Methylaethylaminoessigsäure, als nötig erwiesen.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 23
der ursprünglichen Menge von Hefe und Zucker die richtige
Drehung des optischen Antipoden.
Ergibt die Drehung einen niedrigeren Betrag, ist also noch
Racemkörper vorhanden, so läßt sich die vollständige Ver-
gärung der einen Komponente leicht dadurch bewerkstelligen,
daß man die Substanz von neuem mit Zucker und Hefe gären
läßt und wie beschrieben wieder isoliert. |
Parallelversuche mit reiner Hefe und reinem Zucker für sich
vergoren ergaben nur braune Sirupe, aus denen keine kristalli-
sierte Substanz, auch nicht nach langem Stehen, zu gewinnen
war, so daß es ausgeschlossen erscheint, daß die gespaltenen
Aminosäuren, die stets stimmende Analysenzahlen gaben, durch
Substanzen aus der Hefe verunreinigt waren, zumal sich etwa
anhaftender Sirup leicht durch Pressen auf Ton und Kristalli-
sation entfernen ließ. Überdies war die Menge des aus der
Hefe und dem Zucker stammenden Sirups, aus dem die Amino-
säuren nach der Gärung auskristallisierten, nur sehr gering und
betrug z. B. bei Anwendung von 250 g Zucker und 100 g Hefe
für 10 g Leucin nur ca. 7 g. Wurde dagegen die Flüssigkeit,
was sich im allgemeinen nicht empfiehlt, vor dem Abfiltrieren
der Hefe erhitzt, so gingen beträchtliche Mengen Stickstoff in
Lösung und es wurde viel mehr Sirup erhalten.
Im folgenden seien die bisher in der einfachsten Weise
vollkommen gelungenen Spaltungen von r-Alanin, r-Leucin und
r-a-Aminoisovaleriansäure des näheren beschrieben, denen später
andere folgen sollen:
l-Alanin.
Um zu zeigen, welchen Einfluß bei gleichbleibender Zucker-
menge eine wechselnde Menge Hefe auf die Spaltung ausübt,
seien hier zwei Versuche mitgeteilt, von denen der erste, da
die Hefemenge nicht genügend war, nur zu unvollkommener
Spaltung führte.
I. 300 g Zucker (ungeblaute Handelsraffinade von 99,9° Pol.)
wurden zusammen mit 10 g reinem synthetischen r-Alanin in
2'/, Liter destilliertem Wasser gelöst und die Lösung nach Verschluß
des Kolbens mit einem Wattebausch durch 2-stündiges Kochen
sterilisiert. Nach dem Abkühlen wurde die Flüssigkeit mit 100 g
frischer Preßhefe versetzt und nach Aufsetzen eines Gärverschlusses
24 E. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
und Schütteln des Kolbens zur guten Verteilung der Hefe bei
Zimmertemperatur von 20—22° der Gärung überlassen. Die-
selbe war in 3 Tagen beendet. Die obstähnlich riechende Lösung
wurde von der Hefe durch Filtration befreit und eingedampft.
Aus der mit Wasser gewaschenen Kristallmasse resultierte 7,8 g
braungefärbtes Rohprodukt, das beim Umkristallisieren 3,5 g
reine Substanz ergab. Zur Bestimmung der Drehung wurde die-
selbe in das Hydrochlorat verwandelt.
1,0246 g Salzsaures Alanin in Wasser gelöst; Gesamtgewicht
der Lösung 11,0398 g. Prozentgehalt 9,08. Spezif. Gew. 1,027.
Drehung im 2-dm-Rohr bei 24° und im Natriumlicht: — 1,34°.
[e] = — 7,18°.
Da nach E. Fischer!) die Drehung des reinen 1-Alanins
[@]p° = — 9,68° beträgt, enthält das hier dargestellte optisch
aktive Alanin also noch ca. 26°/, Racemkörper.
Weit günstiger verlief der zweite Versuch auch hinsichtlich
der Einzelheiten der Ausführung des Verfahrens.
II. In einem 4Liter-Kolben wurden 300 g Zucker mit 10 g
r-Alanin in 2!/a Liter Leitungswasser zusammen gelöst und sofort
in die Lösung ohne jede Sterilisation 150 g ganz frische am
selben Tage bezogene Preßhefe eingetragen. Die anfangs stürmisch
verlaufene Gärung ist am dritten Tage beendet. Die von der
Hefe abfiltrierte Flüssigkeit, die Fehlingsche Lösung nicht
reduzierte und die Naphtol-Reaktion auf Zucker nicht mehr gab,
wurde auf großen Trichtern über Nacht abfiltriert und das trübe
Filtrat noch einmal mit Tonerdebrei geklärt. Die eingedampfte
Lösung ergab, zum dünnen Sirup eingeengt, direkt Bildung von
Kristallen, die nach zweitägigem Stehen scharf abgesaugt und auf
Ton getrocknet werden. Aus der Mutterlauge wurden bei weiterem
Verdampfen ähnlich behandelt noch 0,5 g Substanz gewonnen,
so daß im ganzen 3,6 g fast reinweißes Rohprodukt resultierte.
Durch Lösen in wenig heißem Wasser und Fällen mit Alkohol
ließen sich daraus 3,2 g reines l-Alanin herstellen, das bei 110°
getrocknet wurde.
0,1354 g Sbst.: 17,9 ccm N (18°, 764 mm).
C3 H; NOs Ber. N 15,73
Gef. „ 15,44
1) Ber. 82, 2457 (1899).
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 25
Zur Umwandlung in das Chlorhydrat zwecks Bestimmung
der Drehung wurde 1 g der reinen Substanz in wenig verdünnter
Salzsäure gelöst und die Lösung auf dem Wasserbad zur Trockne
verdampft. Der Rückstand wurde auf Ton gepreßt und die so
erhaltene weiße Kristallmasse in wenig absolutem Alkohol gelöst
und mit viel Äther gefällt. Das auf diese Weise in Form feiner
weißer Nädelchen erhaltene Chlorhydrat wurde nach dem
Trocknen bei 110° zur Bestimmung der Drehung benutzt.
1,0251 g Alaninchlorhydrat in Wasser gelöst. 11,4257 g
Gesamtgewicht der Lösung. Prozentgehalt 8,97. Spezifisches Ge-
wicht 1,027. Drehung im 2-dm-Rohr bei Natriumlicht: — 1,81°.
[a] 2 = — 982°.
Da E. Fischer als spezifische Drehung für l-Alanin bei
einem Prozentgehalt der Lösung von 9,2996 und einem spezi-
fischen Gewicht von 1,0278 die Größe [a]? = — 9,68° fand,
so stimmt die hier beobachtete Drehung fast absolut und die
Spaltung des r-Alanins durch die Hefe ist als eine total ver-
laufene zu betrachten.
Die Ausbeute an reinem 1-Alanin beträgt ca. 65°, der
Theorie. Da aus den Sirupen der Mutterlaugen weitere Sub-
stanzmengen bisher nicht zu erhalten waren, muß angenommen
werden, daß die Hefe außer d-Alanin auch l-Alanin zum Teil
vergärt.
d-Leucin. ß
250 g Raffinade wurden zusammen mit 10 g r-Leucin in
2'/3 Liter Leitungswasser durch schwaches Erwärmen gelöst. In
die abgekühlte Lösung wurde 100 g frische Preßhefe eingetragen.
Die sehr intensive bei Zimmertemperatur verlaufene Gärung war
bereits nach zwei Tagen vollständig beendet. Die vergorene
Flüssigkeit roch sehr stark nach Amylester. Von der
Hefe abfiltriert zeigte sie eine Azidität pro 100 ccm von 1,0 ccm
Yı N.KOH gegen Lackmus. Die klare Lösung wurde in einer
großen Porzellanschale auf dem Wasserbad verdampft bis auf
ca. 200 ccm, dann filtriert und zum dünnen Sirup eingeengt.
Schon während des Eindampfens schieden sich kristallinische
Blättchen ab, beim Erkalten erstarrte der Sirup zu einer Kristall-
masse, die scharf abgesaugt und auf Ton gepreßt wurde. Der
Sirup lieferte bei weiterem Verdampfen nach einigen Tagen noch
einen Kristallansatz. Im ganzen wurde 4,75 g grauweißes Roh-
26 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
produkt gewonnen, aus dem nach Umkristallisieren aus Alkohol
unter Zusatz von Wasser und durch Klären mit Tierkohle 3,8 g
völlig reines d-Leucin zu erhalten war. Schmelzpunkt im ge-
schlossenen Rohr 293°.
0,1513 g Sbst.: 13,9 cem N (19°, 763 mm).
0,1400 g Sbst.: 0,2825 g CO,, 0,1250 g H:O.
CsHı3 NOs Ber. C 54,96 H 9,92 N 10,69
Gef. „ 55,04 „ 9,99 „ 10,67
Das erhaltene Leucin drehte in wässeriger Lösung rechts, in
salzsaurer Lösung links.
Zur Bestimmung der Löslichkeit wurde die Substanz
24 Stunden lang in einem Ostwaldschen Thermostaten bei 20°
mit einer zur Lösung ungenügenden Menge Wasser geschüttelt.
In 11,4882 g der filtrierten Lösung waren enthalten 0,2389 g
Substanz. Es bedurfte demnach 1 Teil d-Leucin 48 Teile
Wasser von 20° zur Lösung.
Dieselbe Lösung wurde vorher zur Bestimmung der direkten
Drehung des d-Leucins benutzt?).
Spez. Drehung des d-Leucins in wässeriger Lösung.
0,2389 g des Leucin in Wasser gelöst. Gesamtgewicht der
Lösung 11,4882 g. Prozentgehalt 2,08. Drehung im 2-dm-Rohr
im Natriumlicht bei 20°: + 0,43°.
[a] 5° = + 10,34°.
Spez. Drehung des d-Leucins in salzsaurer Lösung.
0,6330 g Leucin in 20 °/,iger Salzsäure gelöst. Gesamt-
gewicht der Lösung 17,2806 g. Prozentgehalt 3,66. Spezifisches
Gewicht 1,1. Drehung im 2-dm-Rohr im Natriumlicht bei
20°: — 1,24°., [a] 2 = — 15,40°.
1) Hiermit ist zum ersten Mal die Drehung des optisch aktiven Leucins
in wässeriger Lösung festgelegt. Bisher hat nur Lewkowitsch (Ber. 17,
1439) angegeben, daß das natürlich vorkommende Leucin in Wasser gelöst
links dreht, ohne daß er die Größe der Drehung bestimmte. Wie die obigen
Zahlen zeigen, ist die Drebung des aus reinem r-Leucin erhaltenen
d-Leucin beträchtlich größer als man bisher annehmen mußte. Man wird
diese Drehungsgröße in Kombination mit der Drehung in salzsaurer Lösung
auch für die Bestimmung der Reinheit von l-Leucin vorteilhaft besonders
da verwenden können, wo es sich darum handelt festzustellen, ob aktives
Leucin rein vorliegt oder ob es mit Racemkörper, Isoleucin oder Amino-
valeriansäure verunreinigt ist.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 27
Da die Drehung des aktiven natürlich vorkommenden
Leucins bisher nicht mit Sicherheit bekannt ist, so schien es
gelegentlich der Bearbeitung dieser neuen Spaltungsmethode
von Interesse, eingehender zu untersuchen, ob die obige Drehung
in salzsaurer Lösung dem Leucin wirklich zukommt oder ob
es etwa noch mit dem Racemkörper behaftet ist. Bereits bei
meinem ersten Spaltungsversuch des Leucins gelegentlich meiner
vorläufigen Mitteilung?) über diese Methode hatte ich eine mit
der obigen fast übereinstimmende spezifische Drehung in salz-
saurer Lösung [a] 3° = — 15,26° bei einem Prozentgehalt
der Lösung von 4,05 gefunden, glaubte aber damals ein nur
87 °/o d-Leucin enthaltendes Leucin in Händen zu haben, da
man nach den seit langen Jahren als richtig geltenden Drehungs-
bestimmungen Mauthners?) und E. Schulzes®) und seiner
Mitarbeiter annehmen mußte, daß dem natürlichen l-Leucin
ein Drehungswert von [e] 2° -+ 17,3° bis 17,8°, also ein um
2° bis 2,5° höherer Betrag zukommt. Indes habe ich schon
gelegentlich der Auffindung des Isoleucins*) darauf hingewiesen,
daß alle bisher aus natürlichen Eiweißstoffen hergestellten
Leucin-Präparate stets mit dem viel stärker drehenden Isoleucin
verunreinigt gewesen sein müssen, und nach meinen jetzigen
Erfahrungen unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß auch die
Präparate Mauthners und E. Schulzes Isoleucin enthalten
haben, da es auf keine Weise möglich ist, Leucin durch
Kristallisation oder selbst durch eine einfache Abscheidung
über das Kupfersalz Isoleucin-frei zu gewinnen. Die Variierung
der vorliegenden Spaltungsmethode auf reines Isoleucin -freies
synthetisches Leucin angewandt gibt nun einen neuen Beweis
für die Richtigkeit dieser Ansicht.
Bei der oben beschriebenen Spaltung des Leucins war
nämlich absichtlich ein großer Überschuß von Hefe ange-
wandt, um auf alle Fälle sämtliches l-Leucin zu zerstören und
reines, von Racemkörper freies d-Leucin mit dem richtigen
Drehungswert zu erhalten. Die Versuche wurden dann in
) Ztschr. d. Ver. d. Deutsch. Zuckerind. 55, 560 (1905).
”) Ztschr. f. physiol. Chem. 7, 222 (1883).
®) Schulze und Bosshard, Ztschr. f. physiol. Chem. 9, 100 (1885);
Schulze und Likiernick Ber. 26, 56 (1893).
H F. Ehrlich, Ber. 87, 1809 (1904).
28 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe.
verschiedenster Weise variiert, wobei sich zeigte, daß man
schon bei Anwendung derselben Menge Zucker von 250 g und
10 g r-Leucin auch statt mit 100 g Hefe mit der Hälfte, also
75 g derselben Hefe, auskommt und hierbei stets dieselben
Drehungswerte für d-Leucin in wässeriger und salzsaurer
Lösung erhält.
Damit ist auf einem neuen Wege fast genau dieselbe
Größe des Drehungsvermögens für aktives Leucin in salzsaurer
Lösung, nämlich [e] 2° = — 15,4° festgestellt, die E. Fischer
schon vor Jahren an d- und l- Leucin, das er nach seiner
Spaltungsmethode über die Benzoyl-Verbindungen gewonnen,
beobachtet hat!) und die er vor kurzem zusammen mit
O. Warburg?) bei Anwendung der Formyl-Methode von neuem
bestätigen konnte. Er fand nämlich, daß d- und l-Leucin in
20°/,iger Salzsäure um durchschnittlich 15,6° nach links resp.
rechts dreht und konnte auch bei der Verfütterung von r-Leucin
an Kaninchen nach dem Verfahren von Wohlgemuth aus
dem Harn ein d-Leucin von der Drehung [a] 2° = — 15,5°
isolieren.
Nachdem es mir in Gemeinschaft mit Herrn A. Wendel
auf recht mühevollem Wege gelungen ist, nun auch aus dem
Kasein ein von Isoleucin und Aminovaleriansäure freies l-Leucin
mit dem spezifischen Drehungsvermögen [e] ° = — 10,35°
in wässeriger Lösung und [a] ?° = + 15,7° in 20°/siger Salzsäure
rein zu gewinnen), scheint mir in Verbindung mit den obigen
Befunden die Frage nach dem wahren spezifischen Drehungs-
wert des Leucins definitiv in dem Sinne entschieden zu sein,
daß die älteren Angaben hierüber aus der Literatur zu streichen
und die auf verschiedensten Wegen neu ermittelten und be-
stätigten Zahlen an ihre Stelle zu setzen sind.
l-&@- Aminoisovaleriansäure.
CH;
cm CH. CHNH,. COOH.
Mit dieser aus dem von Kahlbaum bezogenen Isobutyl-
aldehyd nach der Cyanhydrin-Reaktion gewonnenen Amino-
') Ber. 83, 2377 (1900).
2) Ber. 88, 4003 (1905).
®», Die Arbeit wird erst späterhin veröffentlicht.
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 29
säure habe ich bisher aus vorläufigem Mangel an Material nur
einen Spaltungsversuch vornehmen können, der indes bereits
zu einer links drehenden Aminosäure von fast demselben
Drehungswert geführt hat, wie ihn für die natürlich vor-
kommende rechtsdrehende «@-Aminoisovaleriansäure E. Schulze
und Winterstein!) und E. Fischer?) festgestellt haben. Ich
möchte ihn daher mit dem Vorbehalt einer Nachprüfung hier
ebenfalls mitteilen.
200 g Zucker wurden zusammen mit 6 g synthetischer
a-Aminoisovaleriansäure in 2 Liter Leitungswasser gelöst und
die Lösung durch 3stündiges Erhitzen auf dem Dampfbad
sterilisiert. Auf Zusatz von 60 g frischer Preßhefe trat sehr
lebhafte Gärung ein, die nach 4 Tagen, wie der negative Aus-
fall der Naphthol-Reaktion im Filtrat zeigte, vollständig beendet
war. Die von der Hefe abfiltrierte Lösung gab beim Ein-
dampfen zum Sirup nach kurzer Zeit Kristalle, die nach
längerem Stehen abgesaugt und auf Ton getrocknet wurden.
Die Menge des ursprünglichen und aus den Mutterlaugen
gewonnenen Rohprodukts betrug 2,7 g. Beim Umkristallisieren
aus Alkohol unter tropfenweisem Zusatz von Wasser wurden
daraus 2 g weiße glänzende Blättchen erhalten, die bei 110°
getrocknet im geschlossenen Rohr schnell erhitzt bei 293° unter
Schäumen schmolzen.
0,1709 g Sbst.: 17,8 cem N (22°, 747 mm).
Cs Hıı NO: Ber. N. 11,97
Gef. „ 11,67.
Die Aminosäure löste sich bei 20° in 18,4 Teilen Wasser.
Sie drehte in wässeriger Lösung schwach, in salzsaurer Lösung
stark nach links.
Spez. Drehung in wässeriger Lösung.
0,7417 g Substanz in Wasser gelöst; Gesamtgewicht 13,6684 g.
Prozentgehalt 5,43. Drehung im Natriumlicht bei 18° im
2-dm-Rohr: — 0,62°.
[e] 38 = — 5,1 °.
') Ztschr. f. physiol. Chem. 85, 299 (1902).
» Ztschr. f. physiol. Chem. 88, 165 (1901).
30 F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe
Spez. Drehung in salzsaurer Lösung.
0,7233 g Sbst. in 20°/,iger Salzsäure gelöst. Gesamtgewicht
der Lösung 15,8431 g. Prozentgehalt 4,56. Spez. Gewicht 1,094.
Drehung im Natriumlicht bei 20° im 2 dm-Rohr: — 2,73°.
[a] e = — 21,36°.
Der Wert für die Drehung der Aminosäure in salzsaurer
Lösung stimmt mit dem früher von Schulze und Winterstein
sowie E. Fischer an der natürlich vorkommenden Amino-
valeriansäure gefundenen [a], = + 27,9° resp. + 27,95 gut
überein, so daß anzunehmen ist, daß die Hefe die d-Komponente
total assimiliert hat. Eine andere Frage, die bisher nicht ent-
schieden werden konnte, ist allerdings, ob der zur Synthese
benutzte Isobutylaldehyd tatsächlich ganz frei von isomeren
Verbindungen war.
Schließlich sei hier noch darauf hingewiesen, daß bei dem
Leucin und der Aminovaleriansäure ebenso wie beim Alanin
außer der natürlich vorkommenden Komponente offenbar stets
auch ihr optischer Antipode von der Hefe angegriffen wird, da,
wie die Ausbeutezahlen zeigen, immer nur °/3 bis ®/ı der theo-
retisch berechneten Menge der einen optisch aktiven Modifikation
zu gewinnen war.
In ähnlicher Weise, wie es im vorstehenden für drei der
bekanntesten Aminosäuren beschrieben ist, lassen sich nun nach
mehrfach angestellten Vorversuchen noch eine ganze Reihe von
racemischen Aminosäuren mit Hefe in kurzer Zeit partiell bis
zur vollständigen Zerstörung der einen Komponente vergären.
Zu diesen gehören u. a. die Asparagin-, Glutaminsäure und das
Tyrosin, deren natürlich vorkommende Verbindung. sehr leicht
von der Hefe assimiliert wird. Auch in der Natur bisher nicht
nachgewiesene synthetische Aminosäuren ließen sich mit gutem
Erfolg spalten. So konnte ich gemeinsam mit Herrn
Wendel die synthetisch gewonnene Methyläthylaminoessig-
säure, = T )CNH: + COOH, das nächst niedere Homologe des
Isoleucins, mittels Hefe in Gegenwart von Zucker in eine in
wässeriger und salzsaurer Lösung linksdrehende Substanz um-
wandeln, über die wir späterhin berichten werden. Sehr wesent-
liche Dienste hat mir das Verfahren auch bei der Trennung
F. Ehrlich, Spaltung racemischer Aminosäuren mittels Hefe. 31
des Gemisches aus d-Isoleucin und d-Allo-Isoleucin geleistet,
wie es bei der Synthese aus d-Amylalkohol und bei der Um-
lagerung von dem natürlichen d-Isoleucin durch Barytwasser
entsteht. Man braucht dieses Gemisch nur in der oben mehr-
fach angegebenen Weise vergären zu lassen, wobei das d-Allo-
Isoleucin fast unangegriffen zurückbleibt und das d-Isoleucin
nach Entziehung seines Stickstoffes durch die Hefe in d-Amyl-
alkohol übergeführt wird.
Die hier beschriebene Methode, die vor den bisher be-
kannten biologischen Verfahren den Vorzug der Schnelligkeit
und bequemen Anwendbarkeit bietet und im Prinzip der glatten
Vergärung der Zucker durch Hefe ungemein ähnelt, bietet
wohl vor allem den Vorzug, daß man mit ihrer Hilfe leicht
und exakt ohne Gefahr der Wiederracemisierung synthetische
oder bei der Eiweißhydrolyse partiell oder total racemisierte
Aminosäuren auf ihren wahren Drehungswert untersuchen kann,
und dürfte in dieser Hinsicht vielleicht. auch einen gewissen
diagnostischen Wert besitzen.
Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß man auch an der
Hand dieser Methode das physiologische Verhalten der Hefe
und Heferassen im allgemeinen und ihr Assimilationsvermögen
für gewisse Aminosäuren chemisch wird einwandsfrei feststellen
und ein genaues Bild darüber wird erhalten können, ob die
wichtige physiologische Reaktion der Alkoholbildung aus Amino-
säuren nach der Gleichung:
XCHNH; - COOH + H:O = XCH:OH + CO; + NH;,
die ich zuerst für das Leucin und Isoleucin aufzeigen und be-
weisen konnte, tatsächlich für alle Aminosäuren Bestand hat.
Über objektive Hämoglobinometrie,
Von
Dr. med. Johann Plesch, Budapest.
(Aus dem Tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen Hochschule
in Berlin.)
(Eingegangen am 28. April 1906.)
Alle gebräuchlichen Hämoglobinometer haben den Fehler,
daß die Genauigkeit der Resultate von der Farbenempfindlich-
keit des Untersuchers abhängig ist. Bei den klinischen Methoden
steigt die dadurch entstehende Ungenauigkeit bis zu 10°/, des
wirklichen Hämoglobinwertes. Auch dem Spektrophotometer
haftet derselbe Fehler, wenn auch in viel geringerem Grade an.
Bei einer objektiven Untersuchung soll die Konzentration
einer Farbenlösung unabhängig vom Beobachter festgestellt
werden. Ich gebrauchte zu diesem Zwecke das Selen.
Berzelius hat in dem Schlamm der Schwefelsäurefabrik
zu Gripsholm i. J. 1746 das Selen entdeckt. Eine interessante
Verwendbarkeit dieses Elements beruht bekanntlich auf der
Eigenschaft, daß sich auf Belichtung seine elektrische Leitfähig-
keit ändert.
Bevor ich auf die genauere Beschreibung dieser Eigenschaft
eingehe, möchte ich noch die Unterschiede erwähnen, welche
zwischen dem Selen und den ihm verwandten Elementen be-
stehen. Da das Selen dem Schwefel am nächsten steht, ist es
am besten, diese zwei Elemente miteinander zu vergleichen.
Das Selen und der Schwefel kommen in drei verschiedenen
Formen vor, von denen eine amorph und die zwei anderen
kristallinisch sind. Das Selen ist weniger reaktionsfähig als
J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 33
der Schwefel. Beide sind in Wasser und Alkohol unlöslich.
In Kohlenstoffdisulfid, Chloroform, Pyridin, Benzol, Thiophen
sind beide, aber das Selen schlechter als der Schwefel, löslich,
wogegen die amorphen Modifikationen unlöslich sind. Lösen
wir den Schwefel und das Selen in Schwefelkohlenstoff und
setzen wir die Lösung der Wirkung der Sonnenstrahlen aus,
so scheiden sich beide in der Form von sogenannten ß-Kristallen
aus. Schmelzen wir diese Kristalle, dann wandeln sie sich
unter Wärmeabgabe (welche wahrscheinlich der absorbierten
Lichtmenge äquivalent ist) in @-Kristalle um und sind dann
wieder in den angeführten Flüssigkeiten löslich. Das beste
Lösungsmittel für S und Se ist das Schwefel- resp. Selen-
chlorid, aus welchen sie selbst bei intensivster Belichtung nicht
ausfallen, und es ist darum wahrscheinlich, daß es sich hier
nicht um eine physikalische, sondern um eine chemische
Lösung handelt.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß die bessere elektrische Leit-
fähigkeit auf einer bei Belichtung auftretenden Polymerisierung
beruht, und es würde dies ein weiterer Beweis für die Richtig-
keit des Gibsonschen Gesetzes sein, wonach das Licht fähig
ist, schlechte elektrische Leiter in gute umzuwandeln. Da die
Leitfähigkeitsänderung des Selens eine viel größere ist, als die
des Schwefels, ist anzunehmen, daß das Selen eine größere
Polymerisierungsneigung besitzt.
Die Erklärung für die Leitfähigkeitsänderung ist nicht ein-
fach. Es bestehen zahlreiche Hypothesen, aber keine vermag
diese Erscheinung nach allen Richtungen zu erklären. Unter den
alten Autoren, die noch Anhänger der Newtonschen Licht-
theorie waren, wollten einzelne die Erscheinung so deuten,
daß das strahlende Fluidum durch die Moleküle dringt und die
gesteigerte Leitfähigkeit durch das eingedrungene Fluidum be-
dingt werde.
Dieser Hypothese widerspricht die Tatsache, daß das Selen
nach der Belichtung nicht sofort, sondern nur allmählich seinen
ursprünglichen elektrischen Widerstand zurückbekommt.
Nach einer anderen Hypothese soll die Ursache der Er-
scheinung mit der schon erwähnten molekularen Änderung er- `
klärt werden. Da aber bisher noch keine Verbindung bekannt
ist, die sich momentan von der monomolekularen Form in
Biochemische Zeitschrift Band I. 3
34 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie.
polymolekulare umwandeln und wieder momentan zurückver-
ändern könnte, darf auch diese Hypothese nicht ohne weiteres
angenommen werden.
Die neuesten Autoren behaupten, daß das eigentliche
lichtempfindliche Material nicht das Selen, sondern das Selenid
wäre, welches bei der Herstellung der Zelle durch Schmelzen
des Selens auf der Oberfläche des leitenden Metalldrahtes ent-
steht. Andere Autoren glauben, daß es sich um Thermoströme
handelt, andere wieder fassen die Erscheinung als eine in einem
Elektrolyt entstandene Lichthydrolyse auf.
Zur Entscheidung, ob es sich hier um Licht- oder Wärme-
wirkung handelt, ist die Lichtabsorption des Selens untersucht
worden. Es stellte sich dabei heraus, daß das Absorptions-
maximum annähernd mit den D-Streifen des Natriums zu-
sammenfällt, d. h. das von der Selenschicht ausgelöschte Licht
enthält keine gelben Lichtstrahlen, da sie von dem Selen ab-
sorbiert werden. Wurde das längere Zeit mit gelbem Licht
bestrahlte Selen untersucht, so zeigte es kaum eine Temperatur-
änderung, und somit wurde bewiesen, daß die gelben Strahlen
nicht in Wärme umgewandelt wurden. Außer den gelben
Strahlen werden die andern Strahlen ebenfalls von dem Selen
im Sinne einer gewissen Kurve absorbiert, welche einer stumpfen,
bei dem Natriumstreifen ihren Höhepunkt erreichenden und
von da ab sich zurückbiegenden Parabel entspricht. Diese
Absorptionskurve ist aber nicht exakt und allgemein gültig zu
konstruieren, da sie von der Temperatur, von der Qualität
und Größe der Zelle, sowie von der Reinheit des Selens ab-
hängig ist. Bei denselben Bedingungen und bei derselben
Selenzelle besteht aber das photochemische Gesetz, in dem das
Absorptionsmaximum mit dem Maximum der Veränderung zu-
sammenfällt.
Die beschriebenen Eigenschaften des Selens machen es für
Bestimmungen der Hämoglobinkonzentration brauchbar. Es ist
klar, daß das Lichtdurchlassungsvermögen einer Farblösung zu
der Konzentration im umgekehrten und proportionalen Ver-
hältnis steht und bei passender Einrichtung mit dem Selen zu
bestimmen ist.
Die Versuchsanordnung beruht im wesentlichen darauf, daß
ein Strom durch eine Selenzelle zum Galvanometer geleitet und
J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 35
die Selenzelle von einer Lichtquelle beleuchtet wird, vor welcher
die zu untersuchende Lösung steht.
Kompensstionsschaltung der Selenzelle.
Se = Selenzelle. A = Akkumulator. R == Schieber-Rheostat.
W == Widerstandskasten. G@ = Galvanometer.
Die Selenzelle ist so konstruiert, daß der Gesamtwiderstand
der belichteten Zelle möglichst herabgesetzt und ihre Licht-
empfindlichkeit erhöht wird. Die von mir gebrauchte Zelle
besteht aus einem Holzkasten, der mit einem umklappbaren
Deckel lichtdicht verschließbar ist. In der Mitte des Kästchens
ist eine rechteckige isolierende Platte angebracht, auf welcher
ein feiner Kupferdraht aufgespult ist. Zwischen den Draht-
fugen ist das Selen ausgebreitet. Am Kästchen sind zwei An-
schlußklemmen, die mit dem aufgespulten Draht in Verbindung
stehen. Die wirksame Fläche der Zelle ist 30 X 50 mm groß
und besitzt im ausgeruhten Zustande 60000 2 Widerstand.
Bei intensiver Bestrahlung mit 25kerziger Glühlampe sinkt
dieser Widerstand bis 2000 Q. Die maximale Strombelastung
der Zelle ist ca. 20 Milliampere. Für unsere Zwecke genügt
ein Akkumulator von 4 Volt Spannung.
Die Selenzelle wurde in einem vor Licht verschlossenen
Kasten angebracht. Vor die Zelle kommt ein Diaphragma,
um das seitliche Licht abzuhalten. Vor die Schaltung des
Diaphragmas wird die zu untersuchende Lösung gestellt. Als
Lichtquelle dient eine Lampe, die in der Achse der wirksamen
3*
36 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie.
Selenfläche und Lumen des Diaphragmas aufgestellt wird. Um
die Erhitzung und den Temperatureinfluß auf die Zelle zu ver-
meiden, muß die Lampe in einem andern Kasten untergebracht
sein und event. die Lichtstrahlen durch einen Kühlapparat
geleitet werden.
Die Schaltung ist, wie aus der Zeichnung ersichtlich, eine
sog. Kompensationsschaltung und bei der Anordnung derselben
konnte ich mich der Hilfe des Herrn W. Volkmann, Assistent
am Physikalischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule
zu Berlin, erfreuen. Wir probierten mit verschiedenen Schal-
tungen und versuchten auch mit dem Rheocord zu arbeiten,
aber es konnte mit keiner die Empfindlichkeit erreicht werden,
wie mit der angegebenen.
Sehr störend können Thermoströme sein, die aber durch
Manganinleitung zu beseitigen sind. Eine weitere Schwierigkeit
besteht darin, den richtigen Empfindlichkeitsgrad zu treffen.
Es kommt dabei darauf an, das Galvanometer so einzustellen,
daß der Ausschlag zwischen vollkommener Belichtung und
Belichtung durch die Testlösung hindurch in dem Maße auf
die Skala fällt, daß sie womöglich ganz ausgenutzt wird, denn
je größer der Ausschlag ist, um so genauer wird die Ablesung
und prozentische Konzentrationsbesimmung. Ist z. B. die
Länge des Ausschlages 10 cm, so wird 1 mm ein Prozent der
Testlösung anzeigen, ist der Ausschlag 50 cm, so entspricht
1 mm 0,2°, usw.
Die Empfindlichkeit des Apparates ist durch den Wider-
standskasten W (am zweckmäßigsten von 0,1 bis 100,0 2), die
Einstellung auf die Skala durch einen Schieberrheostaten (Zt)
leicht zu regulieren.
Die in der kurzen Zeit eines Versuches auftretenden gerin-
gen Schwankungen in dem Akkumulator kommen ebensowenig
in Betracht wie die Lichtintensitätsschwankungen der Licht-
quelle. Immerhin ist es zu empfehlen, als Lichtquelle einen
Normalbrenner oder die noch konstantere Tantalbirne zu
gebrauchen.
Zur Messung dient ein isoliertes Spiegelgalvanometer mit
Fernrohrablesung und Skalaentfernung von ca. 1 Meter. Die
Genauigkeit der Ablesung kann auch durch weitere Entfernung
der Skala noch gehoben werden.
J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. 37
Bei einer Konzentrationsbestimmung hängt der Versuch
hauptsächlich davon ab, ob wir das Galvanometer auf einen
Ruhepunkt bringen können, und die ganze Schwierigkeit des
Arbeitens liegt eigentlich in diesem Punkte. Die Leitfähigkeits-
änderung der Selenzelle wird nämlich erst nach längerer Zeit
konstant und man tut darum gut, vor dem Versuch die Zelle
länger belichtet zu halten. Außer den Widerstandsänderungen
des Selens beunruhigen das Galvanometer noch die bereits er-
wähnten Thermoströme, Temperaturschwankungen und andere
äußere Ursachen, die manchmal recht schwer zu finden sind.
Um Konzentrationsbestimmungen mit dem Apparat aus-
führen zu können, gebrauchen wir eine Testlösung, deren
Konzentration bekannt ist. Bei der Hämoglobinometrie haben
sich als haltbare Testflüssigkeiten das salzsaure Hämatin nach
Sahli und das Kohlenxydhämoglobin nach Hoppe-Seyler
bewährt. Man kann aber auch andere Farblösungen ge-
brauchen, deren Lichtabsorption derjenigen einer bestimmten
Blutlösung entspricht. Als solche Flüssigkeit ist die von
Zetnow angegebene chromsaure Kali- und Kupfersulfatlösung
zu empfehlen.
Ist das Galvanometer zur Ruhe gekommen, so stellen wir
es mittels des Schieberrheostaten bei vollkommener Belichtung
der Selenzelle auf den Nullpunkt der Skala ein. Es wird dann
der Ausschlag bei dazwischen gestellter Testlösung bestimmt.
Ist dies geschehen, so stellen wir statt der Testflüssigkeit die zu
untersuchende Lösung vor die Selenzelle. Wir erhalten dann
einen Ausschlag der — je nach dem Verhältnis zwischen der
Flüssigkeit und der Testlösung — größer oder kleiner als bei dem
Testversuch sein wird. Die Differenz in den Ausschlägen ist
proportional der Konzentrationsdifferenz.
Je größer die Verdünnung, umso kleiner wird der Aus-
schlag sein, und umgekehrt. Die Konzentration ist somit aus
der einfachen Formel leicht zu berechnen:
C: Dı D, C
© = p> raus Ci = D”
wobei C die bekannte Konzentration der Testlösung, Cı die un-
bekannte Konzentration der zu untersuchenden Lösung, D den
Ausschlag bei der Testlösung und D, den Ausschlag der zu be-
stimmenden Lösung bedeuten soll.
38 J. Plesch, Über objektive Hämoglobinometrie. `
Es sei noch bemerkt, daß die Untersuchung der Flüssig-
keiten in genau gleichen planparallelen Glasküvetten auszu-
führen ist, da die Lichtabsorption von der Schichtdicke der
Flüssigkeit und Qualität sowie Dicke des Glases abhängt. Runde
Gefäße eignen sich zur Untersuchung darum nicht, weil sie die
Selenzelle ungleichmäßig belichten.
Wie es aus dem Vorhergesagten ersichtlich, ist der Apparat
nicht konstant ein für allemal einzustellen, es muß vielmehr
vor jedem Versuch der Nullpunkt und der Ausschlag der Test-
lösung von neuem festgestellt werden.
Meine Versuche sind noch nicht beendigt und ich betrachte
diese Publikation nur als eine vorläufige Mitteilung, der eine
Arbeit über die Genauigkeit und Resultate dieser Methode nach-
folgen soll.
Zum Schluß sei mir noch gestattet, dem Herrn Geheimrat
Prof. Zuntz für seine Unterstützung und sein Interesse meinen
besten Dank auszusprechen.
Über die Spaltung der lipoiden Substanzen
durch Lipase und über die optischen Antipoden
des natürlichen Leecithins.
Von
Paul Mayer-Karlsbad.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 28. April 1906.)
Die große biologische Bedeutung der lipoiden Substanzen
nach den verschiedensten Richtungen hin ist durch eine Reihe
von Arbeiten aus den letzten Jahren dargetan. Unter ihnen hat
ganz besondere Beachtung das Lecithin gefunden. Die Ent-
deckung seiner Rolle bei der Hämolyse, die im Ehrlichschen
Institut P. Kyes sowie Kyes und H. Sachs!) gelang, bedeutet
einen Wendepunkt in der Immunitätslehre; einmal erwies sich
das Lecithin als das Komplement des Cobrahämolysins und da-
mit als der erste chemisch definierte Bestandteil der bei den
Immunisationsphänomenen wirksamen Serumsubstanzen; dann
glückte es den Frankfurter Forschern auch, die Verbindung des
Cobratoxins mit dem Lecithin in reiner Form darzustellen und
dadurch den biologischen Versuch auf den Boden des rein
chemischen Experimentes zu stellen.
Die Versuche von Kyes?) haben weiter das überraschende
Ergebnis gehabt, daß die Art der Lecithinbindung in den
) P.Kyes, Berl. Klin. Wochenschr. 1902, Nr. 38 u. 39; P. Kyes u.
H. Sachs, ebenda 1908, Nr. 2, 3 u. 4; vergl. J. Morgenroth, ebenda
1905, Nr. 50.
» Kyes, Ztschr. f. physiol. Chem. 41, 273, 1904.
40 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
Organen verschiedener Tiere eine sehr ungleiche ist, Verhält-
nisse, die für die Erscheinungen der natürlichen Immunität
z. B. gegen Schlangenbisse von größter Wichtigkeit sind.
Überdies hat das Lecithin in den letzten Jahren eine
dauernd noch steigende medikamentöse Verwendung gefunden;
indes das Urteil über die Lecithintherapie ist noch nicht ab-
geschlossen.
Bei dieser allgemeinen biologischen Bedeutung des Lecithins
war die Klärung einer für die Beurteilung des physiologischen
Verhaltens wesentlichen Frage von Wichtigkeit, die nämlich
nach der Wirkung der Enzyme auf das Lecithin. Bekanntlich
hat Bokay!) nachgewiesen, daß Lecithin durch Dünndarmsaft
gespalten wird. Aber der Dünndarmsaft ist ein Gemisch von
Fermenten, und es war daher wichtig, festzustellen, welches
Enzym die Zerlegung des Lecithins bewirkt, Dünndarmsekret
selbst, Trypsin, Erepsin oder Lipase. Da die den Fetten ähn-
liche Konstitution des Lecithins es wahrscheinlich machte, daß
die Lipase das wirksame Ferment sei, habe ich zunächst das
Verhalten des Lecithins zu diesem Enzym studiert und will in
folgendem über das Ergebnis dieser Untersuchungen sowie über
die Darstellung und das Verhalten der optischen Antipoden
des natürlichen Lecithins berichten.
I. Spaltung des Lecithins durch Lipase.
Für diese Untersuchungen benutzte ich das von der Aktien-
gesellschaft für Anilinfabrikation in großer Reinheit aus Eigelb
dargestellte Lecithin Agfa und als Lipase das beste derzeit
existierende Präparat, das Steapsin von Grübler, dessen „Rein-
heit“ ich durch den Nachweis, daß es keinerlei proteolytische
Wirkungen entfaltet, bestätigen konnte.
Die Versuche wurden in der Weise ausgeführt, daß 5 ccm
einer 2°/, wässerigen Lecithinemulsion im Reagensglas mit
Lipase versetzt und 5, 20 und 40 Stunden im Brutschrank bei
37° belassen wurden. Nach dieser Zeit wurden dann die
Lösungen unter Zusatz von 99,6 °/,-igen Alkohol quantitativ in
ein Becherglas übergeführt und mittels einer !/ıo-Normallauge,
unter Anwendung von in Methylalkohol gelöstem Phenolphthalein
') A.Bokay, Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 157.
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 41
als Indikator titriertt, um so die Abspaltung der Fettsäuren
quantitativ zu bestimmen. Vorher hatte ich mich überzeugt,
daß Lecithin durch die Brutschranktemperatur allein nicht ver-
ändert wird.
Da sowohl die Lecithin- wie die Steapsinlösungen schwach
saure Reaktion zeigten, wurde der Säuregrad beider durch vor-
herige Titration festgestellt. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung
verbrauchen 0,3 ccm "ıo-Lauge, und 1 ccm Lipase verbraucht
0,4 ccm !/ıo-Lauge zur Neutralisation; diese Zahlen wurden von
den nach der Digestion verbrauchten ccm UY,o-Lauge in Ab-
rechnung gebracht.
Das Ergebnis dieser Versuche ist aus der folgenden Zu-
sammenstellung ersichtlich.
Verbrauch von ccm
o Lauge nach Abzug
der Zahlen für
Lecithin und Lipase
Digestions-
Lecithin + Lipase dauer
in Stunden
nn — mn nn AAAA
5 cem 2°,,-igen Lösung + 1cem Lipase 5 1,0
5n 2 n n Hla a 5 0,9
In 2 y n Fla >», 5 1,0
54 2 „ ” +1, n 20 1,5
5,2 „ n sein 20 1,4
5n 2 mn no Fly on 20 1,5
In 2 m `“ el 7 n 40 1,5
9n2 , » Fla » 40 1,5
5.2, a Are, 5 40 1,4
Aus diesen Versuchen ergibt sich die Tatsache, daß das
Lecithin durch Lipase reichlich gespalten wird. Die Ab-
spaltung der Fettsäuren ist bei fünfstündiger Digestionsdauer
geringer als bei längerer Lipasewirkung, während eine über 20
Stunden ausgedehnte Spaltung die Fettsäureabscheidung nicht
mehr steigert.
Die Zerlegung des Lecithins läßt sich übrigens schon deut-
lich aus dem Aussehen der Lecithinemulsion nach Ablauf des
Versuchs erkennen, da sich die festen Fettsäuren z. T. als kri-
stallinische Massen abscheiden.
In einer anderen Versuchsreihe wollte ich eruieren, ob der
Ablauf der Hydrolyse durch die Reaktionsverhältnisse beeinflußt
wird. Ich habe deshalb einige Versuche mit einer durch Soda
42 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
genau neutralisierten Steapsinlösung angestellt und in weiteren
Versuchen geringe Mengen !/‚o-Normal H,SO, zugesetzt.
Das Ergebnis zeigt die folgende Tabelle.
Verbrauch von ccm
‘eLauge nach Abzug
der Zahlen für
Lecithin + Zusatz
Digestions-
2°/,,igen Lecithinlösung + Zusatz dauer
in Stunden
5cem + 1 cem neutr. Lipase . 0,7
Sn tla n n 0,8
5 n + 1 n ” n 1,1
ön» +i, j 5 P OO: 1,1
5 „ + 1 Lipase + 0,5 cem '/-H,SO, 1,5
Sn tl. +5 nn 1,5
5 n + 1 n + 0,5 n n n 1,5
5 n F 1 n + 0,5 n n n 1,7
5 „ + 0,5 ccm "HS0, 0,0
Die Spaltung tritt also auch bei neutraler Reaktion ein;
sie ist aber geringer als bei der schwach sauren Reaktion des
käuflichen Präparates.
Was den Einfluß des Säurezusatzes anlangt, so habe ich
zunächst Kontrollversuche darüber angestellt, ob nicht die Säure
schon allein eine spaltende Wirkung auf das Lecithin ausübt.
Bei Anwendung der geringen Säuremengen, wie sie in der
Tabelle verzeichnet sind, wird Lecithin durch die Säure allein
nicht zerlegt. Dahingegen lehrten mich einige besondere — in
der vorstehenden Tabelle nicht angeführte — Versuche, daß
bei Zusatz größerer Säuremengen (1,5—2 ccm !/ıo Normal H: S04)
eine — allerdings nur ganz geringe — Spaltung statthat. So z. B.
verbrauchten in mehreren Versuchen 5 ccm einer 2°/,-igen
Lecithinlösung, denen 1,5 ccm "/ıo-HzSO, zugesetzt waren, nach
20 stündiger Hydrolyse (nach Abzug von 1,8 cem Yıo-Lauge
für Lecithin +- Säure) 0,2—0,3 ccm !/ıo-Lauge. Diese Spaltung
ist eine so geringe, daß sie mit der Fermentwirkung in keiner
Weise zu vergleichen ist.
Die Wirkung der Lipase wird nun durch Säurezusatz, wie
die vorstehende Tabelle lehrt, insofern nicht beeinflußt, als eine
gesteigerte Fettsäureabspaltung nicht wahrzunehmen ist. Es
zeigen aber die angeführten Zahlen, daß schon bei fünf-
stündiger Lipasewirkung die Abspaltung denselben Grad
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 43
erreicht, wie dies ohne Zusatz von Säure erst nach 20 Stunden
der Fall ist. Die Fermentreaktion wird also nach Zusatz einer
kleinen Menge von Säure beschleunigt, so daß die Verhältnisse
beim Lecithin ganz ebenso liegen, wie sie Connstein!) in seinen
grundlegenden Arbeiten für die fermentative Spaltung der
eigentlichen Fette fand.
Von besonderer physiologischer Bedeutung erschien mir
die Frage, ob das Lecithin auch durch Magensaft zerlegt wird,
da ja nach verschiedenen Autoren im Magensaft ein lipolytisches
Ferment vorkommen soll.
Ich habe deshalb bei genau der gleichen Versuchsanordnung
Hundemagensaft, den ich dank der Liebenswürdigkeit des
Herrn Dr. Bickel stets ganz frisch aus der experimentell-
biologischen Abteilung des Pathologischen Instituts erhalten
konnte, auf Lecithin einwirken lassen. Einige der angestellten
Versuche führe ich hier an.
1. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung werden mit 1 ccm
Hundemagensaft 20 Stunden im Brutschrank belassen.
Zu ihrer Neutralisation sind nach Beendigung des
Versuches 2,3 ccm —, d. h., da 1 ccm Magensaft 1,5
und 5 ccm Lecithin 0,3 ccm !/,o-Lauge verbrauchen —
0,5 ccm !/ıo-Lauge nötig.
2. 5 ccm einer 2°/,-igen Lecithinlösung -+ 1 ccm Magensaft
verbrauchen nach 20Ostündiger Hydrolyse (nach Abzug
von 1,8) 0,3 ccm !/ıo-Lauge.
3. 5 cem Lecithinlösung +- 2 ccm Magensaft benötigen
zur Neutralisation 3,7 — 3,3, d. h. 0,4 ccm !/ıo-Lauge.
4. 5 ccm Lecithinlösung + 2 ccm Magensaft verbrauchen
3,7 — 3,3, d. h. 0,4 cem !/ıo-Lauge.
Diese Versuche zeigen, daß eine, wenn auch geringe
Spaltung stattgefunden hat.
Will man aber diese Spaltung auf ein im Magensaft wirk-
eames lipolytisches Enzym beziehen, so erscheint die Spaltung
noch viel geringer, sobald man erwägt, daß ja schon dieselben
Säuremengen, die 1 ccm Magensaft entsprechen, eine geringe
Zerlegung des Lecithins bewirken, wie ich oben ausgeführt
t Connstein, Hoyer u. Wartenberg, Ber. der deutsch. chem.
Ges. 85, 3988, 1902.
44 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
habe. Berücksichtigt man diese Zahlen, so würde nur ein
Verbrauch von 0,1—0,2 "/ıo-Lauge übrig bleiben, der auf die
Wirkung des Magensaftes selbst zu beziehen wäre.
Diese Zahlen liegen aber eigentlich innerhalb der Fehler-
grenzen, so daß aus diesen Ergebnissen kaum auf eine lecithin-
spaltende Wirkung des Hundemagensaftes geschlossen werden
kann.
Ich will hier nicht die Frage nach dem Vorhandensein
eines fettspaltenden Fermentes im Magensaft aufrollen.
Bekanntlich haben Volhard und seine Schüler Stade,
Fromme, Zinssen’) sich in den letzten Jahren sehr energisch
für die Existenz eines solchen eingesetzt, während andere
Forscher das Vorhandensein desselben bezweifeln. Wenn meine
Lecithinversuche zunächst nicht für das Vorkommen eines
lipolytischen Fermentes im Magen zu sprechen scheinen, so ist
doch anderseits zu berücksichtigen, daß im Magensaft das
supponierte Ferment im Gemisch mit anderen Enzymen vor-
handen ist und daher schwächer wirken dürfte als ein isoliertes
Enzym, wie wir es in dem Steapsin vor uns haben.
Außerdem könnte ja auch das Magensteapsin so streng
spezifisch auf die eigentlichen Nahrungsfette eingestellt sein,
daß es auf Lecithin nicht wirkt.
Ohne also auf diese Fragen näher einzugehen, möchte ich
lediglich die Tatsache feststellen, daß das Lecithin durch
Magensaft nicht oder wenigstens nur in ganz geringem Umfange
gespalten wird. Dieser Befund ist für die Frage der Lecithin-
therapie von Wichtigkeit, weil er zeigt, daß wir bei innerlicher
Darreichung des Lecithins eine Zerlegung desselben im Magen
nicht zu erwarten haben.
Außer dem Lecithin kennt man noch andere natürlich
vorkommende organische Phosphorsäureverbindungen, die eben-
falls in die Gruppe der Lipoide zu zählen sind, vor allem das
Jecorin und das Protargon. Die ähnliche biologische Rolle
und die chemische Verwandtschaft dieser beiden Körper mit
dem Lecithin legten es nahe, auch ihr Verhalten zu dem fett-
spaltenden Enzym zu untersuchen.
') Münch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 5 u.6: Beitr. z. chem. Physiolog.
u. Pathol. 7, 31—51, 1905.
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 45
In ähnlicher Weise wie bei dem Lecithin habe ich daher
Lipase auf Jecorin und Protargon wirken lassen.
Das Jecorin, das ich nach dem Drechselschen Verfahren
aus Pferdeleber dargestellt hatte, wurde in 1 °/, wässeriger
Lösung verwendet, die ganz schwach saure Reaktion hatte, so
daß 2 ccm durch 0,1 ccm !/ıo-Lauge neutralisiert wurden.
Protargon, das nach der Methode von Kossel und Freytag
gewonnen war, wurde zunächst in wenig Methylalkohol gelöst
und dann so viel Wasser zugesetzt, daß eine 1 °/, Lösung, bez.
Emulsion resultierte. Von dieser wurden 2 ccm schon durch
2 Tropfen '/ıo-Lauge neutralisiert, so daß dieser minimale Säure-
grad vernachlässigt werden konnte. Die für diese Versuche an-
gewandte Lipase zeigte ebenfalls eine Azidität von 0,4 Y/ıo-Lauge,
und der benutzte Magensaft eine solche von 1,6.
Weder Jecorin noch Protargon wurden durch die Brutschrank-
temperatur allein angegriffen, ebensowenig wirkte Zusatz von
geringen Mengen Säure ohne Lipase spaltend auf die beiden
Substanzen. Die Versuche ergaben ein ganz analoges Resultat
wie beim Lecithin, so daß ich nur einige Versuche in der
folgenden Tabelle anzuführen brauche.
Nach fünfstündiger Digestionsdauer.
2 ccm 1°/,ige Jecorinlösung + 1 ccm Lipase verbrauchen nach Abzug von
Jecorin + Lipase 1,0 '/o- Lauge,
2 „ 1 „ Jecorinlösung +1 ccm Lipase + 0,5 cem "/ -H,SO, verbrauchen
nach Abzug von Jecorin + Lipase + H,SO,: 1,5"/.-Lauge,
2 „ 1 „ Jecorin + 1 Lipase + Il ccm Magensaft verbrauchen nach
Abzug von Jecorin + Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge,
2 „ 1 „ Jecorin + 1 Lipase + 2 Magensaft verbrauchen nach Abzug
von Jecorin 4 Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge,
2 „ l „ Protargonlösung + 1 ccm Lipase verbrauchen nach Abzug
von Lipase 0,9 "o Lauge,
2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase + 0,5 '/o-H,SO, verbrauchen
nach Abzug von Lipase + H,SO,: 1,6 Y-Lauge,
2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach
Abzug von Lipase und Saft: 0,0 '/.-Lauge,
„ 1 „ Protargonlösung + Lipase + 2 Magensaft verbrauchen nach
Abzug von Lipase + Saft: 0,1 '/.-Lauge.
to
Nach 20stündiger Digestionsdauer.
2 ccm l'%ige Jecorinlösung +4 1 Lipase verbrauchen nach Abzug von
Jecorin + Lipase: 1,4 '/o-Lauge,
46 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins,.
2 ccm 1°/,-ige Jecorinlösung + 1 Lipase + 0,5 ",-H,SO, verbrauchen nach
Abzug von Jecorin und Lipase + H,SO,: 1,5 "/„-Lauge,
2 „ 1 „ Jecorinlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach
Abzug von Jecorin + Lipase + Saft: 0,0 ’/„-Lauge,
2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase verbrauchen nach Abzug von
Lipase: 1,6 '/.-Lauge,
2 „ l „ Protargonlösung + 0,5 '/,„H.SO, + 1 Lipase verbrauchen nach
Abzug von Lipase + H,SO,: 1,5 "o- Lauge,
2 „ 1 „ Protargonlösung + 1 Lipase + 1 Magensaft verbrauchen nach
Abzug von Lipase + Saft: 0,2 o- Lauge.
Die angeführten Zahlen beweisen, daß auch Jecorin und
Protargon reichlich durch Lipase gespalten werden, und daß
auch hier die Fermentreaktion durch Zusatz einer kleinen
Menge Säure beschleunigt wird. Noch deutlicher als beim
Lecithin zeigt. es sich hier, daß Magensaft keine Zerlegung
bewirkt.
II. Die optischen Antipoden des natürlichen Lecithins.
a) Racemisches Lecithin.
Bekanntlich zeigt ein durch Extraktion bei höherer Temperatur
gewonnenes Lecithin kein oder nur ein geringes Drehungs-
vermögen; aber das so gewonnene Präparat ist durch Spaltungs-
produkte des Lecithins stark verunreinigt, und die reine optisch
inaktive Verbindung ist bisher nicht beschrieben.
Zu ihrer Darstellung habe ich folgendes Verfahren ein-
geschlagen.
Gewöhnliches rechtsdrehendes Lecithin — ich habe auch
für diese Versuche Lecithin Agfa benützt — wird mit der
10fachen Menge ganz absolutem Äthyl- oder Methylalkohol im
Schießrohr 5—6 Stunden auf 90—100° erhitzt. Nach dem
Erkalten verdampft man den Rohrinhalt bei möglichst niederer
Temperatur und löst den Rückstand in Äther. Die ätherische
Lösung wird dann im Scheidetrichter mit ca. 0,5 °;o Sodalösung
durchgeschüttelt, mehrfach mit Wasser gewaschen und dann
verdampft. Die hinterbleibende dunkelbraune Masse wird im
Vakuum getrocknet, dann in absolutem Alkohol gelöst und mit
Knochenkohle in der Siedehitze entfärbtt. Aus dem einge-
dampften Filtrat scheidet sich nach Aceton-Zusatz das inaktive
Lecithin in der halbkristallinischen und halb salbenähnlichen
Form ab, die dem natürlichen Lecithin eigen ist.
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 47
Gleich diesem löst es sich in Alkohol, Äther, Petroläther
und Chloroform, schwer dagegen in Aceton; mit Wasser bildet
es eine opake Lösung und ist aus alkoholischer Lösung durch
alkoholische Platinchlorid- oder Chlorkadmiumlösung fällbar.
Auch die Farbe gleicht völlig der von aktivem Lecithin; frisch
dargestellt ist die Verbindung schwach hellgelb, um nach
kurzer Zeit nachzudunkeln; im zugeschmolzenen Rohr bewahrt
sie ihre lichte Farbe länger.
Im Gegensatz zu dem Ausgangsmaterial, das rechtsdrehend
ist!), zeigt die neue Verbindung in 3prozentiger Lösung kein
Drehungsvermögen.
Zur Identifizierung wurde eine Bestimmung des Phosphor-
und N-Gehaltes vorgenommen, welche das Vorliegen von Lecithin
dartut: Gefunden: N = 1,98 %%; P = 4,06 o. Berechnet ?):
N = 1,75; P = 3,98 °%.
Zur Darstellung größerer Mengen von inaktivem Lecithin
kann die Operation statt im Schießrohr ebensogut im Autoklaven
ausgeführt werden; bis 10 g Lecithin können auf einmal in
Arbeit genommen werden. Wichtig ist es, das Lecithin zuvor
in dünner Schicht im Vakuum über Phosphorpentoxyd zu
trocknen; je trockner nämlich das angewandte Lecithin, und
je absoluter der Alkohol ist, desto besser gelingt die Racemi-
sierung; d. h. bei Gegenwart von Wasser tritt partielle Ver-
seifung ein, und die sauren Spaltungsprodukte beschleunigen
den weiteren Zerfall. Bei Arbeiten mit größeren Mengen läßt
sich eine geringe Zersetzung nicht vermeiden.
Die Inaktivierung des Lecithins kann auf doppelte Weise zu-
stande kommen. Nach Ulpiani’) beruht das optische Drehungs-
vermögen des Lecithins auf der unsymmetrischen Anordnung
der Säureradikale am Glyzerinrest (I).
I. CH—0O » Fettsäure
i
H— CO . Fettsäure
|
CH—0O »- PO; H—Cholin,
') Das benützte Lecithin hat ein Drehungsvermögen [z] = + 9,84°
(a = + 0° 30, 1=2, c = 2,54); es waren 0,58 g in 20,0 ccm Alkohol von
99,8 °% gelöst.
”, Im Durchschnitt für Dipalmito, = Distearo, = Dioleolecithin.
» C. Ulpiani, Gazz. chim. Ital. 81, II, 47, (1901).
48 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
Die Inaktivierung kann sich nun in der Weise vollziehen,
daß bei dem Erhitzen unter Druck eine partielle Umlagerung
dieses d-Lecithins in seinen optischen Antipoden (II), das l-Leci-
thin, stattfindet, eine Reaktion, die solange fortschreiten muß,
bis die Hälfte des d-Lecithins umgewandelt ist, d. h. bis r-Leci-
thin, das Gemisch von I + II, sich gebildet hat.
II. CH —0O » Fettsäure
|
Fettsäure O—CH
CH:—O e POs H—Cholin.
Die Inaktivierung kann aber auch auf andere Weise zu-
stande kommen, nämlich durch einen Platzwechsel der Säure-
radikale an den Glyzerinhydroxylen, z. B. durch Bildung der
Form (IID.
III. CHa—O » Fettsäure
CH « — PO; H—Cholin
CH, —0O » Fettsäure
Da bei dieser Verbindung keine Asymmeterie des mittleren
Kohlenstoffatoms mehr besteht, muß sie optisch inaktiv sein.
Die Entscheidung zwischen den beiden für das inaktive
Lecithin in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten ließ sich treffen,
wenn es gelang, die nicht drehende Verbindung in wieder optisch
aktive Formen zu verwandeln; denn nur die Racemform (I + ID,
nicht aber III ist in optisch aktive Komponenten spaltbar.
Da einfache Methoden rein chemischer Natur zur Zerle-
gung eines komplizierten und empfindlichen Esters von der
Art des Lecithins nicht bekannt sind, habe ich ein biologisches
Verfahren angewandt.
Wie ich in dem ersten Teil dieser Arbeit beschrieben habe,
wird Lecithin durch das fettspaltende Ferment, die gewöhnliche
Lipase, zerlegt. Nach allem, was wir über die Wirkungsweise
der Enzyme wissen, war es wahrscheinlich, daß auch inaktives
Lecithin hydrolysiert werden würde. Dabei mußte Form III
wegen des symmetrischen Baues inaktive Spaltungsprodukte,
I+ II hingegen wegen des bekannten halbseitigen Angriffs des
Fermentes aktive Produkte ergeben. Tatsächlich hat sich nun
gezeigt, daß die Wirkung der Lipase auf das nicht drehende
Lecithin eine asymmetrische ist; und damit ist der Beweis
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 49
erbracht, daß in dem künstlich inaktivierten Lecithin keine
Mesoform, sondern der wahre Racemkörper vorliegt.
Im folgenden soll über die Spaltung des r-Lecithins und
über die optisch aktiven Spaltungsprodukte, die ich nachgewiesen
habe, nämlich l-Lecithin, den optischen Antipoden des natür-
lichen Lecithins, und d-Glyzerinphosphorsäure berichtet werden.
b) 1-Lecithin.
15,0 g inaktives Lecithin werden in 3 Liter Wasser von
40° unter Schütteln auf der Maschine gelöst, resp. in eine
gleichmäßige Emulsion verwandelt. Die trübe Flüssigkeit wird
mit 100 ccm Grüblerscher Steapsinlösung versetzt und im
Brutschrank bei 38° aufbewahrt. Ohne daß eine Klärung er-
folgt, gibt sich der Eintritt der Reaktion nach einigen Tagen
durch Abscheidung von Fettsäure-Kristallen. und -Tröpfchen zu
erkennen. Nach 14 Tagen wird der Versuch unterbrochen, das
Gefäß mit der Lecithinlösung auf O° abgekühlt und filtriert.
Der Niederschlag besteht aus Fettsäuren, schließt aber auch
Substanzen mit organisch gebundener Phosphorsäure ein; das
trübe Filtrat (a) wird mehrfach mit Chloroform ausgeschüttelt,
die vereinigten Chloroformauszüge schnell mit eiskaltem Baryt-
wasser durchgeschüttelt, und die Chloroformlösung wird sofort
von der wässerigen Schicht (b) abgetrennt, durch ein trock-
nes Filter filtriert und im Vakuum konzentriert. Es hinter-
bleibt eine braune, wachsartige Masse, die in absolut alkoholi-
scher Lösung mit etwas Knochenkohle entfärbt, eingeengt und
schließlich mit Aceton gefällt wird. Von dieser Substanz, die
im Aussehen vom gewöhnlichen Lecithin nicht zu unterscheiden
ist, wurden 1,9 g erhalten. Das Verhalten zu Platinchlorid
und Chlorkadmium sowie zu den Lösungsmitteln gleicht völlig
dem vom natürlichen Lecithin; der einzige Unterschied besteht
in der Richtung des Drehungsvermögens. Die Verbindung ist
lävogyr: 0,4802 g Substanz gelöst in 15 ccm Alkohol von
95 °/,, zeigten im 2-Dezimetcrrohr eine Drehung von — 0°33’;
daraus berechnet sich [a]p = — 8,59.
Zur analytischen Kontrolle wurde eine Phosphorbestimmung
ausgeführt, die einen Gehalt von 3,73 P. ergab.
Demnach liegt in der lävogyren Verbindung unzweifelhaft
im wesentlichen l-Lecithin vor. Die niedrigere Drehung, die
Biochemische Zeitschrift Band L 4
50 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
das Präparat im Vergleich mit dem Ausgangsmaterial aufweist
(+ 9,84%), deutet auf einen Gehalt an Racemkörper. Aber
der Reinheitsgrad ist schwer zu beurteilen; denn das natürliche
d-Lecithin ist allem Anschein nach keine einheitliche Substanz,
sondern ein Gemisch verschiedener Oleo-, Palmito- und Stearo-
Lecithine. Dieselben besitzen, wie man durch Fraktionierung
festgestellt hat, verschiedene Löslichkeit, und es ist denkbar,
daß sich das relative Verhältnis dieser Lecithine bei den ver-
schiedenen Operationen (Racemisierung, Spaltung) und den
jedesmaligen Isolierungen geändert hat. Natürlich kommt auch
den verschiedenen Lecithinen ein ungleiches Drehungsver-
mögen zu.
Diese Verhältnisse sind z. T. auch die Ursache für die ge-
ringe Ausbeute an l-Lecithin, die nur 12,7°/, beträgt. Letztere
kommt aber z. T. auch durch andere Faktoren zustande, nament-
lich durch die Unmöglichkeit, Lecithin im Gemisch mit seinen
Spaltungsprodukten einigermaßen quantitativ zu isolieren. So
schließt, wie erwähnt, der Fettsäureniederschlag reichlich Lecithin
ein, und auch in dem oben bezeichneten Filtrat (a) bleibt nach
der Ausschüttelung mit Chloroform eine erhebliche Menge von
Lecithin zurück. i
Aber aus dieser Portion läßt sich eine andere optisch aktive
Verbindung isolieren, deren Entstehung die Theorie voraussieht,
sobald die enzymatische Spaltung des Lecithins nicht bis zu
den letzten Bruchstücken führt, sondern gleich der gemäßigten
künstlichen Hydrolyse bei der Bildung intermediärer Produkte
Halt macht. Ein solches intermediäres Produkt ist nun die
Glyzerinphosphorsäure
welche noch die von Ulpiani’) entdeckte assymetrische Struktur
des Lecithins bewahrt und nach R. Willstätter und K. Lüdecke’)
tatsächlich optisch aktiv ist, sobald die Hydrolyse durch Alkali
mit der nötigen Vorsicht vorgenommen wird.
') Ulpiani, Gazz. chim. Ital. 81, II, 1901.
^» Willstätter und Lüdecke, Ber. d. dtsch. chem. Ges. 87, 3753, 1904.
P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins. 51
Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die fermentative Spaltung
ein noch schonenderer Eingriff ist als die Alkalihydrolyse. In
der Tat konnte ich die d-Glyzerinphosphorsäure in Form ihres
Ba-Salzes isolieren. Zur Darstellung desselben wurde die mit
Chloroform ausgeschüttelte Flüssigkeit (b) bei einer 40° nicht
überschreitenden Temperatur auf etwa 100 ccm eingemengt und
mit Barytwasser bis zur deutlich alkalischen Reaktion versetzt.
Dabei fielen in dicken Klumpen Barytseifen aus, und die nun-
mehr filtrierte Lösung wurde sodann mit CO, behandelt. Durch
diese zweimalige Erzeugung eines Niederschlages war die zuvor
dunkelgelbe Flüssigkeit wasserklar geworden und zugleich von
ätherlöslichen Phosphorverbindungen befreit, die sich reichlich
im Niederschlag der Barytseifen fanden.
Die klare Lösung wurde dann in ca. 1 Liter absoluten
Alkohol eingetropft, wodurch ein schleimiger, schwer filtrierbarer,
weißer Niederschlag entstand; derselbe wurde abgesaugt und
dann mit Wasser aufgenommen, worin er aber nur z. T. löslich
war, filtriert und von neuem mit absolutem Alkohol gefällt.
Nach dreimaliger Wiederholung dieser Prozedur, wobei das
Material stark zusammenschmolz, resultierte schließlich das Salz
in festen, weißen Flocken. Dasselbe wurde über Phosphorpent-
oxyd im Vakuum getrocknet; ein Teil diente zur Bestimmung
des Drehungsvermögens. Es ergab sich
[e], = — 1,04°
(a = — 42°; 1 = 2, c = 33,7)
Willstätter und Lüdecke geben (a. a. O.) als Wert für die
spezifische Drehung von d-glyzerinphosphorsaurem Baryum Zahlen
zwischen — 0,68° und — 1,712° an.
Demnach ist im vorliegenden Falle die Verbindung teil-
weise racemisiert, was bei dem Eindampfen der großen Flüssig-
keitsmengen nicht überraschen kann. Zur Kontrolle wurde noch
eine Baryumbestimmung in dem Baryumsalz ausgeführt. Ge-
funden wurden 44,28°/, Ba, während die Theorie für das optisch
aktive Salz CsH0OsPBa + !/2H:0 43,35%, Ba (nach Will-
stätter und Lüdecke 43,42°/, Ba) verlangt. Ob der etwas zu
hohe Wert für Baryum mit der partiellen Racemisierung zu-
sammenhängt, oder durch eine Beimengung zu erklären ist,
entzieht sich der Entscheidung. An dem Vorliegen des Glyzero-
4*
52 P. Mayer, Spaltung von Lipoiden, optische Antipoden des Lecithins.
phosphates ist trotzdem nicht zu zweifeln; der Wert für Phosphor
stimmt übrigens ziemlich genau. Berechnet: P = 9,81%. Ge-
funden: P = 9,449.
Auf Grund der beobachteten Spaltungsprodukte muß man
annehmen, daß der Zerfall des racemischen Lecithins durch
Lipase in der Weise verläuft, daß die 1l-Komponente vom
Enzym nicht angegriffen wird, die natürliche d-Form dagegen
in Fettsäuren und d-Glyzerinphosphorsäure zerfällt.
Es bedarf zum Schluß kaum eines besonderen Hinweises,
daß die Beobachtung über die asymmetrische Spaltung des
Lecithins auch praktische Bedeutung besitzt. Lecithin und
seine Derivate werden vielfach medikamentös benutzt. Da nun
stets natürliche Produkte von sehr wechselnder Reinheit in Ver-
wendung kommen, die namentlich in der optischen Aktivität
stark differieren, d. h. mehr oder minder stark racemisiert sind,
so kann es nicht wunder nehmen, daß die Resultate der
Lecithintherapie sehr ungleiche sind. Denn wie durch die vor-
liegende Untersuchung gezeigt ist, sind d- und l-Lecithin Sub-
stanzen, auf welche die Enzyme des Organismus völlig ungleich
reagieren.
m A no
Über die Beziehungen der Verdauungswirkung und der
Labwirkung.
Von
Dr. Martin Jacoby, Privatdozent in Heidelberg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 5. Mai 1906.)
Bei seinen so fruchtbaren Studien über die Physiologie der
Verdauung hat Pawlow, seinen allgemeinen Gesichtspunkten
entsprechend, sich die Frage vorgelegt, welche Rolle innerhalb
des Gesamtmechanismus der Nahrungsverarbeitung die labende
Funktion des Magensaftes spielt. Zwei physiologische Momente
waren es besonders, die ihn zu einer Revision der herrschenden
Ansicht aufforderten. Zunächst würde das Vorkommen von
Labfermenten an vielen Stellen des Organismus, an die zu
labendes Kasein nie gelangt, ohne physiologisches Interesse sein,
wenn das Labferment ein speziell für die Umwandlung des
Kaseins eingerichtetes Enzym wäre. Sodann ermittelte Pawlow,
daß auf Milchfütterung keineswegs eine besonders intensive
Labsekretion in den Magensaft erfolgt, während doch im all-
gemeinen die Sekretionen nach Pawlows Ansicht ausgezeichnet
auf die Qualität der Nahrung abgestimmt sind.
Vor einiger Zeit hat nun Pawlow in Gemeinschaft mit
Parastschuk'!) ausführliches, experimentelles Material veröffent-
licht, aus dem die Autoren eine vollkommene Identität des
Lab- und Pepsinmoleküls folgern; nur die Wirkung des Mole-
küls auf das Kasein sei eine andere wie die peptische Wirkung,
') Ztschr. f. physiolog. Chemie 42, 1904.
54 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
welche das Enzym im allgemeinen auf Eiweißkörper ausübt.
Das Gleiche gilt nach Pawlow und Parastschuk für die Lab-
wirkung des Pförtnersaftes, des Brunnerschen Drüsensekrets
und des Trypsins. Unter bestimmten Versuchsbedingungen ge-
lang es nachzuweisen, daß zwei Portionen von verschiedenen
natürlichen Magensäften, die genau dieselbe peptische Wirkung
hatten, wie durch Verdauung Mettescher Eiweißstäbchen ge-
prüft wurde, auch Milch genau in derselben Zeit labten. Wurde
der Magensaft schnell erwärmt oder längere Zeit bei Brut-
schranktemperatur gehalten, so nahmen beide Wirkungen durch-
aus parallel ab. Nun hatte aber namentlich Hammarsten
aus der Magenwand Präparate dargestellt, welche nur eine Fer-
mentwirkung besaßen. Aber Pawlow und Parastschuk zeigten,
daß derartige Präparate unter geeigneten Bedingungen sowohl
Lab- wie Pepsinwirkung besitzen. Man braucht nämlich Lab-
präparate, die zunächst anscheinend nicht peptisch wirken, nur
genügend zu verdünnen und sie eventuell noch durch Dialyse
zu reinigen, um eine Lösung zu erhalten, die dann so peptisch
wirkt, wie es der Verdünnung entspricht. Pawlow und Parast-
schuk erklären das durch die auch experimentell begründete
Annahme von Hemmungsstoffen'), welche die Pepsinreaktion
bei großer Konzentration stören, aber nicht die Labreaktion.
Diese Annahme widerspricht nicht der Vorstellung eines ein-
heitlichen Fermentmoleküls, da ja auch Pawlow und Parast-
schuk die Reaktion der Labung, auch wenn sie unter dem
Einfluß desselben Moleküls zustande kommt, von der peptischen
Wirkung trennen.
Leider handelt es sich auch wieder bei der Lab-Pepsinfrage
um sehr komplizierte Verhältnisse. Darauf weist z. B. folgende
Beobachtung hin, welche die russischen Autoren bei der kri-
tischen Nachprüfung der Hammarstenschen Fermenttrennungs-
methoden erhoben. Wie schon lange bekannt ist, schädigen
Alkalien viele Fermente. Läßt man nun auf Magensaft Magnesium-
karbonat einwirken und neutralisiert nach einiger Zeit mit Salz-
säure, so ist die peptische Wirkung im Vergleich zur Lab-
wirkung nur gering, wenn man sofort die für die Verdauung
notwendige Säure zusetzt. Wartet man mit dem Säurezusatz,
) s. z.B. Blum u. Fuld, Ztschr. f. klin. Mediz. 56, Heft 5 u. 6.
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 55
so nimmt allmählich die peptische Kraft wieder zu. In dem
neutralen Stadium gehen also anscheinend an dem Fermente
wichtige Verwandlungen vor sich, deren genaues Studium mit
Recht von Pawlow und Parastschuk noch zum Gegenstand
besonderer Untersuchungen gemacht werden soll.
Es gibt nun in der Literatur mehrere Angaben, die zwar
nicht Beweise für Pawlows Ansicht darstellen, aber immerhin
eine gewisse Stütze für seine Behauptungen bieten. So gelang
es Nencki und Pekelharing nicht, hochwirksame Pepsin-
präparate darzustellen, die nicht auch Labwirkungen hatten.
Vernon!) erhielt aus Pankreasextrakten durch Alkoholfällung
je nach dem Vorgehen verschieden wirksame Trypsinpräparate,
an denen immer ein vollkommener Parallelismus zwischen
tryptischer und Labwirkung zu erkennen war. Sawjalow?) ge-
langt zu der Ansicht, daß die Wirkungsgesetze von Lab und
Pepsin nicht verschieden sind. Schließlich haben neuerdings
Reichel und Spiro) ebenfalls in bezug auf die Gesetzmäßig-
keit entsprechende aufklärende Betrachtungen angestellt.
Pawlows Lehre hat aber auch entschiedenen Widerspruch
erfahren. So lehnt Bang‘) Pawlows Anschauungen und Be-
weisführungen vollkommen ab. „Die dualistische Auffassung
darf man bis auf weiteres aufrechterhalten.“ Bang betont, daß
die Labfermente der verschiedenen Spezies nicht identisch sind.
Das ist in der Tat durch Untersuchungen Bangs u. a. sicher-
gestellt. Bang meint, man solle vorläufig Pawlows Befunde
beim Hundelab und Hundepepsin auf die Verhältnisse bei
anderen Tierklassen nicht übertragen. Das ist aber für die
prinzipielle Seite der Frage auch durchaus überflüssig, da es
zunächst genügt, das fundamentale Problem bei einer Tierart
zu entscheiden. Bangs Einwände gegen Pawlows Versuche
sind nicht zwingend. Es wird von ihm bemängelt, daß Paw-
low und Parastschuk die Labprüfungen bei saurer Reaktion
vornahmen. Ihre Resultate könnten durch Kombination von
Kaseinkoagulation durch Lab und einfacher Säurefällung des
Kaseins zustande gekommen sein. Aber auch Bang nimmt an,
) Journ. of Physiol. 29, 1903.
?) Ztschr. f. physiolog. Chemie 46, Heft 4, 1905.
®, Hofmeisters Beitr. 8, 1906.
* Ztschr. f. physiolog. Chemie 48, 1904.
56 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
daß das Pepsin, das vom Lab verschieden ist, eine bei saurer
Reaktion zur Geltung kommende Milch koagulierende Wirkung
hat. Sawjalow betont, indem er auf die Versuche von Cou-
rant hinweist, daß Kasein in neutralen Lösungen nicht gerinnt.
Die Milch gerinnt nur unter dem Einfluß des Labfermentes
ohne Säurezusatz, weil sie freie Wasserstoff-Ionen enthält.
Bang und Schrumpf') haben Präparate dargestellt, welche
nur Lab- oder Pepsinwirkung hatten. Nach den Erfahrungen
Pawlows und Parastschuks mit Präparaten, die nach Ham-
marstens Vorschriften dargestellt waren, sind diese Beob-
achtungen für die Diskussion der Streitfrage erst verwertbar,
wenn die Verdeckung der jeweils fehlenden Fermentwirkung
durch Hemmungsstoffe mit Sicherheit ausgeschlossen ist.
Petry?) hat neuerdings die spaltende Wirkung des Labs
auf Kasein genauer untersucht und gelangt zu der Anschauung,
daß es sich um eine, der peptischen nicht ganz unähnliche Art
von Verdauungsspaltung handelt. Nach seiner Ansicht ist aber
diese Verdauungswirkung ebenso scharf von der koagulierenden
Labwirkung wie von der eigentlichen Pepsinwirkung zu trennen.
Doch ist zu bemerken, daß die Koagulation zumeist nur als
sekundäre Reaktion betrachtet wird. Auch kann keine strenge
Scheidung daraus abgeleitet werden, daß die Spaltung des
Kaseins bei schwach saurer Reaktion anders verläuft als bei
stärkerer Säuerung. Petry gibt an, daß sein Ferment auch bei
neutraler Reaktion das Kasein verändert. Es ist aber noch
abzuwarten, ob damit nicht nur die Wirkung bei der amphoteren
Reaktion der Milch gemeint ist, die ja auch eine Reaktion in
Gegenwart von H-Ionen darstellt. Die interessanten Befunde
Petrys, deren genauere Mitteilung gewiß noch wichtige Einzel-
heiten lehren wird, scheinen mir bisher nicht imstande, Paw-
lows Behauptungen einzuschränken oder gar zu widerlegen.
Petry selbst nimmt übrigens zu Pawlow gar nicht Stellung.
Eine endgültige Entscheidung, ob es verschiedene Lab- und
Pepsinmoleküle gibt, würde möglich sein, wenn eine chemische
Isolierung der Fermente gelingen würde. Daran ist aber leider
zurzeit noch nicht zu denken. Die Tatsache, daß man seit
') Hofmeisters Beitr. 6, 1905.
» Wien. klin. Wochenschr. 1906.
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 57
Hammarstens grundlegenden Versuchen häufig Fermentpräpa-
rate dargestellt hat, die nur eine der beiden Wirkungen zeigen,
ist nur mit größter Vorsicht für die dualistische Auffassung
verwertbar. Man kann eben nur sehr schwer die Gegenwart
von Beimengungen ausschließen, welche nur die eine und nicht
die andere Reaktion stören. Das Kasein, das an und für sich
von den anderen Eiweißkörpern sich unterscheidet, tritt dem
Ferment als Bestandteil der Milch in einem ganz anderen
Milieu gegenüber wie andere Eiweißkörper bei Versuchen mit
Fibrin, Metteschen Röhren, Gelatine usw.
Ganz aus der Erörterung muß meines Erachtens vorläufig
die bestehende oder fehlende Übereinstimmung zwischen den
Wirkungsgesetzen der Fermente ausscheiden. Es mag dahin
gestellt bleiben, inwieweit insbesondere die Meßmethoden für die
Wirkung des Pepsins den strengen Anforderungen hinreichend
genügen, die man doch notwendig erheben muß, sobald eine
mathematische Formulierung angestrebt wird. Nach den Unter-
suchungen von Pawlow werden die Versuchsbedingungen die
Resultate viel mehr beeinflussen, als für derartige Zwecke zu-
lässig ist. Eine Entscheidung können wir auf diesem Wege
überhaupt nicht erreichen. Eine übereinstimmende Gesetz-
mäßigkeit braucht ja nicht vorhanden zu sein, wenn ein- und
dasselbe Ferment an zwei verschiedenen Reaktionen beteiligt ist.
Ferner mahnen die Ausführungen von Reichel und Spiro zur
Vorsicht. Die Autoren machen darauf aufmerksam, daß die in
Parallele gesetzten Lab- und Pepsingesetze gar nicht miteinander
vergleichbar sind und daß vergleichbare Gesetzmäßigkeiten bei
beiden auch übereinstimmen. Übereinstimmung der Gesetz-
mäßigkeiten hat auch Sawjalow beobachtet. Aber Sawjalow
weist mit Recht darauf hin, daß derartige Gesetze sehr leicht
durch gegenseitiges Sichaufheben zweier entgegengesetzt wirken-
der Faktoren scheinbar sich ergeben können. Endlich darf man
nicht vergessen, daß die Gesetzmäßigkeit in beiden Fällen von
einem sekundären Faktor gleichmäßig bedingt sein kann.
Nach alledem wird man die Frage noch als unentschieden
ansehen müssen. Mir scheint sogar," daß es vorläufig wichtiger
ist, möglichst viel experimentelles Material herbeizuschaffen, das
unsere Kenntnis der Fermente und ihrer Beziehungen vertieft,
als zu der Streitfrage präzis Stellung zu nehmen. Wie sich
58 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
aber das von Pawlow zur Erörterung gestellte Problem klären
wird, ein bedeutsamer Gewinn für die Biologie scheint mir
schon darin gegeben zu sein, daß es überhaupt diskutierbar
geworden ist, daß zwei anscheinend so verschieden geartete
Wirkungen, die sich in ganz verschiedenem Milieu entfalten,
die ferner bis zu einem gewissen Grade isolierbar scheinen,
doch vielleicht an die Gegenwart einer Substanz gebunden sind.
Wie auch in diesem Einzelfall des Lab-Pepsins die Dinge sich
entwickeln mögen, wir können uns nicht verhehlen, daß alle
Vorstellungen über Spezifität revidiert werden müssen. Mehr
als bisher wird man in Zukunft daran denken müssen, daß
zwei scheinbar spezifische Fermente, Toxine, Antitoxine usw.
identisch sein können. Es kann die Wirkung eines einheit-
lichen Moleküls vorliegen und die Spezifität nur dadurch be-
dingt sein, daß dasselbe Molekül in dem Einzelfall in einem
anders gearteten chemischen Milieu seine Wirkung entfaltet.
Dieses Milieu der Fermente, das außer von Bertrand bisher
nur sehr wenig planmäßig studiert worden ist, muß bei Studien
über Spezifität in Zukunft besonders berücksichtigt werden.
A. Zur Kenntnis des Pepsinnachweises.
Zunächst schien es wünschenswert, eine Methode zu besitzen,
um schnell und sicher Pepsinwirkungen zu bestimmen. Es ist
nicht nötig, hier eine Kritik der gebräuchlichen Verfahren zu
geben. Die so vielfach angewandten Metteschen Röhrchen kom-
men für exakte Versuche nur in Betracht, wenn bei nicht zu
kleiner Konzentration des Fermentes verschiedene Fermentmengen
in ihrer Wirksamkeit verglichen werden sollen. Will man aber
die störenden Einflüsse von Hemmungsstoffen ausschließen, so
muß man eine Methode anwenden, bei der man den Grad der
Verdünnung ermittelt, bis zu dem herab eine Fermentation noch
mit Sicherheit nachweisbar ist. Von den bisher beschriebenen
Verfahren dürften am ehesten die von Fermi sich für derartige
Zwecke bewähren. Fermi hat erst vor kurzem seine neueren
Beobachtungen ausführlich dargestellt!).
Mir wurde in dieser Beziehung eine Beobachtung wertvoll,
die ich vor fast 6 Jahren bei dem Studium des Ricins gemacht
') Arch. f. Hygiene 55, 1906.
= M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 59
habe. Versetzt man eine Lösung von Ricin (von Merck-Darm-
stadt) in ca. 1°/siger Kochsalzlösung, welche infolge der nur
mangelhaft löslichen, dem eigentlichen Toxin beigemengten Ei-
weißsubstanzen trübe und undurchsichtig ist, mit größeren
Mengen Salzsäure, so klärt sich die Flüssigkeit. Bei geringen
Konzentrationen Salzsäure, wie sie bei der Pepsinverdauung in
Frage kommen, bleiben die Ricinlösungen dauernd durchaus
trübe. Fügt man außerdem geringe Mengen Pepsins hinzu —
ich benutzte das sehr wirksame, eigens für wissenschaftliche
Zwecke hergestellte Pepsinum purissimum, daß mir von der
Firma Witte-Rostock in dankenswerter Weise zur Verfügung
gestellt war —, so findet bei geeigneten Dosen fast momentan
und schon bei Zimmertemperatur eine vollkommene Aufhellung
der Proben statt, die dann wasserklar werden.
Für die meisten Versuche diente mir eine Lösung von
1 g Ricin (Merck) und 1,5 g Kochsalz in 100 ccm Wasser,
die hinreichend trübe ist. Stets wird einer Kontrollprobe nur
Salzsäure zugefügt, um die Pepsinproben mit ihr vergleichen zu
können. Entweder wurde, wenn das bei der betreffenden Ver-
suchsanordnung angängig war, das Pepsin in der entsprechenden
Salzsäure gelöst, oder es wurde, wenn es sich um eine Lösung
von Pepsin in Wasser handelte, der Kontrollprobe die gleiche
Wasrermenge oder gekochte Pepsinlösung, die unwirksam ist, zu-
gefügt und die einzelnen Portionen erst zum Schluß mit der
gleichen Säuremenge versetzt. Man fügt immer die Salzsäure
dem Gemisch, und nicht die Ricinflüssigkeit der sauren Lösung
zu, da sonst die einzelnen Ricinteile mit zu starken Säure-
konzentrationen in Berührung kommen und durch die Säure
etwas Aufhellung verschuldet werden kann. Da die Reaktion
empfindlich ist, kann man das Pepsin in starker Verdünnung
benutzen (1 ccm = 1 mg und weniger). Größere Konzentrationen
sind schwer zu beurteilen, da starke Pepsinlösungen — wenig-
stens Lösungen des von mir benutzten Witte-Präparates —
selbst trübe sind und diese Trübung anscheinend auch nicht
durch die Verdauung aufgehellt wird.
Die Reaktion ist sehr fein, selbst Yıoo mg ist durch all-
mähliche Aufhellung sicher nachweisbar.
60 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
Ein Versuchsprotokoll möge das erläutern:
Ricin
1%, in 14, higer
Kochsalz].
schrank trübe
Kocht man die Pepsinlösungen vor dem Mischen mit dem
Ricin auf, so tritt die Aufhellung nicht ein, ebenso nicht ohne
Säurezusatz. In diesem Falle werden die Eiweißkörper der
Ricinlösung ausgeflockt. Ob die Ausflockung eine vollständige
ist, wurde nicht untersucht.
Es ist möglich, daß diese Methode mannigfach anwendbar ist,
z. B. für die Untersuchung von Magensaft, für gewisse quantitative
Zwecke, aber wohl auch zum Studium der Verbreitung peptischer
Fermente. Ich bin noch damit beschäftigt, zu prüfen, ob das
kostbare Ricin nicht durch andere trübe Eiweißlösungen ersetzt
werden kann. Für die Zwecke dieser Arbeit habe ich das Ver-
fahren jedenfalls mit Vorteil benutzen können.
3 ccm 1 ccm sofort
3 ccm 1 ccm ca. 15 Minuten
3 ccm 1 ccm ca. 30 Minuten
3 ccm 1 ccm 4-6 Stunden | bei Brut-
äeäm ica 36—48 Stunden schrank-
| unvollständig | temperatur
aoet icin | en bleibt auch im Brut-
B. Über den Nachweis der Pepsinwirkung in hoch-
wirksamen Labpräparaten.
Das Wittesche Lab pulv. purissim. solubile gibt, wenn
man ihm wie einem Pepsinpräparat Säure zusetzt, die Auf-
hellungsreaktion genau ebenso. Es ließ sich noch mit 1/29 mg
die Pepsinwirkung deutlich nachweisen. Es ist nicht zu be-
zweifeln, daß man durch Reinigung die peptische Wirkung
des Präparates noch deutlich erhöhen kann. Gekochtes Lab
ist unwirksam, Lab ohne Säurezusatz flockt wie Pepsin ohne
Säure das Ricin nur aus.
Das Witte-Lab ist auch sehr wirksam, wenn man es nach
dem Ausfall der Lab-Reaktion beurteilt. 0,01 mg labten noch
5 ccm Milch prompt und vollständig. Für die Zwecke dieser
Arbeit schien es mir am einfachsten und zugleich am exaktesten,
r TP _
-PT remm a e
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 61
die Wirksamkeit des Labs zu prüfen, indem der Grad der
möglichen Verdünnung ermittelt wurde. Meistens wurden nach
Morgenroth die gelabten Milchportionen erst längere Zeit in
der Kälte gehalten und kamen erst dann in den Brutschrank.
In bezug auf die Vorbereitung der Milch und andere Einzel-
heiten wurden die sehr zweckmäßigen Angaben von Korschun!)
verwertet.
C. Über die Aufhebung der labenden und peptischen
Wirkung der Labpräparate durch Erhitzen,
Pawlow und Parastschuk haben untersucht, bei welcher
Temperatur die Fermentwirkungen des sauren Magensaftes auf-
gehoben werden. Sie fanden vollkommene Übereinstimmung
für Lab und Pepsin. Da ich früher diese Versuche übersehen
hatte und erst bei der Niederschrift dieser Arbeit auf sie auf-
merksam werde, habe ich selbst Versuche hierüber angestellt.
Ich teile meine Beobachtungen mit, weil sie unter anderen Be-
dingungen gemacht wurden. Die Resultate bestätigen übrigens
durchaus die Angaben der Autoren.
Es wurden gegen Lackmus neutrale Lösungen von Witte-
Lab auf verschiedene Temperaturen im Wasserbade erhitzt und
dabei ausnahmslos festgestellt, daß beide Fermentwirkungen
vollkommen parallel beeinflußt wurden. Um einigermaßen zu
verhindern, daß von Glas abgegebenes Alkali auf die Fermente
einwirkt, wurde die Erhitzung in einem Kolben aus Jenenser
Glas vorgenommen.
Versuche: Frische Lablösung (1 ccm = 1 mg) wird
10 Minuten bei einer Temperatur von 42—44° gehalten.
Sowohl die Wirkungen auf Milch wie auf Ricin sind etwas
abgeschwächt, indem sie verzögert eintreten.
Eine entsprechende Lablösung wird 10 Minuten auf 50
bis 51° erhitzt, beide Wirkungen ganz verschwunden.
In anderen Versuchen waren die Wirkungen noch bei
etwas höherer Temperatur vorhanden. Es ist bekannt, daß die
Zerstörungstemperatur nach der Konzentration der Lösung und
wohl auch je nach dem Verhalten anderer Faktoren schwankt.
Immer aber war ein durchaus paralleles Verhalten beider
Wirkungen vorhanden.
') Ztschr. f. physiolog. Chemie 86, 1902.
62 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
D. Membrandialyse und Diffusion des Labs
und Pepsins.
v. Calcar!) hat vor einiger Zeit mitgeteilt, daß es ihm
durch eine besondere Methode der Membrandialyse gelungen
sei, verschiedene giftige Stoffwechselprodukte des Diphtherie-
bazillus, die von Ehrlich aus mehreren Gründen hypothetisch
erschlossenen, sogenannten Toxine und Toxone, voneinander zu
trennen und außerdem die indifferenten Eiweißkörper, welche
die Giftstoffe begleiten, in eine besondere Fraktion zu bringen,
Sein Verfahren gestaltet sich folgendermaßen; Die Lösung, welche
in verschiedene Fraktionen zerlegt werden soll, wird zunächst
von den leicht dialysablen Stoffen befreit, indem die Flüssigkeit
in einen gewöhnlichen Pergamentdialysator gebracht wird. Dann
wird mit Benutzung eines besonderen, von v. Calcar konstru-
ierten Apparates die Dialyse durch eine eigens präparierte,
tierische Membran vorgenommen. Als solche dient Amnion
vom Menschen. v. Calcar fand, daß bei wechselnder Spannung
Anteile der Giftlösung mit verschiedenen Eigenschaften die
Membran passierten, nämlich entweder Toxine oder Toxone
oder indifferente Eiweißkörper. Derartige Befunde sprechen da-
für, daß in den einzelnen Fraktionen verschiedene chemische
Individuen oder Gruppen von Individuen vorhanden sind.
Es war also die analytische Möglichkeit gegeben, vielleicht
durch das Verfahren Lab und Pepsin voneinander zu trennen,
falls sie verschiedene chemische Substanzen sind. Umgekehrt
kann man freilich daraus, daß die Wirkungen durchaus parallel
jenseits der Membran erscheinen, nicht folgern, daß dieselbe
Atomgruppierung die Grundlage für beide Wirkungen ist. Denn
auch wenn es sich um verschiedene Gruppen handelt, die nur
direkt oder durch eine indifferente Brücke mit einander ver-
kuppelt sind, würde die Trennung durch Dialyse irgend welcher
Art nicht zu erwarten sein — ganz abgesehen davon, daß
Übereinstimmung zweier getrennter Moleküle in bestimmten An-
ordnungen, Größe usw. auch einen vollkommenen Parallelismus
bei der Dialyse bedingen kann.
Ich habe das Verfahren zunächst ohne Spannung der
Membran benutzt, weil auch so nach einiger Zeit die Ferment-
') Berlin. Klin. Wochenschr. 1905.
N _
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 63
wirkungen jenseits der Membran nachweisbar waren. Es sei
gleich bemerkt, daß durchaus gleichsinnig diesseits der Membran
beide Fermentwirkungen abnahmen und jenseits auftraten. Dabei
konnte gleichzeitig auch ermittelt werden, daß auch durch
Untersuchung der freien Diffusion der Enzymmoleküle innerhalb
der Außenflüssigkeit keine Verschiedenheit zwischen einer Lab-
und einer Pepsinsubstanz nachweisbar wurde, während Arrhenius
und Madsen!) für die sicher voneinander verschiedenen Toxine
und Antitoxine Differenzen gefunden hatten.
Anordnung der Dialyseversuche nach v. Calcar.
Calcarsche Dialyseversuche sind ohne Kenntnis des Apparates
und ohne Angabe der Präparationsmethode der Amnionmembranen
nicht leicht zu verstehen, noch weniger zu beurteilen oder
nachzuprüfen. Ich schildere daher zunächst den Apparat und
die Membranen, wie ich sie mir nach v. Calcars Angaben in
der Berliner klinischen Wochenschr. 1905 S. 1369 habe anfertigen
lassen resp. präpariert habe. Die Ein-
richtungen des Apparats, die nur der
Spannung der Membran dienen, werde
ich hier weder schildern noch abbilden,
da wir sie in dieser Arbeit nicht ver-
werten.
Ein Glasgefäß von Kugelform (4)
geht nach oben in einen Zylinder über.
In diesen Zylinder ist durch einen
langen Schliff ein anderes Gefäß (I)
von Zylinderform eingelassen, das oben
durch einen eingeschliffenen Glas-
stöpsel verschlossen wird. Nach unten
ragt der Zylinder (/) offen in die
Kugel hinein und endet mit einem
überstehenden, durch eine Verjüngung abgesetzten Rand, der
die bequeme Befestigung einer Membran gestattet. Das Kugel-
gefäß faßt mehr als ein Liter Flüssigkeit, es besitzt an den
aus der Abbildung kenntlichen Punkten die eingeschliffenen
Hähne B und C. In das Innengefäß kommt die mit Chloroform
——.
') Festschr. zur Eröffnung des Serum-Instituts, Kopenhagen 1902.
64 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
gesättigte Fermentlösung, in das Außengefäß ein Liter mit
Chloroform gesättigtes Wasser. Durch den Hahn B werden
die zu untersuchenden Proben entnommen, durch C kann Luft
in das Außengefäß gelassen werden.
Die zur Herstellung der Dialysiermembranen notwendigen
Eihäute verdanke ich dem freundlichen Entgegenkommen des
Herrn Dr. Liepmann, Assistent der Frauenklinik der Charite.
Die Amnia habe ich nach v. Calcars Angaben präpariert und
kann bestätigen, daß man sehr brauchbare Membranen auf
diesem Wege erhält. Ich gebe hier die Vorschriften v. Calcars
wörtlich wieder:
„Bei der Ankunft auf dem Laboratorium werden die
Häute eine Minute mit einer verdünnten Sublimatlösung (1 : 5000)
tüchtig abgespült und sodann während 12 Stunden bei Körper-
temperatur in den Brutofen in einer physiologischen Kochsalz-
lösung gestellt. Darauf sieht man, daß die bedeckende Epithel-
schicht geschwollen ist und an einigen Stellen sich schon
einigermaßen von der Unterschicht abzulösen anfängt. Jetzt
wird die Haut mit einer verdünnten Pankreatinlösung über-
gossen, ein paar Stunden in den Brutofen gelegt, um darauf
wieder während einiger Stunden in eine erwärmte Salzlösung
überzugehen. Übergießt man jetzt die Häute noch einige
Augenblicke mit stark abgekühlter Salzlösung, so läßt sich die
oberflächliche stark geschwollene Epithelschicht leicht entfernen
und hat man eine an den meisten Stellen so glashelle Haut,
daß man, wenn man schwarze Buchstaben darunter legt, fast
nicht sehen kann, welche Buchstaben von der Haut bedeckt
sind und welche nicht.“
Es stellte sich heraus, daß schon nach kurzer Zeit durch
ungespannte Membranen die Fermente in kleiner Menge durch-
treten. Das ließ sich in den ersten Tagen immer nur so nach-
weisen, daß die ganze Außenflüssigkeit abgelassen und durch-
gemischt wurde. Wurde dagegen nur eine kleine Probe entnommen
(20—50 ccm), so daß nur die untersten Teile der Außenflüssigkeit
zur Untersuchung gelangten, so wurde die Lab- wie die Pepsin-
wirkung vermißt. Wartete man aber längere Zeit (6—7 Tage),
so wurden die Enzymmoleküle bis nach unten diffundiert und
es konnten unten beide Fermentwirkungen festgestellt werden.
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 65
Versuche:
1. In das Innengefäß werden 36 ccm einer 1 °/sigen Lösung
von Lab und Pepsin in Wasser getan, die Mischung ist trübe
und hat einen Bodensatz, dazu etwas Chloroform. — In das
Außengefäß 1 Liter Chloroformwasser.
Nach zwei Stunden wird die Innenflüssigkeit entleert,
43 ccm werden erhalten. Die Außenflüssigkeit wird abgelassen
und durchgeschüttelt.
Innenflüssigkeit: 0,001 ccm laben noch prompt und
klären Ricin auf.
Außenflüssigkeit: 2 ccm sind für beide Reaktionen negativ.
2. Innengefäß 20 ccm einer entsprechenden Lösung,
außen wie oben.
Nach 23 Stunden werden zunächst unten ca. 25 ccm ab-
gelassen, dann sofort der Rest, der durchgemischt wird.
Innenflüssigkeit (24 cem):
0,001 ccm Grenze der kompletten Labung,
0,0002 ‚„ keine Labung,
0,0002 , Grenze der kompletten Ricinaufklärung.
Außenflüssigkeit:
unterste Portion: 2 ccm für beide Reaktionen negativ,
durchgemischte Außenflüssigkeit:
0,1 ccm Grenze der kompletten Labung,
0,02 , Labung negativ,
0,1 , komplette Ricinaufhellung,
0,02 „ ganz geringe Klärung der Ricinlösung.
3. Innengefäß 40 ccm, außen wie immer.
Ganz unten, Entnahme nach 24, 48, 60 Stunden: 2 ccm
beide Reaktionen negativ, nach 140 Stunden 2 ccm komplete
Labung, 1 ccm geringe Labung, 2 ccm keine Rizinaufklärung.
Innenflüssigkeit nach 140 Stunden beträgt 45 ccm.
0,1 ccm beide Reaktionen komplett,
0,01 ‚ beide Reaktionen negativ.
4. Innengefäß 40 ccm, außen wie immer.
Ganz unten nach 7 Tagen: 1 ccm beide Reaktionen komplett,
0,1 ,, keine Labung,
0,1 ,, geringste Spur Aufhellung,
nach 8 Tagen: 0,1,, beide Reaktionen komplett.
Biochemische Zeitschrift Band I. 5
66 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
Es ist danach wohl sicher nachgewiesen, daß weder bei
der Dialyse durch die Amnionmembran noch bei der eigent-
lichen Diffusion sich irgendwie Unterschiede in der Geschwindig-
keit für die beiden Wirkungen ergeben, die die Grenze der
Versuchsbedingungen überschreiten!. Wenn dieses Resultat
auch fessteht, so bietet doch dieser Punkt noch manche inter-
essante Frage. Ich bin daher noch mit Untersuchungen hierüber
beschäftigt, über die ich vielleicht später berichten werde.
E. Versuche über die Bindung des Labs und
Pepsins an Kasein.
In einer besonderen Versuchsreihe wurde untersucht, ob
durch Schütteln einer Fermentlösung mit gepulvertem Kasein
eine der Wirkungen besonders intensiv aus der Flüssigkeit ver-
schwindet. Besteht ein besonderes Labferment, so ist es denkbar,
daß es eine ausgesprochenere Affinität zum Kasein hat. Das
war möglich, obwohl ich, wie ich früher ausgeführt habe,
durchaus nicht davon überzeugt bin, daß hier Beziehungen
vorliegen, wie man sie im allgemeinen zwischen Rezeptoren
und Toxinen vermutet.
Versuche:
50 ccm einer 0,2 °/sigen Lösung von Lab und Pepsin
(Witte) werden im Apparat 5 Stunden mit 2 g Kasein ge-
schüttelt, filtriert, das klare Filtrat auf 50 aufgefüllt.
1 ccm würde also, wenn kein Ferment verschwunden,
= 2 mg Lab +4 2 mg Pepsin darstellen.
0,1 cem labt und klärt Ricin schnell und komplett auf,
0,01 „ labt nicht und hat nur spurweise Wirkung auf Ricin.
60 ccm einer 0,5 °/,„-Lösung werden ebenso behandelt.
1 ccm =5 mg Lab + 5 mg Pepsin,
0,01 ccm beide Reaktionen komplett,
0,001 „ beide Reaktionen negativ.
') Absolute Übereinstimmung der Grenzwerte ist nicht zu verlangen.
In den mitgeteilten und in anderen entsprechenden Versuchen schwanken
die Resultate immer ein wenig so, daß mal noch die Labreaktion, mal
die Pepsinreaktion ein wenig weiter nachweisbar. — Die Ausgangs-
lösungen ergaben bei der Prüfung übrigens gute Übereinstimmung in der
Verdünnungsmöglichkeit für beide Wirkungen, was natürlich nicht un-
bedingt zu verlangen war, da ja die Empfindlichkeit der Reaktionen
Schwankungen unterliegt.
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 67
Es konnte also auch hier kein Unterschied zwischen beiden
Wirkungen ermittelt werden.
F. Versuche mit Antikörpern.
Für die Frage der Spezifität von Lab und Pepsin sind die
Antifermente noch nicht experimentell verwertet worden. Im
normalen Serum sind ziemlich bedeutende Antilabwirkungen
aufgefunden worden, die man immunisatorisch unter Umständen
erheblich steigern konnte. Auch ein Antipepsin, allerdings ein
nicht sehr wirksames, hat Sachs!) bei der Gans immunisatorisch
herstellen können. Eine Notiz von Hahn?) deutet, wenn auch
unsicher, darauf hin, daß Normalserum antipeptisch wirkt:
„Wenn man Pepsinlösung und Serum mischt, die Mischung
24 Stunden bei 37° digeriert und alsdann die nötige Salzsäure-
menge zufügt, so tritt keine nennenswerte Wirkung mehr ein,
während die gleichfalls digerierte Kontrollprobe des Pepsins
ohne Serum fast das ganze Serumeiweiß verdaut.“ Schnappauf,
In.-Dissert, Rostock 1888 zit. nach Maly 1889 S. 200 hat
bereits angegeben, daß Blutserum Pepsin zerstört. E. Zunz
(Bull. de l’Académie Roy. de Medicine de Belgique 1905) fand
Serum auch nur wenig hemmend für die Pepsinwirkung.
Auch antitryptische Serumwirkungen sind bekannt; ob-
auch gegen die Labwirkungen der Pankreasextrakte ein Anti-
körper im Serum besteht, ist meines Wissens bisher nicht
bekannt.
Meine Versuche habe ich zunächst, da die Herstellung von
Immunserum ziemlich lange Zeit in Anspruch nimmt, mit dem
sehr wirksamen normalen Pferdeserum gemacht. — Über Ver-
suche mit Immunserum werde ich vielleicht später berichten. —
Das Normalserum wurde nach den sehr brauchbaren Angaben
von Korschun zunächst durch mehrtägige Dialyse von den diffu-
siblen Hemmungssubstanzen befreit, seine Antikörperwirkung
gegenüber dem Witteschen Lab nach der Korschunschen
Anordnung in Reihenversuchen geprüft.
Man kann sich leicht überzeugen, daß ein hochwirksames
Antilabserum keine wesentliche — wenigstens keine ohne
1) Fortschritte der Medizin 1902.
» Berliner klinische Wochenschr. 1897.
p *
68 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
weiteres nachweisbare — Antipepsinwirkung hat. Als ich ge-
rade beginnen wollte, diese Verhältnisse zu analysieren, erschien
die hochinteressante Arbeit von Morgenroth!) über die Tren-
nung von Schlangentoxin - Antitoxinverbindungen durch Säure-
einwirkungen. Es lag nahe, daran zu denken, daß der Anti-
körper vielleicht nur bei bestimmten Alkalescenz- oder Säure-
graden auf das Ferment wirken könne. Sehr schnell konnte
ich feststellen, daß schon ein sehr minimaler Säuregrad die
Wirkung des Antilabs auf das Lab behindert und daß bei
nachträglicher Zufügung von Säure zu einem unwirksamen
Lab-Antilabgemisch wieder die Labwirkung hervortritt. Es
wird nun besonders wichtig werden, das von Sachs immuni-
satorisch erhaltene Antipepsin auf die neue Fragestellung hin
wieder zu studieren, womit ich zurzeit beschäftigt bin. Sieht man
von der Sachsschen Beobachtung ab, so würde der Mangel
eines Antipepsins im Normalserum nicht wunderbar sein, wenn
seine Wirkung ebenso wie die des Antilabs durch Säure ver-
hindert wird °).
Versuche:
In 4 Röhrchen kommt 0,1 mg = 0,1 ccm Witte-Lab,
dazu überall 1 ccm Pferdeserum, das durch 48stündige
Dialyse auf das dreifache verdünnt ist, also !/s ccm Ausgangs-
serum entspricht. Diese Serummenge ist ein mehrfaches der
zur Neutralisation des Labs notwendigen Quantität,
dazu 0 — 0,1 — 0,2 — 0,3 ccm 1/10 Normal-Salzsäure
0,3 — 0,2 — 0,1 — 0 ccm Wasser.
Zuerst wird Wasser, dann die Säure, dann das Serum
und zuletzt das Lab in die Gläser getan. — Das Röhrchen
ohne Säure ist nach der Mischung trübe, die übrigen ganz klar.
1) Berliner klinische Wochenschr. 1905.
») Nicht direkt hierher gehört, soll aber doch erwähnt werden, daß
Weinlands „Antipepsin“ aus der Magenschleimhaut unwirksam wird bei
reichlichem Zusatz von Salzsäure zu dem Ferment-Antifermentgemisch.
(Ztschr. f. Biologie 44, 1902). Inwieweit bei Weinlands Versuchen
durch das Antiferment nur die für die Verdauung nötige Säure abgestumpft
war, scheint noch nicht hinreichend geklärt. Es ist wahrscheinlich so
auch zu erklären, daß R. O. Herzog (Ztschr. f. physiolog. Chemie 89,
1903) Askarispreßsaft antipeptisch fand, ohne eine Antilabwirkung zu
erhalten.
M, Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 69
Nach 15 Minuten wird überall 5 ccm mit Chloroform
versetzte Milch zugefügt. Der Versuch ist doppelt angesetzt:
a) In der ersten Versuchsabteilung bleiben die 4 Röhrchen
nach dem Milchzusatz nur 15 Minuten bei Zimmertemperatur
und kommen dann in den Brutschrank.
Es werden die Röhrchen mit 0,2 und 0,3 ccm (?/10)
Normalsäure sofort nach Erreichen der Brutschranktemperatur
gelabt, die beiden anderen auch in mehreren Tagen nicht.
b) In der zweiten Reihe kommen alle Röhrchen erst
für 20 Stunden in die Kälte, dann in den Brutschrank.
Wiederum werden die Röhrchen mit 0,2 und 0,3 ccm (!/ıo)
N.-Säure sofort gelabt, die beiden andern überhaupt nicht
verändert.
Da sich immer in derartigen Versuchen eine scharfe Grenze
für die Säure herausstellte, so war es möglich, daß die Milch
eine bestimmte Säuremenge unwirksam machte. Es wurde
deshalb ein Versuch angestellt, bei dem alles gleich gehalten
wurde, überall nur 0,1 (!/i0) Säure, aber wechselnde Milch-
mengen gewählt wurden (1, 3, 5 ccm). Aber auch bei nur
1 ccm Milch trat die Labung nicht ein, während die Labmenge
ohne Antilab und ohne Säure prompt 1 ccm Milch labte,
übrigens auch das Gemisch Lab-Antilab ohne Säure 1 ccm Milch
in keiner Weise labte.
Bei diesen Versuchen habe ich noch einige, nicht direkt
hierher gehörige Beobachtungen gemacht, die hier registriert
sein mögen, da sie noch weitere Untersuchung ermöglichen.
Fügt man zu einer leicht getrübten Lösung von Witte-Lab
dialysiertes, mit Toluol konserviertes Pferdeserum, das selbst
trübe ist, so bildet sich ein Niederschlag. Man könnte ver-
muten, daß mit dieser Niederschlagsbildung die Wirkung des
Serums auf das Lab zusammenhängt. Direkt ist das jedenfalls
nicht der Fall. Entfernt man nämlich durch Zentrifugieren
und Filtrieren den Niederschlag, so daß man eine klare Lösung
zurückbehält, so kann man in der Flüssigkeit noch die Ferment-
Antifermentverbindung nachweisen. Oder wenn wir dasselbe
ausdrücken, indem wir es noch als hypothetisch ansehen, daß
eine Verbindung entsteht, so läßt sich das durch das Antiferment
larvierte Ferment wieder in der klaren Lösung manifest machen.
Setzt man nämlich zu der klaren Lösung die Säuremenge, welche
70 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
nötig ist, um entweder die Antifermentwirkung am Zustande-
kommen zu hindern oder die eingetretene aufzuheben, so enthält
die geklärte Lösung die Labwirkung wieder. Mit Versuchen,
aus dieser Lösung die Ferment- Antifermentverbindung zu
isolieren usw., bin ich noch beschäftigt.
Die Antifermentreaktion ist also keine direkt makroskopisch
sichtbare. Damit stimmt auch eine andere bei dieser Gelegen-
heit gemachte Beobachtung überein. Fügt man nämlich zu dem
Ferment-Serumgemisch, das nicht filtriert wurde, steigende Säure-
mengen, um die Antifermentwirkung aufzuheben, so klärt sich
die Flüssigkeit vollständig, aber schon bei einem Säurezusatz,
der geringer ist als der für die Aufhebung der Antifermentwirkung
notwendige. Also ist es unwahrscheinlich, daß Entstehen und
Verschwinden der Antifermentwirkung mit der Bildung und
Auflösung des sichtbaren Niederschlags unmittelbar zusammen-
hängt.
G. Über die Labwirkung der Pankreaspräparate
und die Einwirkung der Antikörper.
Bei Versuchen mit einem von Grübler bezogenen, vor-
züglichen Trypsinpräparat habe ich nach einigen Vorversuchen
Befunde erhalten, die in bezug auf die Beziehungen der Lab-
wirkung und Verdauungswirknng von Interesse sind. Nament-
lich Pawlow und Parastschuk haben neuerdings darauf auf-
merksam gemacht, daß es nicht oder kaum gelingt, bei alkalischer
Reaktion, bei der die Verdauungswirkung des Trypsins deutlich
hervortritt, die Labwirkung der Pankreaspräparate zu beobachten.
Sie nehmen an, daß bei alkalischer Reaktion das Kasein so
schnell weitgehend aufgespalten wird, daß die Labung leicht
übersehen werden kann. In der Tat gelingt es am leichtesten,
starke Labung mit Trypsinpräparaten zu erzielen, wenn man
die Milch mit Säure — ich habe stets Salzsäure benutzt —
versetzt. Jedoch ist nur sehr wenig Salzsäure dazu nötig. Stets
habe ich ausgezeichnete Labung frischer, ungekochter Kuhmilch
mit Trypsin erhalten, wenn ich zu 100 ccm Milch 2 ccm einer
1/10 Normal-Salzsäure fügte. Da zu jedem Versuche nur 5 ccm
Milch genommen wurden, so ist der absolute Salzsäuregehalt,
der das Zustandekommen der Labung sicherstellt, ein sehr kleiner.
Der relative ist sehr gering, da zu den 5 ccm Milch ja noch
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 71
das Trypsin in 1 oder 2 ccm Wasser gelöst, hinzukam. Bei
Milch, die einige Zeit unter Chloroformzusatz in der Kälte auf-
bewahrt war, erwies sich in mehreren verschiedenen Proben der
Säurezusatz nicht als notwendig, obwohl wenigstens gegenüber
Lackmus eine Änderung der Reaktion sich nicht nachweisen
ließ. Jedoch schien es mir zuverlässiger, alle im folgenden in
Betracht kommenden Versuche mit frischer Milch unter ent-
sprechendem Säurezusatz anzustellen.
Mir lag daran, zu untersuchen, ob sich neben der bekannten
Antifermentwirkung im Pferdeserum, die gegen die Verdauungs-
wirkung des Trypsins gerichtet ist, auch eine entsprechende
gegen die Labwirkung desselben Präparates nachweisen läßt.
Das gelingt in der Tat, wenn man die Versuchsbedingungen
richtig wählt. Benutzt man Milch, die in der oben geschilderten
Art — 2 ccm !/ıo Normal-Salzsäure auf 100 ccm Milch — an-
gesäuert ist, so zeigt sich, daß das dialysierte Pferdeserum
ebenso wie gegen das Magenlab auch gegen das Pankreaslab
wirksam ist. Dabei ließ sich ein entschiedener Parallelismus
zwischen der Hemmung der Verdauung und der Labung nicht
verkennen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine absolute
Identität besteht. Das wird sich aber kaum sicherstellen lassen,
da die Prüfung an ganz verschiedenen Substraten und bei ver-
schiedener Reaktion erfolgen muß.
Bei 0,1 ccm Salzsäure (1/‚o Normal) auf 5 cem Milch tritt
also sichere und ausgesprochene Trypsinlabung ein und diese
Wirkung wird durch Zusatz von dialysiertem Pferdeserum in
bestimmbarer Quantität aufgehoben. Aber schon bei 0,3 ccm
('/ıo) Normalsäure auf 5 ccm Milch gelang es mir nicht, eine
Antifermentwirkung des Serums nachzuweisen. Die Säure ver-
stärkt auf der einen Seite die Labwirkung und verhindert die
Antilabwirkung.
Zur Prüfung der Verdauungswirkung benutzte ich die
Fermische Gelatinemethode in der von Sachs bei seinen Anti-
pepsinversuchen verwandten sehr brauchbaren Anordnung. Die
Ricinmethode habe ich hier nicht benutzt, obwohl das Trypsin
auch die Ricinlösungen aufhellt, weil die dialysierten Sera sehr
trübe sind und daher das Fehlen der Aufhellung bei Serum-
zusatz nicht leicht zu beurteilen und zu beobachten ist. Ob
die Gelatineauflösung oder das Verschwinden der Erstarrungs-
72 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
fähigkeit der Gelatine unter dem Einfluß eines einheitlichen
Trypsing stattfindet oder ob es sich um eine besondere Glutinase-
wirkung handelt, darüber habe ich keine eigenen Untersuchungen
angestellt. Wer sich Pollack!) anschließt, wird also meine
Resultate dahin formulieren müssen, daß ich einen ausge-
sprochenen Parallelismus zwischen den Antifermentwirkungen
des Serums gegenüber der Glutinase und dem Lab des unter
der Bezeichnung Trypsin von Grübler vertriebenen Pankreas-
präparates gefunden habe. Man darf aber wohl danach auch
einen Parallelismus zwischen der Antifermentwirkung gegen Lab
und eigentliche Trypsinwirkung ohne Gefahr annehmen.
Versuche:
1. In eine Reihe von Röhrchen kommt je 0,3 ccm einer
Trypsinlösung, dazu überall 0,1 ccm Salzsäure ('/ıo normal),
dann 0—0,1—0,2— usw. bis 1,0 dialysiertes Pferdeserum
(durch Dialyse auf 1/3 verdünnt) oder entsprechende Wasser-
mengen, so daß die Verdünnung überall gleich ist, natürlich
ebenso in allen anderen Reihen.
Nach 15 Minuten wird zu den Gemischen je 5cem Milch getan.
Dann kommen die Röhrchen in den Brutschrank.
Bei Serumgehalt O bis 0,5 tritt sofort Labung (d. h. bis
in einer !/2 Stunde) ein, 0,6—0,8 in 3—4 Stunden, 0,9 und
1,0 werden überhaupt nicht gelabt.
Bei einer gleichzeitig angestellten Reihe, in der alles
ebenso war, nur überall 0,3 ccm HCl (!/10 normal) zugefügt
wurde, trat überall in einer halben Stunde im Brutschrank
Labung ein.
In einer weiteren Reihe wurde wieder je 0,3 ccm der
Trypsinlösung überall angewandt, anstatt der Säure immer
0,3 com Soda (1°/,) zugetan, dieselben Serummengen und
schließlich 3 ccm einer 7°/sigen Chloroformgelatine in flüssigem
Zustand. Die Gemische kommen über Nacht in den Brut-
schrank, dann in die Kälte.
Die Proben mit Serum: 0 —0,5 bleiben flüssig,
0,6—0,7 ,„ fast ganz flüssig,
0,8 werden halb fest,
0,9—1,0 ,, ganz fest.
) Hofmeisters Beitr. 6, 1904; s. auch Ehrenreich und Pollack,
Arch. f. Verdauungskrankh. 11, 1905.
-
M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung. 73
2. Diesmal überall 0,2 ccm = 2 mg Trypsin, 0,1 Salz-
säure (1/ıo normal), ein durch Dialyse auf 1/2 verdünntes
Pferdeserum: 0—0,2—0,4—0,6—0,8—1,0. 5 Milch.
Die Proben kommen über Nacht in die Kälte, dann in
den Brutschrank.
Bei 0 Serum sofort Labung, die übrigen bleiben unverändert.
0,2 Trypsin, 0,5 Soda (1°/,), Serum wie oben, 3 ccm
Gelatine.
Die Proben mit O und 0,2 Serum bleiben flüssig, die
übrigen erstarren, nachden sie aus dem Brutschrank in die
Kälte gebracht sind.
3. 0,2 ccm Trypsinlösung, 0,1 (1/10) Säure, 0—0,6—0,7
—0,8—0,9—1,0 eines dialysierten Serums.
0 und 0,6 sofort Labung, die übrigen negativ.
0,2 ccm Trypsin, 0,3 Soda (1°/,), 3 ccm Gelatine, Serum
wie oben.
O bleibt flüssig, 0,6 halbflüssig, 0,7—1,0 erstarrt.
Schluß.
Überblickt man das experimentelle Material, das in der
Literatur niedergelegt ist, und die Ergänzungen, welche diese
Arbeit bringt, so scheint folgendes sichergestellt:
Man kann Präparate darstellen, welche wenigstens in be-
stimmten Konzentrationen nur die eine Fermentwirkung ent-
falten. Damit ist ohne Zweifel erwiesen, daß es sich nicht um
die einheitliche Reaktion eines Enzymmoleküls handelt, die in
beiden Fällen in einem für die Fermentreaktion identischen
Milieu vor sich geht. Auf der anderen Seite bestehen aber
doch so viele Übereinstimmungen zwischen beiden Reaktionen,
daß es Sache der Überlegung sein muß, sich klar zu machen,
worin das Gemeinsame bestehen kann. Also nochmals, das für
ihre Wirkung notwendige Milieu der Fermente nehmen wir
ohne weiteres als verschieden an. Es fragt sich nur, ob und
welche Gründe wir haben, Verschiedenheiten am eigentlichen
Enzymmolekül anzunehmen. Es sind zwei verschiedene Re-
aktionen. Aber Schwefelsäure als Katalysator beeinflußt auch
ganz verschiedene Reaktionen. Und schon seit Hammarsten
ist man geneigt, die Labwirkung als eine Spaltung aufzufassen,
74 M. Jacoby, Beziehungen zwischen Verdauungs- und Labwirkung.
so daß also der Unterschied zu der Pepsinwirkung in dieser
Beziehung nicht erheblich ist.
Die Antikörper hätten auf eine Differenz hinweisen können.
Das ist aber nicht der Fall. Zurzeit wenigstens bestehen nach
den Befunden dieser Arbeit keine Gründe, welche eine Spezifität
der Antikörper gegen Lab und Pepsin sicherstellen und von
dieser Seite aus eine Trennung notwendig machen. Sollten
sich bei weiteren Untersuchungen durchschlagende Differenzen
ergeben, so leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß damit nur
eng umschriebene Modifikationen der Vorstellungen bedingt sein
würden.
Jedenfalls kann wohl nicht mehr bezweifelt werden, daß
nach dem nunmehr vorliegenden Material die Zusammengehörig-
keit der Atomgruppierungen, durch welche die beiden Wirkungen
zustande kommen, zu einem einheitlichen Molekül das wahr-
scheinlichste ist. Es ist ja denkbar, daß innerhalb des Moleküls
eine verschiedene Gruppierung für die Einzelwirkung maßgebend
ist. Das wird aber erst dann als erwiesen gelten können, wenn
wirklich ein Enzym dargestellt worden ist, welches nur Lab-
oder Pepsinwirkung besitzt und wenn gleichzeitig die Unter-
drückung der fehlenden Enzymwirkung durch Hemmungsstoffe,
die das Enzym begleiten, mit Sicherheit ausgeschlossen ist.
-— —— ~-
Über das Vorkommen von Aminosäuren im Harn
der Kinder.
Von
Hans Rietschel und Leo Langstein,
Assistenten der Klinik.
(Aus dem Laboratorium der Kgl. Universitäts-Kinder-Klinik in Berlin.
Direktor Geh. Rat Heubner.)
(Eingegangen am 5. Mai 1906.)
Die Beantwortung der Frage, ob im Harn von Säuglingen
und älteren Kindern unter physiologischen resp. pathologischen
Verhältnissen Aminosäuren zur Ausscheidung gelangen, bean-
sprucht ein gewisses Interesse. Denn Pfaundler!) hat auf
Grund umfassender Untersuchungen über die Stickstoffverteilung
im Harn der Säuglinge seinerzeit die Anschauung vertreten,
daß speziell im ersten Lebenshalbjahr sich im Harn eine Gruppe
stickstoffhaltiger Körper findet, zu welcher Oxysäuren, Amino-
säuren und vielleicht auch noch andere unbekannte Substanzen
gehören. Er fand für den sogenannten Aminosäuren-Stickstoff
durchschnittlich einen Wert von 12,01 °/, des Gesamtstickstoffs,
eine Zahl, welche die von den Untersuchungen des Harns Er-
wachsener her bekannte um mehr als das Doppelte übersteigt. Ein
besonderes Relief erhalten diese Zahlen dadurch, daß Pfaundler
in einigen Fällen außerordentlich niedrige Werte für den Harn-
stoffstickstoff fand. Einmal betrug dieser sogar nur 17,2 °/, des
Gesamtstickstoffe.. Camerer?) und Keller?) kamen allerdings
ı) Pfaundler, Über Stoffwechselstörungen bei magendarmkranken
Sänglingen. Jahrbuch f. Kinderheilmethode 54, 247.
7) Camerer, Stoffwechsel des Kindes, Tübingen, Ztschr. f. Biologie
35, 218; 38, 276; 48, 13; 45, 1.
” Keller, Die Malzsuppe; Verlag von Gustav Fischer 1898.
76 B. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder.
zu anderen Resultaten. Sie fanden, daß auch vom Säugling
60—84 °/, des Gesamtstickstoffs in Form von Harnstoff zur
Ausscheidung gelangen, und Langstein und Steinitz!) konnten
in zahlreichen Untersuchungen diese Anschauung bestätigen.
Immerhin blieb die Frage, ob nicht doch im Harn der Säug-
linge abnorme Stoffwechselendprodukte zur Ausscheidung ge-
langen, eine unbeantwortete, denn es fehlte bis vor kurzer Zeit
an einer direkten Methode, um die Ausscheidung von Amino-
säuren im Harne zu beweisen. Die indirekte Methode, der sich
Pfaundler?) wie auch späterhin Krüger und Schmidt?) be-
dienten, sagt, wie Ignatowski*) in einer Arbeit aus der Klinik
Friedrich Müllers ausführte, über das Vorhandensein von
Aminosäuren in Harn nichts aus. Denn diese Methode berück-
sichtigt nicht nur die Ausscheidung von Aminosäuren, sondern
auch die der Hippursäure, des Kreatins, des Indoxyls, des
Allantoins, und vielleicht auch die der Oxyprotsäure: Sub-
stanzen, über deren Ausscheidungsverhältnisse im Kindesalter
wir noch kaum unterrichtet sind. Dazu gesellt sich noch der
von Ignatowski betonte Umstand, daß die Methode selbst in
geübten Händen oftmals beträchtliche Fehler gibt. Von diesen
Erwägungen geleitet, haben wir versucht, über die Ausscheidungs-
verhältnisse von Aminosäuren im Harn der Säuglinge und
älteren Kinder zur Klarheit zu gelangen mit Hilfe der Me-
thode, um die Emil Fischer und Bergell®) die wissen-
schaftliche Forschung bereichert haben. Sie beruht darauf, daß
die Aminosäuren enthaltende Flüssigkeit mit Naphthalinsulfo-
chlorid bei schwach alkalischer Reaktion geschüttelt wird, wobei
sich die Naphthalinsulfoverbindungen der Aminosäuren bilden.
Bei schwach saurer Reaktion werden diese ausgefällt und identi-
fiziert. Wir können es uns hier versagen, ausführlich auf die
Methode einzugehen. Sie findet ihre eingehende Schilderung
) Langstein u. Steinitz, Die Kohlenstoff- und Stickstoffaus-
scheidung durch den Harn beim Säugling und älteren Kinde. Jahrbuch
f. Kinderheilk. 61, 94.
”, Pfaundler, Ztschr. f. physiol. Chem. XVII.
”, Krüger u. Schmidt, Ztschr. f. physiol. Chem. XXXI, 556.
^ Ignatowski, Über das Vorkommen von Aminosäuren im Harn,
vorzugsweise b. Gicht. Ztschr. f. physiol. Chem. 92, 388, 1904.
», Emil Fischer u. P. Bergell, Über 3 Naphthalinsulfoderivate
der Aminosäuren. Berichte der deutschen chem. Ges. XXXV, 3779, 1902.
H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 77
in den Arbeiten von Emil Fischer und Bergell, und die
Modifikation, deren wir uns bedienten, hat Ignatowski aus-
führlich bekannt gegeben. Gehen wir nun zur Mitteilung der
Resultate über.
Zunächst wurde der Harn natürlich ernährter Säuglinge
untersucht. Aus 180 ccm konnte keine kristallinische Ver-
bindung isoliert werden. Ebensowenig gelang dies mit einer
Menge von 4!'/3 Liter eines Mischharns, die auf dem Wasser-
bade eingeengt worden war und streng nach den Vorschriften
von Ignatowski verarbeitet wurde. In 560 ccm des Harns
eines mit Buttermilch ernährten Säuglings bildete sich nach der
Ansäuerung ein geringer amorpher Niederschlag, aus dem sich
Kristalle nicht gewinnen ließen.
Ferner wurde der Harn von Kindern untersucht, die eine
an Eiweißspaltungsprodukten relativ reiche Ernährung erhielten,
die Malzsuppe. Es wurden je 450 resp. 725 ccm untersucht.
In letzterem Falle wurde allerdings ein etwas reichlicheres
braunes amorphes Pulver gewonnen, dessen Einheitlichkeit je-
doch nicht feststand, weswegen auf eine genaue Analyse ver-
zichtet wurde. Auf Grund dieser Resultate müssen wir zu der
Anschauung gelangen, daß sich unter normalen Verhält-
nissen im Harn natürlich und künstlich genährter
Säuglinge Aminosäuren in einer irgendwie in Betracht
kommenden Menge im freien Zustande nicht finden;
denn die von uns angewandte Methode ließ sich dadurch als
einwandfrei erweisen, daß wir mit ihrer Hilfe dem Harn in
geringer Menge zugesetzte Aminosäuren im kristallinischen Zu-
stande isolieren konnten. Aus der Anwesenheit amorpher
Niederschläge hingegen die Gegenwart von Aminosäuren zu er-
schließen, halten wir ebenso, wie Abderhalden und Schitten-
helm!) und auch Samuely?) für unstatthaft.
Ehe wir an einen Vergleich unserer Resultate mit denen der
bei Erwachsenen angestellten Untersuchungen herangehen, wollen
wir noch kurz mitteilen, wie sich die Ausscheidung der Amino-
säuren beim älteren Kinde bei pathologischen Zuständen ver-
)Abderhalden u. Schittenhelm, Über den Gehalt des normalen
Menschenharns an Aminosäuren. Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 4—6, 339.
”, Samuely, F., Zur Frage der Aminosäuren im normalen u. patho-
log. Harn; Ztsch. f. physiol. Chem. 47, 4—6, 376.
78 H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder.
hält. Bei einem Kind ließ sich während der Lösung einer
krupösen Pneumonie aus dem Harn 0,32 g Leucin isolieren.
Die Identifikation geschah nach der alten Methode der Aus-
fällung wie Kristallisation und der Reinigung über das Kupfer-
salz. 0,334 Kupfersalz hatte einen Gehalt an CuO von 24,81 °/o.
(Berechnet CuO = 24,75 °/),.) Die Menge des vorhandenen
Leucins war sicherlich eine größere. Leider gelangte in dieser
zwei Jahre zurückliegenden Untersuchung noch nicht die von
Emil Fischer angegebene Methode zur Anwendung, sodaß sich
über die wahre Menge des Leucins wie auch die eventuelle
Anwesenheit anderer Aminosäuren nichts aussagen läßt.
Die Untersuchungen des Harns bei Pertussis, dem ins-
besondere russische Autoren eine abnorme Zusammensetzung
zuschreiben, ergab zwar die Anwesenheit größerer Mengen
amorpher Niederschläge, jedoch ließ sich ein einheitliches Pro-
dukt nicht isolieren.
Die Untersuchung des Harns in einem Falle von infantilem
Myxödem durch Hougardy und Langstein!) ergab sowohl
in der unbehandelten als auch in der Tyreoidinperiode, in der
es zu einer Einschmelzung von Körpergewebe kam, ein absolut
negatives Resultat. Dasselbe gilt von den von uns untersuchten
Fällen von Diabetes?) sowohl während der vorkomatösen Zeit
als auch während des Komas, währenddessen Abderhalden in
einem von ihm untersuchten Falle Tyrosin nachgewiesen hat,
ein Befund, den er auf die herabgesetzte Oxydationsfähigkeit
des Organismus bezieht.
Auf Grund unserer Untersuchungen können wir ferner
mitteilen, Jaß wir in einem Falle von Morbus coeruleus eine
beträchtliche Ausscheidung von mit Naphthalinsulfochlorid, wie
auch mit dem Neubergschen?) Reagens, dem «-Naphthylcyanat,
reagierende Substanzen erhielten, mit deren Aufarbeitung wir
gegenwärtig noch beschäftigt sind. Auf diese Verhältnisse
wird anläßlich unserer noch nicht abgeschlossenen Unter-
ı) Hougardy u. Langstein, Stoffwechselversuch an einem Fall
von infantilem Myxödem; Jahrb. f. Kinderheilkunde 61, 4.
» L. Langstein, Beiträge zur Kenntnis des Diabetes mellitus im
Kindesalter; Deutsche medizin. Wochenschr. 12, 1905.
» C. Neuberg u. A. Manasse, Berichte d. deutschen chem. Ges. 38,
2359 (1905).
H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder. 79
suchungen über den Stoffwechsel bei Morbus coeruleus zurück-
zukommen sein.
Vergleichen wir nun die kurz mitgeteilten Resultate mit
den bisher vorliegenden an Erwachsenen, so stehen sie mit diesen
zum Teil in guter Übereinstimmung. Allerdings haben Embden
und Reese!), nachdem die Untersuchungen von Ignatowski
erschienen waren, der das Vorkommen von Glykokoll im Ham
einiger Fälle von Gicht mitteilte, betont, daß sich in jedem
normalen Harne Glykokoll nachweisen lasse, wenn man die von
Emil Fischer und Bergell angegebene Methode dahin modi-
fiziere, daß man anstatt bei schwach alkalischer Reaktion bei
stark alkalischer mit Naphthalinsulfochlorid schüttele. Bis
zu einem gewissen Grade wurden diese Untersuchungen auch
bestätigt und Forßner?) betont auf Grund neuerlicher Unter-
suchungen an der Klinik Friedrich Müllers, daß es sehr
wohl möglich sei, daß freies Glykokoll im normalen Harne oft
vorkomme, daß die Glykokollausscheidung jedoch keineswegs
regelmäßig sei. Zu demselben Resultat waren gleichzeitig
Wohlgemuth und Neuberg?) gelangt, die sich des Naphthyl-
cyanats bei ihren Untersuchungen bedienten und eine Aus-
scheidung von in Betracht kommenden Mengen Glykokolls
nicht nachweisen konnten. Abderhalden und Schittenhelm
erhielten, wenn sie nach der Vorschrift von Emil Fischer und
Bergell arbeiteten, in zahlreichen Versuchen am normalen
Menschenharn keine ß-Naphthalinsulfoderivate. Sie betonen,
wie früher schon Neuberg und Wohlgemuth, daß das Gly-
kokoll, wenn es vorhanden, kaum im freien Zustande, sondern
sicher nur als Verbindung vorhanden sei, aus der es durch die
Methodik von Embden und Reese abgespalten werde. Welcher
Art diese Verbindung sei, lassen sie dahingestellt und erwähnen
nur kurz die Möglichkeit, daß diese Abspaltung entweder aus
der von Embden und Reese supponierten labilen Ureidosäure
oder dem von Bondzynski entdeckten und von Abderhalden
1) Embden u. Reese, Hofmeisters Beitr. z. chem. Physiol. u.
Pathol. 7, 411 (1905).
» Forßner, s. Über das Vorkommen von freien Aminosäuren im
Harn und deren Nachweis; Ztschr. f. physiol. Chemie 47, 15, 1906.
» Wohlgemuth u. Neuberg, Zur Frage des Vorkommens von
Aminosäuren im normalen Harn; Medizin. klinische Wochenschr. 9, 1906.
80 H. Rietschel und L. Langstein, Aminosäuren im Harn der Kinder.
und Pregl’) untersuchten schwer dialysierbaren Eiweißabkömm-
ling herrühre.
In einem gewissen Gegensatz zu den genannten Unter-
suchungen, wie auch zu der uneerigen, stehen die Resultate der
Arbeit von Samuely, der im normalen Harn Erwachsener
wie auch Neugeborener Glykokoll immer nachweisen konnte
und die stark alkalische Reaktion für keine conditio sine qua
non für den qualitativen Nachweis hielt. Samuely hat in
600 ccm des Harns von Neugeborenen immerhin quantitativ
bestimmbare Mengen von Glykokoll erhalten. Die von Sa-
muely verarbeitete Harnmenge (600 ccm) ist zu groß, als daß
sie die Tagesmenge eines Individuums repräsentieren könnte.
Somit ist die Verallgemeinerung des von Samuely erhobenen
Befundes vorläufig nicht statthaft, und unsere Untersuchungen
sprechen sogar direkt dagegen, daß freie Aminosäuren ein regel-
mäßiger Bestandteil des Harns an der Brust ernährter Säuglinge
sind. Damit soll natürlich keineswegs bestritten werden, daß
sich dieser stickstoffhaltige Körper unter Umständen im Säug-
lingsharn finden kann, für dessen Entstehung im kindlichen
Organismus nicht nur der intermediäre Stoffwochsel, sondern
nach den Untersuchungen von Abderhalden und Hunter’)
auch gewisse Milcheiweißkörper die Quelle abgeben können.
Inwieweit und unter welchen Verhältnissen stomachal ein-
verleibte Aminosäuren beim Säugling zur Ausscheidung gelangen,
darüber wird demnächst der eine von uns gemeinsam mit
L. F. Meyer berichten.
1) Über einen im normalen menschlichen Harn vorkommenden schwer
dialysierbaren Eiweißabkömmling; Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 19, 1905.
”), Abderhalden u. Hunter, Vorläufige Mitteilung über den Ge-
halt der Eiweißkörper der Milch an Glykokoll; Ztschr. f. physiol. Chemie
47, 704, 1906.
Über Lecithinzucker und Jekorin sowie über das
physikalisch-chemische Verhalten des Zuckers im Blut.
Von
Paul Mayer-Karlsbad.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 7. Mai 1906.)
Seit der Entdeckung des Jekorins durch Drechsel?) ist
diese Substanz nur selten Gegenstand physiologisch -chemischer
Untersuchungen gewesen. Drechsel selbst hatte bereits fest-
gestellt, daß der von ihm aus dem Alkohol-Ätherextrakt der
Pferdeleber dargestellte Körper eine reduzierende, den Lecithinen
nahestehende Na- und S-haltige Substanz ist, und hatte die
wichtigsten chemischen Eigenschaften und Reaktionen derselben
mitgeteilt.
Später sind auch aus anderen Organen — Milz, Gehirn, Blut
(Baldi?)) und Nebennieren (Manasse°)) — nach demDrechsel-
schen Verfahren Substanzen isoliert worden, die sich im wesent-
lichen wie das Drechselsche Jekorin verhielten, jedoch in
ihrem Reduktionsvermögen und in den erhaltenen Analysen-
zahlen nicht unerheblich voneinander abwichen. Die wichtig-
sten Aufschlüsse über die chemische Konstitution des Jekorins
sind in Hoppe-Seylers Laboratorium von Manasse erbracht
worden. Dieser wies in dem aus Pferdeleber dargestellten
Jekorin die Spaltungsprodukte des Lecithins nach, indem er
) Drechsel, Journal f. prakt. Chemie 88, 425. 1886.
» Baldi, Archiv f. Physiologie Suppl. 1887, Suppl. S. 100.
» Manasse, Ztschr. f. physiol. Chem. 20, 478. 1895.
Biochemische Zeitschrift Band I. 6
82 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
durch Kochen mit Barytwasser Cholin, Glyzerinphosphorsäure
und Fettsäuren isolierte. Manasse bestimmte weiterhin die
reduzierende Substanz des Jekorins näher, indem er das Osazon
desselben darstellte, das einen Schmelzpunkt von 204° hatte
und deshalb als Glukosazon von ihm angesprochen wurde.
Die nächsten Autoren, welche sich mit dem Jekorin beschäftigten,
haben ihr Interesse vorwiegend der von Baldi festgestellten
Tatsache zugewendet, daß Jekorin auch im Blute vorkommt.
Nachdem schon lange vermutet worden war, daß außer
dem Traubenzucker noch andere reduzierende Substanzen im
Blute vorhanden sind, hat Otto!) durch genaue quantitative
Bestimmungen nachgewiesen, daß neben der gärungsfähigen
Dextrose noch gärungsunfähige reduzierende Substanzen im
Blute vorkommen, über deren chemische Natur der Autor
nichts Sicheres aussagen konnte. Gestützt auf die Tatsache,
daß das Jekorin in den Ätherauszug des Blutes übergeht und
nach der Angabe Baldis Kupferoxyd reduziert, hat zuerst
Jacobsen?) die gärungsunfähige Substanz des Blutes für
Jekorin erklärt, und die weiteren Forschungen dieses Autors
gehen sämtlich von der Voraussetzung aus, daß alle äther-
löslichen reduzierenden Substanzen des Blutes Jekorin sein
müssen. Weder Jacobsen, der nur das Leberjekorin genauer
untersucht hat, noch der nächste Untersucher, Henriques?),
haben Jekorin aus dem Blute dargestellt; sie haben also weder
die chemischen Eigenschaften des Blutjekorins näher studiert,
noch haben sie, was doch vor allem notwendig gewesen wäre,
sich über die Natur der reduzierenden Substanz des Blutjekorins
unterrichtet. Und ohne mit der Möglichkeit zu rechnen, daß
im Blute noch andere reduzierende Substanzen vorhanden sein
können, die gleichfalls in Äther löslich, aber nicht mit dem
Jekorin identisch sind, haben die genannten Autoren, nachdem
sie festgestellt hatten, daß in vielen Fällen der in Äther lösliche
Teil der reduzierenden Substanz der überwiegende ist, die Be-
hauptung aufgestellt, daß der größte Teil des Blutzuckers nicht
als solcher, sondern an Lecithin gebunden, als Jekorin im
') Otto, Pflügers Archiv 85, 1885.
» Jacobsen, Zentralbl. f. Physiol. 1892 u. Skandin. Archiv
für Physiol. 6, 262. 1895.
» Henriques, Ztschr. f. physiol. Chem. 28, 244. 1897.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 83
Blute kreis. Nachdem dann Bing'), der die sorgfältigsten
Untersuchungen nach dieser Richtung ausgeführt, aber leider
gleichfalls die Voraussetzung Jacobsens als feststehende Tat-
sache hingenommen hat, gezeigt hatte, daß durch Zusammen-
bringen von Lecithin und Glukose Lecithinzucker entsteht, galt
es um so mehr als ausgemacht, daß das Jekorin nichts anderes
als eine Verbindung von Lecithin und Traubenzucker ist,
und der Zucker de norma nicht frei, sondern gebunden im
Blute kreist.
Kolisch?), der ebenfalls lebhaft für diese Anschauung ein-
getreten ist, hat allerdings selbst zugegeben, daß die von ihm
gemeinschaftlich mit Steyskal ausgeführten Versuche nicht
stichhaltig sind, weil, wie die Autoren sich nachträglich über-
zeugten, bei der von ihnen angewendeten Jacobsen-Henriques-
schen Methode auch Traubenzucker in den Ätherauszug des
Blutes übergehen kann.
Später hat sich Kolisch?) auf Grund von klinischen Tat-
sachen und Beobachtungen für die Anschauung von der Bindung
des Traubenzuckers im Blut ausgesprochen.
Ich habe bereits vor fünf Jahren gelegentlich meiner
Untersuchungen über das Vorkommen der Glukuronsäure im Blut
darauf hingewiesen, daß jedenfalls ein Teil der von den Autoren
als Jekorin angesprochenen Substanz gepaarte Glukuronsäure ist,
da ja die Glukuronsäureverbindung des Blutes ebenfalls in den
Ätherextrakt übergeht‘). Seither haben Lépine und Boulud’)
in zahlreichen Arbeiten den Nachweis geführt, daß in vielen
Fällen gerade der Glukuronsäuregehalt des Blutes nicht un-
erheblich gesteigert ist, so daß eine Vermehrung der äther-.
löslichen reduzierenden Substanz oft auf die Glukuronsäure zu
beziehen ist. Um daher zu zeigen, ob der Jekoringehalt des
Blutes erhöht ist, ist es nicht angängig, einfach die Menge der
ätherlöslichen reduzierenden Substanz zu bestimmen, wie dies
) Bing, Skandin, Archiv f. Physiol. 9, 336. 1896.
?) Kolisch und Steyskal, Wiener klin. Wochenschr. 1897,
1101—1103; 1898, 135.
”, Kolisch, Diätetische Therapie 1900.
*, P. Mayer, Ztschr. f. physiol. Chem. 82, 518. 1901.
») Lépine et Boulud, Comptes rendus des séances de l'Académie
des Sciences 1903—1905.
6*
84 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Jacobsen, Henriques, Bing, Kolisch und Steyskal getan
haben.
Zweifellos ist die Frage, ob der Zucker in freiem Zustande
oder gebunden im Blute zirkuliert, für unsere ganzen Vor-
stellungen vom Zuckerumsatz im Tierkörper von größter Wichtig-
keit; aber so verlockend die Hypothese von der Bindung des
Zuckers auch erscheinen mag — und es ist nicht zu leugnen,
daß sie mit manchen unserer modernen Vorstellungen gut im
Einklang steht — so muß doch gerade bei der Bedeutung
dieser Frage betont werden, daß ein Beweis für die Richtigkeit
dieser Anschauung bisher nicht erbracht ist.
Der Wunsch, zur Klärung dieser Verhältnisse beizutragen,
war es, der mich veranlaßte, mich mit dem Jekorin näher zu
beschäftigen, und so habe ich bei den im folgenden mitzu-
teilenden Untersuchungen diese Frage in erster Linie ins Auge
gefaßt. Da das Jekorin von verschiedenen Autoren im wesent-
lichen als eine Verbindung von Lecithin und Traubenzucker
aufgefaßt wird, erschien es mir notwendig, zunächst die künst-
liche Lecithinglukose näher zu studieren, um sie mit dem
natürlich vorkommenden Jekorin vergleichen zu können, und
dann das Jekorin selbst eingehender zu untersuchen.
Meine Versuche sind allerdings noch nicht zum Abschluß
gelangt — aber da ich dieselben erst im nächsten Winter
wieder aufnehmen kann, wollte ich die Mitteilung meiner
bisherigen Ergebnisse nicht verzögern.
I. Lecithinglukose.
Über diese hat Bing!) bereits berichtet. Er hat in alko-
holischen Lecithinlösungen verschiedene Mengen von Glukose
aufgelöst und den Alkohol im Vakuum bei 42° abgedampft.
Wenn im Verhältnis zur Glukosemenge viel Lecithin vorhanden
war, so löste sich der Abdampfungsrückstand vollständig klar
in wasserhaltigem Äther; wenn jedoch viel Glukose zugegen
war, so blieb ein weißer Niederschlag zurück, von dem der
Äther abfiltriert wurde. Der Abdampfungsrückstand desselben
wurde mit 20°, HSO, gespalten und gab nach Neutralisation
eine Zuckerreaktion bei Behandlung mit Fehlingscher Lösung.
) Bing, a.a. O.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 85
Es war also Glukose in die Ätherlösung übergegangen. Durch
Zusatz von Alkohol zu der ätherischen Lösung entstand eine
Fällung, die durch Überschuß ganz oder teilweise wieder auf-
gelöst wurde. Umgekehrt fand Bing, daß der Lecithinzucker
aus einer Alkohollösung durch Äther gefällt wird. Auf Grund
dieser Reaktionen glaubt Bing, daß die Lecithinglukose eine
echte chemische Verbindung ist und spricht sich gegen die
Annahme aus, daß der Zucker durch die Anwesenheit des
Lecithins, ohne sich mit demselben zu verbinden, ätherlöslich
wird. Die rein dargestellte Substanz selbst hat Bing nicht
untersucht. Da nun das Jekorin ganz ähnliche Löslichkeits-
verhältnisse Alkohol und Äther gegenüber zeigt, so kommt
Bing zu dem Schluß, daß Jekorin und Lecithinglukose identische
oder wenigstens einander sehr nahestehende Verbindungen
seien. Schwefel und Natrium, die stets im Jekorin zu finden
sind, rühren seiner Ansicht nach lediglich von Verunreinigungen
der Präparate her.
Für meine Versuche habe ich das schon für andere Zwecke
von mir verwendete Lecithin der hiesigen Anilinfabrik mit der
Handelsmarke „Agfa“ und reinsten, kristallisierten Trauben-
zucker benützt. Das Lecithin wird unter Schütteln in Alkohol
gelöst; der Traubenzucker wird zunächst in einer Spur Wasser
gelöst und dann mit absolutem Alkohol versetzt. Beide Lösungen
werden filtriert, und die so resultierende völlig klare alkoholische
Lösung in einer Schale auf dem Wasserbad bis zur Sirup-
konsistenz eingeengt. Es ist nicht nötig, nach dem Vorgang von
Bing die Einengung im Vakuum vorzunehmen, da, wie ich mich
überzeugte, die Lecithinglukose bei Einengung auf dem Wasser-
bad ganz in der gleichen Weise entsteht. — Der Abdampfungs-
rückstand wird nun in Äther aufgenommen. Dabei zeigt es sich,
daß je nach den angewandten Mengen der Rückstand in Äther
entweder völlig löslich ist, oder daß ein Teil des Traubenzuckers
ungelöst zurückbleibt. Im letzteren Falle machte ich dieselbe
Erfahrung wie Bing, daß nämlich der ungelöste Traubenzucker
in feinster Emulsion im Äther suspendiert ist, so daß eine
Trennung desselben vom Äther äußerst schwierig und nicht
einmal nach Absetzenlassen der Flüssigkeit im Scheidetrichter
durch wiederholtes Filtrieren und selbst Zentrifugieren der
Lösung stets zu erzielen ist.
86 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Da hierbei die rasche Verdunstung des Äthers eine weitere
Störung ist, habe ich mich bemüht, das Verhältnis zwischen
dem Lecithin und der Glukose so zu wählen, daß der alkoholische
Abdampfungsrückstand sich völlig klar löste. Durch eine Reihe
von Versuchen stellte es sich heraus, daß dies meist der Fall
ist, wenn man Lecithin und Traubenzucker im Verhältnis von
5:2 zusammenbringt. Ich habe dieses Verhältnis bei den
meisten Versuchen innegehalten. Einige Male aber beobachtete
ich, daß trotz Einhaltens desselben Mengenverhältnissee der
Rückstand sich sehr schwer im Äther löste. Ich habe dann bis-
weilen noch im letzten Moment, nachdem schon fast alles
gelöst war, ganz plötzlich eine Trübung eintreten sehen. An
anderer Stelle werde ich auf diese Beobachtung noch zu sprechen
kommen und will hier nur betonen, daß möglicherweise auch
der Wassergehalt des Äthers hierbei mitspielt. Am zweck-
mäßigsten erwies es sich mir, einen Äther, der etwa 10°%
Wasser enthielt, zu benutzen.
Diese Störungen traten nun seltener ein, wenn ich anstatt
des Äthers ein anderes Lösungsmittel benutzte — nämlich
Benzol, in dem der alkoholische Abdampfungsrückstand sich
zu einer vollständig klaren Flüssigkeit löst. Die Anwendung
von Benzol anstatt des Äthers hat noch den gewichtigen Vor-
teil, daß in den Fällen, wo ein Überschuß von Glukose ge-
nommen war, der ungelöst zurückbleibende Traubenzucker sich
vom Benzol viel leichter als vom Äther trennen läßt. Aus diesen
Gründen habe ich mich meistens des Benzols und nicht des
Äthers bedient. Die Lösungen werden nun zunächst ca. 8 Stunden
stehen gelassen, und dann von dem spontan abgeschiedenen
Traubenzucker!) abfiltrier. Versetzt man die filtrierte, voll-
ständig klare Äther- oder Benzollösung vorsichtig mit absolutem
Alkohol, so fällt die Lecithinglukose in gelblich-weißen Flocken
aus, die im Überschuß des Fällungsmittels sich zum Teil wieder
lösen. Daß der entstehende Niederschlag nicht freies Lecithin
und ebensowenig freie Glukose sein kann, ist von vornherein
klar. Es kann sich nur um eine in irgend welcher Weise zu-
stande gekommene Verbindung beider Substanzen handeln, da
jede für sich durch die geschilderte Prozedur nicht gefällt
—
') Dieser Punkt wird an anderer Stelle noch besprochen werden.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 87
werden konnte, und da andrerseits der Niederschlag sowohl
Lecithin wie Glukose enthält. Der Ausdruck „Verbindung“
soll aber keineswegs präjudizieren, daß es sich hier wirklich
um eine echte chemische Verbindung handelt, sondern soll nur
andeuten, daß Lecithin und Traubenzucker irgendwie mitein-
ander in Relation getreten sind. Die Frage, ob die Lecithin-
glukose als wirkliche Verbindung zu betrachten ist, wird später
noch erörtert werden.
Die Lecithinglukose setzt sich nach Fällung derselben aus
der Benzollösung sehr gut ab, so daß die darüber stehende
Flüssigkeit sich bequem abgießen läßt. Der Niederschlag wird
nun zunächst, ohne ihn aus dem Becherglas zu entfernen, noch-
mals in Benzol gelöst, filtriert und wiederum mit absolutem
Alkohol gefällt. Schließlich wird der Lecithinzucker, der un-
gemein hygroskopisch ist, mit den letzten Resten der anhaften-
den Flüssigkeit im Becherglas mehrere Tage im Vakuumexsikkator
über Phosphorpentoxyd getrocknet. Auf diese Weise erhält man
ein fast farbloses Pulver, das sehr schnell bei Berührung mit
Luft Wasser anzieht, sich bräunt und schließlich verschmiert.
Wenn man aber die Substanz rasch, möglichst unter der Exsik-
katorglocke in ein gut verschließbares Gefäß bringt, läßt sie sich
unverändert als trockenes Pulver aufheben. Die nach dem ge-
schilderten Verfahren dargestellte Substanz löst sich leicht in
Wasser zu einer opaken Flüssigkeit, ist im Gegensatz zu ihrem
Verhalten, solange sie noch feucht ist, unlöslich in Äther
und kann auch in Benzol jetzt nur noch unvollständig gelöst
werden. —
Die wässerige Lösung wird durch konzentrierte Chlornatrium-
oder Chlorbaryumlösung gefällt, ebenso durch Silbernitrat. Die
silberhaltige Lösung wird nach Zusatz von NH; klar und färbt
sich beim Erhitzen rot: Reaktionen, die in derselben Weise vom
Jekorin gegeben werden. Der Nachweis von Phosphor gelingt
leicht, indem in der gewöhnlichen Weise die Substanz mit
Salpetermischung geschmolzen, die Schmelze in verdünnter
HNO, gelöst usw., und dann mit molybdänsaurem Ammon ver-
setzt wird. Die Lecithinglukose reduziert stark Kupferoxyd in
alkalischer Lösung, zeigt starke Gärung und gibt bei Behand-
lung mit essigsaurem Phenylhydrazin ein Osazon, das bei 205°
schmilzt.
88 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Den Gehalt an Traubenzucker habe ich quantitativ durch
eine Reduktionsbestimmung und zwar durch Wägung des aus-
geschiedenen Kupferoxyduls festgestellt. Es ergaben sich für
0,1 g Lecithinglukose 0,0845 g Glukose. Die Lecithinglukose
enthält demnach 84,5°/, Traubenzucker. Dieser Wert stimmt
sehr gut mit dem durch eine quantitative Gärungsbestimmung
erhaltenen überein. Ich fand mittels des Lohnsteinschen
Apparates!) 85°/, Glukose. —
Die Elementaranalyse der Lecithinglukose sowie des von
mir benuzten Lecithins (Agfa) ergab folgendes Resultat. Des
Vergleiches halber stelle ich die Zahlen für Traubenzucker da-
neben:
Leeithinglukose | Lecithin | Glukose
C = 38,7%, 65%, 40°,
H = 9,29 YA 10,8 h 6,7 ho
N = 1,09% 1,8 lo —
P = 0,66%, 3,9% =
16) == 50,26 % 18,5 o 53,8 fo
Auffallend in der elementaren Zusammensetzung der Lecithin-
glukose ist der niedrige Phosphorgehalt und der außerordentlich
hohe Gehalt an Traubenzucker.
Die Analysen?) würden darauf hindeuten, daß ein phosphor-
haltiger Komplex bei der Vereinigung von Traubenzucker und
Lecithin aus letzterem ausgetreten wäre. Doch die Entscheidung
dieser Frage muß einer größeren Reihe von Analysen vorbehalten
bleiben, die ich mit Produkten verschiedener Darstellungen noch
vornehmen möchte.
Was nun die Frage anlangt, ob wir in der Lecithinglukose
eine echte Verbindung zu erblicken haben, so sei zunächst darauf
hingewiesen, daß, wenn es sich um eine solche handelt, wir
ı) Quantitative Gärungsbestimmungen durch „Ablesung“ sind bei
wissenschaftlichen Untersuchungen mangels einer einwandsfreien Methode
bisher kaum ausgeführt worden. Ich kann den Lohnsteinschen Apparat,
der sich in der Praxis bereits bewährt hat, auch für wissenschaftliche
Versuche warm empfehlen. Wie ich mich durch zahlreiche Kontrollversuche
überzeugt habe, arbeitet er sehr exakt und liefert mindestens so genaue
Resultate wie die verschiedenen Reduktionsmethoden.
») Dieselben sind wegen der enormen Hygroskopizität besonders
schwierig auszuführen.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 89
über die Art der Bindung vor der Hand gar nichts aussagen
können. Es ist a priori möglich, daß es verschiedene solcher
Verbindungen gibt, je nach den Mengen Lecithin und Trauben-
zucker, die man aufeinander einwirken läßt; es ist also denkbar,
daß, wenn man die beiden Substanzen in einem anderen Mengen-
verhältnis zusammenbringt, als ich es gewählt hatte, sie auch
in einem anderen molekularen Verhältnis zueinander in Relation
treten, so daß die von mir mitgeteilten Analysenzahlen zunächst
nur für die unter den geschilderten Bedingungen von mir dar-
gestellte Lecithinglukose in Betracht kommen.
Um diese Möglichkeit experimentell zu prüfen, muß man
verschiedene Lecithin- und Zuckermengen aufeinander einwirken
lassen und die elementare Zusammensetzung aller erhaltenen
„Lecithinglukosen“ feststellen. Bisher habe ich diese Versuche
noch nicht ausführen können. Sehr erschwert werden alle
diese Untersuchungen durch die leichte Spaltbarkeit der Lecithin-
glukose. Wenn man die trockene Substanz in wasserhaltigem
Äther löst, so scheidet sich beim Stehen der Lösung ganz all-
mählich — innerhalb 1—2 Tagen — ein Teil des Trauben-
zuckers ab, der leicht als solcher identifiziert werden kann.
Lecithin läßt sich in dem Niederschlag nicht nachweisen. Läßt
man diese ätherische Lösung auf dem Wasserbade verdunsten,
so kann die Spaltung eine vollständige werden, indem der Rück-
stand dann eine fast völlige Trennung von Lecithin und Glukose
zeigt. Nimmt man jetzt den Rückstand in Benzol auf, so gehen
nur noch Spuren oder gar kein Zucker mehr ins Benzol über,
so daß die Benzollösung nur noch schwach oder gar nicht
reduziert, und durch Zusatz von absolutem Alkohol eine sehr
geringe oder keine Fällung mehr entsteht.
Wenn man diese Versuche nicht mit der isolierten Lecithin-
glukose, sondern, wie es Bing ausschließlich getan hat, mit
dem Ätherauszug des ursprünglichen alkoholischen Abdampfungs-
rückstandes oder mit dem Benzolauszug anstellt, so fällt eben-
falls ein Teil des Traubenzuckers aus. Die Abscheidung der
Glukose beginnt aber viel rascher, als dies bei der Äther- oder
Benzollösung der reinen Lecithinglukose der Fall ist. Schon
nach 1—2 Stunden, oft — je nach den angewandten Mengen —
noch früher kann man eine Ausscheidung von Traubenzucker
wahrnehmen; ja bisweilen beginnt dieselbe, wie oben beschrieben,
90 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
schon, bevor noch der ganze alkoholische Abdampfungsrückstand
völlig gelöst ist. — Nach einigen Stunden scheint zunächst die
Abscheidung beendet zu sein; nach Ablauf von 1—2 Tagen
jedoch hat die Menge des Niederschlages deutlich zugenommen.
Diese Beobachtung macht es wahrscheinlich, daß ein Teil des
im Benzol oder Äther übergegangenen Traubenzuckers mit dem
Lecithin gar nicht in feste Verbindung tritt, und daher sehr bald
wieder ausfällt, während der an das Lecithin herantretende
Anteil sich später durch Spaltung der Lecithinglukose zum Teil
auch wieder abscheidet. Jedenfalls darf man quantitative Be-
stimmungen über die Glukosemenge, die im Lecithinzucker vor-
handen ist, nicht, wie dies Bing bei seinen Versuchen getan
hat, in dem Ätherextrakt des alkoholischen Abdampfungsrück-
standes ausführen, ohne diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen;
und wenn Bing!) zu dem Schluß kommt, daß es mehrere Ver-
bindungen zwischen Lecithin und Zucker gibt, daß bald mehr,
bald weniger Moleküle Zucker an jedes Molekül Lecithin ge-
bunden sind, so mag dies zutreffen; seine Versuche jedoch
können zur Entscheidung dieser Frage nicht herangezogen werden.
Es ist unbedingt erforderlich, alle Untersuchungen mit der
isolierten, rein dargestellten Lecithinglukose selbst auszuführen.
Die leichte Spaltbarkeit der Lecithinglukose zeigt sich auch darin,
daß bereits mehrfaches Waschen der Substanz mit Alkohol
genügt, um eine Spaltung herbeizuführen. —
Ich habe nun auch versucht, die geschilderten Verhältnisse
quantitativ zu verfolgen, und führe einen solchen Versuch hier
an: 5 g Lecithin und 2 g Glukose werden in der beschriebenen
Weise in Alkohol gelöst, die alkokolische Lösung abgedampft,
und der Rückstand in 100 ccm Benzol, die sukzessive zugesetzt
werden, gelöst. Diese Benzollösung zeigte bei der polarimetrischen
Untersuchung eine Rechtsdrehung von 2,2°/, auf Traubenzucker
berechnet. Da das angewandte Lecithin selbst rechtsdrehend
ist und zwar in 5°/, Lösung = 0,7°/, (auf Glukose berechnet)
rechts dreht, so lassen sich aus dieser Zahl gar keine Schlüsse
ziehen, zumal wir ja nichts über die spezifische Drehung der
Lecithinglukose wissen. Nach 12 Stunden wird der innerhalb
dieser Zeit spontan ausgefallene Traubenzucker auf ein gewogenes
) Bing, a. a. O.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 91
Filter gebracht. Seine Menge beträgt 0,38 g. Darnach würden
also von den angewandten 2 g nur 1,62 g Glukose in nähere
Relation mit dem Lecithin getreten sein. Das Filtrat wird nun
mit absolutem Alkohol vorsichtig gefällt, und die gewonnene
Lecithinglukose nach dem Trocknen über Phosphorpentoxyd ge-
wogen. Es wurden nur 0,8 g Lecithinglukose isoliert. Die
Fällung konnte indes keine vollständige sein, da das Filtrat
derselben noch immer stark reduzierte und sich als phosphor-
haltig erwies. Erneuter Zusatz von Alkohol gibt keine Fällung
mehr, und bei Einengung der Lösung tritt wiederum eine
partielle Spaltung ein, so daß eine weitere quantitative Durch-
führung des Versuches nicht möglich ist. Eine Reihe anderer
Versuche führte zu einem ähnlichen Resultat; — es gelingt
also nicht, auf diesem Wege Aufschlüsse darüber zu erlangen,
in welchem Verhältnis Lecithin und Traubenzucker sich mit-
einander verbinden. Die gemachten Beobachtungen zeigen, daß,
wenn die ursprüngliche Benzollösung sogleich mit absolutem
Alkohol gefällt wird, die erhaltene Lecithinglukose rein mecha-
niech beigemengten Traubenzucker enthalten kann. Es ist aber
andrerseits schwierig, gerade den Zeitpunkt zu treffen, wo der im
Überschuß gelöste Zucker bereits ausgeschieden, und doch noch
keine Spaltung der eigentlichen Lecithinglukose eingetreten ist.
So sehen wir denn, wie kompliziert die Verhältnisse liegen,
und wie schwierig es ist, zu richtigen Vorstellungen über die
Vorgänge, welche sich bei der Bildung ‘der Lecithinglukose ab-
spielen, und über diese selbst zu gelangen. Am wahrschein-
lichsten erscheint es mir, daß beim Eindampfen alkoholischer
Lecithin- Traubenzuckerlösungen die beiden Substanzen sich in
ihren Löslichkeitsverhältnissen derart beeinflussen, daß die Glu-
kose äther- und benzollöslich wird, aber nicht die Gesamtmenge
derselben in engere Relation zum Lecithin tritt.
Daß aber die Lecithinglukose eine echte chemische Ver-
bindung ist, halte ich nach allen ihren Eigenschaften für sehr
zweifelhaft. Vielmehr scheint es mir viel plausibler anzunehmen,
daß hier nur eine sogenannte feste Lösung vorliegt.
Es kann sich aber auch um sogenannte Molekular-
verbindungen handeln, wie sie bei zahlreichen organischen
Substanzen von heterogenstem Charakter bekannt sind; es sei
an die Pikrinsäureverbindungen der Kohlenwasserstoffe, an die
92 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
„Kristall-Pyridin- und Nitrobenzolverbindungen“ erinnert, bei
denen alle Übergänge von lockeren Additionsprodukten bis zu
ausgesprochen stöchiometrischen Verbindungswerten bekannt sind.
Schließlich muß auch an die Möglichkeit einer einfachen
Adsorptionserscheinung gedacht werden, wie sie bei Kol-
loiden nicht selten sind; denn die hochmolekularen Lipoide,
wie das Lecithin, stehen den wahren Kolloiden außerordent-
lich nahe.
II. Jekorin.
Das Jekorin stellte ich im wesentlichen nach der Drechsel-
schen Methode aus Pferdeleber dar. Es wurden stets 6 Pfund
Leber, die mittels einer Hackmaschine in einen gleichmäßigen
Brei verwandelt wurden, auf 3 Portionen verteilt, und jede
Portion mit 1 Liter Alkohol auf der Schüttelmaschine 5—8
Stunden geschüttelt. Mit dem Rückstand wurde diese Prozedur
stets noch 3 mal wiederholt, und die vereinigten Alkoholauszüge
wurden successive im Vakuumapparat bei einer Temperatur
zwischen 35 und 40° abdestilliert.
Der Abdampfungsrückstand wurde zur Entfernung von
Lecithin und Fett mehrere Male mit absolutem Alkohol be-
handelt, bis derselbe sich nicht mehr färbte, und dann in wasser-
haltigem Äther (1 Teil Wasser, 3 Teile Äther) aufgenommen. Nach
24 Stunden — nicht früher, damit der Äther sich vollkommen
klar absetzt — wird filtriert, und die völlig klare Ätherlösung
vorsichtig mit absolutem Alkohol versetzt. Das Jekorin fällt
als weißlich-gelber Niederschlag aus, der sich schnell absetzt, so
daß die darüber stehende Flüssigkeit sich leicht abgießen läßt.
Die Substanz wird dann sofort wieder in Äther gelöst und nach
dem Filtrieren mit absolutem Alkohol gefällt. Nachdem diese
Prozedur noch 4—6 mal wiederholt worden ist, wird das Jekorin
mehrere Male mit absolutem Alkohol gewaschen und dekantiert
und schließlich im Becherglas mit den letzten Resten der an-
haftenden Flüssigkeit in einen gut vakuumhaltenden Exsikkator
gebracht und tagelang über Phosphorpentoxyd getrocknet.
Wenn man besonders darauf achtet, daß die Ätherlösungen
vor dem Zusatz des absoluten Alkohols völlig klar sind, erhält
man ein fast weißes Präparat, das in einem möglichst gut
schließenden Gefäß sich nur ganz wenig gelb färbt.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 93
Eine Extraktion der Leber mit Aceton vor der Alkohol-
extraktion, die Meinertz!) empfiehlt, dürfte sicherlich recht
vorteilhaft sein; ich konnte sie nicht mehr anwenden, da mein
Material längst dargestellt war, als die Arbeit von Meinertz
erschien.
Das auf die geschilderte Weise gewonnene Jekorin zeigt
alle für dasselbe charakteristische Reaktionen, reduziert sehr
stark und gibt sehr schön die Reaktion mit ammoniakalischer
Silberlösung. Die wässerige Lösung ist fast klar; sie zeigt nur
eine ganz minimale Opaleszenz, die durch Zusatz von Salzsäure
kaum zunimmt.
Hervorheben möchte ich die leichte und völlige Löslichkeit
meines Jekorins in Benzol, die im Widerspruch steht zu der
Angabe von Siegfried und Mark?), daß das Jekorin in Benzol
unlöslich ist. Einer freundlichen privaten Mitteilung des Herrn
Professor Siegfried zufolge wäre diese Differenz dadurch zu
erklären, daß das von mir dargestellte Jekorin noch bei-
gemengtes Lecithin enthält. Da ich jedoch meine Substanz sehr
sorgfältig durch wiederholtes Umfällen und reichliches Waschen
mit absolutem Alkohol gereinigt habe, und da ich in wässerigen
Lösungen keinen sicheren Niederschlag durch Platinchlorid zu
erzielen vermochte, so können dem Jekorin höchstens minimale
Spuren von Lecithin anhaften. Daß diese geringen Spuren
die Ursache der leichten und vollständigen Löslichkeit des
Jekorins in Benzol sein könnten, wäre immerhin auffallend und
bemerkenswert.
Die Elementaranalyse meines Jekorins ergab folgende Zahlen.
C = 55,79 0%,
H = 4,44 „
N = 2,59 „
S Ze les
P S ri
Na = 3,54 „
Zum Vergleich führe ich die Zahlen von Drechsel und
Siegfried und Mark an.
) Meinertz, Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 1905.
» Siegfried und Mark, Ztschr. f. physiol. Chemie 46, 492. 1906.
94 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Drechsel. Siegfried u. Mark.
C = 51,5 o/o 39,7 o
H = 8,2, 6,4 „
N = 29 „ 5,2 „
S = 1,45, 2,2 „
P = 8,5: ,; 1,9 „
Na = 2,72, 5,9 ,„
Man sieht, daß die Zahlen nicht nur für die absoluten
Werte, sondern auch für das prozentuale Verhältnis recht
wesentlich voneinander abweichen. Bisher zeigen alle von den
verschiedenen Autoren dargestellten Jekorine so erhebliche Diffe-
renzen in ihrer elementaren Zusammensetzung, daß schon diese
Tatsache dafür spricht, daß das Jekorin keine einheitliche Sub-
stanz sein kann. Das ist aber a priori auch nicht zu erwarten.
Gemeinsam ist allen Jekorinen, daß sie neben S und Na einen
Lecithinkomplex enthalten. Wenn man das Jekorin deshalb
als eine immerhin charakterisierte Substanz ansprechen will, so
kann dagegen nichts eingewendet werden. Aber ein chemisch
einheitlicher Körper kann es schon aus dem Grunde nicht sein,
weil das Lecithin keine einheitliche Substanz ist. Da es je nach
der Art und der Anordnung der Fettsäureradikale verschiedene
Lecithine gibt, müssen wir auch die Existenz verschiedener
Jekorine annehmen. Aber selbst wenn wir von dieser Tat-
sache, die allein nicht imstande wäre, die sehr erheblichen
Differenzen in den erhaltenen Analysenzahlen zu erklären, ab-
sehen, kann das Jekorin als ein einheitliches Produkt nicht auf-
gefaßt werden, wie dies die Versuche von Meinertz und Sieg-
fried und Mark!) einwandsfrei beweisen. Und wenn Wald-
vogel und Tintemann in ihrer neuesten Arbeit?) das Jekorin
als ein recht gut charakterisiertes chemisches Individuum, aber
nicht als einen reinen Körper bezeichnen, so ist dies eine con-
tradictio in adversum; denn ein nicht reiner Körper ist kein
chemisches Individuum. Überhaupt läßt sich das Jekorin von
Waldvogel und Tintemann mit dem aller übrigen Autoren
nicht ohne weiteres vergleichen, weil es nicht aus normalen
) Meinertz, a.2.0. Siegfried u. Mark, a. a. O.
» Waldvogel u. Tintemann, Ztschr. f. physiol. Chemie 1906,
47, Heft 2 u. 3.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 95
frischen Organen, sondern aus phosphorvergifteten, fettig de-
generierten, zum allergrößten Teil aber aus autolysierten Lebern
und anderen Organen (Dauer der Autolyse 128—552 Tage!)
gewonnen und in anderer Weise dargestellt worden ist (Fällung
des Jekorins aus wässerigen oder alkoholischen Lösungen durch
Aceton). So wertvoll auch der Befund der genannten Forscher
an sich wäre, daß aus autolysierten Lebern mehr Jekorin isoliert
werden könne als aus normalen Organen, so muß doch andrer-
seits betont werden, daß bei einer Substanz, wie dem Jekorin,
dessen genaue chemische Konstitution erst aufgeklärt werden
soll, die verschiedene Herkunft und Darstellung der Präparate
nicht ohne weiteres einen Vergleich mit dem in der üblichen
Weise gewonnenen Jekorin zuläßt. Deshalb dürfen auch die
Schlußfolgerungen von Waldvogel und Tintemann nur mit
größter Vorsicht verallgemeinert werden, und die Anschauung
der Autoren, daß das Jekorin als Sintersubstanz des Protoplas-
mas anzusehen ist, dürfte vor der Hand wohl sicher nicht all-
gemein akzeptiert werden.
Zur Feststellung der elementaren Zusammensetzung des
Jekorins gehört auch die quantitative Bestimmung des in ihm
enthaltenen Kohlehydrates.. Daß dieses Traubenzucker ist, war
auf Grund des Schmelzpunktes des Phenylosazons angenommen
worden. Da mir die Schmelzpunktsbestimmung des Osazons
allein nicht ausreichend erschien, um die reduzierende Substanz
als Glukose zu identifizieren, habe ich auch eine Elementar-
analyse des Osazons, die bisher nicht gemacht worden war,
ausgeführt. Die Phenylhydazinverbindung entsteht übrigens
mit großer Leichtigkeit, ohne daß es nötig ist, die reduzierende
Substanz durch Säure abzuspalten.
Die Elementaranalyse zeigte nun in der Tat, daß Glukosa-
zon vorliegt.
Substanz 0,2058 g CO: = 0,4593; H:0 = 0,1086 g.
p 0,1500 g N = 20,3 cem (18°, 756 mm).
Berechnet: C 60,34, H 6,15, N 15,64.
Cis H22N40, Gefunden: C 60,87, H 6,44, N 15,54.
Den Gehalt an Traubenzucker habe ich durch quanti-
tative Reduktionsbestimmungen (und zwar durch Wägung des
Kupferoxyduls) ermittelt. Wenn man die Substanz direkt mit
96 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Fehlingscher Lösung behandelt, so ist die Reduktion erheblich
geringer als nach vorheriger Spaltung mit Säure).
Ich fand in 0,1 g Jekorin 0,01 g (das Mittel von drei gut
übereinstimmenden Versuchen) Glukose. Nach vorausgegangener
Abspaltung des Zuckers durch Kochen mit 5°, HsSO, am
Rückflußkühler erhöht sich dieser Wert fast auf das Doppelte,
nämlich auf 0,0182 g. Das von mir dargestellte Leber-Jekorin
enthält also 18,2°/u Traubenzucker.
Von besonderer Wichtigkeit erschien es mir, die Gär-
fähigkeit des Jekorins zu prüfen, zumal die Angaben hierüber
verschieden lauten. Jacobsen’), der zuerst die Gärfähigkeit
des Leber-Jekorins untersucht hat, sagt, daß das Jekorin wohl
gären kann, wenngleich nicht so gut, als wenn die Jekorin-
lösung vorher mit Säure invertiert und hierauf neutralisiert
worden ist. Meinertz?) hingegen gibt an, daß es ihm niemals
gelang in der wässerigen Jekorinlösung durch Hefe eine Gä-
rung zu erzielen. Bei beiden Autoren vermißt man die Angabe,
welche Konzentration die zu den Gärungsversuchen benutzten
Jekorinlösungen hatten. Denn es ist einleuchtend, da ja das
Jekorin nur kleine Mengen Traubenzucker enthält, daß bei einer
zu geringen Konzentration ein positiver Ausfall der Gärungsprobe
überhaupt nicht zu erwarten ist, ein negatives Resultat also
nicht gegen die Gärfähigkeit des Jekorins sprechen würde. In
1 g Jekorin beispielsweise lassen sich, wie aus meinen obigen
Mitteilungen hervorgeht, vor der Spaltung mit Säure nur 0,1 g
Zucker durch die Reduktionsbestimmung nachweisen. Eine
1°/, ige Jekorinlösung würde also für den Gärungsversuch einer
0,1°/,igen Glukoselösung entsprechen. Dies ist etwa gerade
die kleinste Menge, welche durch die Gärung noch nach-
gewiesen werden kann. Ein absolut eindeutiges Resultat wird
man aber mit einer 0,1°/,igen Zuckerlösung bei der gewöhn-
—
ı) Wenn trotzdem das Osazon ohne vorhergehende Hydrolyse sehr
reichlich entsteht, so handelt es sich entweder um eine Spaltung durch
die bei der Osazondarstellung angewandte Essigsäure, oder um eine Ver-
drängung eines anderen Restes durch Phenylhydrazin; derartige Ver-
drängungen sind öfter beobachtet, vergl. C. Neuberg, Ber. d. dtsch. chem.
Ges. 82, 2397. 1899 und Physiologie der Pentosen u. d. Glukuronsäure
Ergebnisse der Physiologie 8, 409. 1904.
» Jacobsen, Skandin. Archiv. f. Physiol. 6, 1896.
» Meinertz, a.a. O.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 97
lichen Anstellung der Gärungsprobe kaum erhalten, da nur zu
leicht die Hefe für sich kleine Mengen von Gas entwickelt. —
Hier ist die Anwendung des Lohnsteinschen Apparates, der
auch geringere Mengen recht exakt anzeigt, bei gleichzeitiger
Anstellung der entsprechenden Kontrollversuche, sehr zu emp-
fehlen. Ich fand nun, daß eine 1°/,ige Jekorinlösung im
gewöhnlichen Gärungsröhrchen niemals eine sichere Gärung
zeigte. Im Lohnsteinschen Apparat jedoch erhielt ich stets
eine geringe Gärung, die 0,04—0,06°/, Zucker anzeigte. —
Mit einer 2°/, igen Jekorinlösung konnte ich auch bei der
gewöhnlichen Anstellung der Probe regelmäßig deutliche CO;-
Entwicklung konstatieren. Die Versuche wurden mit allen
Kautelen ausgeführt, um Bakterienwirkung sicher auszuschließen,
ebenso habe ich stets die nötigen Kontrollversuche gemacht und
das gebildete Gas sicher als CO; identifiziert. Bei noch höheren
Konzentrationen, bei 3 bis 4 bis 5 °/nigen Jekorinlösungen ist die
Gärung so ausgesprochen, daß ein Zweifel an der Gärfähigkeit
des Jekorins nicht bestehen kann.
Es könnte allerdings der Einwand erhoben werden, daß
die Gärung nicht durch das Jekorin selbst, sondern nur durch
beigemengten Traubenzucker hervorgerufen ist, eine Anschauung,
die von Waldvogel und Tintemann!) vertreten wird. Diese
Forscher betonen, daß es ihnen nicht gelang das Jekorin zu
vergären, ohne indes über die bei ihren Gärungsversuchen an-
gewandten Mengen irgend welche Angaben zu machen. — Nach
ihren eigenen Mitteilungen haben sie jedoch sehr häufig positive
Gärungsproben mit dem Jekorin erhalten. Als Beweis, daß
diese Gärung aber nicht auf Jekorin, sondern lediglich auf
Verunreinigungen mit Traubenzucker zu beziehen sei, führen
sie mehrere Punkte an.
Erstens fanden sie diese „Verunreinigungen mit Trauben-
zucker“ dann, wenn sie zur Fällung des Jekorins nicht die
3— 4 fache Menge Aceton — wie gewöhnlich — sondern die
7—8 fache Menge verwandten. — Diese Angabe ist auffallend;
denn es ist zwar denkbar, müßte aber erst bewiesen werden,
wieso der Traubenzucker aus einer wässerigen oder alkoholischen
Lösung durch Zusatz einer 3—4fachen Menge Aceton nicht
ı) Waldvogel u. Tintemann, a.a. O.
Biochemische Zeitschrift Band I. 7
98 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
gefällt werden soll, während dies bei der 7—8 fachen Menge
Aceton der Fall ist.
Zweitens betonen Waldvogel und Tintemann, daß sie
solche mit Traubenzucker verunreinigten Jekorine daran er-
kannten, daß sie, mit Hefe vergoren, eine starke CO,-Entwick-
lung lieferten. Es fehlt aber der Beweis, daß diese CO;-
Entwicklung nicht durch das Jekorin hervorgerufen ist! Wenn
man feststellen will, ob eine Substanz gärt, kann man doch
nicht von vornherein einen positiven Ausfall der Gärungsprobe
als einen Beweis dafür ansehen, daß die Substanz mit Trauben-
zucker verunreinigt ist! — Weiterhin wird noch als Erkennungs-
zeichen der mit Glukose verunreinigten Jekorine angegeben,
daß sie nicht wie das reine Jekorin in schönen weißen, sich
schnell absetzenden Flocken ausfielen, sondern daß am Boden
sich ein braunschwarzer Sirup absetzte.. — Diese Beobachtung
kann man auch mitunter bei der gewöhnlichen Darstellung des
Jekorins machen, man überzeugt sich aber stets, daß nach
Lösung dieses Sirups und erneuter Fällung das Jekorin in der
normalen Weise ausfällt. Wodurch diese Verhältnisse bedingt
sind, läßt sich schwer mit Sicherheit sagen, ebensowenig wie
wir die so oft beobachtete Tatsache einwandsfrei erklären
können, daß für gewöhnlich kristallinisch ausfallende Substanzen
bisweilen amorph oder selbst als Schmieren gefällt werden.
Wahrscheinlich sind es rein physikalische Momente, wie die
Konzentrationsverhältnisse der Lösung, die die Hauptrolle dabei
spielen. — Jedenfalls kann dieser Befund von W. u. T. nicht
als Beweis für eine Verunreinigung des Jekorins mit Trauben-
zucker angesprochen werden.
Endlich schließen die Autoren auf eine Beimengung von
Glukose daraus, daß sie bisweilen bei der quantitativen Reduk-
tionsbestimmung der Jekorine größere Werte erhielten, als dies
meist der Fall war. — Auch dieses Glied der Beweisführung
scheint mir nicht stichhaltig zu sein. — Wir wissen ja, daß
die verschiedenen Jekorine sich hinsichtlich ihres Reduktions-
vermögens sehr ungleich verhalten; gibt es doch sogar Jekorine,
die überhaupt keine reduzierende Substanz enthalten (z. B. das
Jekorin aus Nebennieren). Nun haben aber gerade Waldvogel
und Tintemann nicht ein bestimmtes Jekorin — wie die
anderen Autoren und ich selbst (das Jekorin aus der Pferde-
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 99
leber), — sondern Jekorine von verschiedener Herkunft (Hunde-
leber, Hundemilz, Menschenleber, Menschenherz) untersucht,
die noch dazu nicht aus frischen, sondern aus degenerierten
oder lange autolysierten Organen gewonnen waren. — Daß bei
diesen verschiedenen jekorinähnlichen Substanzen auch einmal
besonders hohe Reduktionswerte gefunden werden, kann nicht
verwundern, und spricht noch nicht dafür, daß dieselben durch
beigemengten Traubenzucker veranlaßt sind.
Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß die von
den genannten Autoren dargestellten Jekorine nicht wirklich
durch beigemengten Zucker verunreinigt waren. Ihre von der
gewöhnlichen abweichende Darstellungsmethode (Fällung des
Jekorins aus wässeriger Lösung durch Aceton) läßt solche Ver-
unreinigung wohl möglich erscheinen. Aber die Kennzeichen,
an denen W. und T. solche Beimengungen erkannt haben
wollen, können nicht als solche angesprochen werden, und
ihre Untersuchungen beweisen also keineswegs, daß eine Gärung
des Jekorins auf Verunreinigung mit Glukose zu beziehen ist.
Daß das von mir dargestellte Jekorin, das wiederholt um-
gefällt und reichlich mit Alkohol gewaschen wurde, mechanisch
beigemengten Traubenzucker enthält, erscheint in hohem Maße
unwahrscheinlich. Ich glaube daher, daß die Gärung, welche
man mit Jekorinlösungen von nicht zu geringer Konzentration
erhält, durch das Jekorin selbst veranlaßt wird. — Dagegen
spricht keineswegs der Umstand, daß es niemals gelingt,
die ganze reduzierende Substanz zu vergären. Es ist vielleicht
die Bindung des Traubenzuckers im Jekorin eine derartige,
daß erst eine Spaltung stattfinden muß, die ihrerseits aber
nicht zu Ende geht, analog dem Verhalten mancher Glukoside
(z. B. des Koniferins), die durch Enzyme (z. B. Emulsin) nur
langsam und unvollständig zerlegt werden.
Stärkere chemische Eingriffe, wie z. B. eine Säurehydrolyse,
machen aber die Kohlehydratgruppe des Jekorins der Zymase in
erhöhtem Grade zugänglich, denn nach Spaltung des Jekorins
mittels 5°, Ha SO, und Neutralisation der Lösung ist die Gärung
eine weit stärkere.
Die mitgeteilten Untersuchungen über das Leberjekorin sind
bei weitem nicht ausreichend, um uns über die Konstitution des
Jekorins genügende Aufschlüsse zu geben. Es wird bei weiteren
71
100 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
Forschungen vor allem notwendig sein, den bisher recht wenig
berücksichtigten S- und Na-Gehalt des Jekorins näher zu
studieren. Zweifellos sind Schwefel und Natrium integrierende
Bestandteile des Jekorins; ihre Menge ist viel zu erheblich, wie
die verschiedenen angeführten Analysen zeigen, um als Verunreini-
gungen betrachtet zu werden. Versuche, die ich über die Natur des
im Jekorin enthaltenen Schwefel bereits begonnen habe, haben
zu einem einheitlichen Resultat bisher nicht geführt. Die Ver-
suche sollen später von mir fortgesetzt werden.
Schon der konstante Gehalt des Jekorins an S und Na
beweist m. E., daß das Jekorin nicht einfach als Lecithinzucker
angesehen werden kann.
Dieser unterscheidet sich weiterhin ganz wesentlich von
dem Jekorin dadurch, daß die Glukose sich nur in ganz locke-
rer Bindung befindet, so daß die Lecithinglukose, wie ich
früher ausgeführt habe, wahrscheinlich gar keine chemische
Verbindung darstellt, Lecithin und Traubenzucker vielmehr sich
nur in lockerer Bindung, resp. in Form einer festen Lösung
befinden. Demgegenüber sind zweifellos im Jekorin Glukose
und Lecithin in festerer Bindung, wenn wir auch über die Art
dieser Bindung bisher nichts Sicheres aussagen können. —
Während der Lecithinzucker ungemein leicht gespalten wird, ja
die Abspaltung des Zuckers schon beim Waschen mit Alkohol,
sogar schon beim Stehen der Lösungen erfolgt, ist der Trauben-
zucker im Jekorin so fest verankert, daß er nur in geringem
Umfange vergärt, und daß es, wie auch Meinertz!) festgestellt
hat, nicht gelingt, durch wiederholtes Umfällen mit Alkohol
eine Abspaltung desselben zu erzielen.
II. Zur Frage des physikalischen Verhaltens des
Zuckers im Blute.
Wie ich früher ausgeführt habe, ist von einigen Forschern
die Anschauung entwickelt, daß der Zucker nicht frei, sondern
größtenteils an Lecithin gebunden, als Jekorin, im Blute kreist.
Ich glaube im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt zu haben,
daß die Versuche, welche die genannten Autoren für diese
Anschauung beigebracht haben, nichts zugunsten derselben
') Meinertz, a. a. O.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin. und Blutzucker. 101
beweisen können, da sie sich lediglich auf quantitative Bestim-
mungen der in den Ätherextrakt des Blutes übergehenden
reduzierenden Substanz stützen.
Wenngleich Jekorin und Lecithinzucker mancherlei Ähnlich-
keiten in ihren Reaktionen aufweisen, die sich einfach dadurch
erklären lassen, daß beide Lecithin und Traubenzucker ent-
halten, so kann doch, wie ich bereits betont habe, von
einer Identität beider schon deshalb keine Rede sein, weil die
Bindungsverhältnisse zwischen Lecithin und Zucker total ver-
schieden sind.
Immerhin ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu
weisen, daß im Organismus zwischen Lecithin und Zucker eine
festere Bindung zustande kommt, als wir sie außerhalb des
Körpers synthetisch herstellen können, indem dann aber gleich-
zeitig Schwefel und Natrium sich mit dem Lecithin verbinden.
Nun haben aber alle bisher ausgeführten Dialysierversuche —
ich denke vor allem an die Experimente von Schenk!) aus dem
Jahre 1890 — gezeigt, daß der Zucker aus dem Blut bis zum
Gleichgewicht zwischen Innen- und Außenflüssigkeit diffundiert,
und man hat infolge dieser Ergebnisse den Schluß gezogen, daß
der Zucker im Blute frei gelöst ist, und nicht in gebundenem
Zustand vorhanden sein kann. In neuester Zeit hat L. Asher)
diese Dialysierversuche wieder aufgenommen. Seine Versuche
unterscheiden sich von den früheren im wesentlichen dadurch,
daß er nicht gegen Wasser, sondern gegen Blut, das durch Ver-
gärung zuckerfrei gemacht war, dialysiertee Auch Asher hat
durch seine mit allen Kautelen ausgeführten Versuche fest-
stellen können, daß der Blutzucker aus dem Blut durch Diffu-
sion verschwindet, und zwar auch dann, wenn die Außenflüssig-
keit selbst wieder Blut gleicher Zusammensetzung, abgesehen
vom Zuckergehalt, ist. Er kommt daher ebenfalls zu dem Schluß,
daß physikalisch-chemisch der Zucker sich in freigelöstem Zu-
stand im Blute befindet.
Gegen die Ashersche Schlußfolgerung läßt sich nun aber
ein gewichtiger Einwand erheben. Wenn nämlich der Zucker
im Blute gebunden ist, so muß man sich natürlich vorstellen,
) Schenk, Pflügers Archiv 47, 1890.
» L. Asher, Zentralbl. f. Physiol. 1905, No. 14.
102 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
daß er je nach Bedarf aus seiner Bindung abgespalten werden
kann. Nach allen unseren Vorstellungen müssen wir dann
annehmen, daß im Blute ein Ferment vorhanden ist, das den
Zucker aus dem Jekorin abspaltet. Es könnte nun sehr wohl
möglich sein, daß dieses zuckerabspaltende Ferment während
des Dialysierprozesses dauernd wirksam ist, so daß schließlich der
Zucker, trotzdem er ursprünglich gebunden ist, aus dem Blute
durch Diffusion verschwinden kann.
Ich glaube daher, die Schlußfolgerung, daß der Zucker
frei gelöst im Blute zirkuliert, erst dann als bewiesen ansehen
zu dürfen, wenn der Nachweis geführt ist, daß ein zucker-
abspaltendes Ferment im Blute nicht existiert.
Da für die Annahme einer Bindung des Zuckers in erster
Linie die Bindung an Lecithin, also das Jekorin, in Betracht
kommt, war vor allem festzustellen, ob durch die Einwirkung von
Blut das Jekorin seinen Zucker abspaltet.
Ich habe deshalb eine Reihe von Versuchen angestellt, die
diese Frage entscheiden sollten. Bei allen Untersuchungen über
das Vorkommen eines bestimmten Fermentes im Blute hat
man von vornherein mit zwei Schwierigkeiten zu rechnen, die
sich nicht völlig umgehen lassen. Will man das Blut als
solches, und nicht seine Komponenten, Blutserum und Blut-
körperchen, untersuchen, so muß man darauf bedacht sein, die
Gerinnung des Blutes zu verhindern. Dies geschieht am zweck-
mäßigsten durch Zusatz von gerinnungshemmenden Substanzen.
Von diesen kann man aber nicht mit Sicherheit wissen, ob sie
nicht gerade auf das gesuchte Enzym schädigend einwirken,
beziehungsweise seine Wirkung ganz aufheben.
Benutzt man andrerseits Blutserum, so ist die Möglichkeit
nicht auszuschließen, daß das betreffende Ferment bei der Ge-
rinnung des Blutes durch die Blutkörperchen mitgerissen wird. -
Was den ersten Punkt betrifft, so besitzen wir in dem
Fluornatrium ein Mittel, das schon in sehr geringer Menge die
Blutgerinnung aufhebt und gleichzeitig das Manifestwerden des
glykolytischen Fermentes verhindert. Es ist also nicht ausge-
schlossen, daß auch das supponierte zuckerabspaltende Ferment
durch Fluornatrium unwirksam gemacht wird. Trotzdem durfte
mir a priori in meinen Versuchen ein negativer Ausfall derselben
beweisend für die Abwesenheit eines jekorinspaltenden Fermentes
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 103
erscheinen. Asher hat nämlich bei seinen besprochenen Dialpsier-
Versuchen das zu dialysierende Blut mit Fluornatrium versetzt.
Da nun der Zucker dieses Fluornatriumblutes bei der Dialyse
aus dem Blut verschwindet, so muß er entweder frei gelöst
sein, oder es kann, wenn der Zucker gebunden ist, das in
diesem letzteren Falle notwendig vorhandene zuckerabspaltende
Ferment durch das Fluornatrium in seiner Wirkung nicht
beeinträchtigt werden.
Was den zweiten Punkt betrifft, so dürfte es von vorn-
herein als ziemlich sicher angesehen werden, daß man das suppo-
nierte Ferment im Blutserum finden müsse; und die angedeutete
Möglichkeit, daß es bei der Gerinnung des Blutes von den
Blutkörperchen mitgerissen würde, war nach allen Erfahrungen
als sehr gering zu veranschlagen. Ich habe nun bei meinen
Versuchen beide Verfahren benützt. — Die Versuche wurden
unter den größten Kautelen ausgeführt; sämtliche mit dem
Blut und dem Jekorin in Berührung kommenden Gefäße und
Instrumente wurden sorgfältigst sterilisiert, um jede Bakterien-
wirkung sicher ausschließen zu können. Ich benützte für die
Versuche Hundeblut, das ich direkt aus einer Arterie des Tieres
(ohne Narkose operiert) in das vorbereitete sterile Gefäß hinein-
fließen ließ.
Ich möchte nicht verfehlen, Herrn Dr. Bickel, dem Vor-
steher der experimentell-biologischen Abteilung des pathologischen
Institutes, der so liebenswürdig war, die Operation jedesmal
persönlich vorzunehmen, für seine bereitwillige Hilfe auch an
dieser Stelle meinen wärmsten Dank auszusprechen.
Es wurde eine bestimmte Menge Blut dem in physiologischer
Kochsalzlösung gelösten Jekorin oder dem Jekorin in Substanz
zugesetzt, und die Lösungen 24 Stunden bei einer Temperatur
von 35° im Brutschrank belassen.
Zur Kontrolle wurden stets dieselbe Quantität Blut ohne
Jekorin und dieselbe Menge Jekorin ohne Blut lediglich mit
dem nötigen Zusatz von physiol. ClNa-Lösung, um die gleichen
Mengenverhältnisse zu erhalten, gleichzeitig in den Brutschrank
gebracht und ebenfalls nach 24 Stunden herausgenommen.
Die Zuckermenge habe ich nicht durch Reduktionsbestimmungen,
sondern durch quantitative Gärungsbestimmungen im Lohnstein-
schen Apparat bestimmt, nachdem ich ja schon vorher fest-
104 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
gestellt hatte, daß das Jekorin als solches nur ganz schwach
gärt, nach Spaltung mit Säure indes erheblich stärkere Gärung
zeig. Zu bemerken habe ich noch, daß in denjenigen Ver-
suchen, in denen ich Fluornatriumblut verwendete, dem mit
Blut zu beschickenden, gut verschließbaren Gefäß vorher so
viel Fluornatrium in Substanz zugesetzt wurde, daß eine
0,2 °/sige Lösung entstand. Von diesem Fluornatriumblut
wurden dann mittels sterilisierter Pipetten 10—20 ccm dem
vorbereiteten Jekorin zugesetzt, so daß die einzelnen Proben
nur sehr kleine Mengen Fluornatrium enthielten. Bevor die
Flaschen in den Brutschrank gestellt wurden, wurde zu jeder
1 Tropfen Toluol zugesetzt, nachdem ich mich vorher durch
quantitative mit reinen Traubenzuckerlösungen ausgeführte Ver-
suche überzeugt hatte, daß dieser geringe Toluolzusatz die
Gärung nicht im geringsten beeinflußt.
Zuckergehalt
nach 24stünd.
Versuch I. en
Lösung von 1 g Jekorin in 20 ccm en Cl Na-
Lösung + 20 cem Blut . . . 0,18 °%
Lösung von 1 g Jekorin in 20 ccm CINa- Lösung
+ 20 ccm ClNa-Lösung . . . Eee WIR:
20 ccm Blut + 20 ccm CINa- Lösung ee 008,
Versuch II.
Lösung von 0,5 g Jekorin in 10 ccm phys. ClNa-
Lösung + 10 cem But . . . . 0,15 „
Lösung von 0,5 g Jekorin in 10 ccm CINa. isine
+ 10 ccm CINa-Lösung . . noa a a, OD
10 cem Blut + 10 ccm CINa- Löne awu da e SE
Versuch III.
0,1 g Jekorin direkt gelöst in 10 ccm Blut . . . 019,
0,1 g Jekorin gelöst in 10 ccm ClNa-Lösung . . . 0,05 „
10 cem But . . 2 2 2 2 2 2 2 2 2.2... 018,
Versuch IV.
0,3 g Jekorin gelöst in 20 cem Blut . . . . . 0,22,
0,3 g Jekorin gelöst in 20 ccm ClNa-Lösung . . . 0,08
20 cem Blut . . 2 Su cu See ee 013
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 105
Versuch V. Zuckergehalt
nach 24sttind.
Lösung von 0,2 g Jekorin in 10 ccm CINa-Lösung Direto
+ 10 cem Blutserum . . . 0,08 %
Lösung von 0,2 g Jekorin in 10 ccm CINa- Lösung
+ 10 cem ClNa-Lösun . . . . . . 004,
10 ccm Blutserum + 10 cem ClNa- Leane . . . 008,
Versuch VI.
0,5 g Jekorin in 10 ccm Blutserum . . OR ,
0,5 g Jekorin gelöst in 10 ccm CINa- Doig: s w 20,8 5
10 ccm Blutserum. . . 2. 2 2 2 2 2.2.0..015 „
Unter Berücksichtigung der vorhergehenden Aus-
führungen zeigen die vorstehenden Zahlen in aller
Eindeutigkeit, daß durch die Einwirkung von Blut
kein Zucker aus dem Jekorin abgespalten wird. Es
muß also die Existenz eines aus dem Jekorin zucker-
abspaltenden Fermentes im Blute in Abrede gestellt
werden. Mithin würden meine Versuche gegen die
Annahme sprechen, daß der Zucker im Blute in ge-
bundenem Zustande, als Jekorin, vorhanden ist.
Ich gebe allerdings zu, daß die Versuche vielleicht nicht
völlig beweisend sind. Man könnte nämlich einwenden, daß
ich das Blut nicht auf Blutjekorin, sondern auf Leberjekorin
habe einwirken lassen; denn es ist nicht undenkbar, daß das
Blutjekorin sich anders als das Leberjekorin verhält. Auch der
Einwand könnte erhoben werden, daß ich nicht Jekorin und
Blut von derselben Tierspezies angewendet habe, da ich ja aus
Pferdeleber gewonnenes Jekorin und Hundeblut benützt habe.
— Ob diese Einwände berechtigt sind, kann nur durch das
Experiment entschieden werden.
Vor allem erscheint es notwendig, die Untersuchungen über
das Jekorin nicht nur auf das Leberjekorin zu beschränken,
sondern auch die aus andern Organen stammenden Jekorine
genauer zu studieren, als dies bisher geschehen ist, und be-
sonders das Blutjekorin, das seit Baldi überhaupt nicht mehr
dargestellt worden ist, eingehender zu untersuchen. Baldi hatte
festgestellt, daß das aus Pferdeblut gewonnene Jekorin ebenso
wie das Leberjekorin stark reduziert. Eigene Untersuchungen,
die ich mit dem Blutjekorin bereits in Angriff genommen habe
106 P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker.
und später fortzusetzen beabsichtige, haben bereits ein bemerkens-
wertes Faktum ergeben. Es hat sich nämlich gezeigt, daß
Jekorin, welches ich aus Rinderblut dargestellt habe, keine
reduzierende Eigenschaft besitzt. Es ist einleuchtend, daß dieser
Befund gerade für die Frage, ob der Zucker als Jekorin im
Blute kreist, von großer Bedeutung ist. Weitere Forschungen
müssen zeigen, ob wirklich das Blutjekorin verschiedener Tier-
spezies, wie es den Anschein hat, sich hinsichtlich seiner Zucker-
gruppe ganz verschieden verhält, oder ob vielleicht der Kohlen-
hydratkomplex des Jekorins eine vollkommen inkonstante Größe
ist. — Es könnte ja sein, daß der Gehalt an Traubenzucker
von verschiedenen Momenten, z. B. von den Ernährungsver-
hältnissen abhängig ist. Man müßte also den Kohlenhydrat-
gehalt des Jekorins unter den verschiedensten Ernährungsbe-
dingungen quantitativ bestimmen, man müßte das Jekorin von
Hungertieren, von phloridzin-diabetischen und von pankreas-
diabetischen Tieren untersuchen und wird auf diese Weise
vielleicht manche wichtigen Aufschlüsse erlangen.
Auch das Verhalten des Jekorins zu den Fermenten ist für
die hier aufgerollten Fragen von Bedeutung, und von speziellem
Interesse dürfte es sein festzustellen, ob durch bestimmte
Fermente der Zucker aus dem Jekorin abgespalten werden kann.
Untersuchungen, die ich nach dieser Richtung begonnen habe,
haben für das Emulsin gezeigt, daß dieses Ferment keinen
Zucker aus dem Jekorin abspaltet.
So ergeben sich denn aus den mitgeteilten Untersuchungen
eine Reihe von neuen Fragestellungen, durch deren Bearbeitung
auch die Frage, ob der Zucker in freiem Zustande oder gebunden
im Blute vorhanden ist, von neuen Gesichtspunkten aus be-
leuchtet werden kann. —-
Anhang.
Da Kyes!) festgestellt hat, daß das Lecithin sich nach Art
eines Komplementes mit dem Kobragift verbindet, war es nahe-
liegend, auch die Beziehungen des Jekorins und der von mir
dargestellten Lecithinglukose zu dem Kobragift zu studieren.
Ich habe diese Untersuchungen gemeinschaftlich mit Herrn
') Kyes, Berl. klin. Wochenschr. 1902, 38 u. 39.
P. Mayer, Lecithin, Jekorin und Blutzucker. 107
Professor Morgenroth ausgeführt. Es stellte sich heraus, daß
eine Lösung von Jekorin in physiologischer Kochsalzlösung
Kobragift genau so aktiviert wie Lecithin selbst, ohne daß
zwischen dem Verlauf der Kobragifthämolyse mit Lecithin und
mit Jekorin ein Unterschied wahrzunehmen war.
Auch die klare, neutral reagierende Lösung von Lecithin-
zucker in physiologischer Kochsalzlösung aktiviert Kobragift.
Während aber die Hämolyse von Kaninchenblut durch frische
Gemische von Kobragift und Lecithin auch bei erheblichem
Lecithinüberschuß nur langsam eintritt, erfolgt sie durch ein
frisch bereitetes Gemisch von Kobragift und entsprechenden
größeren Mengen der Lecithinglukose bei Zimmertemperatur in
wenigen Minuten — eine Beschleunigung, die nicht etwa auch
durch Zusatz von Traubenzucker zur Lecithinlösung zu erzielen
ist. Es besteht also zwischen dem Verlauf der Kobragifthämolyse
mit Lecithin und mit Traubenzuckerlecithid ein charakteristischer
Unterschied, so wie ihn Kyes!) beim Vergleich der Hämolyse
durch Kobragift-Lecithingemische einerseits und durch das von
ihm dargestellte Kobralecithid andrerseits beobachtet hat. Kyes
bezieht diese Differenz auf die zur Bildung des eigentlichen
toxischen Agens, des Lecithids, notwendige Zeit. Wir müssen
demnach der Lecithinglukose eine dem Lecithin gegenüber erhöhte
Reaktionsfähigkeit mit dem Kobrahämolyesin zuschreiben, an der
vielleicht deren bessere Löslichkeit beteiligt ist. Bemerkenswert
ist auch, daß die Toxizität der Lecithinglukose an und für sich
Kaninchenblut gegenüber eine erheblichere ist als die der
käuflichen Lecithinpräparate.e Die Hämolyse erfolgt rascher und
durch Mengen von (berechnet) geringerem Lecithingehalt.
Wir beabsichtigen, die Beziehungen der Substanz zum
Kobragift noch genauer zu untersuchen.
') Kyes, Berl. klin. Wochenschr. 1903, 42—43.
Über das Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
Von
Dr. K. Willanen aus Petersburg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 12. Mai 1906.)
Ovomukoid, das fast gleichzeitig von Neumeister’),
E. Salkowski?) und C. Th. Mörner”) entdeckt und beschrieben
worden ist, stellt einen wichtigen Bestandteil des Eierklars dar.
Seit seiner Entdeckung ist es schon Gegenstand einiger
Untersuchungen gewesen, in denen man seine chemische
Konstitution aufzuklären versuchte.
Bekanntlich kann man diese Substanz auf verschiedenem
Wege darstellen.
Neumeister bereitete sein „Pseudopepton“ durch Sättigung
des Filtrats von auskoagulierter wässeriger Eierklarlösung mit
Ammoniumsulfat, Behandlung des Niederschlages mit Alkohol
und Ausziehen desselben mit Wasser; E. Salkowski durch
Eindampfen des Filtrats der auskoagulierten Eierklarlösung zur
Trockne als bräunlich gefärbten Rückstand, andererseits durch
Fällung des eingeengten Filtratse mit Alkohol und Waschung
mit Äther „als äußerst zartes weißes Pulver, welches sich
reichlich in Wasser löst‘; er bezeichnete sein Präparat ‚als
eigentümliche Albumose, die ihre physikalischen Eigenschaften
1) Neumeister, Zeitschr. f. Biol. 27; 1890, S. 369.
» E.Salkowski, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1893, S. 513 u. 706.
») C. Th. Mörner, Zentralbl. f. d. med. Wissensch. 1893, S. 705 und
Zeitschr. f. physiol. Chemie, 18, S. 525 (1894).
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 109
verändern kann“. C. Mörner stellte sein Ovomukoid, unab-
hängig von E. Salkowski, gleichfalls durch Ausfällen des
oben erwähnten Filtrates mit absolutem Alkohol, Nachwaschen
mit Äther und Trocknen dar.
Die Ausfällung mit Alkohol und Behandlung mit Äther
wird jetzt gewöhnlich zur Darstellung in größeren Mengen des
Ovomukoids angewendet. Unter diesen Produkten, die auf ver-
schiedene Art und Weise aus Eierklar entstehen, versteht man
ein und dieselbe Substanz, von ihren chemischen Eigenschaften
aus betrachtet. Was die physikalischen Gesichtspunkte an-
betrifft, so gibt es Unterschiede je nach der verschiedenartigen
Bearbeitung und Darstellung des Ovomukoids.. Während das
durch Eindampfen gewonnene Ovomukoid in Wasser fast un-
löslich ist, und nur zu einer geleeartigen Masse anschwillt, ist das
durch Alkoholfällung erhaltene leicht löslich. Wie schon die
oben erwähnten Autoren bemerkten, konnte auch ich mich davon
überzeugen, daß nach längerer Bearbeitung des gewöhnlich leicht
löslichen Ovomukoidpulvers mit Alkohol dieses letztere seine
Fähigkeit, sich in Wasser leicht zu lösen, verliert. Es hatte
eine in Wasser schwerer lösliche Form angenommen.
Ich habe auch bemerkt, daß sich dieses Pulver besser und
in größeren Mengen auflöst, wenn man es allmählich in Wasser
bringt und nicht gleich größere Mengen hineinwirft. Besonders
bei heißem oder kochendem Wasser bleibt ein großer Teil un-
gelöst, der als Klumpen bildende, gelatinöse Masse umher-
schwimmt.
Über die chemischen Eigenschaften des Ovomukoids herrscht
bei allen Autoren dieselbe Meinung.
Die Ovomukoidlösung gibt positive Biuret- und Millonsche
Reaktion; betreffs der Adamkiewitzschen Reaktion sind die
Ansichten geteilt. Mörner und andere haben ein negatives
Ergebnis erhalten, während Langstein’) immer eine positive
Reaktion gefunden hat. Er sagt: „vielleicht ist der negative
Befund in manchen Fällen darauf zurückzuführen, daß der an-
gewandte Eisessig keine Glyoxylsäure enthielt.‘“ Nach meinen
eigenen Beobachtungen ist die Reaktion positiv, wenn der Eis-
essig etwas Glyoxylsäure enthält; aber diese positive Reaktion
ı) L. Langstein, Hofmeisters Beiträge, III, Heft II, S. 510.
110 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
war immer sehr schwach, so daß ich nur etwas violettrötliche
Farbe bekam. Eisessig ohne Glyoxylsäure gab immer ein
negatives Resultat.
Das Ovomukoid fällt aus der Lösung beim Kochen und
durch Einwirkung von vielen eiweißfällenden Körpern nicht aus.
Es wird durch Mineral-, organische Säuren, Metallsalze, Chlor-
natrium, schwefelsaures Natrium und Magnesium nicht gefällt;
nur durch Sättigung mit schwefelsaurem Ammonium, Ansfällen
durch Alkohol, Tannin, Phosphorwolframsäure und Bleiacetat
bei Anwesenheit von Ammoniak kann man Ovomukoid aus
seinen Lösungen erhalten.
Durch seine Fähigkeit mit Ammoniumsulfat ausgesalzen zu
werden, unterscheidet sich das Ovomukoid von Peptonen, mit
denen es einige Ähnlichkeiten hat (deswegen hat Neumeister
es „Pseudopepton‘ genannt). Infolge seiner chemischen Eigen-
schaften verhält sich das Ovomukoid wie ein albumosenähnlicher
Körper, seines reichlichen Gehaltes an reduzierenden Gruppen
und seiner konstitutionellen Merkmale wie ein Glykoproteid
bezw. ein Chondroproteid (Langstein).
Schon Mörner hat im Ovomukoid 12,68°/, Stickstoff,
2,2% Schwefel und 1,60—2,48°/, Asche gefunden. In Über-
einstimmung mit diesen Zahlen stehen auch die Elementar-
analysen von Zanetti’) und Langstein:
C H N S P
48,75%, 6,9 % 12,46% 2,22°/o —
48,94 „ 6,94, — — —
Langsteins ,, 48,79 „ 6,96, 12,51, 2,23,, Spuren
In der folgenden Zeit hat Milesi?) dieselbe Substanz durch
direktes Versetzen des Hühnereiweißes mit einem großem Über-
schusse von 99°/, Alkohol gewonnen; der gebildete Niederschlag
Zanettis Zahlen:
wurde im Vakuum bei gewöhnlicher Temperatur getrocknet und:
pulverisiert; mit einer geringen Menge kalten Wassers wurde
dieses Pulver extrahiert und danach aus dieser Extraktions-
flüssigkeit wieder mit Alkohol ausgefällt. So hat er auch ein
weißes Pulver dargestellt, das nach Analysen von Langstein
48,82°/, C, 6,9%, H, 12,41%, N, 2,19°/, S und Spuren von P
ergab, also mit gewöhnlichem Ovomukoid identisch war.
ı), Zanetti, Annali di Chimica e di Farmacologia, XXVI, 12, 529.
») C. Milesi, Bollettino della società medico-chirurgica di Pavia 1898.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 111
Diese Angabe beweist, daß Ovomukoid schon im Hühner-
eiweiß präformiert ist.
Die Werte der Elementaranalyse des Ovomukoids scheinen
jetzt endgültig festgesetzt zu sein, nur über den Prozentgehalt
des Phosphors und die Form des Schwefels ist man sich noch
nicht im klaren. Milesi hat in einem Präparat 1,65 °/, Phosphor
gefunden, Langstein in demselben nur Spuren.
Über die Form des Schwefels im Ovomukoid herrschen
verschiedene Meinungen. Mörner meint den Schwefel als lose
gebunden annehmen zu müssen. Zanetti dagegen bemerkt,
daß bei der Behandlung des Ovomukoids mit Salzsäure ein Teil
des Schwefels als Schwefelsäure abgespalten wird. ‚Die kalte
wässerige Lösung des Mukoids gibt, mit einigen Tropfen Salz-
säure versetzt, keinen Niederschlag bei Behandlung mit Chlor-
baryum; kocht man aber die Flüssigkeit eine Zeitlang auf, so
färbt sie sich bräunlich, und es scheidet sich schwefelsaures
Baryum ab. Kocht man so eine Mukoidsubstanz mit 5°/,-iger
Salzsäure 18 Stunden lang, so wird etwa !/s des Gesamtschwefels
abgespalten.“ Langstein konnte das nicht konstatieren, im
Gegenteil, „erst nach dreimal zwölfstündigem Kochen werden
Spuren von Schwefelsäure in Freiheit gesetzt, ein Prozeß, der
wohl einer sekundär-oxydativen Wirkung des Kochens mit Salz-
säure zuzuschreiben ist.“ Er hatte ferner nach der Methode
von F. N. Schulz feststellen können, ‚daß von 2,22 %/, Schwefel
1,39 bis 1,43 °/, leicht abspaltbar sind, also nicht viel weniger
als ®/, des Gesamtschwefels.“
Weil meine Versuche in diesem Sinne nicht bis zum Ende
durchgeführt werden konnten, muß ich mich über diese Frage
vorläufig mit oben Gesagtem begnügen.
In der letzten Zeit hat E. Abderhalden') eine Hydrolyse
des Ovomukoids nach der bekannten Methode von E. Fischer
ausgeführt und fand in den einzelnen Fraktionen: Leucin, æ-
Pyrrolidin-Karbonsäure, Phenylalanin, Asparaginsäure und
Glutaminsäure.
Als ein Glykoproteid enthält das Ovomukoid eine Kohle-
hydratgruppe. Diese durch Kochen mit Mineralsäuren ab-
spaltbare Gruppe ist nach ihrer Konstitution, wie es von
) E. Abderhalden, Zeitschr. f. Phys. Chem., XLIV, 8. 44.
112 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
Zanetti und Seemann jetzt festgestellt ist, Glukosamin oder
Chitosamin. Seemann!) hat die Zuckersubstanz im Ovomukoid
auch quantitativ bestimmt und fand berechnet auf Trauben-
zucker 34,9 °/o.
Das ist alles, was wir bis jetzt über Ovomukoid und seine
Eigenschaften wissen.
Wie bereits erwähnt, interessierten sich alle Autoren nur
für die chemischen Eigenschaften dieses Körpers.
Über seine physiologische Bedeutung gibt es bisher noch
keine Versuche. Der außerordentlich große Gehalt des Ovo-
mukoids im Hühnereiweiß — etwa 12 °/ọ — kann nicht ohne
physiologische Bedeutung sein, und es schien die Möglichkeit
vorhanden, daß diese Substanz auch zu den Nährstoffen des
Albumens gehören könne. Deswegen war es von hohem Interesse,
sein Verhalten im Organismus zu prüfen.
Auf Anregung von Herrn Prof. E. Salkowski möchte
ich einige wichtige Punkte in dieser Frage zu klären versuchen.
Bevor ich aber zu meinen Untersuchungen übergehe, sei es hier
erwähnt, daß Ovomukoid erklärlicherweise auch in hartgekochten
Eiern vorhanden ist. Ich habe aus solchen Eiern ganz reines
Ovomukoid mit allen seinen chemischen Eigenschaften gewonnen.
Die Methode der Darstellung war folgende: Hartes Eiweiß
wurde zerhackt, mit etwas Wasser in einer Reibschale verrieben
und unter Zusatz von einer kleinen Menge einer Essigsäurelösung
in einem großen Volumen Wasser gekocht. Der Zusatz von
Essigsäure erschien mir notwendig, um ein ganz klares Filtrat zu
bekommen. Aus diesem wurde durch Verarbeitung mit Alkohol
und Äther das Ovomukoidpulver erhalten.
Nach beschriebener Methode gelang es mir, aus 3 Eiern
0,84 g des Ovomukoids darzustellen, eine Menge, welche fast
genau dem Gehalt von 10 °/, dieser Substanz im Hühnereiweiß
entspricht. Es ist erklärlich, daß eine vollständige Extraktion
aus dem hartgekochten Ei nicht erreicht wurde. In bezug auf
die Größe der Kohlehydratgruppe war das so erhaltene Ovomukoid
dem gewöhnlichen identisch. Dieser Versuch zeigt uns, daß
wir beim Genusse von gekochten Eiern auch unverändertes
Ovomukoid in uns einführen.
) J. Seemann, Inaug.-Diss. Marburg 1898.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 113
Weitere Untersuchungen von mir wurden nach folgendem
Schema durchgeführt:
1. Verfahren zum Nachweis des Ovomukoids im Harn.
2. Übergang in den Harn bei Einspritzung in die Venen,
subkutan und Fütterung mit Ovomukoid.
3. Verdauung mit Pepsinsalzsäure. Ob die Kohlehydrat-
gruppe abgespalten wird?
4. Verdauung mit Pankreaspulver. Dieselbe Frage wie
vorher.
5. Abspaltung der Kohlehydratgruppe bei der Autolyse
mit Milz.
6. Abspaltung dieser Gruppe bei der Fäulnis.
Zur Beantwortung aller dieser Fragen war es sehr wich-
tig, zuerst den Gehalt der Zuckersubstanz im Ovomukoid fest-
zustellen.
Wie oben erwähnt, hat nur Seemann quantitative Be-
stimmungen der reduzierenden Substanz im Ovomukoid gemacht.
Für diese wie für alle weiter beschriebenen Versuche habe
ich das Ovomukoid in der üblichen Weise dargestellt.
Hübnereiweiß wurde mit dem 4 fachen Volumen Wasser
gut durchgeschüttelt, koliert, in das 1!/s fache Volumen sieden-
den Wassers eingegossen, unter Zusatz von Essigsäure bis zur
schwach sauren Reaktion unter gutem Umrühren auf freiem
Feuer, zuletzt bis zum starken Sieden erhitzt und abfiltriert;
das Filtrat, das keine Fällung mit Quecksilberchlorid und Sal-
petersäure gab, wurde anfangs auf freiem Feuer, dann auf dem
Wasserbade auf ein kleines Volumen eingedampft, abfiltriert
und in die 5 fache Menge absoluten Alkohols gegossen.
Der erhaltene Niederschlag wurde mehrmals in Wasser
gelöst und wieder mit absolutem Alkohol gefällt, filtriert, mit
Äther nachgewaschen und so entwässert.
Diese Reinigung des Körpers dauerte so lange fort, bis es
in Wasser gelöst keine Spuren von Reduktion in Fehlingscher
Lösung mehr gab.
Die Zuckerbestimmung in diesem Ovomukoidpulver ging
nach der Wägungsmethode vor sich, und bestand in folgenden:
30 cem Fehlingscher Lösung wurden mit 50 cem Wasser
verdünnt, in einem Erlenmeyerschen Kölbchen (von 200 cem
Volumen) zum Sieden erhitzt, 10—20 ccm der mit Salzsäure
Biochemische Zeitschrift Band I. 8
114 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
erhitzten Ovomukoidlösung bestimmter Konzentration hinzu-
gesetzt, 5 Minuten in gelindem Sieden erhalten und dann
mit etwa 100 ccm gekochtem Wasser versetzt. Nach einigen
Stunden wurde durch ein doppeltes, vorher gewogenes Filter
(Schleicher und Schüll Nr. 590) abfiltriert, reichlich mit heißem
Wasser ausgewaschen (bis eine Probe des Waschwassers durch
Salzsäure 4 Chlorbaryum nicht mehr getrübt wird) dann mit
Alkohol und Äther nachgewaschen, und bei 110—115° C. bis
zur Gewichtskonstanz getrocknet. Die Differenz zwischen dem
Gewichte des Filters und Filters 4 Niederschlages gab die
Menge des Kupferoxyduls an. Zur Berechnung des Zucker-
gehaltes aus dem Kupferoxydul multipliziert man mit 0,5042.
Bekanntlich kann die reduzierende Substanz des Ovomukoids
nur durch Kochen mit Salzsäure (Mineralsäure) nachgewiesen
werden. Den Angaben von Fr. Müller und Seemann folgend,
habe ich auch vielfach geprüft, um Optimumbestimmungen zu
finden. In Übereinstimmung mit diesen Autoren habe ich auch
mehrere Bedingungen gefunden, die auf die Vollkommenheit der
Spaltung und der Bestimmung der Zuckersubstanz Einfluß haben
können. Wenn man nach dem Kochen mit Salzsäure die Flüssig-
keit längere Zeit stehen läßt, ohne sie zu neutralisieren, so verliert
man einen bedeutenden Teil der reduzierenden Substanz. Auch
bei neutralisierter, besonders aber bei alkalischer Reaktion konnte
die Flüssigkeit nicht lange Zeit stehen bleiben, ohne daß die
Menge der reduzierenden Substanz sich verminderte. Optimum
der Zersetzung für Ovomukoid war bei 1—3 stündigem Kochen
mit 5—10°/, Salzsäure (bezogen auf HCl = 20—40°/, Salz-
säure von 1,124 D) auf freiem Feuer mit Durchleiten von Wasser-
dampf. Um alle schädlichen Einflüsse fern zu halten, habe ich
bei meinen Versuchen möglichst schnell gearbeitet. Nach
1—3 stündigem Kochen des Ovomukoids mit 5—10°, Salz-
säurelösung auf dem Sandbade unter Durchleiten von Wasser-
dampf wurde die Flüssigkeit unter der Wasserleitung zum Er-
kalten gebracht und gleich bis zur neutralen oder schwach
alkalischen Reaktion mit Natronlauge und mit Natriumkarbonat
versetzt, wiederum abgekühlt und mit destilliertem Wasser bis
zu einer bestimmten Menge der Lösung aufgefüllt. Eine genau
abgemessene Menge wurde mit der Pipette sofort in schwach
kochende Fehlingsche Lösung gegossen.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 115
Um gut fällbares und abfiltrierbares Kupferoxydul zu be-
kommen, hielt ich es für vorteilhaft, der Fehlingschen Lösung
noch etwas Natronlauge zuzusetzen. Mit dieser einfachen Me-
thode konnte ich, wie meine Kontrollanalysen bewiesen, ziemlich
genau arbeiten. Meine Versuche führten zu folgenden Resultaten:
Analyse 1. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit
50 ccm 3°/, HC], neutralisiert auf 104 ccm aufgefüllt.
Gefunden: in 20 ccm 0,045 und 0,038 Cu:0, oder in
100 g Ovomukoid — 41,6 CwO = 20,97 °/, der Zucker-
substanz.
Analyse 2. 0,5.g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit
50 ccm 5°/, HCl, neutralisiert auf 40 ccm aufgefüllt.
Gefunden: in 10 cem 0,028, 0,039, 0,032 g CwO, oder
19,9°/, Zuckersubstanz in Ovomukoid.
Analyse 3. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit
| 50 cem 5°, HCl, neutralisiert bis 60 ccm.
Gefunden: in 10 ccm 0,032 und 0,036 g CusO, oder
19,46°/, der Zuckersubstanz im Ovomukoid.
Analyse 4. 0,5 g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit
| 50 ccm 5°, HCl, neutralisiert bis 100 cem.
Gefunden: in 10 ccm — 0,024, 0,020 und 0,022 g CO,
oder 22,18°/, der Zuckersubstanz im Ovomukoid.
Analyse 5. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit
50 ccm 5°/, HCl neutralisiert bis 100 ccm.
Gefunden: in 10 ccm 0,021, 0,022 und 0,021 g CwO,
oder 21,17°/, Zucker im Ovomukoid.
Analyse 6. 0,5 g Ovomukoid nach 1stünd. Kochen mit
50 ccm 10°/, HCl, neutralisiert bis 100 cem.
Gefunden: in 10 ccm 0,0215, 0,0205 und 0,0205 Cu:O,
oder 21,17°/, Zucker im Ovomukoid.
Analyse 7. 0,5 g Ovomukoid nach 3stünd. Kochen mit
10°, HCl, neutralisiert bis 100 ccm.
Gefunden: in 10 ccm 0,023, 0,0215 und 0,022 CugO,
oder 22,33 °/, des Zuckers im Ovomukoid.
Wie man aus diesen Analysen ersehen kann, schwankt der
Gehalt an Zuckersubstanz im Ovomukoid zwischen 19,46 °/,
und 22,30°/,, Zahlen, die im Einklang mit den von Pavy')
) Pavy, The Lancet 1. Juli 1905. Nr. I of Vol. II 1905 p. 4.
8*
116 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
in seiner kürzlich erschienenen Arbeit gegebenen Zahlen (18,6
bis 26,5 °/,) stehen.
Nach diesen Angaben konnte ich für meine weiteren Ver-
suche als Grundzahl 22°/, des Zuckergehalts im Ovomukoid
annehmen, ein Prozentgehalt, der bei weitem geringer ist, als
der, den Seemann gefunden hat. Worin die Ursache dieser
Differenz liegt, vermag ich nicht zu sagen.
1. Verfahren zum Nachweis des Ovomukoids
im Harn.
Zum Nachweis und zur Bestimmung des Ovomukoids im
Harn konnte ich nur die Ausfällungsmethode wählen und im
Niederschlag das ausgeschiedene Ovomukoid nach dem Gehalte
an Zuckersubstanz bestimmen.
Es erschienen mir, entsprechend den chemischen Eigen-
schaften des Ovomukoids, zwei Methoden als brauchbar:
a) Ausfällen mit Phosphorwolframsäure und
b) Fällen mit Alkohol, nachdem der Harn auf ein kleineres
Volumen eingedampft war.
Aber schon die Versuche mit einer Lösung von reiner
Ovomukoidsubstanz zeigten, daß bei weiterer Verarbeitung des
durch Phosphorwolframsäure entstandenen Niederschlages mit
Barytwasser und Kohlensäure (um die Phosphorwolframsäure
zu entfernen) der größte Teil der reduzierenden Substanz ver-
loren ging.
Deswegen erwies sich nur die Alkoholfällungsmethode, die
nach einigen Vorprüfungen sich als sehr brauchbar zeigte, als
geeignet.
Für diese Versuche nahm ich zwei gleiche Portionen des
Harns, und setzte zu einer von diesen eine abgewogene Menge
des Ovomukoids, das sich sehr leicht im Urin löste. Der so
erhaltene ovomukoidhaltige Harn wurde dann in gleicher Weise
wie reiner Harn verarbeitet. Die Differenz zwischen der Menge
der reduzierenden Substanz des Harns mit Ovomukoid und des
reinen Harns (normaler Kaninchenharn enthält beträchtliche
Mengen einer alkoholfällbaren, nach der Hydrolyse reduzierenden
Substanz) wurde auf Ovomukoid berechnet. Für die Analysen
habe ich immer 100 cem Harn genommen, auf dem Wasserbade
auf 20—30 ccm eingedampft, in 150 ccm Alkohol absol. gegossen
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 117
und weiter nach oben beschriebener Methode des Ovomukoids
verarbeitet.
Das so erhaltene weiße Pulver (alkoholfällbare Substanzen
des Harns und solche + Ovomukoid) wurde dann aus dem
Filter mit 10°, Salzsäure im Erlenmeyerschen Kölbchen
ausgewaschen, die Menge der salzsauren Lösung in diesen auf
50 ccm aufgefüllt und als der ganze Niederschlag sich gelöst
hatte, wurde diese Flüssigkeit zwei Stunden auf dem Sandbade
unter Durchleiten von Wasserdampf gekocht. Die sauer re-
agierende, dunkelbraune Flüssigkeit wurde unter der Wasser-
leitung abgekühlt, neutralisiert und mit kochender Fehling-
scher Lösung in bekannter Weise weiter verarbeitet. Nachdem
die Flüssigkeit einige Stunden sich selbst überlassen war, wurde
der Niederschlag abfiltriert, mit Wasser, absolutem Alkohol und
Äther nachgewaschen und getrocknet. Da dieser Niederschlag
nicht nur Kupferoxydul enthielt, sondern auch andere Sub-
stanzen aus dem Harn, so konnte ich nicht die einfache Wöä-
gungsmethode benutzen. Ich löste den Rückstand auf dem
Filter mit heißer Salpetersäure, dampfte die Lösung in einer
Porzellanschale bis zur Trockne unter Zusatz von Schwefelsäure
ein, um sie von der überschüssigen Salpetersäure zu befreien.
Dann wurde der Rückstand wieder in ziemlich viel Wasser ge-
löst, in einem Becherglase zum Sieden erhitzt und mit einer
Lösung von 10°/, Natriumthiosulfat so lange versetzt, als noch
ein Niederschlag entstand. (Das Ausfällen des Kupfersulfür
vollzieht sich quantitativer, wenn man einige Tropfen verdünnter
Schwefelsäure hinzusetzt.) Sobald sich der schwarz gewordene
Niederschlag abgesetzt hatte und die überstehende Flüssigkeit
nur noch suspendierten Schwefel enthielt, war alles Kupfer
gefällt. Der Niederschlag bestand aus Kupfersulfür und ließ
sich leicht auswaschen, ohne daß er sich oxydierte. Derselbe
wurde abfiltriert, mit heißem Wasser ausgewaschen (bis das
Waschwasser nicht mehr sauer reagierte), getrocknet, verascht
und wieder mit Salpetersäure gelöst. Nach dem Eindampfen
(um die überschüssige Salpetersäure zu entfernen) und Auf-
nehmen mit Wasser wurde diese Lösung bis zum Sieden in
einer Porzellanschale erhitzt und mit reiner, sehr verdünnter
Natronlauge versetzt, so lange noch ein Niederschlag entstand.
(Die Flüssigkeit darf nicht zu stark alkalisch werden, weil ein
118 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
Überschuß von Natronlauge einen Teil des Kupfers leicht wieder
lösen kann.) Nachdem man die Lösung einige Minuten im
Kochen erhalten hat, läßt man den Niederschlag absetzen und
filtriert die Flüssigkeit ab, ohne den Niederschlag auf das
Filter zu bringen. Der Niederschlag wird mit Wasser über-
gossen, wieder zum Sieden gebracht, nach dem Absetzen filtriert
und überhaupt weiter nach den Regeln der quantitativen Ana-
lyse behandelt (Fresenius, Quant. Analye, 6. Aufl., I, S. 329).
Folgende Zahlen zeigen den Unterschied zwischen ovomu-
koidhaltigem und reinem Harn:
Versuch 1:
A. 100 ccm Harn ohne Ovomukoid ergab:
0,0375 und 0,036 g CuO.
B. 100 ccm Harn +4 0,1 g Ovomukoid ergab:
0,0930 und 0,087 g CuO.
B — A = 0,0555 und 0,0510 g CuO, oder 0,0251 und 0,0231 g
Zucker aus 0,1 g Ovomukoid.
Versuch 2:
A. — 0,0369 und 0,366 g CuO.
B. — 0,0823 und 0,0826 g CuO.
B — A = 0,0454 und 0,0460 g CuO = 0,026 und 0,0208 g
der Zuckersubstanz aus 0,1 g Ovomukoid.
Versuch 3:
A. 0,0378 und 0,0374 g CuO.
B. 0,0838 und 0,0814 g CuO.
B — A = 0,046 und 0,044 g CuO, oder 0,0208 und
0,0199 g CuO aus 0,1 Ovomukoid.
Die Analysen zeigten, daß ich immer die zugesetzte Menge
des Ovomukoids im Urin wiederfinden konnte, was aus der Zu-
nahme der reduzierenden Substanz hervorging.
Auch nach 24stündigem Stehen des ovomukoidhaltigen
Urins in der Kälte oder bei Zimmertemperatur unter Zusatz von
etwas Chloroform habe ich keine Verminderung der Zucker-
substanz gefunden. Nach diesen Versuchen konnte ich zu den
2. Tierversuchen übergehen.
Ich suchte die Frage aufzuklären, von welchem Werte das
Ovomukoid im tierischen Organismus ist.
Als Versuchstiere wurden Kaninchen gewählt.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 119
Das Behandeln der Tiere und Sammeln des Harns war
gleich so eingerichtet, wie es gewöhnlich bei Stoffwechselversuchen
üblich ist.
Die Tiere haben die abgemessene Menge des Ovomukoids
in 10 °/o Wasserlösung auf verschiedenen Wegen (in den Magen,
subkutan und in die Ohrvene eingespritzt) bekommen; ich habe
nicht mehr als 1 g pro Kilo des Körpergewichts gegeben, weil
eine größere Menge des Präparats, in die Venen eingeführt, von
den Tieren nicht vertragen werden konnte.
Die gefundenen Resultate sind in folgenden Tabellen an-
gegeben:
a) Einführung in den Magen.
Versuch 1: Kaninchen von 1850 g Körpergewicht.
Normaler Urin.
Reduzierende Substanz berechnet
in a Stunden in 100 com in 100 Rn En Tages-Urin
400 ccm 0,045 0,0205 0,0830
420 „ 0,0323 0,0146 0,0604
500 , 0,0573 0,0250 0,1250
Summa 0,2674 g
Nach Einführung von 1,85 g Ovomukoid.
220 ccm 0,0560 0,0259 0.0559
600 , 0,0366 0,0166 0,0996
400 , 0,0371 0,0168 0,0672
Summa 0,2227 g
Versuch 2: Kaninchen von 1550 g Körpergewicht.
Normaler Urin.
Reduzierende Substanz berechnet
in Stunden in 100 sem in 100 a a Togiuns
260 ccm 0,0528 0,0239 0.0620
240 , 0,0630 0,0286 0,0680
280 , 0,0580 0,0265 0,0740
Summa 0,2040 g
Nach Einführung von 1,55 g Ovomukoid.
280 ccm 0,0510 0,0231 0,0646
340 „ 0,0467 0,0211 0,0717
870 „ 0,0431 0,0210 0,0700
Summa 0,2053 g
120 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
In diesen Fällen wurde so keine Vermehrung der redu-
zierenden Substanz im Harn nachgewiesen.
b) Subkutane Einspritzung der Ovomukoidlösung.
Versuch 1:
Kaninchen von 1850 g Körpergewicht.
Normaler Harn.
Menge des Urin Gramm CuO Reduzierende Substanz berechnet
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 Megi ana ages-Urin
480 ccm ć ° 0,0420 0,0190 0,0912
430 , 0,0510 0,0232 0,0999
465 „ 0,0460 0,0210 0,0978
Summa 0,2889 g
Nach Einspritzung von 1,85 g Ovomukoid.
500 ccm 0,0569 0,0258 0,1290
410 , 0,0296 0,0134 0,0549
550 „ 0,0501 0,0227 0,1248
Summa 0,3087 g
Differenz = 0,0198 g, berechnet auf das eingeführte Ovo-
mukoid = 0,09 g = 4,8 o.
Versuch 2.
Kaninchen von 1550 g Körpergewicht.
Normaler Urin.
Menge des Urin Gramm CuO a berechnet
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm aa Tages-Urin
310 ccm 0,0512 0,0232 0,0719
340 „ 0,0499 0,0226: 0,0768
280 „ 0,0576 0,0261 0,0731
Summa 0,2218 g
Nach der Einspritzung von 1,55 g.
150 ccm 0,0750 0,0340 0,0510
420 , 0,0645 0,0292 0,1224
180 , 0,0693 0,0314 0,0565
Summa 0,2299 g
Die Differenz beträgt 0,0081 g, eine so geringe Menge, die
keine Bedeutung haben kann.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 121
c) Einspritzungen in die Ohrvene.
Versuch 1:
Kaninchen von 1850 g Körpergewicht.
Normaler Harn.
Menge des Urin Gramm CuO peee ee berechnet
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm im Tages-Urin
420 ccm 0,0435 0,0197 0,0827
485 „ 0,0482 0,0218 0,1057
505 „ 0,0420 0,0190 0,0959
Summa 0,2843 g
Nach dem Einspritzen von 1,85 g Ovomukoid.
325 ccm 0,1300 0,0590 0,1918
425 „ 0,0502 0,0227 0,0965
425 „ 0,0388 0,0176 0,0748
Summa 0,3631 g
Differenz: 0,0788 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid
= 0,358 g = 13,9 °/o.
Versuch 2:
Dasselbe Kaninchen nach einigen Wochen.
Normaler Harn.
Menge P E G un G0 N berechnet
in 24 Stunden in 100 ccm in 100 ccm im Tages-Urin
450 ccm 0,042 0,019 0,0855
520 „ 0,034 0,0154 0,0800
420 „ 0,052 0,0235 0,0987
Summa 0,2642 g
Nach Einspritzung von 0,8 g Ovomukoid.
480 ccm 0,054 0,0249 0,1195
520 , 0,041 0,0185 0,0943
530 , 0,038 0,0172 0,0911
Summa 0,3049 g
Differenz = 0,0407 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid
= 0,13 g = 16,2.
122 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
Versuch 3:
Kaninchen von 2600 g Körpergewicht.
Normaler Urin.
Menge des Urin Gramm CuO Reduzierende Substanz berechnet
in 24 Stunden „m. L00 scou in 100 a A Tages-Urin
405 cem 0,0452 0,0204 0,0826
580 , 0,0388 0,0176 0,1020
460 , 0,0396 0,0179 0,0823
Summa 0,2669 g
Nach der Einspritzung von 2,0 g Ovomukoid.
250 ccm 0,145 0,066 0,1625
440 , 0,0720 0,0326 0,1434
840 , 0,054 = 0,0244 0,0829
Summa 0,3915 g
Differenz = 0,1246 g, berechnet auf eingeführtes Ovomukoid
= 0,54 g = 28 fi:
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das Ovomukoid
bei Einführung in den Magen oder in das Unterhautbinde-
gewebe vollständig oder fast vollständig oxydiert wird, ebenso
wie die Eiweißkörper. Nach Einführung in das Venensystem
werden 13,9—28 °/, unverändert ausgeschieden. Auch in dieser
Beziehung steht es in Übereinstimmung mit den Eiweißkörpern,
von denen nach J. Munk und Lewandowski!) zwischen 46 °/o
und 2 °/,, je nach der Natur der Eiweißkörper im Harn wieder
erscheint.
3. Abspaltung der Kohlehydratgruppe bei der
Verdauung mit Pepsinsalzsäure.
Vorbereitung der Pepsinsalzsäure.
2 g käufliches, in Wasser unlösliches Pepsin (Pepsin pulv.
pur. „Finzelberg“) wurde in einer Schale mit etwas Wasser
verrieben, filtriert und mit Wasser solange nachgewaschen, bis
das Waschwasser keine Milchzuckerreaktion mehr gab; der
Rückstand wurde mit 100 ccm Verdauungssalzsäure (10 ccm
offizinelle Salzsäure von 1,124 spez. Gewicht auf 1 Liter verdünnt
= 0,281 °/, HCI) in einen Kolben gebracht, nach 24stündigem
) J. Munk u. Lewandowski, Arch. f. Anat. u. Phys. v. His-
Engelmann 1890, Suppl.-Bd. 63— 86.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 123
Stehen unter öfterem Schütteln bei Zimmertemperatur abfiltriert
und mit Verdauungssalzsäure auf 500 ccm aufgefüllt.
Die Verdauungsversuche selbst waren folgenderweise ein-
gerichtet:
1 g des Ovomukoids werden mit 100 ccm Pepsinsalzsäure
24—48 Stunden bei 38°C im Brutschrank digeriert. Nach
dieser Zeit wurde die ganz klar gebliebene Flüssigkeit mit
Natriumkarbonatlösung neutralisiert und ihr Reduktionsvermögen
in bekannter Weise mit Fehlingscher Lösung geprüft. Als
Kontrollproben wurden auch Verdauungssalzsäure + Ovomukoid
(ohne Pepsin), reine Pepsinsalzsäure, einfach wässerige Ovo-
mukoidlösung (1: 100), gekochte Pepsinsalzsäure 4 Ovomukoid
wie die Hauptprobe verarbeitet.
Da ich für diese Untersuchungen eine neue Menge des
Ovomukoids darstellen mußte, bestimmte ich auch in dieser
den Kohlehydratgehalt und zwar, wie bei allen weiteren Ver-
suchen, nach dem oben beschriebenen Verfahren, welches in
Wägung des Kupferoxyds ausläuft.
1. Hydrolyse (1stündiges Kochen mit 10%,HC!.).
Gefunden in 0,2 g Ovomukoid — 0,0894 und 0,0904 g
CuO = ungefähr 20,2 °/, der Zuckersubstanz, Zahlen,
die nochmals die früher gefundenen bestätigen.
2. Verdauungsversuche: 100 ccm Verdauungsflüssigkeit
+ 1g Ovomukoid. Neutralisierung mit Natriumkarbonat-
lösung und Zusatz von Wasser bis 110 ccm. Für
Analysen wurden je 22 ccm genommen = 0,2 g des
Ovomukoids.
Gefunden: a) Pepsinsalzsäure + Ovomukoid
Nach 24 Stunden.
0,0466 und 0,0430 CuO |.
0,0440 und 0,0388 CuO jin K
Nach 48 Stunden.
0,0296 und 0,0304 CuO |. ;
0,0270 und 0,0282 Cuo |" 2 8 Ovomukoid.
b) Verdauungssalzsäure ohne Pepsin 4 Ovomukoid.
Nach 24 Stunden.
0,020 und 0,0188 g CuO
Nach 48 Stunden. $ in 0,2 g Ovomukoid.
0,022 und 0,0232 g CuO
124 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
c) Gekochte Salzsäure 4 Ovomukoid.
Nach 24 Stunden.
0,0182 und 0,0179 g CuO |
Nach 48 Stunden.
0,0171 und 0,0169 g CuO |
Kontrollproben mit reiner Pepsinsalzsäure und wässeriger
Ovomukoidlösung gaben keine Reduktion mit Fehlingscher
Lösung.
Diese Versuche zeigen, daß schon die Verdauungssalzsäure
bei längerer Einwirkung in gelinder Wärme einen Teil der Kohle-
hydratgruppe aus Ovomukoid abspalten kann, doch kommt diese
Möglichkeit bei Pepsinsalzsäureeinwirkuug viel mehr zur Geltung.
Während die Salzsäure nur 0,020—0,0188 g CuO nach
24stündigem Digerieren gegeben hat, gab in derselben Zeit
Pepsinsalzsäure 0,0466—0,388 CuO aus 0,2 g Ovomukoid.
Auch E. Salkowski hat schon das Auftreten einer redu-
zierenden Substanz nach der Einwirkung der Pepsinsalzsäure
beobachtet. Er sagt darüber in seiner zweiten Mitteilung a. a. O.
707: „Die Vermutung, daß die reduzierende Substanz durch
die Verdauung abgespalten sei, lag danach auf der Hand. Es
war mir aber zweifelhaft, ob diese Reaktion nicht auf Spuren
von Zucker beruhte, welche dem Präparate anhängen mochten, und
welche in der Tat nicht leicht vollständig auszuschließen sind.“
in 0,2 g Ovomukoid.
Nach meinen Versuchen können wir, glaube ich, mit
Bestimmtheit sagen, daß die Pepsinsalzsäure die Kohlehydrat-
gruppe aus dem Ovomukoid abspaltet.
Ich möchte noch auf einen Punkt, der aus meinen Ver-
suchen hervorgeht, aufmerksam machen: Wie die angeführten
Analysenzahlen zeigen, ist das Reduktionsvermögen der 48-
stündigen Verdauungsflüssigkeit bemerkenswert kleiner, als das
der 24stündigen. Ich habe nämlich gefunden 0,0466—0,0388 g
CuO nach 24stündiger Verdauung und nur 0,0296—0,0304 CuO
nach 48stündiger Verdauung in 0,2 g Ovomukoid.
Eine Erklärung für diese Erscheinung konnte ich nicht
finden. Vielleicht liegt der Grund darin, daß das abgespaltene
Glukosamin bei längerer Einwirkung von Pepsinsalzsäure durch diese
zerstört wird, oder daß vielleicht nach Angaben von J. Lewinski’)
) J. Lewinski, Berl. klin. Wochenschr. N. 5. 1906.
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 125
das dabei gebildete Pepton störend auf die Reaktion mit Fehling-
scher Lösung einwirkt.
4. Pankreasverdauung.
Die Versuche wurden mit Pankreaspulver (nach Kühne)
angestellt. Rinderpankreas, welches 24 Stunden gelegen hat,
wurde sorgfältig von allem sichtbaren Fett befreit, zerhackt,
mit Alhohol absol. zerrieben, abgepreßt, wieder mit Alkohol
absol. verarbeitet, mit Äther zweimal verrieben (um Alkohol zu
entfernen), abgepreßt, getrocknet und durch Drahtgaze gesiebt.
10 g von diesem Pulver wurden dann mit 500 ccm Chloroform-
wasser unter Zusatz einiger Tropfen Natriumkarbonatlösung
einen Tag über im Brutschrank digeriert und das Filtrat
hiervon zu den Versuchen verwendet.
Die Verdauungskraft dieser Lösung, wie auch bei der
Pepsinsalzsäure, wurde mit Blutfibrin geprüft. Zu den Ver-
suchen ist 1 g Ovomukoid mit 100 ccm dieser Pankreaslösung
genommen worden. Kontrollproben waren: Digerieren des
Ovomukoids mit gekochter Pankreaslösung, mit schwacher
Natriumkarbonatlösung und der reinen Pankreaslösung ohne
Ovomukoid.
Wie in der Hauptprobe, so auch in allen Kontrollproben
habe ich kein Reduktionsvermögen bekommen, durch Pankreas-
verdauung wird also die Kohlehydratgruppe im Ovomukoid nicht
abgespalten. |
5. Autolyse mit Milz.
In der einen Reihe von Versuchen wurde frische, zerhackte
Milz gebraucht, in der andern aus ihr dargestelltes Acetonpulver.
Die Wirksamkeit dieser beiden Präparate in bezug auf
Eiweißspaltung habe ich nach Entstehung und Stärke der
Peptonreaktion nach 24stündiger Selbstverdauung geprüft.
a) Versuche mit frischem Milzbrei.
Frische, klein zerhackte Rindermilz wurde auf drei Portionen
zu je 50 g verteilt.
Eine Portion wurde mit 2g Ovomukoid (in einer kleinen
Menge Wasser gelöst) und Chloroformwasser bis auf 500 cem
aufgefüllt, eine andere zuerst mit 200 ccm Wasser gekocht und
dann in derselben Weise bis auf 500 ccm mit Ovomukoid und
Chloroformwasser aufgefüllt; die dritte Portion des Milzbreis
126 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
wurde nur mit Chloroformwasser ohne vorheriges Kochen und
ohne Ovomukoid bis auf 500 ccm aufgefüllt.
So bekam ich:
1. Milzbrei + Ovomukoid,
2. Milzbrei ohne Ovomukoid und
3. Gekochten Milzbrei 4 Ovomukoid in Chloroformwasser.
Alle diese Flüssigkeiten wurden fünf Tage lang unter täg-
lichem Schütteln im Brutschrank bei 38° C digeriert. Nach-
dem Essigsäure bis zur schwachsauren Reaktion hinzugesetzt
war, wurden dieselben gekocht, abfiltriert, der Rückstand so
lange ausgewaschen, bis das Waschwasser keine Reaktion mehr
auf Chloride gab, und die Flüssigkeitsmenge auf 1 Liter mit
Wasser nachgefüllt.
Für die Analysen wurden von jeder Flüssigkeit je 100 ccm
(0,2 g Ovomukoid entsprechend) genommen und nach Neutrali-
sierung mit Fehlingscher Lösung 5 Minuten gekocht. Folgende
Quantitäten CuO habe ich erhalten:
a) Autolyse der Milz + Ovomukoid.
Gefunden CuO: 0,0194 und 0,0208 g.
b) Autolyse der Milz ohne Ovomukoid,
Gefunden CuO: 0,0203 und 0,0213 g.
c) Autolyse von gekochter Milz 4— Ovomukoid.
Gefunden CuO: 0,0046 und 0,0044 g.
b) Versuche mit Acetonpulver.
Acetonpulver wurde nach der Methode von Buchner dar-
gestellt und zwar auf folgende Weise: zerhackte Milz wurde
zweimal mit großen Mengen Aceton verrieben und durch-
geschüttelt, dann abgepreßt, mit Äther so lange gewaschen,
bis der Geruch nach Aceton verschwunden war, abgepreßt, bis
zur Trockne verrieben und durch feine Drahtgaze gesiebt.
Für Versuche sind genommen:
a) 2 g Acetonpulver + 1 g Ovomukoid in 200 g Chloroform-
wasser.
b) 2 g Acetonpulver in 200 ccm Chloroformwasser ohne
Ovomukoid.
c) 2 g gekochtes Acetonpulver + 1 g Ovomukoid in 200 cem
Chloroformwasser.
Diese Proben blieben auch im Brutschrank bei 38° C.
5 Tage stehen. Nachdem mit Essigsäure gekocht und bis auf
K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus. 127
250 ccm mit Wasser und Natriumkarbonatlösung aufgefüllt war,
wurden dieselben abfiltriert und je 50 ccm (= 0,2 g Ovomukoid)
mit Fehlingscher Lösung gekocht. Alle Proben gaben voll-
kommen negative Resultate oder bestätigten die oben gegebenen
Befunde. Ich muß hier noch bemerken, daß das Acetonpulver
im Gegensatz zu dem frischen Milzbrei selbst keine Reduktion
gab, d. h., es war aller Zucker bei der Bearbeitung mit Aceton
aus der Milz gelöst und entfernt.
Für Kontrollversuche wurden auch bei beiden Versuchs-
anordnungen die Fällung mit Alkohol nach dem Eindampfen
der Verdauungsflüssigkeit (wie es bei der Darstellung des Ovo-
mukoids beschrieben ist) und Hydrolyse mit 10 %, HCl des
Niederschlages gemacht. Es ist mir gelungen, in jedem Falle
die entsprechende Menge der reduzierenden Substanz wiederzu-
finden, was noch einmal bestätigt, daß wirklich keine Ab-
spaltung des Glukosamins stattgefunden hatte.
6. Fäulnisversuche.
Für diese Versuche wurde ein Fäulnisgemisch (30 g zer-
hacktes Fleisch + 5 ccm Natriumkarbonatlösung + 300 ccm
Wasser wurden 48 Stunden im Brutschrank digeriert) gebraucht,
und drei Proben eingestellt:
a) 2 g Ovomukoid in 100 cem Wasser 4 1 ccm Natrium-
karbonatlösung 4 1 ccm der Fäulnisflüssigkeit;
b) 2g Ovomukoid in 100 ccm des Fäulnisgemisches auf-
gelöst, und
c) das Fäulnisgemisch ohne Ovomukoid (Kontrollversuch).
Alle diese Proben blieben im Brutschrank fünf Tage hindurch
stehen; nach dieser Zeit wurde unter Zusatz von Essigsäure
gekocht, abgekühlt, mit Natriumkarbonatlösung neutralisiert,
auf 200 ccm mit Wasser aufgefüllt und abfiltriert.
Das Filtrat von allen drei Proben gab keine Reduktion
mit Fehlingscher Lösung.
Die Ursache der negativen Resultate konnte man durch
folgende Kontrollanalysen bestätigen:
Für diesen Zweck wurden je 100 cem (= 1 g Ovomukoid)
von jedem Filtrate genommen, bis auf ungefähr 20 ccm ein-
gedampft, mit 100 ccm Alkohol absol. versetzt und der erhaltene
Niederschlag nach bekannter Weise hydrolisiert. 50 ccm von
128 K. Willanen, Verhalten des Ovomukoids im Organismus.
dem Filtrat a gaben 0,053 und 0,051 g CuO, die anderen
Proben ergaben gar keine Reduktion.
Diese Resultate beweisen, daß in ovomukoidhaltigen Flüssig-
keiten die Kohlehydratgruppe abgespalten und das freigewordene
Glukosamin zersetzt worden ist.
In Probe a war ein Teil des Ovomukoids (ungefähr 1/5)
noch unverändert geblieben (Fäulnis war unvollkommen), da-
gegen war in Probe b alles Ovomukoid gespalten und das
Glukosamin zersetzt. Es ist außerdem festgestellt, daß diese
Zersetzung von Glukosamin bei starker Fäulnis schnell geht;
deswegen habe ich auch bei der Hauptprobe a keine Reduktion
mehr bekommen.
Diese Befunde sind auch deswegen interessant, weil es
bisher in der Literatur noch keine Angaben über die Möglich-
keit der Zersetzung von Glukosamin bei der Fäulnis gab.
Ergebnisse.
Wenn wir jetzt die Resultate noch einmal kurz zusammen-
fassen, so ist es gelungen, auf oben gestellte Fragen folgender-
weise zu antworten:
Da das Ovomukoid den Charakter eines Glukoproteids hat
und nach Einführung in den Magen nicht wiedererscheint,
also oxydiert wird, so ist es höchstwahrscheinlich, daß dasselbe
zu den Eiweißnährstoffen gehört.
Beim Genusse von Hühnereiern gelangt diese Substanz
vollkommen zur Geltung. Sie ist schon in frischen Eiern
präformiert und ändert sich nicht beim Kochen. In meinen
Versuchen wurde die Kohlehydratgruppe im Ovomukoid bei
der Verdauung mit Pepsin und bei der Fäulnis abgespalten,
dagegen konnte ich bei der Verdauung mit Trypsin und bei
der Autolyse keine Abspaltung des Glukosamins finden.
Wie die Versuche mit Fäulnis gezeigt haben, ist es auch
anzunehmen, daß sich das Glukosamin bei Fäulnisvorgängen zer-
setzen kann. Das Ovomukoid gibt bei Anwesenheit von Glyoxyl-
säure im Eisessig schwach positive Adamkiewitzsche Reaktion.
Zu großem Danke fühle ich mich Herrn Prof. E. Salkowski
gegenüber verpflichtet, der mich bei der Ausarbeitung des von
ihm gütigst angeregten Thema stets in liebenswürdiger Weise
unterstützt hat.
Zur Frage
über die Entstehung des Rhodans im Organismus.
Von
Dr. K. Willanen aus Petersburg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 12. Mai 1906.)
Schon vor vielen Jahren hat man die Schwefelcyanverbin-
dungen in verschiedenen Teilen des Tierkörpers gefunden:
Tiedemann und Gmelin’) im Speichel, Leared?) im Blut,
Nencki°) im Magensaft, Gscheidlen‘), J. Munk’), G. Külz®)
u.a. im Urin. Die Entstehung des Rhodans im Organismus
ist aber bisher noch nicht aufgeklärt.
Nach der Anschauung von Bernard (zit. nach Gscheidlen)
sind die Rhodanverbindungen in dem Speichel nicht präformiert,
sondern ‚entstehen in letzterem durch einen unbekannten Zer-
getzungsprozeß. Gscheidlen‘) hat durch Anlegung von Fisteln
an den Ausführungsgängen der Parotis und Submaxillaris die
Ausscheidung des Speichels nach außen herbeigeführt und fand,
daß das Rhodan bei solchen Tieren aus dem Urin ganz ver-
schwunden war. Deswegen meinte er, daß die Schwefelcyan-
1) Zit. nach Gscheidlen s. u.
») Zit. nach Gscheidlen s. u.
”*) Ber. d. d. Chem. Gesellsch. 28, 10, 1318 (1895).
*) Pflügers Arch., 14, 401 (1877).
5 Virchows Arch. 69, 354 (1877).
®) Sitzungsberichte der Ges. z. Beförder. d. Ges. Naturwiss. in Mar-
burg, 76 (1878).
Biochemische Zeitschrift Band I. 9
130 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus.
verbindungen des Harns aus dem Speichel oder den Speichel-
drüsen stammen.
J. Kelling!) betrachtet den verschluckten Speichel auch
als Quelle des Vorkommens von Rhodan im Magen.
Nencki und Schuman-Simanowski?) halten dagegen
diese Auffassung für irrtümlich, weil der von ihnen untersuchte
Magensaft bei ösophagotomierten Hunden, bei denen keine
Speichelbeimischung zum Magensaft stattfinden konnte, immer
rhodanhaltig war.
Auch Rjasantzen?) hat bei wiederholten Untersuchungen
Sulfocyansäure im vollkommen getrennten Fundusblindsack ge-
funden.
Nach Bruylants*) wird die Schwefelcyansäure im Orga-
nismus gebildet, denn ihre Ausscheidung ist unabhängig von
der Art der Ernährung. Die Schwefelcyansäure kann nach ihm
ihre Quelle nur in den Albuminstoffen haben; das sei anzu-
nehmen, denn die Cyangruppe könne in Albuminstoffen vor-
kommen und erhielte sich in den von denselben abstammenden
Xanthinkörpern. Verfasser nimmt deswegen die Möglichkeit an,
daß die Schwefelcyansäure aus letzteren entstehen könne.
Im allgemeinen hielt er es für wahrscheinlich, daß im
Organismus die Synthese von Cyan und Schwefel stattfinden
könne.
Die Ausscheidung des Rhodans im Urin ist nach ihm des-
wegen so gering, weil der größere Teil der gebildeten Schwefel-
cyansäure wieder zersetzt werde.
Er hat nämlich gefunden, daß von in den Organismus
eingeführten schwefelcyansauren Salzen nur ein kleiner Teil
wieder im Urin erscheint. Lang’) konnte bei einem Versuche
am Hunde auch nur '/; der eingeführten Rhodanmenge im
Harn wiederfinden. |
Anderseits gibt es schon viele Angaben, welche darauf
hinweisen, daß Cyanwasserstoff im Organismus in Rhodan-
wasserstoff übergehen kann. Nach der Fütterung mit Blau-
‘) Zit. nach Nencki.
») Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakolog., 84, 332, (1894).
” Zit. nach Nencki.
4) Jahresbericht der Tierchemie 134 (1888).
*) Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. 84, 247 (1899).
K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 131
säure und Nitrilen der Fettreihe hat man ihren Übergang in
Rhodanverbindungen beobachtet. Giacosa!) hat nachgewiesen,
daß bei der Fütterung mit Acetonitril und Propionitril die
Ausscheidung des Rhodans im Harn sich vermehrte. Lang?)
bestätigte dies bei der Einführung der Aceto-, Propio-, Butyro-,
Capronitrile und der Blausäure selbst ir den Organismus.
Pascheles®) hat außerdem bei seinen Versuchen mit
Muskeln, Rinderleber, Eiereiweiß, Eierdotter und Cystin gefun-
den, daß die Eiweißstoffe, welche locker gebundenen Schwefel
enthalten, unter Verhältnissen, wie sie im Organismus gegeben
sind, Cyankalium leicht in Rhodankalium überführen. Diese
Experimente von Pascheles können das von Lang gefundene
Verhalten der Blausäure und der aus den Nitrilen abgespaltene
Cyangruppe aufklären: Die Organe des Körpers bestehen zum
großen Teil aus Eiweißstoffen, die locker gebundenen Schwefel
enthalten. Wie die Stoffwechseluntersuchungen lehren, findet
überdies ein fortwährender Eiweißzerfall unter Schwefelspaltung
statt. Unter diesen Verhältnissen muß die in den Körper ge-
langte Cyangruppe in den Rhodanrest übergeführt werden.
So herrscht jetzt die allgemeine Ansicht, daß Cyanwasser-
stoff im Organismus in Rhodanwasserstoff übergehen müsse.
Anderseits gibt es auch Befunde, welche zeigen, daß Cyan-
säureverbindungen aus Eiweißstoffen oder aus Zersetzungspro-
dukten der Eiweißstoffe herstammen können.
Wie oben erwähnt, hat schon Bruylants darauf auf-
merksam gemacht, daß die Cyangruppe im Organismus aus
den aus Eiweißstoffen herstammenden Xanthinkörpern her-
rühren könne.
Auch Nencki*) meint, daß man auf Grund der Arbeiten
von Lang und Pascheles annehmen kann, daß in der
Magenschleimhaut während der Saftbildung aus den Eiweiß-
stoffen durch Hydrolyse zunächst Amidosäuren der Fettreihe
entstehen, die bei der Oxydation in die um einen Kohlenstoff
ärmeren Nitrile übergehen; diese würden dann durch den
') Ztschr. f. physiol. Chem. VIII, 95. Annali di Chim. e di Far-
macol. (1885).
» A. a. O.
”») Arch. f. experim. Pathol. und Pharmakol. 84, 281.
^ A. a O.
9
132 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus.
Schwefel des Eiweißes unter Abspaltung des mit der C: N-Gruppe
verbundenen Alkyls in Rhodan übergeführt.
In jüngster Zeit hat Plimmer!) gefunden, daß bei der
Oxydation verschiedener Eiweißkörper mit der Neumannschen
Salpetersäuremischung oder mit Chromsäure Blausäure entsteht.
Er hat nämlich bei der Oxydation einzelner Spaltungsprodukte
der Eiweißkörper folgende Zahlen bekommen: Glykokoll gab
11,1 °% HCN, Asparagin 7,7 °/,, Alanin, Leucin, Tyrosin,
Tryptophan u. 8. w. viel weniger.
Da nun nach der allgemeinen Ansicht Cyanwasserstoff im
Organismus in Rhodanwasserstoff übergeht, anderseits Amino-
säuren, u. a. Glykokoll bei der Oxydation außerhalb des
Körpers nicht unerheblich Cyanwasserstoff liefern, so liegt die
Annahme nahe, daß auch im Organismus als Nebenreaktion
eine Oxydation von Aminosäuren unter Bildung von Blau-
säure stattfindet, welche dann in Rhodan übergeht.
Diese Hypothese suchte ich auf Anregung von Herrn
Prof. E. Salkowski experimentell zu prüfen, und zwar durch
Einführung von großen Mengen Glykokoll bei Tieren.
Für die Versuche wurden Kaninchen gewählt, weil normaler
Kaninchenharn frei von Rhodan ist oder nur kleine Spuren
davon enthält. Das Rhodan im Urin wurde durch die Probe
mit Ferrichlorid und Salzsäure nachgewiesen. Für Kontroll-
versuche habe ich immer auch die Methode von J. Munck
angewandt.
Diese letzte besteht darin, daß man 200 ccm Urin mit
Salpetersäure ansäuert, mit Silbernitrat ausfällt, den Nieder-
schlag, der außer Chlorsilber auch Rhodansilber enthält, unter
Wasser mit H3»S zersetzt, abfiltriert und im Filtrat mit Eisen-
chlorid und Salzsäure durch die eintretende Rotfärbung des
Rhodan nachweist. Munck sagt weiterhin hierüber: „Bleibt
diese Reaktion aus oder ist sie nicht deutlich genug, so
destilliert man die Flüssigkeit mit Schwefelsäure, und man
wird dann im Destillat die Anwesenheit von Blausäure stets
dartun können“ (J. Munck, a. a. O.).
Bei meinen Untersuchungen nahm ich 100 cem Urin,
zersetzte den Silberniederschlag in 50 ccm Wasser und nach
') Journ. of Physiol. 82, 51—58 30. 12 1904, zitiert nach Chem Zen-
tralbl. 1905.
K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus. 133
Durchleitung von HS benutzte ich immer die gleiche Menge
des Filtrats (10 ccm) für die Prüfung. Zu dieser Probe wurden
3—5 Tropfen Eisenchlorid und 1 ccm HCl hinzugesetzt. So
konnte ich sehr gut bei allen Untersuchungen die Stärke der
Reaktion vergleichen. Auch frischer Harn wurde in gleicher
Weise im normalen Zustande und nach Einführung des Präpa-
rats untersucht.
Der normale Kaninchenharn gab bei solcher Verarbeitung
keine oder nur sehr schwache rötliche Färbung. Auch nach
der Destillation konnte ich keine Spuren von Blausäure finden.
Was diesen Punkt betrifft, so bin ich zu einem von den
Angaben Muncks abweichenden Resultat gekommen. Auch
wenn ich im Filtrat schon deutlich rote Färbung mit Eisen-
chlorid und Salzsäure bekommen hatte, fiel die Berliner Blau-
probe im Destillat jedesmal ganz negativ aus. Dasselbe konnte
ich auch mit reinem schwefelcyansaurem Salze in wässerigen
Lösungen verschiedener Stärke bestätigen.
Nach den beschriebenen Methoden ist es mir gelungen,
das Vorkommen von Rhodan im Urin darzutun, nachdem das
Glykokoll in den Magen der Kaninchen eingeführt war. Bei
allen Tieren, deren Harn im normalen Zustande keine
Rhodanreaktion gab, habe ich nach Einführung von nicht
zu kleinen Mengen des Glykokolls (5—10 g, je nach der
Größe des Tieres) starke Rotfärbung im Urin nach Bearbei-
tung mit Eisenchlorid + HCl, direkt oder nach J. Munck,
erhalten.
Dasselbe Resultat gab auch Kreatinin, das Anhydrid des
Kreatins, schon bei Einführung von viel kleineren Mengen
(1 g auf jedes Kaninchen). Kreatin ist bekanntlich synthetisch
aus Cyanamid und Sarkosin (Methylglykokoll) dargestellt und
spaltet sich beim Kochen, u. a. in Harnstoff und Sarkosin,
daher kann es auch Blausäure bei der Spaltung geben.
Unsere positiven Befunde mit Kreatinin bestätigten die
angenommene Voraussetzung.
Die Versuche mit Adenin') gaben positive Resultate. Die
Reaktionen waren sehr schwach, was wahrscheinlich darauf
!) Wir verdanken dasselbe der Firma Böhringer und Söhne in
Waldhof bei Mannheim.
134 K. Willanen, Entstehung des Rhodans im Organismus.
zurückzuführen ist, daß uns zu kleine Mengen von Adenin’)
zur Verfügung standen. Alle oben angegebenen Versuche zeigen
mit Bestimmtheit, daß Aminosäuren (Glykokoll, wie auch
einige andere Substanzen, die Blausäure bei ihrer Oxydation
oder Spaltung geben (Kreatin, Kreatinin, Adenin), als Quelle
des Rhodans im Organismus anzusehen sind. Diese Angaben
bestätigen die Ansichten von Autoren, die den Eiweißkörpern
und ihren Zersetzungsprodukten die Hauptrolle bei der Ent-
stehung des Rhodans im Organismus zuschreiben.
') Die Versuche mit Adenin haben mir auch gezeigt, daß es von
Kaninchen sehr gut vertragen wird. Nach Einführung von 1 g Adenin
konnte ich keine pathologische Veränderung des Harns nachweisen ; dieser
Befund steht in Übereinstimmung mit solchen von Schittenhelm (Arch.
f. exp. Pathol. u. Pharmak. 47, 432—437), der auf den auffälligen Unter-
schied in dem Verhalten von Hunden und Kaninchen zu Adenin hin-
gewiesen hat.
Biochemische Untersuchungen
über Vergiftung und Entgiftung bei der Lysolvergiftung.
Von
Prof. Dr. Ferdinand Blumenthal.
(Aus der I. medizinischen Klinik zu Berlin.)
(Eingegangen am 12. Mai 1906.)
Während wir wissen, daß die Wirkung der bakteriellen
Toxine u. a. darin besteht, daß sie im Tierkörper Antitoxin-
bildung anregen, ist etwas derartiges von zahlreichen aus der
Chemie bekannten Giften nicht nachgewiesen, und es besteht
bis jetzt nach dieser Richtung ein scharfer Gegensatz zwischen
den bakteriellen Toxinen und diesen Substanzen. Die Toxine
werden mit ihrer haptophoren Gruppe an die entsprechende
Gruppe der Zelle gebunden, und wenn zugleich die toxophore
Gruppe in der Zelle zur Wirksamkeit kommt, so tritt eine
Vergiftung ein. Dann stößt die Zelle das Toxinmolekül mit-
samt der haptophoren Gruppe der Zelle ab, und es wird der
Defekt durch eine hypertrophische Bildung von haptophorer
Substanz in der Zelle wieder gut gemacht. Die hypertrophisch
gebildete Substanz wird in die Zirkulation resorbiert und ist
dort zum schützenden Antitoxin geworden, da sie nunmehr
in der Zirkulation etwaiges an sie herantretendes Gift neu-
tralisiieren kann. Ganz anders verläuft die Vergiftung der
gewöhnlichen Gifte, wenigstens nach bisheriger Anschauung.
Diese verursachen entweder lokale Veränderungen, Anätzungen,
dort, wo sie hingeraten, wie die Ätzgifte, andere scheinen
durch den Reiz, den sie auf die Nervenzellen ausüben, Krämpfe
hervorzurufen oder Gefäßverengerung, Gefäßerweiterung usw.
136 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
Ob dabei überhaupt eine gewisse Entgiftung statthat, ist für
viele zweifelhaft. Nur bei einer bestimmten Gruppe von Giften,
die an Schwefelsäure oder Glukuronsäure gebunden werden,
können wir einen solchen Entgiftungsprozeß nachweisen. Die
Wirkung der Gifte stellten wir uns bisher vor als beruhend
auf anatomischer Läsion des Substrats.. Von vermehrter Anti-
toxinbildung oder Gegengiftbildung wissen wir bisher nichts.
Tritt ja doch auch keine Immunität auf, die auf zirkulierendem
Antitoxin beruht; dagegen findet bei einzelnen eine Gewöhnung
statt, d. h. der Organismus zeigt eine geringere Empfindlichkeit.
Gelegentlich einer Anzahl von Fällen von Lysolvergiftung
habe ich den Modus der Vergiftung der metbylierten Karbol-
säure, der Kresole, die ja 50 °/, des Lysols ausmachen, unter-
sucht. Dabei ergab sich zuerst, daß das Lysol nicht immer
die gleiche Menge von Kresolen enthält. Die von der Fabrik
angegebenen 50 °/;, mögen ja in den meisten Flaschen vor-
handen sein, ich habe aber auch weit niedrigere Werte gefunden:
33 und 25 °/,. Meine Untersuchungen habe ich angestellt mit
einem Lysolpräparat, welches 48 °/, Lysol enthielt. Der Ein-
fachheit halber werde ich es als 50 °/o-iges Kresol in Anrechnung
bringen.
I. Verbrennungsfähigkeit des Organismus für Kresole.
Wir müssen also, wenn wir die tatsächliche Menge der im
Lysol aufgenommenen Kresole berechnen wollen, diese Zahlen
zugrunde legen. Es entstand nun für mich die Frage: wieviel
Lysol wird denn nun eigentlich resorbiert oder aufgenommen,
ohne daß die Kranken zu sterben brauchen. Die größte Dosis,
nach der Genesung erfolgte, war beim Erwachsenen 60 g
(Haberda) und 25 g beim Kind; die kleinste tödliche Dosis
bei Kindern 4—5 g. Dahmen rechnet pro Kilo Mensch 0,83 g
d.h. für 60 kg ca. 50 g. Ich habe einige mit Lysol Vergiftete
durchkommen sehen und habe bei vieren täglich den Urin
genau auf die ausgeschiedene Menge Kresol untersucht. Ehe
ich darüber einen klaren Blick bekam, mußte ich wissen, wie
groß die Verbrennungsfähigkeit des menschlichen Organismus für
Kresol war. Ich gab einer Patientin ein Gramm Lysol in Gelatine-
kapseln, nachdem ich am Tage vorher die Menge des Kresols im
Harn bestimmt hatte; sie betrug 0,062 g Kresol, nach 1 g Lysol
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 137
also nach !/s g Kresol, da 50 °/, des Lysols Kresol sind, stieg
die Menge auf 0,174, um am nächsten Tage wieder auf die
gewöhnliche Menge Kresol 0,0828 g zu sinken; d.h. die Patientin
hatte 0,112 g Kresol oder ca. 20 °/, des eingeführten Kresols
ausgeschieden, 80 °/, wurden verbrannt. Die Patientin erhielt
nunmehr 2 g Lysol. Sie hatte am folgenden Tage 0,336 g und
am Tage darauf wieder die normale Menge 0,0814 g, also
0,25 g des gesamten Kresols, ca. 25 °/, ausgeschieden.
Versuche am Menschen.
Gesamt-| Äther-
Schwefelsäure
i reso!
$ Bemerkungen
a) Schmalke.
2. | 400 | 3,99 |0,0336| 0,753 |0,07060,0121 |0,0139 ER
24.2.2 80
2. | 400 | 2,91 |0,0484| 0,467 |0,063 |0,00208/0,0112 m 25.2.25 I.ynol
1.26.2.| 1300 | 5,17 |0,370 | 0,863 |0,328 | Spar 0,0410 —
27. 2. | 900 | 6,12 |0,0707| 1,035 |0,140 [0,0093 |0,0087 am 28.2.2 g Lysol
3. | 600 | 5,29 [0,167 | 0,927 |0,290 |0,00312 — —
3
800 | 7,57 |0,0547| 1,360 |0,158 |0,0041 | — er
b) Schulz.
9. 2. | 1300 | 9,41 |0,062 | 1,780 |0,180 |0,0067 | 1g Lysol
10. 2. | 2000 | 12,10 (0,174 | 2,284 |0,336 |gering| — 0,1 Pol.
11. 2. | 2300 | — |0,0828]| — — — | 2g Lysol
12. 2. | 2200 | 17,06 10,336 | 3,32 |0,647 |gering| — 0,15 Pol.
13. 2. | 1900 | 14,84 |0,0814| 2,33 |0,279 [0,0099 =
14. 2. | 2200 | 12,32 |0,298 | 2,254 |0,452 0 =
Eine zweite Patientin Schmalke schied an den Tagen vor
der Lysoldarreichung 0,03 und 0,04 g Kresol aus. Sie erhielt
4 g Lysol und schied nunmehr am folgenden Tage 0,370 und
am Tage darauf 0,0707 g Kresol aus, d. h. die Kresolmenge
war um 0,4 gestiegen; da sie 2 g Kresol in 4 g Lysol bekommen
hatte, so ist die Ausscheidung ca. 20 °/, der aufgenommenen.
Die Verbrennungsfähigkeit für Kresol ist danach außer-
ordentlich hoch. Wir sehen, daß kaum 20—25 °/, des auf-
genommenen Kresols im Harn erscheinen. Nun kann man den
Einwand machen, daß ein Teil des Kresols mit den Fäces aus-
geschieden wird und gar nicht zur Resorption gelangt. Um
diesen Einwand zu entkräften, habe ich die Fäcer untersucht,
aber keine wesentliche Erhöhung der Kresole in den Fäces
nachweisen können. Daraus geht hervor, daß unsere An.
138 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
schauungen über die Verbrennungsfähigkeit der Phenole im
Organismus eine Korrektur erfahren müssen. Man kann nicht
von der Verbrennungsfähigkeit der Karbolsäure ohne weiteres
schließen auf die Verbrennungsfähigkeit der Karbolderivate und
es scheint, als ob z. B. für die Kresole eine größere Ver-
brennungsfähigkeit existiert. Diese Tatsache ist von nicht un-
wesentlicher Bedeutung für unsere Kenntnisse von der Phenol-
ausscheidung bei Krankheiten. Wir werden also in Zukunft
rechnen müssen erstens mit einer verschiedenen Fähigkeit des
Organismus, die einzelnen Phenole zu verbrennen, und da wir
immer nur die Gesamtmenge der destillablen Phenole, nicht
ein einzelnes bestimmen, so wird die Verbrennungsfähigkeit,
d. h. die Größe der Ausscheidung davon abhängen, welches der
Phenole gebildet wurde. Zweitens werden wir namentlich in
pathologischen Zuständen die anzunehmenden individuellen
Schwankungen in der Verbrennungsfähigkeit für die einzelnen
arom. Körper berücksichtigen müssen, und es ist nicht unwahr-
scheinlich, daß häufig eine vermehrte Phenolausscheidung ihre
Ursache weniger hat in einer vermehrten Bildung als vielmehr
in einer gestörten Verbrennungsfähigkeit des Organismus dafür.
Ausgeschlossen ist es nicht, daß das auch für eine andere
ähnliche Substanz, für das Indol zutrifft, und daß wir in der
häufig beobachteten, gar nicht durch vermehrte Fäulnisprozesse
zu erklärenden vermehrten Indikanausscheidung einen Mangel
des Organismus für die Verbrennungsfähigkeit von Indol er-
blicken müssen, eine Auffassung, die, wie ich gesehen habe,
in dem neuesten Handbuch von Noorden auch von Strauß
vertreten wird. Legen wir diese durch meine Zahlenbefunde
sehr wahrscheinlich gemachte Möglichkeit der verschiedenen
Verbrennungsfähigkeit für die einzelnen Phenole unserer Be-
trachtungsweise für das Verhalten der aromatischen Substanzen
im Tierkörper zugrunde, so wird sich vielleicht endlich Licht
in diese verworrene Lehre bringen lassen.
Da nun meine experimentellen Kenntnisse über die Lysol-
vergiftung im wesentlichen am Hunde gewonnen sind, so suchte
ich die am Menschen gewonnenen Ergebnisse am Hund zu
kontrollieren. Ein Hund schied vor der Lysoldarreichung pro
Tag 0,01 g Kresol aus, nach 2 g Lysol per os 0,35 g Kresol,
d. h. ca. 34 °/,; nach 4 g Lysol 0,72 g, d.h. 35 %/, Kresol.
F. Biumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 139
In einem andern Falle anstatt 0,0126 g vor der Darreichung
0,97 g nach der Darreichung von 4 g Lysol, d. h. also ca. 48 °/o.
Bei der subkutanen Darreichung schied er aus anstatt 0,03 g
0,15 g, d. h. 25 °/,, in einem andern Falle vorher 0,02 g, nach
1 g Lysol subkutan 0,20 g, d.h. 36 °,. Es ergibt sich also
daraus, daß bei der subkutanen Darreichung mehr Kresol ver-
brannt wird, als bei der Darreichung per os. Ein dritter Hund
Äther-
j | Kresol |Schwefel-|Indikan Bemerkungen
säure
Hund ].
13. 1. | 500 | 14,56 | 0,014 | 0,0850 |0,0045 _
n I) 800 | 25,65 | 0,030 | 0,1243 |0,0104|am 15. 1 g Lysol subkutan
16. 1. | 400 | 9,52 | 0,152 | 0,324 |0,0050 =
17. 1. | 400 | 13,15 | 0,0209 | 0,0941 |0,058 |am 18. 1 g Lysol subkutan
19. 1. | 300 | 10,54 | 0,207 | 0,401 0,093 |— 0,3 Pol.
20. 1. | 300 | 13,18 | 0,118 | 0,073 [0,093 =
| Hund II (Gewicht 6,5 kg).
23. 1 400 | 12,46 | 0,0115 | 0,0368 |0,0065| am 24. 2 g Lysol per os
25. 1. | 400 | 17,68 | 0,358 | 0,480 |o,013 | — 0,6 Pol.
26. 1. | 500 | 138,62 | 0,112 | 0,071 |0,0068|am 28. 4 g Lysol
29. 1. | 500 | 16,45 | 0,687 |0,857 | — |— 1,2 Pol.
30. 1 400 | 12,99 | 0,096 | 0,161 [0,0175| — 0,2 Pol.
31. 1. | 700 | 13,44 | 0,0126 | 0,0706 |0,0121|am 2.2. 4g Lysol
3. 2. | 700 | 16,66 | 0,97 | 1,03 1!0,0247|— 0,8 Pol.
4.u.5.2.| 600 | 20,23 | 0,0356 | 0,184 | — |— 0,2 Pol.
Hund Ill.
Gesamt-
Schwefel-
säure
23. 2. | 800 | 15,79 | 2,27 0,074 — am 23.2. 4g Lysol
24. 2. | 600 8,11 | 8,30 0,607 — — 0,9% Pol.
25.0.26.2] 600 | 17,86 | 8,56 | 0,179 | — —
schied aus vor der Darreichung 0,07 g Kresol, er erhält 4 g Lysol
und scheidet nunmehr aus 0,60 g, also mehr 0,53 g oder 20°/,
des zugeführten Kresols. Wir sehen also, daß die Hunde eine
verschiedene Verbrennungsfähigkeit für Kresol haben. Der eine
Hund verbrennt ungefähr wie der Mensch 80 °/, des zugeführten
Kresols, der andere Hund nur ca, 50 %o.
140 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
II. Menge des aufgenommenen Kresols bei der
menschlichen Lysolvergiftung.
Da für uns für die Betrachtung der Lysolvergiftungen die
bei Menschen gewonnenen Zahlen natürlich wichtiger sind, so
wollen wir diese bei der Frage der aufgenommenen Mengen
Kresol bei Lysolvergiftungen zugrunde legen. Ich habe vier
Fälle von Lysolvergiftung genauer untersucht. In dem Falle
Hinz, der sofort nach der Vergiftung eingeliefert wurde, betrug
die am Tage der Vergiftung entleerte Kresolmenge 0,396 g,
die am folgenden Tage 0,492 g. Es waren also resorbiert
worden 0,888 g Kresol. Nehmen wir also an, daß zirka 25°),
des gesamten Kresols ausgeschieden wurden, so würde die vier-
fache Menge genommen worden sein, also 3,5 g Kresol oder
7,0 g Lysol würden zur Resorption gelangt sein. Die übrige
Menge ist entweder durch Magenauspülung, vielleicht auch
ein kleiner Teil durch den Darm zur Ausscheidung gekommen.
Am dritten Tage war die Gesamt-Kresolmenge bereits 0,058 g,
d. h. normal. Die ganze Vergiftung spielte sich also in
48 Stunden ab; erhebliche Nierenstörungen waren nicht zu be-
obachten, Störungen von seiten des Magens und des Darms
ebenfalls nicht. Die Patientin machte bei der Aufnahme einen
schweren Eindruck, war bewußtlos, cyanotisch mit schwachem
Puls. Wir machten nun die übliche Magenausspülung und
gaben Herzmittel (Digalen) intramuskalär. Bereits am selben
Abend war die Patientin wieder ziemlich munter. Wenn man
diese geringen Mengen Lysol, die hier zur Resorption gelangt
sind, betrachtet, so wird man sich nicht wundern, daß die
Patientin durchgekommen ist, zumal man beim Hund 4 g
Lysol per os ohne die geringste Störung gegeben hat.
Natürlich hat die Patientin eine weit größere Menge zu sich
genommen als resorbiert wurde, aber auch lokal scheinen
diese Ätzwirkungen, die man manchmal bei der Lysolvergif-
tung sieht, nicht sehr groß gewesen zu sein, denn sonst hätte
sie nicht dauernd sich eines guten Allgemeinbefindens er-
freuen können.
Im Falle Kunert hielten wir die Kranke bei der Auf-
nahme für vollständig hoffnungslos. Patientin war pulslos,
cyanotisch, kalt; wir hüllten sie erst bei der Aufnahme in
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 141
Lysolvergiftungen beim Menschen.
Datum
fel-
säure | felsäure
a) Hinz
12.12.05 | 800 | 5,46 | 2,88 | 0,396 | 1,429 — Spur | — 6,5
13.12.05 | 950 | 19,5 | 4,37 | 0,492 | 1,003 — . — 0,5
14.12.05 | 550 | 11,5 | 1,66 | 0,058 |0,0878| — Z —
15.12.05 | 1050 | 15,88 | 3,88 | 0,084 | 0,198 — jetwasmehr| —
16.12.05 | 1500 | 12,94 | 6,75 | 0,087 | 0,0882] — Spur —
b) Kunert.
29. 12. 05 | 1200 | 11,89 | — |2,270 | 1,350 — — — 6,6
30.12.05 | 780 | 16,66 | — |0,088 | 1,300 | — = Jag
2. 1. 06 730 | 18,07 | — | 0,132 | 0,190 — — — 0,2
3.1.06 450 | 8,88 | — | 0,055 | 0,079 — — —
c) Kriesel.
1.1: 2 Br — 2,89 | 2,28 | 2,81 E = | =
8.1. |1250 | 25,0 | — Jorzslıoa| — |—19| — | —
d) Keller.
19.4. 06) 700 | 5,27 | 3,92 |2,81 | 0,976 | 1,32 | — 6,4| 1,446 | 0,126
(12 Std.)
20.4.06| 700 | 8,30 | 6,16 |0,636| 0,711 | 1,213 | — 1,6 | 1,658 | 0,445
22. u. 23. 4. | 1300 | 31,81 | 5,72 |0,272| 0,382 | 5,42 | — 0,4 | 5,897 | 0,447
(650) | (15,9) | (2,85) |10,136)| (0,191) | (2,71) (2,948)
24. 4. | 1000 | 20,10 | 3,10 0,087) 0,184 | 3,46 | — | — [02235
warme Decken und machten ihr eine Reihe von Kampfer-,
Äther- und Digaleneinspritzungen, und erst als wir etwa nach
einer Viertel- bis einer halben Stunde den Puls wieder fühlen
konnten, wagten wir es, den Magenschlauch einzuführen. Wir
entfernten durch denselben eine große Menge Lysol. Diese
Patientin schied aus in den ersten 24 Stunden 2,27 g Phenol,
am nächsten Tage 0,88 g, am dritten Tage 0,13 g, am vierten
Tage 0,05 g. Wir sehen also auch hier im wesentlichen die
Lysolvergiftung abgeklungen nach 48 Stunden, vollständig
nach 72. Die ausgeschiedene Kresolmenge betrug 3,2 g.
Legen wir hier wieder 20—25°/, der nicht ausgeschiedenen
142 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
Menge zugrunde, so kommen wir hier zu dem erheblichen
Werte von 12—15 g Kresol oder von 24—30 g Lysol, die
zur Resorption gelangt sind. Auch hier wird natürlich die
aufgenommene Menge eine weit größere gewesen sein, da ein
großer Teil durch die Magenausspülung entfernt wurde. Auch
bei dieser Patientin war es nach 24 Stunden sicher, daß sie
durchkommen würde.
Ein dritter Fall Kriesel zeigte nach gleicher Berechnung;
es wurden 3,6 g Kresole ausgeschieden = 28,8 g Lysol; im vierten
Fall Keller waren die Zahlen 3,44 g Kresole — 28 g Lysol.
DI. Verhalten der Phenole im Tierkörper.
Über den Mechanismus der Phenol-Vergiftungen ist fol-
gendes bekannt. Die in den Organismus eingeführten Phenole
werden, wie Baumann u. a. gezeigt haben, ausgeschieden
zum Teil als Schwefelsäure, zum Teil als Glukuronsäure.
Die Schwefelsäure wird geliefert von den Eiweißkörpern, die
Glukuronsäure wahrscheinlich von Kohlenhydraten und Eiweiß-
körpern. Beide Verbindungen sind relativ ungiftig. Es handelt
sich also bei der Paarung der Phenole an die Schwefelsäure
und Glukuronsäure um einen echten Entgiftungsprozeß. Da
der entgiftende Körper auch aus dem Eiweiß stammt, so ist es
nicht wunderbar, daß ein ziemlich starker Eiweißzerfall statthat.
Im Falle Hinz sehen wir am zweiten Tage nach der Ein-
lieferung, obwohl die Nahrungsaufnahme infolge der Verätzung
des Mundes nur eine höchst kümmerliche war, 19,5 g Stick-
stoff im Harn, während die Charite-Kranken bei guter Er-
nährung ca. 10 g pro Tag auszuscheiden pflegen. Einen
Anhaltspunkt für die geringe Nahrungsaufnahme erhält man
auch in der Ausscheidung der Chloride. Dieselbe betrug an
diesem Tage 4,37 g, während normalerweise die Ausscheidung
der Chloride gleich der Stickstoffmenge ist. Am folgenden Tage
wurden 11,5 g Stickstoff ausgeschieden gegen 1,66 g Chloride,
dann 15,8 g Stickstoff gegen 3,8 g Chloride; erst am 16. steigt
die Chlormenge auf 6,7 g gegenüber einer Stickstoffmenge von
12,9 g; es ist also eine vollkommene Ausgleichung auch an
diesem Tage noch nicht erzielt.
Im Falle Kunert, wo die Lysolvergiftung noch weit
schwerer war, sind die Verhältnisse nach dieser Richtung hin
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 143
sehr interessant. Wir finden im Harn eine Chlorausscheidung,
die der Stickstoffausscheidung entsprach, resp. sie noch über-
stieg. Das ist uns ein Zeichen, daß die Patientin, ehe sie den
Vergiftungsversuch unternommen hat, sehr reichlich Nahrung
aufgenommen haben muß, und diesem Umstand verdankt sie
vielleicht auch ihre Rettung. Am folgenden Tage ist die
Stickstoffausscheidung 16,66 g, die der Chloride 2,09 g; sie hat
also nach der Vergiftung gehungert. Am Tage darauf ist die
Stickstoffausscheidung 13,07 g, die Ausscheidung der Chloride
3,7 g. Am dritten Tage ist die Ausscheidung an Stickstoff
nur 8,3 g, die Ausscheidung der Chloride 7,6 g, also hier ist
der Stoffwechsel schon am dritten Tage wieder ein normaler.
Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, ein wie großer Teil
der Phenole als Schwefelsäureverbindungen und ein
wie großer als Glukuronsäure ausgeschieden wird, eine
Frage, die nicht unwichtig ist, weil eine Anzahl von Autoren
immer noch gewohnt ist, aus der Menge der Ätherschwefelsäure,
das heißt der gepaarten Schwefelsäuren einen Rückschluß zu
machen auf die Menge der im Harn ausgeschiedenen aromati-
schen Körper, so finden wir folgendes: Im Falle Hinz beträgt
am ersten Tage die Phenolmenge 0,396, die Menge der Äther-
schwefelsäuren 1,429 g. Am zweiten Tage ist die Phenolmenge
höher, 0,492, die Menge der Ätherschwefelsäure 1,003, also
niedriger. Eine schätzungsweise Bestimmung für die Glukuron-
säure finden wir in der Linksdrehung des Harns. Bekanntlich
drehen die gepaarten Glukuronsäuren links. Wir finden am
Tage nach der Aufnahme eine Linksdrehung des Harns be-
rechnet auf Traubenzucker 6,2°/, bei einer Urinmenge von 800.
Am folgenden Tage 0,5°/, Linksdrehung. Später ist überhaupt
eine Linksdrehung nicht mehr zu konstatieren. Wir sehen
also fast die gesamten gepaarten Glukuronsäuren schon in den
ersten 24 Stunden im Harn erscheinen, und es zeigt sich ferner
in diesem Falle, daß gar keine Kongruenz ist in bezug auf
die Menge des ausgeschiedenen Kresols und die Summe der
im Harn erscheinenden gepaarten Schwefelsäuren und Glukuron-
säuren. Am zweiten Tage ist die Glukuronsäuremenge höher als
am ersten. Im Falle Kunert wurden am ersten Tage 2,27 g
Phenole ausgeschieden und nur 1,35 g Ätherschwefelsäure. Die
Linksdrehung des Harns beträgt 6,6°/,, am nächsten Tage
144 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
noch 1,2°/,, am dritten Tage 0,2%. Wir sehen also im
zweiten Falle ungefähr die gleiche Menge Ätherschwefelsäure
im Harn erscheinen, obwohl über dreimal so viel Phenol aus-
geschieden war, woraus hervorgeht, daß die Ausscheidung der
Ätherschwefelsäuremenge in keiner Weise proportional ist der
ausgeführten Phenolmenge.
Baumann hat behauptet, daß zuerst die Schwefelsäure
zur Entgiftung herangezogen werde, und erst, wenn dieselbe
verbraucht sei, die Glukuronsäure. Es ist nun in neuerer Zeit
von Wang und anderen gezeigt worden, daß bei der Dar-
reichung des Indols gleichzeitig die Bildung der Glukuron-
säure mit der Schwefelsäure stattfindet, daß immer ein Teil
des Indols als Glukuronsäure ausgeführt wird. Wenn wir nun
unsere Zahlen hier ansehen, so sehen wir bei dem Falle
Keller, daß am Tage der Lysolvergiftung fast die gesamte
Schwefelsäure als Ätherschwefelsäure ausgeschieden ist. Im
Falle Kriesel ist das gleiche der Fall. Wir sehen aber, daß
in beiden Fällen mehr Kresol im Harn erschienen ist, als der
gesamten Menge der im Harn erschienenen Ätherschwefelsäure
entspricht, namentlich im Falle Keller. Wir könnten uns
also, wenn wir den Fall Keller zugrundelegen, sehr wohl mit
der Baumannschen Theorie abfinden. Doch ist auch in diesem
Falle, ebenso wie in anderen Fällen, die gebildete Menge
Glukuronsäure zu groß, als daß sie nur als Ergänzung dienen
könnte zur Entgiftung des durch die Schwefelsäure noch nicht
gebundenen Kresols. Außerdem ist es unwahrscheinlich, daß
der Organismus nicht genügend Schwefelsäure zur Verfügung
gehabt haben sollte, denn wir sehen die Menge der Schwefel-
säure direkt bei der Einführung von Phenöl herabgehen.
Wolff’) und ich haben vor zwei Jahren beim Kaninchen fest-
gestellt, daß bei Zuführung von Phenol in den Organismus sofort
die gesamte Schwefelsäuremenge stark herabging und zwar von
0,203 auf 0,079, während die Ätherschwefelsäure 0,054 g betrug.
Dasselbe sehen wir in auffallendster Weise im Falle Keller, und
ferner, wie die Schwefelsäure wieder in die Höhe geht, als die
Kresolvergiftung abgelaufen war, am 22., 23. und 24. April.
Daraus geht hervor, daß dem Organismus in keiner Weise
©) Blumenthal u. Wolff, Ztschr. f. klin. Medizin 1904.
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 145
Schwefel zur Entgiftung mangelt, denn er würde ja sonst nur
den Schwefel anstelle von anorganischem Schwefel, d. h. von
anorganischer Schwefelsäure als organische Schwefelsäure, d. h.
Ätherschwefelsäure ausscheiden. Es würde also eine Verschie-
bung zwischen diesen beiden Faktoren eintreten, eine Verschie-
bung, wie sie auch Wohlgemuth!) neuerdings in einem Falle
gesehen hat. Wir sehen aber, daß die gesamte Schwefelsäure
heruntergeht, daß überhaupt weniger Schwefel in Form von
Säure ausgeschieden wird. Das ist uns ein Zeichen dafür, daß
der Organismus an Fähigkeit, den Schwefel zu oxydieren, über-
haupt verloren hat, das heißt also mit anderen Worten, es be-
steht bei der Lysolvergiftung auch eine Oxydationsstörung.
IV. Versuche zur Klarstellung des Chemismus
der Kresolvergiftung.
Wenn ich nun zu den künstlichen Versuchen mit Lysol
übergehe, welche mir den Mechanismus der Lysolvergiftung
noch genauer dartun sollten, so sehen wir an der Patientin
Schmalke, daß bei kleinen Gaben von Lysol ebenfalls ein
Teil der Glukuronsäure den Harn verläßt, denn wir finden am
25./26. Februar mehr Kresol im Harn, als der Gesamtmenge an
Ätherschwefelsäuren entspricht. In gleicher Weise sehen wir bei
der Patientin Schulz weniger deutlich nach 1 g Lysol als
nach 2 g die Stickstoffausscheidung steigen. Bei der Patientin
Schmalke ist das nicht zu beobachten. Beim Hund steigt die
Ätherschwefelsäuremenge proportional der eingeführten Kresol-
menge wenigstens bei einem Gramm Lysol. Bei 4 g Lysol
finden wir, daß das nicht mehr der Fall ist. Es zeigt sich,
daß im wesentlichen bei kleineren Mengen Lysol die Bildung
und Ausfuhr der Ätherschwefelsäuren vermehrt ist. Dann aber
bleibt dieselbe zurück und tritt dann mehr die Glukuronsäure-
bildung zutage. Bei Einfuhr des Lysols in solchen Mengen,
die den Organismus nicht erheblich schädigen, wie das beim
Hund geschieht, sehen wir proportional der eingeführten Lysol-
menge die Kresol-, Ätherschwefelsäure- und Glukuronsäure-
menge ansteigen. Nach 2 g Lysol zeigt der Harn 0,6 °/, Links-
drehung, nach 4 g 1,2 °/, und an einem andern Tage, wo die
1) Wohlgemuth, Berliner klin. Wochenschr. 1905, April.
Biochemische Zeitschrift Band I. 10
146 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
Urinmenge etwas höher ist, 700 gegen 500 ccm 0,8°/,. Vielleicht
wachsen die Werte etwas; es bedarf aber nach dieser Richtung
noch spezieller Untersuchungen. Dort aber, wo die Einführung
von Lysol eine wirkliche schwerere Vergiftung hervorruft, da
läßt sich die Bildung und Ausscheidung der einzelnen Ver-
bindungen des Kresols nicht mehr so regulieren.
V. Ist die Entgiftung der Kresole durch Glukuronsäure
in Analogie zu setzen mit der Entgiftung der Toxine
durch Antitoxine?
Wir haben also gesehen, daß das Gegengift gegen das
Kresol besteht in der Bildung von Schwefelsäure und Glukuron-
säure, die sich an das Kresol anlagern und zu einer ungiftigen
Verbindung führen. Es ist dies insofern nicht uninteressant,
als Ehrlich und seine Schule solche Anlagerungen bei den
bakteriellen Toxinen und Antitoxinen annehmen, denn sie
konnten in vielen Fällen die Verbindung des Antitoxins und
Toxins derart wieder zerlegen, daß die eine oder andere
Substanz dabei wieder wirksam wurde. Es beruht also die
Unschädlichmachung der Toxine im Organismus nicht etwa
in einer vollständigen Vernichtung des Giftes, sondern in einer
Überführung in eine ungiftige Modifikation durch Anlagerung
der Antitoxine, die von den Zellen geliefert werden. — Vor-
bedingung für die Wirkung der Toxine ist ihre Bindung an
die Zellen.
a. Ablagerung der Krosole in den Zellen.
Hund 1, 7 kg schwer, erhält 10 g Lysol am Nachmittag 5 Uhr;
eine halbe Stunde später beginnen die Krämpfe, nach etwa
einer Stunde liegt er in krampfartigen Zuckungen da. Er
stirbt gegen morgen des folgenden Tages. Der Darminhalt
enthält 0,0662 g Kresol, der Mageninhalt 0,160 g, zusammen
also ca. 0,2 g sind nicht resorbiert worden. Die Verarbeitung
der Lunge ergibt 0,0418g, der Leber 0,192g, des Gehirns 0,0292 g,
der Niere 0,0406 g.
Hund 2, 10 kg, erhält 20 g Lysol um 7 Uhr abends.
Nach wenigen Minuten starke Krämpfe, am nächsten Morgen
ebenfalls Krämpfe, die schon schwächer geworden sind. Er
droht jeden Augenblick zu verenden; durch Verbluten aus der
Karotis wird der Hund getötet. Der Darminhalt des Hundes
F. Biumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 147
enthielt 600 g mit Spülwasser; nach direkter Destillation
enthält er 0,1508 g Kresol, nach Destillation mit Schwefelsäure
0,0216 g, zusammen 0,1724 g. Mageninhalt ist nicht unter-
sucht. 100 g Lunge enthalten 0,027 g, 100 g Leber 0,032 g,
100 g Gehirn 0,027 g, 100 ccm Blut 0,0228 g Kresole. Wir
sehen also, daß das Blut am wenigsten enthielt.
Hund 1.
Darminhalt . . 0,0662 g Leber. . . . 0,192g
Mageninhalt . . 0,160 g Gehirn. . . . 0,0292 g
Lunge . . . . 0,0418 g Blut: u 2% & —
Kresol
ohne | mit
Schwefelsäure destilliert
100 g Organ
Organ Gewicht
enthalten
Hund 2 (10 kg mit 20 g Lysol vergiftet).
Darminbalt. 600 g 0,1508 0,0216 0,1744 —
Mageninhalt — _ — — —
Lunge . .| 160g | 0,0248 0,0173 | 0,0421 0,027
Leber. . .| 550g | 0,090 0,0855 | 0,1755 0,032
Gehim . . 84 g 0,0176 0,0052 0,0228 0,027
Niere. . . 56 g | 0,0144 0,0468 | 0,0612 =
Blut . . .| 100 ccm | 0,00668 0,0162 0,0228 —
Hund 8 (8,5 kg mit 10 g Lysol vergiftet).
Blut . . . | 25 ccm 0,0023 0,0045 0,0068 0,0272
Gehirn . . 72g | 0,0272 0,0068 | 0,0340 0,047
Leber. . . 200 g 0,0789 0,0828 0,1617 0,0808
Lunge . . 86 g | 0,0328 0,0131 | 0,0459 0,0540
Muskel . .| 100g | 0,0337 0,0103 | 0,0440 0,0440
Niere. . . 33 g | 0,01944 | 0,0068 | 0,0262 0,080
Hund 4 (10 g Lysol) am 3. 4. 1906 vergiftet.
Fettgewebe (60 g) 0,069 0,0233 0,0923 0,0923
auf 100 g
berechnet
Gehim . . 70g 0,0204 0,0027 0,0231 0,0311
Blut . . . | 25 cem kaum nachweisbare Spuren
Leber. . .| 192g 0,0659 0,0698 | 0,1357 0,0770
Lunge . .| 128g 0,0652 0,0259 | 0,0911 0,0712
Muskel . .| 100g 0,0232 0,0061 0,0293 0,0293
Hund 3 erhält 10 g Lysol um 5 Uhr nachmittags. Der
Hund wird am nächsten Morgen durch Verbluten getötet,
nachdem er vorher ebenfalls die heftigsten Krämpfe gehabt
hat. 100 g Blut enthalten 0,027 g, 100 g Gehirn 0,047 g, 100 g
10*
148 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
Leber 0,080 g, 100 g Lunge 0,054 g, 100 g Muskel 0,044 g.
Auch hier enthält das Blut am wenigsten. Auch in dem Falle von
menschlicher Lysolvergiftung, der zum Tode kam, enthielt das
Aderlaßblut kaum nachweisbare Mengen von Kresol. Hund 4
wurde nach Vergiftung mit 10 g Lysol ebenso untersucht, außerdem
noch das Fettgewebe. 100 g Fettgewebe enthielten 0,0928 g, Gehirn
0,0331 g, Leber 0,0770 g, Lunge 0,0712 g, Muskel 0,0293 g.
Aus diesen Zahlen geht zuerst herver, daß die Ablagerung
und die Entgiftung des Kresols nicht im Blut statthat, sondern
daß das Kresol schnell aus der Blutbahn verschwindet und in
die Gewebe gelangt, und hier ist es in allen Fällen besonders
die Leber, welche das Kresol aufnimmt. Nun fragt es sich erstens,
was bedeutet die Ablagerung des Kresols in den einzelnen Organen,
zweitens, wo findet die Entgiftung, das heißt die Überführung
des Kresols in Kresolglukuron- resp. -Schwefelsäure statt. Um
dies zu entscheiden, wurden alle Organe zuerst destilliert unter
Zusatz von einer Spur Sodalösung, um das noch freie Kresol
zu bestimmen und dann mit Schwefelsäure, um das an Schwefel-
säure resp. Glukuronsäure gepaarte Kresol frei zu machen und
zu bestimmen. Dabei zeigte sich, daß im Darminhalt, wie aus
Hund 2 hervorgeht, fast die gesamte Kresolmenge ungebunden
war und nur eine minimale Spur gebunden gefunden wurde.
In der Lunge war ebenfalls eine weit größere Menge in ungebun-
dener Form, ebenso im Gehirn. In letzterem wurde überhaupt
weder bei Hund 2 noch bei Hund 3 eine nennenswerte gebundene
Menge konstatiert. Dagegen sind sehr groß die Zahlen der ge-
bundenen Kresolmenge in der Leber, sowohl bei Hund 2, wo
sie ebenso groß ist wie die des ungebundenen Kresols und bei
Hund 3, wo sie noch etwas größer ist, und in der Niere, nament-
lich bei Hund 2. Die Niere kommt weniger in Betracht, da
hier möglicherweise schon etwas Urin in den Harnkanälchen
vorhanden ist, in welchem gepaarte Glukuronsäure enthalten ist.
Wir sehen also, daß die Entgiftung in geringem Grade in allen
Zellen vor sich gehen kann, ganz besonders aber in der Leber
oder daß die Leber das Organ ist, in welchem von allen Organen
am meisten entgiftende Substanz deponiert wird. Nun habe ich
vorhin gezeigt, daß die Lysolvergiftung einen Reiz ausübt auf das
Zentralnervensystem und damit scheint im Widerspruch zu stehen
der sehr geringe Gehalt des Gehirns an Kresol. Das spricht
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 149
aber nicht dagegen, daß das Kresol einen besonderen Reiz
ausübt auf die Nervensubstanz, denn die Größe der Giftauf-
nahme einer Zelle geht nicht proportional der Intensität der
Vergiftung. Die Nervenzelle kann ja bereits auf kleinere Reize
reagieren, während eine andere z. B. Leberzelle größerer Mengen
hierzu bedarf. Es ist auch nicht nötig, daß jede Zelle durch
die Aufnahme eines Giftstoffes mit einer Vergiftung antwortet.
Es müssen hierzu zwischen der Zelle und dem Gifte noch be-
sondere Beziehungen bestehen. Es kann sogar im Gegenteil
dadurch, daß im Organismus außer den für das Gift empfind-
lichen Zentren, z. B. für das Nervengift, noch andere Zellen
vorhanden sind, welche das Gift in sich aufnehmen, ein
Schutz geschaffen werden für die Nervenzentren, indem das
Gift auf seinem Wege zu den Nervenzentren von anderen
Organen abgefangen und dadurch gehindert wird, die gift-
empfindlicheren Zentren zu schädigen. So kann ja auch hier
die Aufnahme des Kresols in die Lungen- und Leberzellen
eine Art Schutz darstellen für die Nervenzellen, indem die
Lungen- und Leberzellen das Gift auf dem Wege zum Gehirn
und Rückenmark der Blutbahn entziehen. Ähnliches sehen
wir beim Tetanusgifte. Bei diesem Gifte zeigt sich, daß die
Tiere, z. B. Kaninchen, deren Leber-, Lungen-, sowie Muskel-
zellen usw. eine besondere Affinität zum Tetanusgifte haben,
viel weniger empfindlich sind für Tetanus als solche Tiere, bei
denen das Gift vorzugsweise vom Zentralnervensystem angezogen
wird und bei denen andere Organe für die Resorption des
Giftes nicht in Betracht kommen, z. B. Meerschweinchen. Wenn
nun auch das Eindringen der Kresole in die Nervenzellen für die
eigentliche Vergiftung von allein wesentlicher Bedeutung ist, so
soll nicht gesagt sein, daß die übrigen Zellen vollständig reak-
tionslos sich gegenüber dem Kresol verhalten. Es spielt bloß
die Aufnahmefähigkeit der übrigen Zellen des Organismus für
Kresol eine untergeordnete Rolle gegenüber den Wirkungen,
welche das Kresol ausübt, wenn es in die Nervenzellen gerät. —
b. Entgiftung der Kresole.
Man hat angenommen, daß die Antitoxine vorzugsweise in
denjenigen Organen entstehen, in denen auch die Vergiftung
sich vollzieht, Diese Ansicht fand ihre Grundlage in den
150 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
schönen Befunden A. Wassermanns, der nachgewiesen hat,
daß beim Tetanus im Gehirn und Rückenmark Antitoxine prä-
formiert vorhanden sind. Es ist aber nicht nötig, daß nur das
vergiftete Organ das Antitoxin bildet. Wir wissen im Gegen-
teil, daß alle Organe an der Antitoxinbildung teilnehmen
können. Für die Kresolvergiftung ist von präformierten Anti-
toxinen keine Rede. Von der Glukuronsäure ist zu sagen, daß
die Gewebe, soweit bisher bekannt, keine Glukuronsäure prä-
formiert enthalten. Sie entsteht erst im Moment, wo der Orga-
nismus ihrer zur Entgiftung bedarf. Nun finden wir bei der
Vergiftung mit bakteriellen Toxinen zumeist mehr Antitoxin im
zirkulierenden Blute als der zugeführten Toxinmenge entspricht.
Auf den ersten Blick scheint dies bei der Glukuronsäure nicht
der Fall zu sein, denn wir finden überhaupt keine freie Glukuron-
säure analog dem frei zirkulierenden Antitoxin. Die Zahlen zeigen
aber, daß soviel Glukuronsäure gebildet wird, daß es kaum anzu-
nehmen ist, daß dieselbe nur zur Neutralisierung der Phenole dient.
So ist im Fall a) 0,9 g Phenole vorhanden bei gleichzeitiger
Anwesenheit 800 ccm — 6,2°/, und 950 ccm — 0,5°/, drehen-
den Harns. Würde die Drehung des Harns auf Traubenzucker
bezogen, so wären 54 g Traubenzucker enthalten. Das ist ein
so großer Wert, daß er um ein vielfaches die für 0;9 g Phenole
nötige Menge Glukuronsäure übersteigt.
Im Fall b) Kunert sind die Zahlen 3,3 g Phenole. Die
Drehung des Harns auf Traubenzucker berechnet ergibt 90 g.
Im Fall c) Kriesel sind die Zahlen 3,6 g Phenole. Ent-
giftende Substanz als Traubenzucker berechnet 116,7 g.
Im Fall d) Keller sind ausgeschieden 3,7 g Phenole. Ent-
giftende Substanz als Traubenzucker berechnet 61,2 g. Diese
Zahlen als Phenolglukuronsäure berechnet sind a) 34 g; b) 56 g;
c) 74 g; d) 38,4 g.
Nun ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Teil der in
den Organismus eingeführten Kresole zu Hydrochinon und
Brenzcatechin oxydiert wird und bei der Bestimmung der Phe-
nole nach der Methode von Kossler-Penny, welche von mir
teilweise mit der Neubergschen!) Modifikation in allen Unter-
suchungen verwandt wurde, sich dem Nachweis entzieht. Ander-
seits ist aber nur die Entgiftung durch Glukuronsäure in Betracht
) C. Neuberg, Ztschr. f. physiol. Chem. 27, 123. 1899.
F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. 151
gezogen und ganz außer acht gelassen, daß ein sehr großer Teil
der Phenole durch Schwefelsäure entgiftet wird. Bei Nachunter-
suchungen, wieviel Brenzkatechin und Hydrochinon in den einzel-
nen Fällen gebildet waren, wurden jedesmal nur einige Milligramm
in je 200 Harn, also einige Zentigramm in der Tagesmenge gefunden.
Ich glaube daher annehmen zu dürfen, daß auch
bei der Kresolvergiftung im Überschuß Glukuronsäure
entsteht. Wenn dieselbe aber nicht frei im Organismus nach
der Vergiftung zirkuliert, so ist das kein Gegenbeweis gegen meine
Auffassung, sondern zeigt nur, daß die Glukuronsäure andere
Substanzen findet, mit denen sie sich paaren kann z. B. mit
Harnstoff (Neuberg'). Es könnte nun allerdings dadurch eine
Mehrbildung von Glukuronsäure nötig werden, daß bei dem durch
die Kresolvergiftung bedingten Eiweißzerfall Produkte gebildet
werden, die zur Neutralisierung der Glukuronsäure bedürfen.
Was nun die Frage anbetrifft, wie das Gift von der
Zelle aufgenommen wird, so ist von großem Interesse dafür
der Befund, daß Kresol in ganz bedeutender Menge in das
Fettgewebe übertritt. Hierauf bin ich aufmerksam gemacht
worden durch eine Arbeit von Ehrlich aus dem Jahre
1887”), welcher zeigte, daß solche Substanzen, die eine besondere
Affinität haben für die Hirnsubstanz, besonders Farbbasen,
auch meist im Fettgewebe löslich sind. Es ist demnach sehr
wahrscheinlich, daß das Kresol in den Lipoiden der Zellen
sich löst und mit denselben in die Zellen eintritt. Die Kresole
verbinden sich nicht mit den Eiweißkörpern der Zellen, denn
ich habe durch einen besonderen Versuch die Eiweißkörper des
mit Kresol vergifteten Hundes dargestellt, habe aber kein
Kresol aus denselben darstellen können. Der Mechanismus ist
also kurz folgender: durch die Lipoidsubstanz dringt das Gift
in die Zellen hinein, sind besondere Beziehungen des Giftes
zur Zelle vorhanden, so kommt es zur Vergiftung derselben;
die vergiftete Zelle bildet nunmehr aus ihrem Eiweiß- und
Kohlenhydratvorrat die Schwefelsäure und Glukuronsäure und
zwar im Überschuß. Diese wirken dann wie echte Antitoxine
d. h. sie werden an die Kresole gekuppelt und machen so den
Entgiftungsprozeß.
ı) C. Neuberg u. W.Neimann, Ztschr.f.physiol. Chem. 44, 100. 1905.
» P. Ehrlich, Therapeutische Monatshefte 1887.
152 F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung.
VI. Die Ausscheidung der Kresole durch die Galle.
Huber und Bial haben gezeigt, daß Glukuronsäure in den
Fäces erscheinen kann und wahrscheinlich durch die Galle aus-
geschieden wird. In diesem Falle fand sich zwar in den Fäces
keine Kresol-Glukuronsäure oder nur minimale Spuren, dagegen
in der Galle konnte dieselbe nachgewiesen werden. Es entstand
erstens scharfer Kresolgeruch nach Kochen der Galle mit
Schwefelsäure; ferner reduzierte die Galle nach Kochen mit
Salzsäure und gab intensiv die Orcinprobe. Da nun das Blut
so gut wie kein Kresol enthält, in der Galle aber das Kresol
ziemlich angereichert ist, so ist es nicht ausgeschlossen, daß die
Galle einen der Wege darstellt, durch den die Kresol-Glukuron-
säure von der Leber aus den Organismus verläßt. Sie dürfte dann
vom Darm aus wieder resorbiert und der Niere zugeführt werden.
Wir haben gesehen, daß nur die Wirkung des Kresols
auf das Zentralnervensystem bez. auf die Nervenzelle eine
schwerere Vergiftung hervorruft, daß es zwar von den anderen
Zellen aufgenommen wird, aber hier keine allgemeine Schädigung
zu verursachen braucht. So habe ich z. B. die Autolyse in der
Leber und Lunge erhalten gefunden; obwohl die Leber ein sehr
stark giftbindendes Organ ist.
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß die Giftwirkung des
Lysols auf dem Gehalt desselben an Kresolen beruht. Diese sind
kein eigentliches Ätzgift, insofern als die Ätzwirkungen bei der
Vergiftung nicht vorhanden zu sein brauchen. Das Kresol
wirkt dadurch tödlich, daß es Krämpfe, vor allem Herzkollaps
hervorruft. Diese Erscheinungen sind bedingt durch Aufnahme
des Giftes durch die Zellen. Die Aufnahme geschieht durch
die Lipoidsubstanz. Bei den Entgiftungsvorgängen wird mehr
entgiftende Substanz gebildet, als dem zugeführten Gifte entspricht.
Autolyse. |
Leber eines durch Lysol vergifteten Hundes (30 g + 200 g
Wasser mit Toluol und Chloroform).
24./3. 0,00378 g nicht koagulierbarer Stickstoff in 10 ccm
26./3. 0,01106 g
4./4. 0,01596 g
Lunge (30 g + 200 g Wasser mit Toluol und Chloroform).
24./3. 0,00308 g Stickstoff, 26./3. 0,00798 g, 4./4. 0,01092 g.
Die Chemie der Superazidität
und ihre pathologisch -physiologische Erklärung.
Von
Adolf Bickel.
(Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen
Instituts der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 16. Mai 1906.)
Unter Superazidität (= Hyperazidität) versteht man be-
kanntlich den Krankheitszustand, bei dem der Mageninhalt die
für ihn empirisch ermittelten durchschnittlichen normalen Säure-
werte überschreitet. Die Bestimmung der Säure geschieht dabei
durch Titration mit '/ıo-Normal-Natronlauge und Phenolphthalein
als Indikator; der hierdurch festgestellte Säurewert wird, auf
100 ccm Mageninhaltfiltrat bezogen, „Gesamtazidität“ (G. A.)
genannt.
Es ist klar, daß zu diesem Säurewert verschiedene Kom-
ponenten beitragen können: einmal die von der Magenschleim-
haut selbst produzierte Salzsäure und die gleichfalls von ihr
gelieferten anderweitigen sauren Produkte!); außerdem aber alle
diejenigen Säuren, die per os in die Magenhöhle eingeführt
oder die darinnen unter dem Einfluß einer Flora von Mikro-
organismen aus Speisenmaterial gebildet werden (Fettsäuren,
Milchsäure usw.).
Im Hinblick auf diese verschiedenartigen ätiologischen
Momente, die zur Durchsäuerung des Mageninhalts beitragen
können, ist es a priori nicht vorherzusagen, welche obere Grenze
diese Werte für die G. A. in der Pathologie gelegentlich er-
reichen können. Denn diese gesamte Magensäure hängt ja
nicht nur von denjenigen Bedingungen ab, unter denen die
') Vergl. P. Fraenckel, Zeitschr. für experimentelle Pathologie
und Therapie, 1.
154 A. Bickel, Chemie der Superazidität.
Magenschleimhaut Säure abscheidet, sondern, wie wir sahen,
ganz besonders auch von gewissen exogenen Momenten: der
Einführung von Säure durch den Mund oder der Bildung von
Säure in der Magenhöhle durch Gärung.
Eine besondere Form der Hyperazidität ist diejenige, die
sich durch einen abnorm hohen Gehalt des Mageninhalts an
Salzsäure, die von der Magenwand abgeschieden wurde, aus-
zeichnet. Man nennt diesen Krankheitszustand, der durch die
chemische Analyse des Mageninhalts allein diagnostiziert werden
kann, Hyperchlorhydrie. Sie kommt einmal als ein klinisch
wohl charakterisiertes Krankheitsbild sui generis auf nervöser
Basis vor. Die subjektiven Symptome bestehen dabei in Sod-
brennen, Aufstoßen saurer Massen, Brennen und Bohren in der
Magengegend. Diese Beschwerden sind stärker nach dem Genuß
von kohlehydratreicher oder fettiger Nahrung, als nach einer
Fleischmahlzeit. Der Appetit ist gut, oft besteht sogar Heiß-
hunger. Der Stuhl ist mitunter angehalten, zuweilen auch
diarrhöisch. Unter den objektiven Symptomen, die dieses
Krankheitsbild auszeichnen, nenne ich eine gelegentlich vor-
kommende Druckempfindlichkeit der Magengegend, die aber
ebenso, wie die manchmal beobachtete Dilatation und motorische
Insuffizienz in reinen Fällen ganz fehlen kann. Die chemische
Untersuchung des Mageninhalts nach der Gabe eines Probe-
frühstückes läßt eine Erhöhung der Gesamtazidität neben einer
Vermehrung des prozentualen Salzsäuregehaltes des Magen-
inhaltes erkennen. In manchen Fällen finden sich jedoch auch
durchaus normale Säurewerte trotz des Vorhandenseins der
übrigen klinischen Symptome. Der Mageninhalt soll ferner bei
dieser Krankheit nach Schüler ein abnorm niedriges spezifisches
Gewicht haben. Im Harn ist die Chlorausscheidung oft herab-
gesetzt, ebenso die Azidität. Nicht selten besteht Phosphaturie.
Diesem hier skizzierten Krankheitsbilde [— ich habe mich
an die Schilderung, die Boas von ihm gibt, gehalten —] der
Hyperchlorhydrie auf nervöser Basis können einige andere
Magenerkrankungen klinisch außerordentlich ähnlich verlaufen,
so ähnlich, daß eine Differentialdiagnose in vielen Fällen ganz
unmöglich ist: das ist ein chronisches Magengeschwür ohne
manifeste Ulcussymptome, der Magensaftfluß und die Myasthenia
ventriculi.
A. Bickel, Chemie der Superazidität. 155
Bei allen diesen Krankheiten finden wir — genau wie
bei der nervösen Hyperchlorhydrie — eine Steigung des pro-
zentualen Salzsäuregehaltes im Mageninhalt, und auch die
übrigen Symptome können außerordentlich ähnliche sein. In-
dessen steht bei allen diesen Erkrankungen das Verhalten der
Magensäure im Vordergrunde des physiologischen Interesses.
Es war daher naheliegend, einmal die Frage zu unter-
suchen, welche Ursache der Störung in der Azidität des Magen-
inhaltes bei diesen verschiedenen Krankheiten zugrunde liegt,
ob wir es bei allen mit der nämlichen Sekretionsstörung zu tun
haben, oder ob verschiedene Sekretionsanomalien bei den ge-
nannten Erkrankungen des Magens, die sämtlich mit Hyper-
chlorhydrie einhergehen, anzunehmen sind, oder endlich ob
eine Hyperchlorhydrie nicht auch bei normaler sekretorischer
Funktion durch anderweitige Störungen bedingt sein kann.
Um diese Untersuchung anstellen zu können, müssen wir
zunächst die Vorfrage erledigen: wodurch kann der prozentuale
Salzsäuregehalt des Mageninhalts überhaupt gesteigert werden?
Bei der Beantwortung dieser Frage gehe ich von der Vor-
aussetzung aus, daß dem Magen eine quantitativ und qualitativ
bestimmte Nahrung, z. B. ein Ewald-Boassches Probefrühstück,
bestehend aus 35 g Semmel und 400 ccm Wasser zugeführt
und daß diese Mahlzeit innerhalb einer bestimmten Zeit (15
Minuten) von dem zu untersuchenden Individuum verzehrt wird.
Eine Stunde nach Beginn der Aufnahme dieser Nahrung wird
der Mageninhalt ausgehebert und untersucht. Ich nehme weiter-
hin an, daß auf diese Nahrung beim normalen Individuum eine
gewisse Anzahl Kubikzentimeter Magensaft von der Magenwand
in die Magenhöhle ergossen wird und daß dabei die Dauer der
Sekretion gleichfalls einen bestimmten durchschnittlichen Wert
hat, eine Annahme, die allerdings nur bis zu einem gewissen
Grade zutreffend ist. Denn wir wissen, daß bei demselben
Individuum an verschiedenen Tagen zum Teil aus unbekannten
Gründen die sekretorische Leistung der Magenschleimhaut auch
bei sonst gleichen äußeren Versuchsbedingungen sich innerhalb
einer gewissen physiologischen Breite bewegt. Endlich wird
angenommen, daß die dem Magen zufließenden Speichelmengen
die gleichen sind und daß der Speichel einen konstanten
Alkaleszenzgrad aufweist; die von der Magenschleimhaut pro-
156 A. Bickel, Chemie der Superazidität.
duzierten Schleimmengen werden ebenfalls als konstanter Faktor
bei diesen Versuchen angesprochen.
Bei den genannten Voraussetzungen kann nun der
prozentuale Salzsäuregehalt des Mageninhalts, den man eine
Stunde nach dem Beginne der Aufnahme des Probefrühstücks
durch Aushebern erhält, noch immer von zwei Ursachen ab-
hängen: 1. von dem prozentualen Salzsäuregehalt des nativen
Magensaftes, 2. von der motorischen Leistung der Magenwand.
Wurde innerhalb der genannten Stunde allemal dieselbe
Menge von Ingesta in den Darm befördert und dieselbe Menge
Saft abgeschieden, so müßte der prozentuale Salzsäuregehalt
des Mageninhaltes am Ende dieser Stunde umso höher sein,
je reicher der native Saft an Salzsäure ist.
Der prozentuale Salzsäuregehalt des normalen menschlichen
Magensaftes hat aber einen relativ konstanten Wert; er beträgt
nach den Angaben von Hornborg, Roeder und Sommer-
feld, wie nach meinen eigenen Beobachtungen 0,4 bis 0,5 °/ ')
und wie Rubow’) überzeugend neuerdings nachgewiesen hat,
ist nicht ein einziger Fall in der Literatur bekannt, bei dem
im Mageninhalt des Menschen ein Salzsäuregehalt nachgewiesen
worden wäre, der diesen Wert übertroffen hätte. Das gilt be-
sonders auch für alle Fälle von sog. Hyperchlorhydrie.
Diese Beobachtungen deuten, wie eine Reihe tierexperi-
menteller Erfahrungen, darauf hin, daß der natürliche Magen-
saft einen bestimmten prozentualen Salzsäuregehalt hat, der
auch unter pathologischen Verhältnissen nicht überschritten
werden kann’).
Denn alle diejenigen Momente, von welchen bekannt ge-
worden ist, daß sie die Magensaftbildung günstig beeinflussen
(Wasserzufuhr, Kochsalzzufuhr bei chlorarmen Tieren, starke
Reize durch bestimmte Nahrung usw.) vermögen nicht den
prozentualen Salzsäuregehalt des nativen Sekrets zu
steigern, sondern nur die Sekretmenge zu erhöhen
(Pawlow, Wohlgemuth).
') Kongreß für innere Medizin 1906. Deutsche medizinische Wochen-
schr. 1906.
» Archiv für Verdauungskrankheiten 1906.
®) Bickel, Experimentelle Untersuchungen über die Magensaft-
sekretion beim Menschen. Kongreß für innere Medizin 1906.
A. Bickel, Chemie der Superazidität. 157
Aus alledem ergibt sich, daß für eine Salzsäurevermehrung
im Mageninhalt bei der genannten Versuchsanordnung nur
noch die motorische Funktion der Magenwand verantwortlich
gemacht werden kann.
Bei gleicher sekretorischer, aber ungleicher motorischer
Leistung des Magens kann der Mageninhalt verschieden sauer
werden. Denn ist eine Stunde nach der Ingestion in dem
einen Falle z. B. die Hälfte, in dem anderen ?/ des einge-
führten Probefrühstücks in den Darm befördert worden, so
muß bei gleich starker und gleich lange währender Sekretion
in dem letzteren Falle der Mageninhalt prozentisch mehr Salz-
säure enthalten, als in dem ersteren. Die Resorption von
Flüssigkeit bezw. Lösungen seitens der Magenwand — diese Re-
sorption ist ja bekanntlich nur ganz minimal (v. Mehring u.a.) —
kann dabei vernachlässigt werden.
In dieser Weise vermag eine Hypermbotilität sehr wohl
zu einer Steigerung des prozentualen Salzsäuregehaltes des
Mageninhalts zu führen.
Die gleiche Erscheinung wird aber auch durch eine
Herabsetzung der motorischen Leistung des Magens zustande
kommen können. Je länger Ingesta im Magen liegen bleiben,
umso länger dauern die Sekretionsreize, umso mehr Saft wird in
Magenhöhle ergossen. Wegen der motorischen Störung wird
der Mageninhalt verzögert oder unvollkommen in den Darm
entleert. Je schwerer die Myasthenie ist, umso seltener wird
der Magen leer sein, umso kontinuierlicher wird die Magen-
schleimhaut zur Saftbildung gereizt. So kann im Magen ein
Überschuß an Sekret vorhanden sein und dadurch wieder
kann der Mageninhalt salzsaurer werden, auch wenn die
Komposition des betreffenden nativen Sekretes hinsichtlich
seines Säuregehaltes eine normale ist. So ließe sich diejenige
Hyperchlohydrie erklären, die man im Anfangsstadium einer
motorischen Insuffizienz so häufig beobachtet.
Jedenfalls zeigen diese Überlegungen, daß Motilitäts-
störungen unter Umständen zu Veränderungen im prozentualen
Salzsäuregehalt des Mageninhalts führen müssen und daß
speziell dadurch dasjenige klinische Symptom erzeugt werden
kann, das man „Hyperchlorhydrie“ nennt.
Ändern wir insofern die Voraussetzungen, die wir oben
158 A. Bickel, Chemie der Superazidität.
machten, daß wir für die Konstante der abgeschiedenen
Sekretmenge als Konstante eine bestimmte normale motorische
Leistung einsetzen und die quantitativen Verhältnisse bei der
Saftabscheidung sich ändern lassen, so werden wir zu folgenden
Schlußfolgerungen geführt:
Eine Vermehrung der durchschnittlichen, in der Zeit-
einheit abgesonderten Saftmenge muß gleichfalls zu einer
Steigerung im prozentualen Salzsäuregehalt des Mageninhalts
führen. Je mehr Sekret einem bestimmt zusammengesetzten
Mageninhalt zufließt, umso mehr Salzsäure wird ihm beige-
mischt, um so höher muß auch der prozentuale Salzsäuregehalt
des gesamten Mageninhalts werden, wenn auch derjenige des
abgesonderten Saftes seinen normalen konstanten Wert hat.
Man sieht: eine Steigerung in der Quantität bei der Ab-
sonderung eines normal komponierten Saftes kann zu einer
Veränderung in der Qualität des Mageninhaltes führen. Dem
Symptom der Hyperchlorhydrie liegt in diesem Falle eine
quantitative Störung in der Saftbildung zugrunde.
Die tierexperimentelle Forschung lehrt nun, daß es durch
künstliche Eingriffe leicht möglich ist, Störungen in der moto-
rischen Leistung und solche in der Quantität des auf be-
stimmte Reize und Reizgruppen zur Abscheidung gelangenden
Saftes zu erzielen, daß aber eine Alteration in der Komposition
des Sekrets — soweit dieselbe den prozentualen Salzsäuregehalt
betrifft — nur sehr schwer durchführbar ist. So vermögen z. B.
psychische Prozesse die Motilität des Magens vorübergehend
zu lähmen'), die Sekretbildung auf ein Minimum herabzu-
drücken ?), aber es ist bis jetzt nicht möglich gewesen, da-
dadurch den prozentualen Salzsäuregehalt des Sekretes zu alte-
rieren. So vermindert die Chlorentziehung die Menge des ab-
gesonderten Saftes, aber sein prozentualer Salzsäuregehalt bleibt
nach wie vor ungefähr der nämliche (Wohlgemuth).
Wenn es auch a priori nicht ausgeschlossen ist, daß es
Krankheitszustäinde in der Magenschleimhaut oder in ihrem
sekretorischen Nervenapparat geben könnte, die zu einer
Steigerung des prozentualen Salzsäuregehaltes des von der
») Kongreß für innere Medizin 1906.
®) Bickel-Sasaki, Deutsche medizinische Wochenschr. 1905.
A. Bickel, Chemie der Superazidität. 159
Schleimhaut gebildeten Sekretes führen, so ist doch ein
stringenter Beweis für eine solche Funktionsänderung bislang
nicht erbracht worden und alle Erfahrungen deuten im Gegen-
teil darauf hin, daß die Magenschleimhaut mit einer erstaun-
lichen Zähigkeit daran festhält, die normalen Säurewerte
ihres Sekretes nicht nach oben zu verschieben.
Es wird nach alledem die weitere Aufgabe klinischer
Forschung sein, festzustellen, wie weit die einzelnen Krankheits-
bilder, bei denen das Symptom der „Hyperchlorhydrie‘‘ auf-
tritt, in dem Sinne: durch Störungen in der Motilität bez. in
der Größe der sich abscheidenden Sekretmengen kompliziert
sind, daß aus diesen beiden Funktionsstörungungen heraus die
„Hyperchlorhydrie‘“ erklärt werden kann.
Ohne weiteres verstehen wir so die „Hoyperchlorhydrie“
bei dem sog. Magensaftfluß (Reichmannsche Krankheit), ohne
weiteres die Hyperchlorhydrie bei Hypermotilität, wie in den
ersten Stadien der motorischen Insuffizienz; und es ist nur
die Frage zu ventilieren, wie weit bei den einzelnen Fällen
eine motorische Störung sich mit der sekretorischen verbindet,
um das Symptom der Hyperchlorhydrie hervorgehen zu lassen.
Auch der Hyperchlorhydrie beim Ulcus ventriculi scheint keine
qualitative, sondern vornehmlich eine quantitative Störung in
der Sekretbildung zugrunde zu liegen. Wenigstens sprechen
dafür die reinen tierexperimentellen Beobachtungen Pawlows.
Daß durch die gewöhnlichen klinischen Untersuchungs-
methoden wir keinen exakten Aufschluß über die abgesonderten
Sekretmengen erhalten, ist klar, darum kann auch die Kranken-
beobachtung allein nie mit Sicherheit entscheiden, ob im Falle
einer bestehenden Hyperchlorhydrie die Quantität oder die
Qualität des Saftes gestört ist. Hier können uns nur bestimmt
angeordnete experimentelle Studien weiterbringen. Gerade
diese lassen aber, wie ich zeigte, die Existenz einer
Hyperchlorhydrie auf Grund einer Veränderung des
prozentualen Salzsäuregehaltes des natürlichen Se-
kretes als höchst problematisch erscheinen.
Aus alledem ergibt sich, daß die Hyperchlorhydrie wahr-
scheinlich in ihrer Deutung kein einfaches Symptom ist, wie
man früher annahm, sondern daß sie auf verschiedenen Ur-
sachen, von denen mehrere sich gelegentlich wohl zu vereinigen
160 A. Bickel, Chemie der Superazidität.
vermögen, beruhen kann. Besonders wird dabei die Verände-
rung in der motorischen Funktion und eine quantitative Sekre-
tionsanomalie zu berücksichtigen sein.
Wenn so auch die Deutung der Hyperchlorhydrie als
Symptom einer Revision bedarf, so bleibt darum die klinische
Charakterisierung derjenigen Krankheitsbilder unverändert, bei
denen sie beobachtet wird, und mag es sich auch um das Bild
der nervösen Hyperchlorhydrie, also der reinsten Form dieser
Störung handeln. Wie diejenigen Fälle allerdings zu erklären
sind, bei denen der Chemismus des Mageninhalts sich bei vor-
handenen sonstigen klinischen Erscheinungen der Hyperchlor-
hydrie als normal erweist, muß vor der Hand dahingestellt
bleiben. Möglich ist es ja, daß es sich dabei um abnorme
Reizzustände der sensibelen Magennerven handelt.
Für die Praxis aber lehren uns alle diese Betrachtungen,
daß wir bei den Fällen von Hyperchlorhydrie — auch dann,
wenn wir durch die chemische Untersuchung des Mageninhaltes
diese Diagnose gestellt haben — die Motilitätsprüfung nicht
vernachlässigen sollen. Gerade mit Berücksichtigung der Störungen
in den motorischen Funktionen werden wir oftmals in wirkungs-
voller Weise eine Therapie der Hyperchlorhydrie einleiten
können. Im übrigen führen diese Vorstellungen, die ich hier
über die pathologisch-physiologische Deutung der Hyperchlor-
hydrie entwickelte, zu einer Behandlung, die alles das fernhält
oder mildert, was als starker Sekretionsreiz für die Drüsen
der Magenschleimhaut uns bekannt ist, oder was durch direkten
Einfluß oder indirekt durch Vermittlung des Nervensystems die
quantitative sekretorische Leistung der Magenschleimhaut zu
steigern geeignet ist.
Ich weise zum Schlusse noch darauf hin, daß man daran
denken muß, es könnten sich gelegentlich die hier erörterten
Faktoren so kombinieren, daß trotz vorhandener Störungen und
krankhafter klinischer Erscheinungen ein normaler Chemismus
bei der Mageninhaltsprüfung gefunden wird. Dieser Fall ist
gegeben, wenn z. B. die Sekretmenge vermindert und die Mo-
tilität herabgesetzt ist, oder wenn der entgegengesetzte Zustand
besteht. Man muß eben allemal dieser Momente bei der Unter-
suchung der Magenfunktionen mit Hilfe des Probefrühstücks
usw. eingedenk sein.
Zur Chemie der Phosphorleber.
Von
J. Wohlgemuth.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 16. Mai 1906.)
Gelegentlich meiner Untersuchung über den Gehalt des
Phosphorharns von Kaninchen an Eiweißspaltprodukten !) wurde
die Frage diskutiert, ob man den Eiweißzerfall in der Leber als
einen totalen oder als einen partiellen aufzufassen hat, d. h. ob
man annehmen darf, daß bei dem gesteigerten Eiweißumsatz in
der Leber die Lebersubstanz in toto abgebaut wird oder ob nur
einzelne Komplexe vom Ganzen losgetrennt werden und der
weiteren Zersetzung anheimfallen. Nun setzen sich die Eiweiß-
substanzen der Leber, wenn wir von der Einteilung von Plösz?)
absehen, im wesentlichen zusammen aus dem Eiweiß des Zell-
protoplasmas und dem des Zellkernes. Für das erstere hat
bereits Wakeman°) in Kossels Laboratorium festgestellt, daß
es bei der Phosphorvergiftung an seinen basischen Bestandteilen,
speziell an Arginin, verarmt ist.
Es war nun zunächst zu entscheiden, ob nicht auch andere
Gruppen des Zelleiweißes bei der Phosphorvergiftung gegenüber
der Norm vermindert sind wie z. B. der Cystinkomplex, dann
aber auch besonders, wie sich das Eiweiß des Zellkerns gegen-
) J. Wohlgemuth, Ztschr. f. physiol. Chemie 44, 74 (1905).
») Plösz, Pflügers Archiv 7, 871.
» Wakeman, Ztschr. f. physiol. Chemie 44, 335 (1905).
Biochemische Zeitschrift Band I. 11
162 J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber.
über dem gesteigerten Zerfallsprozeß in der Phosphorleber ver-
hält. — Zur Beantwortung dieser Frage war es notwendig, in
einem möglichst unter gleichen Bedingungen gewonnenen Material
neben dem Stickstoff die Repräsentanten jener beiden Komplexe,
den Phosphor und Schwefel, zu bestimmen.
Der Gang der Untersuchung war folgender: Es wurden
Kaninchen, die im Gewicht nicht wesentlich differierten, mit
subkutanen Dosen von Phosphoröl vergiftet und kurz vor ihrem
Tode durch Entbluten getötet. Sodann wurde die Leber ge-
wogen, sofort zerkleinert, in Chloroformwasser aufgeschwemmt
und so lange mit Wasser gewaschen, bis dasselbe keinen Blut-
farbstoff mehr aufnahm. Die Substanz blieb darauf mehrere
Tage unter 96° Alkohol, der von Tag zu Tag gewechselt
wurde, kam 24 Stunden unter 99,8°/, Alkohol und wurde
schließlich im Soxhletapparat entfettet. Darnach konnte die
Substanz in einer Reibeschale leicht zu einem feinen Pulver
zerrieben und von der Gerüstsubstanz mittels Absieben durch
ein Haarsieb getrennt werden. — Mit den Lebern der Kontroll-
tiere wurde in gleicher Weise verfahren, nachdem die Tiere
vier Tage gehungert hatten und durch Entbluten getötet waren.
Die kurze Hungerperiode wurde jedesmal deshalb streng
innegehalten, weil die mit Phosphor vergifteten Tiere gleich
nach der ersten Giftdosis ebenfalls nicht mehr fraßen und für
gewöhnlich von da ab noch vier Tage lebten. — Die Stickstoff-,
Phosphor- und Schwefelbestimmung wurde in der üblichen
Weise ausgeführt und hatte folgendes Ergebnis:
Tabelle I. Normale Kaninchenleber.
Schwefel
Stickstoff] Phosphor
in 100g | in 100g
getrockneter| getrockneter
Substanz | Substanz
Versuchs-
tier
Mittelzahlen
J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 163
Tabelle II. Kaninchenleber nach Phosphorvergiftung.
Stickstoff| Phosphor Schwefel
Versuchs- | in 100g in 100 g in 100 g
tier getrockneter| getrockneter getrockneter N
Substanz |; Substanz Substanz
Mittelzahlen
Aus der ersten Tabelle ist ersichtlich, daß der Stickstoff
sowohl wie der Phosphor und der Schwefel in allen fünf Fällen
sich im großen und ganzen gleich hoch halten, und daß infolge-
dessen auch die Zahlen für die Quotienten à und a fast an-
nähernd gleich sind.
In der II. Tabelle fällt zunächst auf, daß auf 100 g
Trockensubstanz weit weniger Stickstoff kommt als bei sämt-
lichen normalen Lebern, und zwar geht die N-Zahl einmal bis
fast um die Hälfte zurück. Vergleicht man aber die ent-
sprechenden Mittelzahlen aus beiden Versuchsreihen, so ist die
Differenz nicht so groß. — Im Gegensatz dazu stehen die
Zahlen für Phosphor und Schwefel. Sie halten sich auf an-
nähernd gleicher Höhe wie in den Kontrollversuchen, infolge-
dessen ist auch ihr Verhältnis zum Stickstoff wesentlich ver-
schoben. Der P-Gehalt zeigt eine relative Zunahme, die etwa
um ein Drittel die Normalzahl übersteigt, während der S-Gehalt
auch relativ vermehrt erscheint, wenn auch nicht in so hohem
Maße.
Aus diesen Versuchen geht zunächst hervor, daß die Ka-
ninchenleber bei Phosphorvergiftung prozentisch ärmer an Stick-
stoff wird, ein Befund, den in gleicher Weise Wakeman an
Hunden erheben konnte, und den er, wie ich schon eingangs
erwähnte, dahin erweiterte, daß speziell der basische Anteil des
Eiweißkomplexes es ist, der diesen N-Verlust bedingt. Diese
Tatsache beansprucht insofern ein wesentliches Interesse, als
wir andererseits wissen, daß überall da, wo normales Gewebe
in Umwandlung begriffen ist, Proteinstoffe von vorwiegend
11”
164 J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber.
basischer Natur auftreten. So hat schon Miescher darauf hin-
gewiesen, daß man es bei den basischen Eiweißkörpern mit
Substanzen zu tun hat, die durch Umwandlung aus den ge-
wöhnlichen Eiweißkörpern hervorgegangen sind, und ebenso
konnte Kossel!) am Fischhoden zeigen, daß derselbe im un-
entwickelten Zustand zusammengesetzt ist wie die normalen
Proteinstoffe, während bei zunehmender Reife die basische
Gruppe ganz beträchtlich wächst. Ferner wies gelegentlich
Bang’) darauf hin, daß bei Geschwülsten (Rundzellensarkom)
Eiweißkörper vorkommen, die einen hohen Gehalt an basischen
Produkten aufweisen können, und endlich zeigte Neuberg?)
am Amyloid, daß es je nach dem Stadium der Metamorphose,
in der es sich befindet, mehr oder weniger reich an Diamino-
säuren ist, und betonte, daß Proteinstoffe von ausgeprägt ba-
sischem Charakter überall dort auftreten können, wo normales
Gewebe in Umwandlung sich befindet. Demnach scheint der
basische Anteil im Eiweißkomplex recht beweglich zu sein;
denn in dem gleichen Maße wie das Eiweißmolekül bei ge-
wissen Prozessen an Diaminosäuren reich wird, geht es ebenso
leicht beim Zerfall wieder derselben verlustig.
Weit stabiler scheint dagegen derjenige Komplex im Ei-
weißmolekül zu sein, der mit dem Phosphor verknüpft ist,
nämlich die Kernsubstanz. Sie widersteht offenbar längere Zeit
selbst so destruktiven Prozessen, wie sie sich bei der Phosphor-
vergiftung in der Leber abspielen; denn die Zahlen sprechen
unzweideutig dafür, daß der Phosphor und damit der Nuklein-
gehalt sich fast auf gleicher Höhe gehalten hat wie in den
Kontrollebern. Interessant ist hierbei die Übereinstimmung des
chemischen Befundes mit dem mikroskopischen. Wissen wir
doch, daß im mikroskopischen Bild die Leberzelle bei der
Phosphorvergiftung wohl stark verfettet, daß dagegen der Zell-
kern sich noch lange Zeit gut erhält, bis auch er schließlich
der Degeneration anheimfällt.
Eine Mittelstellung zwischen den basischen Produkten und
dem Phosphor scheint der Cystinkomplex einzunehmen. Der
1) Kossel, Ztschr. f. physiol. Chemie 41, 409, 1904.
?) Bang, Beitr. zur chem. Physiol. u. Pathol. 4, 362, 1904.
» Neuberg, Verbandlg. d. dtsch. pathol. Gesellsch. 19, 1904.
J. Wohlgemuth, Chemie der Phosphorleber. 165
Schwefelgehalt zeigt zwar absolut eine Abnahme, wie aus dem
Vergleich der beiden entsprechenden Mittelzahlen ersichtlich,
aber dieselbe entspricht keineswegs der des N-Gehalts. Darnach
scheint der Schwefelkomplex ebenfalls in das Eiweißmolekül
ziemlich fest eingefügt zu sein.
Nach alledem beantwortet sich obige zu Anfang aufgeworfene
Frage dahin, daß während das Protoplasmaeiweiß in der
Phosphorleber sehr bald zerfällt, das Kerneiweiß noch
recht lange dem Zerfallsprozeß Widerstand entgegen
setzt. Natürlich wird auch dieses schließlich der Zerstörung
anheim fallen, aber stets wird man finden, daß das Kern-
eiweiß bei weitem nicht in dem Maße zerfällt wie das
Eiweiß des Zelleibes. Ein Vergleich des Gehaltes an Di-
aminosäuren und an Phosphor dürfte am besten Auskunft
darüber geben, ob und inwieweit die beiden Faktoren mit-
einander Schritt halten.
Unsere nächste Aufgabe wird es nun sein, auch bei anderen
destruktiven Prozessen der Leber obigen Untersuchungsmodus
. anzuwenden und dabei vielleicht noch, wie schon angedeutet,
das Verhalten der Pentose zu berücksichtigen. Wir hoffen bald
weiteres Material in dieser Frage beibringen zu können.
Über gelatinöse anorganische Erdalkalisalze. '!)
Von
Carl Neuberg und Ernst Neimann.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 24. April 1906.)
Den gelatinösen und kolloidalen Substanzen wird augen-
blicklich eine besondere Beachtung geschenkt, die physikalische,
die reine und die physiologische Chemie sind an denselben
gleichmäßig interessiert. Die hier beschriebenen Verbindungen
bilden eine Gruppe bisher unbekannter gelatinöser Substanzen.
Die Beobachtungen, die den Gegenstand der folgenden
Mitteilung bilden, sind ursprünglich auf einem ganz anderen
Gebiete als dem der anorganischen Chemie gemacht. Bekannt-
lich ist eine der elegantesten Methoden, Kohlehydrate aus
komplizierten Substanzgemischen zu isolieren, das Benzoylierungs-
verfahren von Schotten-Baumann. Bei der mangelhaften
Charakteristik der Ester ist man zumeist auf eine Regenerierung
der zugrunde liegenden Kohlehydrate angewiesen. Die Verseifung |
der Benzoylester mit Mineralsäuren bleibt unvollständig?) oder
zerstört die Zucker’); in der Regel wird sie mit Natrium-
äthylat‘) vorgenommen. Man befindet sich dann in der
t!) Vorgetragen in der Sitzung der deutsch. chem. Ges. vom 11. Juli
1904. Siehe auch Chemikerzeitung 1905, S. 1044.
^) Wedenski, Ztschr. f. physiol. Chem. 18, 126 (1888).
”) Neuberg und Heymann. Beitr. zur chem. Physiol.-Pathol. 2,
206 (1902).
^ Kueny: Ztschr. f. physiol. Chem. 14, 330 (1889).
C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 167
Schwierigkeit, der man sich immer gegenüber sieht, wenn man
Natriumsalze aus Lösungen zu entfernen hat.
Nachdem seit einiger Zeit wasserfreies Baryumoxyd zu
einem billigen Preise in den Handel gebracht wird, hat der
eine von uns (Neuberg) Versuche angestellt, die Verseifung
der Benzoate mit methylalkoholischem Baryumoxyd auszu-
führen; sie verläuft in der Tat vielfach glatt und ermöglicht
eine erhebliche Vereinfachung der Methode. Bei der Ausfällung
überschüssigen Baryts aus derartigen methylalkoholischen Zucker-
lösungen durch Kohlensäure resp. Schwefelsäure wurde zuerst
ein Auftreten gelatinöser Baryumsalze beobachtet; anfangs
wurde dieser Zustand auf die Gegenwart der Kohlehydrate
geschoben, ist es doch bekannt, daß im Schutze kolloidaler
oder auch hochmolekularer Medien sonst kristalloide Ver-
bindungen Neigung zu Gelbbildung annehmen. Allein diese
Vermutung erwies sich im vorliegenden Falle als unzutreffend,
denn Versuche, die mit reinen methylalkoholischen Baryum-
oxydlösungen ausgeführt wurden, zeigten genau die gleichen
Erscheinungen, die wegen ihrer Seltsamkeit eine etwas ein-
gehendere Untersuchung erfuhren.
Gelatinöses Baryumsulfat.
Fügt man zu einer methylalkoholischen Barytlösung ver-
dünnte wässerige (alkoholische ist nicht nötig!) Schwefelsäure,
so scheidet sich ein opakes Gerinnsel ab, das schnell den Inhalt
des Gefäßes in eine durchsichtige Gallerte verwandelt. Saugt
man dieselbe ab und wäscht sie auf der Nutsche mit Methyl-
alkohol schwefelsäurefrei, so bleibt die Verbindung im ursprüng-
lichen rein gelatinösen Zustand zurück, der auch beim Trocknen
im Vakuum und selbst beim Glühen bis zum gewissen
Grade erhalten bleibt, indem nur die klare Durchsichtigkeit
verloren geht; es hinterbleibt aber dabei das Baryumsulfat in
größeren, sehr harten Stücken, die porzellanartig durchscheinend
sind. Im Vakuum verliert die Substanz den mechanisch
anhaftenden Methylalkohol und stellt nach der Analyse reines
Baryumsulfat dar, obgleich es von dessen gewöhnlicher mikro-
kristallinischer Form erheblich abweicht. Erst durch sehr
langes Kochen mit sehr viel Wasser gelingt die Umwandlung
168 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.
in die gewöhnliche Form, die sich etwas schneller auf Zusatz
von Salzsäure vollzieht.
Mit verdünnter methyl- oder äthylalkoholischer Schwefel-
säure werden dieselben Resultate erhalten.
1. Analyse: H3SO..
0,2914 g geglühte Substanz ergaben nach dem Aufschluß
mit K CO; + NasCO; und Fällung mit BaCl;:
0,2903 g BaSO, = 99,62 °/, der Ausgangssubstanz.
2. Analyse: Ba.
0,2357 g geglühte Substanz ergaben nach dem Aufschließen
mit Kaliumnatriumkarbonat etc. und Fällung mit Schwefelsäure:
0,2360 g BaSO, = 100,13 °/, des Ausgangsmaterials.
Das gelatinöse Baryumphosphat.
Färbt man die methylalkoholische Baryumoxydlösung mit
Phenolphthalein und setzt wässerige Phosphorsäure bis zur
genauen Entfärbung hinzu, so entsteht ein gelatinöser Nieder-
schlag, der nach der Analyse das sekundäre Phosphat BaHPO,
darstellt (Präparat I. Auch diese Verbindung behält nach dem
Absaugen den gelatinösen Zustand und wird beim Trocknen
pulverig. Bei Fällung mit etwas überschüssiger Phosphorsäure
entsteht gleichfalls das Salz BaHPO, (Präparat II).
1. Analyse:
I. Präparat.
0,3822 g enthielten 0,2283 g Ba.
Ber. Ba 58,70 °/..
Gef. „ 59,75 °/,.
Dieser Wert stimmt angenähert auf BaHPO.,.
II. Präparat.
0,2337 g enthielten 0,1367 g Ba.
Ber. Ba 58,70 °/..
Gef. „ 58,50 °o.
Diese Zahl stimmt genau auf BaHPO,.
C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 169
2. Analyse PO..
0,1622 g ergaben 0,0780 g Mg P: 07.
Ber. PO, = 40,70 °/o.
Gef. PO, = 41,03 °/,.
Gelatinöses Baryumkarbonat.
Leitett man in Barytwasser Kohlensäure, so erzeugt die
erste Gasblase bereits eine Ausfällung von Baryumkarbonat
(BaCO;). Ganz anders verhält sich die methylalkoholische
Baryumoxydlösung, bei der man vier deutlich verschiedene
Zustände unterscheiden kann.
1. Läßt man selbst in eine gesättigte Lösung Kohlendioxyd
einströmen, so bleibt die Flüssigkeit geraume Zeit klar; auf-
steigende Blasen erzeugen schließlich an der Oberfläche gelatinöse
Häutchen, die sich beim Umrühren jedoch vollständig klar
wieder lösen.
2. Plötzlich erstarrt die Flüssigkeit unter deutlicher Er-
wärmung durch die ganze Masse zu einer Gallerte.. Saugt
' man diese ab und wäscht mit Methylalkohol aus, so hinter-
bleibt die Verbindung im ursprünglichen rein gelatinösen
Zustand und zeigt alkalische Reaktion.
3. Setzt man das Einleiten der Kohlensäure noch längere
Zeit fort, so verwandelt sich die Gallerte langsam in ein weißes
Pulver, daß sich gut absaugen und auswaschen läßt. Äußerlich
gleicht es dem gewöhnlichen gefällten Baryumkarbonat (BaCO;),
zeigt aber ein von diesem stark abweichendes Verhalten. Zu-
nächst führt die Analyse nach mehrtägigem Trocknen im
Vakuum über Phosphorpentoxyd und Paraffin zu der Formel:
BaCO; + H:O, die man vielleicht im Hinblick auf die eigen-
tümlichen Löslichkeitsverhältnisse in
„ON 9
C
SO NOH
(Monobaryumorthokarbonat?) auflösen kann.
Ba
l. Analyse: Ba.
0,2622 g Substanz enthielten 0,1668 g Ba.
Ber.: BaCO; + 1 H:O 63,72 o,
Gef.: „ +1 „ 63,62 „.
170 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.
2. Analyse: COs.
0,2079 g Substanz ergaben 0,0432 g CO3.
Ber.: CO, = 20,43 o,
Gef.: „ = 20,78 „.
Die Verbindung ist im trockenen Zustande sehr beständig.
Sie löst sich in bemerkenswerter Weise zum Unterschied vom
gewöhnlichen Baryumkarbonat (BaCO;) in Wasser und zwar
in viel weniger, als für das gewöhnliche Bikarbonat [Ba(HCO;);]
erforderlich wäre.
Die Lösung in Wasser ist zunächst klar, trübt sich aber
bald unter Abscheidung eines flockigen Niederschlages, dessen
Zusammensetzung vorläufig nicht untersucht ist.
4. Sowohl das gelatinöse Baryumkarbonat (zweiter Zustand)
wie sein Umwandlungsprodukt, das pulverige (dritter Zustand),
haben die höchst auffallende und bemerkenswerte Eigenschaft,
bei längerem Stehen unter Methylalkohol in Lösung zu gehen.
Wenn die Substanzen abgesaugt und frisch oder getrocknet in
dieses Lösungsmittel gebracht werden, so erfolgt, ebenso ohne
weiteres beim Stehen der nicht filtrierten Niederschläge in der
methylalkoholischen Mutterlauge, Lösung. Bei letzteren voll-
zieht sich dieselbe in einigen Tagen fast vollständig, wenn ur-
sprünglich etwa zwei- bis dreiprozentige Lösungen von Baryum-
oxyd in Methylalkohol angewandt sind. Bei den zuvor ab-
filtrierten Niederschlägen dauert die Lösung etwas länger; sie
erfolgt auch nicht ganz vollständig, indem ein kleiner Teil eines
weißen Pulvers zurückbleibt, vielleicht an der Luft entstandenes,
gewöhnliches Baryumkarbonat. Wie wir uns besonders über-
zeugt haben, ist auf die übliche Weise gefälltes Baryumkarbonat
wie auch natürliches (Witherit) in Methylalkohol total unlöslich.
Ähnlich verhält sich ein durch Ammonkarbonat aus der methyl-
alkoholischen Baryumoxydlösung gefälltes Baryumkarbonat.
Die nicht filtrierte Lösung des gänzlich in Lösung ge-
gangenen Baryumkarbonates oder die filtrierte des bis auf den
erwähnten Rest gelösten zeigen das typische Aussehen kolloidaler
Flüssigkeisen, d. h. sie sind durchsichtig in durchfallendem und
milchig in auffallendem Licht. Die Lösungen enthalten neben
Baryum Kohlensäure, denn sie brausen auf Zusatz von Salz-
säure auf. Sie enthalten das Baryum in kolloidaler Form und
C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 171
geben auf Zusatz von Schwefelsäure die früher beschriebene
dicke Gallerte von Baryumsulfat, durch deren träge Masse sich
fortwährend Kohlensäurebläschen drängen. Sie zeigen eine auf-
fallend hohe Viskosität, obgleich ihr Gehalt an Baryum nur
ein geringer ist und höchstens 3 °/, beträgt. Unter Abschluß
von Feuchtigkeit läßt sich aus diesen Lösungen der Methyl-
alkohol zum Teil abdestillieren, ohne daß der Kolloidcharakter
gestört wird; man gelangt so zu vollkommen durchsichtigen
ausgesprochenen Gallerten von der Konsistenz eines sehr dicken
Kollodiums. Anfangs geben diese kolloidalen Baryumkarbonat-
lösungen Kohlensäure ab, es tritt beim Stehenlassen im ge-
schlossenen Gefäß Druck auf; später ist dies nicht mehr der
Fall, offenbar, nachdem ein gewisser Gehalt erreicht ist. Läßt
man den Methylalkohol im Vakuum möglichst weit verdunsten,
so hinterbleibt das Karbonat in Form zelluloidähnlicher, sich
rollender Blättchen von hoher Durchsichtigkeit.
Um uns über die Zusammensetzung der methylalkoholischen
Baryumkarbonatlösung zu orientieren, haben wir nach bekannten
Methoden das Verhältnis von Baryum zu Kohlensäure bestimmt
und gefunden, daß die Lösung mehr Kohlensäure enthält, als
dem sauren Karbonat zukommen würde, wenn auch die Werte
bei den Präparaten verschiedener Darstellung etwas schwanken.
So wurde unter anderem das Verhältnis Ba : CO; = 1 : 4 erhalten.
Allem Anscheine nach liegt also ein Vertreter der bisher un-
bekannten Polykarbonate des Baryums vor, vergleichbar
den lange bekannten Polysilikaten, die bemerkenswerterweise
ja auch zur Kolloidbildung neigen.
I. Methylalkoholische Baryumkarbonatlösung.
Analyse: Ba und CO;
5 ccm enthielten 0,0450 g Ba
5 ccm j 0,0634 g CO».
Der gefundenen Menge Ba entsprechen, berechnet auf
BaCO; + 1H30: 0,0144 g CO:
0,0144 1
Also: -0,0634 = 4
172 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.
II. Methylalkoholische Baryumkarbonatlösung.
Analyse: Ba und CO;
5 ccm enthielten 0,0652 g Ba
5 ccm i 0,0744 g COs.
Der gefundenen Menge Ba entsprechen, berechnet auf
BaCO; + 1H:0: 0,0209 g CO;
hiso: -00200 _ 1
0,0744 3,6°
Bezüglich der Analyse dieser kolloidalen Verbindungen —
dasselbe gilt auch für die gewöhnlichen methylalkoholischen
Baryumoxydlösungen — ist folgendes zu bemerken. Zur Be-
stimmung des Baryums müssen die zur Analyse bestimmten
Flüssigkeitsmengen in einem Platingefäß zunächst auf dem
Wasserbade, schließlich durch schwaches Erwärmen über der
Flamme möglichst vom Methylalkohol befreit werden, da auch
auf Zusatz von viel Wasser zur methylalkoholischen Lösung
der Kolloidcharakter insofern gewahrt bleibt, als auf Zusatz von
Schwefelsäure mehr oder minder ausgeprägtes gelatinöses Baryum-
sulfat ausfällt. Auch Zusatz wässeriger Salzsäure und gleich-
zeitiges Aufkochen beseitigt den Kolloidcharakter, eine Er-
scheinung, die damit zusammenhängt, daß nur die auch in der
Norm unlöslichen anorganischen Sauerstoffsalze, nicht da-
gegen die löslichen und die halogenhaltigen bisher in gelatinösem
Zustande erhalten sind.
Beim Verdünnen der methylalkoholischen Baryumkarbonat-
lösung mit dem gleichen Volumen Wasser wird der kolloidale
Charakter nicht geändert. Beim Verdünnen mit viel destilliertem
oder Leitungswasser erfolgt in der Regel gallertige Ausscheidung,
die dem Aluminiumhydroxyd ähnelt.
Das gelatinöse Baryumoxalat.
coo
| N Ba
coo
Wässerige Oxalsäure ruft in der methylalkoholischen Bary-
umoxydlösung einen ähnlichen Niederschlag hervor, wie er für
das Sulfat angegeben ist; beim Trocknen verwandelt er sich
in ein weißes Pulver.
C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.e 173
1. Analyse: Ba.
0,4155 g Substanz enthielten 0,2561 g Ba
Ber. Ba 60,89 °/,
Gef. ,„ 61,63%
2. Analyse: Oxalsäure.
0,2361 g Substanz ergaben titrimetrisch einen Gehalt von
0,0938 g Oxalsäure.
Ber. 39,93 %/, Oxalsäure
Gef. 39,74 %/o E
Das methylalkoholische Baryumoxyd.
Gibt man zu der methylalkoholischen Baryumoxydlösung
entweder ca. gleichviel Äthylalkohol und dann einige Tropfen
Wasser, oder ein halb Volumen Wasser und dann etwas Äther,
so entsteht ein grobkristallinischer Niederschlag, der in prächti-
gen Nadeln aus der Lösung ausfällt. Dieser Niederschlag zeigte
nach kurzem Trocknen über Schwefelsäure die Zusammen-
' setzung von Ba(OH»} + 8 H,O, wie das normale Hydrat. Bei et-
was längerem Trocknen über Phosphorpentoxyd nahm der Wasser-
gehalt ab und ging im Verlauf weniger Tage bis auf ein Mole-
kül Wasser herunter, wobei Konstanz eintrat. Dieses Ver-
halten steht im Gegensatz zu dem des normalen Hydrates, das
auch nach längerem Aufbewahren über Phosphorpentoxyd seinen
Gehalt an 8 Molekülen Wasser bewahrt. Ferner besitzt das
Oktohydrat möglicherweise andere Kristallform und löst sich
zum Unterschied vom typischen Hydrat glatt in Methyl-
alkohol. Läßt man methylalkoholische Baryumoxydlösung im
Vakuumexsikkator langsam verdunsten, so hinterbleiben schöne,
sternförmig gruppierte durchsichtige Nadeln, die das Methylat
des Baryums darstellen.
Baryummethylat.
Bei schneller Abscheidung bildet die Verbindung perl-
mutterartig glänzende cholesterinähnliche Plättchen, die von
einigen wohlausgebildeten Nadeln durchsetzt sind. Die Ana-
lyse führt zur Formel Ba(OCH;3):.
174 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.
0,2194 g Substanz: 0,2576 g BaSO,
0,2535 g a 0,1110 g CO, und 0,0737 g H,O
Ber. für Ba(OCH;%; Ba = 69,92; C = 12,04; H = 3,09 °%,.
Gef. Ba = 69,11; C = 11,94; H = 3,23 °/o.
Die Verbindung löst sich wieder unzersetzt und völlig klar
in absolutem Methylalkohol, dem sie stark alkalische Reaktion
erteilt; aus der Lösung in Methylalkohol fällt HəSO, wieder
gelatinöses BaSO,. In Äthylalkohol ist die Verbindung nur
wenig, aber immerhin merklich löslich; die Flüssigkeit reagiert
alkalisch und scheidet auf Zusatz von HSO, gelatinöses Sulfat
aus. In Äther und Aceton ist die Substanz gänzlich unlöslich,
in Wasser löst sie sich zu einer fast klaren Flüssigkeit. Beim
Erhitzen färbt sich die Substanz schwarz und es entweichen
brennbare Dämpfe.
Das gelatinöse Baryumsulfoxydhydrat.
Fügt man zur methylalkoholischen Baryumoxydlösung
äthylalkoholisches Kaliumsulfhydrat im Überschuß, so fällt eine
gelatinöse Verbindung aus, die ihren Zustand aber beim Aus-
waschen ändert und ein feinkörniges Pulver liefert von der
= Ba Z ba
NOH
Zusammensetzung BaS.H: O, vielleicht
Analysen:
0,4145 g Substanz enthielten 0,8088 g Ba
0,2259 g 5 0,2773 g BaSO,
0,2503 g a 0,0244 g H,O
Ber. Ba 73,26°%, H = 1,07%; S = 17,11.
Gef. „ 74,33%, H =: 1,08%; S = 16,84 °/o.
Versucht man dieselbe Verbindung durch Anwendung von
methylalkoholischem Kaliumsulfhydrat darzustellen, so
fällt keine feste Verbindung aus. Diese Erscheinung war
Veranlassung, das Verhalten des festen Sulfoxydhydrates zu
reinem Methylalkohol zu untersuchen. Ks löst sich in
demselben genau wie das gelatinöse Karbonat bei mehrtägigem
Stehen glatt auf zu einer Flüssigkeit, die den typischen
C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze. 175
Charakter der kolloidalen Lösungen zeigt, d. h. sie ist klar in
durchfallendem Licht und erscheint im reflektierten trübe.
Aus dieser Lösung, die etwas nach Schwefelwasserstoff riecht,
fällt wässerige Schwefelsäure unter Entbindung von Schwefel-
wasserstoff wieder gelatinöses Baryumsulfat.
Kurz bemerkt sei, daß u. a. auch Baryumsulfocyanat
und -tannat in gelatinöser Form existieren.
Wenn sich durch weiterere Untersuchungen herausstellt,
daß die Lösungen des gelatinösen Baryumkarbonates und
Sulfoxydhydrates den bisher bekannten wässerigen kolloidalen
Zuständen analog sind, so hätte man hier den eigentümlichen
Fall, daß Kolloide in einem Medium (Methylalkohol) sich
bilden, das man bisher stets für einen Feind dieses Zustandes
gehalten hat; man hätte dann von Hydrogelen Alkohologele
zu unterscheiden, wie man eine Alkoholyse neben der
Hydrolyse kennt. Für diese Auffassung ist es gleichgültig,
. ob die gelatinösen Verbindungen, wie nicht ganz sicher be-
wiesen, in reiner Form wirklich frei von Methyalkohol
sind, oder ob sie den Hydraten vergleichbare Alkoholate dar-
stellen.
Kurz erwähnt sei noch, daß man auf ähnlichem Wege
auch gelatinöse Kalzium-, Strontium- und Magnesium-
Verbindungen bereiten kann und auch andere Substanzen, die
bisher nur schwer oder nicht gelatinös erhältlich waren.
Zur Erzeugung des gelatinösen Zustandes bedarf es bei
den Erdalkalisalzen keineswegs des Methylalkohols; auch mit
gewöhnlichem Alkohol versetzte wässerige Lösungen desHydroxyds
und der löslichen Salze zeigen z. T. die gleichen Phänomene,
wenn auch weniger deutlich, sodaß es eigentlich wunderbar ist,
daß diese Erscheinungen bisher in der Literatur nicht be-
schrieben sind.
Die Beständigkeit dieser Klasse von gelatinösen Verbin-
dungen und auch die Neigung zu ihrer Bildung nimmt allem
Anschein nach vom Magnesium über Kalzium, Strontium, also
mit steigendem Molekulargewicht, bis zum Baryum zu und
ist bei letzterem am deutlichsten ausgeprägt. Es ist nicht un-
denkbar, daß dem in diese Reihe gehörendem noch höher
molekularen Radium vielleicht in besonders ausgeprägten Maße
jene Eigenschaft zukommt. Da das gelatinöse Sulfat äußerst
176 C. Neuberg u. E. Neimann, Über kolloidale Erdalkalisalze.
voluminös ist, erscheint ein Versuch in dieser Richtung nicht
ohne Aussicht.
Die kolloidalen Baryumsalze, insbesondere das lösliche
Karbonat, haben ein pharmakologisches Interesse. Die Toxizität
des letzteren ist ca. dreimal so gering wie die gewöhnlicher
Baryumsalze, analog der Erfahrung, daß Substanzen im
kolloidalen Zustande zumeist weniger giftig sind als im kristal-
linischen.
Über die Anteilnahme des elementaren Stickstoffes am
Stoffwechsel der Tiere.
(Aus dem tierphysiologischen Institut der landwirtschaftlichen
Hochschule in Berlin.)
Von
Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer,
Assistent am Institut.
(Eingegangen am 11. Juni 1906.)
Vorläuflge Mitteilung.
Die Frage, ob bei den Stoffumsetzungen der Tiere der
gasförmige Stickstoff der Atmosphäre eine Rolle spielt, sei es,
daß er in den Stoffwechsel hineinbezogen werden, oder umge-
kehrt sich aus zerfallenden Eiweißsubstanzen bilden könne, darf
als eine der wichtigsten in der Physiologie des Stoffwechsels
gelten, da alle Bilanzen darauf aufgebaut sind, daß eine solche
Anteilnahme nicht stattfindet. Man hat deshalb schon sehr
frühzeitig angefangen, sich mit diesem Problem experimentell
zu beschäftigen. Obwohl seit Lavoisier eine große Anzahl
von Arbeiten erschienen sind, kann die Frage noch nicht als
restlos gelöst gelten, da immer wieder Einwände erhoben
worden sind. Man hat nach zwei Verfahren gesucht, der Ent-
scheidung näher zu kommen. Wenn man Einnahmen und
Ausgaben an gebundenem Stickstoff genau berechnet, so
müßte sich ein Zuwachs oder ein Defizit ergeben. Die andere
Methode arbeitet mit dem Respirationsapparat und bestimmt
den Gehalt der Atemluft an Stickstoff vor und nach dem Ver-
such direkt.
Mit der ersten Methode hat besonders Voit in einer Reihe
von klassischen Arbeiten die Frage untersucht und ist zu der
Biochemische Zeitschrift Band I. 12
178 C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel.
Entscheidung gekommen, daß bei den von ihm untersuchten
Tieren an eine Anteilnahme gasförmigen Stickstoffes nicht zu
denken ist. Es sind aber gegen diese Ergebnisse besonders von
Seegen und Nowak Einwände erhoben worden, die die Ge-
nauigkeit der Voitschen analytischen Methoden anzweifeln und
im Stoffwechselversuch erhobene Resultate ihnen gegenüber-
stellen. Diese Einwände sind nun nicht unbegründet, die Voit-
schen Zahlen sind tatsächlich mit Fehlern behaftet.
Indessen kann man diese Fehler zahlenmäßig in Rechnung stellen,
und findet dann, daß trotzdem die Hauptergebnisse in ihrem
entscheidendem Wert völlig unangetastet bleiben. Was
dann an Beweismaterial noch fehlt, liefert der berühmte Ver-
such von Gruber, der an Hunden den absolut stringenten
Beweis geführt hat, daß hier von einer Anteilnahme des ele-
mentaren Stickstoffes gar keine Rede sein kann. Nicht so ab-
solut sicher läßt sich der Beweis an anderen Tieren führen.
Hier sind die experimentellen Schwierigkeiten enorm groß.
Immerhin aber ergibt eine genauere Durcharbeitung der Ar-
beiten von Henneberg, Stohmann, Maercker u. a., daß auch
für die Wiederkäuer der Beweis so gut wie geführt ist. Beim
Pferde, wo die groß angelegten Arbeiten von Wolff vorliegen, sind
die Zahlen weniger sicher, vor allem, weil der Stickstoff des
Schweißes nicht berücksichtigt worden ist. Am schlechtesten
sind die Ergebnisse bisher beim Menschen, für den unter
den zahllosen Stoffwechselversuchen nur wenige aufzufinden
sind, bei denen in längeren Zeiträumen die Einfuhr und Aus-
fuhr an Stickstoff sich deckten. Es zeigen sich meist regel-
mäßige Schwankungen. Die Schwierigkeiten sind also hier bis-
her unüberwindbar gewesen.
Mit der Methode der direkten Messung der Atemgase
im geschlossenen Respirationsapparat haben an einer großen .
Reihe von Tieren Regnault und Reiset die Stickstoffrage
untersucht und kommen zu folgenden Resultaten: In den
meisten Fällen finden sie eine nicht unbedeutende Ausschei-
dung von Stickstoff, in einer geringen Zahl dagegen auch
eine Aufnahme. Irgendwelche sicheren Hinweise über die
näheren Umstände, unter denen das eine oder das andere sich
vorfindet, können sie nicht geben; ihre eigenen in hypothetischer
Form aufgestellten Ideen halten einer strengen Kritik nicht stand.
C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 179
Späterhin hat Reiset allein an einem viel geräumigeren
Apparat die Frage an größeren Tieren geprüft und hat dabei
in einigen Fällen ganz ungeheure Werte von Stickstoffaus-
scheidung gefunden.
Bei dem glänzenden Ruf, dessen sich speziell Regnault
mit Recht erfreute, wurden diese Resultate als sicherer Besitz
angesehen. Da sie aber zum mindesten für den Hund in
direktem Widerspruch mit den Voit-Gruberschen Ergebnissen
standen, so klaffte hier eine Lücke zwischen den beiden un-
vereinbaren Angaben. Seegen und Nowak, die mit uner-
müdlichem Eifer gegen Voit zu Felde zogen, haben die Mühe
nicht gescheut, auch ihrerseits in mehreren großartig angelegten
Arbeiten mit Hilfe eines neuen Respirationsapparates die Frage
nochmals zu untersuchen. Sie finden nun regelmäßig Aus-
scheidung von Stickstoff, befinden sich also auch im
Gegensatz zu Regnault und Reiset, die, wie gesagt, in einer
Minderzahl von Fällen auch Aufnahme gefunden hatten. Ja
noch mehr, sie finden in dieser Ausscheidung auffallende
Regelmäßigkeiten, die eine Abhängigkeit dieser Größe von dem
Gewicht des Tieres, seiner Spezies, und der Dauer des Ver-
suches erkennen lassen.
Hier sind also mehrere unvereinbare Widersprüche, die es
notwenig erscheinen lassen, die Frage nochmals aufzunehmen.
Wenn man die Arbeiten im Respirationsapparate einer
eingehenden Kritik unterzieht, so gelingt es tatsächlich, eine
ganze Reihe von Fehlerquellen aufzufinden, und zwar
sowohl bei Regnault und Reiset, wie bei Seegen und
Nowak. Neben einer Reihe von weniger wesentlichen Dingen,
auf die ich in dieser vorläufigen Mitteilung gar nicht eingehen
will, ist es vor allem die Frage der Temperaturmessung,
die die wichtigste Fehlerquelle darstellt. Genaue Über-
legungen, die durch meine eigenen gleich zu erwähnenden
Experimente gestützt werden, zeigen, daß in allen früheren
Versuchen eine richtige Bestimmung der wahren
Durchschnittstemperatur in dem Kasten zum Schlusse
des Versuches unmöglich gewesen ist, daß hier vielmehr
Fehler von einer Größenordnung vorliegen müssen, die in der
Tat imstande sind, die gefundenen Differenzen im Stickstoff-
gehalt zu erklären. Wenn nämlich die Temperatur am Schlusse
12°
180 C.Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel.
des Versuches zu niedrig abgelesen wird, so ergibt die Reduktion
auf 0° und 760 mm ein zu hohes Volum und infolgedessen
einen zu hohen Stickstoffgehalt. Umgekehrt natürlich einen zu
niederen, wenn die Temperatur zu hoch abgelesen worden
ist. Eine genauere Erwägung der Bedingungen, unter denen
Regnault und Reiset einerseits, Seegen und Nowak andrer-
seits gearbeitet haben, läßt nun zeigen, daß bei den Arbeiten
der Franzosen beiden Möglichkeiten Raum gegeben war, es
konnte bald eine zu hohe, bald eine zu niedrige Ablesung der
Temperatur in Frage kommen, und so ist zu erklären, daß sie
bald Zuwachs, bald Ausfall an Stickstoff gefunden haben.
Dagegen ergibt eine Prüfung der Versuchsbedingungen von
Seegen, daß er immer zu niedrig abgelesen haben muß,
so daß er also immer einen größeren Gehalt an Stickstoff finden
mußte. Bei Seegen kommt noch als zweiter wichtiger Einwand
hinzu, daß seine Probeentnahme aus dem Kasten zwecks Analyse
den Fehler hatte, daß sie notwendigerweise ein an Kohlen-
säureärmeres, infolgedessen aber an Stickstoff reiche-
res Gas geben mußte, als dem Durchschnitt entsprach.
Auch dies mußte natürlich eine Ausscheidung von Stickstoff
vortäuschen. So hatten denn alle diese Arbeiten ihre Fehler,
und es war nötig, an einem Apparat diese Versuche zu wieder-
holen, bei dem die Fehlerquellen nach Möglichkeit vermieden
waren. Besonders mußte also nach dem Gesagten auf eine recht
genaue Messung der wahren Durchschnittstemperatur ge-
achtet werden. Die wesentlichsten Teile dieses neuen Apparates
sind schon vor Jahren von Zuntz konstruiert worden, aber
bisher nicht zur Benutzung gekommen. Ich habe den Apparat
zusammengebaut und einige Verbesserungen angebracht. In
seiner jetzigen Gestalt ist der Apparat von Zuntz in der
Physiologischen Gesellschaft zu Berlin (12. V. 1905) demonstriert
worden. Er besteht im wesentlichen aus folgenden Haupt-
bestandteilen: Der Atemraum ist ein ca. 160 Liter fassender
starker Kasten, der mit Hilfe eines Deckels und Gummi-
verschlusses abgedichtet werden kann. Durch eine Pumpe wird
die Luft im Kasten hin- und hergesaugt. Dabei passiert sie
Ventile, die mit starker Kalilauge gefüllt sind, um die Kohlen-
säure zu absorbieren. Am Kasten findet sich ferner ein feines
Manometer, sowie ein Thermobarometer, das in Form eines
C. Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel. 181
langen Metallrohres den ganzen Kasten durchzieht und am
einen Ende geschlossen ist, während das andere Ende ebenfalls
mit einem empfindlichen Manometer verbunden ist. Diese von
Zuntz erdachte Vorrichtung ist eigentlich das prinzipiell Wich-
tigste an dem Apparat, da sie eine der Wirklichkeit sehr nahe
kommende Messung der wahren Durchschnittstemperatur
im Kasten während und am Schlusse des Versuches gestattet
und so den wesentlichsten Fehler aller bisherigen Arbeiten ver-
meiden läßt. Ganz anders wie bei allen vorhergehenden Ver-
suchen ist auch die Zufuhr des Sauerstoffes, bei der nach
vielen Bemühungen schließlich auf die Messung durch Gasuhren
ganz verzichtet und anstatt dessen ein Glasgasometer verwendet
wurde, in dem das Volum Sauerstoff durch Wägung des aus
einem Druckgefäß nachfließenden Wassers sehr genau bestimmt
werden konnte. Die genaueren Details aller dieser Vorrich-
tungen werde ich in meiner später erscheinenden ausführlichen
Publikation geben.
In diesem Kasten wurde nun der Stickstoffgehalt aus den
abgelesenen physikalischen Konstanten und den Analysen am
Schlusse des Versuches ermittelt.
Eine Erwägung der Fehlergrenzen der Methodik ergab, daß
im günstigen Falle man auf etwa 100 ccm Stickstoff nach
beiden Seiten hin rechnen muß. Nur erheblich größere Aus-
schläge also könnte man als Beweise für eine Ausscheidung
resp. Aufnahme von Stickstoff ansehen. Ich habe nun an
diesem Apparat eine größere Reihe von Respirationsversuchen
mit gesunden und diabetischen Hunden, sowie mit Kaninchen
gemacht, und nur die Versuche, die gute analytische Werte
lieferten, für die vorliegende Frage benutzt. Dabei ergab sich
nur in einem Falle eine jeder Erklärung spottende, kolossale
Abnahme des Stickstoffes, die sicherlich auf einem unbeachteten
groben Versuchsfehler beruhen muß. Sonst aber geben meine
Resultate nicht den geringsten Hinweis, daß der Stickstoff
im Kasten sich irgendwie an den Stoffwechselvorgängen des
Tieres beteiligt. Die Differenzen, die sich etwa gleichmäßig im
Sinne eines Zuwachses und eines Defizits verteilten, blieben
meist unter 100, nur wenige gingen unwesentlich darüber hinaus.
Besonders wichtig aber ist, daß ich unter den mannigfachsten
Bedingungen Gelegenheit hatte zu konstatieren, daß die an dem
182 C.Oppenheimer, Anteil des elementaren Stickstoffs am Stoffwechsel.
Thermometer im umgebenden Wasser abgelesene Temperatur sich
von der wirklichen, mit Hilfe des Thermobarometers gefundenen
so sehr unterscheiden kann, daß die erstere völlig falsche,
die Resultate der früheren Autoren durchaus erklärende Werte
ergeben kann. Nur unter bestimmten Umständen, wenn nämlich
die Änderungen der Temperatur im Kasten und Arbeitsraum
sehr geringfügig sind, kann man die Thermometerablesungen
gelten lassen. Ganz besonders treten die Fehler hervor, wenn
man die Versuche bei künstlich geänderter Temperatur vor-
nimmt, es zeigen sich dabei Fehler, die mit Sicherheit in der
durch die Überlegung geforderten Richtung liegen. Dadurch
wird also das durch kritische Überlegung gewonnene Resultat,
daß die früheren Versuche mit falschen Temperaturangaben
gearbeitet haben, durch eigene Beobachtung bestätigt und ferner
erwiesen, daß an eine irgendwie erhebliche, über die er-
wähnten Fehlergrenzen hinausgehende Anteilnahme
des elementaren Stickstoffes an den metabolischen
Vorgängen der untersuchten Tiere nicht fernerhin
gedacht werden kann.
Wegen der Einzelresultate und aller Details muß ich auf
die ausführliche Publikation verweisen, die aus äußeren Gründen
sich noch einige Zeit hinziehen wird.
Versuche über den chemischen Charakter des
Befruchtungsvorgangs.
Von
Jacques Loeb.
(From the Herzstein Research Laboratory of the University of California.)
(Eingegangen am 25. Juni 1906.)
L Einleitung.
Vor sieben Jahren gelang mir der Nachweis, daß es mög-
lich ist, normale Larven aus den befruchteten Eiern von Seeigeln
dadurch hervorzubringen, daß man diese Eier ca. 2 Stunden
(bei einer Temperatur von etwa 18°) hypertonisch gemachtem
Seewasser aussetzt. Die für diesen Zweck benutzte Lösung be-
stand aus ungefähr 50 ccm Seewasser + 8 bis 10 ccm einer
2'/3 N.-NaCl-Lösung. Das normale Seewasser hat eine Kon-
zentration, die einer !/s bis °/;N.-NaCl-Lösung gleich ist. Die
Seeigeleier, bei denen diese Versuche ausgeführt werden, ent-
wickeln sich nicht zu Larven und furchen sich nicht ohne
die erwähnte Behandlung mit hypertonischem Seewasser oder
Befruchtung mit Samen. Die Fortsetzung dieser Versuche ergab,
daß nicht nur die unbefruchteten Eier von Seeigeln, sondern
auch von Repräsentanten anderer Tiergruppen, nämlich Mollus-
ken und Anneliden, durch dieselbe vorübergehende Behandlung
mit hypertonischem Seewasser zur Entwicklung bis zu schwim-
menden Larven veranlaßt werden können. Ja, Bataillon hat
durch dieselbe Methode selbst die Anfänge der Entwicklung
bei den Eiern von Wirbeltieren, nämlich Fröschen und Petro-
myzon, erzielt.
184 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
Es war von vornherein klar, daß diese Versuche berufen
sein würden, Aufklärung über das Wesen des Befruchtungs-
vorganges zu geben, da es ja aussichtslos schien, aus der Be-
schaffenheit des Spermatozoons eine solche Aufklärung zu er-
. langen. Allein es waren in der physiologischen Literatur —
soweit ich sie kenne — keine Angaben vorhanden, welche uns
erlaubten einen Schluß auf den Einfluß hypertonischer Lösungen
zu ziehen. Es war zu vermuten, daß derartige Lösungen dem
Ei Wasser entziehen, allein wie der Wasserverlust die Befruch-
tung veranlassen könne, war ein Rätsel. Wer meine ersten
Abhandlungen über den Gegenstand liest, wird finden, daß ich
schwankte, ob es sich um eine physikalische Wirkung (auf die
Kolloide im Ei) handele, oder um eine chemische Wirkung, ob-
wohl ich mich bald der letzteren Möglichkeit zuwendete. Erst
im vorigen Jahr führte mich eine zu anderen Zwecken an-
gestellte Versuchsreihe auf die Vermutung, daß die hyper-
tonischen Lösungen vielleicht Oxydationsvorgänge im Ei anregen
oder beschleunigen. Ich hatte nämlich bei meinen Versuchen
an Molluskeneiern (Lottia gigantea) stets beobachtet, daß die
Eier, welche durch Behandlung mit hypertonischem Seewasser
befruchtet werden können, durch den Samen von Lottia nicht
befruchtet wurden!), Die Eier waren offenbar „unreif“ und
ich fand, daß sie auch nach tagelangem Liegen in normalem
Seewasser nicht reiften. Sie konnten aber ziemlich rasch zur
Reife gebracht werden, wenn man sie alkalisch gemachtem See-
wasser (50 ccm Seewasser + 1 ccm N/-KHO) aussetzte °-
Brachte man solche Eier nach etwa 4 Stunden (bei etwa 18° C.)
in normales Seewasser zurück, so wurden sie auf Samenzusatz
befruchtet. Das alkalische Seewasser hatte aber diese Wirkung
nur in Gegenwart von freiem Sauerstoff. Vertreibt man den
atmosphärischen Sauerstoff aus dem alkalischen Seewasser durch
einen Strom von sorgfältig gewaschenem, reinem Wasserstoff,
so reifen die Eier nicht. Das brachte. mich auf die Vermutung,
daß die Behandlung der Eier von Lottia mit hypertonischem
Seewasser nicht nur ihre Entwicklung anrege, sondern sie auch
außerdem zur Reife bringe. Die letztere Vermutung bestätigte
) University of California Publications, Physiology vol. I, p. 7. 1903.
?) Daselbst, vol. III, p. 1. 1905.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 185
sich, die mit hypertonischem Seewasser behandelten Eier konnten
durch Samen befruchtet werden. Das ließ sich dadurch nach-
weisen, daß die durch künstliche Parthenogenese mit hyper-
tonischem Seewasser und die durch Samenbefruchtung erzielten
Larven von Lottia sich in bestimmter Weise unterscheiden; die
durch Samenbefruchtung erzielten Larven schwimmen an der
Oberfläche und leben lange, die durch hypertonisches Seewasser
bis jetzt erzielten Larven schwimmen am Boden und gehen
nach zwei Tagen zugrunde. Fügte man zu den mit hyper-
tonischem Seewasser von Lottia behandelten Eiern Samen zu,
so erhielt man Larven von der durch Befruchtung entstehenden
Art. Das führte mich auf den Gedanken, zu untersuchen, ob
nicht auch für die entwicklungserregenden Wirkungen des hyper-
tonischen Seewassers die Anwesenheit von atmosphärischem
Sauerstoff in der hypertonischen Lösung absolute Vorbedingung
sei. Diese Vermutung prüfte ich am Seeigelei und sie erwies
sich als richtig. Wie ich bereits in einer kurzen Notiz!) mit-
teilte, findet die Entwicklungserregung im unbefruchteten See-
igelei nur dann statt, wenn das hypertonische Seewasser freien
Sauerstoff enthält. Diese Versuche regten den Gedanken an,
daß die wesentliche Seite in der Entwicklungserregung des Eis,
sei es durch Samen, sei es durch künstliche Mittel, in einer
Anregung resp. Beschleunigung von Oxydationsvorgängen be-
stehe. Ich habe diese Vermutung neuerdings weiter verfolgt und
will die Ergebnisse hier mitteilen. Wo nicht das Gegenteil ge-
sagt ist, wird es sich im folgenden um Versuche am Seeigelei
(Strongylocentrotus purpuratus) handeln.
I. Versuche am befruchteten Seeigelei.
1. Ohne freien Sauerstoff kann sich das befruchtete
Seeigelei nicht furchen.
Vor zehn Jahren veröffentlichte ich die Beobachtung, daß,
wenn man frisch befruchtete Seeigeleier in eine Engelmann-
sche Gaskammer bringt und in derselben die Luft durch reinen
Wasserstoff ersetzt, kein Ei sich zu furchen imstande ist). Da
es eine Zeitlang dauert, bis der Wasserstoffstrom alle Luft aus-
1) University of California Publications, Physiology, vol. III, p.39. 1906.
2) Pflügers Archiv 62, 249. 1895.
186 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
getrieben hat, und da in dieser Periode das Ei Zeit hat, die
Kernteilung und vielleicht auch eine Furchung auszuführen,
muß man die Engelmannsche Kammer zunächst auf Eis
stellen und dann zwei Stunden lang einen Weasserstoffstrom
durchtreiben. Nimmt man dann die Engelmannsche Kammer
vom Eis, so tritt keine Kernteilung und keine Zellteilung ein.
Bringt man die Eier aber (nach nicht zu langem Verweilen in
der Weasserstoffatmosphäre) in lufthaltiges Seewasser zurück, so
furchen sie sich mit der der Temperatur entsprechenden Ge-
schwindigkeit und absolut regelmäßig. Diese Versuche habe ich
neuerdings wiederholt und bestätigt. Es folgt daraus, daß die
Befruchtung durch das Spermatozoon nur dann zur Furchung
führt, wenn freier Sauerstoff zugegen ist. Das führt auf die
Vermutung, daß die durch die Befruchtung angeregten Prozesse
wesentlich Oxydationsprozesse sind. In einem eben erschienenen
Buche '’) habe ich darauf hingewiesen, daß ein zweiter chemischer
Prozeß unstreitig durch die Befruchtung eingeleitet wird, nämlich
die Bildung von Nukleinverbindungen aus gewissen Bestandteilen
des Protoplasmas. Da diese Umwandlung ebenfalls nur in der
Gegenwart von freiem Sauerstoff stattfindet, so ist zu vermuten,
daß Oxydationen direkt oder indirekt dieser Synthese von
Nukleinverbindungen zugrunde liegen.
2. Eine Spur von Cyankalium hemmt die Furchung
des befruchteten Seeigeleis.
Da, wie Schönbein, Claude Bernard, Geppert und
andere gezeigt haben, die Autoxydation durch KCN gehemmt
wird, so schien es wünschenswert zu versuchen, ob die Furchung
des befruchteten Seeigeleies ebenfalls durch Zusatz von KCN
zu Seewasser gehemmt wird. Es ist erstaunlich, wie wenig
KCN für diesen Zweck nötig ist. Schon der Zusatz von !/ ccm
einer 1/2% /o KCN -Lösung hemmte die Furchung vollständig. Die
Konzentration des Cyankaliums in einer solchen Lösung war
also "sooo /o! Setzt man aber etwas weniger Blausäure zu, so
tritt eine Furchung ein, deren Verlauf um so mehr der nor-
malen Geschwindigkeit sich nähert, je geringer die Menge des
" Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen S. 98 u.
239. Leipzig 1906.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 187
zugesetzten KCN ist. Zu je 50 ccm Seewasser wurden 0,1, 0,2,
0,3 und 0,4 ccm einer '/so°/o Lösung von KCN zugefügt, und
in jede dieser Lösungen wurden Seeigeleier gebracht, welche
6 Minuten vorher durch Samen befruchtet worden waren. Nach
4 Stunden waren die Eier in der Lösung mit 0,2 ccm oder mehr
1/20°/o KCN alle ungefurcht, die Eier in der Lösung mit nur
0,1 ccm Y/s0 Yo KCN im Vierzellstadium, während die in nor-
malem Seewasser gebliebenen Kontrolleier im Acht- bis Sechzehn-
zellstadium waren. Am nächsten Morgen fanden sich ca. Yıo /o
der Eier in der Lösung mit 0,4 ccm KCN im Zwei- bis Vier-
zellstadium, in der Lösung mit 0,3 ccm KCN etwa 10°, der
Eier in den ersten Furchungsstadien (2—4 Zellen), in der Lösung
mit 0,2 ccm waren die Resultate nur wenig besser, aber in
der Lösung mit 0,1 ccm "/so°/o KCN waren fast alle Eier zu
schwimmenden Larven entwickelt. Wir werden später sehen,
daß der Zusatz von 0,5 bis 3 ccm !Y/so Yo KCN zu 50 ccm See-
wasser die befruchteten Eier des Seeigels nicht dauernd schädigt,
sondern nur die Entwicklung derselben hemmt. Bringt man
dieselben in normales Seewasser zurück, so entwickeln sie sich,
vorausgesetzt, daß sie nicht zu lange dem vergifteten Seewasser
ausgesetzt blieben. Wir werden ferner zeigen, daß das KCN
(wie der Sauerstoffmangel) nur die Bildung der Chromatin-
substanz aus Protoplasma und damit indirekt auch die Kern-
und Zellteilung hemmt, während es andere Funktionen des Eies
intakt läßt.
3. Das befruchtete Ei bildet mehr Säure als das
unbefruchtete Ei.
Wenn es wahr ist, daß das Wesen der Befruchtung in
einer Anregung resp. Beschleunigung von Oxydationsprozessen
besteht, so muß sich eine Zunahme der Koblensäurebildung im
Seeigelei nach der Befruchtung nachweisen lassen. In einfacher,
aber überzeugender Weise läßt sich der Versuch so ausführen.
Gleiche Volumina von Eiern werden in Flaschen von etwa
300 ccm Volumen mit 50 ccm Seewasser gebracht. In der
einen Partie wird Samen zugesetzt und die Flaschen werden
dann luftdicht geschlossen. Nach etwa 15 bis 20 Stunden wird
der Säuregehalt des Seewassers in beiden Flaschen titrimetrisch
festgestellt. Das Seewasser in Pacific Grove gibt mit Phenol-
188 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
phthalein keine Rotfärbung (es unterscheidet sich darin vom
Seewasser des atlantischen Ozeans in Woods Hole). Bestimmt
man nun die Menge von KHO, welche man zusetzen muß, um
mit Phenolphthalein Rotfärbung des Seewassers zu erzielen, so
findet man, daß diese Menge größer ist für die befruchteten
als die unbefruchteten Eier, und daß die Menge zunimmt mit
der Zahl der sich entwickelnden Eier. So waren in einem Ver-
such, in welchem die Eier bei ungefähr 15° 17 Stunden lang
in den verschlossenen Gefäßen geblieben waren, ca. 0,2 ccm
N/ıo-KHO für die Erzielung der Rotfärbung des Seewassers bei
den unbefruchteten Eiern nötig, während die befruchteten für
den gleichen Zweck etwas über 0,4 ccm derselben Lauge er-
forderten. Kontrollversuche mit Seewasser allein und mit See-
wasser, dem Spermatozoen in derselben Masse zugefügt waren,
wie im Falle der befruchteten Eier, ergaben, daß 0,1 bis 0,2 ccm
N/ıo-KHO zur Rotfärbung von 50 ccm Seewasser ausreichten.
Es scheint also, daß auch die unbefruchteten Eier etwas Säure
bilden und daß die Befruchtung die Säurebildung nur erheblich
beschleunigt. Diese Versuche wurden vielfach wiederholt und
variiert, ergaben aber stets dasselbe Resultat. In einer Versuchs-
reihe wurden die Eier von vornherein in alkalisch gemachtes
Seewasser (50 ccm Seewasser -+ 0,5 cem N/10-KHO) gebracht
und dann nachher durch Säurezusatz der übrig gebliebene Alkali-
gehalt festgestellt. Wie ich schon früher zeigte, regt derartig
alkalisch gemachtes Seewasser die ersten Furchungsvorgänge bei
unbefruchteten Seeigeleiern an; aber zu einer über die erste
Furchung hinausgehenden Entwicklung kommt es nicht. Auch
bei diesem Versuche fällt der Unterschied im Verhalten der
befruchteten und unbefruchteten Eier in demselben Sinne aus,
wie bei der früher erwähnten Versuchsanordnung.
Daß die befruchteten Eier des Seeigels CO, abgeben, ist
schon von Lyon gezeigt worden. Es ist ferner eine allgemeine
Tatsache, daß bei der Entwicklung von Eiern wie von keimenden
Pflanzensamen CO, gebildet wird. Es ist deshalb zu vermuten,
daß die in diesen Versuchen gefundene Säurebildung ganz oder
zum Teil in der Abgabe von CO, durch das Ei besteht.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 189
II. Die Rolle des Sauerstoffs und der Oxydationen bei der
künstlichen Parthenogenese.
1. Der Vorgang der Entwicklungserregung beim
Seeigelei setzt sich aus zwei verschiedenen Prozessen
zusammen!).
Wir können nicht direkt entscheiden, wie das Spermatozoon
die Entwicklung des Eies bewirkt, und diese Lücke muß in der
Weise ausgefüllt werden, daß wir versuchen, den Vorgang der
Befruchtung in allen Details durch uns bekannte physikalische
oder chemische Agentien nachzumachen. Dieser Versuch ist
für das Seeigelei gelungen und hat ergeben, daß der Vorgang
der Entwicklungserregung sich aus zwei verschiedenen Eingriffen
zusammensetzt. Der eine Eingriff ist die Membranbildung des
Eies, welche erfolgt, sobald das Spermatozoon in das Seeigelei
eingedrungen ist. Es scheint, daß dieser Vorgang in einer
Sekretion von Flüssigkeit von seiten des Eies besteht, wodurch
die Oberflächenlamelle des letzteren abgehoben wird. Der Vor-
gang ist vielleicht äußerlich vergleichbar dem Vorgang der
Abhebung der Epidermis durch einen Flüssigkeitserguß bei
oberflächlicher Verbrennung der Haut. Dieser Sekretionsvorgang
oder die Membranbildung kann künstlich beim unbefruchteten
Ei durch verschiedene Mittel eingeleitet werden, am besten
dadurch, daß man die Eier etwa 1'/s bis 2 Minuten (bei 15° C.)
in 50 ccm Seewasser bringt, dem man etwa 3 ccm einer N/ho-
Lösung einer einbasischen Fettsäure, z. B. Buttersäure zusetzt.
Wenn man die Eier dann herausnimmt, so bilden sie alle
Membranen, die ebenso vollkommen sind, wie die von be-
fruchteten Eiern gebildeten.
Wenn man solche Eier dann weiter beobachtet, so findet
man, daß der Kern anfängt, sich zu teilen und daß auch oft
eine oder mehrere Zellteilungen eintreten; aber das Ei entwickelt
sich nicht zu einer Larve, sondern zerfällt und ist in weniger
als 24 Stunden abgestorben. Der Vorgang der Membranbildung
hat also zwei Wirkungen: erstens die Zellteilungsvorgänge oder
richtiger die Synthese von Nukleinverbindungen in den Gang
1) Ich habe eine kurze Darlegung der Methoden der künstlichen
Parthenogenese in meinen „Vorlesungen über die Dynamik der Lebens-
erscheinungen“, Leipzig 1906, gegeben.
190 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
zu setzen, und zweitens das Ei zu töten; denn das unbefruchtete
Ei kann eine Reihe von Tagen am Leben bleiben, wenn man
die künstliche Membranbildung in demselben nicht anregt.
Setzt man aber Eier, in welchen man die künstliche
Membranbildung hervorgebracht hat, hinterher (bei 16° C.)
etwa 30 bis 50 Minuten lang hypertonischem Seewasser (50 ccm
Seewasser + 8 ccm 2!/s N.-NaCl.) aus, so entwickeln sich alle
oder die meisten dieser Eier zu schwimmenden Larven. Ein
gewisser, oft recht großer Prozentsatz dieser Eier furcht sich
völlig regelmäßig und entwickelt sich zu normalen Larven.
In der Art der Furchung und dem Verhalten und Aussehen
der Larven ist die Entwicklung dieser Eier nicht zu unter-
scheiden von der durch Samen bewirkten Furchung und Ent-
wicklung. Ein Teil der Eier aber furcht sich nicht so regel-
mäßig und man findet, daß die Furchung um so unregelmäßiger
wird, je länger die Eier dem hypertonischen Seewasser ausgesetzt
bleiben. Es handelt sich hier um eine toxische Nebenwirkung
des hypertonischen Seewassers, die dadurch nahezu vollständig
oder doch wenigstens in hohem Grade vermieden werden kann,
daß man die Eier früh genug aus der hypertonischen Lösung
nimmt. Diese Behandlung der Eier mit hypertonischem See-
wasser für die kurze Dauer von etwa 40 Minuten genügt nicht
zur Entwicklungserregung, wie Kontrollversuche an Seeigeleiern,
die nicht zur Membranbildung veranlaßt worden waren, zeigen.
Die kurze Behandlung der Eier mit hypertonischem Seewasser
nach voraufgegangener Membranbildung dient vielmehr dazu,
die fehlerhaften chemischen oder sonstigen Prozesse in solchen
Eiern in die richtigen Bahnen zu lenken.
Daß nun auch bei der Befruchtung durch Samen die
Membranbildung ein besonderer Prozeß ist, der in seiner Wirkung
der künstlichen Membranbildung durch eine einbasische Fett-
säure vergleichbar ist, wird durch Beobachtungen, welche Herr
Dr. H. Kupelwieser neuerdings in meinem Laboratorium aus-
geführt hat, sichergestellt. Ich hatte schon vor 3 Jahren be-
obachtet, daß man bei Seeigeleiern die Membranbildung durch
Annelidensamen (Ophelia) hervorrufen kann. Diese Eier ent-
wickelten sich nicht. Herr Dr. Kupelwieser hat nun ge-
funden, daß, wenn man den Samen von Seeigeln, Seesternen,
ja von Mollusken durch Hitze zum Gerinnen bringt und filtriert,
- m en un u a PER ER
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 191
das klare Filtrat die Membranbildung beim unbefruchteten See-
igelei hervorruft. Seeigeleier, welche auf diese Weise zur
Membranbildung gezwungen werden, verhalten sich ganz genau
so, wie die Seeigeleier, bei denen eine Membranbildung durch
Buttersäure hervorgerufen wird. Die Kernteilung (Spindelbildung)
beginnt, die Eier gehen aber dann im Laufe der nächsten
24 Stunden zugrunde. Behandelt man sie jedoch nach der
Membranbildung etwa 40 Minuten lang mit hypertonischem
Seewasser!), so entwickeln sie sich zu normalen Larven, in
genau derselben Weise wie die Eier, deren Membranbildung
durch eine einbasische Fettsäure veranlaßt war. Welcher Stoff
im Spermatozoenextrakt die Membranbildung verursacht, ist
noch nicht untersucht worden, allein es ist nicht wahrscheinlich,
daß es sich um eine Säure handelt. Mit Hilfe dieser Daten
ist es nun möglich, die Rolle des Sauerstoffs bei der Ent-
wicklungserregung etwas genauer zu untersuchen.
2. Der Vorgang der Membranbildung wird durch
geringe Dosen von KCN nicht verhindert.
Wir haben erwähnt, daß schon der Zusatz von !/; ccm
I/so/o KCN zu 50 ccm Seewasser genügt, um die Entwicklung
frisch befruchteter Eier völlig zu unterdrücken. Setzt man aber
1, 2 oder selbst 3 ccm KCN zu 50 ccm Seewasser zu, so findet
in solchem Seewasser doch noch die Membranbildung auf Zusatz
von Samen statt. Auch die künstliche Membranbildung durch
Buttersäure wird durch einen solchen Zusatz von KCN nicht
gehemmt. Ich glaubte anfangs, daß das vielleicht daher rühre,
daß das KCN nicht rasch genug in das Ei eindringe. Ich ließ
daher Eier bei 15° C. eine Reihe von Stunden — bis zu 24
Stunden lang — in einer Mischung von 50 ccm Seewasser
+ 2 cem !/so%/o KCN und fügte dann Samen zu. Die Eier
bildeten in dem cyankaliumhaltigen Seewasser doch sofort eine
vollkommene Befruchtungsmembran. Es ist also damit er-
wiesen, daß der Akt der Membranbildung durch solche Mengen
von Cyankalium, welche ausreichen, die Furchung absolut zu
unterdrücken, nicht gehemmt wird. Wir dürfen daraus schließen,
ı) Im folgenden wird unter hypertonischem Seewasser die Mischung
von 50 com Seewasser + 8 ccm 2'/, N.-NaC] verstanden, wenn nicht das
Gegenteil ausdrücklich bemerkt ist.
192 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
daß der Akt der Membranbildung (oder die der Membranbildung
zugrunde liegenden Sekretion) entweder keinen freien Sauerstoff
oder weniger Sauerstoff und Oxydationen erfordert, als der Akt
der Furchung, oder die chemischen Vorgänge, welche der
Furchung zugrunde liegen. Das ist auffallend angesichts der
Tatsache, daß die Membranbildung die Entwicklung, also
energische Oxydationsvorgänge, einleitet. Es ist aber möglich,
daß die Sekretion, welche der Membranbildung zugrunde liegt,
Stoffe aus dem Ei entfernt, welche diese Oxydationen zu hemmen
imstande sind).
3. Durch die Membranbildung allein werden
Oxydationsprozesse im Ei hervorgerufen oder be-
schleunigt, welche zum raschen Zerfall und Tod des
Eies führen.
Wir haben bereits erwähnt, daß die künstliche Membran-
bildung im Ei zunächst die der Furchung zugrunde liegenden
Kernveränderungen hervorruft. Eine Spindel wird gebildet und
es mag auch eine Zellteilung erfolgen, aber dann setzt meist
der rasche Zerfall und Tod des Eies ein. Daß die Bildung der
Spindel nur in Gegenwart von Sauerstoff möglich ist und durch
Sauerstoffmangel und Zusatz von KCN verhindert wird, haben
wir bereits für das befruchtete Ei erwähnt. Ich habe mich
nun durch Versuche überzeugt, daß dieselben Agentien, nämlich
eine Wasserstoffatmosphäre?) oder Zusatz von 1 ccm 1/2 ?/0 KCN
zu 50 ccm Seewasser die Bildung der Spindel auch bei der
künstlichen Membranbildung hindern. Es stellte sich aber
weiter auch die höchst überraschende Tatsache heraus, daß in
einer Wasserstoffatmosphäre oder bei dem Zusatz der erwähnten
geringen Menge von KCN der Zerfall und Tod des Eies nach
der künstlichen Membranbildung ausbleiben. Wenn man nach
24 Stunden oder später die Eier untersucht, welche nach der
Bildung der Membran durch eine Fettsäure in cyankalium-
haltiges Seewasser gebracht wurden und dort verblieben, so wird
man finden, daß sie genau so aussehen, wie zur Zeit als sie in
die Lösung gebracht wurden; während die Eier derselben Serie,
1) Siehe Dynamik der Lebenserscheinungen S. 252.
2) University of California Publications, Physiology vol. III,
p. 33. 1906.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 193
welche in gewöhnliches Seewasser gebracht wurden, alle zerfallen
und tot sind.
Daß in der Tat die Bildung der künstlichen Membran die
Oxydationsvorgänge im Ei anregt resp. beschleunigt, ist schon
aus dem Gesagten ersichtlich. Man kann es aber noch direkt
durch die früher erwähnte Titration des Seewassers fest-
stellen. Ich habe nur zwei derartige Bestimmungen aus-
geführt, die in der Tat das Gesagte stützen, wenn auch die
Säurebildung geringer war als bei den mit Samen befruchteten
Eiern.
Man gewinnt den Eindruck, daß infolge der Membran-
bildung die Oxydationsvorgänge, welche zur Synthese der
Chromatinsubstanz führen, angeregt werden, daß aber die
Oxydationsvorgänge oder von diesen abhängende Vorgänge in
fehlerhaften Bahnen verlaufen, wodurch das Ei zerfällt oder
abstirbt. Hemmt man die Oxydationen durch Sauerstoffmangel
oder Zusatz von Cyankalium, so treten jene fehlerhaften Prozesse
nicht ein und das Ei bleibt am Leben.
Ich habe schon vor Jahren einen Fall beobachtet, in dem
Sauerstoffmangel und Cyankalium das Leben eines Eies retteten').
Es handelte sich um das Seesternei. Sobald das Ei dieser Tiere
ins Seewasser gerät, erfolgt (zur geeigneten Jahreszeit) die Reifung
des Eies, die sich in wenigen Stunden vollzieht. Dieser Reifungs-
vorgang ist, wie ich vermute, ebenfalls ein Oxydationsprozeß,
oder von einem solchen abhängig, da Zusatz von KCN die
Reifung hemmt. Wenn nun solche Eier reifen, ohne hinterher
befruchtet oder sonstwie zur Entwicklung veranlaßt zu werden,
so sterben sie in wenigen Stunden ab; während sie tagelang
am Leben bleiben, wenn man ihnen den Sauerstoff entzieht
oder dem Seewasser Cyankalium zusetzt. Man kann auch hier
sagen, daß die im reifen aber unbefruchteten oder nicht zur
Entwicklung angeregten Ei verlaufenden Oxydationsvorgänge
den raschen Tod des Eies herbeiführen. In beiden Fällen wird
das Ei in einen Anaeroben in sofern verwandelt, als nun der
Sauerstoff für dasselbe giftig ist.
) Loeb und Lewis, Am. Journ. of Physiology vol. VI, p. 305.
1902 und Loeb, Pflügers Archiv, 98, 59. 1902.
Biochemische Zeitschrift Band L 13
194 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
4. Die Behandlung des Seeigeleies mit hypertonischem
Seewasser nach der künstlichen Membranbildung leitet
die Vorgänge im Ei in richtige Bahnen, aber nur in
Gegenwart von freiem Sauerstoff.
Wenn man die Eier, in denen man eine künstliche
Membranbildung hervorgerufen hat, hinterher etwa 40 Minuten
bei geeigneter Temperatur in hypertonisches Seewasser bringt,
so entwickeln sie sich alle, und bei einer relativ großen Zahl
derselben ist die Entwicklung völlig normal. Es macht nicht
viel Unterschied, wie bald nach der Membranbildung die Eier
in das hypertonische Seewasser gebracht werden, wenn man
nicht zu lange wartet. Ich habe selbst noch Erfolg gesehen,
wenn die Eier erst in die hypertonische Lösung gebracht wurden,
nachdem sich schon die Spindel gebildet hatte und der Zerfall
schon anfing. Natürlich ist der Erfolg erheblich besser, wenn
man die Eier schon nach etwa 10 Minuten in das hypertonische
Seewasser bringt.
Daß nun in der Tat das hypertonische Seewasser chemisch
und nicht physikalisch auf das Ei wirkt, wird, wie ich schon
mitgeteilt habe!), durch Messung des Temperaturkoeffizienten
klar. Wie erwähnt, muß man die Eier eine bestimmte Zeit
im hypertonischen Seewasser lassen, um den Zerfall der Eier
zu verhindern und eine Entwicklung derselben zu Larven zu
veranlassen. Diese Zeit ist eine Funktion der Temperatur und
durch Erhöhung der Temperatur um etwa 10° C. wird die
nötige Expositionszeit auf etwa t/s reduziert. Einen Tempe-
raturkoeffizienten von 23 finden wir aber nur bei chemischen
Reaktionen.
Die chemischen Reaktionen, um die es sich hier handelt,
sind, wie es scheint, an Oxydationen geknüpft; denn wenn
man die Eier in hypertonisches Seewasser bringt, dessen freien
Sauerstoff man vorher durch einen Wasserstoffstrom ausgetrieben
hat, so benehmen sich die Eier genau so, wie wenn sie nicht
in hypertonischem Seewasser gewesen wären. Diese Versuche
sind aber technisch schwierig, weil mit den Eiern immer etwas
Luft in die hypertonische Lösung gebracht wird. Man könnte
1) University of California Publications, Physiology, vol. III. p. 39.
1906.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 195
nun diese Schwierigkeit umgehen, allein ich hielt es für viel
bequemer statt dessen die Versuche in hypertonischem Seewasser
anzustellen, dem man etwas Cyankalium zusetzt.
Bei den Eiern eines Weibchens wurde künstliche Membran-
bildung mittels Buttersäure hervorgerufen und zehn Minuten
später wurden die Eier in zwei Gefäße mit hypertonischem
Seewasser (50 ccm Seewasser + 8 ccm 2!/; N.-NaCl) übertragen.
Dem einen dieser Gefäße war 2 ccm !/so /o KCN zugesetzt
worden. Die Temperatur war 18°C. Nach bestimmten Inter-
vallen wurde eine Partie Eier aus jedem der beiden Gefäße in
normales Seewasser zurückgebracht. Am nächsten Morgen fand
sich das folgende Ergebnis. Die nach 30 Minuten aus dem
hypertonischen Seewasser in normales Seewasser übertragenen
Eier waren meist zerfallen, ganz wie die Eier, welche nach der
Membranbildung nicht mit hypertonischem Seewasser behandelt
worden waren. Nur etwa 2°/, der Eier hatten sich zu Blastulae
entwickelt, die völlig normal waren. Von den nach 40 Minuten
aus dem hypertonischen Seewasser genommenen Eiern hatten
sich etwa 50°/, entwickelt, meist zu normalen Blastulen. Die
nach 50 Minuten herausgenommenen hatten etwa ebensoviele
Larven, aber eine größere Zahl der Larven sah nicht normal
aus. Eier, die 135 Minuten im hypertonischen Seewasser ge-
wesen waren, hatten sich in großer Zahl zu entwickeln ange-
fangen, aber sie gingen in frühen Stadien zugrunde. In solchen
überexponierten Eiern sind, wie ich schon früher gezeigt habe,
die ersten Furchungsvorgänge schon abnorm und solche Eier
sterben, je nach der relativen Dauer der Überexposition, rasch
ab. Eier, die noch länger, nämlich 195, 285 und 335 Minuten
dem hypertonischen Seewasser ausgesetzt gewesen waren, hatten
in noch höherem Grade gelitten, und viele dieser Eier gingen
sofort nach dem Übertragen in normales Seewasser an schwarzer
Cytolyse!) zugrunde.
Die Eier dagegen, die gleichzeitig aus dem cyankalium-
haltigen hypertonischen Seewasser übertragen worden waren,
gingen alle in wenigen Stunden nach der Herausnahme zu-
grunde, und zwar in derselben Weise, wie die dauernd in nor-
malem Seewasser gebliebenen Eier. Erst unter den Eiern, die
1) University of California Publications, vol. III, p. 49. 1906.
13*
196 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
nach 8 und 22 Stunden aus dem cyankaliumhaltigen hyper-
tonischen Seewasser genommen wurden, entwickelten sich ein
paar Eier zu Larven.
Dieser Versuch wurde mit ungefähr demselben Erfolg
zehnmal wiederholt. Meist verhinderte der Zusatz von Cyan-
kalium zum hypertonischen Seewasser dessen Wirkung absolut,
in anderen Fällen nahezu vollständig. Für die Wiederholung
dieser Versuche wird es beachtenswert sein, daß das Cyan-
kalium mit dem hypertonischen Seewasser gründlich gemischt
sein muß, ehe die Eier hineingebracht werden dürfen.
Diese Versuche lassen aber das Bedenken aufkommen, daß
vielleicht das Cyankalium die Eier getötet oder wenigstens ent-
wicklungsunfähig gemacht habe. Dieses Bedenken wird durch
die folgenden Versuche beseitigt.
Die Eier eines Weibchens wurden nach künstlicher Mem-
branbildung (mittels Buttersäurebehandlung) in zwei Gefäße mit
je 50 ccm hypertonischem Seewasser gebracht. Dem einen
Gefäß wurde 2 cem 1/a0°/o KCN zugesetzt. Je eine Portion
Eier wurde in Intervallen von 10 Minuten aus dem hyper-
tonischen Seewasser in normales Seewasser übertragen. Das
Ergebnis war folgendes.
Von den früher als nach 35 Minuten aus dem hyperto-
nischen in normales Seewasser übertragenen Eiern entwickelte
sich nichts, von den nach 35 Minuten in normales Seewasser
übertragenen Eiern entwickelten sich etwa 5°/, zu guten Larven,
von den nach 45 Minuten übertragenen entwickelten sich fast
alle, und zwar meist zu normalen Larven. Von den nach
55 Minuten übertragenen waren fast alle entwickelt, aber nur
20°/, bildeten normale Larven; die noch länger in dem hyper-
tonischen Seewasser gewesenen Eier lieferten mit zunehmender
Expositionsdauer schlechter werdende Resultate.
Von den Eiern, die gleichzeitig in dem cyankaliumhaltigen
Seewasser gewesen waren, entwickelte sich kein einziges nach
dem Übertragen in normales Seewasser. Die Eier gingen viel-
mehr rasch in derselben Weise zugrunde, wie die Eier, welche nach
der künstlichen Membranbildung in normalem Seewasser bleiben.
Von den Eiern, die nach 55 Minuten aus dem cyankalium-
haltigen Seewasser genommen worden waren, wurde der größere
Teil in hypertonisches Seewasser ohne Cyankalium gebracht.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs. 197
Nach 20, 30, 40, 50 und 60 Minuten wurde je eine Partie
dieser Eier in normales Seewasser übertragen. Von den nach
40 Minuten aus dem hypertonischen Seewasser genommenen
Eiern entwickelten sich etwa 5°/,, von den nach 50 Minuten
herausgenommenen etwa 30°/,, und die nach 60 Minuten her-
ausgenommenen entwickelten sich so gut wie alle, wenn auch
ein Teil derselben sich abnorm furchte — also bereits die
Effekte der Überexposition zeigte. Dieser Versuch, der mit
demselben Erfolg mehrfach wiederholt wurde, zeigt, daß die
hypertonische Lösung in Gegenwart der geringen Menge Cyan-
kalium unwirksam bleibt, daß aber die Eier, in so kurzer Zeit
wenigstens, nicht geschädigt werden.
Da nun, wie ich in einer früheren Mitteilung gezeigt habe’),
Sauerstoffmangel ebenso wirkt, so folgt daraus, daß das hyper-
tonische Seewasser seinen Einfluß auf die Entwicklung der Eier
nur im Zusammenhang mit Oxydationsvorgängen äußert. Ver-
mutungsweise kann erwähnt werden, daß das Ei im hyper-
tonischen Seewasser gewisse Stoffe bildet, welche die durch die
Membranbildung angeregten oder beschleunigten Oxydations-
prezesse wieder in die richtigen Bahnen lenkt, und daß diese
Stoffe selbst nur in der Gegenwart von freiem Sauerstoff ent-
stehen können.
5. Hypertonisches Seewasser bringt die unbefruchteten
Seeigeleier, welche keine Membran besitzen, ebenfalls
nur dann zur Entwicklung, wenn freier Sauerstoff
zugegen ist.
Die Methode der künstlichen Parthenogenese, welche ich
in meinen ersten Arbeiten benutzte, bestand darin, daß unbe-
fruchtete Seeigeleier direkt (ohne voraufgehende Membranbildung)
in hypertonisches Seewasser gebracht wurden. In dem Falle
aber war es nötig, die Eier erheblich länger in der hyper-
tonischen Lösung zu lassen, als in dem vorhin beschriebenen
Versuche an Eiern mit Membran, nämlich etwa 2 bis 3 Stunden
bei einer Temperatur von 18° oder etwas darüber. Hierbei
findet keine Membranbildung statt und auch in anderer Hin-
sicht unterscheidet sich die Entwicklung solcher Eier etwas
) University of California Publications, vol. III, p. 33. 1906.
198 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
von der durch Befruchtung hervorgerufenen, worauf wir aber
hier nicht näher eingehen wollen. (Es sei nur in Parenthese
erwähnt, daß die neue Methode der künstlichen Parthenogenese
eine nahezu vollkommene Nachahmung des natürlichen Be-
fruchtungsvorgangs ist.)
Es läßt sich nun noch viel besser zeigen, als das bei den
bis jetzt diskutierten Versuchen der Fall war, daß das hyper-
tonische Seewasser nur dann beim unbefruchteten, membran-
losen Seeigelei die Entwicklung anzuregen vermag, wenn das
Seewasser freien Sauerstoff enthält und wenn die Oxydationen
im Ei stattfinden können.
Unbefruchtete Eier wurden in fünf Flaschen mit je 50 ccm
hypertonischen Seewassers verteilt. Eine Flasche bleibt offen,
d. h. der Luft ausgesetzt stehen, die andern, aus denen durch
eine zwei Stunden lange Wasserstoffdurchströmung alle Luft
verdrängt war, bleiben dem Wasserstoffstrom auch ferner aus-
gesetzt. Nach 2, 3, 41/; und 5"/s Stunden wurde je eine
Flasche vom Wasserstoffapparat getrennt und die darin ent-
haltenen Eier wurden in normales lufthaltiges Seewasser über-
tragen. Die Eier waren völlig unverändert und furchten und
entwickelten sich nicht. Daß sie nicht bloß dem Aussehen nach,
sondern auch in Wirklichkeit unverändert waren, ging daraus
hervor, daß sie sich auf Samenzusatz alle normal furchten und
entwickelten. Gleichzeitig wurde je eine Probe von Eiern aus
dem lufthaltigen hypertonischen Seewasser in normales See-
wasser übertragen. Die nach 2 Stunden in normales Seewasser
übertragenen Eier entwickelten sich in großer Zahl in normale
Blastulae, von den nach 3 Stunden übertragenen entwickelten
sich nur wenige (ca. 1°/,), von den später übertragenen ent-
wickelten sich keine, sondern alle zerfielen (schwarze Cytolyse).
Als zweiter Versuch sei der folgende erwähnt. Normale
unbefruchtete Eier ohne Membran wurden in eine Reihe von
Flaschen mit hypertonischem Seewasser verteilt. Eine dieser
Flaschen blieb offen stehen, in Berührung mit Luft und die
übrigen Flaschen wurden mit einem Wasserstoffentwicklungs-
apparat verbunden. Vor Beginn des Versuchs war aus den
letzteren Flaschen alle Luft durch einen Wasserstoffstrom aus-
getrieben worden. Nach 2, 3, 4 und 5 Stunden wurde je eine
Flasche vom Wasserstoffapparat getrennt. Ein Teil der in der
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 199
Flasche enthaltenen Eier wurde sofort in normales Seewasser
übertragen. Keins dieser Eier furchte und entwickelte sich.
Sie waren intakt und auf Zusatz von Samen furchten sie sich
in normaler Weise. Der andere Teil der Eier blieb 1 resp.
2 Stunden lang in dem hypertonischen Seewasser, das aber
nunmehr der Luft ausgesetzt wurde. Die Eier, welche 3 Stunden
in dem hypertonischen Seewasser ohne Sauerstoff und 1 Stunde
in demselben hypertonischen Seewasser mit Sauerstoff gewesen
waren, entwickelten sich der Mehrzahl nach zu schwimmenden
Blastulen. Das hypertonische Seewasser ohne Sauerstoff bleibt
unwirksam, das mit Sauerstoff regt die Entwicklung an.
Analoge Versuche, in welchen 1 oder 2 ccm Yo Yo KCN
zu 50 ccm des hypertonischen Seewassers zugesetzt wurden,
zeigten, daß die Verhinderung der Oxydationen durch Cyan-
kalium im Ei auch die entwicklungserregende Wirkung des
hypertonischen Seewassers hemmt.
In diesen Fällen muß die hypertonische Lösung die Ent-
wicklung sowohl anregen, wie auch die Oxydationsvorgänge in
die richtigen Bahnen lenken. Die Versuche zeigen, daß hyper-
tonisches Seewasser diese Wirkungen nur in der Gegenwart von
freiem Sauerstoff hat.
6. Sind die Oxydationsvorgänge die einzigen Vorgänge,
welche durch die Befruchtung beschleunigt resp. modi-
fiziert werden?
Es ist sicher, daß mit der Hemmung der Oxydations-
vorgänge alle Entwicklungsvorgänge und auch die Umwandlung
von Protoplasmabestandteilen in Chromatin resp. Nukleinver-
bindungen unterbleiben. Es fragt sich, ob auch noch andere
chemische Vorgänge als die auf Oxydation beruhende oder mit
der Oxydation verknüpfte Synthese der Chromatinsubstanz
durch die Befruchtung im Ei angeregt werden. Das scheint
der Fall zu sein, wenn auch in relativ geringem Grade.
So lange wir nicht die gesamten Stoffwechselvorgänge im
Ei direkt bestimmen können — wozu einstweilen wenig Aus-
sicht vorhanden ist — bietet sich nur ein indirekter Weg zur
Entscheidung dieser Frage. Wenn nämlich die Oxydations-
vorgänge der einzige Vorgang sind, der durch die Befruchtung
angeregt resp. beschleunigt wird, so darf die Unterdrückung
200 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
der Oxydationsvorgänge durch Sauerstoffmangel oder Cyan-
kalium im befruchteten Ei keine schlimmeren Folgen haben,
als im unbefruchteten Ei. Lewis und ich haben nun vor
Jahren gezeigt, daß das unbefruchtete Ei des Seeigels eine Reihe
von Tagen in cyankaliumhaltigem Seewasser verweilen kann,
ohne seine Befruchtungs- und Entwicklungsfähigkeit einzubüßen').
Die Frage ist, kann das befruchtete Ei dasselbe leisten? Ich
muß dem Bericht über derartige Versuche die Angabe voraus-
schicken, daß das Cyankalium unwirksam wird, wenn die Lösung
den Geruch nach Blausäure verliert. Das dürfte vielleicht darin
seine Erklärung finden, daß die gesamte oder die wesentliche
giftige, in diesem Falle oxydationshemmende Wirkung des Cyan-
kaliums auf der durch hydrolytische Dissoziation gebildeten
Blausäure beruht. Da die letztere flüchtig ist, so muß allmäh-
lich alles Cyankalium in Blausäure verwandelt werden und zu-
letzt verdampfen. Sobald das geschehen ist, ist kein CN mehr
vorhanden. Die Giftwirkung des KCN beruht vielleicht auch
nur auf der Wirkung der in das Ei eindringenden HCN, die
dort mit Katalysatoren (und vielleicht anderen Stoffen) Verbin-
dungen bildet, welche deren Wirksamkeit aufhebt. Diese Re-
aktionen müssen umkehrbar sein, da sonst die völlige Erholung
der Eier, wenn man sie in normales Seewasser zurückbringt,
nicht verständlich wäre. Fügt man Cyankalium im Überschuß
zum Seewasser, so erholen sich die Eier nur sehr langsam, weil
dann das Ei zu viel HCN erhält und die Abgabe nur sehr all-
mählich erfolgt. Es gibt aber eine Konzentrationsgrenze für
das KCN, bei der seine giftigen Wirkungen zum Tod des Eies
führen. Ob es sich hier um die Bildung nicht umkehrbarer
Verbindungen handelt — was ich nicht glaube — sondern ledig-
lich um eine Komplikation, brauchen wir hier nicht zu disku-
tieren; für die Dosen von Cyankalium, welche in unseren Ver-
suchen angewendet wurden, können die Reaktionen des KCN
oder vermutlich HCN als völlig umkehrbar angesehen werden.
Unbefruchtete und befruchtete Eier desselben Weibchens
wurden je in eine Schale mit 50 ccm Seewasser + 2 ccm !/s0%o
KCN gebracht. Nach verschiedenen Intervallen wurden Proben
dieser Eier in normales Seewasser zurückgebracht. Die unbe-
) Loeb u. Lewis, Am. Journ. of Physiology, vol. VI, p. 305. 1902.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 201
fruchteten Eier wurden nach dem Herausbringen befruchtet,
um zu sehen, ob sie völlig normal seien, und die schwächer
befruchteten zeigten durch ihre weitere Entwicklung ihren Zu-
stand an.
Das Resultat der Versuche ließ an Deutlichkeit nichts zu
wünschen übrig. Die Eier, welche unbefruchtet im cyankalium-
haltigen Seewasser gewesen waren, entwickelten sich noch nach
zweitägigem Verweilen in der Lösung in normaler Weise, wäh-
rend die, welche vor dem Einbringen in das cyankaliumhaltige
Seewasser befruchtet worden waren, bereits nach 24stündigem
Verweilen in der cyankaliumhaltigen Lösung im frühen Blastula-
stadium abstarben. Schon nach vier- bis fünfstündigem Ver-
weilen in cyankaliumhaltigem Seewasser wurden befruchtete
Eier etwas geschädigt, was sich darin zeigte, daß die Larven
nicht an der Oberfläche, sondern am Boden des Gefäßes
schwammen und daß viele während der ersten Tage starben.
In keinem Falle trat bei diesen Eiern, während sie im cyan-
kaliumhaltigen Seewasser verweilten, eine Furchung ein. (Ich
setzte, wenn der Geruch nach HCN in der Lösung verschwand,
eine neue Spur !/so°/o KCN zu, so daß stets genug KCN zur
Unterdrückung der Furchung und Entwicklung vorhanden war.)
Bei den zahlreichen Versuchen, welche ich mit KCN bei Eiern
angestellt habe, ist mir dieser Unterschied im Verhalten der
befruchteten und unbefruchteten Eier in cyankaliumhaltigem
Seewasser stets aufgefallen.
Diese Beobachtungen werden ergänzt durch parallele Beob-
achtungen über die Wirkung des Sauerstoffmangels auf be-
fruchtete und unbefruchtete Eier. Bringt man befruchtete und
unbefruchtete Eier in Seewasser, aus dem aller Sauerstoff durch
Wasserstoff verdrängt ist, so findet man, daß nach 24stündigem
Verweilen in dieser Lösung die befruchteten Eier sich zwar
noch entwickeln, daß aber ein Prozentsatz derselben früh zu-
grunde geht, während das bei unbefruchteten Eiern nicht der
Fall ist.
Diese Versuche beweisen nun, daß die Oxydationsvorgänge
resp. die davon abhängende Chromatinbildung zwar die wesent-
lichen aber nicht die einzigen Vorgänge im Ei sind, welche
durch die Befruchtung angeregt resp. beschleunigt werden. Die
Oxydationsvorgänge, welche der Entwicklung zugrunde liegen,
202 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
werden durch das Cyankalium soweit wenigstens unterdrückt,
daß keine Kern- und Zellteilung erfolgt. Daneben müssen aber,
wenn das Spermatozoon einmal in das Ei eingedrungen ist, noch
andere chemischen Vorgänge angeregt resp. modifiziert werden,
welche an sich nicht zur Kernteilung oder Zellteilung führen.
So lange diese Vorgänge im Verband mit den Oxydations-
vorgängen verlaufen, gehören sie wohl in den normalen Chemis-
mus der Entwicklung, sobald aber die Oxydationsvorgänge ge-
hemmt sind, während die anderen Vorgänge weiter gehen (wie
im Falle des Sauerstoffmangels), müssen in immer zunehmendem
Maße Stoffwechselprodukte entstehen, welche schließlich durch
ihre Masse die Entwicklung schädigen. Das ist wohl auch, wie
hier in Parenthese erwähnt werden soll, der Grund, daß die
Hemmung der Oxydationsvorgänge im Ei zwar für eine Zeit-
lang, aber nicht dauernd die toxischen Wirkungen von hyper-
tonischen Lösungen auf das Ei zu verhindern imstande ist.
Für die hier entwickelte Auffassung der giftigen Wirkung
kleiner Dosen von Cyankalium und des Sauerstoffmangels, daß
sie die Oxydationsvorgänge im Ei unterdrücken, während neben-
sächliche, aber auf die Dauer bemerkbare andere chemische
Veränderungen im Ei weitergehen, spricht auch die folgende
Beobachtung. Wenn man nämlich befruchtete Eier auf Eis
bringt und nahe dem Gefrierpunkt des Wassers hält, so
bleiben dieselben lange Zeit ungeschädigt, viel länger als bei
Sauerstoffmangel oder Cyankaliumvergiftung. Bei 0° werden
nämlich nicht nur die Oxydationsvorgänge, sondern alle chemi-
schen Änderungen im Ei gehemmt.
7. Über Umstände, unter denen niedrige Temperatur,
Sauerstoffentziehung und Cyankalium die künstliche
Parthenogenese begünstigen.
Die im voraufgehenden erwähnten Tatsachen geben, wie
ich vermute, den Schlüssel für das Verständnis einer sonst
sehr paradoxen Tatsache, nämlich daß eine vorübergehende
Verringerung der Oxydationsgeschwindigkeit im Ei durch
Temperaturerniedrigung oder vorübergehende Aufhebung der
Oxydationsvorgänge durch Sauerstoffmangel oder Cyankalium-
vergiftung die parthenogenetische Entwicklung begünstigen kann.
Diese Tatsachen führen uns zurück zur Besprechung der Folgen
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 203
der künstlichen Membranbildung. Wir sehen, daß die Hervor-
rufung einer künstlichen Membran beim Seeigelei die Bildung
einer Spindel und gelegentlich eine oder mehr Zellteilungen
im Gefolge hat, daß aber solche Eier rasch zugrunde gehen
(und zwar außerordentlich viel rascher als normale unbefruchtete
Eier), wenn sie nicht mit hypertonischem Seewasser in Gegen-
wart von Sauerstoff behandelt werden. Wir schlossen daraus,
daß die Membranbildung die Entwicklung hervorruft, daß aber
gewisse Prozesse im Ei in falschen Bahnen verlaufen, und daß
das den raschen Zerfall des Eies bedingt. Durch die Einwirkung
des hypertonischen Seewassers werden die durch die Membran-
bildung hervorgerufenen falschen Prozesse in die richtigen
Bahnen gelenkt.
Nun haben wir bereits gesehen, daß, wenn die Eier
nach deı künstlichen Membranbildung in sauerstoffreies oder
cyankaliumhaltiges Seewasser gebracht werden, der Zerfall aus-
bleibt. Das weist darauf hin, daß die in falschen Bahnen ver-
laufenden Prozesse Oxydationsvorgänge oder von solchen ab-
hängende Stoffwechselprozesse sind.
Ich habe nun gefunden, daß, wenn man die Eier nach der
künstlichen Membranbildung in normalem Seewasser einer
niederen Temperatur, etwa 2° bis 5° C., aussetzt, eine regel-
mäßige wenn auch der Temperatur entsprechend langsame
Furchung und Entwicklung eintreten kann. Ich habe auf diese
Weise einen kleinen Prozentsatz solcher Eier sich bis zum
Blastulastadium entwickeln gesehen, während solche Eier bei
gewöhnlicher Zimmertemperatur alle ohne Ausnahme rasch,
ohne sich zu entwickeln, zugrunde gingen. Die niedere Tem-
peratur bot also einen allerdings schlechten Ersatz für die Be-
handlung mit hypertonischem Seewasser. Ich bin geneigt an-
zunehmen, daß auch das Ei ohne Hilfe des hypertonischen
Seewassers nach der Membranbildung die Stoffe bilden kann,
welche die Entwicklungsvorgänge in die richtige Bahn lenken;
nur geschieht das viel langsamer als bei der Behandlung der
Eier mit hypertonischem Seewasser. Kann man also die Ge-
schwindigkeit der Oxydationsvorgänge herabsetzen, so daß die
zu rasche Zerstörung des Eies vermieden wird, und werden die
anderen Stoffwechselprozesse im Ei nicht ganz gehemmt,. so
kann eine Entwicklung bis zur Blastula eintreten. Aber solche
204 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
Eier sind nicht ganz normal und sterben doch früh ab. Viel
günstiger erweist sich für diesen Zweck die Sauerstoffentziehung
und die Behandlung mit Cyankalium, wie ich bereits in einer
früheren Arbeit mitgeteilt habe. So will ich als Beispiel hier
einen schon in einer früheren Mitteilung erwähnten Versuch
wieder mitteilen. Unbefruchtete Eier, bei denen eine Butter-
säuremembran gebildet war, wurden in 50 ccm Seewasser +
1 ccm einer 1°/,igen KCN-Lösung gebracht. Die Konzentration
des KCN war also zehn- bis vierzigmal größer als zur Hemmung
der Furchungsvorgänge und der Degenerationsprozesse nötig war.
Von den nach 45 Minuten aus dieser Lösung herausgenommenen
und in normales Seewasser zurückgebrachten Eiern entwickelten
sich etwa 5°/, zu normalen Larven. Es war nötig, die Eier
in Uhrschälchen zu halten, um die Verdampfung des in den
Eiern zurückgebliebenen resp. gebildeten HCN zu erleichtern.
In diesem Falle trat die Furchung nach einer Reihe von Stunden
(14 Stunden oder mehr) ein. Es scheint nun, daß dieser letztere
Umstand eine Vorbedingung für das Gelingen dieses Versuches
ist. Ich bin geneigt mir das so zurechtzulegen, daß in diesem
Falle das allmählich erst aus dem Ei diffundierende Cyankalium
die Oxydationsprozesse hemmte oder verzögerte, während andere
chemische Vorgänge im Ei weitergehen konnten. Die letzteren
führten nun im Laufe einiger Stunden zur Bildung der Stoff-
wechselprodukte, welche die normale Entwicklung des Eies er-
laubten und welche in den früher erwähnten Versuchen durch
die Behandlung mit dem hypertonischen Seewasser gebildet
wurden. Als dann das Cyankalium aus dem Ei verschwunden
war und die Oxydationsvorgänge wieder eintraten, konnte eine
normale Entwicklung erfolgen. Ähnliches gilt für die Wirkung
des Sauerstoffmangels. Ich will aber betonen, daß in allen
diesen Fällen mittels KCN, Sauerstoffmangel oder niederer Tem- -
peratur nur wenige Eier sich entwickelten, während dieselben
Eier, welche nach der Membranbildung mit hypertonischem
Seewasser behandelt wurden, sich alle entwickeln konnten. >
Lyon hat vor drei Jahren in Neapel gefunden’), daß un-
befruchtete Eier, welche keine Membranen besitzen — die Be-
deutung der Membranbildung für die Entwicklung war erst im
» Am. Journ. of Physiology, vol. IX, p. 312. 1903.
J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.. 205
vorigen Jahre erkannt worden — gelegentlich dadurch zur
Entwicklung veranlaßt werden können, daß man sie lange Zeit
in ziemlich konzentrierte Cyankaliumlösung bringt. Er erhielt
nur in vier Versuchen positive Resultate und die Zahl der
Larven war stets sehr klein. Ich habe diesen Versuch wieder-
holt, aber ohne jeden Erfolg. Nur an Eiern, bei denen eine
künstliche Membran hervorgebracht war, erhielt ich positive
Resultate. Daraus möchte ich aber nicht schließen, daß Lyon
sich geirrt hat, ich vermute vielmehr, daß es sich hier um
einen Unterschied bei verschiedenen Spezies von Seeigeln handelt.
Lyons Versuche waren an Strongylocentrotus lividus in Neapel
angestellt, meine Versuche an Strongylocentrotus purpuratus
der californischen Küste. Es ist jedem, der auf diesem Ge-
biete arbeitet, bekannt, daß die verschiedenen Arten Unterschiede
in ihrer Reaktion zeigen, wie sie ja auch vermutlich Unter-
schiede in anderen Reaktionen zeigen würden. Es handelt sich
wohl darum, daß wohl jedes Ei die Stoffe oder Änderungen
des chemischen Gleichgewichts, welche zur Entwicklungserregung
nötig sind, aufzubringen vermag, daß aber die Zeit und sonstige
Bedingungen, die hierzu erforderlich sind, erheblichen Schwan-
kungen unterliegen. Diese Verschiedenheiten bilden die Brücke
von den spontan parthenogenetischen Eiern zu den Eiern, die
sich nur durch Samen oder durch künstliche Eingriffe zur
Entwicklung bringen lassen.
IV. Zusammenfassung der Resultate.
Wir dürfen es wohl als sicher ansehen, daß das Wesen
der Entwicklungserregung bei der Befruchtung wie bei der
künstlichen Parthenogenese in einer Beschleunigung von Oxy-
dationsprozessen im Ei besteht. Diese Oxydationsvorgänge
bilden die Voraussetzung für die Entstehung von Nukleinver-
bindungen aus protoplasmatischen Substanzen des Eies und
damit für die Kern- und Zellteilung. Unsere Versuche machen
es wahrscheinlich, daß der Vorgang der Entwicklungserregung
beim Seeigelei aus zwei getrennten Prozessen besteht. Der eine
dieser Prozesse ist die Membranbildung resp. der dieser Mem-
branbildung zugrunde liegende Sekretionsprozeß. Dieser Prozeß
genügt, um eine Beschleunigung der Oxydationsvorgänge im Ei
anzuregen (vielleicht durch Beseitigung oxydationshemmender
206 J. Loeb, Chemischer Charakter des Befruchtungsvorgangs.
Stoffe oder Bedingungen). Allein diese Oxydationsprozesse ver-
laufen in falschen Bahnen und führen zum raschen Tod des
Eies. Wir finden so die paradoxe Tatsache, daß für solche
Eier der Sauerstoffmangel oder Cyankaliumvergiftung, auf eine
Zeitlang wenigstens, lebensrettend wirken.
Der zweite Prozeß bei der Entwicklungserregung besteht
in einem Eingriff, durch welchen die Oxydationsprozesse in
richtige Bahnen gelenkt werden. Das geschieht bei der künst-
lichen Parthenogenese durch kurze Behandlung der Eier mit
hypertonischem Seewasser. Es wurde gezeigt, daß diese Be-
handlung chemisch wirkt und daß sie nur in Gegenwart von
freiem Sauerstoff Erfolg hat. Es ist deshalb zu vermuten,
daß es sich hierbei um die Bildung gewisser Stoffe handelt,
welche nunmehr die Oxydationsvorgänge in die richtigen Bahnen
lenken.
Allein die Oxydationsprozesse sind vielleicht nicht die ein-
zigen Prozesse, welche durch die Befruchtung im Ei angeregt
oder beschleunigt werden. Das zeigt sich darin, daß die Cyan-
kaliumvergiftung und der Sauerstoffmangel schädlicher für das
befruchtete als für das unbefruchtete Ei sind. Diese sekun-
dären Prozesse werden also durch das Cyankalium und den
Sauerstoffmangel nicht gehemmt.
Es scheint, daß die sekundären Prozesse ebenfalls, wenn
auch relativ langsam, zur Bildung von Stoffen führen können,
welche die durch die Membranbildung im Ei beschleunigten
Oxydationsprozesse wieder in richtige Bahnen lenken. So er-
klärt es sich, daß, wenn man im Ei nach der Membranbildung
die Oxydationsprozesse durch Cyankalium oder Sauerstoffmangel
verzögert, ohne die anderen chemischen Reaktionen in gleichem
Maß zu verzögern, ein kleiner Prozentsatz von Eiern sich eben-
falls zu entwickeln vermag.
Über den Einfluß der Muskelarbeit auf Gewicht,
Zusammensetzung und Wassergehalt der Organe des
Tierkörpers.
Von
Dr. Felix Rogozinski (Krakau).
(Aus dem tierphysiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen
Hochschule zu Berlin.)
(Eingegangen am 25. Juni 1906.)
Die Frage, inwieweit die Gewebe des tierischen Organismus
unter der Einwirkung verschiedener Faktoren ihre chemische
Zusammensetzung verändern, hat bis jetzt in der Wissen-
schaft keine gebührende Würdigung gefunden. Die darüber
herrschenden Ansichten beruhen teils auf Hypothesen, die
einer exakten Begründung entbehren, teils beschränken sie sich
nur auf ein Gewebe, nämlich auf das Blut. Schon im Jahre
1878 vertrat G. Jäger!) die Ansicht, daß das Muskelgewebe
infolge andauernder Arbeit reicher an aktiven Bestandteilen
(Eiweißkörpern) wird, während die inaktiven (Fett und Wasser)
abnehmen. Diese Ansicht stützte Jäger auf seine Beobachtungen
über das spezifische Gewicht des Körpers bei Rekruten und
gedienten Soldaten. Bei letzteren fand er das spezifische Ge-
wicht erheblich höher und erklärte diese Zunahme, an der das
Muskelgewebe als hauptsächlichster Bestandteil des Körpers einen
erheblichen Anteil haben mußte, durch Schwund des leichteren
Fettes und Wassers, und Ersetzung derselben durch das spezifisch
schwerere Eiweiß.
Als weiteres Beispiel führt Jäger den Unterschied in den
Bein- und Flügelmuskeln unserer Hausvögel an: die Flügel-
muskeln, die im domestizierten Zustande wenig gebraucht
werden, sind bedeutend weicher, lockerer und fetter. Bei wild
lebenden Tieren dieser Arten, bei denen beide Gruppen der
1) G. Jäger, Die menschliche Arbeitskraft. 1878.
208 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Muskeln stark in Anspruch genommen sind, ist dieser Unter-
schied viel geringer.
Da zur Prüfung der Ansicht Jägers bis jetzt keine exakten
Untersuchungen vorliegen, so muß die Frage über den Einfluß
andauernder Arbeit auf die Zusammensetzung der Muskeln noch
als ungelöst betrachtet werden.
Nur der eine Punkt steht fest, daß während der Tätig-
keit der arbeitende Muskel wasserreicher wird. Diese von
mehreren Forschern konstatierte Tatsache wurde durch Zunahme
des osmotischen Druckes in dem arbeitenden Muskel infolge der
Entstehung von Spaltungsprodukten erklärt. Diese Wasser-
bereicherung des Muskels ist jedoch von kurzer Dauer und
scheint mit den gleichzeitigen Vorgängen in dem Blute im
engsten Zusammenhang zu stehen. Es ist nämlich längst be-
kannt, daß als Folge der Muskelarbeit eine Eindickung des
Blutes eintritt. Sie ist nur zum kleinsten Teil aus der bei der
Arbeit gesteigerten Verdunstung zu erklären, im wesentlichen
entsteht sie durch Übertritt von Wasser in das Muskelgewebe.
Sie gibt sich kund sowohl durch Erhöhung der Zahl der roten
Blutkörperchen in einem Volumteile, wie auch durch Zunahme
des spezifischen Gewichtes des Blutes. Wir verweisen in der
Hinsicht auf die Untersuchungen an Menschen von Zuntz’)
und seinen Mitarbeitern. Sie fanden, daß diese Eindickung des
Blutes nur von kurzer Dauer ist: schon am nachfolgenden Tage
läßt sie sich nicht mehr feststellen. Selbst wochenlang dauernde
angestrengte Arbeit brachte keine dauernde Veränderung in der
Zusammensetzung des Blutes hervor.
Die folgende Arbeit, in welcher ich mir das Ziel gesetzt
habe, in die Frage über die Zusammensetzung des Blutes und
einiger Organe unter der Einwirkung der Muskelarbeit etwas
mehr Klarheit zu bringen, habe ich auf Anregung und unter
der Leitung des Herrn Prof. Dr. N. Zuntz in dem tier-
physiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen Hoch-
schule zu Berlin ausgeführt. Obgleich die gewonnenen Resultate
nicht ganz eindeutig sind, erscheinen sie mir doch der Ver-
öffentlichung wert, teils um andere Forscher vor gleichen Fehler-
) Zuntz und Schumburg, Studien zu einer Physiologie des
Marsches. 1901. — N. Zuntz, A, Loewy, F. Müller, W. Caspari,
Höhenklima nnd Bergwanderungen in ihrer Wirkung auf den Menschen. 1906.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 209
quellen zu warnen, teils aber um einige positive Tatsachen
bekannt zu machen.
Da in den beiden ausgeführten Versuchsreihen die Ver-
suchsanordnung die gleiche war, so lasse ich eine kurze Be-
schreibung der letzteren dem Zahlenmaterial vorausgehen.
Die Versuchsanordnung.
Als Versuchstiere wurden Hunde benutzt. Für jeden Ver-
such sollten möglichst ähnliche Tiere gewählt werden. Die
Auswahl geschah nach ungefährer Schätzung, so gut es das
vorhandene Material zuließ. Die individuellen Unterschiede, zu
denen sich in meinem Falle auch vielleicht Rasse- und Alters-
differenzen gesellten, erwiesen sich leider als groß genug, um
den etwaigen Einfluß der Muskelarbeit nahezu zu verschleiern.
Das einzige Mittel, um diesem Übelstande wenigstens teilweise
abzuhelfen, würde in der Verwendung von Tieren eines gleichen
Wurfes bestehen. Die Umstände haben mich leider verhindert,
so zu verfahren.
Am Beginne des Versuches wurde auf Grund des Lebend-
gewichts die Menge des darzureichenden Futters berechnet. Die
Berechnung geschah nach den Ergebnissen der zahlreichen an
Hunden ausgeführten Respirationsversuche von N. Zuntz. Die
Hälfte des ganzen Energiebedarfs wurde durch Pferdefleisch
gedeckt; auf diese Weise wurde den Tieren eine genügende
Menge von Eiweiß zugeführt. Die andere Hälfte des Bedarfs
wurde durch Reis gedeckt. Im Versuche I bewährten sich die
so berechneten Futterrationen sehr gut: das Lebendgewicht blieb
fast konstant, die Tiere befanden sich sehr wohl und fraßen
gern. Im Versuche II dagegen schienen die in gleicher Weise
berechneten Futterrationen eine Zunahme des Lebendgewichts
und somit eine Ablagerung von Fett zu verursachen. Deshalb
wurden in diesem Versuche nachträglich Veränderungen in der
Fütterung vorgenommen, die weiter unten noch besprochen
werden sollen. Das aufgenommene Wasser wurde im Versuche I
nicht direkt bestimmt: ich beschränkte mich darauf, für die
beiden Tiere bei der Zubereitung des Futters stets die gleiche
Menge Wasser zu nehmen; im Versuche II dagegen wurde das
im Futter gebotene Wasser täglich durch Wägung genau be-
stimmt. In beiden Versuchen wurde Wasser in reichlicher
Biochemische Zeitschrift Band I. 14
210 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Menge gereicht; das ergibt sich schon daraus, daß die Tiere
das ihnen täglich zur Verfügung gestellte Trinkwasser stets, mit
einer einzigen Ausnahme, verschmähten.
Nachdem die Tiere ein paar Tage in der bezeichneten
Weise gefüttert waren und das täglich vor der Fütterung und
nach Entleerung von Harn und Kot bestimmte Lebendgewicht
sich als annähernd konstant erwiesen hatte, wurde zur Blut-
entnahme geschritten. Sie geschah morgens nach 24stündigem
Fasten aus der arteria femoralis der rechten Seite unterhalb
des Abgangs der art. profunda. Es wurden jedesmal ca. 40 ccm
Blut entnommen. Von dem Blute wurde ein Teil mit Queck-
silber defibriniert, ein zweiter der Gerinnung überlassen und
behufs Serumausscheidung 24 Stunden in der Kälte verschlossen
stehen gelassen. Eine Probe wurde direkt aus der Arterie in
die Thoma-Zeißsche Mischpipette behufs Zählung der roten Blut-
körperchen aufgesaugt. Die Zählung geschah stets in 100 Qua-
draten. In dem defibrinierten Blute wurden bestimmt: 1. das
spezifische Gewicht und zwar sowohl mit dem Pyknometer, wie
auch nach der von Hammerschlag angegebenen Methode;
2. der Gehalt an Trockensubstanz; 3. der Gehalt an Stickstoff.
Im Serum endlich, das in allen Fällen ganz klar und frei von
Farbstoff zur Ausscheidung gelangte, wurden bestimmt: 1. das
spezifische Gewicht (nur pyknometrisch); 2. der Gehalt an
Trockensubstanz; 3. der Gehalt an Stickstoff; 4. der Gefrierpunkt.
Da die Operation möglichst aseptisch ausgeführt wurde,
so heilten die Wunden sehr schnell. Nur bei dem Arbeitstier
im Versuch II verzögerte eine oberflächliche Eiterung die Heilung
um zwei Tage.
An dem Tage der Blutentnahme wurde den Tieren kein
Futter gereicht. Vom nächsten Tage ab fraßen sie wieder
regelmäßig. |
Nach einigen Tagen, nachdem die Wunden ganz verheilt
waren, schritt ich zu dem eigentlichen Versuch. Er bestand
darin, daß von den beiden Versuchstieren das eine auch weiter
in vollständiger Ruhe (im Versuchskäfig) blieb, während das
andere täglich eine bestimmte Arbeit auf der Tretbahn!) leistete.
Aus der Zahl der Umdrehungen, der Neigung der Bahn, dem
!) N. Zuntz, A. Loewy, F. Müller, W. Caspari, a. a. O.
S. 168—170.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 211
Lebendgewicht des arbeitenden Tieres ließ sich die täglich ge-
leistete Arbeit genau berechnen. Auf Grund der an arbeiten-
den Hunden ausgeführten Respirationsversuche von Prof. Zuntz
wurde der dieser Arbeit entsprechende Verbrauch des Tier-
körpers in Kalorien berechnet und dem arbeitenden Tiere eine
Zulage an Schweinefett gereicht, welche dem Mehrverbrauch
entsprach. An den Tagen, an welchen keine Arbeit geleistet
wurde, entfiel auch die Fettzulage. Die Periode der Arbeits-
leistung dauerte je 18 Tage. Am Vortage des Todes arbeiteten
die Tiere nur morgens, um dem Blute und den Organen
Zeit genug zu lassen, sich von den unmittelbaren Folgen
der Arbeit zu erholen und ihre normale, dauernde Zusammen-
setzung zu gewinnen. Im Versuche I, wo die Tiere nach
24stündigem Fasten getötet wurden, war der Darmkanal bis
auf Spuren von Schleim leer. Im Versuche II wurde am
Vortage aus Versehen das Futter um 4 Stunden später gereicht
und infolgedessen fanden sich bei der Sektion im Darmkanal
noch Futterrückstände. Dieselben wurden sorgfältig gesammelt,
gewogen, das Gewicht von dem Lebendgewicht abgezogen, und
die so erhaltene Zahl den weiteren Berechnungen zugrunde
gelegt, um mit Versuch I vergleichbare Resultate zu erzielen.
Die Tötung der Tiere fand durch Verblutung aus der
arteria femoralis der linken Seite statt. Aus der Kanüle wurden
zuerst die für die Untersuchung nötigen Blutproben entnommen,
ebenso wie bei der Blutentnahme im Vorversuch; ihr Gewicht
wurde genau bestimmt. Die übrige Blutmasse wurde in einem
tarierten Gefäße gesammelt. In den letzten Stadien wurde der
Ausfluß des Blutes durch Massage des Bauches und des Brust-
kastens befördert. Das bei der Sektion hervortretende Blut,
sowie die in der Bauchhöhle angetroffene Blutmenge wurde mit
gewogener Watte gesammelt und das Gewicht ebenfalls bestimmt.
Die Summe aller dieser Zahlen ergab die Menge des frei aus-
fließenden Blutes. Die Untersuchung der gewonnenen Blut-
proben geschah genau in derselben Weise, wie im Vorversuch.
Unmittelbar nach dem Verbluten und dem Tode des Tieres
wurde die Sektion vorgenommen. Zunächst wurde eine Anzahl
scharf begrenzter Muskeln des linken Hinterbeines möglichst
rein abpräpariert, ihr Gewicht in tarierten verschlossenen Ge-
fäßen bestimmt, die ganze auf diese Weise gewonnene Muskel-
14*
212 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
masse auf einem Hackbrett zerkleinert. Von dem Brei wurden
50 g für die Glykogenbestimmung abgewogen und in die bereit
stehende heiße Kalilauge gebracht; außerdem wurde eine kleine
Portion des Breies für die direkte Trockensubstanz-Bestimmung
verwendet. Der gewogene Rest des Muskelbreies wurde in
einem Vakuumtrockenapparat bei ca. 70° 24 Stunden lang ge-
trocknet, 48 Stunden an der Luft stehen gelassen, gewogen, zerklei-
nert, in einer kleinen Probe der Wassergehalt bestimmt, und der
Rest in wohlverschlossenen Gefäßen für die Analyse aufbewahrt.
Nach dem Abpräparieren der Muskulatur wurde die Bauch-
höhle geöffnet, mit der Leber ebenso wie mit den Muskeln
verfahren und dann das Gewicht einer Anzahl der inneren
Organe bestimmt. Das Gekröse wurde zusammen mit dem
Fett besonders gewogen, ebenso wie der Muskel- und Leberbrei
getrocknet und aufbewahrt. Endlich wurde der Schädel ge-
öffnet und das Gewicht des dicht hinter der Pyramidenkreuzung
abgeschnittenen Hirns bestimmt.
Die chemische Untersuchung der gewonnenen Muskel- und
Lebersubstanz geschah nach den üblichen Methoden: der Stick-
stoffgehalt wurde nach Kjeldahl bestimmt, der Fettgehalt
durch 24stündige Extraktion im Soxhletschen Apparat mit
wasserfreiem Äther, Behandlung mit salzsaurem Alkohol,
Trocknen, abermaliger 24stündiger Extraktion mit Äther. Die
Glykogenbestimmungen wurden in frischem Material nach der
von Pflüger!) angegebenen Methode ausgeführt. Für die Fett-
bestimmung im Gekröse wurde das mit einer Schere grob
zerkleinerte Gekröse in eine Flasche gebracht, mit 750 ccm
Äther übergossen und 10 Tage unter häufigem Umschütteln
stehen gelassen. Das gewonnene Extrakt wurde abfiltriert, auf
1 l ergänzt und in je 50 resp. 100 ccm der Fettgehalt bestimmt.
Der Rückstand samt dem zerschnittenen Filter wurde getrocknet
und in gewöhnlicher Weise mit Äther extrahiert. Nach den
gewonnenen Daten wurde die Summe des Fettes im Gekröse
berechnet.
Ich gehe nunmehr zu den Ergebnissen der Versuche über ^).
ı) E. Pflüger, Das Glykogen und seine Beziehungen zur Zucker-
krankheit. 1905. S. 104—115.
*» Der Kürze halber bezeichne ich im folgenden die arbeitenden
Tiere im Versuch I und II mit A, resp. A,, die ruhenden mit R, resp. R.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe, 213
Versuch I.
Die zu diesem Versuche benutzten zwei ausgewachsenen
männlichen Hunde wiesen keine bedeutenden Unterschiede auf,
weder im Körperbau, noch im Ernährungszustand und Tem-
perament; dagegen differierte ihr Lebendgewicht ziemlich be-
deutend.. Am 11. Dezember wurden sie gewogen und jedes
Tier für sich in einen Käfig gebracht. Der Energiebedarf der
7080 resp. 5840 g wiegenden Hunde wurde, da nach den bis-
herigen Erfahrungen bei Hunden dieser Größe einem Kilogramm
Lebendgewicht ein Ruhebedarf von etwa 80 Kal. entspricht,
für den Hund A, zu 560 Kal., für Hund R, nach dem Ver-
hältnis der Körperoberflächen zu 492 Kal. berechnet.
Die hiernach für die beiden Tiere bestimmten Rationen
hatten folgende Zusammensetzung und folgenden Wert:
Hund A, Hund R,
200 g Fleisch 260 Kal. 170 g Fleisch 221 Kal.
75 g Reis 300 Kal. 67 g Reis 268 Kal.
Zusammen 560 Kal. Zusammen 489 Kal.
Die Fütterung fand immer um 11!/s Uhr vormittags
statt; das Futter wurde im Laufe einer Viertelstunde voll-
ständig aufgefressen. Am 15. Dezember fand in der oben be-
schriebenen Weise die Blutentnahme aus der arteria femoralis
statt. Am 29. Dezember wurde mit der Arbeit begonnen. Sie
bestand darin, daß das Tier auf der geneigten Tretbahn lief,
und zwar zweimal täglich: von 9—10 Uhr vormittags und von
5—6 Uhr nachmittags. Am 29. und 30. Dezember wurde nur
die Hälfte der bestimmten Arbeit geleistet (4000 Touren); vom
2. Januar an dagegen die ganze Anzahl (8000 Touren an dem
Tourenzähler). Diese Arbeit läßt sich auf folgende Weise be-
rechnen: 5,5 Touren am Tourenzähler entsprachen einer Um-
drehung der ganzen Tretbahn, welche eine Länge von 358,4 cm
hatte; die Steigung betrug 28,52 °/o. Demzufolge entsprachen
8000 Touren einer Strecke von 5213 m mit 1486,7 m Steigung.
Folgende Tabelle I gibt eine Übersicht über die Schwan-
kungen des Lebendgewichts, die Menge des aufgenommenen
Futters und der geleisteten Arbeit.
214 F.Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Tabelle I.
Hund A, Hund R,
Datum | Lebend- Lebend-
gewicht Futter Arbeit gewicht Futter
in g in g
lei j x 170 g Fleisch
11. XII. | 7080 aA e keine Arbeit | 5840 67 A Reis
12. 6900 A r 5630 a
13. 7070 á i 5700 à
14. 7000 à á 5670 a
15. 6920 kein Futter j 5660 kein Futter
200 g Fleisch 170 g Fleisch
16. 6520 2 Reis b 5440 p 2 Reis
17. 6930 5 ý 5510 n
18. 6820/6875 n „ 554070535 n
19. 6710 e ï 5560 A
20. 6720 R j 5540 a
21. 6760 i 4 5560 :
22. 6870 . É 5570 $
23. 6600 a i 5570 2
24. 6600 3 i 5570 o
25. 6620 a ’ 5620 n
26. 6700 5 k 5700 s
27. 6930 5 K 5700 s
28. 6920 ú x 5670 3
29. 6920 + 6g Fett | 4000 Touren | 5740 5
30. 6900 # É 5790 b
3l. 6850 kein Fett | keine Arbeit | 5750 m
1. I. | 6870 P 5 5820 N
2. 6900 + 12,5 g Fett | 8000 Touren | 5840 a
3. 6900 z i 5800 N
4. 7030 ý e 5820 "
5. 6970 à u 5850 j
6. 6890 h 2 5860 A
T; 7020 kein Fett | keine Arbeit | 5870 i
8. 6900 + 12,5 g Fett | 8000 Touren | 5850 y
9. 6700 r " 5870 /
10. 6850 y x 5870 i
11. 6875 y i 5885 i
12. 6900 p = 5860
13. 7000 R n
14. 6870 kein Fett | keine Arbeit
15. 6870 + 12,5 g Fett | 4000 Touren
16. 6790
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 215
Der der geleisteten Arbeit entsprechende Stoffverbrauch
läßt sich aus den von Zuntz (Pflügers Archiv 95, S. 202,
Tab. V) zusammengestellten Ergebnissen der Respirationsversuche
berechnen. Danach ist der Energieverbrauch für die Horizontal-
bewegung nicht dem Körpergewicht k, sondern dem Ausdruck
k'» proportional. Im Mittel zahlreicher Versuche an 7 Hunden
beträgt er für k`» = 1,61 mkg = 3,788 kal. Es braucht daher
unser Hund von 6,8 kg Gewicht für 5213 m Weg:
6,8% X 3,788 X 5213 = 70,9 Kal.
Für die Steigarbeit von 1 mkg ergeben
dieselben Versuche einen Energie-
verbrauch = 3,0 mkg = 7,06 kal.
Unser Hund braucht daher für 1486 m
Steigung . . . . . 6,8 X 7,06 X 1486,7 = 71,4 Kal.
Im ganzen also Mehrverbrauch für Arbeit = 142,3 Kal.
Zur Deckung des Mehrverbrauchs erhielt der Hund an den
Arbeitstagen 12,5 g Fett, welche bei einer Verbrennungswärme
von 9,5 Kal. und einem Verlust von etwa 2°/, durch den Kot
und einer Verdauungsarbeit von 0,21 Kal. pro g rund 9 Kal.
nutzbare Energie liefern. Die Zulage deckte also 112,5, so daß
noch etwa 30 Kal. durch Körpermaterial zu decken waren.
Wenn dieses Defizit durch Körperfett allein gedeckt wurde,
mußte der Hund täglich nahezu 4 g an Körpergewicht ein-
büßen. In der Tat wog der Hund
im Mittel des 17. u. 18. XII. = 6875 g
am 28. XII. = 6920 g
Er nahm also vor der Arbeit in 10 Tagen um: 55 g = 5,5 p. d.
zu. — An den beiden letzten Arbeitstagen wog er 6870 g, hat
also in 18 Tagen, wovon aber nur 13 volle Arbeitstage waren,
um 50 g abgenommen, oder pro Arbeitstag um 4 g. Gegen-
über dem vorher beobachteten Ansatz von 5,5 g beträgt der
Gewichtsverlust 9,5 g, also mehr als das Doppelte des aus dem
Energieverbrauch berechneten Verlustes. Da ein Fleischverlust
nach den Erfahrungen über die Einwirkung der Arbeit auf den
Stickstoffumsatz nicht anzunehmen ist, spricht das Resultat für
eine geringe Wasserverarmung des Körpers durch die Arbeit.
Freilich wäre der ganze Wasserverlust nur auf etwa 90 g, also
etwas über 1°/, des Körpergewichts zu taxieren.
216 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Der Ruhehund, welcher in der Vorperiode vom 17./18. XII.
bis 28. XII. um täglich 14,5 g zugenommen hat, zeigt fast die-
selbe Zunahme, nämlich 13,0 g für die Zeit vom 28. XI.
bis 12. I. — Da beide Hunde nebeneinander in zwei Käfigen
sich aufhielten, dürfen wir wohl annehmen, daß außer
der Arbeit keine den Stoffwechsel ändernde Momente ein-
wirkten.
Am 12. Januar wurde das ruhende, am 16. das arbeitende
Tier in der oben beschriebenen Weise getötet. Die Ergebnisse
der Blutuntersuchung, die unmittelbar nach dem Tode erfolgte,
sind in der Tabelle II mit denen der früheren Entnahme
zusammengestellt.
Tabelle II.
Hund A, Hund B,
Erste Blut-| Zweite Blut- {Erste Blut-| Zweite Blut-
entnahme | entnahme |entnahme | entnahme
(15. Dezemb.)| (16. Januar) |(15.Dezemb.)| (12. Januar)
Zahl der roten Blut-
körperchen . . . . 17736000) 7232000 |6880000| 7368000
Spezifisches Gewicht:
a) m. Pyknometer . . | 1,063 1,062 — 1,058
b) n.Hammerschlag | 1,064)) 1,062 1,051 (?) 1,059
Trockensubstanz im de- 23,63 o; 121,87
fibrinierten Blut 22,75 2383128,739), 20,02 °% 21722155
Stickstoffgehalt des de- = 8,50 ö w 3,22 0
fibrinierten Blutes 2541852 fo aa 3,25%
Spezifisches Gewicht des
Serum. . . . . . {| 108 1,024 1,024 1,023
Trockensubstanz im 7,82 7,32
Sem m | goso | ers] 748% | 77%
Stickstoffgehalt im 1,06 0,97
nn 1,02 %,, 1081,06% 0,97%, ar 0,97%
Gefrierpunkt des Serum |—0,475° 3) — 0,470° | —0,460°| — 0,450°
Die Sektion und die damit verbundene Bestimmung
der Gewichte der einzelnen Körperorgne gab folgende
Resultate:
1) Die Zahlen für das spezifische Gewicht nach Hammerschlag
und für den Gefrierpunkt des Serum bilden das Mittel aus je drei gut
übereinstimmenden Einzelbestimmungen.
F. Rogosinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 217
Tabelle IH.
Hund A, Hund R,
+ : > > : =
Bezeichnung der Organe | w 3.53 TE CH“ 3.83 TE
EBENE HF FE
& 3852805 Š 385%
Musc. sartorius 2,5 | 0,037 | 4,06] 2,7 | 0,046 | 4,72
„ Tectus femoris 9,7 | 0,143 | 15,751 6,7 | 0,114 | 11,71
„ adductores 57,2 | 0,840 | 92,80 | 77,01 1,810 | 134,60
rectus abdominis 29,8 | 0,439 | 48,38 | 21;3 | 0,863 | 37,24
Bengkmuskeln und Glutaeen.. | 236,3 | 8,480 |383,60 | 186,0 | 2,321 | 23,78
Oberflächliche Wadenmuskeln | 28,3 | 0,417 | 46,52] 22,7 | 0,387 | 39,68
Hauptmasse des Fettes von der
Rückseite des Oberschenkels
und Gesäßes 59,3 | 0,873 | 96,26 | 73,4 | 1,253 | 128,32
Magen (leer) 56,0 | 0,825 | 90,91| 56,8 | 0,969 | 99,80
Herz mit Herzbeutel and; me-
diastinalem Fett . . . 74,9 | 1,103 |121,59 | 56,2 | 0,959 | 98,25
Herz am Herzbeutelrand sb
geschniften . 64,5 | 0,950 [104,71 | 39,5 | 0,674 | 69,06
Lunge &n der Trachenteilung
abgtschnitten . . 3 50,4 | 0,742 | 81,82| 40,9 | 0,698 | 71,50
Lebe (ohne Ber): 183,2 | 2,698 |297,41 | 152,0 | 2,594 | 265,73
Mil, 15,6 | 0,230 | 25,32] 11,0 | 0,188 | 19,23
Gskröse . 73,8 | 1,087 |119,81 | 71,8 | 1,217 | 124,65
Beide Nieren . 80,5 | 0,449 | 49,51] 26,4 | 0,450 | 46,15
Pankreas 17,1 | 0,252 | 27,76 | 15,7 | 0,268 | 27,45
Him . 61,6 | 0,907 |100,00| 57,2 | 0,976 | 100,00
Linkes Fenr a 24,5 | 0,361 | 39,77 | 19,6 | 0,334 | 34,27
Gesamtmenge des éwon
Blutes 476,6 | 7,019 1773,70 | 298,7 | 5,097 | 522,20
Ich gehe nunmehr zu den Ergebnissen der chemischen Untersuchung
der in vorher beschriebener Weise vorbereiteten Organe.
Untersuchung der lufttrockenen Muskelsubstanz.
Hund A, Hund R,
Trockensubstanz 9'89 } 98,82 9, ILGA N 91,679,
Stickstoffgehalt ns ) 11,68 %, a } 10,61 %,,
Fettgehalt ei ) 17,93 %, A ) 22,47
Die Glykogenbestimmungen ergaben folgende Resultate:
Zuckerlösung nach Pflüger:
0,0546
0,0528
}0,0537 g Cu
0: 0,0572
’ 0, ‚0578
in 8l ccm
10,0575 g Cn,0.
i . . ane.
hl in Glykogenzehl 7 ] i
i den Glykogengehalt ın der frischen Sub
Nach Umrechnung dieser
und Überführung der Glukosez:
mit dem Faktor 0,9 wurden für
stanz folgende Zahlen ermittelt:
Hund A,
0,428 °/, Glykogen
Der Aschengehalt wurde in der ent
Hund R,
0,458 °/, Glykogen. |
fetteten Substanz bestimmt; er betrug:
5,09 fo
Bei dem Hunde A wurde au a
bsta a 22 RIN and dabei 28,26 °/, Trockensubstanz g l f
jen D Mittelzahlen gewinne
Durch Umrechri
wir folgende Werte:
der gewonnenen
Frisches Fleisch
Trockensubsta Hund A, Hund R,
Hund A, Hund R= 352%% 2,77%
Stickstoffgehalt . 12,45 % 11,57 0/0 Š We S 5,86 "E
Fettgehalt . . 19,11 ,, 24,51 ,, 5,4 0,46 „
Glykogengehalt. 1,52 ,, 1,92 „ 0,43 „ 1,92 „
Aschengehalt . 3,54 „ 384 „ | 125 „ =
Untersuchung der Lebersubstanz.
Hund A, Hund R,
Trockensubstanz . . . 0896 } 93,93 °/, 9608 \ 9,05%,
l 9,86 l og: 9,72
Stiokstott 2 2 2 2 . 900 } 9,88" ges 199%
11,48 8,87
1 EEE os FE, Sea 1%
81 ccm Zuckerlösung gaben:
0,2956 0,3426
0'3018 7 0,2987 g 010; an 0,8437 g CuO
und somit betrug der Gehalt an Glykogen in der frischen Lebersubstanz:
2,82 %/, 3,29 %/,.
Der gesamte Gehalt an Trockensubstanz in der frischen Leber betrug:
29,59 9, 30,01 %,,.
Die Zusammensetzung der Trockensubstanz läßt sich nach
den gewonnenen Zahlen folgenderweise berechnen:
Hund A, Hund R,
Stickstoff . . . 10,47% 10,19 °%
Bolt. 04.8.4085 9,58 „
Glykogen . . . 9,53 „ 10,96 „
1) Eine kleine Probe des Muskelbreies wurde im Wägegläschen
zuerst auf dem Wasserbade, dann im Wassertrockenschranke bei etwa
97° 24 Stunden lang getrocknet.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe, 219
Das Gekröse.
Die durch 10-tägige Extraktion des grob zerschnittenen Gekröses
erhaltenen Ätherextrakte wurden auf je 1 1l ergänzt. In je 50 ccm dieses
Extraktes wurde durch Vertreiben des Äthers der Rückstand bestimmt.
Er betrug bei
Hund A, Hund R,
2,5586 2,5405
a } 2,5611 g ar } 2,5427 g.
Im ganzen Extrakt also:
2,5611 X 20 = 51,222 g 2,5427 X 20 = 50,854 g.
Die extrahierte Masse wurde im Mörser zerkleinert und auf gewöhn-
liche Weise mit Äther im Extraktionsapparat, mit salzsaurem Alkohol und
abermals mit Äther extrahiert; sie lieferte dabei:
2,6555 g 1,3554 g.
Die ganze Menge des nach den angewandten Methoden
extrahierbaren Fettes im Gekröse betrug also bei Hund A, —
53,8775 g, bei Hund R, — 52,2094 g. In Prozenten des Lebend-
gewichts: bei Aı — 0,793 °/o; bei Rı — 0,891 °.
Versuch II.
Zu diesem Versuch wurden ebenso wie im Versuch I zwei
ausgewachsene männliche Hunde verwendet. Im Gegensatz zu
den Tieren A, und R, waren ihre Lebendgewichte annähernd
gleich, sie wiesen dagegen bedeutende Unterschiede in ihrem
Körperbau und im ganzen Habitus auf. Der zur Arbeitsleistung
bestimmte Hund A, hatte gedrungenen Körperbau, einen
schweren, großen Kopf und dicke, kurze, etwas krumme Beine.
Der Hund Re dagegen war schlank gebaut, hatte einen kleinen,
leichten Kopf und lange, dünne Beine. Zur Veranschaulichung
dieser Unterschiede mögen die Dimensionen des os femoris der
beiden Tiere dienen: Bei As betrug die Länge 11,05 cm, die
Dicke an der schmalsten Stelle 1,15 cm; bei Rs dagegen war
die Länge 12,55 cm, die geringste Dicke 1,05 cm. Diese Wahl,
die durch Unmöglichkeit passendere Tiere zu finden veranlaßt
wurde, dürfte von entscheidendem Einfluß auf die Versuchs-
ergebnisse sein.
Am 18. Januar, wo die Vorfütterung begann und die Tiere
in die Versuchskäfige gebracht wurden, wogen sie: As — 8410 g,
Ra — 8850 g. Der Futterbedarf wurde ebenso wie in Versuch I
berechnet und zunächst gereicht:
220 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Hand A, Hund R,
260 g Fleisch = 338 Kal. 272 g Fleisch = 354 Kal.
85 g Reis = 340 , 90 g Reis = 360 „,
Zusammen = 678 Kal. Zusammen = 714 Kal.
Da aber bei dieser Futtermenge eine stetige Zunahme des
Lebendgewichts stattzufinden schien, wurde vom 24. Januar an
die Menge von Reis für As auf 65 g, für Rə aber auf 80 g
herabgesetzt. Mit dieser neuen Ration blieb das Lebendgewicht
der Tiere annähernd konstant. Die Versuchsanordnung war der
im Versuch I gleich; nur wurde die Menge des täglich im ge-
kochten Futter aufgenommenen Wassers genau reguliert (bei
As — 405 g, bei Rs — 408 g). Angebotenes Trinkwasser ver-
schmähten die Tiere regelmäßig. Seit dem 8. Februar, das heißt
in den letzten 11 bezw. 13 Tagen, wurde gehacktes Pferdefleisch
von bekannter Zusammensetzung, das auf einmal abgewogen
und in Glasbüchsen präserviert worden war, gereicht. Von dem
14. Februar ab wurde auch der Kot behufs Ermittlung der
Ausnutzung gesammelt. Die Blutentnahmen und die Sektion
wurden genau ebenso wie im Versuch I ausgeführt. Die Arbeit
war in bezug auf die Länge des Weges und die Steigung die
gleiche; die Zulagen an Schweinefett wurden anfangs etwas zu
niedrig bemessen, später im Hinblick auf die Abnahme des
Körpergewichts ein wenig (von 16 auf 21 g) erhöht.
S. Tab. IV.
Der für Hund A, in der S. 215 dargelegten Weise be-
rechnete Mehrverbrauch für die Arbeit betrug für die ganze
Arbeitszeit . . » 2 2 2 nme nn nn. 2584 Kal.
Die zugelegten 271 g Fett entsprechen . . . . 2439 „
Es wurde also der Mehrverbrauch bis auf . . . 95 Kal.
entsprechend 11 g Fettgewebe oder 0,7 g pro Tag durch die .
Zulage gedeckt.
Das Körpergewicht von As hatte vor der Arbeit vom
26. I. bis 31. I. um 220 g, also um 44 g pro Tag zugenommen.
Während der Arbeit sank es vom 3. II. bis 18. II. um 100 g,
d.h. um 6,7 g pro die. — Wenn wir die Gewichtsänderung
auf durch die Arbeit bedingten Wasserverlust beziehen dürfen,
hätte derselbe pro Arbeitstag (44 + 6,7 — 0,7) = 50 g be-
tragen.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 221
Tabelle IV.
25.
onen mumm ASSAS
= g un keins. Arbeit
”„
kein Futter
260 g Fleisch
65 g Reis
”
”
+8g Fett
+12g Fett
+15 g Fett
7
+ 16 g Fett
1
+21 g Fett
”
+13g Fett
500 Touren
3000 Touren
4000 Touren
6000 Touren
8000 Touren
2?
4000 Touren
8850
8970
9010
9000
9120
9060
8650
8900
9050
8980
9000
9050
9080
9110
9120
9130
9150
9100
9020
9020
9050
9000
9050
8950
8980
8950
8960
8970
8900
8920
8870
8900
8980
8890
8910
272 g Fleisch
90 g Reis
”
kein Futter
272g Fleisch
80 g Reis
”
222 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Tabelle V. Untersuchung des Blutes.
Hund A, Hund R,
Erste Blut- | Zweite Blut- | Erste Blut- | Zweite Blut-
entnahme entnahme entnahme entnahme
(23. Januar) (19. Februar) (23. Januar) (21. Februar)
Zahl der roten Blut-
körperchen . . . . | 7224000 6 312 000 7 536 000 6 552 000
Spezifisches Gewicht:
a) m. Pyknometer . . 1,061 1,061 1,064 1,064
b) n.Hammerschlag 1,060 1,061 1,062 1,063
Trockensubstanz im de- 23,34 %,
a 71
fibrinierten Blut = 57 57122, 50%] 23,49 %/, 14)24, 53%),
Stickstoffgehalt des de- 3,26 3,49
aai Bine 8 4 1113, 41° 3'20 8,2 "el 3 91% 49%] 3 Baala, 47°
Spezifisches Gewicht des
Serum. . . . | 1023 1,023 1,024 1,025
Trockengubstans im | 779o, Te] 859% | 9341938 %
a | 170611,08 % | 090]1,00 % | 1111111% | 170]110%
(Gefrierpunkt des Serum | — 0,460° | — 0,450° — 0,460 ° — 0,450 °
Nun hat aber auch der Kontrollhund analoge Gewichts-
änderungen erfahren. Vom 26. I. bis 31. I. hat er um 60g
= 12 g pro Tag zugenommen, vom 4. II. bis 18. II. hat er
um 200 g = 14,3 g abgenommen. Es ist also ohne Änderung
der Lebensweise eine tägliche Gewichtsänderung um (12 + 14,3)
= 26,3 g erfolg. Als durch die Arbeit bedingten
Wasserverlust dürfen wir also nur (50 — 26,3) = 23,7 g
in Rechnung stellen. Der Umschlag im Verhalten des
Körpergewichts beruht wohl zum Teil darauf, daß die Hunde
bei der kohlenhydratreichen Kost anfangs Glykogen ansetzten,
das ja mit seinem 4fachen Gewicht an Wasser!) angelagert
wird, und dabei etwas Fett einbüßten. Als der Glykogenansatz
beendet war, und dafür die äquivalente Menge Fett, welche
etwa nur !/s wiegt, angesetzt wurde, nahm das Gewicht nicht
mehr zu.
1) Vgl. Zuntz u. Cons., Höhenklima u. Bergkrankheit, Berlin 1906,
S. 114.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 223
Tabelle VI. Organgewichte.
Hund A,
3 le 25]#83|3
Bezeichnung der Organe |'S u |S232 sadzaj %
PIANE
& 2802 wich
Musc. sartorius 5,2 | 0,059 | 7,081 3,6
„ Tectus femoris 12,2 | 0,138 | 16,62 | 19,1
„ Vasti 86,0 | 0,971 |117,16 | 79,6
„ adductores . . 91,7 | 1,035 |124,98 | 66,4
» pectineus . 2,3 | 0,026 | 3,13] 3,8
„ Tectus abdominis 47,8 | 0,539 | 65,12 | 47,0
Beugemuskeln und Glutaeen. | 168,9 | 1,906 1230,11 | 258,3
Oberflächliche Wadenmuskeln | 34,9 | 0,394 | 47,55] 39,2
Hauptmasse des Fettes von der
Rückseite des Oberschenkels
und Gesäßes 84,3 | 0,387 | 46,73] 52,0
Magen (leer) 90,0 | 1,016 1122,62] 79,1
Herz mit Herzbeutel id me-
diastinalem Fett . 85,0 | 0,959 1115,80 | 94,2
Herz am Herzbeutelrand ab-
geschnitten . 73,2 | 0,826 | 99,73] 84,4
Lunge an der Tracheateilung
abgeschnitten . . . . . | 56,5 | 0,638 | 76,97 | 75,7
Leber (ohne Blase) . 227,3 | 2,566 |309,67 | 242,4
Milz 21,7 | 0,245 | 29,56| 14,7
Gekröse . 110,9 | 1,252 151,09 | 157,2
Beide Nieren 43,0 | 0,485 | 58,58 | -47,6
Pankreas 21,0 | 0,237 | 28,61 | 22,7
Him . . 73,4 | 0,828 |100,00| 62,5
Linkes Femur. ... | 29,2 | 0,330 | 39,78| 29,1
Gesamtmenge des gewonnenen
Blutes . 601,7 | 6,792 |819,75 | 615,0
ın o/o
des Lebend-
6,968
gewichts p
Gewicht in
0/o des Hirn-
gewichts
984,00
Die Untersuchung der Muskel- und Lebersubstanz geschah genau in
derselben Weise wie im Versuch I und ergab folgende Resultate:
Untersuchung der Muskelsubstanz.
Hund R,
Hund A,
92,49
Trockensubstanz 92.81 } 92,65 °/,
. 11,01 90
Stickstoff . . 11.02 \ 11,02 °%
96,03
95,90
12,65
12,89
) 95,97 %,
\ 12,77 9%,
1) Von dem Lebendgewicht wurde das Gewicht des Inhaltes des
Darmkanals (bei A, — 80,6 g, bei R, — 84,4 g) in Abzug gebracht und
die auf diese Weise gewonnene Zahl der Berechnung zugrunde gelegt.
224 F.Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
Hund A, ` Hund R,
Fett \ 16,28 %/ 19,08 } 10,71 %/
16,28 o 10,76 f 1971
Die Glykogen-Bestimmungen ergaben folgende Zahlen:
A = . 0,0820 0,0714
in 81 cem derZuckerlösung: }0,0828 g Cu 0; }o,0721 g CO
0,0836 ` 0.0728
und nach Umrechnung auf frische Muskelsubstanz:
Hund A, Hund R,
0,702 °/, Glykogen 0,599 °/, Glykogen.
Der Aschengehalt der entfetteten trockenen Muskelsubstanz betrug:
4,43%, 4,24 °),-
Der gesamte Gehalt des frischen Fleisches an Trockensubstanz:
26,84 °/, (direkt 27,36 °/,) 26,89 °/, (direkt 26,84 °/,).
Durch Umrechnung der Mittelzahlen gewinnen wir folgende
Werte:
Trockensubstanz Frisches Fleisch
Hund A, Hund R, Hund A, Hund R,
Stickstoff . . 11,89%, 13,31% 3,25 %0 3,57 ?/o
Fett . . . . 17,57 „ 11,56 „ 4,81 ,, 3,00 ,,
Glykogen . . 2,61 „ 2,23 „, 0,70 ,, 0,60 ,,
Asche . . . 83,65 „ 3,75 „ 1,00 ,, 1,01 ,,
Untersuchung der Lebersubstanz.
Hund A, Hund R,
93,42 5,83
Trockensubstenz . . . 93749 } 93,46 %, 5 = } 96,09 %/,
Stickstoff . . . . . 98 \ 8,89 %, 2) 9,37%,
8,09 7,59
51518127, 168) zot,
81 ccm der Zuckerlösung gaben:
02190 105187 g 0,0; 10,4074 g Cu,0
0,5190 de u 0,4074 a ia
und somit war der Gehalt an Glykogen in der frischen Lebersubstanz:
5,404 °/, 4,006 9%.
Der gesamte Gehalt an Trockensubstanz in der frischen Leber betrug:
30,85 9, 31,17 %..
Die Zusammensetzung der Trockensubstanz der Leber
läßt sich nach den gewonnenen Mittelzahlen folgenderweise
berechnen:
Hund A, Hund R,
Stickstoff . . . 9,51% 9,75 /o
Fett opowie 8,09 7,87 „
Glykogen . . . 17,52 „ 12,85 ,,
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 225
Das Gekröse.
Durch 10-tägige Extraktion des grob zerschnittenen Gekröses in
Flaschen mit Äther wurde je 1 1 Ätherextrakt gewonnen. In 100 ccm
dieses Extraktes ermittelte ich folgende Fettmengen:
Hund A, Hund R,
7,0258 10,6762
Sr \ 7,0803 g oooi } 10,6728 g.
Im ganzen Extrakt also:
7,0303 X 10 = 70,803 g 10,6728 x 10 = 106,728 g.
Durch die Extraktion des Rückstandes in der üblichen Weise wurde
gewonnen: 2,344 g 5,818 g.
Die ganze extrahierbare Menge des Fettes im Gekröse be-
trug also: bei Hund As — 72,647 g, bei Hund R — 112,546 g.
In Prozenten des Lebendgewichts: bei As — 0,820 °/0; bei
Ra — 1,275 °/⁄.
Der Ausnutzungsversuch.
Wie oben erwähnt, wurde in der zweiten Pefiode des Ver-
suchs II den Tieren analysiertes Fleisch gereicht und der Kot
gesammelt. Dieser Versuch sollte einen Beitrag zu der Frage
über die Ausnutzung des Futters bei dem arbeitenden und dem
ruhenden Tiere liefern. Die gewählte Versuchsanordnung schloß
freilich individuelle Unterschiede der beiden Tiere nicht aus,
dennoch mögen die gewonnenen Zahlen hier Erwähnung finden.
Analysiertes Fleisch wurde vom 6. II. an gereicht; am 13. II.
wurde den beiden Tieren ale Abgrenzungsmittel Kieselsäure und
Fuchsin mit einem kleinen Teil des täglichen Futters, und nach
drei Stunden das übrige Futter gereicht. Der so sehr deutlich
abgegrenzte Kot wurde von diesem Tage ab bis zum Tode der
Tiere gesammelt. Der Kot wurde im Wassertrockenschrank bei
ca. 70° 24 Stunden lang getrocknet, nachdem er mit alkoholi-
scher Oxalsäurelösung befeuchtet worden war. Am Ende des
Versuches wurde der bei der Sektion der Tiere gewonnene In-
halt des Dick- und Mastdarms in derselben Weise getrocknet
und mit dem Kote vereinigt.
Untersuchung des Fleisches.
Die Stickstoff-Bestimmung wurde im frischen Fleisch ausgeführt und
dabei a | 3,48 ° N gefunden. Die Trockensubstanz-Bestimmungen, die
|
26,37
25,97
Biochemische Zeitschrift Band I. 15
sowohl direkt wie indirekt gemacht worden sind, ergaben: 26,17 o-
226 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe.
10,87 0
Bi 11,02%.
Außerdem wurde in der Mahlerschen Bombe die Verbrennungswärme des
lufttrockenen Fleisches bestimmt und dabei auf 1 g Substanz folgende
Werte gefunden: 5,021 Kal.
5,084 Kal.
5,058 Kal.
Im Mittel also 5,054 Kal. für 1 g lufttrockenes Fleisch (mit 89,28 °/,
Trockensubstanz).
Der Fettgehalt, auf Trockensubstanz berechnet, betrug:
Untersuchung des Kotes.
Die ausgeschiedene Kotmenge betrug in frischem Zustande (samt
Darminhalt): bei Hund A, — 119,4 g; bei Hund R, — 261,7 g. Diese
Mengen gaben nach dem Trocknen 39,9 bezw. 82 g lufttrockene Substanz
von folgender Zusammensetzung:
Hund A, Hund R,
95,82 o 91,84 ö
Trockensubstanz . . . 95.68 } 95,75%, 92. 42 } 92,13 %/,
; 7,46 6,04
Stickstoff . ... 2... 752 } 749%, 5,88 \ 5,96 %/,
8,09 7,18
Fett . e... < 803 \ 8,06 %, 7'66 N 742 h.
Auf Trockensubstanz berechnet:
Stickstoff . . . 2.» 7,82%, 6,47 %,,
Fett . . 2 2 20.0. 8,43 „ 8,11 „.
Es erscheint unbedenklich für die Zusammensetzung des geschälten
Reises und des Schweineschmalzes, die direkt nicht untersucht worden
sind, die Mittelzahlen nach J. König!) zu verwenden. So würden sich
an der Hand der gewonnenen Zahlen die Verdauungs-Koöffizienten in
folgender Weise berechnen lassen:
Hund A,.
Im Futter wurde während der 6-tägigen Versuchsperiode gereicht:
390 g Reis, 1560 g Fleisch, 118 g Schweineschmalz und darin:
ne... Stickstoff Fett
Im Reis . . 2 2 220 . . . 388,68 5,07 5,03
„ Fleisch . . . 2 . . . . — 408,25 54,29 44,93
n Schmalz . . . 3:5 . e 117,117 0,05 116,87
Gereicht zusammen: 864,05 g 59,41 g 166,83 g
Im Kot ausgeschieden . . . . 88,20 2,99 3,22
Somit verdaut: 825,85 g 56,42 g 163,61 g
Verdauungs-Koöffizienten . . . 9,58% 94,97% 98,07 %,
1) Chemie der menschlichen Nabrungs- und Genußmittel I, 38 und
565. 1903.
F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz. d. Organe. 227
Hund R,
Im Futter wurde während der 8-tägigen Versuchsperiode gereicht:
640 g Reis, 2176 g Fleisch und darin:
Trocken- gtickstoff Fett
Im Reis . . 22 2.2.22... 555,72 8,83 8,26
n„ Fleisch . . 2 2 . . . . 569,46 75,73 62,67
| Gereicht zusammen: 1125,18 g 84,06 g 70,93 g
Im Kot ausgeschieden . . . . _ 75,92 4,91 6,16
Somit verdaut: 1049,26 g 79,15 g 64,77 g
Verdauungs-Koöffizienten . . . 95,43%, 94,16%, 91,81 °%
Vorstehender Versuch zeigt für den Stickstoff nur einen
innerhalb der Fiehlergrenzen liegenden Unterschied zwischen
beiden Tieren. Die Ausnutzung des Fettes ist dagegen beim
Arbeitshund sehr viel besser.
Zur Erklärung der Differenz wird man daran denken müssen,
daß bei absolut geringen Fettmengen in der Nahrung, wie sie
Hund Rs erhielt, die ätherlöslichen Darmsekrete das Resultat
erheblich beeinflussen. Dies Moment genügt aber nicht. Denn
selbst wenn man das verfütterte Schmalz als absolut verdaulich
rechnet, würde von dem nun gleichen übrigen Nahrungsfett
93,56 °/o bei As, dagegen nur 91,31 °/o bei Rs resorbiert sein.
Im Hinblick auf die im hiesigen Institut ausgeführten
Versuche von Rosenberg (Pflügers Archiv 52, S. 401), welcher
bei ruhenden und arbeitenden Hunden ganz gleiche Ausnutzung
der Nahrung gefunden hat, kann dies Resultat keine allgemeine
Gültigkeit beanspruchen. Wahrscheinlich beruht es auf einer
individuellen Besonderheit des Hundes Rs, der ja auch bei
gleicher Nahrung viel weniger Fett an Muskeln und Leber zum
Ansatz gebracht hat als As. —
Im übrigen sei als Resultat der vorstehenden Arbeit folgen-
des hervorgehoben:
1. Weder die physikalischen Eigenschaften noch
die chemische Zusammensetzung des Blutes
haben unter dem Einfluß der Arbeitsperioden
eine Veränderung erlitten.
2. Die Untersuchung des Wassergehalts der Or-
gane, welche meine Hauptaufgabe bildete,
spricht im Sinne einer Verarmung der Muskel-
substanz an Wasser infolge lange fortgesetzter
15*
228 F. Rogozinski, Einfluß d. Muskelarbeit auf d. Zusammensetz, d. Organe.
Arbeit. Die Wasserarmut der trainierten Mus-
keln war in dem einwandfreieren Versuch I
recht erheblich, in Versuch II lag der Unter-
schied im Bereich der Fehlergrenzen. Die An-
nahme einer geringen Wasserverarmung wird
auch durch das Verhalten des Körpergewichts
während der Arbeitsperiode gestützt.
3. Eine Zunahme der Masse der arbeitenden
Muskeln und des Herzens konnte nur in Ver-
such I nachgewiesen werden.
Angesichts der erheblichen, durch Individualität und Rasse
bedingten Schwankungen der ÖOrgangewichte und auch des
Wassergehalts der Organe erscheinen weitere Untersuchungen
der hier angeschnittenen Frage erforderlich.
_ Über den Einfluß der alkalischen Reaktion auf die
autolytischen Vorgänge in der Leber.
Von
Dr. med. Alexis von Drjewezki aus St. Petersburg.
(Aus der ohemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität
zu Berlin.)
(Eingegangen am 28. Juni 1906.)
Die Frage der Selbstverdauung, oder wie man sich jetzt
auszudrücken pflegt, der Autolyse, wurde im Jahre 1890 von
E. Salkowski!) als erstem systematisch bearbeitet. Seit der
Zeit ist eine größere Reihe von Arbeiten erschienen, die die
näheren Einzelheiten der Autolyse in den Geweben und Organen
des tierischen Körpers behandeln. Trotzdem sind manche
Einzelheiten dieses Vorganges bis jetzt noch nicht erkannt und
harren ihrer Entdecker. Ohne mich eingehender mit der ge-
samten einschlägigen Literatur zu befassen, bezüglich deren ich
aber auf die zusammenfassende Abhandlung „Über die Auto-
lyse‘‘?) von E. Salkowski verweise, möchte ich nur bei einer
von den hierher gehörigen Untersuchungen verweilen, und zwar
bei der Frage, welchen Einfluß die alkalische Reaktion auf die
Autolyse ausübt.
Von grundlegender Bedeutung ist die Frage, ob die
Autolyse im lebenden Organismus vor sich geht, oder ob sie
nur eine dem Tode zukommende Erscheinung ist. Zur Auf-
klärung dieser Frage soll diese Arbeit beitragen.
1) Zeitschr. für klinische Medizin Bd. XVII, Supplbd. S. 77. 1890.
2) Die Deutsche Klinik Bd. XI, S. 147.
230 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
Wie bekannt, läßt man eine Autolyse in üblicher Weise
in einem antiseptischen Medium in frischen Organen vor sich
gehen, wobei die Flüssigkeit stets sauer reagiert. Nun haben
aber, während die Zellen leben, die Flüssigkeiten, die ihnen
den Stoffwechsel ermöglichen — Blut und Lymphe —, alkalische
Reaktion. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Autolyse in
einem alkalischen Medium überhaupt vor sich gehen kann, ob
ferner, wenn die Möglichkeit erwiesen ist, die Autolyse einen
ähnlichen Verlauf nimmt, wie in einem saueren Medium, oder
einen anderen.
Die ersten Untersuchungen in dieser Richtung stellte
Schwiening')an und erbrachte den Nachweis, daß die alkalische
Reaktion die Autolyse aufhält und zwar anscheinend proportional
dem Grade der Alkaleszenz. Leider hatte der Verfasser andere
Ziele im Auge, aus welchem Grunde er die Versuche nur
nebenher und nur zweimal im ganzen ausführte. So ist auch
die Konzentration und die Menge der angewendeten Natrium-
karbonatlösung nicht genau vermerkt und es sind auch nur
Bestimmungen des als nicht koaguliertes Albumin vorliegenden
Stickstoffes ausgeführt worden. Zu demselben Resultat gelangte
auch Hildebrand’). Hedin und Rowland?) zeigten, daß die
alkalische Reaktion die Wirkung der proteolytischen Fermente
in dem Milzsafte verschiedener Tiere aufhält. Bei ihren Ver-
suchen entsprach die Konzentration der Alkalilösungen der des
Blutes. Im vorigen Jahre erschienen dann gleichzeitig die
Arbeiten von Baer und Loeb*) und von Wiener?°). In der
Abhandlung der beiden an erster Stelle Genannten tauchte auch
die Frage auf, welchen Einfluß die Alkaleszenz auf die Autolyse
1) „Über fermentative Prozesse in den Organen“, Virchows Archiv
Bd. CXXXVI, p. 443.
2) „Zur Lehre von der Milchbildung“, Hofmeisters Beiträge 1904,
V, p. 49.
3) „Untersuchungen über das Vorkommen von proteolytischen
Enzymen im Tierkörper“, Hoppe-Seylers Zeitschr. f. physiolog.
Chemie XXXII, 1901, p. 531.
4) „Über die Bedingungen der autolytischen Eiweißspaltung in der
Leber“, Archiv f. experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 53,
Heft I. 1905.
5) „Über den Einfluß der Reaktion auf autolytische Vorgänge“,
Zentralblatt f. Physiologie 1905, Bd. XIX, Nr. 11.
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 231
ausübt. Leider war bei ihren Versuchen der Gehalt an Alkalien
derartig gering, daß man meiner Meinung nach auf Grundlage
ihrer Ergebnisse keine unanfechtbaren Schlußfolgerungen hin-
sichtlich der vorliegenden Frage aufstellen kann. Die Autoren
selbst nehmen an, daß die alkalische Reaktion die Autolyse
bestenfalls etwas aufhält, jedenfalls aber nicht unterbricht.
Wiener (a. a. 0.) hingegen verwendete bei seinen Versuchen eine
Lösung von NaaCOs oder NaHCO;, deren Konzentration einem Ge-
halt von 0,2—0,4 NaOH entsprach, also etwa der Alkaleszenz des
Blutes entsprach. Auf Grund seiner Versuche kam der Verfasser
zu dem Schlusse, daß eine Alkaleszenz von angeführtem Gehalte
im Verlaufe von mindestens 7 Tagen die Autolyse vollständig
aufhebt. Mit seiner Schlußfolgerung stellt Wiener sich auf
die Seite derjenigen Forscher, die es für unmöglich halten, daß
in der lebenden Zelle und im lebenden Organ die Autolyse vor
sich gehen kann (Pohl, Langstein, Neubauer). Alle oben
erwähnten Autoren haben sich mit der Frage nach dem Einfluß
der Alkaleszenz auf die Autolyse nur nebenher beschäftigt, ohne
daß deren Aufklärung ihnen Selbstzweck war. Außerdem wurden
nur Gesamtstickstoffbestimmungen ausgeführt, die Autoren be-
gnügten sich eben festzustellen, ob die Autolyse bei Anwesenheit
von Alkalien stärker oder schwächer auftritt als bei Abwesen-
heit der Alkaleszenz. Ob aber der Prozeß in der üblichen
Weise, entsprechend dem Verlauf einer gewöhnlichen Autolyse,
stattfindet, oder ob er auf einem anderen, ihm eigentümlichen
Wege vor sich geht, darüber finden wir keine Andeutungen in
den erwähnten Arbeiten. Unter der Bezeichnung „gewöhnlicher
Gang der Autolyse‘‘ verstehe ich die Erscheinung, die wir an
tierischen Organen beobachten können, wenn wir sie in einem
antiseptischen Mittel ohne Zusatz von Säuren oder Alkalien sich
selbst überlassen. In Hinblick auf alles, was ich bis jetzt
auseinandergesetzt habe, steckte ich mir auf Anraten von Prof.
E. Salkowski das Ziel, den Einfluß der alkalischen Reaktion
auf die Autolyse, sowie den Verlauf dieses Prozesses unter diesen
Bedingungen im Vergleich zu den gewöhnlichen einer sorg-
fältigeren Untersuchung zu unterwerfen.
Ich bereitete die autolytischen Lösungen nach der im
hiesigen Laboratorium üblichen Methode, die oft von Salkowski
selbst, wie auch von seinen Schülern erprobt und angewendet
232 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali,
worden ist. An dieser Stelle werde ich den allgemeinen Gang
meiner Untersuchungen beschreiben, die näheren Einzelheiten
und Abänderungen werde ich an der betreffenden Stelle auf-
führen.
Käufliche Kalbsleber wurde in möglichst frischem Zustande,
d.h. einige Stunden nach dem Schlachten, mittels der Fleisch-
hackmaschine zerkleinert. Von der auf diese Weise breiförmig
erhaltenen Leber wurden immer abgewogene Mengen untersucht.
Als Grundlage für die in antiseptischem Mittel auszuführende
Autolyse diente Chloroformwasser.
Der Gang der Untersuchung war folgender:
Versuch A. In eine 1,5 l fassende weithalsige Flasche
mit eingeschliffenem Stopfen wurden 100 g kleingehackte Leber
mit 1 l destilliertem Wasser unter Zusatz von 7,5 ccm
Chloroform gut durchgeschüttelt.
Versuch B. In einem ebensolchen Gefäß wurden von
demselben Leberbrei 100 g mit 1 1 Chloroformwasser ver-
rührt. Dazu wurde eine weiter unten bemerkte Menge Natrium-
carbonat zugegeben und gut gemischt.
Versuch C. Man verfuhr wie bei B und benutzte dieselbe
Menge Natriumcarbonat, nur das man die gehackte Leber vor
dem Einbringen in das Autolysengefäß kochte, um die Fermente
zu vernichten.
Alle drei Flaschen wurden dann gleichzeitig in einen auf
37—40° gehaltenen Brutschrank gestellt und dort 70—72 Stunden
unter öfterem Schütteln belassen. Außerdem wurden gewöhnlich
noch 100 g gehackte Leber in schwach essigsaurer Lösung auf-
gekocht und sofort verarbeitet.
Nach Beendigung der Autolyse reagierte die Flüssigkeit des
Versuches A immer sauer, in B und C aber alkalisch. Die
Portionen B und C wurden mittels verdünnter Schwefelsäure
schwach angesäuert. Dann wurde der Inhalt der drei Flaschen
gleich lange Zeit hindurch gekocht, um das durch Hitze koagu-
lierbare Eiweiß abzuscheiden. Nach dem Abkühlen wurden die
Mengen auf je 1 1 (einschließlich fester Substanz) gebracht
und durch ein trockenes Filter in einen mit Marke versehenen
Kolben von genau 800 ccm Inhalt filtriert. Nach eintägigem
Stehen eingedampft, auf etwas weniger als 400 ccm mit Wasser
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 233
verdünnt, in einen Meßkolben von 400 ccm quantitativ über-
geführt, auf 400 ccm genau nachgefüllt und wiederum durch
ein trockenes Filter filtriert. Auf diese Weise wurde eine
konzentriertere, von koagulierbaren Substanzen freie Lösung er-
halten, und zwar in A nach gewöhnlicher Autolyse, in B nach
einer in derselben Zeit in alkalischer Lösung verlaufenen Auto-
lyse, in C endlich nur die Produkte einer Hydrolyse, da die
Fermente durch vorheriges Kochen zerstört worden waren. Aus
D wurde eine Lösung erhalten, die noch stickstoffhaltige, nicht
mehr koagulierbare Substanzen der frischen Leber enthielt.
Was die chemische Analyse selbst betrifft, so bestimmte
ich den Gesamtstickstoff nach der Kjeldahlschen Methode.
Zu diesem Zwecke wurden je 2 Proben von je 20 ccm ent-
nommen, mit konzentrierter Schwefelsäure verbrannt, der Stick-
stoff in Ammoniak überführt und als solcher titrimetrisch mit
!/ıo Normal-Schwefelsäure bestimmt. Das Mittel aus beiden
Bestimmungen wurde auf 1 kg Leber umgerechnet. Darauf
wurde der sogenannte Monaminsäuren-Stickstoff auf folgende
Weise bestimmt. 50 ccm Lösung wurden mit 5 ccm verdünnter
Salzsäure ausgesäuert und darauf eine 10 °/oige Phosphorwolfram-
säurelösung solange zugesetzt, bis kein Niederschlag mehr ent-
stand. Im Niederschlag befanden sich alle möglichen stick-
stoffhaltigen Substanzen. Filtrat samt Niederschlag wurden mit
Wasser auf ein bestimmtes Volumen gebracht, durch ein trockenes
Filter filtriert, dem Filtrat mittels einer Pipette eine bekannte
Menge Flüssigkeit entnommen und darin der Stickstoff nach
Kjeldahl bestimmt und auf 1 kg Leber berechnet. Außer-
dem bestimmte ich die Menge des als Albumosen vorliegenden
Stickstoffs. Zu diesem Zweck wurden 50 ccm Flüssigkeit mit
1 ccm verdünnter Schwefelsäure angesäuert und dann mit
pulverisiertem Zinksulfat gesättigt nach der Vorschrift von
K. Baumann und Bömer!). Nach den Angaben von Rosen-
berg?) dauert die Sättigung 24—28 Stunden. Der so erhaltene
Albumosenniederschlag wurde filtriert, an der Luft ein wenig
1) Zitat nach Zunz, Zeitschr. f. physiolog. Chemie Bd. 27, p. 219.
2) „Über den Umfang der Eiweißverdauung im meuschlichen Magen
unter normalen und pathologischen Verhältnissen“, Zeitschr. für klinische
Medizin Bd. 76, Heft 5, 6, p. 1.
234 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
getrocknet und mit dem Filter nach Kjeldahl verbrannt, der
Stickstoff bestimmt und auf 1 kg Leber umgerechnet. Ich halte
es nicht für überflüssig, hierbei zu bemerken, daß, wenn man die
Waschflüssigkeit von der Albumosenfällung sorgfältig ablaufen läßt
und zur Verbrennung Schwefelsäure von 1,84 spez. Gew. anwendet,
die Verbrennung ruhig und ohne zu stoßen vonstatten geht. Wenn
aber der Albumosenniederschlag noch mit einer gewissen Menge
Flüssigkeit vermengt ist, dann muß man diese erst auf dem
Wasserbad eindampfen, sonst kommt es häufig vor, daß der
Kjeldahlkolben springt. Selbstverständlich muß man sich
bei diesen Analysen vorher vergewissern, daß das anzuwendende
Zinksulfat frei von Ammonsalzen ist. Endlich bestimmte ich
den Stickstoff, der in den Purinbasen enthalten war. Zu diesem
Zwecke wurden 100 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit
mit einigen Tropfen Ammoniak alkalisch gemacht, von
den ausgefällten Phosphaten abfiltriert, und im Filtrat die
Purinbasen mit 3 °/,iger ammoniakalischer Silbernitratlösung
gefällt. Nach 6—12stündigem Stehen an einem dunkeln Orte
wurde abfiltriert, der Niederschlag gut gewaschen und darauf
der Stickstoff bestimmt und auf 1 kg Leber umgerechnet. So
wurde bestimmt:
1. Gesamtstickstoff,
2. Sog. Monoaminosäurenstickstoft,
3. Albumosenstickstoff,
4. Purinbasenstickstoff.
Die Differenz zwischen dem Gesamtstickstoff und der
Summe von 2, 3 und 4 ergibt den Stickstoff der Diamino-
säuren, der Peptone und des Ammoniaks.
In folgenden Tabellen sind die Resultate meiner Versuche
enthalten.
Versuch I.
Dauer der Autolyse 72 Stunden. Portion C wurde 5 Minuten
lang vor dem Einstellen in den Brutschrank gekocht, um die
Fermente abzutöten. Nach Beendigung der Autolyse wurden
“alle Portionen 10 Minuten lang gekocht.
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 235
A c
mit Na, CO
le „ohne Fermente
des Qe-
auf 1 Kilo berechnet
samt-N
Gesamtstickstoff .
Monoaminosäuren 34,77
Albumosen
Purinbasen 1,30
Diaminosäuren u. Peptone
Die Resultate A, B und C sind Bar unter Vorbehalt mit-
einander vergleichbar, weil C im ganzen 15 Minuten gekocht
hatte, während A und B nur 10 Minuten gekocht hatten.
Versuch II.
Dauer der Autolyse 72 Stunden. Portion C wurde 5 Minuten
vor dem Einbringen in den Thermostaten gekocht. A und B
wurden nach der Autolyse 5 Minuten lang dem Sieden
unterworfen.
A B © D
. mit Na, CO,, |sofort koa-
ohne Na, CO, | mit Na, CO, ohne Fe guliert
o; O/o 0
art rer
Gesamtstickstoff . | 5,9763 8,770 3815| — 2,975
Monoaminosäuren . | 8,612 | 60,44 | 1,995 | 52,91
Albumosen . . .|0,560 | 9,37 | 0,588 | 15,59
Purinbasen . . . |0,924 | 15,36 | 0,651 | 17,27
Diaminosäuren und
Peptone . . . [0,880 | 14,83 | 0,536 | 14,23
Versuch LI.
Dauer der Autolyse 72 Stunden. Alle Portionen werden
im ganzen je 6 Minuten gekocht, C 2 Minuten vor, 4 nach
der Autolyse.
Tabelle 8. 236.
236 A. v. Drjeweski, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
A B C D
mit Na,CO, | mit Na,CO, | sofort koa-
ohie NACO; mit Fermenten | ohne Fermente | guliert
To 1 TTS 0 TON
g db g den de: g des e- g dee -
samt-N samt-N samt-N samt-N
Gesamtstickstoff . | 6,545 4,1125 8,570 8,15
Monosminosäuren . | 4,022 | 61,60 | 2,184 |53,16 | 1,722 | 48,28
Albumosen . . . [0,490 | 7,48 | 0,532 | 19,93 | 0,601 | 16,83 I 0,756| 24,00
Purinbasen . . . |0,826 | 12,62 | 0,490 | 11,91 | 0,049 | 1,87
Diaminosäuren und
Peptone . . . {1,197 | 18,3 |0,9065| 15,00 | 1,198 | 83,57
Untersuchungen mit einer 3°/,-igen Sodalösung.
Versuch IV.
Dauer der Autolyse 72 Stunden. Dauer des Siedens
wie oben.
A | B C D
ohne NaCO, | mit Na CO, | mit Na CO, | sofort koa-
mit Fermenten | mit Fermenten | ohne Fermente | guliert
Gesamtstickstoff .
Monoaminosäuren . 1,378| 59,06
Albumosen . i
Purinbasen . . . 0,238| 10,62
Diaminosäuren und
Peptone . . 1,4785| 39,99
Versuch V.
Dauer der Autolyse 72 Stunden. Dauer des Siedens je
5 Minuten.
A C D
ohne Na, CO, mit Na, CO,.| sofort koa-
mit Fermenten ohne Fermente| guliert
o — ra ö
den &e- g den Ga g des Öe-
samt-N samt-N samt-N
Gesamtstickstoff .
Monoaminosäuren . 58,92 | 1,680 | 42,29 1,302] 50,96
Albumosen . 8,12 | 0,896 | 22,55 23,56
Purinbasen . 14,70 | 0,476 | 11,98 j
Diaminosäuren und
Peptone
1,165 | 18,26 | 0,9205] 23,18
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
237
Versuche mit einer Alkaleszenz, welche die des Blutes
übersteigt.
Versuch VI.
Dauer der Autolyse 70 Stunden. Dauer des Siedens je
6 Minuten.
A B © D
ohne Na, CO, | mit Na, CO, | mit Na, CO, | sofort koa-
mit Fermenten mit Fermenten | ohne Fermente guliert
07, ro Tre ea
g des Ge- g des Qe- g |a be: g des Qe-
samt-N samt-N samt-N samt-N
Gesamtstickstoff . | 5,600 8,5875 8,2375 2,450
Monoaminosäuren . |3,339 | 59,62 | 1,596 | 44,48 | 1,470 | 45,40 | 1,281| 52,29
Albumosen . 0,378| 6,75 |0,910 | 25,36 | 0,812 | 28,08 | 0,504| 20,57
Purinbasen . 0,826 | 14,75 [0,035 | 0,92|0,028 | 0,87 0,014, 0,57
Diaminosäuren und
Peptone 1,071 | 18,88 | 1,0465) 29,24 | 0,9275| 28,65 | 0,651| 26,57
Wenn man also ein Medium von 0,5 NaCO; Alkaligehalt
anwendet, so ergibt sich eine vollständige Übereinstimmung in
dem prozentualen Verhältnis aller Zahlen in den Portionen
B und C, d.h. eine Autolyse findet bei diesem Gehalt an
NaCO; nicht mehr statt.
Zur deutlicheren Veranschaulichung meiner Ergebnisse hielt
ich es für angebracht, eine kombinierte Tabelle zusammenzu-
stellen; sie enthält die Zahlen des Gesamtstickstoffs in Gramm.
Gesamtstickstoff.
A Mit Na, CO, D
ohne NaCO, B c sofort koa-
mit Fermenten | ohne Fermente guliert
0,2%
Versuch I 4,2875
„u 3,815 2,975
3,570
0,3%
3,6975
3,5700
Versuch IV
y
Versuch VI
238 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
Diese Tabelle zeigt deutlich, daß die Eiweißkörper unter
dem Einfluß der Alkalien bedeutend langsamer gespalten werden.
Vergleicht man nun Kolumne B mit C, d.h. die Autolyse in
einem alkalischen Mittel mit der alleinigen Wirkung der Hydro-
lyse ohne Fermente, so scheint es, als ob die Fermente hierbei
gar keine Rolle spielen, weil die Zahlen, die die Menge des
Gesamtstickstoffes angeben, fast gleich sind, vielleicht, daß
die Fermentwirkung ein kleines Plus verursacht. Bei dieser
Aufstellung übergehe ich den Versuch I, wo eine beträchtliche
Differenz im entgegengesetzten Sinne vorliegt, die, wie ich schon
andeutete, wahrscheinlich darin ihre Begründung findet, daß
Portion C länger als die übrigen gekocht hatte. Solche Ergeb-
nisse koinzidieren vollständig mit den Angaben von Wiener
(a. a. O.), der darum auch die Tätigkeit der autolytischen Fer-
mente in einem alkalischen Medium, dessen Gehalt etwa dem
des Blutes entspricht, verneint. Dennoch muß man eine der-
artige Anschauung fallen lassen, wenn man sich nicht nur an
die Zahlen des Gesamtstickstoffes hält, sondern sein Augen-
merk auf die Art der Eiweißspaltung richtet, nämlich auf das
quantitative Verhältnis der verschiedenen stickstoffhaltigen
Körper zueinander bei Anwesenheit von Fermenten und bei
ihrer Abwesenheit.
Stickstoff der Monoaminosäuren-Fraktion in g.
Mit Na CO, D
sofort koa-
ohne Fermente guliert
A
ohne Na, CO, B
mit Fermenten
Versuch I
no II nicht bestimmt
„ HI 1,722
Versuch IV 1,323
n v 1,302
Versuch VI 1,281
A.v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 239
Gehalt an Purinbasen.
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.)
A Mit Na, CO, D
ohne NaCO, BB | œ | sofort koa-
mit Fermenten | ohne Fermente guliert
Versuch I
E 0 |
„ DI
Versuch IV 0,238
n Vv 0,035
Versuch VI 0,028 0,014
Wir bemerken beständig eine deutliche Steigerung der Mono-
aminosäurenmenge und eine außerordentliche, in die Augen
fallende Zunahme der Purinbasen in der Kolonne B, wenn wir
sie mit Spalte C vergleichen; d.h. es bilden sich mehr Amino-
säuren und Purinbasen bei der Eiweißspaltung, wenn die Fer-
mente wirksam sind, als bei der Wirkung des Alkalis allein.
Was anderseits die Albumosen und die Diaminosäuren +- Peptone
betrifft, so ist ihre Menge bei Fermentwirkung entsprechend
geringer als bei Ausschluß letzterer.
Gehalt an Albumosen.
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.)
a | mm |»
ohne NaCO, B c sofort koa-
mit Fermenten | ohne Fermente guliert
0,2 Ta 0,2 o
Versuch I 0,518 0,616 —- —
„ u 0,560 0,588 = z
„ DI 0,532 0,756
Versuch IV 0,378
n„ V 0,602
Versuch VI 0,504
240 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
Gehalt an Diaminosäuren und Peptonen.
(Die Zahlen geben Stickstoff in g an.)
Mit NaCO, D
sofort koa-
mit Fermenten | ohne Fermente guliert
A
ohne Na,C0, B
Versuch I
s II
„ II
Versuch IV 0,301
4 v 0,616
Versuch VI 1,071 1,0465 0,9275 0,651
Aus allen diesen Tabellen geht zweifellos hervor, daß die
Autolyse in einem alkalischen Mittel von der Konzentration
0,2—0,3 °/, stattfindet, und zwar in derselben Weise wie unter
gewöhnlichen Bedingungen, nur tritt die autolytische Wirkung
weniger stark hervor. Wenn nun die Alkaleszenz die Autolyse
verlangsamt, so ergibt sich daraus die Frage, wie weit man
die Konzentration treiben muß, um die Tätigkeit der Fermente
aufzuheben. Aus meinen Versuchen kann man ersehen, daß
die Grenze der Alkaleszenz nicht weit von dem Gehalte des
Blutes an basisch reagierenden Stoffen entfernt ist. Aus der
Tabelle, die zum Versuche VI gehört, ist ersichtlich, daß bei
einer Alkaleszenz von 0,5 °/o NaCO; die absoluten Werte sowohl
für den Gesamtstickstoff als auch für die übrigen stickstoffhaltigen
Körper nur überaus wenig voneinander abweichen. Was aber
den Gang der Spaltung betrifft, den man besser in dem pro-
zentualen Verhältnis zwischen den einzelnen Körpern zu dem
Gesamtstickstoff überblicken kann, so sind die Verhältnisse bei
Fermentwirkung sowie bei Ausschluß derselben fast die gleichen,
ihre Abweichungen liegen innerhalb der Fehlergrenze.
Bei meiner Arbeit begegnete ich einigen Tatsachen, die
mit den Literaturangaben in Widerspruch stehen. Das ver-
anlaßte mich, einige Kontrollversuche anzustellen, über die ich
kurz zu berichten nicht für unangebracht halte. Wie man aus
den beigefügten Tabellen ersehen kann, vermochte ich immer bei
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 241
der Autolyse eine verhältnismäßig beträchtliche Menge Albu-
mosen feststellen (0,378 —0,896 N entsprechen etwa 2,268 bis
5,376 Albumosen. Andere Autoren dagegen (Salkowski,
Jakobi, Biondi), die den autolytischen Prozeß in der Tier-
leber erforscht haben, fanden Albumosen entweder gar nicht
oder nur in Spuren. Vor allem taucht der Verdacht auf, ob
diese Erscheinung nicht ihre Ursache in einem Fehler der von
mir angewandten Methode hat, ob nämlich das Zinksulfat in ge-
sättigter Lösung auch noch andere stickstoffhaltige Körper
ausfällt, z. B. Purinbasen.
Die auf oben beschriebene Weise erhaltenen Albumosen
wurden in Wasser gelöst. Dabei blieb ein geringer Rück-
stand, der abfiltriert und in mäßig konzentrierter Natronlauge
gelöst wurde. Beide Lösungen, sowohl die der Albumosen als
auch des Niederschlages, gaben eine negative Reaktion auf
Purinbasen. Ich wiederholte die Probe, um festzustellen, ob in
dem durch ammoniakalisches Silbernitrat nicht niedergeschlagenen
Anteilen Purinbasen enthalten wären. Die Albumoselösung wurde
1/2 Stunde mit Salpetersäure gekocht und nach dem Erkalten
wiederum auf Anwesenheit von Purinbasen mittels ammoniaka-
lischem Silbernitrat geprüft. Die Probe fiel negativ aus. Man
mußte also noch die durch Zinksulfat ausgefällten Körper dar-
stellen, um ihre chemische Natur nach Möglichkeit zu ergründen.
1 kg Kalbsleber wurde mit 10 ] Chloroformwasser über-
gossen und 70 Stunden lang einer gewöhnlichen Autolyse über-
lassen, wobei die Reaktion schwach sauer wurde. Danach wurde
das Gemisch 3 Minuten gekocht, vom koagulierten Eiweiß und
den übrigen festen Anteilen abfiltriert und das Filtrat auf 11
eingedampft, welches man sodann mit 25 ccm verdünnter
Schwefelsäure ansäuerte.e Bei Zusatz von Zinksulfatpulver
erfolgte rasch ein Niederschlag (A). Da nun der Niederschlag
bei dem zunächst in geringer Menge angewandten Zinksulfat
nicht aus Albumosen bestehen konnte, wurde die Lösung zur
weiteren Untersuchung abfiltriert und nochmals gekocht. Das
Filtrat wurde mit Zinksulfat vollständig gesättigt, worauf ein
weiterer Niederschlag (B) erhalten wurde, der sorgfältig mit ge-
sättigter Zinksulfatlösung ausgewaschen wurde.
Der Niederschlag A wurde in Wasser unter Zusatz von
NaOH gelöst, filtriert, durch Salzsäure gefällt, zum besseren
Biochemische Zeitschrift Band I. 16
242 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
Absetzen mit Alkohol versetzt, abfiltriert, mit absolutem Alkohol
und Äther gewaschen und getrocknet. Der Niederschlag zeigte
Nukleoalbuminreaktion, d. h. es wurde die Anwesenheit von
Phosphor festgestellt, und durch den positiven Ausfall der
Xanthoproteinreaktion und Millonschen Reaktion war der
Eiweißcharakter des Niederschlages konstatiert worden. Die
Orzinreaktion war undeutlich.
Der sehr voluminöse Niederschlag B löste sich ganz in
Wasser unter Erwärmen auf. Diese Lösung wurde durch Ein-
dampfen konzentriert, mit 93°/, Alkohol versetzt, der erhaltene
Niederschlag abfiltriert, nochmals gelöst, dann wieder mit ab-
solutem Alkohol gefällt, abfiltriert, mit absolutem Alkohol und
Äther gewaschen und getrocknet. Der erhaltene sehr feine
Niederschlag gab alle Albumosenreaktionen:
1. er löste sich vollständig in Wasser;
2. beim Erhitzen blieb die mit Essigsäure angesäuerte
Lösung klar;
3. die Probe mit gesättigter Kochsalzlösung war positiv,
die entstandene Trübung verschwand beim Erwärmen
und trat beim Erkalten wieder auf;
4. Biuretreaktion positiv;
5. Xanthoproteinreaktion schwach positiv.
Demnach entstehen bei der gewöhnlichen Autolyse Albu-
mosen in ganz beträchtlichen Mengen, allerdings mit dem Vor-
behalt, daß bei der Abscheidung der Albumosen durch Zink-
sulfat auch Spuren von Nukleoalbumin auftreten, das durch
Kochen mit Essigsäure noch nicht koaguliert wurde. Ferner
möchte ich bemerken, daß in der Autolysenflüssigkeit die
Biuretreaktion direkt nicht ausführbar ist. Bedingt wird meiner
Meinung nach letztere Erscheinung durch die große Verdünnung
der Albumosenlösung, hauptsächlich aber durch die bernstein-
gelbe Farbe der Flüssigkeit, welche die Biuretreaktion verdeckt.
Es ist möglich, daß obige Erscheinung der Grund ist, weshalb
meine Beobachtungen mit denen anderer Autoren nicht über-
einstimmen.
Ferner fielen mir bei meiner Arbeit die hohen Werte für
den Stickstoff der Monoaminosäurenfraktion auf, die 61,31)
des Stickstoffes für sich beanspruchen. Um die von mir an-
gewandte Methode zur Bestimmung der Monoaminosäuren auf
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 243
ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, unternahm ich einige Kontroll-
versuche.
Albumosen, Peptone und Ammon werden von Phosphor-
wolframsäure vollständig ausgefällt.e Weiterhin geht aus
meinen Versuchen hervor, daß, der allgemeinen Annahme
entsprechend, auch die Purinbasen durch Phosphorwolfram-
säure gefällt werden, so daß man sie im Filtrat weder
in latenter noch in manifester Form neben den Monoamino-
säuren antreffen kann. Schließlich konnte man annehmen,
daß ein derartig reichliches Vorkommen der Monoaminosäuren
von Prozessen abhängig ist, die in der Kalbsleber von dem
Augenblick des Todes bis zum Beginn der Autolyse stattfinden.
Um diese Frage zu entscheiden, unterzog ich eine Hundeleber
unmittelbar nach dem Tode des Tieres der Analyse. Der Hund
wurde im Laboratorium getötet, die Leber sofort entnommen,
sofort mit Wasser extrahiert, auskoaguliert etc.; es wurden
folgende auf 1 kg umgerechnete Zahlen festgestellt:
Gesamtstickstoff . . . . 3,08
Monoaminosäuren . . . 1,806 = 58,64 o
Albumosen . . . . . . 0,686 = 22,27 „
Purinbasen . . . . ...0105 = 3,41 „
Diaminosäuren und Peptone 0,483 = 15,68 „
Diese Resultate widersprechen den Versuchen an käuflicher
Leber durchaus nicht (vergl. die Zahlen in den Versuchen
V, VID).
Die Größe der Monoaminosäurenfraktion widerspricht allen
unseren bisherigen Vorstellungen über das Vorkommen von
Monoaminosäuren in den normalen Organen. Es ist nun von
vornherein einleuchtend, daß der Ausdruck „Stickstoff der
Monoaminosäuren“ in diesem Falle nur einen Sammelbegriff
darstellt, unter den alles fällt, was an löslichen stickstoffhaltigen
Substanzen in der Leber vorhanden und nicht durch Phosphor-
wolframsäure fällbar ist. Dahin gehört von bekannten Körpern
u. a. der Harnstoff, das Taurin, das man in der Regel nicht
im Sinne hat, wenn man von Monoaminosäuren spricht, ferner
die stickstoffhaltigen Gallensäuren, die mindestens nicht voll-
ständig durch Phosphorwolframsäure fällbar sind. Dazu mögen
noch manche andere unbekannte Körper kommen. Ja! es ist
noch gar nicht einmal bestimmt erwiesen, ob sich in dieser
16*
244 A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
„Monoaminosäurenfraktion“ überhaupt Monoaminosäuren be-
finden. Diese Frage läßt sich mit Hilfe der neuen Naphthylcyanat-
Methode von Neuberg und Manasse!) leicht entscheiden.
170 g Leber eines eben getöteten Hundes wurden mit 1,7 1
Wasser ausgekocht, filtriert und auf ca. 75 ccm eingeengt, von
dem dabei Ausgefallenen abfiltriert. Das Filtrat wurde mit
Phosphorwolframsäure total ausgefällt, der entstandene Nieder-
schlag am nächsten Tage abfiltriert, aus dem Filtrat der Über-
schuß von Phosphorwolframsäure mit Barytwasser und dessen
Überschuß mit verdünnter Schwefelsäure entfernt. Es resultierte
eine wasserklare Flüssigkeit, die keine sichere Schwefelbleiprobe
und negative Millonsche und Biuret-Reaktion ergab, aber
Kupferoxyd mit tiefblauer Farbe löste.
Nach Konzentration auf ca. 20 ccm wurde mit verdünnter
Natronlauge zunächst neutralisiert und dann wurden 25,0 ccm
n-NaOH zugesetzt und mit «-Naphthyl-iso-cyanat behandelt, von
dem 4 g angewendet wurden.
Nach 1'/sstündigem Stehen wurde filtriert und das Filtrat
mit verdünnter Salzsäure angesäuert. Sofort fiel ein dichter
weißer Niederschlag aus, der sich beim Stehen an der Luft
schwach violettstichig färbte. Am nächsten Tage wurde dieser
aus den a-Naphthylcyanaten der Monoaminosäuren bestehende
Niederschlag auf einer kleinen Nutsche abgesaugt, mit kaltem
Wasser, dann mit 10°/, Alkohol enthaltendem Äther und
schließlich reichlich mit reinem Äther gewaschen. Dabei nahm
die Fällung eine fast rein weiße Färbung an. Nach Trocknung
im Vakuum wog sie 1,84 g.
Durch Lösung in heißem Ammoniak unter Zusatz einer
Spur Alkohol, Filtration von einer minimalen Trübung und
Zugabe von Ba-Acetatlösung wurde auf Glykokoll geprüft. Von
dem schwer löslichen Ba-Salz des a-Naphthylcyanatglykokolls
Ba (COO — CH3 = NH = CO =. NHC,o Hz):
schied sich eine kleine Menge aus = 0,0134 g. Damit ist der
Nachweis des Glykokolls geliefert.
Das Filtrat wurde abermals mit verdünnter Salzsäure aus-
gefällt, abgesaugt, mit Wasser, Alkohol-Äther und reinem Äther
getrocknet. Es hinterbleiben dann die «-Naphthylhydantoin-
1) Ber. d. deutschen chem. Ges. 88, 2359. 1905.
A. v. Drjewezki, Beeinflussung der Autolyse durch Alkali. 245
säuren als rein weißes Pulver, in dem das Gemisch der Mono-
aminosäuren außer dem Glykokoll und dem Tyrosin vorhanden
sin muß. Der Schmelzpunkt lag nicht ganz scharf bei
157—162,5°; die Menge betrug 1,08 g.
Eine Bestimmung des Stickstoffs nach Dumas ergab einen
N-Gehalt = 9,11 °/o.
Die Zahl stimmt angenähert aus a-Naphthylisocyanatleucin,
das 9,33 °/o N enthält. Auch der Schmelzpunkt liegt dem der
Leucinverbindung nahe; für diesen geben Neuberg und
Manasse 163,5° an. Demnach kann man annehmen, daß von
den wirklichen Aminosäuren der „Monoaminosäuren -stickstoff-
fraktion“ der Hauptanteil auf „Leucin“ entfällt.
Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich noch
einmal bemerken, daß die Autolyse, wie aus meinen Versuchen
hervorgeht, auch in alkalischer Lösung, deren Gehalt dem des
Blutes entspricht, vor sich geht, nur daß der Prozeß viel lang-
samer verläuft als in saurer Lösung, indem er aber trotzdem seinen
ihm eigentümlichen Charakter bewahrt. Meine Resultate stehen
offenbar mit den theoretischen Erwägungen in Einklang. Und
in der Tat will es nicht recht einleuchten, warum ein vor-
handenes Ferment während des ganzen Lebens der Gewebe und
Organe zur Untätigkeit verurteilt sein soll, um erst nach dem
Tode in Wirksamkeit zu treten. Es ist darum auch erklärlich.
daß die Erscheinung dem Zwecke entsprechend langsam vor
sich geht. Solange irgend ein Organ, irgend ein Gewebe noch
lebt, solange die lebende Zelle von alkalisch reagierenden Säften,
Blut und Lymphe, von ihnen Nahrung empfangend, umspült
wird, solange werden auch die Fermente nur schwach wirken,
in dem Maße, als die Zelle danach verlangt, unlösliche Eiweiß-
körper in Lösung zu bringen, um sie beim Stoffwechsel als
Abfallstoffe zu entfernen. So dient also die in den lebenden
Geweben, also in alkalisch reagierenden Medien, stetig, aber
langsam stattfindende Autolyse dazu, den Organismus von ab-
gestorbenen Stoffen zu befreien, die ihm schädlich, zum
mindesten aber nur unnötig sein können.
Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, Herrn Prof. E. Sal-
kowski für seine freundliche Unterstützung bei Ausführung der
Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Über den Gehalt des Eidotters an Lecithin.
Von
Dr. Armand Manasse,
Volontärassistent der Abteilung.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 30. Juni 1906.)
Angesichts der großen Bedeutung, welche in neuerer Zeit
von verschiedenen Seiten dem Lecithin für die Ernährung zu-
geschrieben wird — ob mit Recht oder Unrecht mag hier un-
erörtert bleiben — ist es gewiß eine höchst auffallende Tat-
sache, daß quantitative Bestimmungen des Lecithins im Eidotter,
von einer älteren Angabe abgesehen, nicht vorliegen. Auf Ver-
anlassung von Herrn Prof. E. Salkowski, der mich auf diesen
Tatbestand aufmerksam machte, habe ich diese Lücke durch
einige Bestimmungen auszufüllen gesucht.
In den Lehrbüchern findet sich meines Wissens eine An-
gabe über den Lecithingehalt des Eidotters nicht, dagegen ist
eine solche in den „Vereinbarungen über einheitliche Unter-
suchung und Beurteilung von Nahrungs- und Genußmitteln usw.,
Berlin, Verlag von J. Springer 1897“, enthalten. In dem be-
treffenden, über Eier handelnden, von A. Kossel und Weigmann
bearbeiteten Abschnitt in Heft I, S. 52 heißt es: „Der Dotter
der unbebrüteten Hühnereier enthält nach Parke etwa 52,8 °/
feste Stoffe, darin 15,6 °/, Eiweiß, 10,7 °/, Lecithin, 22,8 °/o Fett,
1,7°/, Cholesterin, 0,35 °/, lösliche Salze und 0,61 °/, unlös-
liche Salze“.
Die Arbeit von Parke, auf welche sich diese Angaben
stützen, ist in den von Hoppe-Seyler herausgegebenen
A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 247
„Medizinisch-chemischen Untersuchungen, Berlin 1866, Verlag von
A. Hirschwald“ unter dem Titel „Über die chemische Kon-
stitution des Eidotters“ (S. 209) erschienen. Von Lecithin ist
in dieser Arbeit allerdings nicht die Rede; das konnte auch
nicht sein, denn das Lecithin war damals noch nicht bekannt.
Parke bezog deshalb den Phosphorgehalt auf das von Liebreich
im Gehirn entdeckte Protagon, dessen Quantität im frischen Ei-
dotter er zu 27,45 °/, berechnet. Diesen „Protagongehalt“ haben
die genannten Autoren auf Lecithin umgerechnet. Die Angabe
von Parke stützt sich auf eine einzige Untersuchung von drei
gemischten Eidottern!!) Das ist alles, was in der Literatur über
diesen so wichtigen Gegenstand vorliegt.
Das Lecithin läßt sich bekanntlich nicht quantitativ von
den Fetten trennen und als solches wägen, wir sind vielmehr
darauf angewiesen, das Lecithin mit Alkohol resp. Äther-Alkohol
zu extrahieren, den Phosphorgehalt dieses Auszuges, der zuver-
lässig von Phosphaten frei sein muß, nach dem Schmelzen mit
Salpetermischung zu bestimmen. Aus dem Phosphorgehalt wird
dann mit Zugrundelegung eines vereinbarten Faktors die Quan-
tität des Lecithins berechnet. Ich lasse nunmehr meine Ver-
suche folgen.
> Versuch I.
14,38 g vom Eiweiß getrennten Eidotters wurden wieder-
holt mit warmem Alkohol absolut. (ca. 80—100 °) extrahiert,
bis der alkoholische Auszug farblos war. Von diesem letzten
Auszuge wurden 50 ccm mit 100 ccm Äther versetzt einen Tag
lang stehen gelassen, darauf von dem entstandenen, übrigens
minimalen Niederschlag abfiltriert, das Filtrat verdampft und
der beim Verdampfen bleibende Rückstand qualitativ auf Phos-
phor untersucht. Das Resultat war ein negatives, ein Beweis
dafür, daß das Eigelb durch die vorangegangene Ex-
traktion mit Alkohol vollkommen erschöpft war.
Es fragt sich nun, ob in die Alkoholauszüge Phosphate über-
gehen. Zur Prüfung wurden ca. 50 ccm des im ganzen 310 cem be-
tragenden alkoholischen Auszuges verdunstet, mit 10 ccm Alkohol
wieder aufgenommen, mit 20 ccm Äther versetzt und stehen
N Es ist außerdem noch Eidotter am 10. und 17. Tage der Bebrütung
untersucht, doch kommt dieses hier nicht in Betracht.
248 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters.
gelassen. Das vom entstandenen Niederschlag Abfiltrierte wurde
zur quantitativen Phosphorbestimmung verwandt. Die Unter-
suchung des Niederschlages ergab übrigens, daß er keine Phos-
phate enthielt. Es ergibt sich also, daß wenn man sehr erheb-
liche Quantitäten Alkohol absolut. für kleine Mengen Eidotter
nimmt, Phosphate nicht nachweisbar in Lösung gehen. Natür-
lich müssen die Lösungen ganz klar filtriert sein. Sehr häufig
wurde übrigens trotzdem noch der zur quantitativen Bestimmung
genommene Anteil des Alkoholauszuges mit dem doppelten
Volumen Äther versetzt, um etwaige Phosphate auszufällen.
Dabei entstanden mitunter ganz minimale Niederschläge, die
jedoch frei von Phosphorsäure und organischem Phosphor waren.
Von dem gesamten, wie oben gesagt 310 ccm betragenden,.
alkoholischen Auszuge wurden zur Analyse je 25 ccm verwandt.
Der Alkohol wurde abgedampft, der Rückstand mit Soda
und Salpeter geschmolzen und dann mit Ammoniummolybdat
und Magnesiamischung in der üblichen Weise die Phosphor-
bestimmung vorgenommen.
Es wurden gefunden a) 0,0146 g Mg:P:0:
b) 0,0133 g š
im Durchschnitt 0,014 g x
Wenn man, wie das hier und in den folgenden Unter-
suchungen geschehen ist, im Lecithin 3,94°/, P annimmt, so
ergibt das einen Lecithingehalt von 8,896 °/..
Versuch LI.
Bei einem zweiten Versuche wurde ein Eigelb im Gewicht
von 15,63 g diesmal mit Äther wiederholt im Schütteltrichter
extrahiert und nach dem Schütteln 12 Stunden stehen gelassen.
Als der ätherische Auszug farblos war, ergab eine Prüfung
desselben, daß er keinen Phosphor mehr enthielt. |
Von 360 ccm Ätherauszug wurden zur Analyse je 25 ccm
verwandt.
Es wurden gefunden a) 0,0098 g MgPs0:
b) 0,0098 g j
im Durchschnitt 0,0098 g 3
— 6,184 °/, Lecithin.
A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 249
Versuch LI.
Bei Versuch II wurden 17,50 g Eigelb wieder wie bei I
mit Alkohol absol. in der Wärme extrahiert und der Auszug
in der dort angegebenen Weise behandelt.
Von dem 400 ccm betragenden alkoholischen Auszug wurden
wieder je 25 ccm zur Analyse verwandt.
Es wurden gefunden a) 0,0139 g Mg:P:0;
b) 0,0144 g s
im Durchschnitt 0,0141 g = i
was 9,10 °/, Lecithin entspricht.
Während Versuch I und III mit einem Lecithingehalt von
8,896 und 9,10°/, ziemlich gut übereinstimmen, wurde bei dem
mit Äther extrahierten Eigelb in Versuch II mit 6,18°/, ein
bedeutend geringerer Lecithingehalt konstatiert.
Um festzustellen, ob diese Abweichung eine zufällige, durch
die Verschiedenheit der Eier bedingte sei, oder auf den Unter-
schied in der Extraktionsflüssigkeit zurückgeführt werden müsse,
wurde bei einem
Versuch IV
ein Eigelb in zwei Teile zerlegt und der eine mit Alkohol, der
andere mit Äther extrahiert.
Mit Äther behandelt wurden: 5,84 g Eidotter. Von dem
300 ccm betragenden Auszug wurden 50 g zur Phosphor-
Bestimmung angewandt.
Gefunden: 0,0098 g MgsPsO:, entsprechend 7,114 °/, Lecithin.
Mit Alkohol extrahiert wurden 7,9552 g. Von 250 ccm
Alkohol-Extrakt wurden zur Analyse 25 ccm genommen.
Gefunden: 0,0110 g Mg:P:0:, entsprechend 9,769 °/, Lecithin.
Auch in diesem Falle erhält man bei der Ätherextraktion
eine geringere Menge Lecithin wie bei der mit Alkohol.
Versuch V.
Zum Vergleiche wurden mehrere Teile ein und desselben
Eidotters mit Alkohol extrahiert, um zu untersuchen, wie die
Bestimmungen untereinander übereinstimmen würden.
Der eine Teil des Eigelb, 5,1000 g, wurde mit 230 ccm
Alkohol extrahiert. Davon zur Bestimmung 50 ccm.
Gefunden: 0,0154 g Mg:P:0:, entsprechend 9,814 °/, Lecithin.
250 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters.
Der andere Teil, 4,4176 g Eidotter, wurde mit 225 ccm
Alkohol extrahiert.
Hiervon wurden zur Untersuchung ebenfalls 50 ccm
verwandt.
Gefunden: 0,0134 g Mg:P20;, entsprechend 9,644 °/, Lecithin.
Die Übereinstimmung ist demnach eine zufriedenstellende.
Der Unterschied in den Resultaten der Untersuchungen ist
also mit ziemlicher Sicherheit darauf zurückzuführen, daß mit
Äther nur eine teilweise Extraktion des im Eigelb enthaltenen
Lecithins gelingt. Vermutlich handelt es sich dabei um das
im Dotter frei vorhandene Lecithin, während das an Vitellin
gebundene nur bei der Behandlung mit Alkohol in Lösung geht.
Versuch VI.
Im nächsten Versuche wurde nun, um dies zu konstatieren,
ein Teil eines Eidotters mit Alkohol, ein anderer mit Äther
extrahiert.
Der von der Behandlung mit Äther restierende Rückstand
wurde noch mit Alkohol behandelt, um das in Äther nicht,
wohl aber in Alkohol lösliche, vermutlich in gebundener Form
vorhandene Lecithin in Lösung zu bringen.
Es wurde außerdem eine N-Bestimmung nach Kjeldahl
und eine Bestimmung des Wassergehalts in dem zu analysieren-
den Eidotter vorgenommen.
Die Teilung des Eigelbs surde in der Weise ausgeführt,
daß das gesamte Dotter in ein Wägeglas gegeben, für jede Be-
stimmung eine Portion desselben herausgegossen, und die Differenz
gewogen wurde.
Das Gewicht des ganzen Eigelbs betrug 18,0986 g.
a) Die HO -Bestimmung ergab einen Wassergehalt
von 55,1 o.
b) Die N-Bestimmung ergab 2,1 °/o N (bezogen auf feuchtes
Eigelb).
c) Extrahiert wurden 2,8854 g Eidotter mit 125 ccm
Alkohol. Davon dienten 50 ccm zur Bestimmung.
Gef. 0,0150 g MgsP»0;, entsprechend 9,183 °/, Lecithin.
d) Extrahiert wurden 5,0270 g Eigelb mit 300 ccm
Äther. Davon wurden zur Analyse 50 ccm verwendet.
Gef. 0,0088 g Mg:P:07, entsprechend 7,43 °/, Lecithin.
A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters. 251
e) Der Rückstand der 5,0270 g ausgeätherten Eigelbs
wurde mit Alkohol extrahiert.
Der gesamte Alkoholauszug wurde zur Bestimmung ver-
wandt und enthielt
0,0167 g Mg:P:0-, entsprechend 2,347 °/, Lecithin.
Die im Ätherauszug und Alkoholauszug zusammen ge-
fundene Menge Lecithin (9,77 °/,) überschreitet die bei c
gefundene merkwürdigerweise etwas.
Versuch VII.
Bei einem weiteren Versuche wurde in der Weise verfahren,
daß zwei Portionen desselben Eidotters zunächst mit Äther,
darauf der Rückstand der Ätherextraktionen mit Alkohol aus-
gezogen wurden. Auch hier wurde eine Stickstoff- und Wasser-
bestimmung vorgenommen. Gewicht des Gesamteigelbs 15,0056g.
a) N-Bestimmung: 2,344 °/o.
b) H3O-Bestimmung: 58,37 o.
c) 4,1876 g Eigelb mit 300 ccm Äther
extrahiert; davon zur Bestimmung
100 ccm.
Gef. 0,0162 g MgeP;0;, entsprechend 8,473 °/, Lecithin.
d) Der Rückstand hiervon mit 130 ccm
Alkohol extrahiert; davon 50 ccm zur
Analyse.
Gef. 0,0034 g MgsPs0-, entsprechend 1,4915 °/, Lecithin.
In Summa 9,9645 °/, Lecithin.
e) 3,7938 g Eigelb mit 300 ccm Äther
extrahiert; davon 100 ccm zur
Analyse.
Gef. 0,0153 g Mg:P:07, entsprechend 8,548 °/, Lecithin.
f) Der Rückstand davon mit 100 ccm
Alkohol extrahiert; davon zur Be-
stimmung 50 ccm.
Gef. 0,0036 g MgePs0;, entsprechend 1,3405 °/, Lecithin.
In Summa 9,8885 °/, Lecithin.
Die gute Übereinstimmung der einzelnen Versuche unter-
einander scheint die Annahme zu bestätigen, daß das bei der
Extraktion mit Äther nicht in Lösung Gegangene an Vitellin
gebundenes Lecithin sei.
252 A. Manasse, Lecithingehalt des Eidotters.
Eine Reihe von Bestimmungen, die vorgenommen wurden,
um zu konstatieren, in welchen Mengen Lecithin an Vitellin
gebunden vorkommt, sollen demnächst zum Abschluß gelangen.
Hier sollen nur noch zwei Bestimmungen angeführt werden,
bei denen etwas größere Mengen Eigelb in der anfangs an-
gegebenen Weise mit Alkohol extrahiert und in dem Auszug
P-Ermittelungen vorgenommen wurden.
Versuch VIII.
Bei der einen Bestimmung wurden von einem Eigelb
16,646 g mit 500 ccm Alkohol extrahiert, davon zur Analyse
250 ccm verbraucht. Es wurden gefunden: 0,1043 g Mg:P:0;,
entsprechend 8,856 °/, Lecithin. Die Stickstoff- Analyse hatte
2,6 °/o N, die HsO-Bestimmung einen Wassergehalt von 53,5 °/o
ergeben.
Versuch IX.
Bei der anderen Bestimmung wurden 11,4388 g Eigelb mit
350 ccm Alkohol extrahiert und davon 150 ccm verwandt.
Gefunden: 0,0688 g Mg:P:0; = 9,916 o/o Lecithin.
Die N-Bestimmung ergab: 2,50 °/, Stickstoff, die HzO-Be-
stimmung: 53,49 °/, Wasser.
Vergleicht man die Mengen Lecithin, die bei der Be-
handlung des Eigelbs mit Alkohol erhalten worden sind:
I. 8,896 °/o, VI 9,18%,
II. 9,10%, VII. 9,96 %/% und 9,888 /o,
IV. 9,76 %,, VIII. 8,856 %o,
V. 9,81%, und 9,64 %,, IX. 9,916 o,
so kann man sagen, daß die gefundenen Unterschiede nicht
größer sind, als bei der individuellen Verschiedenheit einzelner
Eier zu erwarten steht. Ä
Der Durchschnittswert, der aus diesen Untersuchungen ge-
wonnen wird, würde einen Gehalt von 9,41 °/, Lecithin im
feuchten Hühnereigelb ergeben, wovon sich der in den Verein-
barungen angegebene Wert von 10,7 o nicht allzuweit entfernt.
Über einen neuen Apparat zur Extraktion wässeriger
Flüssigkeiten mittels Äther, Ligroin usw. sowie anderer
Lösungen mittels nicht damit mischbarer, spezifisch
leichterer Solventien.
Von
C. Zelmanowitz.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 30. Juni 1906.)
Im Laboratorium macht sich oftmals der Übelstand be-
merkbar, daß zur Erschöpfung größerer Mengen wässeriger
Flüssigkeiten kein geeigneter Extraktionsapparat vorhanden ist.
Der Grund hierfür liegt wohl darin, daß die in den wissen-
schaftlichen Laboratorien gebräuchlichen Extraktionsapparate
zumeist nur auf kleine Flüssigkeitsmengen berechnet sind.
Die für größere Quanten in Betracht kommenden Apparate
sind meist sehr unvollkommen und obendrein recht teuer.
Aus diesem Grunde nun habe ich einen neuen Apparat kon-
struiert, der gegenüber anderen Extraktionsapparaten die Vorteile
besitzt, daß er nicht nur unabhängig von den Konzentrations-
verhältnissen der Flüssigkeiten schnell und gründlich extrahiert,
sondern auch für jede beliebige Flüssigkeitsmenge angefertigt
werden kann. Die Herstellung der zur Aufnahme der extra-
hierenden Flüssigkeit bestimmten Flasche in allen Größen ver-
ursacht keine nennenswerten Schwierigkeiten, und die ganze
Vorrichtung stellt sich im Vergleich mit anderen Extraktions-
apparaten bedeutend billiger.
254 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat.
Der Ätherextraktionsapparat besteht, wie ihn die Zeichnung
wiedergibt, aus einer mit mehreren Tuben versehenen Glas-
flasche @, welche zur Aufnahme der zu extrahierenden Flüssig-
keit bestimmt ist; sie wird mittels eines eisernen Ringes H,
der an einem Stativ befestigt ist, gehalten. Die auf den oberen
Teil der Flasche angebrachten 4 Tuben dienen zur Aufnahme
von 4 Glasröhren, durch welche der kondensierte Äther aus
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dem 4-teiligen Aufsatzstück (‚Verteiler‘) V in die wässerige
Flüssigkeit F geleitet wird. Das Aufsatzstück trägt an einer
Seite ein im rechten Winkel gebogenes Rohr a; es ist einerseits
zur Aufnahme des aus dem Ätherdampfleitungsrohr ae steigenden
Ätherdampfes und Weiterführung desselben bis in den Kühler K
bestimmt, andrerseits wie bereits bemerkt, zur Ableitung des
kondensierten Äthers in die 4 Röhren und durch sie in die
zu extrahierende Flüssigkeit F. In etwa ?/; der Höhe ist an der
Flasche @ ein weiterer Tubus T angebracht, durch welchen ein
C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 255
Glasrohr £ bis in den zur Erzeugung des Ätherdampfes und
Aufnahme der schon extrahierten Substanz bestimmten Kolben D
hineinragt. Durch dieses Rohr fließt der mit der Flüssigkeit
bereits in Berührung gekommene extrakthaltige Äther in den
Kolben D ab. Am Boden der Flasche sitzt noch ein Tubus E,
durch dessen mit Quetsch- oder Glashahn versehenen Stopfen
die bereits mit Äther erschöpfte Lösung abgelassen werden kann.
Dieser Tubus Æ bietet besondere Vorteile, einerseits beim
Reinigen des Gefäßes, andrerseits bei Bildung einer starken
Emulsion. Für den ersten Zweck ist man nicht darauf an-
gewiesen, den ganzen Apparat auseinander zu nehmen, sondern
verfährt folgendermaßen. Nach dem Ablassen der ausgeätherten
Flüssigkeit schließe man bei Æ, entferne den in der kleinen
Öffnung L am oberen Teil des tubulierten Gefäßes befindlichen
Korken und gieße durch diese Öffnung mittels eines kleinen
Trichters Wasser hinein. Dasselbe fließt aus dem seitlichen
Rohr wieder ab. Auf diese Weise wird die Flasche für eine
neue Extraktion gebrauchsfähig gemacht. Man kann auch
einen an die Wasserleitung angeschlossenen kleinen Schlauch
in die Öffnung einführen und so die Flasche reinigen. Der
andere Vorteil, der durch den am Boden des Gefäßes an-
gebrachten Tubus geboten wird, ist folgender: Es ist eine
nur zu bekannte Tatsache, daß stark eingeengte Flüssigkeiten,
z. B. besonders Harn usw., sehr zur Bildung von Emulsionen
neigen. In diesem Falle ist es zweckmäßig, in folgender
Weise zu verfahren. Man lasse die zu extrahierende wässerige
Flüssigkeit F bis zu der unteren Emulsionsschicht durch
den Tubus ablaufen. Dann stelle man den im Gefäß G
angebrachten Schlangen- oder Wittschen Rührer & so ein,
daß eine Windung resp. die Löcher desselben knapp die obere
Fläche der Emulsionsschicht berühren und lasse ihn nun
ziemlich stark arbeiten. Nach kurzer Zeit schon wird man
beobachten können, daß die Emulsion mehr und mehr ver-
schwindet. Nun gieße man durch L mit dem kleinen Trichter
die kurz vorher abgelassene Flüssigkeit wieder in die Flasche
zurück und fahre mit der Extraktion fort. Sollte nach ein-
maligem Ablassen der wässerigen Flüssigkeit und Auffüllen
derselben nach kurzer Zeit die Emulsion sich wieder zeigen,
so verfahre man in derselben Weise noch einmal, achte aber
256 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat.
bei Einstellen des Rührers darauf, daß dieser zuerst nicht die
unteren Schichten der Flüssigkeit, sondern mehr die oberen
berührt. Auf keinen Fall ist es notwendig, neuen Äther zu
verwenden.
Der schon erwähnte Rührer R, der von der Wasser-
turbine W angetrieben wird, dient noch einem weiteren Zwecke,
einer Beschleunigung der Extraktion. Mittels dieser Rühr-
vorrichtung wird nämlich die wässerige Flüssigkeit in stän-
diger Bewegung gehalten, wodurch der durch die 4 Röhren
gedrückte Äther immer wieder mit neuen Flüssigkeitsteilchen
in Berührung gebracht wird. Auf diese Weise geht im Gegen-
satz zu anderen Apparaten, bei denen die zu extrahierende
Flüssigkeit ruhig lagert, die Erschöpfung gründlicher und
schneller vonstatten. Aber noch ein anderer Faktor bedingt
die gründliche und schnelle Extraktion. Die Ätherteilchen,
welche durch die 4 Glasröhren in die Flüssigkeit geleitet
werden, steigen nicht wie bei anderen Apparaten gleich wieder
in die Höhe, sondern werden infolge der drehenden Bewegung
der wässerigen Flüssigkeit zu äußerst feinen Teilchen zerstäubt,
die dann mehrmals die Bewegungen der Flüssigkeit mit-
machen, ehe sie sich mit dem überstehenden Äther $ mischen.
Dieser Äther fließt dann (über T durch £) stark gesättigt in
das zur Aufnahme bezw. Entwicklung der Ätherdämpfe dienende
Kölbchen D. Zur Erzeugung des Ätherdampfes kann man
zweckmäßig einen elektrischen Heizkörper (B) verwenden, der
eine Feuersgefahr durch eventuelles Entweichen von Äther-
dämpfen vollständig ausschließt. Da im ganzen Gefäß @ kein
Druck und kein dampfförmiger Äther vorhanden ist, be-
sonders da die Ätherschicht $ völlig kalt ist, hält die Dichtung
durch den eingesetzten Rührer R so vollkommen, daß keine
nachweisbaren Mengen Äther entweichen. Deshalb kann unbe-
denklich auch jede andere Heizquelle (Dampf- oder Wasserbad)
verwendet werden.
Das zum Antrieb der Turbine verwendete Wasser läßt man
(s. Abbildung) der Ersparnis halber gleich durch den Kühler
gehen !). Der Gang der Extraktion sowie die Handhabung des
1) Später hat es sich bewährt, die umgekehrte Anordnung zu wählen,
d. h. das Wasser erst durch den Kühler und von dort durch die Turbine
laufen zu lassen.
C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat. 257
Apparates ist äußerst einfach. Zuerst gießt man in das Gefäß G
durch die kleine Öffnung L die zu extrahierende Flüssigkeit F
und schichtet über sie Äther (S) bis nicht ganz zur Höhe von F;
dann wird L durch einen Kork geschlossen. Nun wird das
Kölbchen D, das mit der großen Flasche F durch £ in
Verbindung steht, erhitzt, die dadurch erzeugten Ätherdämpfe
steigen in das Ätherdampfleitungsrohr Ae hinauf in den
Kühler X, werden hier kondensiert und fallen in flüssiger
Form in den Verteiler V. Von hier aus wird der Äther durch
die 4 Röhren, die am unteren Ende zu einer kleinen mit
mehreren Löchern versehenen Kugel auslaufen, in die wässerige
Flüssigkeit F geleitet, nimmt hier die zu extrahierende Substanz
auf und mischt sich mit der über der Flüssigkeit stehenden
Ätherschicht S, welche durch den fortwährend nachströmenden
Äther vermehrt wird und den seitlichen Tubus 7 als Überlauf
benutzend durch ¢ ins Kölbchen D fließen muß. Auf diese
Weise arbeitet die Vorrichtung völlig selbsttätig. Wie aus den
nachstehenden Daten ersichtlich ist, sind die mit dem Apparat
erzielten Daten sowohl hinsichtlich der Ausbeute wie der Zeit
recht zufriedenstellend.
a) Es wurden aus 100 ccm einer 6°/„igen Hippursäure-
lösung — sie war in der Kälte so konzentriert, daß Substanz
ausfiel — in 3 Stunden 2,3 g, in weiteren 3 Stunden 1,95 g
und in den folgenden 4 Stunden 1,72 g Substanz extrahiert.
Die Extraktion dauerte 10 Stunden. Angewandt wurden 6 g,
wiedergewonnen 5,97 g.
b) Ein weiterer Versuch, in dem 10,0 g Oxalsäure in
1 1 destillierten Wassers gelöst wurden, ergab folgende Werte.
Nach 10stündiger Extraktion 5,54 g, nach weiteren 10 Stunden
3,4 g. Die Extraktion wurde zufällig nicht zu Ende geführt.
c) 0,5 g Hippursäure wurden in 250 ccm Harn gelöst,
mit etwas verdünnter Schwefelsäure angesäuert und ca. 6 Stunden
extrahiert. Die Ausbeute war eine absolut quantitative.
d) Um nun feststellen zu können, ob der Apparat auch eine
vollständige Ausbeute bei sehr verdünnten Lösungen ergibt,
wurde eine Lösung von 0,5 g Hippursäure in ca. 1,2 1
destillierten Wassers extrahiert. Nach einer ca. 8stündigen
Erschöpfung konnte auch hier das volle Gewicht der hinein-
getanen Substanz zurückerhalten werden.
Biochemische Zeitschrift Band I. 17
258 C. Zelmanowitz, Ein neuer Ätherextraktionsapparat.
So wurden noch verschiedene weitere Versuche angestellt,
die ein ähnliches günstiges Resultat aufwiesen.
Es braucht kaum besonders betont zu werden, daß dieser
neue Extraktionsapparat!) in jeder beliebigen Größe konstruiert
werden kann. Vorläufig bringt die Firma Albert Dettloff,
Berlin NW. 6, Luisenstr. 59, auf meine Veranlassung 3 ver-
schiedene Größen in den Handel, von je 250, 500 ccm u. 1 Ltr.
Kapazität des tubulierten Gefäßes G.
Da Glasschliffe durchgehends grundsätzlich vermieden sind,
ist der Ersatz ev. beschädigter Teile sehr billig und der Preis
der Apparate niedrig, insofern, als Turbine, Stativ und Heiz-
vorrichtung vielfach in den Laboratorien vorhanden sind.
Der Wert des Apparates liegt auch darin, daß er nicht
allein zur Extraktion wässeriger Flüssigkeiten mittels Äther
dienen kann, sondern ganz allgemein zur Erschöpfung beliebiger
Lösungen mittels einer nicht damit mischbaren spezifisch
leichteren Flüssigkeit brauchbar ist.
1) D. R.P. a.
Eine Methode zur Bestimmung des osmotischen Druckes
sehr geringer Flüssigkeitsmengen ').
Von
H. J. Hamburger in Groningen.
(Aus dem physiologischen Institut der Universität.)
(Eingegangen am 5. Juli 1906.)
I. Einleitung.
Nicht selten kommt es vor, daß man von normalen oder
pathologischen Körperflüssigkeiten, von denen man nicht mehr
als 1/2 oder !/4 ccm zur Verfügung hat, den osmotischen Druck
zu ermitteln wünscht.
Vor solch einen Fall sah ich mich vor einiger Zeit gestellt,
als mir von ophtalmologischer Seite die Frage vorgelegt wurde,
wie groß die Konzentration von Flüssigkeiten, speziell von Bor-
säure, sein müsse, die man für die Behandlung des Auges an-
wenden soll. Es schien mir rationell — und die Unter-
suchungen von Massart rechtfertigten diese Meinung?) — für
Substanzen, für die das Epithelium nicht oder kaum permeabel
ist, eine solche Konzentration zu wählen, daß sie denselben
osmotischen Druck besitzen wie das natürliche Medium von
Cornea und Conjunctiva, nämlich wie die Tränenflüssigkeit.
Bis jetzt aber wurde der osmotische Druck von Tränen-
flüssigkeit, jedenfalls auf direktem Wege, nicht ermittelt, höchst-
wahrscheinlich wegen der Schwierigkeit, eine Quantität dieser
Flüssigkeit zu bekommen, groß genug für die Anwendung der
1) Von diesen Untersuchungen erschien eine vorläufige Mitteilung
in den Sitzungsberichten d. Königl. Akad. d. Wissensch. zu Amsterdam,
28. Oktober 1905.
?) Massart, Archives de Biologie, 9, 335. 1889,
17*
260 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
gebräuchlichen Verfahren, nämlich der Blutkörperchen-!) und
der Gefrierpunktmethode?). Dies veranlaßte mich einen Modus
operandi zu suchen, bei welcher 1/2 ccm, nötigenfalls 1/4 ccm
Flüssigkeit genügen würde. Es ist mir nun in der Tat gelungen,
eine derartige Methode ausfindig zu machen.
II. Prinzip der Methode.
Die Methode beruht auf dem bereits früher von mir und
anderen ausgesprochenen Prinzip, daß das Volum der Blut-
körperchen in hohem Maße vom osmotischen Druck
der Lösung abhängig ist, in der sie sich befinden‘).
Dieses Prinzip ist hier in folgender Weise in Anwendung
gebracht worden.
In ein trichterförmiges Glasröhrchen, dessen zylindrischer
Teil aus einem kalibrierten, unten zugeschmolzenen Kapillarrohr
gebildet wird‘), bringt man die zu untersuchende Flüssigkeit.
Es sei die Menge !/s ccm. In andere trichterförmige Röhrchen
von gleicher Form und Größe bringt man je !/2 ccm NaCl-Lösung
von verschiedenen Konzentrationen (0,8 °/o, 0,9 Yo, 1%0, 1,1%,
1,2 %/, 1,3 %0, 1,4 Yo, 1,5 %/0, 1,6 °/6) und beschickt alle Röhr-
chen mit 0,02 bis 0,04 ccm Blut (vergl. unten S. 265). Dann
werden Flüssigkeit und Blut tüchtig vermischt und eine halbe
Stunde sich selbst überlassen, damit die Blutkörperchen genügend
Gelegenheit haben, sich mit ihrer Umgebung in osmotisches
Gleichgewicht zu setzen. Darauf werden die Röhrchen zentri-
fugiert, und zwar so lange, bis die Bodensätze ihr Volumen
nicht mehr ändern.
Es liegt auf der Hand, daß der osmotische
Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit dem jener
NaCl-Lösung entsprechen wird, in der das Blut-
körperchensediment das gleiche Volumen besitzt, wie
in der zu untersuchenden Flüssigkeit. — So fanden wir
z.B. in einem Fall, daß das Blutkörperchenvolumen in der
Tränenflüssigkeit 71 betrug, und daß die NaCl-Lösung, in der das
Blutkörperchensediment gleichfalls ein Volumen von 71 Skalen-
1) Hamburger, Osmotischer Druck u. lonenlehre 1, 440.
#) Dreser, Archiv f. experim. Path. u. Pharmakol. 29, 305. 1892.
*» Hamburger, Centralbl. f. Physiol. 17. Juni 1893.
“%) Hamburger, Journal de Physiol. norm. et pathol. 1900, p. 889.
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 261
teilen besaß, eine 1,4 °/,ige war. Also war die Tränenflüssigkeit
mit dieser NaCl-Lösung isotonisch.
II. Ausführung der Methode.
a. Das anzuwendende Blut und die Weise, es abzumessen
und zu vermischen.
Es liegt auf der Hand, daß man für die Versuche eine
Blutart wählen muß, von der die Blutkörperchen seitens der zu
untersuchenden Flüssigkeit keine Zerstörung erfahren. So werden
z. B. Kaninchenblutkörperchen von Serum des Menschen hämo-
lysiert. Handelt es sich also um die Bestimmung des osmoti-
schen Druckes von Menschenblutserum, so darf man kein
Kaninchenblut benutzen. Von menschlicher Tränenflüssigkeit
aber wurden die Kaninchenblutkörperchen nicht angegriffen. Im
allgemeinen empfiehlt es sich, das Blut derjenigen Tierspezies
zu nehmen, von der die zu untersuchende Flüssigkeit stammt.
Es ist notwendig,’ das Blut vor dem Gebrauch zu defibri-
nieren. Dieses erfolgt sehr leicht, indem man in ein kleines dick-
wandiges Röhrchen (ein Röhrchen von 2,5 cm Länge und ’/4 cm
Durchmesser genügt hier), das mit 3 bis 4 Glasstückchen (Scherben)
beschickt ist, Blut tröpfeln läßt und dasselbe nach Korkverschluß
schüttelt; '/, Stunde genügt. Dann wird das Blut filtriert, nicht
durch Gaze, weil dieses kleine Fibrinpfröpfchen durchläßt, son-
dern durch Filtrierpapier.
Die genaue Abmessung von 0,02 ccm Blut erfordert be-
sondere Vorsicht.
Die von mir benutzte Pipette besteht aus einem Kapillar-
rohr von !/; mm lichte Weite; die Länge beträgt 212 mm. Am
Ende ist sie zu einer Spitze ausgezogen. Auf einer
Distanz von 143 mm vom ausgezogenen Ende trägt sie einen
Teilstrich, der 0,02 ccm angibt.
Behufs der Abmessung des Blutes wird die Pipette von
einem schlaffen etwa 20 cm langen Gummischlauch versehen,
der am Ende ein Glasröhrchen trägt. Letzteres hält man im
Munde, um das Blut aufzusaugen und nachher wieder durch
Ausblasen zu entfernen.
Man saugt das Blut etwas über den Teilstrich hinauf und
drückt das Gummirohr mit dem Finger zu, am besten in der
Nähe der Meßpipette. Indem man letztere aus dem Gefäß ent-
262 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
fernt, hält man, um das Ausfließen von Blut aus der Pipette
zu verhindern, dieselbe möglichst schnell horizontal und
trocknet die Spitze mit einem Tuche (nicht mit Filtrierpapier)
ab. Wenn nun das Niveau der Blutsäule noch über dem Teil-
strich steht, d. h. wenn noch zu viel Blut in der Pipette
sich befindet, so muß das Übermaß entfernt werden. Man
erzielt das, indem man, die Pipette immer horizontal haltend,
die Spitze entweder ein oder mehrere Male gegen den trockenen
Finger oder gegen ein Tuch (nicht gegen Filtrierpapier) tupft.
Es empfiehlt sich, den Stand der Blutsäule in der horizontal
gehaltenen Pipette so zu beurteilen, daß man ein Stück auf
dem Tisch liegendes Filtrierpapier als Hinterlage wählt.
Wenn man in der hier beschriebenen Weise verfährt, so
geht die genaue Abmessung rasch vor sich. Versäumt man eine
der genannten Vorsichtsmaßregeln, so wird die Manipulation
langwierig und unsicher.
Dieser Umstand möge die detaillierte Beschreibung für die
Ausführung einer so einfachen Aufgabe rechtfertigen.
Auch das Überbringen des Blutes in die trichterförmigen
Röhrchen erfordert besondere Vorsicht. Wenn man die Ausfluß-
öffnung der Pipette oberhalb der Flüssigkeit des trichterförmigen
Röhrchens hält und dann das Blut ausbläst, so wird immer
noch etwas Blut in der Ausflußöffnung und um sie zurückbleiben.
Deshalb tauche ich die Spitze in die Flüssigkeit und sauge
letztere bis zum Teilstriche 0,02 ein, blase aus, sauge wieder
ein und wiederhole das noch ein paarmal. Auf diese Weise
wird alles Blut aus der Pipette entfernt. Freilich bleibt dann
an der Wand noch ein wenig von dem Gemisch von Blut und
Flüssigkeit haften, aber dieses Quantum darf man vernach-
lässigen. Dieses Verfahren hat noch den großen Vorteil, daß
bei der jetzt folgenden erneuten Abmessung von 0,02 ccm Blut
die Kapillarwand der Pipette nicht mehr mit reinem Blute be-
deckt ist. Lehrt ja die Erfahrung, daß, wenn man mittels einer
engen Pipette zwei oder drei Male Blut abgemessen hat, es stets
schwieriger wird, dasselbe aufzusaugen, insbesondere es auszu-
blasen. Vielleicht rührt das daher, daß an der Innenwand etwas
Blut antrocknet und die Reibung sehr groß macht. Eine Be-
feuchtung mit Salzlösung hebt die Beschwerde vollständig auf.
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 263
Um die Bedingungen, unter welchen die Abmessungen statt-
finden, für alle Röhrchen gleich zu gestalten, ist es notwendig,
vor der ersten Abmessung von 0,02 ccm Blut die Pipette
mit einer NaCl-Lösung (0,9°/, oder 1°/,) zu benetzen.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß es sich empfiehlt,
vor jeder Abmessung von 0,02 ccm Blut das dieses Blut ent-
haltende Gefäß zu bewegen, Sonst senken sich die Erythrocyten
und man mißt jedesmal ungleiche Quantitäten Blutkörperchen
ab. Schaumbildung ist aus demselben Grunde bei dieser Be-
wegung zu vermeiden.
Schließlich habe ich noch folgendes hervor-
zuheben: um eine vollständige Vermischung des
Blutes mit der Salzlösung im Röhrchen zu er-
zielen, derart daß alle Blutkörperchen überall von
einer vollkommen homogenen Flüssigkeit umgeben
werden, genügt es meiner Erfahrung nach nicht,
die Suspension mittels eines Stäbchens kurze Zeit
umzurühren. Es empfiehlt sich, das Trichter-
röhrchen entweder unter Verschluß mittels des
reinen trockenen Daumens, oder unter Ebonit-
verschluß (siehe unten S. 264) einigemale hin und
wieder zu bewegen.
b. Die Trichterröhrchen und die
Reinigung derselben.
Die Röhrchen sind bereits vielfach angewandt
worden ').
Ein Trichter, dessen Inhalt etwa 2'/; ccm
beträgt, endigt in einem unten zugeschmolzenen
Kapillarrohr. Dasselbe ist in 100 Teile genau
kalibriert. Der kalibrierte Teil hat bei einer Länge
von 57 mm einen Inhalt von 0,01 ccm‘). Also entspricht der
Raum zwischen 2 Teilstrichen einem Volumen von 0,0001 ccm.
Die Anfertigung der Röhrchen erfordert große Sorgfalt. Zunächst
muß der trichterförmige Teil allmählich in den kapillaren Teil
übergehen. Ist das nicht der Fall, so bleiben die Blutkörperchen
1) Vergl. u. a Hamburger, Journal de Physiol. norm. et pathol.
1900, p. 889; Hamburger, Osmotischer Druck und lonenlehre. 1, 379.
2) Vergl. S. 265.
264 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
oft an dieser Stelle stecken. Weiter muß dafür gesorgt werden,
daß nicht das Glas nach einiger Zeit zerspringt. Früher
ereignete es sich oft, daß ohne nachweisbare Ursache der untere
Teil der Kapillare an der Abschmelzungsstelle zersprang.
Drittens kommt vieles auf eine sehr genaue Kalibrierung
an, die hier durch Abmessung mit Quecksilber erzielt wird ').
Um eine vollständige Vermischung von Blutkörperchen und
Flüssigkeit zu ermöglichen, und weiter um Verdampfung von
Wasser beim Zentrifugieren vorzubeugen, werden die Trichter-
röhrchen mittels Ebonitkäppchens verschlossen. Dieselben sind
derart konstruiert, daß sie genau in den Trichter passen, was
dadurch erreicht wird, daß ein Kautschukring um den unteren
Teil gelegt wird. Der obere Teil des Käppchens ragt zur Seite
nicht über das Glas hinaus, damit das gleichzeitige Zentrifugieren
von drei Röhrchen in einer Einsatzhülse möglich bleibt.
Man wird begreifen, daß für eine ungestörte Sedimentierung
die Reinheit des Kapillarrohres eine erste Bedingung ist.
Sie wird in folgender Weise erzielt:
Nachdem ein Versuch beendigt ist, wird mittels eines feinen
Platindrahtes das Sediment wieder mit der im Trichter sich
befindenden Flüssigkeit vermischt und der Inhalt des Trichters
herausgeworfen. Was im Kapillarteil zurückbleibt, wird mittels
eines fein ausgezogenen Glasrohres, das jeder sich durch Aus-
ziehen eines Stückes Glasrohr in einer Bunsenschen Flamme
sehr leicht herstellen kann, entfernt.
Dann wird der Kapillarteil mittels des soeben gebrauchten
Kapillarröhrchens mit einer 0,9°/,igen Kochsalzlösung angefüllt.
Man benutzt hierzu kein Wasser, weil dadurch Blutkörperchen
sich lösen und die Hämoglobinlösung weniger leicht von der
Innenwand entfernt wird. |
Auch die nunmehr Blutkörperchen enthaltende NaCl-Lösung
wird entfernt. Wieder wird mit Kochsalzlösung ausgewaschen,
bis man sicher sein darf, daß alle Blutkörperchen ausgespült sind.
Weiter werden die Röhrchen mit destilliertem Wasser aus-
gespült. Diese Ausspülung erfolgt wieder derart, daß man
1) Die Firma Franz Hugershoff, Leipzig, Carolinenstraße 13, liefert
die Trichterröhrchen sowie auch die Pipetten zu meiner großen Zu-
friedenheit.
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 265
das Wasser mittels feiner Glaspipette in die Kapillare des Trichter-
röhrchens bringt und aus demselben entfernt.
Hat man die Trichterröhrchen ein paarmal für Versuche
gebraucht, so empfiehlt es sich, nach der soeben genannten
Ausspülung mit Wasser eine Behandlung mit doppelt chrom-
sauren Kali und Schwefelsäure vorzunehmen, derselben Flüssig-
keit die man auch für die bekannten Chromsäure- Elemente
benutzt. Man füllt also die Röhrchen mit diesem Gemisch,
läßt es einige Stunden in demselben verweilen und spült dann
mit destilliertem Wasser aus.
Endlich müssen die Röhrchen getrocknet werden. Das
geschieht einfach dadurch, daß man die Trichterröhrchen, mit
der offenen Seite nach unten gekehrt, in die Zentrifuge setzt.
Das Wasser wird dann vollständig ausgeschleudert. Dieses Ver-
fahren ist weit besser als Trocknung im Trockenschrank, weil es
sich so leicht ereignen kann, daß das destillierte Wasser einige
Verunreinigungen gelöst enthält, welche sich natürlich beim
Eintrocknen auf der Kapillarwand absetzten.
Die Reinigung von Röhrchen mit 0,01 ccm Kapillarinhalt
erfordert viel Aufmerksamkeit und Geduld. Außerdem ist das
Trocknen durch Ausschleudern des anhaftenden Wassers ohne
sehr kräftige Zentrifuge nicht möglich. Viel bequemer
wird das Arbeiten, wenn man statt Trichterröhrchen
von 0,01 cem Kapillarinhalt solche von 0,02 ccm
Kapillarinhalt nimmt. Da das Blut wohl niemals mehr
als 50 Volumenprozent Blutkörperchen enthält, empfiehlt es
sich, dann auch das doppelte Blutquantum zu benutzen von
dem, was wir für die Röhrchen mit 0,01 ccm Kapillarinhalt
vorschlugen, d. h. nicht 0,02 ccm, sondern 0,04 ccm. Je
größer die Sedimentvolumina, desto geringer sind die Fehler.
Dementsprechend habe ich auch Pipetten anfertigen lassen,
welche zu den Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt gehören
und 0,04 ccm Blut fassen. Sie haben dieselbe Länge, wie die
für die Abmessung von 0,02 ccm Blut.
Der Leser wird mir die Frage vorlegen, weshalb dann nicht
immer Röhrchen mit 0,02 ccm Kapillarinhalt gebraucht werden?
Darauf möchte ich antworten, daß, wenn man nur 0,25 ccm
der zu untersuchenden Flüssigkeit zur Verfügung hat, so übt
das Blutserum von 0,04 ccm Blut einen wohl etwas großen
266 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
Einfluß auf den osmotischen Druck der zu untersuchenden
Flüssigkeit aus. Hat man dagegen !/s ccm zur Verfügung, so
wird der betreffende Einfluß viel geringer. Größtenteils jedoch
wird diese Beeinträchtigung aufgehoben, wenn man dafür sorgt,
auch genau dasselbe Volumen (0,25ccm) von den NaCl-Lösungen
anzuwenden. Denjenigen also, die nicht zu viel Geduld und
viel Sorgfalt erfordernder experimenteller Arbeit veranlagt sind,
rate ich, Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt und eine
entsprechende Pipette von 0,04 ccm Inhalt zu nehmen.
Die Reinigung und ganze Behandlung erfolgt bei den letzteren
freilich in derselben Weise wie bei den von 0,01 ccm Kapillar-
inhalt, aber es geht alles viel bequemer und handlicher, wie
bei einem so außerordentlich engen Lumen. Angesichts der
Reinigung der 0,02 cem-Röhrchen möchte ich noch hinzufügen,
daß man dieselbe hier noch durch Benutzung einer Feder
befördern kann. Hierzu nimmt man eine feine Vogelfeder,
entfernt die Federhaare an beiden Seiten, ausgenommen an der
Spitze. Ist letztere benetzt, so kann man dieselbe in das Lumen
hineindrehen.
c. Die Zentrifuge.
Die Zentrifuge soll eine recht kräftige sein. Da die
Zentrifugalkraft der Größe des Radius und dem Quadrat
der Umdrehungszahl proportional ist, kann man auf zwei
Weisen zum Ziel gelangen, entweder indem man eine Zentrifuge
mit großem Radius und kleiner Tourenzahl oder eine mit
kleinerem Halbmesser und großer Umdrehungsgeschwindigkeit
nimmt. Bei der gegenwärtig vielfachen Anwendung von Zentri-
fugen sind bereits viele Modelle angegeben worden, die, inso-
weit sie eine genügend große Zentrifugalkraft entwickeln, für
den vorliegenden Zweck brauchbar sind.
Es ist vielleicht nützlich, für diejenigen, die sich eine auch
zu anderen Zwecken bestimmte Zentrifuge kaufen wollen, hier die
Bemerkung hinzuzufügen, daß nur wenige der käuflichen Maschinen
für größere Flüssigkeitsmengen brauchbar sind, nicht daß die Einsatzröhre
eine zu geringe Kapazität hat, sondern daß die übliche Verkupplung der
Maschine an die Triebkraftsachse zu wünschen übrig läßt. Die meisten
Zentrifugen leiden nämlich an dem Übelstande, daß beim Absetzen der
Triebkraft die Umdrehungsgeschwindigkeit eine plötzliche, schroffe Ver-
ringerung erfährt, so daß die Maschine bald stillsteht, statt allmählich
auszulaufen. Die flüssigkeithaltenden Röhren gehen dann aus dem horizon-
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 267
talen rasch in den vertikalen Stand über und erleiden dadurch eine Er-
schütterung, infolge deren das Sediment aufwirbelt und also der Zweck ver-
fehlt wird. Sind die Sedimentiergläser lang, wie bei der oben beschriebenen
Versuchsmethode, so tritt das Aufwirbeln nicht auf; bei weiten Sedi-
mentergläsern aber macht sich dasselbe in sehr erheblichem Maße geltend.
Das einzige Mittel, diesen Übelstand zu umgehen, besteht darin, daß eine
Vorrichtung angebracht wird, welche die Verbindung der Zentrifuge mit
dem Motor ganz aufzuheben ermöglicht und zwar in der Weise, daß die
Maschine vollkommen frei auslaufen kann, d. h. ohne irgend welche
fremde Scheibe mitnehmen zu müssen. Man könnte geneigt sein, zu meinen,
daß, wenn die Triebkraft von einem Elektromotor stammt, ein allmähliches
Auslaufen auch zu erzielen sei durch langsame Einschaltung von Widerstand
in den elektrischen Strom. Das ist jedoch nicht der Fall; der Abfall der
Stromstärke erfolgt auf diese Weise immer noch in Stößen. Auch ist
es nicht empfehlenswert, den Riemen auf eine auf der Triebachse sich
befindende Leerscheibe zu werfen, wenn nämlich diese Leerscheibe von der
auslaufenden Zentrifuge noch mitgenommen werden soll.
Die Leerscheibe oder auch eine Friktionsvorrichtung soll also an der
Zentrifugenachse selbst angebracht sein. Ich wiederhole, daß man
auf diesen Punkt zu achten hat, wenn man die Zentrifuge auch für die
Sedimentation in weiten Röhren zu benutzen wünscht.
Für unsere Methode haben diese Überlegungen keine
prinzipielle Bedeutung, da, wenn die Blutkörperchen einmal in
den Kapillarteil getrieben sind, von einem Aufwirbeln — selbst
bei plötzlichem Stillstand der Zentrifuge — nicht die Rede ist.
Die von mir für alle in dieser Arbeit als Belege mit-
geteilten Versuche benutzte Zentrifuge hat eine Umdrehungs-
geschwindigkeit von 1800 in der Minute, während die Distanz
zwischen den Bodenflächen zweier in horizontaler Richtung ein-
ander gegenüberliegender Metallgefäße (in denen die zu zentri-
fugierenden Glasröhrchen sich befinden) 48 cm beträgt. Diese
Maschine wird von einem Elektromotor von 2 PS. getrieben ').
Bei Anwendung einer so bedeutenden Zentrifugalkraft kann
man das zugeschmolzene Ende der Metallröhrchen nicht auf
dem Metallboden der Metallröhre ruhen lassen. Der Druck
zerbricht dann den Kapillarteil unmittelbar. Ich nehme zwei
hohe Korken, in denen drei entsprechende Kanäle gebohrt sind,
welche den Kapillarteilen von drei Trichterröhrchen in bequemer
Weise den Durchgang gestatten. Die Höhe der Korken ist so
gewählt, daß, wenn das Trichterrohr so weit wie möglich in den
1) Die Zentrifuge stammt von der Firma Franz Hugershoff, Leipzig,
und ist sehr solide; ich habe dieselbe bereits 4 Jahre fast täglich gebraucht.
268 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüss&gkeitsmengen.
oberen Kork gesteckt ist und mit dem breiter werdenden Teil
auf dem Kork ruht, das zugeschmolzene Ende des Kapillarteiles
noch wenigstens einen Zentimeter vom Boden des Metallgefäßes
entfernt ist. Freilich nähert es sich dann beim Zentrifugieren
dem Boden, aber erreicht denselben nicht. Das Trichterröhrchen
wird von der Oberseite des oberen Korkes getragen. Die Metall-
röhren meiner Zentrifuge haben einen Durchmesser von 44 Milli-
metern. Wie gesagt, können in jedem Korkenpaar drei Trichter-
röhrchen einen Platz finden, so daß gleichzeitig zwölf Trichter-
röhrchen zentrifugiert werden können.
Da die Zentrifugenwahl hier von hervorragender Bedeutung
ist, möchte ich hier noch hinzufügen, daß ich in der letzten
Zeit eine vom Mechaniker Fr. Runne in Heidelberg gebaute
Zentrifuge in meinem Laboratorium versucht habe, welche vor
den bis jetzt von mir angewandten viele Vorzüge hat und die,
wenn sie sich bewährt — was ich zu glauben berechtigt bin —
in hohem Maße empfehlenswert ist. Die Vorzüge sind: geringerer
Zeitaufwand zur Erzielung der gleichen Aufgabe, bedeutende
Raumersparnis, viel geringere Betriebskosten, bequemere Hand-
habung und viel geringerer Preis.
In der Hauptsache besteht die Zentrifuge aus einer kupfernen
Schale, welche auf einem Elektromotor angebracht ist. Inner-
halb der Schale befindet sich ein Gestell, das 4 Metallhülsen
trägt. In diesen Metallhülsen können 4 Gefäße von je 80 ccm
einen Platz finden. Zu unserem speziellen Zweck hat Herr
Runne 4 Metallgestelle konstruiert, die je 3 Trichterröhrchen
fassen können, so daß 12 solcher Röhrchen gleichzeitig zentri-
fugiertt werden können. Der Motor bringt die Schale in Be-
wegung und damit auch das vierarmige Kreuz, das an der
Schale befestigt ist. Durch die Anordnung, daß sich die Schale
dreht, ist der Reibungswiderstand, den die Maschine erfährt,
äußerst gering. Sie braucht etwa 1 Minute, um frei auszulaufen.
Bei sorgfältiger Fundamentierung läuft die Maschine äußerst ruhig
und absolut geräuschlos. Es ist als ob sie stillsteht! Touren-
zahl 3000 pro Minute. Die Distanz zwischen den Bodenflächen
zweier in horizontaler Lage einander gegenüberstehender Metall-
hülsen beträgt 26 cm.
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 269
IV. Kritik der Methode. Kontrollversuche.
Zunächst wäre vom theoretischen Standpunkte gegen die
Methode einzuwenden, daß, wenn man 0,5 ccm der zu unter-
suchenden Flüssigkeit mit 0,02 ccm Blut versetzt und die
Flüssigkeit einen andern osmotischen Druck besitzt, wie das
Blutserum, diese Hinzufügung von Blutserum eine Änderung
des osmotischen Druckes der zu untersuchenden Flüssigkeit
herbeiführen wird. Man ermittelt mit anderen Worten eigentlich
nicht den Einfluß der zu untersuchenden Flüssigkeit auf
das Volumen der Blutkörperchen, sondern den eines Gemisches
von dieser Flüssigkeit und des Blutserums.
Wir wollen uns eine Vorstellung von der Größe des Fehlers
machen.
Wir nehmen an, daß im angewandten Blute 60 Volumen-
prozent Serum vorhanden waren. Es enthielten dann 0,02 ccm
Blut 0,012 ccm Serum. Betrug das Quantum der zu unter-
suchenden Flüssigkeit !/s ccm, so wird das Gesamtvolumen von
Flüssigkeit und Serum 0,512 ccm betragen. Wir nehmen an,
daß der osmotische Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit
den einer 1,2 °/,-igen NaCl-Lösung besaß, und daß das Serum
einer NaCl-Lösung von 0,9 °/, entspricht, so wird das Gemisch
0,012 x 0,9 + 0,5 x 1,2
0,012 + 0,5
= 1,19 °% NaCl besitzen. Also hat durch Vermischung von
1/3 ccm Flüssigkeit mit 0,02 ccm Blut der osmotische Druck
um 0,01 °/% NaCl abgenommen, ein Wert, der mittels des
Beckmannschen Apparates kaum mit Sicherheit nachgewiesen
werden kann (die Depression einer 1 °/,-igen NaCl-Lösung be-
trägt ungefähr — 0,59°, also ein Unterschied von 0,01 °/, NaCl-
Lösung etwa — 0,0059 °).
Wird statt 0,5 cem Flüssigkeit nun 0,25 ccm gebraucht,
so lehrt die Berechnung, daß Hinzufügung von 0,02 ccm Blut
den osmotischen Druck um den einer NaCl-Lösung von 0,014 °/,
abgenommen hat, was mit einer Depression von — 0,0084 ° über-
einstimmt. Einen derartigen Depressionsunterschied kann man
gerade noch mittels des Beckmannschen Apparates entdecken.
Nun haben wir hier den Fall vorausgesetzt, daß der
osmotische Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit von dem
einen osmotischen Druck von etwa
270 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
des Blutserums ziemlich viel abweicht. Gewöhnlich aber ist die
Abweichung kleiner, also auch der Fehler dementsprechend ge-
ringer. Aber selbst wenn der Fehler statt kleiner noch
größer wäre, so würde das kein Bedenken gegen die
Methode bedeuten, weil ja auch die NaCl-Lösungen mit
demselben Blutquantum vermischt werden.
Diese Erwägung hat Veranlassung gegeben zu untersuchen,
ob die Methode nicht dahin zu vervollständigen wäre, daß mit
der bereite gebrauchten Flüssigkeitsmenge neue Versuche an-
gestellt würden. Darüber wird unter V die Rede sein.
Es erhebt sich noch ein zweiter theoretischer Einwand
gegen die Methode. Man wird sich erinnern, in welcher Weise
wir im Anfang das Prinzip ausgesprochen haben. Wir hoben
hervor, daß es auf der Tatsache beruht, daß das Volumen
der Blutkörperchen vom osmotischen Druck der umgebenden
Flüssigkeit abhängig ist. Das ist jedoch nur der Fall, wenn
die Blutkörperchen für die in der sie umgebenden Flüssigkeit
gelösten Stoffe vollständig impermeabel sind. Dieser Umstand
liegt bei unserer Versuchsanordnung aber nicht vor; denn wenn
ein Blutkörperchen mit einer reinen NaCl-Lösung in Berührung
gebracht wird, so findet ein Austausch zwischen einem Ion CO;
der Blutkörperchen und zwei Cl-Ionen der Umgebung statt. Da
jedes Ion, von welcher Natur dasselbe auch sei, denselben
osmotischen Druck ausübt, so wird durch den genannten Aus-
tausch der osmotische Druck des Blutkörpercheninhaltes ge-
steigert; dem zufolge quillt das Blutkörperchen in einer NaCl-
Lösung, mit welcher der Inhalt bei völligem Fehlen von
Permeabilität für Ionen isotonisch gewesen wäre und in der
das Blutkörperchen das ursprüngliche Volumen hätte behalten
müssen, wenn das Volumen lediglich vom osmotischen Druck
der umgebenden Flüssigkeit abhängig war. Ä
Es ist nun aber die Frage, ob die Blutkörperchen nicht
dieselbe Quellung auch in der zu untersuchenden Flüssigkeit
erfahren. Ist das der Fall, so wird der Einwand hinfällig. In
der Tat werden die meisten Körperflüssigkeiten, die zur Unter-
suchung gelangen, wohl NaCl enthalten, nur in der Regel nicht
in so großer Konzentration wie in der reinen NaCl-Lösung, die
mit der zu untersuchenden Flüssigkeit isotonisch ist. Es liegt
deshalb auf der Hand, daß durch den genannten Ionenaustausch
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 271
ein Fehler immerhin möglich bleibt. Nur das Experiment wird
hier entscheiden können, ob dieser Fehler so groß werden kann,
daß derselbe einen merkbaren Einfluß auf das Resultat ausübt.
Zu diesem Zweck haben wir den osmotischen Druck einiger
Flüssigkeiten ermittelt mittels Gefrierpunktserniedrigung und
mittels der neuen Methode, d. h. wir haben von der zu unter-
suchenden Flüssigkeit und von der nach unserer Methode be-
stimmten damit isotonischen NaCl-Lösung die Depression er-
mittel. War unsere Methode zuverlässig, so sollten die beiden
Gefrierpunktwerte miteinander übereinstimmen.
Die eine der zum genannten Zweck benutzten Flüssigkeiten
war Lymphe aus dem Halsgefäße eines Kälbcehens. Nachdem
Koagulation stattgefunden und das Gerinnsel sich zurückgezogen
hatte, wurde letzteres mittels Gaze entfernt und dann die klare
gelbe Flüssigkeit durch Filtrierpapier filtriert. Dann wurde in
Trichterröhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt 1 ccm der zu
untersuchenden Flüssigkeit gebracht und letztere mit 0,04 ccm
Rinderblut versetzt. Gleiches geschah mit Kochsalzlösungen
verschiedener Konzentration. Mit jeder Flüssigkeit wurden
zwei Parallelversuche angestellt. Nachdem die Blutkörperchen
eine halbe Stunde mit den Flüssigkeiten in Berührung gewesen
waren, wurden dieselben abzentrifugiert und zwar solange, bis
das Sediment ein konstantes Volumen erreicht hatte.
Die folgende Tabelle zeigt den Gang eines Versuches.
Volumen des Blutkörperchensedimentes nach
Flüssigkeiten Me ie während
1% 8 d. | 4, St | 1 Ste Std. |, Std. | Y, St Std. td. | 1 S Std. |15 d. 15 Min. in.| 10 Min.
Lymphe 58 5 i a8 | a7 | 46 a 46 | 46
M 55 | 47 47 46 46 46
NaCl 09%, | 58 | 54 | 50 49 49 49 49
PER 59 | 54 52 50 49 49 49
NaCl 0,95% | 58 | 49 48 | 4 47 47 47
E y 55 51 48 | 47 47 7 | 4
NaCl 1%, 56 50 47 46 45 45 | 8
Pau" 54 49 47 46 45 45 | 45
NaCl 1,05%, | 50 46 44 43 43 3 | 8
ao i 51 46 4 | 83 43 43 | 8
272 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
Aus diesem Versuche geht hervor, daß die Lymphe den
Blutkörperchen ein Volumen von 46 erteilt, während eine
0,95 °/,-ige Kochsalzlösung ein Volumen von 47 herbeiführt,
eine 1 °/,-ige dagegen ein Volumen von 45. Die Kochsalzlösung
also, welche den Blutkörperchen dasselbe Volumen wie die
Lymphe erteilt, liegt zwischen einer 0,95 °/,-igen und einer
1 °/o-igen.
Obgleich die richtige Zahl einwandsfrei durch Inter-
polation berechnet hätte werden können, wurde, weil es sich
hier um einen Beleg handelte, diese betreffende Zahl auf rein
experimentellem Wege ermittelt, indem noch zwei neue NaCl-
Lösungen zwischen den genannten bereitet wurden, nämlich
NaCl 0,96 °%/, und 0,98 %/o.
Weiter wurde statt 0,04 ccm 0,06 ccm Blut genommen.
Wie nämlich aus obiger Tabelle ersichtlich, konnte eine viel
größere Blutkörperchenmenge als die, welche 0,04 ccm Blut
entspricht, im Kapillarteile des Trichterröhrchens noch einen
Platz finden. Und natürlich ist es empfehlenswert, eine größere
Blutmenge für die Versuche zu nehmen, weil dann der even-
tuelle Fehler geringer ist.
Aus der folgenden Tabelle sind die erhaltenen Zahlen
ersichtlich.
Volumen des Blutkörperchensedimentes nach
Zentrifugierung während
'/, Std. |*/, Std. | Y, Std. | %, Std. |", Std. | 15 Min.| 10 Min.
Flüssigkeiten
Lymphe 85 82 79 79 79
n 85 80 79 79 79
NaCl 0,9%, 94 89 84 83 83
n y 88 87 83 82 82
NaCl 0,95 % 90 86 81 81 81
A A 88 82 81 81 81
NaCl 0,96 °, 85 81 80 80 80
i a 83 80 80 80 80
NaCl 0,98 %, 83 81 79 79 79
j ý 83 80 79 79 79
NaCl 1% 80 79 78 78 78
85 80 79 | 78 78
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 273
Man ersieht aus dieser Tabelle, daß die Lymphe einer
Kochsalzlösung von 0,98 °/, entspricht, denn beide Flüssigkeiten
erteilen den Blutkörperchen ein Volumen von 79. Diese Koch-
salzlösung ist auch diejenige, welche sich bei der Berechnung
aus der vorigen Tabelle ergibt.
Es erhebt sich nun die weitere Frage, haben die Lymphe
und die gefundene 0,98 °/,-ige NaCl-Lösung dieselbe Gefrier-
punktserniedrigung?
Lymphe . A = — 0,612
NaCl 0,9%, A = — 0,563
„n 05%. A = — 0,598
„ 0,98%, A = —0,615
se SL o % A = — 0,623.
Man sieht, daß auch die Gefrierpunktserniedrigung
der Lymphe mit der einer 0,98 °/,-igen NaCl-Lösung
sehr gut übereinstimmt.
Praktisch kann also auch der letzte (siehe Seite 270) gegen
die Methode erhobene Einwand als hinfällig betrachtet werden.
Indessen könnte man noch die Bemerkung machen, daß
in aller Strenge die Kontrolle mittels Gefrierpunktserniedrigung
nicht einwandfrei ist, denn bei der Depressionsbestimmung
handelt es sich um einen elektrolytischen Dissoziationszustand
bei etwa —0,6°, während bei der Volumenbestimmung mittels
Blutkörperchen die Temperatur Zimmertemperatur ist. Man
vergesse aber nicht, daß sich bei beiden Methoden Lymphe und
Kochsalzlösung jedesmal unter denselben Umständen befinden.
V. Genauigkeitsgrad und Zuverlässigkeit des Verfahrens.
Obgleich das Beispiel, an dem wir gezeigt haben, daß
unsere Methode dasselbe Resultat gibt wie die Gefrierpunkts-
erniedrigung, auch die Genauigkeit des Abmessens und die
Zuverlässigkeit der Volumenermittelung aus den Parallelver-
suchen ersehen läßt, wollen wir zum Überfluß noch ein paar
Versuche erwähnen, aus welchen letzteres noch einmal hervor-
geht. Sie betreffen Tränenflüssigkeit und Humor aquaeus.
Die Experimente mit Tränenflüssigkeit sind ausgeführt worden
mit Trichterröhrchen von 0,01 ccm Kapillarinhalt; die Trichter-
röhrchen für das Kammerwasser hatten einen Kapillarinhalt
von 0,02 ccm.
Die Tabellen werden ohne weitere Erklärung verständlich sein.
Biochemische Zeitschrift Band I. 18
274 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. .
Osmotischer Druck von Tränenflüssigkeit.
Benutzt sind hier Trichterröhrchen von 0,01 ccm Kapillar-
inhalt. Das Volumen der Tränenflüssigkeit betrug 0,25 ccm,
die Menge des angewandten Kaninchenblutes 0,02 ccm. Es
wurden jedesmal zwei Versuche mit derselben Flüssigkeit angestellt.
Volumen der Bodensätze nach den folgenden
Zentrifugierzeiten
/, Std. | „Std. | 2, Std. | 1 Sta. | 4, Sta.
Salzlösungen
Tränenflüssigkeit
”
NaCl 0,9%,
” ”
NaCl 1,1%
” ”
NaCl 1,2%,
” „
NaCl 1,3%,
7) 7
NaCl 1,4%
39 ”
NaCl 1,5%,
Aus diesem Versuch geht hervor, daß die NaCl-Lösung,
welche den Blutkörperchen des 0,02 ccm Kaninchenblutes ein
Volumen von 57 erteilt, eine 1,4 °/,-ige ist. Übrigens ersieht
man, daß die Zahlen der Parallelversuche sehr gut miteinander
übereinstimmen. (Jede Teilung der Röhrchen entspricht hier
0,01
100 = 0,0001 ccm.)
Das andere Beispiel, das ich hier vorführen möchte, betrifft
Kammerwasser des Rindes. Ich will dieses Beispiel aber auch
noch zu einem anderen Zweck benutzen.
Auf S. 270 wurde nämlich mitgeteilt, daß ich versucht habe,
mit derselben kleinen Menge der zu untersuchenden Flüssigkeit
mehrere Experimente anzustellen. Ich verfuhr in folgender Weise.
Nachdem nach der beschriebenen Methode der osmotische
Druck der zu untersuchenden Flüssigkeit ermittelt war, wurden
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 275
alle in den Trichterröhrchen sich befindenden Flüssigkeiten
daraus entfernt, in andere Trichterröhrchen übergebracht und
mit gleichen Mengen vom bereits gebrauchten Blute versetzt.
Dann wurde zentrifugiert bis zum Eintritt von konstantem
Volumen und wieder verglichen, welche Salzlösung den Blut-
körperchen dasselbe Volumen erteilte wie die zu untersuchende
Flüssigkeit. Diese Salzlösung sollte dann dieselbe sein, wie
die erst gefundene.
Ich lasse hier einen Versuch zur Bestimmung des osmo-
tischen Druckes von Lymphe folgen.
Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinhalt.
Die zu untersuchende Flüssigkeit ist Lymphe eines Kalbes. Das
gebrauchte Blut stammt vom Rind. Es werden 1 ccm Flüssigkeit und
0,06 ccm defibriniertes und filtriertes Blut angewandt.
Das Resultat war, daß die Lymphe den Blutkörperchen ein Volumen
von 85 erteilte, und daß das ebenso der Fall war mit der Kochsalzlösung
von 0,95 %,. Somit war die Lymphe isotonisch mit einer 0,95 °/,-igen
Na Cl- Lösung.
Weiter wurden dann die Flüssigkeiten (Lymph- und Kochsalzlösungen)
aus den Trichterröhrchen entfernt, in andere übergebracht und aufs neue
mit 0,06 ccm des Rinderblutes versetzt. Nach Zentrifugierung zum kon-
stanten Volumen ergab sich nun für die Lymphe 74, während die NaCl-
Lösung, welche den Blutkörperchen ebenfalls ein Volumen von 74 erteilte,
wieder eine 0,95 °/,-ige war.
Beim ersten Anblick könnte man mit diesem Resultate
zufrieden sein, denn in beiden Fällen erwies sich die Lymphe
als isotonisch mit einer 0,95 °/„igen NaCl-Lösung.
Bei näherer Betrachtung muß man sich aber die Frage
vorlegen, weshalb das Blutkörperchen -Volumen im ersten Fall 85
und im zweiten nur 74 betrug.
Es hat ziemlich viel Zeit gekostet, diese Frage zu lösen.
Ich werde die systematischen Untersuchungen, die ich dar-
über angestellt habe, dem Leser ersparen. Schließlich erwies
sich die Erklärung als lächerlich einfach. Der durch das
Zentrifugieren herbeigeführte Luftstrom hatte in den offenen
Röhrchen eine erhebliche Wasserverdunstung veranlaßt und
dadurch Einengung der Flüssigkeit. Deshalb wurde dieselbe
konzentrierter und das Blutkörperchen -Volumen kleiner.
Aus diesem Grunde wurden dann die beschriebenen Ebonit-
käppchen angefertigt. Und von dieser Zeit an kamen die Ab-
weichungen nicht mehr vor.
18*
276 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
Man könnte hier zwei Bemerkungen machen. Zunächst,
warum die Korke, mit denen die Röhrchen doch nach der Ver-
mischung von Flüssigkeit und Blut ca. 1/3 Stunde verschlossen
waren, nicht auch während der Zentrifugierung darauf stehen blie-
ben. Die Antwort ist, daß dieselben gerade durch das Zentrifugieren
zu tief in dieRöhrchen und dann in die Flüssigkeit gedrückt werden.
Weiter wird man einwenden können, daß die Verdunstung
sich auch in der ersten Versuchsreihe auf das Blutkörperchen-
Volumen geltend gemacht haben wird. Das kann aber nicht
der Fall sein, da dieselben bereits nach 10—15 Minuten ganz
in den Kapillarraum getrieben sind. Sie erfahren dann den
Einfluß der Oberflächenverdunstung nicht mehr.
Es steht also nichts im Wege, dieselbe kleine
Flüssigkeitsmenge, die man zur Bestimmung des osmo-
tischen Druckes zur Verfügung hat, zwei oder mehr
Male zu benutzen. Hierdurch gewinnt die Methode in erheb-
lichem Maße an Brauchbarkeit. Ich erwähne jetzt noch einen
Versuch mit Kammerwasser.
Röhrchen von 0,02 ccm Kapillarinbhalt.
1 ccm Humor aquaeus des Rindes und auch t ccm Chlornatrium-
lösungen werden vermischt mit 0,04 ccm defribiniertem Rindsblut. Die
Gemische werden ®/, Stunde sich selbst überlassen, dann zentrifugiert zu
konstantem Volumen.
Volumen des Sedimentes nach
5 Flüssigkeiten Zentrifugierung während
1 Std. | 1 Std. | 1/, Std. | 1/, Std. |15 Min.
1 | 1⁄2 com Humor aquaeus + 0,04 ccm Blut| 75 | 73 | 73 | 73 | 73
2| „ g E IsaIaialras| rs
31 t com NaCl 0,9% + = „ | 79 | 76 | 76 | 76 | 76
| „ n PA T „ | 79 |76|76|76]|76
5| Y, ccm NaCl 0,95% + ,» „1715|5I15|I%
el „ a Me: ph ‚I7I15I151|5|15
711, ccm NaCl 1% + k „1 7A 711) 71 | 71 | a
s| , En: a 5 ‚Ialnılıalnı) a
91%, ccm NaCl 1,05% + A „174 | 70 | 70 | 70 | 70
01 so, a „ {73 | 70 | 70 | 70 | 70
11), ccm NaCl 11% + „1 76 | 72 | 69 | 69 | 69
2f ao ‘a ‘a o „ | 71 | 70 | 69 | 69 | 69
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 277
Aus dieser Versuchsreihe geht hervor:
1. daß die Parallelversuche immer dieselben Resultate
geben,
2. daß der osmotische Druck des Kammerwassers einer
NaCl-Lösung entspricht, welche zwischen 0,95 und 1°)
und zwar in der Mitte gelegen ist.
Nachdem dieser Versuch beendigt war, wurden die Flüssig-
keiten aus den Trichterröbrchen genommen und in andere
gleichartige Trichterröhrchen übergeführt. Dann wurden diese
Flüssigkeiten beschickt mit je 0,04 ccm des oben benutzten
Blutes, das jedesmal vor der Abmessung gut durchgeschüttelt
war. Nachdem die Flüssigkeiten mit je 0,04 ccm Blut versetzt
waren, wurden die Trichterröhrchen mit den Ebonitdeckeln
verschlossen; dann wurde geschüttelt und die Gemische
3/4 Stunde sich selbst überlassen. Die Zentrifugierung ergab
die folgenden Resultate:
Volumen des Sedimentes nach
Zentrifugierung während
Flüssigkeiten
Humor aquaeus + 0,04 ccm Blut
-+
??
NaCl 0,9 °%
” ”
NaCl 0,95 %,
” ”
NaCl 1%,
” ”
NaCl 1,05%,
” ”
NaCl 1,1%,
Aus dieser Tabelle erhellt:
1. daß die Parallelversuche schön übereinstimmende Re-
sultate geben,
2. daß der Humor aquaeus einen osmotischen Druck
besitzt, welcher übereinstimmt mit einer Kochsalz-
lösung, die in der Mitte steht zwischen dem einer Koch-
++ ++ ++ ++ ++
278 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
salzlösung von 0,95°/, und 1°/,, was auch mit den
Ergebnissen von nach anderen Methoden ausgeführten
Untersuchungen übereinstimmt. !)
3. Sind die in der zweiten Versuchsreihe gewonnenen Zahlen
für das Volumen der Sedimente genau dieselben, wie die,
welche in der ersten Versuchsreihe gefunden wurden.
Hieraus ergibt sich, daß wir in der erwähnten
Ausbreitung der Methode eine sehr zuverlässige Kon-
trolle besitzen.
In Wirklichkeit haben wir in diesen Versuchsreihen die Re-
sultate dreimal kontrolliert; denn wir haben jedesmal zwei Parallel-
versuche angestellt. Eigentlich ist letzteres nicht notwendig;
auch wird es nicht immer ausführbar sein, wenn man nicht
über die doppelte Menge der zu untersuchenden Flüssigkeit ver-
fügt. In diesem Falle kann man dann doch Kontroll-Experi-
mente ausführen, indem man, wie oben gezeigt wurde, die
Flüssigkeit aus dem Trichterröhrchen entfernt und aufs neue
mit Blut untersucht.
Wenn erwünscht, kann dann die Zeit auch noch
erheblich abgekürzt werden.
Man braucht nämlich nicht mit der zweiten Versuchsreihe
zu warten, bis in der ersten konstantes Volumen erreicht ist.
Sobald in der ersten Versuchsreihe die Blutkörperchen in den
Kapillarteil der Röhrchen getrieben sind — und das ist immer
schon innerhalb einer halben Stunde der Fall — so kann
man die Flüssigkeiten bereits abheben und für die zweite
Versuchsreihe benutzen.
Hat die Zentrifuge nur Raum für 12 Röhrchen, so können
beide Versuchsreihen noch gleichzeitig zentrifugiert werden.
Da ein Unterschied von 0,1°/, NaCl-Lösung im Mittel
4 Teilstrichen entspricht und bei der Ablesung Fehler von
einem Teilstrich nicht gemacht zu werden brauchen, so geht
die Genauigkeit des Verfahrens doch wenigstens bis zu 0,025 °/o
NaCl-Lösung, d. h. Unterschiede des osmotischen Druckes,
1) Dreser, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmak. 29, 318. 1892. —
Hamburger, Verhand. d. koninkl. Akad. v. Wetensch. 8, Nr. 5. 1893. —
Kunst, Beitr. zur Kenntnis der Farbenzerstreuung und des osmotischen
Druckes einiger brechenden Medien des Auges, Inaug.-Diss., Freiburg i. Br.
1895. — Vergl. auch Hamburger, Osmot. Druck u. Ionenlehre, 8, 163.
Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 279
einer 0,025°/oigen NaCl-Lösung entsprechend, können sicher
aufgedeckt werden. Diese Genauigkeit steht der mittels des
Beckmannschen Apparates erzielbaren nur wenig nach.
VI. Anwendbarkeit der Methode.
Leider aber ist die Anwendbarkeit unserer Methode eine
beschränkte und nicht so allgemein wie die der Gefrierpunkts-
erniedrigung. Sie läßt nämlich im Stich, erstens für diejenigen
Lösungen, welche Hämolyse bei den Blutkörperchen herbei-
führen, wie z.B. Galle, und zwar weil die Schatten sich gegen-
über Konzentrationsunterschieden der umgebenden Flüssigkeit
grundverschieden verhalten von den unversehrten Erythrocyten.
Zweitens ist die Methode auch unbrauchbar für Flüssigkeiten,
die in erheblicher Menge Substanzen enthalten, welche trotz
ihres bedeutenden Anteiles am osmotischen Druck der Flüssig-
keit das Volumen der Blutkörperchen nicht beeinflussen.
Als Beispiel ist Harn zu nennen. Der Harnstoff nämlich
ist in nicht zu vernachlässigender Weise am osmotischen Druck,
z. B. an der Gefrierpunktserniedrigung des Harns beteiligt. Auf
das Volumen der Blutkörperchen übt die Substanz jedoch keinen
Einfluß aus, weil sie sich über diese Zellen und die Umgebung
gleichmäßig verteilt. Haben z. B. die Blutkörperchen einer ge-
wissen Blutmenge in einer 0,9°/,igen NaCl-Lösung ein Volumen
von 88, so bleibt das Volumen nahezu unverändert, wenn man
in dieser NaCl-Lösung einige Prozente Harnstoff auflöst. Ich
sage „nahezu“, denn der Harnstoff drängt die elektrolytische
Dissoziation der 0,9 °/sigen NaCl-Lösung etwas zurück und
erniedrigt in dieser Weise ein wenig deren osmotischen Druck.
Hier beim Harnstoff handelt es sich also nicht wie im
ersten Falle um einen hämolytischen Stoff, der beim Eindringen
in die Blutkörperchen dieselben zerstört, sondern um eine Sub-
stanz, welche, obgleich sie ebenfalls in die Blutkörperchen ein-
dringt, dieselben unversehrt läßt.
In keinem der beiden Fälle aber ist die Methode zu der
Ermittlung des osmotischen Druckes brauchbar. Ganz unnütz
aber würde im zweiten Falle eine Bestimmung nicht sein, denn
man kann mittels derselben denjenigen Teil des osmotischen
Druckes der Lösung feststellen, welcher den Substanzen ent-
spricht, die nicht in die Blutkörperchen eindringen. Auch diese
280 Hamburger, Osmotische Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen.
Zahl hat vom physiologischem Standpunkte einen Wert. Bei
Kombination mit Gefrierpunktserniedrigung kann man durch
Subtraktion den Gehalt derjenigen Stoffe ermitteln, für die,
wie Harnstoff, die Zellen permeabel sind ').
Schließlich sei noch erwähnt, daß Färbung der zu unter-
suchenden Lösung der Methode nicht schadet. Sie ist also auch
anwendbar für blutfarbstoffhaltende Transsudat- und Exsudat-
flüssigkeit, Cerebrospinalflüssigkeit etc.
Resume.
Das oben beschriebene Verfahren läßt sich folgenderweise
zusammenfassen:
1. Man nimmt 6 Trichterröhrchen von der angegebenen
Gestalt und bringt in das erste 0,25 ccm oder mehr der zu
untersuchenden Flüssigkeit und in die 5 andern dasselbe
Volumen an Kochsalzlösungen steigender Konzentration.
Die genannten Flüssigkeiten werden versetzt mit derselben
Menge defibrinierten und durch Filtrierpapier filtrierten Bluts.
Nachdem die Trichterröhrchen mittels genau passenden
Ebonitdeckelchen verschlossen sind, werden die Gemische ge-
schüttelt und 1/2 bis 3/4 Stunden sich selbst überlassen.
Nachher wird bis zum Eintritt von konstantem Volumen
zentrifugiert. Der osmotische Druck der zu untersuchenden
Flüssigkeit entspricht dann derjenigen Kochsalzlösung, welche
den Blutkörperchen dasselbe Volumen erteilte, wie die zu unter-
suchende Flüssigkeit selbst.
2. Das Resultat läßt sich kontrollieren, indem man die -
Flüssigkeiten, welche in der vorigen Versuchsreihe im trichter-
förmigen Teil der Röhrchen sich befinden, abhebt und in neue
Röhrchen überbringt, aufs neue mit gleichen Quantitäten Blut
versetzt, wie oben benutzt wurden, schüttelt, wartet und
zentrifugiert bis zum konstanten Volumen.
Die nunmehrigen Sedimentvolumina sollen genau dieselbe
Kochsalzlösung als diejenige anzeigen, welche mit der zu unter-
suchenden Flüssigkeit isotonisch ist und auch in der ersten
Versuchsreihe gefunden wurde.
3. Mit diesem sub 2 angegebenen Kontrollversuch braucht
man nicht zu warten, bis in der Versuchsreihe konstantes Volumen
) Hamburger, Centralbl. f. innere Medizin 21, Nr. 12. 1900.
Hamburger, Osmotisohe Druckmessung geringer Flüssigkeitsmengen. 281
erreicht ist, denn man kann die klaren Flüssigkeiten immer
schon nach einer Zentrifugierung von einer halben Stunde ab-
heben. In diesem Zeitverlauf sind nämlich alle Blutkörperchen
in den Kapillarteil getrieben.
4. Was die Wahl der Röhrchen betrifft, kann man hierzu
solche anwenden, deren kalibrierter Kapillarteil nur 0,01 ccm
faßt. In diesem Falle hat man 0,02 ccm Blut hinzuzufügen.
Obgleich diese Röhrchen vollkommen zuverlässige Resultate geben,
muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Reinigung viel
Geduld und Aufmerksamkeit erfordert. Das ist aber bei weitem
nicht in dem Maße der Fall bei Röhrchen, deren kalibrierter
-= kapillarer Teil 0,02 ccm faßt. Das Lumen bei diesen ist weiter.
Die hierzu erforderliche Blutmenge beträgt 0,04 ccm.
Hat man 1 ccm Flüssigkeit zur Verfügung, so empfiehlt
es sich, Röhrchen von 0,04 ccm Kapillarinhalt zu verwenden,
denn diese Apparätchen haben bei derselben Größe wie die
vorigen selbstverständlich ein noch weiteres Lumen und lassen
sich deshalb noch bequemer reinigen. Es ist empfehlenswert
hier 0,08 ccm Blut zu gebrauchen. In den meisten Fällen
verwende ich Röhrchen von 0,02 ccm.
5. Das Abmessen des Blutes erfolgt mittels einer an der
Spitze ausgezogenen Kapillarpipette, welche mit einem Gummi-
rohr versehen ist. Wenn das Blut über den Teilstrich hinauf-
gezogen ist, hält man die Pipette horizontal, trocknet die Spitze
mit einem Tuch ab und beurteilt den Stand des Blutes über
einem Stück weißen Papiers als Untergrund. Steht das Blut noch
über den Teilstrich, so tupft man die Spitze so lange gegen
die flache Hand oder gegen ein Tuch — nicht gegen Filtrier-
papier — bis der Teilstrich erreicht ist.
6. Eine kräftige Zentrifuge ist notwendig. Die Runnesche
elektrische Zentrifuge, welche nach meiner Angabe 4 Gestelle
enthält, die je 3 Trichterröhrchen aufnehmen können, genügt
allen Anforderungen vollkommen (vergl. S. 266 ff.).
Da es sich hier um sehr kleine Quantitäten handelt, liegt
es auf der Hand, daß man äußerst genau arbeiten muß.
Bedenkt man das aber, so erhält man überaus zuverlässige
Resultate.
Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren.
III. Mitteilung’).
Über «@-a,-Diamino-azelainsäure, @-8-Diamino-butter-
säure und a-Oxy-ß-aminobuttersäure.
Von
Carl Neuberg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 12. Juni 1906.)
Die Aminosäuren haben ein allgemeineres Interesse erlangt,
seitdem man weiß, daß sie das Material sind, aus dem sämt-
liche Eiweißkörper sich aufbauen. Schon fast 100 Jahre alt
ist die Kenntnis des Monoaminosäuren, speziell des Leucins
und des Tyrosins, die als leicht isolierbare Produkte bereits
den ersten Untersuchern der Proteinstoffe auffielen. Sehr viel
jüngeren Datums ist die Kenntnis der etwas komplizierter ge-
bauten Diaminosäuren und Oxyaminosäuren. Die Entdeckung
der ersteren verdankt man Drechsel, während die allgemeine
Beteiligung der letzteren am Aufbau der Eiweißkörper erst auf
Grund der Arbeiten von Emil Fischer‘), Zd. H. SKraup
u. a. nachgewiesen wurde.
Bei den drei genannten Kategorien hat man wieder ein-
und zwei- und mehrbasische Säuren zu unterscheiden, d. h.
Säuren vom Typus des Glykokolls und der Asparaginsäure
1) I. Mitteilung siehe Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 147. 1905.
II. Mitteilung siehe Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 92. 1905.
1) Ber. 88, 2660. 1902.
3) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 274. 1904. Wiener Monatshefte 26,
247. 1905.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 283
einerseits, des Lysins und der Kaseansäure, sowie schließlich
des Serins und der Diaminotrioxydodekansäure andrerseits.
Bei weitem die Mehrzahl der bei der Spaltung der Eiweiß-
körper aufgefundenen Aminosäuren sind a-Aminosäuren. Doch
scheinen gelegentlich Autoren, wie Levene und Ellinger, auch
ß-Säuren begegnet zu sein.
Die Substanzen, die der einen wie der anderen Reihe an-
gehören, besitzen ein gewisses Interesse, und im folgenden sei
die Synthese einer neuen Diaminodikarbonsäure, der Diamino-
azelainsäure
cp,” CH: — CH: — CHN H: . COOH
NCH: — CHa — CHN H: - COOH,
einer neuen Diaminomonokarbonsäure, der @-$-Diaminobutter-
paure CH, -CHNH,-CHNH,-COOH,
und die einer Oxyaminosäure, der @-Oxy-ß-aminobutter-
säure (Methylisoserin)
CH; - CHNH, - CHOH.- COOH,
beschrieben.
Die Zahl der künstlich dargestellten Diaminodikarbonsäuren
war bisher eine sehr spärliche. Sie beschränkte sich auf die
aa, -Diaminobernsteinsäure
COOH — CHN H: — CHN H: — COOH
von Th. Lehrfeld’) und J. Tafel”), sowie auf die jüngst von
C. Neuberg und E. Neimann®) dargestellten «-a,-Diamino-
korksäure CH: - CH: - CHNH: . COOH
|
CH: - CH, - CHNH,- COOH
und a-«\-Diaminosebazinsäure
CH, - CH, - CH, - CHN H; - COOH
CH; e CH: - CH, - CHN H; » COOH.
Daß im Gegensatze zu den Monoaminosäuren nur wenige
Vertreter der Diaminodikarbonsäuren dargestellt wurden, liegt
an der Schwierigkeit der Synthese. Bei den a-Halogenfettsäuren
der Essigsäurereihe vollzieht sich der Austausch von Chlor oder
Brom gegen die Aminogruppe bei den niederen wie höheren
1) Ber. 14, 1817.
23) Ber. 20, 244; 26. 1890.
3) Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 98. 1905.
284 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
Gliedern mit ziemlich gleicher Leichtigkeit. Dagegen bestehen
bei den aa,-Dihalogensäuren der Bernsteinsäurereihe erhebliche
Differenzen. Die letztgenannte Säure läßt sich zwar durch Be-
handlung mit Ammoniak in kleinen Mengen in die entsprechende
Diaminosäure umwandeln. Doch die Hauptmenge der Reaktions-
produkte besteht nach Neuberg und Silbermann aus anderen
Substanzen, und zwar Acetylendikarbonsäuren, resp. Acetylen.
Die aa,-Dibromadipinsäure'!)
CH; - CHBr- COOH
CH; e CHBr». COOH
und ihr ß-Methylsubstitutionsprodukt, die aaı-Dibrom-B-
Metyladipinsäure
CH, - CHBr- COOH
CH; » CH -CHBr- COOH
werden durch Ammoniak, wie R. Willstätter?) fand, in ring-
förmige Verbindungen mit einem Stickstoffatom verwandelt, in
Dikarbonsäuren des Pyrrolidins. Der gleiche Autor fand), daß
die aa,-Dibrompimelinsäure durch wässeriges Ammoniak auch
in eine ringförmige, aber stickstoffreie Verbindung übergeführt
wird, in eine Dikarbonsäure des Cyklopentens. Dagegen liefert
der Ester der letztgenannten Säure nach Emil Fischer‘) bei
Behandlung mit flüssigem Ammoniak wiederum eine hetero-
cyklische Substanz, die 1,5-Piperidindikarbonsäure.
Glatt aber und in typischer Weise verläuft die Reaktion
zwischen Ammoniak und den höheren Dibromsäuren dieser
Reihe. Sie führt nach Neuberg und Neimann (a. a. O.) von
der aaı-Dibromkorksäure und der aa,ı-Dibromsebazinsäure zu
der entsprechenden aaı-Diaminokorksäure und der aaı-Diamino-
sebacinsäure.
Einen weiteren Weg für die künstliche Darstellung von
Aminosäuren dieser Reihe hat jüngst S. P. L. Sörensen’) an-
gekündigt, dem es gelang, aus Na-Phthalimidomalonester mit
Äthylenbromid Äthylendiphthalimidomalonester und weiterhin
1) Ber. 88, 2065. 1902.
2?) Ber. 82, 1290. 1890.
3) Ber. 28, 657. 1895.
t) Ber. 84, 2544. 1901.
5) Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 452. 1905.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 285
aa, -Diaminoadipinsäure, ferner auf analogem Wege mit Tri-
methylenbromid die a@a,-Diaminopimelinsäure darzustellen.
Somit sind die hierhergehörigen Säuren mit 6, 7, 8 und
10 Kohlenstoffatomen durch Synthese zugänglich.
Zu der noch fehlenden Cy-Säure gelangt man auf folgen-
dem Wege:
Die Bromierung der normalen Azelainsäure bei Gegenwart
von Phosphor führte zu der bisher unbekannten aa,-Dibrom-
azelainsäure cH /(CHs) « CHBr- COOH
N (CHs) + CHBr- COOH.
Letztere ist ölig und liefert bei Behandlung mit konzentriertem,
wässerigem Ammoniak und kohlensaurem Ammon bei 125°
die aa,-Diaminoazelainsäure. Diese ist auffallenderweise leichter
löslich, als die Diaminokork- und Diaminosebazinsäure, zwischen
denen sie doch in der Mitte steht. Immerhin kann sie durch
einfaches Auswaschen von dem bei der Umsetzung entstehenden
Bromammonium befreit werden. Gleich ihren Homologen ver-
einigt sie den Charakter einer Mono- und einer Diaminosäure.
Sie löst sich in heißem Wasser, noch leichter in Akalien
oder Mineralsäuren, desgleichen in Ammoniak. Sie bildet
außerordentlich wenig lösliche Salze mit den Schwermetallen,
z. B. mit Kupfer, Silber, Quecksilber und Blei.
Durch die Fällbarkeit mit Blei unterscheidet sie sich von
den gewöhnlichen Aminosäuren, gleich diesen gibt sie aber
weder mit Pikrinsäure noch mit Platinchloridchlorwasserstoff-
säure oder Goldchlorid eine in Wasser schwer lösliche Vebindung.
Dagegen nähert sie sich wieder den Diaminosäuren durch die
wenn auch unvollständige Fällbarkeit durch Phosphorwolfram-
säure aus saurer Lösung.
Mit zwei Molekülen Phenylisocyanat vereinigt sich die
Diaminoazelainsäure zu einer kristallinischen Phenylhydatoin-
säure; mit Alkohol und Salzsäuregas kann sie verestert werden.
Bemerkenswert ist, daß die Substanz, die beim Überhitzen
fichtenspanrötende Dämpfe liefert, nicht süß, sondern lediglich
fade schmeckt. Trotzdem ist sie zweifelsohne eine @-Amino-
säure und enthält zweimal die dulcigene Gruppe
— CHN H: - COOH.
Genau das gleiche Verhalten haben Neuberg und Neimann
(a. a. O.) bei der Diamino-korksäure und Diamino-sebacinsäure
286 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
beobachtet. Später haben E. Fischer und O. Warburg!) mit-
geteilt, daß die verschiedenen Antipoden des Leucins ungleich
schmecken, die natürliche l-Verbindung schwach bitter, die
d-Form stark süß und der Racemkörper entsprechend schwach
süß. Der fade Geschmack der erwähnten Diaminocarbonsäuren,
die alle optisch inaktiv sind, kann durch geringe Süßigkeit
einer der aktiven Komponenten bedingt sein, aber auch durch
die Länge der Atomkette; bekanntlich nimmt der süße Ge-
schmack der meisten Aminosäuren bei den Peptiden schon ab,
viele Peptone sind intensiv bitter.
Von der Buttersäure leiten sich drei verschiedene Diamino-
säuren ab. Die a--, a-y- und ß-y-Säure, wenn man von dem
wenig wahrscheinlichen Falle absieht, daß zwei Aminogruppen
an einem Kohlenstoffatom haften würden. Die a-y-Säure ist
durch Synthese von Emil Fischer?) dargestellt. Im folgenden
sei die Darstellung der bisher unbekannten a-$-Säure beschrieben.
Das Ausgangsprodukt bildet das sogenannte Crotonsäure-
dibromid oder die «-8-Dibrombuttersäure, erhältlich durch Ad-
dition von zwei Atomen Brom an Crotonsäure. Diese Verbindung
gibt bei Behandlung mit Ammoniak Bromammonium und «-$-
Diaminobuttersäure. Die Trennung von Bromammonium läßt
sich durch Entfernung des Halogens mittels AgO und Ver-
dampfen des Ammoniaks ausführen. Es hinterbleibt nach der
Konzentration ein gelbgefärbter Sirup, der zum großen Teil aus
der Diaminosäure besteht; gleich der Mehrzahl der bekannten
Diaminosäuren kristallisiert sie selbst nicht, resp. schlecht.
Es wurde jedoch beobachtet, daß in einer über Phosphor-
pentoxyd aufgehobenen Probe nach einiger Zeit Abscheidung
von Kristallen begann. Bei etwa vierwöchentlichem Stehen,
während dessen auf eine reichhaltige Kristallabscheidung ge-
hofft wurde, gingen dieselben aber wieder in Lösung, um auf
Zusatz von wenig Wasser wieder auszufallen. Sie wurden durch
Umkristallisieren rein erhalten, und ihre nähere Untersuchung
zeigte, daß sie keine Diaminosäure darstellen, indem z. B. ihre
wässerige Lösung nicht mit Phosphorwolframsäure fällbar ist,
wohl aber Kupferoxyd mit tiefblauer Farbe löst und überhaupt
den Charakter einer Monaminosäure zeigt.
1) Ber. 88, 3997. 1905.
®) Ber. 84, 2900. 1901.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 2837
Die Analyse führte scharf zur Formel C,H;0;N, welche
einer Oxyaminobuttersäure entspricht, und zur Annahme der
gleichen Zusammensetzung führte die Analyse des kristalli-
sierenden &@-Naphthylisocyanatderivates
CH; — CH(NH.-CO.NHC.H7) — CHOH — COOH.
Die Bildung einer Oxyaminosäure kann man sich nun
etwa auf folgendem Wege erklären.
Vielleicht reagieren zunächst die zwei Bromatome der
a-8-Dibrombuttersäure (I) mit einem Molekül Ammoniak unter
Bildung einer Imidobuttersäure (II) die dann unter Wasser-
aufnahme die @«-Amino-B-oxybuttersäure GID oder die ĝ-Amino-
a-oxybuttersäure (IV) liefern kann,
I. II.
CH; ve
|
CHB E CH HO
| i N Hs i IN H ER
CHBr °> CH/
l
COOH CooH.
Ill. IV.
CH; CH;
| i
CHOH CHN He
| |
CHNH: oder CHOH
| i
COOH. COOH.
Nun ist bekannt, daß bei den in vielen Beziehungen den
Imidosäuren analogen Epihydrinsäuren') bei Behandlung mit
Ammoniak die Aufrichtung der Äthylenoxydbindung derart er-
folgt, daß Oxyaminosäuren und zwar a-Oxy-ß-aminosäuren ent-
stehen. So erhält man nach Melikoff aus Epiglyzidsäure *’)
(V) durch Ammoniak eine Oxyaminopropionsäure, für die aus
1) Ber. 18, 958. 1880.
%) Die nahe Beziehung der Epiglyzidsäuren zu den Dibromsäuren
folgt auch aus einer Beobachtung, die jüngst von Neuberg und
Marx (noch unveröffentlicht) gemacht ist. Die y-5-Dibromvaleriansäure
CH,Br — CHBr — CH, — CH, e COOH gibt mit wässerigem Ammoniak
statt der entsprechenden y-°-Diaminovaleriansäure die Epihydrinsäure
CH, — CH — CH, — CH, — COOH.
No/
288 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
einer späteren Untersuchung von Emil Fischer und Leuchs!)
die Konstitution des Isoserins folgt (VD)
vV. CHN VI. CHN H:
| O NH ?»— |
CH/ un CHOH
| |
COOH. COOH.
Da bei der Umwandlung der Epihydrinsäure in die. Oxy-
aminosäure intermediär wohl die Imidosäure auftritt, war nicht
unwahrscheinlich, daß im vorliegenden Falle das Methylhomo-
loge des Isoserins, die «-Oxy-ß-aminobuttersäure, entstanden wäre.
Dieser Schluß kann unbedenklich als richtig gelten, da die
ganz analoge Bildung des Isoserins aus a-$-Dibrompropionsäure
inzwischen von Neuberg und Ascher?) konstatiert ist.
Auch hier begleitet die Oxyaminosäure zu einigen Pro-
zenten die hauptsächlich entstehende Diaminoverbindung.
Der Beweis für die Bildung einer «&-Oxy-ß-aminobutter-
säure konnte durch die Analyse des Kupfersalzes erbracht werden.
Emil Eischer und Leuchs (a. a. O.) haben zuerst gezeigt,
daß das Isoserin abweichend von allen anderen Amino- und
Oxyaminosäuren ein Kupfersalz bildet, das auf ein Molekül
Aminosäure ein ganzes Atom Cu bindet, indem Substitution
des Wasserstoffatoms vom Carboxyl und des vom benachbarten
Hydroxyl eintritt. Kupfersalze von ähnlichem Typus findet
man bei verschiedenen anderen @-Oxy-ß-aminosäuren, z. B. bei
der a- und ß-2-Aminoglukoheptonsäure von Neuberg und
Wolff’), den beiden isomeren Tetraoxybutyl-isoserinen. Er
tritt auch bei der Diaminotrioxydodekansäure von E. Fischer
und Abderhalden‘) auf.
Die vorliegende Oxyaminobuttersäure lieferte in der Tat
ein Kupfersalz vom Typus des Isoserinkupfers, d. h. von der
Zusammensetzung
CH; +» CHNB; » CHO .» COO
N Cu”
aus der man mit großer Sicherheit die angenommene Formel
herleiten kann.
1) Ber. 85, 3787. 1902.
2) Noch unveröffentlicht.
3) Ber. 85, 4012. 1902 u. 86, 618. 1903.
t) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 543. 1904.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 289
Der gelbliche Sirup, der nach der Abtrennung von der kristalli-
nischen Oxyaminobuttersäure resultiert, enthält die @-$-Diamino-
buttersäure. Im freien Zustande ist sie nicht ganz rein gewonnen
worden, da kleine Mengen der vorerwähnten Oxyaminosäure in
ihr gelöst bleiben. Dagegen sind solche Derivate, die unter be-
stimmten Bedingungen wohl bei Diamino-, nicht aber bei Oxy-
aminosäuren isolierbar sind, z. B. das Pikrat und das normale
Quecksilbersalz, rein erhalten. Außerdem wurde die Phenyl-
hydantoinsäure dargestellt, die durch Addition zweier Moleküle
Phenylisocyanat entsteht.
Die «-$-Diaminobuttersäure zeigt die gewöhnlichen Eigen-
schaften der Diaminosäuren, wie stark alkalische Reaktion,
Bindungsvermögen für Kohlensäure, Fällbarkeit durch Phosphor-
wolframsäure usw. Sie bildet Salze mit Säuren und Basen,
so mit Kupferoxyd und Platinchlorid. Auffallend ist ihre
große Zersetzlichkeit. Sie ist z.B. aus dem Phosphorwolframat
durch Zerlegung mit Baryt nur zum Teil zurückzugewinnen,
sie erleidet hierbei weitgehende Zersetzung. Hierdurch unter-
scheidet sie sich von den höheren Diaminosäuren, beispiels-
weise von Lysin, das aus dem Phosphorwolframat durch
Barytwasser unzersetzt zurückerhalten werden kann. Sie teilt
aber die Empfindlichkeit mit der nächst niederen Säure, der
a-8-Diaminopropionsäure, die nach eigenen Beobachtungen
aus dem Phosphorwolframate durch Barythydrat auch nur zum
Teil unverändert in Freiheit gesetzt wird.
Experimentelles.
(Mitbearbeitet von Max Federer.)
A. Diaminoazelainsäure.
/ CH: » CH: - CHNH: - COOH
NCH: » CH, » CHNH;, » COOH.
Als Ausgangsmaterial diente die a-a,- Dibromazelainsäure,
die bisher unbekannt ist. Sie wurde nach dem von Auwers
und Bernhardi') eingeschlagenen Verfahren zur Bromierung
von Dikarbonsäuren durch Einwirkung von Brom und roten
Phosphor auf Azelainsäure erhalten. Es wurden 30 g Azelain-
säure nach inniger Mischung mit 6,5 g Phosphor mit 235 g
Brom behandelt. Jedoch wurde statt des von den genannten
CH;
1) Ber. 24, 2232. 1891.
Biochemische Zeitschrift Band I. 19
290 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäaren. III.
Autoren vorgeschriebenen komplizierten Apparates die einfachere
von Neuberg und E. Neimann (a.a. O.) gewählte Apparatur
benutzt, d. h. ein gewöhnlicher Rundkolben mit eingeschliffenem
Kühlrohr, um welches von außen der Mantel eines Liebigschen
Kühlers gelegt wurde, während durch das Innere ein dünneres,
oben erweitertes Glasrohr bis fast auf den Boden des Kolbens
führte; durch letzteres tropfte das Brom hinzu.
Durch Eingießen in Wasser werden das zunächst entstandene
Säuredibromid sowie Halogenverbindungen des Phosphors zer-
setzt; dabei erwärmt sich die Masse, und es scheidet sich a-a,-
Dibromazelainsäure als schwach gelbliches Öl ab. Trotz längeren
Stehens kristallisierte dasselbe nicht!). Es wurde daher mit Äther
ausgeschüttelt und durch Verdampfen des Äthers zurückerhalten.
Die so erhaltene Dibromazelainsäure ist bei 0° flüssig. Sie
wurde ohne weiteres zu den folgenden Versuchen benutzt:
30 g Dibromazelainsäure wurden mit der gleichen Quantität
gepulverten Ammoniumkarbonats und der zwanzigfachen Menge
konzentrierten Ammoniaks (25 °,) 6 Stunden lang im eisernen
Autoklaven auf 120° erhitzt. Es resultierte eine gelbgefärbte
Flüssigkeit, die durch Abdampfen in flachen Schalen vom über-
schüssigen Ammoniak befreit und konzentriert wurde. Nach
24stündigem Stehen verwandelte sich die dickflüssige Masse in
einen Kristallbrei, der abgesaugt wurde. Wegen der verhältnis-
mäßig großen Schwerlöslichkeit der Diaminoazelainsäure in kaltem
Wasser konnte das bei der Reaktion zugleich entstandene Brom-
ammonium leicht durch Auswaschen entfernt werden.
Das zurückbleibende, weiße Produkt wurde in heißem
Wasser gelöst und nach einiger Konzentration durch Zusatz
von Alkohol zur Abscheidung gebracht.
Die Diaminoazelainsäure bildet ein mikrokristallinisches
Pulver, das keinen ausgeprägten, jedenfalls keinen süßen Ge-
schmack besitzt. Es schmilzt noch nicht bei 330°.
Die Ausbeute an reiner Verbindung betrug 20°. der
Theorie, berechnet auf angewandte Azelainsäure.
Analyse. |
0,1619 g Substanz ergaben 0,2932 CO; und 0,1186 H,O.
0,1530 g = A 17,0 cm? N (21°, 762 mm).
Co Hıs N; O;:
1) Besondere Versuche, sie ev. weiter zu reinigen, sind nicht angestellt.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 291
Ber. C 49,54 l H 8,25 % N 12,84 1o:
Gef. C 49,39 „ H 314 „ N 12,68 ,
Die Diaminoazelaïnsäure ist leicht löslich in Mineralsäuren
und Alkalien. Die Salze der Schwermetalle sind außerordent-
lich wenig löslich und können deshalb nicht durch Kochen
der Diaminosäure mit den entsprechenden Metalloxyden oder
Karbonaten dargestellt werden, sondern nur durch doppelte
Umsetzung der Alkalisalze, bereitet durch Lösen der Diamino-
säure in der berechneten Menge Normalalkali.
Diaminoazelainsaures Kupfer.
ycH,-CH, -CHNR;- COON ou
NCH: - CH: - CHNH: -COO/ `
0,5 g Diaminoazelaïnsäure wurden mit 5 cm? n- Natronlauge
versetzt, mit etwas Wasser verdünnt und erwärmt. Zu der fil-
trierten Lösung, die das stark dissoziierte Na -Salz enthält, wurde
nach völligem Erkalten Kupfersulfat im Überschuß gegeben,
wobei das diaminoazelainsauere Kupfer sofort als hellblauer
Niederschlag ausfiel. Es wurde abgesaugt, mit Wasser, Alkohol
und Äther gewaschen und im Vakuum über Schwefelsäure ge-
trocknet.
CH:
Analyse.
0,2926 g Substanz ergaben nach dem Glühen 0,822 g CuO
Cə H16 Ne O, Cu. Ber. Cu 22,74 °/o.
Gef. Cu 22,44 ,
Diaminoazelainsaures Silber.
cn,/ CH e. CH, » CHNHa » COOAg
NCH: » CH: » CHNH: » COOAg.
Diese Verbindung wurde in analoger Weise aus Diamino-
azelainsäure, n-Natronlauge und Silbernitrat erhalten. Sie stellt
ein weißes Pulver dar, das abgesaugt und mit Wasser, Alkohol
und Äther ausgewaschen wurde. Es ist im Wasser ganz un-
löslich, löst sich aber leicht in Ammoniak und Salpetersäure.
Dem Lichte ausgesetzt, bräunt es sich allmählich.
Analyse.
0,3140 g Substanz ergaben durch Verglühen 0,1574 g Ag
a u y Ag 49,97 o.
Gef. Ag 50,12 „
19°
292 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
Ganz ebenso kann man die anderen Salze der Diamino-
azelainsäure darstellen. Die Lösung des Natronsalzes ergibt mit
Quecksilberchlorid eine schwere, weiße Fällung, und mit nor-
malem Bleiacetat einen dichten, weißen Niederschlag, die beide
im Überschuß des Fällungsmittels unlöslich sind.
Wie schon erwähnt, fällen die Alkaloidreagentien die
Diaminoazelainsäure nicht. Nur Phosphorwolframsäure erzeugt
in mineralsaurer Lösung eine schwache Fällung.
Phenyl-iso-cyanatverbindung der Diaminoazelainsäure.
cn,/ CH: e CH: » CH(NHCON HC; Hs). COOH
N CH: » CH, - CH (NHCON HC; H;) » COOH.
1,1 g Diaminoazelaïnsäure wurde in 10 cm? n-Natronlauge
gelöst, mit 20 cm? Wasser verdünnt, und mit 1,8 g Phenylcyanat
in bekannter Weise behandelt. Nach mehrstündigem Stehen
wurde filtriert und die Phenylcyanatverbindung mit Salzsäure
ausgefällt. Sie stellt ein weißes Pulver dar. Aus verdünntem
Alkohol umkristallisiert, schmilzt es unscharf gegen 120°.
Analyse.
0,1263 g Substanz ergaben 13,6 cm? N (21°, 753 mm).
Ces Has Os N4. Ber. N 12,28%.
Gef. N 12,14 „
Diaminoazelainsäurediaethylester.
/ CH: — CH, — CH » NH, — COO »: GH;
NCH: — CHa — CH - NH: — COO : C: H;.
Analog der Diaminosebazinsäure läßt sich die Diamino-
azelaïnsäure verestern. Man übergießt 3 g mit 30 ccm abs.
Alkohol und leitet einen raschen Strom von trockenem Salz-
säuregas ein. Die Aminosäure geht bald in Lösung, und die
gesättigte Flüssigkeit wird noch eine Viertelstunde auf dem
Wasserbade erwärmt. Die im Vakuum konzentrierte Lösung
hinterläßt als krümliche Menge das Chlorhydrat des Esters, das
nach dem Trocknen über Kalk und Waschen mit Aether rein ist.
0,1470 g Substanz verbrauchten: 8,5 ccm =- AgNO; = 0,0302 g Cl
0,1206 g Substanz ergaben: 8,8 cem N (762 ™ u. 22°).
C3 Hes O4 N; Clo.
Ber. Cl 20,46 %/,; N 8,07%
Gef. Cl 20,54 o; N 8,26 "/o.
CH;
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 293
Der freie Ester entsteht als alkalisch reagierendes Öl
durch Zerlegung des Chlorhydrates in konz. wässeriger Lösung
mit festem KOH und kann mit etwas Alkohol enthaltendem
Äther ausgeschüttelt werden. |
B. «-$-Diaminobuttersäure.
CH; - CHNH: - CHNH: » COOH.
Für die Darstellung der Diaminobuttersäure diente als
Ausgangsmaterial die @-#-Dibrombuttersäure, welche nach den
Angaben von Kolbe’) aus Crotonsäure erhalten wurde.
Zu einer kalt gehaltenen Lösung von Crotonsäure- in
Schwefelkohlenstoff wurde die berechnete Menge Brom, eben-
falls in Schwefelkohlenstoff gelöst, zugetropft, das Gemisch
2 Tage im verschlossenen Gefässe gehalten und dann der frei-
willigen Verdunstung überlassen. Die zurückbleibende Dibrom-
buttersäure zeigte aus Schwefelkohlenstoff umkristallisiert den
angegebenen Schmelzpunkt 87°.
50 g Dibromsäure wurden zur Umwandlung in die Diamino-
säure mit der gleichen Menge festen, gepulverten Ammonium-
karbonates und der zwanzigfachen Menge wässerigen Ammoniaks
(25 °/,) 6 Stunden lang im eisernen Autoklaven auf 120° erhitzt.
Es resultierte eine gelb gefärbte Flüssigkeit, die durch Ein-
dampfen vom Ammoniak befreit wurde. Aus dem durch Kon-
zentration gewonnenen dicken Sirup konnte jedoch das bei der
Reaktion entstandene Bromammonium wegen der leichten Lös-
lichkeit der Diaminosäure nicht von dieser getrennt werden. Es
wurde deshalb das Gemisch von neuem in Wasser gelöst, mit
Silberoxyd zersetzt und bei gelinder Wärme das Ammoniak ver-
dunstet, filtriert, alles in Lösung befindliche Silber mit Schwefel-
wasserstoff ausgefällt und die Flüssigkeit zum dünnen, hell-
gelben, alkalisch reagierenden Sirup konzentriert. Dieser wurde
über Phosphorpentoxyd der freiwilligen Kristallisation überlassen.
Nach kurzer Zeit war geringe Kristallabscheidung bemerk-
bar. Die Kristalle verschwanden in dem Maße, als dem Sirup
Wasser entzogen wurde und fielen bei Zusatz von wenig Wasser
wieder aus. Da die Diaminobuttersäure selbst äußerst hygro-
skopisch und demgemäß sehr leicht löslich ist, die Kristalle
außerdem in wässeriger Lösung im Gegensatze zu dem Sirup
1) C. Kolbe, Journ. f. prakt. Chem. [2], 25, 396.
294 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
neutral reagierten und mit Phosphorwolframsäure keine Fällung
gaben, mußten sie als eine von der a-ß-Diaminobuttersäure
verschiedene Substanz angesehen werden. Sie erwiesen sich,
wie dargelegt ist, als @-Oxy-ß-aminobuttersäure.
Der Sirup wurde von den Kristallen durch Absaugen auf der
Nutsche getrennt und wiederum konzentriert. Er stellte dann
eine gelbe, dickflüssige, eigenartig nach Leim riechende Masse
dar, die, mit Alkohol oder Äther übergossen, erstarrte, in Be-
rührung mit der atmosphärischen Luft aber sehr schnell Feuchtig-
keit anzog und in kurzer Zeit zerfloß. Von einer Analyse wurde
deshalb Abstand genommen und nur einige Derivate der a-ß-
Diaminobuttersäure analysiert.
Die Menge des über PO; getrockneten Sirups betrug 15 g
gleich 24 °/, der Theorie (berechnet auf die angewandte Dibrom-
säure).
Der qualitativen Prüfung unterworfen, zeigt die &-#-Diamino-
buttersäure folgendes Verhalten:
Die wässerige Lösung nimmt mit CuCO; gekocht tiefblaue
Färbung an.
HgCl, erzeugt einen weißen, flockigen Niederschlag.
Phosphorwolframsäure erzeugt in neutraler oder schwefel-
saurer Lösung eine starke, weiße, massige Fällung.
Jodwismut-Jodkalium erzeugt einen Niederschlag, der sich
im Überschuß des Fällungsmittels wieder auflöst.
Bleiacetat erzeugt weiße Fällung, löslich im Überschuß des
Reagenzes.
Derivate der Diaminobuttersäure.
Da das durch Kochen der wässerigen Lösung der Säure
mit Kupferkarbonat erhaltene Kupfersalz bei der Analyse stets
einen zu hohen Kupfergehalt ergab, was darauf schließen ließ,
daß die Diaminobuttersäure noch durch beigemengte Oxyamino-
säure verunreinigt sei, wurde zunächst versucht, erstere durch
Fällung mit Phosphorwolframsäure und nachherige Zerlegung
mit Barytwasser im reinen Zustande zu erhalten. Dabei trat
aber weitgehende Zersetzung der Diaminosäure ein. Deshalb
mußte auf die Isolierung des reinen Kupfersalzes verzichtet
werden. Dagegen konnten das Phenyl-iso-cyanat und Pikrat,
sowie das Quecksilbersalz rein dargestellt werden.
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 295
Phenyl-iso-cyanatverbindung der Diaminobuttersäure.
CH;
CH (NH.CO.NHC,H;)
CH (NH. CO .NHCsH;3)
COOH. |
1 g rohe Diaminobuttersäure wurde in 20 cm? Wasser gelöst,
mit 8,5 cm? n-Natronlauge versetzt, 3 g Phenyl-i-cyanat hinzu-
gefügt und kräftig geschüttelt, bis der Geruch des Phenyl-
cyanates verschwunden war. Die Lösung wurde nach mehr-
stündigem Stehen vom ausgeschiedenen Diphenylharnstoff
abfiltriert, und die Phenylcyanatverbindung mit Salzsäure als
ein zunächst gelblich gefärbter Niederschlag ausgefällt. Durch
Umkristallisieren aus verdünntem Alkohol wurde sie in rein
weißem Zustande erhalten. Sie schmolz dann bei 238°.
Analyse
der im Vakuum über Schwefelsäure getrokneten Substanz:
0,1747 g Substanz ergaben 23,9 cm® N (20°, 760 mm).
Cs H20 N4 O4.
Ber. N 15,73 %%.
Gef. N 15,66 “v.
Pikrat der Diaminobuttersäure.
Ces H: (NO2) + OHCH; (CHNH2)} CO: H + 2H; O.
Eine Lösung von 1,5 g Pikrinsäure in heißem Wasser
wurde mit etwas mehr als der berechneten Menge Diamino-
buttersäure versetzt, und die Flüssigkeit durch Eindampfen
konzentriert. Nach dem Erkalten schied sich auf Zusatz von
Alkohol das Pikrat als gelber, flockiger Niederschlag aus, der
abgesaugt und über Schwefelsäure getrocknet wurde.
Das Pikrat zersetzt sich beim Erhitzen im Kapillarrohr
schon gegen 90°.
Es ist hygroskopisch und demgemäß leicht in Wasser
löslich.
Die Analyse ergab einen Kristallwassergehalt!) von 2 mol.
ı) Das Pikrat der homologen «-8-Diaminopropionsäure enthält gleich-
falla 2 Moleküle Kristallwasser.
296 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III.
Analyse.
0,1196 g Substanz ergaben 19,0 cm? N (20,5°, 786 mm).
0,1235 g Substanz ergaben 0,1411 g CO, und 0,0511 H:O.
CoHı: Oi: Ns = Cio Hı; N5 Og + 2 HO.
Ber. C 31,33 o H 4,44 °%/, N 18,25 %
Gef. C 31,16 „ H 4,59 „ N 18,32 „
Eine direkte Wasserbestimmung konnte wegen des niedrigen
Zersetzungspunktes des Pikrates nicht ausgeführt werden.
Quecksilbersalz der Diaminobuttersäure.
(CH; -CHNH;, - CHNH; - COO): Hg.
Trägt man in die wässerige Lösung der Diaminobuttersäure
frisch gefülltes Quecksilberoxyd ein und erwärmt auf dem
Wasserbade, so löst sich ein Teil desselben auf. Nach ein-
stündigem Erwärmen wird abfiltriert, und die klare, schwach
gelb gefärbte Flüssigkeit auf dem Woasserbade bis auf ein
kleines Volumen eingeengt. Dabei scheiden sich schillernde
Häutchen ab; von diesen wird abfiltriert und die dabei
abfließende Flüssigkeit in das 10-fache Volumen absoluten
Alkohols eintropfen gelassen. Dabei fällt das Quecksilbersalz
als weiße, amorphe Masse, die abfiltrier, nochmals in Wasser
gelöst und von neuem mit Alkohol gefällt wird. Sie bildet
dann ein weißes, durchaus luftbeständiges Pulver, das die
Zusammensetzung des normalen Quecksilbersalzes besitzt. Letzteres
löst sich außerordentlich leicht im Wasser und erteilt ihm
alkalische Reaktion.
Analyse
der bei 90° getrockneten Verbindung:
0,2440 g Substanz ergaben 0,1315 g HgS
0,2392 g Substanz ergaben 13,7 cm? N (18°, 750 mm).
Cs Hs Na O4 Hg l
Ber. Hg 46,08 °;, N 6,45 °/,
Gef. Hg 46,48 „ N 6,44 ,
C. «-Oxy-ß-aminobuttersäure.
CH; - CHNH, - CHOH - COOH.
Die bei der Synthese der Diaminobuttersäure als Neben-
produkt erhaltene Substanz ließ ihrem qualitativen Verhalten
nach auf eine Monoaminosäure schließen. Denn sie gibt mit
C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. III. 297
Kupferkarbonat gekocht eine dunkelblaue Lösung, dagegen mit
Phosphorwolframsäure keine Fällung. Ebensowenig wird sie
durch Bleiacetat, Bleisubacetat oder Bleisubacetat und Ammoniak
gefällt. Auf Grund der Elementaranalyse muß ihr die empi-
rische Formel C,H,O,N zugeschrieben werden, welche einer
Oxyaminobuttersäure entspricht.
Analyse.
0,1557 g Substanz ergaben 0,2303 g CO, und 0,1060 g H:O
0,1325 g Substanz ergaben 13,5 cm? N (21°, 758 mm).
C,H,NO,.
Ber. C 40,34 °/, H 7,56 °% N 11,76 %%.
Gef. C 40,34 „ H 7,56 „ N 11,56 „
Die Verbindung bildet, aus verdünntem Alkohol umkri-
stallisiert, schöne, rhombische Tafeln, die sich über 200° zer-
setzen und intensiv fichtenspanrötende Dämpfe entwickeln.
10 cm? Wasser lösen bei Zimmertemperatur 0,5278 g
der Säure.
Über die Konstitution der Säure, ob die Aminogruppe sich
in a- oder $-Stellung zur Karboxylgruppe befinde, sollte die ge-
wöhnliche oder abnorme Zusammensetzung des Kupfersalzes
eine Entscheidung geben. Denn 8-Oxy-a-aminosäuren bilden
regelmäßig normale, a-Oxy-3-aminosäuren anomal zusammen-
gesetzte Kupfersalze.
Kupfersalz der a-Oxy--aminobuttersäure.
CH; - CHNH; - CHO.-COO
NZ
Cu
Dieses wurde in gewohnter Weise durch Kochen der wässe-
rigen Lösung mit Kupferkarbonat dargestellt, filtriert und ein-
geengt. Da das so bereitete Kupfersalz zu einem nicht kristalli-
sierenden, blauen Firnis eintrocknet, wurde es aus der konzen-
triertten Lösung durch Alkohol ausgefällt.e Es bildet dann
ein himmelblaues Pulver. Dieses zeigt beim Trocknen im
Vakuum bei 100° keine Gewichtsabnahme, und ist daher —
bei der angegebenen Art der Darstellung — frei von Kristall-
wasser, im Gegensatze zum Isoserinkupfer, das davon drei Mole-
küle enthält und diese erst bei 160° abgibt.
298 C. Neuberg, Synthese von Oxy- und Di-aminosäuren. IIl.
Analyse.
0,1535 g der im Vakuum bei 100° getrockneten Substanz er-
gaben 10,2 cm? N (20°, 762 mm).
0,2132 g Substanz ergaben 0,0935 g CuO.
C,‚H;0;NCu.
Ber. Cu 35,21 %/, N 7,74 ®/o.
Gef. Cu 35,04 „ N 7,62 „
Demnach wird auf ein Molekül Oxyaminosäure ein ganzes
Atom Kupfer gebunden.
a-Naphthyl-iso-cyanatverbindung der @-Oxy-ß-amino-
buttersäure.
CH; -CH(NH.- CO. NHC,H;)- CHOH »- COOH.
0,5 g der Säure werden 6 cm? n-Natronlauge und 20 cm?
Wasser gelöst und mit 1,2 g a-Naphthyl-i-cyanat, dem jüngst
von Neuberg und Manasse!) empfohlenen Reagenz, behandelt.
Sie gibt damit glatt die «-Naphthylhydantoinsäure, die aus der
alkalischen Lösung durch HCl fast quantitativ ausfällt und
deren Vorliegen die Analyse bestätigte. Das Naphthylcyanat-
additionsprodukt wurde zur Reinigung aus alkoholischer Lösung
durch Wasser ausgefällt.
Beim Erhitzen im Kapillarrohre zersetzt es sich oberhalb
170°.
Analyse.
0,1947 g Substanz ergaben 16,8 cm? N (25°, 756 mm).
Cis His O4 Ne.
Ber. N 9,72%.
Gef. N 9,57 „
1) Ber. 38, 2359. 1905.
Berichtigung
zu: J. Wohlgemuth: Chemie der Phosphorleber.
(Biochemische Zeitschrift 1, S. 161.)
S. 163, Tabelle II, Versuch 3 und 5 sind die Zahlen für Schwefel
und folglich N :S durch 2 zu dividieren, müssen also heißen 0,52 und 0,49,
dementsprechend 1:0,88 und 1: 0,72.
Über Glykaemie und Glykosurie.
Von
E. Liefmann und R. Stern.
(Aus der inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses
zu Frankfurt a. M.)
(Eingegangen am 18. Juli 1906.)
Wenn wir von den anscheinend nur nach Phlorizinvergiftung
auftretenden renalen Glykosurien absehen, sind alle uns be-
kannten Formen der Glykosurie hämatogenen Ursprungs, d. h.
Vorbedingung für die Glykosurie ist die Hyperglykaemie. Es
ist demzufolge eine genaue Kenntnis des Verhaltens des Blut-
zuckere bei den verschiedenen Formen der Zuckerausscheidung
naturgemäß von großer, nicht nur theoretischer, sondern auch
praktischer Bedeutung. Es muß befremdlich erscheinen, wie
wenig sicheres über den Blutzucker unter pathologischen, ja
selbst unter normalen Verhältnissen bekannt ist. Wechseln
doch die Angaben der einzelnen Autoren über den normalen
Blutzuckergehalt des Menschen von Werten von 0,05 bis zu
solchen von 0,33.
Es sind augenscheinlich mehrere Umstände, die diesen
außerordentlichen Mangel an Einheitlichkeit der Resultate be-
dingen. Einmal kommt es gerade bei Bestimmungen des Blut-
zuckers, wie es scheint, sehr auf die Art der Entnahme an.
Wissen wir doch, daß bei manchen Tieren schon geringe
mechanische Insulte, wie die Fesselung, genügen, um eine ver-
mehrte Ausschwemmung von Zucker aus der Leber zu ver-
anlassen, und ebenso dürfte sehr gesteigerte Muskeltätigkeit und
Biochemische Zeitschrift Band I. 20
300 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie.
andere hier nicht zu erörternde Faktoren auf den Gehalt des
Blutes an Zucker einwirken.
Mehr noch aber als die schon geschilderten Verhältnisse
waren es die rein chemisch-methodischen Schwierigkeiten, die
die außerordentliche Divergenz der Resultate der einzelnen Unter-
sucher hervorriefen. Manche der namentlich früher für die Be-
stimmung des Blutzuckers angewandten Methoden birgt gerade
bei ihrer Ausführung an Blutfiltraten äußerst starke subjektive
Momente. Wir denken hier in erster Linie an die Titration
nach Fehling. Weit besser anwendbar ist die Methode nach
Allihn und mehr noch die Knappsche Methode, die bei
richtiger Anwendung Resultate von ganz außerordentlicher
Schärfe liefert. Was bei allen diesen Methoden, in denen die
reduzierende Kraft von Blutfiltraten gemessen wird, in Wirk-
lichkeit zur Titration gelangt, ist zwar sicherlich in der Haupt-
sache Traubenzucker, unsere Kenntnis von den Filtratkörpern
des Blutes ist aber keine so vollkommene, daß wir das Vor-
kommen anderweitiger reduzierender Substanzen völlig aus-
schließen können, ja es erscheint sogar recht wahrscheinlich,
daß geringe Mengen anderweitiger reduzierender Substanzen, so
namentlich leicht spaltbare Glukuronsäuren, im Blute vorkommen
können. Müssen wir unter diesen Umständen auch immer die
mit den Reduktionsmethoden gewonnenen Werte mit einer ge-
wissen Zurückhaltung betrachten, so ist es doch im allgemeinen,
namentlich von praktischen Gesichtspunkten aus, gerechtfertigt,
sie auf Traubenzucker zu berechnen.
Es schien uns daher durchaus erforderlich, unseren Unter-
suchungen über den Blutzucker unter pathologischen Bedingungen
eine größere Reihe von Normalbestimmungen und zwar mit der
gleichen Methode, mit der wir später zu arbeiten gedachten,
zugrunde zu legen, da die von den verschiedenen Autoren
gefundenen Werte viel zu sehr divergieren, um an ihnen
die Grenze des Normalen und Pathologischen festlegen zu
können.
Wir lassen zuvor eine Anzahl älterer Werte tabellarisch
geordnet folgen:
E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 301
1) Claude Bernand . Hund 0,1 —0,25
2) Pavy . . . . | Hund, Katze, Schaf, | 0,06—0,1
Ochse
N Seegen . . . . Mensch 0,17 Mittel aus 16 Be-
stimmungen
4) Frerichs . . . Mensch 0,12—0,33
5) v. Mering. . . Mensch 0,1 —0,15
©) v. Noorden . . Mensch 0,05—0,15
1) Naunyn ... Mensch 0,08—0,09
Wir gingen bei unseren Untersuchungen so vor, daß wir
am ruhenden, nüchternen Menschen mittels einer Hohlnadel
die V. cubitalis punktierten und das Blut in einen Kolben, der
100 ccm einer HCl-Lösung von 2°/, und 50 ccm Wasser enthielt,
einströmen ließen. Nach Fällung mit 100 ccm einer 5prozentigen
Sublimatlösung nach Schenck ließen wir die Lösung sich
mehrere Stunden, doch nicht länger als höchstens 24 Stunden
absetzen, da es, wie sich in bisher unveröffentlichten Versuchen
von Embden gezeigt hat, bei längerem Stehen mit Sublimat
zu Zuckerverlusten kommen kann. Im Durchschnitt ließen wir
die Lösung 6 Stunden stehen und filtrierten dann ab. Das
Filtrat wurde mit Schwefelwasserstoff entquecksilbert, der
Schwefelwasserstoff durch einen Luftstrom verjagt, ein aliquoter
Teil neutralisiert, mit HCl schwach angesäuert und im Vakuum
auf 20 ccm eingeengt, die eingeengte Flüssigkeit auf 50 ccm
aufgefüllt, schwach alkalisch gemacht und, wie in der Arbeit
von Embden?) über Zuckerbildung in der glykogenfreien Leber
eingehend beschrieben ist, nach Knapp titriert.
Wir legten Wert darauf, die Untersuchung am ruhenden
Menschen vorzunehmen, da es auf Grund vorläufiger Versuche °)
sehr möglich erscheint, daß Muskelbewegungen durch Aus-
schwemmung des Leberglykogens den Blutzuckergehalt steigern
1) Zitiert nach Seegen, Zuckerbildung S. 104.
23 Physiology of the carbohydrates S. 161.
5 s. o. S. 109.
4) Frerichs, Diabetes melitus S. 9,
5) v. Mering, Diabetes melitus im Penzoldt-Stintzing.
© Pathologie des Stoffwechsels S. 408.
1) Der Diabetes melitas S. 13.
°, Hofmeisters Beiträge Bd. VI, S. 49.
%, Die Versuche werden fortgesetzt.
302 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie.
können, eine Frage, der wir im Tierexperiment näher zu treten
gedenken.
Wir lassen jetzt unsere Normalwerte folgen:
Nr. Stand Zucker Bemerkungen
0,
1 | Arbeiter . . . .| 0,071
2 | Arbeiter . . . .| 0,074
3 | Tagelöhner . . . | 0,072
4 | Tagelöhner . . . | 0,0966
5 | Arbeiter . . . . | 0,078
6 | Arbeiter . . . . | 0,066
7 | Arbeiter . . . .| 0,065
8 | Art .... .| 0,104 Nach körperlichen Bewegungen.
9 | Art . . . . .]| 0,093
10 | Art . . . . .}] 0,08
11 Arbeiter . . . . | 0,086
12 | Cand med. . . .| 0,101 Nach längerem "Spaziergang.
13 | Arzt (cfr. Nr. 10) . | 0,0996 | Nach längerem Spaziergang.
14 | Arbeiter . . . .| 0,0916
15 | Arzt (cfr. Nr.8) . | 0,09003 | Morgens im Bett.
16 | Handwerksbursche . | 0,0905
17 | Bergmann. . . .| 0,105
18 | derselbe . . . .| 0,08 Nach Schwitzbad.
19 | Arbeiter . . . . | 0,094
20 | Art . . . . .| 0081
Wir finden also als den höchsten Normalwert
0,105 Prozent, als den niedrigsten 0,065. Als Mittel
aus 20 Normalbestimmungen ergibt sich 0,086. Wir
betrachten demnach einen Blutzuckergehalt von 0,1 als hoch-
normal, 0,11°/, bereits als Hyperglykaemie. Dieser von uns
gefundene Normalwert deckt sich unter allen publizierten Zahlen
nur mit der von Naunyn angegebenen (0,08—0,09), welche
nach der Methode von Abeles gewonnen wurde. —
Das wohl einzig dastehende Diabetesmaterial der
von Noordenschen Abteilung gab uns reiche Gelegenheit,
einer Anzahl interessanter und für das Verständnis des Dia-
betes wichtiger Fragen näher zu treten. Es galt vor allem,
Beziehungen aufzudecken zwischen Glykaemie und Glykosurie,
resp. Zuckerfreiheit. Ferner war es von hohem Interesse, die
Abhängigkeit der Hyperglykaemie von der Dauer und Schwere
E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 303
der Erkrankung, sowie das Verhalten des Blutzuckers bei Kom-
plikationen (Coma, Nephritis) zu studieren.
Wir lassen zuerst die untersuchten Diabetesfälle, tabellarisch
geordnet, folgen:
Dauer A
Name TEA Urin Blut | Bemerkungen
Diabetes fraglich | Ki. 0 0
oder nicht vor- B 2
handen m
3 Jahre Kr. 3 Jahre Spuren | 0,134
Je. ur 1,9 | 0,209
4—5 Jahre |Schl. 4—5 Jahre
Schl. 4—5 , 0,97
Schw. 4—5 ,„ Spuren
Schw. 4—5 , 1,05
s
10—15 Jahre
1/3 oo Albumen
Diabetes und
Albuminurie
Diabetes und
wenige Tage
Nephritis Ey. 4—5 Jahre ' 2,4
Ey. 4—5 „ | 0 0,183 | Erste zuckerfreie
| Tagesportion
0,107 | Seit längerer Zeit
zuckerfrei
Glykosurie bei
Hirntumor
304 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie.
|
Name des on Urin | Blut | Bemerkungen
Coma R. ? 89 | 0,44
diabeticum et | G. ? 3,89 | 0,573
uraemicum Schl. 2 Jahre 3,1 | 0,53
Schl. 2 „5 Spuren | 1,01
Kr. ? 1,4 ‘| 0,85 | Urämie
Alimentäre Gly- | Ka. | —_ 0,218
kosurie Ma. | — 1,0 |0,147
Ko. — 2,7 |0,126
Hol. — — |0,0812| Normal
Hol. — — |0,069 | 100 g Glykose
Hol. — 0,52 |0,098 | 200 g =
Die Untersuchungsreihe bringt von neuem den Beweis der
zuerst von Claude Bernard aufgestellten, wohl nur von
Seegen auf Grund unrichtiger Normalzahlen bezweifelten Be-
hauptung, daß der Glykosurie primär eine Hyperglykaemie zu-
grunde liegt, mit andern Worten, daß jede Glykosurie (außer
der Phlorizinglykosurie) eine hämatogene ist. Wir sehen, und
zwar besonders bei frischen Fällen, daß schon eine geringe
Überschreitung der Norm (0,115) genügt, um Zucker im Harn
auftreten zu lassen.
Es mußte von besonderem praktischen wie theoretischen
Interesse sein, das Verhalten der Glykaemie an ein und dem-
selben Individuum im glykosurischen und aglykosurischen Zu-
stande zu studieren. So konnte man erwarten, über die ja an
sich nicht eben überraschende Tatsache der Hyperglykaemie
bei Glykosurie hinaus feinere Aufschlüsse über die Vorgänge
des Zuckerhaushaltes zu erhalten. Wir verfügen hier über eine
Anzahl interessanter Daten. Fall Gr., ein fettleibiger Diabetiker
der leichten Form, zeigt bei 2°/, Harnzucker 0,25 °/, Blutzucker-
gehalt, welcher bei Zuckerfreiheit glatt auf die Norm 0,095 ab-
sinkt. Co., mittelschwerer Diabetiker (vgl. Tabelle), erreicht nur
einen Wert von 0,11 bei Zuckerfreiheit, derselbe bleibt bei
längerer Zuckerfreiheit konstant, um bei dem ersten Auftreten
von Glykosurie wieder auf 0,163 zu steigen. Bei Patient Sch.
finden wir einen Wert von 0,163 bei Zuckerfreiheit, im Falle
Schw. 0,188 bei minimaler Glykosurie.. Fall Ey. bleibt bei
0,183 °/, zuckerfrei, bei lange dauernder Kohlehydratentziehung
E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 305
sinkt der Blutzucker auf 0,107 und steigt bei der ersten wieder
auftretenden Glykosurie auf 0,286. —
Wir stehen also vor dem theoretisch wie praktisch wich-
tigen Faktum, daß zwar Hyperglykaemie die Vorbedingung der
Glykosurie, letztere aber nicht die notwendige Folge der Hyper-
glykaemie sein muß, wir also auch ohne Glykosurie tiefgreifenden
Störungen des Kohlehydratstoffwechsels gegenüberstehen können.
Wir halten es für nicht unangebracht, diesen Tatsachen mit
der Einführung des Begriffes der inneren Toleranz Rechnung
zu tragen. Wir verstehen unter der inneren Toleranz die Summe
der Vorgänge, welche teils durch Regulierung der Einfuhr des
Zuckers aus den Reservoirs in das Blut, teils durch den Ver-
brauch in den Geweben, die normale Höhe des Blutzuckers
gewährleisten. Wir sehen, daß im normalen Organismus diese
Einstellungsvorgänge ungemein fein arbeiten und jedenfalls nur
ganz geringe Schwankungen des Blutzuckergehaltes zulassen.
Wie schon erwähnt, haben wir Grund zu der Annahme, daß
Muskelarbeit sowie Einflüsse der äußeren Temperatur die Haupt-
faktoren sind, welche diese Schwankungen, vermutlich durch
eine verstärkte Glykogenausschwemmung aus der Leber, be-
dingen, während normalerweise eine Abhängigkeit von der
Nahrungszufuhr nicht zu bestehen scheint (vgl. Fall Holl.). Der
inneren Toleranz stellen wir als etwas viel Gröberes die
äußere Toleranz, d.h. die Dichtigkeit des Nierenfilters für
Zucker entgegen. Wir sehen also, daß beim zuckerfreien Dia-
betiker die innere Toleranz noch schwerste Störungen aufweisen
kann, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die Neigung
des Diabetikers zu Entzündungen aller Art, zu Neuritiden und
Muskelschmerzen, auf die trotz Zuckerfreiheit weiter bestehende
Hyperglykaemie beziehen. Die Möglichkeit, bei länger dauernder
Kohlehydratentziehung auch die innere Toleranz zu steigern,
zeigt sich sehr klar am Fall Ey. und führt zu wichtigen thera-
peutischen Konsequenzen.
Auffallend ist die bei den einzelnen Individuen ungemein
schwankende äußere Toleranz. Da wir nicht leicht in die Lage
kommen, gerade den Schwellenwert der zur Glykosurie führenden
Glykaemie zu finden, so müssen wir uns mit dem Vergleich der
Werte begnügen, denen bei den einzelnen Individuen die äußere
306 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie.
Toleranz noch standhält. Eine kleine Tabelle wird diese Ver-
hältnisse am besten erläutern.
Name | Dauer Harn Blut Semer:
kungen
Ro. . . . | Seit 8 Tagen Spuren 0,105
Co. . . .| 7 Monate 0 0,11
Kl. . . .| 4—5 Jahre 0 0,152
Schl.. . .| 4—5 , 0 0,163
Schw. . .| 4—5 , Spuren 0,188
Ey. . . .| 4-5 „ 0 0,183 Nephritis
St. 2... 10 „ 0 0,154
We re... l5 a Spuren 0,224
Man kann sich bei dem Vergleich dieser Zahlen dem Ein-
druck nicht verschließen, daß auf die äußere Toleranz die
Dauer der Erkrankung einen offenbaren Einfluß hat. Es scheint,
daß das Nierenparenchym auf irgend eine Weise sich auf einen
höheren Schwellenwert einstellt. Es kann hier natürlich nicht
von den schwersten Fällen die Rede sein, die bei dauernder
Glykosurie und Einschmelzung von Körpereiweiß einen Ver-
gleich zwischen innerer und äußerer Toleranz überhaupt nicht
gestatten, sondern von den leichteren und mittelschweren, bei
denen überhaupt noch von einer äußeren Toleranz gesprochen
werden kann.
Bei diesen scheint allerdings das Nierenfilter an Dichtigkeit
zu gewinnen), während das Hauptsymptom der diabetischen
Stoffwechselstörung, die Hyperglykaemie, ungestört ihren Fort-
gang nimmt. Die Wichtigkeit der Aufgabe, diesem Symptom
durch unsere Therapie entgegenzuarbeiten, den Blutzuckerwert
möglichst weit unter den Schwellenwert herabzudrücken, auch
wenn Zuckerfreiheit des Harns schon erreicht ist, leuchtet ein.
Sie findet ihren schärfsten Ausdruck in der Naunynschen
Auffassung der diätetischen Behandlung als einer Schonung
und Kräftigung der dem Zuckerstoffwechsel dienenden Gewebe.
Einen zahlenmäßigen Ausdruck findet diese Kräftigung in dem
Absinken des Blutzuckers von 0,183 auf 0,107 im Fall Ey. bei
lange durchgeführter strenger Diät.
1) Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß außer in dem Fall
Ey. weder Nephritis noch Albuminurie bestand,
E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie. 307
Den höchsten Grad der Hyperglykaemie finden wir in
jenen Fällen, wo das Nierenfilter nahezu vollständig verstopft
ist für die angehäuften Stoffwechselgifte, nämlich im Coma
diabeticum. Wir finden hier Werte von 0,44 bis zu der erstaun-
lichen Höhe von 1,01. Ebenso finden wir in einem Falle von
Uraemie bei Diabetes den enormen Wert von 0,85. Ähnlich
hohe Zahlen fand Naunyn’) in seinen Fällen von Coma, sowie
in einem Fall von Diabetes mit eitriger Nephritis. Es sprechen
auch diese Zahlen sehr für die Abhängigkeit der Glykaemie von
der Beschaffenheit des Nierenfilters.
Da wir aus den ausgedehnten Untersuchungen von Poll?),
welche auf der hiesigen Krankenabteilung vorgenommen wurden,
wissen, daß mehrtägiges Fieber in hohem Maße zur alimentären
Glykosurie (e saccharo) disponiert, so schien uns die Unter-
suchung des Blutzuckergehalts bei fieberhaften Erkrankungen
von besonderem theoretischen Interesse. — Wir wählten hierzu
Patienten mit kruppöser Pneunomie, bei denen aus thera-
peutischen Gründen ein Aderlaß gemacht wurde. Es sind diese
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, doch halten wir es
für wichtig, die bisherigen höchst auffallenden Ergebnisse schon
mitzuteilen.
Tabelle:
000 | Harn | o. | DT TTn
Name un Blut Bemerkungen
Alb. | Z.
1. M. ? | o 0,098
2. A. 0 | 0 0,108
0 0 0,17 1 Stunde nach Einnahme
| von 200 g Glukose
3. R + 0 0,136
+ 0 0,281 1 Stunde nach Einnahme
| von 100 g Glukose
4. Pr.. 0:0 0,155
Wir stehen hier vor der Tatsache, daß bei der Pneumonie
nicht nur sehr hohe Blutzuckerwerte ohne Glykosurie vor-
kommen, sondern daß in zwei Fällen sich durch Glukose eine
ganz beträchtliche Anreicherung des Blutzuckers erzielen läßt,
) A.a.0. S. 150.
2?) Arbeiten aus dem Städt. Krankenhause in Frankfurt a. M. 1896.
308 E. Liefmann und R. Stern, Glykämie und Glykosurie.
ohne daß Glykosurie auftrat. (Daß die Angaben über den
Urinzucker sich hier, wie in allen untersuchten Fällen, auf den
unmittelbar vor der Punktion gelassenen Harn beziehen, ist
wohl selbstverständlich.) Diese eigentümliche Tatsache dürfte
wohl mit der im Fieber gesteigerten Verbrennung und dem
entsprechend erhöhten Zuckertransport aus der Leber ins Blut
in Verbindung zu bringen sein, während das Ausbleiben der
Glykosurie wohl auf febrile Schädigung des Nierenfilters zu
beziehen ist.
Immerhin scheinen hier so komplizierte Verhältnisse vor-
zuliegen, daß wir uns mit diesem Hinweisen begnügen müssen,
ohne uns auf weiteres Theoretisieren einzulassen.
Ob diese eigentümlichen Störungen der inneren Toleranz
in spezifischer Weise der Pneumonie, oder lediglich dem be-
gleitenden Symptom, dem Fieber, ihre Entstehung verdanken,
müssen weitere Untersuchungen an anderen fieberhaften Er-
krankungen lehren.
Über die Ursachen der Immunität der Bienenmotte
(Galeria melonella) gegen Tuberkulose.
Von
S. Metalnikoff.
(Aus der zoologischen Abteilung der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften
und der chemischen Abteilung des Kaiserl. Instituts f. experim. Medizin
in St. Petersburg.)
(Eingegangen am 23. Juli 1906.)
Die Raupen der Bienen- (oder Wachs-) Motte (Galeria melo-
nella) besitzen zweifellos eine Immunität in bezug auf Infektion
mit Tuberkulose (Centr. f. Bact., XLI. Bd., 1906).
Von dieser Immunität kann man sich unschwer über-
zeugen, indem man größere Dosen virulenter Tuberkelbazillen
in die Leibeshöhle dieser Insekten injiziert. Diese Bazillen
werden sowohl innerhalb der Leukocyten wie auch im Inneren
besonderer vielkerniger Zellen und Kapseln, welche in der Leibes-
höhle zur Bildung gelangen, mit erstaunlicher Geschwindigkeit
vernichtet. Bereits eine oder zwei Stunden nach erfolgter In-
jektion kann man die Bildung dieser vielkernigen Zellen und
Kapseln beobachten. Nach 24 Stunden sind fast alle Bazillen
zerstört und in ein dunkelbraunes Pigment verwandelt. Die
Geschwindigkeit, mit welcher die Zerstörung der Tuberkelbazillen
vor sich geht, steht in Abhängigkeit von zwei Ursachen:
Einerseits spielt hier die Virulenz der Bazillen selbst eine
Rolle. Stärkere und jüngere Kulturen werden in dem Orga-
nismus der Raupe mit geringerer Geschwindigkeit zerstört, als
ältere und schwächere Kulturen. Schwächere Tuberkelbazillen
310 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte.
pflegen nach 2—3 Stunden in so hohem Grade der Ver-
nichtung zu unterliegen, daß es unmöglich wird, in dem
Organismus der Raupe ganze, unveränderte Bazillen nach-
zuweisen.
Andrerseits hängt die Geschwindigkeit, mit welcher die
Zerstörung der Bazillen vor sich geht, auch von der Temperatur
ab, welcher die Raupen ausgesetzt sind. Bei niederen Tem-
peraturen geht der Zerstörungsprozeß weniger rasch vor sich.
Bringt man dagegen mit Tuberkulose infizierte Raupen in einen
Thermostat mit einer Temperatur von 38—39 °, so erfolgt die
Vernichtung der Bazillen mit einer erstaunlichen Geschwindig-
keit. Bereits nach '/—1 Stunde kann man in der Leibeshöhle
der infizierten Tiere ungeheure Mengen dunkelbrauner Gebilde
entdecken, welche nichts anderes darstellen, als Zerstörungs-
produkte der Tuberkelbazillen.
Die Zerstörung der Tuberkelbazillen erfolgt nicht nur im
Inneren der Raupe, sondern auch durch das Blut außerhalb
des Organismus, in vitro.
Nimmt man eine kleine Quantität von Raupenblut und
fügt Tuberkelbazillen hinzu, so kann man schon nach kurzer
Zeit diejenigen Veränderungen bemerken, welchen die Bazillen
unterliegen. Diese letzteren schwellen stark an, hören auf, sich
mit Fuchsin zu färben, verkleben miteinander und verwandeln
sich in stark lichtbrechende, glänzende Körper von unregel-
mäßiger Gestalt, welche man anfangs nur sehr schwer als
differenzierte Tuberkelbazillen erkennen kann; diese Gebilde
sind so sehr charakteristisch, daß man nach ihrem Vorhanden-
sein auf dem Präparat stets darauf schließen kann, ob eine
Zerstörung der Bazillen vorliegt.
Das Blut der Raupen besitzt demnach unzweifelhaft bak-
teriolytische Eigenschaften in bezug auf die Tuberkelbazillen.
Um mir eine Vorstellung von der Intensität dieser bakteriolyti-
schen Eigenschaften zu machen, verwendete ich die Methode
der Verdünnung des Blutes durch eine bestimmte Quantität
physiologischer Kochsalzlösung.
Bei der Verdünnung des Blutes durch physiologische Koch-
salzlösung verringert sich seine Wirkung auf die Tuberkelbazillen
nach und nach, wobei dieselbe bei einer Verdünnung von
1 zu 20 oder 25 schließlich gänzlich aufhört. Diese Zahlen
S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 311
können in Abhängigkeit von dem Alter und der Stärke der
Kulturen bedeutend variieren. Es erwies sich, daß ältere
Kulturen empfindlicher gegen die Wirkung des Blutes sind,
als jüngere.
Alle diese Versuche zeigen uns, daß in dem Blute der
Raupen ein Grundbestandteil enthalten ist, welcher imstande
ist, Tuberkelbazillen zu zerstören. Welches ist nun diese
Substanz ?
Um die Frage zu entscheiden, ob dieser Grundbestandteil
zu der Kategorie der Fermente gehört, stellte ich eine ganze
Reihe von Versuchen an, wobei ich das Blut der Raupen bis
zu gewissen Temperaturgrenzen erwärmte.
Indem ich das verdünnte Blut der Raupen bis zu einer
Temperatur von 56°, 60° und 65° erwärmte, konnte ich mich
davon überzeugen, daß solche Temperaturen keine Wirkung auf
die bakteriolytischen Eigenschaften des Blutes ausüben. Erst
wenn das Blut im Verlaufe einer halben Stunde bis zu 72—75 °
erwärmt worden ist, verliert es endgültig seine Fähigkeit, auf
die Tuberkelbazillen einzuwirken. Durch das Filtrieren des
Blutes durch ein Chamberlandsches Filter werden die bak-
teriolytischen Eigenschaften bedeutend herabgesetzt.
Diese Versuche veranlassen uns zu der Annahme, daß wir
es möglicherweise mit einem Fett spaltenden Ferment, resp.
Lipase oder ihr nahestehendem Körper zu tun haben, welcher
ähnliche Eigenschaften besitzt. Wie bekannt, wird die Lipase
bei 72—75° zerstört und durch ein Filter zurückgehalten.
Diese Voraussetzung erscheint um so wahrscheinlicher, als die
Tuberkelbazillen bis zu 40 °/, fett- resp. wachsartige Substanzen
enthalten und die Lipase bekanntlich die Fähigkeit besitzt,
Fette zu zerlegen.
Ist diese Annahme richtig, so muß das Blut der Raupen
eine beträchtliche Quantität einer solchen Lipase enthalten,
welche imstande ist, nicht nur Fett, sondern auch die in den
Tuberkelbazillen enthaltene fett- resp. wachsartige Substanz zu
zerlegen. Um diese Frage zu entscheiden, wurde eine Anzahl
von Versuchen über die Wirkung des Blutes der Raupen auf
Fett und auf Tuberkulosewachs angestellt. Diese Versuche wur-
den gemeinschaftlich mit Fr. Dr. N. O. Schumowa-Siber in dem
chemischen Laboratorium des Instituts für experimentelle Medizin
312 S. Metalnikoff, Tuberkulose- Immunität der Bienenmotte.
angestellt!. Dem verdünnten Blute von Raupen wurden be-
stimmte Quantitäten von Fett und Emulsionen gewöhnlichen
und tuberkulösen Wachses hinzugefügt.
Bereits nach 24 Stunden konnte eine beträchtliche Zunahme
der Acidität konstatiert werden. Erst durch Erwärmen des
Blutes auf 72° gelingt es, die demselben innewohnenden lipo-
tolytischen Eigenschaften zu zerstören.
Wenn es sich durch weitere Versuche definitiv herausstellen
sollte, daß die Lipase in der Tat jene Grundsubstanz ist, welche
die Ursache für die Zerstörung der Tuberkelbazillen in dem
Blute der Bienenmotte darstellt, so drängt sich naturgemäß die
Frage auf, warum die Lipase nicht dieselbe Rolle auch in dem
Blute anderer Tiere spielt, welches Lipase enthält?
Um diese Frage zu beantworten, stellte ich Versuche über
die Wirkung des Serums verschiedener Tiere auf Tuberkel-
bazillen in vitro an. Diese Versuche wurden in folgender Weise
ausgeführt. Es wurde einem bestimmten Quantum Serum in
einem sterilen Reagensglas eine gewisse Quantität Emulsion von
Tuberkelbazillen hinzugefügt. Nach einigen Stunden, wenn die
Bazillen sich auf dem Boden des Reagensglases niedergeschlagen
hatten, holte ich mit Hilfe eines Kapillarröhrchens eine kleine
Menge dieses Niederschlag vom Boden des Reagensglases und
machte daraus ein Schmierpräparat auf dem Objektträger. Dieses
Präparat wurde in der gewohnten Weise gefärbt.
Ein jedes Serum, welches ich in letzter Zeit prüfen konnte
(und zwar das Serum des Pferdes, des Hammels, des Hundes,
der Maus, der Ratte, des Kaninchens und des Meerschweinchens),
wirkte in höherem oder geringerem Maße auf die Tuberkelbazillen
ein. Ich fand auf den in der oben beschriebenen Weise ver-
fertigten Präparaten ähnliche, stark lichtbrechende Körper, wie
sie für die in Zerstörung begriffenen Tuberkelbazillen so über-
aus charakteristisch sind. Diese stark lichtbrechenden, glänzen-
den Körper sehen kleinen Kristallen ähnlich, und zwar besonders
in denjenigen Fällen, wo die Bazillen untereinander verkleben
und ziemlich große Gruppen bilden.
Die Frage über die Rolle der Lipase bei der Infektion mit
Tuberkelbazillen wird Gegenstand einer speziellen Arbeit bilden, welche
wir in Gemeinschaft mit Fr. Dr. N. 0.Schumowa-Siber unternommen
haben; über die von uns erhaltenen Resultate werden wir später berichten.
S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 313
Wenn man die Präparate genauer untersucht, so kann man
alle Übergangsstadien zwischen normalen, gut färbbaren Bazillen
und jenen lichtbrechenden, kristallähnlichen Körpern auffinden.
Verdünnt man das Serum mit physiologischer Kochsalz-
lösung, so läßt sich jene Grenze mit Leichtigkeit feststellen,
über welche hinaus das verdünnte Serum aufhört, eine Wirkung
auf die Tuberkelbazillen auszuüben. Das Serum der Mäuse
und Ratten behält seine Wirksamkeit bei einer Verdünnung von
1l auf 12 bei, dasjenige der Pferde bei einer solchen von 1 auf
8—-10, des Kaninchens von 1 auf 4—5, des Meerschweinchens
von 1 auf 2—3. Selbstverständlich sind alle diese Zahlen
als relative zu betrachten, indem die Wirkung des Serums
auf die Bazillen ebenfalls von der größeren oder geringeren
Widerstandsfähigkeit der Tuberkelbazillen abhängig ist.
Läßt man die Tuberkelbazillen zwei, drei und mehr Tage
der Wirkung des Serums ausgesetzt, so erfolgt noch keine voll-
ständige Zerstörung aller Tuberkelbazillen. Es bleibt stets ein
kleiner Rest von Tuberkelbazillen zurück, welche der Wirkung
des Serums nicht unterliegen. Man wird eins von beiden zu-
geben müssen: entweder enthält das Serum jene Grundsubstanz,
welche auf die Tuberkelbazillen einwirkt, in nicht genügender
Menge, oder aber die Kultur enthält unter anderen sehr wider-
standsfähige Bazillen, welche der Einwirkung des Serums länger
Widerstand zu leisten vermögen. Die zweite Voraussetzung
scheint mehr Wahrscheinlichkeit zu enthalten.
Bei höheren Temperaturen (bis zu 35—39 %) wirkt das Serum
bedeutend stärker. Indem man das Serum bis zu verschiedenen
Wärmegraden erhitzt, kann man sich davon überzeugen, daß
dasselbe erst bei 72° seine bakteriologischen Eigenschaften
endgültig verliert. Wir haben es demnach hier mit demselben
Grundbestandteil zu tun, welcher auch in dem Blute der Raupe
beobachtet wird.
Es entsteht nun naturgemäß die Frage: Behalten die mit
Serum bearbeiteten Tuberkelbazillen ihre Virulenz oder nicht?
Zu meinem Bedauern war es mir bis jetzt nicht möglich ge-
wesen, diesbezügliche Versuche anzustellen. In der Literatur
existieren übrigens Beobachtungen in dieser Richtung, z. B. ver-
lieren nach den von Marogliano mitgeteilten Angaben zu
urteilen, die mit Serum behandelten Tuberkelbazillen Meer-
314 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte.
schweinchen gegenüber ihre Schädlichkeit (Berl. Klin. Woch.
1903, Nr. 25, 29).
Für den Fall, daß die von mir angestellten Beobachtungen
durch fernere diesbezügliche Versuche eine Bestätigung finden
sollten, wird man mit noch größerer Wahrscheinlichkeit behaupten
können, daß gerade diese Substanz jenen Grundbestandteil dar-
stellt, welcher die Entwicklung der Tuberkulose im infizierten
Organismus verhindert, d. h. jenen Grundbestandteil, welcher
den Prozeß der Tuberkulose, selbst bei dieser Krankheit gegen-
über sehr empfindlichen Tieren, einen außerordentlich langsamen
Verlauf nehmen läßt.
Diese Erwägungen finden eine teilweise Bestätigung in ge-
wissen Erscheinungen, welche gewöhnlich während der Tuber-
kulose auftreten.
Nach den Beobachtungen von Garnier (Compt.-Rend. soc.
biol. 1903, p. 1423) findet bei chronischer Tuberkulose eine
allmähliche Herabsetzung der Serolipase statt. Bei erfolgreicher
Heilung und bei Wiedergenesung wächst die lipolytische Ener-
gie des Blutes, selbst wenn sie anfangs außerordentlich gering
gewesen ist, allmählich wieder bis zum normalen Stande heran
Die Tuberkulose wird unzweifelhaft von irgend welchen Störungen
im Stoffwechsel des Fettes begleitet. Die Heilung der Tuber-
kulose besteht bekanntlich neuerdings hauptsächlich in der
Ernährung mit Fetten, wodurch höchstwahrscheinlich eine Stei-
gerung der lipolytischen Energie befördert wird.
Zum Schlusse muß ich nochmals auf die Versuche mit den
Raupen der Bienenmotte zurückkehren. Wie bekannt, besitzen
diese Raupen eine Immunität in bezug auf die Tuberkulose des
Menschen und zeigen gleichzeitig eine außerordentliche Empfind-
lichkeit gegenüber der Fischtuberkulose. Wird ihnen letztere
injiziert, so gehen sie gewöhnlich in 4—5 Tagen ein. Hängt
nun die Immunität der Raupen von der Anwesenheit eines be-
sonderen, auf die Zerlegung des fett- resp. wachsähnlichen
Bestandteils der Tuberkelbazillen gerichteten Fermentes im Blute
und in den Zellen dieser Tiere ab, so würde es unverständlich
scheinen, warum denn dieses Ferment nicht auch auf die
Bazillen der Fischtuberkulose einwirkt.
Zur Beantwortung dieser Frage stellte ich folgenden Ver-
such an.
S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte. 315
Ich infizierte einige Dutzende von Raupen mit Fischtuber-
kulose. Einen Teil dieser Raupen ließ ich bei der gewöhnlichen
Zimmertemperatur (20%), die übrigen verbrachte ich in den
Thermostat bei einer Temperatur von 38—39 °.
Die ersteren Raupen gingen in der gewohnten Weise nach
4 Tagen zugrunde. Der zweite Teil dagegen blieb am Leben
und verwandelte sich in Puppen und Falter. Bei der Unter-
suchung des Blutes dieser letzteren konnte ich mich davon
überzeugen, daß die Raupen bei erhöhter Temperatur die Ba-
zillen der Fischtuberkulose ausgezeichnet zu zerstören vermögen.
Diese Zerstörung erfolgt sowohl innerhalb der Leukocyten als
auch im Inneren spezieller Kapseln, gleich denen, welche bei der
Injektion mit Menschentuberkulose zur Beobachtung kommen.
Wir haben es demnach im gegebenen Falle mit einem
Tiere zu tun, welches bei hohen Temperaturen eine Immunität
in bezug auf Tuberkelbazillen besitzt, bei niederen Temperaturen
dagegen diese Immunität einbüßt.
Es sind für diese Erscheinung zwei Erklärungen möglich.
Entweder zerstören die Raupen die Bazillen der Fischtuberkulose
nur aus dem Grunde, weil diese letzteren bei höheren Tempera-
turen geschwächt sind. (In diesem Falle könnte diese Eigen-
schaft aber nicht als Immunität bezeichnet werden.) Oder aber
es erfolgt diese Zerstörung der Tuberkelbazillen aus dem Grunde,
weil der Organismus der Raupen bei niederen Temperaturen
geschwächt ist und die Raupen ihre Kräfte im Kampfe mit
der Tuberkulose nur bei hohen Temperaturen ausnützen können.
Alle Anzeichen sprechen für die zweite dieser Voraussetzungen.
Die Raupen unserer Motte entwickeln sich nur bei höheren
Temperaturen. Bei niederen Temperaturen fühlen sie sich
nicht wohl, nehmen wenig Nahrung auf und entwickeln sich
gar nicht.
Außerdem sprechen zugunsten dieser Annahme auch die
Versuche mit Tuberkelbazillen des Menschen. Teilt man mit
Menschentuberkelbazillen infizierte Raupen in zwei Gruppen
ein, und läßt die eine derselben bei einer Temperatur von etwa
20 ° (Zimmertemperatur), während die andere in den Thermostat
von 38 oder 39° verbracht wird, so werden sich beide Gruppen
mit Leichtigkeit von den Tuberkelbazillen befreien; von Interesse
ist dabei der Umstand, daß die Zerstörung der Bazillen bei 38°
Biochemische Zeitschrift Band I. 21
316 S. Metalnikoff, Tuberkulose-Immunität der Bienenmotte.
bedeutend rascher vor sich geht, trotzdem die menschliche
Tuberkulose sich gerade bei dieser Temperatur durch größte
Aktivität auszeichnet. Bei niederer Temperatur entwickelt sich
die menschliche Tuberkulose, im Gegensatz zu der Fischtuber-
kulose, nicht, und es ist aus diesem Grunde sehr begreiflich,
daß die Raupen leicht mit ihr fertig werden.
Auf Grund dieser Versuche müssen wir demnach zugeben,
daß den Raupen der Bienenmotte eine unzweifelhafte Immunität
sowohl in bezug auf Menschentuberkulose als auch in bezug
auf Fischtuberkulose zukommt, und daß diese Immunität ihren
Ursprung einem speziellen Grundbestandteil verdankt, welcher
die Fähigkeit besitzt, fett- resp. wachsähnliche Bestandteile zu
zersetzen und ferner Tuberkelbazillen sogar in vitro zu zerstören.
Biologisch-chemische Untersuchungen über das Chloroform.
Ein Beitrag zur Frage
nach der Wirkung des Chloroforms auf den Organismus.
Vorläufige Mitteilung
von
Johann Feigl und Hugo Meier.
(Aus der experimentell-biologischen Abteilung des Kgl. Pathologischen
Instituts der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 26. Juli 1906.)
Das wichtigste Inhalationsanästheticum ist das Chloroform.
Bald nach seiner Entdeckung und chemischen Erforschung er-
folgte seine medizinische Verwendung. Die pharmakologische
Wirkung ist der Häufung der Chloratome im Molekül zuzu-
schreiben, haben doch die Halogenderivate je nach ihrer Struktur
abgestufte hypnotische Eigenschaften. Speziell für die Methan-
derivate geht diese Staffelung der Wirkung aus der Reihe her-
vor, die sich durch schrittweisen Ersatz der Woasserstoffatome
durch Chlor ergibt.
Substanz | Formel | Wirkung
Methan ..... CH, keine
Chlormethyl . . . CH, Cl schwach
Methylenchlorid . . CH, Cl, stärker
Chloroform . . . . CHC], ausgesprochen
Tetrachlormethan . . CCl, stark
Bei der Häufung der Chloratome bemerkt man ein all-
mähliches Ansteigen, und zwar ist das Optimum der gesuchten
Wirkung beim Chloroform, da Tetrachlormethan bereits Erregung
21”
318 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
der Krampfzentren zur Folge hat und durch Herzstillstand zum
Tode führt. Von England aus wurde daher Methylenchlorid
empfohlen, da es kein Erbrechen verursacht. Französische
Autoren schlugen, gestützt auf theoretische Betrachtungen obiger
Reihe von Chlorderivaten, das Methylchloroform CH, — CCl, vor,
welches eine gefahrlosere Narkose bedingen sollte. Es zeigt sich
hierin das Bestreben, den Rest unerwünschter Wirkung im
Chloroform pharmakodynamisch zu beseitigen. Jedoch ist die
weite Verbreitung des Chloroforms ebensowenig durch diese Mittel
eingeschränkt worden, als durch die bereits früh beobachtete
Unsicherheit im Gebrauche. Der wesentliche Nachteil ist und
bleibt, daß seine Wirkung innerhalb gewisser Grenzen un-
kontrollierbar ist. Es bezieht sich dies auf das Verhalten des
fertigen Präparates und auf seine geringe Stabilität gegenüber
Luft und Licht. Diesen Umständen mußte die Technik ent-
gegentreten durch fortschreitende Versuche zur Verbesserung der
Darstellung wie der Reinigung und Haltbarmachung des Prä-
parates. Es ist jedoch eine Frucht der jüngsten Bestrebung auf
dem vorliegenden Gebiete, daß man einsehen lernte, inwieweit die
technischen Verbesserungen prinzipiell nicht den Kern der Sache
trafen. Ausgehend von der Überzeugung, daß es nur darauf
ankomme, ein Präparat rein herauszuarbeiten durch Ausschaltung
der Nebenvorgänge im Betriebe oder durch sorgfältige nach-
trägliche Reinigung, um es dauernd haltbar zu machen, ent-
standen die Chloroforme Schering, Pictet, Anschütz; jedoch
sind auch diese, der gleichen Behandlung im Handgebrauch
wie die gewöhnlichen Präparate unterworfen, nicht haltbarer.
Wir versuchen nun, die ganze Frage auf einen neuartigen
Boden zu stellen.
Um den physiologischen Eigenschaften der Chloroform-
präparate näherzutreten, richteten wir unser Augenmerk zu-
nächst auf das chemische Verhalten; geht doch aus ihm —
aus der Klarlegung der chemischen Umsetzungen und Beein-
flussungen durch Luft und Licht — die Bildung verschiedener
Umwandlungsprodukte hervor, deren Giftigkeit man in reinem
Zustande schon längere Zeit erkannt hat. Indem wir nun den
Oxydationsvorgängen unsere Aufmerksamkeit schenkten und zur
Kontrolle ihres Verlaufes chemische Methoden heranzogen, zeigte
es sich, daß diese bei weitem nicht ausreichen.
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 319
Unsere Versuche ergaben, daß mit aller Wahrscheinlichkeit
das Phosgen COCls der alleinige Träger der Giftwirkung im
Chloroform ist; daß aber bei Mengen, in denen es bei der bio-
logischen Prüfung schon die schwersten Erscheinungen hervor-
ruft, vielfach die chemischen Methoden versagen oder prinzipiell
unanwendbar sind. Wir untersuchten Präparate verschiedener
Herkunft, u. a. Anschütz, Pictet, Schering, Duncan,
Kahlbaum und Chloroform PH. G. IV. Wir stellten uns die
Frage, ob die schädlichen Wirkungen in Verunreinigungen von
der Darstellung her zu suchen seien, und wie schnell ein ein-
mal gereinigtes Chloroform giftige Eigenschaften erwirbt. Zur
Klärung der letzteren Frage variierten wir die Versuchs-
bedingungen in weiten Grenzen.
Wir stützten uns zunächst auf die rein chemischen Unter-
suchungsmethoden, die uns aber bald genug im Stiche ließen.
Wir gewannen die Überzeugung, daß sie für feinere Zwecke
nicht verwendbar sind, und müssen Langgaard') beipflichten,
der in einer Arbeit mit Nachdruck betonte, daß die seither an-
gewandten Prüfungen nicht ausreichend seien, um die Garantie
zu bieten, die man zu therapeutischen Zwecken zu fordern be-
rechtigt ist. Langgaard führt loc. cit. eine neue Prüfungs-
methode?) an, die zur chemischen Untersuchung dienen soll und
die von ihm als eine äußerst empfindliche beschrieben wird.
Wir machten von ihr Gebrauch und unterwarfen unsere
Chloroformsorten sowie zur näheren Kenntnis des Umfanges
der Reaktion auch eine Reihe anderer Substanzen der Behand-
lung mit Formalin-Schwefelsäure nach Langgaard). Wir
konnten zunächst bestätigen, daß diese Probe ungemein empfind-
lich ist und bei einer Reihe organischer Verbindungen eintritt,
so z. B. bei aromatischen Substanzen (Benzol, Toluol, Xylol),
ferner bei Aceton, namentlich aber bei Stoffen mit reaktions-
fähigen Bindungen, besonders bei Aldehyden.
Für die Empfindlichkeit sei folgendes Beispiel angeführt.
Ein Reagensglas mit wenigen Tropfen des Reagens wurde schräg
gegen ein anderes leeres benzoldampfhaltiges Glas geneigt, sodaß
die Mündungen einander nahe waren. Wir konnten beobachten,
!) Ther. Monatsh. 1902. V.
2, Reagens v. Marquis 3 cem H, S0, + 2 Tropfen HCHO.
320 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
wie fast momentan beim Hinüberfließen der Dämpfe die Wandung
des Glases mit der Formalinschwefelsäure erst rot, dann rotbraun
angehaucht erschien. Beim Umschütteln erschienen im Reagens
rostrote Flocken. Besonders beobachteten wir die Reaktion bei
den Verdunstungsrückständen vieler Chloroformsorten. Unter-
zogen wir dagegen unsere frischen, wie auch der Oxydation
durch Belichtung und Berührung mit Luft anheimgefallenen
Chloroforme der Prüfung, so erhielten wir verschiedene Ergeb-
nisse. Es traten intensivere Färbungen auf bei frischen Präpa-
raten, während mitunter alte, länger gestandene, die bereits
deutlich nach Phosgen und freier Säure rochen, nur schwach
reagierten. Wir kommen daher zu dem Endergebnis, daß
eindeutige Folgerungen aus dem positiven oder negativen
Ausfall der Reaktion nicht ableitbar sind. Aus den vielen
Versuchen glauben wir das eine entnehmen zu dürfen, daß die
eo scharfe Reaktion im vorliegenden Falle von geringem Werte
darum ist, weil ihr Chemismus unklar ist. Es ist eben schwer
zu sagen, was im einzelnen Falle reagiert: ob es die physio-
logisch indifferenten Verunreinigungen sind, oder das Phosgen,
bez. seine nächsten Umwandlungsprodukte. Die Bedeutung
der Reaktion ist jedenfalls darin zu suchen, daß sie uns über
manche Substanzen aufklären kann, deren Gegenwart im Chloro-
form unerwünscht ist, womit noch nicht gesagt zu sein braucht,
daß sie die Träger der Giftwirkung sind. Es ist bekannt und
wird von den pharmazeutischen Reinheitsproben gebührend be-
rücksichtigt, daß Handelschloroforme Rückstände hinterlassen.
Diese können mehr oder minder gefärbt sein und einen unan-
genehmen Geruch besitzen, wie wir entsprechend Langgaard
feststellten. Ihr Aussehen ist meist weiß, gelblich, gelegentlich
dunkler. Es scheinen fettige Tröpfchen zu sein. Wir sehen also
in der Prüfung nach Langgaard eine erwünschte Erweiterung
der Untersuchungen des Chloroforms auf Reinheit von technischen
Verunreinigungen, können jedoch weitergehende Folgerungen
bezüglich der Ungiftigkeit eines Chloroforms daraus nicht ab-
leiten. Mit Rücksicht hierauf müssen wir sagen, daß die rein
chemischen Methoden zum endgültigen Urteil (ob ein Chloro-
form zu therapeutischen Zwecken unbedenklich verwendet werden
kann), nicht ausreichen, daß uns darüber erst die biologische
Versuchsmethode Aufschluß gibt. Fälle, in denen der Rückstand
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 321
Gifte enthält, werden stets Ausnahmen — Zufälligkeiten —
sein. Es ist uns nur ein Fall bekannt, der vor einigen Jahren
dem chemischen Staatslaboratorium zu Hamburg vorlag und
der das Ergebnis hatte, daß eine giftige Substanz, die mit dem
Chloroform nicht das geringste zu tun hatte, im Rückstand
aufgefunden wurde; sie kann nur durch unsachgemäße Behandlung
in das Chloroform hineingelangt sein. Von der Darstellung her
Nebenprodukte im Chloroform zu suchen, ist bisher erfolglos
gewesen. Es könnte sich ja bei dem alten Verfahren, nach
dem bereits die Entdecker arbeiteten, um Umsetzungsprodukte
gechlorter Acetale handeln; wird doch bei dem Verfahren der
Alkohol durch Chlor gleichzeitig oxydiert und chloriert, wobei
nacheinander eine ganze Reihe von Stoffen intermediär gebildet
wird — Aldehyd, Chloracetal, Trichloracetal etc. Wenn auch
aus diesen schließlich durch die Reaktionsfolge Chloroform her-
vorgeht, so unterliegen doch die Zwischenprodukte mancherlei
Einwirkungen; vielleicht käme Tetrachlormethan in Frage, das
bei einer Unregelmäßigkeit des Betriebes mitgebildet werden
könnte und dann schwer ganz zu entfernen wäre. Besonders
leicht könnte es sich in Chloroformsorten aus Methan und
Chlormethyl finden und wäre immerhin bedenklich. Aus-
geschlossen ist es bei dem Verfahren von Schering, da dieser
als endliches Chlorierungsprodukt Chloral erst rein gewinnt
und dann mit Alkali entspaltet. Ganz umgangen wird —
jedenfalls prinzipiell — diese Gefahr, daß Verunreinigungen von
der Darstellung her im Chloroform enthalten bleiben, durch die
Reinigungsmethoden von Pictet und Anschütz. Wenngleich
diese von der irrigen Voraussetzung ausgingen, daß ein einmal
gereinigtes Chloroform nun auch Garantie böte für weitergehende
Haltbarkeit, so ist durch sie doch die Chloroformfrage um ein
wesentliches weitergekommen. Da bei der üblichen unvor-
sichtigen Behandlung diese Präparate ebenso schnell verdarben,
so kann man den Ausspruch Fränkels!) wohl verstehen, »daß
auch sie keinen Wandel geschaffen haben«. Man glaubte bei
den reinen Sorten den zum Schutze zugesetzten Alkohol entbehren
zu können, hat aber diese Ansicht als irrig wieder aufgeben
müssen, so daß heutzutage die Frage dahin entschieden werden
1) S. Fränkel, Arzneimittelsynthese, 2. Aufl., Berlin, Julius Springer
1906.
322 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
kann, daß es lediglich Sache der Behandlung und Aufbewahrung
ist, ein einmal gereinigtes Chloroform möglichst lange unschädlich
zu erhalten.
Von den Reinigungsmethoden ist jedenfalls das Verfahren
Anschütz das geeignetste und die Voraussicht, die sich auf
chemische Betrachtung stützt, hat auch ergeben, daß das Chloro-
form Anschütz ein zuverlässiges Präparat ist; denn während
Pictet auf dem physikalischen Wege der Unterkühlung (Ausfrieren
und Zentrifugieren) arbeitet, so ist das Verfahren Anschütz’)
eine speziell nur für das Chloroform gültige Reaktion. Die
Bindung an das innere Anhydrid der Salicylsäure, das Salicylid,
/ NOH Ou Dy
3 „00H \ 60 60) +200,H
Z
Salicylsäure Salicylid Salicylidchloroform
erfolgt so, daß das entstehende Produkt, das Salicylidchloroform,
nicht nur leicht gereinigt werden kann, sondern auch das Chloro-
form in lockerer Bindung enthält. Es wird also bei mäßiger
Wärme durch Abdestillieren rein und frei von Verunreinigungen
gewonnen.
Über die Oxydationsvorgänge, die zur Bildung des Phosgens
führen, ist zu sagen, daß sie bei feuchten Präparaten leichter
eintreten als bei trockenen. Die einmal gebildete Salzsäure
wirkt katalytisch beschleunigend auf die weitere Zersetzung.
Lichtwirkung allein ist nicht zu konstatieren, wie denn z. B.
das englische Chloroform (Duncan, Flockhardt & Co.), das
bekanntlich in weißen Flaschen in den Handel kommt, ein sehr
gutes Präparat ist. Die Einwirkung von Licht und Luft zu-
sammen erfolgt ungemein schnell und ist unbedingt zu einem
bedenklichen Umfange gediehen, wenn der schützende Alkohol
verbraucht ist. Daher könnte man wohl Biltz?) zustimmen,
der in einer kleinen Schrift die Möglichkeit erwog, ob es nicht an-
gezeigt sei, den Alkoholgehalt über das eine Prozent der Pharma-
kopöe zu steigern. Verwenden doch die Engländer z. B. in dem
guten Chloroform Duncan von jeher 2°/, Alkohol. Ob der von
Ber. d. Chem. Ges. 25, 3512. Liebigs Ann. 273, 97. DRP. 69708,
70158, 70614.
5 A. Biltz, Der Schutz des Chloroforms usw. Erfurt, 1892.
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 323
den Franzosen durchgeführte Zusatz von Schwefel wirkungsvoller
ist, ist vorerst nicht untersucht, jedenfalls vermag er einmal
entstandenes freies Chlor leichter zu binden.
Das Ergebnis unserer chemischen Untersuchungen glauben
wir jedenfalls darin suchen zu dürfen, daß die üblichen Rein-
heitsproben für sich allein nicht ausreichend sind. Wenngleich
sie besonders seit ihrer Ergänzung durch die Probe von
Langgaard auch in der Lage sind, uns unliebsame Verun-
reinigungen besonders im Rückstande zu zeigen, so versagen
sie doch vollständig da, wo es sich darum handelt, annähernd
quantitativ den Oxydationsvorgang und somit die steigende
Giftigkeit des Chloroforms zu verfolgen. Sie ermöglichen uns
das Erkennen einer Reihe von Verunreinigungen, deren Gegen-
wart gewiß auf das schärfste zu verurteilen ist, obgleich sie,
wenn überhaupt zur Wirkung gelangend, in der Mehrzahl der
Fälle physiologisch indifferent sind. In der Hervorziehung dieser
Tatsache liegt die Stärke und die Schwäche der chemischen
Prüfung.
Die biologische Methode, die obendrein durch den glücklichen
Zufall sehr an Wert gewinnt, daß Hunde gegen Chloroform und
seine Umwandlungsprodukte ungleich empfänglicher sind, kann
erst das entscheidende Wort sprechen. Freilich darf man nicht
außer acht lassen, daß die Anwendung von Prüfungsmethoden
wohl nur dem Pharmazeuten, der sein Präparat kontrolliert, und
dem Gerichtsarzte, bez. Gerichtschemiker in forensen Fällen vor-
behalten bleiben. Für die medizinische Praxis — das muß be-
tont werden —, liegt der Schwerpunkt vor allem in der sach-
gemäßen Handhabung und Aufbewahrung des Chloroforms. Eine
unbedingte Garantie hat man jedenfalls bei der Verwendung der
wertvolleren Originalpräparate. Daß diese untereinander inner-
halb geringer Grenzen ziemlich gleichwertig sind, konnten unsere
biologischen Versuche zeigen, da sie ebenso, wie ein selbst ge-
reinigtes Präparat, die nämlichen Resultate ergaben.
Die physiologische Wirkung des Chloroforms besteht darin,
daß die Funktionsfähigkeit des Gehirns, des Rückenmarks und
der Medulla oblongata erst vermindert und allmählich ganz
aufgehoben wird; eine vorangehende Erregung findet nicht statt,
die Reflexerregbarkeit wird zum Unterschied von der Morphin-
324 J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
wirkung, bei der in größeren Dosen die Reflexerregbarkeit
erhöht, in kleinen nicht vermindert wird, beim Chloroform
von vornherein herabgesetzt und schließlich ganz aufgehoben!).
Die Gefäße des Gesichts, der Haut und der Gehirn-
oberfläche beginnen infolge verminderter Erregbarkeit der
zentralen Ursprünge ihrer Nerven schon sehr früh sich zu
erweitern; die Körperoberfläche erscheint bei der Chloroform-
wirkung bis in die höheren Grade der Narkose stark gerötet.
Beim Kaninchen tritt die Erweiterung der kleinen arteriellen
Gefäße genau wie nach Sympathicusdurchschneidung sehr
deutlich zutage, zu Anfang der Narkose findet man eine
hochgradige Füllung der Ohrgefäße, die wie bei der Sympa-
thicusdurchschneidung ebenfalls mit einer Temperatursteigerung
im Ohr begleitet ist; verbindet man den Sympathicus mit
Elektroden und reizt nun, nachdem durch das Chloroform die
Füllung der Ohrgefäße eingetreten ist, den Sympathicus elektrisch,
so verengern sich die Gefäße momentan wieder, es kann sich
hier also nicht um eine periphere Wirkung handeln‘). Bei
fortschreitender Narkose verlieren auch andere Gefäßgebiete
ihren Tonus, bei der tiefen Narkose sind die Gefäßwandungen
völlig erschlafft, diese Erschlaffung wird durch eine Lähmung
der Gefäßnervenursprünge im Zentralnervensystem bedingt, dazu
gesellt sich bei der tiefen Narkose noch eine direkte lähmende
Wirkung der Chloroforms auf die Muskulatur und auf die
Endigungen der Nerven in der Wandung der kleinen Arterien,
die Kapillaren werden direkt nicht beeinflußt, es entsteht bei
der Chloroformnarkose also keine Kapillarhyperaemie°).
Am Herzen selbst wird die Motilität vermindert, diese
Wirkung führt bei Fröschen zum diastolischen Herzstillstand,
bei Säugetieren zur Abschwächung der Herztätigkeit, zuweilen
kommt es auch zum Stillstand. Clemens*) ließ Chloroform-
dämpfe auf das ausgeschnittene Froschherz einwirken, es trat
Stillstand ein; wurden die Dämpfe entfernt, so setzte die Be-
wegung wieder ein; dasselbe erhält man, wenn man das aus-
1) Zitiert nach Schmiedeberg, Pharmakologie 1902, S. 24.
®) Scheinesson, Arch. d. Heilk. 10, 36. 1869.
3) Zitiert nach Schmiedeberg, Pharmakologie. 1902.
% Clemens, Untersuchung über die Wirkung des Äthers und
Chloroforms auf Menschen, Tiere und Pflanzen. Diss. Bern 1850.
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 325
geschnittene Herz mit physiologischer Kochsalzlösung, welche
etwas Chloroform gelöst enthält, umspült, dem diastolischen
Stillstand des Herzens folgt nach Fortspülung der chloroform-
haltigen Kochsalzlösung wieder die normale Schlagtätigkeit.
Bock!) wies die gleiche Wirkung auch am Säugetierherzen
nach; er unterband nahe am Herzen alle Arterien des
großen Kreislaufs und ersetzte diese durch starre Röhren, es
bestand also nur der kleine Kreislauf in normaler Weise;
der durch die Herztätigkeit in der arteriellen Röhrenabteilung
erzeugte Blutdruck sank beim Einblasen von Chloroform in die
Lunge ganz bedeutend. Unter dieser Versuchsbedingung kann
das Sinken des Blutdrucks nur die Folge einer Abschwächung
der Herztätigkeit sein.
Der Blutdruck in den Arterien sinkt infolge dieser Herz-
schwäche und Gefäßerweiterung während der Chloroformierung
kontinuierlich, bis die Reflexe — und namentlich der Korneal-
reflex — erloschen sind; dann hält er sich dauernd in der
Tiefe. Bei längerer Dauer der tiefen Narkose sinkt der arterielle
Blutdruck im raschen Tempo; beim Kymographionversuch sehen
wir jetzt, wie der Blutdruck fast gleich Null geworden ist, bei
jeder Herzkontraktion eine weit höhere Pulselevation wie vor-
hin, weil die vollkommen erschlaffte Arterienwand durch die
Blutwelle weit leichter ausgedehnt werden kann; die Frequenz
der Herzkontraktionen ist verlangsamt.
Das Atemzentrum wird bei der Chloroformwirkung am
spätesten außer Tätigkeit gesetzt, durch seinen Stillstand tritt
der Tod ein; die Atemzüge werden immer langsamer und lassen
sich auf reflektorischem Wege kaum noch beeinflussen. Treten
infolge der starken Blutdrucksenkung Kreislaufstörungen ein,
so nimmt die Respirationsfrequenz wieder zu, ähnlich wie bei
der Erstickung.
Die Ursache der bei der Chloroformnarkose hin und
wieder vorkommenden Todesfälle läßt sich nicht mit Be-
stimmtheit angeben. Man unterscheidet drei Arten von Todes-
ursachen: die erste Möglichkeit besteht im Shok als Reflex
von der Nasenschleimhaut aus, die zweite Möglichkeit ist durch
den Herztod als akute Chloroformwirkung zu suchen, und
Bock, Arch. f. exp. Path. u. Pharmak. 41, 158. 1898.
326 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
endlich die dritte Möglichkeit kann durch fettige Degeneration
des Herzens während der Narkose zustandekommen.
Der zuweilen gleich zu Beginn der Narkose beobachtete Tod
hat seinen Grund vermutlich in dem Reflexe, welcher durch
Reizung der Nasenschleimhaut und der Respirationswege durch
die Chloroformdämpfe ausgelöst wird. Diesen Reflex kann man
bekanntlich am besten am Kaninchen demonstrieren; verbindet
man die Carotis des Kaninchens mit dem Blutwellenschreiber
und läßt das Tier nunmehr Chloroform einatmen, so sehen wir
mit dem Respirationsstillstand gleichzeitig eine Blutdruckreaktion
auftreten, siehe Fig. 1; lassen wir das Chloroform durch eine
eingebundene Trachealkanüle einatmen, so tritt ebenfalls eine,
wenn auch schwächere Reaktion auf, siehe Fig. 2. Daß es sich
hier tatsächlich nicht um eine spezifische Chloroformwirkung
handelt, sondern um einen Reiz, der bekanntlich allen stark
riechenden Gasen eigentümlich ist, zeigen Fig. 3 und 4, bei
denen das eine Mal Tabaksdampf, das andere Mal Schwefel-
kohlenstoff dem Tier auf die Nase geblasen wurde; bläst man
diese Dämpfe in die Trachealkanüle, so tritt bei diesen beiden
ein ganz unerheblicher Reflex auf. Beim Hund kann man nur
einen weit kleineren Reflex — selbst beim Chloroform —
beobachten, bei Anwendung einer Kanüle sind Reflexe nicht
zu bemerken.
Der Grund für den zuweilen erst spät nach der Chloroform-
narkose auftretenden Tod ist höchstwahrscheinlich darin zu
suchen, daß das Chloroform mehrere Organe — worunter in
erster Linie das Herz zu nennen ist — fettig degeneriert. Diese
fettige Degeneration ist bereits eingehend studiert, vor allem
von Junkers’), Unger‘), Straßmann°), Stommel‘), Oster-
tag’) und Offergeld®).
Junkers, Über fettige Entartung infolge von Chloroform-
inhalation. Ing.-Diss. Bonn 1883.
2) Unger, Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin, N. F. 47. 1887.
3) Straßmann, Arch. für pathologische Anatomie und Physiologie
und für klinische Medizin. Bd. 115.
© Stommel, Zur Lehre von der fettigen Entartung nach Chloro-
formeinatmungen. Ing.-Diss. Bonn 1889.
», Ostertag, Arch. f. patholog. Anat. u. Physiologie u. f. klin.
Med. Bd. 118.
*, Offergeld, Arch. f. klinische Chirurgie, Bd.75, Heft 3.
A_—
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 327
Straßmann beantwortet die Frage, ob die Verfettung der
Organe als bloße Fettanhäufung — Fettinfiltration — oder als
fettiger Zerfall — Fettmetamorphose — anzusprechen sei, dahin,
daß es sich hier, wie seine Stoffwechselversuche unzweideutig
ergaben, um eine Verfettung handle, die zur Kategorie der
fettigen Metamorphosen zu rechnen sei. ÖOstertag kommt zu
folgenden Schlüssen: „Nach langdauernder Chloroformeinatmung
können bei den verschiedensten Tieren Verfettungen der Organe
auftreten, und zwar Fettinfiltration der Leber, Fettmetamorphose
der Herz- und Skelettmuskulatur, der Nieren und des Magens.
Die Fettmetamorphose ist die Folge einer Einwirkung des
Chloroforms auf das Blut (Zerstörung roter Blutkörperchen) und
auf die Gewebszellen selbst. (Gewisse Individuen zeigen eine
so große Empfänglichkeit für die Nebenwirkungen des ein-
geatmeten Chloroforms, daß sie kürzere oder längere Zeit
nach der Anwendung denselben erliegen. Die tödliche Nach-
wirkung des Chloroforms äußert sich in einer Lähmung des
Herzens, welche durch eine bisweilen nur wenig bemerkbare
anatomische Schädigung des Myocardiums und durch eine all-
mähliche Kohlensäureüberladung des Blutes herbeigeführt wird.“
Stommel stellte fettige Entartung der Leber und des Epithel-
belags der Lungenalveolen fest.
Diese mitgeteilten Resultate wurden durch Versuche mit
gewöhnlichem Chloroform gewonnen; im nachstehenden möch-
ten wir über Versuche berichten, die wir mit völlig reinem
und unverdorbenem Chloroform ausführten. Bei diesen
Experimenten kamen wir zu wesentlich anderem Ergebnis:
das reine Chloroform hat bei Gaben, die die Narkose her-
beiführen, auf das Gefäßsystem und auf den Blutdruck
fast keinen, auf das Herz fast keinen akuten Einfluß,
die Atmung erfährt unter der Wirkung der reinen Substanz
eine sehr kleine Alteration und zwar ist sie verlangsamt.
Läßt man das reine Chloroform am Licht und an der Luft
offen stehen, so zeigt es bald die oben auseinandergesetzten
Wirkungen.
Aus der chemischen Betrachtung geht hervor, daß von
allen Chloroformdarstellungsmethoden die sogenannte Anschütz-
Methode die einwandfreieste ist, dieses Chloroform haben wir
für unsere Versuche zunächst verwandt und haben uns mit
328 J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
Hilfe dieses Chloroforms Aufschluß über die Wirkung des
reinen Chloroforms verschafft.
Bevor wir zu unseren Versuchen übergehen, wollen wir
zunächst die Versuchsanordnung beschreiben, da uns diese für
einwandsfreie Versuche als sehr wichtig erscheint. Die Versuche
wurden an kräftigen Hunden angestellt; die Carotis wurde mit
dem Blutwellenschreiber und dieser mit dem Kymographion
in Verbindung gesetzt. In die Trachea wurde eine Kanüle
eingebunden, die durch einen kurzen Schlauch in einen Trichter
endete (Chloroformiertrichter.. In diesen Trichter wurde ein
Tupferbausch gelegt, der mit der jeweils zu untersuchenden
Flüssigkeit in gleicher Weise und gleichmäßig getränkt wurde;
der Tupfer wurde in allen Fällen, bei denen die Versuchsresultate
miteinander verglichen werden sollten, gleich stark getränkt, auch
war die Zeit, während der das Mittel gegeben wurde, in diesen
Versuchen die gleiche. Bei Ausführung der Operation wurden
natürlich keinerlei schmerzlindernde Mittel gegeben. Die ab-
solute Millimeter-Zahl Hg wurde nach dem Versuch mit einem
Quecksilber-Manometer auskalibriert.
Vorversuchsweise wurde in den Chloroformiertrichter ein mit
Wasser durchnäßter Tupfer gelegt, eine bemerkbare Einwirkung
auf den Blutdruck war hierbei nicht zu beobachten.
Fig. 5—11 zeigt uns einen Versuch mit reinem Chloroform
(Anschütz). Fig. 5 ist die normale Blutdruckkurve, jetzt wurde
ein mit dem Chloroform getränkter Tupfer in den Trichter
gelegt, die Wirkung zeigen die nächsten Figuren. Der Blut-
druck sinkt bis zu Fig. 9 insgesamt um 5 mm Hg, die Atem-
frequenz ist zuerst etwas beschleunigt (Fig. 6, 7, 8 und 9); nun
wird, da das Tier völlig chloroformiert ist, der Tupfer ent-
fernt, der Blutdruck steigt sogleich wieder an (Fig. 10), und
jetzt sehen wir gleichzeitig eine verlangsamte Atmung, 5 Minuten
später ist der Hund wieder als normal anzusehen (Fig. 11).
Ob die beobachtete Blutdrucksenkung dem Chloroform zuzu-
schreiben ist, oder den bekannten und unbekannten im Chloroform
enthaltenen anderen Körpern, läßt sich nicht mit Bestimmtheit
angeben. Die die Langgaardsche Reaktion gebenden chemischen
Körper, wie z. B. Benzol, Toluol und ähnliche, zeigten sich in
den in Frage kommenden Dosen als absolut unwirksam. Jedes
Chloroform enthält jedoch noch Alkohol als Konservierungs-
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 329
zusatz, und daß dieser zu der erhaltenen Reaktion auf den Organis-
mus beiträgt, ist möglich, jedenfalls bedingt er aber nicht allein
die Wirkung; in dem nachfolgenden Versuch nahmen wir statt
des Chloroforms eine 10°/,ige wässrige Lösung von Alkohol. Die
erhaltenen Kurven ähneln den Chloroformkurven auch bezüglich
des Sinkens des Blutdruckes sehr (siehe Fig. 12—18). In Fig. 16
ist der Blutdruck um 5 mm Hg gesunken. Unregelmäßigkeiten
im Puls sind ebenfalls nicht zu beobachten, eine bemerkenswerte
Veränderung der Atemfrequenz ist nicht eingetreten, höchstens
scheint die Atmung, im Gegensatze zur Chloroformkurve, etwas
beschleunigt zu sein. 10 Minuten nach Entfernung des Alkohol-
tupfers ist der Blutdruck wieder normal (Fig. 17). Nach weiteren
5 Minuten zeigt sich eine kleine Nachwirkung, die Atemfrequenz
ist verlangsamt, sie wird jedoch bald wieder normal.
Die Alkoholkurve gleicht der Chloroformkurve sehr. Da
nun aber Chloroform etwa nur den 10. Teil des angewandten
Alkohols, und das Anschütz-Chloroform, welches hiermit ver-
glichen wird, nur den 50. Teil enthält, kann dem Alkohol un-
möglich die ganze Wirkung zugesprochen werden: es müssen
entweder selbst im reinsten Chloroform noch Körper existieren,
die den Blutdruck beeinflussen, oder diese nur sehr unbedeutende
Reaktion muß dem Chloroform selbst zugesprochen werden.
Die bekannte Wirkung des Chloroforms erhielten wir, wenn
wir das Chloroform am Licht und an der Luft stehen ließen;
bereits nach 24 Stunden erzeugt das Chloroform, wie Fig. 19—25
erweisen, schwere Pulsstörungen. Fig. 19 zeigt die normale Kurve
vor dem Versuch; jetzt wird auf den Chloroformiertrichter das der
Zersetzung 24 Stunden ausgesetzte Chloroform gegeben, die sich
in den Figuren 20—22 ausbildenden Arhythmien sind von einer
nennenswerten Blutdruckwirkung nicht begleitet, in Fig. 23
ließen wir das Tier auf einen Augenblick sich erholen, jetzt
wurde der Versuch wiederholt, sofort bilden sich ausgesprochene
Arhythmien aus, die Pulselevationen sind vergrößert. Es gibt
uns die Kurve Beweise dafür an die Hand, daß sich beim
Chloroform Zersetzungsprodukte — gegen das Hereinfallen von
Schmutz u. dergl. war das Chloroform natürlich geschützt wor-
den — gebildet haben, die auf das Herz eine Wirkung ausüben.
In den nächsten Versuchen, die mit 6 X 24 Stunden ge-
standenem Anschütz-Chloroform ausgeführt wurden, finden wir
330 J.Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform.
bereits alle Symptome der Chloroformvergiftung vor (Fig. 26—35),
Fig. 26 zeigt den normalen Puls, es beginnt jetzt die Chloro-
formierung, für einen Augenblick fällt der Blutdruck für eine
Weile (Fig. 27), dann steigt er auf kurze Zeit wieder an (Fig. 28),
von jetzt an fällt er stetig ohne Unterbrechung (Fig. 29—35) [die
Vorgänge in den Figuren sind zeitlich durch wenige Sekunden
getrennt], es bildet sich eine stets zunehmende Arhythmie aus.
Beim Sinken können wir jetzt die oben erwähnte Verlangsamung
der Herzkontraktion und die großen Elevationen entstehen sehen,
diesem Punkt folgt alsbald der Tod (Fig: 35). Die Kurvenbilder
zeigen uns, daß das Chloroform jetzt vollkommen die Wirkung
aufweist, die über dasselbe bereits seit langem bekannt ist.
Der folgende Versuch zeigt das Verhalten des verdorbenen
Chloroforms auf das deutlichste. Der Versuch wurde so angestellt,
daß der Anfang des Versuchs, a, und das Ende, b, genau über-
einander stehen; jedem Versuch geht eine normale Kurve voran,
von einem Versuch zum andern wurde solange gewartet, bis das
Tier wieder aus der Narkose erwacht, wenn die Kurve als nor-
mal anzusehen war. Fig. 36 zeigt das auf 3 Tage dem Licht
und der Luft ausgesetzte Anschütz-Chloroform, das für den
Versuch Fig. 37 verwandte Chloroform hatte 6 Tage gestanden,
und endlich zeigt uns der Versuch Fig. 38 das 9tägige Chloro-
form mit den schweren Wirkungen der Zersetzungsprodukte. Bei
allen drei Chloroformportionen treten Arhythmie und Blutdruck-
senkung auf, die dem Grade der Zersetzung proportional sind.
Die Dauer der Erholung von den einzelnen Versuchen ist eben-
falls der Schwere der Vergiftung proportional; am langsamsten,
und zwar erst nach Wiederbelebungsversuchen, erholt sich das
Tier von dem letzten Versuch, bei der langsamen Erholung
sehen wir, wie der Blutdruck ganz ebenmälßig steigt (Fig. 39),
und gleichzeitig ist die Pulsverlangsamung mit der Begleit-
erscheinung der höheren Elevation deutlich ausgesprochen.
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß das absolut
reine Chloroform in den narkotisierenden Gaben wenig
oder gar nicht auf den Blutdruck, auf das Herz, auf
das Gefäßsystem einwirkt, die bekannten Wirkungen
sind nur auf die Zersetzungsprodukte des Chloroforms
zurückzuführen, das Chloroform zersetzt sich bei Gegen-
wart von Licht, Luft und Feuchtigkeit sehr schnell.
J. Feigl u. H. Meier, Biolog.-chem. Untersuchungen über Chloroform. 331
Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, welches
Produkt resp. welche Produkte diese Wirkung verursachen,
wir sind geneigt, wegen seiner großen Ähnlichkeit in
der Blutdruckkurve, die das schlechte Chloroform mit
dem Phosgen hat, diesem die größte oder die ganze
Schuld aufzubürden.
Phosgen wirkt, in geringen Spuren, die chemisch nicht
nachweisbar sind, eingeatmet, prinzipiell wie schlechtes Chloro-
form, siehe Fig. 40—43. Fig. 40 zeigt das normale Bild des
Pulses, durch das Phosgen wird eine kleine Blutdruckerhöhung,
die von einer Senkung gefolgt ist, hervorgebracht, Arhythmie
ist zu beobachten (Fig. 41), ebenfalls die Pulsverlangsamung
und die heftige Elevation der einzelnen Pulswellen (Fig. 42).
Die mitgeteilten Versuche zeigen, daß die bio-
logische Prüfung weit empfindlicher als die chemische
ist, vor allem ist die biologische Prüfung des Chloro-
forms zur Beurteilung der Güte für Narkotisierzwecke
weit maßgebender als die chemische Prüfung, welche
uns nur eine Güte in chemischer Hinsicht garantiert.
In den nachfolgenden Kurven (Fig. 44—49), geben wir eine
biologische Prüfung verschiedener Chloroformsorten wieder, die
Versuche wurden gleich angeordnet, d. h. es wurden gleiche
Mengen Chloroform gegeben, die Exponierzeit war dieselbe, und
zum besseren Vergleiche wurden Anfang und Ende des Ver-
suchs übereinander gesetzt. Diese Kurven bestätigen die che-
mischen, oben bereits erwähnten Tatsachen.
Die als gut erprobten Chloroformsorten, Anschütz und
: Duncan, haben wir je 6 Tage der Zersetzung ausgesetzt, das
Resultat zeigen uns die Kurven Fig. 50 und 51, die Chloro-
formsorten sind proportional ihrer ursprünglichen Güte ver-
schlechtert. Diese Kurven lehren ferner, daß das Licht allein
das fertige Chloroform nicht sehr beeinflußt, da das Duncan-
Chloroform, wie bereits erwähnt, in weißen Gläsern verschickt
und aufbewahrt wird; sobald die Luft herantritt, fällt auch
dies Chloroform der Zersetzung anheim.
Biochemische Zeitschrift Band L 22
Über den Aminosäurenstoffwechsel des Gichtikers.
Von
J. Wohlgemuth.
(Aus der chemischen und experimentell-biologischen Abteilung des
Pathologischen Instituts der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 27. Juli 1906.)
Seitdem Ignatowski') im Harn eines Gichtikers Glykokoll
und daneben noch andre Aminosäuren nachgewiesen hatte, sind
eine Reihe von Autoren gefolgt, die diese Tatsache speziell für
das Glykokoll bestätigen konnten. Man hat dann auch im
normalen Harn auf Eiweißspaltprodukte gefahndet, ist aber
hier zu stark divergierenden Resultaten gekommen. Es hat
sich in der Folge gezeigt, daß diese Verschiedenheit, in den
Resultaten zurückzuführen ist auf die Art der für die Isolierung
angewandten Methodik. Schüttelte man nämlich den Harn mit
Naphthalinsulfochlorid bei stark alkalischer Reaktion, wie
Embden und Reese?) es empfehlen, so erhielt man weit
mehr von dem Reaktionsprodukt, als wenn man nach Fischer
und Bergell?) nur eine schwache Alkaleszenz wählte. Ich
konnte dann im Verein mit Neuberg‘) mittels der Naphthyl-
i-cyanat-Methode zeigen, daß der tatsächliche Gehalt des nativen
Harns an Aminosäuren, wenn solche überhaupt in ihm vor-
kommen, ein äußerst spärlicher ist und für physiologische
1) Ignatowski, Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 388. 1904.
2 Embden und Reese, Hofmeisters Btrg. 7, 411. 1905.
5 Fischer und Bergell, Berichte d. deutsch. chem. Ges. Jahr-
gang 85. 1903.
^ Wohlgemuth und Neuberg, Medizin. Klinik 1906, Nr. 9.
J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 333
Probleme nicht weiter in Frage kommt. Zu demselben Resultat
kam unabhängig von uns in der Friedrich Müllerschen
Klinik Forßner') und später auch Samuely?). Eısterer
teilte gleichzeitig mit, daß es auch Fälle von Gicht gibt, bei
denen sich keine Eiweißspaltprodukte im Harn nachweisen
lassen. Das stimmt befriedigend mit dem überein, was ich
gleichzeitig mit den bereits zitierten Untersuchungen am nor-
malen Harn in einem Falle schwerster Gicht konstatieren konnte,
und worüber ich hier kurz berichten möchte.
Es handelt sich um einen Patienten, der seit 37 Jahren
gichtleidend war, und bei dem sich im Laufe der Zeit enorme
Tophi an der Metatarsophalangealgelenken, an den Ellbogen-,
den Fersen- und Kniegelenken entwickelt hatten. Der Patient
bekam sehr häufig typische Gichtanfälle bald in diesem, bald
in jenem Gelenk, war auch in den Zwischenzeiten selten frei
von Schmerzen, und es genügte mitunter nur eine kleine psy-
chische Erregung, um einen Anfall auszulösen. Den Harn
dieses Patienten untersuchte ich zu den verschiedensten Zeiten
nach der Methode von Neuberg und Manasse?°). Dieselbe
besteht — kurz skizziert — darin, daß man den nativen Harn,
ohne ihn irgendwie vorzubehandeln, mit einer bestimmten
Menge Naphthyl-i-cyanat versetzt, die entsprechende Menge
n-Natronlauge zufügt und ihn einige Zeit schüttelt. Dabei
addiert sich das Naphthyl-i-cyanat zu der etwa vorhandenen
Aminosäure zu einem schwer löslichen Harnstoffderivat, einer
Naphthylhydantoinsäure, die auf Zusatz von Salzsäure in gut
filtrierbarem Zustand ausfällt. Der Niederschlag wird zur
Reinigung in Alkohol oder Ammoniak gelöst, mit Knochen-
kohle behandelt und aus der stark entfärbten Lösung das
Glykokoll z. B. als Barytsalz isoliert. Auf diese Weise konnte
ich weder in der anfallsfreien Zeit noch während eines Anfalls
Aminosäuren im Harn nachweisen. Gleichzeitig zur Kontrolle
ausgeführte Untersuchungen mittels der Naphthalinsulfomethode
hatten dasselbe negative Ergebnis. Darnach ist das Vorkommen
von Eiweißspaltprodukten speziell von Glykokoll im Harn des
ı) Forßner, Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 15. 1906.
%) Samuely, Ztschr. f. physiol. Chem. 47, 376. 1906.
3) NeubergundManasse, Ber. d. deutsch. chem. Gres. 88, 2359. 1905.
22*
334 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht.
Gichtikers keine durchaus immer zutreffende Tatsache, sondern
man wird selbst schwere Fälle von Gicht finden, in denen sich
nach den uns heute zur Verfügung stehenden Methoden Amino-
säuren nicht nachweisen lassen.
Nun hat aber, gestützt auf den Befund von Ignatowski
und auf die Untersuchungen von Frey'). vor einiger Zeit
Kionka?) die Theorie aufgestellt, daß man sich die Entstehung
der Gicht oder vielmehr des Gichtanfalles so vorzustellen habe,
daß der Gichtiker die Fähigkeit verloren hat, das im Körper
freiwerdende Glykokoll ganz zu verbrennen, und daß das im
Blut kreisende Glykokoll das saure harnsaure Natron leicht
zum Ausfall bringt; da nun der Knorpel besonders reich an
Glykokoll ist, so sei es leicht erklärlich, warum gerade die
Harnsäureablagerungen stets an den knorpelhaltigen Knochen-
enden zu finden seien. So bequem nun diese Theorie des
Harnsäureausfalles wäre, so wenig Wahrscheinlichkeit hat sie
für sich. Abgesehen davon, daß bereits Abderhalden und
Schittenhelm?) auf Grund rechnerischer Überlegungen zu dem
Schluß kamen, daß die von Frey aus dem Knorpel isolierten
Mengen an Glykokoll viel zu gering sein müssen, um eine ge-
nügende Identifizierung zu gestatten, lassen auch rein theoreti-
sche Erwägungen diese Hypothese bedenklich erscheinen. Da
aber ein praktischer -Versuch mehr beweist als alles Theoreti-
sieren, so soll hier an einem Beispiel gezeigt werden, daß die
Theorie von Kionka nicht immer zuzutreffen braucht. War es
nämlich richtig, daß das im Blute frei kreisende Glykokoll zu
einem Ausfall der Harnsäure führt, so müßte bei einem
Gichtiker — und noch dazu bei einem solchen, der schon aus
ganz geringen Anlässen einen Anfall bekommt — dadurch, daß
man sein Blut mit Glykokoll überschwemmt, prompt ein Gicht-
anfall ausgelöst werden. |
Es gab nun drei Wege, das Glykokoll dem Körper ein-
zuverleiben, entweder per os oder subkutan oder intravenös.
1) Frey, Ztschr. f. experimentelle Pathologie u. Therapie 2, 26. 1905.
2) Kionka, Deutsch. medizin. Wochenschr. 1905, S. 1141 u. Ztschr.
f. experim. Pathologie und Therapie 2, 1. 1905.
3) Abderhalden und Schittenhelm, Ztschr. f. experim. Patho-
logie u. Therapie 2, 431. 1906.
J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 335
Der letztangedeutete verbot sich wegen der mit ihm verbunde-
nen Lebensgefahr von selbst, und auch der zweite hatte sein
Mißliches, da subkutane Injektionen von größeren Flüssigkeits-
mengen stets heftige Schmerzempfindungen verursachen und
so das Krankheitsbild hätten beeinflussen können. So blieb
denn nur der Weg per os. 45 g Glykokoll wurden in 250 ccm
Wasser gelöst und das ganze Quantum von dem Patienten auf
einmal getrunken. Der Effekt war ein im Sinne der Kionka-
schen Theorie durchaus negativer: Der Patient blieb den nächsten
und die folgenden Tage ohne alle Schmerzen und hatte nicht
das geringste Unbehagen. Der Urin, der darnach innerhalb 24
Stunden gelassen wurde, gab mit Naphthyl-i-cyanat behandelt
und mit Salzsäure versetzt, einen beträchtlichen Niederschlag.
Derselbe wurde in der üblichen Weise mit Ammoniak aus-
gekocht, wobei die Harnsäure ungelöst zurückblieb, mit Knochen-
kohle entfärbt, das fast farblose Filtrat bis zur beginnenden
Kristallisation eingeengt und dann durch Zusatz von Salzsäure
die Naphthyleyanatverbindung wieder in Freiheit gesetzt, wobei
dieselbe teils kristallisch, teils gelatinös ausfiel. Nach dem
Abfiltrieren und Auswaschen mit Wasser wurde die Substanz
in der gerade ausreichenden Menge verdünnten Ammoniak ge-
löst und tropfenweise Chlorbaryum zugesetzt, solange noch ein
Niederschlag entstand. Derselbe wurde nach kurzem Stehen
abgesaugt, gewaschen und getrocknet. Die Ausbeute betrug
ca. 2,1 g, das entspricht 0,5 g Glykokoll. Die Analyse be-
stätigte das Vorliegen von Baryumnaphthylcyanatglykokoll.
0,3694 g Substanz ergaben 0,1150 g BaCO;
gefunden: Ba = 21,65 °/,
berechnet für (Cıs Hıı Os Ne)z Ba = 21,98 o.
Es geht aber aus diesem Versuch hervor, daß, obwohl
Glykokoll in solcher Menge in die Blutzirkulation gelangte, daß
noch ein halbes Gramm zur Ausscheidung kam, ein Gichtanfall
nicht ausgelöst wurde. Darnach dürfte der Beweis erbracht
sein, daß die Theorie von Kionka bezüglich der Entstehung
der Gicht, speziell des Gichtanfalles nicht allgemeine Gültig-
keit hat.
Im Anschluß hieran wurde untersucht, wie der Gichtiker
sich Aminosäuren gegenüber überhaupt verhält. Denn vielleicht
konnten sich bei den interessanten Harnbefunden, auf die ein-
336 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. `
gangs hingewiesen wurde, ähnliche Verhältnisse bei der Gicht
zeigen, wie sie Loewy und Neuberg!) in einem Falle von
Cystinurie beobachtet haben, und die sie veranlaßten, die
Cystinurie aufzufassen als eine Störung im Aminosäurenstoff-
wechsel großen Stiles, die sich nicht allein auf das Cystin be-
schränkt. Sie konnten nämlich dartun, daß ihr Cystinuriker
nicht bloß Cystin im Harn ausschied, sondern auch Tyrosin
und Asparaginsäure, wenn sie ihm solches per os verabfolgten.
Zwar konnte Simon?) in einem anderen Falle von Cystinurie
nicht das gleiche Verhalten beobachten, aber die späteren Unter-
suchungen von Abderhalden und Schittenhelm’?), die in
einem anderen Falle schon normaler Weise neben Cystin noch
Tyrosin und Leucin fanden, sprechen doch sehr zu gunsten jener
Auffassung. Man geht vielleicht nicht fehl, wenn man annimmt,
daß je nach dem Grade der Stoffwechselstörung die Versuche
positiv oder negativ ausfallen können, wobei die Menge des zur
Ausscheidung kommenden Cystins noch nicht einmal der Maß-
stab für den Grad der Störung zu sein braucht.
Wir stellten unsere Versuche an mit Leucin und inaktivem
Alanin. Das Leucin stammte aus mit Pankreas verdautem Fibrin
und war durch mehrmaliges Umkristallisieren aus heißem Wasser
unter Zusatz von Knochenkohle gründlich gereinigt worden.
25 g davon wurden dem Patienten in Kartoffelbrei verabfolgt,
der Harn von den nächsten 24 Stunden gesammelt, mit Blei-
acetat behandelt, nach dem Entfernen des Bleies bis zum Sirup
eingeengt und im Vakuumexsikkator der Kristallisation über-
lassen. Aber weder so noch durch abermaliges Lösen des
Siruıps in Wasser und Behandeln mit Naphthalinsulfochorid
gelang es Leucin oder das entsprechende Derivat zu isolieren.
Darnach war die Gesamtmenge des Leucins glatt verbrannt
worden. |
Von dem racemischen Alanin wurden 35 g in Wasser ge-
löst gegeben und ebenfalls der Harn von den nächsten 24
Stunden gesammelt. Bei der Verarbeitung desselben nach der
Sulfochloridreaktion trat sofort beim Ansäuern ein beträchtlicher
1) Loewy und Neuberg, Ztschr. f. physiol. Chem. 48, 338. 1904/5.
3 Simon, Ztschr. f. physiol. Chem. 45, 357. 1905.
3 Abderhalden und Schittenhelm, Ztschr. f. physiol. Chem.
45, 168. 1905.
J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht. 837
Niederschlag auf, der zunächst als helles Öl ausfiel. Derselbe
wurde mit Wasser gewaschen, nochmals umgelöst und kristalli-
sierte dann nach längerem Stehen in der Kälte vollständig.
Nach einmaligem Umkristallisieren aus heißem Wasser erschien
die Substanz rein und setzte sich aus sehr feinen, meist büschel-
förmig verwachsenen Nädelchen zusammen. Die alkoholische
Lösung sowohl wie die ammoniakalische drehten die Ebene des
polarisierten Lichtes stark links. Im Kapillarröhrchen erhitzt,
sinterte die Verbindung bei 98—100° und schmolz bei 117
bis 120°.
Die Ausbeute betrug 1,3 g.
0,2060 g Subst. verbrauchten nach Kjeldahl 7,4 ccm %/ıo NaOH
darnach gefunden: N = 5,00 °/o
berechnet für Cs His OA NS: N = 5,01 Yo.
Es war somit, wie zu erwarten war, das racemische Alanin
im Körper zerlegt, der Anteil des d-Alanin verbrannt und ein
Teil des l-Alanin unverändert wieder ausgeschieden worden.
Darnach verhält sich der Gichtiker, wenn diese wenigen
Versuche schon einen Schluß gestatten, Aminosäuren gegenüber
wie der normale Mensch. Nur beim Glykokoll hat es den
Anschein, als ob für dieses die Assimilationsgrenze beim
Gichtiker tiefer als normal liegt. Jedenfalls erscheint es uns
notwendig, an einer großen Zahl von Gichtfällen diese Ver-
hältnisse eingehend nachzuprüfen und außer den drei angewandten
Aminosäuren noch andre in den Kreis des Experiments zu
ziehen, möglich, daß sich hier dieselben Unterschiede zeigen
wie bei der Cystinurie. Alle diese Versuche werden aber nur
dann einen Wert haben, wenn man die Dosen der zu ver-
fütternden Substanzen nicht allzu klein wählt. Denn es ist
klar, daß die Assimilationsgrenze beim Menschen für Eiweiß-
spaltprodukte weit höher liegt als beim Hund oder gar beim
Kaninchen, und es ist darum mit kleinen Dosen von 6—10 g,
wie sie z. B. Reiß!) an Menschen verfütterte oder Baum-
garten?) bei seinen Versuchen mit Kohlehydratsäuren anwandte,
— vorausgesetzt natürlich, daß man die in der Natur vor-
1) Reig, Hofmeisters Beitr. 8, 370. 1905.
» Baumgarten, Ztschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 8,
220. 1906.
338 J. Wohlgemuth, Aminosäurenstoffwechsel bei Gicht.
kommende Komponente wählt — kaum ein Ausschlag zu er-
warten. Und ebenso wird man bei der Versuchsperson auf den
Grad ihrer Ernährung achten müssen, nachdem R. Hirsch?)
an Hunden gezeigt hat, daß im Hunger dieselbe Menge i-Alanin
spurlos verschwindet, von der sonst bei normal ernährten Tieren
ein beträchtlicher Teil wieder zur Ausscheidung gelangt.
») R. Hirsch, Ztschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 2, 668.
=)
1906.
Über die Bedeutung von Bleisalzen für die polarimetrische
Untersuchung des Harns und der Gewebssäfte.
Von
Hermann Großmann, Berlin.
(Eingegangen am 31. Juli 1906.)
Die Bestimmung des optischen Drehungsvermögens besitzt
für die Aanalyse des Harns und der Körperflüssigkeiten bekannt-
lich besondere Bedeutung, da die d-Glukose, der Traubenzucker,
ja am leichtesten auf diesem Wege qualitativ erkannt und
quantitativ bestimmt werden kann. Voraussetzung hierfür ist
jedoch die Abwesenheit anderer optisch-aktiver Substanzen,
resp. deren vorherige Entfernung, was gewöhnlich durch Zusatz
einiger ccm Bleiacetatlösung (Bleizucker) geschieht, welche den
Harn etc. von Farbstoffen, Phosphaten, Harnsäure sowie eventuell
vorhandenen albuminhaltigen Substanzen usw. z. T. befreit.
Von optisch-aktiven Substanzen, deren Vorhandensein in
größerer Menge natürlich eine exakte Bestimmung des Trauben-
zuckers auf polarimetrischem Wege unmöglich machen würde,
kommen nach neueren Untersuchungen vor allem die folgenden
in Betracht: die Maltose!), die Isomaltose?), die linksdrehende
Fruktose ?®), das sogenannte tierische Gummi oder Mucin *), ferner
1) Wedenski, Ztschr. f. physiol. Chem. 18, 122.
2) Baisch, Ztschr. f. physiol. Chem. 19, 364 u. 20, 248. Rosin u.
Alfthan, Chem.-Ztg. 24, Rep. 238.
3) Vergl. über das Vorkommen O. von Lippmann, Chemie der
Zuckerarten (1904), S.808, sowie Neuberg u. Strauß, Ztschr. f. physiolg.
Chem. 86, 227. 1902.
*% Landwehr, Centr.-Bl. 1885, 571. Albertoni, Centr.-Bl. 1890,
399. Coronedi, Centr.-Bl. 1892, 759 u.a.
340 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
Glykogen!) und gepaarte Glukuronsäuren*), unter besonderen
Umständen Milchzucker‘), Milchsäure *), 8-Oxybuttersäure°’) und
vielleicht auch amidierte Kohlehydrate ô).
Es ist schon von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen
worden, daß die Anwesenheit dieser Stoffe, deren Drehungs-
vermögen zum Teil dem des Traubenzuckers entgegengesetzt ist,
eine optische Bestimmung der Glukose vollkommen illusorisch
machen können ^.
Eine andere Fehlerquelle kann aber auch durch den Zu-
satz des Bleiacetats entstehen, besonders in solchen Fällen, wo
alkalische Reaktion vorhanden ist, wie es beim Harn öfter und
bei den Gewebsflüssigkeiten fast ausnahmslos der Fall ist.
Abgesehen von der Tatsache, daß verdünnte Alkalien selbst
schon in Spuren) und ebenso alkalisch reagierende Salze auf
die meisten Zuckerarten zersetzend einwirken, wobei tiefgreifende
Veränderungen (Umlagerungen und Zersetzungen) auftreten, wird
auf Zusatz des an und für sich schon schwach alkalischen Blei-
acetats diese Zersetzung noch begünstigt, da auch Bleioxyd in
ganz ähnlicher Weise, wenn auch z. T. unter Bildung anderer Um-
wandlungsprodukte zu reagieren vermag’); ferner liegt die Gefahr
vor, daß bei der Ausfällung der Phosphate usw. zugleich Zucker
als unlösliche Verbindung mit dem Bleiniederschlag ausgefällt
wird, während anderseits ein Teil als lösliche Bleialkalizucker-
1) Abeles, Ber. 19, Ref. 385. Fütterer, Centr.-Bl. 1888, 1183.
Leube, ibid. 1278. Simon, Chem.-Ztg. 26, 966. Wolff, Biochem. Centr.
1, 490.
») Flückiger, Ztschr. f. physiol. Chem. 9, 321. Mayer u. Neuberg,
Ztschr. f. physiol. Chem. 29, 256.
3) Hofmeister, Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 101. Porcher, Bio-
chem. Centr. 2, 115.
4) Araki, Ztschr. f. physiol. Chem. 20, 365. 1895 und Langstein
u. Neuberg, Verh. d. physiolog. Ges. 1902/03, S. 114.
5 Külz Ber. 17, Ref. 534; 18, Ref. 451. Magnus-Levy, Centr.-
Bl. 1899, II, 63.
®© Pittarelli, Chem.-Ztg. 21, Ref. 283.
) Cantani, Ztschr. anal. Chem. 16, 132. Salkowski, Ztschr. f.
physiol. Chem. 17, 228. Catillon, Journ. de pharm. [V] 21, 43. Carles,
Journ. de pharm. [V] 21, 108.
3 A. Bickel, Pflügers Archiv 75, 248.
°) Lobry de Bruyn u. van Ekenstein, Rec. trav. chim. 14, 156
u. 203; 16, 259 u. 278.
`
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 341
verbindung in der Lösung bleibt, die nun häufig ganz andere
Rotationswerte zeigen kann als die reine optisch aktive Substanz.
Mit anderen Worten: ein alkalischer Harn, der Bleizucker enthält,
verhält sich ganz ebenso, als wäre Bleiessig hinzugefügt, und es
ist schon lange bekannt, daß Bleiessig verdünnte Traubenzucker-
lösungen, welche Salze — z. B. Kochsalz — enthalten, fällt’).
Ferner ist ebenfalls schon von anderer Seite beobachtet worden,
daß das Drehungsvermögen der Glukose bei längerem Stehen
mit Bleiessig allmählich abnimmt, wobei sich die Lösung anfangs
gelblich und später dunkler färbt ?).
Die chemische Natur dieser unlöslichen Niederschläge ist
kaum genau bekannt°); wahrscheinlich handelt es sich um
basische Verbindungen, deren Zusammensetzung von den Mengen-
verhältnissen des Fällungsmittels und der Konzentration der
Lösung abhängt. Um diese ja schon länger bekannten Un-
zuträglichkeiten, welche bei der Verwendung von Bleiacetat als
Klärungsmittel auftreten können, zu vermeiden, hat Patein‘)
vorgeschlagen, als Klärungsmittel eine Lösung von Quecksilber-
nitrat Hg (NO,;), zu benutzen. Dieses Verfahren hat allerdings
den Vorzug, daß bei der stark saueren Reaktion der Lösung
(die Anwesenheit freier Salpertersäure ist ja bei der Herstellung
der Lösung zur Vermeidung von unlöslichen basischen Nitraten
notwendig) die Fällung basischer Verbindungen ausgeschlossen
erscheint, aber es können durch die freie Salpetersäure, die ja
sowohl oxydierend wie auch — besonders auf die Disaccharide
und gepaarten Glukuronsäuren — invertierend wirken kann,
in anderer Hinsicht Fehler entstehen. Vielleicht würde es sich
empfehlen, Bleiacetat wie bisher zur Klärung zu benutzen, aber
stets für sauere Reaktion der Flüssigkeit zu sorgen, indem
man einige ccm verdünnte Essigsäure hinzufügt. Die Essig-
säure wirkt als eine sehr schwache, wenig dissoziierte Verbindung
nur wenig lösend auf die Niederschläge der Substanzen, die
1) Pellet, Bull. Assoc. des chim. 14, 28; vergl. auch Brücke, Ber.
Wien. Akad. 89, 10.
7) Macquaire, Journ. de pharm. [V] 18, 197. Lobry de Bruyn,
Ztschr. Zuckerind. 46, 69 u. 47, 102$.
5, Vergl. Lippmann, Zuckerarten S. 552 u. 553, Bleiglykosate.
4) Siehe Deniges, Ber. des V. internat. Congr. f. angew. Chem.
Berlin 1903. Band 4, S. 130.
342 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
entfernt werden sollen, sie verhindert aber die Bildung basischer
unlöslicher Verbindungen und wirkt nur äußerst langsam in der
Kälte invertierend !), ferner erscheint eine Oxydation bei Zusatz
dieser Säure natürlich ausgeschlossen.
Daß es sich bei der Bildung löslicher Bleialkalizucker-
verbindungen keineswegs etwa um nur geringe Drehungs-
beeinflussungen handelt, soll im folgenden gezeigt werden, wo
die Einwirkung alkalischer Bleilösung auf das Drehungsvermögen
der Glukose, der Fruktose, Galaktose, Maltose, Laktose, der
38-Oxybuttersäure, einiger gepaarten Glukuronsäuren, sowie auf
zwei Glukoside beschrieben ist. Wenn auch bei der Analyse
des Harns bei vorsichtig bemessenem Bleiacetatzusatz derartig
außerordentliche Drehungsveränderungen, und zwar sowohl
Drehungssteigerung wie Drehungsumkehrung, selten in der
Praxis vorkommen dürften, so erscheinen doch vielleicht den
Lesern dieser Zeitschrift die folgenden Versuche °) von Interesse,
da sie auch auf die chemische Seite der hier in Betracht
kommenden Reaktionen einiges Licht werfen.
Ferner möchte ich darauf aufmerksam machen, daß man
in einer alkalischen Bleilösung ein Mittel besitzt, um häufig
die Drehungsgröße aktiver Verbindungen erheblich zu steigern,
was bei der Charakterisierung besonders von für sich nur
schwach aktiven Hydroxylverbindungen von Bedeutung erscheint.
Bisher hat man zu diesem Zwecke sich meist nur des Blei-
acetats ohne Alkalizusatz bedient.
Die Arbeitsweise, deren ich mich bei dieser Untersuchung
stets bediente, war die folgende. Zu einer bestimmten Menge
Lösung der optisch aktiven Substanz wurde eine bekannte
Menge Bleiacetat in steigenden Mengen hinzugefügt. Hierauf
wurde Natronlauge zugegeben, wodurch zuerst weiße Nieder-
schläge entstanden, die sich in überschüssiger Lauge beim
Schütteln leicht lösten. Die Menge des freien Alkalis wurde
möglichst gering bemessen, um die Anwesenheit größerer Über-
schüsse an Base zu vermeiden, da diese nach den Unter-
3) Das Verhältnis der Inversionskonstanten ist 100 : 0,400. Ostwald,
Journ. prakt. Chem. [II] 29, 385.
7, Vergl. auch H. Großmann, Ztschr. Zuckerind. 55, 651 u. 940.
1905.
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 343
suchungen von Lobry de Bruyn und van Ekenstein!) in
komplizierter Weise auf die Zucker einwirkt. Bleihydroxyd
löst sich ja bekanntlich bei Gegenwart von Zuckern und ähn-
lichen Verbindungen viel leichter in Alkali auf als aus reinen
Bleilösungen gefälltes, was auf die Bildung von Bleialkali-
verbindungen schließen läßt, in denen die Hydroxylgruppen
ganz oder teilweise durch Blei ersetzt sind. Die alkalischen
Lösungen sind nicht sehr beständig, ihre Rotation ändert
sich mit der Zeit, jedoch verschieden bei den einzelnen Ver-
bindungen.
Zur Untersuchung diente mir ein Landolt-Lippischer
Polarisationsapparat von Schmidt und Haensch. Die wie
oben erwähnt hergestellten Lösungen wurden stets mit Wasser
auf 20 ccm aufgefüllt. Es sei noch erwähnt, daß die Lösungen
der multirotierenden Zuckerarten vorher zur Beseitigung der
Multirotation kurze Zeit erhitzt worden waren.
Tabelle I.
Einwirkung von Bleiacetat auf Glukose bei Gegenwart
von Natronlauge.
I 100 ccm = 8,0895 g C,H,,0;
II 100ccm = 19,811 g Pb(C,H,0,), + 3 H,O
III 100 ccm = 17,470 g NaOH
t= 16° l] = 2 dcm
I I III Qp [e]
ccm ccm ccm bezogen auf C,H,s0,
I 2 — — + 0,42 ° + 52,0
I 2 ı 1 -+ 0,37 ° + 45,7
I 2 2 ı +0,70° +86,5
IV 2 3 14 +0,84° + 103,8
V 2 4 3 +1,10 + 136,0* Ma
vI 2 5 4 + 1,08 + 133,5
VII 2 6 65 +1,08 + 133,5
VII 2 7 8 + 1,07 + 132,3
IX 2 8 10 + 1,06 + 131,0
Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß durch alkalische Blei-
lösung eine sehr beträchtliche Erhöhung der Rotation von
Glukose erzielt wird. Die abgelesenen Winkel bezeichnen nur
die möglichst schnell beobachteten Anfangsdrehungen. Nach
einiger Zeit nimmt besonders in den bleireichen Lösungen die
) a. a. O.
344 H.Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
Drehung wieder ab, ohne jedoch, selbst nach 24 Stunden, auf
den Anfangswert für die spezifische Drehung der reinen Glukose
herabzusinken. Nach 15 Minuten wurde für Lösung V ap = +0,95 0
beobachtet, woraus sich [a], = + 117,4 ergibt. Aus dem anfäng-
lichen Ansteigen und nachherigen fast Konstantbleiben der
Drehung auf weiteren Zusatz von Blei und Alkali ergibt sich
die wahrscheinliche Anwesenheit einer Komplexverbindung
COH » CHO » CHO » CHO » CHO » CH:OH,
Npb/ N Pb/
in welcher 4 Atome Wasserstoff durch 2 Bleiatome ersetzt sind.
Ganz ähnliche Drehungssteigerungen ergeben sich auch,
wenn man Bleiacetat durch Bleinitrat ersetzt.
Noch merkwürdiger ist das Verhalten der an sich links
drehenden Fruktose, welche neben der Glukose im Harn
der Diabetiker sowie in manchen Körperflüssigkeiten auftreten
kann und die unter Umständen die Rechtsdrehung gleichzeitig
vorhandener Glukose vollständig verdecken kann. Natürlich
muß die Beurteilung solcher Harne mit großer Vorsicht ge-
schehen, da außerdem nicht selten andere linksdrehende Ver-
bindungen, wie gepaarte Glukuronsäuren, vorhanden sind.
Gegen Alkali ist die Fruktose ebenfalls sehr empfindlich,
ebenso gegen Bleiessig, der, wie zuerst Gill!) gefunden hat, in
größeren Mengen Übergang von Links- in Rechtsdrehung be-
wirken kann. Auch durch Zusatz von Blei und Alkali wird
die Linksdrehung leicht in Rechtsdrehung umgekehrt, wie sich
aus der folgenden Tabelle ergibt.
Tabelle II.
Einwirkung von Bleiacetat auf Fruktose bei Gegenwart von
Natronlauge.
I 100 ccm = 11,75 g C,H, 0O,
II 100 „ = 19,811 Pb(C,H,0,)} + 3 H,O
III 100 „ =17,47 NaOH
l = 1 dcm t = 17°
I E U o [a]
ccm ccm ccm bezogen auf C,H,,O
I 2 - =. —11° — 92,6
II 2 05 08 — 0,00 — 62,7
m 2 ı 0,5 — 0,590 — 46,3
1) Americ. chem. Journ. 1871, 167.
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
II
17
«D «D
ecm cem ccm bezogen auf C, H,. Os
IV 2 15 06 —0,24° — 18,0
v2 15 07 —0,08° — 63 U
VI 2 2 0,7 +0,15° + 11,5
VII 2 25 09 +0,37° + 29,0
VII 2 3 1 + 0,56° + 43,9
IX 2 35 11 +0,81° + 63,5
X 2 4 1,25 + 0,85°* + 66,7 * Ma
XI 2 45 15 +0,74 + 58,0
XII 2 5 1,7 + 0,61° + 47,8
XIII 2 55 1,8 + 0,52° + 40,8
XIV 2 6 2 + 0,36° + 28,2
XV 2 6 22 + 0,08° + 683 U
XVI 2 65 25 — 0,10 — 78
XVII 2 7 3 — 0,20 — 15,7
XVII 2 8 4 — 0,34 — 26,7
XIX 2 9 5 — 0,38 — 29,1
XX 2 10 6 — 0,39 — 30,6
Das Auftreten eines Maximalpunktes der Rechtsdrehung
bei dem Molekularverhältnis 2 Ce Hız Os : 3 Pb (Cez H; Os} und
die hierauf stattfindende Bildung bleireicherer linksdrehender
Komplexe zeigt, daß in Lösung sicher verschiedene Bleifruktosate
existieren. Auch hier nimmt bei längerem Stehen, jedoch
langsamer, die Rechtsdrehung ab.
Eine invertierte Rohrzuckerlösung zeigte die nach obigen
Versuchen mit Glukose und Fruktose zu erwartende Drehungs-
änderung von links nach stark rechts und das Auftreten eines
Maximalpunktes; in den bleireicheren Lösungen tritt jedoch
infolge der Anwesenheit des stark rechtsdrehenden Bleiglukosats
nicht wie bei der Fruktose Linksdrehung auf!').
Die Galaktose tritt zwar nur selten unter den Produkten
des Stoffwechsels auf. Ihr Verhalten gegen alkalische Bleilösung
ist aber so interessant, daß es hier wiedergegeben sei. Galaktose
ist noch erheblich empfindlicher gegen alkalische Bleilösung als
Glukose. Es tritt sehr bald Linksdrehung auf, sämtliche
Lösungen, besonders aber die alkalireichen, färben sich schnell
gelb, wobei wieder Umkehrung und steigende Rechtsdrehung
auftritt. Die in der Tabelle III angegebenen, möglichst schnell
abgelesenen Anfangswerte haben deshalb nur relativen Wert.
) Großmann, Ztschr. Zuckerind. 55, 945. 1905.
346 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
In der Tabelle IV ist der Einfluß der Zeit auf das Drehungs-
vermögen einmal einer alkalischen Galaktoselösung ohne, im
anderen Falle mit Bleizusatz angegeben. Während im ersten
Fall die Drehung mit der Zeit nur langsam sinkt, tritt diese
Veränderung im zweiten sehr schnell ein. Bereits nach einer
Viertelstunde besitzt die anfänglich linksdrehende Lösung er-
hebliche Rechtsdrehung. Weiterhin unterliegt eine solche Lösung
der umlagernden Wirkung des freien Alkalis, welche die Wirkung
wieder herabdrückt. Die Lösung färbt sich schließlich so dunkel,
daß eine weitere Beobachtung nicht mehr möglich ist.
Tabelle III.
Einwirkung von Bleiacetat auf Galaktose bei Gegenwart von
Natronlauge.
I 100 ccm = 8,364 g C,H,0,
II 100 „ = 20,115 „ Pb (C,H,0,, +3 H,0
III 100 „ = 17,47 „NaOH
l == 1 dem t= 17°
II III am [| Bemerkungen
ccm ccm cem
1 4 2 137 + 82,0
I 4 05 05 +1,0° +58,9
II 4 1 07 +075° +449
IV 4 15 1 + 0,44° +26,3 | Die Rechtsdrehung nimmt mit
V 4 2 12 +02° +15,0 der Zeit zu
VI 4 25 15 + 012° + 72
VII 4 3 1,75 — 0,17° — 10,2 wird schnell gelb und positiv
VIII 4 4 25 —0,50° — 29,9 nach 25 Minuten ap = + 0,20°
IX 4 5 83 -—-080° —479 „ 10 , „= — 0,30 °
X 4 6 4 —08 —586 ,„ 10 , „= — 0,60 °
XI 4 7 6 —099° —592 „ 10 , — — 0,40 °
XII 4 8 8 -—-10° — 628
Tabelle IV.
Einfluß der Zeit auf das Drehungsvermögen der
Bleialkaligalaktosate.
I 100 ccm = 7,120 g C,H,
II 100 „ = 33,398 „ Pb (NO,),
III 100 „ =16,10 „ NaOH
l=2dem t= 22°
a) 4 ccm I und 2 ccm III auf 20 ccm verdünnt
a
t (Minuten) aD [a]?
5 farblos 1,70° 59,7
10 „ 1,69°
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 347
t (Minuten) aD [e]}>
15 farblos . . . . . . 1,68°
80 schwach gelb. . . . 1,66
45 hellgelb. . . . . . 1,64°
150 gelb . . . .. . . 1,59 55,8
b) 4 ccm I, 2,5 ccm II, 3,5 ccm III auf 20 ccm verdünnt
b
t (Minuten) aD [«]}
De ee ee ee 36,7
ee 0‘
ao. — 0,780
a 07
nn 0540
0 0,240
Br. 0,020
re ra er,
20 5 we ine ee 0,35?
Ben. + 057°
Woa eu a aa e w 40720
Ben. + 0,760
022222222 + 0,800
02222. 0,85?
0222222 + 090° + 31,6
20 Stunden dunkel . . + 0,67°
Von Disacchariden, die unter Umständen im Harn vor-
kommen können, habe ich die Laktose oder Michzucker und
die Maltose untersucht. Isomaltose dagegen stand mir leider
nicht zur Verfügung.
Der Milchzucker wird durch alkalische Bleilösungen wie
die Hexosen in seiner Drehungsrichtung umgekehrt. Es löst
sich auf 1 Mol. Milchzucker 1 Atom Blei in alkalischer Lösung
glatt auf, erheblich mehr wird nicht aufgenommen. Man erhält
auch bei sehr großem Überschuß an freier Natronlauge dann
nur stets trübe Lösungen. Natronlauge selbst setzt die Drehung
auch bei Anwendung von größeren Überschüssen verhältnis-
mäßig wenig herab. Die Lösungen bleiben längere Zeit un-
verändert und färben sich nicht so schnell gelb wie die Lösungen
der Hexosen.
Biochemische Zeitschrift Band L 23
348 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
Tabelle V.
Einwirkung von Bleiacetat auf Milchzucker bei Gegenwart
von Natronlauge.
I 100 ccm = 14,874 g Cia H3O, + H0O
II 100 „ = 13,811 „ Pb (C,H,0,), 3H,0
III 100 „ =1747 „NaOH
] = 1 dcm t = 18°
I II III aD [e]y
ccm ccm ccm
I 4 —- - +150 -+ 51,9
II 2 05 05 +0,45° + 31,3
II 2 ı 1 + 0,12° + 85
IV 2 15 1 — 0,05° — 35
V 2 2 15 — 0,34° — 23,7
VI 2 2 3 — 0,75° — 522
VI 2 25 2 — 0,58° — 40,3
VIII 2 35 25 —0,98° — 68,2
IX 2 4 3 — 1,07° — 75,4
Um zu zeigen, daß sich Bleinitrat ganz analog dem Acetat
verhält, sei hier noch die folgende Tabelle VI wiedergegeben,
welche den Einfluß verschiedener Konzentration auf die Drehung
besser illustriert.
Tabelle Vl.
Einwirkung von Bleinitrat auf Milchzucker bei Gegenwart
von Natronlauge.
I 100 ccm = 18,00 g C,H, 0, + H,O
II 100 „ = 33,398 „ Pb (NO,),
III 100 „ =16,40 „ NaOH
] = 2 dem t = 16°
I II III &D [a}$
ccm ccm ccm
I 2 — 05 +166° + 46,1
I 2 — l + 1,54° + 42,8
III 2 — 2 + 1,52° + 42,2
IV 2 — 4 + 1,46° + 40,6
V 2 05 3 + 0,33 ° + 92
VI 2 3 — 0,78° — 21,7
VII 2 15 3 — 1,38° — 38,3
VII 2 2 3 — 1,64° — 45,6
IX 2 2 4 — 2,13 — 59,2
X 2 25 5 — 2,40 ° — 66,7
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 349
I u mMm ap [a]}
ccm ccm ccm
XI 1 025 06 +0,45° + 25,0
XII ı 05 07 +0,10° + 56
XIII ı 075 1,25 — 0,26° — 15,6
XIV ı 05 3 — 0,38° — 21,1
XV ı ı 1,8 — 0,88° — 49,3
XVI ı ı 3 — 1,07° — 59,4
XVIL 1 15 25 —115° — 63,9
XVII ı 12% 3 — 1,18° — 65,6
XIX 1 185 5 — 1,25° — 69,4
Auch die Maltose erleidet durch Blei und Alkali eine
sehr erhebliche Veränderung, die für die spezifische Drehung
etwa 200 Einheiten beträgt. Es tritt auch hier Umkehrung
der Drehungsrichtung ein; wie bei Milchzucker scheint nur
1 Atom Blei in das Maltosemolekül zu treten, denn auch hier
steigt bei weiterem Bleizusatz die zur Erzielung klarer Lösungen
notwendige Menge Alkali sehr erheblich. Auch der Einfluß
der Zeit macht sich in derartigen Lösungen stark bemerkbar.
Vergl. Nr. 7, Tab. VII.
Tabelle VII.
Einwirkung von Bleiacetat auf Maltose bei Gegenwart von
Natronlauge.
I 100ccem= 4,177g C,H.0. + HO
II 100 „ = 20,115 „ Pb (C,H,0,), 3H,0
III 100 „ =1747 „NaOH
l=1dem t= 16°
I Hu mu aD [a]
ccm ccm ccm
I 4 05 05 +0,82° + 979
I 4 1 0,75 +0,40° + 478
II 4 15 12 #06° + 72
IV 4 2 1 — 0,33° — 394
V 4 25 18 -04° — 549*
VI 4 3 3 — 034° — 40,6
VII 4 4 75 +02° + 263
nach 18 Stunden + 0,44° + 52,5
IX 4 - - +11° +1881
Sehr interessant wäre noch eine Untersuchung des Gly-
kogens und der Beeinflussung seiner Drehung durch alkalische
Bleilösung.
23*
350 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
Während Blei auch die Hydroxylwasserstoffe optisch aktiver
Polyoxysäuren wie Wein- und Chinasäure leicht ersetzt'), wobei
ebenfalls Drehungssteigerungen und Umkehrungen beobachtet
werden, tritt ein Ersatz bei Monooxysäuren wie Milchsäure und
ß-Oxybuttersäure nur schwierig ein.
Bei der aktiven Milchsäure habe ich eine Veränderung
durch alkalische Bleilösung überhaupt nicht beobachten können,
während bei der $-Oxybuttersäure eine solche zu konstatieren
war. Das zur Untersuchung gelangte Natriumsalz dieser Säure
verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Professor
A. Magnus-Levy, Berlin, der selbst früher die drehungssteigernde
Wirkung des reinen Bleiacetats auf diese Verbindung beobachtet
hat?). Überschüssiges Alkali löst den anfangs ausfallenden
Niederschlag von Bleihydroxyd viel schwieriger als bei Gegen-
wart von Zucker auf und auch bei Anwendung eines recht
beträchtlichen Überschusses von Lauge blieb ein merkbarer
Niederschlag. Die filtrierte Lösung zeigte in einem Falle eine
erhebliche Schwächung der Linksdrehung, im andern vollkommene
Inaktivität. Der Zusatz von Bleiacetat allein bewirkt eine
Steigerung der Linksdrehung und ist unter allen Umständen
bei der Polarisation von Traubenzuckerlösungen zu berücksich-
tigen, da hierdurch ein erheblicher Mindergehalt von Glukose
vorgetäuscht werden kann.
Tabelle VIII.
Einwirkung von Bleiacetat auf Natrium %-Oxybutyrat bei
Gegenwart von Natronlauge.
I 100ccm= 2,352g CH, - CHOH- CH,COON
IT 100 „ = 11,606 „ OC (C,H, 0,), 3 H,O
III 100 „ = 534 „NaOH
l= 2 dem t = 22°
I II III aD [@]o
5 rx = — 0,16 — 13,6
5 2 = — 0,28 — 23,8
5 1 3 +0 +0
10 4 = — 0,48 — 20,4
10 1 4 — 0,10 — 34
1) Ztschr. Zuckerind. 55, 956 ff. 1905.
?) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakolog. 41.
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 351
Von gepaarten Glukuronsäuren konnte ich durch die
Liebenswürdigkeit von Prof. Neuberg die Urochloralsäure,
ebenfalls in Form des Natriumsalzes, und die Euxanthin-
säure untersuchen. Die Urochloralsäure zeigt nur eine sehr
geringe Veränderung ihrer optischen Drehung.
Tabelle IX.
Einwirkung von Bleiacetat auf Urochloralsaures Natrium
bei Gegenwart von Natronlauge.
I 100ccm= 1,154g
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H,0,) 3H,0
III 100 „ = 5,34 „NaOH
] = 2 dem t = 22°
I II III aD [alb
5 u a — 0,26 — 45,0
5 2 = — 0,26 — 45,0
5 1 1 — 0,27 — 48,3
5 2 2 — 0,25 — 46,7
5 3 mitüberschüssigem NaOH keine klare Lösung.
Von der Euxanthinsäure, die bekanntlich eine stark gelbe
Eigenfärbung besitzt, wurden 0,576 g in 3 ccm NaOH
100 ccm = 10,68) gelöst und auf 50 ccm verdünnt. Die ziemlich
dunkel gefärbte Lösung, polarisiert im 2 dem Rohr bei 4facher
Verdünnung ap: — 0,40° [a]p: — 69,4; eine Lösung, welche
außerdem noch 1 ccm Bleiacetat und 4 ccm NaOH von der
bei der Urochloralsäure beschriebenen Konzentration enthielt,
zeigte denselben Wert. Ein Zusatz von der doppelten Menge
Bleisalz verbrauchte zur Lösung des anfangs ausfallenden Nieder-
schlags eine große Menge Natronlauge 10 ccm. Die Drehung
der filtrierten Lösung war etwas geringer ap: — 0,38 °[a]p: — 66,7.
Für die freie Euxanthinsäure selbst fanden Gräbe und Aders')
(ep: — 110.
Die beiden untersuchten gepaarten Glukuronsäuren zeigen
also nur eine geringe Beeinflussung ihrer optischen Aktivität
durch alkalische Bleilösung. Dies hängt jedenfalls mit der ring-
förmigen Struktur, nach Neuberg und Neimann‘) Glukosid-
bindung, dieser Substanzen zusammen.
1) Ann. 818, 345.
?, Ztschr. f. physivlog. Chem. 44, 114. 1905.
352 H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze.
Ähnlich wie die gepaarten Glukuronsäuren verhalten sich
nun die eigentlichen Glukoside, von denen ich zwei, das a-
Methylglukosid, das ich ebenfalls Herrn Professor C.Neuberg
verdanke, und Salicin, welches von Kahlbaum bezogen wurde,
untersucht habe.
Tabelle X.
Einwirkung von Bleiacetat auf «-Methylglukosid bei Gegen-
wart von Natronlauge.
I 100ccm = 6,580g C,H.0, ° O- CH,
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H,0,), 3 H,O
III 100 „ 5,34 „ NaOH
l=2dcem t = 22°
I II III aD [@]o
5 = _ 5,24 159,3
2,5 4 = 2,64 160,5
2,5 = 2 2,64 160,5
2,5 4 4 2,63 — 159,9
2,5 6 6 2,63 — 159,9
Tabelle XI.
Einwirkung von Bleiacetat auf Salicin bei Gegenwart von
Natronlauge.
I 100 ccm = 38,940 g C,H,0;
II 100 „ = 11,606 „ Pb (C,H, 0,), 3H,0
III 100 „ = 5,34 „ NaOH
l= 2 dem t = 21°
I II III &D [@]o
4 = en — 0,98 — 64,4
4 2 = — 1,02 — 66,8
4 = 2 — 1,00 — 65,6
4 2 4 — 1,02 — 66,8
4 4 10 — 1,02 — 66,8
Beide Glukoside zeigen demnach bemerkenswerterweise
nur eine geringe Beeinflussung des Drehungsvermögens gegen
alkalische Bleilösung wie gegen neutrales Bleiacetat.
Zusammenfassung.
Es wurde gezeigt, daß alkalische Bleilösung auf das
Drehungsvermögen von Zuckern verschiedener Natur stark ein-
wirkt, wobei sowohl Erhöhung wie Umkehrung beobachtet wird,
“hrend 8-Oxybuttersäure verhältnismäßig schwach, Milchsäure,
H. Großmann, Beeinflussung der Polarisation durch Bleisalze. 353
gepaarte Glukuronsäuren und Glukoside fast gar nicht beein-
flußt werden.
Für die praktische Analyse des Harns und die Körpersäfte
auf polarimetrischem Wege ergibt sich demnach die Vorschrift,
unter keinen Umständen alkalisch-reagierende Flüssig-
keiten mit Bleiacetat oder gar mit Bleiessig zu klären,
sondern mindestens Essigsäure bis zur deutlich sauren Reaktion
hinzuzufügen. Hierdurch werden jedenfalls eine Reihe von
prinzipiellen Fehlerquellen vermieden. Eine genaue chemische
Untersuchung der einzelnen optisch aktiven Bestandteile ist
natürlich auch bei der vorgeschlagenen Klärungsmethode un-
entbehrlich.
Wissenschaftl. chem. Institut. Berlin N. August 1906.
Über Beobachtungen reversibler Veränderungen
an Toxinen.
Von
J. Morgenroth und D. Pane.!)
(Eingegangen am 2. August 1906.)
Der Nachweis chemischer Veränderungen von Toxinen läßt
sich bis jetzt nur mittels zweier Methoden führen, einer rein
biologischen und einer zweiten, die man als chemisch-biologische
bezeichnen kann. Die biologische Methode begreift die ver-
gleichende Untersuchung der veränderten und unveränderten
Toxine in ihren Beziehungen zum tierischen Organismus (Toxi-
zität und Antikörperbildung) oder zu isolierten Zellen (Reagens-
glasversuch); die biologisch-chemische Methode untersucht das
Verhalten des veränderten und unveränderten Toxins zum Anti-
toxin und läuft in letzter Linie wiederum auf die biologische
Untersuchung des Toxins hinaus. Da Methoden zur chemischen
Konstitutionsbestimmung der Toxine nicht existieren, läßt sich
über die Qualität der durch verschiedene Eingriffe hervor-
gerufenen Veränderungen der Toxine im allgemeinen wenig auf
Grund rein chemischer Vorstellungen aussagen, es dienen viel-
mehr nach dem Vorgang von Ehrlich Hypothesen zur
Grundlage der Betrachtung, die wiederum chemisch-biologischer
Art sind, die sozusagen eine erste Annäherung an exaktere
strukturchemische Vorstellungen bilden. Die Fermentforschung
befindet sich in einer ähnlichen Lage, vielleicht um weniges
günstiger. Setzt man die spezifische Fermentwirkung in Analogie
1) Die Versuche wurden im Kgl. Institut für experimentelle Thera-
pie zu Frankfurt a. M. begonnen und im Berliner Pathologischen Institut
weitergeführt.
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 355
mit der spezifischen Toxinwirkung, so ist dort eine Beziehung
der Fermente zu der Konfiguration des Substrates, wenigstens
bei gewissen Gruppen, durch Emil Fischers Vorgang her-
gestellt, die hier noch fehlt, indem man auf Differenzen des
Substrates der Toxinwirkung, des „Protoplasmas“, nur ganz all-
gemein schließen kann aus dessen funktioneller Verschiedenheit
in den jeweils vom Toxin angegriffenen Zellbezirken ').
Man spricht seit langem von der hochgradigen „Labilität‘“
der Toxine. Darunter versteht man ein Verhalten, welches sich
darin äußert, daß Toxinlösungen ihre charakteristischen Eigen-
schaften ganz oder zum Teil verlieren, wenn sie gewissen ther-
mischen (schon mäßige Temperaturerhöhungen) oder chemischen
(Säuren, Alkali, Oxydationsmittel) Einwirkungen unterworfen
werden. Geht die Giftwirkung zu Verlust, während die eng
miteinander koordinierten Fähigkeiten, Antitoxin zu binden und
Antitoxinbildung auszulösen, erhalten bleiben, so bezeichnet
man auf Grund der Ehrlichschen Theorie den Vorgang als
Toxoidbildung. Wenn aber das Toxin durch den Eingriff für
unsere Methoden überhaupt nicht mehr nachweisbar wird, dann
hat nach dem üblichen Sprachgebrauch eine ‚Zerstörung‘ des
Toxins stattgefunden.
Es ist klar, daß mit dem Ausdruck „Toxinzerstörung“ sehr
wenig ausgesagt ist. Ob hier wirklich ein weitgehender Zerfall
des Toxinmoleküls stattfindet, ob nur irgend eine mehr oder
1) Daß es trotz dieser schmalen Basis, auf der die chemische Er-
forschung der Toxine noch steht, nicht ausgeschlossen ist, durch bestimmte
Eingriffe zu präziseren Vorstellungen über Art und Ort chemischer Ver-
änderungen der Toxine zu gelangen, darauf weisen neuere Untersuchungen
von Obermeyer und Pick (Wien. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 12) hin.
Diese Autoren haben auch die Bedeutung ihres Verfahrens für das Studium
der Toxine durchaus erkannt, sie mußten sich aber aus technischen
Gründen auf Antigene anderer Art, nämlich die präzipitablen Substanzen,
beschränken. Sie behandelten die Lösungen dieser Substanzen nach
Methoden, die zu einer Nitrierung, Jodierung oder Diazotierung (mit
weiterer Bildung von Azoverbindungen) führen mußten, und untersuchten
dann die Antikörperbildung durch diese modifizierten Antigene. Die so
erzielten tiefgehenden qualitativen Veränderungen der biologischen Reaktion
der Antigene, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, er-
laubten den Schluß auf die wesentliche Bedeutung aromatischer Kerne
für Zustandekommen und Richtung der Immunitätsreaktionen der präzi-
pitablen Substanzen.
356 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen.
weniger eingreifende Umlagerung, läßt sich nicht feststellen.
Eines haben die bis jetzt bekannten zahlreichen Veränderungen
dieser Art gemeinsam: Sie sind anscheinend nicht reversibel.
Nach Herstellung der ursprünglichen chemischen oder thermischen
Bedingungen bleiben die gesetzten Veränderungen der Toxine
bestehen. Ein durch Alkalizusatz unwirksam gewordenes Tetanus-
gift, ein durch Aufkochen der Lösung wirkungslos gewordenes
Diphtheriegift gewinnt nach Neutralisation der Lösung durch
Säure, resp. nach Abkühlung derselben seine Toxineigenschaften
nicht wieder.
Die Betrachtung der Vorgänge, wie sie sich bei den eben
erwähnten Eingriffen, sowie bei der Toxoidbildung abspielen,
die fruchtbaren theoretischen Vorstellungen über die Bindung der
Toxine an die Zelle und ihre Giftwirkung, sowie über die Bindung
an die Antitoxine ließen es bis jetzt als genügend erscheinen,
wenn man das Toxinmolekül gleichsam als einen starren Bau
betrachtete, aus dem ein einzelner Teil herausgebrochen werden
(Toxoidbildung) oder der sozusagen ganz in Trümmer geschlagen
(„Zerstörung“) werden kann. Intramolekulare Umlagerungen, wie
sie die Strukturchemie in immer höherem Maß als Erklärungs-
prinzip in Anspruch nimmt, kamen bisher auf dem Toxingebiet
kaum in Betracht.
Zur Annahme derartiger intramolekularer Umlagerungen —
über deren Natur an dieser Stelle keinerlei Vermutungen auf-
gestellt werden sollen — wird man erst dann geführt, wenn
reversible Veränderungen in Toxinlösungen hervorgebracht
werden können. Eine derartige Erscheinung ist von dem einen
von uns für die beiden Komponenten des Cobragiftes, das
Hämolysin und das Neurotoxin, beschrieben worden). Es
handelt sich um die Beobachtung, daß unter dem Einfluß ge-
ringer Salzsäurekonzentrationen diese Toxine in eine Modifikation
übergeführt werden, die nicht mehr fähig ist, mit dem spezi-
fischen Antitoxin zu reagieren, so zwar, daß nicht nur die
Verbindung mit dem Antitoxin in saurer Lösung unterbleibt,
sondern auch die eingetretene Verbindung wieder aufgehoben
wird. Die Umwandlung ist als vollkommen reversibel gekenn-
zeichnet, indem nach nicht zu langer Einwirkung der Säure
1) Morgenroth, Berlin. klin. Wochenschr. 1906, No. 50 u. Arbeiten
aus dem Patholog. Institut zu Berlin, Berlin, Hirschwald 1906.
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 357
durch Abstumpfen derselben rasch der ursprüngliche Zustand
des Toxins, insbesondere seine Fähigkeit, mit dem Antitoxin zu
reagieren, wieder zurückkehrt.
Schon längere Zeit vor diesen Beobachtungen waren wir
bei Studien über das Hämolysin des Cobragiftes auf Er-
scheinungen aufmerksam geworden, die zweifellos gleichfalls in
das Gebiet der reversiblen Toxinumlagerungen fallen. Die Be-
dingungen für ihr Zustandekommen sind weit weniger gut
definiert, als in dem oben erwähnten Fall, und es ist nicht
möglich, sie in so regelmäßiger Weise wie in diesem zustande zu
bringen. Das Phänomen selbst ist aber so eklatant und durch
eine Modifikation des ursprünglichen Verfahrens immerhin in
der Mehrzahl der Fälle so sicher hervorzurufen, daß angesichts
seiner prinzipiellen Bedeutung eine Mitteilung gerechtfertigt ist.
Wir bezweifeln nicht, daß Vorgänge ähnlicher Art, wenn erst
einmal die Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, auf dem Toxin-
gebiet noch öfter zur Beobachtung kommen und eine er-
hebliche Bedeutung gewinnen werden.
Daß es sich nicht um einen singulären Fall handeln dürfte,
sondern daß hier Erscheinungen von prinzipieller Wichtigkeit
und größerer Verbreitung vorliegen, dafür spricht auch die
Existenz einer den unsrigen entsprechenden Beobachtung, die
Pawlow und Parastschuk'!) am Pepsin gemacht und mit der
Aussicht auf eine weitere eingehende Untersuchung in ihrer
bekannten Arbeit über die Identität des Pepsins und des Labs
mitgeteilt haben.
„Wir sahen das Ferment unter Einwirkung der alkalischen
Reaktion aus dem tätigen in einen untätigen, latenten
Zustand übergehen, wobei die umgekehrte Umwandluug, der
Übergang aus dem latenten in den tätigen Zustand, längere
Zeit dauernde neutrale Reaktion des Mediums erfordert.“
Diese Erscheinung entspricht in ihrem Wesen offenbar
unseren Beobachtungen, von denen zuerst diejenigen, die sich
auf das Hämolysin des Cobragiftes beziehen, mitgeteilt seien.
Nach Beobachtungen von Kyes und Sachs?), die wir
vielfach bestätigt fanden, wird das Cobra-Hämolysin, das in
1) Ztschr. f. physiol. Chem. 42. 1904.
2) Berlin. klin. Wochenschr. 1908, Nr. 2—4.
358 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen.
neutraler Lösung auf 100° erhitzt rasch seine Wirkung verliert,
in saurer Lösung in erheblichem Maße kochbeständig.
Unsere eigentümlichen Befunde bestehen nun in folgendem:
Erhitzt man Cobragift in einer Lösung, die etwa — HCl enthält,
längere Zeit, und prüft man seine hämolytische Wirkung un-
mittelbar nach Abkühlung und Neutralisation der Säure in
der üblichen Weise, so beobachtet man eine Verringerung der
hämolytischen Wirksamkeit, die sehr wechselnd sein kann und
von der Dauer des Erhitzens nicht in klarer Weise abhängig
ist, die aber einen sehr hohen Grad erreichen kann. Läßt man
nun eine derartige neutralisierte Lösung einige Tage bei Zimmer-
temperatur oder im Eisschrank stehen und prüft dann ihre
hämolytische Wirkung von neuem, so beobachtet man in einer
Anzahl von Fällen das überraschende Resultat, daß die hämo-
lytische Wirkung wieder stärker geworden, ja in ihrer ursprüng-
lichen Stärke zurückgekehrt ist. Die Mitteilung eines derartigen
Versuchs wird den Vorgang ohne weiteres veranschaulichen.
Eine Lösung von Cobragift 1°/,, Verdünnung 1:10, mit
einem Gehalt von = HCl wird im siedenden Wasserbad erhitzt,
und zwar A 1 Stunde, B 2 Stunden lang. Nach dem Kühlen
mit NaOH neutralisiert. Sofort nach der Neutralisation wird
mit 0,2 Lecithin 1° 5 eine Bestimmung der hämolytischen
Wirkung an Ochsenblut vorgenommen. Die Lösungen bleiben
3 Tage bei Zimmertemperatur stehen und werden dann von
neuem auf ihre hämolytische Wirkung geprüft. Jedesmal Kon-
trolle (C) mit genuinem Cobragift !).
I. Sofort nach Neutralisation.
A. B. C.
1
1. 0,5 om komplet 1. 1,0 ma komplet 1.06 2 komplet
2. 0,3 komplet |2. 0,7 komplet |2. 0,4 komplet
3. 0,2 mäßig 3. 0,5 fast komplet ; 3. 0,35 mäßig
4. 0,15 %4 4. 0,3 wenig 4. 0,3 e
5. 1,0 . wenig 4 p k n = 0,2 wenig
i uppe oe
6. 0,5 Kuppe _ 2 i pP 6. 1,0 100000 sehr wenig
fe bY ooo ”™ 7. 0,8 To
8. 0,8 Spur 8. 0,5 Spur
9. 0,6 0 |
1) Die Versuchstechnik ist aus den Arbeiten von Kyes, Kyes und
Sachs und Morgenroth zu ersehen. Eine Übersicht aller einschlägigen
Arbeiten gibt H. Sachs, Biochem. Centralblatt 1906.
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 359
I. Nach 3 Tagen.
A. B. C.
1. 0,4 ma komplet |1. 0,3 na komplet 1. 0,4 . komplet
2. 0,35 ziemlich stark | 2. 0,2 komplet |2. 0,35 komplet
3. 0,3 ziemlich |3. 0,15 mäßig 3. 0,3 mäßig
4. 0,2 wenig .10 1 g 4. 0,2 á
5. 0,15 sehr wenig SSR . |5. 0,15 ii
5. 0,6 sehr wenig 1
6. 0,8 zooo Sehr wenig
Nach 1stündigem Kochen in saurer Lösung ist hier bei
Prüfung unmittelbar nach der Neutralisation noch ca. !/s des
ursprünglichen Hämolysins vorhanden, nach 2stündigem Er-
hitzen ca. 1/17. Drei Tage später ist der Gehalt an Hämolysin
im ersten Fall auf seine ursprüngliche Höhe, im zweiten Fall
auf ca. !/s derselben, also beinahe wieder auf das Dreifache ge-
stiegen. Die zur Grundlage dienenden Kontrollen zeigen die
Resistenz der verwendeten ÖOchsenblutkörperchen.
Derartige Beobachtungen konnten in größerer Zahl gemacht
werden. Wenn die Abschwächung weniger als °/,o betrug, so
war die Rückverwandlung nach 2—3 Tagen mehr oder weniger
vollständig erfolgt; war die Abschwächung stärker, so war die
Rückverwandlung meist geringfügig, blieb auch häufig ganz
aus. Wurde kürzere Zeit als eine Stunde erhitzt, so war eine
Abschwächung nicht zu beobachten.
Daß auch nach einer sehr erheblichen primären Abschwächung
eine bedeutende und dabei ungemein rasch verlaufende Restitu-
tion des Giftes eintreten kann, zeigt folgender Versuch:
1°%/ige Lösung von Cobragift + Verdünnung in 2 HCl
90 Minuten im kochenden Wasserbad. Gekühlt und neutra-
lisiert. Prüfung auf Ochsenblut mit Lecithin 1% 0,2... Kon-
trolle (C) mit genuinem Cobragift.
I. Sofort nach Neutralisation.
1. 101 komplet 3. 0,25 komplet
R 4. 0,1 0
2. 0,5 k 2
II. 4 Stunden später.
1 1 BR
l. 05, komplet | 6. 1,0 z mäßig
2. 0,35 ñ 7. 0,75 wenig
8. 0,25 i 8. 0,5 n
4. 0,2 komplet 9. 0,25 Kuppe
5. 0,15 fast komplet 10. 0,1 minimal
360 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen.
C.
1 0,25 weni
1,0 0 Komplet ee 8
0,75 fast komplet 01 5 insg]
0,5 wenig 01
n
In diesem Fall ist die Abschwächung, bei der nur !/ss0 der
ursprünglichen Hämolysinmenge erhalten geblieben war, schon
im Laufe von 4 Stunden bei Zimmertemperatur derart zurück-
gegangen, daß wieder 12 mal so viel Toxin manifest war, als
unmittelbar nach dem Erhitzen. Der Vergleich dieses Versuches
mit dem vorher beschriebenen zeigt deutlich das Fehlen einer
klaren Abhängigkeit des Giftverlustes von der Dauer der Ein-
wirkung der verändernden Faktoren. Während dort nach 2 Stun-
den noch !/ı7 der ursprünglichen Giftmenge nachweisbar war, ist
hier nach 1'/sstündigem Erhitzen nur mehr 1/250 vorhanden.
Nach Kyes und Sachs wird Cobragift, nach halbstündigem
Erhitzen auf 100° gar nicht geschädigt, ist aber nach zwei-
stündigem Erhitzen vollständig zerstört. Auch diese Beobach-
tung weist auf besondere Inkonsequenzen hin, indem ein der-
artiger Sprung durchaus nicht dem allmählichen Verlauf der
gewöhnlichen Giftabschwächung entspricht.
Hätten wir uns mit der Untersuchung der Hämolyse un-
mittelbar nach der Neutralisation begnügt, so hätte man in
dem Vorgang eine einfache „Abschwächung“ des Giftes sehen
können. Die vollkommene Restitution des Giftes bei der
späteren Untersuchung lehrt, daß hier ein völlig neuartiger Vor-
gang in Frage kommt: die Umwandlung des Giftes in
eine ungiftige Modifikation und die Rückbildung
derselben nach Herstellung der ursprünglichen Ver-
hältnisse.
Man darf diese Rückbildung des Hämolysins in gewissem
Sinne als eine spontane bezeichnen, als einen Vorgang, der
wesentlich von den Gesetzen des chemischen Gleichgewichts
beherrscht wird. Die fehlende Regelmäßigkeit der Erscheinung
weist aber darauf hin, daß gewisse Bedingungen, die den Ablauf
der Erscheinungen regeln und die offenbar erheblich variieren,
noch unbekannt sind. Es erscheint durchaus nicht unstatthaft,
hier die Mitwirkung katalytischer Einflüsse vorauszusetzen und
zwar solcher, die die Umwandlungsgeschwindigkeit in beiden
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 361
Richtungen, in positivem oder negativem Sinne, beeinflussen.
Unter der Voraussetzung, daß derartige Katalysatoren bei der
Zurückverwandlung der ungiftigen Modifikation in das Toxin
zur Wirkung kommen, gelangte man zu folgender Vorstellung
über den Ablauf der Erscheinungen, die eine gewisse Grundlage
für ein weiteres Eindringen in die hier vorliegenden Fragen
geben dürften. Man kann sich vorstellen, daß durch Kochen
der sauren Giftlösung eine Umwandlung in die ungiftige Modi-
fikation stattfindet, die nach einer gewissen Zeit nahezu voll-
ständig ist. Sowie die Lösung neutralisiert ist, sind wieder die
Bedingungen für die Existenz der ursprünglichen, giftigen Form
gegeben und es setzt nun die Rückbildung derselben ein, durch
die vorauszusetzenden katalytischen Einflüsse beschleunigt, resp.
gehemmt. Auf alle Fälle verläuft die Umwandlung im Anfang
relativ rasch. Stellt man also sofort nach der Neutralisation
den hämolytischen Versuch an, so zeigt dessen Resultat nicht
etwa das Maß der ursprünglichen Umwandlungen, sondern die
Hämolysinquote, die beim Beginn des Versuches oder auch
noch in dessen Verlauf zurückgebildet worden ist. Die im
Laufe des hämolytischen Versuches selbst rückgebildete Menge
dürfte wegen der starken Verdünnung relativ gering sein. Die
weitere Umsetzung verläuft immer langsamer und erreicht unter
Umständen erst nach Tagen ihr Ende. Sind die positiv katalyti-
schen Einflüsse bedeutend, so kann ein völliges Ausbleiben der
Umwandlung in die ungiftige Modifikation vorgetäuscht werden.
Die verschieden starke Abschwächung durch gleich langes Kochen
in verschiedenen Fällen wäre also nur eine scheinbare, beruhend
auf der sehr differenten Geschwindigkeit bei der Restitution des
Hämolysins. Diese oder ähnliche Betrachtungsweisen zieht man
bis auf weiteres wohl mit Recht zur Erklärung der ungleichen
Resultate heran. Hierzu kommt noch ein weiterer, die Versuche
erschwerender Umstand. Die reversible ungiftige Modifikation
stellt offenbar nur ein Zwischenprodukt in einer Umwandlungs-
reihe dar, die bei einer dauernd ungiftigen, nicht mehr
reversiblen Modifikation endigt. Denn dies geht, wie schon
erwähnt, aus zahlreichen Versuchen hervor, daß länger an-
haltendes Kochen, über 2—3 Stunden hinaus, störend auf das
Phänomen einwirkt. Man hat es also nicht in der Hand,
gerade im günstigsten Moment den Versuch abzubrechen, in
362 J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen.
dem möglichst viel von dem Hämolysin in die reversible
Modifikation umgewandelt, aber möglichst wenig von dieser
weiter (wohl zu Toxoiden sensu strictiori)!) verändert ist.
Die Rücksicht auf diesen letzteren Umstand veranlaßte uns,
nach einer schonenderen Prozedur zu suchen und womöglich
die schädigenden Einflüsse hoher Temperaturen zu vermeiden.
Zugleich ging unser Bestreben dahin, eine Versuchsanordnung
zu treffen, welche die Störung durch eine rasche Rückverwandlung
der unwirksamen Modifikation während des hämolytischen Ver-
suchs nach Möglichkeit ausschaltet. Wenn man bedenkt, daß
die Lecithidbildung, die Vereinigung von Cobragift und Lecithin
im Laufe des hämolytischen Versuchs, bei der oben gewählten
Prüfungsmethode eine sehr erhebliche Zeit in Anspruch nimmt,
so kann gerade in dieser Periode eine Rückverwandlung die
Resultate in ungünstiger Weise beeinflussen. Es gelang uns
auch, in der Einwirkung der Säure bei niederer Temperatur
durch einen längeren Zeitraum und Benutzung des fertigen
Lecithids an Stelle des Cobragiftes mit Lecithinzusatz eine Ver-
suchsanordnung zu finden, die regelmäßigere sehr übersichtliche
Resultate gibt. Die Beurteilung geht hier nicht von dem abso-
luten Grad der Hämolyse aus, sondern berücksichtigt besonders
den zeitlichen Verlauf derselben. Da die Hämolyse durch größere
Mengen fertig gebildeten Cobralecithids fast momentan eintritt, so
äußert sich das Bestehen der unwirksamen Modifikation zunächst
in dem anfänglichen Ausbleiben der Hämolyse, die allmähliche
Rückverwandlung läßt sich aber an deren nachträglichem Ein-
tritt beobachten und sogar zeitlich messend verfolgen. Die
folgenden Versuchsbeispiele illustrieren das Verfahren ohne
weiteres.
Ein Gemisch von Cobragift 1°/, Verdünnung 1 : 200, 4,0 ccm
+ Lecithin 5°/, in Methylalkohol 0,4 cem + — HCl 0,12 ccm
bleibt 6 Tage im Eisschrank. Hierauf wird neutralisiert, ver-
schiedene Giftmengen werden sofort auf je 1 ccm Kaninchen
blut 5°/, aufgegossen; der Verlauf der Hämolyse bei Zimmer-
temperatur beobachtet. Blut frisch vom Eis.
1. 1,0
2 05 } nach 26 Min. stark, nach 36 Min. komplet;
wie b)
) S. Flexner u. Noguchi, Univ. of Penna. Medical Bulletin,
Nov. 1902.
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 363
3. 0,25 nach 26 Min. geringe Aufhellung, nach 35 Min. stärker, nach
1 Stunde 14 Min. wohl komplet;
4. 0,15 nach 47 Min. geringe Aufhellung, nicht fortschreitend ; nächster
Tag komplet.
5. 0,1 nach 1 Stunde 10 Min. geringe Aufhellung, am nächsten Tage
komplet;
6. 0,05 unverändert, erst am nächsten Tage fast komplet;
7.0 0.
Das neutralisierte Gemisch bleibt über Nacht bei Zimmer-
temperatur stehen, am nächsten Morgen zum selben Blut, das
bis dahin auf Eis gelegen hat, zugesetzt.
1. 0,25 nach höchstens 2 Min. komplet;
2. 0,1 nach einigen Minuten komplet;
3. 0,05 beginnt bald Aufhellung, nach 4 Std. nicht komplet, nächsten
Morgen stark.
Es werden folgende Gemische hergestellt:
I. 20,0 Cobragift 1°/, Verdünnung 1: 100 + 6,0 Lecithin 10%, in Methyl-
alkohol + 1,0 HC],
II. 200 „ 1°% Verdünnung 1: 100 +6,0 Lecithin 10%, + 0,4 È HCl.
Die Gemische bleiben 9 Tage im Eisschrank, werden dann
neutralisiert (Lackmuspapier und Phenolphthalein) und ohne
weiteren Lecithinzusatz geprüft mit Kaninchenblut 5°% 1,0.
Immer Blut vom gleichen Kaninchen, für den letzten Versuch
frisch aus der Ohrvene gewonnen. Die Versuchsreihen stehen
2 Stunden im Brutschrank bei 37° (öfters zur Beobachtung
herausgenommen) und bleiben dann über Nacht im Eisschrank.
Nach eintägigem
Verweilen des
neutralisierten Gemisches
bei Zimmertemperatur
Sofort nach Neutralisation
0,5 nach 20 Min. stark, nach 2 Std. nach 5 Min. komplet
komplet
1
10 z
0,5 nach 2 Stunden komplet nach 45 Min. komplet
0,25
1 nach 2 Stunden nichts deutliches “
05 i nächsten Morgen: konplet ’ nächsten Morgen komplet
0,25 nächsten Morgen wenig am nächsten Morgen stark
0 0 0
Biochemische Zeitschrift Band I. 24
364 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen.
u).
Sofort nach Nach einem Tage Nach 4 Tagen
Neutralisation
0,5 nach 2 Std. stark, nach 5 Min. komplet sofort komplet
nächst. Morg. kompl.
1.0! nach 2 Std. stark, nach 45 Min. komplet sofort komplet
’ 10 nächst. Morg. kompl.
0,5 nach 2 Std. stark, nach-45Min. komplet nach 2 Std. komplet
nächst. Morg. kompl.
0,25 nach 1!/, Std. wenig, nach 45 Min. stark, nach 2 Std. komplet
nächst. Morg. kompl. nächst. Morg. kompl.
05. nach 2 Std. 0, nächst. Morg. kumpl. nächst. Morg. wenig,
> 100 nächst. Morg. kompl. Kuppe
0,25 wenig nächst. Morgen stark, 0
Kuppe
0 0 0 0
Wir haben bei unseren nach diesem Verfahren angestellten
Versuchen stets beobachtet, daß der Endeffekt der Hämolyse
derselbe ist wie in den Kontrollproben mit unbeeinflußtem Gift,
daß also durch die hier gewählten weniger eingreifenden Ver-
suchsbedingungen die Bildung irreversibler Produkte vermieden
werden kann und die Entstehung und Rückverwandlung der
reversiblen Modifikation im zeitlichen Verlauf der Hämolyse
klar zum Ausdruck kommt. Es mag sein, daß die Lecithid-
bildung zum Stabilerwerden des Giftmoleküls beiträgt, wie sie
ja nach den Untersuchungen von Kyes an und für sich schon
genügt, das Hämolysin kochbeständig zu machen.
Endlich sei noch über analoge Beobachtungen berichtet,
die sich auf das Neurotoxin des Cobragifts beziehen. Auch
hier ruft die Einwirkung der Salzsäure eine Umwandlung hervor,
die der eben beschriebenen des Hämolysins offenbar in ihrem
Wesen entspricht. Injiziert man Mäusen subkutan das Zehn-
fache der Dosis letalis von Cobragift, so sterben sie nach 12 bis
15 Minuten unter den bekannten Erscheinungen der Paralyse.
Hält man dagegen eine Cobragiftlösung (1/0 Verdünnug 1:10)
n ` .. . .
HCl während 14 Tage im Eisschrank,
mit einem Gehalt von „,
so findet man ihre Giftigkeit quantitativ erhalten, im Verlauf der
Symptome aber eine wesentliche Differenz, indem eine Inkuba-
tionszeit auftritt, die am deutlichsten bei höheren Dosen er-
scheint. So tötet die zehnfache Dosis letalis nach ungefähr einer
Stunde, hat also eine Latenzzeit, die 5mal größer ist, als die des
J. Morgenroth u. D. Pane, Reversible Toxinveränderungen. 365
genuinen Giftes. Läßt man nun die neutralisierte Giftlösung
weitere zwei Tage im Eisschrank stehen, so bleibt die Giftigkeit
der Lösung dieselbe, der Verlauf der Intoxikation ist aber zu
der ursprünglichen Norm zurückgekehrt und die Tiere, denen
man die zehnfache Dosis letalis injiziert, sterben wieder im
Verlauf von 12—15 Minuten.
Die vorstehenden Versuche, an welche sich dieselben Be-
trachtungen, wie an die hämolytischen Versuche knüpfen lassen,
zeigen, daß es sich auch hier um eine reversible Umwandlung
des Toxins handelt und daß sich das Neurotoxin des Cobra-
giftes wie in einigen anderen Beziehungen, so auch in seiner
Wandlungsfähigkeit dem Cobrahämolysin analog verhält.
Dieses Verhalten des modifizierten Neurotoxins im Tier-
versuch beansprucht unseres Erachtens ein ganz besonderes
theoretisches Interesse. Die Neurotoxine der Schlangengifte ge-
hören zu den wenigen Toxinen, die keine oder nur eine sehr
geringe Latenzzeit haben. Mehrfache Multipla der Dosis letalis
töten in wenigen Minuten, ein Zeitraum, von dem bei subkutaner
Injektion der Giftlösung noch ein Teil auf Rechnung der
Resorptionszeit zu setzen ist. Die Versuche zeigen nun, daß
durch die stattgehabte Umwandlung die Toxizität des Giftes
als solche nicht vermindert ist, indem die Dosls letalis dieselbe
geblieben ist. Dagegen hat das Toxin eine ausgesprochene
J.atenzzeit gewonnen. Der Vergleich mit den nach der
zweiten Methode ausgeführten hämolytischen Versuchen drängt
sich auf und hier wie dort muß auch zur selben Erklärung
für die Latenzzeit gegriffen werden: Sie repräsentiert beim
Neurotoxin den Zeitraum, der von der Injektion resp. Resorption
und Bindung der unwirksamen Modifikation bis zur Restitution
mindestens einer Dosis letalis des Toxins verstreicht.
Es liegt also hier eine Art der Latenzzeit vor, die eine
wesentlich andere Erklärung erfordert, wie die bisher bei ge-
nuinen Toxinen beobachtete. Bekanntlich betrachtet Ehrlich
die Latenzzeit der Toxine als das Intervall, das zwischen der
Verankerung der haptophoren Gruppe des Toxins und dem
Wirksamwerden der toxophoren Gruppe liegt, eine Auffassung,
die der eine von uns durch besondere Versuche gestützt hat').
1) Morgenroth, Arch. internat. de Pharmacodyn. 1899.
24*
366 J.Morgenroth u. D. Pane, Reversible Tovinveränderungen.
Die von uns beobachtete neuartige Latenzzeit läßt nun
offenbar den Ausblick zu auf eine zweite Erklärungsmöglichkeit
dieses Phänomens, die möglicherweise für gewisse Fälle auch
bei genuinen Toxinen Gültigkeit haben könnte. Angesichts
der hier demonstrierten weitgehenden Umlagerungsfähigkeit der
Toxinmoleküle sehen wir für folgende hypothetische Betrach-
tung kein Hindernis: Die Toxine seien in ihrer ursprünglichen
Lösung (Giftbouillon, Auszüge aus tierischen oder pflanzlichen
Organen) nicht oder nur zum Teil als solche vorhanden, da-
gegen ganz oder überwiegend als ungiftige Modifikationen
derselben Art, wie sie in unseren Versuchen künstlich erzeugt
wurden. Die ursprüngliche Lösung bietet nicht die Be-
dingungen zu einer Rückverwandlung. Nach Injektion der
Lösung und Aufnahme der Giftmodifikation in die Blutbahn
oder in gewisse Zellterritorien sind durch die Änderung der
chemischen Eigenschaften des Lösungsmittels oder durch
Bindungen an Zellrezeptoren die Bedingungen zu einer Um-
wandlung in das eigentliche Toxin gegeben, eine Umwandlung,
die mehr oder weniger Zeit in Anspruch nähme. Dieser
Zeitraum würde einen integrierenden Teil der Inku-
bationszeit ausmachen.
Daß mit der Annahme derartiger Umwandlungen im
Tierkörper auch eine Erklärung für die Empfindlichkeits-
schwankungen verschiedener Tierspezies gegen Toxine gegeben
werden kann, sei hier nur angedeutet. Unempfindliche Tiere
(Huhn gegen Tetanusgift, Ratte gegen Diphtheriegift) wären
dann gar nicht oder nur in geringem Maß imstande, die ungiftige
primäre Modifikation in die sekundäre, das eigentliche Toxin,
überzuführen?).
1) Ganz ähnliche Annahmen hat bekanntlich s. Z. R. Pfeiffer für
die Aktivierung der Choleraamboceptoren im Peritoneum des Meer-
schweinchens gemacht unter Hinweis auf die Beziehungen der Fermente
zu den Profermenten.
Über Jodospongin.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von
L. Scott.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 2. August 1906.)
Welche Gruppe der Schwammsubstanz man als Trägerin
des organisch gebundenen Jods betrachten muß, hat bisher nicht
festgestellt werden können. Bei der Hydrolyse des Jodospongins
mit Mineralsäuren entweichen erhebliche Mengen Jod und Jod-
wasserstoffsäure, auch bei der Aufspaltung mittels Baryt wird
Jod aus der organischen Verbindung gelöst.
Man durfte nun hoffen, daß bei schonender Hydrolyse,
etwa Aufspaltung durch Enzyme, die Isolierung der jodhaltigen
Gruppe möglich sei.
Tatsächlich gelingt es, die an sich unverdauliche Schwamm-
substanz durch Behandlung mit starker Schwefelsäure löslich
zu machen und in ein Produkt zu verwandeln, das nunmehr
durch Pankreassaft bis zum Verschwinden der Biuretprobe
verdaut wird.
Geschieht die Behandlung mittels Schwefelsäure unter der
nötigen Vorsicht, so werden höchstens Spuren des organisch
gebundenen Jods abgespalten. Nach Entfernung der Diamino-
säuren durch Phosphorwolframsäure, der Hauptmenge des Leu-
cins durch Kristallisation usw. kann eine stark jodhaltige
organische Verbindung durch fraktionierte Kristallisation der
Kupfersalze von begleitenden Monoaminosäuren getrennt und
schließlich in einer in Alkohol löslichen Fraktion angereichert
werden.
Das gleiche Verfahren wird auch auf die Eiweißkörper der
Thyreoidea angewandt.
Über die Entstehung optisch aktiver Fettsäuren
in der Natur.
Von
Carl Neuberg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 1. August 1906.)
Die Frage der Entstehung von optisch aktiven Fettsäuren
in der Natur hängt eng mit dem Problem der Erdölbildung
zusammen. Das letztere ist in eine neue Phase getreten, als
P. Walden Biots in Vergessenheit geratene Beobachtung der
optischen Aktivität beim Petroleum wieder ans Licht zog und
nachdrücklich auf die Bedeutung dieses Befundes sowohl für die
Naphthafrage wie als historisches Dokument der Biologie hinwies.
Die natürlich vorkommenden optisch aktiven Verbindungen
haben sich bisher ausnahmlos als Produkte von Lebewesen der
Fauna oder Flora erwiesen, und aus diesem Grunde erblickt man
mit Recht im Drehungsvermögen des Petroleums eine Haupt-
stütze für die heute in erster Linie akzeptierte C. Englersche
Theorie einer Erdölbildung aus organisierter Materie.
I.
Nach der Englerschen Theorie sind animalische oder
vegetabilische Fette, resp. die aus ihnen entstehenden Fett-
säuren die Muttersubstanz der Naphta, zum mindesten be-
stimmter Erdöle, und in der Tat konnte Engler durch Druck-
destillation von Fett künstlich „Petroleum“ darstellen.
Die Entdeckung, daß vielfach der natürlichen Naphtha
optische Aktivität eigen ist, erheischte eins Revision der
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 369
Englerschen Theorie; denn mit verschwindenden Ausnahmen’)
sind Fett und Fettsäuren der heutigen Lebewesen optisch in-
aktiv und könnten an sich nur ein optisch inaktives Erdöl liefern.
Die optische Aktivität des Petroleums war noch nicht be-
friedigend erklärt; Walden?) wie Engler?) haben jüngst zu
dieser Frage das Wort ergriffen, und Engler hat eine Revision
seiner früheren Versuche gerade im Hinblick auf die Aktivitäts-
verhältnisse in Aussicht gestellt. Beiden Autoren ist offenbar
eine Mitteilung von mir entgangen, die ich auf der vorjährigen
Naturforscherversammlung in Meran?) gemacht habe und von
der auch Referate in die Literatur?) übergegangen sind.
Der Inhalt dieser Mitteilung war folgender:
„Der Ausgangspunkt meiner Betrachtungen ist die Beob-
achtung, daß in manchen Fällen das sogenannte Leichenwachs
oder Adipocire optisch aktiv ist; die Entstehung des letzteren
ist auch noch nicht völlig aufgeklärt. Da das untersuchte
dextrogyre Produkt frei von Cholesterin war, ist es klar, daß
es nicht aus den Kalk- und Magnesiasalzen der gewöhnlichen
Fettsäuren (Palmitinsäure, Stearinsäure, Ölsäure) bestehen
konnte; es lag nahe, an fettsäureähnliche Umwandlungsprodukte
vom Eiweiß der Kadaver zu denken, eine Möglichkeit, deren
für die Adipocirebildung schon vor vielen Jahren E. Salkowski‘)
gedacht hat.
Die Frage, ob solche Umwandlungsprodukte der Protein-
stoffe optische Aktivität besitzen können, hat man früher nicht
aufgeworfen; heute, wo wir über die Bausteine der Eiweißkörper
so viel besser orientiert sind, muß sie aus theoretischen Gründen
von vorneherein bejaht werden.
Dank den Aufklärungsarbeiten Emil Fischers wissen wir,
daß abgesehen von aromatischen Komplexen im wesentlichen
Aminofettsäuren am Aufbau der Proteine beteiligt sind; es
1) Siehe hierüber weiter unten.
2 P.Walden, Chem. Ztg. 1906, Nr. 34, S. 391.
3) C. Engler, Chem. Ztg. 1906, Nr. 58, S. 711.
4) Sitzung vom 26. Sept. 1905.
5) Chem. Ztg. 1905, Nr. 79, S. 1045 u. Ztschr. f. angew. Chem. 1905,
Nr. 40, S. 1606.
8) „Zur Kenntnis der Fettwachsbildung‘“, Festschrift f. Rud. Virchow
1891, S. 19.
370 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur.
ist geradezu eine Forderung der Theorie, daß bestimmte Formen
dieser Aminofettsäuren beim Übergang in Fettsäuren Produkte
mit optischer Aktivität liefern müssen. Es sind dieses allgemein
Aminosäuren mit zwei asymmetrischen Kohlenstoffatomen im
Molekül, als deren erster Vertreter die Oxypyrrolidincarbon-
säure!) aufgefunden wurde
CH, —CH.0OH OH-CH—CH,
l r | |æ
CH: CH-COOH resp. CH; CH.COOH
NZ NZ
NH NH
und zu denen auch das Cystin wie die Oxyaminobernstein-
säure zählen.
Hierhin gehört auch das durch die ausgezeichneten Arbeiten
von F. Ehrlich?) bekannt gewordene d-Isoleucin.
ER — CH: NH; - COOH
u. a. Verbindungen, die ähnliche verzweigte Kohlenstoffketten
und daher mehrere asymmetrische Kohlenstoffatome enthalten,
wie die Trioxyaminododekansäure°), die Caseansäure‘') und
andere, z. T. wohl noch unbekannte Produkte.
Betrachten wir die Verhältnisse für das d-Isoleucin, wo sie
besonders übersichtlich sind. Beim Übergang des d-Isoleucins
in die entsprechende Fettsäure:
CH; N
CH — CH » NH; — CO TE
C Hs / KR
el. — CH: — COOH
müßte die optisch aktive Capronsäure (ß-fı Methyl-äthy]-
propionsäure) entstehen, deren Radikal zahlreiche optische
aktive Kohlenwasserstoffe bei der Kondensation mit gleichen
oder anderen Resten ergeben kann.
Es ist aber klar, daß auch die Aminosäuren (die aromatischen
ebenfalls) mit nur einem asymmetrischen C-Atom unter Umständen
optisch aktive Fettsäuren oder deren Derivate liefern können,
I) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 85, 2660. 1902.
2) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 87, 1809. 1904.
5 Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 543. 1904.
t) Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 274. 1904.
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 371
nämlich dann, wenn ein Zusammentritt zweier Reste vor oder
bei der Eliminierung des Stickstoffs stattfindet. Am Beispiel des
gewöhnlichen Leucins läßt sich dieser Vorgang folgendermaßen:
C *
om JOH: — CH: NH; — COOH +Ro>—
CHN i
OH SCH — CHR — COOH
veranschaulichen; ein Fall, in dem R selbst auch optisch inaktiv
sein kann.
Es fragt sich nun, ob ein Prozeß bekannt ist, bei dem
sich unter natürlichen Verhältnissen ein derartiger Übergang
von Aminosäuren in Fettsäuren vollzieht. Das ist der Fall;
nämlich die Zersetzung der Eiweißstoffe durch Fäulnis.
Überblicken wir die Resultate jener Forscher, die z. T. schon
vor 20 Jahren die Produkte der Eiweißfäulnis studiert haben,
wie E. u. H. Salkowski, M. Nencki, E. Baumann und L.
Brieger, so kann man das Ergebnis dieser Forschungen heute
dahin präzisieren, daß die Fäulnis der Proteïnstoffe nichts als
eine desamidierende Hydrolyse ist, bei der vornehmlich
die Aminosäuren in N-freie Produkte übergehen, die gewöhn-
lichen Aminosäuren in Fettsäuren, die der aromatischen Reihe
in fett-aromatische Säuren. Daneben verlaufen Kohlen-
säureabspaltung, oxydative Synthesen und Kondensationen.
Neben der Fäulnis kommt noch ein zweiter biologischer
Vorgang in Betracht, die Selbstverdauung oder Autolyse.
Wo pflanzliche oder tierische Stoffe absterben, setzt nach
E. Salkowskis Entdeckung diese Selbstverdauung ein, die auch
nichts anderes als eine enzymatische Hydrolyse ist. A. Magnus-
Levy hat nun gezeigt, daß auch unter streng aseptischen Be-
dingungen bei der Autolyse aus den Proteïnstoffen Fettsäuren
entstehen, also daß auch hier ohne Bakterien eine desamidie-
rende Hydrolyse eintritt.
Daß diese Umwandlung von Aminosäuren in Fettsäuren
so leicht vor sich geht, kann nicht wundernehmen, da ja die
Fettbildung aus Eiweiß aller Wahrscheinlichkeit nach ein nor-
maler physiologischer Stoffwechselvorgang ist.
Diese verschiedenen Überlegungen führen zu einer Er-
weiterung der Englerschen Theorie der Erdölbildung. Engler
lehnt ausdrücklich eine Mitwirkung der Proteïne oder ihrer Zer-
372 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur.
setzungsprodukte bei der Entstehung des Petroleums ab!) und
erblickt allein im Fett das Ausgangsmateriel.e. Gewiß kommt
letzteres in erster Linie in Betracht; aber neben ihm auch
Fettsäuren, die durch Umwandlung der Proteinstoffe
— sei es durch Fäulnis oder unter bestimmten geologischen
Verhältnissen auch durch die Enzyme der absterbenden Zellen
selbst (Autolyse) — entstanden sind und von denen ein Teil
asymmetrische Struktur besitzt und ein optisch aktives
Petroleum erzeugt. Einerlei, ob tierisches oder pflanzliches
Material die Muttersubstanz ist, die Verhältnisse sind prinzipiell
die gleichen; darum ist diese Ausdehnung der Fetttheorie auf
die aus Eiweiß neugebildeten, z. T. optisch aktiven Fettsäuren
auch mit der Krämer-Spilkerschen Hypothese (Petroleun-
bildung aus Algen, Diatomeen usw.) vereinbar.
Auf die bedeutende Anteilnahme der Proteinstoffe an der
Erdölbildung weist der starke Stickstoffgehalt mancher Petroleum-
sorten hin, nicht minder nachdrücklich auch der Schwefel-
gehalt, der z. T. auf der Gegenwart organischer Sulfide beruht,
wie ich sie künstlich durch gemeinsame Destillation von Cystin?),
gleichfalls einem Eiweißspaltprodukt, mit anderen Aminosäuren
darstellen konnte.“
Diese meine Meraner Ausführungen habe ich nun in-
zwischen experimentell zu stützen versucht. Ein Blick durch
den Polarisationsapparat bestätigte sofort die Forderung der
Theorie.
Aus gefaultem Kasein wurden die Fettsäuren nach der
Vorschrift von E. Salkowski’”) abgeschieden. Diese Fraktion
enthält die Fettsäuren von der Essigsäure bis zur Capronsäure
und ist stark rechtsdrehend, im 2-Dezimeterrohr beträgt die
direkte Drehung + 1,2°. Bei der Reinigung wurden die Frak-
tionen der Ameisen-, Essig- und Propionsäure fast inaktiv
') Auf diesem Standpunkt steht Engler auch jetzt im wesentlichen,
wenn er auch in seiner jüngst (nach meinem Meraner Vortrag) erschienenen
Mitteilung |Chem. Ztg. 1906, Nr. 58] für den N-Gehalt mancher Naphtha-
sorten stickstoffhaltige Ursubstanz annimmt.
» Vielleicht gibt das Cystin mit seinen 2 asymmetrischen Kohlen-
stoffatomen zur Bildunz optisch aktiver Sulfide Anlaß.
3) Practicum der physiol. u. pathol. Chem., 3. Aufl., S. 227, 1906.
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 373
befunden, dann nimmt die Drehung bis zu der Fraktion der
Säuren mit 5 und 6 Kohlenstoffatomen zu.
In den Lehrbüchern findet sich meist die Angabe, daß die
bei der Fäulnis entstehenden Fettsäuren die normale Struktur
besäßen; diese Annahme kann angesichts der Herkunft dieser
Fettsäuren aus den entsprechenden Aminosäuren nicht zutreffen,
sie besitzen vielfach eine verzweigte Kette; näheres hierüber
soll später mitgeteilt werden.
Ebenso wie die Fettsäuren aus Kasein verhielten sich die
flüchtigen Säuren aus gefaultem Leim'), hier war die Drehung
etwas geringer.
Eine Herleitung der optischen Aktivität des Erdöles aus
Proteinstoffen verinag auch vielleicht die großen Unterschiede
im Betrage und der Richtung der Drehung zu erklären, die beim
Petroleum beobachtet sind.
Dank den Untersuchungen E. Fischers und seiner Mit-
arbeiter wissen wir heute, wie außerordentlich verschieden die
Eiweißkörper sowohl hinsichtlich der Natur wie der Menge
der einzelnen Bausteine sind. Je nach dem Überwiegen der
einen oder anderen Aminosäuren, nach der Kondensation mit
diesem oder jenem Radikal, können bei dem Zersetzungsprozeß
ganz verschieden drehende Produkte entstehen. Ein Schluß
aber aus der Drehungsrichtung des Enderzeugnisses auf (das
Ausgangsmaterial oder umgekehrt ist natürlich ganz unmöglich.
Daß übrigens die Menge optisch aktiver Fettsäuren, die
aus Eiweiß entstehen kann, nicht klein ist, lehrt eine einfache
Überrechnung. Die Monoaniinosäuren gehen bei intensiver
Fäulnis nahezu quantitativ in Fettsäuren über. Von Rohleuein
hat man bis 40 °/, in bestimmten Proteinen gefunden; nach
F. Ehrlichs Ermittlungen kann etwa die Hälfte dieses Roh-
leucins aus Isoleucin bestehen, so daß ca. 20 °/, des Eiweißes
unter Umständen aktive Capronsäure geben kann, die anderen
drehenden Eiweißumwandlungsprodukte gar nicht gerechnet.
Das sind Mengen, die quantitativ weit gelegentliche optisch
aktive Begleiter des Fettes (Cholesterine) an Quantität übertreffen.
1) Sie sind vor vielen Jahren von Herrn Prof. E. Salkowski dar-
gestellt, der mir einen kleinen Teil für die polarimetrische Bestimmung
gütigst überließ.
374 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur.
I.
Es soll keineswegs behauptet werden, daß optisch aktive
Eiweißumwandlungsprodukte allein das beim Erdöl beobachtete
Drehungsvermögen bedingen. Für dessen Entstehung können
auch andere Produkte unter Umständen verantwortlich gemacht
werden.
So hat vor kurzem J. Marcusson!) die Hypothese auf-
gestellt, daß eine Quelle der optischen Aktivität in dem die
tierischen und pflanzlichen Fette begleitenden Cholesterin und
Isocholesterin bezw. Phytosterin zu suchen sei. Schon früher
hatte A. Windaus?) durch Druckdestillation aus Cholesterin
„Petroleum‘‘ dargestellt und auf die event. Bedeutung dieser
hydroaromatischen Substanz für die Entstehung von gesättigen
cyklischen Kohlenwasserstoffen hingewiesen. Marcusson stützt
seine Ansicht auf den gelungenen Versuch, aus Wollfett durch
Autoklavenspaltung und Destillation des Rückstandes ein rechts-
drehendes Oleingemisch vom Charakter der Mineral-Maschinen-
öle zu erhalten.
Zu diesem interessanten Experiment ist zu bemerken, daß
ein an optisch aktivem Material besonders angereichertes
Ausgangsprodukt?) benutzt worden ist, daß im Lanolin kein
gewöhnliches Fett, im wesentlichen keine Glyzerinester, sondern
Ester des optisch aktiven Cholesterins vorliegen und noch andere
drehende Produkte von unbekannter Struktur, so die Lanocerin-
körper von F. Roehmann‘), vorhanden sind.
Die gewöhnlichen Fette animalischer oder vegetabilischer
Herkunft enthalten — nicht einmal regelmäßig — so kleine
Mengen von Cholesterin oder dessen Verwandten, daß es
zweifelhaft erscheinen muß, daß diese Produkte allein die
Muttersubstanz der stark optisch aktiven Erdölbestandteile
bilden könnten.
Wie bereits erwähnt, sind die gewöhnlichen Fette optisch-
inaktiv; nur in vereinzelten Fällen sind einige drehend
1) Chemische Revue 12, 1. 1905.
23 Ber. d. dtsch. chem. Ges. 87, 2028. 1904.
3) In den Destillationsrückständen von der Fettsüäurendarstellung
reichert sich immer das Cholesterin an. Vergl. Donath und Margosches.
Chem. Ind. 1904, S. 220.
4 F. Roehmann, Centralbl. f. Physiologie 19, 317. 1905.
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 375
befunden und zwar Fette sowohl des Tier- wie des Pflanzen-
reiches.
Allerdings ist esmanchmal möglich gewesen, den Grund dieser
optischen Aktivität nachzuweisen und sie auf bestimmte Produkte
zurückzuführen, so auf das Cholesterin und Isocholesterin beim
Wollfett, auf die cyklische Chaulmugrasäure beim Chaulmugraöl,
auf Isomere der Myristin- und Laurinsäure im Bürzeldrüsenfett
(F. Roehmann), auf die Rizinusölsäure beim Rizinusöl, auf
die d-Valeriansäure (Methyl-äthylessigsäure) beim Angelicaöl und
Convulvin und auf den aktiven Hexylalkohol beim Römisch-
Kamillenöl'); bei der Mehrzahl namentlich der schwachdrehenden
Fette ist aber der Grund des Drehungsvermögens unbekannt.
Die Darstellungsweise mancher Fette schließt nun die
Möglichkeit einer Verunreinigung außer mit Cholesterinkörpern
mit einer anderen Klasse von Verbindungen nicht aus, die im
tierischen und pflanzlichen Organismus weit verbreitet sind, den
Lecithinen. Es wäre dankbar, daß diese nach C. Ulpianis?)
Entdeckung optisch aktiven Lipoide z. T. das Drehungsvermögen
jener Fette bedingen. Das Lecithin hat die bemerkenswerte
Eigenschaft, eine große Anzahl sonst fettunlöslicher Körper mit
Lipoiden mischbar zu machen, z. B. Zucker und andere optisch-
aktive Substanzen (Paul Mayer)°); dieses Verhalten ist bei
den pflanzlichen Lecithinen besonders ausgeprägt, die nach
E. Winterstein und Hiestland') regelmäßig einen erheblichen
Gehalt an Pentosen, also aktivem Material, aufweisen.
Das reine Lecithin ist nach Ulpiani (a. a. O.) dextrogyr,
existiert aber nach Paul Mayer’) auch in einer linksdrehenden
Form.
1) In den beiden letzten Fällen handelt es sich möglicherweise um
Eiweißumwandlungsprodukte, die im normalen pflanzlichen Stoffwechsel
erzeugt werden analog der Bildung des aktiven Amylalkohols bei der
Hefegärung, wo zuerst an der lebenden Pflanze die Umwandlung von
aktivem, stickstoffhaltigem Material in ebensolches N-freies nachgewiesen
wurde (F. Ehrlich). Solche Umwandlungen von stickstoffhaltigem
Material in optisch aktive N-freie Substanzen besorgt auch der Tierkörper
(Neuberg und Langstein).
4) Gazz. chim. Ital. 81, II, 47. 1901.
®) Diese Zeitschr. 1, 81. 1906.
4) Ztschr. f. physiolog. Chem. 47, 496. 1906.
6) Diese Zeitschr. 1, 39. 1906.
376 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur.
Die optische Aktivität der Lecithine selber ist nun eine
derartige, daß sie für die Bildung optisch-aktiver Erdölkohlen-
wasserstoffe nicht in Betracht kommen kann. Sie beruht
nämlich auf der asymmetrischen Anordnung der Fettsäure-
radikale und des Phosphorsäurerestess an den Glycerin-
hydroxylen, z. B.:
CH: »- O — Fettsäureradikal
HC. O — Fettsäureradikal
CH, ° O PO; Hp = Cholin,
und nicht auf der Gegenwart eines nach vollkommener
Hydrolyse optisch-aktiven Spaltungsproduktes. Da nun vor
oder mindestens während der Petroleumbildung Verseifung ein-
tritt, kann das Lecithin selbst keine optische Aktivität in das
Erdöl hineintragen.
Bei dieser Gelegenheit mag darauf hingewiesen werden, daß
die optische Aktivität mancher Fette und Öle auf der Gegen-
wart von sogenannten gemischten Glyceriden beruhen könnte;
denn bei letzteren muß man bei bestimmten Anordnungen
optische Aktivität erwarten, nämlich dann, wenn diese natürlich
verkommenden Glyceride 3 verschiedene Fettsäureradikale (Rı,
Rs, R) enthalten oder auch nur 2 ungleiche (Ri, Rs), die
asymmetrisch am Glycerinrest haften:
CH: » OR, CHe +» OR:
Ix p
HC. OR: oder HC. OR,
| |
CH; » OR; CH,OR;
Diese Formen können zwar den Ölen und Fetten optische
Aktivität verleihen, aber nicht dem daraus entstehenden Erdöl
aus ähnlichen Gründen, wie wir sie beim Lecithin gesehen haben.
Von ungleich größerem Interesse war daher die Frage, ob
cs möglich sei, aus den symmetrischen, optisch-inaktiven
Ölen und Fetten unter den natürlichen Verhältnissen analogen
Bedingungen künstlich optisch-aktive Substanzen zu erzeugen,
deren Drehungsvermögen auf einem wirklichen asym-
metrischen Kohlenstoffatom der letzten hydrolyti-
schen Spaltungsprodukte beruht. Das ist in der Tat möglich.
Das Ausgangsmaterial für die Versuche besteht in dem
gewöhnlichen symmetrischen Triolein
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 377
CH; + O-Ölsäure
CH e O-Ölsäure
CH; e O-Ölsäure
das bekanntlich einen überwiegenden Teil im Fette der maritimen
Flora und Fauna ausmacht. Um jede Verunreinigung auszu-
schließen, wurde synthetisches Triolein benutzt. Das
Trocknen ölsäurehaltiger Fette, aber auch die Veränderungen
der freien Ölsäure (a) an der Luft beruht!) auf Sauerstoffauf-
nahme oder Wasseranlagerung an der Stelle der doppelten
Bindung, wobei Dioxystearinsäure (b), Monoxystearinsäure resp.
Stearolacton (c) oder andere Polyoxysäuren [Oxyketostearinsäure
?(d) usw.] entstehen, kurz lauter Verbindungen mit einem oder
zwei asymmetrischen Kohlenstoffatomen:
a) CH; + (CHz) » CH === CH - (CH;); + COOH
b) CHy - (CH2) + CH - OH — CH - OH - (CH;) » COOH
c) CH + (CH;} + CH- OH — CH: - (CH;} — COOH
d) CH; - (CHe} «CO —— — CH. OH- (CH) + COOH
(oder Isomere).
Diese Systeme sind an sich zwar asymmetrisch, jedoch
noch inaktiv, resp. racemisch, aber sie können unter Bedingungen,
die in der Natur durchaus gegeben sind, optisch aktiv werden.
Diese Bedingungen, die auch im Experiment verwirklicht werden
konnten und drehende Fettsäuren ergaben, sind folgende:
Von einem Trioleïn, das durch Wasseraufnahme oder
langsame Oxydation in das System
CH, -O — CO - (CHa) + CHX — CHX - (CH:} - CH;
CH-0 — CO » (CHa) - CHX — CHX » (CH-) - CH,
CHe < O — CO + (CHa) » ČHX — ČH N + (CHay + CHa
oder
CH: -O — CO» (CHo) - CH; — CHY » (CH-} + CH;
CH -0 — CO- (CHo) - CHs — ČHY - (CH); + CH,
CH, < O — CO + (CHo) + CHe — ČHY - (CHoy < CH;
) Vergl. E.Salkowki, Festschrift f. Rud. Virchow 1891, S. 19.
M. v.Senkowski, Ztschr. f. physiol. Chem. 25, 434. 1808. Scala zit.
nach Ulzer-Klimont, Chemie der Fette, 1906. S. 93. D. Holde und
J. Marcusson, Ber. d. dtsch. Chem.-Ges. 86, 2657. 1903.
378 C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur.
übergegangen ist, läßt sich voraussehen, daß es durch fett-
spaltende Fermente bei deren asymmetrischer Wirkungsweise
zur Hälfte verseift werden wird, indem Glyzerin und freie
aktive Säure entsteht, während deren Antipode mit der anderen
Hälfte des Glyzerins zum aktiven Glyzerid vereint bleibt.
Der Versuch ist in der Weise praktisch ausgeführt!), daß
vollständig (durch 6 Atome Br) bromiertes synthetisches Triolein
(Dibromstearinsäure -triglyzerid) mit pflanzlicher Lipase ge-
spalten wurde. Es resultiert rechtsdrehende freie Dibromstearin-
säure und ein gleichfalls rechts drehendes Dibromstearinsäure-
glyzerid.
Das verwendete Material ist formal vollkommen den
Produkten der langsamen Oleinoxydation analog. Es ist klar,
daß auch bei gemischten Glyzeriden oder bei Umwandlung nur
einer Ölsäurerestes prinzipiell ebensolche durch Lipase spaltbare
Systeme mit asymmetrischen Stearinsäurederivaten entstehen
können.
Fettspaltende Fermente sind in der Natur außerordentlich
verbreitet, sie finden sich im tierischen und pflanzlichen
Organismus in den Sekreten wie intrazellullär. Auch die
Bakterien wie ihre Ausscheidungen wirken gleichfalls stark
fettspaltend. Die halbseitige Verseifung durch Lipasen ist be-
reits mehrfach beobachtet, so von Paul Mayer‘), von
H. D. Dakin?) (vergl. auch O. Warburg)‘), sie ist ein Vorgang’),
wie er sich unter geologischen Verhältnissen sehr wohl abgespielt
haben kann. Da die Erdölbildung wahrscheinlich ein langsam
und allmählich verlaufender Prozeß ist, bietet es beispielsweise
der Vorstellung keine Schwierigkeiten, daß etwa die durch Lipo-
lyse entstandenen freien aktiven Fettsäuren entfernt oder schon
1) Aus äußeren Gründen ist das perbromierte Triolein verwandt; es
ist leichter zugänglich und reiner erhältlich als die Sauerstoffderivate.
2) Berlin. klin. Wochenschr. 1905, No. 35.
3) Journ. of Physiolog. 82, 199. 1905.
4) Ztschr. f. physiolog. Chem. 48, 205. 1906.
6) Die asymmetrische Verseifung durch Lipase ist übrigens vielleicht
auch ein Mittel, um die öfter recht unsichere Existenz der gemischten
Glyzeride zu erweisen. Soweit sie asymmetrische Struktur besitzen, aber
racemisch sind, werden sie wahrscheinlich durch Lipase halbseitig ver-
seift und müßten ein durch das Enzym nicht angreifbares dreliendes
Glycerid ergeben. Versuche hierüber sind im Gange.
C. Neuberg, Entstehung optisch-aktiver Fettsäuren in der Natur. 379
umgewandelt werden, während das aktive Glyzerid erst später
zu Petroleum wird.
Es ist also gezeigt, daß aus inaktiven Fetten infolge lang-
samer Oxydation und asymmetrischer Spaltung durch belebte oder
leblose Fermente optisch-aktive Radikale entstehen können.
Bei der experimentellen Ausführung dieser in zwei Rich-
tungen sich bewegenden Untersuchungen bin ich von Herrn
cand. phil. E. Rosenberg unterstützt. Seine Dissertation wird
die analytischen Einzelheiten bringen und die Mitteilung anderer
Versuche über die Umwandlung optisch-aktiver Fettsäuren und
Eiweiß!) in „Petroleum“, die ich mir vorbehalten möchte.
!) Beim Tieröl fanden wir schwaches Drehungsvermögen;, diese
Tatsache ist insofern von Interesse, da möglicherweise die stickstoffhaltigen
Bestandteile des Rohpetroleums mit Träger seiner optischen Aktivität sind.
Biochemische Zeitschrift Band I. 25
Über optisch-aktive a-#-Diaminopropionsäure und
ß-Thioglyzerinsäure').
Von
C. Neuberg und E. Ascher.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der
' Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 16. August 1906.)
In Fortführung der früheren Untersuchungen’) über kon-
figurative Beziehungen zwischen den Substanzen der Drei-
kohlenstoffreihe wurde die racemische a-$-Diaminopropion-
säure in die aktiven Komponenten zerlegt. Die Spaltung gelingt
angesichts des basischen Charakters der Diaminopropionsäuren
durch direkte Salzbildung und zwar mittels d-Kamphersulfosäure.
Durch fraktionierte Kristallisation des schön kristallisierenden
basischen Salzes:
COOH — CH» NHs — CH; - NB; » CioHiıs ° O - SO;H
erhält man die rechtsdrehende Form angenähert rein, die links-
drehende nur zum Teil.
Das Sulfat der rechtsdrehenden Modifikation wird durch
Baryumnitrit (zwei mol. HNO3) in 1-Glyzerinsäure übergeführt.
Unter der Voraussetzung, daß die salpetrige Säure keine
sterische Umwandlung bewirkt, ist die rechtsdrehende «-$-Dia-
minopropionsäure als l-Form zu bezeichnen, und es bestehen die
Beziehungen:
1) Vorgetragen in der Sitzung der deutschen chem. Ges. vom
9. Juli 1906.
3) Ber. d. deutschen chem. Ges. 87, 339 und 342. 1904: Ztschr. f.
physiol. Chem. 44, 134. 1905.
Neuberg und Ascher, optisch-aktive Diaminopropionsäure usw. 381
CH; - OH CH; - NH:
| |
HC-OH «—. HC-NH;
| |
COOH _ COOH
(l-Glyzerinsäure) (l-Diaminopropionsäure)
Das Chlorhydrat der l-Diaminopropionsäure dreht rechts;
das Kupfersalz der l-Diaminopropionsäure hat die Zusammen-
eZUnE: (C;H; N303);Cu + H:O.
Da nach Neuberg und Silbermann sowie Ellinger
Diaminopropionsäure durch ein mol. HNO; in Isoserin
CH: - NH; CH; - NH:
| |
CH : NH: »— > CH. OH
| |
COOH COOH
übergeht, ist dessen aktive Form gleichfalls zugänglich.
Die Konfiguration des Cystins ist bestimmt, wenn es ge-
lingt, dieses in die aktive Glyzerinsäure zu verwandeln.
Durch Behandlung mit Baryumnitrit in schwefelsaurer
Lösung geht Proteincystin in das Disulfid der $-Thioglyzerin-
säure (Desaminocystin) über:
CH, -S — 12 CH: -S — ]:
CH-NH, | »-> |CH-oH
COOH COOH
Letztere ist lävogyr ([@]o = ca. — 10,6%. Baryumsalaz:
(C;H4SO;); Ba [e|n = — 19,08°; Silbersalz: CeHaS20O6 Age.
Die Lösung des Baryumsalzes gibt mit Mercurichlorid,
Blei- und Kupferazetat starke Fällungen.
Durch Zinn + Salzsäure wird das Disulfid zur $-Thio-
glyzerinsäure (a-Oxy-ß-thiopropionsäure) reduziert, die gut
kristallisiert und mit Blei-, Kupfer- und Eisensalzen ähnliche
Farbenreaktionen wie Cystein gibt.
Durch Entschweflung muß diese Verbindung in aktive
Glyzerinsäure übergehen. Gelingt diese Verwandlung nicht, so
wird die Synthese des Desaminocystins von der B-Chlor-@-Oxy-
propionsäure (ß-Chlorglyzerinsäure) möglich sein, die selbst
durch Alkaloidsalze sich als spaltbar erwies.
25*
382 Neuberg und Ascher, optisch-aktive Diaminopropionsäure usw.
Bei der Darstellung der inaktiven a-$-Diaminopropionsäure
aus a-ß-Dibrompropionsäure und Ammoniak entsteht bis zu
10%, des Ausgangsmaterials Isoserin:
CH: Br | CH: - NH;
| |
CH » Br + NH, - OH == 2 HBr + CH-OH
| |
COOH COOH.
Diese Umsetzung ist ganz analog der jüngst von Neuberg
und Federer!) beschriebenen Bildung von Methylisoserin (@-Oxy-
-$-aminobuttersäure) CH; — CH NH: — CHOH — COOH aus e-f-
Dibrombuttersäure CH; — CH Br — CH Br — COOH und NH;.
Durch trockene Destillation läßt sich Cystin zu Körpern
der Äthylenreihe abbauen; es entsteht durch Abspaltung von
Kohlensäure Diaminoäthylendisulfid (Aminoäthyldisulfid):
CH; . S—
| CH; » S—
CH » NH; =200 + Í, J»
j CH; ° NH: A
COOH 2
Die Verbindung bietet Interesse, da sie vielleicht das
Zwischenprodukt ist, aus dem die verschiedenen schwefelhaltigen
Substanzen bei der bakteriellen Zersetzung des Cystins entstehen;
das geschwefelte Amin läßt sich als Pikrat isolieren und ist
mit dem synthetischen Produkt von S. Gabriel?) identisch.
Die ausführliche Mitteilung der analytischen Daten wird
in der Dissertation von E. Ascher erfolgen.
1) Diese Ztschr. 1, 287. 1906.
2) Ber. d. dtsch. chem. Ges. 22, 1138. 1889; 24, 1112 u. 2133. 1891.
Über den Wert der verschiedenen Farbenreaktionen zum
Nachweis der Pentosen.
Von
Fritz Sachs.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 3. August 1906.)
Seitdem die Pentosurie von Salkowski und Jastrowitz!)
zum ersten Male beobachtet und beschrieben worden ist (1892),
sind zwar eine Reihe weiterer Fälle derselben Stoffwechselanomalie
bekannt geworden, ihre Zahl ist aber immerhin auch bis heute
noch spärlich geblieben. Obgleich diese seltene Affektion dem
Träger derselben keine Beschwerden verursacht und auch keine
Gefahren für die Gesundheit mit sich bringt, so hat sie doch
in nicht geringem Maße das Interesse der Ärzte in Anspruch
genommen; und zwar mit Recht. Denn, wenn wir von der
wissenschaftlichen Bedeutung ganz absehen, auch in der Praxis
spielt die Pentosenausscheidung durch den Harn eine wichtige
Rolle, da diese Zuckerart durch ihr starkes Reduktions-
vermögen einen Diabetes vortäuschen kann. Wenn man be-
denkt, daß es sich das eine Mal um eine harmlose Affektion,
das andre Mal um eine schwere Erkrankung handelt, so
wird man verstehen, daß eine solche Verwechselung Folgen
recht unangenehmer Art nach sich ziehen kann. Die Dia-
gnose der Pentosurie hat also auch für den Praktiker ein be-
deutendes Interesse. Es gelingt nun wohl, durch Kombination
mehrerer Verfahren, wie Reduktionsprobe, Gärung, Polarisation
1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, 8. 337.
Biochemische Zeitschrift Band I. 26
384 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
das Vorhandensein von Pentose wahrscheinlich zu machen und
Traubenzucker auszuschließen, es gelingt auch durch umständ-
lichere chemische Verfahren Pentose ganz einwandsfrei nachzu-
weisen, vorausgesetzt, daß genügende Mengen von der ver-
dächtigen Flüssigkeit zur Verfügung stehen: für den Arzt ist
es aber nötig, ein Reagens in der Hand zu haben, mit dem er
in einfacher Weise seine Diagnose sicherstellen kann. Es sind
eine Anzahl Reaktionen bekannt, welche diesen Zweck erfüllen
sollen, und deren sich auch der Chemiker öfters bedient. Im
folgenden soll von ihnen die Rede sein. Die ältesten sind die
Tollenssche Orcin- und Phloroglucinprobe'), die schon vor der
Beobachtung der Pentosurie bekannt waren und auch heute
noch viel benutzt werden. Vor einigen Jahren wurde die erstere
von diesen Proben von Bial) modifiziert. In jüngster Zeit
fand nun eine Diskussion über den Wert dieser Modifikation
statt, durch welche die folgenden Untersuchungen veranlaßt
wurden. Bial verwandte zunächst als Reagens rauchende Salz-
säure, welche auf 500 g 1 bis 1'Y/s g Orcin und 25 bis 30
Tropfen 10°/,ige Eisenchloridlösung enthielt. 4 bis 5 ccm
dieser Flüssigkeit wurden mit 2 bis 3 ccm der zu unter-
suchenden eben aufgekocht. Bei Anwesenheit von Pentose trat
Grünfärbung auf, sowie der für die Orcinreaktion charakteristische
Absorptionsstreifen im Spektrum. Das Wesentliche der Modifi-
kation besteht in der Anwendung des Eisenchlorids, das als
Sauerstoffüberträger die Reaktion beschleunigen und sie so be-
quemer und schärfer machen soll. Bial sah sich indessen ein
Jahr später veranlaßt, seinen Vorschlag abzuändern?), da bei
Anwendung von seinem Reagens in der früher angegebenen
Form eine Verwechselung mit Glukuronsäure möglich war®).
Um diesem Übelstande abzuhelfen, wandte er statt konzentrierter
Salzsäure solche von 30°/, HCl-Gehalt an. Im übrigen behielt
das Reagens dieselbe Zusammensetzung. Nur wurde die Aus-
führung der Reaktion dahin modifiziert, daß zunächst 4 bis 5 ccm
von dem Reagens zum Sieden erhitzt und dann bis höchstens
1) Berichte d. deutsch. chem. Ges. 22, 1046. Ann. d. Chem. 254, 329;
260, 304.
23) Deutsche med. Wochenschr. 1902 u. 1903.
3) Deutsche med. Wochenschr. 1903.
+ Vgl. Brat, Ztschr. f. klin. Med. 47. 1902.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 385
1 ccm Harn zugesetzt wurde, ohne weiter zu erhitzen. So sollte
eine Verwechselung mit Glukuronsäure nicht möglich sein.
Jolles!) hält nun das Reagens, in dieser Form angewandt,
nicht für verläßlich und fein genug. Im Gegenteil hält er es
für nötig, nach dem Vermischen aufzukochen. Andererseits,
meint er, sei bei diesem Vorgehen eine Verwechselung mit
Glukuronsäure möglich. Jolles bringt hier ein neues Verfahren
zur Unterscheidung von Pentose und Glukuronsäure in Vorschlag,
von dem weiter unten die Rede sein soll. Dieses hält wiederum
Bial?) in der Praxis für nicht schnell und einfach genug,
während sein einfaches Verfahren von ausreichender Schärfe
und Feinheit sein soll. Zudem hält er ein Verfahren, das, wie
das Jollessche es tun soll, minimale Spuren, wie 0,02°/o
Pentose, anzeigt, gar nicht für wünschenswert, da bei einer
echten Pentosurie nicht Spuren, sondern etwa !/2°/o Zucker
ausgeschieden werden.
Nach dem: Gesagten schien es also wünschenswert, die
beiden konkurrierenden Methoden von Bial und von Jolles
nachzuprüfen. Dies geschah unter gleichzeitiger Berücksichtigung
der alten Orcin-, Phloroglucinprobe, der Neumannschen Re-
aktion sowie der Reaktion mit Anilinacetatpapier.
Bialsche Probe.
Zur Untersuchung wurden hier, wie auch bei den anderen
Reaktionen, herangezogen Lösungen von l-Arabinose, Xylose,
Glukuronsäure®), normaler Harn, sowie Harne, gesammelt nach
Verabreichung paarungsfähiger Substanzen. Es sei vorausge-
schickt, daß nach einigen orientierenden Versuchen immer nur
1/3 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit dem Reagens zuge-
setzt wurde, da sich diese geringere Quantität für den Eintritt
der Reaktion als günstiger erwies.
Das Reagens wurde in der zuletzt von Bial angegebenen
Form benutzt, zum Teil käufliches, zum Teil selbst hergestelltes.
Meine Beobachtungen haben nun folgendes ergeben:
1. Bei Lösungen sowie Urinen von 0,2°/, Xylose-, resp.
l-Arabinose-Gehalt tritt, wenn nur vor dem Zusatz der betr.
1) Centralbl. f. innere Med. 1905, Nr. 43; 1906, S. 100.
3 Centralbl. f. innere Med. 1906, S. 97.
©, Die Substanzen verdanke ich der Liebenswürdigkeit von Herrn
Geheimrat Salkowski und Herrn Prof. Neuberg. Ba
386 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
Flüssigkeit das Reagens aufgekocht wird, die Grünfärbung meist
ein. Im Spektrum findet man einen intensiven Streifen im
Beginn!) vom Rot, einen schwächeren zwischen Rot und Grün,
die beide auch in dem beim Schütteln mit Amylalkohol ent-
stehenden Auszug vorhanden sind. Der erste von ihnen ist, so-
weit mir erinnerlich, nicht von Bial beschrieben worden. Da-
gegen beschreibt Blumenthal?) einen Streifen im Rot, den er
und P. Mayer bei Anstellung der gewöhnlichen Orcinreaktion
mit verschiedenen Substanzen, namentlich ganz regelmäßig bei
der Orcinprobe mit den Pentosazonen, sowie auch den Osazonen
aller anderen untersuchten Kohlehydrate, fanden; er scheint
mit dem hier bei Bials Probe beobachteten identisch zu sein.
Blumenthal betont ausdrücklich, daß dieser Streifen nicht der
charakteristische ist, vielmehr der am Ende des Rot zwischen
C und D gelegene, den übrigens nach Blumenthals Angabe
die Phenylhydrazinverbindungen der Glukuronsäure mit den
Pentosazonen gemeinsam haben. Auch hier bei der Bialschen
Probe scheint der Streifen im Rot durchaus nicht charakteristisch
für Pentose zu sein, ich fand ihn zum Beispiel auch bei An-
stellung der Probe mit Traubenzuckerlösung, wo aber der Streifen
zwischen C und D fehlte.
Unter denselben Bedingungen wie oben ließen 1%, ige
Lösungen von Xylose und Arabinose stets sofort Grünfärbung
erkennen. Es waren wieder dieselben Streifen zu sehen, wieder
der links gelegene, im Rot, stärker ausgeprägt.
Ebenso verhielten sich noch konzentriertere Lösungen, bei
denen natürlich beide Streifen gleichmäßig stärker erschienen.
Gelegentlich hatten auch beide Streifen die gleiche Intensität,
nie aber war der zwischen Rot und Grün stärker, als der im
Rot. Bei käuflichem Pentose-Urin®) tritt stets Grünfärbung ein,
wenn man nach der letzten Bialschen Angabe verfährt‘). Hier
1) Bei allen beschriebenen Spektralerscheinungen bezeichne ich immer
als Beginn den nach links gelegenen Teil, als Ende den nach rechts ge-
legenen Teil einer Farbe, vorausgesetzt natürlich, daß sich links Rot, rechts
Violett befindet.
7, Ztschr. f. klin. Med. 87, 415.
5) Erhältlich bei der Firma Klönne u. Müller-Berlin, Luisenstraße.
4) Ein Pentose-Harn eigener Beobachtung stand mir leider nicht zur
Verfügung.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 387
ist immer der Streifen zwischen Rot und Grün stärker, als der
im Beginn von Rot. Wenn man aber trotz Eintrittes der Grün-
färbung nachträglich kocht, so ist auch hier der Streifen im
Rot stärker, indem der eine an Intensität zu-, der andere ab-
genommen hat. Ebenso scheint auch ohne nachträgliches Er-
hitzen beim Ausschütteln mit Amylalkohol der Streifen im
Rot mit der Menge des angewandten Amylalkohols an Intensität
zu-, der andre abzunehmen.
2. 0,18°/sige Lösung von freier Glukuronsäure gibt ohne
nachträgliches Erhitzen keine Färbung, höchstens nach längerem
Stehen der Probe eine geringe Andeutung, ohne daß dabei ein
Streifen auftritt. Bei nachträglichem Erhitzen tritt die charakte-
ristische Grünfärbung unter Sichtbarwerden derselben Absorptions-
streifen, wie oben ein. Wieder ist derjenige im Rot der stärkere.
Eine 0,8°/,ige Lösung gibt auch ohne nachträgliches Erhitzen
schwache, aber unverkennbare Grünfärbung. Die Absorptions-
streifen, ganz so wie früher, treten jedoch erst auf, wenn man
nachträglich kocht, wobei die Grünfärbung auch wesentlich
intensiver wird.
3. Normaler Menschenharn verdunkelt sich bei Vorgehen
nach der letzten Bialschen Angabe unmerklich. — Keine
Streifen vorhanden. Bei nachträglichem Erhitzen: Grünfärbung.
(Dunkles Olivgrün). — Wiederum die beiden Absorptionsstreifen
vorhanden.
4. Chloralharn vom Menschen, nach Verabreichung von
3 g Chloralhydrat gesammelt, stark reduzierend, Linksdrehung
= —0,2°/,, auf Traubenzucker berechnet, verhielt sich ebenso
wie der normale Harn.
Ein Chloralharn vom Kaninchen (A), nach Einführung ı von
1 g Chloralhydrat, der stark reduzierte und eine Linksdrehung
von — 2,4"/,, auf Traubenzucker berechnet, aufwies, verhielt
sich ganz so, nur wurden trotz nachträglichen Erhitzens die
Absorptionsstreifen vermißt.
Ein Chloralharn vom Kaninchen (B), nach Einführung von
1 g Chloralhydrat, der stark reduzierte und eine Linksdrehung
von — 0,8°/,, auf Traubenzucker berechnet, aufwies, (er war
mit Wasser verdünnt), verhielt sich genau so, wie der normale
Menschenharn. Dasselbe Verhalten zeigte schließlich ein Hunde-
harn, nach Verfütterung von 3 g Parakresol, mit einer Links-
388 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
drehung von — 0,8°%,, auf Traubenzucker berechnet, und ge-
ringem Reduktionsvermögen, sowie ein Menschenharn nach
subkutaner Verabfolgung großer Kampherdosen von geringem
Reduktionsvermögen und geringer Linksdrehung.
Wie wir sahen, trat die Grünfärbung bei 0,2°/,igen Pentose-
Lösungen und Urinen, wenn man nach der letzten Bialschen
Angabe verfährt, d. h. nur vor dem Zusatz der pentosehaltigen
Flüssigkeit aufkocht, meist ein, manchmal aber ohne bestimm-
ten Grund nicht. Der Eintritt geschieht aber oft auch sehr
zögernd, sodaß bei geringem Prozentgehalt an Pentose man an-
nehmen muß, daß die Probe im Stiche lassen könnte. Wenn
sie bei nachträglichem Erhitzen positiv ausfällt, so besagt das
nichts, da auch normaler Harn sich dann ebenso verhält.
Allerdings ist die Farbe bei den Pentoselösungen reiner. Aber
auch eine 0,18°/, Glukuronsäurelösung gibt bei nachträglichem
Erhitzen dieselbe reine Farbe. Gewiß ist mit dem Vorkommen
von freier Glukuronsäure im Harn kaum zu rechnen, wenn
auch die Beobachtung gemacht ist, daß sich die Menthol- und
die Terpenoglukuronsäure (nach Verfütterung der entsprechenden
Substanzen erhalten) beim Stehen der Harne spontan spalten
können’). Man wird also bei der Bialschen Probe nur
etwas aussagen können, wenn sie ohne nachträgliches
Erhitzen positiv ausfällt. Und dies hat ja Bial auch selbst
ausgesprochen. Sehr fein ist die Probe so aber nicht, da ein
Gehalt von 0,2°/, Pentose gerade die Grenze zu bilden scheint,
wo sie noch positiv ausfallen kann. Bei den beschriebenen
Fällen von Pentosurie hat es sich aber zum Teil auch um
geringere Mengen gehandelt. Denn sie schwankten zwischen
0,08 und 1°/,?) oder wenn man, wie Neuberg angibt, diese
Zahlen verdoppeln muß®, zwischen 0,16 und 2%. Zur
Sicherung der Diagnose wird in jedem Falle das Aufsuchen
des zwischen C und D gelegenen Absorptionsstreifens nötig sein.
Zum Vergleich mögen nun auch die mit der alten Orcin-
und Phloroglucin-Probe an denselben untersuchten Lösungen
erzielten Resultate mitgeteilt sein.
1) P. Mayer, Berl. klin. Wochenschr. 1900, Nr. 1.
®) Zit. nach Neuberg, „Die Physiologie der Pentosen und der
Glukuronsäure“ in „Ergebnisse der Physiologie“ III. Jahrg., 1. Abt. 1904.
23) a. a. O.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 389
Oreinprobe.
Die Angaben über die Anstellung der Orcin- und Phloro-
glucinprobe, die man in der Literatur findet, weichen im
einzelnen verschiedentlich voneinander ab, stimmen aber doch
im Wesen mit den ursprünglichen Tollensschen Angaben')
überein.
Ich habe die Proben so angestellt, daß ich der zu unter-
suchenden Flüssigkeit, etwa 4 ccm, das gleiche Volumen
rauchender Salzsäure, D = 1,19, zusetzte, darauf eine kleine
Messerspitze Orcin, resp. Phloroglucin in das Reagensglas
schüttete und zum Sieden erhitzte.
Bei typisch positivem Ausfall der Orcinprobe soll dann
zunächst rötliche Färbung, darauf violettblaue Trübung eintreten.
Die Farbennuancen wechseln aber, und so ist als das Charakte-
ristischeste an der Probe der Absorptionsstreifen zwischen C
und D anzusehen, worauf schon Tollens aufmerksam gemacht
hat. Man schüttelt nach Salkowskis Angabe?) mit Amyl-
alkohol und betrachtet den Streifen im Amylalkoholauszug, der
allmählich eine mehr grüne Farbe annimmt.
1. 0,2 ige Pentose-Lösungen — positiver Ausfall.
Käuflicher Pentose-Urin Braun-Grünfärbung. Amylalkohol-
auszug: rein grün. Streifen zwischen C und D.
2. 0,18 °/, Glukuronsäure-Lösung — schwach, aber un-
verkennbar positiv.
.3. Normaler Harn — Braunfärbung. Kein Streifen.
4. Chloralharn (Mensch) — Braunrotfärbung. Kein Streifen.
Chloralharn (Kaninchen) A — Braungrünfärbung. Kein
Streifen.
Chloralharn (Kaninchen) B — Rotbraunfärbung. Kein
Streifen.
Parakresolharn (Hund) — Gelbbraunfärbung, Amylalkohol
rötlich. Kein Streifen.
Kampherharn (Mensch) — Rotfärbung. Kein Streifen.
Phloroglucin-Probe.
Die Phloroglucinprobe wurde genau so angestellt wie die
Orcinprobe. Hier kommt es noch mehr auf den typischen
1) a. a. O.
3) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, Nr. 32.
390 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
Absorptionsstreifen an, der hier zwischen D und E im Beginn
von Grün liegt. Es tritt beim Erhitzen zum Sieden erst Kirsch-
rotfärbung, dann Trübung ein. In Amylalkohol klare Lösung
mit roter Farbe. -
1. 0,2 °/sige Pentoselösungen — positiv.
Käuflicher Pentose-Urin positiv.
2. 0,18 °/sige Lösung von Glukuronsäure — deutlich positiv.
3. Normaler Harn — Rotfärbung. Kein Streifen.
4. Chloralharn (Mensch) — Rotfärbung. Absorptionsstreifen
zwischen D und E.
Chloralharn (Kaninchen) A — Rotfärbung. Kein Streifen.
Chloralharn (Kaninchen) B — Rotfärbung. Schwacher
Streifen zwischen D und E.
Parakresolharn (Hund) — Rotfärbung. Streifen zwischen
D und E.
Kampherharn (Mensch) — Rotfärbung. Absorptionsstreifen,
schwach, aber unverkennbar, zwischen D und E.
Außer in der oben beschriebenen Weise wurde die Phloro-
glucinprobe auch in der von Salkowski angegebenen Form') an
Lösungen und Urinen von 0,2 °/, Pentosegehalt, an 0,18 °/,iger
Glukuronsäurelösung, an normalem Harn, Kampherharn, Chloral-
harn vom Menschen und an Parakresolharn vom Hund ausgeführt.
Der Ausfall der Proben zeichnete sich hier durch größere Reinheit
des Farbentones und des Spektralbildes aus, stimmte aber im
Grunde mit den oben notierten Resultaten überein, die ja auch
Salkowski selbst erhalten hatte.
Der Nachteil der Phloroglucinprobe als Reaktion auf Pen-
tose ist schon lange bekannt und, wie man sieht, auch hier
wieder bestätigt worden. Nicht nur treten bei Anwendung der
verschiedensten pentosefreien Lösungen Farbentöne auf, die
1) Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1892, S. 594. Ztschr. f. physiol.
Chem. 27, 512. Nach Salkowski löst man eine kleine Messerspitze
Phloroglucin in 7—8 ccm Salzsäure von 1,12 D, teilt die Lösung in zwei
gleiche Hälften. Zu der einen fügt man 0,5 ccm des zu untersuchenden
Harns, zu der anderen ebensoviel normalen Harns zum Vergleich. Setzt
man dann beide Proben in siedendes Wasser, so färbt sich die die reaktions-
fähige Substanz enthaltende rot, während die andere fast unverändert bleibt,
jedenfalls nicht rot wird. Die Spektraluntersuchung ergibt im ersten
Falle den charakteristischen Absorptionsstreifen. Am normalen Harn sah
Salkowski bei dieser Art der Anstellung die Reaktion nie eintreten.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 391
dem typischen ganz ähnlich sind, sondern es weisen, wenn wir
von den freien Glukuronsäuren ganz absehen wollen, auch die
gepaarten des öfteren den Pentosenstreifen auf, sodaß also die
Möglichkeit einer Verwechselung auf der Hand liegt. Mit der
Probe mit Anilinacetatpapier erzielte ich übrigens noch
schlechtere Resultate, indem hier auch normaler Harn eine mehr
oder minder starke Rotfärbung des Streifens hervorrief. Es be-
stehen hier zwar graduelle Unterschiede, diese sind aber keines-
wegs geeignet, eine Entscheidung über das Vorliegen des einen
oder des anderen Körpers zu bringen.
Mit der Orcinprobe habe ich dagegen befriedigende Resul-
tate erzielt. Zwar ist der auftretende Farbenton des öfteren
unbestimmt, der Absorptionsstreifen war aber bei den mit ge-
paarten Glukuronsäuren angestellten Proben nicht zu sehen.
Nun weiß man ja, daß sich die verschiedenen gepaarten Glukuron-
säuren verschieden verhalten, und es liegen in der Tat auch
Beobachtungen vor, wo gepaarte Glukuronsäuren vollkommen
charakteristischen Ausfall der Reaktion mit Absorptionsstreifen
gaben, wie z. B. diejenige von Wohlgemuth an dem Harn
einer Lysolvergiftung') oder diejenige von P. Mayer an Menthol-
und Terpenoglukuronsäure, die sich beim Stehen spontan zer-
setzen). Jmmerhin, glaube ich, wird es sich in diesen Fällen
meist um leicht erkennbare künstlich gesetzte Bedingungen ge-
handelt haben, und die Empfehlung der Orcinreaktion
durch Salkowski°) und Blumenthal‘) für den klinischen
Nachweis dürfte, wenn man bei Anstellung der Probe
zu langes Kochen vermeidet), auch heute noch ihre
Geltung haben.
Jolles’ Methode.
Jolles) empfiehlt zum Nachweis der Pentosen im
Harn folgendes Verfahren; 10—20 ccm Harn werden mit
1) Berl. klin. Wochenschr. 1906, Nr. 17.
2?) Berl. klin. Wochenschr. 1900, Nr. 1.
3) Ztschr. f. physiol. Chem. 27, 507.
1) a. a. O.
5) Eine Verwechselung mit gepaarter Glukuronsäure soll übrigens
such in zweifelhaften Fällen (Mentholglukuronsäure) vermieden werden
können, wenn man bei Anstellung der Probe nicht kocht, sondern nur
auf 90—95 ° erhitzt (vgl. Brat a. a. O.).
®© Centralbl. f. inn. Med. 1905, Nr. 43.
þad
392 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
entsprechenden Mengen von essigsaurem Natron und salzsaurem
Phenylhydrazin versetzt, ca. 1 Stunde im Wasserbad gekocht,
dann 2 Stunden in kaltem Wasser stehen gelassen. Der Nieder-
schlag wird auf ein Asbestfilter gebracht und einmal mit kaltem
Wasser gewaschen. Darauf kommt der Niederschlag samt
dem Filter in ein Destillierkölbchen, dazu 20 ccm destilliertes
Wasser und 5 ccm rauchende Salzsäure. Nun werden 5 ccm
in eine vorgelegte, in kaltem Wasser befindliche Eprouvette
abdestilliert, die vorher mit 5 ccm destillierten Wassers gefüllt
wird. Bei Gegenwart von Pentose soll dann 1 ccm des Gemenges
beim Kochen mit 4 ccm Bials Reagens intensive Grünfärbung
geben. Nach Jolles’ Angabe soll die Probe auch bei Anwesenheit
größerer Zuckermengen anwendbar sein, da Dextrosephenyl-
hydrazin unter den angegebenen Bedingungen keinen furfurol-
ähnlichen Körper liefert. Soweit die Jollesschen Angaben.
Diese Abweichung, die Jolles in dem Verhalten der Pentose-
Phenylhydrazinverbindung von demjenigen der entsprechenden
Traubenzucker- und Glukuronsäureverbindungen!) beobachtet
hat, ist sehr bemerkenswert und es ist schwer zu erklären,
warum in dem einen Falle ein furfurolähnlicher Körper gebildet
wird, in den anderen nicht. Wenn nun die Neubergsche
Ansicht”), daß die gewöhnliche Orcinprobe nicht auf der
Bildung von typischem Furfurol selbst beruht, auf die Bialsche
Reaktion übertragen werden darf, so könnte es sich ja hier
auch um einen anderen Körper handeln. Ich habe nun aber
bei Anstellung der letzteren mit sehr verdünntem Furfurolwasser
Grünfärbung und zwei Absorptionsstreifen erhalten, von denen der
eine, zwischen C und D, vollkommen mit dem Pentosenstreifen
zusammenfiel, während der andere im Rot gelegene in seiner
Lage etwas nach rechts von dem sonst bei der Bialschen Probe
im Beginn des Spektrums beobachteten abwich. Die Grünfärbung
bei der Jollesschen Methode könnte also auf Furfurol beruhen °’).
1) Jolles hatte auch mit Harnen, denen er 0,1 °/, freie Glukuron-
säure zusetzte, negativen Ausfall seiner Probe beobachtet.
7) Ztschr. f. physiol. Chem. 81, 564.
*) Bei der Orcinprobe mit Furfurolwasser habe ich wechselnde Farben-
töne erhalten, der Amylalkohol nahm immer grüne Farbe an, nie konnte
ich aber in Übereinstimmung mit Neuberg einen Absorptionsstreifen
sehen. Nach Salkowski gelingt es jedoch gelegentlich, bei schwer
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 393
Wenn ich größere Mengen von Pentosazon (es waren einmal
0,8 g, ein anderes Mal 0,5 g) nach den Jollesschen Vorschriften
verarbeitete, so gab das Destillat in der Tat mit Bialscher
Probe Grünfärbung, Streifen waren aber im Spektrum nicht zu
sehen. Mit dem Destillat wurden auch folgende Reaktionen
angestellt: Proben mit a-Naphthol, Phloroglucin, Orcin, ammo-
niakalischer Silbernitratlösung, Anilinacetat, die Trommersche
und die unten zu besprechende Neumannsche Probe Nur
die a-Naphtholprobe fiel positiv aus. Dies besagt, daß ein De-
rivat der Kohlehydrate im Destillat vorgelegen hat. Über die
Natur desselben ist aber auch unter Heranziehung der Grün-
färbung bei Bials Probe keine Entscheidung zu treffen. Mit
entsprechenden Mengen der Glukuronsäure-Phenylhydrazin-
verbindung konnte ich die Jollessche Methode nicht ausführen,
da ich hierzu nicht genug freie Glukuronsäure zur Verfügung
hatte. Indessen kommen ja für den praktischen Nachweis
gar nicht so bedeutende Mengen in Frage. So begnügte ich
mich, schwächer konzentrierte Lösungen von Pentose und
Glukuronsäure zu vergleichen, um die es sich ja doch hier
handelt. Die Jollessche Methode wurde ausgeführt an Lösungen
und Urinen von 0,2 °/, Arabinose- und Xylose-Gehalt, an 1 o-
iger Xyloselösung, an 0,18 °/siger Glukuronsäurelösung und an
käuflichem Pentose-Urin. Verwandt wurden meist 15 ccm, nie
weniger als 10 ccm. Diese Mengen mußten genügen, da Jolles
in 20 ccm Harn noch 0,05 °/, Arabinose nachweisen konnte.
Mit dem Destillate bekam ich jedoch nur im Falle des käuflichen
Pentose-Urins ganz minimale Andeutung einer Grünfärbung, in
allen anderen Fällen gar keine Grünfärbung, während die Ab-
sorptionsstreifen in allen Fällen fehlten. Es ist mir ganz un-
verständlich, woran es liegen mag, daß ich zu so abweichenden
Resultaten gekommen bin. Jedenfalls scheint mir nach meinen
Erfahrungen die Jollessche Methode für die Praxis nicht
brauchbar zu sein.
Neumannsche Probe.
Vor 2 Jahren hat Neumann ein einfaches Verfahren zur
Unterscheidung verschiedener Zuckerarten, u. a. auch Pentosen,
zu bestimmender, geeigneter Zusammensetzung des Gemenges einen solchen
darzustellen, der in seiner Lage nur wenig von dem eigentlichen Pentosen-
streifen abweicht.
394 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
angegeben!), welches bisher wenig Beachtung gefunden zu haben
scheint. Es handelt sich auch hier um eine, allerdings wesentlich,
modifizierte Orcinreaktiin.e Das Prinzip besteht darin, daß
während der Bildung des Farbstoffs einerseits für das Vor-
handensein eines Lösungsmittels desselben gesorgt, andererseits
Gegenwart von Wasser bei der Reaktion nach Möglichkeit ver-
mieden wird. Dadurch wird erstens die Probe verschärft,
zweitens wird dadurch eine Differenzierung der Farbe bei
Gegenwart verschiedener Zuckerarten bewirkt. Die Reaktion
wird in folgender Weise ausgeführt: 10 Tropfen der zu prüfenden
Lösung werden in einem Reagensglas mit 5 ccm 99 °/,igem
Eisessig und einigen Tropfen einer 5 °/,igen alkoholischen
Orcinlösung versetzt und nach Umschütteln bis zum völligen
Sieden erhitzt. Während das Reagensglas im Halter gehalten
wird, setzt man dann tropfenweise unter Umschütteln konzen-
trierte Schwefelsäure zu, bis ein deutlicher Farbenton bestehen
bleibt. Mehr als 50 Tropfen sind dazu in keinem Falle nötig,
können vielmehr Zersetzung und unreine Farbentöne hervorrufen.
Nach Neumanns Angabe gibt auf diese Weise Arabinose:
Violettrotfärbung, sowie im Spektrum einen Streifen rechts von
D, der Gelb und Gelbgrün bedeckt; Xylose: Violettblaufärbung,
sowie 2 Streifen, einen rechts von C im Orange, einen zweiten,
wie bei Arabinose; Glukuronsäure: Grün-, resp. Grünblaufärbung,
einen Streifen links von C im Rot; Glukose: Braunrotfärbung,
sowie einen Streifen rechts von b im Grün. Neben anderen
eingehenderen Angaben sei noch hervorgehoben, daß bei nach-
träglichem Wasserzusatz die Farbe bei den Pentosen und der
Glukose unverändert bleibt, während sie bei Glukuronsäure
rötlich wird. Diese Neumannsche Reaktion wurde wiederum
an den bisher angewandten Lösungen nachgeprüft:
1. 0,2 °/,ige Xyloselösung: Blauviolettfärbung, im Spektrum
ein intensiver Streifen, der Gelb und Gelbgrün bedeckt, ein
sehr schwacher links davon im Rot. 0,2 °/„ige Arabinoselösung:
Rotviolettfärbung, im Spektrum nur der intensive Streifen, wie
bei Xylose. Bei 0,2°/,„igen Xylose- und Arabinose-Urinen der-
selbe Ausfall, und zwar nicht minder deutlich. Bei 1 °/,igen
Pentoselösungen wird der Ausfall noch schöner. Bei Wasser-
1) Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 41.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 395
zusatz bleiben die wässerigen Lösungen unverändert, während
die Urine allmählich grünlich werden. Käuflicher Pentose-
Urin: Grünblau- resp. Grünfärbung, die auf Wasserzusatz be-
stehen bleibt, deutlicher Absorptionsstreifen im Rot, etwa in
der Mitte!).
2. Traubenzucker-Lösung und Urin: Deutliche Rotfärbung
mit Stich ins Violette. Bei schwächerer Färbung diffuse Ver-
dunkelung im Grün, bei starker Färbung rechter Teil des
Spektrums von Grün ab total verdunkelt. Grenze gegen Gelb
scharf abgesetzt.
3. 0,18°/, Glukuronsäurelösung: Ganz minimale Blau-
färbung. Kein Streifen. Bei weiterem Zusatz von Schwefel-
säure wird die Färbung braunviolett und schmutzig. Jetzt ist
ein schwacher Streifen im Beginn von Grün zu sehen. Auf
Wasserzusatz kein Farbenwechsel.
0,8 °/o Glukuronsäure: Blaufärbung. Schwacher Streifen im
Beginn von Grün, auf Wasserzusatz deutlicher Umschlag in
Rotviolettfärbung.
4. Normaler Harn: bräunlich-grüne Farbe. Kein Streifen.
5. Chloralharn (Mensch): Schmutzig-Braunrotfärbung, Spek-
trum verdunkelt, kein Streifen.
Chloralharn (Kaninchen): Grünfärbung, kein Streifen. Auf
Wasserzusatz kein Farbenumschlag.
6. Parakresolharn (Hund) und Kampherharn (Mensch):
Burgunderrotfärbung. Verdunkelung des Spektrums von Grün
ab nach rechts. Kein Streifen, kein Farbenumschlag auf
Wasserzusatz.
Meine Befunde an Traubenzucker- und Glukuronsäure-
lösungen weichen in einigen Punkten von den Neumannschen
Angaben ab. Namentlich scheint mir auch die Reaktion für
Glukuronsäure nicht sehr empfindlich zu sein. Die Angaben
über Pentoselösungen kann ich aber im wesentlichen durchaus
bestätigen. Sehr merkwürdig ist der ganz andersartige Ausfall
der Reaktion bei käuflichem Pentose-Urin, der sich ja auch, wie
wir oben gesehen haben, bei der Bialschen Probe, durch das
Verhalten der Absorptionsstreiffen von den anderen Pentose-
lösungen unterschied und sich eher wie eine Furfurollösung ver-
1) Dasselbe Verhalten, wie der käufliche Pensoseharn, zeigte bei der
Neumannschen Probe eine 1 °/,ige wässerige Lösung von Furfurol.
396 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
hielt. Es ist mir nichts Näheres über die Herkunft dieses
Urines bekannt, und daher ist dieser Punkt eigentlich nicht
diskutabel. Wenn man aber annimmt, daß der Harn von
einem Pentosuriker stammt, so könnte man denken, daß
die Verschiedenheit des Verhaltens darauf beruhe, daß, wie
Neuberg!) gezeigt hat, ca. die Hälfte der Pentose in diesem
Falle an Harnstoff gebunden ist. Mit inaktiver Arabinose, aus
Pentoseharn in Substanz dargestellt, die mir Herr Prof. Neu-
berg freundlichst überließ, fiel die Reaktion ganz in der
von Neumann für Arabinose typisch angegebenen Form aus.
Es wäre jedenfalls von Interesse, eine Anzahl Pentosuriker-
Urine auf ihr Verhalten zur Neumannschen Probe zu prüfen.
Vielleicht ist das hier an dem käuflichen Pentose-Urin Be-
obachtete das charakteristische. Wenn ich aber von dem käuf-
lichen Pentose-Urin ganz absehe, so muß ich sagen, daß das
Reagens für Pentosen äußerst empfindlich ist und ihre Auf-
findung in einwandsfreier Weise ermöglicht. Allerdings sind
die Unterschiede bei Arabinose und Xylose nicht sehr deutlich
und eine Verwechselung der beiden nicht ausgeschlossen. Das
spielt ja aber, wenn es sich um die Frage handelt, ob über-
haupt Pentose vorliegt oder nicht, gar keine Rolle. Der
Hauptwert ist jedoch, meiner Meinung nach, auch bei
der Neumannschen Probe auf den intensiven Ab-
sorptionsstreifen rechts von D zu legen. Denn bei
Traubenzuckerlösungen habe ich doch ähnliche Farbentöne be-
kommen, wie bei Arabinose. Der Unterschied bei der Spektral-
untersuchung ist aber eklatant. Freie Glukuronsäure könnte
durch die Blaufärbung unter Umständen Pentose vortäuschen
(auch die Probe, mit Xylose angestellt, wird allmählich blau).
Die Lage des Streifens habe ich hier auch, abweichend von
Neumann, ähnlich derjenigen des Arabinosestreifens gefunden,
welcher allerdings unvergleichlich intensiver ist. Ganz charak-
teristisch ist aber, daß bei Glukuronsäureanwesenheit auf
Wasserzusatz das Gemenge einen rötlichen Ton annimmt’),
und so kann auch eine Verwechselung mit freier
1) Ergebnisse der Physiologie 3. Jahrg., I. Abt. 1904, 373.
» Daß ich bei 0,18 °/,iger Glukuronsäurelösung den Farbenwechsel
nicht beobachtet habe, liegt wohl daran, daß hier von vornherein die
Färbung zu minimal war.
F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen. 397
Glukuronsäure vermieden werden. Dazu kommt als für den
Pentosennachweis besonders günstiges Moment, daß das Reagens
für freie Glukuronsäure sehr wenig empfindlich ist und die
gepaarten Glukuronsäuren, wenn auch der Farbenton gelegent-
lich zur Verwechselung Veranlassung geben könnte, keinen
Absorptionsstreifen aufweisen.
Wenn wir nun also mit der oben besprochenen Ein-
schränkung in der Neumannschen Reaktion ein ausgezeichnetes
Diagnostikum für Pentose erblicken dürfen, das mir feiner und
zuverlässiger erscheint als die Orcinprobe in ihrer ursprünglichen
Form und in der Bialschen Modifikation, so dürften doch auch
die beiden letzteren Methoden noch ihren Platz behaupten,
namentlich in der Klinik, solange die Frage über das Verhalten
des echten Pentose-Urins zu dem Neumannschen Reagens noch
nicht geklärt ist. Aber auch, wenn dies geschehen ist, dürfte
es nur von Vorteil sein, wenn wir eine Auswahl von brauch-
baren Reaktionen zur Verfügung haben. Denn, trotzdem es
sich in allen drei Fällen um Orcinreaktionen handelt, der Ausfall
ist doch in jedem Falle andersartig und für jede der Modi-
fikationen charakteristisch, und wir sind so in der Lage, in
zweifelhaften Fällen unsere Diagnose unter Heranziehung einer
zweiten Methode zu stützen.
Nachtrag.
Während der Drucklegung hatte ich Gelegenheit, die Orcin-,
die Bialsche und Neumannsche Reaktion an dem Harn einer
Lysolvergiftung (Starkes Reduktionsvermögen, Linksdrehung =
— 3°/,, auf Traubenzucker berechnet) zu erproben. Die Phloro-
glucinprobe fiel, wie nicht anders zu erwarten war, positiv aus.
Es stellte sich folgendes heraus:
1. Orcinprobe: Nach Zusatz von Salzsäure Grünfärbung.
Beim Kochen nimmt die Lösung einen dunklen, schmutzig-
braunen Farbenton an; Amylalkoholauszug: schmutzig-braun.
Deutlicher Absorptionsstreifen zwischen C und D.
2. Bialsche Probe: Ohne nachträgliches Kochen: geringe
Verdunkelung. Bei nachträglichem Kochen: starke Verdunkelung,
schmutzig-brauner Farbenton, der auch in den Amylalkohol
übergeht. Im Spektrum nur ein sehr schwacher Streifen
zwischen C und D.
398 F. Sachs, Farbenreaktionen der Pentosen.
3. Neumannsche Probe: Blauviolettfärbung. Spektrum
von Grün ab diffus verdunkelt. Die Verdunkelung ist im Be-
ginn von Grün intensiver und erscheint hier als schlecht
begrenzter Absorptionsstreifen. Auf Woasserzusatz deutlicher
Umschlag in Rotviolettfärbung.
Es ist bemerkenswert, daß ich hier am Lysolharn im
Gegensatz zu den anderen von mir untersuchten Harnen mit
gepaarten Glukuronsäuren und in Übereinstimmung mit der
Beobachtung von Wohlgemuth am Lysolharn die Orcinprobe
positiv ausfallen sah. Die Anwesenheit sehr großer Mengen
gepaarter Glukuronsäure, wie sie sich hier fanden (3°/, Links-
drehung), ist, wie ich glaube, nicht geeignet, die Tatsache hin-
reichend zu erklären. Vielmehr muß wohl in diesem Falle
die Art der Bindung eine weniger feste sein. Denn einerseits
war auch in einem Teil der Harne, wo die Orcinprobe negativ
ausfiel, die Menge der gepaarten Glukuronsäure ganz beträcht-
lich, und anderseits gibt, wie wir gesehen haben, eine weit
schwächere Lösung von freier Glukuronsäure noch deutlich
positiven Ausfall. Zudem fiel bei Anwendung desselben Harnes
in sechsfacher Verdünnung die Reaktion, wenn auch weniger deut-
lich, so doch immer in demselben Sinne aus. Schließlich er-
klärt sich auch der Farbenton und die Spektralerscheinungen
bei der Neumannschen Probe sehr wohl durch das Vor-
handensein eines Gemisches von gepaarter und freier Glukuron-
säure, welche letztere eben vermöge ihrer eigenartigen Bindung
bei der Ausführung der Reaktion abgespalten werden mag.
Ganz besonders ist aber der Farbenumschlag auf Wasserzusatz
in Rotviolett für freie Glukuronsäure charakteristisch. Daß
gerade hier beim Lysolharn im Gegensatz zur Orcinprobe die
Bialsche bei nachträglichem Kochen so wenig schön und
charakteristisch ausfiel, hat seinen Grund offenbar darin, daß
die in sehr großer Menge ausgeschiedenen Phenolderivate mit
dem Eisenchlorid in Reaktion treten und zur Bildung störender
Farbstoffe Veranlassung geben.
Meine obigen Schlußfolgerungen hinsichtlich des Wertes
der verschiedenen Methoden für den Nachweis von Pentosen
erfahren natürlich angesichts der hier verzeichneten Ergebnisse
durchaus keine Änderung.
Über das Schicksal der Kresole im Organismus
und ihren Einfluß auf den Stoffwechsel und die Darmfäulnis
der Fleischfresser.
Von
D. Jonescu aus Bukarest.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 6. August 1906.)
In seiner Arbeit über den Harn und den Stoffwechsel der
Herbivoren!) beschreibt E. Salkowski auch die Rolle des
Phenols und der Kresole bei der Darmfäulnis. Hierbei bemerkt
er, daß, obschon man die Frage nach den Oxydationsprodukten
der Kresole verfolgt hat, direkte Untersuchungen der nach
Verfütterung von Kresolen durch Destillation des Harns wieder-
gewonnenen Menge nicht angestellt worden sind. i
Da die Entscheidung hierüber für die Frage, welchen
Umfang die Eiweißfäulnis im Darmkanal der großen Pflanzen-
fresser hat, von Wichtigkeit ist, so habe ich auf Veranlassung
des Herrn Prof. Salkowski diese Frage zu verfolgen unter-
nommen.
Nachdem Baumann die gepaarten Schwefelsäuren im
Harn entdeckt hatte, hat er mit seinen Schülern auch das
Verhalten der Kresole im Organismus studiert?). So hat er
) E. Salkowski, Zur Kenntnis des Harns und des Stoffwechsels
der Herbivoren. Ztschr. f. physiol. Chem. 42, 213. 1904.
r, E. Baumann und E. Herter, Über die Synthese von Äther-
schwefelsäure und das Verhalten einiger aromat. Substanzen. Ztschr. f.
physiol. Chem. 1, 264. 1877—78. — Baumann und Preuße, Zur Kennt-
nis der Oxydationen und Synthesen im Tierkörper. Ztschr. f. physiol.
Chem. 8, 156. 1879.
Biochemische Zeitschrift Band I. 27
400 D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus.
feststellen können, daß das verfütterte p-Kresol nur zum kleinen
Teil zu p-Oxybenzoesäure und zu Phenol oxydiert wird!), der
größere Teil sich mit Schwefelsäure paart. Nach Verfütterung
von 0-Kresol kann man keine Salicylsäure nachweisen, sondern
nur kleine Mengen von Toluhydrochinon,;, der Rest paart
sich ebenfalls mit Schwefelsäure). Durch Preuße?) wurden
diese Untersuchungen weiter geführt; er zeigte, daß man nach
m-Kresol weder Metaoxybenzoesäure noch einen Körper von
hydrochinonartiger Natur nachweisen kann.
Külz?) schloß die Reihe dieser Untersuchungen ab. Er
beobachtete zum ersten Male, daß der Harn der mit Phenolen
oder ihren Substitutionsprodukten gefütterten Kaninchen nach
links dreht und eine Substanz enthält, die er als Phenylglukuron-
säure nachwies.
Die Frage, die ich zu behandeln hatte, war in erster Linie
die, wie viel von den eingeführten Kresolen man im Harn
wieder finden konnte; ferner, wie viel sich davon mit Schwefel-
säure und wie viel mit Glukuronsäure paart. Hierbei war noch
der Einfluß dieser Körper auf die Darmfäulnis und die dabei
entstehenden Produkte, wie Ammoniak und Indol, zu berück-
sichtigen. Schließlich war noch die Frage zu beantworten, welchen
Einfluß die Kohlehydratfütterung gegenüber der Fleischfütterung
auf die Menge der gebildeten Glukuronsäure ausübt.
Zunächst will ich die technische Ausführung der Versuche
beschreiben. Eine 11960 g schwere Hündin wurde mit 250 g
Pferdefleisch und 50 g Speck täglich ins Stickstoffgleichgewicht
gebracht. Der Harn wurde morgens mit dem Katheter ge-
wonnen, auf 400 ccm aufgefüllt und unter Zusatz einer kleinen
Menge Chloroform aufbewahrt. Die Fäces wurden für jede
Periode getrennt gesammelt. Die Abgrenzung geschah durch
1) Baumann, Entstehung des Phenols im Tierkörper und bei der
Fäulnis. Ztschr. f. physiol. Chem. 8, 250. 1879. — Ders., Die aromatischen
Verbindungen im Harn und die Darmfäulnis. Ztschr. f. physiol. Chem.
10, 123. 1885.
3) C. Preuße, Zur Kenntnis der oxyd. aromat. Substanzen im Tier-
körper. Ztschr. f. physiol. Chem. 5, 57, 66. Siehe such: E. Tauber,
Beiträge zur Kenntnis über das Verhalten des Phenols im tierischen
Organismus. Ztschr. f. phys. Chem. 2, 366. 1878.
5, Külz, Zur Kenntnis der synth. Vorgänge im Tierkörper. Pflügers
Arch. 80, 484. 1883.
D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 401
Kieselgur. Nachdem der Hund im Stickstoffgleichgewicht
war, wurde mit der Verfütterung der Kresole begonnen. Die
Kresole wurden in Pillen gegeben, von jedem 1 g täglich, im
ganzen 3 bis 4 g, und zwar ihrer steigender Toxizität folgend,
erst meta-, ortho- und endlich para-Kresol. Zwischen jeder
Kresolperiode wurde eine zwei- bis dreitägige Ruheperiode ein-
geschaltet.
Der Stickstoff wurde im Harn und den Fäces nach der
Kjeldahlschen Methode bestimmt. Für die Ammoniak-
bestimmung wurden nach vergleichenden Untersuchungen
zwischen den verschiedenen Vorschriften die von Krüger und
Reich angegebene und von Schittenhelm in Zeitschrift
für phys. Chemie!) beschriebene Methode bevorzugt. Die
Methode ist kurz folgende: In einem mit einem Peligot-
schen Rohr verbundenen Destillationskolben mischt man
ca. 25 ccm Harn mit ca. 10 g Natriumchlorid 4 1 g Natrium-
karbonat (dabei muß deutliche alkalische Reaktion vorhanden
sein. Der Kolben wird auf ein Wasserbad gesetzt. In das
mit Eiswasser gekühlte Peligotsche Rohr läßt man etwa
20 ccm Ž Schwefelsäure und einige Tropfen Rosolsäure hinein-
fließen und verbindet es dann mit der Wasserstrahlpumpe.
Sofort evakuiert man bis zu einem Vakuum von 25 bis
30 mm Quecksilber, und nun läßt man, um spätere Bildung
von Schaum zu verhindern, durch den am Kolben angebrachten
Trichter, der mittels eines Quetschhahns mit einem zu einer
Kapillare ausgezogenen Rohr verbunden ist, 20 ccm absoluten
Alkohol hineinfließen. Das Wasserbad wird dann auf eine
Temperatur von 43 bis 45° erhitzt. Man destilliert ca. 40 bis
50 Minuten lang, indem man von Zeit zu Zeit etwa 10 bis
15 ccm Alkohol zuläßt. Nach dieser Zeit ist aller Ammoniak
in die Säure übergegangen und man titriert mit Æ Natronlauge
zurück. |
Die Kresole wurden nach dem von Koßler und Penny
angegebene und von Neuberg?) modifizierten Verfahren be-
stimmt.
1) A. Schittenbelm, Zur Methodik der Ammoniakbest. Ztschr. f.
physiol. Chem. 89, 73. 1903.
3) Hoppe-Seyler-Thierfelder, Handbuch der phys.-chem. Ana-
lyse 1903, S. 438.
27*
402 D.Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus.
Was die Indikanbestimmung anbetrifft, so habe ich die
Methode von Wang!) angewendet, die in folgender Ausführung
besteht: 100 ccm Harn wurden mit 100 ccm Wasser + 20 ccm
Bleisubacetat versetzt; dann auf 300 ccm mit Wasser aufgefüllt.
Vom Filtrat mischt man 100 ccm mit 100 ccm Obermayer-
schem Reagens (1000 ccm rauch. Salzsäure 4 3 bis 4 g Eisen-
chlorid) und läßt die Mischung ca. 8 bis 10 Minuten stehen.
Dabei wird das Indikan zu Indigo oxydiert, das man mit
Chloroform extrahiert. Die Chloroformlösung wird nach
Maillard’) zur Reinigung mit gleichen Teilen stark verdünnter
NaOH-Lösung (1 pro Mille) geschüttelt, von der Natronlauge
getrennt und abdestilliert. Der Rückstand wird dann in 10 ccm
konzentrierter Schwefelsäure auf dem Wasserbad gelöst und
noch einige Zeit daselbst digeriert. Man gießt dann die Lösung
in ca. 100 ccm Wasser und titriert das Indigblau mit verdünnter,
auf Oxalsäure eingestellter Kaliumpermanganatlösung (von einer
ca. 3°/oo Mutterlösung, die Monate lang haltbar ist, wird für
jede Titrierung eine 3/2% Lösung frisch hergestellt).
Die Bestimmungen von Ammoniak, Stickstoff, Indigo wurden
täglich vorgenommen. Zur Kresolbestimmung wurde ein aliquoter
Teil des Harns jeder einzelnen Periode verwendet.
Am Ende des Experiments hatte der Hund nach unbe-
trächtlichen Schwankungen um 160 g abgenommen.
Die Versuche wurden in drei Reihen angestellt. Die erste
Reihe ergab die in nachstehender Tabelle dargestellten Re-
sultate.e In der zweiten Versuchsreihe habe ich noch einmal
die quantitative Bestimmung der ausgeschiedenen Kresole wieder-
holt und speziell ihre Paarung mit Schwefelsäure und Glukuron-
säure studiert. In der dritten Versuchsreihe habe ich den Ein-
fluß der Kohlehydratfütterung auf die Glukuronsäureausscheidung
untersucht. |
) Wang, Ztschr. f. physiol. Chem. 25, 406. 1898 und 27, 135. 1899.
Siehe auch Ellinger, Ztschr. f. physiol. Chem. 88, 178. 1903; Salkowski
a. a. O. und Grosser, Ztschr. f. physiol. Chem. 44, 321. 1905.
») Maillard, Über die Entstehung der Indoxylfarbstoffe und die
Bedeutung des Harnindoxyls. Ztschr. f. physiol. Chem. 41, 487. 1904.
D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 403
Versuchsreihe I.
Harnmenge pro A g & Kresole
Tag 400 ccm S| 2, g a E Et za
Taa E rE- ERE AA CEE je
oj 5 & S S FRHÄFSCHI EEE E
B Ra = be Hios T f: = ©
Versuchs- 5 A) s Ie 22.3388 .88 S
` A a 3 „J a jga g 2128 aog £ 2
periode s| 5% s An |q FICHE
I SS |g 35%
ETENEE RIIE ELE ETEA u un A ng jAZE %
Vorperiode 4 — 34,8 |34,3710,389| 6,45] 0 —
Tage
I. Fütterungs- | 4 1 g 1|88,39|29,4 |0,248| 8,35 | 1,768 | 46,5
periode Tage| m-Kresol
täglich
Ruhe 2 — 16,46 | 16,29 | 0,312 | 8,9 0 —
Tage
II. Fütterungs- | 3 1 g |24,96 | 22,96 | 0,284 | 16,0 | 0,907 | 30,2
periode Tage| o-Kresol
täglich
Ruhe 3 — 124,20|23,78|0,328|11,0 | 0 | —
Tage
III. Fütterungs-| 3 1 g |25,40 | 24,67 | 0,850 | 10,2 | 0,705 | 23,5
periode Tage| p-Kresol
täglich |
Ruhe 3 — 125,20] 25,66|0,414|100 | 0 | —
Tage
Bemerkungen. Im normalen Hundeharn konnte ich keine Kresole
bezw. Phenole nachweisen. Die Ausscheidung der Kresole war immer
innerhalb 24 Stunden beendet. In dem Harn der Ruheperiode wurden
niemals Kresole konstatiert; ebensowenig in den Fäces nach Kresol-
fütterung. Die verabreichte Menge wurde, wie man sieht, aus dem
Darmtraktus völlig resorbiert.
Bei der Betrachtung der Zahlen für die N-Ausscheidung
in Harn sieht man, daß sie regelmäßig in den Fütterungsperi-
oden etwas geringer sind, als in den Ruheperioden, vermutlich,
weil die Ausnutzung des Eiweiß im Darmkanal etwas beein-
trächtigt ist.
In bezug auf die täglich gebildete Ammoniakmenge beob-
achtet man folgende Tatsache: während in der Vorperiode die-
durchschnittliche Ammoniakausscheidung pro Tag 0,389 g be-
trägt, sinkt sie unter dem Einfluß des m-Kresols auf 0,248 g
herab. Sie steigt dann wieder in der nachfolgenden Ruhe-
periode bis zu 0,312 g, vermindert sich bis zu 0,284 g unter
der Wirkung des o-Kresols, erreicht aber 0,328 g in der
Ruheperiode.
404 D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus.
Endlich findet man nach Verfütterung von p-Kresol, 0,35 g
Ammoniak täglich, das dann in der Nachperiode noch auf
0,404 g steigt.
Was die Deutung dieser Verminderung der Ammonsalze
des Harns in den Fütterungsperioden betrifft, so könnte man
daran denken, hierin einen Effekt der antiseptischen Wirkung
der Kresole zu sehen. Dies ist indessen doch unwahrscheinlich,
da die Verabreichung von Ammoniumkarbonat beim Hunde
keine Zunahme der Ammonsalze im Harn bewirkt, und gerade
bei Pferden und Rindern, die sicher eine starke Ammonbildung
infolge der Fäulnis im Darm zeigen, der Gehalt des Harns
an Ammonsalzen sehr gering ist. Die Erklärung liegt vielleicht
darin, daß die Kresole im Organismus die zweiwertige Schwefel-
säure zum Teil in die einwertige Ätherschwefelsäure umwandeln;
dadurch also im Organismus den Bedarf an Alkali zur Neutra-
lisation der Säuren herabsetzen. Damit steht in Einklang,
daß die Verminderung im Ammoniakgehalt des Harns am ge-
ringsten ausgesprochen ist beim p-Kresol, weil dieses zum Teil
in p-Oxybenzoesäure übergeht, die ihrerseits wiederum Alkali
zur Neutralisierung braucht.
Weniger lehrreich sind die Indigozahlen. Nur so viel sieht
man, daß nach m- und o-Kresoldarreichung die ausgeschiedene
Indigomenge vermehrt ist. Man findet immer größere Werte
als in den entsprechenden Ruheperioden. So hat man 6,45 mg
pro Tag in der Vorperiode gegenüber 8,35 mg nach m-Kresol;
8,9 mg in der Ruheperiode gegenüber 16 mg nach o-Kresol;
jedoch ist nach p-Kresol der Unterschied nicht mehr so deut-
lich vorhanden: 11 mg nach p-Kresol und 10 mg in der
Ruheperiode.
Ich gehe jetzt über zu den Resultaten der quantitativen
Bestimmung der unverändert ausgeschiedenen Kresole.
Es wurde von der gefütterten Menge, bei m-Kresol 46,5
bis 50 °/o, bei o-Kresol 30,2—35 o, bei p-Kresol nur 23 bis
27 °/, wieder gefunden.
Es geht daraus hervor, daß, je giftiger das Kresol ist, es
desto mehr im Körper verbrannt wird, oder mit anderen Worten:
die Angreifbarkeit des Moleküls steigt mit seiner Toxizität.
Aus der Tatsache, daß, wie Baumann und Preuße fanden,
keine Zwischen-Oxydationsprodukte im Harn für m-Kresol, und
D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 405
Oxydationsprodukte des o- und p-Kresol nur in sehr kleinen
Mengen vorhanden sind, und aus den oben angeführten Zahlen
folgt, daß der Rest eine sehr weit gehende Verbrennung im
Körper erfährt.
Die Ausscheidung der Kresole ist binnen 24 Stunden voll-
ständig beendet. In dem Harn des ersten Tages ohne Kresol-
verfütterung ist kein Kresol mehr nachzuweisen.
Ich habe weiter verfolgt, in welchen Verhältnissen die
Kresole sich mit Schwefelsäure und mit Glukuronsäure paaren.
Zu diesem Zweck habe ich für die Vorperiode und die m-Kresol-
periode die Menge der Gesamtschwefelsäure und der Äther-
schwefelsäure bestimmt und folgende Werte gefunden:
Versuchsreihe I.
Äther-
Gesamt-
Schwefelsäure | Schwefelsäure Kresol
Harnmenge —
prs Tag 400 ccm Durch- | 3 Tagen | Wieder-
; aus-
schnitt geschie-
pro Tag dene
Menge
gefundene| Prozent
Menge
Vorperiode 1 Tag .
3 Tage m-Kresol je
1 g pro Tag .
Desgl. o-Kresol 3 g
0,828 | 2,4792
Desgl. p-Kresol 3 g
Ich habe nun berechnet, wie viel Schwefelsäure für 1,505 m-
Kresol zur Paarung theoretisch nötig war und 1,37 gefunden.
Die Analyse gab 1,65; also 0,28 mehr. Der Überschuß der
Ätherschwefelsäure ist an andere Körper im Harn gebunden.
Aber die durch Analyse gefundene Menge konnte nicht insgesamt
dem Kresol entsprechen, weil ein kleiner Teil mit Glukuron-
säure gepaart war. Es ist deswegen unmöglich, nach der ge-
fundenen Ätherschwefelsäure zu berechnen, wie viel Kresol sich
mit ihm paart, und aus diesem Grunde habe ich auf die weitere
Bestimmung der Schwefelsäure bei den anderen Kresolen ver-
zichtet.
Hinsichtlich Glukuronsäure ist zuvörderst zu bemerken, daß
ich normalen Hundeharn in meinen Versuchen immer optisch
406 D.Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus.
inaktiv gefunden habe!). Nach Kresolgabe findet man Links-
drehung und zwar — 0,2 °/, für m-Kresol; — 0,3 °/, für o-Kresol;
— 0,4—0,5 °/, für p-Kresol (im Halbschattenapparat, auf Trauben-
zucker berechnet). Die Orcin- und die Phloroglucinprobe waren
für m- und o-Kresole negativ, vor und nach dem Kochen mit
Säure. Nach p-Kresol war vor der Spaltung die Orcinprobe negativ;
die Phloroglucinprobe positiv; nach der Spaltung fielen beide
positiv aus. Keines von den drei Kresolen reduziert Fehling-
sche Lösung, wie schon Külz a. a. O. beobachtet hat.
Die bisher berichteten Versuche sind an einem mit Eiweiß
und Fett gefütterten Tier gewonnen. Schon Cafiero?) hat
aber beobachtet, daß bei der Kohlehydratfütterung die zur
Paarung gebildete Glukuronsäure vermehrt ist und die Menge
der organisch gebundenen Schwefelsäure herabgesetzt wird.
v. Fenyvessy°) konnte jedoch nicht durch Verfütterung
von Traubenzucker die Glukuronsäure erhöhen; seine Versuche
schienen aber Hildebrandt“) nicht beweisend, weil v. Feny-
vessy zu seinen Versuchen Substanzen benutzte, die nur zum
kleinen Teile die Paarung mit Glukuronsäure eingehen. Das
ist eben mit Kresolen der Fall. Deshalb war es interessant, zu
untersuchen, ob die Kresole bei der Kohlehydratfütterung im-
stande sind, die Glukuronsäureausscheidung zu vermehren.
Nach dem letzten p-Kresol-Tag folgte eine zweitägige Ruhe-
periode. Dann wurde der Hund drei Tage lang mit 50 g ge-
kochtem Reis gefüttert und bekam wieder täglich 1 g p-Kresol.
Der Harn zeigte eine Linksdrehung von — 0,8—0,9°/,, gab nicht
die Orcin-, aber sehr schön die Phloroglucinprobe, reduzierte
nicht die Fehlingsche Lösung. Für die Spaltung wurden
100 ccm Harn mit 1 ccm konzentrierter Schwefelsäure versetzt
und in einer Druckflasche bei 100° 1!/2 Stunden lang im Koch-
1) Die Farbe der verschiedenen Harne war immer so dunkel, daß
die Untersuchung der optischen Aktivität ohne partielle Entfärbung durch
Tierkohle nicht möglich war.
» Cafiero, Zur Kenntnis der Phenolausscheidung durch den Ham.
La clin. moderna 1902, Nr. 13. Vgl. noch Maly, Jahresbericht für Tier-
chemie 1902, S. 514.
8) von Fenyvessy, Arch. internat. de Pharmacodynamie 12, 1904.
Vgl. noch Maly, Jahresbericht f. 1904, 84.
* Hildebrandt, Zur Frage der glykosidischen Struktur gepaarter
Glukuronsäure. Hofmeisters Beiträge 7, 442.
D. Jonescu, Schicksal u. Wirkung der Kresole im Organismus. 407
topf gekocht. Der Harn zeigte alsdann eine Rechtsdrehung
von 0,2 °/, und auch die Orcinprobe war positiv*).
Fassen wir kurz die Resultate dieser Arbeit zusammen, so
kommt man zu folgenden Schlüssen:
1. Die Giftigkeit der drei isomeren Kresole ist das Aus-
schlaggebende bei ihrem Verhalten im tierischen Or-
ganismus.
So werden von den eingegebenen Kresolen ihrer
e steigenden Giftigkeit nach 50—53 °, für m-Kresol;
65—69,8 °%/, für o-Kresol; 73—76,5 ə im Körper
verbrannt.
2. Die Kresole bewirken eine Abnahme des Gehaltes des
Harns an Ammonsalzen.
3. Die Paarung der Kresole findet in erster Linie mit
Schwefelsäure statt; in kleinen Mengen auch mit Glu-
kuronsäure, ohne daß man quantitativ die entstehenden
Teile bestimmen kann. Die Paarung mit Glukuronsäure
steigt etwas mit der Giftigkeit der drei Isomeren.
4. Ebenso steigt die gebildete Glukuronsäuremenge nach
Kresoldarreichung bei Verfütterung mit Kohlehydraten.
Herrn Prof. E. Salkowski bin ich für die Anregung zu
dieser Arbeit und seine liebenswürdige Unterstützung zu größtem
Danke verpflichtet.
*) Ich erinnere hier an die von verschiedenen Seiten ’) beobachtete
Vermehrung der Glukuronsäure nach Vergiftungen mit Lysol (Gemisch von
Phenol und Kresolen). Ich möchte aber bemerken, daß hierbei zu unter-
scheiden ist, ob die Vermehrung der Glukuronsäure nur eine absolute ist,
entsprechend der größeren Menge der zu bindenden giftigen Substanz, oder
auch eine relative, wobei die Glukuronsäure auf Kosten der Schwefelsäure
zunimmt.
Blumenthal (a. a. O.) nimmt die zweite Möglichkeit an, da er
beobachtete, daß bei solchen schweren Vergiftungen die Gesamtschwefel-
säure heruntergeht und es sich um eine Störung in der Oxydationsfähigkeit
des Schwefels im Organismus handelt.
1) F. Blumenthal, Chemie der Lysolvergiftung. Diese Zeittschr.
1,135. 1906. Vgl. auch Wohlgemuth, Zur Kenntnis der Lysolvergiftung.
Berl. klin. Wochenschr. Nr. 17, 1906.
Über Diffusion von Enzymen durch Cellulosemembrane.
Von
A. J. J. Vandevelde (Gent-Belgien).
(Eingegangen am 7. August 1906.)
Gleichzeitig mit den Untersuchungen von H. Dewaele
und E. Sugg') und infolge ihrer Bitte habe ich die Diffusion
einiger Enzyme durch Cellulosewandungen geprüft, und zwar
an einer bestimmten Celluloseart, den von Leune-Paris ver-
fertigten Hülsen. In dieser Zeitschrift hat jüngst M. Jacoby’
hochbedeutende Untersuchungen über Diffusion des Labs und
Pepsins nach der Dialyseanordnung von von Calcar mit
Amnionmembranen berichtet. Die Lektüre dieser Mitteilung
veranlaßt mich, meine Untersuchungen kurz zu veröffentlichen.
Die folgenden Enzyme sind mit den Leuneschen Cellu-
losehülsen und auch mit Schweinedarmmembranen untersucht:
Invertin, Maltase, Lab, Zymase und Katalase.
I. Invertin.
Es wurde eine Lösung von 5 G.-V.-°/, Saccharose bereitet.
welche mit dem Laurentschen Polarimeter eine Ablenkung von
31,8 Saccharimetergrade zeigte. Es wurden 240 ccm dieser
Lösung in ein Becherglas gebracht, und in eine Cellulosehülse,
welche in die Lösung eintauchte, 40 ccm einer 0,1 °/,igen Invertin-
auflösung gegossen. Die Flüssigkeiten hatten im Becherglas
1) Sur la production de l’immunite par la methode des sacs de
collodion. Soc. Biol. Paris, 30. Dez. 1904.
» Über die Beziehungen der Verdauungswirkung und der Lab-
wirkung. Diese Zeitschr. 1, 53. 1906.
A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 409
und in der Hülse dieselbe Höhe, und damit waren alle äußeren
Druckerscheinungen ausgeschlossen.
Zugleich wurde ein Kontrollversuch ausgeführt, in dem
sich 40 ccm Wasser in der Hülse, und 240 ccm Saccharoseauf-
lösung in dem Becherglase befanden.
Nach 20stündigem Stehen bei Laboratoriumstemperatur
wurde die Saccharoselösung polarimetrisch untersucht:
Mit Invertin = 25,3 Saccharimetergrade,
ahne Invertin (Kontrolle) = 27,6 Saccharimetergrade.
Nach 26 Stunden:
Mit Invertin = 24,0 Saccharimetergrade,
ohne Invertin = 26,2 Saccharimetergrade.
Nun wurde die Saccharoseauflösung des Becherglases, in
welches die Hülse mit der Invertinlösung eintauchte, in zwei
Teile geteilt, einen ersten Teil ohne Hülse, einen zweiten Teil
mit der Hülse.
Nach 24stündigem Stehen wurde gefunden:
Erster Teil früher mit Invertin, nachher ohne Invertin:
= 24,0 Saccharimetergrade,
zweiter Teil, mit Invertin zusammen geblieben,
= 18,0 Saccharimetergrade,
ohne Invertin (Kontrolle) == 26,2 Saccharimetergrade.
Daraus kann geschlossen werden: 1. daß nach 26 Stunden
die Saccharosediffusion durch die Cellulose eine vollständige ist;
2. daß durch die Cellulose kein Invertin zu diffundieren
vermag, daß die Enzymwirkung allein im Innern der Hülsen
vor sich geht, und daß nachher der Invertzucker aus der
Hülse in die umgebende Rohrzuckerlösung hineindiffundiert.
Ein ähnliches Experiment wurde auch mit Schweine-
darm angestellt und führte zu dem Schluß, daß das Invertin
leicht hindurch zu diffundieren vermag. Nicht allein wenn
die Hülse in die Zuckerflüssigkeit tauchte, sondern auch nach
Trennung der Lösung von der Enzymhülse, wurde ein Fort-
schreiten der Inversion konstatiert; das Invertin dringt folglich
leicht durch die Darmmembran.
410 A.J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane.
II. Maltase.
Die Maltaseauflösung wurde nach van Laer’) aus
100 g Gerstenmalz und 450 ccm Wasser bereitet. Die filtrierte
Auflösung wurde in eine Cellulosehülse gebracht und in eine
1°/,ige Kartoffelstärkelösung eingetaucht, bis die beiden Flüssig-
keiten dieselbe Höhe besaßen. Ich habe 50 ccm Maltase- und
300 ccm Stärkeauflösung benutzt. Die zwei Auflösungen waren
noch mit einigen Chloroformtropfen versetzt, um eine Bakterien-
entwicklung zu vermeiden. `
Als Kontrolle dienten: 1. eine direkte Mischung der
Stärke- mit der Maltaseauflösung; 2. eine Stärkeauflösung,
in die eine Schweinedarmhülse mit Maltase tauchte. Nach
20 Stunden war die Stärke in diesen beiden Proben ganz ver-
schwunden; in dem Experiment mit der Cellulosehülse dagegen
war die Stärke unverändert geblieben, und selbst nach drei Tagen
konnte keine Verzuckerung konstatiert worden.
Damit ist bewiesen, daß die Maltaseenzyme ‘durch die
Cellulose, nicht wohl aber durch die Darmmembran diffundieren.
III. Labferment.
Auf gleiche Weise, wie die beiden vorigen Enzyme, wurde
das Labferment untersucht; ich benutzte in der Cellulosehülse
das flüssige Labpräparat von van Hasselt-Rotterdam.
Die Hülse tauchte in zentrifugierte, rohe, mit Wasserstoff-
superoxyd versetzte Milch. Nach vier Tagen konnte noch keine
Koagulation beobachtet werden. Dagegen fand bei Laboratorium-
temperatur nach 20 Stunden eine vollständige Koagulation statt,
wenn die Milch mit dem Enzym direkt vermischt wurde.
Auch auf andere Weise wurde konstatiert, daß das Lab-
enzym durch Cellulose nicht diffundiert. Die Hülse mit Lab-
enzym ließ ich während zwei Tage in destilliertes Wasser
tauchen. Das Wasser wurde dann mit der H0: enthaltenden
Milch versetzt, ohne daß nach mehreren Tagen eine Koagu-
lation eintrat.
Sehr leicht diffundiert dagegen das Labenzym durch die
Darmmembran. Die Milchkoagulation trat rasch und regel-
mäßig ein.
!) Bull. denrées alimentaires, 1901, S. 250.
A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane. 411
IV. Zymase.
Ich untersuchte die Zymase nicht selbst, wohl aber in
Form von Hefezellen. Die Hefe wurde mit Wasser vermischt
und in diesem Stande in die Hülse eingebracht. (Temperatur
= 25°C).
Es wurden im Becherglase 500 ccm einer 5 °/sigen Glukose-
auflösung, in der Hülse 40 ccm einer 4°/,igen Hefeaufschwem-
mung benutzt. Als Kontrolle diente 500 ccm der Zucker-
auflösung, und 40 ccm Wasser. Die Untersuchung geschah
polarimetrisch mit dem Laurentschen Apparat in einer 20 cm
langen Röhre.
Gefunden wurde am Anfang der Untersuchung:
4° 54° polarim. oder 22,5 Saccharimetergrade;
nach 5 Stunden: Mr
Glukose und Hefe: 22,0 Saccharimetergrade,
Glukose ohne Hefe (Kontrolle): 22,3 Saccharimetergrade;
nach 29 Stunden:
Glukose und Hefe: 19,9 Saccharimetergrade,
Glukose ohne Hefe: 21,6 Saccharimetergrade.
Die Flüssigkeit wurde nun abgetrennt und blieb 24 Stunden
ohne Hülse; die polarimetrische Untersuchung zeigte, daß keine
Gärung mehr eingetreten und daß folglich kein Enzym in
die Flüssigkeit durch die Wandung dialysiert war.
Durch die Cellulosemembranen diffundierte die Glukose-
lösung allein, und später auch der Alkohol, welcher in der
Hülse entstanden war.
Die selben Ergebnisse, aber in viel kürzerer Zeit, bekam
ich mit einer Darmmembran. Da ich keiner Zymase besaß,
konnte ich die isolierten Enzyme selbst nicht untersuchen.
Die Abwesenheit der Enzyme in den gärungsfähigen Flüssig-
keiten und die Anordnung der Buchnerschen Versuche be-
weisen hinreichend, daß die Zymase durch die Zellen-
(Cellulose-)Membrane nicht zu diffundieren vermag.
V. Katalase.
Als Katalaseauflösung diente lackfarbenes, defibriniertes
Rinderblut, aus einem Volumen Blut und fünf Volumina Wasser
bereitet. Die rote Flüssigkeit wurde in die Cellulosehülse ge-
gossen, welche in ein mit Wasser gefülltes Becherglas tauchte.
412 A. J. J. Vandevelde, Enzymdiffusion durch Cellulosemembrane.
Selbst nach fünf Tagen konnte ich die wohlbekannte Katalase-
reaktion mit Wasserstoffhyperoxyd in der Außenflüssigkeit nicht
bekommen, dagegen schon nach einem Tag, wenn die Cellulose-
wandung durch eine Darmwand ersetzt wurde.
Blutkatalase diffundiert demnach nicht durch Cellulose,
wohl aber durch die tierischen Membranen.
Diese kurzen Untersuchungen haben zu der Schlußfolgerung
geführt, daß die untersuchten Enzyme durch Cellulosemem-
branen nicht diffundieren und sich in dieser Hinsicht nicht
wie die Toxine und Antitoxine verhalten. Diese Erscheinungen
sind von denen an den tierischen Darmmembranen ganz ver-
schieden.
Beitrag zur Kenntnis des Schicksals des Cholesterins und
der Cholesterinester im tierischen Organismus.
Von
Hugo Pribram aus Prag.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 8. August 1906.)
Das Cholesterin hat in der letzten Zeit durch eine Reihe
chemischer und biologischer Forschungen an Interesse gewonnen,
und es ist vor kurzem gelungen, wenigstens teilweise seine
Bedeutung für den tierischen Organismus aufzudecken.
Ransom!) war es, der zuerst nachwies, daß zwischen
Cholesterin und Saponin eine gewisse Beziehung besteht, derart,
daß Cholesterin enthaltende Gewebe Saponin in irgend welcher
Weise zu binden vermögen. Daher sind die Erythrocyten ver-
möge ihres Gehaltes als Cholesterin gegen Saponin empfindlich,
während das Serum, das gleichfalls Cholesterin enthält, die
Erythrocyten zu schützen vermag.
Pascucci?) fand, daß etwa !/ der Trockensubstanz des
Stromas der Erythrocyten aus Cholesterin und Lecithin besteht.
Aus verschiedenen Gründen sprach er sich für eine membran-
artige Struktur des Stroma aus. Dieser Vorstellung entsprechend
machte er Versuche mit künstlichen Blutkörperchen, deren eine
Wand Seidenstoff, imprägniert mit Cholesterin, Lecithin, be-
ziehungsweise beiden Substanzen, bildete. Er prüfte die Durch-
1) Ransom, Saponin und sein Gegengift. Deutsche med. Wochenschr.
1901, S. 194. |
23) Pascucci, Zusammensetzung des Blutscheibenstromas und die
Hämolyse. Hofmeisters Beitr. 6, 543 u. 552.
414 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
lässigkeit der Membran verschiedenen Giften gegenüber und
fand, daß dieselbe mit der Abnahme des Cholesteringehaltes
wuchs.
Hausmann!) untersuchte zuerst, welche Veränderungen im
Cholesterinmolekül seine antihämolytische Wirkung zu beein-
flussen vermögen, und fand, daß bei Ersatz der Hydroxylgruppe
durch andere Atomgruppen diese Eigenschaft des Cholesterins
schwand, bei Aufhebung der doppelten Bindung dagegen bloß
geschwächt wurde. Phytosterin verhielt sich wie Cholesterin.
Abderhalden und Le Count?) bestimmten dann die
Beeinflussung der durch Cobragift, Tetanustoxin, Saponin und
Solanin hervorgerufenen Hämolyse durch dem Blute zugesetzte
Lösungen von Cholesterin verschiedener Provenienz und von dem
Cholesterin mehr oder weniger nahestehenden Verbindungen.
Alle diese Beobachtungen weisen darauf hin, daß dem
Cholesterin eine gewisse entgiftende Rolle zukommt, und die
Vermutung erscheint nicht unbegründet, daß es geeignet ist,
den Organismus vor der Einwirkung endogener (vielleicht kommen
hier die gallensauren Salze bei Icterus in Betracht) oder von außen
zugeführter hämolytisch wirkender Substanzen zu schützen).
Es drängt sich nun die Frage auf, welches die Quelle und
welches das Schicksal des Cholesterins im Organismus ist.
Bekanntlich enthalten alle Gewebe Cholesterin, in erster Linie
die Leber vermöge ihres Gehaltes an Galle und das Gehirn.
Seit den Untersuchungen von Bondzyński und Humnicki‘)
wissen wir ferner, daß der Mensch täglich ca. 1 g Koprosterin
(= Dihydrocholesterin) ausscheidet.
- Woher stammt nun das Cholesterin, wird es mit der
Nahrung zugeführt und kann solches eingeführtes Cholesterin
überhaupt resorbiert werden?
1) Hausmann, Über die Entgiftung des Saponins durch Cholesterin.
Hofmeisters Beitr. 6, 567. 1905.
”) Abderhalden und Le Count, Die Beziehungen zwischen
Cholesterin, Lecithin und Cobragift, Tetanustoxin, Saponin und Solanin.
Ztschr. f. exper. Path. u. Ther. 2, 199. 1906.
5 Salkowski, Vortrag in der Gesellsch. d. Chariteärzte 1. Februar
1906. Ref. in der Berliner klin. Woch. No. 14, S. 434. 1906.
4 Bondzynski und Humnicki, Über das Schicksal des Cholesterins
im tierischen Organism. Ztschr. f. physiol. Chem. 22, 396. 1896/7.
H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 415
In dieser Richtung hatJankau!) interessante Untersuchungen
angestellt. Er fand, daß per os eingeführtes Cholesterin resor-
biert wird, ohne daß 6 Stunden nach der Darreichung eine Ver-
mehrung des Gehaltes von Blut und Leber nachzuweisen wäre.
Ein Teil des verfütterten Cholesterins fand sich in den
Fäces wieder. Daß wirklich eine Resorption eintrat, wies er
dadurch nach, daß er nicht alles eingeführte Cholesterin in den
Fäces wiederfinden konnte. Seine Versuche mit subkutan
appliziertem Cholesterin ergaben, daß dieses an der Injektions-
stelle nicht mehr nachweisbar war; es wurde somit auch bei
diesem Verfahren das Cholesterin resorbiert.
Stadelmann?) schließt einen Kreislauf des Cholesterins
aus. Auch Thomas?) findet, daß nach Verfütterung der Gehalt
der Galle sich nicht ändert. Ähnliche Angaben rühren von
Doyon und Dufour‘) her.
Dies wären die wichtigsten einschlägigen Beobachtungen,
großenteils aus der älteren Literatur.
Was den normalen Gehalt der einzelnen Organe an
Cholesterin betrifft, so wollen wir aus der Zahl der durchaus
nicht übereinstimmenden Angaben folgende herausgreifen:
In der Galle: bis 5,6°%, Cholesterin (Neumeister)?).
Im Muskel (in trockenem Zustand) 0,23%, (Dormeyer)®).
Im Harn äußerst selten, geringe Mengen.
Im Blut:
a) Erythrocyten: 0,151°, (beim Menschen, bezogen auf die
organische Substanz d. Erythr., Manasse)’);
0,072°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)?®);
1) Jankau, Über Chol.- u. Kalkausscheidung mit der Galle. Arch.
f. exper. Path. 29, 237. 1891.
2) Stadelmann, Über d. Kreislauf d. Galle im Organism. Ztschr.
f. Biolog. 84, 62. 1896.
3 Thomas, Dissert. Straßburg zitiert nach Magnus-Levy im
Handbuch der Stoffwechselkrankh. v. Noorden.
t) Doyon und Dufour, Elim. de la chol. par la bile. Arch. de
physiol. VIII, 587. Ref. in Virchow Jahresber. 1896. 132.
6) Neumeister, Physiol. Chem. II. Aufl.
©) Dormeyer, zit. nach Neumeister a. a. O.
”) Manasse, Über d. Lecith. u. Chol. d. rot. Blutkörp. Ztschr. f.
physiol. Chem. 14, 437. 1890.
6) Abderhalden, Zur quant. vergleich. Blutanal. Ebenda 25, 65. 1898.
Biochemische Zeitschrift Band I. 28
416 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
0,275°/ (beim Pferd, bezogen auf Trockensubst. Hepner)’;
0,552°/, (beim Hund, „ . R Hepner)’;
b) Serum: 0,0547°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)’);
0,216°/, (bei Pneumonie-Kranken, Hoppe-Seyler)’);
c) Gesamtblut: 0,0611°/, (beim Kaninchen, Abderhalden)?);
0,0445 bis 0,0751°/o (beim Menschen, Flint)‘);
0,147°/, (Vena portae)] Drosdoff?).
0,341°/, (Ven. hepat.) | (Durchschnittswerte).
Im Tierfett konstant Cholesterin.
Im Nervensystem:
a) Nerv. ischiad: 5,61°/o (beim Menschen, in getrocknetem
Zustand, Chevalier)ô);
b) Hirn: 1. weiße Subst.: a) frei: 1,8192 °/o aa ee
f 0 ezogen au
p) gebunden: 2,6958 °/, A a
2. graue Subst.: æ) frei: 0,63 0 Subst.
p) gebunden: 1,7505°/, |Baumstark’)
Die meisten Untersucher nahmen keine Rücksicht auf die
Frage: ist das Cholesterin als solches oder in gebundenem Zu-
stande vorhanden?
Baumstark) versuchte zwar beim Gehirn (s. o.) beide
Formen getrennt zu bestimmen, seine Befunde erfuhren jedoch
durch Bünz“) eine Widerlegung, der mittels einer anderen
Methode nachwies, daß im Hirn keine durch Verseifung spalt-
bare Verbindungen des Cholesterins vorhanden sind, die obige
Unterscheidung also nicht begründet ist. Hürthle?) unter-
suchte das Blutserum auf Ester und kam zu folgenden Zahlen,
die aber, wie er selbst angibt, etwas zu niedrig sind:
1) Hepner, Über d. Chol.-Gehalt d. Blutkörp. Pflüg. Arch. 78,
595. 1898.
2) a. a. Q.
3) Hoppe-Seyler, Über Seifen als Bestandteil d. Blutplasma u. d.
Chyl. Ztschr. f. physiol. Chem. 8, 506. 1883/4.
“% Flint, New-York med. Journ. 65, 752. 1897.
‘$ Drosdoff, Vergleich. Anal. d. Blutes d. V. port. u. der V. hep.
Ztschr. f. physiol. Chem. 1, 232. 1877/8.
© Chevalier, Chem. Untersuch. d. Nervensubst. Ebenda 10,97. 1886.
1) Baumstark, Über eine neue Meth. d. Gehirn chem. zu erfor-
schen usw. Ebenda. 9, 145. 1885.
s, Bünz, Über das Vorkommen von Cholest.-Estern im Gehirn.
Ebenda 46, 47. 1905.
®© Hürthle, Überd. Fettsäure-Esterd. Blutser. Ebenda 21,331. 1895/6.
H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 417
1. Hundeserum, nach einer Hungerperiode einmal 0,22°/,,
ein andermal 0,20°/,, nach verschiedener Fütterung: 0,13,
bezw. 0,12 und 0,18°/, Ölsäureester. Er fand demnach
nach dem Hungern mehr Ester, als nach mehr oder minder
reichlicher Fütterung.
2. Pferdeserum: 0,08%, Ölsäure-- und 0,006°/, Palmitin-
säureester.
3. Kälberserum: 0,09°/, Ölsäure- und 0,008°/, Palmitin-
säureester.
Was die Erythrocyten betrifft, so erschien es schon seit
dem Nachweis Hoppe-Seylers'), daß dieselben keine Fett-
säuren enthalten — eine Beobachtung, die Abderhalden‘?) be-
stätigte — sicher, daß das Cholesterin nicht als Ester vorhanden
sein konnte.
Zu demselben Resultate kam Wooldridge"), der durch
einfache Ätherextraktion, das Cholesterin isolieren konnte.
Hepner‘) fand, daß in den Erythrocyten bloß freies Cholesterin
sei, während im Plasma nur ausnahmsweise solches nachweisbar
wäre, sondern in der Regel bloß Cholesterinester sich daselbst
vorfinden.
Ein interessanter Nebenbefund Hepners besteht darin,
daß seine Versuchshunde bei Hungern oder Kohlehydratfütterung
keine Änderung im Cholesteringehalt zeigten.
Auf die Schwierigkeit, Cholesterin von seinen Estern zu
trennen, und auf die Möglichkeit, jene zu überwinden, kommen
wir später zurück.
Was unsere Fütterungsversuche betrifft, so wurde Cholesterin,
der Palmitinsäure- und der Ölsäure-Ester desselben verfüttert.
Die Ester wurden nach der Methode von Hürthle°) in der
von Salkowski®) modifizierten Weise dargestellt. Die Dar-
stellung des des Ölsäureesters war folgende:
1) Hoppe-Seyler, Handb. d. physiol. u. path.-chem. Anal. 1865,
S. 304 (zit. nach Hepner).
N a. a. O.
» Wooldridge, Zur Chem. d. Blutkörp. Arch. f. Physiol. 1881,
S. 389 (zit. nach Hepner).
% a. a. O.
5 a. a. O.
6%, Salkowski, Arbeiten aus dem pathol. Instit. zu Berlin 1906,
Seite 573.
28*
418 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
Es wurde ein Teil Cholesterin mit fünf Teilen (es stellte
sich später heraus, daß auch das Verhältnis 1 : 2 genügt) Ölsäure
im Ölbad auf 200° durch drei Stunden erhitzt. Nach dem
Erkalten wurde der Rückstand im Kolben in etwa 100 cm’
Äther gelöst, die Lösung in das zwei- bis dreifache Volumen
eiskalten Alkohols eingegossen. Hierbei schied sich der Ester
aus, der abfiltriert, durch Waschen mit Alkohol von Cholesterin
und Ölsäure befreit, dann durch nochmaliges Lösen in Äther
und Fällen mit Alkohol gereinigt wurde.
Als Versuchstier diente das Kaninchen, das bei den meisten
Versuchen Weißkohl, bei einigen Kohlrüben als Futter erhielt.
Das Cholesterin bezw. seine Ester wurden in Olivenöl emulgiert,
dem Tiere vermittels Schlundsonde eingespritz. Jeden Tag
wurde 1 g verfüttert und 1 bis 2 Tage nach der letzten Fütte-
rung wurde das Tier getötet. In parenthesi sei noch bemerkt,
daß wir vom Cholesterin keine Giftwirkung beobachten konnten,
im Gegensatze zu den früher so viel besprochenen Erscheinungen
der Cholesterämie. Vielleicht waren auch die Dosen zu gering.
Von dem noch lebenden Tiere gewannen wir das Blut
durch Einschnitt in die Carotis; nach der spontanen Gerinnung
wurde es als Ganzes gewogen und in der später zu schildernden
Weise weiter verarbeitet.
Die Leber wurde von der Gallenblase und dem Gallengange
abgelöst, sorgfältig gewaschen, dann abgetrocknet, gewogen und
zerkleinert.
Die Muskeln — wir nahmen die Muskulatur der Beine —,
sowie die Dünndarmwand — einschließlich des Blinddarmes —
wurden in analoger Weise behandelt.
Die zerkleinerten Organe wurden in Alkohol 24 Stunden
stehen gelassen, der Alkohol dann abfiltriert und die Organ-
stückchen im Soxhletapparate 6 Stunden lang mit Äther
extrahiert. Der alkoholische Extrakt wurde eingedampft, in
Äther aufgenommen und mit dem ätherischen Extrakte vereinigt,
sodaß nunmehr alles in Äther gelöst war. Der Äther wurde
abdestilliert, dann wurde wieder in Äther gelöst und abfiltriert
und diese Prozedur ein- bis zweimal wiederholt.
Hierauf wurde der ätherische Extrakt mit etwas Alkohol
und konzentrierter Kalilauge 2 Stunden erhitzt; dann wurde
wiederholt mit Äther ausgeschüttelt, der Äther abgehoben und
H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 419
mit dieser ätherischen Lösung die Verseifung und Ausschüttelung
wiederholt.
Sodann wurde der Äther abdestilliert, der Rückstand in
Petroläther gelöst, filtriert, abgedampft und gewogen.
Die Reindarstellung aus den Organen war mit erheblichen
Schwierigkeiten verknüpft und es mußten daher des öfteren
einige Prozeduren wiederholt werden.
Nach dem Abdampfen blieb in den meisten Fällen ein
schöner weißer kristallinischer Belag zurück, der die Cholesterin-
reaktion von Neuberg und Rauchwerger!) mit Methylfurfurol
und HSO, in charakteristischer Weise gab.
Doch nicht in allen Fällen waren so schöne Kristalle vor-
handen, wie es beim Blute die Regel war. Beim Darminhalte
und den Fäces war meist eine Verunreinigung von bräunlicher
Farbe nicht zu vermeiden. Wir gaben daher die Untersuchung
derselben auf.
Bezüglich des Nachweises des Cholesterins ist folgendes zu
bemerken: |
Es wäre wünschenswert gewesen, genau zwischen Cholesterin
und seinen Estern eine Unterscheidung zu treffen; wir haben
davon abgesehen, weil das von E. Salkowski?) eingeschlagene
Verfahren der Verseifung ohne Schädigung der Cholesterinester
bisher nicht mit hinreichender Sicherheit arbeitet. Wir haben
uns also bei unseren Tierversuchen mit der einfachen Angabe:
Cholesterin, ohne Rücksicht, ob es frei oder gebunden ist,
begnügt.
Weiterhin wurde der a. a. O. gemachte Vorschlag, die
Spaltung des Fettes durch Lipase, wobei vielleicht die Ester
unangegriffen bleiben, auf seine Brauchbarkeit geprüft.
Wir verwendeten ein Ferment, das von den Rizinussamen
herstammt?),
Zu 2 g Lipase setzten wir eine Lösung von 0,5g Palmitin-
säureester in 10 g Palmöl. Letzteres ist ein aus dem Frucht-
i, Neubergu.Rauchwerger, Festschr. f.Salkowski 1904, S. 279.
3) a. a. O.
3) Das Enzym war dem Laboratorium in entgegenkommendster Weise
von den Vereinigten chemischen Werken Aktienges. Charlotten-
burg zur Verfügung gestellt, wofür auch an dieser Stelle bestens ge-
dankt sei.
420 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
fleisch der Ölpalme gewonnenes Präparat, das in der Wärme
leicht schmilzt und den Ester gut löst.
Es ist, wie Salkowski') nachgewiesen hat, sicher frei
von Cholesterin und Phytosterin.
Zu dem Gemenge wurden noch 0,25 cm? einer 0,5 %
MnSO,-Lösung zugesetzt und sodann wurde dasselbe 3 Tage
lang bei Brutschranktemperatur belassen. Nach Ablauf dieser
Zeit wurde alkalisiert, mit Äther ausgeschüttelt und abgehoben,
der Äther abgedampft, der Rückstand in wenig Äther gelöst,
dann das dreifache Volum Alkohol zugesetzt, auf 24 Stunden in
Eis gestellt, und die sich dabei abscheidenden Kristalle abfiltriert,
gewogen und durch ihren Schmelzpunkt identifiziert.
Wir fanden bei diesen noch nicht abgeschlossenen Ver-
suchen tatsächlich den ungespaltenen Palmitinsäureester, jedoch
nicht quantitativ wieder. Vorläufig können wir daher diese
Methode nur für den qualitativen Nachweis der Ester verwerten.
Was nun die Resultate bei der Untersuchung der Kaninchen-
organe betrifft, so sind sie aus folgender Tabelle (Seite 421)
zu ersehen.
Die Tabelle ergibt, daß durch die Fütterung mit Cholesterin
oder: Ester der Gehalt des Blutes an Cholesterin deutlich zu-
nimmt.
Die Untersuchung der Leber, die durch die Schwierigkeit
der Reinigung sehr erschwert war, zeigt, daß der Cholesterin-
gehalt derselben abnimmt. Wir wollen diesen so auffälligen
Befund einfach anführen, ohne ausschließen zu können, daß
die Zahlen hiebei einerseits durch ausgiebige Reinigungsversuche
zu gering, anderseits durch etwaige Verunreinigungen zu groß
ausfielen.
Die Untersuchung von Darminhalt und Fäces scheiterte
an demselben Umstand, der die Untersuchung der Leber er-
schwerte?) und den wir bereits hervorgehoben haben. Die
Zahlen, welche den Cholesteringehalt von Darmwand und Muskel
anzeigen, sind sehr schwankend und zeigen keine Regelmäßigkeit.
3) Salkowski, Ztschr. f. anal. Chem. 26, 557. 1887.
2) Es sei diesbezüglich an die Arbeit von C. Virchow (Ztschr. f.
Unters. d. Nahrungs- und Genußmittel 99. 7.) erinnert, der beim Versuche,
Koprosterin aus den Fäces zu isolieren, beobachtete, daß sich eine ölige,
dickflüssige, nicht kristallisierende Masse ausschied.
H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 421
Cho- Cho- Cho-
lesterin- | lesterin- | lesterin-
gehalt d. | gehalt d. | gehalt d.
Blutes | Darmwand | Muskels
Gewicht
des Ka-
ninchens
I.| 2200 g 0,017g= | 0,027 g=
0,029 %, | 0,0183 %,
II.| 2200 g 0,01758 =
0,0275 %,
III.| 1100g | 9 Tage | 0,222g= 0,3188 g =
Hunger | 0,592 °% 5 0,549 9/, ')
IV.| 1500g | 4g Öl- [0,0352g= | 0,0365 g = |0,2556g =
säure- 0,069 °%, | 0,11%, | 0,393 %,
Ester
V.| 1200g | 2g Öl- |0,1416g8=| 0,041g= |0,0594g =
säure- | 0,209 %, | 0,158%, | 0,057 %,
Ester
VI.| 2500g | 5g Öl- 0,0148g= | 0,066 g=
säure- 0,037 °/, | 0,0526 /,
Ester
VII.| 1700 6 Tage |0,0985g =
(vor d. | Hunger | 0,246 °/,
Versuche)| 2,5 g Öl-
säure-
Ester
VIIL| 1950g |3g Cho- 0,0368 g = | 0,0426 g = | 0,0224 g =
lesterin 0,081 °% |0,0298°/,)] 0,021 %,
IX.| 1600 g |3g Palmi-|0,0868g = | 0,0252g = 0,0058 g =
tins.-Ester| 0,16 °⁄ 5 | 0,033 %/, 0,008 °/, `)
X.| 15008 |3g Cho- 0,0571g = 0,038 g =
lesterin 0,127 h } 0,0475 °/,
XI.| 1000 g 0,0542 = g | 0,0304 g =
0,076 °% 3) | 0,049 °/,
XII. | 1000 g sE Chol. 0,0195 g =
btung 0,0375 °/,')
nach 5 d.
Wir können somit als alleiniges sicheres Resultat obiger
Versuche feststellen, daß das Cholesterin, bezw. seine Ester
resorbiert werden und, per os eingeführt, im Blute in vermehrter
Weise auftreten.
Zum Schlusse sei noch bemerkt, daß dieses an Cholesterin
reichere Blut für hämolytische Versuche ein geeignetes Objekt
sein dürfte, und daß auf diesem Wege vielleicht die eingangs
angeführten Beobachtungen ergänzt werden könnten.
Es könnte so nicht bloß die biologische Frage nach der
antihämolytischen Bedeutung des Cholesterins sondern auch
1) Das Cholesterin konnte nicht ganz rein dargestellt werden.
422 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
die physiologisch-chemische Frage, ob Cholesterin als solches
oder als Ester resorbiert wird, ob hauptsächlich im Serum oder
in den Blutkörperchen, auf biologischem Wege entschieden werden.
In Kürze sei ein kleiner vorläufiger Vorversuch mitgeteilt;
eine weitere Verfolgung der ganzen Frage behalte ich mir noch
vor. Der Versuch gestaltete sich folgendermaßen. Wir ent-
nahmen einem Kaninchen aus der Carotis Blut, defibrinierten
dasselbe und machten uns eine 5 °/sige Blutlösung in physio-
logischer Kochsalzlösung (0,85 °,). Wir hatten somit eine
Lösung von Blut eines nicht mit Cholesterin gefütterten Tieres.
Einem anderen Kaninchen, das durch drei Tage mit je 1g
Cholesterinemulsion in Olivenöl gefüttert wurde, entnahmen wir
vor und einen Tag nach Ablauf der Fütterungsperiode Blut,
ließen dasselbe spontan gerinnen und hatten somit Serum des
Tieres, bevor und nachdem es mit Cholesterin gefüttert war.
Bemerkt sei noch, daß das cholesterinhaltige Serum deutlich
opaleszent war. Ein Ätherextrakt desselben enthielt Fett, so
daß wir annehmen mußten, es sei Olivenöl resorbiert worden.
Da das Tier dauernd unter denselben Verhältnissen gehalten
war, so ist wohl anzunehmen, daß, wenn wir Differenzen beim
hämolytischen Versuche fanden, diese bloß auf den größeren
resp. kleineren Cholesteringehalt zu beziehen seien.
Als Hämolyticum wurde Saponin. alb. pur. (Merck) ver-
wendet, von dem wir uns eine 0,01 bezw. 0,001 ige Lösung
in physiologischer Kochsalzlösung darstellten. Die ganze Ver-
suchsreihe wurde gleichzeitig aufgestellt.
I. Auswertung des Saponins.
Physiol.
Kochsalz-
lösung
Saponin
Hämolyse
fast sofort komplet
0,01 | 05 rasch komplet
0,01 0,25 j j
0,01 | 0,1 nach 10 Min. deutlich
0,001 1,0 7 „ ??
0,001 | 0,5 nach 24 h keine Häm.
0,001 | 0,25
0,001 | 0,1
H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus. 423
II. Auswertung der hemmenden Normalserumdosis.
Physiol.
Kochsalz- | ĉo Blut-
lösung
0,01 °/, Sapon-
í Hämolyse
lösung
lösung
fast sofort komplet
„ I 13
nach 24 h komplet
nach einigen Min. deutl.
geringe Häm.
Physiol.
Serum | Kochsalz-
lösung
0,01 °/, Sapon-
lösung
5°/ Blut-
A Hämolyse
lösung
” ” 19 „
nach einiger Zeit komplet
Verzögerung, kompl. '/,
Min. nach d. Kontrolle
fast sofort komplet
Ein anderer in ähnlicher Weise angestellter Versuch ergab
analoge Resultate. Bei diesem letzteren war das Cholesterin-
serum nicht lipämisch, so daß wir eine Beeinflussung der
Hämolyse durch den Fettgehalt für unwahrscheinlich halten
müssen.
Vergleichen wir die Ergebnisse in Tab. II und III, so
finden wir, daß, während beim Cholesterinserum bereits 0,25 cm?
eine hemmende Wirkung ausübte, das Normalserum auch in
der Dosis von 2 cm?, also in der etwa achtfachen Menge noch
nicht antihämolytisch wirkte.
Um auszuschließen, daß das verfütterte Öl die Hämolyse
beeinflußte, wurde ein Tier neben der einfachen Kost mit Öl —
jeden Tag etwa 15 cmë — durch drei Tage gefüttert und am
vierten Tage getötet; die unter denselben Bedingungen, wie oben
angeführt, vorgenommenen hämolytischen Versuche mit dem
Serum des noch ungefütterten und des gefütterten Tieres ergaben
folgende Resultate:
424 H. Pribram, Schicksal von Cholesterin etc. im Organismus.
IV. Auswertung des Normalserums.
Physiol.
Serum | Kochsalz-
lösung
5°, Blut-
lösung
0,01 °/, Sapon-
lösung
Hämolyse
nach 24 h keine Hämolyse
nach !/ h komplet
0,5 fast sofort komplet
0,5 0,4 nn n
0,5 0,5 n n n
0,01 °/, Sapon-
lösung Hämolyse
0,5 nach 24 h keine Hämolyse
0,5 nach mehreren Stund. inkompl.
0,5 nach 10 Min. komplet
0,5 fast sofort komplet
0,5 eo a
Wir glauben demnach auf Grund von Tab. IV und V die
Einwirkung des verfütterten Öles auf die Hämolyse als minimal
betrachten und deshalb vernachlässigen, die Ergebnisse von
Tab. II und III als bloß durch die Änderung des Cholesterin-
gehaltes bedingt erklären zu können.
Trotz der Spärlichkeit dieser Versuche haben wir die-
selben doch angeführt, da sie eine erfreuliche Übereinstimmung
mit unseren chemischen Beobachtungen zeigen: sie sprechen
für eine Vermehrung des Cholesteringehaltes im Blut; sie ge-
statten aber, noch andere Schlüsse, freilich bloß Wahrscheinlich-
keitsschlüsse, zu ziehen. Die hemmende Wirkung des Serums
spricht dafür, daß zumindest der größere Teil des Cholesterins im
Serum, und zwar wahrscheinlich in der Form von freiem Choleste-
rin — Ester sollen nicht antihämolytisch wirken — vorbanden ist.
Herrn Prof. E. Salkowski erlaube ich mir für die gütige
Anregung und liebenswürdige Förderung dieser Arbeit meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Desgleichen bin ich Herrn Prof. J. Morgenroth für seine
freundliche Kontrolle der hämolytischen Versuche zu Dank ver-
pflichtet.
Die photobiologischen Sensibilisatoren und ihre Eiweiß-
verbindungen.
Von
Gunni Busck.
(Finsens med. Lichtinstitut. Kopenhagen.)
[Aus dem pharmakologischen Institut der Universität
zu München. (Prof. H. v. Tappeiner.)]
(Eingegangen am 14. August 1906.)
I.
Historischer Überblick über die bisherigen Resultate der
photobiologischen Sensibilisierungsuntersuchungen.
Die Weise, auf welche die Energie des Lichtes in einem
absorbierenden Körper umgesetzt wird, wird bekanntlich teils
von der Schwingungsgeschwindigkeit der absorbierten Strahlen,
teils von den Eigentümlichkeiten des Körpers bestimmt. Ver-
ändern sich diese letzten auf diese oder jene Art, so wird
auch die Lichtwirkung quantitativ oder qualitativ eine andere
werden. — Während uns die Erfahrung in einer Reihe bestimm-
ter Fälle gelehrt hat, daß aus der Belichtung eine Temperatur-
erhöhung, ein chemischer Prozeß, eine Fluoreszenz usw. hervor-
gerufen wird, so ist es bisher nicht geglückt, zum Verständnis
dessen zu gelangen, was in dem einzelnen Fall den Umsatzmodus
der Lichtenergie bedingt. Der Überblick wird u. a. dadurch er-
schwert, daß das Licht in vielen Fällen nur katalytisch be-
schleunigend auf Prozesse zu wirken scheint, welche schon im
Dunkeln vor sich gehen.
Es war lange Zeit die Annahme vorherrschend, daß lang-
wellige Strahlen (die sogen. „Wärmestrahlen“) bei ihrer Absorption
vorzugsweise in Wärmeenergie umgesetzt würden, und daß die
kurzwelligen („chemischen“) Strahlen besonders leicht chemische
426 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Reaktionen hervorriefen. Die Hypothese ist hauptsächlich der
bekannten Empfindlichkeit der Silberhaloide gegenüber kurz-
welligen Strahlen zuzuschreiben, und sie bekam durch Vogels
bedeutungsvolle Entdeckung im Jahre 1873 ihren Grundschluß.
Vogel!) wies nach, daß man durch Zusetzung gewisser
Stoffe, der sogenannten „Sensibilisatoren“, zu gewöhnlichen
photographischen Bromsilbergelatine-Platten imstande ist, diese
gegenüber Strahlenarten empfindlich zu machen, welche sonst
nur eine minimale oder vielleicht gar keine photographische
Wirkung besitzen, und es gelang ihm, Platten mit annähernd
ebenso großer Empfindlichkeit gegenüber rotem oder gelbenı
Licht wie gegenüber stärker brechbaren Strahlen herzustellen.
(Farbempfindliche, orthochromatische Platten.)
Die sensibilisierende Eigenschaften besitzenden Stoffe sind
meistens, jedoch nicht immer, fluoreszierende organische Farb-
stoffe. Man kennt nun eine große Menge derartiger Sensibili-
satoren — von verschiedenen chemischen Gruppen herrührend
— und ist mittels derselben imstande die Empfindlichkeit der
photographischen Platte gegenüber den verschiedenen Abschnitten
des Spektrums zu erhöhen.
Während die photographische Technik besonders durch
Vogels und Eders verdienstvolle Arbeiten in den letzten
30 Jahren eine glänzende Entwicklung durchgemacht hat, so daß
man nun mit Expositionszeiten von !/ıooo einer Sekunde rechnet,
hat unser Verständnis des Prinzips der Sensibilisierung keine
entsprechenden Fortschritte zu verzeichnen. Wir wissen noch
nicht, was die sensibilisierenden Eigenschaften eines Stoffes be-
dingt, obwohl es gewisse, für die meisten Sensibilisatoren ge-
meinsame Eigentümlichkeiten zu geben scheint. Es handelt
sich häufig um Stoffe, welche eine große Atomzahl haben und
deren Moleküle unter Lichteinwirkung leicht verändert werden.
Die Stoffe bleichen in der Regel im Licht, und ihre Bleichung,
die in starkem Licht und unter sonst günstigen Bedingungen
mit bedeutender Geschwindigkeit vor sich gehen kann, ist nach
Gros’?) Untersuchungen wenigstens bezüglich eines Teiles der
) Vogel, H. W., Photographische Mitteilungen. 9, 236. 1873.
?) Gros, O., Über die Lichtempfindlichkeit des Fluoreszeins, seiner
substituierten Derivate sowie der Leukobasen derselben. Zeitschr. f.
physikalische Chemie 37. 1901.
G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 427
Stoffe einem Oxydationsprozeß zuzuschreiben. Eine andere
den meisten, jedoch nicht allen Sensibilisatoren gemeinsame
Eigentümlichkeit ist ihre Fähigkeit zu fluoreszieren; es ist sogar
eine Möglichkeit dafür vorhanden, daß sich die Ausnahmen
von dieser Regel nur als anscheinende Ausnahmen entpuppen
werden. Untersuchungen von G. C. Schmidt!) machen es
nämlich wahrscheinlich, daß alle Farbstoffe in dazu geeigneten
Lösungsmitteln zum fluoreszieren — resp. phosphoreszieren —
gebracht werden können, jedoch häufig erst als „feste Lösungen“.
Es ist eine der direkten Untersuchung zugängliche Möglichkeit,
daß die anscheinend nichtfluoreszierenden Sensibilisatoren gerade
ihre Fähigkeit zu fluoreszieren resp. phosphoreszieren erreichen,
wenn sie in fester Lösung in Gelatine, Collodium usw. gebracht
werden.
Verschiedene biologische Phänomene sind schon seit langem
als Resultate einer natürlichen Sensibilisierung aufgefaßt worden.
Engelmann?) und Timiriazeff?) haben derart die Be-
deutung des Chromophylls der Pflanzen für die Kohlensäure-
assimilation mit der Bedeutung der Vogelschen Sensibilisatoren
für den photographischen Prozeß parallelisiert. (Becquerel
hatte schon im Jahre 1874 nachgewiesen, daß sich die photo-
graphische Platte mittels Chlorophyllis sensibilisieren läßt.) Be-
kanntlich variieren die Farben der Pflanzenchromophylle von
grün nach braun und rot; die letztgenannten Farben finden wir
besonders bei Tiefseepflanzen, welche gezwungen sind die kurz-
welligen Strahlen auszunutzen, da das Wasser vorzugsweise die
langwelligen Strahlen des Lichtes absorbiert. Engelmann,
welcher auf diese Verhältnisse zuerst hinwies, hat im Verein mit
Gaidukow‘) experimentell Farbenveränderungen in Oxillaria
N) Schmidt, G. C., Beiträge zur Kenntnis der Fluoreszenz. Ann.
der Physik 58, 103. 1896.
3) Engelmann, Th. W., Farbe und Assimilation. Botan. Zeitung
1888, Nr. 1 u. 2.
5 Timiriazeff, L'état actuel de nos connaissances sur la fonction
chlorophylienne. Bulletin du Congres intern. de Botanique et d’Horti-
culture. St. Petersbourg. 1884.
4 Engelmann, Th. W., Über experimentelle Erzeugung zweck-
mäßiger Änderungen der Färbung pflanzlicher Chromophylle durch farbiges
Licht. Archiv. f. Anatomie u. Physiologie. 1902. Physiol. Abtlg. Suppl.
S. 333—335.
428 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
sacta-Kulturen hervorrufen können, indem er diese in mono-
chromatischem Licht züchtete.e Die Kulturen nahmen immer
die Komplementfarbe zur Farbe des Lichtes an, in welcher sie
gezüchtet wurden — und die Farbenveränderung erwies sich
obendrein als erblich, indem sie sich hielt, selbst wenn die
Kulturen in gewöhnlichem Tageslicht weitergezüchtet wurden.
Im Tierreich finden wir im Sehpurpur der Retinastäbchen
einen Farbstoff, dessen Eigenschaften (Fluoreszenz, Bleichung
in Licht usw.) in hohem Grad mit denen der photographischen
Sensibilisatoren übereinstimmen. Ebenso wie das Chromophyli
bei den Pflanzen, variiert auch die Farbe des Sehpurpurs bei
den verschiedenen Tierspezies von rot, durch purpur nach violett.
Daß es, wenigstens betreffs des dunkel adaptierten Auges, für die
Lichtperzeption von großer Bedeutung ist, darf wohl auch als
sicher angenommen werden; Trendelenburg') hat die größte
Übereinstimmung zwischen der Kurve für die spektrale Ab-
sorption des Sehpurpurs, der Kurve für dessen Bleichung in
den verschiedenen Spektralfarben und der Kurve für deren
„Dämmerungswerte“ gefunden.
Obwohl man also schon seit langem großartige Beispiele
einer natürlichen photobiologischen Sensibilisierung gehabt hat,
scheint eigentümlicherweise bei keinem der Gedanke entstanden
zu sein, daß andere der zahlreichen photobiologischen Prozesse
vielleicht künstlich auf ähnliche Weise wie die Reduktion der
Silberhaloide in der photographischen Platte beeinflußt werden
könnten. Erst eine — in dieser Verbindung — zufällige Beob-
achtung von Raab’) sollte die biologische Forschung in diese
Richtung leiten.
Bei einigen im Jahre 1898 ausgeführten Untersuchungen über
die Toxizität des Akridins gegenüber Paramäcien fand Raab in
seinen verschiedenen Versuchen eine eigentümliche Abweichung
zwischen den Tötungszeiten: Bald gingen die Paramäcien schnell
zugrunde, bald lebten sie viele Stunden in Lösungen von gleicher
Stärke. Es gelang indessen Raab und H.v. Tappeiner —
1) Trendelenburg, W., Quantitative Untersuchungen über die
Bleichung des Sehpurpurs in monochromatischem Licht. Zeitschr. f. Psych.
u. Physiolog. d. Sinnesorgane. 87. 1904.
9) Raab, O., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf Infusorien.
Zeitschr. f. Biologie 39, H. 4. 1900.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 429
unter dessen Leitung die Versuche ausgeführt wurden — nach-
zuweisen, daß die Ursache zur Inkonstanz der Tötungszeiten in
den wechselnden Belichtungen zu suchen sei, welchen die
Präparate ausgesetzt waren: Paramäcien in Akridinlösungen von
1 : 20 000 starben im Sonnenlicht innerhalb 6 Minuten, in ge-
wöhnlichem Tageslicht in ca. 60 Minuten, während sie im
Dunkeln noch nach 60000 Minuten am Leben gefunden wurden.
Man fand eine ähnliche Wirkung bei der Untersuchung
verschiedener anderer Stoffe (Phenylakridin, Eosin, Chinin),
welche sämtlich die Eigenschaft mit dem Akridin gemeinsam
haben, daß sie im Licht fluoreszieren. Dfe Versuche bewiesen
ferner, daß die wirksamen Spektralstrahlen gerade dieselben
sind wie die, welche Fluoreszenz in den betreffenden Lösungen
hervorzurufen vermögen, sowie daß es anderseits nicht das
Fluoreszenzlicht als solches ist, das tötend auf die Paramäcien
wirkt. Raab vermutet, daß das Phänomen einer Umsetzung
der Energie des Lichtes in chemische Energie zuzuschreiben
sei, — analog derjenigen, welche in den chlorophylihaltigen
Zellen der Pflanzen vor sich geht, und v. Tappeiner!) ver-
gleicht hier in seiner ersten Mitteilung über dieses Thema die
Wirkungsart dieser Stoffe mit der der photographischen Sensibili-
satoren — ein Vergleich, von welchem er jedoch später Ab-
stand nimmt und zu welchem er erst in einigen vor kurzem
veröffentlichten Untersuchungen über dieses Thema zurück-
kehrt ê).
In einer Arbeit aus dem Jahre 1902 erwähnt Raab’), daß
nicht alle fluoreszierenden Stoffe die hier erwähnte Wirkung im
Licht besitzen, z. B. das Äskulin, das ja gerade wegen seiner
prachtvollen Fluoreszenz bekannt ist. Da es sich ergab, daß
Äskulin auch im Dunkel keine schädliche Wirkung auf Para-
mäcien ausübt, so schloß Raab, daß nur derartige Stoffe zu
1) Tappeiner, H. v., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe
auf Infusorien — nach Versuchen von O. Raab. — Münch. med. Wochen-
schrift Nr. 1. 1900.
3 Tappeiner, H. v., Über die Beziehung der photochemischen Wir-
kung der Stoffe der Fluoreszeinreihe zu ihrer Fluoreszenzhelligkeit und ihrer
Lichtempfindlichkeit. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86, 479. 1906.
®© Raab, O., Weitere Untersuchungen über die Wirkung fluores-
zierender Stoffe. Zeitschr. f. Biologie 44. 1902.
430 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
wirken vermögen, welche schon im Dunkel eine — wenn auch
schwache — Wirkung besitzen. Er nimmt mit anderen Worten
an, daß das Licht eine schon im Dunkel vorhandene schwache
Giftwirkung nur verstärkt; also gerade das entgegengesetzte von
dem, was betreff des photographischen Prozesses angenommen
wird, wo der Sensibilisator eine im voraus nur schwache Licht-
wirkung hervorruft oder erhöht. Jacobson!), welcher fand,
daß tierisches Gewebezellen-Flimmerepithel von der Ösophagus-
schleimhaut des Frosches auf ähnliche Weise wie Paramäcien
beeinflußt wird, gibt dieser Ansicht in folgenden Thesen einen
prägnanten Ausdruck:
1. Das Licht erhöht die Giftwirkung fluoreszierender Stotte
gegenüber Flimmerepithel.
2. Nichtfluoreszierende, giftige Stoffe erhalten keine er-
höhte Wirkung im Licht.
3. Nichtgiftige, fluoreszierende Stoffe besitzen dieselbe
Wirkung im Licht, wie im Dunkel.
Raab (a. a. O.) versuchte außerdem eine ähnliche Wirkung
fluoreszierender Stoffe 4 Licht auf warmblütige Tiere hervor-
zurufen. Er injizierte verschiedene Farbstofflösungen subkutan
weißen Mäusen, Meerschweinchen, Tauben usw. und exponierte
danach die behandelten Tiere der Einwirkung des Sonnenlichtes.
Der einzige deutliche auf diesem Wege von Raab erzielte
Ausschlag bestand darin, daß bei den Eosin-injizierten Mäusen
Nekrose der Ohren 1 — 2 Tage nach der Belichtung eintrat.
Da die Nekrosen nicht durch Injektion anderer fluoreszierender
Stoffe (Harmalin, Chinolinrot, Phosphin) und nur bei Mäusen
hervorgerufen werden konnten — nicht z. B. bei Meerschwein-
chen —, so schließt Raab daraus, daß sie nicht mit den hier
erwähnten Phänomenen in Verbindung stehen, sondern einfach
einer Wärmewirkung, einer Verbrennung infolge der starken
Absorption der langwelligen Strahlen des Lichtes in den Eosin-
gefärbten, zarten Ohren zuzuschreiben sind. Diese Auffassung
ist später mit theoretischen Gründen teils von Dreyer?), teils
1) Jacobsohn, R., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf
Flimmerepithel. Zeitschr. f. Biologie 41. 1901.
®) Dreyer, G., Sensibilisierung von Mikroorganismen und tierischen
(reweben. Mitteilungen aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft VII. 1904.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 431
vom Verf.!) bestritten, und ihre Unrichtigkeit ist vor kurzem
experimentell durch Versuche bewiesen worden, welche ich im
Verein mit A. Jodlbauer?) vorgenommen habe. Es ergab
sich nämlich, daß die Ohrnekrosen selbst in den Fällen ent-
stehen, wo jede Möglichkeit einer schädlichen Wärmewirkung
ausgeschlossen ist, und daß ähnliche Nekrosen überall auf dem
Körper hervorgerufen werden können, nicht nur bei Mäusen
sondern auch z. B. bei Kaninchen (siehe später).
Ledoux-Lebard?°) lieferte einen wichtigen Beitrag zum
Verständnis der Natur dieser Prozesse; er fand, daß die Eosin-
Lichtwirkung gegenüber Paramäcien bedeutend stärker ist, wenn
die Paramäcien in offenen Schalen belichtet werden, als wenn
sie sich während der Belichtung in ganz gefüllten, luftdicht
verschlossenen Glasrohren befinden. .
Hiermit war auf die Bedeutung des Sauerstoffs für den
Verlauf des Prozesses hingewiesen,’ und der Anstoß zu späte-
ren Untersuchungen auf diesem theoretisch wichtigen Gebiet
gegeben. "
Ledoux-Lebard fand ferner, daß die Eosinlösungen
während der Belichtung derart verändert werden, daß sie einen
für die Paramäcien giftigen Stoff bilden. Es ergab sich nämlich,
daß nicht-giftige Eosinlösungen nach langdauernder Belichtung
auch im Dunkel tötend auf Paramäcien wirkten, und Ledoux-
Lebard sucht hierin die Ursache zu dem schnellen Tod der
Paramäcien während der Belichtung. Diese Beobachtung
fand anfangs bei anderen Forschern (Dreyer (a. a. O.),
v. Tappeiner und Jodlbauer)‘) keine Bestätigung. Die
zwei letztgenannten Verf. haben jedoch in einer späteren
Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med.
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904.
» Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch.
internat. de Pharmacodynamieet de Therapie. Vol. XV, S. 263 --278. 1905.
8) Ledoux-Lebard, Action du Serum sanguine sur les Paramecies.
Ann. de l'Institut Pasteur 16, 510. 1902.
4^ Tappeiner, H. v. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung der
photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe auf Protozoen und Enzyme.
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904.
Biochemische Zeitschrift Band I. 29
432 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Arbeit!) nachgewiesen, daß Ledoux-Lebards Beobachtung in-
sofern zutreffend ist, als die Bleichung der betreffenden Farbstoffe
im Licht unter Bildung einer Säure vor sich geht, und Paramäcien
sind bekanntlich gegenüber Säurewirkungen äußerst empfindlich.
Eine 0,45°/, Lösung von dichloranthracendisulfosaurem Natron
wurde in einem Erlenmeyerschen Kolben in einer 1 cm hohem
Schicht belichtet, und der Kolben wurde luftdicht verschlossen,
um Absorption von Säure aus der Luft zu vermeiden. Zur
Neutralisierung von 100 ccm der belichteten Flüssigkeit wurden
nach 6 Tagen Belichtung 2,6 ccm einer "/ıoo normalen Natron-
lauge gebraucht, während eine entsprechende Lösung, welche
ebenso lange Zeit im Dunkel aufbewahrt gewesen war, nur
0,05 ccm erforderte. Es wurden betreff der Eosin- und
trythrosinlösungen entsprechende Verhältnisse gefunden. Werden
die belichteten Lösungen genau neutralisiert, so verschwindet
auch ihre Toxizität im Dunkeln gegenüber Paramäcien.
Die Beobachtungen über Säurebildung, über die Form des
Absterbens der Paramäcien und über das Verhalten des Acridins
führten die Verfasser zu dem Schlusse, daß die Bleichung der Farb-
stoffe, welche im Verhältnis zur schnellen Tötung der Paramäcien
im Lichte nur langsam vor sich geht, kaum für die hier er-
wähnten Phänomene von irgend welcher Bedeutung sein könne.
— Die destruierende Wirkung des Lichtes gegenüber sensi-
bilisierten Fermenten liefert — wie es auch von den genannten
Verfassern hervorgehoben wird — einen weiteren Beweis für
die Richtigkeit dieser Auffassung, indem die fermentativen
Prozesse von der gebildeten Säure ja eher beschleunigt als ge-
hemmt werden.
Dreyer (a. a. O.), welcher in Finsens med. Lichtinstitut
die Untersuchungen von Raab aufnahm und bestätigte, gebührt
das Verdienst, die Frage von rein lichtbiologischem Standpunkt
aus behandelt zu haben. Während das Prinzip für die früheren
Untersuchungen im allgemeinen darauf ausging, den Unterschied
zwischen der Wirkung der Farbstoffe auf die Mikroorganismen
im Licht resp. im Dunkel festzustellen, veranschaulicht Dreyer
tabellarisch den Unterschied zwischen der Wirkung des Lichtes
) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Die Beteiligung des
Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender Stoffe. Deutsch. Arch. f.
klin. Medizin 82. 1905.
G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 433
auf die gefärbten und auf die nichtgefärbten Organismen, und
er pointiert dadurch das Licht als den wirkenden Faktor, und
den Farbstoff als den Sensibilisator, welcher nur die mikrobicide
Fähigkeit des Lichtes erhöht.
Dreyer benutzte zu seinen Versuchen das nach Finsens
Methode konzentrierte Licht einer starken elektrischen Kohlen-
bogenlampe und als Sensibilisator Erythrosin (Tetrajodfluoreszein-
Natrium). Er fand, daß Bakterien sich gegenüber Licht auf
ähnliche Weise wie Paramäcien sensibilisieren lassen; jedoch ist
der Unterschied zwischen den Tötungszeiten für die gefärbten
und für die nichtgefärbten Bakterienkulturen in bedeutend ge-
ringerem Grade ausgeprägt, als es bei den Paramäcien der Fall
ist. Jodlbauer und v. Tappeiner!) kamen zu demselben
Resultat; sie machten ferner die interessante Beobachtung, daß
der von Bac. pyocyaneus produzierte fluoreszierende Stoff
photodynamische (d. h. sensibilisierende) Eigenschaften gegenüber
Paramäcien besitzt.
Durch Injektion von Erythrosinlösungen in den Rücken-
lymphsack von Fröschen und nachfolgende Belichtung der
ad. mod. Cohnheim aufgespannten Zunge vermochte Dreyer
außerdem Gewebereaktion mit Strahlen hervorzurufen, welche
keine derartige Wirkung auf normales Gewebe hatten. Es ergab
sich auch bei Warmblütern (Kaninchen, Menschen), daß eine
lokale, kutane Erythrosin-Injektion mit nachfolgender Be-
lichtung der injizierten Partie mit Licht, das vorher durch eine
monochromsaure Kaliumlösung filtriert wurde, eine Gewebe-
reaktion hervorrief. Auf Basis dieser Untersuchungen machte
Dreyer?) den Vorschlag, die Finsensche Lichtbehandlung von
Lupus vulgaris mit lokalen Injektionen sensibilisierender Lösungen
zu kombinieren, um dadurch die langwelligen gut penetrierenden,
aber sonst unwirksamen Lichtstrahlen auszunützen. Eine etwas
andere Form einer derartig kombinierten Behandlung wurde
1) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung
photodynamischer (fluoreszierender) Stoffe auf Bakterien. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 25. 1904.
Wirkung der fluoreszierenden Stoffe auf Spalt- und Fadenpilze.
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 84, 529. 1905.
2) Dreyer, G., Lichtbehandlung nach Sensibilisierung. Dermatolog.
Zeitschr. X. 1903.
29*
434 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
gleichzeitig von v. Tappeiner und Jesionek') an verschiedenen
Fällen von tuberkulösen, cancrösen und luetischen Affektionen
praktisch geprüft und insbesondere bei Ulcus rodens von Erfolg
befunden. Die therapeutischen Versuche, die der Vorschlag von
Dreyer zur Folge hatte, haben bisher keine befriedigenden Resul-
tate ergeben, und das klinische Bild der Behandlung weicht auch
recht bedeutend von dem ab, was die gewöhnliche Finsen- Behand-
lung charakterisiert. Die Belichtung der injizierten Partie ist
schmerzhaft und die Gewebereaktion zeichnet sich im Gegensatz
zu der normalen Lichtreaktion durch Ödeme und durch Neigung
zu Nekrotisierung des Gewebes aus. Kolster?), der auf Finsens
med. Lysinstitut eine histologische Untersuchung der Lichtreaktion
in sensibilisierttem Gewebe vornahm, benutzte weiße Mäuse als
Versuchsobjekte. Nach subkutaner Injektion von Erythrosin-
lösungen belichtete er die injizierte Partie unter Wasserüber-
rieselung mit konzentriertem elektrischem Licht, welches erst
ein Filter mit monochromsaurem Kalium passierte. In der
Beschreibung seiner histologischen Funde hebt Kolster nament-
lich die ödematöse Beschaffenheit des Gewebes sowie die Zellen-
nekrose hervor.
In den Betrachtungen über die Natur der Sensibilisierung,
mit welchen Dreyer seine oben erwähnte Arbeit schloß, äußert
er sich dahin, daß die Fluoreszenz für das Zustandekommen
des Prozesses nicht entscheidend ist, da es Stoffe gibt, die
stark fluoreszieren und welche doch entweder nur schwach oder
überhaupt nicht sensibilisieren (Fluoreszein, Äsculin), und daß
es anderseits Stoffe gibt, die nicht fluoreszieren und doch
sensibilisierende Eigenschaften besitzen (Cyanin).
Halberstaedter°), welcher Raabs resp. Dreyers Ver-
suche wiederholte und deren Richtigkeit bekräftigte, ist ebenfalls
) Tappeiner, H. v. und Jesionek, Therapeutische Versuche
mit fluoreszierenden Stoffen. Münch. med. Wochenschr. 47, 2042. 1903. —
Jesionek, Lichttherapie nach Prof. v. Tappeiner. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 19. 1904. — Jesionek und H. v. Tappeiner, Zur
Behandlung der Hautcarcinome mit fluoreszierenden Stoffen. Deutsch. Arch.
f. klin. Medizin 82, 217. 1905.
» Kolster, R., Studien über die Einwirkung gewisser Lichtstrahlen
auf sensibilisiertes Gewebe. Mitteilungen aus Finsens med. Lichtinstitut,
Heft X. 1906.
» Halberstaedter, L., Mitteilungen über Lichtbehandlung nach
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 435
Dreyers Auffassung bezüglich der Natur dieser Phänomene und
führt gegen die von v. Tappeiner stark hervorgehobene Be-
deutung der fluoreszierenden Fähigkeit der Stoffe an, daß Neu-
tralrotlösungen sensibilisierende Eigenschaften besitzen, obwohl
sie nicht im Licht fluoreszieren'., Nach v. Tappeiner und
Jodlbauer‘?) ist dies indessen nicht richtig, indem Neutralrot-
lösungen eine schwache orangegelbe Fluoreszenz zeigen, wenn
sie in konzentriertem Sonnenlicht untersucht werden, während
das Cyanin rot fluoresziert.
In einer Reihe unter v. Tappeiners Leitung im phar-
makologischen Institut in München ausgeführten Arbeiten
wurden die Untersuchungen über die Wirkung der fluores-
zierenden Stoffe im Licht in neue Bahnen geleitet. Schon im
Jahre 1897 fand Green?), daß Diastase zerstört wurde, falls
man sie der Einwirkung des Sonnenlichtes aussetzte. Spätere
Untersuchungen lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß alle
Enzyme und Toxine — jedenfalls die thermolabilen — die
Fähigkeit verlieren, ihre spezifischen Wirkungen zu entfalten,
wenn sie einer intensiven Belichtung ausgesetzt werden. Die
Vernichtung ist vorzugsweise auf die am stärksten brechbaren
Strahlen des Lichtes zurückzuführen. Von Schmidt-Nielsen *)
sind betreff Labferment eingehende Untersuchungen in dieser
Richtung angestellt. — v. Tappeiner°) und seine Schüler
haben indessen gezeigt, daß mehrere Fermente und Toxine
Dreyer. Zur Theorie der Sensibilisierung und Prüfung einiger Sensibili-
satoren. Münch. med. Wochenschr. Nr. 14. 1904.
!) Halberstaedter, L. und A. Neisser, Zur Kenutnis der Sensi-
bilisierung. "Deutsch. med. Wochenschr., Jahrg. 30, Nr. 21. 1904.
3 Tappeiner, H. v. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung der
photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe auf Protozoen und Enzyme.
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80, 432 und 447. 1904.
3) Green, J. R., On the Action of Light on Diastase, and its
biological Significance. Philos. Transactions of the Royal Society of
London. Vol. 188, S. 167. 1897.
4 Schmidt-Nielsen, S., Über die Wirkung von elektrischem
Bogenlicht auf Chymosin, Chymosinogen und Antichymosin. Mitteilungen
aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft IX. 1904.
») Tappeiner, H. v., Über die Wirkung fluoreszierender Substanzen
auf Fermente und Toxine. Ber. d. Deutsch. chem. Gesellsch. Jahrg. 36
H. 12. 1903.
436 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
(auch Labferment) sich gegenüber Strahlen von geringerer Brech-
barkeit sensibilisieren lassen.
Die einzelnen Untersuchungsreihen sind von Stark!) und
Liebel?) (Diastase), Tillmetz°) (Invertin), Rehm‘) (Papayotin),
sowie Riegner°) und Quiring®) (Labferment) und Locher’)
(Zymase) ausgeführt. Außerdem hat v. Tappeiner und
Jodlbauer®) Untersuchungen bezüglich einer Reihe Toxine
angestellt (Diphtherie- und Tetanustoxin, Ricin u. a.).
Es geht indessen aus obenerwähnten Arbeiten hervor, daß
sich ein großer Teil der gegenüber Paramäcien wirksamen
Stoffe indifferent gegenüber Enzymen verhält — und selbst
gegenüber den verschiedenen Enzymen erwies sich ein und
derselbe Stoff bald wirksam, bald unwirksam.
Nach v. Tappeiners und Jodlbauers zusammengefaßter
Darstellung?) erweisen sich folgende Substanzen photodynamisch
wirksam gegenüber Invertin: Die Fluoreszeingruppe (mit
Ausnahme des Fluoreszeins und dessen Chlorverbindungen), die
Anthracengruppe, die Thiazingruppe sowie die Chinolinfarb-
stoffe. Unwirksam sind hingegen: Derivate des Phenazins (mit
Ausnahme von Phenazin und Phenosafranin), die Phenoxazine,
die Naphthalingruppe, die Alkaloide Chinin, Harmalin und
Hydrastinin sowie das Glykosid Äsculin. Spätere Versuche
1) Stark, E., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf Diastase.
Diss. München, 1903.
2) Liebel, F., Weitere Untersuchungen über die Wirkung photo-
dynamischer Stoffe auf Diastase. Diss. München, 1905.
3) Tillmetz, O., Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf den
Invertierungsproze8ß. Diss. München. 1903.
“ Rehm, F., Über die Einwirkung fluoreszierender Stoffe auf das
Eiweiß spaltende Ferment Papain (Papayotin). Diss. München, 1903.
5 Riegner, H., Über die Wirkung photodynamischer (fluores-
zierender) Substanzen auf Labferment. Diss. München, 1904.
°) Quiring, W., Weitere Untersuchungen über die Wirkung
fluoreszierender Stoffe auf Labferment. Diss. München, 1905.
”) L. Locher, Über die Wirkung einiger photodynamischer Sub-
stanzen auf Hefe, Acetondauerhefe und Hefepreßsaft. Diss. München, 1906.
8) v, Tappeiner, H. und A. Jodlbauer, Über die Wirkung
fluoreszierender Stoffe auf Diphtherietoxin und Tetanustoxin. Münchener
med. Wochenschr. Nr. 17. 1904.
% Über die Wirkung der photodynamischen (fluoreszierenden) Stoffe
auf Protozoen und Enzyme. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 437
ergaben jedoch, daß einzelne dieser Stoffe (z. B. Fluoreszein,
Akridin, Chinin und Harmalin) eine deutliche Wirkung gegen-
über Invertin haben, sobald man während der Belichtung für
eine reichliche Sauerstoffzufuhr sorgt.
Diese Untersuchungen veranlaßten die Münchener Schule
die alte Hypothese aufgugeben, daß die betreffenden Stoffe im
Lichte eine erhöhte Giftwirkung besitzen, indem man meinte,
den Begriff Giftwirkung nicht gegenüber nichtorganisierten
Körpern aufrecht erhalten zu können, um so weniger da man
sich das Zustandekommen der erhöhten Wirkung dadurch
hervorgerufen gedacht hatte, daß die Belichtung eine Ver-
änderung der osmotischen Permeabilität der Zellenwand hervor-
rief (Jacobsen a. a. O.). In der zuletzt zitierten Arbeit, in
welcher v. Tappeiner und Jodlbauer die theoretische Seite
der Sache zum Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung
machen, werden auch verschiedene andere Umstände vorgebracht,
welche gegen die erwähnte Hypothese sprechen: Bestände die
photodynamische Wirkung in einer Erhöhung der Giftigkeit,
so wäre zu erwarten, daß diese Zunahme betreff der ver-
schiedenen Stoffe einigermaßen gleichartig sei; die Wirkung im
Licht ist indessen bald doppelt, bald 100 bis 1000 Male größer
als im Dunkel (nach der Verdünnung berechnet, in welcher der
betreffende Stoff noch Wirkung im Dunkel resp. Licht aufweist).
Die Frage, inwiefern die hier besprochene Wirkung der
Stoffe auf eine Sensibilisierung in Analogie mit der photo-
graphischen beruht, beantworten v. Tappeiner und Jodlbauer
— sowohl in dieser wie auch in verschiedenen anderen Ab-
handlungen — dahin, daß die zwei Prozesse nicht identisch
sind. Die Führung des Beweises hierfür wird auf folgende
Weise versucht:
1. Eine Reihe der am kräftigsten wirkenden photographi-
schen Sensibilisatoren fluoresziert nicht, wenigstens läßt sich
mit konzentriertem Sonnenlicht keine Fluoreszenz nachweisen.
Derartige Stoffe (Methylviolett, Fuchsin, Alizarinblau, diazo-
schwarzes Glyzinrot, Nigrosin, Äthylrot) weisen keine photo-
dynamische Wirkung gegenüber Paramäcien oder Enzymen auf.
2. Anderseits lassen sich Bromsilbergelatineplatten nicht
mit dem so stark photodynamisch wirkenden Natronsalz der
Dichloranthracendisulfosäure sensibilisieren.
438 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
3. Ist Tötung der Paramäcien in z. B. Eosin + Licht einer
»erhöhten« Lichtwirkung zuzuschreiben, so müssen die wirk-
samen Strahlen — in diesem Fall die grünen — auch bei
länger dauernder Einwirkung imstande sein, ungefärbte Para-
mäcien zu destruieren. Das Sonnenlicht erwies sich indessen
gegenüber Paramäcien als vollständig unschädlich, wenn es
durch eine Lösung von Kupfersulfat und Pikrinsäure filtriert
wurde).
v. Tappeiner schlägt für die kombinierte Farbstoff-Licht-
wirkung die Bezeichnung „Photodynamie“ vor, eine Bezeich-
nung, welche, wie er schreibt, nichts präjudiziert und die man
in dem Augenblick fallen lassen kann, wo weitere Unter-
suchungen unzweifelhafte Berechtigung zur Bezeichnung Fluo-
reszenzwirkung oder ähnlichem ergeben sollten.
In Übereinstimmung mit Raabs und Dreyers Versuchen
fanden v. Tappeiner und Jodlbauer, daß die Wirkung den
Strahlen zuzuschreiben sei, welche den photodynamischen Stoff
absorbieren, daß aber anderseits die Absorption nicht das allein
entscheidende Moment ist, indem zahlreiche stark absorbierende,
jedoch nicht fluoreszierende Farbstoffe keine photodynamische
Fähigkeit besitzen.
Es wird ferner stark hervorgehoben, daß bisher nur bei
fluoreszierenden Stoffen photodynamische Eigenschaften gefunden
sind, und da schon 53 fluoreszierende und 32 nicht-fluores-
zierende Substanzen einer Untersuchung unterzogen gewesen
sind, so besteht eine große Wahrscheinlichkeit für einen gewissen
Zusammenhang zwischen diesen zwei Eigenschaften. Jedoch
spielt das ausgesendete Fluoreszenzlicht als solches keine Rolle
und von der geringeren oder stärkeren Fluoreszenz eines Stoffes
kann man im großen und ganzen nicht auf die Intensität der
photodynamischen Wirkungen des Stoffes schließen. : Innerhalb
1) Das negative Resultat ist auf die Anwendung von zu schwachem
Licht zurückzuführen. — Ich habe in konzentriertem elektrischem Licht
von einer Lampe von 50 Amp. 45 Volt, — und hinter einem Filter mit
ammoniakalischer Kupfersulfat-Pikrinsäurelösung*) Tötung ungefärbter
Paramäcien nach 1'/),stündiger Belichtung erzielt.
*) Siehe G. Busck, Über farbige Lichtfilter. Mitteilungen aus
Finsens med. Lichtinstitut, Heft X, 1906 und Zeitschr. für Psychologie
u. Physiologie der Sinnesorgane 87. 1905.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 439
einzelner Gruppen chemisch verwandter Stoffe ergab es sich
indessen, daß die photodynamische Wirkung gegenüber Mikro-
organismen und Invertin in der Regel größer ist, je weniger aus-
geprägt die Fluoreszenz ist. Dieses eigentümliche Verhältnis tritt
am deutlichsten zwischen den Stoffen innerhalb der Fluoreszein-
reihe hervor!). Schließlich erwähnen v. Tappeiner und Jodl-
bauer, daß die photodynamische Wirkung bei einem und
demselben Stoff mit der Fluoreszenz des Stoffes zuzunehmen,
resp. abzunehmen scheint, so daß z. B. sowohl die Fluoreszenz
wie auch die photodynamische Fähigkeit bei $-Naphtholtrisulfo-
säure mit der Zusetzung von Soda zunimmt, während die
beiden Eigenschaften in Chininsulfatlösungen mit Zusetzung von
NaCl verringert werden. Als Gegensatz hierzu lassen sich
einige Untersuchungen von Pinnow?) nennen, welcher fand,
daß Akridin als optischer Sensibilisator gegenüber Jodwasserstoff
wirkt, und daß diese Wirkung durch Hinzusetzung von Schwefel-
säure verringert wird, »denn nun wird eine größere Lichtmenge
als Fluoreszenzlicht reflektiert und geht daher für die Zer-
teilung des Jodwasserstoffes verloren«. Derselbe Verfasser stellt
übrigens als allgemein geltende Regel auf, daß Substanzen, die
in Licht zerteilt werden, die Fluoreszenz in den fluoreszierenden
Lösungen, welchen sie zugesetzt werden, schwächen, und um-
gekehrt, daß Körper, welche die Fluoreszenz fluoreszierender
Lösungen schwächen, sich auch als lichtempfindlich erweisen
werden.
Die Frage über die Notwendigkeit des Sauerstoffes für die
Wirkung des Lichtes auf die sensibilisierten Organismen wurde
schon von Raab (a. a. O.) aufgeworfen. Seine mit Jodkalium
und Akridin unternommenen Versuche führten aber zu keinem
') Ich habe Gelegenheit gehabt, einen in photodynamischer Be-
ziehung nicht früher untersuchten Stoff innerhalb dieser Gruppe zu unter-
suchen, nämlich Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium. Dieser Stoff, dessen
starke, grüne Fluoreszenz ich in konz. Sonnenlicht noch in Verdünnungen
von 1:200000000 beobachten konnte, schien von obenstehender Regel
abzuweichen, indem ich fand, daß dessen sensibilisierende Fähigkeit größer
war, als die des sehr schwach fluoreszierenden Tetrajodfluoreszein-Na.
(Erythrosin).
2 Pinnow, J., Die photochemische Zersetzung der Jodwasserstoff-
säure. Ein Beitrag zur Kenntnis der Sensibilisatorenwirkung. Ber. d.
deutsch. chen. Gesellsch. 84, S. 2528. 1901.
440 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
positiven Ergebnisse. Hingegen fand Ledoux-Lebard'), daß
die Eosin-Lichtwirkung bedeutend stärker gegenüber Paramäcien
ist, wenn diese in offener Schale belichtet werden, als wenn
der Zutritt des Sauerstoffs der Luft dadurch verhindert wird,
daß die Paramäcienkulturen in ganz gefüllte, verschlossene
Glasrohre eingeschlossen werden. Straub?) stellte bezüglich
dieser Frage Untersuchungen an und wies betreff einer einzelnen
Reaktion die Notwendigkeit des Sauerstoffs für das Zustande-
kommen des Prozesses nach. Er fand, daß in einer Jodkalium-
lösung, welcher Eosin oder Chininsulfat zugesetzt wird, bei
Belichtung der Lösung freies Jod abgespaltet wird. Bei Hinzu-
setzung von Stärke zur Lösung kann man während der Be-
lichtung dem Verlauf der Reaktion folgen. Belichtet man
dahingegen die Eosin-Jodkaliumlösung im Vakuum, so tritt die
Reaktion nicht ein.
Zufolge kürzlich veröffentlichter Versuche von Jodlbauer’?)
kann die Reaktion indessen überhaupt nicht in absolut neu-
traler, sondern nur in saurer Lösung hervorgerufen werden;
jedoch genügt ein sehr geringer Säuregrad (Anwendung eines
unreinen Handelspräparates). Die Reaktion darf daher an-
scheinend mit der oben erwähnten Jodwasserstoffreaktion identi-
fiziert werden. Straub nimmt an, daß sämtliche photo-
dynamischen Prozesse auf einer Oxydation — obendrein in Form
einer Verbrennung — beruhen, und er versucht deren Zustande-
kommen durch die von Bach und Engler aufgestellte Aut-
oxydationstheorie zu erklären.
Der experimentelle Beweis dafür, daß das Vorhandensein
des Sauerstoffs eine Bedingung für das Entstehen gewisser
photodynamischer Prozesse ist, wurde von v. Tappeiner und
!) Ledoux-Lebard, Action de la lumiere sur la toxicité de
l’eosine. Ann. de l'Institut Pasteur 16. 1902.
2) Straub, W., Über chemische Vorgänge bei der Einwirkung von
Licht auf fluoreszierende Substanzen und die Bedeutung dieser Vorgänge
für die Giftwirkung. Münch. med. Wochenschr. Nr. 25. 1904.
Über den Chemismus der Wirkung belichteter Eosinlösungen auf
oxydable Substanzen. Arch. f. exper. Path. u. Pharmakol. 51. 1904.
3) Jodlbauer, A., Weitere Untersuchungen, ob eine „Dunkel-
wirkung“ der fluoreszierenden Stoffe statthat. Deutsch. Arch. f. klin.
Medizin 85, 395. 190».
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 441
Jodlbauer!) sowohl betreff der Bakterien wie der Enzyme
und Toxine erbracht. Die Versuche zeigen zugleich, daß die
Wirkung entsteht, sobald nur eine Spur von Sauerstoff vor-
handen ist.
Zahlreiche früheren Untersuchungen haben ergeben, daß
nicht-sensibilisierte Bakterien schneller unter Lichteinwirkung
in dem Augenblicke getötet werden, wenn der Sauerstoff der
Luft Zutritt hat, als wenn der Sauerstoff entfernt ist. Die
Anschauungen sind überdies bezüglich der Frage geteilt, ob
Bakterien überhaupt von Licht zu destruieren sind, wenn jede
Spur von Sauerstoff entfernt ist. Bie), welcher sich mit
diesem Thema viel beschäftigt hat, fand, daß Bakterientötung
— besonders in ultra-violettem Licht — in sauerstofffreien Um-
gebungen stattfinden kann, jedoch schwieriger, als wenn der
Sauerstoff freien Zutritt zum Präparat hat. Nach Pfeffer?)
vermögen indessen viele Bakterienarten Sauerstoff zu binden,
so daß sie denselben im sauerstoffreien Raum erst nach und
nach abgeben, und es ist vielleicht nicht ganz die Möglichkeit
auszuschließen, daß es in Bies Versuchen nicht gelungen
ist, jegliche Spur von Sauerstoff zu entfernen. Ich erinnere
in dieser Verbindung an einen Versuch von Pringsheim*),
nach welchem mit konzentriertem Sonnenlicht belichtete
chlorophylhaltige Pflanzenzellen nur in dem Augenblick entfärbt
werden, wo freier Sauerstoff zugegen ist. Dasselbe ist nach
meinen Versuchen der Fall, selbst wenn die Zellen mit konzen-
triertem, elektrischem Licht durch Quarz belichtet werden. —
1) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Beteiligung
des Sauerstoffes bei der photodynamischen Wirkung fluoreszierender Stoffe.
Münch. med. Wochenschr. Nr. 26. 1904.
Die Beteiligung des Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender
Stoffe. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 82. 1905.
» Bie, V., Om Lysets Virkning paa Bakterier. Köbenhavn, 1903.
3) Zit. nach: A. Jodlbauer und H. v. Tappeiner, Über die
Wirkung des Lichtes auf Enzyme in -Sauerstoff- und Wasserstoffatmo-
sphäre, verglichen mit der Wirkung der photodynamischen Stoffe. Deutsch.
Arch. f. klin. Medizin 85, 386. 1905.
*%) Pringsheim, Monatsber. d. kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. zu
Berlin, S. 504. 1881.
449 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Hertel!) hat vor kurzem die Theorie aufgestellt, daß die
Lichtwirkung stets in erster Instanz auf einer Sauerstoff-
spaltung beruht, indem sich diese jedoch sekundär entweder
als eine Oxydation oder als eine Reduktion manifestieren kann,
abhängig davon, ob der freigemachte Sauerstoff in dem einzelnen
Fall Moleküle findet, mit welchen er in statu nascendi Ver-
bindungen eingehen kann oder nicht. Es lassen sich mittels
Hertels Hypothese ganz gewiß eine Reihe photobiologischer
Phänomene erklären; jedoch ruht sie auf allzu enger Basis, um
allgemeine Bedeutung erlangen zu können, u. a. weil die photo-
chemischen Umlagerungen keineswegs ausschließlich an Oxy-
dations- oder Reduktionsprozesse geknüpft sind.
In der obenerwähnten Arbeit zeigen Jodlbauer und
v. Tappeiner, daß die Bildung von „aktivem“ Sauerstoff in
einer Reihe von Fällen das Entstehen der photodynamischen Pro-
zesse bedingt?). Dies wird mittels verschiedener Ozon-Reaktionen
nachgewiesen; z. B. wird metallisches Silber unter der Bildung
von Silberoxyd geschwärzt, wenn ein Tropfen Eosinlösung auf
das Metall gebracht und dies dem Sonnenlicht ausgesetzt
wird. Es werden außerdem eine Reihe Umstände angeführt,
welche gegen die Anwendbarkeit der Autoxydationstheorie auf
diesem Gebiete sprechen, und es wird schließlich nachgewiesen,
daß die Oxydation nicht in Form einer totalen Verbrennung vor
sich geht; jedenfalls war es in Versuchen mit Diastase nicht
möglich, die Bildung von Kohlensäure nachzuweisen.
Während demnach die Lichtwirkung gegenüber normalen
sowohl wie oben sensibilisierten tierischen Zellen, Enzymen,
1) Hertel, E., Über Beeinflussung des Organismus durch Licht,
speziell durch die chemisch wirksamen Strahlen. Zeitschr. f. allgem.
Physiologie IV. 1904.
Über physiologische Wirkung von Strahlen verschiedener Wellen-
länge. Zeitschr. f. allgem. Physiologie V. 1905.
2) Siehe auch: Edlefsen, Experimenteller Beitrag zum Studium der
oxydierenden Wirkung fluoreszierender Stoffe. Münch. med. Wochenschr.
Nr. 36. 1904.
Ibid., Weitere Untersuchungen über die Einwirkung des Sonnen-
lichtes auf fluoreszierende Substanzen. Münch. med. Wochenschr. Nr.41. 1905.
Tappeiner, H. v., Über die Oxydation durch fluoreszierende
Stoffe im Lichte und die Veränderungen derselben durch die Bleichung.
Münchener med. Wochenschrift. Nr. 44. 1905.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 443
Toxinen usw. auf einer Oxydation zu beruhen scheint, kennt
man eine Reihe anderer photochemischer Prozesse, für deren
Entstehen das Vorhandensein des Sauerstoffs ohne Bedeutung
ist, und vor kurzem gelang es Jodlbauer und v. Tappeiner'),
eine von der Belichtung abhängige Reaktion zu finden, deren
Verlauf durch das Vorhandensein des Sauerstoffs gehemmt
wurde. Es dreht sich um die Edersche Reaktion zwischen
Quecksilberchlorid und Ammoniumoxalat : 2 HgCls + 2 (NH4)
C;0; = HgsCls + 2 NHG, C1 + 2 CO:. — Eder hat diese Rea-
genz zur Konstruktion eines Photometers angewendet, und
Gros?) fand, daß die Reaktionsgeschwindigkeit durch Zusatz
verschiedener Fluoreszeinderivate erhöht wird. Diese Reaktion
zeigte das eigentümliche Verhältnis, daß sie langsamer in
Sauerstoff als in atmosphärischer Luft vor sich geht, und daß
sie sowohl im Vakuum wie auch unter Kohlensäure und Wasser-
stoff enorm beschleunigt wird. Das Ausfallen von Kalomel wird
im Licht unter übrigens gleichen Bedingungen außerdem durch
Hinzusetzung sensibilisierender Stoffe beschleunigt. Ein Teil der
gegenüber Paramäcien wirksamen Substanzen erwies sich jedoch
unwirksam gegenüber Quecksilberchlorid-Ammoniumoxalat. Daß
nichtfluoreszierende Stoffe die Kalomelbildung nicht beeinflussen,
geht auch aus den Untersuchungen von Jodlbauer und
v. Tappeiner hervor.
Jodlbauer und v. Tappeiner schließen ihre letztgenannte
Abhandlung mit der Vermutung, daß eine — von der absor-
bierten Lichtenergie hervorgerufene — lIonenbildung der Wir-
kung der fluoreszierenden Stoffe zugrunde liegt.
Die Anzahl der photobiologischen Prozesse, welche sich
bisher für eine Sensibilisierung als zugänglich erwiesen haben,
hat in dem letzten Jahr weiter zugenommen. Fleischmann‘)
') Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Die Beteiligung des
Sauerstoffes bei der Wirkung fluoreszierender Stoffe. Deutsch. Arch. f.
klin. Medizin 82. 1905.
N) Gros, O., Über die Lichtempfindlichkeit des Fluoreszeins, seiner
substituierten Derivate sowie der Leukobasen derselben. Zeitschr. f.
physikalische Chemie 87. 1901.
5$ Fleischmann, Die bei Präzipitation beteiligten Substanzen in
ihrem Verhalten gegenüber photodynamischen Stoffen. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 15. 1905.
444 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
hat z. B. nachgewiesen, daß Präzipitine und präzipitable Sub-
stanzen, welchen Lösungen photodynamischer Stoffe zugesetzt
sind, ihre präzipitierenden resp. präzipitablen Eigenschaften bei
Belichtung verlieren.
Sacharoff und Sachs!) fanden, daß rote Blutkörperchen
destruiert werden, wenn man sie in einer Eosinlösung Sonnen-
licht aussetzt. Der Zeitpunkt für die vollbrachte Destruktion
wird durch die eintretende Hämolyse gekennzeichnet. Pfeiffer?)
hat gleichzeitig ähnliche Versuche ausgeführt und dasselbe positive
Resultat erzielt. Er fand keinen Unterschied in der Eosin-Licht-
wirkung, gleichviel ob er mit ungewaschenen, in physiologischer
NaCl-Lösung aufgeschlemmten Erythrocyten arbeitete, oder
Blut benutzte. Die Ursache hierzu ist darin zu suchen, daß
das Blut mit 0,85 °/, NaCl stark verdünnt wurde, so daß die
vorhandene Serummmenge im Verhältnis zur zugesetzten Eosin-
menge sehr gering war. Wie es aus meinen Untersuchungen
hervorgehen wird (siehe Seite 492), hat nämlich das Vorhanden-
sein des Serums einen sehr bedeutenden, in vielen Fällen ent-
scheidenden Einfluß auf den Verlauf der Reaktion. — In
elektrischem Licht — mit erforderlicher Abkühlung des Prä-
parates — konnte Pfeiffer nicht Hämolyse normaler Blutkörper-
chen erzielen also ohne Eosinhinzusetzung?).
Schließlich geht es aus einigen von Lichtwitz*t) gemachten
Versuchen hervor, daß sowohl die Komplemente normalen,
wie auch hämolytischen Serums destruiert werden, falls das
betreffende Serum mit einer Eosinlösung vermischt und 8—16
Stunden direktem Sonnenlicht ausgesetzt wird. Die Ambo-
ceptoren des hämolytischen Serums werden dahingegen von
der Belichtung nicht beeinflußt. Charakteristisch für diese
Ursache ist die zur Erlangung der Inaktivierung erforderliche
1) Sacharoff und Sachs, Über die hämolytische Wirkung der
photodynamischen Stoffe. Münch. med. Wochenschr. Nr. 7. 1905.
9) Pfeiffer, Über die Wirkung des Lichtes auf Eosin-Blutgemische.
Wiener klin. Wochenschr. Nr. 9. 1905.
Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normales Serum und
rote Blutkörperchen. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 13. 1905.
» Die Ursache dieses negativen Resultates ist der Anwendung nicht
genügend starken Lichtes zuzuschreiben.
*) Lichtwitz, Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normale
und hämolytische Sera. Münch. med. Wochenschr. Nr. 36. 1904.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 445
lange und intensive Belichtung, ein Verhältnis, das eigentüm-
licherweise nicht Lichtwitz aufgefallen ist, das jedoch eine
Erklärung in den nachfolgenden Untersuchungen finden wird.
Es kann hinzugefügt werden, daß sowohl Jodlbauer’!)
wie auch der Verf.*) mit negativem Resultat versucht haben,
eine biologische Sensibilisierung gegenüber Röntgen- und Bec-
querelstrahlen zu erlangen. Zu den Versuchen sind indessen nur
einzelne der Farbstoffe angewendet, welche dem Licht gegen-
über gute sensibilisierende Eigenschaften besaßen, und es ist
a priori gar kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß sich
auch gerade diese Stoffe gegenüber Strahlen einer ganz anderen
Art als wirksam erweisen sollten, um so weniger, da die
Lösungen der betreffenden Stoffe (z. B. Eosin) unter der Ein-
wirkung der Röntgen- oder Radiumstrahlen nicht fluoreszieren?).
Über die Ursache resp. über die Gesetze der ungleich
starken Wirkungen von verschiedenen photobiologischen Sensi-
bilisatoren weiß man auch jetzt äußerst wenig. v. Tappeiner‘)
hat hervorgehoben, daß die sensibilisierende Fähigkeit in der
Regel in derselben chemischen Gruppe bei den am schwächsten
fluoreszierenden Stoffen am stärksten ist — und umgekehrt. Betreff
= der Fluoreszeinreihe habe ich mit Jodlbauer°) zusammen nach-
) Jodlbauer, A., Über die Wirkung photodynamischer (fluores-
zierender) Substanzen auf Paramäcien und Enzyme bei Röntgen- und
Radiumbestrahlung. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 80. 1904.
23) Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med-
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904.
% Ich führe hier an, daß ein amerikanischer Arzt, Dr. Morton
(Recent Advances in Electrotherapeuticc. New York Medical Journal.
April 1905) angibt, gute therapeutische Resultate bei Röntgenbehandlung
tiefsitzenden Cancers erzielt zu haben, wenn die Patienten kleine Dosen
Eosin per os erhielten. Die Mitteilung ist jedoch nicht von Daten be-
gleitet, welche Zutrauen zu den günstigen Wirkungen der Behandlung
erwecken können.
*) Tappeiner, H. v., Über die Beziehung der photochemischen
Wirkung der Stoffe der Fluoreszeinreihe zu ihrer Fluoreszenzhelligkeit
und ihrer Lichtempfindlichkeit. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86,
479. 1906.
5) Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch.
internat. de Pharmacodynamie et de Therapie. Vol. XV, S. 263—278. 1905.
446 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
gewiesen, daß sowohl die sensibilisierende Fähigkeit der Stoffe,
wie auch deren Toxizität mit der Anzahl der substituierten
Wasserstoffatome zunimmt, indem sich gleichzeitig eine Steigerung
in der Wirkung von Chlor — durch Brom — zu den Jodderi-
vaten nachweisen läßt.
In einigen vor kurzer Zeit erschienenen Arbeiten haben
sich v. Tappeiner!) und Jodlbauer?) wiederum der Auf-
fassung angeschlossen, daß zwischen der Wirkung der „photo-
dynamischen“ Stoffe und der Wirkung der photographischen
Sensibilisatoren kein prinzipieller Unterschied existiert. Sie
bringen für das Invertin den Nachweis, daß dieses auch von
ultraviolettfreiem Lichte geschädigt werden kann, in sicher be-
stimmbarem Maße jedoch nur dann, wenn Sauerstoff zugegen
ist?). Bei Hinzunahme der brechbareren Strahlen aber fanden
sie weiter, daß eine bedeutende Schädigung auch dann eintritt,
wenn sie die Anwesenheit durch sorgfältige und in verschiedener
Weise variierte Anordnungen auszuschließen suchten‘). Eine
Sensibilisierung in letzteren Fällen war nicht zu erreichen. Sie
sehen sich daher zu der Annahme gedrängt, daß das Invertin
sowohl bei Sauerstoffanwesenheit wie Abwesenheit photochemisch
geschädigt werden könne, einer Sensibilisierung, wenigstens durch
die bisher angewandten Substanzen, aber nur der erstere Fall
zugänglich sei.
Obgleich demnach nun augenscheinlich allgemeine Einigkeit
darüber herrscht, daß das Prinzip für die Umsetzung der Licht-
energie dasselbe ist, gleichviel ob von der Wirkung des Lichtes
auf die sensibilisierte photographische Platte die Rede ist, oder
1) Tappeiner, H. v., Bemerkungen zur Abhandlung von E. Mettler
über die bakterizide Wirkung des Lichtes auf gefärbte Nährböden. Arch.
f. Hygiene. 54. 1905.
3) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung
des Lichtes auf Enzyme in Sauerstoff- und Wasserstoffatmosphäre, ver-
glichen mit der Wirkung der photodynamischen Stoffe. Deutsch. Arch. f.
klin. Medizin 85, 386. 1905.
5) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung des
Lichtes auf Fermente (Invertin) bei Sauerstoffabwesenheit. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 14. 1906.
t) Jodlbauer, A. und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung des
ultravioletten Lichtes auf Enzyme (Invertin.. Deutsch. Arch. f. klin.
Medizin 87, 373. 1906.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 447
ob es sich um die Wirkung gegenüber diesem oder jenem sensi-
bilisierten biologischen Objekt handelt, wird es doch vielleicht
aus rein praktischen Gründen gut sein, zwischen photographischen,
photochemischen und photobiologischen Sensibilisatoren zu
unterscheiden, eine Einteilung, welche natürlich nicht für die
Stoffe als solche gilt, sondern nur auf die in jedem einzelnen
Fall beabsichtigte Anwendung hindeutet. Es verdient doch
hervorgehoben zu werden, daß man kaum auf die Dauer die
Bezeichnung sensibilisierend oder nichtsensibilisierend für einen
Stoff beibehalten kann; denn es kann kaum darüber Zweifel
herrschen, daß die sensibilisierenden Eigenschaften eines Stoffes
nicht allein von dessen Konstitution bestimmt werden, sondern
daß in dieser Beziehung das Lösungsmittel, der Dissoziations-
grad und andere, auf die optischen und physikalischen Eigen-
tümlichkeiten des Stoffes influierende Verhältnisse ebenfalls mit-
bestimmend sind. Experimentelle Untersuchungen auf diesem
Gebiet werden von großem Interesse sein, und ich erachte es
als wahrscheinlich, daß man durch derartige Untersuchungen
auch ein Verständnis bezüglich der Frage erreichen kann, wes-
halb ein Stoff, z. B. gegenüber der photographischen Platte vor-
zügliche sensibilisierende Eigenschaften besitzen kann, während
er gegenüber Mikroorganismen vielleicht unwirksam ist. Auch
der noch hypothetische Parallelismus zwischen der Fähigkeit
der Stoffe zu sensibilisieren und deren Fähigkeit zu fluoreszieren
läßt sich vielleicht auf diese Weise experimentell untersuchen.
Eine zweite naheliegende, bisher gar nicht untersuchte Frage
ist die, ob man nicht in der Reihe der photobiologischen
Phänomene Analogien zu der Wirkung der Stoffe zu finden ver-
mag, welche in der photographischen Terminologie den Namen
„chemische“ Sensibilisatoren erhalten haben.
Wie es aus der kurzen Übersicht hervorgeht, die ich hier
über die bisherigen Resultate der Sensibilisierungsuntersuchungen
gegeben habe, ist der Stoff der vorliegenden Arbeit noch nicht
zum Gegenstand direkter Untersuchungen gemacht. Indessen
berühren eine Reihe Arbeiten dieses Thema indirekt, insofern
die erreichten Resultate ihre Erklärung erst durch die hier
vorliegenden Versuche erhalten. Ich denke an die Unter-
suchungen über Totalsensibilisierung warmblütiger Tiere.
Biochemische Zeitschrift Band I. 30
448 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Raab!) konnte, wie schon früher erwähnt, bei Belichtung
Eosin-injizierter weißer Mäuse Nekrosen der Ohren derselben
hervorrufen. Es gelang ihm nicht, entsprechende Phänomene
bei anderen Tieren zu erzielen, und die Nekrosen bei Mäusen
ließen sich ebenfalls nicht bei Mäusen nach Injektion anderer
sensibilisierender Lösungen hervorrufen. Raab betrachtete
daher die erwähnten Ohrennekrosen als das Resultat einer Ver-
brennung, infolge einer starken Absorption der Wärmestrahlen
des Lichtes in dem gefärbten Gewebe.
Neisser und Halberstaedter?) versuchten, ebenfalls mit
negativem Resultat, eine Totalsensibilisiertung des Meer-
schweinchens durch intravenöse oder subkutane Erythrosin-
Injektionen hervorzurufen.
Jodlbauer und ich?) wiederholten diese Untersuchungen.
Wir konstatierten, daß sich die von Raab zuerst beobachteten
Ohrennekrosen bei Mäusen hervorrufen ließen, selbst wenn jeg-
liche Möglichkeit einer schädlichen Wärmewirkung des Lichtes
ausgeschlossen war. Die belichteten Ohren haben überdies ein
vollkommen normales Aussehen am ersten Tage nach der Be-
lichtung, und erst am zweiten oder am häufigsten am dritten
Tage tritt eine trockene Nekrose ein, welche zu einer Total-
abstoßung des Ohres führt; diese spät eintretende Reaktion
stimmt nicht mit der Hypothese über eine Wärmewirkung
überein, aber sie hat ihre Analogie in der gewöhnlichen Licht-
reaktion. Außer den Öhrennekrosen beobachteten wir Haar-
ausfall auf Kopf und Rücken der Mäuse, häufig von Nekrosen
der entsprechenden Hautpartien begleitet.
Die erwähnten Veränderungen ließen sich ferner nicht nur
nach subkutanen oder intraperitonealen Injektionen von Eosin-Na,
sondern auch nach Injektion anderer Sensibilisatoren z. B.
Erythrosin hervorrufen, und hiermit war die Möglichkeit aus-
geschlossen, daß man den Erscheinungen einer spezifischen
Bromwirkung gegenüber stand.
% Raab, O., Weitere Untersuchungen über die Wirkung fluores-
zierender Stoffe. Zeitschr. f. Biologie 44. 1902.
») Neisser, A. und L. Halberstaedter, Mitteilungen über Licht-
behandlung nach Dreyer. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 8. 1904.
3) Jodlbauer, A. und G. Busck, Über die Wirkungen von
Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten im Lichte und im Dunkeln. Arch.
internat. de Pharmacodynamie et de Therapie. Vol. XV, 8. 263—278. 1905.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 449
Wir vermochten auch bei Kaninchen nach intravenösen
Eosin-Na-Injektionen durch Belichtung ausgedehnte Nekrosen der
im voraus enthaarten Haut, sowie starke Ödeme besonders in
den Ohren und Augenlidern der Tiere hervorzurufen. Zu den
am häufigsten beobachteten Folgen der Belichtung gehörten auch
Konjunktivitis und Tränenfluß. Schließlich beobachteten wir
zu wiederholten Malen, daß die Belichtung Rose-Bengal-injizierter
Tiere (Ratten, Kaninchen) einen vorübergehenden, jedoch sehr
bedeutenden Exophthalmos hervorrief').
Es war in allen Versuchen notwendig, große Dosen der
betreffenden Sensibilisatoren anzuwenden, um die erwähnten
Resultate zu erzielen — und es zeigte sich ferner, daß die
Hautnekrosen am leichtesten an derartigen Stellen auftraten,
wo die Haut, z. B. durch den Enthaarungsprozeß leicht be-
schädigt worden war. Auf derartigen Partien tritt nämlich
eine wirkliche Gewebsfärbung ein — ebenso wie bei lokalen
1) Im Anschluß an obenstehende Beschreibung des Symptomkomplexes,
welchen die Belichtung der total-sensibilisierten Tiere hervorrief, führe ich
einen Versuch an, den ich auf dem Laboratorium des Lichtinstitutes in
Kopenhagen ausgeführt habe.
Einem weißen Kaninchen wurden 0,25 g Eosin-Na pro Kilo Körper-
gewicht intravenös injiziert. Drei Stunden nach Schluß der Injektion wurde
ein barbierter Fleck auf Femur 1 Stunde lang mit konzentriertem Licht
einer elektrischen Bogenlampe von 50 Amp. und 45 Volt belichtet. Das
Licht wurde durch eine 4°/, monochromsaure Kaliumlösung_ filtriert.
Während der Belichtung wurde der Fleck mit kaltem Wasser überrieselt.
Der Fleck erwies sich beim Schluß der Belichtung als gelbgefärbt im
(regensatz zu der umgebenden roten, Eosin-gefärbten Haut. In den ersten
Tagen nach der Belichtung ließ sich eine Lichtreaktion im Flecken weder
sehen noch fühlen; jedoch bildete sich später auf demselben ein trockener
Schorf, der, da er nach einer Woche abgestoßen wurde, einen Fleck mit
natürlicher Haut ohne Haarbekleidung hinterließ. Auf der umgebenden
— gleichzeitig barbierten — Haut hatten die Haare schon begonnen zu
wachsen. In den folgenden 3 Wochen wuchs das Haar dahingegen
bedeutend schneller auf dem belichteten Fleck, als auf der umgebenden
Haut, so daß der Fleck nach Verlauf dieser Zeit mit 2cm langem Haar
bedeckt war, während die Haare der umgebenden Partie nur eine Länge
von ca. 0,5 cm hatten.
Der Grund zu dem starken Haarwachstum ist in einer durch die
Belichtung hervorgerufenen langdauernden Hyperämie zu suchen, und die
von den langwelligen Strahlen hervorgerufene Reaktion in dem sensi-
bilisierten Gewebe verhält sich also hier ähnlich wie die gewöhnliche
Licht- Reaktion.
30 *
450 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Farbstoffinjektionen — während die übrige Totalfärbung der
Haut nur anscheinend ist, indem sie der vorübergehenden
Färbung von Blut und Lymphe des Tieres zuzuschreiben ist.
In der erwähnten Abhandlung heben wir ferner ein der
medizinischen Fachliteratur entlehntes interessantes Beispiel
der Möglichkeit hervor, auch Menschen gegenüber Licht in
toto zu sensibilisieren. Prieme') erwähnt nämlich 26 Epilepsie-
fälle, die er versuchsweise mit Eosin-Na behandelte, das be-
kanntlich eine große Menge Brom enthält (47 °/o). Die Anfangs-
dosis betrug 0,25 g pro die, jedoch wurde sie vergrößert, so
daß in der neunten Woche 3,5 g Eosin täglich per os verabfolgt
wurden. Prieme vermochte keinen günstigen Einfluß dieser
Kur auf den Verlauf der Krankheit zu beobachten; er beschreibt
dahingegen eine Reihe eigentümlicher Vergiftungssymptome,
welche regelmäßig eintraten, wenn die Dosierung 2,5 bis 3g
täglich erreicht hatte. Die Symptome waren ausschließlich
lokal: Es stellte sich eine, von Ödemen begleitete leichte
Eosinfärbung der Gesichtshaut und der Hände ein; hieran
schlossen sich recht ausgebreitete, jedoch oberflächliche Ulce-
rationen auf denselben Körperteilen, sowie Abfall der Nägel,
am häufigsten auf den Daumen. Die erwähnten Veränderungen
traten nur an den unbedeckt gewesenen Körperteilen auf, und
Prieme schließt hieraus, daß sie mit dem freien Zutritt der
Luft zu diesen Partien in Verbindung stehen müssen. Es kann
indessen kein Zweifel darüber herrschen, daß hier das Licht
und nicht die Luft der entscheidende Faktor gewesen ist; schon
die Details in Priemes sorgfältiger Beschreibung wirken über-
zeugend, um so mehr, da er sich diese Möglichkeit nicht selbst
gedacht hat.
Das sogenannte Buchweizenexanthem, das oft bei Tieren
zu beobachten ist, welche mit Buchweizen gefüttert werden, ist
auch als ein Lichterythem bei den durch dieses Füttern total-
sensibilisierten Tieren aufzufassen ^).
Die zahlreichen Untersuchungen der späteren Jahre über
die mikrobiziden Wirkungen des Lichtes, welche mit Downes
—
1) Prieme, J., Des accidents toxiques produits par l’eosinate de
sodium. These. Paris, 1900.
2) PBusck, G., Über die Pathogenese des Buchweizenexanthems. Mit-
teilungen aus Finsens med. Lichtinstitut, Heft IX. 1904.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 451
and Blunts grundliegenden Versuchen im Jahre 1877 eingeleitet
wurden, haben u. a. gezeigt, daß Bakterien und andere Mikro-
organismen im allgemeinen weniger widerstandsfähig, als tierische
Gewebezellen, gegenüber der Einwirkung des Lichtes sind.
Schon hiermit ist die Bedingung für die Möglichkeit gegeben,
mit intensivem Licht im Gewebe des Körpers eingelagerte
Bakterien zu töten, ohne gleichzeitig dieses Gewebe zu destruieren,
und in dieser Richtung angestellte experimentelle Versuche er-
gaben auch positiven Ausschlag!). Die Versuche gelingen jedoch
nur, wenn die Bakterien sehr oberflächlich liegen, indem die
geringe Penetrationsfähigkeit der bakteriziden Strahlen eine
direkte Beeinflussung der tiefer im Gewebe liegenden Bakterien
verhindert. Dieses prinzipielle Hindernis zur Erreichung einer
Tiefewirkung fiel indessen fort, da es sich zeigte, daß sich Mikro-
organismen gegenüber verhältnismäßig langwelligen Strahlen
sensibilisieren ließen, denn die Penetrationsfähigkeit der Licht-
strahlen gegenüber blutgefüllten tierischen Geweben nimmt im
großen und ganzen mit der Wellenlänge zu, wie ich es in einer
früheren Arbeit?) nachgewiesen habe. Es war daher bei der
kombinierten Anwendung langwelliger Strahlen und sensibili-
sierender Stoffe denkbar, daß eine bedeutende mikrobizide Tiefe-
wirkung zu erreichen war. Ein derartiges Räsonnement hat
daher auch sowohl v. Tappeiner°) wie mich‘) dazu veranlaßt,
hypothetisch die Möglichkeit aufzustellen, auf diesem Wege zu
einer wirksamen phototherapeutischen Behandlung blutparasitärer
Krankheiten zu gelangen, und wir haben diese Möglichkeit
später in Gemeinschaft zum Gegenstand einer Reihe experi-
1) Busck, G., Lichtbiologie. Eine Darstellung der Wirkung des
Lichtes auf lebende Organismen, I. Teil. Mitteilungen aus Finsens med.
Lichtinstitut, Heft VIII. 1904.
?) Busck, G., Über die relative Penetrationsfähigkeit der ver-
schiedenen Spektralstrahlen gegenüber tierischem Gewebe. Mitteilungen aus
Finsens med. Lichtinstitut, Heft IV. 1903. Vergl. auch Jodlbauer und
Tappeiner, Über die Wirkung fluoresz. Stoffe auf Toxine, Abschn. VIII.
Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 88.
3») Tappeiner, H. v., Über die Wirkung der photodynamischen
(fluoreszierenden) Substanzen. Verhandl. d. XXI. Kongr. f. innere Medizin
zu Leipzig. 1904.
“) Busck, G., Om Dagslysets Indflydelse paa Forløbet af Malaria —
med særlig Henblik paa Kininbehandlingen. Hospitalstidende Nr. 16.
1904. (The American Journal of Medical Sciences. July 1904.) °
452 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
menteller Versuche gemacht!). Weiße Kaninchen, Ratten und
Mäuse, welche mit Trypanosoma Brucei infiziert waren, wurden
mit Calciumsulfhydrat enthaart und nach maximalen intra-
venösen oder subkutanen Eosin- oder Erythrosin-Injektionen der
Einwirkung des Sonnenlichtes ausgesetzt. Eine Heilung der
injizierten Tiere gelang indessen nur, wenn die Behandlung
unmittelbar nach der Impfung eingeleitet wurde, und es ist
anzunehmen, daß die Trypanosomen in diesen Versuchen getötet
wurden, bevor sie in die Blutbahnen der Tiere gelangen, —
also im subkutanen Gewebe liegend. Leiteten wir die Behand-
lung erst einen Tag nach der Injektion ein, so erzielten wir
kein günstiges Resultat. Der Grund hierzu ist erstens darin zu
suchen, daß die Tiere so stark unter der Behandlung leiden,
daß sie sich nicht mit erforderlicher Energie durchführen läßt.
(Unter den schädlichen Potenzen der Behandlung sind besonders
hervorzuheben:
a) die Enthaarung der Tiere, welche Störungen in ihrer
Wärmeregulation zur Folge hat;
b) die toxische Wirkung der injizierten Sensibilisatoren;
c) die primären und sekundären schädlichen Wirkungen
des Lichtes auf den total-sensibilisierten Organismus).
Zweitens legt der injizierte Farbstoff Hindernisse für die Tiefe-
wirkung des Lichtes in den Weg, indem er die Absorptions-
verhältnisse des Gewebes gerade gegenüber den im betreffenden
Fall wirksamen Strahlen verändert. Schließlich erwies sich die
Anwendung von Dosen erforderlich, welche nahe an die schon im
Dunkel toxischen heranreichten, um überhaupt dem Blut der
Tiere die notwendigen sensibilisierenden Eigenschaften mitzu-
teilen. Es machte sich eine eigentümliche Abweichung zwischen
den spezifischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe in ihren
wässerigen Lösungen und der Wirkung derselben Stoffe nach
ihrer Injektion in den Blutbahnen bemerkbar, eine Abweichung,
welche übrigens schon durch die von Neißer und Halber-
städter in ihren früher erwähnten Versuchen über Total-Sensi-
bilisierung warmblütiger Tiere erhaltenen, negativen Resultate
angedeutet war. Die vorliegende Arbeit verfolgt u.a. den Zweck,
die Ursache dieser Verhältnisse zu erklären.
) Busck, G. und H. v. Tappeiner, Uber Lichtbehandlung blut-
parasitärer Krankheiten. Deutsch. Archiv für klin. Medizin 87. 1906.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 453
11.
Versuchsanordnung, sowie Untersuchungen über die Einwirkung
der photobiologischen Sensibilisatoren auf das Blut.
Ich schicke einige Bemerkungen über die Versuchsanordnung
voraus, die ich bei den Versuchen über den Einfluß des Serums
auf die spezifischen Wirkungen der photobiologischen Sensibili-
satoren gegenüber Paramäcien zur Anwendung gebracht habe,
da die Kenntnis verschiedener Verhältnisse, die ich dabei
zu besprechen Gelegenheit finde, zum Verständnis späterer Ver-
suche notwendig ist.
Unter der bedeutenden Menge von Stoffen, welche sensi-
bilisierende Eigenschaften gegenüber biologischen Reagenzien
besitzen, habe ich Typen verschiedener chemischer Gruppen zu
meinen Arbeiten ausgewählt. Aus diesen Gruppen suchte
ich ferner derartige Stoffe aus, welche wegen ihrer besonders
stark ausgeprägten sensibilisierenden Fähigkeit, ihrer eigentüm-
lichen optischen Verhältnisse oder ihrer günstigen Löslichkeits-
verhältnisse von vorneherein als für die Versuche besonders
geeignet erschienen. Diese Versuche wurden in der Regel mit
Kaninchenserum angestellt, indem mit im ganzen 9 verschiedenen
Seris vergleichende Untersuchungen angestellt wurden.
Bei Untersuchungen dieser Art, wo das Resultat jedes ein-
zelnen Versuches in erster Linie von den 2 Faktoren: Sensibili-
sator und Licht bestimmt wird, und wo das Interesse an die
Veränderungen im Resultat geknüpft ist, welche durch eine
Änderung des ersten Faktors hervorgerufen sind, wird es zweifel-
los vorteilhaft sein, den zweiten Faktor, das Licht, während
aller Versuche konstant sein zu lassen, d. h. beständig mit
qualitativ und quantitativ gleichartigem Licht zu arbeiten.
Künstliches Licht von genügender Intensität und Konstanz
stand indessen nicht zu meiner Verfügung, und ich war daher
gezwungen mit diffusem Tageslicht zu arbeiten. Dies hatte
erstens den Nachteil, daß vergleichende Versuche immer gleich-
zeitig ausgeführt werden mußten, was eine Anzahl zeitraubender
Wiederholungen erforderte; außerdem darf man nur mit einem
gewissen Vorbehalt die Resultate von gleichzeitig angefangenen
Versuchen vergleichen; werden nämlich die Belichtungen nicht
auch gleichzeitig abgebrochen, so wird das Verhältnis zwischen
454 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
den Belichtungszeiten — wegen der ununterbrochenen wech-
selnden Intensität und Qualität des Tageslichtes — nur an-
nähernd ein Ausdruck für das Verhältnis zwischen den den
verschiedenen Präparaten zugeführten Lichtmengen sein').
Die Belichtungsversuche wurden indessen in der Regel in
der Zeit zwischen 10 und 2 Uhr angestellt, also in den Stunden,
während welchen die Veränderung der Stärke und Zusammen-
setzung des Tageslichtes mit der größten Langsamkeit vor sich
geht. Es ist übrigens hervorzuheben, daß die hier er-
wähnten Verhältnisse absolut keine Bedeutung für die
aus meinen Versuchen gezogenen Schlußfolgerungen
haben.
Als Reagens bei den Sensibilisierungsuntersuchungen habe
ich gewöhnlich Paramaecium caudatum-Kulturen benutzt; häufig
sind jedoch auch Reinkulturen von Trypanosoma Brucei zur
Anwendung gelangt, und vergleichende Versuchsreihen sind mit
Flimmerzellen der Frösche, mit roten Blutkörperchen, mit
Fermenten, Toxinen und Alexinen ausgeführt.
Die Paramäcienversuche wurden folgendermaßen geordnet:
Erst wurden Mischungen von Serum mit der sensibilisierenden
Lösung verfertig. Danach wurde in stark gedämpfter Be-
leuchtung eine abgemessene Menge dieser Mischung in eine
!) Der Nutzen der Anwendung photometrischer Messungen bei Ver-
suchen dieser Art ist ziemlich illusorisch, da kein bisher konstruiertes
Photometer die Verschiebungen in der qualitativen Zusammensetzung des
Lichtes angibt. Um möglicherweise diese Schwierigkeit zu überwinden
machte ich u.a. eine Reihe Versuche mit dem Ederschen Photonieter
(siehe Seite 443), indem ich der Ederschen Flüssigkeit eine bestimmte
Menge der sensibilisierenden Lösung zusetzte, mit welcher der betreffende
biologische Versuch ausgeführt werden sollte. Die Reaktion erwies sich
auch als geeignet für eine Sensibilisierung mit einem großen Teil der
photobiologischen Sensibilisatoren, und da die Belichtung durch Glas
vorgenommen wurde, wodurch die sonst besonders wirksamen ultravioletten
Strahlen ferngehalten wurden, hatte ich mir gedacht auf diesem Wege
eine genauere Schätzung der Intensität der bestimmten Spektralstrahlen,
welche für den betreffenden Versuch Bedeutung hatten, erzielen zu können.
v. Tappeiners und Jodlbauers gleichzeitiger Nachweis der Bedeutung
der Sauerstoffspannung für die Reaktionsgeschwindigkeit in der Ederschen
Flüssigkeit, veranlaßte mich indessen — bei diesen Untersuchungen —
die photometrischen Bestimmungen als allzu ungenau und allzu zeitraubend
aufzugeben.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 455
abgemessene Menge Paramäcien-Kultur überführt und nach
dem Schütteln brachte ich Tropfen dieses Präparates unter
dem Deckglas in Böttgerschen feuchten Kammern an. In
Versuchen mit starken Farbstofflösungen ist die Größe der
Tropfen von großer Bedeutung, und es wurde daher Gewicht
darauf gelegt, sie so gleichmäßig groß wie möglich zu machen;
jeder dieser Tropfen enthielt in der Regel acht bis zehn Paramäcien.
Aus jeder Mischung wurden beständig wenigstens acht Deckglas-
präparate hergestellt, von denen ich drei der Einwirkung des
Tageslichtes aussetzte, während das vierte als Kontrolle im Dunkeln
angebracht wurde. Zur weiteren Kontrolle stellte ich außerdem
beständig neben den übrigen Licht-Präparaten ein Präparat mit
normaler Paramäcien-Kultur ohne jeglichen Zusatz. Es passiert
nämlich im Sommer nicht selten, daß selbst diffuses Tageslicht,
vielleicht in Verbindung mit einer hohen Lufttemperatur, auf
nicht sensibilisierte Paramäcien tötend wirkt. Aus demselben
Grund wurden die Präparate gewöhnlich in einem Fenster gegen
Osten angebracht. Zum Vergleich mit den Serumpräparaten
wurden gleichzeitig eine ähnliche Reihe Präparate exponiert,
in welchen das Serum durch ein gleiches Volumen Wasser er-
setzt war. Die angegebenen Tötungszeiten bezeichnen die Zeit
von dem Augenblick, wo die Präparate dem Licht ausgesetzt
wurden, bis zu dem Augenblick, wo sämtliche Paramäcien in
der betreffenden Präparat-Serie tot (d. h. im Auflösungszustand)
vorgefunden wurden.
Paramäcien eignen sich vorzüglich zu Versuchen dieser
Art, und sie sind daher auch häufig von früheren Unter-
suchern bei Sensibilisierungsversuchen benutzt worden. Es
wird indessen notwendig in dem Augenblick besondere Maß-
regeln zu ergreifen, wo die Versuche mit serumbeigemischten
Flüssigkeiten angestellt werden. Erstens das Serum zu ver-
dünnen, da die Paramäcien widrigenfalls infolge der Salz-
wirkung zugrunde gehen, der gegenüber sie äußerst empfind-
lich sind. Goldberger!) bezeichnet eine 0,3 %/, Na-Cl-
Lösung als unschädlich für Paramaecium caudatum, und ich
machte es mir zur Regel die Mischungen von Serum, Farb-
1) Goldberger, H., Die Wirkung von anorganischen Substanzen
auf Protisten. Zeitschr. f. Biologie 48. 1902.
456 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
stofflösung und Kulturflüssigkeit derart herzustellen, daß das
Serum im Verhältnis 1:4 verdünnt wurde. Es hat sich indessen
gezeigt, daß Serum selbst in diesen oder in noch größeren Ver-
dünnungen gegenüber Paramäcien giftige Eigenschaften besitzt.
Dieses Verhalten wurde zuerst von Raab (a. a. O.) beob-
achtet. Ledoux-Lebard!) untersuchte das Verhältnis ein-
gehender. Werden Paramäcien in verdünntes Serum gebracht,
so hören deren Stellenbewegungen nach einigen Minuten auf
(Immobilisierung); Formveränderung tritt vorläufig nicht ein,
und Kornströmungen, sowie ebenfalls ein leichtes Flimmern
lassen sich noch mehrere Stunden lang wahrnehmen. Nach
einiger Zeit tritt in der Regel eine Agglutination ein, indem
die Paramäcien häufig zwei und zwei mit den hintersten Polen
gegeneinander stoßend vereint werden. Hebt man nun zu diesem
Zeitpunkt die Giftwirkung durch z. B. starke Verdünnung mit
Wasser auf, so läßt sich beobachten, wie die Paramäcien ihre
aktiven Bewegungen allmählich wieder aufnehmen, und wie es
den agglutinierten Tieren durch plötzliche schnelle Bewegungen
gelingen kann, sich voneinander frei zu machen. Wird die
Giftwirkung dahingegen nicht aufgehoben, so sterben die Para-
mäcien nach kürzerer oder längerer Zeit; die Zeit ist teils von
dem Verdünnungsgrad des Serums, teils von der Art des Serums
abhängig. Ochsenserum ist besonders stark giftig, Menschen-
serum z. B. in verhältnismäßig geringem Grad giftig. Ledoux-
Lebard fand, daß der hier besprochene Giftstoff (das Serum-
Alexin) bei 30 Minuten langer Erwärmung des betreffenden
Serums auf 55° destruiert wird. Ich fand jedoch eine
derartige Erwärmung betreffs einzelner Seren (z. B. Ochsenserum)
unzureichend, und ich benutzte daher zu den Paramäcien-
versuchen Serum, das 45 Minuten auf 56° erwärmt gewesen
war?). Bei Versuchen mit Trypanosomen war mir der Nachweis
eines Unterschieds zwischen der Wirkung derart behandelten
Serums und der Wirkung normalen Serums gegenüber den
sensibilisierenden Lösungen nicht möglich.
1) Ledoux-Lebard, Action du Serum Sanguine sur les Parameries.
Ann. de l'Institut Pasteur 16, 510. 1902.
» Das derart behandelte Serum wird im folgenden als O-Serum im
Gegensatz zu dem normalen N-Serum bezeichnet.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 457
Rößle!) hat in einer vor kurzem erschienenen Arbeit, ohne
die früheren Untersuchungen auf diesem Gebiete zu kennen,
eine detaillierte Beschreibung der oben erwähnten Alexinwirkung
des Serums gegenüber Paramäcien gegeben. Die Beschreibung
deckt sich in allem wesentlich mit dem oben Ausgeführten;
R’ößle hebt nur bezüglich der Agglutination hervor, daß diese
nicht unter den Paramäcien gegenseitig, sondern zwischen den
Paramäcien und zufälligen Verunreinigungen, Bakterienhaufen
und ähnlichem, vor sich geht. Der Grund hierzu ist vielleicht
darin zu suchen, daß Rößle gewöhnlich mit stark verdünnten
Seren arbeitete; allenfalls habe ich in Verdünnungen 1 Teil
Serum: 3 Teilen Wasser häufig Agglutination zwischen Paramäcien
untereinander beobachtet. Von größerem Interesse ist für die
vorliegende Arbeit folgende Beobachtung. Rößle fand, daß
die Vitalfärbung der spezifisch gelähmten Paramäcien mit
dünnen Neutralrot-Lösungen bedeutend langsamer vor sich ging,
als die Vitalfärbung normaler Paramäcien, und daß die ersten
in Übereinstimmung hiermit auch bedeutend widerstandsfähiger
gegenüber konzentrierten Neutralrot-Lösungen als die letzten
waren. Rößle ist nicht imstande, eine Erklärung dieses
merkwürdigen Verhältnisses zu geben. Es klingt von vorne-
herein ganz unwahrscheinlich, daß gelähmte, schon moribunde
Paramäcien weniger empfänglich als die normalen gesunden
Paramäcien für eine Vitalfärbung oder für die Einwirkung
eines neuen Giftes sein sollten, und dies ist in Wirklichkeit
auch nicht der Fall. Das von Rößle beobachtete Phänomen
ist ausschließlich darauf begründet, daß das vorhandene Serum
die Diffusionsgeschwindigkeit des Neutralrot herabsetzt, ein
Verhältnis, welches später (Absch. 7) näher besprochen werden soll.
Ich teile im Anschluß an das Obenstehende einige Unter-
suchungen über die Wirkung des Lichtes auf die erwähnten
Alexine mit — Untersuchungen, welche für einige der späteren
Versuchsreihen Bedeutung haben. Es erschien mir schon
a priori wahrscheinlich, daß ein so thermolabiler Stoff auch
destruiert werden mußte, wenn er der Einwirkung strahlender
Energie ausgesetzt wurde, und meine Versuche bekräftigen auch
diese Annahme.
1) Rößle, R., Spezifische Sera gegen Infusorien. Archiv für
Hygiene 54. 1905.
458 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuch 1.
N-Kaninchenserum wird in zwei Schmidt-Nielsenschen
Kammern!) angebracht, von denen die eine Glas-, die andere
Quarzwände hat. Die Dicke der Serumschicht beträgt 4 mm.
Die zwei Präparate werden unter möglichst gleichartigen Verhält-
nissen dem ad. mod. Finsen konzentrierten Licht einer elektrischen
Kohlenbogenlampe von 35 Amp. und 45 Volt ausgesetzt, und
sie werden beide während der Belichtung mit kaltem Wasser
überrieselt, wodurch die Wärmewirkung des Lichtes neutralisiert
wird. Die Belichtungszeit beträgt 30 Min.
Danach wird die Giftigkeit der zwei belichteten Seren, sowie
die eines unbelichteten Kontrollserums gegenüber Paramäcien
geprüft.
Durch Glas belichtetes Serum — 1 Teil Param. nach 15 Min.
Leitungswasser — 1 Teil immobilisiert; Param.
Paramäcienkultur — 2 Teile } f 4 Stunden.
Durch QuarzbelichtetesSerum — 1 Teil Param. leben 24 Std.
Leitungswasser — 1 Teil beständig mit nor-
Par. Kultur — 2 Teile j} malen Bewegungen.
Nicht belichtetes Serum — 1 Teil. | Param. nach 15 Min.
Leitungswasser — 1 Teil immobilisiert; Param.
Par. Kultur — 2 Teile } t 4 Stunden.
Der Versuch zeigt, daß das Licht imstande ist,
den für Paramäcien giftigen Stoff im Serum zu de-
struieren, sowie daß die Wirkung den ultra-violetten
Strahlen zuzuschreiben ist, welche Quarz passieren,
jedoch von Glas absorbiert werden. In einem anderen
Versuch konnte ich selbst nach einer 45 Min. langen Belichtung
mit konzentriertem Licht einer 50 Amp. und 45 Volt-Lampe
keine deutliche Wirkung der Glas passierenden Strahlen nach-
weisen. Das Alexin erwies sich indessen als geeignet
für eine Sensibilisierung gegenüber diesen langwelligen
Strahlen, wie es aus folgenden Versuchen hervorgeht.
1) Eine Beschreibung derselben ist in „Mitteilungen aus Finsens
med. Lichtinstitut“ Heft IX zu finden.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 459
Versuch 2.
Untenstehende Mischungen wurden im Dunkelzimmer her-
gestellt:
N-Kaninchenserum — 1 Teil
Eosinlösung (1 —- 800) — 1 Teil
b | N-Kaninchenserum — 1 Teil
“1 Methylenblaulösung (1 — 65000) — 1 Teil
i N-Kaninchenserum — 1 Teil
` | Dichloranthracendisulfosaures Na (1 — 500) — 1 Teil
N-Kaninchenserum — 1 Teil
Kontrolle
| Leitungswasser — 1 Teil.
Von jeder dieser Mischungen wurde ein Teil ins Dunkel
gestellt, während ein zweiter Teil in Schmidt-Nielsenschen
Kammern mit Glaswänden gebracht wurde, um danach
der Einwirkung des Tageslichts ausgesetzt zu werden. Die Dicke
der Flüssigkeitsschicht betrug 7 mm, die Expositionszeit 4 Stunden.
Der Versuch wurde am kürzesten Tage des Jahres ausgeführt
und zur Sicherung einer genügenden Belichtung setzte ich die
Präparate in einer der 4 Stunden direktem Sonnenlicht ‘aus. Die
Belichtung wurde bei Frostwetter am offenem Fenster vor-
genommen, was eine künstliche Abkühlung der Präparate un-
nötig machte, indem die Temperatur im Methylenblau-Präparat,
wo die Wärmesteigerung natürlich am größten war, 23° nicht
überschritt.
Darauf bereitete ich im Dunkelzimmer sowohl Präparate
aus den belichteten wie auch aus den unbelichteten Mischungen,
indem ich jeder derselben gleich große Mengen einer und
derselben Paramäcienkultur zusetzte. Die Präparate wurden
gegen Licht geschützt.
a. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std.
Par. Kultur — 1 Teil | mit normalen Bewegungen.
a. unbelichtet — 1Teil | Par. (im Dunkel) nach 30Min. im-
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; leb. 7 Std. t 18 Std.
b. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std.
Par. Kultur — 1 Teil | mit normalen Bewegungen.
b. unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 40Min. im-
Par. Kultur — 1 Teil j} mobilisiert; leb. 7 Std. t 18 Std.
| 460 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
c. belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb. 24 Std. mit
Par. Kultur — 1 Teil | normalen Bewegungen.
c. unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 30 Min. im-
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; leb. 7 Std. F 18 Std.
Kontrolle belichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 20 Min. im-
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; f 4 Std.
Kontrolle unbelichtet — 1 Teil | Par. (im Dunkel) nach 20 Min. im-
Par. Kultur — 1 Teil | mobilisiert; f 4 Stunden.
Ich muß hinsichtlich der in obenstehenden sowohl wie in
den späteren Versuchen angeführten Zeiten folgendes bemerken:
Die Bezeichnung ‚Par. leb. 24 Std.“ bedeutet, daß sämtliche
Paramäcien der zusammengehörenden Präparate lebend und
anscheinend unbeschädigt 24 Stunden nach Beginn der Versuche
befunden wurden. Betreff der belichteten Präparate gilt, daß
die Exposition meist gegen 10 Uhr vormittags begann; waren
die Paramäcien bis um 7 Uhr abends nicht tot, wurde die
Belichtung am nächsten Morgen bis um 10 Uhr fortgesetzt,
und wurden sie alsdann unbeschädigt befunden, so wurden sie
als „24 Stunden leb.“ bezeichnet. Ich erachtete eine weitere
Belichtung als überflüssig, da mich zahlreiche Versuche über-
zeugt hatten, daß sich -eine weitere schädliche Wirkung des
Lichtes auf Paramäcien so gut wie immer innerhalb der ersten
24 Stunden zu erkennen geben wird.
Bezüglich Paramäcien, die am Abend lebten, dahingegen
am folgenden Morgen tot waren, habe ich die Bezeichnung
„Par. T 24 Stunden“ gebraucht; dies bedeutet also, daß die
Tötungszeit zwischen 9 und 24 Stunden liegt.
Vergleicht man die Resultate des oben beschriebenen
Versuchs 2, so wird eine anscheinende Abweichung auffallend
sein, indem auch die Gittigkeit der unbelichteten Seren recht
variierenden Ausschlag gibt. Die Immobilisierung der Paramäcien
tritt bald nach 20, bald nach 30 und bald nach 40 Min. ein;
die Tötungszeiten varieren ebenfalls von 4 Stunden zuzeiten
zwischen 7 und 18 Stunden. Die Ursache muß, da alle anderen
Verhältnisse gleich waren, im Zusatz der sensibilisierenden
Lösungen gesucht werden, welche also selbst im Dunkel einen
hemmenden Einfluß auf die Alexinwirkung des Serums haben
müssen. Ich machte folgende Versuche zur eingehenderen Unter-
suchung dieses Verhältnisses.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 461
Versuch 3.
Verschieden starke dichloranthracendisulfosaure
Natronlösungen (M. = 451)') werden mit gleichen Teilen
normalen Kaninchenserums vermischt. Zu diesen Mischungen
setzte ich gleiche Teile einer Paramäcien-Kultur, und in ge-
dämpfter Belichtung verfertigte ich hieraus so schnell wie mög-
lich Präparate (hängende Tropfen in feuchten Kammern), die
in diffuses Tageslicht resp. ins Dunkel gebracht wurden. In
den Kontrollpräparaten wird die dichloranthracendisulfosaure
Natronlösung durch ein entsprechendes Volumen Paramäcien-
Kultur ersetzt, so daß der Verdünnungsgrad in allen Präparaten
gleichmäßig war.
In der Tabelle werden folgende Bezeichnungen benutzt.
O — Die Immobilisation eingetreten.
& — Die eingetretene Immobilisation wieder aufgehoben.
+ — Tod eingetreten.
L. — Par. starben infolge der Lichtwirkung.
A. — Par. starben infolge der Alexinwirkung.
—A. — Die Alexinwirkung ganz ausgeblieben.
=
Q
Dichloranthra- | . E PERRE CEE
: au AS Paramäcien im Paramäcien im
cendisulfo- Eee i
Ss giS Licht Dunkel
saures Na d ^ A
Z,
Un Mol.—1
Yo N0.—1| 1
Yo Mol — 1
(--A.) Leb. 24 Tim.
(—-A.) Leb. 24 Tim.
O 40 Min. — @ 6 Stunden
— Hälfte + 24 Stunden (A.)
O 30 Min. + 24 Stunden (A.)
(—A.) t 50 Min. (L.)
(—A.) 1 Stunde (L.)
(—-A.) F 2 Stunden (L.)
yN
Yo Mol.—1| 1 | 2 |085 Min. — & 1'/ Stunde
— Leb. 24 Stunden
Yo Mol.— 1| 1 | 2 JO 30 Min. — & 2!/, StundenjO 30 Min. + 10Stunden(A.)
— Leb. 24 Stunden
Hoo Mol. —1f 1 | 2 | O20 Min. — # 4 Stunden |O 20 Min. t 9 Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
Yoooo Mol. — 1] 1 | 2 | C20 Min. — $ 5 Stunden | O20 Min. F 9 Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
Usoooo Mol. — 1] 1 | 2 1020 Min. + 7 Stunden (A.)| O 20 Min. + 7 Stunden (A.)
Yooooo MOL. — 1] 1 | 2 [O20 Min. + 4 Stunden (A.)| O 20 Min. + 4 Stunden (A.)
Kontrolle 1 3 |O20 Min. + 4 Stunden (A.)| O 20 Min. + 4 Stunden (A.)
1) In der Regel habe ich zu meinen Versuchen grammolekulare
Lösungen benutzt, und ich benutzte die Bezeichnung: !/,, Mol., "/,, Mol. usw.
für Lösungen von "gs, '/so usw. Grammoleküle des betreffenden Stoffes in
1 Liter Wasser.
462 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Es geht mit größter Deutlichkeit aus vorstehender Ver-
suchsreihe hervor, daß eine Hinzusetzung von dichloran-
thracendisulfosaurem Natron zum Serum die Alexin-
wirkung desselben gegenüber Paramäcien aufhebt resp.
hemmt. Die Zahlen in den Rubriken rechts zeigen, daß die
Stärke der dichloranthracendisulfosauren Natronlösung, welche
im Dunkel imstande ist, vollständig die Alexinwirkung ihres
gleichen Kubikinhalts Kaninchenserum aufzuheben, zwischen
1/50 und Y/ıoo Mol. liegt, während sich ein hemmender Einfluß
noch bei bis zu !/soono Mol. Lösungen nachweisen läßt. Betreff
der belichteten Präparate werden die Verhältnisse komplizierter,
indem die Tötungszeiten der Paramäcien von vier einander
entgegenwirkenden Faktoren abhängig werden. Letztere sind:
a) Das Alexin — in dessen Wirkung den Paramäcien gegen-
über.
b) Der Farbstoff — in dessen Wirkung dem Alexin gegenüber.
c) Das Licht — in dessen Wirkung gegenüber dem sensibili-
sierten Alexin.
d) Das Licht — in dessen Wirkung gegenüber den sensibili-
sierten Paramäcien.
Ferner wäre es denkbar, daß die Toxizität der Farbstoff-
lösungen gegenüber den Paramäcien eine Rolle spielen könnte,
und dies ist auch in Versuchen mit mehr giftigen Sensibili-
satoren der Fall; in obenstehendem Versuch ergibt sich für
die Toxizität aber kein Ausschlag. Bei Vergleich mit den
Dunkelpräparaten kann man aber leicht die Wirkungen der
oben genannten Faktoren auseinander halten. In den Präpa-
raten mit den konzentrierten Farbstofflösungen (Yss und sy
Mol.) bleibt die Alexinwirkung infolge b) ganz aus. In der
nun folgenden Lösung ("/ıoo Mol.) trägt c) zur Aufhebung der
Alexinwirkung mit bei, indem diese betreffs der Dunkelpräparate
einen deutlichen Ausschlag aufweist. Die Paramäcien werden
noch in dieser Konzentration von d) getötet. In den stärkeren
Verdünnungen wird dahingegen keine Wirkung von d) verspürt,
wohingegen c) sich deutlich bis zu V/soooo Mol. Lösungen er-
kennen läßt, wo das Resultat in Licht und Dunkel dasselbe ist
und wo die geringe Hemmung der Alexinwirkung augenschein-
lich auf b) zurückzuführen ist. Erst !/100000 Mol. dichloranthracen-
disulfosaure Na-Lösungen erweisen sich sowohl im Licht wie
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 463
auch im Dunkel ohne Einfluß auf die Alexinwirkung des
Serums.
Man wird in untenstehender Tabelle, in welcher ich die
Resultate eines Versuches mit Rose Bengal zusammengestellt
habe, ganz analoge Verhältnisse finden. Dieser Stoff ist gegen-
über Paramäcien bedeutend giftiger als das dichloranthracen-
disulfosaure Natron und die Toxizität gibt sich daher auch be-
treff der konzentriertesten Lösungen zu erkennen, wo diese Ur-
sache zum Tod der Paramäcien mit einem T. angedeutet ist.
Versuch 4.
Rose Bengal. (Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na.)
M. = 1018.
g |5
Rose Bengal 2e z Paramäcien im Paramäcien im
5 Ç © E Licht Dunkel
Z |&
Ya Mo.—ılı)2| <A) 12Min (L.)|(—4.) +5Min (T)
Yo Mo.—-ı|ı)|2]| A.) +6Min (L.) | (-A.) Hälftet24 Std. (T.)
Yo Mol.—1ļ]|1 |2| A) +20Min. (L.) | (—A.) Leb. 24 Stunden
Yo Mol.—1ļ| 1 |2| (A) +t45Min. (L.) |030 Min. — & 4Stunden
Hälfte t 24 Stunden (A.)
Yoo Mol.—ı] ı|2| (A. t1 Stunden (L.) |O 20 Min. Größter Teil
+ 24 Stunden (A.)
Yon Mol.—ı|ı1[|2| (A) +5Stunden (L.) jO 15 Min. t 24 Stunden (A.)
sooo Mol.—1|1| 2 | (—A.)Hälfter24Tim. (L.) |O 15 Min. t 24Stunden (A.)
Yooo Mol.—1ı1| 1 |2| (A. Leb.24Stunden [015 Min. t 24Stunden (A.)
Ysoooo Mol. — 1] 1 |2 |O035Min. — & 2Stunden |O 15 Min. t 24Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
O 25 Min. — &3Stunden [O 15 Min. + 24Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
"/sooooo Mol. — 1| 1 | 2 |O 15Min. — &5Stunden |O 15 Min. t 7 Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
"/ioooooo Mol. — 1| 1 | 2 {O 15 Min. — & 10 Stunden |O 15 Min. + 5 Stunden (A.)
— Leb. 24 Stunden
12000000 Mol.— 1 | 1 | 2 [O15 Min. + 7Stunden (A.) |O 15Min. t 4'/,Stunden(A.)
"/soooooo Mol.— 1 | 1 | 2 [015Min. + 4'/, Stunden (A.) |O 15Min. + 4'/, Stunden (A.)
Kontrolle 1 | 3 |015Min. + 4°/,Stunden(A.) [O 15Min. + 4'/, Stunden (A.)
Die Tabelle zeigt, daß bei Mischung eines Teiles Rose
Bengal-Lösung von ungefähr 1/200 Mol. mit einem Teil Kaninchen-
serum und zwei Teilen Paramäcienkultur — wenn die Präpa-
rate in Dunkel gehalten werden —, absolut keine Giftwirkung
gegenüber den Paramäcien weder seitens des Farbstoffes noch
Biochemische Zeitschrift Band L 81
xD
idasi Mol. — 1 1
464 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
seitens des Serumalexins zu beobachten ist. Benutzt man
dagegen entweder eine stärkere oder eine schwächere Rose
Bengal-Lösung, so gehen die Paramäcien zugrunde — im ersten
Fall wegen der Toxizität des Farbstoffes, im letzten wegen der
Alexinwirkung. Setzt man die Präparate der Einwirkung des
Tageslichtes aus, so wird das Verhältnis ein ganz anderes. In
diesem Fall werden sich die Paramäcien vollständig unbeeinflußt
seitens der verschiedenen schädlichen Agenzien in den Präparaten
erweisen, zu deren Herstellung Rose Bengal-Lösungen von ca. '/10000
Mol. verwendet sind. In den konzentrierteren Lösungen werden
die Paramäcien vom Lichte getötet, und in mehr verdünnten
Lösungen wird die Alexinwirkung stärker und stärker hervor-
treten.
In den obenstehenden Versuchen haben wir noch ein
Verhältnis, das betont zu werden verdient, da es für die.
Auffassung des photobiologischen Sensibilisationsprozesses von
theoretischem Interesse ist. Es wird betreff beider Tabellen
auffallend sein, daß die sensibilisierende Fähigkeit der Serum-
farbstoffmischungen gegenüber dem Alexin noch deutlich in
einer Reihe Verdünnungen zutage tritt, in welchen jegliche
Spur einer sensibilisierenden Wirkung gegenüber Paramäcien
aufgehört hat. Die Ursache ist nach meiner Ansicht darin zu
suchen, daß die Lichtwirkung gegenüber dem Paramäcienrest
in dem Augenblick zustande kommt, wo etwas des Farbstoffes
in deren Körper diffundiert ist, während ein derartiges Hinder-
nis der sensibilisierenden Wirkung der Farbstoffe gegenüber
Lösungen nicht organisierter Stoffe wegfällt. Hierzu kommt,
daß die Diffusionsfähigkeit der Farbstoffe durch die Serumbei-
mischung ganz bedeutend herabgesetzt wird und daß sie, be-
treffs der Serum-Farbstoffmischungen, in denen sich eine sen-
sibilisierende Fähigkeit gegenüber Paramäcien nicht länger nach-
weisen läßt, praktisch gleich Null ist. (Vergleiche die Diffusions-
versuche in VII.)
Die hier erwähnte Fähigkeit, die spezifische Gift-
wirkung des Serums gegenüber Paramäcien im Dunkel
zu verringern resp. aufzuheben, habe ich bei allen
den Stoffen in der Fluoreszeinreihe gefunden, deren
Wirkung ich bezüglich dieses Punktes zur Unter-
suchung heranzog: Tetrabromfluoreszein-Na, und Tetra-
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 465
jodfluoreszein-Na, Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na,
und Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na. Dieselbe Wir-
kung wurde mit mehreren Farbstoffen anderer chemi-
schen Gruppen erzielt, z. B. mit dichloranthracen-
disulfosaurem Na und Phenosafraninchlorid.
Alle die genannten Stoffe wirken außerdem im
Licht als kräftige Sensibilisatoren gegenüber dem
Serum-Alexin.
Eine Beimischung der oben erwähnten sensibili-
sierenden Stoffe zum Blut hat auch einen anderen
Ausschlag zur Folge, sie heben nämlich die Koa-
gulationsfähigkeit des Blutes auf oder verringern die-
selbe, gleichviel ob die Beimischung in corpore oder
in vitro geschieht.
Versuch 5.
Graues Kaninchen; Gewicht 2650 g. — 48 ccm einer
2°/,igen Eosinlösung (in 0,4 °/o NaCl) werden innerhalb 11 Mi-
nuten durch die vena jugularis dem Kaninchen beigebracht,
— also 0,36 g Eosin-Na pro Kilo Kaninchen. — 10 resp.
30 Minuten nach Schluß der Injektion werden von Art. carotis
"Blutproben genommen. In den in den Eisschrank gestellten
Blutproben tritt keine Koagulation ein; nach 24 Stunden findet
man in beiden Präparaten unten die sich als Bodensatz ab-
gesetzten Blutkörperchen und oben eine Schicht stark eosin-
grefärbtes, jedoch klares nicht geronnenes Plasma.
Versuch 6.
Graues Kaninchen; Gewicht 2850 g. Es werden 28 ccm
einer 2°/,igen Eosinlösung (in 0,4°/, NaCl) intravenös injiziert,
also 0,2 g Eosin-Na pro Kilo Körpergewicht. 10 Minuten nach
Schluß der Injektion werden 20 ccm Blut aus der Art. carotis
genommen.
Nach 14-stündigem Stehen im Eisschrank findet man in
der Blutprobe ein Koagulum von ca. 4 ccm Größe. Der Rest
wird zentrifugiert und zeigt sich nach der Zentrifugierung als
in zwei Schichten koaguliert, indem die Blutkörperchen vor
dem Eintreten der Koagulation Zeit erhalten haben, sich ab-
zusetzen.
31*
466 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Um einen Überblick zu erhalten, eine wie große Menge
des betreffenden Farbstoffes erforderlich ist, um die Koagulation
einer bestimmten Menge Blutes zu verhindern, machte ich
folgende Versuche in vitro.
Versuch 7.
Kaninchenblut wird aus der Art. carotis direkt in eine Reihe
Eosinlösungen verschiedener Stärke geleitet. Einem Teil Eosin-
lösung werden 2 Teile Blut zugesetzt. Da die Eosinlösungen
nicht mit einer physiologischen Kochsalzlösung isotonisch sind,
werden Kontrollversuche mit destilliertem Wasser resp. mit
einer 0,85 °/,igen NaCl-Lösung vorgenommen.
6 cem Blut-+3ccm dest. Wasser — nach 5 Min. koaguliert
6 u, „ +3 „ 0,85%-iges NN Cl— „ 5 „ j
6 „ „ +3 „ Eosin-Na(1:25) — — Koagulation
Do ae PO a „ 1:50) — — j
6,» 8, „ (1:100) — unvollständ. Koagulation
6. „ +8, „ (1:200) — m a
6 „ „ #8, „ (1:400) — a 5
6 s» +3 „ „ (1:800) — = j
6 a a TFS „ „ (1:1600) — nach 5 Min. koaguliert.
In den mit „unvollständige Koagulation‘ bezeichneten
Präparaten nimmt die Größe des Koagulums mit dem Ver-
dünnungsgrad der Eosinlösung zu. Im letzten Präparat ist die
Koagulation ungefähr vollständig, jedoch ist das Koagulum
weniger fest als in den Kontrollmischungen.
Die übrigen Stoffe in der Fluoreszeinreihe sowie das Me-
thylenblau haben eine ähnliche Wirkung.
Versuch 8.
6ccm Blut + 3ccm Methylenblau(1:50) — — Koagulation
6 u» +3 „ y9 (1:100) — unvollst. Koagulation
65» +83, j (1:200) — j i
Ich will im Anschluß an obenstehendes noch anführen,
daß koaguliertes Blut Rose Bengal-injizierter Kaninchen auf-
fallend häufig fehlende Tendenz zur Zusammenziehung und
Serumausscheidung aufweist.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 467
III.
Über den Einfluß des Serums auf die toxischen Eigenschaften
photobiologischer Sensibilisatoren.
Nachdem ich im vorhergehenden nachgewiesen habe, wie
eine Reihe — in ihrer chemischen Konstitution recht ver-
schiedenartige Sensibilisatoren sowohl direkt (im Dunkel) wie
auch indirekt (im Licht) imstande sind, die toxischen Wirkungen
des Serums zu verringern oder gänzlich aufzuheben, will ich
in diesem Abschnitt einige Versuche besprechen, aus welchen
hervorgeht, daß die Einwirkung in dieser Beziehung insofern
gegenseitig ist, als die Serumbeimischung ebenfalls die Toxizität
der betreffenden Sensibilisatoren verringert resp. aufhebt.
Die Versuchsanordnung war folgende: Aus dem zur Unter-
suchung vorliegenden Stoff wurden eine Reihe Lösungen ab-
nehmender Konzentration hergestellt; aus jeder dieser Lösungen
machte ich danach Mischungen zu gleichen Teilen mit Serum
resp. mit Leitungswasser. Das benutzte Serum war vorher
45 Minuten lang auf 56° erhitzt worden. Sämtlichen Mischungen
wurde danach das gleiche Volumen einer Paramäcienkultur zu-
gesetzt, so daß jedes Präparat 1 Teil Farbstofflösung, 1 Teil
Serum — resp. Leitungswasser — und 2 Teile Paramäcienkultur
enthielt.
Versuche dieser Art müssen natürlich am besten in ab-
solutem Dunkel ausgeführt werden, da die Wirkung des Lichtes
auf die sensibilisierten Paramäcien sonst leicht die Richtigkeit
der Resultate kompromittieren wird. Namentlich in Versuchen
mit stark wirkenden Sensibilisatoren wie z. B. Rose Bengal,
kann selbst eine geringe Lichtmenge außerordentlich störend
wirken. Die Mischungen wurden daher in Reagenzgläsern vor-
genommen, die im voraus in Gehäusen lichtdichten schwarzen
Papiers angebracht waren, und die augenblicklich zugepfropft
wurden. Zur weiteren Sicherheit arbeitete ich beständig bei so
stark gedämpfter Belichtung, daß sich die Einteilung der Pipetten
gerade ablesen ließ. Bei der Untersuchung der Präparate war
die Anwendung von Licht ja indessen nicht zu vermeiden, je-
doch sicherte ich mich gegen dessen Einfluß auf die Tötungs-
zeiten der Paramäcien durch folgendes Verfahren:
468 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Ich goß im Dunkelzimmer in bestimmten Zwischenräumen
Proben der Präparate in Uhrgläser über, und die Proben unter-
suchte ich danach beim Schein eines Stearinlichtes unter einem
im voraus eingestellten Mikroskop. Ist alles wohl vorbereitet,
so erfordert die Entscheidung dessen, ob die Paramäcien noch
leben oder tot sind, nur einige wenige Sekunden lange Be-
obachtung, so daß die schwache Beleuchtung keine Zeit zur
Beeinflussung des Bildes erhält, und durch beständiges Unter-
suchen neuer Proben von den in absolutem Dunkel aufbewahrten
Präparaten vermied ich eine Summierung wiederholter Licht-
wirkungen.
Versuch 9.
Tetrabromfluoreszein-Na (Eosin-Na).
M. = 692.)
Lei-
tungs-
wasser
Tetrabrom-
fluoreszein- Paramäcien im Dunkel
+25 Min.
Größtenteils + 24 Stunden
+1 Stunde
Leb. 24 Stunden
Hälfte + 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Orn Sm Om Orm
kO oO O5 -m&
DD ON ON DD
Die Toxizitätsherabsetzung ist schon in diesem Versuch
unverkennbar — tritt aber im folgenden Versuch mit dem
in wässerigen Lösungen stark toxischen Rose Bengal viel
stärker hervor.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 469
Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na (Rose Bengal)».
Tetrachlor-
tetrajod-
fluoreszein-
Na
z—
3/300
[s00
ie 000
Y 2000
1/
[5000
1
/10000 Mol.
D soa Mol.
E4
2
ew Se -
T S S g
©
—
. . e . . . . .
i Te
Lei-
tungs-
wasser
Onm Om Om Om Om Om Om Omm Om Om
Versuch 10.
(M. = 1018.)
0-
Kanin- | Param.-
chen- Kultur
Serum
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
0 2
1 2
Paramäcien im Dunkel
+ Momentan
+ 5 Min.
+ Momentan
+ 30 Min.
+ Momentan
Hälfte + 24 Stunden
+ Momentan
Leb. 24 Stunden
+ Momentan
Leb. 24 Stunden
+ 1 Min.
Leb. 24 Stunden
+ 5 Min.
Leb. 24 Stunden
+ 35 Min.
Leb. 24 Stunden
Hälfte + 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
1) Rose Bengal ist schwer löslich in Leitungswasser, und klare
Lösungen erhält man erst in Verdünnungen von 1: 15000 bis 1 : 20000. —
In destilliertem Wasser ist Rose Bengal dahingegen sehr leicht löslich,
und wird eine derartig hergestellte konzentrierte Rose Bengal- Lösung
durch Beimischung von Leitungswasser verdünnt, so hält sie sich klar.
470 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuch 11.
Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium!) (M. = 830).
Tetrachlor- Lei 0-
R B in- | P -
tetrabrom (as: Kanin sram Paramäcien im Dunkel
fluoreszein- E chen- Kult
Ka Serum
; 1 1 0 2 + Momentan
fso Mol.d] 0 1 2 + 15 Min.
1 1 0 2 + Momentan
'hs Mol.| 0 1 2 t 30 Min.
/ Mol f1 1 0 2 t Momentan
100 Ti 0 1 2 Hälfte + 24 Stunden
1 1 0 2 + 23 Min.
'/a00 Mol.f] 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 + 10 Min.
soo Mol. TE 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 + 10 Min.
"1000 Mofi] 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 + 25 Min.
'/2000 Mol.fi 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 + 4 Stunden
15000 Mol. 0 1 2 Leb. 24 Stunden
'/ Mol. J1 1 0 2 Leb. 24 Stunden
10000 01.) 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1) Mit diesem Stoff, dessen sensibilisierenden Eigenschaften früher
nicht untersucht sind, habe ich eine Reihe Untersuchungen angestellt,
welche folgende Resultate ergaben: Tetrachlortetrabromfluoreszein-Kalium
ist leicht löslich in Wasser mit einer prachtvoll grünen Fluoreszenz, welche
sich mit konzentriertem Sonnenlicht noch in Lösungen von 1 : 200000000
hervorrufen läßt. Lösungen in Methylalkohol geben eine mehr gelbliche
Fluoreszenz in Übereinstimmung mit der Verschiebung der Absorptions-
linien im Spektrum nach rot. Die wässerigen Lösungen besitzen eine sehr
kräftige sensibilisierende Fähigkeit, welche in Versuchen mit Paramäcien
noch in Verdünnungen 1:10000000 sich zeigt. Die Toxizität ist in oben-
stehender Tabelle angedeutet.
Wie in der Einleitung erwähnt, haben v. Tappeiner und Jodl-
bauer die Aufmerksamkeit auf das eigentümliche Verhältnis gelenkt, daß
die sensibilisierende Fähigkeit bei Stoffen derselben chemischen Gruppen
gegenüber Paramäcien am schwächsten bei den am kräftigsten fluores-
zierenden und am stärksten bei den am schwächsten fluoreszierenden Stoffen
ist. Dies tritt bei der Fluoreszeingruppe am deutlichsten hervor. Tetrachlor-
tetrabromfluoreszein scheint indessen eine Ausnahme von dieser Regel zu
bilden, da sowohl dessen sensibilisierende Fähigkeit, wie auch dessen
Fluoreszenz stärker als die des Erythrosins (Tetrajodfluoreszein-Na) ‘ist.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 471
Versuche mit anderen Stoffen der Fluoreszeinreihe (z. B.
Erythrosin) ergaben bezüglich der Toxizitätsherabsetzung durch
Serumbeimischung entsprechende Resultate, und es ist daher
wohl anzunehmen, daß sich alle Derivate des Fluoreszeins in
gleicher Weise verhalten. — Dasselbe gilt für das relativ wenig
giftige dichloranthracendisulfosaure Na und das stark toxische
Cyanin:
Versuch 12.
Dichloranthracendisulfosaures Na (M. = 451).
Dichlor- Lei- O-
anthracendi- Kanin- | Param.- ee
ulfossunez tungs- pon Kul Paramäcien im Dunkel
wasser tur
Na erum
1 1 0 2 + 6 Stunden
as Mol. | 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 + 24 Stunden
Yo Mol. Fi 0 1 2 Leb. 24 Stunden
Ya Mol 1 1 0 2 Größter Teil F 24 Stunden
100 ıı 0 1 2 Leb. 24 Stunden
so MO. jij 0 1 2 Leb. 24 Stunden
Yon Mol 1 1 0 2 Leb. 24 Stunden
1000 11 0 1 2 Leb. 24 Stunden
Versuch 13.
Chinolinblau (Cyanin. purissim. Merck) (M. = 538).
Cyanin (1:30,000) — 1 Teil
Destilliertes Wasser — 1 Teil Par. im Dunkel t 30 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
Cyanin (1: 30,000) — 1 Teil
O-Kaninchenserum — 1 Teil Par. im Dunkel leb.
Par.-Kultur — 2 Teile 43 Stunden.
Cyanin ist schwer löslich in Wasser und es ist selbst in
bedeutenden Verdünnungen schwer, klare Flüssigkeiten zu er-
halten. Der Stoff ist als ein vorzüglicher photographischer
Sensibilisator bekannt, während dessen sensibilisierende Fähig-
keit gegenüber photobiologischen Prozessen zweifelhaft oder
mindestens wenig ausgeprägt ist.
472 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Die Ursache zur sensibilisierenden Fähigkeit einer Lösung
ist, wie ich im ersten Abschnitt geltend zu machen suchte,
wahrscheinlich in gewissen optischen Eigentümlichkeiten zu
suchen, welche nicht nur von der chemischen Konstitution des
aufgelösten Stoffes bestimmt werden, sondern für welche auch
andere Faktoren (das Lösungsmittel, die Dissoziationsgrade usw.)
eine Rolle spielen. Es ist daher a priori kein Grund zu der
Annahme vorhanden, daß die durch Serumhinzusetzung hervor-
gerufene Toxizitätsherabsetzung für Stoffe mit sensibilisierenden
Eigenschaften eigentümlich sein sollte. Mit großer Deutlichkeit
geht daher auch das Gegenteil aus folgenden Versuchen mit
den zwei, einander in chemischer Beziehung so nahestehenden
Stoffen: Hydrastininchlorid und Cotarnin (Oxymethylhydrastinin)
hervor, von denen der erste fluoreszierend und stark sensibili-
sierend ist, während der letzte (nach meinen eigenen Versuchen)
keine dieser Eigenschaften besitzt.
Versuch 14.
Hydrastininumhydrochloricum (Merck).
Hydra- Ö- A
ini 5 L it e 1 a ..
ae we Erona EEE Paramäcien im Dunkel
hydro- wasser chen- Kultur
chloricum serum
20 (if o foa | oa fO +
ee #34, Stunden
|| Hoss
ll ao | ı | 3 stunden
wo fi] o | 2 | 2 | TRi Stunde
1—20 (3 o | 1 | 2 | Teb 24 Stunden
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 473
Versuch 15. Cotarnin (Stypticin) (Merck).
O-
Leitungs-}| Kanin- | Param.-
Cotarnin Paramäcien im Dunkel
wasser chen- Kultur
serum
|
[1 1 0 2 730 Min.
AN. Il 8 1 2 +4, Stunden
1250 1 1 0 2 745 Min.
1 0 ı 2 Größter Teil + 24 Stunden
ie 3 0 2 +1 Stunde
1 0 1 2 Einzelne } 24 Stunden
il i 0 2 +1'/, Stunde
u | 1 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 +24 Stunden
1—1000 | 11 0 1 2 Leb. 24 Stunden
1 1 0 2 Leb. 24 Stunden
iiai | 0 1 2 Leb. 24 Stunden
Ein Vergleich zwischen diesen zwei Tabellen ergibt, daß die
Toxizitätsherabsetzung bei dem nicht sensibilisierenden Cotarnin
bedeutend ausgeprägter als bei dem stark sensibilisierenden
Hydrastininchlorids ist.
Binz!) wies schon im Jahre 1867 nach, daß die Giftwirkung
der Chininsalze gegenüber Infusorien außerordentlich groß ist,
und bezüglich des therapeutischen Wertes des Chinins bei der
Behandlung der Malaria sind ‚Versuche über den Einfluß der
Serumzusetzung auf die Toxizität der Chininlösungen von þe-
sonderem Interesse.
Versuch 16. Chininum sulfuricum.
I. Chininsulfat (1:5000) — 1 Teil
Destilliertes Wasser — 1 Teil Par. (im Dunkel)
Par. - Kultur — 2 Teile f 2 Stunden.
Chininsulfat (1 : 5000) — 1 Teil í
O.-Kaninchenserum — 1 Teil Par. (im Dunkel)
Par. - Kultur — 2 Teile T 8 Stunden.
) Binz, Wirkung antiseptischer Stoffe auf Infusorien von Pflanzen-
jauche. Centralbl. f. med. Wissensch. Nr. 20. 1867.
474 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
II. Chininsulfat (1:10000) — 1 Teil Par: im Danke)
ar. (im Dunke
Destilliertes Wasser — 1 Teil
Par.- Kultur — ? Teile t 5 Stunden.
Chininsulfat (1 : 10000) — 1 Teil l
O.-Kaninchenserum — 1 Teil | Par. (im Dunkel) leb.
Par. - Kultur — ? Teile 24 Stunden.
Der Versuch zeigt eine deutliche Hemmung der Giftwirkung
in den Serumpräparaten, und selbst wenn die Toxizitätsherab-
setzung bei weitem nicht so ausgeprägt wie z. B. in den Ver-
suchen mit den Derivaten des Fluoreszein ist, so spricht sie
doch gegen die Auffassung, daß das Chinin bei der Malaria-
behandlung als ein direktes Blut-Desinfizienz wirkt.
Das Ehrlichsche „Trypanrot“, daß schon in wässerigen
Lösungen eine auffallend geringe Toxizität sowohl gegenüber
Trypanosomen wie auch Paramäcien aufweist, wird durch Serum-
zusatz so gut wie vollständig ungiftig. Meine Versuche zeigten
indessen, daß die Paramäcien wohl wochenlang in selbst starken
Trypanrot-Lösungen zu leben vermochten, daß sie jedoch ihre
Fortpflanzungsfähigkeit einbüßen, und daß sich diese Hemmung
der Fortpflanzungsfähigkeit noch in so dünnen Lösungen wie
1:5000 geltend macht selbst nach Serumzusatz. Vielleicht
kann diese Beobachtung zum Verständnis des bisher unbekannten
Prinzips der Chromotherapie beitragen.
Ich führe noch einige Versuche mit nichtsensibilisierenden
Giftstoffen an’).
Versuch 17. Fuchsin (Salzsaures Rosanilin).
Fuchsin (1:1000) — 1 Teil
Leitungswasser — 1 Teil } Par. (im Dunkel) ł 10 Min.
Par. - Kultur — 2 Teile
1) In einer Arbeit (Zeitschr. f. physiolog. Chemie 47, 173. 1906),
die erst, nachdem diese Abhandlung im Manuskript vorlag, erschienen ist,
erwähnten Bechhold und Ehrlich, daß verschiedene stark giftige
Stoffe (Tetrabrom-o-Kresol, Hexabromdioxydiphenylkarbinol, Tetrachlor-
o-biphenol) im Serum ihre Toxizität gegenüber Bakterien einbüßen. —
B. u. E. nehmen als wahrscheinlich an, daß die betreffenden Stoffe mit
dem Serum-Eiweiß Verbindungen eingehen, obgleich sie es nicht fällen —
eine Hypothese, deren Richtigkeit ihre Bekräftigung in meinen Unter-
suchungen findet.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 475
Fuchsin (1:1000) — 1 Teil
O.-Kaninchenserum — 1 Teil }Par. (im Dunkel) t 3 Stunden.
Par. - Kultur — 2 Teile
Versuch 18. Strychnin. nitric.
Par. (im Dunkel)
Strychnin. nitric. (1 : 500) — 1 Teil
Leitungswasser — 1 Teil :
Par.- Kultur — 2 Teile | m a0. 2m:
Strychnin. nitric. (1: 500) — 1 Teil
O.-Kaninchenserum — 1 Teil Par. (im D unkel)
Par. - Kultur — 2 Teile T 10 Min,
Die Versuche ergeben eine bedeutende Toxizitätsherabsetzung
betreff des Fuchsins; die Giftigkeit des Strychnins scheint
dagegen von dem Serumzusatz ganz unbeeinflußt zu sein.
Die angeführten Versuchsresultate werden genügen um
festzustellen, daß eine Hinzusetzung von Serum die toxi-
schen Wirkungen einer großen Menge sensibilisierender
(wie auch nichtsensibilisierender), verschiedenen
chemischen Gruppen entnommener Stoffe gegenüber
Paramäcien verringert resp. aufhebt, und obwohl fort-
gesetzte Untersuchungen auf diesem Gebiet von bedeutendem
Interesse in toxikologischer Beziehung sein würden, so will ich
mich doch hier, mit Rücksicht auf die Begrenzung des Themas,
mit dem oben Mitgeteilten begnügen.
Die Ursache der herabgesetzten Giftigkeit bespreche ich in
einem der folgenden Abschnitte.
IV.
Über den Einfluß des Serums auf die spezifischen Eigenschaften
der photobiologischen Sensibilisatoren.
Die Hauptzüge der von mir bei den folgenden Unter-
suchungen angestellten Versuchsanordnung sind betreff der
Paramäcien-Versuche schon in II. beschrieben, und ich gehe
daher gleich dazu über, die Resultate der Versuche zu be-
sprechen.
476 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuch 19.
Eosin-Na (Tetrabromfluoreszein-Na) (M. = 692).
gla |B
Tetrabrom- | s EPI Asa a
. = 221% Paramäcien Paramäcien
Muonszein: | BE 5]: im Licht im Dunkel
faoi
z ©
Na = 6 :
Alo |œ
+5 Min. +25 Min. (T)
1 Mol J 1 1 0 2 . ee. .
25 "11j0|1|2 +30 Min. GrößterTeil + 24Std.(T.)
Ya Mol [111|012 +10 Min. t1Stund (T.)
50 "11|0|)1|2 +45 Min. Leb. 24 Stunden
a Mol 1[1[0|2 + 10 Min. Hälfte + 24 Stunden (T.)
100 "\1[0|I1|2 t1 Stund Leb. 24 Stunden
ı/ Mol | 111!0|2 + 15 Min. Leb. 24 Stunden
2 Moliı1l0o|ıla + 1'/, Stunden n 24 nm
1/ Mol 11110}, 2 +t 20 Min. n 24 n
[500 Jılolı!a +4 Stunden n 24 ,„
Yo Mol. (1110| 2 +35 Min. n 24 y
1000 '| 1| 0 | 1 | 2 | Größter Teil + 24 Std. n 243 „
i / Mol 1111I0|2 +1 Stunde n 24 n
2000 "11]0|)1|2 Leb. 24 Stunden n 24 „
[1l1ıj0|2 + 1'/, Stunden 24
/sooo Mol. 1110|1|2 Leb. 24 Stunden ; 24 i
10000772114 OE 2 Leb. 24 Stunden n 2t p,
Y eooo Mol 1ļ|1/02 Leb. 24 Stunden n A „
soono Ol) 0ol1l2 Leb. 24 Stunden n 24 y
Kontrolle] 1|1]|2 Leb. 24 Stunden p- 4 y
Es geht aus der Tabelle hervor, daß die Tötungszeiten in
den Serumpräparaten bei allen konzentrierten Eosinlösungen
bedeutend verlängert sind, und daß die sensibilisierenden
Wirkungen des Eosins in Lösungen von "/gooo Mol. und darunter
vollständig durch Hinzusetzung gleicher Teile Serum aufgehoben
werden. |
Dieser hemmende Einfluß der Serumhinzusetzung auf die
spezifischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe tritt noch
schöner in dem folgenden Versuch mit Rose Bengal hervor,
gerade weil die sensibilisierende Fähigkeit dieses Stoffes so
außerordentlich stark in wässerigen Lösungen ist').
1) Durch besondere Versuchsanordnungen konnte ich die sensibili-
sierende Wirkungen von Rose Bengal gegenüber Paramäcien in Lösungen
bis zu 1:20000000 nachweisen.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 477
Versuch 20.
Rose Bengal (Tetrachlortetrajodfluoreszein-Na)
(M. = 1018).
ae ren
- £. E Paramäcien Paramäcie
ıl2 33|& r i ramäcien
Rose Benga AEE : im Licht im Dunkel
ale lg
aA 1 2 Z ea
/ AREIS. | 0 |2 + momentan t momentan (T.)
50 "I 0| l1 |2 t 2 Min. +5 Min. CL.)
ı/ Mol, /1] 1] 0 |2 t momentan t momentan (T.)
100 #110 | 1 | 2 76Min , Hälfte + 24 Stunden (T.)
i Mol. 11773 | 0 | 2 t momentan t momentan (T.)
200 I1] 0 | 1 | 2 + 20 Min. Leb. 24 Stunden
Mol. 11210 | 2 t momentan t momentan (T.)
/500 11 0 | 1 | 2 + 50 Min. Leb. 24 Stunden
Mol! 1| 110 |2 + momentan + 1 Min. (T.)
/1000 lılolıla + 1%/, Stunden Leb. 24 Stunden
R ARETES GE + 1 Min. t5 Min (T)
er FEN a t 5 Stunden Leb. 24 Stunden
j Mol. 11 110/2 + 2 Min. 735 Min. (T.)
000 "11] O| 1 |2 |GrößterTeil leb. 24 Std. Leb. 24 Stunden
ı/ Mol 1 20012 +2 Min. Größter Teil leb. 24 Std.
10000 11181318 Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden
1, Mol PURER DE +5 Min. Leb. 24 Stunden
sooo 711] 0 | 1 | 2 Leb. 24 Stunden n 24 n
ERSE DE. + 10 Min. 24
/ıooooo Mol. I1lolı | 2 Leb. 24 Stunden i 24 á
11111072 + 2 Stunden 24
/sooooo Mol. I110|1|2 Leb. 24 Stunden 5 24 i
3/ Mol 3131912 + 4 Stunden > aM
1000000 1110112 Leb. 24 Stunden n 24 y
1/ Mol [1] 1| 0 |2 | Größter Teil leb. 24 Std. ao
900 >77 a 01.1.19 Leb. 24 Stunden n A n
Kontrolle |1/1|2 Leb. 24 Stunden wo
Die Beimischung eines gleichen Volumens Serum hebt also
die sensibilisierende Wirkung der Rose Bengal-Lösungen von
ca. Ysooo Mol. und darunter auf. Bei den Eosinlösungen
lag die Grenze schon bei "/sooo Mol. Der Unterschied kann
seine Ursache darin haben, daß die sensibilisierende Wirkung
äquimolekularer Rose Bengal- und Eosin-Na-Lösungen in diffusem
Tageslicht ungefähr 1000mal größer bei dem ersten als bei
478 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
dem letzten Stoffe ist, so daß ein eventueller minimaler
Überschuß wirksamen Rose Bengals deutlichen Ausschlag zu
geben vermöchte, wo ein ebenso großer Überschuß wirksamen
Eosins in Versuchen mit Paramäcien keine zu beobachtende
Wirkung besitzt. Es ist möglich, daß der Unterschied weg-
fallen würde, falls man die Versuche mit dieser oder jener
nicht organisierten Reagens z. B. Invertin anstellte.
Die übrigen Stoffe der Fluoreszeingruppe, deren diesbe-
zügliches Verhältnis ich untersucht habe, wiesen eine ähnliche
herabgesetzte sensibilisierende Fähigkeit nach Serumzusatz wie
Eosin-Na und Rose Bengal auf. Ich führe folgende Versuche
als Beispiele an:
Versuch 21. Dichlortetrabromfluoreszein-Na.
Dichl.-Na (1:10000) — 1 Teil
Leitungswasser —1Teil | Par. |7 ee
Param.-Kultur — 9 Teile im Dunkel leb. 24 Std.
Dichl.-Na (1:10000) — 1 Teil l ,
O-Kaninchen-Serum Zen 1 Teil Par. ia Licht leb. 24 Std.
Param.-Kultur BER 2 Teile ım Dunkel leb. 24 Std.
Versuch 22. Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na.
Tetrachl.-Na (1 : 10000) — 1 Teil f , ,
Leitungswasser —1Teil | Par. | !” ee
Param.-Kultur — 9 Teile im Dunkel leb. 24 Std.
Tetrachl.-Na (1:10000) — 1 Teil
O-Kaninchen-Sertum —-1Teil | Par. | ” Licht leb. 24 Std.
Param.-Kultur — 92 Teile im Dunkel leb. 24 Std.
Unter den sensibilisierenden Stoffen der Anthracengruppe
habe ich hauptsächlich das Natronsalz der Dichloranthracen-
disulfosäure untersucht, das einen besonders niedrigen Toxizitäts-
grad mit hervorragenden sensibilisierenden Eigenschaften ver-
eint. Diese letzten sind noch in Verdünnungen von 1:2000000
zu erkennen. Eine Hinzusetzung von Serum zu Lösungen dieses
Stoffes haben bezüglich dessen sensibilisierender Fähigkeit ganz
ähnliche Veränderungen wie die oben erwähnten zur Folge.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 479
Versuch 23.
Dichloranthracendisulfosaures Na (M. = 451).
Dichloran- ; F E
thracen- JEE 3 Paramäcien Paramäcien
disulfosaures | 3 CE g im Licht im Dunkel
Na [316 |
1/ Mol 1110432 t 8 Min. t 6 Stunden T.)
25 TELLO 2 t 1 Stunde Leb. 24 Stunden
J Mol | 1111012 +5 Min. + 24 Stunden T.)
50 "11[0/1|2 +t 1'/, Stunden Leb. 24 Stunden
1/ Mol i 1| 0 |2 t 5 Min. Größter Teil + 24 Std. (T.)
100 10 718 t 2 Stunden Leb. 24 Stunden
"F Mol li 1| 0 |2 75 Min. Hälfte 7 24 Stunden (T.)
/so0 1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden
1/ Mol i 1102 +5 Min. Leb. 24 Stunden
/ 1000 1| 0; 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 n
il Mol PEN + 10 Min. a =
5000 '\1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n A p,
1/ Mol | 11119812 F 20 Min. n 24 n
/ 10000 "11] 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden sM oy
2 Mol F 1/10 |2 + 1 Stunde n A n
/ 50000 "11] 0| 1/2 | Leb. 24 Stunden n 24 n
'/ Mol N 1|0|2 + 3 Stunden n A y
100000 '\1| 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 r
1/ Mol.J1| 1] 012 + 24 Stunden Pa
FOR "11[ 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 4 y,
1/ Mol fi 1| 0 |2 | Leb. 24 Stunden "E. pe
11000000 "11] 0| 1 |2 | Leb. 24 Stunden n 24 n
Kontrolle | 1| 1 | 2 | Leb. 24 Stunden a M m
In obenstehender Tabelle wird der außerordentlich große
Einfluß auffallen,
suchsresultate hat;
den die Serumbeimischung auf die Ver-
selbst eine
1/500 Mol.
dichloranthracen-
disulfosaure Na-Lösung verliert bei Hinzusetzung eines gleichen
Teiles Serum vollständig ihre sensibilisierende Wirkung.
Betrachtet man die Tötungszeiten der nicht mit Serum ver-
mischten Präparate, so wird es ferner auffallen, daß die Para-
mäcien in Licht ungefähr ebenso schnell in 1/5000 Mol. Lösungen
wie in 1/2 Mol. Lösungen zugrunde gehen; bei dieser letzten
weist die Tabelle sogar eine etwas längere Tötungszeit als in
den Versuchen mit den folgenden, weniger konzentrierten
Lösungen auf. Der Unterschied ist so gering, daß er als
Biochemische Zeitschrift Band I. 32
480 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
zufällig betrachtet werden könnte; er ist es jedoch kaum, denn
ich habe in den zahlreichen mit dichloranthracendisulfosaurem
Na angestellten Versuchen wiederholt ein ähnliches Verhältnis
beobachtet, während es in Versuchen mit z. B. Eosin oder Rose
Bengal nicht der Fall war (vergl. die Tabellen in den Ver-
suchen 19 und 20). Ich nehme an, daß die Ursache in folgen-
den Verhältnissen zu suchen ist: Selbst die stark konzentrierten
dichloranthracendisulfonsauren Na-Lösungen haben Paramäcien
gegenüber eine so geringe toxische Wirkung, daß diese inner-
halb des kurzen Zeitraums, um den es sich hier handelt, ganz
bedeutungslos wird. Die Tötungszeiten werden daher aus-
schließlich von der Konzentration der Lösung und der Be-
lichtung abhängig, und wäre die letzte konstant, so würden die
Zeiten wahrscheinlich gemäß dem Verdünnungsgrad gleichmäßig
zunehmen ').
Nun ist es aber nicht die Belichtung der Präparate,
sondern die Belichtung der einzelnen Paramäcien in den Prä-
paraten, die für die Tötungszeiten ausschlaggebend sein wird,
und selbst wenn die erste konstant ist, wird die zweite bis zu
einem gewissen Grad mit der Konzentration der Lösungen
varlieren, infolge der ungleich starken Absorption der wirksamen
Strahlen in dem Teil der Tropfen, welchen das Licht passieren
muß, bevor es die Paramäcien trifft. Diese werden gewisser-
maßen besser in den konzentrierten als in den dünnen Lösungen
gegen die schädlichen Strahlen beschützt sein; ebensowohl wie
sie in großen Tropfen besser als in kleinen Tropfen derselben
Konzentration beschützt sein werden. Man kann sich mit
anderen Worten die von der steigenden Konzentration bedingte
steigende Lichtwirkung dadurch neutralisiert denken, daß die
steigende Konzentration in diesen Versuchen gleichzeitig eine
gleichmäßig zunehmende Schwächung der wirksamen Licht-
strahlen bedingt, bevor diese die Paramäcien erreichen.
1) Diese Anschauung wird von einigen Untersuchungen bekräftigt,
die Jodlbauer und v. Tappeiner vor kurzem veröffentlicht haben
(Über die Abhängigkeit der Wirkung der fluoreszierenden Stoffe von
ihrer Konzentration. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 86, 468. 1906).
Betreffs der Fluoreszeinreihe finden die beiden Verff., daß die sensibili-
sierende Wirkung mit dem Verdünnungsgrad der Lösungen bis zu einem
gewissen Maximum zunimmt (ca. Y/,,0"„normal. Lös.), um danach wiederum
abzunehmen.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 481
Ich habe diese Untersuchungen auf verschiedene andere
photobiologische Sensibilisatoren!) ausgedehnt, und in allen Ver-
suchen eine ähnliche, mehr oder weniger stark ausgeprägte
Herabsetzung der sensibilisierenden Fähigkeit der betreffenden
Stoffe nach der Serumbeimischung gefunden. Es ist indessen
kaum wahrscheinlich, daß man auf rein empirischem Wege
dazu gelangen kann, diese Phänomene unter ein allgemein
geltendes Gesetz zu bringen; die Arbeit würde jedenfalls un-
verhältnismäßig groß werden und ich betrachte es daher als
unangebracht, die Reihe der angeführten Beispiele zu erweitern.
Diese sind zwischen den am stärksten sensibilisierenden Stoffen
innerhalb der verschiedenen chemischen Gruppen gewählt, und
werden mit genügender Deutlichkeit den Einfluß des Serum-
zusatzes illustrieren.
Im Anschluß an die früher besprochenen Versuche, in
welchen die Serumbeimischung zu den sensibilisierenden Lösungen
in vitro vorgenommen ist, habe ich bei einer Reihe derselben
Sensibilisatoren die Veränderungen untersucht, die ihre spezifischen
sensibilisierenden Eigenschaften in dem Augenblick erleiden,
in welchem die betreffenden Stoffe in die Blutbahnen der
Kaninchen injiziert werden. Die Versuche wurden auf folgende
Weise ausgeführt. Ich injizierte Lösungen der sensibilisierenden
Stoffe intravenös den Kaninchen und nahm darauf nach kürzerer
oder längerer Zeit Blutproben von den injizierten Tieren. Im
Serum dieser Blutproben wurde in den Fällen, wo sich eine
derartige Untersuchung überhaupt ausführen ließ, der Farbstoff-
sehalt auf kolorimetrischem Wege bestimmt und es wurden
darauf wie gewöhnlich Untersuchungen über die sensibilisierende
Wirkung der gefärbten Seren angestellt. Ich führe folgende
Versuche als Beispiele an.
Versuch 24.
48 ccm einer 2°/,igen Eosinlösung (in 0,4°/, NaCl) werden
einem Kaninchen mit einem Körpergewicht von 2600 g intra-
venös injiziert. 10 resp. 30 Minuten nach Schluß der In-
jektion werden Blutproben aus der Art. carotis genommen, und
1) U. a.: Salzsaures Akridin, Phenosafraninchlorid, Methylenblau,
Methylenviolett, y-Phenylchinaldinchlorid, Hydrastininchlorid.
32*
482 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
mit den 2 Seren (A und B) werden untenstehende Versuche
nach vorausgehender 45 Minuten langer Erwärmung auf 56°
angestellt. Serum A entspricht kolorimetrisch bestimmt einer
Eosinlösung von Yırs Mol., während Serum B einer 1/2% Mol.
Lösung entspricht.
Serum A — 1 Teil | Par. i Licht t 2 Stunden
Par.-Kultur — 3 Teile | "| Dunkel leb. 24 Stunden.
Serum B — 1 Teil | p l | Licht t 2!/ Stunden
Par.-Kultur — 3 Teile : Dunkel leb. 24 Stunden.
Folgender gleichzeitiger Versuch, in welchem die Eosin-
Serummischung in vitro vorgenommen ist, dient zum Vergleich.
. 1 FR $
Eosin ("/ırs Mol.) 1 Ten . | Licht + 1% Std.
O-Kaninchen-Serum — 1 Teil } Par. im | Dunkel leb. 24 Std
Par.-Kultur — 3 Teile l E
. 1 BE E
Eosin ("/20 Mol.) 1 Teil Í Licht + 2 Std.
O-Kaninchen-Serum — 1 Teil } Par. im Dunkel leb. 24 Std
Par.-Kultur — 2 Teile
. 1 u 5
Eosin (1/200 Mol.) 1 Teil . | Licht + 20 Min.
Leitungswasser —1Teil (Far. im | Dunkel leb. 24 Std
Par.-Kultur — 2 Teile B
Die Herabsetzung der sensibilisierenden Fähigkeit des Eosin
erweist sich also als ungefähr dieselbe, gleichviel ob die Mischung
mit Serum in corpore oder in vitro vor sich geht. Dasselbe
gilt für eine Reihe der anderen Sensibilisatoren, u. a. für alle
Derivate des Fluoreszeins'). Bei einem Teile der Farbstoffe
wird das Verhältnis indessen dadurch kompliziert, daß sie schnell
nach der Injektion in die Blutbahnen zu Leuko-Stoffen reduziert
werden, welche nicht im Besitze sensibilisierender Eigenschaften
sind. Eine derartige Umbildung ist z. B. bei dem Methylen-
blau lange bekannt gewesen, und von den im vorhergähenden
erwähnten Sensibilisatoren verhält sich das Methylenviolett
ähnlich.
t) Eine ausführliche Besprechung der Verhältnisse dieser Stoffe nach
ihrer Injektion auf warmblütige Tiere findet sich in A. Jodlbauer und
G. Busck: Über die Wirkungen von Fluoreszein und Fluoreszein-Derivaten
im Lichte und im Dunkeln. Arch. internat. de Pharmacodynamie et de
Therapie. Vol. XV, S. 263. 1905.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 483
Es geht aus den in diesem Abschnitt erwähnten
Versuchen hervor, daß eine Serumbeimischung zu
Lösungen photobiologischer Sensibilisatoren eine Her-
absetzung resp. Aufhebung der sensibilisierenden
Fähigkeit dieser Stoffe gegenüber Paramäcien bewirkt.
Vor dem Abschluß der Besprechung meiner Paramäcien-
versuche will ich in ein paar Tabellen ein Gesamtbild aller der
von mir im vorhergehenden besprochenen Verhältnisse geben.
Diese Tabellen sind insofern als konstruierte Typen zu be-
trachten, als die einzelnen Versuche nicht in genau gleich-
artigem Licht ausgeführt sind. Durch zahlreiche vergleichende
Versuche habe ich indessen versucht, die Bedeutung dieser
Fehlerquelle so weit wie möglich zu reduzieren, und selbst wenn
sie vielleicht einen geringen Einfluß auf die einzelnen Zahlen
haben kann, so bleiben doch die Relationen unter den Zahlen
und damit auch das Totalbild, welches die Tabellen gibt,
im großen und ganzen davon unbeeinflußt.
Die Versuche, auf deren Resultaten die zwei Tabellen basiert
sind, wurden in starkem, diffusem Tageslicht ausgeführt
(in München, mitten am Tage, im Juni, an einem Fenster gegen
Osten bei klarem Himmel).
Um das Verständnis der Tabellen zu erleichtern, habe ich
in jeder einzelnen Rubrik die Ursache des Todes der Paramäcien
durch folgende Bezeichnungen angedeutet:
A. = Alexinwirkung,
L. = Lichtwirkung,
T. = Toxische Wirkung.
Außerdem werden die Phasen der Alexinwirkung bezeichnet
durch:
O = die Stellenbewegungen der Paramäcien aufgehört,
& = die Stellenbewegungen der Paramäcien wieder aufgenommen.
s |s |
z_'e = 2 . ra .
EIRE Paramäcien im Paramäcien im
Rose Bengal E Licht Dunkel
z lo E
0 o|ola Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden
0 1 | 031015 Min.+4'/, Stunden (A.)| O 15 Min. + 4'/, Stunden (A.)
0 0|1 | 3 Leb. 24 Stunden Leb. 24 Stunden
484
Rose Bengal
so
/ıoo
"/200
/soo
"1000
"/ao00
"/soo0
1/10000
1/50000
1/100000
1/500000
3] oaia MOL |
©
—~
p= pei pd p p pd pd fd ja pa
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1
a soooooo Mol. | i
N-Kaninchen-
mO O.O OmmO Sr © mO © m=O OmO OrnrnO OMO
= O ©
=O ©
Seo ©
serum
O-Kaninchen-
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
SO Po "OO MOO0 m OO m SO OO OO HOO
OO hkm OO m
OO m
MoOO m
serum
Param.-Kultur
Do N Do
DO DDO NNS KDD DD Do b DO NYS BDO NOYO
Do m
N
YOY Y
Paramäcien im
Licht
+ momentan (2.)
+2 Min. (L.)
+2Min. (L.)
+ momentan (T.)
76 Min. (L.
+ 6 Min. (L.)
+ momentan (T.)
(—A.) 7 20 Min. (L.)
720 Min. (L.)
t momentan (T.)
(—-A.) t 45 Min. (L.)
+ 50 Min. (L.)
+ momentan (L.)
(—A.) t 1!/ Stunde (L.)
t 1'/a Stunde (L.)
+ 1 Min. (L.)
(—A.)t 5 Stunden (L.)
t 5 Stunden (L.)
72 Min. (L.
(—-A.) Hälfte + 24 Std. (L.
)
Hälfte 7 24 Std. (L.)
+2 Min. (L.)
(—-A.) Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+5 Min. (L.)
O 35 Min. — # 2 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
7 10 Min. (L.)
025 Min. — # 3Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+ 2 Stunden (L.)
© 15 Min. — #5 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
4 Stunden (L.)
O 15 Min. — & 10 Stunden
Leb. 24. Stunden
Leb. 24 Stunden
Größter Teil leb. 24 Stunden
O 15 Min. +5 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Paramäcien im
Dunkel
+ momentan (T.)
75Min. (T.)
75Min. (T.)
+ momentan (T.)
)I(—A.) Hälfte + 24 Std. (T.)
Hälfte + 24 Std. (T.)
momentan (T.)
(—A.) Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+ momentan (T.)
030 Min. — & 4 Stunden
Hälfte + 24 Std. (A.)
Leb. 24. Stunden
71Min. CEJ
O 20 Min. — Größter Teil
+ 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
+5 Min. (T.)
O 15. Min. t 24Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
+35 Min. (T.)
O 15 Min. t 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Hälfte + 24 Std. (T.)
O 15 Min. t 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
© 15 Min. + 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. + 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. + 7 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. 7 5 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O15 Min. t 4'/, Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Dichloranthra-
cendisulfo-
saures Na
0
0
0
1
H Mol.{ 1
1
1
His wol fı
1
1
Mi Mol 1
1
1
ao o!
1
1
í 1
Joo Mol.
1
"/soo0
"10000
7 50000
’/\ooooo Mol.
7] sooooo Mol.
En =
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pà pd pi pt pat
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/1000000 Mol. | i
schweifen, das das Verhältnis der Paramäcien
Läßt
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Lu
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OnO SH, Sera OnO O
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O-Kaninchen-
SO OO MO 0
OO m OO m OO m
OO m
OO OO MOO0 MMO m
serum
Param.-Kultur
UNY YDYS DD YNYS BD DS N NW Y NW © DO © DD DD NNG wo m
Paramäcien im
Licht
Leb. 24 Stunden
Paramäcien im
Dunkel
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. 4 Stunden (A.)J| O 15 Min. +4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
+ 8 Min. (L.)
(—A.) +50 Min. (L.)
+ 1 Stunde (L.)
+5 Min. (L.)
(--A.) 1 Stunde (L.)
t 1!/, Stunde (L.)
t5 Min. (L.)
(—A.) + 2 Stunden (L.)
+ 2 Stunden (L.)
+5 Min. L.)
O 35 Min. — & 1'/, Stunde
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+5 Min. (L.)
O 80 Min. — $ 2'/, Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden.
+10 Min. (L.)
O 20 Min. — & 4 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+ 20 Min. (L.)
O 20 Min. — & 5 Stunden
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+ 1 Stunde (L
O 20 Min. + 7 Stunden (A.
Leb. 24 Stunden
+3 Stunden (L.)
O 20 Min. +4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
+24 Stunden (L.)
O 15 Min. f 4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. + 4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
.)
)
Leb. 24 Stunden
t 6 Stunden
(—-A.) Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
+ 24 Stunden
(—A.) Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
Größter Teil + 24Std. (T.)
O 40 Min. — & 6 Stunden
Hälfte + 24 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
(T.)
Hälfte + 24 Stunden
O 30 Min. + 24 Stunden (A.)
(T.)
(T.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 30 Min. t 10 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 20 Min. + 9 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 20 Min. + 9 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 20 Min. t 6 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. + 4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. F4Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
Leb. 24 Stunden
O 15 Min. +4 Stunden (A.)
Leb. 24 Stunden
man den Blick über das anscheinende Wirrwarr
in den zwei
486 | G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Tabellen darbietet, und sucht man gleichzeitig von den Detail-
untersuchungen zu abstrahieren, mit denen ich diese Arbeit
eingeleitet habe, so wird man sich einen Begriff davon machen
können, wie überraschend die Versuchsresultate im Anfang
wirkten: In einer Verdünnung des Farbstoffes starben die Para-
mäcien, sobald sie dem Licht ausgesetzt wurden; in einer zweiten
Verdünnung starben sie, falls sie nicht belichtet wurden; im
Dunkel konnten die Paramäcien bald in konzentrierten Lösungen
leben, während sie in verdünnteren zugrunde gingen, bald
war das Entgegengesetzte der Fall. — Zieht man die früher
besprochenen Versuchsresultate in Betracht, so wird eine Analyse
der Tabellen keine Schwierigkeiten aufweisen, und es lassen
sich leicht die Wirkungen der vielen verschiedenen Faktoren
auseinander halten, die sich in den Tabellen abspiegeln. Ich er-
wähne sie in Kürze:
1. Die toxischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe
gegenüber den Paramäcien.
. Die Wirkung des Serum-Alexins auf die Paramäcien.
. Die Wirkung des Lichtes auf die sensibilisierten Paramäcien.
. Die Wirkung des Lichtes auf das sensibilisierte Alexin.
. Der Einfluß des Serums auf die Toxizität der sensibili-
sierenden Stoffe.
6. Der Einfluß des Serums auf die spezifischen Eigenschaften
der sensibilisierenden Stoffe.
7. Der Einfluß der sensibilisierenden Stoffe auf die Alexin-
wirkung (im Dunkeln).
Außer den hier erwähnten Faktoren, welche sich alle
deutlich in den Zahlen der Tabellen zu erkennen geben,
werden noch folgende zwei in dem Augenblick Bedeutung
erhalten, wo Versuche dieser Art in stärkerem Licht, und
vor allem in Licht mit größerem Gehalt kurzwelliger
Strahlen gemacht werden.
8. Die Wirkung des Lichtes auf die nicht sensibilisierten
OA U y
Paramäcien.
9. Die Wirkung des Lichtes auf das nicht sensibilisierte
Alexin.
Ich glaube hiermit alle die für das Verständnis der Tabellen
bedeutungsvollen Momente genannt zu haben. — Die Resul-
tate von Versuchen dieser Art können übrigens in zweiter Linie
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 487
von vielen verschiedenen Verhältnissen beeinflußt werden.
Ich erwähne einzelne: Die Intensität und Qualität des Lichtes;
die Größe der Tropfen in den Präparaten und die Konzentration
der Farbstofflösungen (insofern diese zwei letztgenannten Faktoren
auf die den einzelnen Paramäcien zugeführte Lichtmenge ein-
wirken; außerdem die Art und Vitalität der Paramäcien, sowie
die größere oder geringere chemische Reinheit der Farbstoffe;
schließlich hat die Serum-Alkalescenz!), — falls man diese
Bezeichnung noch anwenden darf — sowie vielleicht auch die
Art und Weise, auf welche die Mischung des Serums mit der
sensibilisierenden Lösung vorgenommen wird?), einen gewissen
Einfluß auf das erzielte Resultat.
Nachdem nachgewiesen ist, daß ein Serumzusatz die spezi-
fischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe gegenüber Para-
mäcien verringert oder aufhebt, drängt sich die Frage auf: gilt
die Herabsetzung nur der Wirkung gegenüber Paramäcien, oder
dreht es sich um eine tiefergehende Veränderung dieser Stoffe,
welche eine Herabsetzung oder Aufhebung der sensibilisierenden
Fähigkeit derselben im allgemeinen zur Folge hat. Es wäre
ja nämlich denkbar, daß die Ursache zu der verringerten
Wirkung, solange die Rede nur von Paramäcienversuchen ist,
z. B. allein den veränderten osmotischen Verhältnissen in den
Präparaten oder der erhöhten Viskosität, welche die Serumbei-
mischung bedingt, zuzuschreiben sei. Die auf Seite 464 betonte
Beobachtung, daß die sensibilisierende Fähigkeit der Serum-
Farbstoffmischungen gegenüber Alexin sich noch deutlich in
einer Reihe Verdünnungen zu erkennen gibt, in welchen jegliches
Zeichen einer sensibilisierenden Wirkung auf Paramäcien ver-
schwunden ist (Versuch drei und vier), läßt auch eine nähere
Untersuchung der oben aufgestellten Frage wünschenswert er-
scheinen. Fortgesetzte Versuche mit Alexin werden indessen zu
) Siehe S. 515.
”) Einzelne Beobachtungen, auf die ich hier nicht näher eingehen
will, da ich bisher keine Gelegenheit zu ihrer näheren Verfolgung gehabt
habe, lassen es nämlich wahrscheinlich erscheinen, daß die Mischungsweise
nicht ganz gleichgültig ist, ein Verhältnis, das nicht ohne Analogien
unter den Reaktionen der Kolloid-Chemie ist. In allen den besprochenen
Versuchen ist die Mischung unmittelbar vor Beginn des Versuches vor-
genommen und stets auf möglichst gleichartige Weise.
488 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
nichts führen, da sich das Alexin vom Serum nicht isolieren
läßt, und ich habe daher zu meinen Untersuchungen verschiedene
photobiochemische Reaktionen benutzt, die für eine Sensibilisation
zugänglich sind, z. B. die Destruktion von Enzymen und
Toxinen, welche eine Belichtung hervorzurufen vermag. Bevor
ich zur Besprechung dieser Versuche mit nichtorganisierten
Stoffen übergehe, will ich doch einige andere besprechen, welche
den Paramäcienversuchen näher stehen.
Ich habe den Einfluß des Serumzusatzes auf die spezi-
fischen Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe gegenüber anderen
Mikroorganismen (Trypanosoma Brucei), gegenüber tierischen
Gewebezellen (Flimmerzellen von Fröschen), sowie gegenüber
roten Blutkörperchen untersucht.
Die Trypanosomen wurden direkt von infizierten Ratten
oder Mäusen genommen. Die Krankheit dauert bei diesen Tieren
nach subkutaner Injektion einer virulenten Kultur in der Regel
vier Tage für Mäuse, sechs Tage für Ratten. Am letzten Krank-
heitstag ist das Blut der Tiere derart mit Trypanosomen über-
füllt, daß einige wenige Tropfen — z. B. mittels Schnitt aus
der Schwanzspitze genommen — genügend Material zu einer
Reihe Versuche geben. Ich habe gewöhnlich das Blut mit
mehreren Teilen physiologischer NaCl-Lösung verdünnt, sowie
durch leichtes Umrühren eine Koagulation verhindert, die —
falls sie einträte — schnell den Tod der Trypanosomen zur
Folge haben würde. In Tropfen in feuchten Kammern ange-
bracht, können die Trypanosomen 24 bis 48 Stunden leben').
Trypanosomen sind gegenüber Licht bedeutend weniger
widerstandsfähig als Paramaecium Caudatum; sie gehen
unter gleichen Bedingungen ungefähr zwei bis dreimal
schneller zugrunde. Der Einfluß der Serumbeimischung auf die
Resultate der Sensibilisierungsversuche gab sich, wie es zu er-
warten war, durch einen ebenso deutlichen Ausschlag gegenüber
den Trypanosomen wie gegenüber den Paramäcien zu erkennen,
und das geringe Quantum Ratten-, resp. Mäuse-Serum, welches
) Ehrlich u. Shiga (Farbentherapentische Versuche bei Trypa-
nosomenerkrankung. Berl. klin. Wochenschrift Jahrg. 41, Nr. 13 und 14.
1904) erwähnen, daß Trypan.-Kulturen „Mal de Caderas“ im Eisschrank
aufbewahrt werden müssen, um ein schnelles Zugrundegehen zu vermeiden.
Diese Maßregel ist bei Trypan. Brucei unnötig.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 489
den Präparaten mit der Kultur zugeführt wurde, vermochte die
Wirkung nicht zu verwischen. Von meinen recht zahlreichen
Versuchen führe ich nur einen einzelnen als Beispiel an. Die
sensibilisierenden Stoffe wurden in 0,85°/, NaCl aufgelöst und
es wurde normales Kaninchenserum angewendet.
Versuch 25.
Rose Bengal (1:15,000) — 1 Teil T Licht ł 10 Min.
0,85°%/, NaCl — 1 Teil A Dunkel leb.
Trypanosom-Kultur — 1 Teil 24 Stunden.
Rose Bengal (1:15,000) — 1 Teil Tryvan Licht leb. 24 Std.
N.-Kaninchenserum — 1 Teil Dunkel
Trypanosom-Kultur — 1 Teil leb. 24 Std.
In den Versuchen mit Flimmerzellen von Fröschen benutzte
ich die Zeit bis zum Aufhören der Flimmerbewegungen als
Maß für die Lichtwirkung. Die Versuchsanordnung war übrigens
eine ähnliche wie bei den Paramäcien- und Trypanosomversuchen.
Die sensibilisierenden Stoffe wurden in 0,7°/o NaCl aufgelöst,
und nachdem sie mit Serum- resp. 0,7°/, NaCl gemischt waren,
wurden kleine Tropfen dieser Mischung auf Deckgläser ge-
bracht. Den Tropfen wurden danach einige Flimmerzellen
zugesetzt, und die Belichtung wie gewöhnlich in kleinen feuchten
Kammern vorgenommen.
Versuch 26.
1/3000 Mol. Eosin-Na. — 3 Teile Licht nach 2 Std.
(in 0,7%, NaCl) Flimmerz. -= Bew.
0,7%, NaCl-Lösung — 1 Teil im Dunkelnach4Std.
Flimmerzellen — q. s. + Bew.
1/3000 Mol. Eosin-Na. — 3 Teile Licht nach 4 Std.
(in 0,7°/, NaCl) Flimmerz. + Bew.
N-Kaninchenserum — 1 Teil im Dunkelnach 4Std.
Flimmerzellen — q. 8. -+ Bew.
Ungefähr gleichzeitig mit dem Aufhören der Flimmerbe-
wegungen trat eine deutliche Eosinfärbung der betreffenden
Zellen ein.
490 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Wie schon in Abschnitt I besprochen, fanden Sacharoff
und Sachs’), daß in einer Aufschlemmung roter Blutkörperchen,
der ein sensibilisierender Stoff (Eosin) zugesetzt ist, Hämolyse
eintritt, falls das Präparat dem Sonnenlicht ausgesetzt wird,
während die Hämolyse im Dunkel ausbleibt. Pfeiffer”) machte
ungefähr gleichzeitig dieselbe Beobachtung. Pfeiffer erwähnt,
daß in seinen Versuchen die Eosin-Lichtwirkung dieselbe war
— gleichgiltig ob er mit ausgewaschenen Erythrocyten oder mit
Blut (5%) arbeitete. Die verhältnismäßig geringe Serummenge,
die den Präparaten mit dem verdünnten Blut zugeführt wurde,
hat also in Pfeiffers Versuchen keinen augenfälligen Einfluß
auf das Versuchsresultat gehabt. Die hemmende Wirkung der
Serumbeimischung läßt sich indessen mit einer anderen Versuchs-
anordnung ohne Schwierigkeit demonstrieren.
Bevor ich die von mir bezüglich dieses Punktes angestellten
Versuche bespreche, will ich doch ein anderes Verhältnis be-
rühren.
Pfeiffer versuchte Hämolyse normaler (nicht sensibili-
sierterer) roter Blutkörperchen hervorzurufen, indem er diese
unter erforderlicher Abkühlung — der Einwirkung starken
elektrischen Lichtes aussetzte. Die Versuche ergaben negatives
Resultat. Die Ursache ist indessen darin zu suchen, daß das
angewendete Licht von zu geringer Intensität war.
Da die Destruktion der Blutkörperchen — so wie es auch
fast immer bei Lichttötung nicht sensibilisierter Mikroorganis-
ınen oder tierischer Gewebezellen der Fall ist vorzugsweise
von den kurzwelligen Strahlen des Lichtes herrührt, ist in der
Versuchsanordnung hierauf Rücksicht zu nehmen. Ich habe
in den früher erwähnten Schmidt-Nielsenschen Kammern mit
Quarzwänden defibriniertes Kaninchenblut, das mit 0,85 %/sige
NaCl-Lösung im Verhältnis 1:20 verdünnt war, der Einwirkung
des ad. mod. Finsen konzentrierten Lichtes einer Bogenlampe von
50 Amp. 45 Volt ausgesetzt. Ich erzielte indessen bei dieser
1) Sacharoff und Sachs, Über die hämolytische Wirkung der
photodynamischen Stoffe. Münch. med. Wochenschr. Nr. 7. 1905.
2) Pfeiffer, Über die Wirkung des Lichtes auf Eosin-Blutgemische.
Wiener. klin. Wochenschr. Nr. 9. 1905.
Über die Wirkung fluoreszierender Stoffe auf normales Serum und
rote Blutkörperchen. Wiener klin. Wochenschr. Nr. 13. 1905.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 491
Versuchsanordnung kein deutliches Resultat, teils weil sieh die
Blutkörperchen recht schnell senken und dadurch der direkten
starken Bestrahlung entzogen werden, teils weil sich eine
schwache Hämolyse schwer in einer so dünnen Schicht fest-
stellen läßt, um so schwerer, da der Vergleich mit nicht
belichteten Präparaten durch die während der Belichtung schnell
eintretenden Methämoglobinbildung beeinträchtigt wird. Vielleicht
spielt auch der geringe Zutritt freien Sauerstoffes der Luft eine
gewisse Rolle für den negativen Ausfall des Versuchs. Ich
ging deshalb dazu über, ganz kleine Tropfen der Blutauf-
schwemmung zu belichten. Die Tropfen wurden zwischen
Quarzdeckglas und hohlgeschliffenen Objektgläsern und in Be-
rührung mit beiden angebracht. Das letzte trägt dazu bei, den
Tropfen trotz der Neigung, welche die Belichtung mit dem
konzentrierten Licht erfordert, in der Mitte der Höhlung des
Objektglases zu fixieren.
Die eventuell eingetretene Hämolyse ließ sich natürlich
bei dieser Versuchsanordnung noch schwieriger als bei der
vorigen erkennen, jedoch ließ sich anderseits die Destruktion
der Blutkörperchen direkt unter dem Mikroskop beobachten.
Versuch 27.
Blutaufschwemmung, belichtet durch Quarz mit konz.
elektr. Bogenlicht einer 50 Amp. 45 Volt-Lampe.
Nach 5 Min. Belichtung: Die roten Blutkörperchen anscheinend
normal.
„»„ 10 ,, a Ein Teil normale Blutkörperchen; ein
Teil Schatten.
ie 19° = z Alle roten Blutkörperchen zerfallen;
die Leukocyten anscheinend unver-
ändert).
Eine erforderliche Abkühlung der Präparate wurde durch
Überrieselung mit kaltem Wasser erreicht. Die Hinlänglichkeit
der Abkühlung wurde durch Kontrollversuche bekräftigt, indem
ähnliche Präparate von der entgegengesetzten Seite, also durch
das Objektglas belichtet wurden.
) H. Salvendi (Über die Wirkung der photodynamischen Sub-
stanzen auf weiße Blutkörperchen. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 87, 356.
1906) hat gezeigt, daß auch weiße Blutkörperchen sich sensibilisieren lassen.
492 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Kontrolle (durch Glas belichtet) nach 20 Min. Belichtung:
die Blutkörperchen normal.
Die Kontrollversuche zeigen ferner die Bedeutung der
kurzwelligen Lichtstrahlen für die Destruktion der roten Blut-
körperchen.
Eine Belichtung mit intensivem Licht — reich an
kurzwelligen Strahlen — ist also imstande, Hämolyse
und Destruktion normaler (nicht sensibilisierter) roter
Blutkörperchen hervorzurufen.
Ich kehre zu der Frage zurück über den Einfluß des
Serumzusatzes auf die spezifische Wirkung der sensibilisierenden
Stoffe gegenüber roten Blutkörperchen.
Die Versuche wurden in sehr starkem, diffusen Tages-
licht angestellt (mitten am Tage im Juli, an einem Fenster
nach Süden, wobei aber die Präparate gegen das direkte
Sonnenlicht geschützt wurden). Lösungen der sensibilisierenden
Stoffe in 0,9 %/, NaCl wurden in Reagensgläser mit Serum resp.
0,9 °/o NaCl-Lösung gemischt, und man setzte darauf jedem
Glas einige Tropfen defibriniertes Kaninchenblut zu.
Versuch 28.
Eosin-Na (1/5000 — 5 ccm Im Licht nach 3 Stunden
0,9 °/o NaCl-Lösung — 5 ccm -+ kräftige Hämolyse.
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen} | Im Dunkel nach 4 Stunden
—- Hämolyse.
Eosin-Na (l/so0) —Öccm Im Licht nach 4 Stunden
N-Kaninchen-Serum — 5 ccm —- Hämolyse.
Defibriniertes Blut — 5Tropfen j | Im Dunkel nach 4 Stunden
=- Hämolyse.
Versuch 29.
Dichloranthracendisulf. Na (1/5000) — 5 ccm Im nn se 3Std.
0,9 °/o NaCl- Lösung — 5 cem + Hämolyse.
Br Im Dunkel nach
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen) (4 Std. — Häm olyse.
Dichloranthracendisulf. Na (1/5000) — 5 ccm Im on nn 4Std.
N -Kaninchen - Serum — 5 ccm a a
EEE Im Dunkel nach
Defibriniertes Blut — 5 Tropfen) l4 Std. — Häm olys«.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 493
Aus diesen Versuchen, welche ich übrigens mit mehreren
anderen der in den übrigen Versuchsreihen besprochenen Sensi-
bilisatoren wiederholt habe, geht die aufgehobene Wirkung der
Sensibilisatoren mit genügender Deutlichkeit hervor. In einem
Teil der Versuche trat die Hämolyse erst ein, wenn die Prä-
parate direktem Sonnenlicht ausgesetzt wurden, es war jedoch
beständig derselbe Unterschied zwischen den Präparaten ohne
Serum und den Präparaten mit Serum vorhanden.
Nachdem ich im vorhergehenden den hemmenden Einfluß
des Serumzusatzes auf die spezifischen Wirkungen der Sensibili-
satoren gegenüber einer Reihe verschiedenartiger organisierter
Elemente nachgewiesen habe, gehe ich dazu über, meine Ver-
suche mit nichtorganisierten Objekten (Diastase, Invertin und
Rizin) zu besprechen.
Die Diastase-Versuche wurden auf folgende Weise aus-
geführt: Lösungen der sensibilisierenden Stoffe (in destilliertem
Wasser) wurden mit gleichen Teilen destilliertem Wasser resp.
norm. Kaninchen-Serum gemischt, darauf wurden den ver-
schiedenen Mischungen 0,4 °/„ige Lösungen der Diastase zugesetzt.
Die Präparate wurden in gleich große Erlenmeyersche
Kolben gebracht und danach der Einwirkung starken, diffusen
Tageslichtes während so langer Zeit ausgesetzt, daß die Diastase
in den Präparaten ohne Serumbeimischung ganz oder ungefähr
ganz destruiertt wurde (die ungefähre Expositionszeit wurde
durch vorausgehende orientierende Versuche festgestellt. Nach
der Belichtung wurden 5 ccm jeden Präparates mit 45 ccm
Stärke (1 °/o) gemischt und danach bei Stubentemperatur ins
Dunkel gestellt. Die nicht belichteten Kontrollpräparate wurden
gleichzeitig auf entsprechende Weise behandelt. Es wurden
darauf mit bestimmten Zwischenräumen Stichproben von sämt-
lichen Mischungen genommen und den Stärkegehalt bestimmte
ich qualitativ mit Jod in Jodkalium mittels der Tropfen-
methode.
Es ergab sich, daß der Verlauf des diastatischen Prozesses
durch den Serumzusatz etwas gehemmt wurde, und daß sich
eine ähnliche Hemmung durch Zusatz einer geringen Nag CO;-
Menge hervorrufen ließ.
494 G. Busck, Photobielogische Sensibilisatoren.
Versuch 30.
Eosin Na (1/4000 Mol.) — 1 Teil
À. Destilliertes Wasser — 1 Teil
0,4 °/, Diastase — 2 Teile.
Eosin Na (!/sooo Mol.) — 1 Teil
B. N-Kaninchen-Sertum — 1 Teil
0,4 °/, Diastase — 2 Teile.
Eosin Na (1/4000 Mol.) — 1 Teil
C. < Yıoo norm. NaCO; — 1 Teil
0,4 °/, Diastase — 2 Teile.
Von jeder der drei Mischungen A, Bund C wurde ein Teil
ins Dunkel gestellt, während ein zweiter Teil 6 Stunden lang
belichtet wurde.
Nach Hinzusetzung von Stärke (1 °%,) und Stehen im
Dunkel wurden mit der Jod-Probe die in der Tabelle angegebenen
Resultate erzielt.
ra | 1 Stunde 4 Stunden 6 Stunden | 20 Stunden
Licht | stark blaue stark blaue stark blaue | stark blaue
A | Farbe Farbe Farbe Farbe
i | Dunkel | schwach blaue | ungefärbt ungefärbt | ungefärbt
Farbe
Licht | stark blaue schwach blaue | fast un- ungefärbt
B Farbe Farbe gefärbt
“| Dunkel | schwach blaue | ungefärbt ungefärbt ungefärbt
Farbe
Licht | stark blaue stark blaue stark blaue | stark blaue
C Farbe Farbe Farbe Farbe
` ) Dunkel | stark blaue schwach blaue | fast un- ungefärbt
Farbe Farbe gefärbt
Gleichzeitig mit der letzten Jodprobe, also nach 20 Stunden
langem Stehen, wurden die verschiedenen Präparate mit Hilfe
der Trommerschen Probe auf Zucker untersucht. In „A-Licht“
und „C-Licht‘“ ließ sich kein Zucker nachweisen, während in
allen übrigen Präparaten natürlich reichlich Zucker vorhanden war.
Sechsstündige Belichtung hatte also die sensibili-
sierte Diastase-Lösung in den Präparaten A und C
vollständig wirkungslos gemacht, während sie in dem
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 495
serumhaltigen Präparat B nur eine geringe Ab-
schwächung hervorgerufen hatte.
Bei den Invertinversuchen benutzte ich folgendes Ver-
fahren: 0,5 g Invertin wurden mit 25 g dest. Wasser in
Porzellanmörsern ausgerührt. Die Aufschwemmung wurde zentri-
fugiert und die klare Lösung zu den Versuchen benutzt. Die
Präparate wurden in gleich großen Erlenmeyerschen Kolben
der Einwirkung des diffusen Tageslichtes ausgesetzt und nach
kürzerer resp. längerer Zeit wurden sowohl von diesen be-
lichteten Präparaten wie auch von nicht belichteten Kontroll-
präparaten Stichproben genommen, deren invertierende Fähigkeit
gegenüber 5 °/, Rohrzuckerlösungen danach polarimetrisch be-
stimmt wurde.
Versuch 31.
Eosin-Na (}/sooo Mol.) — 1 Teil Licht
A. | Dest. Wasser — 1 Teil
Invertinlösung — 2 Teile. Dunkel.
Eosin-Na (!/sooo Mol.) — 1 Teil Licht
B. | Kaninchenserum — 1 Teil
Invertinlösung — 2 Teile. Dunkel.
Nach einer Stunde wurden von jedem der vier Präparate eine
Probe von 5 ccm genommen. Jede der Proben wurde mit
95 ccm einer 5 °/ KRohrzuckerlösung gemischt, welche bei
Stubentemperatur ins Dunkel gestellt und deren invertierende
Zuckermenge nach 7 resp. 20stündigem Stehen bestimmt wurde (I).
Nach im ganzen 2"/sstündiger Belichtung wurden wiederum
5 ccm jeden Präparates 95 ccm einer 5°/sigen Rohrzuckerlösung
zugesetzt, welche ebenfalls nach 6 resp. 20stündigem Stehen
polarimetrisch untersucht wurde (II).
Die polarimetrischen Ablesungen ergaben folgende Resultate:
I. Präp. 1 Stunde belichtet,
| Nach 7 Stunden | Nach 20 Stunden
A. Licht . + 2° 45’ + 2° 27
A. Dunkel + 0° 25° — 1° 06’
B. Licht . + 1° 50’ + 0° 06’
B. Dunkel + 0° 40' = 1° 02
Biochemische Zeitschrift Band I. 33
496 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
II. Präp. 2'/s Stunden belichtet.
sm a -ae ma a Č -— ——
| Nach 6 Stunden | Nach 20 Stunden
ʻ mn nn an ne Imao a aoaout
A. Licht . . . + 2° 33 + 2° 4’
A. Dunkel . . + 0° 54 1° 04
B. Licht . . . + 20 38’ + 2° 16
B. Dunkel . . + 1° 06’ —=— 0° 58’
Infolge des Eiweißgehalts des Serums verursacht der
Serumzusatz indessen eine Drehung der Polarisationsebene nach
links; die Drehung betrug in diesem Fall 0° 08°, indem die
Bestimmung der Richtung der Polarisationsebene bei Versuchen
mit Rohrzuckerlösungen mit und ohne Serumbeimischung fol-
gendes Resultat ergab.
5 °/, Rohrzuckerlösung — 95 Teile
0 ‘
Dest. Wasser — 5 Teile wen
5 °/u Rohrzuckerlösung — 95 Teile
Kaninchenserum — 2,5 Teile f + 3° O1‘.
Dest. Wasser — 2,5 Teile
Diese Korrektion muß also in den 2 obenstehenden Tabellen
eingeführt werden, und diese bekommen dann folgendes Aussehen.
I. Präp. 1 Stunde belichtet.
Nach 7 Stunden | Nach 20 Stunden
A. Licht... +2 aa + 2° 97
A. Dunkel . . +f0° 25’ = 1° 06’
B. Licht . . . +1’ 423 = 0° o7
B. Dunkel . . + 0r B2 — 1° w’
Il. Präp. 252 Stunden belichtet.
| Nach 6 Stunden | Nach 20 Stunden
A. Licht... +20 zw + 2° g
A. Dunkel . . + 0° 54 — 1° 04
B. Licht i aa 4 20 30 + 2° 08°
RB. Dunkel . . + 0° 5g’ — 1° 0’
Der hemmende Einfluß des Serums auf die sensi-
bilisierende Wirkung des Eosin gegenüber dem Invertin
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 497
ist deutlich in Tabelle I zu sehen. Nach einstündiger
Belichtung hat das Serumpräparat (B. Licht) noch eine
kräftig invertierende Fähigkeit, während diese in dem
Präparat ohne Serum (A. Licht) fast vollständig auf-
gehoben ist. Aus Tabelle II geht hervor, daß der Serum-
susatz in diesem Fall doch nur eine Hemmung und bei weitem
keine vollständige Aufhebung der Eosinwirkung erzielt hat, denn
schon nach 2!/s stündiger Belichtung ist die vom Licht hervor-
gerufene Destruktion des Invertins auch im Serumpräparat weit
vorgeschritten (B. Licht).
In Analogie mit dem, was bei den früher besprochenen
Alexinversuchen der Fall war, finden wir also hier, daß Lösungen
der sensibilisierenden Stoffe nach Hinzufügung gleicher Teile
Serum noch deutliche senbilisierende Wirkungen gegenüber
Invertin in Verdünnungen besitzen, in welchen die Wirkung
gegenüber Paramäcien vollständig aufgehoben ist.
Die Ursache zu diesem Unterschied darf wohl teils in der
Veränderung der osmotischen Verhältnisse gesucht werden, welche
der Serumzusatz in den sensibilisierenden Lösungen hervorruft
(siehe später) — eine Veränderung, welche zweifellos großen
Einfluß auf die Resultate in den Paramäcienversuchen hat, während
es nicht anzunehmen ist, daß sie eine entscheidende Rolle in Ver-
suchen mit aufgelösten, nicht organisierten Stoffen spielt —
teils in dem Umstande daß, während die Paramäcien überhaupt
nicht auf die Lichtwirkung reagieren wollen, sobald dieselbe
unter ein gewisses Minimum sinkt, die photo-chemischen Reak-
tionen unter denselben Bedingungen durch beständige Addition
kleiner Lichtwirkungen einen deutlichen Ausschlag geben können.
In Versuchen mit Rizin zeigte es sich ebenfalls, daß der
Serumzusatz einen hemmenden Einfluß auf die spezifischen
Wirkungen der sensibilisierenden Stoffe hatte.
Die Versuchsanordnung war folgende: 1 Teil Rizin wurde
in einem Porzellanmörser mit 100 Teilen einer 0,9 "/oigen NaCl-
Lösung angerührt und das Präparat durch Glaswolle filtriert.
Die sensibilisierenden Stoffe werden ebenfalls in 0,9 %/, NaCl
aufgelöst. Die Belichtung wurde auch in diesen Versuchen in
Erlenmeyerschen Kolben vorgenommen und als Maß für
die Lichtwirkung auf das Rizin benutzte ich die agglutinierende
Wirkung der belichteten Präparate auf rote Blutkörperchen.
33%
498 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Da die Kontrollversuche ergaben, daß die Agglutination be-
deutend langsamer in Präparaten mit Serum als in Präparaten
ohne Serum vor sich ging, so versuchte ich diesen Unterschied
dadurch auszugleichen, daß ich, anstatt wie im Anfang aus-
gewaschene, in 0,9 °/, NaCl. aufgeschlemmte Blutkörperchen,
defibriniertes, mit Serum von demselben Kaninchen verdünntes
Blut anwendete.
Ich führe einen einzelnen Versuch als Beispiel an:
Versuch 32.
Eosin Na ('/so0o0o Mol.) — 1 Teil | Licht
A. 10,9%, NaCl — 1 Teil
Rizin (1°/,) — 2 Teile | Dunkel.
Eosin Na (!/s000 Mol.) — 1 Teil Licht
B. ?Kaninchenserum — 1 Teil
nn — 9 Teile Dunkel.
Die agglutinierende Fähigkeit der Präparate wurde nach
15 Min., 30 Min. und 45 Min. langer Belichtung untersucht.
Ich habe in der unten angeführten Tabelle diejenigen Mengen
Blut angegeben, in welchen 1 Vol. der verschiedenen Präparate
noch totale Agglutination (das Filtrat klar!) hervorzurufen
vermochte.
Nach 15 Min. langer Belichtung:
A. Licht — 4 Teile Blut
A. Dunkel — 8 ,, j
B. Licht — 6 ,,
B. Dunkel — 8 ,,
Nach 30 Min. langer Belichtung:
A. Licht — ca. !'/a Teil Blut
A. Dunkel — 8 Teile ,
B. Licht — ” E
B. Dunkel — 8 a a
Nach 45 Min. langer Belichtung:
A. Licht — —- agglutinierende Wirkung
A. Dunkel — 8 Teile Blut
B. Licht — ca.1 Teil ,,
B. Dunkel — 8 Teile
29
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 499
In dem Serumpräparat (B. Licht) ist die sensibilisierende
Wirkung des Eosins also bedeutend geringer als in dem Prä-
parat ohne Serumzusatz (A. Licht) gewesen, indem die vom
Licht hervorgerufene Destruktion des Rizins viel langsamer in
dem ersten als in dem letzten vor sich gegangen ist; jedoch
stoßen wir übrigens hier auf dieselben Verhältnisse, die auf
Seite 497 besprochen sind, indem das hinzugesetzte Serum
nicht wie in den Paramäcienversuchen die sensibilisierende
Wirkung eines gleichen Volumens einer !/so0o0o Mol. Eosinlösung
aufgehoben, sondern nur verringert hat.
Die Resultate der im letzten Abschnitt besprochenen
Versuchsreihen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Ein Zusatz von Serum zu Lösungen sämtlicher
hier untersuchten photobiologischen Sensibilisatoren
bewirkt Herabsetzung resp. Aufhebung der spezifi-
schen Wirkungen dieser Stoffe sowohl gegenüber Mikro-
organismen (Paramaecium caudatum, Trypanosoma
Brucei), tierischen Gewebezellen (Flimmerzellen der
Frösche) und roten Blutkörperchen, sowie gegenüber
Enzymen (Diastase, Invertin) und Toxinen (Rizin).
Der hemmende Einfluß des Serums tritt stärker in
Versuchen hervor, wo die Sensibilisationsfähigkeit
gegenüber Mikroorganismen oder Gewebezellen unter-
sucht wird, als in Versuchen mit Lösungen nicht orga-
nisierter Körper.
V.
Über die Wirkung verschiedener Seren und anderer Kolloide
gegenüber den photobiologischen Sensibilisatoren — mit Rück-
sicht auf deren Toxizität und sensibilisierende Eigenschaften.
Alle die in dem vorhergehenden Abschnitt besprochenen
Versuche sind mit Kaninchen-Serum angestellt, und es er-
hebt sich jetzt die Frage, inwiefern sich Seren anderer Tier-
arten ähnlich verhalten oder ob sich zwischen den Wirkungen
der verschiedenen Seren Unterschiede geltend machen.
Die zu den folgenden Versuchen angewendeten Seren
wurden bis zur Anwendung ca. 24 Stunden nach dem Aderlai;
500 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
der betreffenden Tiere im Eisschrank aufbewahrt. Vor dem
Gebrauch wurden sie — im Hinblick auf die Alexinwirkung —
eine Stunde lang im Thermostat auf 56° erwärmt; nur bei
dem Ochsenserum erwies es sich als notwendig, die Erwärmung
zwei Stunden lang fortzusetzen. Die Exponierung der einzel-
nen Präparate innerhalb jeder Versuchsreihe wurde gleichzeitig
und unter gleichartigen Verhältnissen begonnen bei diffusem
Tageslicht an einem Fenster nach Osten.
Versuch 33. Eosin-Na.
RTF |
E AE 23 5 3 2 |Paramäcien | Paramäcien
8 slala|s|á|fE5| im Licht | im Dunkel
318133[3|3 8|s”
=] ® |:
= 23|Sl2elal |”
2 | + 10 Stunden |Leb. 24Stunden
2 | r 3 Stunden a
2 | t 5 Stunden Pr fr
2 |Leb.24Stunden] „ 24 „
1 2 | t 5 Stunden mu
1 2 | t 24 Stunden | „ 24 „
1 2 | + 21/,Stunden| „ 4 „
1| 2 |+3Stunden | „4 „
3 | + 30 Min. ee
ng
Versuch 34. Dichloranthracendisulfosaures Na.
z =:
z '
22|8|88 : 58 | g|
Ca = EIES 5 2 = E ES: Paramäcien | Paramäcien
amg P- 8 $ = w o RB & 72 . . .
salco | oe | Ss |s I aAl2| 95|5|15 2 im Licht im Dunkel
ao 9 [5
"13/15/8j=2|143/23|13|151|%
3 — Q 9 [am
AHIA olA |w fos
1 + 24 Stunden | Leb. 24Stunden
t 5'/,Stunden]| „
+ 6 Stunden n 24
Leb.24Stunden| „
+ 5 Stunden á
+ 24 Stunden j Si
t 4 Stunden „ 24
t 6 Stunden „ 24
+t 5 Min. n 24
pó pad pd pd pd pd p pd ja
GLONN DD DNDDD
- SS n Sa a na
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 501
In !/soo Mol. dichl. Na-Lösungen wurde die sensibilisierende
Wirkung vollständig durch Hinzufügung gleicher Teile der ver-
schiedenen Seren aufgehoben, — nur in den Präparaten mit
Hunde-Serum wurden die Paramäcien 24 Stunden nach Beginn
der Exponierung tot gefunden.
Wie es aus den Tabellen hervorgeht, ergaben die Versuche
eine außerordentlich große Verschiedenheit in der Wirkung der
Seren von verschiedenen Tierarten. Es ließ sich indessen bei
vergleichenden Versuchen mit einer Reihe Seren von Tieren
derselben Art eine ähnliche Abweichung in der Wirkung
nachweisen.
Versuch 35.
Serum von 4 verschiedenen Pferden: A, B, C und D.
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 4 Std.
Pferde-Serum A — 1 ?ọ Par. im l
Par. Kultur —? Dunkel. leb. 24 Std.
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 21), Std.
Pferde-Serum B — 1 ! Par. im
Par. Kultur —? Dunkel: leb. 24 Std.
Rose Bengal ('/100 Mol.) — 1 | Licht: +4 Sta.
Pferde- Serum C — 1 ?ọ Par. im |
a m | Dunkel: leb. 24 Std.
Rose Bengal (1/1000 Mol.) — 1 Licht: + 31, Std.
Pferde-Serum D — 1 ọ Par. im
Par Eal 9 Dunkel: leb. 24 Std.
Rose Bengal ('/ıooo Mol) — 1 Licht: t momentan
Dest. Wasser — 1 ọ Par. im
Pir: Kultur —? Dunkel: 7 2 Min.
Der Grund dafür, daß ein ähnlicher Unterschied in der
Wirkung der vielen verschiedenen Kaninchenseren, mit denen
ich früher gearbeitet habe, nicht augenfällig gewesen ist, muß
darin gesucht werden, daß die regelmäßige und gleichartige
Fütterung der Kaninchen eine große Gleichartigkeit ihrer „Blut-
alkaleszenz‘‘ zur Folge hat. Es ergab sich nämlich, daß ich
durch Variation der Diät der Kaninchen Seren erhalten konnte,
welche die sensibilisierenden Eigenschaften des Eosin-Na in
ungleichem Grad herabsetzten.
502 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuch 36.
Zwei Kaninchen desselben Wurfs, welche beständig zusam-
men in einem Käfig gelebt hatten, wurden auf verschiedene
Diät gesetzt, indem das eine (A) ausschließlich mit in Wasser
aufgeweichtem Brot und Hafer gefüttert wurde, während das
andere (B) nur Kohlblätter erhielt. Die Diät bewirkte, daß
Kaninchen A eine sparsame Diurese mit saurem, konzentriertem
Urin bekam, während derselbe bei Kaninchen B reichlich und
alkalisch reagierend war. Nach 10 Tagen wurden von den zwei
Kaninchen Blutproben genommen und mit den dadurch ge-
wonnenen Seren folgende Versuche angestellt.
I. Eosin-Na.
Eosin-Na (?/goo Mol.) — 1 Teil Licht: + 31/, Std.
O-Kaninchenserum A — 1 Teil } Par. im
Par.-Kultur ae 92 Teile Dunkel: leb. 24 Std.
Eosin-Na (Y/soo Mol.) — 1 Teil |
Licht: t 2 Std.
O-Kaninchenserum B — 1 Teil | Par. im
Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std.
II. Dichloranthracendisulfosaures Na.
Dichl. Na (!/ıoo Mol.) — 1 Teil
Licht: } 4 Std.
O-Kaninchenserum A — 1 Teil } Par. im
Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std.
Dichl. Na (1/100 Mol.) — 1 Teil Licht: + 3 Std.
O-Kaninchenserum B — 1 Teil } Par. im
Par.-Kultur — 2 Teile Dunkel: leb. 24 Std.
Der Unterschied zwischen den Wirkungen der zwei Seren
A und B ist in dem obenstehenden Versuch ganz gewiß nicht
groß, gewinnt jedoch an Bedeutung, wenn er mit der Ver-
schiedenheit verglichen wird, welche Seren verschieden ge-
fütterter Kaninchen in anderen Beziehungen in ihrem Ver-
hältnis gegenüber Lösungen photobiologischer Sensibilisatoren
aufwiesen (siehe Abschnitt VI und VID.
Im Anschluß an die oben besprochenen Versuche lag es
nahe zu untersuchen, inwiefern eine Hinzufügung kleiner Mengen
von Säure oder Alkali einen Einfluß auf die Fähigkeit des Serums
hat, die spezifischen Wirkungen der Sensibilisatoren zu vermindern.
Versuche dieser Art stoßen indessen auf recht bedeutende
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 503
Schwierigkeiten, indem die Versuchsobjekte, welche das Maß
tür die Intensität der Lichtwirkung abgeben sollen, selbst so
außerordentlich stark von Säure oder Alkali beeinflußt werden.
Bekanntlich sind die Paramäcien besonders empfindlich sogar
gegen die geringsten Mengen von Säuren und sie vertragen auch
nur eine sehr geringe Beimischung von Na OH oder NasCO;s;
ähnliches gilt für die roten Blutkörperchen, und Enzyme werden
ja vielleicht in noch höherem Grad von Differenzen in der
Alkaleszenz beeinflußt. Von mir, mit Erythrocyten ausgeführte
Versuche ergaben daher auch vollständig negative Resultate.
Die Paramäcienversuche glückten etwas besser; ich führe ein
einzelnes Beispiel an:
Versuch 39.
Das benutzte Serum stammt von einem Kaninchen, das
zehn Tage ausschließlich von Hafer und Brot gelebt hatte. Die
Mischungen wurden in einer Reihe Reagensgläsern vorgenommen,
welche mit Schutzhüllen aus schwarzem Papier gegen das Licht
geschirmt waren. Erst wurden in jedes Glas 10 Teile Serum
abpipettiert; danach wurde NasCOs in steigenden Mengen, so-
wie 10 Teile einer !/s0o Mol. Eosin Na-Lösung zugesetzt. ‘Nach
dem Schütteln wurden schließlich jedem Glas 20 Teile Para-
mäcienkultur zugesetzt und es wurde durch Beimischung von
destilliertem Wasser dafür Sorge getragen, daß die Verdünnung
überall dieselbe war. Von diesen Mischungen wurden Tropfen
in feuchten Kammern angebracht, die danach auf einmal
diffusem Tageslicht ausgesetzt wurden.
2|t sjsisjsisisis|s
oO Jolo SO [a|E| S
h -a 4 A ER
E Z 4 4 Z = A E E Paramäcien | Paramäcien
es) 318% allalab. im im
= S&S] £ ala eig
= s' 515 z a| Licht Dunkel
= Z, z z oloóloöl°lg k
2 5 S S Z Z, Z, al a
ZI I2 2228 =)x|o
to
10| 20 |F 2 „ 24
n n
+71 Stunde | + 7 Stunden
504 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Selbst wenn die Tötungszeiten der Paramäcien in dem oben-
stehenden Versuch deutlich mit dem steigenden Na; CO;-Gehalt
verkürzt sind, so läßt es sich doch nicht mit Sicherheit ent-
scheiden, inwiefern dies auf eine erhöhte Lichtwirkung zurück-
zuführen ist oder ob es ausschließlich der zunehmenden toxi-
schen Wirkung des kohlensauren Natrons zugeschrieben werden
muß; denn dieser letzten Annahme wird ja nicht von dem
Umstand widersprochen, daß die Paramäcien in allen Dunkel-
präparaten mit Ausnahme des letzten am Leben blieben. Später
zu besprechende Versuche über den Einfluß der Alkali-Bei-
mischung auf die Fluoreszenz- und Diffusionsverhältnisse der
Serumfarbstoffmischungen erhöhen indessen die Wahrschein-
lichkeit der Annahme, daß eine NaOH- oder NaCO;-Bei-
mischung auch die sensibilisierende Fähigkeit der besprochenen
Mischungen steigert. In diesem Zusammenhang ist untenstehender
Versuch auch nicht ohne Interesse.
Versuch 40.
Serum von einem Kaninchen, das einige Zeit mit Kohl-
blättern gefüttert war, wurde in zwei gleiche Portionen geteilt,
von denen die eine in einem Dialysator angebracht wurde, um
24 Stunden gegen eine reichliche Menge destillierten Wassers
zu dialysieren. Der Dialysator mit Inhalt wurde vor und
nach der Dialyse gewogen und eine der Gewichtserhöhung ent-
sprechende Wassermenge wurde der zweiten Serumportion bei-
gemischt. Danach wurden die zwei Seren wie gewöhnlich
45 Minuten auf 56° erwärmt.
1/.oo mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: F 2 Std.
Nichtdialys. Kaninchenserum — 1 Teil (Par. im Dunkel:
Par.-Kultur — 2 Teile leb. 24 Std.
!/soo mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: 7 31s Std.
Dialys. Kaninchenserum — 1 Teil } Par. im Dunkel:
Par.-Kultur — 2 Teile leb. 24 Std.
Ebenso wie die spezifischen Wirkungen der sensi-
bilisierenden Stoffe in verschiedenem Grad von ver-
schiedenen Seren beeinflußt werden, so haben letztere
auch einen ungleich starken Einfluß auf die Toxizität
der Stoffe, und es ließ sich insofern ein deutlicher
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 505
Parallelismus nachweisen, als die auf die Sensibili-
sation am stärksten hemmenden Seren auch die
Toxizität am stärksten herabsetzen.
Es ließe sich denken, daß der im vorhergehenden nach-
gewiesene hemmende Einfluß auf die toxischen und sensibili-
sierenden Wirkungen der hier besprochenen Stoffe in der erhöhten
Viskosität läge, die die Serumbeimischung den Lösungen bei-
bringt. Eine derartige Erklärung würde wenigstens bei den
Paramäcienversuchen nicht von vornherein als unwahrscheinlich
erscheinen. Die Frage ließ sich indessen leicht durch ver-
gleichende Versuche mit anderen kolloidalen Lösungen lösen.
Ich benutzte Leim, Gelatine, Gummi Arabicum!), Stärke in
Lösungen, welche, nach Untersuchung mit Ostwalds Viskosi-
meter?), ungefähr dieselbe Viskosität wie Serum hatten.
I. Toxizitätsuntersuchungen:
Versuch 41. Rose Bengal.
1/1000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil
Leitungswasser — 1 Teil } Par. im Dunkel: + 5 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
1/ 000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil Par. an Dinter:
O.-Kaninchenserum — 1 Teil leb. 24 Stunden
Par.-Kultur — 2 Teite i l
1/2000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil
Gummi Arabicum (2%) — 1 Teil ? Par. im Dunkel: ł 15 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
1/1000 Mol. Rose Bengal — 1 Teil
Leimlösung (2°/,) — 1 Teil ? Par. im Dunkel: + 10 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
Versuche mit anderen Stoffen der Fluoreszeinreihe ergaben
in dieser Beziehung dasselbe Resultat. Ebenfalls eine Reihe
der anderen, früher besprochenen Stoffe. Als Beispiel führe
ich an:
1) Gummi Arabicum-Lösungen reagieren in der Regel schwach sauer,
und müssen vor dem Gebrauch zu Versuchen mit Paramäcien sorgfältig
mit Na,CO, neutralisiert werden.
%) Ostwald und Luther: Physiko-Chemische Messungen, 2. Aufl.,
S. 260.
506
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuche 42. on (Chinolinblau).
Cyanin (1: 30000)
Destilliertes Wasser
Par.-Kultur
Cyanin (1: 30000)
O.-Kaninchenserum
Par.-Kultur
Cyanin (1: 30000)
Gelatine (1/0)
Par.-Kultur
pi è NO i e DD. pt
|
X
en T Par. im Dunkel: +7 30 Min.
Teile |
ais
| Par. im Dunkel: leb. 24 Std.
2
= a | Par. im Dunkel: + 35 Min.
Teile
II. Sensibilisationsuntersuchungen.
Versuch 43. Eosin-Na.
1/500 Mol. Eosin-Na
Leitungswasser
Par.-Kultur
1/5000 Mol. Eosin-Na
N.-Kaninchenserum
Par.-Kultur
1/2000 Mol. Eosin-Na
Gummi Arabicum (2°/,)
Par.-Kultur
1/2000 Mol. Eosin-Na
Leimlösung (2°/,)
Par.-Kultur
Versuch 44. Dichloranthracendisulfosaures Na.
1/1000 Mol. dichl. Na
Destilliertes Wasser
Par.-Kultur
1/ 000 Mol. dichl. Na
O.-Kaninchenserum
Par.-Kultur
1/ 000 Mol. dichl. Na
Leimlösung (2°/,)
Par.-Kultur
1
“Dre N e
1
2
1 Teil i an T1!/, Std.
1 Teil / Par. im Dunkel:
2 Teile | leb. 24 Std.
1 Teil Licht: leb. 24 Std.
1 Teil [perin Dunkel:
2 Teile leb. 24 Std.
1 Teil Licht: + 1!/s Std.
1 Teil Ir im Dunkel:
2 Teile leb. 24 Std.
1 Teil Licht: T 2 Std.
1 Teil Ir | Dunkel:
2 Teile leb. 24 Std.
Teil Licht: + 5 Min.
Teil ? Par. im Dunkel:
Teile leb. 24 Std.
Teil Licht: leb. 24 Std.
Teil Im 3 Dunkel:
Teile leb. 24 Std.
Teil Licht: + 10 Min.
Teil ‘Par. im Dunkel:
Teile leb. 24 Std.
Die angeführten Versuche werden genügen, um zu
beweisen, daß die Erhöhung der Viskosität vielleicht
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 507
einen geringen Einfluß auf die toxischen und sensi-
bilisierenden Wirkungen der Farbstoffe besitzt, daß
dieser Einfluß jedoch keineswegs zur Erklärung der
Folgen des Serumzusatzes genügt. — Die Versuche
zeigen ferner, daß die hier besprochenen Wirkungen
gegenüber den photobiologischen Sensibilisatoren in-
sofern dem Serum eigen sind, da sie nicht von Kol-
loiden im allgemeinen hervorgerufen werden können.
Es muß daher angenommen werden, daß die Wirkung von
einem bestimmten Stoff herrührt, den das Serum enthält, und
es liegt nahe die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Eiweiß-
stoffe des Serums zu richten.
Versuch 45.
Kaninchenserum wird mit vier Teilen dest. Wasser verdünnt,
worauf die Eiweißstoffe mit Essigsäure gefällt werden. Nach
Filtration durch aschenfreien Filter und sorgfältiger Neutralisation
mit Natriumkarbonat wird das Filtrat auf Wasserbad zu dem
ursprünglichen Volumen eingedampft, um danach zu folgenden
Versuchen benutzt zu werden:
1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil Licht: ł 2 Std
Dest. Wasser — 1 Teil \ Par. im
Par.-Kultur — 9 Teile Dunkel: leb. 24 Std.
i a _ i
12000 Mol Eoma Na] Teil | Licht: leb. 24 Std.
O-Kaninchenserum — 1 Teil $ Par. im Dunkel: leb. 24 Std
Par.-Kultur — 2 Teile a |
1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Kaninchenserum — Eiweiß- Par. i Licht: t 2!/3 Std.
stoffe — 1Teil fr MR) Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Der Versuch zeigt, daß der hemmende Einfluß des Serum-
zusatzes auf die sensibilisierende Wirkung der Eosinlösungen
entweder den Eiweißstoffen des Serums oder Stoffen zuzu-
schreiben ist, welche mit diesen gefällt werden. Ich ging daher
dazu über zu untersuchen, inwiefern sich eine ähnliche Wirkung
durch Hinzufügung anderer Eiweißstoffe oder von Stoffen her-
vorrufen ließ, die diesen nahe stehen.
508 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Toxizitätsuntersuchungen.
Versuch 46. Eosin-Na-Hühnereiweiß,.
Hühnereiweiß wurde geschlagen, filtriert und mit dest.
Wasser verdünnt, bis es dieselbe Viskosität wie Serum hatte.
Eosin-Na (1:50) — 1Teil
Leitungswasser — 1Teil ọ Par. im Dunkel: ł 30 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
a: no D a) = Se Par. im Dunkel:
-Kaninchenserum — ei g
Hälfte 2 ;
Par.-Kultur — 2 Teile a DRE a
.. en oo no Par. im Dunkel:
er ühnereiweiß — ei
; leb. 8 Std.; T 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile | ° l
Versuch 47. Rose-Bengal-Hühnereiweiß.
Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil
Leitungswasser — 1 Teil ọ Par. im Dunkel: F 10 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile
Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil
O-Kaninchenserum — 1 Teil Par. im Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Rose-Bengal (1:1000)— 1 Teil
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil
Par. im Dunkel:
Hälfte T 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Versuch 48. Tetrachlortetrabromfluoreszein K. —
Hühnereiweiß.
Tetrachl.-K. (1:2000) — 1 Teil |
Leitungswasser — 1Teil | Par. im Dunkel: f 20 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile |
Tetrachl.-K.(1:2000) — 1 Teil
O-Kaninchenserum — 1 Teil }Par. im Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Tetrachl.-K. (1:2000) — 1 Teil
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil Par. im Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 509
Versuch 49. Eosin-Na— Pepton purissim. (Grübler).
Das Pepton wurde in 5°sigen oder 10°/,igen wässerigen
Lösungen benutzt. Es erwies sich eine Neutralisierung mit
Nas CO, als notwendig.
!/g, Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Dest. Wasser — 1Teil ç Par. im Dunkel: F 30 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile |
i/a Mol. Eosin-Na — 1 Teil |
O-Kaninchenserum — 1 Teil ; Par.im Dunkel: Hälfte f 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile |
3s Mol. Eosin-Na — 1 Teil |
Peptonlösung (5 °/) — 1 Teil ç Par. im Dunkel: t 30 Min.
Par.-Kultur — 2 Teile |
Sensibilisationsuntersuchungen.
Versuch 50. Rose-Bengal. — Hühnereiweiß. — Pepton.
Rose-Bengal
(1:15000) — 1 Teil Bari Licht: 7 5 Min.
Leitungswasser — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Rose-Bengal
(1:15 000) — 1 Teil ee Licht: leb. 24 Std.
O-Kaninchenserum — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Rose-Bengal
(1:15. 000) — 1 Teil | p, įm J licht: t 8 Std.
Verd. Hühnereiweiß — 1 Teil Dunkel: leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile |
Nose Bengi | Licht: + 10 Min.
(1:15000) — 1 Teil | Par, im ! Dunkel: Größter Teil
Peptonlösung 10%, — 1 Teil | leb. 24 Std.
Par.-Kultur — 2 Teile
Versuch 51. Dichloranthracendisulfosaures Na —
Pepton puriss.
!/,ov Mol. dichl. Na — 1 Teil Licht: T 5 Min.
Dest. Wasser — 1Teil ẹọ Par. im ) Dunkel: Einzelne
Par.-Kultur — 2 Teile | leb. 24 Std.
510 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
1/soọ Mol. dichl. Na — 1 Teil
O-Kaninchenserum — 1 Teil |; Par. im
Par.-Kultur — 2 Teile
1/500 Mol. dichl. Na — 1 Teil
Peptonlösung 10% — 1 Teil ç Par. im
Par.-Kultur 2 Teile
Licht: leb. 24 Min.
Dunkel: leb. 24 Std.
Licht: F 15 Min.
Dunkel: 7 24 Std.
Es geht aus den angeführten Versuchsresultaten
mit großer Deutlichkeit hervor, daß Hühnereiweiß
einen ähnlichen!) hemmenden Einfluß gegenüber den
toxischen und spezifischen Wirkungen der photobio-
logischen Sensibilisatoren wie das Serum besitzt,
während sich ein derartiger Einfluß in Versuchen mit
Pepton überhaupt nicht geltend macht.
Schon aus diesen Versuchen darf man wohl den
Schluß ziehen, daß die Eiweißstoffe des Serums die
bei dem Serumzusatz hervorgerufenen Veränderungen
der photobiologischen Sensibilisatoren verursachen.
VI.
Über den Einfluß des Serums auf die optischen Eigentümlich-
keiten der photobiologischen Sensibilisatoren.
Ein Teil der photobiologischen Sensibilisatoren wird bei
Serumzusatz aus ihren wässerigen Lösungen gefällt, und von
derartigen Stoffen ist in folgendem nicht die Rede. Ich be-
spreche außerdem nur in vitro vorgenommene Versuche; ein
großer Teil der Farbstoffe wird ja bekanntlich im Organismus
zu Leukostoffen mit ganz anderen optischen Eigenschaften
reduziert.
Das optische Phänomen, das in diesen Untersuchungen
besonderes Interesse besitzt, ist die Fluoreszenz. Wie in der
1) Manchmal war der hemmende Einfluß des Hühnereiweiß bedeutend
weniger ausgeprägt als in den hier angeführten Versuchen. Ich habe
den Grund zu dieser variierenden Wirkung nicht eingehender untersucht.
Sie ist vielleicht auf ähnliche Variationen zwischen den verschiedenen
Eiweißen zurückzuführen, wie diejenigen, welche vorher zwischen ver-
schiedenen Seren nachgewiesen sind; es ist jedo-h auch möglich, sie auf
die Verschiedenheit in der Zubereitung zurückzuführen (Filtration, Ver-
dünnung usw.)
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 511
Einleitung erwähnt, hat man versucht, die Fähigkeit der Sensibili-
satoren zu fluoreszieren mit ihrer Fähigkeit zu sensibilisieren
in Verbindung zu bringen, und ich hielt es nicht für unmöglich
durch Versuche mit Serum gewisse Relationen zwischen diesen
zwei Eigenschaften zu finden, die in dieser Beziehung even-
tuell von theoretischem Interesse sein könnten.
Die Fluoreszenz der Lösungen habe ich einfach in Reagenz-
gläsern auf dunklem Hintergrund untersucht, — entweder in
diffusem Tageslicht, oder in direktem Sonnenlicht oder in dem
mit einer Linse konzentrierten Sonnenlicht. Nur wenn eine
genauere vergleichende Untersuchung wünschenswert war,
wurden die Lösungen in Gläser mit geschliffenen, planparallelen
Wänden gebracht und im Dunkelzimmer mit Hilfe des Spektro-
skops im Licht einer Nernst-Lampe untersucht.
Serum ist bekanntlich selbst fluoreszierend;; dies beeinflußt
jedoch nicht die Untersuchungen in wesentlichem Grade, denn
teils ist die Fluoreszenz verhältnismäßig sehr schwach, teils
wird sie hauptsächlich von Strahlen hervorgerufen, welche Glas
nicht passieren. Recht störend wirkt dahingegen manchmal
die Opaleszenz, jedoch besitzt man im Nicol-Prisma bekanntlich
ein gutes Hilfsmittel, um zwischen dem diffus reflektieren —
teilweise polarisierten — Licht und dem nicht polarisierten
Fluoreszenzlicht zu unterscheiden.
Ich bespreche zuerst den Einfluß des Serumzusatzes
auf die Fluoreszenz in dichloranthracendisulfosauren
Natron-Lösungen. Wie es beständig mit Lösungen fluoreszieren-
der Stoffe der Fall ist, nimmt auch die Fluoreszenz dieses
Stoffes bis zu einem gewissen Punkt mit der steigenden Ver-
dünnung zu, um darauf wiederum langsam zu fallen. Die
konzentrierten dichloranthracendisulfosauren Natron -Jösungen
sind in durchfallendem Licht leicht gelblich, und in auffallen-
dem Licht (diffusem Tageslicht oder Sonnenlicht) ohne sichtbare
Fluoreszenz; diese fängt erst an, sich in Verdünnungen von
ca. 1/2% Mol. zu zeigen und sie nimmt mit der steigenden Ver-
dünnung zu, bis sie ihr Maximum in Verdünnungen von
ca. 1/10000 Mol. erreicht. Derartige Lösungen sind in durch-
fallendem Licht vollständig farblos, während sie in auffallen-
dem Licht prachtvolle, bläuliche Fluoreszenz aufweisen. Diese
nimmt bei weiterer Verdünnung sehr langsam ab und läßt sich
Biochemische Zeitschrift Band I. 34
512 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
in diffusem Tageslicht noch in "/s0o000 Mol.-Lösungen beobachten.
In konzentriertem Sonnenlicht ist sie noch in "/s000000 Mol.-Ver-
dünnungen nachzuweisen.
Stellt man eine Reihe wässeriger dichloranthracendisulfo-
saurer Natron-Lösungen von so, '/100, /s0oo Mol. usw. her und
mischt jeder dieser Lösungen gleiche Teile Kaninchenserum bei,
so verschwindet die Fluoreszenz in allen Präparaten so gut wie
vollständig. Die konzentrierten Lösungen — bis zu Y/ıooo Mol.
dichl. Na +4 Serum ää partes — geben indessen bei Verdünnung
mit Wasser wiederum kräftige Fluoreszenz, während sich diese
nicht auf diesem Wege in Mischungen mit "/govo Mol. dichl. Na
und darunter hervorrufen läßt.
Bei den konzentrierten Lösungen hat der Serumzusatz
also nur eine geringe Herabsetzung der im voraus schwachen
Fluoreszenz bewirkt, und diese tritt auch in dem Augen-
blick wieder ein, wo man die allgemeinen Bedingungen für
das Entstehen der Fluoreszenz durch Verdünnung mit Wasser
günstiger gestaltet. Bei den dünneren Lösungen handelt es
sich dagegen um eine wirkliche Aufhebung der Fluoreszenz-
fähigkeit!) und meine Versuche zeigen, daß eine bestimnite
Menge dichloranthracendisulfosaures Na von einer bestimmten
Menge Serum gebunden wird. 1 ccm Serum hebt die Fluoreszenz
3) Kauffmann und Beißwenger (Über Fluoreszenz. Unter-
suchungen über das Ringsystem des Benzols. Ber. d. Deutsch. chem.
Gesellsch., Jahrg. 37. 1904) haben gezeigt, daß eine anscheinende Auf-
hebung der Fluoreszenz einer Flüssigkeit von einer Änderung der Qualität
des Fluoreszenzlichtes verursacht werden kann. Bei Erhitzung fluores-
zierender Lösungen wird die Farbe des Fluoreszenzlichtes häufig gegen
das violette Ende des Spektrums verschoben, und die beiden Verf. suchen
hierin die Ursache dessen, daß die recht kräftige violette Fluoreszenz bei
dem in Pyridin aufgelösten Akridon bei Erwärmung fast vollständig ver-
schwindet; die Lösung sollte also in diesem Zustand „ultraviolett“ fluores-
zieren. Ich habe in Lösungen schwefelsauren Chinins ein zweites Beispiel
dieses eigentümlichen Verhältnisses gefunden; die Fluoreszenz verschwindet
während der Erwärmung, um sich nach der Abkühlung wiederum in ihrer
vollen ursprünglichen Stärke einzustellen. Dichloranthracensulfos. Na-
Lösungen verhalten sich nicht in ähnliche Weise, und es ließ sich in den
Serum-beigemischten Präparaten keine Fluoreszenz nach Erwärmung auf
57° nachweisen. Übrigens spricht nichts dafür, daß eine derartige
Anderung der Qualität der Fluoreszenz den durch den Serumzusatz her-
vorgerufenen Veränderungen zugrunde liegen sollte.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 513
in 1 ccm einer 1/2000 Mol. dichloranthracensulfos. Na-Lösung auf,
und in Übereinstimmung hiermit wird die Fluoreszenz z. B. in
1 ccm einer 1/10000 Mol.-Lösung durch Zusatz von 0,2 ccm Serum
aufgehoben. Alle die verschiedenen Seren, deren diesbezügliches
Verhältnis ich untersucht habe (Serum von Menschen, Pferd,
Ochsen, Schwein, Kaninchen, Ratte), riefen ähnliche Veränderungen
der Fluoreszenz in dichl. Na-Lösungen hervor; jedoch machten sich
gewisse Unterschiede geltend. Eine derartig verschiedene Wirkung
der verschiedenen Seren trat indessen bedeutend kräftiger in
Versuchen mit Stoffen der Fluoreszeinreihe hervor, und ich
komme deshalb erst bei Beschreibung dieser Versuche zu einer
Besprechung derselben. Ein Zusatz anderer kolloider Lösungen
(Gummi arabicum, Leim, Stärke) hatte keine Aufhebung der
Fluorenszenz der dichl. Na-Lösungen zur Folge.
Die wässerigen dichl. Na-Lösungen verändern nicht in
wesentlichkem Grade ihre Fluoreszenz durch Zugabe von
Alkalien oder Säuren. Dagegen haben Schwankungen in der
Alkaleszenz einen außerordentlich großen Einfluß auf die
Fluoreszenz in Mischungen von Serum und dichl. Na. Mischt
man z. B. eine '/ıoooo Mol. dichl. Na-Lösung mit ihrem gleichen
Volumen Serum, so verliert, wie gesagt, die Lösung vollständig
ihre Fähigkeit zu fluoreszieren. Setzt man zu dieser Lösung
NaOH oder Na:CO;, tritt indessen wiederum eine prachtvolle
Fluoreszenz auf. Wird der Lösung bis zum Überschuß freie
Säure HCl zugesetzt (positive Reaktion mit Phlorogluzin -Vanillin)
so tritt ebenfalls eine kräftige, wenn auch etwas schwächere
Fluoreszenz ein.
Ich gehe zur Besprechung der Stoffe der Fluoreszein-
gruppe über. Einzelne derselben (z. B. Rose Bengal und
Erythrosin) fluoreszieren so schwach, daß sie sich nicht zu
Untersuchungen der hier besprochenen Art eignen. Ein großer
Teil der übrigen Fluoreszein-Derivate zeichnet sich dagegen
durch ihre ungewöhnlich starke Fluoreszenz aus, die sich bei
einigen selbst in extremen Verdünnungen hält. In Tetra-
chlortetrabromfluoreszein-Kalium konnte ich u. a. mit konzen-
triertem Sonnenlicht noch in Verdünnungen von 1 : 200000000
eine deutlich grüne Fluoreszenz hervorrufen.
Der Einfluß der Serumanwesenheit auf die Fluoreszenz er-
wies sich bei meinen Versuchen als in allem wesentlich gleich-
34”
514 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
mäßig gegenüber den verschiedenen Stoffen dieser Gruppe,
und ich brauche daher nur die Verhältnisse betreff eines
Stoffes z. B. des Eosin-Na (Tetrabromfluoreszein-Na) zu
besprechen.
Eosin-Na ist leicht löslich in Wasser, mit roter Farbe und
grünlich-gelber Fluoreszenz. Diese ist in Lösungen !/ıoooo bis
1/20000 Mol. am stärksten, sie läßt sich in diffusem Licht noch
in Y/ısooooo Mol.-Verdünnungen beobachten, in Sonnenlicht in
1/10000000 Mol.-Verdünnungen und in konzentriertem Sonnenlicht
sogar in !/100000000 Mol.-Verdünnungen. Y/ıoooooo Mol.-Lösungen
sind in durchfallendem Licht vollständig farblos (Reagenzglas-
versuch).
Beim Vergleich einer Reihe wässeriger Eosin-Na-Lösungen
(z. B. 1/25, 1/50, "100 Mol. usw.) mit einer entsprechenden Reihe
Eosin-Serum-Mischungen, die aus den wässerigen Eosinlösungen
durch Beimischung gleicher Teile Pferdeserum hergestellt sind,
wird man im Hinblick auf die Fluoreszenzverhältnisse folgendes
beobachten können: Die Fluoreszenz ist in allen Serumpräparaten
im Verhältnis zu den entsprechenden wässerigen Eosinlösungen
bedeutend herabgesetzt. Die Herabsetzung ist jedoch weit stärker
in den verdünnten als in den mehr konzentrierten Lösungen
ausgeprägt, und in diesen letzten tritt wiederum eine schöne
Fluoreszenz ein, sobald sie mit Wasser verdünnt werden. In
Verdünnungen von "/ssoo Mol.-Eosin-Na und darunter wird die
Fluoreszenz in diffusem Tageslicht vollständig durch Zusatz
gleicher Teile Serums aufgehoben, und eine Verdünnung
mit Wasser ist nicht imstande, sie wiederum hervorzurufen.
In konzentriertem Sonnenlicht untersucht, weisen derartige
Präparate doch noch eine schwache grünliche Fluoreszenz auf,
und diese läßt sich sogar in Mischungen von Serum mit gleichen
Teilen einer "/ıoooo Mol. Eosin-Na noch wahrnehmen.
Wiederholt man diese Untersuchungen z. B. mit Schweine-
gerum, so wird sich das Resultat indessen ganz anders
gestalten. Der Zusatz des Serums wird auch jetzt eine
Schwächung der Fluoreszenz der Eosinlösungen verursachen,
jedoch wird diese in keinem der Präparate ganz aufgehoben.
Die Fluoreszenzherabsetzung braucht außerdem nicht besonders
stark zu sein. Die verschiedenen, von mir zu meinen Ver-
suchen benutzten Seren verhielten sich in dieser Beziehung weit
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 515
verschieden, und sogar Versuche mit Seren derselben Tierart
konnten recht abweichende Resultate ergeben.
Die Ursache der inkonstanten Wirkungen der verschie-
denen Seren muß in den Variationen der ‚„Serum-Alkaleszenz‘“
gesucht werden. Dies geht erstens aus vergleichenden Ver-
suchen hervor; welche ich mit den Seren von zwei Kaninchen
angestellt habe, von denen das eine in den letzten drei Wochen
vor dem Aderlaß mit in Wasser aufgeweichtem Brot und Hafer
gefüttert war, während das zweite in demselben Zeitraum aus-
schließlich Grünfutter (Kohlblätter) bekommen hatte. In äqui-
molekularen Eosin-Lösungen rief das Serum von dem ersten
Kaninchen eine bedeutend stärkere Herabsetzung der Fluoreszenz
als das Serum von dem zweiten hervor. Zweitens stütze ich
meine Auffassung auf folgende Verhältnisse. In einer wässerigen
Eosin-Na-Lösung ruft Alkali keine wesentliche Veränderung
der Fluoreszenz hervor. Bei Zusatz von Säuren — z.B. HCl
— spaltet sich Eosin-Na sofort und die in Wasser unlösliche
Eosin-Säure wird als ein rötlicher Bodensatz gefällt; gleichzeitig
verschwindet die Fluoreszenz vollständig. Eosinlösungen, zu
denen Serum gesetzt ist, verhalten sich ganz anders. Wird
einer Mischung von Serum mit gleichen Teilen einer dünnen
Eosin-Lösung (z. B. 1/20000 Mol.) NaOH oder NaCO; zugesetzt,
so wird die Fluoreszenz wiederum in ihrer vollen Stärke auf-
treten, gleichviel, ob das betreffende Serum sie im voraus
ganz zum Verschwinden gebracht oder ob es sie nur herab-
gesetzt hatte. Setzt man zu einer ähnlichen Eosin-Serum-
Mischung, in welcher die Fluoreszenz nicht aufgehoben ist,
tropfenweise eine dünne HCl-Lösung, so wird die Fluoreszenz
allmählich abnehmen, um schließlich ganz zu verschwinden.
Das Präparat enthält zu diesem Zeitpunkt keinen Überschuß
freier Salzsäure. Fährt man mit Tropfenzusatz der HCl fort,
so geschieht indessen das merkwürdige, daß die Fluoreszenz
wiederum eintritt und daß kein Fällen der Eosinsäure ent-
eteht!), Das Verhältnis ist um so merkwürdiger, da chemisch
) Die Rede ist hier nur von Eosinlösungen von weniger als ca.
goon Mol. mit gleichen Teilen Serum gemischt. Die Verhältnisse werden
betreff der mehr konzentrierten Lösungen in Abschnitt VIIl besprochen
werden.
516 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
reine Eosinsäure in Serum, zu welchem ein Überschuß freier
HCl gesetzt ist, unauflöslich ist.
Da eine Zugabe von NaCl zu Lösungen verschiedener
fluoreszierender Stoffe (schwefelsaures Chinin, y-Phenyl-
chinaldinchlorid u. a.) die Fluoreszenz in diesen herabsetzt oder
aufhebt, so wäre es denkbar, daß die im vorhergehenden
erwähnte Fluoreszenzherabsetzung vom Salzgehalt des Serums
abhängig sei. Indessen ist dies nicht der Fall, denn selbst
starke Salzlösungen lassen die Fluoreszenz unbeeinflußt, sowohl
in Lösungen der Derivate des Fluoreszeins wie auch in dichlor-
anthracendisulfosauren Natron-Lösungen.
Daß die Ursache zu den oben geschilderten Phänomenen
ebenfalls nicht in den amphoteren Eigenschaften des Serums
zu suchen ist, geht aus Versuchen mit anderen amphoteren
Elektrolyten (Theobromin, Glykokoll) hervor, mit denen sich
keine entsprechenden Reaktionen hervorrufen ließen.
Eine Zufügung verschiedener Kolloide (Lösungen aus
Gummi Arabicum, Leim oder Stärke) bewirkt in Eosin-Na-
Lösungen nur eine geringe Herabsetzung der Fluoreszenz, und
bei Zugabe von Salzsäure zu derartigen Mischungen wird die
Eosinsäure ebenso wie in rein wässerigen Lösungen gefällt, indem
die Fluoreszenz natürlich gleichzeitig wegfällt.
Hühnereiweiß reagiert dagegen im großen und ganzen
in derselben Weise wie Serum gegenüber den erwähnten Farb-
stoffen; man erzielt jedoch beständig in Versuchen mit Serum
bedeutend schönere Resultate als in Versuchen mit Hühnereiweiß.
Neben den oben besprochenen Veränderungen in der Fluores-
zenz der Fluoreszeinderivate hat eine Serumhinzusetzung auch
leichte Farbenveränderungen in Lösungen dieser Stoffe zur Folge.
Der Farbenveränderung entsprechend ruft der Serum-
zusatz eine im Spektroskop leicht zu beobachtende Ver-
schiebung der Absorptionslinien der Lösungen gegen den roten
Teil des Spektrums hervor. Z. B. haben wässerige Rose Bengal-
Lösungen zwei Absorptionsstreifen im gelb-grünen Teil des
Spektrums, der eine entspricht einer Wellenbreite von 548 uu,
der andere einer Wellenbreite von 511 uu. Nach Zusatz von
Serum fand ich, daß die Absorptionslinie nach 562 uu resp.
825 uu verschoben war.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 517
Bei Hinzusetzung von Serum konnte ich in Tetrachlor-
tetrabromfluoreszein-Na- und Eosin-Na-Lösungen ähnliche Ver-
schiebungen der Absorptionsspektren beobachten. Dahingegen
veränderte eine Hinzusetzung von Gummi Arabicum nicht das
Aussehen der Spektren.
Bei Zusatz von NaOH zu einer Mischung von Eosin-Na
und Serum wanderten die Absorptionslinien wiederum auf den
Platz zurück, der für das Absorptionsspektrum der wässerigen
Eosin-Lösung charakteristisch ist. Bei Hinzusetzung von HCl
zeigten die Linien Tendenz zu einer Bewegung in derselben
Richtung, sie kehrten jedoch bei weitem nicht zu dem nor-
malen Platz zurück.
Die Resultate der obenstehenden Versuche lassen sich
folgendermaßen zusammenfassen:
Ein Zusatz von Serum zu Lösungen der hier
besprochenen photobiologischen Sensibilisatoren hat
eine mehr oder weniger ausgeprägte Herabsetzung
der Fluoreszenz derselben zur Folge Der Grund der
Fluoreszenzherabsetzung hängt teilweise von der größe-
ren oder geringeren „Alkaleszenz“ des betreffenden
Serums ab, teilweise vom Verdünnungsgrad der Lösun-
gen, teilweise von deren Qualität (in Fluoreszein-Na-
Lösungen wird die Fluoreszenz z. B. verhältnismäßig
wenig beeinflußt). Das Charakteristische für diese
Serum-Farbstoffmischungen istindessen, daß die Fluo-
reszenz immer vollständig verschwindet, wenn sie
mit HCl neutralisiert werden, und daß ein weiterer
Zusatz schwacher Salzsäure wiederum eine Fluo-
reszenz hervorruft. Besonders merkwürdig ist dieses
Verhältnis betreffs der Fluoreszein-Derivate, da diese
sonst von starken Säuren augenblicklich gespalten
werden. Bei Zusatz von NaOH zu Serum-Farbstoff-
mischungen kommt die Fluoreszenz beständig wieder
in ihrer vollen Stärke zum Vorschein.
Die Serumhinzusetzung ruft außerdem eine geringe
Farbenveränderung in den erwähnten Lösungen hervor,
und gleichzeitig werden die Absorptionsspektren auf
charakteristische Weise verändert.
518 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Bei Zugabe anderer Kolloide (Leim, Gummi Ara-
bicum, Stärke), anderer amphoterer Elektrolyte
(Theobromin, Glykokoll) oder NaCl können ent-
sprechende Reaktionen in den fluoreszierenden Lösun-
gen nicht hervorgerufen werden. Dagegen verhält
sich das Hühnereiweiß in dieser Beziehung ähnlich
wie Serum, wenn auch die Reaktionen bei weitem nicht
so schön verlaufen wie in den Versuchen mit Serum.
VII.
Über den Einfluß des Serums auf die Diffusionsverhältnisse der
photobiologischen Sensibilisatoren.
Ich habe früher (S. 497) hervorgehoben, daß Lösungen der
photobiologischen Sensibilisatoren, deren sensibilisierende Fähig-
keit gegenüber Paramäcien infolge eines Serumzusatzes gänz-
lich aufgehoben ist, noch deutliche sensibilisierende Wirkungen
in Versuchen mit Lösungen nicht organisierter Stoffe be-
sitzen können, und daß die Ursache wenigstens teilweise darin
zu suchen ist, daß in den ersten Versuchen osmotische Ver-
hältnisse große Bedeutung haben, während sie für den Ausfall
der letzten Versuche kaum eine Rolle spielen. Um u. a. dieser
Hypothese eine experimentelle Basis zu geben, habe ich die
untenstehenden Untersuchungen über den Einfluß der Serum-
anwesenheit auf die Diffusionsgeschwindigkeit der Sensibili-
satoren angestellt. Diese Untersuchungen waren indessen auch
in anderer Beziehung von bedeutendem Interesse: Ich habe im
vorhergehenden biologisch den Beweis geführt, daß die ein-
greifenden Wirkungen der Serumhinzusetzung ihre Ursache
darin haben müssen, daß die betreffenden photobiologischen
Sensibilisatoren mit den Eiweißstoffen des Serums Verbindungen
dieser oder jener Art eingehen, und es war schon im voraus
eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß die
Diffusionsuntersuchungen dazu beitragen würden, Klarheit über
die Natur dieser Verbindungen zu schaffen.
Zu den Versuchen verwendete ich teilweise selbstverfertigte
Dialysatoren mit Membranen aus Hausenblase oder aus Perga-
ment, teilweise fabrikmäßig hergestellte Dialysatoren von
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 519
Schleicher und Schüll. Bei den ersten kommt es nicht
selten vor, daß — selbst nach einer noch so sorgfältigen An-
legung der Membran und einer anscheinend glücklich ge-
lungenen Umbindung — die Haarrohrkraft doch auf dieser
oder jener Stelle Spuren der Lösung zwischen dem Glas und
der Membran hinauszwingen wird, ein Fehler, der doch leicht
zu kontrollieren ist, wenn man mit gefärbten Lösungen ar-
beitet. Er ist zu beseitigen, wenn man den Rand des Glases
vor Anlegung der Membran z. B. mit Vaseline einfettet, oder
indem man die Membran unmittelbar über der Umbindungs-
stelle abschneidet und hierauf diese ganze Partie z. B. mit
Lackfirnis (wenn mit wässerigen Lösungen gearbeitet wird) über-
pinselt. Um die Dichtigkeit der Dialysatoren zu untersuchen,
füllte ich sie bis zum Rand mit Wasser und stellte sie auf
ein Stück Filtrierpapier. War innerhalb einer Stunde an
keiner Stelle ein Tropfen durchgedrungen, so betrachtete ich
den Dialysator als brauchbar.
Die Serum-Beimischung zu den Lösungen der sensibili-
sierenden Stoffe wurde beständig vor deren Anbringung im
Dialysator vorgenommen. Die Flüssigkeitsmenge in den Dialy-
satoren war in allen Versuchen dieselbe, und sie wurde in der
Regel gegen 1,5 Mal größeres Volumen dest. Wasser dialysiert.
Die Menge der dialysierten Farbstoffe wurde teils kolorimetrisch,
teils — bei den dünnen, farblosen Lösungen — durch Vergleich
ihrer Fluoreszenz mit der Fluoreszenz in bekannten wässerigen
Lösungen des betreffenden Stoffes bestimmt.
Versuch 52.
Eosin-Na. Dialyse durch Hausenblase in 24 Stunden.
500 Mol. Eosin-Na — 1 Teil nase Mol. 1
Kaninchen-Serum — 1 Teil
'/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | ,
; z /s00000 Mol.
Kaninchen-Serum — 1 Teil
1/2000 Mol. Eosin-Na — 1 i E Mol
Kaninchen-Serum — 1 Teil | ‘1000900 i
1) Die Stärke der wässerigen Lösung des Farbstoffes, der — kolo-
rimetrisch bestimmt — dem Farbstoff außerhalb des Dialysators bei
Schluß des Versuchs entspricht.
520 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
!/sooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | !/20000000 Mol. (Spur von Fluo-
Kaninchen-Serum — 1 Teil] reszenz in konzentr. Sonnenlicht.
1'zo00 Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Dest. Wasser — 1 = /soooo Mol.
Der Versuch ergibt, daß der Serumzusatz eine hochgradige
Hemmung der Dialyse verursacht, und daß die Dialyse praktisch
betrachtet in Eosinlösungen von weniger als 1/2000 Mol., zu welchen
gleiche Volumina Serums gesetzt sind, gleich Null ist; jeden-
falls nähert sich die Langsamkeit, mit welcher das Eosin in
diesen Mischungen dialysiert, stark der den Kolloiden eigenen.
Ähnliche Resultate erreichte ich bei Versuchen mit anderen
Derivaten des Fluoreszein (Rose Bengal und Tetrachlortetrabrom-
fluoreszein-Na).
Versuch 53.
Dichloranthracendisulfosaures Natron. — Dialyse durch
Hausenblase in 18 Stunden.
1/500 Mol. dichl. Na — 1 Teil | 7 PE
Ochsen-Serum — 1 Teil en
1/2000 Mol. dichl. Na — 1 Teil | 1/5000000 Mol. (Spur von Fluor-
Ochsen-Serum — 1 Teil j eszenz in konz. Sonnenlicht).
1/2000 Mol. dichl. Na — 1 Teil
Destilliertes Wasser — 1 Teil
Das dichloranthracendisulfosaure Natron verhält sich also
auch in dieser Beziehung ähnlich wie die Stoffe in der
Fluoreszeinreihe.
Man achte auf die Übereinstimmung, die sich zwischen
den Konzentrationen der Farbstofflösungen findet, welche durch
Hinzusetzung gleicher Teile Serums ihre sensibilisierende Fähig-
keit gegenüber Paramaecium caudatum einbüßen, und der
Konzentration der Lösungen, deren osmotischer Druck durch
die Serumhinzusetzung auf ein Minimum verringert wird. Es
scheint mir, daß diese Übereinstimmung in hohem Grade zum
Beweis für die Richtigkeit der oben besprochenen Hypothese
spricht.
Vergleichende Versuche mit Seren verschiedener Tierarten
ergaben in Analogie mit Sensibilisations- und Fluoreszenz-
versuchen eine höchst verschiedene Wirkung der verschiedenen
Seren.
| 1/ 10000 Mol.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 521
Versuch 54.
Eosin-Na. Dialyse durch Pergament in 15 Stunden.
I. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 | 7 er
Menschen-Serum — 1 Teil 2000000 Mol.
II. "/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil 1/ wai
Hühner-Serum z T Teil 90000 Mol.
III. Yıooo Mol. Eosin-Na — 1 an 7 ia
Kaninchen-Serum — 1 Teil f m "9
IV. 1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | | j wa
Schweine-Serum er] oi:
V. !/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | , j en
Ochsen-Serum — 1 Teil 150000 Mol.
Zur Kontrolle wurde der Versuch mit ganz entsprechenden
Mischungen und mit denselben — wohl gereinigten — Dialysatoren
wiederholt, indem diese umgetauscht wurden, so daß in jede
derselben ein anderes Serum als in dem ersten Versuch kam.
Die Resultate stellten sich dieses Mal nach 20 stündiger Dialyse
folgendermaßen:
I. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 7 en
Menschen-Serum — 1 Teil 2000000 MOL.
II. 1/i0ooọo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 1, ve
Hühner-Serum — 1 Teil R0000: MAOA:
III. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | TA TE
Kaninchen-Serum — 1 Teil Ai -708:
IV. Yıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil F Fr
Schweine-Serum SR. ren Mn an
V. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 1 i
Ochsen-Serum — 1 Teil 100000 Mol.
Die Resultate der beiden Versuche stimmen allenfalls ge-
nügend gut überein, um die ungleich starken Wirkungen der
verschiedenen Seren zu beweisen. Die Unterschiede sind wahr-
scheinlich auf deren ungleiche „Alkaleszenz“ zurückzuführen;
denn ich konnte auch mit Seren derselben Tierart verschiedene
Resultate in diesen Diffusionsversuchen erzielen, indem ich vor-
her durch das Futter die Zusammensetzung des Blutes bei den
betreffenden Tieren in verschiedener Weise beeinflußte.
522 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Versuch 55.
Eosin-Na. Dialyse in 15 Stunden durch Pergament.
Serum A von mit Kohlblättern gefütterten Kaninchen.
Serum B von mit Brot und Hafer gefütterten Kaninchen.
1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 reil | V douos MoL
Kaninchen-Serum A — 1 Teil
1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | a ia
Kaninchen-Serum B — 1 Teil | 9 7
Der Versuch wurde mit denselben, jedoch jetzt umge-
tauschten Dialysatoren wiederholt, und das- Resultat wurde da-
durch nicht verändert.
Im Anschluß an die obenstehenden Versuche stellte ich
folgende Versuchsreihe an.
Versuch 56.
Eosin-Na. Dialyse in 15 Stunden durch Pergament.
I. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser
4,5 Teile
Im Dialysator (/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Dest. Wasser — 2 Teile
II. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser
1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Im Dialysator į Kaninchen-Serum — 1 Teil
Dest. Wasser — 1 Teil
III. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser
H 1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Im Dialysator į Kaninchen-Serum — 1 Teil
Nae Cos (2°/,) — 1 Teil
IV. Außerhalb des Dialysators: NaCO; (2o)
!/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Im Dialysator \Kaninchen-Serem — 1 Teil
Dest. Wasser — 1 Teil
V. Außerhalb des Dialysators: Dest. Wasser
!/iooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil
Kaninchen-Sertum — 1 Teil
HCl — bis zur Fluoreszenz bei
schwach saurer Reaktion
Yo ooo Mol.
Nun un
1/350000 Mol.
1 50000 Mol.
1/40 000 Mol.
Im Dialysator —- Dialyse.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 523
Der Versuch zeigt, daß ein Zusatz von NaCO; zur Serum-
Eosinmischung die Diffusionsgeschwindigkeit des Eosins in
hohem Grade fördert, oder vielleicht besser ausgedrückt, daß
ein Zusatz von Serum zu Eosin-Na-Lösungen nur in geringem
Grad deren Diffusionsfähigkeit beinflußt, wenn gleichzeitig
Nae COs (oder KOH) zugegeben wird.
Da eine Hinzusetzung von HCl in Überschuß — ebenso
wohl wie die Hinzusetzung von Alkalien — den Serum -Farb-
stoffmischungen wiederum ihre Fluoreszenz-Fähigkeit zurückgibt,
könnte es von Interesse sein zu untersuchen, ob ein ähnlicher
Parallelismus in den Wirkungen mit Rücksicht auf die Diffusions-
fähigkeit existiert. Versuch 56 sagt doch nichts Sicheres, denn
das Wasser außerhalb des Dialysators wird schnell einen HCl-
Gehalt bekommen, welcher bewirken muß, daß das eventuell
diffundierende Eosin-Na — vielleicht schon in der Membran —
unter Fällen des in Wasser unlöslichen Tetrabromfluoreszein
gespaltet wird. Ich wiederholte daher die obenstehenden Ver-
suche mit der Änderung, daß die Serumfarbstoffmischungen
nicht gegen Wasser sondern gegen Serum derselben Verdünnung
wie in der Mischung im Dialysator diffundiert wurden. Außerdem
wurden gleich große Mengen HCl resp. KOH zum Serum in und
außerhalb der Dialysatoren hinzugefügt. Durch dieses Verfahren
wurde das eventuelle Fällen des Eosins verhindert; denn im
Überschuß des Serum wird, wie früher erwähnt, das Eosin
nicht durch Hinzusetzung von HCl zu schwach saurer
Reaktion gefällt.
Versuch 517.
Eosin-Na. — Dialyse in 48 Stunden durch Dialysatoren von
Schleicher und Schüll.
| Eosin-Na (1: 5000) — 5 ccm f schwach fluo-
I. Im Dialys.
\Kaninchensertum — 5 cem reszierend
Außerhalb des Dialysators o P O
Kaninchenserum — 5 ccm
—- Dialyse.
Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm se He
[I. Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm | oo
reszierend
Kalilauge — 5 Tropfen
524 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Dest. Wasser — 5 ccm
Außerhalb des Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm
Kalilauge — 5 Tropfen
Dialyse 1:25000 (stark fluoreszierend).
III. Diesem Präparat wurde gerade soviel Salzsäure zugesetzt, daß
die Fluoreszenz in der Serum-Eosinmischung verschwand.
Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm
Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 cem | —- Fluoreszenz
1/10 norm. HCl — 3 cem
Dest. Wasser — 5 ccm
Außerhalb des Dialysators | Kaninchenserum — 5 cem
*/io norm. HCl. — 3 cem
— Dialyse.
IV. Hinzusetzung von HCl im Überschuß bis zu kräftiger
Fluoreszenz bei saurer Reaktion der Serum-Eosinmischung.
Eosin-Na (1 : 5000) — 5 ccm RER
Im Dialys. | Kaninchenserum — 5 ccm | Be ul:
!/jo norm. HCl — 6ccm Be
Dest. Wasser — 5 cem
Außerhalb des Dialysators | Kaninchenserum — 5 ccm
Yo norm. HCl — 6 ccm
—- Dialyse.
Die Versuche zeigen, daß, während eine Hinzusetzung so-
wohl von Alkalien wie auch von Säuren (im Überschuß) die
Fluoreszenz der Serum-Farbstofflösungen erhöht, die Diffusions-
fähigkeit der Farbstoffe in diesen Lösungen nur durch Hinzu-
setzung von Alkalien erhöht wird.
Daß Eosin-Na in wässerigen Lösungen eben sowohl gegen
Serum wie gegen Wasser zu diffundieren vermag, geht aus
folgenden Versuchen hervor.
Versuch 58.
Eosin-Na. Dialyse in 20 Stunden durch Dialysatoren
von Schleicher und Schüll.
Im Dialysator: Eosin-Na (1:10000) — 1 Teil.
Außerhalb des Dialysators: Kaninchenserum — 1 Teil.
Dialyse: 1:20000 (+- Fluoreszenz).
In einer Abhandlung über Einträufelung von Fluoreszein-
Kaliumlösungen in den Konjunktivalsack als diagnostisches
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 525
Hilfsmittel bei Kornealeiden erwähnt Bihler!), daß ein
Zusatz von Soda zu wässerigen Fluoreszein - Kaliumlösungen
deren Färbkraft und Diffusionsfähigkeit erhöht — und bei
vergleichenden Diffusionsversuchen mit wässerigen Eosin - Na-
Lösungen mit und ohne Hinzusetzung von Na CO; konnte ich
ebenfalls betreff dieses Stoffes einen deutlichen Unterschied der
Diffusionsgeschwindigkeit in der angegebenen Richtung konsta-
tieren. Inwiefern angenommen werden muß, daß für die
Resultate dieser Versuche und der Resultate von Versuch 56:
III und IV sowie Versuch 57: II ein und dieselbe Ursache
zugrunde liegt, möchte ich mich nicht näher aussprechen; jedoch
verdient es hervorgehoben zu werden, daß die Erhöhung der
Diffusionsgeschwindigkeit, welche die Hinzusetzung von Alkali
(besonders Kali- oder Natronlauge) in den Serum-Farbstoff-
mischungen hervorruft, erstens viele Male größer als diejenige
ist, welche die Sodahinzusetzung in den wässerigen Lösungen
der Farbstoffe erzeugt, und daß sie zweitens nur als ein
einzelnes Glied in der Reihe von Veränderungen zu betrachten
ist, welche die Alkali-Hinzusetzung infolge des vorher mitgeteilten
in den Eigenschaften der Serumfarbstoffmischungen hervorruft.
Daß sich die geringe Dialyse in den Serumpräparaten
keineswegs allein durch die höhere Viskosität in diesen Präpa-
raten, oder durch die kolloiden Eigenschaften des Serums er-
klären läßt, geht mit größter Deutlichkeit aus untenstehenden
Versuchen mit Gummi arabicum und Leim in Lösungen von
ungefähr gleicher Viskosität wie die des Serums (mit Hilfe
von Ostwalds Apparat bestimmt) hervor.
Versuch 59.
Tetrachlortetrabromfluoreszein-Na. — Dialyse durch
Hausenblase in 24 Stunden.
I. Ygooo Mol Tetrachl. Na — 1 Teil
Dest. Wasser — 1 Teil
II. 1/3000 Mol. Tetrachl. Na — 1 Teil
Dest. Wasser — 1 Teil
1/10000 Mol.
| 4 500000 Mol.
) Bihler, W., Zur Diagnose von Endothelerkrankungen der
Hornhaut mittels Fluoreszein, insbesonders sympathischer Ophthalmie.
Münchener med. Wochenschr. Nr. 32. 1899.
526 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
III. '/200o Mol. Tetrachl. Na — 1 Teil | 1 Mol
15000 .
Gummi arabicum (2°,) — 1 Teil
IV. 1/200 Mol. Tetrachl. Na — 1 Teill, / Mol
Leimlösung (2 %) = Fall 9» an
In dieser, ebenso wie in den im vorhergehenden besproche-
nen Versuchsreihen zeigt es sich hingegen, daß Hühnereiweiß
eine ähnliche Wirkung wie Serum besitzt. Die Wirkung ist
jedoch’ bei dem Hühnereiweiß bedeutend schwächer und
weniger konstant als bei dem Serum.
Versuch 60.
Eosin-Na — Hühnereiweiß (geschlagen und filtriert). —
Dialyse in 24 Stunden durch Dialysatoren von Schleicher
und Schüll.
I. "ioo Mol. Eosin-Na — 1 Teil |, A
Dest. Wasser — 1 Teil j i8000 Mol.
II. 1/1000 Mol. Eosin-Na — 1 Teil | 7 iai
Kaninchenserum u A
III. Y/ıooo Mol. Eosin-Na — 1 Teil | TAB
Hühnereiweiß SER me | oa ol.
Die Resultate der Diffusionsuntersuchungen lassen sich der-
art zusammenfassen :
Die Diffusionsgeschwindigkeit der hier besproche-
nen sensibilisierenden Stoffe wird in dem Augenblick
außerordentlich herabgesetzt, wo ihre wässerigen Lö-
sungen mit Serum gemischt werden. — Die durch den
Serum-Zusatz bedingte Herabsetzung der Diffusions-
geschwindigkeit ist geringer, je größer die „Alka-
leszenz“ des betreffenden Serums ist, gleichviel ob
diese auf den natürlichen NaCO;-Gehalt des Serums
zurückzuführen, oder in vitro durch Hinzusetzung von
Alkali erhöht ist.
Hühnereiweiß verhält sich, was dies anbetrifft,
ähnlich wie Serum, wirkt jedoch bedeutend schwächer.
Andere Kolloide (Leim, Gummi arabicum) haben
keinen Einfluß auf die Diffusionsgeschwindigkeit der
Farbstoffe außer demjenigen, den die erhöhte Viskosi-
tät zur Folge hat.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 527
VIII.
Chemische Reaktionen zwischen photobiologische Sensibili-
satoren und den Eiweißstoffen des Serums.
In den vorhergehenden Abschnitten ist gezeigt worden,
wie ein Serumzusatz zu Lösungen einer Reihe verschiedenen
cheinischen Gruppen angehörenden sensibilisierenden Stoffen so-
wohl betreffs der Eigentümlichkeiten des Serums wie auch die
der betreffenden Sensibilisatoren eingreifend verändern kann.
Was das Serum anbelangt, so wird dessen Koagulationsfähigkeit
verändert, und dessen Giftigkeit gegenüber Paramäcien (die
Alexinwirkung) wird verringert oder aufgehoben. Was die
Sensibilisatoren anbetrifft, so werden deren Toxizität und Sensi-
bilisationsfähigkeit verringert oder aufgehoben und bezüglich
deren Fluoreszenz, spektralen Absorption und Diffusionsverhält-
nisse treten bedeutende Veränderungen ein. Es geht ferner
aus meinen Untersuchungen hervor, daß diese gegenseitigen
Einwirkungen vom Eiweißgehalt des Serums bedingt werden.
Erstens ist es nämlich nur denkbar, daß Veränderungen der
Eiweißstoffe des Serums den Veränderungen der Koagulations-
fähigkeit und Alexinwirkung des Blutes zugrunde liegen;
zweitens ruft Serum nach Fällen und Abfiltration seiner Albu-
minstoffe nicht die früher erwähnten Veränderungen in Lösungen
sensibilisierender Stoffe hervor, und drittens lassen sich diese
Veränderungen nicht allein durch Serumbeimischung sondern
auch durch Hinzusetzung anderer eiweißhaltiger Lösungen
(Hühnereiweiß) hervorrufen.
Zwischen allen den erwähnten Reaktionen ist ein so aus-
geprägter Parallelismus, daß sie wahrscheinlich ein und dieselbe
Ursache haben müssen, und diese ist darin zu suchen, daß die
Eiweißstoffe mit den betreffenden Sensibilisatoren Verbindungen
mit ganz anderen Eigenschaften als die der zwei Komponenten
eingehen.
Es sind in den letzten Jahren — besonders seitens der
histologischen Farbentechniker — eine Anzahl interessanter
Untersuchungen über die Eiweißverbindungen der Anilinfarb-
stoffe erschienen. Ich verweise, ohne auf eine ausführliche
Biochemische Zeitschrift Band I. 3)
528 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Erörterung dieser Literatur einzugehen, auf Mathews') und
Heidenhains’) grundlegende Arbeiten. Der erste Verf. wies
nach, daß Eiweiß sowohl mit Farbsäuren wie auch mit Farb-
basen Salze bildet, und Heidenhain erweiterte später unsere
Kenntnis bezüglich dieser Verbindungen durch umfassende Unter-
suchungen; gleichfalls wies er ihre theoretische und praktische
Bedeutung für die histologische Färbetechnik nach, ein Gebiet,
das Bethe°) in einer vor kurzem erschienenen Arbeit weiter
bearbeitet hat.
Die Eiweißverbindungen mit Farbsäuren resp. Farbbasen
illustriert Heidenhain besonders schön, indem er Beispiele
solcher Fälle vorführt in denen die freien Farbsäuren resp.
Farbbasen eine andere Farbe als ihre Salze besitzen. Die freie
Nilblaubase ist z. B. rot, während deren Salze blaugefärbt sind,
und wird der Base Eiweiß zugesetzt so tritt die blaue Farbe
ebenso wie bei Hinzusetzung von Säuren ein. Mit Kongorot
verhält es sich umgekehrt, indem die blaue Kongosäure durch
Hinzusetzung von Eiweiß rot gefärbt wird.
Bezüglich der Auffassung der Natur dieser Verbindungen
herrscht Uneinigkeit unter denen, die sich mit derartigen
Untersuchungen beschäftigt haben. Einige fassen sie als echte
chemische Verbindungen auf, während von anderer Seite be-
hauptet wird, daß wir hier Phänomenen rein adsorptiver Natur
gegenüberstehen. Raehlmann‘), der vor kurzem die Frage
) Mathews, A., A contribution to the chemistry of cytological
stayning. American Journal of Physiology. 1898.
?) Haidenhain, M., Über chemische Umsetzungen zwischen Eiweiß-
körpern und Anilinfarben. Arch. f. d. ges. Physiologie 90. 1902.
Neue Versuche über die chemischen Umsetzungen zwischen Eiweiß-
körpern und Anilinfarben, insbesondere unter Benutzung der Dialyse.
Arch. f. d. ges. Physiologie 96. 1903.
Über chemische Anfärbung mikroskopischer Schnitte und fester
Eiweißkörper. Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie u. mikroskop. Technik
19. 1902.
3, Bethe, A., Die Einwirkung von Säuren und Alkalien auf die
Färbung und Färbbarkeit tierischer Gewebe. Beiträge zur chemischen
Physiologie und Pathologie 6, 349. 1905.
t^ Raehlmann, E., Neue ultramikroskopische Untersuchungen
über Eiweiß, organische Farbstoffe, über deren Verbindungen und über
die Färbung organischer Gewebe. Arch. f. die ges. Physiologie 112. 1906.
G. Busck, Photobivlogische Sensibilisatoren. 529
durch ultra-mikroskopische Untersuchungen zu lösen suchte,
nimmt eine Zwischenstellung ein.
Ich beschreibe in folgendem einige Reaktionen, welche
neue Tatsachen in betreff der chemischen und optischen Eigen-
tümlichkeiten dieser Verbindungen geben.
Stellt man eine Reihe Eosin-Na-Lösungen von !/ss, "so,
'/ioo Mol. usw. her, und mischt jede dieser Lösungen mit
ihrem gleichen Kubikinhalt Serum, so wird eine Hinzusetzung
von Säure folgende Reaktionen in den verschiedenen Präparaten
hervorrufen.
1/25 Mol. Eosin-Na +4 Serum ää partes gibt bei Zuträu-
felung verdünnter Salzsäure eine Fällung einer voluminösen
Masse, die, wenn die Fällung ihr Maximum erreicht hat, die
ganze Flüssigkeitsmenge gelatiniert, so daß man das Reagenz-
glas wenden kann, ohne daß der Inhalt ausfließt. Eine
ähnliche Fällung erzielt man indessen durch Hinzusetzung
von Säure zu konzentrierten wässerigen Eosin-Natrium-Lösungen,
indem diese gespalten werden und die in Wasser unlösliche
Eosinsäure gefällt wird. Der Unterschied tritt erst bei weiterer
Hinzusetzung von HCl zum Vorschein. Während die Eosinsäure
hiervon nicht beeinflußt wird, löst sich der Bodensatz im Serum-
präparat wiederum klar auf. Die entstandene Lösung ist nicht
fluoreszierend, selbst nicht nach Verdünnung mit Wasser. Setzt
man dahingegen Serum hinzu, so entsteht die Eosinfluoreszenz,
selbst bei saurer Reaktion.
Lösungen von '/so und ioo Mol. Eosin-Na + Serum äü
partes geben bei HC] Hinzuträufelung ebenfalls Fällungen, die
jedoch weniger stark als die oben erwähnten sind. Bei Hinzu-
setzung eines Überschusses von Salzsäure werden auch diese
Bodensätze aufgelöst, jedoch mit Fluoreszenz, und diese ist als-
dann in dem dünnsten Eosinpräparat am stärksten, selbst wenn
beide Lösungen derartig mit Wasser verdünnt werden, daß der
prozentische Eosingehalt derselbe wird.
Die dünneren Eosin-Serumpräparate geben bei Hinzusetzung
von HCl geringere und geringere Fällungen, und in Lösungen
von ca. !/gooo Mol. Eosin-Na -+ Serum ää partes ruft die Säure-
beimischung überhaupt keine sichtbare Fällung hervor. Dahin-
gegen verschwindet die Fluoreszenz auch hier vollständig, jedoch
kehrt sie in diesen Präparaten bei Hinzusetzung von HCl in
35*
530 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Überschuß wieder in ihrer vollen Stärke zurück. Die Fähigkeit
der Eosin-Serummischungen zu fluoreszieren hängt also von dem
Mengenverhältnis zwischen Eosin und Serum ab, indem ein
Überschuß des letzteren für das Eintreten der Fluoreszenz not-
wendig ist.
Es wird von demselben Mengenverhältnis abhängen, in-
wiefern sich der gefällte Bodensatz wiederum bei weiterer HCl-
Hinzusetzung vollständig auflösen wird oder nicht. Derart er-
fordern 5 ccm einer !/ıooo Mol. Eosin-Na-Lösung ca. zwei Tropfen
Serum, damit sich der durch HCl-Hinzusetzung entstandene
Bodensatz wiederum in HCl-Überschuß klar auflösen soll. —
5 ccm einer !/ss Mol. Eosin-Na-Lösung erfordern ungefähr
3 ccm Serum. Bei Hinzusetzung geringerer Mengen wird sich
der Bodensatz nur partiell auflösen.
Ich erwähnte, daß die von der HCl-Hinzusetzung in Eosin-
Serummischungen hervorgerufenen Fällungen stark mit dem
Verdünnungsgrad des Eosins abnehmen; dies ist nicht nur auf
die absolute Verminderung des Eosingehalts der Präparate zurück-
zuführen, sondern auch auf den Umstand, daß der Bodensatz
in Überschuß von Serum selbst bei neutraler Reaktion löslich
ist. Dies geht erstens daraus hervor, daß die HCl-Hinzusetzung
überhaupt keine Fällungen in Eosin-Serummischungen mit
einem verhältnismäßig geringen Eosingehalt z. B. Ysooo Mol.
Eosin-Na — Serum ää partes hervorruft. Es geht zweitens
daraus hervor, daß bei Hinzusetzung steigender Mengen Serums
zu gleich großen Mengen Eosin-Na-Lösung derselben Konzen-
tration, die durch HCl Hinzusetzung erzeugte Fällung mit der
steigenden Serummenge stark abnehmen wird, um schließlich
gänzlich auszubleiben.
Folgender Versuch ist auch in diesem Zusammenhang von
Interesse:
Es werden folgende Mischungen von Serum mit gleichem
Volumen Eosin-Na-Lösungen abnehmender Konzentration her-
gestellt.
I. 25 ccm Pferdeserum 4 25 ccm einer !/s; Mol. Eosin Na
II. 25 D » + 25 n n 1 50 » n»
II. 25 , : +25 „ „a Mio s» r
IV. 25 = n” + 25 n ” i 200 » ”
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 531
Den vier Präparaten werden HCl zugesetzt bis zur maximalen
Fällung. |
I. gibt maximale Fällung mit 2,6 ccm normal. HCl
I. „ „ 39 2 2,0 » „ 2)
III. ” ” » » 1 ’ 3 » ” ”
IV. 39 „ ”„ ”» 0,9 n ”„ „
Die Präparate wurden darauf in zylindrischen Gläsern
zentrifugiert.
In I. nimmt der Bodensatz einen ebenso großen Kubikinhalt
wie die Flüssigkeitssäule ein.
a A 5 i 5 einen halb so großen Kubikinhalt
wie die Flüssigkeitssäule ein.
„ III. nimmt der Bodensatz !/;, der Höhe der Flüssigkeitsäule ein.
U. Pr g > Bo w a 3 a
In I. ist die obenstehende Flüssigkeit klar, leicht gelblich
und sehr schwach fluoreszierend. Albumin ließ sich weder
durch Hellers Probe mit absolutem Alkohol noch mit Essig-
säure-Ferrocyankalium nachweisen. Bei Verdünnung mit Wasser
entsteht keine Fällung.
In II. ist die zentrifugierte Flüssigkeit klar, schwach röt-
lich eosingefärbt, und sie enthält Albumen, jedoch in geringer
Menge.
In II und IV ist die zentrifugierte Flüssigkeit klar, intensiv
rot und gibt eine sehr kräftige Albuminreaktion.
Die klaren eosingefärbten, nicht fluoreszierenden Flüssig-
keiten von II, IIl und IV geben bei Verdünnung mit
destilliertem Wasser eine Fällung, jedoch wird der gefällte
Bodensatz bei Hinzusetzung von dünner HCl sowie bei Hinzu-
setzung von Alkali wiederum aufgelöst, in beiden Fällen mit
Fluoreszenz.
Die zur Hervorrufung einer Maximal-Fällung in einer
Eosin-Serummischung erforderliche Säurenmenge, sowie die
Menge, welche erforderlich ist, um das Gefällte wiederum in
Lösung zu bringen, hängt teils von dem Serumgehalt, teils
von dem Eosin-Na-Gehalt der Mischung ab. Derart verbrauchte
ich — um eine Maximal-Fällung hervorzurufen — in
532 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
2 cem !/ıoo Mol. Eosin-Na +0,25 ccm Serum — 7 Tropf.'/ıonorm.HCl
PA Fer re „ +0,5 , „10 „ e
2 m de a „ +1,0 , » -15 „ » 7
Dj 2 w F220 j » 70 u S
Das, ae in „ +3,0 5 » -45 p se
Umgekehrt brauchte ich zu
2 ccm 1/3200 Mol. Eosin-Na + 2 ccm Serum — 16 Tropfen norm. HCl
2 n, Tiso » j TF2 „15 , 7
2o oo 3 n PE s =21 % 7
2 o oo j +2 j „ 23 ,, z
2 „a Manor » 5 T2 yj mo 0 7
2 a Mio a Ar 2 5 „30 y en
Der Versuch deutet an, daß die Fällung erst allmählich
mit der Spaltung des Eosinsalzes durch die hinzugesetzte Salz-
säure eintritt.
Die früher erwähnten Mischungen von Serum mit gleichem
Volumen Eosin-Na-Lösungen abnehmender Konzentration er-
geben beim Kochen keine Koagulation in den Präparaten mit
großem Eosin-Na-Gehalt, eine leichte Trübung entsteht erst in
der Mischung: Serum -+ !/2% Mol. Eosin-Na ää. In den nach-
folgenden Mischungen erhält man beim Kochen eine stärkere
und stärkere Fällung.
Das in konzentrierten Eosin-Serummischungen bei
HCl-Hinzusetzung gefällte Eosin-Albumin ist infolge
deroben beschriebenen Reaktionen in Serum löslich —
sowohl bei alkalischer Reaktion (4 Fluoreszenz) wie
bei neutraler (— Fluoreszenz) und saurer Reaktion
(+ Fluoreszenz); es ist ferner unlöslich in Wasser,
jedoch löslich in Alkali (4+ Fluoreszenz) und in dünner
Salzsäure (+ Fluoreszenz. Es wird durch Aus-
wässerung mit schwefelsaurem Ammoniak aus seinen
Lösungen gefällt.
Ich fällte, um die Eigenschaften des Eosin-Albumins näher
zu untersuchen, eine Mischung von Serum + "ss Mol. Eosin-
Na ää partes, durch Hinzusetzung von HCl; nach Zentrifugierung
wurde die obenstehende Flüssigkeit abgegossen, und danach der
rote, pastöse Bodensatz mit destilliertem Wasser angerührt,
wiederum zentrifugiert, ausgewaschen usw. Es zeigte sich, daß
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 533
das Auswaschungswasser beständig, selbst nach zehnmal wieder-
holter Auswaschung, ganz schwach eosingefärbt und fluores-
zierend war. Die Masse ließ sich nach Eintrocknung im
Exsikkator, im Porzellanmörser zu einem feinen, scharlach-
roten, amorphen Pulver verreiben.
Dies ausgewaschene, getrocknete und pulverisierte Eosin-
Albumin ist etwas schwerer löslich als das frischgefällte Prä-
parat; jedoch löst es sich mit großer Leichtigkeit in Alkali
auf. Wird das Präparat mit Äther behandelt, so geht nur
eine geringe Menge Eosinsäure in diesen über; denn beim
Schütteln des abgehobenen Äthers mit NaOH -Lösung zeigte es
sich, daß diese nur schwach eosingefärbt und fluoreszierend war.
Das Eosin-Albumin wird von starker Salzsäure — schon von
normaler HCl-Lösung — gespalten, indem sich Eosinsäure bildet,
die sowohl in Wasser wie auch in Serum unlöslich ist.
Ich schließe mit der Besprechung einiger quantitativer
N-Bestimmungen fraktionierter Fällungen des Eosin-Albumins.
Einer Mischung von 40 cem Schweineserum 4 50 ccm
1/35 Mol. Eosin-Na werden 4,4 ccm normaler HCl-Lösung zu-
gesetzt, wodurch eine kräftige, jedoch unvollkommene Fällung
entsteht. Nach Zentrifugierung wird die über dem Bodensatz
stehende Flüssigkeit abgegossen und zu dieser wird wiederum
Salzsäure bis zu maximaler Fällung gesetzt. Die Bodensätze der
zwei Fraktionen: I und II werden wiederholt mit destilliertem
Wasser ausgewaschen und danach im Vakuum über Schwefel-
säure getrocknet. Die eingetrockneten Krusten werden in
Porzellanmörsern pulverisiert, wonach der Trockenprozeß bis
zur Gewichtskonstanz fortgesetzt wurde.
Von jedem der zwei Präparate wurden darauf zwei N-Analysen
nach Kjeldahl mit folgendem Resultat vorgenommen:
Aue len: Mittelwert
I. Kjeldahl-
Bestimmung Bestimmung
Fraktion I... 12,26 %, 12,39: h 12.319,
Fraktion II . . 31,10, 11,54% 11,63 %,
Differenz . . . 0,55%, 0,81%, 0,63%,
In diesem Versuch enthält also Fraktion I ca. 0,68°, N
mehr als Fraktion II. Hieraus darf man doch kaum auf den
534 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
nichtchemischen Charakter der Verbindung schließen, denn der
Versuch hat den Fehler, daß das Verhältnis zwischen Eosin-Na-
Gehalt und Serum-Gehalt in der Mischung, in welcher die
fraktionierten Fällungen vorgenommen wurden, willkürlich ge-
wählt ist, und ist z. B. die Menge des Eosin-Na größer als
die gewesen, welche der Eiweißstoff der Mischung zu binden
vermag, so wird in Fraktion H wahrscheinlich eine Beimischung
stickstofffreier Eosinsäure entstanden sein, wodurch ein geringerer
N-Gehalt in dem zuletzt gefällten Eosin-Albumin vorgetäuscht
werden wird. Der Fehler wäre vielleicht zu vermeiden, falls
man vor der N-Analyse die getrockneten Präparate mit Äther
behandelt hätte, um dadurch die eventuell vorhandene Eosin-
säure zu entfernen.
1,083 g des im Vakuum über HSO, zur Gewichtskonstanz
getrockneten Eosin-Albumins wird auf 105° Celsius erwärmt,
bis wiederum Gewichtskonstanz eintritt. Das Gewicht war dann
1,059 g, die Differenz beträgt 0,024 g. Für 1 g Substanz be-
rechnet, wird die Differenz 0,0222 g.
Ganz entsprechende Reaktionen, wie die, welche ich im
vorhergehenden betreff des Eosin-Natriums beschrieben habe,
geben sämtliche Salze der Fluoreszeinreihe, sowie verschiedene
andere der im vorhergehenden besprochenen Sensibilisatoren.
Ganz entsprechend verhalten sich eine Reihe Anilinfarbstoffe,
welche keine photobiologisch sensibilisierenden Eigenschaften
besitzen (z. B. Fuchsin und das Ehrlichsche Trypanrot). Die
Albuminverbindungen haben ungefähr dieselbe Farbe wie die
betreffenden Salze, z. B. ist das dichloranthracendisulfosaure
Albumin ein gelbes amorphes Pulver, welches einen ca. 9,27 °;o
N-Gehalt besitzt.
Es ist wahrscheinlich, daß alle Farbsäuren ähnliche Ver-
bindungen mit den Albuminstoffen des Blutes eingehen. Man
wird sich in jedem einzelnen Falle leicht davon überzeugen
können, indem man z. B. eine 1°/„ige wässerige Lösung des
betreffenden Farbstoffes mit seinem gleichen Volumen Serum
mischt. Ruft eine Hinzuträufelung verdünnter HCl einen
voluminösen Bodensatz hervor, der bei weiterer HCI-Hinzusetzung
wiederum aufgelöst wird, so ist die Sache damit entschieden.
Handelt es sich um einen in wässeriger Lösung fluoreszierenden
Stoff, so kann man auch eine dünne, stark fluoreszierende
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 535
Lösung wählen; bei Serumbeimischung zu derselben wird die
Fluoreszenz geschwächt werden, und sie soll bei Hinzuträufelung
von verdünnter HCl vollständig verschwinden; bei fortgesetzter
Hinzuträufelung von HCl — oder Hinzusetzung von Alkali —
soll die Fluoreszenz wiederum eintreten.
Wie es aus den speziellen Untersuchungen in den vorher-
gehenden Abschnitten hervorgeht, besitzen die Anilin-Albumine
Eigenschaften, welche in vielen Beziehungen weit von denen
verschieden sind, die die zwei Komponenten auszeichnen, —
ein Umstand, der nicht allein für die histologische Färbungs-
technik eine bedeutende Rolle spielt — was Heidenhain schon
gezeigt hat — der aber auch jedesmal in Betracht zu ziehen
ist, wenn diese Farbstoffe aus experimentellen oder therapeuti-
schen Gründen gegenüber warmblütigen — möglicherweise auch
kaltblütigen — Tieren in Anwendung gebracht werden. Es ist
indessen daran zu denken, daß die Farbstoff-Albumine besonders
lose Verbindungen sind, welche von der alkalischen, neutralen
oder sauren Reaktion des Milieus ausschlaggebend beeinflußt
werden, und welche sich im Organismus recht schnell spalten,
indem der Farbstoff als solcher durch Nieren und Leber aus-
geschieden wird.
Man findet in der Literatur des letzten Jahres einige Unter-
suchungsreihen, für deren Resultate die hier erwähnten Ver-
hältnisse zweifellos entscheidend gewesen sind:
Beim Studium der Wirkung der fluoreszierenden Stoffe auf
Toxine fanden Jodlbauer und v. Tappeiner?'), daß eine
Eosin- oder dichloranthracendisulfosaure Na-Beimischung zu
Diphtherie- und Tetanustoxin deren toxischen Eigenschaften
herabsetzt, selbst wenn die betreffenden Mischungen vor der
Injektion in die Versuchstiere gegen die Einwirkung des Lichtes
geschützt werden. — Die Verff. nehmen an, daß die verhältnis-
mäßig geringe Beschädigung der betreffenden Toxine in den
Tieren nach der Injektion eingetreten ist, da sie in Käfigen
1) A. Jodlbauer und H. v. Tappeiner, Über die Wirkung
fluoreszierender Stoffe auf Toxine. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 85,
399. 1905.
Jodlbauer, A., Weitere Untersuchungen, ob eine „Dunkelwirkung“
der fluoreszierenden Stoffe statthat. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin 85,
395. 1905.
536 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
gehalten waren, zu denen mäßiges zerstreutes Licht gelangen
konnte. Es sollte sich also hier um eine schwache Licht-
wirkung gegenüber dem sensibilisierten Toxin handeln. Diese
naheliegende Erklärung verliert doch etwas an Wahrscheinlich-
keit, wenn man bedenkt, daß die Meerschweinchen nur ver-
hältnismäßig sehr schwachem Licht ausgesetzt waren, daß die
Tiere außerdem nicht enthaart waren, und daß die Toxizitäts-
herabsetzung selbst unter den für die Lichtwirkung günstigsten
Bedingungen (direktes Sonnenlicht, Enthaarung der Tiere), nach
den Untersuchungen derselben Verfasser niicht sonderlich groß
ist. — Außerdem haben Flexner und Noguchi') später
nachgewiesen — jedoch unabhängig von den oben erwähnten
Untersuchungen —, daß starke Eosinlösungen auch im Dunkeln
eine schwächende Einwirkung auf Tetanustoxin besitzen.
Ich habe selbst eine Reihe Versuche teils mit Rizin, teils
mit Diphtherietoxin?) gemacht. Nach vorausgehender, im
Dunkeln vorgenommener Beimischung starker Eosinlösungen
wurden die Toxine subkutan auf Meerschweinchen in Mengen
von 1, 2, 3, 4 und 5mal tödlicher Dosis injiziert. Obwohl die
Versuchstiere in Dunkel gehalten wurden, erwies sich eine
deutliche — wenn auch nicht bedeutende — Herabsetzung der
toxischen Wirkung im Vergleich mit der Wirkung der nicht-
Eosinbeigemischten Toxine auf die Kontrolltiere.
Die Ursache zur Toxizitätsherabsetzung ist wahrscheinlich
(vergleiche die Alexinversuche in Abschnitt Il) darin zu suchen,
daß die Toxine mit Farbsäuren (in casu Eosinsäure) relativ
ungiftige Verbindungen eingehen. Ist die Toxizitätsherabsetzung
jedoch — trotz einer Farbsäure-Beimischung in Überschuß zu
dem betreffenden Toxin — nur verhältnismäßig gering, so läßt
sich dies durch die geringe Stabilität der Verbindungen er-
klären, indem der Organismus das Eosin als solches ausscheidet,
während das allmählich freigemachte Toxin im Organismus
zurückgehalten wird, wo es alsdann seine deletäre Wirkung aus-
üben kann.
1) Flexner and Noguchi, The effect of eosin upon tetanus toxin
and upon tetanus in rats and guineapigs. Journal of experimental
Medicine. Vol. VIII. Jan. 1906.
23) Mir vom „Statens Seruminstitut“ in Kopenhagen gütigst über-
lassen.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 53
=]
Resume.
1. Rote Blutkörperchen werden zerstört, wenn man sie
mit intensivem Licht belichtet, das reich an kurzwelligen
Strahlen ist. Die Ursache dessen, daß die früheren Untersucher
negative Resultate erzielt haben, ist vor allem auf die An-
wendung ungenügend starken Lichtes zurückzuführen.
2. Der für Paramäcien giftige Stoff (Alexin), der in ge-
wöhnlichem Blutserum enthalten ist, wird vernichtet, wenn er
der Einwirkung ultra-violetten Lichtes ausgesetzt wird. Er läßt
sich außerdem gegenüber mehr langwelligen Strahlen sensi-
bilisieren.
3. Ein Zusatz verschiedener photobiologischer Sensibili-
satoren (Derivate des Fluoreszeins, dichloranthracendisulfosaures
Natron usw.) zum Blut warmblütiger Tiere zieht folgende Ver-
änderungen der Eigenschaften des Blutes und der betreffenden
Sensibilisatoren nach sich:
a) Die Koagulationsfähigkeit des Blutes wird aufgehoben
resp. herabgesetzt, gleichviel, ob die Hinzusetzung in
corpore oder in vitro geschieht.
b) Die Alexinwirkung des Serums gegenüber Paramäcien
wird aufgehoben resp. herabgesetzt, selbst wenn die
Präparate gegen die Einwirkung des Lichtes geschützt
werden.
c) Die Toxizität der sensibilisierenden Stoffe wird aufge-
hoben resp. herabgesetzt.
d) Die spezifische Wirkung der sensibilisierenden Stoffe
wird sowohl gegenüber Mikroorganismen und tierischen
Gewebezellen, wie auch gegenüber Fermenten, Toxinen
und Alexinen aufgehoben resp. herabgesetzt. In Ver-
suchen mit zellulären Reagenzien tritt die Herab-
setzung bedeutend kräftiger hervor als in Versuchen
mit Lösungen nicht organisierter Stoffe. Die dies-
bezügliche Ursache ist darin zu suchen, daß die
Diffusionsgeschwindigkeit der sensibilisierenden Stoffe
für den Ausfall der erstgenannten Versuche große
Bedeutung besitzt, während sie keine Rolle für den
538 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
Ausfall der letztgenannten spielt — in Verbindung
damit, daß:
e) Die physikalischen Eigenschaften der sensibilisierenden
Stoffe (die Diffusionsfähigkeit) verändert werden. —
f) In den optischen Eigentümlichkeiten (Fluoreszenz- und
Absorptionsverhältnisse) der sensibilisierenden Stoffe
treten Veränderungen ein.
g) Die chemischen Eigenschaften der sensibilisierenden
Stoffe werden verändert (Lösungsverhältnisse usw.).
4, Seren verschiedener Tiere besitzen, selbst wenn sie von
derselben Art sind, bezüglich der unter c—g genannten Ver-
hältnisse eine ungleich starke Wirkung. Die Wirkung ist am
stärksten, je geringer die „Alkaleszenz‘‘ des betreffenden Serums
ist, und durch künstliche Veränderung derselben — in vivo
oder in vitro — ist man imstande, die Versuchsresultate in der
angegebenen Richtung zu beeinflussen.
5. Die unter Punkt 3 genannten Veränderungen der Eigen-
tümlichkeiten der sensibilisierenden Stoffe sind nicht auf kolloide
Eigenschaften des Serums als solche und auch nicht auf dessen
amphotere Reaktion zurückzuführen; denn sie lassen sich nicht
durch Hinzusetzung von Leim, Gummi arabicum, Stärke, Pepton
oder Theobromin und Glykokoll hervorrufen. Hühnereiweiß
verhält sich dagegen ähnlich wie Serum, wenn auch dessen
Wirkungen bedeutend ausgeprägter sind.
6. Die Ursache zu den unter Punkt 3 genannten Ver-
änderungen ist darin zu suchen, daß die betreffenden Sensibili-
satoren mit den Eiweißstoffen des Serums Verbindungen mit
ganz anderen Eigenschaften als denen der beiden Komponenten
eingehen. Diese Verbindungen zwischen Serum-Albumin und
Farbsäuren zeichnen sich durch folgende Reaktionen aus: Sie
sind löslich in Serum — sowohl bei alkalischer Reaktion
(+ Fluoreszenz!) wie bei neutraler (-- Fluoreszenz) und saurer
Reaktion (+ Fluoreszenz), sie sind außerdem unlöslich in Wasser,
jedoch löslich in Alkali (+ Fluoreszenz) und in dünner Salz-
säure (-- Fluoreszenz). Sie werden von starker HCl gespalten.
Sie werden durch Entwässerung mit schwefelsaurem Ammoniak
Wenn die Farbstoffsalze überhaupt fluoreszierend sind.
G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren. 539
aus ihren alkalischen Lösungen gefällt. Durch Kochen werden
sie nicht gefällt.
7. Die Schwierigkeit, eine Total-Sensibilisation warmblütiger
Tiere mittels den bisher in dieser Richtung untersuchten photo-
biologischen Sensibilisatoren zu erlangen, ist in folgenden Um-
ständen zu suchen: Ein Teil dieser Stoffe wird aus ihren
wässerigen Lösungen durch Serum-Hinzusetzung gefällt, und sie
lassen sich daher überhaupt nicht benutzen; andere werden im
Organismus zu Leukoverbindungen reduziert, die keine sensi-
bilisierenden Eigenschaften besitzen, und schließlich gehen eine
Reihe der am stärksten wirkenden Sensibilisatoren direkte Ver-
bindungen mit den Eiweißstoffen des Serums ein (obgleich sie
Eiweiß in alkalischer Lösung nicht fällen); die sensibilisierende
Fähigkeit wird hierdurch so stark herabgesetzt, das man die
Farbstoffe zur Erzielung des gewünschten Resultats im Über-
schuß injizieren muß, wodurch man Dosen erhält, die sich den
toxischen nähern.
Hierzu kommt, daß die intravenöse Injektion dieser Farb-
stoffe keine reelle Gewebefärbung zur Folge hat, da die Stoffe
nur äußerst langsam in die normalen Gewebezellen hinein-
diffundieren, während sie anderseits schnell, teils mit den Fäces,
teils durch die Nieren ausgeschieden werden. Meine Versuche
deuten jedoch an, daß die Diffusionsgeschwindigkeit mit der
„Alkaleszenz‘‘ des Blutes variiert.
8. Nicht nur bei Untersuchungen über Totalsensibilisierung,
sondern auch z. B. bei chromotherapeutischen Versuchen (die
Anwendung von „Blut-Desinfizientia‘) muß man mit den oben
erwähnten Eiweißverbindungen der Anilinfarbstoffe und mit
deren relativen Nicht-Giftigkeit gegenüber Mikroorganismen
rechnen. — Die günstigen Resultate der Chromotherapie sind
wahrscheinlich einer die Phagocytose begünstigenden, entwick-
lungshemmenden Einwirkung des betreffenden Farbstoffes auf
die Mikroorganismen zuzuschreiben.
Die obenstehenden Untersuchungen sind im Frühling und
Sommer 1905 in dem pharmakologischen Institut in München
ausgeführt. Ich bin dem Vorstande Herrn Prof. H. v. Tappeiner
540 G. Busck, Photobiologische Sensibilisatoren.
zum besten Dank verpflichtet für die liebenswürdige Gast-
freundlichkeit, mit welcher ich im Laboratorium empfangen
wurde — und für das lebendige und befruchtende Interesse,
das er immer meiner Arbeit schenkte.
Ich bitte auch Herrn Privatdozent Dr. A. Jodlbauer,
meinen herzlichsten Dank für seine ausgezeichnete Hilfe ent-
gegenzunehmen.
Chemisches zur Careinomfrage IV.
Über ein Vorkommen von Indol im Mageninhalt
bei Carcinom.
Von
Albert Albu und Carl Neuberg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts
der Universität zu Berlin.)
(Eingegangen am 1. August 1906.)
Indol findet sich, abgesehen von den Fäces und als Indoxyl
im Harn, in der Norm nicht im Organismus; auch unter
pathologischen Bedingungen ist es an anderer Stelle bisher
kaum beobachtet. Nur L. Brieger!) gibt an, daß es im ge-
faulten Eiter vorkomme.
Daher ist der im folgenden beschriebene Fall bemerkens-
wert, in dem Indol sich unter eigentümlichen Verhältnissen im
Mageninhalt bei Carcinom fand.
Es handelt sich um einen in vivo diagnostizierten Fall von
Fistula gastrocolica carcinomatosa, d. h. einen Magenkrebs, welcher
bei seinem geschwürigen Zerfall in den benachbarten Querdick-
darm durchgebrochen war. Die Sektion hat die Richtigkeit der
Diagnose bestätigt. Die Ausheberung des Mageninhalts bei dem
Kranken hatte anfangs das Fehlen freier Salzsäure ergeben,
später fand sich im Inhalt des nüchternen Magens regelmäßig
Milchsäure und gleichzeitig Schwefelwasserstoff, dessen An-
wesenheit sich schon durch den Geruch verriet. Während sich
der Schwefelwasserstoff allmählich verringerte, fiel an dem Magen-
inhalt ein von Tag zu Tag zunehmender fäkulenter Geruch auf,
) Ztschr. f. physivlog. Chem. 5, 366. 1881.
54% A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt.
der den Verdacht auf einen Gehalt an Darmfäulnisprodukten
erregte. Aber Fäces selbst waren in dem Mageninhalt sowie in
dem zeitweilig Erbrochenen niemals zu entdecken. Die von
A. Schmidt angegebene Sublimatprobe zum Nachweis des
Bilirubins, bezw. Urobilins der Fäces war stets negativ. Der
Mageninhalt war schlecht chymifiziert, mißfarbig, zuweilen
schmutziggrünlich oder bräunlich gefärbt, reagierte schwach
sauer und bestand mikroskopisch fast nur aus Detritusmassen.
Der positive Ausfall der Guajak- und Aloinprobe wies auf den
Blutgehalt hin.
Zur Untersuchung auf flüchtige Fäulnisprodukte wurden
4 Portionen von zusammen 320 ccm nach dem Verfahren von
E. und H. Salkowski!) verarbeitet. Die einzelnen Portionen
waren kurz nach der Entnahme aus dem Magen am Rückfluß-
kühler gekocht, um nachträglich Bakterienwirkung auszuschließen,
und darauf mit Fluorammonium konserviert.
Zur Bindung des Schwefelwasserstoffess wurde sodann
Kupfersulfat zugefügt und das Filtrat vom Schwefelkupfer im
Dampfstrom destilliert. Das Destillat besaß in der Verdünnung
den typischen, zugleich jasmin- und fäkalartigen Indolgeruch.
Die Prüfung auf Phenol und Kresol mittels Eisenchlorid
oder Chlorkalk hatte ein negatives Resultat, Millons Reagens
ergab keine Rotfärbung, aber einen weißen Niederschlag.
Die Reaktionen auf Indol fielen dagegen stark positiv aus.
sowohl die Nitrit-, die Fichtenspan- wie die Glyoxylsäureprobe.
Diese letzte von Hopkins angegebene Reaktion ergab einen
rein rotvioletten Farbenton; ein grüner Ring, wie er für Skatol
charakteristisch ist, trat nie auf, so daß in diesem Falle das
Indol nicht in nennenswerter Menge von seinem Homologen
begleitet war. |
Zur weiteren Identifizierung des Indols wurde das ca.
400 ccm betragende Destillat mit Benzol ausgeschüttelt, die
Benzolschicht abgehoben, über ein wenig frisch geglühtem
Natriumsulfat getrocknet und nach der Filtration auf etwa
10 ccm eingeengt. Auf Zusatz einer benzolischen Pikrinsäure-
lösung schied sich das Indolpikrat bald in den charakteristischen
roten Nadeln aus. Zu einer Analyse war die Menge zu gering.
) E. Salkowski. Practicum, 3. Auflage, S. 227. 1906.
A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt. 543
Bemerkenswert ist, daß von den flüchtigen Fäulnisprodukten
im vorliegenden Falle allein oder zum mindestens überwiegend
das Indol auftrat, eine Erscheinung, die auf die Art der Fäulnis
im Magen ein Licht zu werfen geeignet sein kann.
Wie schon hervorgehoben ist, konnten im Mageninhalte
Fäces niemals nachgewiesen werden; aus diesem Grunde ist
ein einfacher Übertritt des Indols selbst aus dem Darm höchst
unwahrscheinlich, zumal da das im Kot reichlich vorhandene
Skatol fehlte. Denkbar wäre immerhin eine langsame Diffusion
des Indols durch die Fistel; noch näher aber liegt die Möglich-
keit einer Einwanderung von indolbildenden Bakterien aus dem
Darmkanal auf diesem Wege.
Das Fehlen der Phenole macht es wahrscheinlich, daß die
Fäulnis keine sehr intensive und lange gewesen sein kann; für
das Indol haben aber E. und H. Salkowski gezeigt, daß es
bereits am 2. Tage der Fäulnis reichlich vorhanden ist. Über-
dies hängt die Natur der entstehenden Zersetzungsprodukte
bekanntlich eng von der Art der Bakterien ab. Gerade für
das Indol liegen bezügl. seiner Bildung mannigfache Erfahrungen
der Bakteriologie vor'), und ähnliches gilt für die Frage, ob
bei der Fäulnis Indol oder Skatol auftritt, die beide aus einer
gemeinsamen Muttersubstanz, dem Tryptophan (= Indolamino-
propionsäure), hervorgehen [Hopkins und Cole] ?).
Es muß aber auch der Möglichkeit gedacht werden, daß
einige Besonderheiten der Magenverdauung die Bildung des
Indols begünstigt haben.
H. Winternitz°?) und H. Malfatti‘) haben zuerst beob-
achtet, daß bei der Magenverdauung des Eiweißes Tryptophan-
reaktion auftritt, die man früher nur bei der Pankreasverdauung
konstatiert hatte; K. Gläßner°) bezog dann die Bildung dieses
Indolderivates auf die Wirkung eines besonderen Enzyms, des
sogenannten Pseudopepsins, das im Gegensatz zum typischen
Pepsin auch bei neutraler und alkalischer Reaktion tätig sein
) W. Kühne, Ztschr. f. Biolog. 80, 221. 1894. 0. Emmerling,
Ber. d. dtsch. chem. Ges. 80. 1863, 1897.
2) Journal of Physiology 29, 456. 1903.
3) Ztschr. f. physiolog. Chem. 16, 464. 1892.
t) Ztschr. f. Physiolog. 81, 43. 1900.
5 Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 1, 28. 1901.
Biochemische Zeitschrift Band L 36
544 A. Albu und C. Neuberg, Vorkommen von Indol im Mageninhalt.
soll. Zwar ist die Existenz dieses Fermentes nicht unbestritten
geblieben [F. Klug'), vergl. auch F. Reach‘)], aber die Tat-
sache, daß Tryptophan auch normalerweise im Mageninhalt
auftreten kann, ist wohl sicher, wenn auch die Natur des be-
treffenden Fermentes dahingestellt bleiben muß.
Im vorliegenden Falle ist ferner zu beachten, daß beim
Carcinomgewebe ein beschleunigter autolytischer Eiweißzerfall
stattfindet, bei dem K. Gläßner‘‘) gleichfalls reichliche Trypto-
phanbildung beobachtete. Die Produkte der Autolyse sind an
sich für Bakterien ein ausgezeichneter Nährboden, und sein
besonderer Reichtum an Tryptophan begünstigt natürlich die
Entstehung von Indol.
Jedenfalls liegt es nahe, das auf einem oder anderem
Wege erzeugte Tryptophan für die Erklärung einer alleinigen
Entstehung von Indol bei der Magenfäulnis heranzuziehen.
1) Pflügers Archiv 85. 1902.
3) Beitr. z. chem. Physiol. u. Patholog. 4, 139, 1903.
3 K. Gläßner, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 26, S. 599. 1903.
Berichtigung
zu:
1. A. v. Drjewezki: Beeinflussung der Autolyse durch Alkali.
(Diese Zeitschrift 1, S. 229.)
S. 234. 5 Zeilen von unten muß vor Versuch I als Überschrift gesetzt
werden:
Untersuchungen mit einer 0,2°/,igen Sodalösung.
S. 236. In der Überschrift vor Versuch IV muß es heißen:
Untersuchungen mit einer 0,3°/,igen Sodalösung (statt 3°/,igen).
S. 237. In der Tabelle des Versuches VI muß es heißen für
Albumosen in Kolumne C 25,08°/, (statt 28,08°/,) in °/, des Gesamt-N.
2. D. Jonescu, Über das Schicksal der Kresole im Organismus usw.
(Diese Zeitschrift 1, S. 399.)
S. 399, Zeile 14 von unten
lies: „bespricht“ statt: „beschreibt“.
S. 404, Zeile 17 von unten
lies: „Indigomenge anscheinend vermehrt“ statt: „Indigomenge vermehrt“.
S. 406, Zeile 8 von oben
lies: „Keiner“ statt „Keines“ und: „Kresolharnen“ statt: „Kresolen“.
S. 406. In Anmerkung 2 und 3
lies: „Zitiert nach“ statt: vgl. noch“.
Autorenverzeichnis.
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misches zur Carcinomfrage IV.
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Ascher, E. siehe Neuberg und
Ascher.
Bickel, A. Die Chemie der Super-
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physiologische Erklärung. S. 153.
Blumenthal, F. Biochemische
Untersuchungen über Vergiftung
und Entgiftung bei der Lysol-
vergiftung. S. 135.
Busck, G. Die photobiologischen
Sensibilisatoren und ihre Eiweiß-
verbindungen. S. 425.
v. Drjewezki, A. Über den Ein-
fluß der alkalischen Reaktion auf
die autolytischen Vorgänge im
in der Leber. S. 229.
— — Berichtigung. S. 544.
Ehrlich, F. Über eine Methode
zur Spaltung racemischer Amino-
säuren mittels Hefe. S. 8.
Feigl, J. und H. Meier. Biolo-
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über das Chloroform. S. 317.
Großmann, H. Über die Bedeu-
tung von Bleisalzen für die polari-
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und der Gewebssäfte. S. 339.
Hamburger, H.J. Eine Methode
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Druckes sehr geringer Flüssig-
keitsmengen. S. 259.
Jacoby, M. Über die Beziehungen
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Labwirkung. S. 53.
Jonescu, D. Über das Schicksal
der Kresole im Organismus usw.
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Langstein, L. siehe Rietschel
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— — und E. Ascher. Über
optisch-aktive «a-Bß-Dieminopro-
pionsäure und PB-Thioglyzerin-
säure. S. 380.
— — und E. Neimann. Über
gelatinöse anorganische Erdalkali-
salze. S. 166.
— — siehe auch Albu und Neu-
berg.
Oppenheimer, C. Über die Anteil-
nahme des elementaren Stickstoffes
am Stoffwechsel der Tiere. S. 177.
Pane, D. siehe Morgenroth und
Pane.
Plesch, J. Über objektive Hämo-
globinometrie. S. 32.
Pribram, H. Beitrag zur Kennt-
nis des Schicksals des Cholesterins
und der Cholesterinester im tieri-
schen Organismus. S. 413.
Rietschel, H. und L. Langstein.
Über das Vorkommen von Amino-
säuren im Harn der Kinder. 8.75.
Rogozinsky, F. Über den Ein-
fluß der Muskelarbeit auf Gewicht,
Zusammensetzung und Wasser-
gehalt der Organe des Tierkörpers.
S. 207.
Sachs, Fr. Über den Wert der
verschiedenen Farbenreaktionen
zum Nachweis der Pentosen. S.383.
Scott, L. Über Jodospongin. S.367.
Stern, R. siehe Liefmann und
Stern.
Vandevelde, A. J. J. Über die
Anwendung von biologischen Me-
'thoden zur Analyse von Nahrungs-
stoffen. S. 1.
— — Über Diffusion von Enzymen
durch Cellulosemembrane. S. 408.
Willanen, K. Über das Verhalten
des Ovomukoids im Organismus.
S. 108.
— — Zur Frage über die Ent-
stehung des Rhodans im Organis-
mus. S. 129.
Wohlgemuth, J. Zur Chemie der
Phosphorleber. S. 161.
— — Über den Aminosäurenstoft-
wechsel des Gichtikers. S. 332.
— — Berichtigung. S. 298.
Zelmanowitz, C. Über einen
neuen Apparat zur Extraktion
wässeriger Flüssigkeiten mittels
Äther, Ligroin usw. S. 253.
Druck von E Buehbinder (H. Duske) Nou-Ruppia.
Tafel 1.
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e des Versuchs.
546
Morgenroth, J. und D. Pane.
Über Beobachtungen reversibler
Veränderungen an Toxinen. S. 354.
Neimann, E. siehe Neuberg und
Neimann.
Neuberg, C. Synthese von Oxy-
und Di-aminosäuren. III. S. 282.
— — Über die Entstehung optisch-
aktiver Fettsäuren in der Natur.
S. 368.
und E. Ascher. Über
optisch-aktive a-ß-Diaminopro-
pionsäure und Pß-Thioglyzerin-
säure. S. 380.
— — und E. Neimann. Über
gelatinöse anorganische Erdalkali-
salze. S. 166.
— — siehe auch Albun und Neu-
berg.
Oppenheimer, C. Über die Anteil-
nahme des elementaren Stickstoffes
am Stoffwechsel der Tiere. S. 177.
Pane, D. siebe Morgenroth und
Pane.
Plesch, J. Über objektive Hämo-
globinometrie. S. 32.
Pribram, H. Beitrag zur Kennt-
nis des Schicksals des Cholesterins
und der Cholesterinester im tieri-
schen Organismus. S. 413.
Rietschel, H. und L. Langstein.
Über das Vorkommen von Amino-
säuren im Harn der Kinder. 8.75.
Autorenverzeichnis.
Rogozinsky, F. Über den Ein-
fluß der Muskelarbeit auf Gewicht,
Zusammensetzung und Wasser-
gehalt der Organe des Tierkörpers.
S. 207.
Sachs, Fr. Über den Wert der
verschiedenen Farbenreaktionen
zum Nachweis der Pentosen. S.383.
Scott, L. Über Jodospongin. S.367.
Stern, R. siehe Liefmann und
Stern.
Vandevelde, A. J. J. Über die
Anwendung von biologischen Me-
'thoden zur Analyse von Nahrungs-
stoffen. S. 1.
— — Über Diffusion von Enzymen
durch Cellulosemembrane. S. 408.
Willanen, K. Über das Verhalten
des Ovomukoids im Organismus.
S. 108.
— — Zur Frage über die Ent-
stehung des Rhodans im Organis-
mus. S. 129.
Wohlgemuth, J. Zur Chemie der
Phosphorleber. S. 161.
— — Über den Aminosäurenstoft-
wechsel des Gichtikers. S. 332.
— — Berichtigung. S. 298.
Zelmanowitz, C. Über einen
neuen Apparat zur Extraktion
wässeriger Flüssigkeiten mittels
Äther, Ligroin usw. S. 253.
Druck von E. Buehbinder (H. Duske) Mou-Ruppin.
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16.
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e des Versuchs.
Fig. 12.
Fig. 22.
Fig. 17.
Tafel I.
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Fig. 38.
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Tafel II.
37. |
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Fig. 36.
Tafel III.
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Chloroform Anschütz
(frisch).
Chloroform Duncan
(frisch).
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(frisch).
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e des Versuchs.
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Fig. 48.
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Fig. 50.
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Tafel IV.
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PERIODICAL
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Library, University of California, Davis
Series 458A
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Biochemisch zeitschrift. B54
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