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Full text of "Biochemische Zeitschrift 107.1920"

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SAN FRANCISCO 


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Biochemische Zeitschrift 


Beiträge 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von 
F. Hofmeister - Würzburg, C. von Noorden -Frankfurt a. M., 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin 


unter Mitwirkung von 


M. Aseoli-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Biokel-Berlin, F. Blumenthal- 
Berlin, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, G. Bredig-Karlsruhe i. B., A. Durig-Wien, 
F. Ehrlieh-Breslau, H. v. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, S. Flexner-New York, 
J. Forssman-Lund, S. Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich- Berlin-Dahlem, 
E. Friedberger-Greifswald, E. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel, 
F. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Hári-Budapest, A. Heffter- 
Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W. Heubner-Göttingen, R. Höber- 
Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Kooh-Göttingen, M. Kumagawa-Tokio, F. Landolf- Buenos 
Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-New York, L. v. Liebermann-Budapest, J. Loeb- 
Kew York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel-New York, L. Maroh- 
lowski-Krakau, P. Mayer-Karlsbad, J. Meisenheimer-Greifswald, L. Michaelis-Berlin, 
H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münzer-Prag, W. Nernst-Berlin, W. Ost- 
wald-Leipzig, W. Palladin-St. Petersburg, W. Pauli-Wien, R. Pfeiffer-Breslau, E.P, Piok- 
Wien, J. Pohl-Bresiau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona- Berlin, H. Sachs - Heidelberg, 
8.Salaskin-St.Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sieber-St. Petersburg, S. P. L. Sörensen- 
Kopenhagen, K. Spiro-Liestal, E. H. Starling-London, J. Stoklasa-Prag, W. Straub- 
Freiburg i. B., A. Stutzer-Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München, H. Thoms-Berlin, 
P. Trondelenburg- Rostock, O. Warburg - Berlin, W. Wiechowski-Prag, A. Wohl-Danzig, 
J. Wohlgemuth- Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg -Berlin 


Hundertundsiebenter Band 


Berlin 
Verlag von qulius Springer 
1920 


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipaig. 


Inhaltsverzeichnis. 


Baudisch, Oscar und Paul Mayer. Studien über die Reduktion 
der Nitrite und Nitrate. 


Keller, Rudolf. Die Capillarisation in der Biochemie 


Andree, W. und H, Wendt. Über den Einfluß einiger darmwirken- 


der Arzneimittel auf die endogene Harnsäureausscheidung 
Stepp, Wilhelm. Über das Vorkommen von aldehydartigen Sub- 
stanzen im Blute von Kranken 
Verzär, F. und R. Beck. Die Anderung der Aussalzbarkeit von 
Bakterien der Typhusgruppe durch verschiedene Verhältnisse . 
Verzär, Fritz. Zur Frage des Nachweises der Permeabilitätsände- 
rung des Nerven bei Narkose und Erregung 
Zuntz, H. Über Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler 
Kochsalzzuführ: hh 2 wie. Se e 
Wacker, Leonhard. Kohlensäuredruck oder Eiweißquellung als 
Ursache der ‚Muskelkontraktion? . . . 2.2.2 2 2 2 22 ne. 
Norgaard, A. Über die Pepsinbestimmung in achylischen Probemahl- 
zeiten mit besonderer ne der Adsorption von deren 
festen Teilen . 222 0 0 0a 2 Een nen nen 
von Euler, Hans und Arvid Hedellus. Über die Stabilität der 
ness. ln de dr ee re ie 
Weszeczky, Oskar. Untersuchungen über die gruppenweise Hämag- 
glutination beim Menschen 
Windisch, Wilhelm, Wilhelm Henneberg und Walther Dietrich. 
Über die Einwirkung oberflächenaktiver Nonylsäure und einiger 
oberflächenaktiver höherer Homologe der Alkoholreihe (Amyl- 
alkohol und Oktylalkohol) auf die Hefezelle und die Gärung 
Salkowski, E. Über die antiseptische Wirkung einiger Deeg 
vate des Methans, Äthans und Athylenns 
Hartwich, G. Eine neue Methode quantitativer E Ah 
Doerr, R. Zur Oligodynamie des Silbers. II. Mitteilung 
Walbum, L. E. Über die Wasserstoffionenkonzentration einiger 
Standardlösungen bei verschiedenen Temperaturen 
Ege, Rich. Über die Restreduktion des Blutes. (Zur Physiologie 
des Blutzuckers III.) . .. „„ 
Ege, Rich. Zur Frage der Permeabilität der Blutkörperchen gegen- 
über Glucose und Anelektrolyten . . . 2 22 2 2 2 22. 


Seite 


106 


117 


IN Inhaltsverzeichnis. 


Hagedorn, H. C. Einige Bemerkungen über die Verteilung der 
Glucose zwischen Blutkörperchen und Plasma . ....... 
Gad Andresen, K. L. Über die Verteilung der Reststickstoffkörper 
auf Plasma und Körperchen im strömenden Blute 
Warburg, E. J. Einige Bemerkungen über die Verteilung von 
Anionen zwischen Blutkörpern und Plasma . ai 
Schweitzer, Dr. Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 
Herzfeld, E. und Klinger, R. Zur Chemie der Polysaccharide. 
Traube, J. Über die Bedeutung der Magen-Salzsäure und Bemerkungen 
über die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzentration in den 
biologischen Wissenschaften . . . 2 2 2 2 re 220. 
Joachimoglu, Georg. Zur Pharmakologie des Selens und Tellurs 
Autorenverzeichnis . 2.2: 2:2 rn ern 


Seite 


ei LV 


Biochemische Zeitschrift 


Beiträge | HL MEDIC, 


zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von 
F. Hofmeister -Würzburg, C. von Noorden -Frankfurt a. M., 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin 


unter Mitwirkung von 


M. Ascoli-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand. Paris, A. Bickel-Berlin, F. Blumenthal- 
Berlin, A. Benanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, G. Bredig-Karlsruhe i. B., A. Durig-Wien, 
F. Ehrlich-Breslau, H. v. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, S. Flexner-New York, 
J. Forssman-Lund, S. Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich - Berlin - Dahlem, 
E. Friedberger-Greifswald, E. Frledmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. @aleotti-Neapel,. 
F. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Härl-Budapest, A. Heffter- 
Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W. Heubner-Göttingen, R. Höber- 
Kiel, M. Jaeoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, M. Kumagawa-Tokio, F. Landolf-Buenos 
Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-New York, L. v. Llebermann-Budapest, J. Loeb- 
New York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, J, A. Mandel-New York, L. March- 
lewskl- Krakau, P. Mayer - Karlsbad, J. Meisenhelmer - Greifswald, L. Michaelis - Berlin, 
H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münzer-Prag, W. Nernst-Berlin, W. Ostwald- 
Leipzig, W. Palladin-St. Petersburg, W. Paull-Wien, R. Pfeiffer - Breslau, E. P. Pick- 
Wien, J. Pohl-Breslau, Ch. Poreher-Lyon, P. Rona - Berlin, S. Salaskin-St. Petersburg, 
A. Seheunert-Berlin, N. Sieber-St. Petersburg, S. P. L. Sörensen-Kopenhagen, K. Spiro- 
Liestal, E. H. Starling-London, J. Stoklasa-Prag, W. Straub-Freiburg i. B., A. Stutzer- 
Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München, H. Thoms-Berlin, P. Treudelenburg-Rostock, 
O. Warburg - Berlin, W. Wlechowskl- Prag, A. Wohl- Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertundsiebenter Band 
Erstes bis drittes Heft 
Ausgegeben am 24. Juli 1920 


Berlin 


Verlag von Julius Springer 
1920 


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De Biochemische Zeitschrift 


erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus- 
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis 
eines jeden Bandes beträgt M. 40.—. Die Biochemische Zeit- 
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter- 
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen. 


In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn sie 
nicht mehr als 1½ Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des 
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser 
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts 
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent- 
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen. 

Manuskriptsendungen sind an den Redakteur, 

Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorfatr. 18, 
zu richten. 

Die Verfasser erhalten 60 Sonderabdrücke ihrer Abhandlungen kosten- 
frei, weitere gegen Berechnung. Für den Id seitigen Druckbogen wird ein 
Honorar von M. 40.— gezahlt. . 


Verlagsbuchhandlung Julius Springer 
Berlin W 9, Linkstraße 23/24. 


107. Band. Inhaltsverzeichnis. 1., 2. u. 3. Heft. 
Seite 
Baudisch, Oscar und Paul Mayer. Studien über die Reduktion der 
Minito tot NIMS 4.65 2 SE we a ea 1 
Keller, Rudolf. Die Capillarisation in der Biochemie 43 
Andree, W. und H. Wendt. Über den Einfluß einiger darmwirkender 
Arzneimittel auf die endogene Harnsäureaus scheidung. 50 


Stepp, Wilnelm. Uber das Vorkommen von aldehydartigen Substanzen 
im Blute von Kranken ODiabetes mellitus, Nierenerkrankungen) 60 
Verzär, F. und R. Beck. Die Änderung der Aussalzbarkeit von Bak- 


terien der Typhusgruppe durch verschiedene Verhältnisse . . 8 
Verzär, Fritz. Zur Frage des Nachweises der Permeabilitätsänderung 

des Nerven bei Narkose und Erregung. 98 
Zuntz, H. Über Veränderung der Eitersekretion bei peroraler Koch- 

ETO e engt Nee ᷣͤ̃̃ͤͤẽR—i d ß 106 
Wacker, Leonhard. Kohlensäuredruck oder Eiweißquellung als Ur- 

sache der Muskelkontraktion? `, nnn 117 


A. Norgaard. Über die Pepsinbestimmung in achylischen Probemahl- 
zeiten mit besonderer Berücksichtigung der Adsorption von deren 


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v. Euler, Hans und Arvid Hedelius. Über die Stabilität der 
PCV ˙ ˙—rHĩQꝑ:: RE ĩðͤ v a 150 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 


Von 
Oscar Baudisch und Paul Mayer. 


(Aus der chemischen Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für experi- 
mentelle Therapie in Berlin-Dahlem und dem chemisch-technischen In- 
stitut der eidgenössischen Technischen Hochschule zu Zürich.) 


(Eingegangen am 16. März 1920.) 
Mit 4 Abbildungen im Text. 


L Einleitung. 


Die Reduktion der Nitrite und Nitrate, welche bekanntlich 
über die verschiedenen Zwischenstufen, MeNO,, MeNO,, MeNO 
(NO, N, O), NH, OH bis zu NH, führt, ist eine in den verschiedenen 
Zweigen der Chemie sehr wichtige Frage. Präparativ und technisch 
ist sie von Bedeutung für die Darstellung dieser einzelnen Ré- 
duktionsprodukte, in der physiologischen Chemie interessiert sie 
im Zusammenhang mit der Stickstoffassimilation, in der analy- 
tischen Chemie ist siezur Ausarbeitung verschiedener Bestimmungs- 
methoden von Nitriten und Nitraten verwandt worden. 

‘Ihrer Wichtigkeit entsprechend ist schon viel über diese 
Frage gearbeitet worden, und es sollen hier die rein chemischen 
Arbeiten, bei welchen in neutraler oder alkalischer Lösung — 
wie in der vorliegenden Arbeit — reduziert wurde, kurz angeführt 
werden. 

In erster Linie sei die Arbeit von W. Zorn (B. 15, 125) genannt, da 
dieser sowohl Nitrite als auch Nitrate ähnlich wie in dieser Arbeit, mit 
Ferrohydroxyd in der Kälte reduzierte. Er verwendet diese Methode zur 
Darstellung von untersalpetriger Säure, und gibt an, daß sich nebenbei 
große Mengen N,O und ferner NH, und N, bildet. 

Schönbein (Journ. f. prakt. Chemie 80, 257; 88, 460; 105, 208) er- 
hielt durch längere Berührung von Nitratlösungen mit Wasserstoff Nitrit. 
Er stellte fest, daß alle Pflanzenstoffe, welche H,O, zu katalysieren ver- 
mögen, auch Nitrate zu Nitriten reduzieren. Auch durch Elektrolyse, oder 
beim Umrühren mit einem Kadmium- oder Zinkstab, und beim Eintragen 
von K, Na, Pb, Zn, erhielt er ebenfalls aus Nitratlösungen Nitrite. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 1 
' 


2 O. Baudisch und P. Mayer: 


De Wilde (Bull. de l'acad. roy. Belge 25, 560) bekam bei der Einwir- 
kung von Natriumamalgam auf Alkalinitratlösung ein Gas, das aus etwa 
40% N, und 60% O, besteht. 

Maumené C. R. 70, 149) erhielt bei der gleichen Reaktion einen Kör- 
per, der mit AgNO,, AgNO gab. 

Frémy (C. R. 70, 1207) erhielt hierbei zuerst Nitrite, weiter NH,OH, 
N, und N. O. 

E. Divers (Lond. A. Soc. Proc. 19, 425) bestätigte die Angaben 
Maumenés. 

Schlösing (J. B. 1886, 63), Schönbein und Schür (Pharmaz. Ein- 
vierteljahrsschriften 18, 502), Vogelsohn (J. D. Bern 1907) bewirken eine 
solche Reduktion durch verschiedene in den Pflanzen vorkommende 
Körper. 

N Kippenberger (C. 1895, S. 434), erhält durch Einwirkung von Mg, 
Al, Zn, auf Nitratlösungen Wasserstoff, der das Nitrat zu Nitrit und dieses 
zu NH, reduziert. 

Bog us ki (J. russ. phys. Ges. 31, 552), reduziert Natriumnitrit mit 
elektrolytischem Knallgas zu NH,. l 

Angeli und Angelico (R. A. d. L. R 5, 83) erhielten bei der Ein- 
wirkung von Stannochlorid auf Nitrit eine Flüssigkeit, die mit Aldehyd 
die Hydroxamsäurereaktion gab. 


Eine ausführliche Zusammenstellung aller Arbeiten über die Nitrit- 
und die Nitratreduktion, auch solcher die vornehmlich physiologisches 
Interesse haben, befindet sich in der Zeitschrift für Physiologische Chemie 
(89, 195, 1914. O. Baudisch und E. Mayer, Photochemische Studien 
zur Nitrat- und Nitritassimilation.) 

Schließlich sei noch auf die verschiedenen analytischen Arbeiten hin- 
gewiesen, wie sie in jedem Lehrbuch der analytischen Chemie zu finden 
sind. 


Wenn wir alle die bekannten Methoden zur quantitativen 
Bestimmung und Trennung von Nitriten und Nitraten kritisch 
durchsehen und sie vom Standpunkt der allgemeinen Verwend- 
barkeit betrachten, so sehen wir, daß eigentlich aus dieser großen 
Anzahl Methoden nur wenige der Kritik standhalten. 


Zunächst müssen wir in dieser Hinsicht von allen colorimetrischen 
und gasanalytischen Methoden absehen, obwohl gerade diese letzteren sehr 
genau sind. Sie erfordern eine besondere Apparatur, die nicht in jedem 
Laboratorium vorhanden ist, und besondere Übung und Vertrautheit. 
Für die Nitritbestimmung bleiben uns von diesem Standpunkte aus als 
erprobte Methoden nur die Titrationsmethode nach Lunge und Raschig. 
Auch die Lungesche Methode erfordert ziemliche Übung, um überein- 
stimmende Ergebnisse zu bekommen. Ihre Genauigkeit wird auf höchstens 


0,3%, angegeben. 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 3 


Für die Bestimmung von Nitrat bleiben uns dann die ausgezeichnete 
Methode von Busch (Nitron) und einige titrimetrische Methoden. Sämt- 
liche, sonst sehr einfache und elegante Methoden das Nitrat zu NH, zu 
reduzieren und als solches zu bestimmen, sind nicht spezifisch, da vorhan- 
denes Nitrit ebenfalls reduziert wird. 

Bei den Trennungsmethoden für Nitrat-Nitritgemische, wie sie von 
A. Oelsner in der Zeitschr. f. angew. Chemie 1918, S. 170 und 178 zu- 
sammengestellt worden sind, fallen uns die Mängel ebenfalls auf. Außer 
der gasanalytischen Methode von Pellet und Meisenheimer und der an- 
geblich nicht genauen Methode von Fischer und Steinbach erlaubt 
uns keine der Methoden in einer Probe beide Stoffe, Nitrit und Nitrat 
jedes für sich zu bestimmen. 

Die meisten der Methoden sind Differenzmethoden, in denen der eine 
Bestandteil rechnerisch bestimmt wird durch die Differenz aus dem Ge- 
samtstickstoff und dem Stickstoff aus dem anderen Bestandteil. Dabei 
werden also die bei den zwei ausgeführten Bestimmungen gemachten 
Fehler rechnerisch auf die dritte Bestimmung übertragen. Diese Fehler 
können bis zu 2%, betragen, wie in der oben angeführten Zusammenstellung 
für die Methode von Winogradski angegeben ist. 

Bei einigen dieser Methoden sind außerdem zwei getrennte Proben er- 
forderlich, die eine zur Bestimmung des Gesamtstickstoffes, die andere 
zur Bestimmung des Stickstoffes des anderen Bestandteils. Hierbei addieren 
sich naturgemäß die bei den Probenahmen gemachten Fehler zu den oben 
erwähnten. 


Aus diesen Gründen dürfte die in dieser Arbeit angegebene 
Methode zur Bestimmung und Trennung von Nitrit-Nitrat- 
gemischen ihre Berechtigung haben. Sie ist, bei gleicher Genauig- 
keit wie bei den bisher üblichen Methoden mit allgemein vor- 
handenen Reagenzien (Ferrosulfat und Alkalihydroxyd) aus- 
führbar, braucht keine besondere Apparatur und ermöglicht 
bei Gemischen von Nitraten und Nitriten, beide Bestandteile 
in einer Probe getrennt zu bestimmen. 


II. Experimenteller Teil. 


A. Allgemeines. 


Aus einer früheren Arbeit von Baudisch, (Über Nitrit- und 
Nitratassimilation XV. Eisen und Sauerstoff als notwendige 
Reagenzien für die Reduktion der Alkalinitrate B. 52, 40. 1919), 
geht hervor, daß Alkali nitrate nur in Gegenwart von Sauer- 
stoff durch Ferroh yd ro xyd über Nitrite zu Ammoniak 
reduziert werden, während Nitrite auch in Abwesenheit von 
Sauerstoff glatt in Ammoniak übergehen. 


1* 


A O. Baudisch und P. Mayer: 


Diese experimentellen Ergebnisse würden die Ansicht von 
Baudisch bekräftigen, daß das Nitratsauerstoffatom (damit be- 
zeichnet Ba ud isch jenes Sauerstoffatom, welches durch Licht- 
energie aus Nitraten abgespalten wird) eine prinzipiell andere 
Bindung am Stickstoff als das Nitritsauerstoffatom besitzen 
müsse, was symbolisch von ihm folgendermaßen ausgedrückt 
wird: 


S 0 
K N— 0. . ) K-0-N=0 
U - 
0 
Kallumnitrat Kallumnitrit 


Bisher wurde allgemein angenommen, daß das Ferrohydroxyd 
sowohl auf Nitrat als auch auf Nitrit in gleicher Weise reduzierend 
wirkt, d. h. daß auf Kosten der sauerstoffhaltigen Nitrate und 
Nitrite in wässeriger Lösung das Ferrohydroxyd zu Ferrihydroxyd 
oxydiert würde. Die Beobachtung, daß Sauerstoff für die Re- 
duktion der Nitrate erforderlich ist, war mit den bisherigen 
Kenntnissen dieser und ähnlicher Vorgänge nicht erklärlich, 
und es war von Interesse, diesen Vorgang einer gründlichen 
systematischen Bearbeitung zu unterziehen. 

Ferner war von Interesse, zu untersuchen, ob auf Grund 
dieser Erscheinung sich nicht eine quantitative Trennungsmethode 
von Nitrit-Nitratgemischen ermöglichen ließe. 

Zur allgemeinen Orientierung soll der gedachte Arbeitsgang 
zunächst kurz voraus geschildert werden: 

Zu einer bestimmten, in destilliertem Wasser gelösten Menge 
Nitrit bzw. Nitrat wurde die äquivalente Menge Ferrohydroxyd, 
d. h. Ferrosulfat und Alkalihydroxyd gegeben, das sich bildende 
NH, in überschüssige Normalsäure überdestilliert, und aus der 
verbrauchten Menge Säure die Menge NH, bzw. die Menge Sub- 
stanz, welche reduziert wurde, bestimmt. 

Dieser Versuch wurde dann unter Änderung der Bedingungen 
(Menge Ferrohydroxyd, Alkalinität) wiederholt, und es wurde 
untersucht, ob die Reduktion des Nitrites zu NH, dabei so 
geleitet werden kann, daß sie quantitativ verläuft. Als dies 
gelang, wurde weiter untersucht, ob unter den so gefundenen 
Bedingungen auch in einem Gemisch von Nitrit und Nitrat 
dieses letztere bei Abwesenheit von Sauerstoff nicht reduziert 
wird, so daß eine quantitative Trennung nach diesem Prinzip 


mmm w 


— 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 5 


möglich wird. Schließlich wurden die Erscheinungen bei der 
Reduktion der Nitrate systematisch untersucht. 


Es sei zunächst die für diese Untersuchungen sowie die für 
die quantitative Trennung benutzte Apparatur beschrieben. Da 
sie für das Gelingen der hier angegebenen Versuche eine aus- 
schlaggebende Rolle spielt, ist es notwendig, diese Beschreibung 
ausführlich zu gestalten. 

Es war erforderlich, eine Apparatur zu finden, die es ermög- 
lichte, die zu untersuchende Substanz quantitativ unter Fernhaltung 
von Luft in den luftfrei gemachten Apparat zu bringen. Nach 
vielen eingehenden Versuchen und oftmaligen Abänderungen ist 
die nachstehend gezeichnete Anordnung als die einfachste und 
zweckentsprechendste gefunden worden. 

Der etwa 1000 ccm fassende Erlenmeyer- oder Stehkolben A 
(Abb. 1), auf dem man mittels Fettstift eine Graduierung in 100 com 
anbringt, ist mit 
einem doppelt durch- 
bohrten Gummistop- 
fen verschlossen. 
Durch die eine Boh- 
rung geht einer der 
für NH,-Bestimmun- 
gen üblichen Auf- 
sätze B mit damit 
verbundenem Kühl- 
rohr C mit Sicher- 
heitskugel. Im Not- 
falle genügt eine ein- 
fache entsprechend 
gebogene Glasröhre. 
Das Ende des Kühl- 
rohres taucht in die 
mit Normalsäure gefüllte Vorlage D ein. Wegen der Gefahr 
des Zurücksteigens der Säure ist ein Kühlrohr mit Sicher- 
heitskugel stets zu empfehlen. Durch die andere Bohrung 
geht ein bis an den Boden des Kolbens reichender Glasstab E, 
der an seinem unteren Ende zu einem wagerechten Ring um- 
gebogen ist. In diesem Ring hängt mit viel Spielraum ein 


Abb. 1. 


6 O. Baudisch und P. Mayer: 


kleines Reagenzgläschen von etwa 5ccm Inhalt (in der Mitte 
abgeschnittenes gewöhnliches Reagenzglas). Das Gläschen kann 
natürlich noch in anderer Weise, z. B. mittels Platindraht, an 
den Glasstab befestigt werden, wodurch man die Herstellung des 
Glasringes umgeht. Der Glasstab muß in seiner Bohrung dicht 
schließen, anderseits sich darin nicht zu schwer auf und abbe wegen 
lassen, was man durch Schmieren mit etwas Öl oder Glycerin 
leicht erreicht. 

Während in das Gläschen die in Wasser gelöste, zu unter- 
suchende Substanz kommt, wird im Kolben das Reduktions- 
gemisch, bestehend aus Ferrosulfat, Alkalihydroxyd und Wasser, 
gründlich ausgekocht. Der Glasstab ist während der Zeit hoch- 
gezogen, so daß das Reduktionsmittel nicht zur Substanz gelangt. 
Nach etwa !/,stündigem Kochen ist der Apparat luftfrei, die 
Vorlage wird eingesetzt und der Glasstab heruntergedrückt, 
so daß das Gläschen durch den Boden des Kolbens aus dem Ring 
herausgehoben wird und in den Kolben fällt. Die Reduktion 
beginnt, das NH, wird abdestilliert, in der Vorlage absorbiert 
und dort durch Zurücktitrieren der Säure mittels Lauge und 
Methylorange bestimmt. 

Auf diese Weise gelingt es praktisch vollkommen unter Luft- 
abschluß zu arbeiten. Alle anderen Mittel zur Verdrängung der 
Luft z. B. durch Einleiten von Stickstoff oder Wasserstoff sind 
komplizierter und führen kaum zum Ziel, da es sehr schwierig 
ist, diese Gase sauerstofffrei zu machen. 

Daß bei dieser Arbeitsweise der Apparat tatsächlich sauer- 
stofffrei ist, wurde wie folgt nachgeprüft: 

Der Kolben wird mit einer Lösung von Alkalihydroxyd in 
Wasser gefüllt, während in das Gläschen wässerige Pyrogallol- 
lösung kommt. Nachdem !/, Stunde ausgekocht ist, wird das 
Gläschen heruntergedrückt. Die Flüssigkeit färbt sich wahr- 
scheinlich durch die Alkaliverbindung des Pyrogallols hellrosa 
und nicht die Spur braun, wie das in Gegenwart von Sauerstoff 
der Fall ist. Nimmt man nun die Flamme und die Vorlage weg, 
so daß durch das Abkühlen Luft eingesaugt wird, so wird augen- 
blicklich Sauerstoff absorbiert und die Lösung färbt sich an der 
Oberfläche braun. 

Bei solchen Bestimmungen oder Versuchen, wo Luftabschluß 
nicht erforderlich ist, wird die Substanz gleich zu Anfang mit 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 7 


dem Reduktionsmittel zusammen in den Kolben gegeben. .Die 
ganze Vorrichtung mit dem Glasstab und das Auskochen füllt 
dementsprechend weg. In diesem Falle empfiehlt sich auch, 
an Stelle des gewöhnlichen Kühlrohres und der gewöhnlichen 
Vorlage einen Liebigschen Kühler und eine Vorlage nach 
Varrentrap- Will einzuschalten (Abb. 2). Diese Anordnung 
gestattet in einfacher Weise das Ende der Reaktion zu erkennen, 
indem am Ende des Kühlrohres ein überdestillierender Tropfen 
aufgefangen und mit Neßlers Reagenz auf NH, geprüft wird. 
Bei der Anordnung nach Abb. 1, wo das Kühlrohr in die Vorlage 
taucht und bis zum Schluß der Reaktion tunlichst nicht daraus 
entfernt werden darf, um ein Eindringen von Luft in den Kolben 
zu vermeiden, ist eine solche Probenahme nicht möglich. Zahl- 
reiche Versuche haben jedoch ergeben, daß bei den angegebenen 
Mengen Substanz, die verwendet wird, das gesamte gebildete 
NH, nach Abdestillieren von etwa 150 ccm sich in der Vorlage 
befindet. 

Auch für die später geschilderte Trennung von Nitrit-Nitrat- 
gemischen empfiehlt sich diese letztere Apparatur, da man bei 
dem unbekannten Gehalt des Gemisches den Endpunkt der Reak- 
Don genau feststellen kann und somit oft viel Zeit spart. Der 
Apparat muß dann aber sehr gründlich, etwa eine Stunde, aus- 
gekocht werden. 


Eine weitere anfängliche Schwierigkeit war das außerordent- 
lich starke Stoßen der Flüssigkeit beim Destillieren, das eine glatte 
Destillation unmöglich machte, sogar in einem Fall den Apparat 
zertrümmerte. 

Nachdem die verschiedensten Mittel und Apparaturen 
dagegen ausprobiert worden waren, hat sich als sicherstes und 
einfachstes Mittel die Zugabe von etwa 10 Stück fingernagel- 
großen porösen Tonscherben erwiesen. (Aus den üblichen porösen 
Tontellern.) Die Destillation verläuft damit, auch bei den 
stärksten Alkalikonzentrationen, vollkommen glatt. 


Es sollen nun im folgenden die systematisch ausgeführten 
Versuche beschrieben werden. 


8 O. Baudisch und P. Mayer: 


B. Reduktion der Nitrite. 
Ausgehend von der Gleichung: 


I) 6 FeSO, + 6 Na, CO, = 6 FeCO, + 6 Na,SO, 
II) 6 FeCO, + 6 H,O = 6 Fe(OH), + 6 CO, 
III) KNO, + 6 Fe(OH), + 5H,0 = NH, + 6 Fe(OH), + KOH 


werden im 


Versuch 1: 0,425 g KNO,, 3,3 g Na, CO,, 4,5 g FeSO, (wasserfrei) 
und 500 ccm H,O in den Kolben gegeben, erhitzt und das gebildete NH, 
abdestilliert, bis ein übergehender Tropfen keine Gelbfärbung mit Nessler- 
Reagenz gibt. Die Vorlage enthält 15 ccm ½n-Säure. 0, 425 g KNO, 
(½0 Mol) geben bei vollständiger Reduktion Lin, 17 = 0,085 g NH,,, 
entsprechend 10 ccm ½ n-Säure. 

Verbraucht: 2 ccm Säure = 20%, des sich theoretisch bildenden NH, . 
Im Kolbenrückstand ist kein Nitrit mehr nachweisbar. 

Versuch 2: Wie vorher mit der doppelten Menge an Fe(OH),, d. h. 
0,425 g KNO,, 6,6 g Na CO,, 9,9 g FeSO,, 500 cem H,O. Verbraucht: 
2,2 ccm Säure = 22%, NH,. 

Versuch 3: Wie vorher, mit der dreifachen Menge Fe(OH),, d. h. 
0,425 g KNO,, 9,9 g Na,CO,, 13,6 g FeSO,, 500 cem H,O. Verbraucht: 
2,6 ccm Säure = 26%, NH, 

Bei Verwendung auch von größeren Mengen an Fe(OH),, 
bis zum zehnfachen der theoretisch erforderlichen Menge, wird 
die Menge des erhaltenen NH, kaum merklich größer. 

Bei allen diesen Versuchen wird die Vorlage von einem leb- 
haften Gasstrom passiert. Das aufgefangene Gas wird durch den 
Geruch und durch das Entflammen eines glühenden Spanes als 
N. O identifiziert. 

Bei den nächsten Versuchen wurde nun die Menge des an- 
gewandten Alkalis vergrößert. 

Versuch 4: Wie vorher, mit einem Alkaliüberschuß. 0, 425 g KNO,, 
10 g Na, CO,, 9,9 g FeSO,, 500 cem H, O. Verbraucht 3,0 ccm Säure = 
30% NH, 

Versuch 5: Wie vorher, mit einem größeren Alkaliüberschuß. 0,425 g 
K NO,, 20 g Na, CO,, 9,9 g FeSO,, 500 cem H,O. Verbraucht: 4,4 ccm 
Säure = 44% NH,. 

Versuch 6: Versuch 3 mit einem Alkaliüberschuß wiederholt. 0,425 g 
KNO,, 15 g Na, CO,, 13,6 g FeSO,, 500 cem H,O. Verbraucht: 4,0 ccm 
Säure = 40% NH,. 

Aus den Versuchen 4, 5 und 6 geht hervor, daß freies Alkali 
die Reduktion im Sinne der NH,-Bildung wesentlich beeinflußt. 


Die nächsten Versuche zeigen den Einfluß der Temperatur. 


\ 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 9 


Versuch 7: Wie Versuch 4, das feste Ferrosulfat wird jedoch nicht 
von vornherein, sondern erst in die kochende Lösung von Nitrit und Soda 
gegeben. Verbraucht: 4,0 ccm Säure = 40% NH,. 

Versuch 8: Wie vorher, das Ferrosulfat jedoch nicht fest, sondern 
gelöst kalt zugegeben. Verbraucht: 30%, ccm Säure = 30%, NH,. 

Versuch 9: Wie vorher, das Ferrosulfat jedoch gelöst, heiß zugegeben. 
Verbraucht: 3,5 ccm Säure = 35%, NH,. 


Aus den Versuchen 4, 7, 8 und 9 geht hervor, daß die Form, 
in der das Reduktionsmittel zugegeben wird, keine Rolle spielt, 
die höhere Temperatur jedoch die NH,-Bildung begünstigt. 

In all diesen Versuchen konnte N,O neben N, nachgewiesen 
werden. Im Kolbenrückstand war mit den üblichen Reagenzien 
kein Nitrit nachweisbar. 

Es geht also aus dieser Versuchsreihe hervor, daß Nitrit von 
Ferrohydroxyd (aus Ferrosulfat mit Soda gefällt) in neutraler 
oder carbonat-alkalischer Lösung quantitativ reduziert wird, 
und zwar in der Hauptsache zu NO, (60%) und N, neben NH, 
40%. 

Je höher die Temperatur und je stärker alkalisch die Lösung 
ist, desto mehr wird NH, zuungunsten von N, O gebildet. 


Infolge dieser festgestellten Wirkung des Alkalis würde es 
vielleicht möglich sein, durch Arbeiten in stärker alkalischem 
Medium die NH- Bildung quantitativ zu gestalten. Die nächsten 
Versuche wurden daher mit Alkalihydroxyd an Stelle der Soda 
ausgeführt. 

Die Reaktion verläuft nach der Gleichung: 

I) 6FeSO, + 12 NaOH = 6 Fe(OH), + 6 Na,SO, 
II) NaNO, + 6 Fe(OH), + 5 H,O = NH, + 6 Fe(OH); + NaOH. 

Um ein genaueres Arbeiten zu ermöglichen, wurde von nun 
ab in allen Versuchen als Substanz eine bestimmte Anzahl Kubik- 
zentimeter, meist zwei, einer Normallösung von Natriumnitrit, 
enthaltend 69,1 g Natriumnitrit im Liter, verwandt. Aus dem 
gleichen Grunde wurde, um die Genauigkeit zu erhöhen, 1/1ọn- 
Säure an Stelle der ½ n-Säure vorgelegt. 


Versuch 10: Wie Versuch 5, jedoch mit Natriumhydroxyd an Stelle 
der Soda. 2,0 ccm 1/, n-Natriumnitritlösung = 0,1382 g NaNO,, 0,96 g 
NaOH, 1,84 g FeSO, (wasserfrei), 500 ccm H,O zusammengegeben, erhitzt 
und destilliert. 0,1382 g NaNO, ergeben bei vollständiger Reduktion 0,034 
NH,, entsprechend 20,0 ccm ½10 n-Säure. Vorgelegt wurden 25 ccm !/,on- 
Säure. Verbraucht: 8 ccm = 40%, NH, 


10 O. Baudisch und P. Mayer: 


Es entwickelt sich scheinbar etwas N,O. Der Kolbenrückstand gibt 
noch eine starke Nitritreaktion. 


Wie in den vorigen Versuchen wird in den nächsten Versuchen 
die Menge Ferrohydroxyd und die Alkalinität geändert. Die 
Ergebnisse dieser Versuche sind in der Tabelle I, enthalten. 


Tabelle I. 
Reduktion von Alkalinitrit durch Ferrohydroxyd. 


Angewandt: je 0, 1382 g NaNO, in 500 ccm H,O. Diese sollen bei 
vollständiger Reduktion geben 0,0340 g NH. 


Bemerkung 


Versuch Nr. 


10 1,84 0,96 | 1 | O(meutr.){0,0136 40,0 Im Rückstand HNO, und 
NO gebildet. 

11 3,68 1,92 | 2 | O(neutr.)]0,03098 | 87,0 dgl. 

12 3,68 2,8821 0,03111 | 91,5 Im Rückstand NO,, kein 
HN, O gebildet. 

13 3,68 3,84] 2 | 2 0,03102 | 88,0 del. 

143,68 4,801 2 | 3 0,03102 | 88,0 dgl. 

15 3,68 5,7612 | 4 0,03098 | 87,0 dgl. 

163,68 6,72] 2 | 5 0,02941 | 86,5 dgl. 

17 3,68 8,64] 2 | 7 0,03128 | 92,0 dgl. 

18 5,50] 2, 3 | O(neutr.) {0,03315 | 97,5 Im Rückstand keine HNO,, 
N. O gebildet. 

195,50] 3,8631 0,0340 | 100,0 Im Rückstand keine HNO,, 

kein Na) gebildet. 
20 5,50 20,00 | 3 17 0,0340 | 100,0 dgl. 
21 5,50 33,00 | 3 130 0,0340 | 100,0 dgl. 


Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, daß die Menge gebildeten 
NH, bzw. Nitrites, welches reduziert wird, von der Menge des 
Reduktionsmittels abhängt. Ist dies in genügendem Überschuß 
da, so ist die Reduktion eine quantitative (Versuch 19). Es bildet 
sich in der Hauptsache NH, neben etwas N,O. Enthält die Lösung 
freies Alkali, so wird kein N,O gebildet und bei genügendem 
Überschuß (dem dreifachen der berechneten Menge) an Ferro- 
hydroxyd geht demnach die Reduktion, was bis jetzt nicht be- 
kannt war, quantitativ bis zu NH,. 

Die Alkalimenge spielt hierbei keine Rolle, wie aus Versuch 2 
bis 17 zu ersehen ist. Trotz wachsender Alkalinität wird ein Teil 
Nitrit nicht reduziert, da nicht genügend Reduktionsmittel 
vorhanden ist. Dies ist leicht aus der festen Form des Ferro- 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 11 


hydroxydes erklärlich, da es in dieser Form der Nitritlösung weniger 
Angriffsfläche bietet, als wenn es in gelöster Form vorhanden 
wäre. Ein Teil des Ferrohydroxydes bleibt daher aus rein mecha- 
nischen Gründen unwirksam. 

Nun mußte auch nachgeprüft werden, ob unter den gleichen 
Umständen unter Luftabschluß die Reduktion auch quantitativ 
verläuft. 

Versuch 22—24: Die Versuche 19—24 werden, wie im allgemeinen 
Teil angegeben, unter LuftabschlußB wiederholt. Das Ergebnis ist das 
gleiche wie das aus der Tabelle I ersichtliche; es werden genau die gleichen 
Werte erhalten, und das Nitrit wird stets quantitativ zu NH, reduziert. 


Durch eine Reihe Kontrollversuche mit wechselnden Mengen Nitrit wurde 
dies Ergebnis bestätigt. 


Zusammenfassung der Ergebnisse über die Nitritreduktion. 


Nitrit wird von überschüssigem Ferrohydroxyd in neutraler 
oder alkalischer Lösung quantitativ reduziert. In kochender 
carbonatalkalischer Lösung bildet sich dabei in der Hauptsache 
NO neben NH,. In kochender kaustisch-alkalischer Lösung geht 
hingegen die Reduktion quantitativ bis zu NH}. 


C. Reduktion der Nitrate. 


Da das Endziel der Arbeit die quantitative Trennung von 
Nitrit und Nitrat war, wurde hier nur die Reduktion durch 
Ferrohydroxyd in kaustisch-alkalischer Lösung untersucht, da, 
wie aus dem vorigen Abschnitt hervorgeht, nur in einer solchen 
Lösung das Nitrit quantitativ zu NH, reduziert wird. 

Nach den bisher gemachten Erfahrungen waren vor allem 
zwei Punkte zu untersuchen: der Einfluß des Alkalis und der 
Einfluß des Sauerstoffes. 


1. Einfluß des Alkalis. 
Von der Gleichung: 
I) 8FeSO, + 16 NaOH = 8 Fe(OH), + 8 Na, S0. 
II) NaNO, + 8 Fe(OH), + 7 H,O = NH, + 8 Fe(OH), + NaOH 
ausgehend, werden im 


Versuch 25: 2,0 ccm !/,n-Natriumnitratlösung = 0,1702 g NaNO, 
1,3 g NaOH, 2,4 g FeSO, (wasserfrei) und 500 cem H,O zusammengegeben, 
erhitzt, und das gebildete NH, abdestilliert. 


12 O. Baudisch und P. Mayer: 


0,1702 g NaNO, geben bei vollständiger Reduktion 0,034 g NH,. 
entsprechend 20,0 ccm *!/,0on-Säure. Vorgelegt wurden 25,0 cem ½/10 n- 
Säure. Verkraucht: 12,4 cem Säure = 62% der theoretisch sich bildenden 
Menge NI. 

Das ausfallende Ferrohydroxyd verfärbt sich viel langsamer 
und nicht so intensiv wie bei den gleichen Versuchen mit Nitrit. 
Eine Gasentwicklung wurde nicht beobachtet. Im Kolbenrück- 
stand ist mit Diphenylamin noch stark HNO, nachweisbar, mit 
Griesschem Reagens keine HNO,. Die Reduktion verlief also 
nicht quantitativ. Nach den beim Nitrit gemachten Erfahrungen 
liegt dies wahrscheinlich an der ungenügenden Menge des Re- 
duktionsmittels. 


Tabelle II. 


Reduktion von Alkalinitrat durch Ferrohydroxyd. 


Angewandt: 0,1702 NaNO, in 500 ccm Wasser; daraus entstehen 
bei vollständiger Reduktion 0,0340 g NH, 


l | sl o Äquivalent E = Entstandenes NH, 
S 57 ep en | 5 5 Z 
— | É | 2 = | kata 35 E iind Bemerkung 
Nr. | <| NaOH |$ $ Menge 
LK |; — e 0 
in g| ing | in % in g in fo 
25 || 2,4 1,3] 1 | O (neutr.) OmeutzJc 0,02108 62 Um Rückstand HNO, 
26 4,8 2,62 0 „ O „ 10,0340 100 Im Rückstand keine 
| HNO, 
27148| 3,2] 2| ½ 0,12 0,02244| 66 Um Rückstand HNO, 
28 || 4,8 3912| 1 0,26 0,01309| 38,51 „ e * 
294,8 5,2122 0,52 0.00952] 28 A 
30 || 4,8 6,51 2 3 0,78 0,00544| 16 1 
3104.8 7812| 4 1,04 0,00476| 14 8 z e 
324,8 9,112 5 1.30 0.00425] 12,51 .. 1 1 
334,8 18,0 2 | 11,8 3,08 0,00344| 10 2 ? 
344,8 2001| 2 | 12 3,10 0.00323] 9,5 „ d 
354,8 23,22 | 15,8 4.14 0,00306| 9 i: 
364,8 | 27.01 2 | 18,7 4,88 0,00289| 851 „ 
37148| 35,1] 2 | 25 6,50 0.001871 5,51 .. 
38 | 4,8 | 36.0 | 2 | 25,7 6,68 0,00153| 4,5] „, 
39 || 4,8 | 38,0| 2 | 27,2 7,08 0,00187] 5,51] .. 
40 4,8 41,6 | 2 | 30,0 980 10,00221| 6,51] ., 
414,8 5401| 2 | 39,6 10,30 0,0025515 oni, 
424,8 72,0 253,3 [13,90 0,0381] 11,5] .. 
43 | 4,8 90,0] 2 | 67,2 15,50  10,00476| 14 u P 
44 || 4,8 | 108.0 | 2 | 81,0 21,10 0,00986 | 29 ` i RK 
45 | 4.8 pt 0 2 108,8 28,30 [0,03400| 100 Į. £ keine 
HNO, 
N 2 136.0 35,50 J0,03400 100 Um Rückstand keine 


| 4 8 180.0 
| HNO; 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 13 


Es wird nun in den weiteren Versuchen die Menge Fe(OH), 
und die Alkalinität-gesteigert. Die Ergebnisse sind in der Tabelle II, 
S. 12 enthalten, und in den beiden Kurven ist die Wirkung des 
Alkalis verzeichnet 


EZE EEE IE EEE 
E dee d J 47 D Si 


CEK vg ei e O Q O O Wo 
25 set 13 47 de 65 27 % 109 e 27 23 
Jroa NaOH 

Abb. 4. 


Es sei gleich hier vorausbemerkt, daß die Reihenfolge, in 
welcher die einzelnen Bestandteile in den Kolben gegeben werden, 
die Zeit, welche sie bis zum Erhitzen zusammen sind, ab der 
Kolben mit seinem Inhalt ruhig stehengelassen wird oder ob 
man ihn vorher umschüttelt, die Art des verwendeten Wassers, 
eine große Rolle spielt und die Ergebnisse wesentlich beeinflußt. 
Die Erklärung hierfür gibt der nächste Abschnitt, in welchem 
der Einfluß des Sauerstoffes studiert wird. 


|] 


14 O. Baudisch und P. Mayer: 


Die in der Tabelle II und in den Kurven angegebenen Werte 
sind daher keine absoluten Werte. Da aber stets unter den gleichen 
Bedingungen gearbeitet wurde, sind es gute Vergleichswerte. 

Im einzelnen wurde wie folgt gearbeitet: 

Es wurde die Apparatur nach Abb. 2 verwandt. In den 
Kolben wurden zunächst 400 ccm destilliertes Wasser gegeben, 
das aus einem großen Glasballon entnommen war, darin die be- 
stimmte Menge NaOH aufgelöst, 2 cem !/,n-Nitratlösung hinein- 
pipettiert, dann das in 100 ccm destilliertem Wasser aufgelöste 
wasserfreie Ferrosulfat hineingeschüttet, der Kolben verschlossen, 
einmal kräftig durchgeschüttelt und destilliert, bis ein über- 
gehender Tropfen keine Gelbfärbung mit NeBlers Reagens 
gibt, bzw. wurden 150 ccm abdestilliert (s. weiter unten). 


Aus der Tabelle und den Kurven ersieht man, daß das Nitrat 
durch überschüssiges Ferrohydroxyd in neutraler Lösung quan- 
titativ zu NH, reduziert wird. Mit steigendem Gehalt der Lösung 
an freiem, also nicht durch Ferrosulfat verbrauchtem Alkali 
nimmt die Menge des gebildeten NH, bzw. des Nitrates, welches 
reduziert wird, da sich ja anscheinend keine anderen Reduktions- 
produkte bilden, vollkommen gesetzmäßig ab, bis sie bei einem 
Alkaligehalt der Lösung von 25—27 Äquivalenten, d. h. 6,5—7% 
NaOH am kleinsten ist. Von da ab wird sie wieder größer und zwar 
vollkommen regelmäßig und bei einem Gehalt der Lösung von 
etwa 100 Äquivalenten, d. h. 28%, NaOH und darüber ist das 
Nitrat wieder quantitativ zu NH, reduziert. 

Wie bereits bemerkt, sind alle Werte der Versuche 27—44 
nur Vergleichswerte. Bei den Versuchen 26—38 bedeuten sie 
die Menge NH,, die bei der angegebenen Arbeitsweise erhalten 
wird vom Beginn der Destillation bis zum Verschwinden der 
Gelbfärbung mit Nesslers Reagens. Bei den Versuchen 39—46, 
wo NH, von Anfang an in steigendem Maße entwickelt wird, 
bedeuten sie die Menge NH,, die mit 150 ccm Flüssigkeit in die 
Vorlage hinüberdestilliert. Würde man weiter destillieren, so 
würde, wenn die erforderliche Konzentration erreicht ist, auch 
das ganze Nitrat reduziert werden. 

Je nachdem in den einzelnen Versuchen mehr oder weniger 
des vorhandenen Nitrates reduziert wird, ist auch die Verfärbung 
des Ferrohydroxydes verschieden. Das Ferrohydroxyd fällt 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 15 


zunächst weiß bis grünlich aus, je nach dem Sauerstoffgehalt 
der Lösung. In neutraler Lösung färbt es sich beim Erhitzen 
bald dunkel und beim Kochen schwarz, jedoch langsamer und 
weniger intensiv als bei den Versuchen mit Nitrit. Je stärker 
die Alkalinität, desto länger bleibt die ursprüngliche Farbe be- 
stehen und desto weniger verfärbt es sich. Bei dem tiefsten 
Punkt der Kurve, also bei einem Alkaligehalt der Flüssigkeit 
von 6,7% bleibt es fast ganz weiß und färbt sich nur zuletzt 
etwas gräulich. Bei stärkeren Konzentrationen bleibt die Farbe 
zunächst ganz weiß, schlägt dann aber in der heißen nitrathaltigen 
Lösung plötzlich in grau, später in schwarz um.. Je größer die 
Alkalinität ist, desto schneller kommt wieder Umschlag. Wie später 
gezeigt wird, sind diese Erscheinungen auf die Wirkung des vorhan- 
denen in Wasser gelösten Sauerstoffes zurückzuführen, bzw. auch 
auf den in starkem Alkali aus dem Nitrat und Nitrit abgespaltenen. 

Diese Wirkung des Alkalis läßt sich durch folgenden anschau- 
lichen Versuch, der sich gegebenenfalls gut zum Vorlesungs- 
versuch eignet, sehr schön zeigen. 


Versuch 47: Versuch 34 wird wiederholt, jedoch ohne Vorlage. Von 
der übergehenden Flüssigkeit werden vom Beginn der Destillation an in 
bestimmten Zeitabständen 5 Tropfen aufgefangen und mit Nesslerschem 
Reagens geprüft. Das Ergebnis ist in der Tabelle III verzeichnet. 

Die Intensität der Gelbfärbung gibt also genau das Bild der Kurve. 


Tabelle III. 
Wirkung der Alkalikonzentration auf die Nesslersche Reaktion. 
0,1702 g NaNO,, 20,0 g NaOH, 4,8 g FeSO, wasserfrei, 500 ccm H,O 
erhitzt und destilliert. 


Dauer des | Kolben- |Berechnete 
Versuches | inhalt |Alkalikonz. Nesslersche Reaktion 
in Minuten in ccm in % 
00 500 3,5 sehr stark, voluminöse braune Fällung 
10 450 3,8 stark, braune Füllung 
20 400 4,3 schwach, braune Trübung 
30 350 4,9 sehr schwach, gelbe Färbung 
40 300 5,8 bleibt aus, farblos 
50 250 6.7 sehr schwach, gelbe Färbung 
60 200 8,7 schwach, braune Trübung 
70 150 11,6 stark, braune Fällung 
80 100 17,4 sehr stark, volum. braune Fällg., NH,-Geruch 


Dieser Versuch wird nun mit einer Alkalikonzentration 
wiederholt, die einem Werte in der rechten Hälfte der Kurve 
entspricht. 


16 O. Baudisch und P. Mayer: 


Versuch 48: Wie Versuch 47, jedoch mit 54 g NaOH, gleich 10% 
freies Alkali. 
Die Erscheinungen sind die gleichen wie bei Versuch 47. Die anfäng- 
lich starke Gelbfärbung mit Nesslers Reagens nimmt schnell ab, ver- 
schwindet jedoch nie ganz, und nimmt dann wieder bis zur ursprüng- 
lichen Stärke zu. 


Auch bei stärkeren Alkalikonzentrationen ist das Bild das 
gleiche: Im Anfang intensive Gelbfärbung, dann Abnehmen 
derselben und wieder Zunehmen bis zur ursprünglichen Stärke. 
Je größer die Alkalikonzentration, desto schneller wird der 
schwächste Punkt erreicht. Für Demonstrationszwecke eignet 
sich daher ein Versuch mit stärkerer Alkalikonzentration der 
Zeitersparnis wegen besser. 

Nach der Kurve dürfte bei starken Alkalikonzentrationen 
die Intensität der Reaktion nicht abnehmen, sondern müßte, 
entsprechend der gesteigerten Reduktion, zunehmen; dieser 
Versuch läßt daher vermuten, daß außer der Alkalikonzentration 
noch ein anderer Faktor auf die Reduktion der Nitrate einwirken 
muß. 

Dieser Faktor ist der Sauerstoff, wie aus den weiteren Ver- 
suchen hervorgeht. 


2. Einfluß des Sauerstoffes. 


Die anfänglich ausgesprochene Vermutung, daß Nitrat in 
Abwesenheit von Sauerstoff nicht reduziert wird, konnte nach 
den letzten Versuchen nicht mehr in dieser absoluten Form 
aufrecht erhalten werden. 

Aus Versuch 47 war hervorgegangen, daß, nachdem ein 
gewisser Teil Nitrat reduziert war, die Reduktion zunächst 
aufhörte. Wenn angenommen wird, daß Sauerstoff für die Re- 
duktion erforderlich ist, so könnte diese Erscheinung mit dem 
Verbrauch des vorhandenen Sauerstoffes erklärt werden. Nun 
setzt aber bei weiterem Kochen, obwohl durch das lange Kochen 
der Apparat sicher luftfrei ist und von außen keine Luft ein- 
dringen kann, bei einem gewissen Gehalt der Flüssigkeit an 
Alkalihydroxyd die Reaktion wieder ein. 

Es war daher anzunehmen, daß die von Baudisch beobach- 
tete Erscheinung (keine Reduktion des Nitrates in Abwesenheit 
von Sauerstoff) nur in gewissen Grenzen stattfindet, und daß sie 
mit der Alkalinität der Lösung zusammenhängt. 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 17 


Die Vermutung lag nahe, daß die Einwirkung des Sauerstoffes 
wahrscheinlich nur bis zur Alkalikonzentration von 6,7%, NaOH 
(tiefster Punkt der Kurve) stattfindet. 

Um dies aufzuklären, wurden die Versuche 26—46 wieder 
holt, jedoch in Abwesenheit von Luft. Sonst waren die Bedin- 
gungen und die Arbeitsweise genau die gleichen. Es wurden stets 
150 ccm Flüssigkeit abdestilliert, da erfahrungsgrmäß darin bei 
den angewandten Mengen Nitrat das ganze gebildete NH, ent- 
halten ist. 

Tabelle IV enthält die Ergebnisse. In der letzten Rubrik 
sind die Werte aus der Tabelle ILI diesen gegenübergestellt. 


Tabelle IV. Ä 
Reduktion der Alkalinitrate durch Ferrohydroxyd in Gegenwart 
und in Abwesenheit von Sauerstoff. 
0,1702 g NaNO, , 4,8 g FeSO,, 500 ccm H,O erhitzt und destilliert. 


Vom angewandten Nitrat wurden 


Aquivalent 3 


Versuch | NaOH 
N 


NT. 
in g 


Die Versuche bestätigen also vollkommen die ausgesprochene 
Vermutung: Der Einfluß des Sauerstoffes macht sich nur bis 
zu einer gewissen Alkalikonzentration (6,5% NaOH) geltend, 
deren Wert dem tiefsten Punkt der Kurve S. 13 entspricht. 

Bei Versuch 52 ist die Konzentration des Alkalis zu Anfang 


20 — 2,6 
500 

20 = angewandte Menge NaOH, 

2,6 = durch FeSO, gebundenes NaOH, 


500 = Menge Wasser. 
Nach Abdestillieren von 150 ccm Flüssigkeit ist die Kon- 
zentration des Alkalis: mu = 4,9%. 


1) Nach Abdest. von 150 ccm. 
Biochemische Zeitschrift Band 107. 2 


des Versuches: = 3,1%. 


18 O. Baudisch und P. Mayer: 


Der tiefste Punkt der Kurve ist noch nicht erreicht. Da kein 
Sauerstoff vorhanden ist, wird Nitrat nicht reduziert. 

Bei Versuch 53 ist die Konzentration des Alkalis zu Anfang 

27 — 2,6 

des Versuches: = 4,9%. 

Nach Abdestillieren von 150 ccm Flüssigkeit ist die Konzen- 
tration des Alkalis: a = 6,9%. 

Der tiefste Punkt der Kurve ist erreicht und überschritten : 
Es wird auch in Abwesenheit von Sauerstoff Nitrat reduziert, 
und zwar bei dieser Endkonzentration 2% des vorhandenen 
Nitrates. Entsprechend der Endkonzentration sind auch die in 


den Versuchen 53—56 erhaltenen Werte. 


Die für diese Werte gezeichnete Kurve beginnt also bei 
einem Alkaligehalt der Flüssigkeit von 6,5%, mit 0%, Reduktion 
vom vorhandenen Nitrat, erreicht dann bald die erste Kurve 
(Reduktion in Gegenwart von Luft) und läuft dann mit dieser 
zusammen. 


Zur Reduktion von Alkalinitrat ist also Sauerstoff erforder- 
lich, sofern der Alkaligehalt der Flüssigkeit 6,5%, NaOH nicht 
übersteigt. In auffälliger Weise zeigt dies Versuch 49, bei welchem 
in Gegenwart von Sauerstoff das Nitrat quantitativ bei Abwesen- 
heit von Sauerstoff überhaupt nicht reduziert wird. 

Hiermit ist auch Versuch 47 und 48 erklärt: Bei Versuch 47 
entsteht infolge der Abwesenheit von Sauerstoff zunächst eine 
starke Reduktion und NH,-Bildung, was durch die starke Gelb- 
färbung mit Nesslerschem Reagens angezeigt wird. Der Sauer- 
stoff wird aufgebraucht bzw. durch das Kochen vertrieben, 
parallel damit geht die Abnahme der Menge Nitrat, welche redu- 
ziert wird mit zunächst zunehmender Alkalikonzentration, 
Schwächerwerden der Gelbfärbung. — Der Sauerstoff ist ganz 
vertrieben: Verschwinden der Gelbfärbung. Diese bleibt solange 
verschwunden, bis die Alkalikonzentration der Flüssigkeit 6,5% 
erreicht hat, dann beginnt die Einwirkung des Alkalis: Wieder- 
auftreten und Zunehmen der Gelbfärbung. 

Bei Versuch 48 überwiegt zunächst die Wirkung des Sauer- 
stoffs: starke Gelbfärbung. — Der Sauerstoff wird bald auf- 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 19 


gebraucht bzw. durch das Kochen vertrieben: Schwächerwerden 
der Gelbfärbung. Sie verschwindet jedoch nie ganz, da die: Kon- 
zentration der Lauge bereits 6,5%, überschritten hat und die 
Lauge also von Anfang an neben dem Sauerstoff auf die Reduktion 
einwirkt. — Mit zunehmender Konzentration der Lauge nimmt 
die Gelbfärbung wieder zu. 

Je größer die Anfangskonzentration der Lauge ist, desto 
mehr überwiegt deren Einfluß: schnelleres und weniger starkes 
Abnehmen und schnelleres Wiederzunehmen der Gelbfärbung. 


Auch bei diesen Versuchen ist wieder die Verfärbung des 
Ferrohydroxydes ein Maßstab für die Reduktion des Nitrates. 
In den Versuchen, wo kein Nitrat reduziert wird, bleibt das 
Ferrohydroxyd vollkommen weiß. 


Es mußte nun noch untersucht werden, ob die Wirkung des 
Sauerstoffes nur von seiner Anwesenheit abhängt, also gewisser- 
maßen eine katalytische Reaktion vorliegt, oder ob unter den 
gleichen Bedingungen die Menge Nitrates, welches reduziert wird, 
auch von der Menge vorhandenen Sauerstoffes abhängt. 

Versuch 57: Versuch 35, bei welchem 10%, des vorhandenen Nitrates 
reduziert werden waren, wird wiederholt, und es wird während des Destil- 
lierens Sauerstoff durchgeleitet. | 

Erhalten: 10% des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Dies war zunächst unerwartet, da doch anzunehmen war, 
daß in diesem Fall bedeutend mehr Nitrat reduziert wird. 

Verschiedene Beobachtungen deuteten jedoch daraufhin, 
daß nur der in der Flüssigkeit vorhandene gelöste Sauerstoff 
wirksam ist. 

Es wurde nun verschieden sauerstoffhaltiges Wasser bzw. 
sauerstoffhaltige Lauge hergestellt, und damit 2 Serien Versuche 
mit zwei verschiedenen Alkalikonzentrationen ausgeführt. 

Die Ergebnisse sind in Tabelle V, S. 20 enthalten. 

Die Ergebnisse dieser Versuche sind in verschiedener Hin- 
sicht wichtig. Sie tragen vor allem zur theoretischen Aufklärung 
dieser Erscheinungen wesentlich bei. 

Zunächst zeigt die Tabelle V einwandfrei, daß die Menge 
des vorhandenen Nitrates, welches reduziert wird, proportional 
der Menge gelösten Sauerstoffes ist. Bei der Versuchsreihe b 


2* 


20 O. Baudisch und P. Mayer: 


Tabelle V. 
Einfluß der Menge gelösten Sauerstoffes auf die Menge bei der 
Nitratreduktion entstehenden NH,. 
Reihe a) 0,1702 g NaNO,, 3,9g NaOH, 4,8g FeSO, wasserfrei, 
500 ccm H,O (1 Äqu. NaOH); Reihe b) 0,1702g NaNO,, 18,0g NaOH, 
4,8 g FeSO, wasserfrei, 500 cem H,O (12 Äqu. NaOH). 


1 a * b 
Ge EES 2 e 
Versuchsbedingung S TTE 8 ` Bemerkungen 
E | in g Menge 8 
Gg in % |P 
In sauerstoffreiem 50] 0 O 1521 0 Siehe Tabelle IV. 


Wasser 
In ungenügend aus- 


5810,0046| 13,5 16510,0024] 7,0 [Ca. 5 Minuten 


gekocht. Wasser ausgekocht u. 
dann erkalten 
gelassen. 

Mit gewöhnlichem 59 0, 0085] 25,0 16610,0034| 10,0 Siehe Tabelle II. 


destillert. Wasser. 

In dieses Wasser 600, 0090 26,5 670, 0039 11,6 
vorher !/, Stunde 
O: eingeleit., dann 


Da d. Wasser mit 
Luft gesättigt 
ist, nimmt es 


damit den Versuch wenig O, auf. 
ausgeführt 

In die Lösung von 61 0,0109] 32,0 168]0,0048| 14,0 [In Lauge ist Og 
NaOH in 500 ccm leichter löslich 
H,O / Stunde O, wie in Wasser. 
eingeleitet, dann 
damit den Versuch 
ausgeführt 


Wie Vers. 60. — Das 62 0,0116 34,0 169]0,0051| 15,0 
H,O wird vor dem 
O,- Einleit. durch 
Kochen luftfrei 
gemacht 

Wie vor., jedoch 63 O, 0133] 39,0 70 0,0056 16,0 
mit der Lösung 
des NaOH in H, O 

In das Gemisch von 640, 0231 68,0 710,005 16,5 
NaNO,, NaOH, 


Das luftfreie H,O 
absorbiert ent- 
sprech. mehr - 


Die luftfr. Lauge 
absorb. entspr. 
mehr 0}. 

Bei 68 wirdd. Ge- 
misch während 


FeSO,, H, O, in des O,-Einlei- 
der Kälte ½ St. tens schwarz. 
O: eingeleit., dann Bei 71 ändert 
erst erhitzt und d. Fe(OH), die 


destilliert Farbe nicht. 


sind die erhaltenen Werte entsprechend der Wirkung des stärkeren 
Alkalis kleiner als in der Versuchsreihe a, doch steigen sie auch 
hier mit der Menge gelösten Sauerstoffes, wenn auch weniger schnell. 
Diese Proportionalität mit der Menge gelösten Sauerstoffes 
wird auch durch folgende Uberlegung und durch folgenden Ver- 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 21 


such klar bewiesen: Bei Versuch 33, Tabelle II, S. 12, wurde bei 
Anwendung von 0,1702 g KNO,, 18 g NaOH, 4,8 g FeSO, wasser- 
frei, und 500 cem Wasser 10%, des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Ist obige Annahme richtig, so muß mit der halben Menge 
Wasser bei sonst proportional gleichbleibenden Bedingungen 
auch proportional nur die halbe Menge Nitrat reduziert werden. 

Versuch 57: 0,0851 g NaNO,, 9 g NaOH, 2,4 g FeSO,, 250 ccm H,O 
erhitzt und destilliert. 

Verbraucht: 0,5 ccm Säure = 5% des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Die obige Annahme ist somit bestätigt. 

Zur Tabelle V, S.20 zurückkehrend, fällt hier am meisten 
das proportional viel stärkere Ansteigen der Menge Nitrates, 
welches reduziert wird, mit dem Sauerstoffgehalt in der Reihe a 
(schwach alkalisch) wie in der Reihe b (stark alkalisch) auf. 
Besonders auffallend ist dies bei den Versuchen 64 und 71, wo 
durch das Einleiten des Sauerstoffes in das ganze Reaktions- 
gemisch die Menge Nitrates, welches reduziert wird, in der schwach 
alkalischen Lösung sprunghaft von 39% auf 68%, der vorhandenen 
Nitratmenge schnellt, während sie in der stark alkalischen Lösung 
kaum merklich gesteigert wird. 

Diese Tatsache bildet, einen wesentlichen Stützpunkt, der 
theoretischen Erklärung dieser Reduktionsvorgänge (siehe Theore- 
tischer Teil). 

Bei Versuch 64 ist scheinbar der eingeleitete Sauerstoff 
vom Ferrohydroxyd aufgenommen worden, was schon aus der 
Verfärbung des Ferrohydroxydes vermutet werden kann. Wahr- 
scheinlich bildet sich dabei eine Ferro-Ferriverbindung. In stark 
alkalischer Lösung nimmt nach Versuch 71 das Ferrohydroxyd 
scheinbar keinen Sauerstoff mehr auf. 

Um diese Annahme nachzuprüfen, wurde folgender Versuch 
ausgeführt: 

Versuch 73. Je eine bestimmte Menge FeSO,, in je einer bestimmten 
Menge Wasser in zwei gleichen Kolben gelöst, wird einmal durch schwache 
Lauge und einmal durch starke Lauge gefällt. Beide Kolben werden die 
gleiche Zeit mit Luft geschüttelt. In der schwachen Lauge hat sich Ferro- 
hydroxyd stark dunkel gefärbt, in der starken Lauge hat es seine ursprüng- 
liche weißgrünliche Farbe behalten. 

Dies würde die obige Annahme bestätigen. 

Nach Versuch 64 ist anscheinend der durch das Ferrohydroxyd 
absorbierte Sauerstoff der bei der Reduktion wirksame Bestand- 


22 O. Baudisch und P. Mayer: 


teil; auch war es aufgefallen, daß bei der öfteren Wiederholung 
der Versuche 26—46 trotz anscheinend vollkommen gleichem 
Arbeiten verschiedene Mengen des vorhandenen Nitrates reduziert 
wurden. Alle hielten sich aber um zwei voneinander abweichende 
Werte herum. So z. B. bei Versuch 28 Werte um 25% der vor- 
handenen Nitrat menge einerseits und 14% andererseits. Da stets 
das aus dem gleichen verschlossenen Gefäß entnommene Wasser 
gebraucht wurde, konnten diese großen Abweichungen nicht mit 
dem verschiedenen Sauerstoffgehalt des Wassers erklärt werden. 
Bereits gemachte Beobachtungen ließen darauf schließen, daß 
die Reihenfolge, in welcher das Nitrat und das Reduktionsmittel 
in den Kolben gegeben werden, eine Rolle spielt. Die Versuche 
74—79, Tabelle VI beweisen diese Annahme. 


Tabelle VI. 
Wirkung der Arbeitsweise auf die Reduktion der Alkalinitrate. 


0, 1702 g NaNO,, 3,9g NaOH, 4,8g FeSO, 500 cem H,O, erhitzt 
und destilliert. 


reduziert 


Arbeitsweise 


Vom vorhan 
32 denen Nitrat 


| Versuch Nr. 


74| 3,9 g NaOH in 400 cem Wasser gelöst, 2 cem Nitratlösung | 25,0 
hineinpipettiert, dann 4,8 g FeSO, in 100 ccm Waser gelöst 
zugegeben, einmal umgeschwenkt sofort erhitzt. 

75 | Wie vor, vor dem Erhitzen 15 Minuten stehen gelassen. 25,5 

763,9 g NaOH in 400 ccm Wasser gelöst, 4,8 g FeSO, in 100 cem 13,5 

Wasser gelöst zugegeben, einmal durchgeschüttelt, dann 
2ccm Nitratlösung hineinpipettiert und erhitzt. 

Wie vor, zwischen Hineingabe von FeSO, und NaON, 15 Mi-| 13,0 

nuten stehen gelassen. 

Mit 0, 1702 g NaNO,, 1,8g NaOH, 4,8 FeSO,, 500 ccm HO. 

78 Wie Versuch 74. | | 7,0 

19| Wie Versuch 76. 4,0 


Ti 


Um dies weiter zu verfolgen, wurden noch folgende 2 Versuche 
ausgeführt : 


Versuch 80. Gewöhnliches destilliertes Wasser wurde durch halbstün- 
diges Einleiten von Sauerstoff mit solchem gesättigt und damit Versuch 76 
unter vollkommen gleichen Bedingungen (Zeit, Flammenstärke) wiederholt. 

Nach Hineingabe des Ferrosulfates wird der Kolben kräftig durch- 
geschüttelt. Das Ferrohydroxyd färbt sich dunkelgrün. Dann wird das 
Nitrat zugegeben und erhitzt. Erhalten: 26%, des vorhandenen Nitrates 
reduziert (vgl. Versuch 64). 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 23 


Versuch 81. Wie vorher, das Ferrosulfat wird jedoch ruhig in den 
Kolben fließen gelassen und der Kolben nicht umgeschüttelt. Das am 
Boden des Kolbens liegende Ferrohydroxyd färbt sich dunkelgrün, während 
aufsteigende rotbraune Wolken von Ferrohydroxyd zeigen, daß ein Teil 
des im Wasser gelösten Sauerstoffes zur Oxydation des Ferrohydroxydes 
verbraucht worden und daher für die Reduktion des Nitrates unwirk- 
sam ist, 

Erhalten: 5,6%, des vorhandenen Nitrates reduziert. 


Diese ganzen Versuche, die für die später folgenden theore- 
tischen Erklärungen besonders wichtig sind, zeigen also folgendes: 

L Nur der vom Ferrohydroxyd absorbierte Sauerstoff wirkt 
auf die Reduktion ein (s. Versuch 64, 80 und 81). Bei diesem 
letzteren Versuch, wo das Ferrohydroxyd wenig Gelegenheit hatte, 
den Sauerstoff zu absorbieren, ist wenig Nitrat reduziert im Gegen- 
satz zu den zwei anderen Versuchen. 

2. Geht die Absorption des Sauerstoffes durch das Ferro- 
hydroxyd in Gegenwart von Nitrat vor sich, so wird ungefähr 
doppelt soviel Nitrat reduziert, als wenn dies letztere erst nach 
erfolgter Absorption zugegeben wird (s. Versuche 74, 75, 78 
und 76, 77, 79). 

Reduzierend wirkt demnach höchstwahrscheinlich das durch 
die Absorption oder besser nach Werner gesagt durch koordi- 
native Bindung des Sauerstoffes für Alkalinitrat reaktionsfähig 
gewordene Eisenatom (s. theoretischer Teil). 


Auf Grund dieser Versuche ergibt sich logischerweise, daß 
die Reduktion der Nitrate, wenigstens bis zu einer gewisse 
Reduktionsstufe, sofort und in der Kälte stattfindet. 

In der Tat ist bei allen diesen Versuchen sofort nach der 
Fällung des Ferrohydroxydes Nitrit nachweisbar und der 
Nachweis von NH, gelingt schon nach kurzer Zeit beim Stehen- 
lassen des Reaktionsgemisches bei Zimmertemperatur. 


Es war von Interesse, nun auch die Veränderungen des aus- 
gefällten Ferrohydroxydes bei der Reduktion näher zu unter 
suchen. 

3. Einfluß des Ferrohydroxydes. 

Nach dem bisher Gefundenen geht die Verfärbung des je 
nach dem Sauerstoffgehalt der Lösung weiß bis grünlich aus- 
fallenden Ferrohydroxydes parallel mit der Menge des Nitrates, 


24 O. Baudisch und P. Mayer: 


welche reduziert wird. Je größer die Menge, desto dunkler die 
Verfärbung, die bis zum tiefen Schwarz gehen kann. 

Die schwarze Farbe zeigt bekanntlich auf die Bildung von 
Ferro-Ferriverbindungen hin. Hier bildet sich in der kochenden 
Lösung wahrscheinlich Ferro-Ferrit. 

Diese gebildete Ferro-Ferriverbindung reduziert kein Nitrat 
mehr, wie folgender Versuch zeigt: 


Versuch 83. Versuch 33 (Tabelle II) wird wiederholt und es werden 
wiederum 10%, des vorhandenen Nitrates reduziert. Nachdem das schwarze 
Reaktionsgemisch erkaltet ist und der Kolben wieder auf 500 ccm aufge- 
füllt ist, wird ?/, Stunde lang Sauerstoff eingeleitet, dann erneut destilliert. 

Verbraucht O ccm Säure = kein Nitrat reduziert. Nach dem Erkalten 
und Auffüllen werden 4,8 g Ferrosulfat wasserfrei, frisch hinzugegeben und 
destilliert. 

Verbraucht: 2 ccm Säure = 10%, des vorhandenen Nitrate reduziert. 

Nach dem Erkalten und Auffüllen wird nun 1 ccm n-Nitritlösung = 
0,0691 g NaNO, hinzugegeben und destilliert. | 

Verbraucht: 10 ccm Säure = 100%, des vorhandenen Nitrates re- 
duziert. 

Die beim Kochen gebildete Ferro-Ferriverbindung reduziert 


also kein Nitrat mehr, wohl aber Nitrit. 


Um nachzuprüfen, ob diese Reduktion auch in Gegenwart 
von Mangan verläuft, wurde folgender Versuch ausgeführt: 

Versuch 84. 0,1702 g NaNO,, 6 g NaOH, 5,5 g MnSO,, 500 ccm H,O 
werden zusammengegeben. Es entsteht ein hellbrauner Niederschlag. 
Sauerstoff wird eingeleitet. Der Niederschlag färbt sich dunkelbraun. Dann 
wird erhitzt und destilliert. 

Es bildet sich kein NH,. Im Rückstand ist kein Nitrit 
nachweisbar. Das Nitrat ist also nicht im Geringsten reduziert 
worden. 


Zusammenfassung der Ergebnisse über die Nitratreduktion. 


1. Alkalinitrat wird in neutraler und stark alkalischer Lösung 
(28%, NaOH) quantitativ von Ferrohydroxyd zu NH, reduziert. 

2. Von der neutralen Lösung ausgehend, nimmt die Menge 
Nitrat, welche reduziert wird, mit steigendem Alkaligehalt der 
Lösung ab, bis sie bei einem Alkaligehalt von 6,5% NaOH am 
kleinsten ist. Von da ab nimmt sie wieder zu, um bei einer Alkali- 
konzentration der Flüssigkeit von 28%, NaOH wieder ihr Maximum 
zu erreichen (vollständige Reduktion). 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 25 


3. Bis zu einer Alkalikonzentration der Flüssigkeit von 6,5% 
NaOH findet die Reduktion nurin Gegenwart von Sauer- 
stoff statt, bei höheren Konzentrationen auch in Abwesenheit 
von Sauerstoff. 

4. Bis zu einer Alkalikonzentration der Flüssigkeit von 
6,5% NaOH ist die Menge Nitrates, welche reduziert 
wird, proportional der Menge vorhandenen, gelösten 
und vom Ferrohydroxyd.absorbierten bzw. koordinativ 
gebundenen Sauerstoffes. 


D. Quantitative Bestimmung von Nitrit und Nitrat und Trennung 
von Nitrat-Nitrit-Gemischen. 


l.. Bestimmung von Nitrit in Abwesenheit von 
Nitrat. 


Nach Abschnitt II A dieser Arbeit wird Nitrit durch über- 
schüssiges Ferrohydroxyd (dreifaches der berechneten Menge) 
in alkalischer Lösung quantitativ zu NH, reduziert und kann also 
in Abwesenheit von Nitrat nach diesem Prinzip als solches be- 
stimmt werden. 


Die Vorschrift hierzu lautet: 

0,1—0,3 g Nitrit und 15 g NaOH werden in einem etwa 750—1000 cem 
fassenden Kolben in 500 ccm destilliertem Wasser gelöst, und je nach der 
angewandten Nitritmenge 5—15 g wasserfreies oder 10—30 g kristalli- 
siertes Ferrosulfat in wenig Wasser gelöst zugegeben. In den Kolben wer- 
den noch etwa 10 Stück fingernagelgroße poröse Tonscherben geworfen. 
Der Kolben wird verschlossen, zum Sieden erhitzt, das sich bildende NH, 
wie bei Ammoniakbestimmungen überdestilliert und in überschüssiger 
1/ 0n-Säure aufgefangen. 

Das erste Aufkochen muß tunlichst abgewartet werden wegen des 
manchmal auftretenden Schäumens, 

Die Destillation wird solange fortgesetzt, bis ein überdestillierender 
Tropfen keine Gelbfärbung mit Nesslers Reagens mehr gibt, was durch- 
schnittlich nach Abdestillieren von etwa 150 ccm Flüssigkeit der Fall ist. 
Die Vorlage wird dann weggenommen und die Säure mit Lauge und Methyl- 
orange zurücktitriert. 

Ein Molekul Nitrit gibt ein Molekül NH,. 

Ein cem / on- Säure = 0,00851 g KNO, oder 0,00691 g NaNO,. Die 
Ergebnisse sind sehr genau. Belege hierfür siehe die bisherigen Versuche 
und Tabelle VII, Seite 66. 

In Gegenwart von Nitrat ist diese Arbeitsweise nicht verwendbar, 
da dieses ebenfalls reduziert wird. 


26 O. Baudisch und P. Mayer: 


2. Bestimmung von Nitrat in Abwesenheit von 
Nitrit. 

Nach Abschnitt IIc dieser Arbeit gibt es hierfür zwei Mög- 
lichkeiten: Arbeiten in streng neutraler oder in stark alkalischer 

Die erstere Methode ist praktisch kaum durchführbar, da 
es sehr schwer ist, auch bei genauester Wägung des Ferrosulfates 
und des Natriumhydroxydes genau neutrale Lösungen zu be- 
kommen. Jede Spur Alkali beeinflußt aber sofort die Reduktion. 

Nach der zweiten Methode fallen diese Schwierigkeiten weg, 
da es hier auf die genaue Alkalikonzentration, sofern diese hoch 
genug ist — und dies wird durch mehr oder minder längeres 
Eindampfen stets erreicht —, nicht ankommt. 

Je höher die anfängliche Alkalikonzentration genommen 
wird, desto schneller ist die Bestimmung beendet. Das Ende der 
Reaktion muß stets durch Auffangen einiger Tropfen der über- 
destillierenden Flüssigkeit und Prüfen derselben mit Nesslers 
Reagens festgestellt werden, da dieser Zeitpunkt sehr von der 
gewählten Alkalikonzentration abhängt. Das Abdestillieren einer 
gewissen Flüssigkeitsmenge ist keine absolute Gewähr für die 
Beendigung der Reaktion. Durchschnittlich ist das gebildete 
NH, mit 200 ccm Flüssigkeit abdestilliert. 

Die Vorschrift zu einer solchen Bestimmung lautet wie folgt: Die 
Arbeitsweise ist wie beim Nitrit. An Stelle des Wassers wird jedoch etwa 
30 proz. Natronlauge genommen (z. B. die für Stickstoffbestimmungen 


handelsübliche reine 30 proz. Lauge). 
Ein Molekül Nitrat gibt ein Molekül NH,. 


l ccm ½10 n-Säure = 0,00101 g KNO, oder 0,00851 g Na NO. Auch 


hier sind die Ergebnisse sehr genau. Belege hierfür siehe die bisherigen Ver- 
suche und die Tabelle VII, Seite 30. 


Diese zwei angegebenen Methoden zur Bestimmung von Nitrit 
und von Nitrat sind mehr der Vollständigkeit halber wieder- 
gegeben, da sie gegenüber den bisher üblichen Methoden einige 
Nachteile haben. 

Für die Bestimmung von Nitrit dürfte diese Methode einer 
der bekannten Titrationsmethoden nur dann vorzuziehen sein, 
wenn aus bestimmten Gründen eine Titration nicht ausführbar 
ist. Eine solche geht natürlich bedeutend schneller als eine 
Ammoniakdestillation, wie sie hier erforderlich ist. Allerdings 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 27 


waren bei verschiedenen Bestimmungen mit gleichen Substanz- 
mengen die erhaltenen Resultate im allgemeinen weniger von- 
einander abweichend als bei den Titrationsmethoden. 

Bei der Bestimmung von Nitrat ist diese Methode in bezug 
auf Ausführungszeit und Genauigkeit den anderen bekannten 
Methoden gleichwertig, erfordert aber ziemlich viel Alkalihydroxyd 
(etwa 100—150 g für jede Bestimmung). Sie dürfte daher nur 
dann am Platze sein, wenn kein anderes Reduktionsmittel (Ferrum 
reductum, Devardasche Legierung usw.) vorhanden ist. 

Die eigentliche Verwendbarkeit der in dieser Arbeit gefundenen 
Tatsachen zeigt sich bei der Trennung von Nitrit-Nitratgemischen. 


3. Trennung und Bestimmung von Nitrit und Nitrat 
in Gemischen beider Körper. 


Nach dem bisher Gefundenen war eine quantitative Trennung 
des Nitrits vom Nitrat zu erwarten, wenn das Gemisch von Nitrit 
und Nitrat zunächst in Abwesenheit von Luft und bei einem 
Alkaligehalt der Flüssigkeit, der 6,5%, NaOH bis zum Ende der 
Reaktion nicht übersteigt, durch überschüssiges Ferrohydroxyd 
reduziert wird. Dabei dürfte nur das Nitrit quantitativ zu NH, 
reduziert werden und als solches bestimmt werden können, 
während das Nitrat als solches quantitativ zurückbleibt und 
dann wie unter 2 oder nach einer sonstigen Methode bestimmt 
werden kann. 

Es war aber auch denkbar, daß z. B. bei dieser Arbeitsweise 
der aus dem Nitrit abgespaltene Sauerstoff in die Reaktion 
eingreift und das Nitrat dann ebenfalls reduziert wird. 

In der Tat waren die für das Nitrit erhaltenen Werte im Anfang 
stets etwas zu hoch und für das Nitrat entsprechend zu niedrig. 
Dies war jedoch, wie sich dann zeigte, stets auf noch vorhandenen 
Sauerstoff zurückzuführen. Nachdem durch viele Versuche der 
Weg gefunden worden war, um vollkommen sauerstoffrei zu 
arbeiten und der im allgemeinen Teil geschilderte Apparat aus- 
gedacht war, gelang es, die Trennung mit vollkommener Genauig- 
keit durchzuführen. 

Die für diese Trennung zweckmäßigste Alkalikonzentration 
ergibt sich aus der Betrachtung der Kurve. 

Für die Bestimmung des Nitrits allein spielt diese Konzen- 
tration keine Rolle, da Nitrit in jeder kaustisch-alkalischen 


28 O. Baudisch und P Mayer: 


Lösung quantitativ zu NH, reduziert wird. Mit Rücksicht auf 
das Nitrat sollte man diese Konzentration aber möglichst nahe 
an 6,5%, wählen, eine Zahl, die sie aber nicht überschreiten darf. 
Unter diesen Umständen wird, auch falls noch Sauerstoff vor- 
handen sein sollte, am wenigsten Nitrit reduziert, der Fehler 
also am kleinsten. Um die maximale Konzentration von 6,5% 
ja nicht zu überschreiten, wählt man jedoch praktisch eine etwas 
niedrigere Konzentration, die sich vom Anfang bis zum Ende 
der Trennung zwischen 3,5 und 5%, bewegt. 

Nachdem nun nach diesem Prinzip das Nitrit vom Nitrat 
getrennt und bestimmt worden ist, fragt es sich, wie nun das 
Nitrat am zweckmäßigsten im (alkalischen) Rückstand bestimmt 
wird. 

Es gibt dafür verschiedene Wege: 

a) Nach dem unter 2 angegebenen kann, nachdem frisches 
Ferrosulfat hinzugefügt worden ist (das vorhandene Fe(OH), ist 
durch die Nitritreduktion unwirksam geworden) das Gemisch 
neutralisiert werden und durch erneute Destillation das Nitrat 
bestimmt werden. Die genaue Neutralisation ist aber wie schon 
erwähnt schwierig. 

b) Der Rückstand, dessen Alkaligehalt etwa 5%, beträgt, 
wird auf 30%, Alkaligehalt konzentriert, sei es durch Eindampfen 
— dies würde zu lange dauern und zu wenig Flüssigkeit übrig- 
bleiben — oder durch Hinzufügen von festem Alkali. Dies letztere 
ist der praktischste Weg. 

e) Schließlich läßt sich das Nitrat noch nach einer der üblichen 
Reduktionsmethoden in alkalischer Lösung mittelst Zink und 
Eisen, Aluminium, Devardascher Legierung usw. bestimmen. 
Diese letztere Methode (mit Devardascher Legierung) wurde 
ebenfalls ausprobiert und gab gute wenn auch weniger überein- 
stimmende Resultate als bei der Reduktion mit Ferrohydroxyd. 
Außerdem ist das dabei auftretende starke Schäumen lästig. 

Aus diesen Überlegungen ergibt sich nun folgende Vorschrift: 

1. Apparatur: Wie auf Seite 6 beschrieben. (Abb. 2). 

2. Substanz: Bei der Analyse von Nitriten oder von Nitraten stellt 
man sich eine Normallösung dieser Körper in frisch ausgekochtem 
destillierten Wasser her (6,91 g NaNO,, 8,51 g KNO,, 8,51 g NaNO,, 
10,12 g KNO, in 100 cem Lösung). Bei der Analyse von Nitrat-Nitrit- Ge- 
mischen von unbekannter Zusammensetzung stellt man sich eine Lösung her, 
die etwa 0,1 g Substanz im Kubikzentimeter enthält 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 29 


3. Gang der Analyse: 20 g festes stickstofffreies Natriumhydroxyd 
werden im Kolben A in etwa 800 ccm destilliertem Wasser gelöst und dazu 
eine Lösung von 8 g wasserfreiem bzw. 15 g kristallisiertem FeSO, in 100 cem 
H,O und 10 Stück fingernagelgroße Tonscherben zugegeben. 

Man verschließt den Kolben mit dem Aufsatz und verbindet mit dem 
Kühler (einstweilen ohne die Vorlage einzuschalten), nachdem man vorher 
mit einer genauen Pipette 2 ccm Substanz in das Gläschen hineingebracht 
und dieses in den Ring eingesetzt oder an den Glasstab entsprechend be- 
festigt hat. Der Glasstab ist soweit hochgezogen, daß nichts in das Gläschen 
hineinkochen kann und außerdem so gedreht, daß aus dem Aufsatz von 
oben nichts hineintropft. 

Man kocht nun das Ganze etwa 1 Stunde lang, bis die Flüssigkeit auf 
etwa 650—700 ccm eingedampft ist und schaltet dann die Vorlage, die mit 
25 ccm /o n-Säure und entsprechend Wasser beschickt ist, ein. Man drückt 
dann den Glasstab vorsichtig soweit hinunter, daß das Gläschen durch den 
Boden des Kolbens aus dem Ring gehoben wird und umfällt bzw. drückt 
ihn soweit hinunter, daß der Inhalt des Gläschens in den Kolben ausläuft. 

Man destilliert solange, bis in der überdestillierenden Flüssigkeit kein 
NH, mehr nachweisbar ist (etwa 150 ccm), löst die Verbindung zwischen 
Aufsatz und Kühler und stellt gleich den Kolben mit Aufsatz zum Ab- 
kühlen in kaltes Wasser oder Eis. 

Inzwischen titriert man in der Vorlage die überschüssige Säure mit 
Lauge und Methylorange zurück. 

Die verbrauchten Kubikzentimeter Säure entsprechen dem vorhandenen 
Nitrit. 

Leem ½/ion-Säure = 0,00851 g KNO, oder 0,00691 g NaNO,. 

Waren 2 ccm einer Normalnitritlösung angewandt, so ist: Anzahl 
Kubikzentimeter verbrauchter Säure mal 5 = Prozent Nitrit. 

In den erkalteten, höchstens lauwarmen Kolben gibt man 6 g wasser- 
freies bzw. 12 g kristallisiertes in möglichst wenig Wasser gelöstes Ferro- 
sulfat und 80—100 g (je mehr, desto schneller geht die Bestimmung) festes 
Natriumhydroxyd, verschließt den Kolben und verbindet sofort mit dem 
Kühler und einer neuen mit 25 cem /o n-Säure beschickten Vorlage. Durch 
die Lösungswärme des Natriumhydroxydes erhitzt sich der Kolben von 
selbst bis zum Sieden. Um ein zu stürmisches Aufkochen zu vermeiden, 
erhitzt man daher zunächst sehr vorsichtig und destilliert dann solange 
bis ein übergehender Tropfen keine Gelbfärbung mehr mit Nesslers 
Reagens gibt. Die Destillation wird unterbrochen, die überschüssige Säure 
wie oben zurücktitriert. 

Die verbrauchten Kubikzentimeter Säure entsprechen dem vorhan- 
denen Nitrat. 

Ein cem 1/10 n- Säure = 0,00851 g Na NO, oder 0,0101 g KNO,. 

Waren 2 cem Normalnitratlösung angewandt, so ist: Anzahl Kubik- 
zentimeter verbrauchter Säure mal 5 = % Nitrat. 


Das Nitrat kann auch wie folgt bestimmt werden: In den erkalteten 
Kolben werden 25 ccm 30 proz. Natronlauge und 5 g Devarda Legierung 


30 O. Baudisch und P. Mayer: 
gegeben und dann sehr vorsichtig erhitzt (starkes Schäumen). Das 
Weitere wie oben. 

Dauer der ganzen Bestimmung 2½ bis 3 Stunden. 


Tabelle VII. 
Trennung von Nitrit-Nitratgemischen. 


Ange wandt Verbr. Sure f. Angew. Menge 


NaN O, Na NO, | NaNO, | NaNO, 
ing jin ccm in cem 


0,1382|0,1702 


0,0069|0,1702 


Die obige Vorschrift ist so gehalten, daß sie ganz allgemein 
für Nitrat-Nitritgemische von jeder Zusammensetzung anwend- 
bar ist. 

Ist die Zusammensetzung des Gemisches annähernd bekannt 
(viel Nitrit wenig Nitrat usw.), so kann natürlich die Arbeitsweise 
bedeutend verbessert werden. Man wird dann dem angegebenen 
Prinzip entsprechend die Menge FeSO, und NaOH und die vor- 
gelegte Säuremenge danach bestimmen. Auch wird man in diesem 
Falle besser eine größere Menge Substanz nehmen, um die Pipettier- 
fehler zu verkleinern und die prozentuale Empfindlichkeit der 
Bestimmung zu erhöhen. Bei Verwendung größerer Substanz- 
mengen muß aber natürlich die erforderliche Menge abzudestil- 
lierender Flüssigkeit vorher ermittelt werden und es ist stets 
darauf zu achten, daß die Alkalikonzentration immer unter 
6,5% bleibt. | 


. Voraussetzung für das Verhalten von einwandfreien Werten 
ist selbstverständlich die Verwendung von absolut stickstoff- 
freiem Ferrosulfat und ebensolchem Natriumhydroxyd. Ist die 
Reinheit dieser Substanzen nicht sicher festgestellt, so muß durch 
einen blinden Versuch mit den gleichen Substanzmengen die 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 31 


Anzahl verbrauchter Kubikzentimeter Säure bestimmt werden 
und diese Zahl von der gefundenen abgezogen werden. Bei der 
Nitritbestimmung spielt dies weniger eine Rolle, da ja das ganze 
Gemisch zuerst ohne Vorlage gründlich ausgekocht wird, wobei 
etwa gebildetes NH, entweicht, wohl würden aber die Ergebnisse 
der Nitratbestimmung zu hoch ausfallen. Ist das Ferrosulfat, 
was oft vorkommt, nitrathaltig, so wird man zweckmäßig die 
Nitratbestimmung mit Devardalegierung vornehmen. Von den 
zahlreichen ausgeführten Bestimmungen sind in Tabelle VII, 
S. 30 verschiedene als Belege wiedergegeben. Wie daraus zu 
ersehen ist, sind die Ergebnisse auch bei den verschiedensten 
Zusammensetzungen der Nitrat-Nitritgemische sehr genau. 


Diese Trennungsmethode wurde außerdem noch mit einer 
der bisher üblichen verglichen. 


Versuch 95—96. Es wurde eine Nitrat-Nitritlösung von unbekannter 
Zusammensetzung analysiert. 

In einem Teil wurde das Nitrit und das Nitrat nach der oben ange- 
gebenen Methode bestimmt. 

In einem anderen Teil wurde in einer Probe der Gesamtstickstoff 
nach Devarda bestimmt. In einer anderen Probe wurde das Nitrit nach 
Raschig titriert. Die Differenz aus Gesamtstickstoff und Nitritstickstoff 
ergibt den Nitratstickstoff und daraus das Nitrat. Die Ergebnisse je zweier 
Parallelversuche sind in der Tabelle VIII enthalten. 


Tabelle VIII. 
Vergleich der neuen Trennungsmethode mit einer der bisher 
üblichen. 


Angewandt: 2 cem einer Nitrat-Nitritlösung von unbekannter Zu- 
sammensetzung. 


Darin sind enthalten 


Methode NaN O, | NaNO; 

i in g in g 
Nach Raschig-Devarda: E 90155 
Nach der neuen Methode durch Reduktion d 0,01730 0,0459 
mit Fe (HO): 0,01730 0,0463 


III. Theoretischer Teil. 


Beim Versuche, die in dem experimentellen Teil dieser Arbeit 
gefundenen Erscheinungen auf dem Boden der altbekannten 
chemischen Tatsachen zu erklären, stößt man auf zwei Schwierig- 


32 O. Baudisch und P. Mayer: 


keiten: die praktische Unlöslichkeit des Fe(OH), in Wasser und 
vor allem in Lauge, die eine plausible Erklärung auf Grund von 
reinen Ionenreaktionen wenig wahrscheinlich macht und die 
hiermit unerklärliche Rolle des Sauerstoffes. 

Am besten dürften daher diese Reduktionsvorgänge auf 
Grund der Ansichten von Baudisch über die Nitrat- und Nitrit- 
reduktion zu erklären sein. 

Schon in den ersten Abhandlungen Ba ud ischs!) über dieses 
Thema wurde die Vermutung ausgesprochen, daß vielleicht das 
aus Ferrohydroxyd und Sauerstoff primär entstehende Peroxyd 
von der Formel: 


OH 
OH 


für die Reduktion des Nitrates verantwortlich zu machen sei. 
Die Reduktion sollte durch Entladung der beiden Peroxyde 
ke O, und Fe = vor sich gehen, und deshalb wurde auch 
dort die Nitratreduktion mit der kürzlich von H. Wislicenus 
gefundenen Reduktion von CO, durch H, O, in eine Parallele 
gebracht. H,O, entsteht ja auch bei der Autoxydation von 
Ferrohydroxyd, wenn es bisher auch nur indirekt nachgewiesen 
wurde?). Es war also auch denkbar, daß H,O, im Status nascendi 
. reduzierend auf Alkalinitrat wirken kann. Um dies nachzuprüfen 
wurde folgender Versuch gemacht: 


Fe! 
A. 
o^ > 


Versuch 97. 5 g Oxanthron werden in eine Lösung von 4 g NaOH 
und 0,1702 g NaNO, in 500 cem Wasser eingetragen und wie üblich deel. 
liert. Die Lösung färbt sich tief blutrot (Alkalisalz des Anthrahydrochinon). 
Es wird kein NH, gebildet. 

Die Destillation wird unterbrochen und durch den Kolbeninhalt Luft 
geblasen, bis alles Anthrahydrochinon in Anthrachinon übergegangen ist, 
dann wird erneut destilliert. 

Es bildet sich kein NH,, im Rückstand ist kein Nitrit nachweisbar, 
wohl aber H,O, (Jodkaliumstärkepapier wird gebläut). 


Die obige Vermutung ist also auf Grund dieses Versuches 
nicht mehr haltbar, denn sonst müßte Nitrat in alkalischer 
Lösung von Oxanthron, welches ja bekanntlich?) H,O, durch 


1) Baudisch, B. 52, 40. 1919. 
2) Manchot und Herzog, Zeitschr. f. anorg. Chemie 27, 404. 1910. 
3) Baudisch, B. 52, 39. 1919. | 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 33 


Aktivierung des Luftsauerstoffes bildet, ebenfalls zu Alkalinitrit 
reduziert werden, was aber nicht der Fall ist. 

Versuche bei welchen H,O, direkt verwandt wurde, ergaben 
ebenfalls keine Reduktion des Nitrates. 

Mit diesem Ausfall der Versuche mit H,O, verlor auch die 
frühere Vermutung der gegenseitigen Entladung der beiden 


Peroxyde (No. und Fe Sie und die damit in Zusammenhang 
8 


gebrachte primäre Addition von KNO, an das Peroxydeisen- 
molekül (Fe Ger den wer an Wahrscheinlichkeit. 

Die erste Vermutung für die Wichtigkeit der Verbindung 
Fe GE blieb trotzdem aufrecht, jedoch war auf Grund der 


Versuche, bei welchen H,O, verwandt worden war ohne daß eine 
Reduktion entstand, der Gedanke nähergerückt, daß einzig und 
allein die ungesättigte Natur des Ferroatoms oder -Ions 
für die Reduktion des Nitrates verantwortlich zu machen sei. 
Bevor auf diesen Punkt näher eingegangen wird, sollen die 
bekannten Arbeiten vorausgeschickt werden, welche sich mit 
der Autoxydation des Ferrohydroxydes und des Ferrobicarbo- 
nates befassen. 

Nach Just!) wird auf ein Molekül Ferrosalz in erster Reduk- 
tionsphase 1 Molekül O, zum Umsatz gebracht und somit 3 Äquiva- 
lente Sauerstoff aktiviert. Just gibt dafür folgendes Formelbild: 

| O OH 
X or | 
für das primär gebildete Moloxyd und schreibt die summarische 
Oxydationsgleichung: 
Fe (OH) + 0, + H,O = OH + Fe (OH),. 

Manchot fand, daß zwar kein Superoxydsauerstoff als 
solcher bei der Autoxydation nachweisbar sei, daß derselbe aber 
in Gegenwart eines als energischer Acceptor wirkenden Uber- 
schusses von arseniger Säure in stark alkalischer Lösung sich 
indirekt quantitativ bestimmen läßt. 

In dem Buche von C. Englers und J. Weiss berg , Kritische 
Studien über die Vorgänge der Autoxydation“ wird die Oxydation 
des Ferrohydroxydes folgendermaßen formuliert: 


1) B. 40, 3695. 1901. Zeitschr. f. physikal Chemie 63, 385. 1907. 
Biochemische Zeitschrift Band 107. 3 


34 . 0. Baudisch und P. Mayer: 


Pseudautoxydator 
2 FeC H 2HOH 2 Fe COH + 2H 
e = e 
\OH "op 


Sekund. Autoxydator 
2 H + O. = H,0,. 


Es ist aus diesen Angaben zu ersehen, daß der Prozeß der 
Autoxydation des Ferrohydroxydes noch lange nicht vollkommen 
geklärt ist. Aus den Arbeiten von Manchot und Just ist be- 
kannt, daß die molare Menge des Sauerstoffes, also die Menge 
2 0 bzw. O, in erster Phase reagiert, was zum Schlusse führt, 
daß der Sauerstoff als Molekül in Reaktion tritt. Diese Tatsache 
ist für die folgende theoretische Ausführung von Wichtigkeit. 
Aus dem experimentellen Teil ist zu ersehen, daß Nitrat 
von Ferrohydroxyd in neutraler oder alkalischer Lösung schon 
in der Kälte sofort zu Nitrit reduziert wird, ja, daß Peroxyd- 
bildung und Nitratreduktion direkt gekoppelt zu sein scheinen, 
denn sonst könnte nicht ein so großer Unterschied in der Größen- 
ordnung der Reduktion bestehen, wenn einmal Nitrat schon in 
der Lösung vorhanden ist, oder das andere Mal das Nitrat unmittel- 
bar nach dem Zusammenschütten von Lauge und Ferrosulfat 
eingetragen wird (Versuch 74—79, S. 22). 

Läßt man schließlich das Ferrohydroxyd in der wässerigen, 
neutralen oder schwach alkalischen Lösung stehen, so daß sich 
nach und nach aus dem grünlichen Ferrohydroxyd eine fast 
schwarze Verbindung bildet, und trägt dann erst Nitrat ein, 
so wird dieses fast gar nicht mehr reduziert. 

Diese Beobachtungen machen schon die Annahme wahr- 
scheinlich, daß das Eisenatom durch koordinative Anlagerung 
von Sauerstoff eine Anderung erlangt haben muß. Die Reaktion 
könnte dann folgendermaßen erklärt werden: Während Ferro- 
hydroxyd keine Affinität zum Nitratmolekül besitzt!), reagiert 
das Peroxyd des Ferrohydroxydes schon im Entstehungszustande 


1) Nitrat hat geringe Tendenz zur Komplexsalzbildung, was sich darin 
dokumentiert, daß das Potential einer gegebenen Ferro-Ferrisulfatlösung 
durch Nitratzusatz keine wesentliche Änderung erfährt, ein Zeichen, daß 
das Verhältnis Fe zu Fe nicht verschoben ist. Es sind auch keine Doppel- 
nitrate des zwei- und dreiwertigen Eisens bekannt. E. Müller, Das Eisen 
und seine Verbindungn, S. 73. 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 35 


auf dasselbe, wobei angenommen werden kann, daß das Nitrat 


koordinativ an das Eisenatom des Peroxydes Fe on gebunden 
wird, was zu folgender Verbindung führt: : 


Durch die Nebenvalenzbildung des N itrates an das Eisenatom 
wird nun aber das Nitratmolekül so gelockert, daß eine Abspal- 
tung von Sauerstoff und Nitritbildung erfolgen kann: 


O: O. 
Fe (OH), — Fe (OH), +0. 
KNO, KNO, 


Das abgespaltene Sauerstoffatom wirkt auf das immer im Über- 
schuB vorhandene Ferrohydroxyd oxydierend und das Nitrit 
wird in bekannter Weise zu NH, reduziert. | 


Es ist nun zunächst die Frage aufzurollen, ob man berechtigt 
ist, eine solche Bindung des Nitrates an das Eisen und den damit 
bedingten reduktiven Zerfall anzunehmen. g 

Aus den Versuchen von K. A. Hoff mann ist bekannt, 
daß Prussoammoniaknatrium: 

Fe bal Na,. 
beim Kochen mit Alkalinitrit in alkalischer Lösung in Prusso- 
nitrosonatrium: 
Fe Ra Na, 
übergeht. Es ist anzunehmen, daß der Prozeß durch eine koordi- 
native Bindung des Nitritmoleküls an das Eisenatom eingeleitet 
wird, daß also primär: | 
Fe Eege Na, 
entsteht. Es ist nun gelungen, durch eine Farbenreaktion zu zeigen, 
daß das Nitritmolekül in der Tat eine Koordinationsstelle des 
komplex gebundenen Eisens besetzen kann, und zwar wie folgt: 

Prussoammoniaknatrium bindet Nitrosoverbindungen unter 
Verdrängung des NH,, was sich durch prächtige Färbungen 
kundtut!). 

1) Nach K. Schäfer sind nur die Vorgänge innerhalb der ersten 
Sphäre optisch wirksam. Zeitschr. f. anorg. Chemie 86, 212. 1918. 

3% 


36 O. Baudisch und P. Mayer: 


Vo gibt z. B. Prussoammoniaknatrium in wüsseriger Lösung 
mit Nitrosobenzol eine tief violette Verbindung der Formel: 


Fe 0. Na, + 3 H, O, 


die gegen Säure und Alkalien sehr beständig ist. Diese Färbung 
bleibt aus, wenn in der Lösung gleichzeitig Nitrit (K CN, Na, SO,, 
CO) vorhanden ist, während Nitrat (auch NaCl, Na, SO,) auf die 
Farbenreaktion keinen Einfluß ausübt. 

Läßt "man diese violette Verbindung in Gegenwart von 
Nitrit im Sonnenlicht stehen, so verschwindet die violette Farbe 
und in der nun rotgelben Lösung läßt sich jetzt: 


S Fe 8.0 Na, 
A 
neben Nitrobenzol nachweisen. 


Das Nitrit ist also infolge koordinativer Bindung 
an das Eisenatom der Komplexverbindung reduktiv 
zerfallen. 

Daß durch eine koordinative Bindung gleichzeitig eine Ver- 
änderung im Molekül desselben stattfindet, zeigt in diesem Bei- 
spiel schon, daB das schwach grüne Nitrosobenzol mit dem 
schwach gelben Prussoammoniaknatrium eine tief violette Ver- 
bindung liefert, welche glatt wieder in die ursprünglichen Kom- 
ponenten zerlegt werden kann. Diesem hemmenden Einfluß 
des Nitritmoleküls gegenüber dem EE läßt sich auch 
wie folgt zeigen: 

Bestrahlt man eine wässerige Lösung eines Gemisches von . 
Ferrocyankalium und Nitrosobenzol mit Tages- oder Quecksilber- 
licht, so entsteht wieder die oben erwähnte violette Färbung, 
da ein HCN-Rest austritt und an dessen Stelle Nitrosobenzol 
eintritt. In Gegenwart von Nitrit bleibt diese Färbung aus, 
in Gegenwart von Nitrat nicht. Außer Nitrit wirken auch KCN, 
` NaSO, Pyridin, Nikotin oder Piperidin vollkommen hemmend, 
was die große Affinität dieser N-haltigen Verbindungen zum kom- 
plex gebundenen Eisenatom beweist. 

Die Annahme, daß das Alkalinitrat infolge der lockeren 


Bindung an das Eisenatom des Fe GE reduktiv zerfällt, hat 
2 
somit als Analogieschluß seine Berechtigung. 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 37 


Die Annahme der koordinativen Bindung des Nitrates an 
das Eisenperoxyd wird durch folgende Betrachtung gestützt: 

Aus dem Versuch 83, wo das Nitrat zu der schwarzen Ferro- 
Ferriverbindung zugegeben wurde, ist schon zu ersehen, daß die 
Nebenvalenzen des ungesättigten Eisenatoms für die Reduktion 
ausschlaggebend sind, denn diese Verbindung reduziert Nitrit 
infolge seiner Ferrostufe glatt zu NH, und verändert Nitrat nicht. 

Es kann angenommen werden, daß diese schwarze Verbin- 
dung, die schon beim Stehen des Ferrohydroxydes in neutraler 
Lösung gebildet wird, in der Hauptsache eine Nebenvalenz- 
verbindung zwischen Ferrohydroxyd und seinem Peroxyd ist: 

Se ...Fe Si 
OH OH 
Die schwarze Farbe steht damit in bestimmten Einklang, denn als 
chinhydronartige Verbindung muß sie eine intensive Farbe haben, 
aber auch deshalb schwarz gefärbt sein, weil sie Eisenatome 
in verschiedenen Wertigkeitsstufen enthält !). 

Da die Nebenvalenzen hier sämtlich abgesättigt sind, wird 
entsprechend kein Nitrat mehr koordinativ gebunden und deshalb 
reduziert. 

Wird nun Alkalinitrat von Ferrohydroxyd auch dann ko- 
ordinativ gebunden, wenn sich vorher an das Eisen eine andere 
Verbindung als 1 Molekül Sauerstoff anlagert ? 

Gelingt es, diese Frage experimentell zu lösen, so ist die hier 
entwickelte theoretische Anschauung wesentlich gestützt. 

Hier setzen nun die experimentellen Ergebnisse der Versuche ` 
mit Alkalihydroxyd ein. 

Aus den Kurven, Abb. 3 und 4, S. 13, ersieht man deutlich, 
daB Alkali anfangs die Menge Nitrat, welche reduziert wird, 
systematisch herabdrückt, daß aber schließlich ein Punkt erreicht 


1) Aus einer Lösung von Ferroion fällt Alkalilauge, welches ja Hydro- 
xylionen enthält, Eisen vollkommen als Ferrohydroxyd, daß bei sorgsam- 
sten Abschluß von Sauerstoff weiß ist. Da die Gegenwart von kleinen Men- 
gen Luftsauerstoff schwierig zu vermeiden ist, so erhält man für gewöhn- 
- lich einen grünlichen Niederschlag, der allmählich schwarz und dann braun 
wird. Das Ferrohydroxyd wird durch Sauerstoff sehr energisch zu braunen 
Ferrihydroxyd oxydiert. Beide geben zusammen eine schwarze Verbin- 
dung, welche im Gemisch mit dem braunen Ferrihydroxyd grünlich aus- 
siebt. E. Müller, Das Eisen und seine Verbindungen, S. 120. 


38 O0. Baudisch und P. Mayer 


wird, wo diese Menge wieder rasch zu steigen beginnt. Man kann 
sich das so vorstellen, daß anfangs gewissermaßen ein Konkurrenz- 
kampf des Sauerstoffes mit dem Alkali um die Nebenvalenzen 
des Eisens stattfindet. 

Die begierige Aufnahme von Sauerstoff durch Ferrohydroxyd 
in einer neutralen oder schwach alkalischen Lösung zeigt sich 
durch die rasche Verfärbung des anfangs weißlichen Ferrohy- 
droxydes. Macht man zwei Parallelversuche mit schwacher und 
mit konzentrierter Lauge, so zeigt sich deutlich, daß das aus 
der starken Lauge ausfallende Ferrohydroxyd weißlich bleibt, 
auch wenn man kräftig mit Luft schüttelt oder sogar Sauerstoff 
einleitet, während es unter den gleichen Umständen in der 
schwachen Lauge schwarz wird (Versuch 73). Man sieht ja 
auch aus den Versuchen 64 und 71, daß in der stark alkalischen 
Lösung die Menge Nitrat, welche reduziert wird, durch das Ein- 
leiten von Sauerstoff gar nicht steigt, während sie in der schwach 
alkalischen Lösung direkt sprunghaft in die Höhe schnellt. 

Um das Verhältnis des Alkalihydroxydes zum Ferrohydroxyd 
näher zu zeigen, seien noch folgende Beispiele gebracht, wo das 
Alkali sich an komplex gebundenes Eisen anlagert. 

Es wird in drei Schalen die frisch bereitete Lösung von Prusso- 
ammoniaknatrium in destilliertem Wasser gegeben. In Schale I 
gibt man schwache, in Schale II starke Lauge; Schale III bleibt 
wie sie ist. Nach !/,stündigem Stehen an der Luft entnimmt man 
den drei Schalen gleiche Proben und fügt Anilinwasser hinzu. 
Schale III wird tiefgrün, Schale I blaßgrün; Schale II bleibt 
unverändert. Die grüne Farbe ist ein Oxydationsprodukt des 
Anilins, daß durch das in den Schalen infolge Autoxydation 
entstandene Peroxyd gebildet wird. 

In der Schale II wird die Aufnahme des Sauerstoffes durch 
das anwesende Alkali ganz verhindert, in der Schale I zurück- 
gedrängt. 

Komplexe Ferrosalze verhalten sich also ähnlich wie gewöhn- 
liche Ferrosalze. 

In neutraler Lösung nimmt das Ferrohydroxyd 
den im Wasser gelösten Sauerstoff glatt auf und redu- 
ziert dabei das Nitrat augenblicklich zu Nitrit. 
Diese Tatsache läßt sich folgendermaßen sehr gut demon- 
strieren: 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 39 


Man gibt in einen Kolben 500 cem Wasser und 2 ccm n-Nitrat- 
lösung. In einen anderen Kolben gibt man 500 cem Wasser, 
2 cem n-Nitratlösung und 2,6 g festes NaOH. In diese letztere 
Lösung gießt man nun bei Zimmertemperatur eine wässerige 
Lösung von 4,8g wasserfreiem Ferrosulfat. Das ausfallende 
Ferrohydroxyd färbt sich in der neutralen Lösung bald schwarz. 
Nach 5 Minuten filtriert man aus der letzteren Lösung 50 ccm 
ab und prüft das Filtrat mit Nitron. Desgleichen prüft man 
50 cem aus dem ersten Kolben. Beide Lösungen sind zunächst 
klar. Am nächsten Tag sind in dem ersten Kolben reichlich 
Nadeln von Nitronnitrat vorhanden, während im zweiten Kolben 
keine Krystallabscheidung vorhanden ist. 

Nimmt man von Anfang an mehr Nitrat (12 cem n- Nitrat- 
lösung), so kann man die Abnahme des Nitrates in dem zweiten 
Kolben direkt verfolgen, indem man in kurzen Zeitabständen 
Proben nimmt. In dem Maße wie die Nitratreaktion abnimmt, 
steigt die Nitritreaktion mit Indol. | 


Die Abnahme der Menge Nitrat, welche reduziert wird 
mit zunehmender Alkalikonzentration, dürfte so zu erklären sein, 
daß durch das Alkali Nebenvalenzen des Eisens mit Beschlag 
belegt werden, die nun für den Sauerstoff verlorengehen. 

Daß solche Anlagerungen von Basenmolekülen an Metall 
atome vorkommen können, geht aus den Arbeiten von Miolati 
und Bellucci und von P. Pfeiffer hervor. Miolati und 
Bellucci haben nachgewiesen, daß z. B. 2 Moleküle KOH sich 
an Pt(OH), anlagern, welcher Prozeß folgendermaßen dargestellt 
wird: | | 

OHK 
(OH), Pt +20HK — (OCH). Pt OHK ” Pt (OH), K. 
P. Pfeiffer macht in seiner Arbeit, betitelt: Beitrag zur Hydro- 
lyse, B. 40, 4040, darauf aufmerksam, daß die Hydroxosalze den 
Halogenosalzen völlig gleichen, und bringt weiter Beispiele von 
Basenmolekülanlagerungen an Schwermetallhydroxyden, 2z.. B.: 


OH OH 
Zn + OHK = Zn OH K 
OH OH 


Würde das Alkali das Eisen direkt chemisch verändern, 80 
sollten doch auch entsprechende Schwankungen der Menge Nitrites, 


40 O. Baudisch und P. Mayer: 


welches reduziert wird, bei der Nitritreduktion zu beobachten 
sein, was jedoch nicht der Fall ist. 

Hat das Alkali eine gewisse Konzentration REN so hört 
der Einfluß des Sauerstoffes schließlich ganz auf und das Alkali 
übernimmt seine Rolle: | 


OH 0 
Fe + OHK = Fe OH K 
H OH 


Diese Annahme würde ohne Zwang erklären, daß Alkalinitrat 
in Gegenwart von starker Lauge, auch in Abwesenheit von Sauer- 
stoff reduktiv zerfallen kann, denn die für die Nitratreduktion 
notwendige koordinative Bindung erfolgt nun auf Kosten des 
locker gebundenen Alkalihydroxydes, und nicht mehr auf Kosten 
des locker gebundenen Sauerstoffmoleküles. 

Ist diese Annahme richtig, so müßte man das Alkalihydroxyd 
auch durch andere Verbindungen, welche die Fähigkeit besitzen, 
sich an das Eisen durch Nebenvalenzen zu binden, ersetzen können. 

Das läßt sich nun in der Tat durch folgende Versuche be- 
weisen: 

Versuch 98. Versuch 97 (mit Oxanthron) wird wiederholt, aber dazu 
noch 5 g wasserfreies Ferrosulfat gegeben. 

Erhalten: 14%, des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Versuch 99. Wie vor, aber in Abwesenheit von Sauerstoff. Zuerst 
wird das Gemisch von Oxanthron und Ferrosulfat in Wasser !/, Stunde 
lang ausgekocht, dann das Nitrat und das NaOH, die sich beide in dem Gläs- 
chen (siehe Apparatur) befinden, eingetragen. 

Erhalten: 13%, des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Versuch 100. Wie vor, in Abwesenheit von Sauerstoff, aber mit 5 g 
Gallussäure an Stelle des Oxanthrons. Das ausfallende Ferrosalz ist grau- 
weiß mit ganz schwachem violettem Stich. Bei längeren Kochen wird die 
Farbe allmählich intensiv rotviolett. | 

Erhalten: 7% des vorhandenen Nitrats reduziert. 

Versuch 101. Wie vor, aber mit 5 g Brenzcatechin an Stelle der Gallus- 
säure. Das ausfallende Ferrosalz 'ist zuerst weiß und wird beim Kochen 
allmählich rot, 

Erhalten: 90% des vorhandenen Nitrates reduziert. 

Wie aus diesen Versuchen zu ersehen ist, reduzieren also 
die drei organischen Verbindungen: Antrahydrochinon, Gallus- 
säure und Brenzcatechin, die mit dem Eisen leicht Komplex- 
salze bilden, Nitrate in alkalischer Lösung in Gegenwart von 
Ferrohydroxyd zu NH,, auch in Abwesenheit von Sauer- 
stoff. Bei der Gallussäure und dem Brenzcatechin wird die 


Studien über die Reduktion der Nitrite und Nitrate. 41 


Sauerstoffabspaltung aus dem Nitrat auch dadurch ersichtlich, 
daß die anfangs kaum gefärbten komplexen Ferroverbindungen 
beim anhaltenden Kochen die Farbe der Ferriverbindungen 
annehmen, obwohl von außen kein Sauerstoff eindringen kann. 

Diese, durch den abgespaltenen Nitrat- bzw. Nitritsauer- 
stoff bedingte Farbenänderung kann man auch beim Ferro- 
hydroxyd in stark alkalischer Lösung in der Siedehitze beobachten. 
Das anfangs weißliche Ferrohydroxyd wird fast blitzartig schwarz 
gefärbt, wenn die Reaktion des Nitratzerfalles eingesetzt hat. 

Was die Reduktion des Nitrites durch Ferrohydroxyd 
anbelangt, so ist schon früher durch Baudisch!) darauf hin- 
gewiesen worden, daß diese darauf zurückzuführen sei, daß das 
ungesättigte Nitritstickstoffatom mit dem Eisenatom unter 
koordinativer Bindung reagiert, und hierauf unter Sauerstoff- 
abspaltung zerfällt. Es muß sich dabei immer zunächst NOH 
bilden und es ist verständlich, wenn Zorn in der Kälte unter- 
salpetrige Säure neben NH,, N, O und N, findet. Wie bereits im 
experimentellen Teil geschildert, kann die Reduktion aber so 
geleitet werden, daß das KNO quantitativ weiter bis zu NH, 
reduziert wird. 

Macht man die Lösung stärker alkalisch, so wird der Zerfall 
der Verbindung KNO zurückgedrängt und damit auch die Bil- 
dung von N,O und N;: 

NOK NO +K. 
In neutraler Lösung aber wird bei großem Eisenüberschuß das 
NO an das Ferrosalz gebunden und dadurch der Reduktion 
zugänglich gemacht. | 

Zusammenfassung. 

Als Zusammenfassung der Arbeit ergibt sich folgendes: 

Das koordinativ ungesättigte Eisenatom des Ferrohydroxydes 
hat das Bestreben sich zu sättigen und zieht aus diesem Grunde 
Verbindungen oder Moleküle, welche Affinität zum Eisen be- 
sitzen, in die innere Sphäre, mit anderen Worten, das Eisenatom 
oder -ion hat eine große Tendenz zur Komplexsalzbildung. Dies 
äußert sich bekanntlich auch schon darin, daß z. B. in einer 
Ferrochloridlösung merkliche Selbstkomplexbildung vorhanden ist: 

2 FeCl, = Fe” + FeCl,” 

1) Baudisch, B. 52, 20. 1919. 


42 O. Baudisch u. P. Mayer: Stud. über d. Reduktion d. Nitrite u. Nitrate. 


Es ist nun als Ergebnis dieser Arbeit festgestellt 
worden, daß das Eisenatom durch primäre Absättigung 
einer oder mehrerer Koordinationsstellen Eigenschaf- 
ten erhält, die es vorher nicht besaß. 

So erlangt z. B. das Ferrohydroxyd durch Anlagerung eines 
Moleküls Sauerstoff oder Alkalis die Eigenschaft Nitrat zu Nitrit zu 
reduzieren. Hierbei wird das Nitrat nach primärer Anlagerung des 
Sauerstoffes oder des Alkalis, sekundär ebenfalls an das Eisenatom 
locker gebunden, wodurch es zerfällt und die Reduktion eintritt. 


Durch diese Erkenntnis gelangt man zu einer ganz neuen 
Anschauung über das Wesen des Eisens als Induktor bei che- 
mischen und lichtchemischen Reaktionen. Es ist gewiß kein 
Zweifel, daß besonders solche Verbindungen, welche zur Kom- 
plexbildung mit Eisen neigen oder sonstwie Affinität zum Eisen 
besitzen, durch Eisen aktiviert werden. So sind z. B. wie 
C. Neuberg!) fand, Weinsäure und Bernsteinsäure sehr beständige 
Verbindungen. Durch Spuren Ferrosulfat werden sie jedoch 
außerordentlich lichtempfindlich und erleiden oxydativen Zerfall. 

Genau so wird Weinsäure nur dann von H,O, oxydiert, 
wenn geringe Spuren Eisen vorhanden sind. Dabei kann an- 
genommen werden, daß die Weinsäure und das H,O, durch 
koordinative Bindung an das Eisen aktiviert worden sind. 

Auch bei der Oxydation der Zuckerarten durch Chlor spielt 
das Eisen vermutlich die Rolle des Induktors. Hier bindet das 
primär gebildete Zucker-Eisensalz nun koordinativ Chlor an das 
Eisenatom, was die Aktivierung beider Stoffe veranlaßt. Mit 
dieser Anschauung steht im Einklang, daß bei dieser Reaktion 
die Zugabe des Eisens immer vor der Zugabe des zu reduzie- 
renden Stoffes erfolgen muß. 

Zwischen Benzol und Brom findet keine Reaktion statt. 
Sobald aber Eisen hinzukommt tritt lebhaftes Aufkochen ein. Hier 
dürfte das primär gebildete Ferrobromid die Reaktion einleiten und 
Benzol sekundär binden, wodurch beide Stoffe aktiviert werden. 

Durch die in dieser Arbeit auf Grund experimenteller Tat- 
sachen gefundenen neuen Eigenschaften des Eisenatomes können 
also manche chemische und physiologische Prozesse in einem 
neuen Lichte beleuchtet werden. 


1) C. Neuberg, Diese Zeitschr. 29, 229. 1910; 64, 59. 1914. 


Die Capillarisation in der Biochemie. 


Von 
Rudolf Keller. 


(Eingegangen am 6. April 1920.) 


Im 6. Band von Abderhaldens „Handbuch der bioche- 
mischen Arbeitsmethoden“ empfiehlt J. Grüss die Capillari 
sationsmethode bei biochemischen Untersuchungen kleiner Quan- 
titäten, insbesondere bei der Analyse von Enzymwirkungen. Da 
das Capillarisieren, wie es scheint, sehr wenig bekannt ist, sei 
vorerst einiges über die ihr zugrunde liegenden Ursachen bemerkt. 
Beim Eintreten von dielektrischen Flüssigkeiten in Capillaren aus 
Glas, Papier, Ton entstehen elektrische Potentialdifferenzen, 
deren Theorie von Coeh n!) 1898 aufgestellt wurde. Es lädt sich 
bei der Berührung der Stoff mit höherer Dielektrizitätskonstante 
positiv gegen jenen mit niedrigerer Dielektrizitätskonstante, also 
beispielsweise reines Wasser positiv gegen Papier. Infolgedessen 
werden Lösungen beim Aufsaugen im Fließpapier elektrolytisch 
zerlegt und lassen mitgeführte Kolloide nach ihrem Wanderungs- 
sinn gesondert hervortreten. Die Zerlegung kolloider Lösungen 
in Fließpapier, Baumwolle, Wolle, Seide wurde von Pelet - Joli- 
vet?) zwischen 1900 und 1910 in verschiedenen Arbeiten beschrie- 
ben. Das zusammenfassende Buch von Pelet - Jolivet — 1910 
erschienen — ist jedoch wenig gewürdigt worden; alle Kolloid- 
handbücher und die übrige Literatur haben die 1911 aufgestellte 
Capillaritätsregel von Fichter-Sahlbom?) akzeptiert, daß 
positive zur Kathode wandernde Farbstoffe zerlegt werden, 
indem das Wasser voraneilt, während negative (saure) gleichzeitig 


1) Coehn, Annalen d. Physik, 1898. 
2) Pelet - Jolivet, Theorie des Färbeprozesses, Dresden 1910, Stein- 
kopff. Ä | 
3) Fiohter-Sahlbom, Kolloid-Zeitschr. 1911. 


44 R. Keller: 


mit dem Wasser unzerlegt aufsteigen. Diese Regel, die verbreiteten 
Vorurteilen entgegenkam, aber unrichtig ist, habe ich kürzlich 
richtiggestellt 1), und zwar zunächst an organischen Farbstoffen. 
Etwas früher als ich, aber mir damals nicht zugänglich, haben in 
Amerika A. W. Thomas und J. D. Garard?) die Fehlerhaftig- 
keit der Fichter-Sahlbom Regel an anorganischen Kolloiden 
festgestellt. 

Zunächst ist die Bezeichnung „ positives oder „negatives“ 
Kolloid ungenau, weil dasselbe Kolloid in anderen Dispersions- 
mitteln als Wasser anders geladen zu sein pflegt. Dann bestehen 
z. B. Farbstofflösungen nicht einfach aus Kolloiden, sondern ge- 
wöhnlich aus einem dissoziierten Anteil, der ‚ionendispersen 
Phase", Ostwalds, dann aus den gröberen kolloiden Dispersionen, 
deren Wanderungssinn nicht von ihrem Chemismus sondern von 
ihrer Oberflächenladung gegenüber dem Dispersionsmittel nach 
dem Coehnschen Gesetz bestimmt wird. In biologischen Flüssig- 
keiten, in denen die Ionendispersoide von den grob dispersen 
Kolloiden Eiweiß, Kohlenhydrat, adsorbiert zu werden pflegen, ver- 
halten sich die Farbstoffe nicht so komplex, wie es nach dem 
Vorgesagten zu erwarten wäre, sondern wandern so, als ob sie 
nur ausihrer Kolloidphase bestehen würden, gewöhnlich zur Anode. 
Die erste Beobachtung dieser Tatsache stammt von Schule- 
mann?). 

Sehr leicht läßt sich die elektrische Wanderungsrichtung jedes 
Farbstoffes voraussagen, wenn man ihn vorher in einem Fließ- 
papierstreifen hat aufsteigen lassen. Gleichgültig ob sauer oder 
basisch — eine Beobachtung, die schon bei Pelet-Jolivet 
durch in Millimeter genau gemessene Aufstiegszahlen festgelegt 
ist — wandern die Farbstoffe entweder mit dem Dispersions- 
mittel, oder bleiben zurück, indem sie sich von ihm trennen. Die 
zur Anode wandernden bleiben zurück, die zur Kathode wandern- 
den steigen auf. (Fichter-Sahlbom behauptet das direkte 
Gegenteil, offenbar deshalb, weil er mit stark verdünnten, voll- 
kommen dissoziierten Lösungen gearbeitet hat.) 

Es erscheinen folgende Zonen: 

1. Eintauchzone (unveränderter Farbstoff). 


1) Kolloid-Zeitschr. 24. 1919. 26. 1920. 
2) Journ. Amer. Chem. Soc. 40. 1918. 
3) Schule mann, Diese Zeitschr. 80. 1917; Kolloid-Zeitschr. 20. 1917. 


Capillarisation. 45 


2. Anodenzone (bei Indicatoren gewöhnlich in der saueren 
Farbnuance mit gezackten Rändern). 

3. Wasserzone (farblos bei einfach anodisch wandernden 
Farbstoffen). 

4. Kathodenzone (bei kathodisch wandernden Farblösungen 
in der basischen Farbnuance). 

Nicht nur Kolloide, auch Elektrolytlösungen mit kleinsten 
Molekülen lassen sich so zerlegen. Derartige Versuche rühren 
von Schmidt!) (Düsseldorf) 1919 her, der Salzsäure durch An- 
saugen in Fließpapier elektrolysiert hat. Auch bei ihm ebenso wie 
bei Pelet-Jolivet und bei mir erscheinen die Anionen in der 
zweiten Zone. Auf den Zusammenhang dieser untereinander 
bisher nicht zusammenhängenden Versuche bin ich nicht durch 
theoretische Überlegungen geführt worden, sondern durch den an- 
fänglichen Irrtum, den ich mit allen hier zitierten Autoren teilte, 
daß basische Kolloide zur Kathode wandern: müssen und sauere 
umgekehrt. Ich hatte durch verschiedene voneinander ganz unab- 
hängige Methoden Kathoden und Anoden in lebenden Pflanzen- 
schnitten mikroskopisch ermittelt, die aber absolut nicht mit den 
Färbungen durch Farbstoffkolloide stimmten?). Erst nach der 
Entdeckung der Unabhängigkeit der Oberflächenladung der Kol- 
loidphase von der chemischen Natur ergab sich eine vollkommene 
Übereinstimmung zwischen dem Wanderungssinn und der mikro- 
skopischen Vitalfärbung von Schnitten. 

Nach Feststellung der elektrischen Zerlegung der Farbstoffe 
und Farbstoffmischungen im Fließpapier habe ich auch andere 
Lösungsmittel als Wasser angewendet, z. B. Alkohol (Dielektrizi- 
tätskonstante 25,8 gegen Wasser 81). In Alkohol wanderten alle 
untersuchten Farbstoffe kathodisch, sowohl im Strom, als im 
Fließpapier, als im lebenden Schnitt. Nur einige Farbstoffe 
färbten nicht die Kathoden sondern alles diffus. Ähnlich war das 
Verhalten in Glycerin (Diel. Konstante 15). Die Versuche in 
Fließpapier sind leicht zu machen, sie sind namentlich sehr ein- 
leuchtend mit Farbstoffen wie Neutralrot, Safranin, deren Säure- 
farbe sich kräftig von der farbschwachen Basenfarbe abhebt. 
Die ins blaurote spielende Säurefarbe erscheint gewöhnlich etwas 
ausgezackt infolge der Unregelmäßigkeit des Papiers gleich nach 

1) Schmidt, Kolloid-Zeitschr. 24. 1919. 

2) Neue Versuche über mikroskopischen Elektr. Nachweis. Wien 1919. 


46 RN. Keller: 


der Eintauchstelle in der Region, die ich als Anodenregion be- 
zeichne und die bei der gleichen Papiersorte sich sehr regelmäßig 
abgrenzt. Beim Auftropfen der Farblösung ist der innere Ring 
anodisch, der äußere kathodisch. 

Mit dem eingangs erwähnten Autor J. Grüss bin ich nun der 
Meinung, wenn auch aus anderen Gründen als dieser, daß diese 
Versuchsmethode biochemisch ausgenützt werden sollte. Ich 
habe es immer sehr bedauert, daß die Biochemiker, die Enzym- 
reaktionen studieren, dies tun, ohne auf die Tatsache Rücksicht 
zu nehmen, daß im lebenden Körper die Enzyme ununter- 
brochen unter der Mitwirkung arteigener, genau in 
Spannung und Kapazitätsgröße abgestufter Elektri- 
zitätspotentiale arbeiten. Wer also im Reagensglas ohne 
elektrische Ladungen die biochemischen Reaktionen mit Preß- 
säften von Organen oder sonstwie nachahmt, arbeitet unter er- 
künstelten, abnormalen Bedingungen, gleichsam so als ob er bei 
Gefriertemperatur arbeiten würde, wenn er weiß, daß die betref- 
fenden Enzyme nur bei Körpertemperatur wirksam sind. Ich 
habe dabei die bewundernswerten Arbeiten von R. Willstätter 
und seiner Mitarbeiter über Chlorophyllassimilation im Auge oder 
diejenigen von C. Neuberg und seiner Mitarbeiter über den 
Chemismus der Alkoholgärung. Allerdings ist es nicht leicht, die 
in mikroskopischen Entfernungen arbeitende Bioelektrizität mit 
ihren ziemlich niedrig gespannten Strömen im Laboratorium 
nachzuahmen. Mit einem gewöhnlichen Strom ist dies nicht durch- 
führbar, ob zwar immer wieder behauptet wird, daß Durchströ- 
mung mit Gleich- und Wechselstrom die Gärung befördert. Nimmt 
man sọhwache Ströme und Entfernungen des freien Auges, so 
kommt auf ein einzelnes Lösungselement von einem Milliardstel 
Millimeter eine so unendlich kleine Spannung, daß eine Reaktion 
kaum nachweisbar sein dürfte, nimmt man starke Ströme so hat 
man Gasschaumbildung, sekundäre starke Säuren und Basen, 
Oxydations- und Reduktionsprodukte, die jeden Vergleich mit 
einer normalen Zellreaktion ausschließen. 

Da ist nun die Capillarelektrizität ein sehr bequemes und den 
Verhältnissen der lebenden Zelle sehr angenähertes Mittel, um 
biochemische Reaktionen von Enzymen oder von Lichtstrahlen- 
wirkungen so mit elektrischen Potentialen zu kombinieren, daß 
die biochemischen Wirkungen der Enzyme scharf getrennt werden 


Capillarisation. 47 


können von den biophysikalischen der in den Zellen stets vorhan- 
denen Elektroden. Soweit es der Augenschein erkennen läßt, 
sind beispielsweise die Einwirkungen auf Farbstoffe bei der Capil- 
larwirkung von mittelstark saugfähigem Fließpapier jenen der 
Zellelektroden viel ähnlicher als die Farbänderungen der Indi- 
katoren unter künstlichen Laboratoriumsströmen. Dies gilt so- 
wohl in einem positiven als auch in einem negativen Sinn. Das 
Freimachen von Jod aus Jodkalistärke, das im Laboratorium 
schon mit 2 Volt Spannung deutlich zu erzielen ist, gelingt mir 
bisher niemals mit Zellanoden, aber es gelingt auch nicht mit 
Papiercapillarelektrizität, während die Oxydation von Unnas 
R.W. Reagens (Leukomethylenblau) mit Zellanoden ebenso zu- 
verlässig eintritt, wie mit Fließpapiercapillarelektrizität. Mit 
starken Strömen selbstverständlich erst recht. 

Grüss hat in seiner Arbeit eine große Reihe von Versuchen 
auf Fließpapier aufgezählt. Er hat beispielsweise Stärkelösung 
auf Fließpapier eintrocknen lassen, dann ein Stärke umwan- 
delndes Enzym darauf fließen lassen und später mit Joddampf 
analysiert. Er beschreibt nur, wie er in dem Teil, den ich Anoden- 
zone genannt habe, die Blaufärbung erhält, im äußeren Ring 
(Kathodenzone) nicht. Ich habe Jodlösung in destilliertem 
Wasser, also sicher enzymfrei, auf Stärkefließpapier getropft und 
erhielt die Jodfärbung genau an meinem mir vertrauten ausge- 
zackten Anodenring, den Kathodenring farblos. Auch bei den 
anderen Enzymversuchen, die ich nicht nachprüfen kann, da mir 
hierzu Apparate und Reagenzien nicht zur Hand sind, beschreibt 
er in der Anodenregion Oxydations- und Säurewirkungen, in der 
Kathodenregion das Umgekehrte. Der Verdacht liegt nahe, daß 
er ohne Enzyme mit bloßer Ringerlösung oder vielleicht sogar mit 
destilliertem Wasser dasselbe erhalten hätte, wenigstens in einigen 
seiner Versuche mit sog. Oxydasen. Auch er beschreibt die 
Anodenregion strahlenförmig ausgezackt; man braucht nur einmal 
einen Tropfen Neutralrot auf Fließpapier fallen zu lassen, um diese 
Region in ihrer charakteristischen Gestalt vor Augen zu haben. 

Abgesehen von diesem Einwand sind aber die Anregungen 
von J. Grüss äußerst wertvoll. Da es nun einmal schon seit 
20 Jahren feststeht, daß Fließpapier Lösungen und Dispersionen 
aller Art scharf zerlegt und da man bei einiger Übung die beiden 
Konträrregionen leicht durch Ausschneiden oder Ausstanzen von- 


48 R. Keller: 


einander trennen kann, so hat man hier ein einfaches Mittel an der 
Hand, den elektrochemischen Faktor biochemischer 
Reaktionen zu isolieren, zu variieren, zu verstärken und in einem 
gewissen Sinne zu messen. Wer in der Lage ist, mit einer bioche- 
mischen Apparatur zu arbeiten, sollte es nicht unterlassen, durch 
einige Filtrierpapierversuche Klarheit über das interessante Pro- 
blem zu schaffen, inwieweit die Bioelektrizität an enzymatischen 
oder an anderen chemischen Umsetzungen der Organismen mit- 
wirkt. Es wird sich dann ganz gewiß herausstellen, daß ein Teil 
der Reaktionen, die bestimmten Enzymen zugeschrieben werden, 
entweder gar nicht solchen zukommen oder Teileffekte sind, die 
beliebigen Kolloiden bestimmten Ladungszustandes zuzuschreiben 
sind. Mit großer Wahrscheinlichkeit gilt dies von sog. Oxydasen 
und Katalasen. 

Es ist schon öfter in der Literatur die Vermutung ausge- 
sprochen worden, daß die Toxine und Antitoxine und Substanzen 
dieser Art entgegengesetzt elektrisch geladene Kolloide sind, die 
sich gegenseitig ausfällen. Mit der gegenwärtig üblichen Unter- 
suchungsmethode der Immunsera wird man diesem Problem nicht 
experimentell beikommen können. In der Capillarisierung nach 
Grüss wäre nun eine Möglichkeit gegeben, nicht bloß positive 
von negativen Kolloiden im Serum zu trennen, sondern man kann, 
wie bei Grüss ersichtlich, auch die Zonen erhalten. Auch ich habe 
in zahlreichen Versuchen beobachtet, daß stärkere oder schwächere 
Grade von Elektropolarität sich im Fließpapier abgrenzen. 

Für die Trennung von positiv und negativ wandernden Kol- 
loiden stehen jetzt drei Methoden zur Verfügung. Die erste ist 
von Michaelis!), mit der eine große Reihe genauer Untersu- 
chungen erfolgt sind. Es kommen bei ihr 80 Volt auf ein Gefälle 
ven etwa 1500 Millimetern, auf Zellentfernung also ganz minimale 
Spannungen, die weit unter den von der makroskopischen Elek- 
trophysiologie gemessenen liegen. Die zweite Methode ist die von 
mir angegebene, die ich System Woborschil?) nenne, bei der 80 Volt 
auf 30 mm kommen, was in gewisser Beziehung den biologischen 
Verhältnissen sich mehr nähert, in Sekunden zu Resultaten führt, 


1) Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration. Berlin 1914, 
Springer. 

2) Nach dem Mechaniker des Physiologischen Instituts der deutschen 
Universität in Prag, dem ich diese Versuchsanordnung verdanke. 


Capillarisation. 49 


aber naturgemäß nur für ganz grobe Vorversuche qualitativer 
Art ausreicht. Ein Serum kann man damit nicht zerlegen, da so- 
fort alles Eiweiß koaguliert wird. Die dritte ist die Methode von 
J.Grüss, die Zerlegung in Fließpapier mit nachherigem Aus- 
pressen oder Auslaugen der verschiedenen Regionen, der eine 
große Zukunft prophezeit werden kann. 

Mit der Capillarisation von J. Grüss wird sich die Streitfrage, 
ob Komplemente stofflicher Natur und Kolloide sind, eindeutig 
entscheiden lassen und ähnliche Fragen wie die nach der entgegen- 
gesetzten Kolloidladung von Toxin und Antitoxin. Ich glaube 
nicht, daß die Präzipitine entgegengesetzt geladen sind wie die 
von ihnen ausgefällten Eiweiße; soweit sie Kolloide sind, werden 
sie wohl beide im Serum zur Anode wandern. Wenn eine Kom- 
plementablenkung in Fließpapier durch Capillarisation gelingt, 
so ist damit sichergestellt, daß das Komplement kein Kolloid 
ist. Man sieht, daß die Capillarisation eine Versuchsmethode ist, 
die auf interessante Fragen Antwort geben kann. 


Einschaltung während des Druckes: Für praktische Ver- 
suche ist es empfehlenswert, daß die Fließpapierzonen rasch aus- 
geschnitten oder ausgestanzt werden. Infolge von Polarisation, Diffusion 
oder aus anderen Ursachen blassen die Indikatoren nach Beendigung 
der Capillarströmung oft sehr schnell ab. Läßt man beispielsweise durch 
Kalilauge entfärbtes Brillantblau II (Grübler) in Fließpapier wandern, 
so erhält man schöne Säurefarben (Anoden-) und Basenfarben (Kathoden-) 
Regionen, die aber nach dem Eintrocknen der Lösung sich direkt 
umkehren. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 4 


Über den Einfluß einiger darmwirkender Arzneimittel 
auf die endogene Harnsäureausscheidung. 


Von 
W. Andree und H. Wendt. 


(Aus dem pharmakologischen Institut der Universität und der II. medi- 
zinischen Abteilung des allgemeinen Krankenhauses St. Georg zu Hamburg.) 


(Eingegangen am 6. April 1920.) 


Zu der großen Zahl von Versuchen und Arbeiten über den 
Purinstoffwechsel und insbesondere über die Harnsäure steht in 
gewissem Gegensatz die geringe Kenntnis, die wir über den Ein- 
fluß der verschiedenen Pharmaka auf die endogene Harnsäureaus- 
scheidung besitzen. Es soll daher diese Arbeit einen Beitrag hierzu 
liefern. Besonders soll es unsere Absicht sein, darzutun, wie sich 
die Harnsäureausscheidung darmwirkenden Mitteln, insbesondere 
Laxantien und Obstipantien, gegenüber verhält. 


Auf diesem Gebiet arbeitete vor einigen Jahren Abl), er findet, daß 
die Abführmittel ein Ansteigen, die Stopfmittel dagegen ein Absinken der 
endogenen Harnsäure bewirken. Diese Befunde ließen sich in guten Zu- 
sammenhang bringen mit den Arbeiten von Weintraud?), Mares?) und 
Smetankat), die dargetan hatten, daß die Harnsäureausscheidung in 
Abhängigkeitsverhältnis stand zur Tätigkeit des Darmes und der Ver- 
dauungsdrüsen. Es sollte vermehrte Tätigkeit des Verdauungstraktus auch 
eine größere Harnsäureausscheidung bewirken. i 

Eine Nachprüfung dieser Fragen und damit verbundene Versuche 
von Gudzent, Maase und Zo ndek’) ergaben eine — wie von ihnen selbst 
angegeben — nur teilweise Bestätigung der A blechen?) Angaben: so für 
Sennes, Magn. sulf., Frang., dagegen nicht für Ricinus. 


1) Abl, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 74. 

2) Weintraud, Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1896 und 1900. 
3) Mares, Arch. f. d. ges. Physiol. 134 u. 149. 

1) Smetanka, Arch. f. d. ges. Physiol. 138 u. 149. 

5) Gudzent, Maase und Zondek, Zeitschr. f. klin. Medizin 86. 
€) Abl, Le 


W. Andree u. H. Wendt: Arzneimittel u. endog. Harnsäureausscheidung. 51 


Ob wir diese Schwankungen tatsächlich auf die Wirkung der 
betreffenden Pharmaka zurückführen dürfen, und ob.die Schwan- 
kungsdifferenzen groß genug waren und nicht vielleicht innerhalb 
der gewöhnlichen Grenzen liegen, war für uns eine Frage, die einer 
Voruntersuchung bedurfte. Wenn wir den Einfluß eines Medika- 
mentes auf die endogene Harnsäureausscheidung prüfen und be- 
urteilen wollen, müssen wir zunächst einmal wissen, wie groß die 
Minimum- und Maximumwerte an Normaltagen sind, d. h. an 
Tagen, an denen keine Medikation erfolgte. Weiter mußten die 
Schwankungen auf ein Mindestmaß herabgedrückt werden durch 
geeignete Diät und Lebensweise, worauf wir weiter unten noch 
zu sprechen kommen. Wir können zum Vergleich nur Versuche 
nehmen, die bei einer genau abgewogenen, täglich gleichen, 
purinarmen Nahrung und sonstigen gleichen Versuchsbedin- 
gungen (Ausschaltung von stärkerer, körperlicher Arbeit) ausge- 
führt sind. Um einwandfreie Werte zu erhalten, ist es außerdem 
dringend notwendig, nur Selbstversuche in Betracht zu ziehen. 

Wie groß sind nun bei dieser Versuchsanordnung die Schwan- 
kungen der endogenen Harnsäureausscheidung? Legt man den 
eben präzisierten, strengen Maßstab an, so halten nur wenige 
Versuche, die sich in der Literatur finden, einer Kritik stand. 
Sämtliche uns bekannt gewordenen Versuche der Literatur, die 
in Betracht kommen, sind in Tabelle I zusammengestellt. 

Auch Hungerversuche und Selbstversuche mit konstanter, aber purin- 
haltiger Kost finden sich in der Zusammenstellung. Bei Abelin und Blum- 
berg!) finden wir noch einige Hungerwerte, die große Schwankungen zei- 


gen. Als Beispiel soll nur der von dem Hungerkünstler Succi angeführt 
werden. | 


Die Versuche von Cathcart sowie von Burian und Schurr sind 
die einzigen, die allen Anforderungen genügen. Ihre Resultate sind jedoch 
recht verschieden. Cathcart, der sich 5 Tage nur mit einer täglichen 
Kost von 454 g Bananen und 250 g Honig begnügte, hat Schwankungen von 
0,519—0,369, d. h. 40%, auf den Minimalwert berechnet. Bei Burian 
und Schur erhalten wir die Zahlen: höchstens 0,586—0,554 oder 5,8%, ja 
in einem Versuche differieren ihre Werte nur von 0,568—0,552 oder 2,8%. 
Bei dem Wert, den Brugsch und Schittenhelm an dem Hungerkünstler 
Succi erhielten, kommen wir auf einen Unterschied von 43%,. Die Versuche, 
die Burian und Schur bei konstanter Diät, aber mit genau abgewogenem 
Fleischzusatz machten, zeigen Schwankungsunterschiede von 5—19,5%. 
Herrmann und Pringsheims Selbstversuche mit konstanter, gemischter 


!) Abelin und Blumberg, diese Zeitschr. 81. 
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W. Andree und H Wendt: 


52 


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Arzneimittel und endogene Harnsäureausscheidung. 53 


Kost zeigen Schwankungen von 13—20, bzw. 16%. Versuche an Patienten 
von Mohr und Ka uf mann!), Hefter?) Hirschstein?), Brugsch und 
Schittenhelm*), Pietrulla°) weisen noch größere Schwankungen auf, 
die vielleicht mit auf die Unzuverlässigkeit von nicht interessierten Personen 
bei solchen Versuchen zu beziehen sind. 


Der Widerspruch bei den Werten in Cathcarts und Burian 
und Schurs Versuchen, die von allen als die einwandfreiesten zu 
betrachten sind, ließ es uns wünschenswert erscheinen, der Frage 
durch Selbstversuche noch einmal nachzugehen, da diese normalen 
Schwankungen uns erst die Grundlage für die Beurteilung unserer 
Versuche mit Arzneimitteln geben. 

Zu diesem Zwecke stellten wir Untersuchungen an uns 
selbst an mit einer Kost, die lediglich aus täglich gleichen, genau 
abgewogenen Mengen purinarmer Nahrungsmittel bestand. Wir 
waren ferner bemüht, eine möglichst gleichmäßige Lebensweise 
innezuhalten. Der Urin wurde täglich morgens 8? abgegrenzt und 
die 24stündige Menge gemessen. 

Die Harnsäurebestimmungen wurden nach der Folin-Shaf- 
ferschen Methode in Doppelbestimmungen gemacht, an einigen 
Tagen und bei zwei Versuchsreihen durchgehend Nebenanalysen 
nach Wörner ausgeführt. Beide Methoden ergaben gute Über- 
enstimmungen. Es seien nun die Resultate unserer Selbstver- 
suche an Normaltagen wiedergegeben: Tab. II, III, IV und V. 


Tabelle II. 
Prof. B. gesund. 


U | 
pro die | Kost 
ing 


Bemerkungen 


Purinfreie Kost seit 
9. XII. Max.-Wert 
0,546, Min.-Wert 
0,421, Diff. 0,125 
oder 29,7%- 


12. XI. 
13. XII. 
14. XI. 


0,421 | 450g Brot 

0,536 | 50g Syrup 

2100 | 0,260 | 0,546 | 50g Käse 
| 25 g Fett 


' 20g Zucker 
| 500 g Kartoffeln 
100 g Haferflocken 
| 7141 Milch 
1) Mohr und Kauf mann, Dtsch. Archiv f. klin. Med. 74. 
2) Hefter, Arch. f. klin. Med. 109. 
3) Hirschstein, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 57. 
1) Brugsch und Schittenhelm, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. 
Ther. I. 
5) Pietrulla, Arch. f. Verdauungskrankh. 19. 


54 W. Andree und H Wendt: 


Tabelle III. 
Prof. B. gesund. 


Urin-| U 59 
Datum menge % in pro die S. 
ccm | g ig |? 


Kost Bemerkungen 


Gewicht 
Tages 


29. I. 1450 0.423 0,613 1014 11,12 450 g Brot Beginn der Kost 
30.1. || 1290 | 0,489 0,621 1018 9,0 50g Käse 1 schon am . I. 
31.1. || 1560 0,390 0,608 1016| 8,8 50g Marmelade Ma Wert 0,621, 

1. II. 1240 | 0,434 | 0,537 |1018| 8,36 | 30g Fett Min.-Wert 0,518, 

2. II. 1035 | 0,500 | 0,618 1020 8,05 | 20g Zucker Diff. 0,103 oder 

3. II. 1180 ' 0,482 0,569 1020 9,09 | 100g Haferflocken | 19,8%. 

Hl. 1280 0,459 | 088 1020| 9.0 500 g Kartoffeln 

5. II. 1075 | 0,547 | 0,588 1024| 9,15 | ?/,1 Milch 

Tabelle IV. 
Dr. W., 30 J., gesund. 
f 25 e 
Datum menge 8 = Kost Bemerkungen 
= 
9. II 860 | 0,522 7 Max. „Wert 0,518, 


50g Butter Min.-Wert 0,412. 
50g Käse Diff. 0,101 oder 
30 g Marmelade 24,5%, 

400 g Kartoffeln 
20 g Zucker 

100 Reis 


1 Ei 
1 l Milch 


Tabelle V. 
Dr. A., 29 J., gesund. 


— 
O KK 


Bemerkungen 


; 8,4 40 g Haferflocken Max. . Wert 0,434, 
0,345 0,345 7,7 60g Reis Min.-Wert 0, 345 
0,362 0,356 7,15 450 g Brot Diff. 0,089 oder 
0,354 0, 344 7,8 45 g Butter 25,8%. 


250g Kartoffeln 


0,61 Korukaffee 

Hieraus ergeben sich die Schwankungswerte: 29,7%, 19,8%» 
24,5%, 25,8%, über den in jeder Versuchsreihe niedrigsten Wert. 
Wir müssen also den Schluß ziehen, daß die endogene Harnsäure- 


L 
Arzneimittel und endogene Harnsäureausscheidung. 55 


ausscheidung der gleichen Person bei völlig konstanter, purin- 
armer Kost und gleichmäßiger Lebensweise Schwankungen er- 
leidet, die zwischen 20 und 30% liegen. Das sind Zahlen, die von 
denen Burian und Sch urs stark abweichen, dagegen niedriger 
sind als die von Cathcart. Sie liegen etwa zwischen beiden. 
Ziehen wir in Tab. V den Wert des ersten Tages ab, weil am Vor- 
tage noch Fleisch genossen wurde, so kommen wir allerdings zu 
einem Wert, der dem von Burian und Schur erheblich: näher 
kommt. Wir erhalten dann nämlich nur 4,9%, Unterschied. Aber 
die Zahl der niedrigen Schwankungen scheint uns doch nicht die 
Norm zu sein, wir müssen annehmen, daß gesunde Individuen 
bei konstanter, purinarmer Kost häufig Schwankungen in der täg- 
lichen Harnsäureausscheidung von 20—30% zeigen. 

Erhalten wir also nach Darreichung einer Arznei nicht eine 
MNehrausscheidung an Harnsäure von mehr als 20— 30% über das 
Minimum der Vortage oder von nicht mehr als 10— 15%, über das 
Mittel einer Reihe von Vortagen, so können wir sie nicht als vom 
Medikament hervorgerufen ansehen, sondern müssen sie als 
Normalschwankung betrachten. Wenn wir nun an unseren Nor- 
maltagen mit konstanter, purinarmer Kost schon derart große 
Schwankungen des Harnsäurespiegels bekommen, wie groß müssen 
diese erst sein, wenn zwar purinarme, aber wechselnde Nahrung 
der Versuchsperson gereicht wird! 

Anfangs erwähnten wir die Arbeiten von Abl!), dessen Er- 
gebnisse durch die Untersuchungen von Gudzent, Maase und 
Zondek?) in gewissem Sinne Bestätigung fanden. Durch diese 
Forscher wurde der Einfluß von Medikamenten, insbesondere 
Darmmitteln, auf die Harnsäureausscheidung geprüft. Gegen diese 
Arbeiten müssen wie nach unseren eben beschriebenen Versuchen 
einige Bedenken geltend machen. Zum ersten wurden von ihnen 
Patienten benutzt. die ja in ihrer Bewertbarkeit nicht an Selbst- 
versuche heranreichen. Zum anderen aber wurde keine konstante, 
sondern wechselnde, schlechthin ‚purinarme‘“ Diät gegeben. Es 
ist deshalb unseres Erachtens schwer zu beurteilen, ob die Auf- 
und Abschwankungen bei diesen Versuchen tatsächlich mit der 
Medikation in Abhängigkeitsverhältnis zu bringen sind oder ob 
sie nicht auf das Konto der Unzuverlässigkeit der Patienten, der 


1) Abl, I. o. 
2) Gudzeut, Maase und Zon de k, I. c. 


` 
56 W. Andree und H. Wendt: 


Inkonstanz der Kost und der normalen Schwankungen der Harn- 
säureausscheidung zu schreiben sind. Wir selbst haben zuerst 
an Patienten und mit wechselnder, purinarmer Kost Versuche an- 
gestellt, waren aber so enttäuscht, daß wir davon abließen. Wir 
mußten uns leider auch von der Unzuverlässigkeit der nicht inter- 
essierten Patienten überzeugen. Die Ergebnisse seien deshalb auch 
nur ganz kurz später erwähnt. Es scheinen uns daher nur Selbst- 
versuche mit konstanter, purinarmer Kost beweisend zu sein. Wir 
stellten unsere Versuche mit Medikamenten genau wie an den 
Normaltagen mit der gleichen Kost an, bzw. ließen sie direkt den 
Normaltagen folgen. Es wurden einige Abführ- und Stopfmittel 
und ihre Wirkung auf die Harnsäureausscheidung geprüft. Die 
Atophandarreichung hatte den Zweck, zu zeigen, daß die betr. 
Versuchspersonen auch tatsächlich imstande seien, Harnsäure 
in vermehrtem Maße auszuscheiden!). 


Tabelle VI. 
Prof. B. 
Urin F in % U in g Bu Medika- es. 
Datum | menge o Kost $ Bemerkungen 
pro die tion 


in ccm in g 
Durchschnitt aus 3 Vortagen | 0,501 | konst. | 
15. XII. 1390 0,358 0,498 purinfrei 3X3 g 


Sennes 
16. XII. 1320 0,334 0,441 e N 
17. XII. 1312 0,375 0,495 — 0,6 g 
| Rheum 
19. XII. >1010 0,633 |>0,639 — 3g 
GE 


— —— — ̃ ã n.. T — — 


Urin von 8h mgs. 
bis 91½ abds. = 
13½ Stunden. 


Tabelle VII. 


Dr. W. 
j De EEN 
Datum | menge U in 70 ST Kost | a Bemerkungen 
| in cem ing pro die | on 
Durchschnitt aus 7 Vortagen 0,467 | konst. 
18. II. 740 0,525 0,389 — 0,5 g 
Rheum 
21. II. 900 0,881 0,793 SS 2g 
| Atophan 


1) Vgl. dazu den von Griesbach und Sa m son (diese Zeitschr. 94, 277.) 
in unserem Institut erbrachten Nachweis, daß gewisse Personen im Stadium 
der Unterernährung auf Atophandarreichung nicht mit vermehrter Harn- 
säureausscheidung reagieren. 


Arzneimittel und endogene Harnsäureausscheidung. 57 


Tabelle VIII. 
Dr. A. 


Urin- e 0 FT e . 
Datum | menge Vino U in g Medika- Bemerkungen 
in cem in g pro die 


Durchschnitt aus 3 Vortagen 0,355 | konst. 


16. I. | 890 | 0,372 | 0331 | — 0,6 g 
Rheum 
17. I 720 ' 0459 | 0,331 | — = 
18. I. | 1680 | 0,233 0,391 — e 
19. I. | 820 | 0,445 | 0365 | — g 
[Nat guli 
20. I. 1180 | 0,332 | 0392 | — — 
21. L || 915 | 0,493 | 0,451 | — 2 Dien 
| subnitr. 
2.1. | 1075 | 0368 | 036 | — — 
23. I. 1445 | 0,251 ! 0338 | — — 
26. 1. | 890 | 1.022 | 0,910 | 3g 
| Atophan 


Mit Deutlichkeit erhellt aus vorstehenden Tabellen, daß in 
keiner Weise von einer Wirkung der Abführmittel, (Rheum, Senna, 
Natriumsulfat) auf die Harnsäureausscheidung gesprochen werden 
kann. Schon gar nicht können wir ein Mehr erkennen, eher viel- 
leicht ein geringes Weniger, das aber auch nicht infolge des Laxans 
hervorgerufen ist, sondern innerhalb der Schwankungsgrenzen 
an Normaltagen liegt. Gleichfalls ist das Bism. subnitr. ohne 
Wirkung geblieben. 


Tabelle IX. 


u | o | Ü-Ausscheidung 8 U-Ausscheidung 
SS 5 = SG E (EE KEEN 2 | a |(vgel.m.dem 
! ern 2 . 
5 S 2 2 2 8 2 8 5 Mittel) am am |in% 
* Ss Max | Min. = S S = | Tage der Nach- 
3 hd | "e 4 e 3 Medikation tage 
' i 8 % 
1 |Dr.W. gesund 3 _ 0,87 | 0,434 | 0,458 | Senna | 0,564 +25 | 0,537 | +28 
2 Dr. A. s 4 0,379 | 0,827 | 0,858 S 0,878 +6 0,260 | -27 
Sl „ 2 4 | 0,879 | 0,827 | 0,858 | Bitter- 0,418 +19 0,280 -21 
| wasser 
4 |Laatz | Bron- | 5 0,540 0,410 0,492 |2 x 20 g | 0,440 -10 0,570 | +16 
chitis Natri- 
R ı umsulf. 
® |Kusel | Ulcus | 6 | 0,380 | 0,260 | 0,290 | S 0,400 +88 0,350 | +20 
ventr. 
6 Röhrig Ulcus | 8 0,460 0,880 0,407 Senna 0,340 -16 0,44 | +8 
| ventr. i ! 
? Riepen [Gelenk-| 5 | 0,468 0,204 | 0,872 |2 x 20 8 0,355 -5 — — 
i rheum. Natri- | 
i umsulf. | 
8 | Dr. A. gesund 4 | 0,879 | 0,327 | 0,858 ; Uzara 0,417 +15 0,385 | + 9 


40 mg | 


58 W. Andree und H. Wendt: 


Unsere Versuche an Patienten und uns selbst mit purinarmer, 
aber nicht konstanter Kost seien der Gleichheit mit denen von 
Abl wegen kurz tabellarisch aufgeführt. Es sei aber betont, daß 
wir auf sie keinen ausschlaggebenden Wert legen möchten. (Siehe 
Tabelle IX.) 

Bei näherer Betrachtung der TabelleIX fällt uns zunächst die 
große Verschiedenheit der Schwankungswerte auf. Sie sind aber 
nicht größer als die Schwankungen, die wir an Normaltagen mit 
konstanter Kost bei Selbstversuchen erhielten. Der einzige Wert, 
der für die Versuchsergebnisse von Abl spräche, ist der, den wir 
bei dem Pat. Kusel nach Darreichung von 2 x 20 g Natr. sulf. 
erhielten. Da wurde 38%, mehr Harnsäure ausgeschieden als an 
den Normaltagen. Das könnte man als eine Mehrausscheidung 
im Ablschen Sinne bezeichnen. Aber auch bei diesem Versuch 
müssen wir einen Abzug machen. Wir entnehmen nämlich aus 
dem ungekürzten Versuch für den Tag vor der Medikation schon 
einen Wert von 0,350 g Harnsäure. Also, an einem Normaltage 
eine beträchtliche Mehrausscheidung gegenüber den anderen 
Normaltagen ohne irgendwelche uns bekannte äußere Ursache. 
Hätten wir das Medikament an diesem Tage, also einen Tag vor 
der tatsächlichen Medikation, gegeben, so hätte man es im Sinne 
A bls deuten können. Es kann sich bei der Erhöhung dieses Wertes 
vielleicht auch um einen Diätfehler des Patienten handeln. Dieses 
zufällige Ergebnis berechtigt uns nur allzu sehr der zu Forde- 
rung: es sind Selbstversuche mit konstanter Kost unbedingt not- 
wendig, wenn anders wir nicht Ungenauigkeiten und Scheinresul- 
taten und damit auch Trugschlüssen ausgesetzt sein wollen. 

Die Wirkung des Uzara sei hier auch nur kurz erwähnt. 
Keinesfalls läßt das Mittel eine Herabminderung der Harnsäure- 
ausscheidung erkennen, absolut sogar eine Vermehrung, jedoch 
zu gering, um wirklich ins Gewicht fallen zu können. 

Woran liegt nun der verschiedenartige Ausfall der Ergebnisse, 
die einerseits Abl, sowie Gudzent, Maase und Zondek zum 
Teil und wir andererseits gefunden haben? 

Die Größe der Dosierung der einzelnen Mittel haben wir gleich 
der von Abl gemacht. Unseres Erachtens kommt nur die In- 
konstanz der Nahrung und die Unzuverlässigkeit der Patienten in 
Betracht. Wer ist imstande, in einem großen Krankenhausbe- 
triebe die einzelnen Personen genau zu überwachen? So ist mit 


Arzneimittel und endogene Harnsäureausscheidung. 59 


größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß unser Patient 
Kusel am Tage vor Darreichung des Abführmittels etwas gegessen 
hat, das die Harnsäureausscheidung beeinflußt hat. 

Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß auch Abl an Normal- 
tagen Schwankungen in der Harnsäureausscheidung bekommt, 
die größer sind als die, die durch Einwirkung von Medikamenten 
hervorgerufen sein sollen. So begegnen: wir — neben höheren 
Werten — den Angaben: 27, 14, 15, 28, 27%, Steigerung. Faktisch 
sind aber Schwankungsunterschiede an Normaltagen vorhanden, 
die sich auf 76, 33, 45 ja 93% belaufen. Wenn so große Unter- 
schiede an Normaltagen vorkommen, können wir unmöglich für 
gleich große oder gar geringere Schwankungen in der Harnsäure- 
ausscheidung die Wirkung der Arzneimittel verantwortlich 
machen. 

Zusammenfassung. 


L Die Normalschwankungen der endogenen Harn- 
säureausscheidung in Selbstversuchen mit konstan- 
ter, purinarmer Kost belaufen sich auf 20—30%. 

2. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache haben 
entgegen der Angaben anderer Untersucher weder 
Abführmittel (Rheum, Senna, Glaubersalz) eine Mehr-, 
noch Stopfmittel (Bismut, subnitric., Uzara) eine We- 
nigerausscheidung der Harnsäure zur Folge. 


Über das Vorkommen von aldehydartigen Substanzen 
im Blute von Kranken 
(Diabetes mellitus, Nierenerkrankungen). 


Von 
Wilhelm Stepp. 


(Aus der Medizinischen Universitätsklinik zu Gießen [Prof. Voitl.) 
(Eingegangen am 6. Aprıl 1920.) 


Im Verlaufe von Untersuchungen über den Blutzucker 
bei Diabetikern habe ich neben Reduktionsmethoden (Bertrand 
und Lehmann-Maquenne) auch das. polarimetrische Ver- 
fahren verwendet!). Dabei ergaben sich für die Mehrzahl der Fälle 
recht beträchtliche Unterschiede; die Drehungswerte lagen meist 
erheblich tiefer als die Reduktionswerte. Welche Werte durften 
nun auf Traubenzucker bezogen werden ? Sowohl das Reduktions- 
wie das polarimetrische Verfahren ist bekanntlich nur dann zur 
quantitativen Zuckerbestimmung zu gebrauchen, wenn in der 
zu untersuchenden Lösung neben Zucker nicht gleichzeitig andere 
reduzierende oder drehende Substanzen zugegen sind. Das war 
aber offenbar hier der Fall, und so zog ich bei der weiteren Fort- 
setzung dieser Untersuchungen noch die quantitative Gärungs- 
probe heran?). Zwar war nach den Untersuchungen Neubergs 
über zuckerfreie Hefegärung auch die Gärungsmethode nicht ganz 
fehlerfrei, aber man durfte hier doch wohl von vornherein mit 
geringeren Fehlern rechnen. 

In der Tat brachte das Arbeiten mit der Gärungsprobe unter 
Verwendung des Lohnsteinschen Präzisionsgärungssacchari- 
meters eine ganz wesentliche Klärung der Frage. Die Polarisations- 
und Gärungswerte zeigten nämlich vielfach eine ganz auffallend 
gute Übereinstimmung, so daß man wohl annehmen darf, daß die 


1) Zentralbl. f. inn. Med. 40. Jahrg. Nr. 24. 1919. 
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie 107, 29. 1919. 


s 
W. Stepp: Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute v. Kranken. 61 


mit diesen beiden Methoden gefundenen Werte den Traubenzucker- 
gehalt des Blutes richtig anzeigen. 

Welcher Art sind nun die Substanzen, die wohl reduzieren, 
aber weder drehen noch vergären? Einen wichtigen Fingerzeig 
dafür, in welcher Richtung man zu suchen hatte, gab die Be- 
stimmung der Reduktion in den zum Zwecke der Polarisation 
im Vakuum (bei 38° C) eingeengten Blutauszügen. Zu meiner 
Überraschung fand ich, daß die Reduktion hier vielfach geringer 
war, als sie nach der Berechnung unter Berücksichtigung der 
Konzentration hätte ausfallen müssen. Da man mit einer Zer- 
störung von Zucker. während des Einengungsverfahrens, wie in 
besonderen Versuchen an reinen Traubenzuckerlösungen in Über- 
einstimmung mit den Erfahrungen anderer Autoren dargetan 
werden konnte, nicht zu rechnen brauchte, so war ein Teil der 
reduzierenden Substanzen wahrscheinlich verlorengegangen. 
Sollte es sich dabei vielleicht um flüchtige reduzierende Verbin- 
dungen handeln, die bei der Vakuumdestillation abgesaugt wur- 
den? Dieser Gedanke fand sehr bald seine Bestätigung. Ich de- 
stillierte einen Teil der zu untersuchenden mit Phosphorwolfram- 
säure gefällten Blutproben unter starker Kühlung und fand in 
den in Eiswasser aufgefangenen Destillaten sehr deutliche Re- 
duktion gegenüber Fehlingscher Lösung. Daß man es hierbei 
in manchen Fällen mit ganz beträchtlichen Mengen zu tun hatte, 
zeigte der starke rote Niederschlag von Kupferoxydul bei Aus- 
führung der Bertrandschen Methode. 

Neben ihrer Reduktionsfähigkeit gegenüber Fehlingscher 
Lösung zeigten nun die Destillate noch eine Reihe anderer wich- 
tiger Eigenschaften; davon soll später die Rede sein. 


I. Das Verhalten der aus den Blutfiltraten gewonnenen Destillate 
gegenüber Fehlingscher Lösung. 


Die zur Untersuchung verwandten Blutproben wurden meist mit 
Phosphorwolframsäure!), in einigen Fällen auch mit Sublimat und Salz- 
säure nach Schenck oder, wenn es sich um Serum handelte, mit Eisen 
nach Rona?) enteiweißt. 

Bei der Destillation arbeiteten wir in genau der Weise, wie es Embden 
und Schmitz für die Bestimmung des Gesamtacetons vorschlugen?). In 


1) In der Weise, wie ich es anderwärts beschrieb (Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 107, 29. 1919, s. bes. S. 31.). 

2) Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden 1, 695. 1910. 

3) Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden III, 2, 913 u. 915. 1910. 


62 W. Stepp: 


den Fällen, in denen die beiden Autoren Blut oder Organe zu untersuchen 
hatten, wurden die Filtrate der Fällung nach Enteiweißung mittels des 
Schenckschen Verfahrens ohne weiteren Zusatz verarbeitet. Auch wir 
gingen so vor und unterwarfen die Filtrate der Phosphorwolframsäure- 
fällung der Destillation, ohne vorher die Phosphorwolframsäure entfernt 
zu haben. Wo dies in einigen Versuchen geschah, traten natürlich bei 
dem Wegschaffen des Schwefelwas’erstoffs (der das zur Ausfällung der 
Phosphorwolframsäure benötigte Blei entfernen sollte, zu welchem Zwecke 
mehrere Stunden Luft durchgeleitet werden mußte), Verluste an Aceton 
und anderen flüchtigen Substanzen auf. Im übrigen blieben die Verhält- 
nisse — und diese Feststellung ist wichtig — die gleichen. In den Versuchen 
wo mit Eisen gefällt worden war, wurde nicht besonders angesäuert, sondern 
wir begnügten uns mit der durch das primäre Natriumphosphat hergestel- 
ten sauren Reaktion. 

Der Kühler des Destillationsapparates trug an seinem Ende ein spitz 
zulaufendes Glasrohr, das in eine mit Eiswasser gefüllte Vorlage tauchte, 
die selbst wieder in Eis gepackt war. Später wurden statt des Eiswassers 
gleich die zur Bertrandschen Bestimmung benötigten Mengen der Ber- 
trandschen Lösungen I und II vorgelegt, so daß die kondensierten flüch- 
tigen Substanzen sofort in die Kupferlösung kamen. Die Destillation selbet 
wurde mit besonderer Vorsicht ausgeführt, das Erhitzen erfolgte ganz all- 
mählich, so daß nur langsam Luftblase für Luftblase durch die vorgelegte 
Flüssigkeit hindurchging. 

Die Ermittlung der Reduktion des Destillats nach Bertrand er- 
folgte in der gewöhnlichen Weise, nur wurde auf das Kölbchen während des 
Kochens ein Rückflußkühler aufgesetzt, um etwaige Verluste zu ver- 
meiden. 


In dieser Weise wurden über 20 Fälle untersucht. Die Mehr- 
zahl waren Diabetiker, der Rest Nephritiker und einige Leicht- 
kranke, wo man größere Abweichungen vom Stoffwechsel des 
Normalen nicht anzunehmen hatte. Fast durchweg wurde das 
Blut den Patienten morgens im nüchternen Zustande entnommen; 
während des AusfließBens wurde es dauernd mit einem Glasstabe 
gerührt und das Rühren solange fortgesetzt, bis alles Fibrin an 
dem Glasstabe niedergeschlagen war. Die weitere Verarbeitung 
erfolgte in der früher beschriebenen Weise!). 

Um eine möglichst große Genauigkeit des Bertrandschen 
Verfahrens zu erzielen, verwandte ich zur Titration an Stelle 
der sonst üblichen 0,5proz. Kaliumpermanganatlösung eine nur 
0,25 proz. Die Lösung, die unter besonderen Vorsichtsmaßregeln her- 
gestellt war, hielt, unter den richtigen Bedingungen aufbewahrt?), 

1) Stepp, Zeitschr. f. physiol. Chemie 10%, 29. 1919. 


2) Treadwell, Kurzes Lehrb. d. analyt. Chemie, Leipzig-Wien 1907, 
4. Aufl. 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 63 


ihren Titer monatelang unverändert fest. Die mit dieser Ka- 
liumpermanganatlösung erhaltenen Bertrand-Werte sind so 
hoch, daß kleine etwaige Fehler nicht in Frage kommen. Im übri- 
gen war ja, wie bereits bemerkt, die Reduktion vielfach so stark, 
daß das Kupferoxydul sich als roter Niederschlag am Boden 
des Kölbchens absetzte. Die bei der Titration verbrauchten 
KMnO,-Mengen liegen (bei Verwendung einer enteiweißten 
Blutmenge, die etwa 5—6 ccm Blut entsprach) zwischen 0,1 cem 
im Minimum und 1,9ccm im Maximum. 

Aus der Zahl der untersuchten Fälle seien hier einige in Tab. I 
mitgeteilt. Es handelt sich um Diabetiker (A), um Nieren- 
kranke (B) und Normale bzw. Leichtkranke ohne nach- 
weisbare Stoffwechselstörungen (C). Bei den Diabetikern sind die 
Fälle nach der Höhe des Blutzuckers geordnet, der sowohl nach 
Bertrand wie nach Lehmann -Maquenne bestimmt wurde. 

Betrachten wir die in der ersten Abteilung (A) zusammen- 
gestellten Diabetesfälle, so müssen wir zunächst feststellen, 
daß irgendein Zusammenhang zwischen der Höhe des 
Blutzuckers(Kolonne3und4)undder Menge der flüchtigen 
reduzierenden Substanzen (Kolonne 5) nicht zu erkennen 
ist. Bei Fall 2 beispielsweise, wo es sich nicht um Blut, sondern 
um Pleuraexsudat einer Diabetikerin handelte, ergibt die erste 
Untersuchung auf flüchtige reduzierende Verbindungen den 
recht hohen Wert von 69,6 mg (als Zucker berechnet), 4 Wochen 
später nur einen Wert von 4,7 mg. Der höchste Wert, der über- 
haupt gefunden wurde — wenn wir von dem untersuchten Pleura- 
exsudat absehen — wurde bei einem Patienten im Coma diabet. 
(Fall 6) festgestellt. Hier ergibt die Untersuchung des Serums 
65,6, die des Gesamtblutes dagegen nur 16,5 mg. Da es sich hier 
um Blut ein und desselben Aderlasses handelte, dürfen wir den 
Schluß ziehen, daß die Hauptmenge der flüchtigen redu- 
zierenden Verbindungen in dem flüssigen Anteil des 
Blutes und nur ein kleiner Teil in den Körperchen 
vorhanden ist. In einem Falle (Nr. 5) ist trotz beträchtlicher 
Hyperglykämie (von 0,41%) keine Spur von flüchtigen reduzie- 
renden Stoffen nachzuweisen. Bei der Mehrzahl der Fälle sind 
es überhaupt nur kleine Mengen, die gefunden wurden. 

Werfen wir nun einen Blick auf Kolonne 6, um einen Begriff 
von der bei der Bertrandschen Bestimmung in den 


W. Stepp: 


64 


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| 
Ie 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 65 ` 


Destillaten verbrauchten Kaliumpermanganatlösung zu erhalten, 
so sehen wir, daß es sich meist nur um Bruchteile eines Kubik- 
zentimeters handelt (0,2—0,3 ccm); die Werte sind jedoch nur 
als absolut zuverlässig zu betrachten, da genau bis zur ersten 
Spur Rosafärbung titriert wurde. Recht beachtenswerte Mengen 
der Kaliumpermanganatlösung wurden dagegen in den Fällen 2 
und 6 verbraucht (1,9 und 1,5 ccm). 

Bei den in der zweiten Abteilung (B) der Tab. II zusammen- 
gestellten Fällen (von Schrumpfniere mit und ohne Retention) 
liegen die Werte enger zusammen (zwischen 7,6 und 24 mg als 
Zucker berechnet). Bei Fall 7 mit 14,3 mg an flüchtigen redu- 
zierenden Substanzen bestand eine starke Erhöhung des Rest- 
stickstoffs (174 mg in 100 ccm Serum bei Fällung mit Uranyl- 
acetat), während bei Fall 9 mit dem höchsten Reduktionswert 
eine Retention stickstoffhaltiger Produkte eben nachzuweisen war. 

Was endlich die in der dritten Abteilung (C) aufgeführten 
Fälle von Normalen und einigen Leichtkranken anlangt, so wäre 
zunächst der Fall 14 hervorzuheben, wo es sich um einen voll- 
kommen gesunden blühenden kräftigen Kollegen han- 
delte und wo keine Spur von flüchtigen reduzierenden 
Stoffen gefunden wurde. Merkwürdig ist der Befund bei 
Fall 13, einem alten Patienten mit alter, hartnäckiger Pleuritis; 
hier wurden 32,9 mg ermittelt. Weitere Untersuchungen bei 
Normalen und Leichtkranken wären wünschenswert. 

Wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, nahmen die 
Untersuchungen über flüchtige reduzierende Substanzen ihren 
Ausgangspunkt von der Feststellung, daß die aus den eingeengten 
Blutfiltraten erhaltenen Reduktionswerte bei einem Teil aller 
Diabetesfälle beträchtlich tiefer liegen als die Werte, die man bei 
Verarbeitung des frisch gefällten und stark verdünnten Blutes 
erhält. Nach den in diesem Kapitel mitgeteilten Befunden ist 
diese Abnahme des Reduktionsvermögens der Destillate während 
des Einengungsprozesses leicht verständlich. Es fragt sich nun, ob die 
Menge der bei der Destillation übergehenden reduzierenden Stoffe 
die Differenz im Reduktionsvermögen vor und nach der Einengung 
zu decken vermag. Wir haben bei fast allen untersuchten Fällen 
auf diesen Punkt ganz besonders geachtet, konnten aber nur ganz 
vereinzelt die Differenz in den Reduktionswerten im Destillat un- 
gefähr wiederfinden, so z. B. in folgendem Fall (Nr. 9 in Tab. I): 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 5 


66 W. Stepp: 


Maquenne-Wert im verdünnten nicht eingeengten Filtrat auf 
100 ccm Blut berechnet 0,154%, im eingeengten Filtrat 0,121%. 

Bertrand-Wert für flüchtige reduzierende Substanzen 0,0249. 

Die Differenz zwischen den beiden &rsten Werten beträgt 
hier 0,033%, der Reduktionswert im Destillat 0,024%,. In einem 
anderen Fall betrug die Differenz der beiden Reduktionswerte 
(Bertrand) 0,012% (l. Wert: 0,230%; 2. Wert: 0,218%); 
gefunden wurde im Destillat 0,011% (Bertrand). Dieser letz- 
tere Befund stimmt ganz ausgezeichnet mit der Differenz überein. 


+ 


In anderen Fällen vermag dagegen der gefundene Destilla- . 


tionswert bei weitem nicht die Spannung zwischen der Reduktions- 
zahl in dem verdünnten und dem eingeengten Blutfiltrat zu 
erklären. 

Die Ursache hierfür ist vorläufig noch nicht anzugeben. 
Es ist möglich, daß bei der Art unserer Destillation, wenn es sich, 
wie wir glauben, um sehr flüchtige Körper handelt, vielleicht 
doch nicht unerhebliche Verluste auftreten. Auf diesen Punkt 
wird noch besonders zu achten sein. 


II. Über das Jodbindungsvermögen der aus den Blutfiltraten ge- 
wonnenen Destillate. 


Bekanntlich reagieren nach Lieben alle Substanzen, die die 
Gruppe CH, CHOH — oder CH, CO — enthalten, mit Jod 
in alkalischer Lösung unter Jodoformbildung. Die Reaktion 
findet vielfach Anwendung zur Erkennung der genannten Gruppen 
und ist auch Grundlage eines quantitativen Bestimmungsver- 
fahrens für Äthylalkohol und Aceton geworden. 

Die im vorigen Kapitel mitgeteilten Befunde hatten gezeigt, 
daß in den Destillaten häufig kupferoxydreduzierende Körper 
vorkommen. Wegen ihrer Flüchtigkeit waren ganz bestimmte 
Substanzen ins Auge zu fassen; insbesondere galt es, durch Unter- 
suchung des Jodbindungsvermögens weitere Anhaltspunkte für 
ihre chemische Natur zu gewinnen. Dabei war allerdings ein die 
Beurteilung erschwerender Umstand zu berücksichtigen, nämlich 
die Anwesenheit von Acetonkörpern im diabetischen Blute. 
Möglicherweise waren diese und andere jodbindende Substanzen 
gleichzeitig nebeneinander vorhanden; als solche kamen, wie sich 
sehr bald herausstellte, insbesondere aldehydartige Körper 
in Frage. Aldehyde werden sehr leicht durch Kochen mit Silber- 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 67 


oxyd zerstört, während Aceton so gut wie nicht angegriffen wird. 
Man kann diese Tatsache zum Nachweis von aldehydartigen 
Substanzen neben Aceton benützen, indem man die zu unter- 
suchende Flüssigkeit einige Zeit mit Silberoxyd kocht, sie dann 
einer Redestillation unterwirft und in dem Redestillat die Jod- 
bindung bestimmt. Ergeben sich Unterschiede in dem Jod- 
bindungsvermögen zwischen dem einfachen Destillat und dem nach 
Kochen mit Silberoxyd erhaltenen Redestillat in dem Sinne, 
daß letzteres geringere Werte aufweist, so darf man mit der 
Anwesenheit aldehydartiger Substanzen rechnen. 

Masuda!) hat auf Veranlassung Embdens in dessen Laboratorium 
auf diese Weise bei Leberdurchblutungsversuchen auf aldedydartige Sub- 
stanzen gefahndet und sich dabei eines von Embden und Baldes?) an- 
gegebenen Doppeldestillationsapparates bedient; nähere Angaben über die 
Handhabung des Apparats finden sich in jener Arbeit. Als Bildner al- 
deh ydartiger Substanzen erwiesen sich in den Versuchen Masudas 
die d- Zuckersäure, vor allem aber der Äthylalkohol; die aus letzte- 
rem gebildete aldehydartige Substanz ist nach Masudas Meinung nichts 
anderes als Acetaldehyd. 

Schon vor Masuda hatte sich E. Friedmann?) beim Studium des 
Abbaus der Carbonsäuren im Tierkörper mit dem Nachweis von Acet- 
aldehyd neben Aceton beschäftigt. Der Aldehyd konnte durch mehrstün- 
diges Schütteln mit Silberoxyd sicher zerstört werden; indes gingen dabei 
auch nicht ganz kleine Mengen von Aceton verloren, so daß das Verfahren 
von Masuda, wobei größere Acetonverluste nicht auftraten, den Vorzug 
verdient. Ebenso wie mit Silberoxyd kann man übrigens, wie Mondschein’) 
in O, v. Fürths Laboratorium zeigte, in Lösungen, die Acetaldehyd und 
Aceton zugleich enthalten, den Aldehyd durch Kochen mit Wasserstoff- 
superoxyd in alkalischer Lösung entfernen, wobei Aceton nur wenig ange- 
griffen wird, 

Auf Grund der hier mitgeteilten Beobachtungen war es also 
unschwer möglich, in den zur Untersuchung gelangenden Blut- 
filtraten das Vorhandensein oder Fehlen von aldehydartigen 
Substanzen zu erkennen. Freilich konnte vorerst nur ihr quali- 
tativer Nachweis in Frage kommen — selbst in dem Falle, daß 
es sich nur um eine ganz bestimmte Substanz, wie z. B. Acet- 
aldehyd handelte, denn die gleichzeitige Bestimmung der beiden 
Substanzen stieß auf nicht geringe Schwierigkeiten. Mittels des 


1) Diese Zeitschr. 45, 140. 1912. 

2) Diese Zeitschr. 45, 157. 1912. 

2) Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. II, 202. 1908. 
4) Diese Zeitschr. 42, 991. 1912. 


ch 


68 W. Stepp: 


Messinger - Huppertschen Verfahrens kann man zwar das Ace- 
ton quantitativ sehr einfach und genau bestimmen, dagegen, wie 
es scheint, nicht die Aldehyde. O. v. Fürth und D.Charnaß!) 
haben sich in sehr eingehenden Untersuchungen mit dieser Frage 
befaßt und zeigen können, daß man bei der Bestimmung 
des Acetaldehyds nach Messinger- Huppert (analog 
der Aceton bestimmung) nur einen mehr oder minder 
großen Bruchteil der tatsächlich vorhandenen Menge 
findet. Für die Umsetzung des Aldehyds mit Jod spielen neben 
dem Verdünnungsgrade noch andere Faktoren eine Rolle. Im 
Verlaufe ihrer Untersuchung konnten Fürth und Charnaß 
schließlich die Bedingungen genau festlegen, unter denen die 
Jodbindungsmethode zur quantitativen Aldehyd bestimmung ou 
gebrauchen ist. Erstens muß die Aldehydlösung sehr stark ver- 
dünnt sein (sie darf höchstens 0,02 g Aldehyd im Liter enthalten), 
sie muß ferner sehr stark alkalisch gemacht werden und der Jod- 
zusatz darf nur in kleinen Portionen erfolgen, schließlich muß 
für sehr starke Kühlung gesorgt werden, so daß die Temperatur 
des Reaktionsgemisches 10° C nicht wesentlich übersteigt. Unter 
diesen Bedingungen erhielten die beiden Forscher 90—100% des 
theoretischen Wertes. Es ist also zweifellos möglich, mit Hilfe 
des Messinger - Huppertschen Verfahrens unter Einhaltung 
der genannten Bedingungen Aceton und Aldehyd zusammen 
quantitativ an Jod zu binden. Über die Verteilung der gefundenen 
Werte auf die beiden Körper erfährt man freilich dabei nichts 
Sicheres. 

Während also die Jodbindung zur quantitativen Aldehyd- 
bestimmung nur unter ganz bestimmten Bedingungen brauchbar 
ist, hat das für die Aldehydbestimmung ganz ausgezeichnet 
geeignete Rippersche Verfahren?), wobei der Aldehyd 
an Bisulfit gebunden wird, den Nachteil, daß gleich- 
zeitig vorhandenes Aceton nur sehr langsam und un- 
vollständig angelagert wird. Nach den Untersuchungen von 
Ad. Jolless) muß man das Aceton mit dem Bisulfit mindestens 
30 Stunden reagieren lassen, um alles Aceton zu bekommen. 
Natürlich besteht hier, wenn nicht die genügenden Vorsichts- 
) Diese Zeitschr. 26, 199. 1910. ` 

2) Sitzungsber. d. Wien. Akad. d. Wissensch. math.-naturwiss. Klasse, 


Abtlg. IIb. 108, 109, 844. 1899—1900. \ 
3) Berichte d. Deutsch. chem. Ges. Jahrg. 39 (1906) Bd. II, S. 1306. 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 69 


maßregeln eingehalten werden, die Gefahr, daß die Bisulfitlösung 
beim Stehen eine Änderung ihres Titers erfährt; man muß also 
immer eine Probe der Bisulfitlösung für sich allein zur Kontrolle 
stehenlassen. Unter Beachtung dieser Vorsichtsmaßregeln läßt 
sich dann auch mit dieser Methode eine quantitative Bestim- 
mung von Acetaldehyd und Aceton nebeneinander durchführen. 

Bei unseren Untersuchungen sind wir nun so vorgegangen, 
daß wir eine bestimmte Menge des Filtrats der Phosphorwolfram- 
säurefällung der Destillation unterwarfen, und zwar in derselben 
Weise, wie zur Bestimmung der flüchtigen reduzierenden Sub- 
stanzen; es sei auf die diesbezüglichen Ausführungen im vorigen 
Kapitel verwiesen. 

Auch hier wurde auf besonderes Ansäuern verzichtet, da 
die Filtrate ja schon durch die Phosphorwolframsäure genügend 
stark sauer waren. Die Destillate, die sehr stark gekühlt waren, 
wurden in mehrere gleiche Teile geteilt und diese getrennt ver- 
arbeitet. In einem Teil wurde die Jodbindung in der Modifikation 
von Fürth und Charnaß bestimmt Ein weiterer Teil wurde 
bei den ersten Untersuchungen nach der Methode Mondscheins 
mit Wasserstoffsuperoxyd bei alkalischer Reaktion, später aus- 
schließlich mit Silberoxyd!) nach Embden-Masuda am Rück- 
flußkühler gekocht, dann redestilliert und nun wiederum die Jod- 
bindung in der modifizierten Art ermittelt. Besonders einfach 
gestaltete sich das Arbeiten, als wir schließlich den bereits erwähn- 
ten Doppeldestillationsapparat nach Embden und Baldes?) 
benutzten. 

Sehr wichtig ist es, sich davon zu überzeugen, ob die Lauge 
nicht etwa jodbindende Substanzen enthält. Wenn das, wie ich 
mich überzeugte, häufig der Fall ist, so muß man selbstverständ- 
lich diese „Eigenjodbindung‘‘ von der gefundenen Werten ab 
ziehen. 

Die Tab. II bringt eine Auswahl unserer Untersuchungen 
zu der .Frage. 


1) Das Silbero x yd stellten wir unsin der Weise her, daß wir /10 Arg. 
nitr.-Lösung mit ½/1o n-Lauge in hohen Zylindern versetzten, das ausge- 
fallene Silberoxyd absetzen ließen, die darüber stehende Flüssigkeit ab- 
gossen und wiederholt mit destilliertem Wasser wuschen, bis die Reaktion 
nur noch ganz schwach alkalisch war. 

2) Diese Zeitschr. 45, 157. 1911. (l. c.) 


W. Stepp 


70 


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Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 71 


Bevor wir den Doppeldestillationsapparat von Embden und Baldes 
benutzten, wurden meist 300—400 ccm Blutfiltrat abdestilliert in der oben 
beschriebenen Weise unter stärkster Kühlung. Das Destillat wurde dann 
in vier gleiche Teile geteilt und darin in einem Teil sofort, in den anderen 
Teilen nach Redestillation bei saurer, bei alkalischer Reaktion, sowie nach 
dem Kochen mit Silberoxyd die Jodbindung in der Modifikation nach 
Fürth und Charnaß bestimmt. In der Tabelle finden sich jeweils neben 
den Jodbindungswerten die aus ihnen als Aceton berechneten Mengen von 
Aceton + aldehydartiger Substanz. Meist wurde Gesamtblut untersucht; 
wo es sich um Serum handelte, ist das stets vermerkt. Einmal wurde 
Pleuraexsudat einer Diabetikerin verarbeitet. Zur Enteiweißung wurde meist 
Phosphorwolframsäure, außerdem Eisen (nach Rona) oder das Schenck- 
sche Verfahren verwendet. Bei letzterem sind die Werte für Aceton und 
aldehydartige Substanz als zu niedrig zu betrachten, da vor der Destil- 
lation erst das Quecksilber mit Schwefelwasserstoff und dann der Schwefel- 
wasserstoff durch Luftdurchleiten entfernt worden war. Daß bei dem Luft- 
durchleiten Verluste an flüchtigen Substanzen auftraten, liegt auf der 
Hand. 

Bei unseren Untersuchungen mußten wir uns mit verhältnismäßig 
kleinen Blutmengen für diesen Zweck begnügen, da das Blut gleichzeitig 
noch nach anderer Richtung durchforscht wurde. 


Wir vergleichen zunächst (in der Abteilung A) die Kolonnen 
5, 7, 9 und 11, wo die gebundenen Mengen Jodlösung in Kubik- 
zentimetern angegeben sind und stellen fest, daß die Zahlen in 
den ersten 3 Kolonnen (5, 7 und 9) gut untereinander überein- 
stimmen und nur geringe Unterschiede aufweisen, die innerhalb 
bzw. nahe an der Fehlergrenze liegen. Wir dürfen daraus den 
wichtigen Schluß ziehen, daß unter den jodbindenden 
Substanzen sich keine flüchtigen Säuren in nennens- 
werter Menge finden. Stellen wir nun diesen Zahlen die in 
Kolonne 11 verzeichneten Werte gegenüber, die die Jodbindung 
nach dem Kochen mit Silberoxyd anzeigen, so sehen wir hier 
bei dem kleineren Teil der Fälle sehr große Differenzen, nämlich 
bei den Fällen 1, 7a und 7b (I, 2, 3 und 4). Die Unterschiede 
liegen hier weit jenseits der Fehlergrenzen. Einer besonderen 
Besprechung bedarf der Fall 7. Es handelte sich hier um einen 
Patienten im Coma diabeticum, bei dem zweimal Blut entnommen 
wurde; die zweite Blutentnahme fand eine Stunde vor dem Tode 
statt. Die Werte für die Untersuchung 7a, die zur ersten Blut- 
entnahme gehören, sind sicher durchweg zu niedrig, da hier bei 
der Enteiweißung nach Schenck (im Verlauf der zur Entfernung 
des Quecksilbers und des Schwefelwasserstoffs nötigen Mani- 


72 W. Stepp: 


pulationen) mehrere Stunden Luft durchgeleitet wurde, wobei 
Verluste an flüchtigen jodbindenden Substanzen eintraten. Trotz- 
dem ist der Unterschied in der Jodbindung zwischen dem alka- 
lischen Redestillat und dem Redestillat nach Kochen mit Silber- 
oxyd sehr deutlich ausgesprochen (2,3 und 1,5 cem). Bei der zwei- 
ten Blutentnahme wurde das Gesamtblut sowohl mit Phosphor- 
wolframsäure wie nach Schenck das Serum mit Eisen enteiweißt. 
Um zu sehen, wieviel von den jodbindenden Substanzen etwa 
verlorengeht, wenn man nach Entfernung des Fällungsmittels 
gezwungen ist, Luft durch die Flüssigkeit zu leiten, wurde das 
eine Mal (7b,) die Destillation in der gewöhnlichen Weise mit 
dem Filtrat nach Phosphorwolframsäurefällung, das andere Mal 
(7b,) nach vorheriger Entfernung der Phosphorwolframsäure 
mit Bleiacetat, Entbleiung mit Schwefelwasserstoff und anschlie- 
Bender Entfernung dieses letzteren durch Luftdurchleiten aus- 
. geführt. Es zeigen sich hierbei recht beträchtliche Unterschiede, 
wie der Vergleich von 7b, und 7b, in Kolonne 6 ergibt: das eine 
Mal 56,1, das andere Mal 33,66 mg jodbindende Substanz als 
Aceton berechnet. Die Entfernung der Phosphorwolframsäure 
in dem einen dieser beiden Versuche hatte den Zweck, zu zeigen 
daß die jodbindenden Substanzen nicht etwa als Kunstprodukt, 
aus anderem organischen Material unter dem Einfluß der Phos- 
phorwolframsäure gebildet werden; und in der Tat sind auch bei 
der Untersuchung 7b, silberoxydempfindliche Substanzen nach- 
gewiesen (vgl. besonders Kolonne 7 und 11). Vergleichen wir 
nun die Zahlen, die das eine Mal bei der Fällung mit Phosphor- 
wolframsäure, das andere Mal nach Schenck erhalten wurden, 
wobei in beiden Fällen das Fällungsmittel entfernt wurde (Unter- 
suchung 7b, und 7b,), so zeigen die als Aceton berechneten 
Jodbindungswerte eine recht befriedigende Übereinstimmung. 
Die gute Übereinstimmung ist besonders wichtig deshalb, weil 
die verwendeten Blutmengen und die Konzentration der Lö- 
sungen nach der Fällung ganz verschieden waren; beide Momente 
spielen beim Luftdurchleiten eine besondere Rolle. Für die Jod- 
bindung berechneten sich im einfachen Destillat 33,66 und 32,04 mg 
(Kolonne 6), nach dem Kochen mit Silberoxyd 24,3 und 23,6 mg 
(Kolonne 12) als Aceton. Hier trifft also etwa /,derGesamt- 
menge auf aldehydartige Substanzen. Eine wertvolle 
Unterstützung dieser Befunde bietet die Untersuchung 7b,, wo 


«Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 73 


Serum desselben Blutes mit Eisen (und primärem Natrium- 
phosphat als Elektrolyt) enteiweißt und das Filtrat der Fällung 
ohne einen anderen Zusatz — die Reaktion war durch das Na- 
triumphosphat deutlich sauer — abdestilliert worden war. Auch 
hier entfallen rund 30%, der, gesamten Jodbindung auf aldehyd- 
artige Körper. Ihre künstliche Bildung ist hier, wo an 
fremden Substanzen dem Serum überhaupt nichts 
anderes als Wasser, kolloid. Eisenhydroxyd und 
primäres Natriumphosphat zugesetzt war, gänz- 
lich ausgeschlossen. | | 

Bei den übrigen Diabetikern sind silberoxydempfindliche 
Substanzen im Blute nicht nachweisbar. Hier darf man also an- 
nehmen, daß die Jodbindung lediglich auf Aceton und Acetessig- 
säure zu beziehen ist. Es handelt sich um Mengen zwischen 
6 und 25 mg in 100 ccm Blut. Bei manchen Diabetesfällen 
sind jodbindende Substanzen überhaupt nicht nach- 
zuweisen; ein Beispiel dafür bietet Fall 8. 

Wir wenden uns nun zur Besprechung der Abteilung B 
von Tab. II, in der die Befunde bei einigen Nierenkranken zu- 
sammengestellt sind. Auch hier finden sich jodbindende Sub- 
stanzen, wenn auch im Durchschnitt in geringerer Menge als 
bei den bisher besprochenen Diabetesfällen; nur bei Fall 13 
und 15b sind es höhere Werte, und hier besteht auch eine recht 
beträchtliche Differenz in der Jodbindung des einfachen De- 
stillats und des Destillats nach Kochen mit Silberoxyd (bzw. in 
Fall 15b nach Kochen mit Wasserstoffsuperoxyd). Wir dürfen 
also auch hier mit der Anwesenheit von aldehydartigen 
Substanzen rechnen ebenso wie beim Diabetes, und zwar 
nehmen sie den Hauptanteil der Jodbindung ein, 
während auf Aceton und Acetessigsäure nur 16—20% 
treffen. 

Recht wichtig für die ganze Frage ist auch hier wieder der 
negative Befund, d. h. das völlige Fehlen von jodbindenden 
Substanzen in Fall 12a und b, weil das wiederum beweist, daß 
nicht an sich schon solche Körper bei der Art unseres Arbeitens 
entstehen. Übrigens geht das auch vollkommen klar aus den 
Untersuchungen an Blut völlig gesunder Personen 
hervor,woniemalsauchnureineSpurvonjodbindenden 
Substanzen gefunden werden konnte. 


74 W. Stepp: 


Was nun die weitere wichtige Frage anlangt, um welche 
aldehydartige Stoffe es sich denn hier handelt, so läßt sich darüber 
vorläufig mit Bestimmtheit noch nichts sagen. Für Identifizie- 
rungsversuche waren die Mengen, die zur Verfügung standen, 
bisher zu klein. Untersuchungen aus allerjüngster Zeit, die ich 
mit Herrn Kollegen Lange unternahm, die indes noch nicht 
abgeschlossen sind, haben uns gelehrt, daß Stoffe von dem 
gleichen Verhalten auch im Harn auftreten, wodurch 
es wohl möglich sein wird, größere Mengen der fraglichen Sub- 
stanzen zu erhalten. Am nächsten liegt der Gedanke an den 
Acetaldehyd. Wie aus den Untersuchungen Embdens und 
seiner Mitarbeiter!) hervorgeht, ist der Acetaldehyd „als ein wahr- 
scheinlich beim Kohlenhydratabbau in größter Menge auftreten- 
des normales Stoffwechselprodukt anzusehen“ ?). Und im 
gleichen Sinne sprechen die Arbeiten von Batelli und Stern?) 
und von Parnas“) für den Tierkörper. In den letzten Jahren 
haben Neuberg und seine Mitarbeiter) in zahlreichen Arbeiten 
zeigen können, daß dem Acetaldehyd als Zwischenstufe bei der 
alkoholischen Gärung sowie bei der bakteriellen Vergärung von 
Zucker, Mannit und Glycerin tatsächlich eine außerordentlich 
wichtige Rolle zukommt. Weitere Untersuchungen werden zu 
zeigen haben, ob unsere Vermutung richtig ist. Glycerin- 
aldehyd kommt, da er mit Wasserdämpfen nicht flüchtig ist, 
wohl kaum in Frage; ebensowenig wahrscheinlich der Glykol- 
aldehyd, der nur in geringem Grade mit Wasserdämpfen flüch- 
tig ist. 

Wie wir bereits oben hervorhoben, war mit dem Fehlen 
von flüchtigen jodbindenden Substanzen im Blute von Gesunden 
und auch von manchen Kranken der Beweis geliefert, daß nicht 
etwa die Methode an sich zur Bildung von jodbindenden Kunst- 
produkten aus organischem Material Veranlassung gibt. Nichts 


1) Siehe bes. die Arbeit von Embden und Oppenheimer „Über 
den Abbau der Brenztraubensäure im Tierkörper.“ Diese Zeitschr. 45, 186. 
1912. 

2) Siehe Embden und Oppenheimer in der erwähnten Arbeit, 
S. 201. 

3) Bull. de la Soc. biol. 1910. 

4) Diese Zeitschr. 28, 274. 1910. 

5) Neuberg und Färber, Diese Zeitschr. 78, 238. 1916; Neuberg 
und Rei nf urth, ebenda 89, 365. 1918, und folgende Bände dieser Zeitschr. 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 75 


desto trotz haben wir geglaubt, noch eine Reihe von besonderen 
Kontrollversuchen mitreinen Traubenzuc kerlösungen 
ausführen zu sollen. Die Konzentration an Glucose wurde so 
hoch gewählt, wie sie bei Diabetesfällen häufig gefunden wird, 
also 0,3—0,4%,. Die saure Reaktion wurde mit Phosphorwolfram- 
säure (auch wieder in der Konzentration, wie wir zu arbeiten 
pflegten) oder mit Salzsäure (1 Tropfen 25proz. Salzsäure auf 
100 ccm Flüssigkeit) hergestellt. Dann wurde genau in der gleichen 
Weise wie bei den sonstigen Untersuchungen destilliert und im 
Destillat die Jodbindung ermittelt. In mehreren derartigen 
Kontrollen wurde nicht eine Spur von Jodbindung 
gefunden. Damit war nun vollkommen einwandfrei bewiesen, 
daß unter den Bedingungen unseres Arbeitens jod- 
bindende Substanzen aus Zucker nicht entstehen. 

Es möge an dieser Stelle nur noch kurz auf eine Beobach- 
tung hingewiesen werden, auf die wir in dieser Arbeit noch nicht 
näher eingingen, da sie vorläufig noch ganz unklar ist. In einigen 
Fällen fand sich in dem bei alkalischer Reaktion gewonnenen 
Redestillat ein wesentlich höherer Jodbindungswert als 
im einfachen Destillat undin den Redestillaten, die bei 
sauerer Reaktion oder nach dem Kochen mit Silber- 
oxyd gewoanen waren. Die Differenzen liegen weit außer- 
halb der Fehlergrenzen, in einem Fall betrug der Wert der 
alkalischen Redestillation fast das Doppelte, in einem anderen 
das Dreifache der Jodbindung des bei saurer Reaktion gewonne- 
nen Redestillats. Die Frage ist zur Zeit Gegenstand weiterer 
Untersuchungen. 


III. Über die Prüfung der aus den Blutfiltraten gewonnenen 
Destillate auf Phenol bzw. Kresole. 


Die Tatsache, daß sowohl Phenol wie die Kresole mit Jod 
in alkalischer Lösung unter Entstehung von Trijodphenol und Tri- 
jodkresol reagieren, verlangte noch eine besondere Prüfung der 
Destillate mit dem Millonschen Reagens. Bei der außerordent- 
lich großen Empfindlichkeit der Millonschen Reaktion mußte 
sich die Gegenwart von Phenol sehr leicht erkennen lassen. Die 
Untersuchung kam selbstverständlich überhaupt nur in Frage 
bei Blutproben, die mit Phosphorwolframsäure gefällt waren. 
In den Fällen, wo als Fällungsmittel Eisen verwendet und die 


76 | W. Stepp: 


sauere Reaktion bei der Destillation mit primärem Natrium- 
phosphat hergestellt worden war, war mit der Anwesenheif von 
Phenolen im Destillat überhaupt nicht zu rechnen, da die Phenole 
niemals frei, sondern nur in Bindung an Schwefelsäure oder Glu- 
curonsäure auftreten und für ihre Spaltung eine beträchtliche 
Konzentration an freier Mineralsäure unerläßlich ist. Wo also 
bei der Fällung mit Eisen jodbindende Substanzen nachgewiesen 
wurden, war an und für sich an Phenole oder Kresole nicht zu 
denken. 

In den Fällen, wo wir die bei der Destillation mit Phosphor- 
wolframsäure gewonnenen Destillate mit dem Millonschen 
Reagens prüften, erhielten wir stets einen negativen Befund. 

Was das Verhalten von Phenol gegen ammoniakalische 
Silberlösung anlangt, der gegenüber die Destillate des weiteren 
geprüft wurden und wovon im nächsten Kapitel die Rede sein 
wird, so verändert es diese bei gewöhnlicher Temperatur nicht, 
nur aus heißer ammoniakalisch- alkalischer Silber- 
lösung vermag es metallisches Silber abzuscheiden; 
Fehlingsche Lösung wird ebensowenig wie andere 
alkalische Kupferlösungen von ihm reduziert [Neu- 
berg). 

Somit ist also die Möglichkeit einer weitgehenden Täuschung 
durch Phenole und Kresole ausgeschlossen. 


IV. Über das Verhalten der aus den Blutfiltraten gewonnenen 
Destillate gegen Tollenssche (ammoniakal. — alkal.) Silberlösung. 


Die Reduktion ammoniakalischer Silberlösung durch Aldehyde 
erfolgt bekanntlich besonders leicht in Gegenwart von etwas 
Natronlauge. Wir hielten uns bei der Anstellung der Reaktion 
streng an die Ausführungen von B. Tollens!). Nach ihm löst 
man 3 g Silbernitrat in 30g Wasser und andererseits 3 g Ätz- 
natron in 30 g Wasser. Von diesen Lösungen, die man gesondert 
aufbewahrt (die Silberlösung in einer Glasstöpselflasche und im 
Dunkeln), mischt man zum Gebrauch gleiche Mengen in einem 
sorgfältig gereinigten Reagensglas, dann gibt man tropfenweise 
Ammoniak vom spezifischen Gewicht 0, 923 zu, bis das Silber- 
oxyd sich eben gelöst hat. Von diesem Tolle nsschen Reagens 


1) Siehe bei Hans Meyer, Analyse und Konstitutionsermittlung or- 
ganischer Verbindungen. Berlin 1916. Springer, S. 681. 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 77 


wurden in verschiedenen Proben einige Tropfen bis zu 1 oder 
2ccm mit einigen Kubikzentimetern der auf Aldehyde zu prü- 
fenden Destillate vermischt und im Dunkeln stehengelassen. 
Bei jedem Versuch wurde gleichzeitig eine Kontrolle angesetzt 
unter genau den gleichen Bedingungen, wobei das Destillat durch 
Wasser ersetzt war. Alle Destillate, die auf diese Weise unter- 
sucht wurden — es waren alles Fälle, bei denen flüchtige jod- 
bindende Substanzen fest gestellt worden waren —, gaben 
eine deutlich positive Reaktion. Schon nach wenigen 
Minuten, nicht selten auch sofort, trat eine braunschwarze, all- 
mählich dunkler werdende Trübung auf und zwar ohne daß 
erwärmt wurde. Das Erwärmen haben wir überhaupt am liebsten 
ganz vermieden, da dabei häufig eine Trübung durch Zersetzung 
des Reagens auftritt, was die Beurteilung der Reaktion sehr 
erschwert. 

Das starke Reduktionsvermögen der Blutdestillate gegen 
ammoniakalisch-alkalische Silberlösung spricht ganz im Sinne 
der bisherigen Ergebnisse unserer Untersuchungen; indessen 
irgendwelche bestimmte Schlußfolgerungen in bezug auf den 
Charakter der fraglichen Substanzen können daraus nicht gezogen 
werden, da neben den Aldehyden noch viele andere Körper, wie 
manche aromatischen Amine usw. ebenso reagieren. 


V. Über das Verhalten der aus den Blutfiltraten gewonnenen 
Destillate gegen fuchsinschweflige Säure. 


Das Verhalten der Destillate gegen fuchsinschweflige Säure 
wurde nur in einigen Fällen geprüft. Die Reaktion, die mit einem 
sehr empfindlichen Präparat!) angestellt wurde, fiel zwar schwach, 
aber doch unverkennbar positiv aus. Die rote Färbung, die erst 
nach einiger Zeit eintrat, war besonders deutlich, wenn man das 
Reaktionsgemisch in dicker Schicht, etwa von der Höhe eines 
halben Reagensglases betrachtete. Selbstverständlich wurde 
hierbei auch jedesmal ein blinder Versuch angestellt. 

Nach Abschluß der vorliegenden Untersuchungen wurden wir 
auf das Werk von R. Willstätter und Stoll (Untersuchungen 
über die Assimilation der Kohlensäure, Berlin, Springer 1918) 
aufmerksam, in dem in einem besonderen Kapitel die Erfahrungen 


1) Das Präparat wurde mir von Herrn Privatdozenten Dr. Feulgen 
freundlichst überlassen. 


78 W. Stepp: 


der beiden Autoren über die Reaktion mit fuchsinschwefliger 
Säure mitgeteilt werden. Sie berichten dort auch über eine wesent- 
liche Verschärfung der Reaktion. Ob die Reaktion in dieser Form, 
in welcher sie besonders dem Nachweise von Formaldehyd dient, 
auch mit gleicher Schärfe andere Aldehyde anzeigt, bedarf erst 
noch der weiteren Untersuchung. 


VI. Über den Ausfall der Riminischen Reaktion in den aus den 
Blutfiltraten gewonnenen Destillaten. 


Die von Rimini angegebene Reaktion auf Acetaldehyd 
gilt als ein sehr scharfer und sicherer Nachweis dieses Körpers 
[Neuberg und Kerb) ]. Wir stellten sie sowohl in der gewöhn- 
lichen Form mit Diäthylamin, wie in der Modifikation von 
Lewin?) mit Piperidin an. In den Fällen, wo gleichzeitig sehr 
reichlich Aceton vorhanden war oder wo dieses gar überwog, 
bekam man keine ganz reinen Farben, da das Aceton (besonders 
bei Verwendung von Piperidin) mit Nitroprussidnatrium eine 
tiefe Rotfärbung ergibt, dadurch wird natürlich die Entwicklung 
der schönen enzianblauen Färbung verhindert. Wir haben uns 
Mischungen aus reinsten Präparaten von Aceton und Acetaldehyd 
(Kahlbaum) hergestellt und beobachteten bei Anstellung der 
Reaktion mit solchen Mischungen eine dunkelrotblaue Färbung; 
beim Schütteln zeigte der Schaum einen Stich ins Blaugrüne. 
Genau den gleichen Farbenton sahen wir nun bei der Prüfung 
unserer Destillate auftreten. Viel schöner fiel die Reaktion aus 
in Fällen, wo im Destillate das Aceton zurücktrat. Schließlich 
stellte sich heraus, daß der Ausfall der Probe am eindeutigsten 
wurde, wenn man nur ganz wenig Nitroprussidnatrium nahm. 
Wir bereiteten uns ganz frische Lösungen von einer Konzen- 
tration, daß die Farbe ein schönes Rot zeigte. Von dieser 
Lösung wurden einige (2—4) Tropfen zu etwa 5—6 ccm des De- 
stillats gefügt, so daß das Gemenge einen leicht gelblichroten 
Schimmer zeigte. Nun wurde Diäthylamin darauf geschichtet. 
An der Berührungsstelle trat sofort ein tief blaugrüner Ring auf 
Beim Umschütteln wurde dann das Ganze schön blaugrün. 
Die Reaktion war also zweifellos als positiv zu betrach- 
ten und damit die Anwesenheit von Acetaldehyd nach- 


1) C. Neuberg und J. Kerb, diese Zeitschr. 43, 494. 1912. 
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 3%, 3388. 1899. 


Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute von Kranken. 79 


gewiesen. Immerhin erscheint es wünschenswert, den Nachweis 
des Acetaldehyds durch Darstellung eines Hydrazons (etwa des 
p-Nitrophenylhydrazons) noch zu erhärten. Wir sind mit 
solchen Versuchen zur Zeit beschäftigt. 


VII. Zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse. 

Es ist nun unsere Aufgabe, die Ergebnisse der in den vorigen 
Kapiteln niedergelegten Untersuchungen zusammenhängend zu 
betrachten. Es konnte gezeigt werden, daß beieinem gewissen 
Prozentsatz der untersuchten Diabetiker und Nephri- 
tiker (sowie einiger anderer Kranker) im Blute flüch- 
tige Substanzen auftreten, die alle Eigenschaften von 
Aldehyden zeigen. Sie reagieren mit Jod in alkalischer 
Lösung unter Jodoformbildung, sie reduzieren Feh- 
lingsche Lösung und ammoniakalisch -alkalische Sil- 
berlösung, röten fuchsinschweflige Säure und werden 
durch Erhitzen mit Silberoxyd zerstört. Daß es sich nicht 
etwa um Säuren mit Aldehydcharakter handelt, konnte in be- 
sonderen Versuchen, in denen aus alkalischer Lösung redestilliert 
wurde, gezeigt werden. Auch die Riminische Reaktion 
fielin einigen Fällen, wo sie angestellt wurde, positiv 
aus. Da sie eine sehr scharfe und eindeutige Probe auf Acet- 
aldehyd darstellt, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir es mit 
Acetaldehyd zu tun haben, sehr groß. Indes wird die Beurtei- 
lung der Verhältnisse dadurch erschwert, daß die Jodbindung 
und die Reduktion Fehlingscher Lösung in den Destillaten 
vorläufig noch nicht miteinander in Einklang gebracht werden 
konnten. Solange hier nicht eine weitere Klärung erreicht ist, 
wird man vorläufig zunächst darauf verzichten müssen, sich auf 
Grund dieser Befunde bestimmtere Vorstellungen über den 
Zuckerabbau beim Diabetes mellitus zu machen. Doch das läßt 
sich jetzt schon sagen, daß es sich beim Diabetes nicht um eine 
einheitliche Störung handelt; die Verhältnisse scheinen vielmehr 
bei den einzelnen Fällen ganz verschieden zu liegen, worauf 
auch meine früheren Untersuchungen über den Restkohlenstoff 
des Blutes!) und den Blutzucker?) so bestimmt gedeutet haben. 

1) Stepp, Zeitschr. f. physiol. Chemie 97, 213. 1916; Dtsch. Archiv 
f. klin. Med. 124, 177. 1917; Münch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 28, S. 771. 


1) Stepp, Zentralbl. f. inn. Med. 40. Jahrg. 1919, Nr. 24; Zeitschr. 
f. physiol. Chemie 107, 29. 1919. 


80 W. Stepp: Vorkommen aldehydartiger Substanzen im Blute v. Kranken. 


Und als weiteres Ergebnis der hier vorliegenden Untersuchungen 
müssen wir feststellen — und auch hierbei besteht eine voll- 
ständige Übereinstimmung mit den Erfahrungen über den Rest- 
kohlenstoff —, daß die Hyperglykämie beim Diabetes 
unmöglich allein erklärt werden kann durch die An- 
nahme einer vermehrten Zuckermobilisation. Alles 
deutet vielmehr darauf hin, daßam Zuckerabbau sich 
tiefgreifende Veränderungen abspielen; über weitere 
Einzelheiten müssen fortzusetzende Untersuchungen Aufschluß 
ergeben. 

Ein anderer, wie es scheint nicht unwichtiger Befund dieser 
Untersuchungen ist die Feststellung, daß die Ergebnisse der 
quantitativen Acetonbestimmung nur dann als zu- 
verlässig betrachtet werden können, wenndieAbwesen- 
heit von silberoxydempfindlichen Substanzen nach- 
gewiesen ist. Es wird sich also empfehlen, bei wissenschaft- 
lichen Untersuchungen neben der einfachen Jodbindung in der 
gewöhnlichen Weise noch die Jodbindung nach alkalischer Re- 
destillation und nach dem Kochen mit Silberoxyd zu bestimmen. 
Erst wenn die drei Werte übereinstimmen, läßt sich mit Sicherheit 
sagen, daß neben Aceton andere jodbindende Substanzen nicht 
vorliegen. | 


Die Anderung der Aussalzbarkeit von Bakterien der 
Typhusgruppe durch verschiedene Verhältnisse. 


Von 


F. Verzär und R. Beck. 
(Aus dem Institut für allgemeine Pathologie der Universität in Debreczen.) 
(Eingegangen am 6. April 1920.) 


Die Agglutination von Bakterien wird derzeit fast allgemein 
als eine Kolloidfällungsreaktion betrachtet. Zwei Substanzen sind 
zur Fällung der Bakterien nötig: das spezifische Agglutinin und 
Salze. Man nimmt an, daß das Agglutinin am Bakterienkörper 
verankert wird (Phase I nach Bordet), wodurch dann eine 
Kolloidfällung durch Salze möglich wird (Phase II). Nach den 
Anschauungen von Mines, Pribram u. a. wäre der Verlauf 
der Agglutination der, daß die Bakterien als Emulsionskolloid 
das Agglutinin, ein hydrophiles Kolloid adsorbieren und dadureh 
in ein Suspensionskolloid verwandelt werden, welches bereits 
durch NaCl ausgefällt wird. 

Es sind nun verschiedene Umstände bekannt, in welchen 
ihre Fällbarkeit sich ändert. Sie können in- oder hypagglutinabel 
werden, oder sie können schon spontan agglutinieren, d. h. schon 
durch NaCl ausgefällt werden. 

Bezüglich der großen Literatur dieser Frage sei besonders auf die 
Referate von Paltauf!) und Volk?) verwiesen. Die Inagglutinabilität, 
welche durch Erwärmung oder Säurewirkung entsteht, wird nach der 
Darstellung Paltaufs, die sich besonders auf die diesbezüglichen Unter- 
suchungen von Porges stützt, dadurch bewirkt, daß ein Hemmungs- 
körper, Schutzkolloid entsteht, wahrscheinlich Nucleine. Die Ursache 
liegt also in der zweiten Phase, denn die Bakterien binden noch Agglutinin. 
Sie werden auch schwerer aussalzbar wie das Porges sowie Eisler und So 


konstatierten (S. 502, 506). Nach Paltauf sind die hypagglutinablen 
Stämme „Spielarten, welche entweder reichlich oder Protein von solcher 


1) Handb. von Kolle-Wassermann 1913. II. Aufl. Bd. I, 483. 
2) Handb. von Kraus-Levaditi, 1909. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 6 


82 F. Verzär und R. Beck: 


chemisch physikalischer Beschaffenheit bilden, daß die Stabilität der 
Bakteriensuspension dadurch gesteigert ist“ (S. 506). 

Die Spontanagglutinierbarkeit und überhaupt die leichtere Agglu- 
tinierbarkeit würde umgekehrt dadurch bedingt, daß der Gehalt an Schutz- 
kolloid abgenommen hat, also ebenfalls durch Änderung der IL Phase. 
Diese Ansicht stützt sich besonders auf die Untersuchungen von Neisser 
und Friedemann, Bechhold, Porges und anderen. Spontan, also 
bereits in NaCl-Lösung agglutinierende Stämme können in verdünnt er 
Salzlösung durch spezifisches Agglutinin in gewöhnlicher Weise agglutiniert 
werden (Verzär)!),. „Im Gegensatz zu normalen Bakterien verhalten 
sich spontan agglutinierende Bakterien wie Kolloide und Suspensionen 
von geringer Stabilität... Es fehlt ihnen eben der Eiweißkörper, welcher 
normale Bakterien in Suspension erhält“, sagt Volk. 

Nun haben aber P. Th. Müller, Kierstein, Cole und Hirsch- 
bruch in agglutinierendem Serumbouillon von 1 : 25, 1: 50 (Titer 1 : 10 000 
bzw. 50 000) solche hypagglutinable Stämme gezüchtet, bei denen mehr- 
fach eine Herabsetzung des Bindungsvermögens für Agglutinin festgestellt 
wurde. Ferner züchtete Hamburger in Immunserum Choleravibrionen, 
die ebenfalls keine nachweisbaren Mengen von Agglutinin absorbierten 
und dabei spontan agglutinierten. Daraus geht aber hervor, daß die Ände- 
rungen der Agglutinabilität nicht immer so einfach zu erklären sind. Palt- 
auf selbst bemerkt das, wenn er sagt: „Es scheinen somit bei dieser Hyp- 
agglutinabilität verschiedene Verhältnisse vorzuliegen, diese sind noch 
nicht untersucht und man kann nur Vermutungen aufstellen.. (S. 507) 
und so findet er sich genötigt für die Fälle von Hypagglutinabilität unter 
gleichzeitiger Herabsetzung der Bindungsfähigkeit für Agglutinin eine 
molekulare Änderung des Proteins“ anzunehmen. 

Es scheint aus dem Vorangehenden zu folgen, daß es möglich 
ist, daß der Gehalt an Agglutinin bindender Substanz und an der 
als Schutzkolloid bezeichneten Substanz unter verschiedenen 
Verhältnissen sehr verschieden sein kann. Das soll hier tatsäch- 


lich nachgewiesen werden. 

Wir haben uns die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, unter 
welchen Bedingungen sich die Stabilität einer Bakterienaufschwem- 
mung der Typhusgruppe ändert, besonders ab- oder zunimmt, 
was sich in der geringeren oder größeren Aussalzbarkeit der 
Bakterien äußern muß. Diese Frage schien uns von Bedeutung, 
weil es möglich ist, daß gerade die Substanz, welche die Bak- 
terjen in Emulsion hält, auch der Träger anderer wichtiger Eigen- 
schaften sein kann, so daß Veränderungen dieser auch mit 
anderen Eigenschaften des Bakteriums in Zusammenhang stehen 
könnten. Doch sei bereits jetzt bemerkt, daß kein Versuch ge- 


1) Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. 80, 161. 1917. 


Anderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied.Verhältn. 83 


macht wird, einen derartigen Zusammenhang jetzt schon fest- 
zustellen. | 

Gewisse Beobachtungen weisen daraufhin, daß der Gehalt- 
Salzstabilität eine besondere Bedeutung zukommen muß. So 
wurde von einem von uns (l.c.) gezeigt, daß bei einem Dauer- 
ausscheider der im Urin ausgeschiedene Typhusstamm plötzlich 
für 0,85%, NaCl spontan agglutinabel wurde. Genauere Auswer- 
tung zeigte, daß der Stamm bis. 0,425% NaCl stabil war. 

Dann zeigten auch Nachforschungen in der Literatur, daß 
auch die anderen höchst selten isolierten spontan agglutinierenden 
Stämme von Bacillenträgern stammen. In 4 Fällen konnte 
Gildemeister!) spontan agglutinierende Stämme bei Rekon- 
valeszenten bzw. Bacillenträgern züchten. 

Auch der einzige experimentell hervorgerufene Fall von Aus- 
scheidung spontan agglutinierender Typhusbacillen (Wagner und 
Emmerich)?) stammt von einem Dauerausscheider-Kaninchen. 

Endlich stammt, soviel wir wissen, auch ein von Bien und 
Sonntag?) isolierter Paratyphus, B-Stamm, der spontan agglu 
tinierte, von einem Dauerausscheider. 

Hieraus schien mit einiger Wahrscheinlichkeit hervorzugehen, 
daß die spontane Agglutination bei Individuen entsteht, die bereits _ 
einen hohen Grad von Immunität besitzen und vielleicht der 
Ausdruck einer hierdurch bedingten Schädigung der Bakterien ist 

Gestützt wurde diese Annahme durch die Befunde von 
einigen Autoren, denen es gelegentlich glückte, durch Züch- 
tung spontan agglutinierende Stämme zu erhalten. Das gelang 
Porges und Prantschoff, Hamburger, Nicolle durch 
Züchtung in hochwertigem Immunserum, während Bail, Ran- 
som, Kitashima, Walker und Müller und Müller“) nur 
hypagglutinable Stämme erhielten und wieder umgekehrt Tar- 
chetti, Pfeiffer und Friedberger Zunahme der Agglutinier- 
barkeit, aber keine spontane Agglutination fanden. Die Ursache 
für diese so gegensätzlichen Resultate konnte sein, daß verschie- 
dener Agglutiningehalt des Nährbodens auch zu recht verschie- 
denen Resultaten führen könnte. 


1) Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. Abt. I. 78, 129. 1916. 
2) Med. Klin. 33, 879. 1916. 

3) Dtsch. med. Wochenschr. 1917 S. 9. 

) Lit. 8. bei Paltauf. 


6* 


84 F. Verzär und R. Beck: 


I. 


Es wurde deshalb zuerst untersucht, ob es durch Züchtung 
in Immunserum von verschiedenen Konzentrationen 
gelingt, spontan agglutinierbare oder wenigstens leich- 
ter ausfällbare Stämme regelmäßig zu erhalten, während 
das gesetzmäßig bisher nicht der Fall war. 

Die Versuche wurden auf die folgende Weise ausgeführt. 
Gezüchtet wurde in mit agglutinierendem Serum versetzten 
Bouillon. In serologische Reagensröhrchen kam zu je ½ cem 
Bouillon ½ cem Serumverdünnung, so daß die Konzentration 
an Immunserum im ersten Röhrchen 1: l, dann 1:2, 1: 4 bis 
zu 1: 1,048,576 war. Das benutzte Typhusserum hatte einen 
Titer von 1: 100 000, das Paratyphusserum 1: 10 000. In jedes 
Röhrchen kam ein Tropfen Bacillenemulsion. Dann folgte Züch- 
tung bei 37°C. Nach 24 Stunden wurde aus jedem Röhrchen 
auf ein neues mit ebenso verdünnter Immunserumbouillon 
beschicktes Röhrchen weiter geimpft. Nach einigen Tagen wurde 
dann aus allen oder einigen Röhrchen auf Endoagar überimpft 
und nach weiteren 24 Stunden die Agglutination geprüft. Ferner 
wurde als Kontrolle die Kultur auch in 0,85%, NaCl aufgestellt 
zur Prüfung, ob spontane Agglutination eintritt. Außerdem wurde 
täglich auch in gewöhnlichen Bouillon geimpft und das Verhalten 
der hierin gewachsenen Bakterien geprüft 


Versuch I. Typhus S. Agglutiniert am 26. VII. bis 1: 24000. Nun 
tägliche Überimpfung in Immunserumbouillon. Nach 6maliger Über- 
impfung am 1. VIII: 

a) gezüchtet in Serum 1:11 agglutiniert bis 1 : 100 000 


b) „ „ „ 1: 18922 * 6 400 
ei „ „ „ 1: 655333. „ „ = 3200 


keine Spontanagglutination. 


Inzwischen wird täglich in Immunserumbouillon weiter gezüchtet. 
Am 13. Tag (7. VIII.) wie oben: 


d) gezüchtet in Serum 1:1 ....... agglutiniert bis 100 
e) ge e, tg SR e e a e ab > 100 
f) BR „ ae E SEENEN E 3 nicht 

g) ji „ 1: 16344 

h) 7 „ „ 1104887 85 = 


keine Spontanagglutination. 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschled.Vorhaltn: 85 


Versuch II. Typhus N. Züchtung wie Versuch I vom 13. VIII. bis 
17. VIII. Nach 4 maliger Überimpfung am 17. VIII.: 


a) gezüchtet in Serum 1: 11 agglutiniert 1 : 200 
b) 2 a ak ToS 3 ul a An 1: 200 
c) Ke „ „ 12048. a 1: 200 
d) H w „„ 065839 ër ge 1 : 200 


Versuch III. Typhus M. Züchtung wie Versuch I vom 28. vIII bis 
1. IX. Titer des Immunserums 1: 10 000. Agglutiniert am 28. IX. 1: 10 000. 
Nach 4 maliger Uberimpfung am 1. IX.: 


a) gezüchtet in Serum 1:11 agglutiniert nicht 
b) e e en er KEEN e A ier e A er e 

c) 8 „ „ "tie ee e i 

d) 2 „ o 185533 e we 
weiter gezüchtet bis 4. IX. wie oben: 

e) gezüchtet in Serum 1:1 agglutiniert 1 : 200 
f) e „„ ei ie gei e 15 nicht 
80 j w „„ I 8922 D Ge 

h) 25 7% „ 132768 A8 op 5 


Versuch IV. Typhus XVIII. Titer des Immunserums 1 : 100 000. 
Es wurden ebenso wie in Versuch I Bouillon-Serum-Gemische beimpft, da- 
gegen wurde nicht täglich überimpft, sondern im Thermostat vom 18, 11. 
bis 25. IL stehengelassen. Dann Überimpfung auf Endoagar und Agglu- 
tination: 


a) gezüchtet in Serum 1:1 ....... agglutiniert bis 12800 
b) e „ „ Se „ 6400 
e) d „ ! B „ 3200 
d) sA ; „ 12250: 2. H „ 3200 
c) D eg, a 1 8199229222 Se „ 3200 
IT = „% „„ s ee „ 3200 
g) de ge l : 131072 ..... e „ 3200 
h) „ = gewöhnlichen Bouillon äi „ 12800 


Versuch V. Paratyphus B. III. Züchtung wie in Versuch I vom 
4. VIII. bis 10. VIII. Am 10. VIII.: 


a) gezüchtet in Serum 1: 1 e bis 3200 
b) „ ge „ i ee „ „ 3200 
) „ „ „ 181999. X „ 3200 
d) „ „ „ 1: 104857668 5 „ 3200 


keine spontane Agglutination. 


Versuch VI. Paratyphus B. II. Züchtung wie in Versuch I vom 
13. VIII. bis 17. VIII. und weiter bis 21. VIII. ä 


Am 17. VIII.: N 
a) gezüchtet in Serum: 1111 agglutiniert bis 1 : 200 
b) 5 ar 3 DEIZ a a N S 200 
c) e o. e er eer gr" "ës 10000 


d) „ „ „ 1327688 A „ 10000 


Rp, ` PF. Verzär und R. Beck: ` 


Am 21. VIII.: 
e) gezüchtet in Serum 1: 10 agglutiniert bis 10000 
f) e „% 3 I h > > 10000. 


keine spontane Agglutination. 


Versuch VII. Paratyphus B. XV. Züchtung wie in Versuch I, je- 
doch Titer des Immunserums 1: 8000. Agglutiniert am 28. VIII. bis 
1: 8000. Tägliche Überimpfung vom 28. VIII. bis 1. IX. und weiter bis 
4. IX. 


Am L IX.: i 
a) gezüchtet in Serum 1: ....... agglutiniert bis 1 : 1600 
b) 55 „ „ Tal w 5 „ 1 : 24800 
c) = „ „ 122048. 3 „ 1 : 24800 
Am 4. IX.: — 
d) gezüchtet in Serum 1:1 1. agglutiniert nicht 
e) Sp DE 171024 o 3 e = 5 
f) „ 57 52 12819933 an en 
g) 85 „ » 1327888. bis 1: 400 


keine spontane Agglutination. 


Versuch VIII. Paratyphus B. XIX. Züchtung wie in Versuch I 
vom 7. IX. bis 10. IX. Am 7. IX. agglutiniert bis 6400. 


Am 10. IX.: 
a) gezüchtet in Serum 1:1 ....... agglutiniert bis 1 : 1600 
b) e w ar Ee LGE EENEG „ 1: 3200 
c) Se: „ „ 1: 3278 2 „ 1: 3200 


Wie aus obigen Versuchsprotokollen hervorgeht, wurden je 4 Versuchs- 
reihen mit Typhus- und Paratyphus B-Bacillen ausgeführt. Jede Versuchs- 
reihe wurde mit einem verschiedenen Stamm gemacht. Bei Typhusbacillen 
wurde gewöhnlich in 20, bei Paratyphusbacillen in 15 verschiedenen Kon- 
zentrationen gezüchtet. 

Das übereinstimmende Resultat in allen diesen Versuchen 
war, daß es in keinerlei Konzentration gelang, weder durch ver- 
schieden langes Züchten bzw. wiederholtes Uberimpfen spontan 
agglutinierende Stämme zu erhalten. Das Auftreten der s pon- 
tan agglutinierenden Varietät des Typhus- und Para- 
typhusbacillus hängt also nicht mit dem Agglutinin- 
gehaltdes Nährbodenszusammen. Wenn es früher manchen 
Autoren gelang, durch Züchtung auf Immunserum solche Stämme 
zu erhalten, so war das ein Resultat, wofür vielleicht irgendein 
anderer Faktor des Serums verantwortlich war, der in unseren 
Sera fehlte. Es sei dabei daran erinnert, daß es z.B. Kirstein 
gelang, einmal unter 9 Fällen auf eiweißfreiem Asparaginagar 


Anderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied.Verhältn. 87 


einen spontan agglutinierenden Stamm zu züchten, ohne daß 
man daraus auf einen ursächlichen Zusammenhang folgern 
könnte. 

Wie ändert sich nun die Agglutinierbarkeit bei der 
Züchtung in verschieden konzentrierter Agglutininbouillon ? 

Bei Typhusbakterien zeigte sich in allen Versuchen nach der 
wiederholten Überimpfung eine Abnahme der Agglutinabilität. 
Dieses Resultat ist in Übereinstimmung mit dem eines Teiles 
der früheren Autoren (s. oben). Bekanntlich hat nicht nur Züch- 
tung in Immunserumbouillon, sondern auch wiederholtes Über- 
impfen in gewöhnlichen Bouillon oft denselben Erfolg. 

Es ist nun interessant, daß bei Züchtung in höher konzen- 
triertem Immunserum die Typhusbacillen besser agglutinierbar 
bleiben, als in stark verdünntem. In Versuch I z. B. agglutinierten 
die in nur doppelt verdünntem Serum gezüchteten bis 1 : 100 000, 
während die in stärker verdünntem nur bis 6 400, und noch ver- 
dünnter gezüchtete nur bis 3200 Als dann nach noch längerer 
Züchtung die im Immunserum von 1: 1024 und noch stärkeren 
Verdünnungen gezüchteten Bakterien inagglutinabel geworden 
waren, hatten die in 1.: 1, oder 1: 32 gezüchteten noch eine geringe 
Agglutinierbarkeit behalten. 

Dasselbe sieht man im zweiten Teil von Versuch III, wo letz- 
tere bis 1 : 200 agglutinieren, während die in stark verdünntem 
Immunserum gewachsenen inagglutinabel geworden sind. 

Von Bedeutung ist in dieser Hinsicht Versuch IV, in welchem 
zwar alle Stämme hypagglutinabel werden, aber um so weniger, 
je konzentrierter der Nährboden an Agglutinin ist. Dieser Ver- 
such gibt auch Antwort auf einen Einwand, den man machen 
könnte. Es wäre ja leicht möglich, daß nicht der Gehalt an Agglu- 
tinin es ist, der die Wirkung hat, sondern, daß es überhaupt der 
Gehalt an Serum ist, welcher die Agglutinierbarkeit begünstigt. 
Daß dem nicht so ist, geht daraus hervor, daß in reiner Bouillon 
gewachsene Bacillen ebenso agglutinabel sind, wie solche, die im 
höchstkonzentrierten Immunserumbouillon gewachsen sind. Es 
geht also aus diesen Versuchen hervor, daß geringe Quantitäten 
Agglutinin Hypagglutinabilität bewirken; große Agglutinin- 
mengen haben bei Typhusbacillen eine schützende Wirkung, in 
ihnen nimmt die Agglutinabilität nicht mehr ab als in gewöhn- 
lichem Bouillon bei wiederholter Überimpfung. 


88 F. Verzär und R. Beck: 


In den Paratyphus-B-Versuchen ist das Resultat anders. 
Hier tritt die Hypagglutinabilität in Versuch VI und VII viel 
stärker in den in höher konzentriertem Agglutininbouillon ge- 
„üchteten Stämmen auf, als bei den in stark verdünntem gezüch- 
teten. Im ersten Teil von Versuch VII wurden sogar die in den 
zwei größten Verdünnungen gezüchteten Bacillen ausgesprochen 
mehr agglutinierbar. 

Zwischen Typhus- und Paratyphus-B-Stämmen zeigt sich 
also ein deutlicher Unterschied. Jene verlieren in konzentriertem 
Agglutininbouillon weniger von ihrer Agglutinabilität als in stark 
verdünntem, letztere werden gerade umgekehrt, besonders in 
konzentriertem, stärker hypagglutinabel. Zwischen Typhus und 
Paratyphusbacillen gibt es auch sonst verschiedene Unterschiede 
bezüglich ihrer Fällbarkeit durch Salze und Säure. Wodurch der 
hier beobachtete Unterschied bedingt ist, läßt sich derzeit nicht 
vermuten. 

Wir haben auch versucht, die Salzstabilität unserer Stämme 
so zu untersuchen, daß wir nicht nur nach Agglutination in phys. 
NaCl forschten, sondern auch konzentriertere Kochsalzlösungen 
benützten. Hierzu wurde konzentrierte Kochsalzlösung im Ver- 
hältnis 1:9, 2:8, 3: 7 usw. mit destilliertem Wasser gemischt. 
Davon wurde zu je 0,9ccm je O, I cem in destilliertem Wasser 
emulgierte Bacillen gegeben. In Versuch I wurden die am 8. VIII. 
in der Konzentration 1:1 und 1: 1024 gewachsenen Typhus- 
bacillen auf diese Weise untersucht (Versuch Ia). Ebenso wurde 
in Versuch V mit dem Paratyphus B III verfahren nach 4tägiger 
Züchtung am 8. III. (Versuch Va). Auch in dem Versuch IV 
wurde der vom 8.II.—17. II. gezüchtete Stamm am 17. II. 
untersucht (Versuch IVa). 

In keinem dieser Fälle konnte nachgewiesen wer- 
den, daß die Stämme salzempfindlich geworden wären. 
Selbst diese hohen NaCl-Konzentrationen haben in keinem Fall 
zu einer spontanen Agglutination geführt. 


II. 


Die bisherigen Versuche entscheiden nicht darüber, ob die 
Änderungen der Agglutination nicht dennoch mit einer gewissen 
Änderung der Aussalzbarkeit einhergehen. Normale Bakterien 
sind in keiner NaCl-Konzentration ausfällbar. Spontan agglu- 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied.Verhältn. 89 


tinierbare dagegen bereits durch mehr-weniger verdünnte NaCl- 
Lösungen. 

Es war nun aber leicht möglich, daß Änderungen im Gehalte 
des hypothetischen Schutzkolloids oder was dasselbe sagt, eine 
Änderung der Stabilität der Bakterienemulsion vorkommen kann, 
ohne daß es gelingt, dies mit NaCl nachzuweisen. Wie oben 
erwähnt, sind normale Bacillen gegenüber NaCl und ebenso 
NaSO,, NaNO, usw. nach Neisser und Bechhold unempfind- 
lich. Zur Aussalzung eignet sich dagegen gut das (NH,), 80. 
(Hof meister), von welchem (nach Kraus, Levaditi, S. 639) 
bekannt ist [Porges, Liefmann!)], daß es Bakterien um so 
leichter ausfällen soll, je leichter diese agglutinierbar sind. Das 
wurde jedoch nur an Bakterien bestimmt, deren Agglutinierbar- 
keit durch Erwärmung geändert wurde, wobei normale, auf 80° 
und auf 100° erwärmte Kulturen verglichen wurden. 

l Wie verhalten sich nun bezüglich ihrer Aussalzbarkeit durch 

(NH,) SO, Bakterienstämme von verschiedener Agglutinabilität, 
welche durch Züchtung auf Immunserum oder auf anderen 
Nährböden geändert wurde? Die Fällbarkeit durch (NH,),SO, 
soll uns hier das Mittel sein, um den Gehalt an Schutzkolloid zu 
beurteilen. Wir vergessen dabei natürlich nicht, daß es sich 
nicht nur um eine Abnahme, sondern auch um qualitative Ände- 
rungen des Schutzkolloids bzw. der Bakteriensubstanz handeln 
kann. 

Unsere Methodik war dabei die folgende: Es wurde eine 
konzentrierte (NH,),SO,-Lösung hergestellt und davon die fol- 
genden Verdünnungen gemacht. Der Einfachheit halber wird in 
den Versuchsprotokollen nur die Nummer des Reagensrohres 
angegeben: 1) destilliertes Wasser 9 Teile und (NH,),SO, 1 Teil, 
2) 8:2, 3) 7:3, 4) 6: 5) 5:5, 6) 4: 7, 7)3:7, 8) 2:8, 
9) 1:9, 10) konz. (NH,),SO,. Das 10. Röhrchen wurde nicht 
immer aufgestellt. 

Zuerst wurden einige Stämme verschiedener Prove- 
nienz untersucht. Davon seien zwei mitgeteilt, in welchen sich 
das Resultat ergab, daß die aus dem Blut gezüchteten Bacillen, 
die inagglutinabel waren mit (NH,),SO, leicht ausgefällt wurden, 
während vom selben Individuum aus dem Stuhl gezüchtete besser 


1) Zeitschr. f. Bakt. u. Parasitenk. 202, 47. 1913; Münch. med. 
Wochenschr. 1417. 1913. 


90 | F. Verzär und-R. Beck: 


agglutinierbare Bacillen mit (NH,)SO, nicht fällbar waren 
(Versuch 9 u. 10). 


Versuch IX. Typhus Ka. VIII. 26. 


Herkunft Agglutination (NH,).SO,-Fällung 
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 
aus Blut negati 2 —— — — — —— 3 
aus Stuhl 1: 800 negativ. 
Versuch X. Typhus Ce VIII. 26. 
aus Blut negativy 2 — —— — +++ 
aus Stuhl 1: 100 negativ 


Ferner wurde bei 6 Typhusbacillen-Dauerausscheidern die aus dem 
Stuhl gezüchteten Stämme untersucht, alle waren sehr gut agglutinierbar. 


Versuch XI. Typhusstamm O. P. Q. R. S. T. 

Mit (NH.) SO, werden alle vom 5.—9. Röhrchen ausgefällt. Das Röhr- 
chen Nr. 10 wurde nicht aufgestellt. Bei Wiederholung bat gelegentlich 
sogar noch Röhrchen 4 Fällung gegeben. Alle waren also sehr leicht aus - 
fällbar. 

Es sollten dann durch längere Züchtung und tägliche Über- 
impfung auf gewöhnlichen Nähragar in ihrer Agglutinierbarkeit 
veränderte Stämme auf ihre Salzfällbarkeit untersucht werden. Hier- 
über berichtet Versuch 12—19 an 5 Typhus, 2 Paratyphus B und ein. 
Paratyphus A. Stamm. Diese Versuche sind in der Tabelle I zusammen- 
gestellt. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die Änderung der 
Agglutinierbarkeit nicht immer parallel mit der Fällbarkeit durch 
Salze geht, während man in anderen Fällen einen ziemlich genauen 
Parallelismus sieht. So nimmt z. B. in Versuch XIV die Agglu- 
tinierbarkeit am 1. XIII. ab, die Salzfällbarkeit dagegen zu, 
und erst später folgt dann auch eine Zunahme der Agglutinier- 
barkeit. Ähnlich in Versuch XVI, wo am 1. XIII. eine deutliche 
Zunahme der Salzfällbarkeit ohne Zunahme der Agglutinierbar- 
keit auftrat, welche erst später auch größer wurde. 


Bezüglich der Fällbarkeit durch das Salz herrscht ein Unterschied 
zwischen den Typhus- und Paratyphusbacillen. Letztere sind innerhalb 
eines viel größeren Konzentrationsbereiches fällbar. Typbusbacillen wer- 
den nicht oder nur feinflockig im 10. Röhrchen, maximal im 9. und 8. und 
gewöhnlich noch im 5. Röhrchen ausgefällt!). Paratyphusbacillen werden 
dagegen regelmäßig stark grobflockig im 10. und fast immer im 4., oft auch 
im 3., ja 2. Röhrchen ausgefällt. Dabei ist die Fällung in den meisten Röhr- 
chen viel gröber als bei Typhus. Porges und Lief mann (I. c.) haben für 


1) Ausnahme s. Vers. XXI bis zu Rohr 3 


Tabelle I. 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v, Bakterien usw. durch verschied.Verhältn. 91 


ei: + ++ + +I ++ | + e lL 
Seel EI +++ +++ +++ ttt +++ +++ +++ +++ +++ FEEF LEI 
ajoj +++ +++ tt ttt ttt +++ +++ ee HH HH HU HH HH 
ajel t+ ttt ttt t++ ttt +++ ++ +++ +++ ++ +++} HH ++ +++ +++ 
wol + +++ +++ ++ ++ +++ #1 #7 +++ +} +++ +F+ + +++ +++ 
Set + ++ ++ + +1 č ++ | + + ++ + ++ +1 +++ ++ 
Ze | | | l | l | +I |I | | | | 
( — Er | 1 | | | | | | | | 
Sjaj | | | l | | | | | | | | | 

| l | | | | | | | | | | | 

| | | | +++ _1| | | +I I ttt 3 | + 

SE? l | l +++ | l ++ +I | +++ | | ++ 

Es | | | | +++ +1 I +++ +i | +++ + | ++ 

el 1 | | | +++ +1 1 +++ +1 | +++ + | +++ 

el 1 | + | | +++ +I | +++ + | +++ + | +++ 
3 — | + +1 | +++ + | +++ #1 | +++ + + +44 
8 i ++ + | +++ + | +++ + | +++ ++ + +++ 

— + | ++ ++ + +++ ++ | +++ +1 + +++ +++4+ ++ 

“il +++ + +++ ++ + +++ ++ + +++ ++} ++ +++ +++ +++ +++ 

al +++ +++ +++ . +++ FHF] +++ t+ +++ +++ +++ +++ +++ 

N| t++ ttt ttt t+ +++ ttt_t+t + +++ + +++ +++ +++ +++ +++ 

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Versuch 
Nr 


92 F. Verzár und R. Beck: 


Tabelle I (Fortsetzung). 


Vana, Dat Widal 1 @HJ.SO.-Fällung 
£ Jatum - 7 — 
Nr. 1234560789 110111124 1 2034/5067 8910 
XVI (art GL SUA AA 
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XIX stil >| det, 
Paly P LH CH | dal 
13.1 e + 
| a 
117.1. — e ALL 


Salzfällung und L. Michaelis?) für die Säureagglutination such charakte- 
ristische Unterschiede zwischen diesen Gruppen gesehen. 

Die Versuche mit Paratyphusbacillen zeigten noch deutlicher, daß die 
Salzfällbarkeit sich unabhängig von der Agglutinierbarkeit ändert. In 
allen drei Versuchen (Vers. XVII, XVIII, XIX) nimmt im Laufe der Züch- 
tung die Salzfällbarkeit deutlich zu. Sie steigt in den beiden Paratyphus B. 
Versuchen vom 5.—3. bzw. vom 4.—2. Röhrchen. Demgegenüber nimmt die 
Agglutinabilität in Versuch XVIII ab und bleibt in Versuch XIX konstant 
gering. Dieser Versuch ist auch ein gutes Beispiel dafür, daß die Salzfäll- 
barkeit keinesfalls gleichwertig mit der Agglutinierbarkeit ist, denn der 
schwach agglutinable Stamm im Versuch XIX ist stärker fällbar als der gut 
agglutinierbare in Versuch XVIII. 

Aus allen diesen Versuchen geht demnach hervor, daß die Aggluti- 
nierbarkeit und die Salzfällbarkeit sich unabhängig voneinan- 
der ändern, allerdings oft auch parallelgehen. Sie können also nicht 
Folgen des Zustandes einer und derselben Substanz sein. 


1) Dtsch med. Wochenschr. 1915, S. 19. 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied. Verhältn. 93 


Es frug sich nun, wie sich die Fällbarkeit durch (NH,), SO, bei 
Stämmen verhält, die durch Züchtung auf Immunserum hypag- 
glutinabel wurden. Es war das, wie bereits einleitend bemerkt, deshalb 
von Interesse, weil sich vielleicht auf diese Weise Einblicke in die Ände- 
rungen des Schutzkolloids gewinnen ließen, dessen Verschwinden zuletzt 
die Spontanagglutination durch NaCl zur Folge hat. Auch hierbei zeigte 
sich eine vielfache Unabhängigkeit des Schutzkolloids von dem mit dem 
Agglutinin reagierenden Teil. 


Versuch XX. Typhus. Die im Versuch I gezüchteten Stämme: 
d) agglutiniert 1: 100 gibt (NH,),SO,-Fällung im Rohr 7, 8, 9 
1) er nicht Se o bw. r Ae SCH 

Versuch XXI. Typhus. Die in Versuch 3 in Serum gezüchteten 
Stämme. 
VIII. 28. aggl. 1: 10000 gibt (NH,),SO,-Fällung im Rohr 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 


b) » nicht „ „ „ „ „ nicht 

d) 2 5 „ 9 d „ * 4. 5, 6, T, 8, 9 
e) „ 1:20 „ e Se „ „ nicht 

f) „ nicht Pr 75 Ve „ „„ nicht 

g) ” en „ en s „ TI 52 5, 6, 7, 8, 9 
h) = nm d 55 25 TT „ 5 6, 7, 8, 9 


Versuch XXII. Typhus IX. 7. Züchtung in Agglutinin Trauben- 
zucker- Bouillon, tägliche Überimpfung. 

Am 10. IX. Uberimpfung auf Endoagar und mit der 18-stündigen 
Kultur am 11. IX.: 


a) gezüchtet in Serum 1:1 inagglutinabel (NH,),SO,- Fällung nicht 
b) Ss „ „„ 1:128 i j „ 45678 
c) a „ „  1:32768 Se H „8 

Aus diesen 3 Versuchen mit Typhusbacillen geht hervor, 
daß häufig ein Parallelismus zwischen Salzfällbarkeit und Agglu- 
tinierbarkeit besteht; so z. B. in Versuch XX zwischen Stamm d 
und f. Noch deutlicher ist das in Versuch XXI, wo der zuerst 
hochagglutinable Stamm ganz inagglutinabel wurde, wobei die 
zuerst sehr große Salzfällbarkeit ganz aufgehoben wird (Stämme 
b, e, f). 

Dagegen tritt im selben Versuch bei Stamm g und h (Züch- 
tung in sehr verdünntem Immunserum) ein Rückschlag auf 
und der Stamm wird stark salzfällbar, trotzdem er ganz inagglu- 
tinabel ist. Hier besteht auch ein Gegensatz zwischen Stamm e 
einerseits und Stamm g andererseits, indem e etwas agglutinier- 
barer aber ganz salzunfällbar ist, g, h dagegen umgekehrt. Hieraus 
folgt, daß Agglutinierbarkeit und Salzfällbarkeit nicht not- 
wendigerweise parallel gehen müssen. Ebenso zeigen sich Unter- 


94 | F. Verzär und R. Beck: 


schiede in Versuch XXII. Der Stamm ist in jeder Zucht inagglu 
tinabel, und trotzdem sind sie gegen Salzausfällung sehr ver- 
schieden empfindlich. 

Während wir oben zeigten, daß bei Typhusbacillen bei Züch- 
"tung in konzentriertem Immunserum die Agglutinierbarkeit 
sich nicht so stark vermindert wie in verdünnterem Serum, ist 
hier gerade im allgemeinen die Salzfällbarkeit um so größer, in 
je verdünnterem Immunserum gezüchtet wurde (Versuch XXI, 
XXII). Es ließ sich aber auch auf diese Weise nicht nach 
weisen, daß durch Züchtung in irgendwelcher Immunserumkon- 
zentration die Fällbarkeit gegenüber der Norm vermehrt würde. 

Versuch XXIII. Paratyphus B. 

Die in Versuch V in verschiedenen Serumkonzentrationen gezüchteten 
Kulturen a, b, c, d agglutinieren alle bis 1 : 3200 und zeigten Salzfällung im 
Röhrchen 5, 6, 7, 8, 9. 

Versuch XXIV. Paratyphus B. 

Die in Versuch VI gezüchteten Kulturen e f agglutinieren bis 1 : 10000 
und geben Salzfällung im Röhrchen 4, 5, 6, 7, 8, 9. 

Versuch XXV. Paratyphus B. 

Die in Versuch VII gezüchteten Kulturen. 

Am 28. VIII. normaler Stamm agglutiniert 1: 8000 Salzfällung 
3, 4, 5, 6, 7, 8, 9. 


Am 1. IX.: 
a) gezüchtet in Serum 1 : 1 agglut. 1: 1600 Salzfällung 5, 6, 7, 8, 9 
b) 5 „ „ 1: 128 „ 1: 24800 Së 5, 6, 7, 8, 9 
c) = „ „ 1:2048 „ 1: 24800 2 5, 6, 7, 8, 9 
Am 4. IX.: 
d) gezüchtet in Serum 1:1 agglut. nicht Salsfallung 5, 6, 7, 8, 9 
e) d 52 57 1: 1224 sm 55 5, 6, 7. 8, 9 
f) 3 „ „ 128192 dé js nicht 
g) 57 „ ` 1: 32768 „ 1: 400 55 ` 


Versuch XXVI. Paratyphus B. 
Die in Versuch VIII gezüchteten Kulturen. 
Der normale Stamm agglutiniert 1: 6400 Salzfällung 4, 5, 6, 7, 8, 9 
Stamm a) agglutiniert 1: 6400 Salzfällung 4, 5, 6, 7, 8, 9 
„ b) j5 1 : 1600 3 5,6,7,8,9 
„ 0) e 1 : 3200 ge 5, 6, 7, 8, 9. 


In diesen 4 Versuchen an Paratyphus-B-Bacillen ergibt 
sich vor allem auch eine Inkongruenz zwischen Agglutinier- 
barkeit und Salzfällbarkeit, was besonders in Versuch XXV 
deutlich ist, wo Stamm b und c agglutinierbarer wurden, während 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied.Verhältn. 95 


die Salzfällbarkeit abnahm. Noch auffallender ist das bei g. 
Sonst gibt es aber auch genug Beispiele für ein Parallelgehen 
der beiden Erscheinungen (s. Versuch XXIII und Versuch XXIV, 
ferner Versuch XXV, Stammkultur und Kultur a. 

Betrachtet man diese Resultate vom Standpunkt der Serum- 
konzentration in der gezüchtet wurde, so findet man, daß ebenso 
wie bezüglich der Agglutinierbarkeit die Verhältnisse hier gerade 
umgekehrt wie beim Typhusbacillus liegen. Dort sahen wir, 
daß die Salzfällbarkeit um so größer ist, in je verdünnterem 
Serum die Kultur erfolgte, hier dagegen wurde die Salzfällbarkeit 
in verdünntem Serum geringer, als in konzentriertem (Versuch f, 
g XXV). Die Agglutinierbarkeit verhielt sich gerade umgekehrt. 

Endlich sei hier noch ein Kontrollversuch erwähnt. 

Bei Kraus - Levaditi, S. 639, findet man die Bemerkung: 
„Sucht man die Ausflockungsgrenze nach Hofmeisters Methode 
mittels (NH,),SO, für verschiedene dichte Emulsionen zu er- 
‚mitteln, so findet man, daß die untere Ausflockungsgrenze mit 
zunehmender Verdünnung der Bakterienaufschwemmung steigt, 
während die obere Ausflockungsgrenze konstant bleibt, ein Ver- 
halten, wie es den Eiweißkörpern bei der Salzfällung zukommt.“ 

Um nun zu kontrollieren, inwiefern unsere Versuchsresultate 
möglicherweise dadurch beeinflußt wurden, daß die verwendeten 
Bakterienemulsionen eventuell nicht gleich konzentriert waren, 
wurde der folgende Kontrollversuch gemacht. Dabei sei zuerst 
bemerkt, daß bei den gewöhnlichen Kulturen immer ein Schräg- 
agarröhrchen mit 10 ccm destilliertem Wasser abgeschwämmt 
wurde, so daß Konzentrationsunterschiede nur dann möglich 
gewesen wären, wenn die Kultur verschieden üppig gewachsen 
wäre. Zum Kontrollversuch wurde eine Schrägagarkultur mit 
3ccm abgespült, dann aufs Doppelte und auf das Vierfache ver- 


Nur l, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 
Abgespült mit 3 com gibt Salzfällung i. Röhrohen —— — + ++ +++ 
S „ 6 a „ nm 55 57 VV 

99 12 29 ag Sp 99 L => FH + 


Hieraus folgt, daß selbst so große Konzentrationsunterschiede 
‚der Bacillen, wie sie in unseren Versuchen nie vorkamen, unter 
diesen Versuchsbedingungen das Resultat nicht beeinflussen. 
Nur in der konzentriertesten Lösung waren die beiden extremsten 
Werte deutlicher. Für unsere Methodik ist das bedeutungslos 


96 F. Verzär und R. Beck: 


Fassen wir das Resultat dieser Untersuchungen zusammen: 
Durch Züchtung in verschiedenst konzentriertem, 
agglutininhaltigem Bouillon und täglicher Überimpfung 
in solchen, gelang es niemals stärker agglutinierbare 
Typhus- oder Paratyphusstämme zu züchten. Eben- 
sowenig erfolgte spontane Agglutination oder vergrö- 
Berte sich auch die Empfindlichkeit gegenüber NaCl 
nicht und auch gegenüber (NH,) SO, entstand keine beson- 
dere Empfindlichkeit. 

Es folgt daraus, daß für das Auftreten von spontan 
agglutinierenden Stämmen, also solchen mit vermehrter 
Salzempfindlichkeit, der Gehalt des Nährbodens an Agglu- 
tinin keine Erklärung gibt. Wenn man auch früher gelegent- 
lich solche Beobachtungen machte, so kann es sich dabei doch 
kaum um einen ursächlichen Zusammenhang gehandelt haben. 

Immerhin ist es auffallend, daß spontan agglutinierende 
Stämme, wie es scheint, nur bei Rekonvaleszenten bzw. 
Dauerausscheidern gefunden werden, so daß es sich wohl 
doch um eine „Schädigung“ der Bacillen durch Wachstum auf 
immunem Nährboden handeln dürfte, wenn dies auch in keinem 
Zusammenhang mit dem Agglutiningehalt steht. 

In Übereinstimmung mit manchen früheren Autoren konnte 
nur eine Abnahme der Agglutinierbarkeit durch Züch- 
tung in Immunserum erreicht werden. Dabei zeigte sich, daß bei 
Typhusbacillen die Abnahme der Agglutinierbarkeit in konzen- 
triertem Immunserum geringer war als in verdünntem, bei Para- 
typhus-B-Bacillen dagegen umgekehrt besonders stark, wenn in 
konzentriertem Immunserum gezüchtet. | 

Diese Versuche zeigteneinenmannigfachen Unter- 
schied zwischen der Salzfällbarkeit durch (NH,),SO, 
und der Agglutinierbarkeit durch spezifisches Agglu- 
tinin. Man nahm bisher an, daß diese beiden Vorgänge parallel 
gehen auf Grund von Versuchen, in welchen die Agglutinierbar- 
keit der Bacillen durch verschiedenes Erwärmen verändert war. 
Wenn man, wie es hier geschehen ist, die Agglutinierbarkeit durch 
verschiedene Umzüchtung, Provenienz usw. ändert, so sieht man 
zwar auch häufig einen Parallelismus, aber ebenso häufig auch — 
und das ist hier das Wesentliche — auch einen mehr-weniger 
. großen Gegensatz zwischen der Salzfällbarkeit und der Agglu- 


Änderung. d. Aussalzbarkeit v. Bakterien usw. durch verschied. Verhältn. 97 


tinierbarkeit. Es gibt gut agglutinierbare Stämme, die keine Salz- 
fällung geben, und noch öfter hypagglutinable Stämme oder in- 
agglutinable, die sehr empfindlich für Salzausfällung sind.“) 

So gibt uns die Salzausfällung ein Mittel in die Hand, um 
über eine von der Agglutinierbarkeit unabhängige 
Eigenschaft der Bacillen ein Bild zu gewinnen. Es scheint uns 
theoretisch wichtig zu sein, daß auf Grund dieser Versuche das 
supponierte Schutzkolloid nicht identisch sein kann mit dem 
Körper, der mit dem Agglutinin reagiert, sonst würden sich 
beide nicht unabhängig voneinander ändern. Andererseits geht 
das auch schon aus der von einer von uns früher mitgeteilten 
Beobachtung hervor, nach welcher auch spontan agglutinierende 
Bakterien in entsprechend verdünnter Salzlösung durch Agglu- 
tinin ebenso ausgefällt werden, wie normale. Auch hieraus er- 
gibt sich, daß die Instabilität des spontan agglutinierenden Bak- 
terienkörpers unabhängig von der a mit dem 
Agglutinin aufgetreten war. 

Wenn man erkannt hat, daß die Verfolgung der Salzstabilität 
uns Aufklärung über bisher wenig studierte Eigenschaften des 
Bakteriums geben kann, so darf die Hoffnung ausgesprochen 
werden, daß es vielleicht gelingen wird, Beziehungen zwischen 
diesen und anderen biologischen Eigenschaften der Bakterien 
festzustellen. 

1) Anmerk. bei der Korrektur: In einer soeben erschienenen Arbeit, 
die uns im Original noch nicht zugänglich war, kommt Eisenberg 


zu ähnlichen Resultaten. (Zentralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. 83, 561; 
ef. Zentralbl. Bioch Bioph. XXII. 5. VL 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 7 
V 


Zur Frage des Nachweises der Permeabilitätsänderung 
| des Nerven bei Narkose und Erregung. 


Von 
Fritz Verzär. 


(Aus dem Institut für allgemeine Pathologie der Universität in Debreozen.) 
(Eingegangen am 6. April 1920.) 


Das Studium der Narkose ist deshalb so bedeutungsvoll 
geworden, weil es nicht nur das Narkoseproblem selbst, sondern 
besonders auch die Gesetze der physiologischen Stoffaufnahme 
in die Zelle und andererseits die bei dem Erregungsvorgang ab- 
laufenden Zustandsänderungen beleuchtet. 

Die Theorie der Narkose hat zwei voneinander unabhängige 
Fragen zu beantworten: l. auf Grund welcher Eigenschaften 
wird ein Narkoticum in die Zelle aufgenommen ? 2. Welche Än- 
derungen bewirkt es in der Zelle, die zur Aufhebung der Erreg- 
barkeit führen ? 

Auf die erste Frage antwortet die Lipoidtheorie oder Tra u bes 
Jaftdrucktheorie. Auf die zweite Frage — und nur diese be- 
schäftigt uns hier — haben andere Theorien zu antworten gesucht; 
vor allem die immer mehr verlassene Erstickungstheorie, dann 
die Theorie der Verdrängung von den Oberflächen, die nur wenig 
ausgebaute Theorie der Molekularverbindungen und vor allem 
die Permeabilitätstheorie. (Die Koagulationstheorie ist wohl nur 
als Ergänzung zu letzterer zu betrachten.) 


In dankenswerter Weise hat vor kurzem Winterstein!) unsere 
Kenntnisse über die Narkose und besonders auch über diese Theorien 
zusammengefaßt und kommt zu dem Resultat, daß auf Grund des 
vorliegenden Tatsachenmaterials der Mechanismus der Wirkung der 
Narkotica eine „Änderung der normalen Grenzflächenbeschaffenheit“, 
„eine reversible Verminderung der Durchgängigkeit“ (S. 277), also eine 
Permeabilitätsänderung ist. Man muß sich vorstellen, daß erstens gewisse Sub- 
stanzen auf Grund ihrer Oberflächenaktivität in die Zellen gelangen und 
zweitens dort den Erregungsvorgang dadurch hemmen, daß sie die physiologi- 


~ 


F. Verzár: Permeabilitätsänderung des Nerven. 99 


sche Permeabilität ändern, entweder durch Koagulation der Kolloide (Zu- 
standsänderung) in der Membran, oder durch Verdrängung der weniger 
oberflächenaktiven Substanzen von den Oberflächen. In beiden Fällen wird 
die Verteilung der Zellbestandteile geändert. Es ist klar, daß hier das 
Problem der Narkose uns auch Aufklärungen geben muß für das Problem 
der Erregung. Es ist ja eine allgemeine Methode aus der Hemmung eines 
Vorganges auf dessen Natur zu folgern. Deshalb lohnt es sich, die Beweise 
zu betrachten, auf Grund deren die Permeabilitätstheorie aufgebaut ist. 
An Hand von Wintersteins Buch?) kommen die folgenden Versuche in 
Betracht: 1. Der Versuch von Alcoc ks): Chloroform vermindert den Ruhe- 
strom der Froschhaut und der Nerven, besonders auch dann, wenn es nur 
auf den Längsschnitt wirkt. 2. Chiaris Versuche“): Beschleunigung der 
Autolyse der Leber durch Chloroformdämpfe, ebenso wie durch Zerspren- 
gung der Zellen. 3. Höber?) zeigt, daß die Salzruheströme des Muskels 
durch Narkotica abgeschwächt werden. 4. Lillie*): Pigmentaustritt aus 
Zellen von niederen Tieren bei Narkose; Hemmung der Cytolyse. 5. Le pesch- 
kin’): Verminderte Farbstoffspeicherung in Pflanzenzellen und Durch- 
gängigkeit für Salpeter unter dem Einfluß von Narkotica. 6. Osterhout“) 
fand eine reversible Verminderung der elektrischen Leitfähigkeit von La- 
minariascheiben, später aber eine irreversible Erhöhung. 7. Loeb?) bestimmt 
die Zeit, welche Funduluseier zum Schrumpfen in hypertonischen Salz- 
lösungen brauchen unter dem Einfluß von Narkotica. 8. Joelle) maß die 
Beeinflussung der Hämolyse im Rohrzucker; ebenso Katz!!). 9. Meilen. 
don!?) sah durch geringe Quantitäten von Narkotica den durch Nitrate be- 
dingten Austritt von Salzen aus Funduluseiern hemmen. 

Man muß Winterstein durchaus recht geben, wenn er gegen die 
Beweiskraft aller dieser Versuche gewichtige Einwände macht und zu 
manchem ließen sich noch neue hinzufügen. So gilt vor allem für die Ver- 
suche an Pflanzenzellen von Lepeschkin und Ousterhout, ebenso auch 
für die Versuche an Leberzellen von Chiari, roten Blutkörperchen (Joel, 
Katz), an Funduluseiern (McClendon, Lillie, Loeb) — wie das auch 
von Winterstein hervorgehoben wird — daß es nicht erwiesen ist, daß 
die beobachteten Veränderungen auch wirklich mit einer Narkose, einer 
reversiblen Aufhebung der Erregbarkeit, verbunden sind. Es bleiben 
dann noch die elektrophysiologischen Versuche von Alcock und Höber 
Gegen Alpock läßt sich einwenden, daß (abgesehen davon, daß er meist 
sehr hohe, sicher schädigende Konzentrationen verwendete) die Ab- 
nahme des Ruhestromes nur dann eine Permeabilitätsänderung beweist, 
wenn man als Ursache der Potentialdifferenz semipermeable Membranen 
annimmt. Also ist die Grundlage des Versuches hypothetisch. Das- 
selbe gilt für Höbers Versuch. | 

Wenn also Winterstein auf Grund dieser Versuche zu der Überzeu- 
gung gelangt, daß es neuer und beweisenderer Versuche bedarf, um die 
Permeabilitätsänderung in der Narkose zu beweisen, so stimme ich ihm 
ganz bei. Tatsächlich hat er 191613) gezeigt, daß bei Muskeln gleichzeitig 
mit der Aufhebung der Reizbarkeit, auch eine Verminderung der Salz- 
und Wasser-Permeabilität einhergeht. Dagegen wäre nur das einzuwenden. 


78 
í 


100 j F. Verzär: 


daß die natürlichen Wege der Wasserdiffusion von außen in das Innere der 
Muskelfasern führen, dagegen in Wintersteins Versuchen, in welchen 
dünne Muskeln als Membranen aufgespannt wurden, erfolgte die Diffusion 
des Wassers und der Salze für den Muskel von außen nach außen, also 
möglicherweise nur durch die Zwischensubstanz und nicht durch die 
Muskelfibrillen selbst. Jedenfalls ist aber auch dieser Versuch eine 
Stütze der Permeabilitätstheorie. 


I. 


Demgegenüber möchte ich die Aufmerksamkeit darauf lenken, 
daß ein alter physiologischer Versuch, welcher vor langer Zeit, 
unabhängig von den Problemen der Permeabilitäö ausgeführt 
wurde, meiner Ansicht nach ein guter, physikalisch-chemisch 
exakter Beweis dafür ist, daß sich bei der Narkose des Nerven 
seine Permeabilität ändert. Ich habe bereits 191310) in anderem 
Zusammenhange darauf hingewiesen. Es ist dies „die zuerst 
von Biedermann), dann auch von Waller!®), Boruttau?) 
und Alcock!) beobachtete Abnahme der Polarisierbarkeit des 
Nerven in der Narkose“. „Diese Tatsache, die ich bei vielfacher 
Wiederholung immer wieder bestätigt fand, scheint mir zum 
Verständnis der Nerventätigkeit wie der Theorie der Narkose 
von großer Bedeutung zu sein und verdient wohl viel mehr 
Beachtung als ihr bisher entgegengebracht wurde.“ (Arch. f. d. 
ges. Physiol. 152, 340. 1913.) 

Der Versuch ist der, daß man mittels unpolarisierbarer 
Elektroden durch einen Froschnerven einen konstanten elektri- 
schen Strom leitet und extrapolar den anelektrotonischen und kat- 
elektrotonischen Strom mißt. Läßt man nun in die feuchte Kam- 
mer einige wenige Blasen Äther oder Chloroform gelangen, so 
verschwindet der Polarisationsstrom. (Man kann übrigens auch 
intrapolar messen und dann bestimmen, daß der „scheinbare 
Widerstand‘ sich bei der Narkose ändert.) Dieser Versuch wurde 
seinerzeit deshalb ausgeführt, um zu zeigen, daß der Elektrotonus 
etwas mit dem Leben Zusammenhängendes sei. Biedermann 
hat auch auf diese Weise physiologischen und physikalischen 
Elektrotonus zu unterscheiden gesucht, und Alcock hat auch 
auf Grund der Polarisationsänderung auf Änderungen der Perme- 
abilität bei Narkose geschlossen 

Dieser Versuch ist nun fast eindeutig zur Erklärung der bei 
der Narkose entstehenden Änderungen. Er hat 1. den Vorteil, 


Permeabilitätsänderung des Nerven. 101 


daß er am Nerven ausführbar ist, wo sich mit Leichtigkeit kon- 
statieren läßt, daß gleichzeitig mit dem Verschwinden der Reiz- 
barkeit auch die Polarisationsströme fast ganz verschwinden. 
Es kann hier also gar kein Zweifel bestehen, daß die Erscheinung 
auf das Engste mit der Narkose in Zusammenhang steht; 2. hat 
er den Vorzug vor den anderen elektrophysiologischen Versuchen, 
daß er nicht, wie die anderen in dieser Fragestellung ausgeführten 
Versuche, vom Ruhestrom ausgeht, bezüglich dessen Ursachen 
man noch Hypothesen aufstellen kann, also nicht auf einer 
theoretischen Basis aufgebaut ist; 3. daß er nichts anderes als die 
Anwendung einer einfachen physikalisch-chemischen Methode 
ist, der Durchleitung eines konstanten elektrischen Stromes 
durch einen feuchten Leiter mit gleichzeitiger Messung der Strom- 
stärke. 
| Als Folge "dieser drei Vorzüge ist die Deutung dieses Ver- 
suchsresultates vom Standpunkt der Narkosetheorie einfach. 
Es zeigt sich, daß, wenn der Nerv narkotisiert wird, die Polarisier- 
barkeit abnimmt und insbesondere die extrapolaren Ströme fast 
ganz verschwinden. Da es sich um einen feuchten Leiter handelt, 
ist das auf zweierlei Weise möglich: a) entweder dadurch, daß 
sich die Zahl der Ionen, die durch den konstanten Strom beeinflußt 
werden, in der Narkose geändert hat. Es gibt keinen Versuch, 
-der uns einen Anhaltspunkt dafür geben könnte, daß in der Nar- 
kose die Zahl der Ionen sich momentan ändert 19). Wenn man 
diese Möglichkeit außer acht läßt, dann gibi es noch eine 
zweite Möglichkeit: b) Die Permeabilität jener Membran, an 
welcher die Polarisation stattfindet, welche die verschiedenen 
Ionen voneinander trennt, muß sich bei der Narkose ändern 
und dadurch ändert sich die Polarisierbarkeit, deren Ausdruck die 
kat- und anelektrotonischen Ströme sind. Dabei ist es ganz gleich 
ob man anstatt von einer trennenden Membran einfach von 
Grenzflächen verschiedener Phasen spricht, in denen die ver- 
schiedenen Ionen gelöst sind, oder von Grenzflächen, von denen 
sie verdrängt werden. In diesem Falle wird man sagen müssen, 
daß sich der Zustand einer Phase durch die Narkose geändert hat, 
wodurch sich auch die Verteilung der Ionen geändert haben muß, 
z. B. dadurch, daß die Löslichkeit oder Adsorbierbarkeit sich nun 
geändert haben muß. Ich glaube, daß man ganz gleich, ob man 
von Änderung einer Membran oder Phasengrenzflächen spricht, 


102 | F. Verzär 


nur verschiedene Ausdrücke für wesensgleiche Vorgänge benützt, 
denn das wesentliche ist, daß die Verteilung der Ionen sich durch 
die Narkose ändert und zwar so, daß die Polarisierbarkeit ver 
mindert wird 

| II. 

Ich habe auch auf eine andere Weise einen Beleg dafür 
zu liefern gesucht, daß sich in der Narkose die Permeabilität 
von Membranen im Nerven ändert. Doch hat dieser Versuch 
nicht den großen Vorteil des vorigen, daß auch seine Grundlagen 
eindeutig sind, denn er geht von der Membrantheorie der bio 
elektrischen Ströme aus (l. c. S. 30). 

Leitet man von zwei Stellen eines Froschnerven zum Galvano- 
meter und erwärmt oder kühlt dann die eine Ableitungsstelle, 
so findet man, daß zwischen beiden ein elektrischer Strom (Thermo- 
strom) entsteht. Dieser beträgt im Durchschnitt pro 1° C 8,1075 V 
Macht man diesen Versuch zuerst am normalen und dann am 
narkotisierten Nerven, so findet man, daß der Thermostrom in 
der Narkose größer wird. So wurde pro 1°C bei vier verschie- 
denen Nerven vor der Narkose 6, 1 bzw. 6, 2; 7,6; 18,5 und während 
der Narkose 7,6 bzw. 9,9; 8,8; 21,2 x 105 Volt pro 1° C gefunden. 
Die Thermoströme können mit der Annahme erklärt werden, 
daß die bioelektrischen Ströme Konzentrationsströme sind. 
[Siehe hierzu Bernstein?), Verzär?!), jedoch auch Pauli und 
Matula??), Bernstein®)]. Demgemäß könnte auch dieser Ver- 
such auf zweierlei Weise erklärt werden; entweder hat sich in der 
Narkose die Zahl der polarisierbaren Ionen geändert, oder hat sich 
die Permeabilität der Membranen geändert, an denen die Polari- 
sation sich abspielt. Nachdem kein Anhaltspunkt für die erste 
Möglichkeit besteht, bleibt als Erklärung nur die Annahme der 
Änderung der Permeabilität. So ist auch dieser Versuch eine Stütze 
der Permeabilitätstheorie 


III 


Dieser Teil des Narkoseproblems ist deshalb so wichtig, 
weil er uns Einblick gibt in die beim Erregungsvorgang vor sich 
gehenden Veränderungen. Dieselbe physikalisch- chemische Me- 
thode, welche zur Erkenntnis der Permeabilitätsänderung in der 
Narkose geführt hat, gibt auch Einblick in das Wesen des Er 
regungsvorganges. Ein alter Versuch von Bernstein lehrt, 


Permeabilitätsänderung des Nerven. 103 


daß die extrapolaren Ströme bei der Erregung abnehmen (1866). 
Der polarisierende Strom selbst zeigt eine positive Schwankung, 
er wird verstärkt (Grünhagen 1869, Hermann 1872). Wie ich 
bereits früher (l. c.) ausgeführt habe, kam bereits Hermann 
zu der Überzeugung, daß diese Versuche eine Abnahme der Pola- 
risierbarkeit in der Erregung beweisen. Es handelt sich also wieder 
um eine einfache physikalisch-chemische Methode. Durch einen 
feuchten Leiter (den Nerv) wird ein konstanter Strom geleitet. 
Der Leiter wird polarisiert und bei der Erregung nimmt die Polari- 
sation ab. Wieder — wie oben — sind zwei Erklärungen möglich. 
Entweder die Zahl der Ionen ändert sich, die durch den elektrischen 
Strom polarisiert werden, oder die Membran (bzw. Phase) ändert 
sich an der die Polarisation stattfindet. Kein zwingender Grund 
ist bisher für die Annahme vorhanden, daß bei der Erregung sich 
die Zahl der Ionen ändere (of. I. c.), i) so bleibt auch hier die mit der 
Membrantheorie übereinstimmende Annahme, daß es sich auch 
beim Erregungs vorgang um Anderungen der Permeabilität 
handeln dürfte. Diese Folgerung wurde bekanntlich schon 
vielfach gezogen, so besonders von Cre mer, Bernstein, Höber 
USW, 

Das wesentliche für die Narkosefrage scheint mir nun aber 
zu sein, daß sowohl bei der Erregung als bei der Narkose 
die Polarisierbarkeit des Nerven sich in gleichem Sinne 
ändert, nämlich abnimmt. In beiden Fällen wird die Membran 
also in gleichem Sinne verändert (Depolarisation ? Permea- 
bilitätsverminderung?). Man kommt so zu der überraschenden 

berzeugung, daß Erregung und Narkose bezüglich der 
Permeabilitätsänderu ng nicht antagonistische sondern 
wesensgleiche Vorgänge sind. Man ist gewöhnlich geneigt 
anzunehmen, daß die bei der Narkose entstehende Lipoidfällung 
bzw. die den Dispersionsgrad von Kolloiden ändernde Wirkung, 
der Erregung entgegenwirkt. Auf Grund der Polarisations- 
erscheinungen scheint aber das Gegenteil möglich zu sein. Man 
mrd sich vorstellen können, daß das Narkoticum denselben Vor- 
Sang hervorruft wie die Erregung. Der narkotisierte Nerv ge- 
Ste also deshalb nicht mehr in Erregung, weil derselbe Prozeß 
bereits durch das Narkoticum hervorgebracht wäre. Wenn die 


t 2) Besonders die thermodynamischen Überlegungen von H ill (Journ. 
er Physiol 43, 440) sprechen sehr dagegen. 


104 | | F. Verzär: 


Erregung wirkt, wie das Öffnen einer Tür, so kann in der Narkose 
das „Türöffnen“ deshalb nicht mehr zustande kommen, weil die 
Tür schon geöffnet ist, durch die identische Wirkung des Nar- 
koticums. 

Höber“) gelangte zu der Überzeugung, daß Erregung Locke- 
rung von Kolloiden sein müsse. Es war nun ein Widerspruch, 
daß die Narkotica nach den meisten Untersuchungen nicht um- 
gekehrt wirken, sondern auch durch Lockerung der Kolloide. 
Dieser Widerspruch verschwindet, wenn die Wirkung von beiden 
identisch ist. Es ist ferner klar, daB das Erregungsstadium der 
Narkose so leicht erklärbar ist. Es läßt sich, wenn man einen 
polarisierten Nerv narkotisiert, nicht beobachten, daß z. B. am 
Anfang der Narkose die Polarisationsströme stärker und erst 
später schwächer würden. 


Nachträglich sehe ich, daß Boruttau, Le S. 358, gelegentlich 
auch eine anfängliche Steigerung der elektrotonischen Ströme amı Anfang 
der Narkose, besonders mit Chloroform, gesehen hat. Sowohl das, wie 
die interessanten Beobachtungen Boruttaus über die Wirkung von 
Alkohol, das Verhalten der Erregungswelle, wie des kat- und anelektro- 
tonischen Stromes soll in dieser Richtung noch später verwertet werden. 


Also ein Erregungsstadium, das sich physikalisch-chemisch 
anders verhalten würde, als das Narkosestadium, fand man in 
diesen Versuchen nicht. Man müßte sich höchstens noch fragen, 
warum denn nicht jede Narkose auch am isolierten Nervmuskel- 
präparat mit einer Erregung beginnt. Das ist leicht verständlich, 
denn zur Erregung bedarf es auch einer gewissen Geschwindigkeit, 
mit der diese Änderung zustande kommt. Das relativ langsame 
Eindiffundieren des Narkoticums muß also durchaus nicht eine 
Erregung zur Folge haben. Später ist auch Winterstein (1916, 
1918) zu ähnlichen Gedanken gekommen, denn er schreibt über 
das Erregungsstadium der Narkose auf S. 274 und 275 seines 
Buches: „Man könnte sich wohl vorstellen, daß ein leichter 
Grad von Permeabilitätsverminderung nur die schwer perme- 
ierenden Ionen betrifft und so durch weitere Verlangsamung 
ihres Durchtrittes eine mit Erregbarkeitssteigerung verbundene 
Erhöhung des Oberflächenpotentials bewirkt, während eine noch 
weitergehende Permeabilitätsverminderung schließlich auch den 
leicht permeierenden Ionen den Weg versperrt und so das Poten- 
tial und die Erregbarkeit wieder abschwächt bzw. gänzlich 
beseitigt.‘ 


Permeabilitätsänderung des Nerven. 105 


Es scheint mir kaum möglich, aus den elektrophysiologischen 
Versuchen daraus zu folgetn, ob es sich um eine Vermehrung 
oder um eine Verminderung der Permeabilität handelt). Hierzu 
wird man anderwärtige Befunde verwerten müssen. 

Die Anwendung einer physikalisch-chemischen Methode, 
nämlich die Prüfung der Polarisierbarkeit des Nerven, wie sie 
bereits vor langer Zeit ausgeführt wurde, bringt also, angenommen 
die Zahl der fonen bleibe konstant, den Beweis, daß in der Nar- 
kose die Permeabilität von Membranen bzw. von Phasen im 
Nerven sich ändert. Bei Erregung scheinen dieselben Zustands- 
änderungen im Nerven vor sich zu gehen, so, daß der Erregungs- 
vorgang und die Narkose bezüglich ihrer Permeabilitätswirkung 
gleiche Änderungen bedingen dürften. Die Narkose würde also 
deshalb die Erregung verhindern, weil sie bereits selbst dieselben 
Zustandsänderungen bewirkt wie jene. 


Literatur. 


1) Die Narkose. Vieweg 1919. — ?) S. Winterstein, S. 258—269. — 
) Proc. Roy. Soc. 7%, 267; 78, 159. 1906. — *) Arch. f. experim. Pathol. 
u. Pharmakol. 60, 256. 1909; Münch. med. Wochenschr. 1577. 1909. — 
3) Arch. f. d. ges. Physiol. 120, 492. 1907. — ) Amer. journ. of physiol. 
24—37. — 7) Ber. d. Deutsch. bot. Ges. 29, 349. 1911. — 8) Science 37, 
111. 1913. — ) Diese Zeitschr. 47, 127. 1912. — 1°) Arch. f. d. ges. 
Physiol. 161, 5. 1915. — !!) Diese Zeitschr. 90, 153. 1918. — 12) Amer. 
joum. of physiol. 38. 1915. — 13) Diese Zeitschr. 75. 1916; 75 48. 
1916; Dtsch. med. Wochenschr. 14. 1916. — !*) Arch. f. d, ges. Physiol. 
152, 304. 1913. — 15) Elektrophysiologie S. 693—697. — 16) Animal 
Electricity 1897, S. 101—123. — 17) Arch. f. d. ges. Physiol. 68, 351—388. — 
18) L c. — 19) Winterstein hält allerdings bei der Kritik von Ouster- 
hout (S. 265) Derartiges für möglich. — 2°) Arch. f. d. ges. Physiol. 131 
589. 1910. — 21) Arch f. d. ges. ges. Physiol. 143, 252: 1911. — 29) Ebenda 
163, 355. 1915. — 2°) Ebenda 164, 102. 1916. — 20) Physikal. Chemie der 
Zelle. 3. Aufl. S. 490—491. — 25) Ebensowenig wie für die Aufhebung des 
Ruhestroms. S. Winterstein, S. 259. 


H 


Über Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler 
Kochsalzzufuhr. ` 


4 


Von 
H. Zuntz. 


(Aus dem pharmakologischen Institut der hamburgischen Universität 
[Allg. Krankenhaus St. Georgl.) 


(Eingegangen am 6. April 1920.) 
Mit 4 Abbildungen im Text. 


Wir werden im folgenden Untersuchungsbefunde mitteilen, 
die Aufschluß darüber geben, wie sich der Eiter und im Vergleich 
hiermit das Blutserum verhalten, wenn Kochsalz zugeführt 
oder aus der Nahrung entfernt wird. Diese Untersuchungen 
führten wir an Kranken mit eiternden Wunden aus. 

Wir gingen so vor, daß wir ein Gummidrainrohr in die Wunde 
einlegten. Das Drainrohr wurde mit Hilfe eines gläsernen Ansatz- 
stückes durch einen durchbohrten Korkstopfen mit einem gut 
graduierten, 10 cem fassenden Glasröhrchen verbunden. Zum 
Ausgleich mit der umgebenden Luft wurde der Korkstopfen 
an einer Seite leicht eingekerbt. Das Glasröhrchen wurde mit 
Heftpflaster an der Haut befestigt und die Wunde im übrigen 
trocken steril verbunden. In den späteren Versuchen haben wir 
den gesamten während einer bestimmten Zeit secernierten Eiter 
festgestellt, indem wir den Stickstoff in der Verbandsgaze be- 
stimmten und aus dem Eiter im Röhrchen und dem N in der Gaze 
die Gesamteitermenge in einfacher Weise berechneten. 


Beispiel einer Berechnung: 


Ges.-N. im Verbann aaa 684 mg 
Ges.-N. im Eiter in 1 cem des Röhrchenei ters 16,8 mg 
Gleichung: 1: 16,8 = : 684 (wenn x die Eitermenge im Verband ist) 
684: 16,8 = 40,8 = z. 
Also fanden sich 40,8 cem Eiter im Verband; zu dieser Summe wurde 
der Eiter des Röhrchens hinzuaddiert. 


H. Zuntz: Veränderungen d. Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 107 


Die Gaze wurde, bevor sie zum Versuch benutzt wurde, 
mit kaltem, dann mit heißem destillierten Wasser gewaschen 
und sterilisiert. Der im Verband befindliche Eiter wurde mit 
Kochsalzlösung, dann mit destilliertem Wasser im Schüttel- 
apparat ausgezogen, bis sämtliche Substanz entfernt und der 
Auszug klar war. Er wurde dann auf 2 Liter aufgefüllt. Im Aus- 
zug wurde der N nach Kjeldahl bestimmt. Probeversuche 
mit einer abgemessenen Menge Eiter von bekanntem N-Gehalt, 
der derartig vorbereiteter Gaze zugesetzt wurde, ergaben die 
ausreichende Genauigkeit der Methode. Wir konnten nicht jede 
beliebige Wunde zu den Versuchen benutzen, sondern die Wunden 
mußten von einer bestimmten Beschaffenheit sein. Erstens durften 
die Wunden nicht ganz oberflächlich liegen, sondern sie mußten 
in die Tiefe gehen, damit wir ein Drainrohr einlegen konnten. 
Außerdem durfte die eiternde Wundöffnung nicht sehr weit sein, 
da sonst ein zu geringer Prozentsatz des Eiters in das Röhrchen 
abgeflossen wäre. Andererseits durfte die Sekretion aus den 
Wunden nicht zu geringfügig sein, da wir ja eine gewisse Menge 
von mindestens einigen Kubikzentimetern zu den chemischen 
Untersuchungen nötig hatten. Daher konnten wir leider auch keine 
tuberkulösen Fisteleiterungen untersuchen, obwohl sie sich wegen 
ihres chronischen und gleichmäßigen Verlaufes sicherlich an und 
für sich sehr gut geeignet hätten. Wir hatten aber keine einzige 
tuberkulöse Fistel mit quantitativ ausreichender Sekretion zur 
Verfügung. In der Regel ließen wir die Glasröhrchen 24 Stunden 
liegen, bei reichlicher Eitersekretion manchmal kürzere Zeit. 
Die Blutentnahmen zur Blutuntersuchung nahmen wir meistens 
gleichzeitig mit der Auswechselung des Eiterröhrchens vor. 
Der Urin wurde stets während der Versuche gesammelt und auf 
seinen Kochsalzgehalt geprüft. Diese Kochsalzuntersuchungen 
konnten uns dann ausreichend darüber unterrichten, ob die ge- 
wünschte Kochsalzmenge sich wirklich im Stoffwechsel befand. 
Kochsalzzulagen wurden stets prompt ausgeschieden, wie es bei 
gesunden Nieren erwartet werden muß. Wir bestimmten den 
Kochsalzgehalt des Urins nach Volhard, den des Blutserums 
mittels der Bangschen Mikromethode. Der Eiweißgehalt wurde 
im Blut- und Eiterserum refraktrometrisch, der Rest-N nach der 
Bangschen Mikromethode gefunden. Die Bestimmung des 
Hämoglobins erfolgte nach Autenrieth stets mit demselben 


108 H. Zuntz: 


Keil. Es sei noch erwähnt, daß die Kranken die gewöhnliche 
Ernährung oder die übliche kochsalzarme Kost bekamen. Die 
Kranken durften, auch nach Kochsalzzulage, beliebig viel trinken. 


Die ersten vier Fälle, bei denen die gesamten Eitermengen noch nicht 
bestimmt wurden, waren zwei postoperative Bauchdeckenabscesse, eine 
inzidierte Parulis und ein inzidierter Bubo axillaris. Abb. 1 zeigt das 
Verhalten des Eiters in einem Falle von 
Bauchdeckeneiterung. Man erkennt, daß 
nach Kochsalzzulage (15 g) ein starkes 
Absinken des Eiterkörperchenvolumens 
eintritt, und zwar ist das Körperchen- 
volumen in dem Eiter, der in den ersten 
9½ Stunden sich in dem Röhrchen sam- 
melte, von 68% auf 47 %, in den nächsten 
14½ Stunden auf 20% abgesunken. Die 
prozentuale Eiweißmenge bleibt in der 
ersten Hälfte des Versuches konstant, um 
dann abzusinken, die prozentuale Kochsalzmenge fällt anfangs ab, um 
dann konstant zu bleiben. Nach 24 Stunden ist der Eiter also viel 
dünnflüssiger geworden und das Eiterserum enthält prozentual viel 
weniger Eiweiß und Kochsalz. Die bei Abnahme des Eiterröhrchens vor- 
genommenen Blutentnahmen ergaben folgende prozentuale Eiweißwerte: 
8,17%; 7,1%; 7,85%. Die entsprechenden Eiterwerte waren: 6,77%; 
6,77%; 6,44%. Stets war also der Eiweißgehalt des Blutes höher als der des 
Eiters. Der prozentuale Kochsalzgehalt war dagegen im Blute niedriger 
als im Eiter und schwankte nur wenig: 0,596% ; 0, 591%; 0, 600%. Die ent- 
sprechenden Werte im Eiter waren: 0,650% ; 0,615% ; 0, 617%. Die Hämo- 
globinwerte des Blutes wurden bei den ersten Versuchen nicht bestimmt. 
Abb. 2 (Fall von Bubo axillaris) zeigt uns einen länger durchgeführten 


27. Jon 


Abb. 2 Name: Lindhorst; Diagnose: Bubo axillaris. 


Körperchenvol.: NaCl% ¶ . Eiweß%: - - - - 


Versuch. Bei dem elfjährigen Kinde wurden nach der ersten Abnahme des 
Eiterröhrchens 10 g Kochsalz gegeben. Wir sehen hier wieder das starke 
Absinken des Körperchenvolumens nach der Kochsalzzulage. Bei nor- 


Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 109 


maler Kost ohne Kochsalzzulage steigt es in den nächsten 24 Stunden wie- 
der mäßig an. An den beiden folgenden Tagen erhielt das Kind kochsalz- 
arme Kost. Am ersten dieser Tage schied es noch 5,61 g, am zweiten nur 
2,93 g Kochsalz mit dem Urin aus. Das Körperchenvolumen des Eiters 
ging, wie aus der Kurve ersichtlich ist, zuerst wieder etwas herunter, dann 
aber stark in die Höhe. In der Kurve des prozentualen Eiweiß- und Koch- 
salzgehaltes läßt sich in diesem Falle kein Parallelismus weder untereinan- 
der noch mit der Kurve des Körperchenvolumens nachweisen. Zwei Blut- 
untersuchungen zeigten etwas höhere prozentuale Kochsalzwerte als im Eiter 
(0,557 und 0,567% gegen 0,536%, und 0,533%,), die Eiweißwerte waren bei 
der ersten Untersuchung niedriger, bei der zweiten etwas höher als im Eiter- 
serum (8,81%, und 8,28%, gegen 9,13%, und 7,85%). Klinisch handelte es 
sich um einen incidierten Bubo axillaris, der z. Zt. des Versuches noch keine 
Heilungstendenz zeigte, sondern später nochmals ausgekratzt werden mußte. 
Zwecks Raumersparnis sei von den beiden anderen Fällen keine Kurve ge- 
bracht. Auch bei diesen beiden Untersuchungen fand sich das Herabgehen 
des Körperchenvolumens nach Kochsalzzufuhr. In einem Falle (Bauch- 
deckeneiterung) sank das Körperchenvolumen in 2x24 Stunden — eine 
Eiterportion war verschüttet worden — von 58% auf 47%. Bei Fortlassen 
des Kochsalzes trat wieder langsame Eindickung des Eiters ein bis 62% 
Körperchenvolumen. In dem anderen Fall (Parulis) zeigte sich nach Koch- 
salzgabe in 24 Stunden ein rapider Sturz des Körperchenvolumens von 
74,1% auf 31,7%. Aus äußeren Gründen konnte dieser Fall nicht weiter 
untersucht werden. Hier ging auch die Eiweiß- und Kochsalzkonzentration 
im Eiter stark herunter (von 4,26%, auf 3,94%, (Eiweiß) und von 0,624% 
auf 0,474% (NaCl). In dem ersteren Fall fand sich ein anderes Verhalten, 
nämlich ein deutliches Gegenspiel des prozentualen Kochsalzgehaltes 
gegenüber der Flüssigkeitsmenge. Während des Abfallens des Körperchen- 
volumens stieg der Kochsalzgehalt an, um beim späteren Anstieg desselben 
abzusinken. Der Kochsalzgehalt des Blutes war hier stets niedriger als der 
im Eiter, der Eiweißgehalt teils gleich hoch, teils höher. Die beiden letzt- 
erwähnten Fälle heilten bald nach dem Versuche völlig aus. 

Die nächsten vier Fälle bringen, wie schon erwähnt, eine verbesserte 
Untersuchung, indem die Gesamteitermenge bestimmt wurde. Von zweien 
dieser Fälle bringen wir wieder Kurven, die die für diese Mitteilungen we- 
sentlichen Befunde veranschaulichen. Abb. 3 (S. 110) stammt von einer 
Frau mit schwerem Nackenkarbunkel. Zu Beginn der Untersuchung war der 
Eiter dickflüssig, das Eiterkörperchenvolumen betrug 76%. Wir gaben 
20 g Kochsalz mit dem Erfolg, daß am nächsten Morgen das Körperchen- 
volumen nur noch 39%, betrug. Eine abermalige Kochsalzgabe behielt die 
Kranke nicht bei sich, sondern erbrach nach knapp 2 Stunden einen großen 
Teil des Salzes. (Die Kochsalzausscheidung im Urin betrug an diesem Tage 
14,6 g, am Tag vorher 17,6 g.) Der Eiter dickte sich an diesem Tage wieder 
etwas ein, so daß das Körperchenvolumen 24 Stunden nach dieser ausge- 
brochenen Kochsalzgabe 47%, betrug. Am darauffolgenden Tage stieg es 
bei kochsalzarmer Kost auf 50%. Hier zeigte sich nun deutlich, daß es 
sich bei Abnahme des Körperchenvolumens nach Kochsalzzulage nicht 


110 en H. Zuntz: 


um eine geringere Eiterkörperchensekretion, sondern um eine Verdünnung 
des Eiters handelt. Die Gesamteitermenge, die aus dem N-Gehalte im Ver- 
band berechnet wurde, stieg am ersten Tage, als die große Kochsalzmenge 
in das Blut übertrat, von 42,5 ccm auf 109,3 com, während die absolute 
Menge von Eiterkörperchen sogar auch anstieg, aber in sehr viel geringerem 


a) Eiter P 
70 
60 830 
A0 
A EA 
Zu 3080 
2 7% 
Gesamteitermenge: 
Körperchenvol.: 


b Eier 42 60 
40 55 

a 50 

K J, 
e Je. 

&32 äis Sam Xass 

Ze J Ge 4 


Zar Ee 
8 
FFF 


Eiweiß% : —— — Eiweiß absol.: +++ + NaCci%: - - - - NaCl absol. 


c) Blut 
BO 72 20 06 70 


% TON 058967 
Se LsO 0,56 
Gg y“ J Nas ep 67 
Su Aq 8750 gs: Bag 
m 62 8700 05 835 
oo 60 60 Oe 32 
Blutmenge Eiweiß %: 


NaCl% : - - - - 
Eiweiß auf die Blutmenge ++ ++ NaCl auf die Blutmenge: -------------- 


Abb. . Name Giffey: Diagnose Nackenkarbunkel. 


Grade, nämlich von 32,5 ccm auf 42,5 com. Am folgenden Tage ging die 
Sekretion von Eiterkörperchen zurück, nämlich auf 24,1 ccm, die Serum- 
menge nahm nicht nur entsprechend, sondern noch stärker ab sie betrug 
noch 26,4 ccm. Es wurde schon erwähnt, daß das Kochsalz an diesem Tage 
wieder ausgebrochen wurde und wenn auch noch eine große Kochsalzmenge 
im Urin zur Ausscheidung kam, so handelte es sich wohl größtenteils um 
Kochsalz, das vom vorhergehenden Tage noch retiniert und in den ersten 
Stunden oder mindestens in der ersten Hälfte dieses Versuchstages ausge- 


Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 111 


schieden wurde. Das geht daraus hervor, daß die Kochsalzmenge im Ge- 
samtblut, aus dem Hb.-Gehalte des Blutes berechnet (s. Abb. 3 c), die 24Stun- 
den nach der ersten Kochsalzgabe sehr erheblich angestiegen war, am näch- 
sten Morgen wieder viel geringer war. Während der Eindickung des Eiters 
war also auch hier der Kochsalzgehalt des Blutes schon wieder niedriger 
geworden. Dabei ist bemerkenswert, daß die prozentuale Kochsalzmenge im 
Eiterserum (s. Abb. 3b) ständig von Anfang an herunter ging (bei der ersten 
Eiterentnahme 0,533%, dann 0, 5290; 0,515%; 0, 458%). Ebenso ging die 
Kochsalzmenge prozentual im Blute herunter als Zeichen dafür, daß die 
Kranke, die nach Kochsalzzufuhr starken Durst hatte und viel Flüssigkeit 
zu sich nahm, ihr Blut mehr verdünnte, als dem zugeführten Kochsalz 
entsprach. (Kochsalz im Blut: 0, 551%; 0, 514%; 0,504% ; 0, 491%; siehe 
Abb. 3). Die Eiweißmenge im Blut ging prozentual in den Tagen der 
Kochsalzzulage dauernd etwas in die Höhe (6, 66%; 6,77% ; 7, 060%), während 
die absoluten Mengen im Prinzip dieselben Veränderungen zeigten, wie die 
des Kochsalzes. 24 Stunden nach der ersten Kochsalzgabe fand sich eine 
ausgesprochene Hydrämie, gekennzeichnet durch das Absinken des Hb. 
von 61% auf 440%. Wie schon erwähnt, schlossen wir aus dem Hb.-Gehalte 
auf die Blutmenge, was zu größeren Fehlern kaum Veranlassung geben 
kenn, da wir uns nicht vorstellen können, daß die absolute Menge von 
roten Blutkörperchen, wenn keine pathologische Hämolyse vorliegt, in 
kurzer Zeit sich wesentlich verändern kann. In ähnlicher Weise wurde 
der Hb.-Gehalt auch von anderen Autoren (2. B. Magnus) benutzt. 

Es sei an dieser Stelle erwähnt, daß häufig aus einer prozentualen 
Eiweißzu- bzw. -abnahme auf höheren oder geringeren Flüssigkeitsgehalt 
des Blutes geschlossen wird (vgl. besonders die zusammenfassende Arbeit 
von Reis!) über Refraktometrie des Blutserums). Auch Veil?) schließt in 
einer kürzlich erschienenen Arbeit über intermediäre Veränderungen im 
Chlorstoffwechsel aus den prozentualen Eiweißwerten auf die Menge der 
Blutflüssigkeit. Unsere Befunde in diesem Falle, wo, wie erwähnt, während 
der Abnahme des Hb.-Gehaltes nicht nur keine Abnahme sondern sogar 
eine geringe Zunahme des prozentualen Eiweißgehaltes erfolgte, zwingen 
uns dazu, anzunehmen, daß Eiweißkonzentration und Flüssigkeitsmenge 
des Blutserums nicht in allen Fällen parallel gehen. Es sei noch darauf hin- 
gewiesen, daß das Blut stets in gleicher Weise aus der kurz gestauten Cubi- 
talvene zur selben Zeit nach dem Frühstück entnommen wurde, so daß die 
Blutwerte ohne Einschränkung miteinander verglichen werden können. 
In diesem Falle war anfänglich die Eiweißkonzentration niedrig, wohl schon 
pathologisch niedrig (6, 66%), aber auch in den folgenden Fällen mit völlig 
normaler Eiweißkonzentration findet sich teilweise dieses Fehlen der Ab- 
nahme der Eiweißkonzentration beim Heruntergehen des Hb.-Gehaltes 
(8. Abb.4 [S. 112], wo wir folgende Zahlen fanden: Hb. 80% ; 70, 40%; 64%, bei 
Eiweißwerten von 8, 17%; 8, 07%; 8,17%). Wir können also nur annehmen, 
daß die zum Blut hinzutretende Flüssigkeit eiweißhaltig, indem Falle Abb. 3 
Sogar eiweißreicher war als das Blutserum der vorhergehenden Untersuchung. 
Vielleicht werden systematische Untersuchungen, die Körpergewicht, Re- 
fraktometrie und Hb.-Gehalt berücksichtigen, eine Aufklärung darüber 


112 H. Zuntz: 


bringen, unter welchen Bedingungen das die Regel bildende Herabgehen 
des Eiweißgehaltes bei Blutverdünnung ausbleibt. 

Dieser Fall verlief klinisch ungünstig. Am letzten Versuchstage be- 
stand Fieber, es kam zu einer Sepsis mit maligner Endocarditis, die zum 
Tode führte. 

Die letzte Tabelle (4) stammt von einem Fall von inzidierter Mastitis, 
die auf dem Boden einer Scabies entstanden war. Das Körperchenvolumen 


IL 2. 3 4 5. 
éen | 8am JLëss | 9am \sam 
— hien hea) 

— 


Ro IW Ki 
sohn n 
waste 


Ei eig: Eiweiß absol.: ++++  NaCl%:---- Nac absol- 


e) Blut AO 42 40 
kr K* 85 N 2 
LS A 20 Jas x 
SM Le Ben 


am 4% d 4% au Zo 


Blutmenge EiwelßB% : NaCi%,: - - - - 
Eiweiß auf dle Blutmenge: +++ + NaC! auf die Blutmenge 


Abb. 4. Name: Dämel; Diagnose Mastitis. 


ging wie in allen früheren Fällen nach Kochsalzzufuhr herunter, und zwar 
von 71% auf 530%, und bei weiterer Kochsalzzulage an den nächsten Tagen 
auf 50% und 25%. Hier handelte es sich von Anfang an auch um ein Ge- 
ringerwerden der gesamten Eitermenge. Während am Tage nach der 
ersten Kochsalzgabe die Serummenge noch anstieg, die Eiterkörperchen- 
menge kleiner wurde, gingen am Schluß des Versuches sämtliche absolute 
Zahlen im Eiter rapide herunter. Es handelte sich hierbei um den Heilungs- 
vorgang, kurze Zeit nach Beendigung des Versuchs hörte die Eitersekretion 
vollständig auf, die Wunde schloß sich. Auch in diesem Falle kam es wie- 
der zu einer ausgesprochenen Hydrämie, die am letzten Versuchstage am 


9 
Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 113 


deutlichsten war. (Hb. zu Beginn 80%, am Ende des Versuches 64%). Die 
auf die Blutmenge berechneten Eiweiß- und Kochsalzwerte des Blutes 
nahmen deutlich zu. Dabei nahm der Kochsalzgehalt prozentual im Blut 
anfangs wieder deutlich ab und ähnlich verhielt sich der prozentuale Blut- 
eiweißgehalt. Auch die beiden anderen Fälle ließen die Eiterverdünnung 
nach Kochsalzzulage wieder deutlich erkennen. Bei dem einen derselben, 
einer Bauchdeckeneiterung, handelte es sich wieder um einen ausheilenden 
Fall. Zwei Tage nach Abschluß des Versuchs war die Eitersekretion schon 
völlig versiegt. Dementsprechend nahm während des Versuches die absolute 
Menge der Eiterkörperchen langsam ab. Sie betrug bei der ersten Unter- 
suchung 22,6 ccm; bei der zweiten 18,6 com; bei der dritten 16,5 ccm. Die 
zweite und dritte Untersuchung standen unter dem Einfluß von je 15 g 
peroraler NaCl-Gabe. Die prozentualen Werte der Eiterkörperchen — das 
Eiterkörperchenvolumen — betrug bei den drei Untersuchungen 76%, 
59%, 683%. Die absolute Serummenge stieg also trotz der Heilungstendenz 
der Wunde. Sie betrug am ersten Tage 7,2 com; am zweiten 13,0 ccm und 
am dritten noch immer mehr als am ersten, nämlich 9,8 ccm. Bei einer 
Fisteleiterung bei chronischer Osteomyelitis bildete sich auch wieder eine 
ausgesprochene Hydrämie aus, während die Blutverhältnisse des anderen 
Falles (Bauchdeckeneiterung) sich leider nicht beurteilen ließen, da ein 
Hb.-Wert verlorengegangen ist. Bei der Osteomyelitis sank der Hb.-Gehalt 
nach zweimaliger Kochsalzzufuhr von je 10 g von 61% auf 51, 5% in 48 Stun- 
den. Auch hier wieder fiel der prozentuale Eiweißgehalt des Blutserums 
nicht, sondern stieg ein wenig von 7,85%, auf 7,95%. i 
Folgendes können wir also als Ergebnis unserer Untersuchungen 
festhalten. Die im Eiterserum prozentual sich findenden Koch- 
salz- und Eiweißmengen zeigen zwar größere Schwankungen 
als die des Blutserums, doch finden sich niemals Werte, die wesent- 
lich von dem abweichen, was hie und da auch im normalen Blut 


gefunden wird. Die folgenden Zahlen veranschaulichen dies. 


Niedrigste prozentuale Eiweißmenge. 

a) im Blut: 6, 44% (Fall Giffe y); b) im Eiter 5,14%, (Fall G.). 
Höchste prozentuale Eiweiß menge: 

a) im Blut: 8,81% (Fall Lindhorst); b) im Eiter 9, 13% (Fall Lind- 


horst). | 
Niedrigste prozentuale Kochsalzmenge: 


a) im Blut 0,491% (Fall Giffey); b) im Eiter 0,415% (Fall Thiel). 
Höchste prozentuale Kochsalzmenge: | 
a) im Blut 0,60% (Fall Ramm); b) im Eiter 0,68%, (Fall Thiel). 
Bei ein und demselben Fall betragen die niedrigsten und höchsten 
Eiweißwerte: 
a) im Blut 6,77% und 8,07%, (Differenz von 1,3%, Fall Beck); b) im 
Eiter 6,12%, und 8,17%, (Differenz von 2,05%, Fall Thiel). 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 8 


114 H. Zuntz: 


Die entsprechenden Kochsalzwerte lauten: 
ai im Blut 0,491% und 0,551% (Differenz 0,06%, Fall Giffey); b) im 
Eiter 0, 522% und 0, 687% (Differenz 0, 165%, Fall Thiel). 

Die Zufuhr bzw. die Entziehung von Kochsalz ergab als 
augenfälligstes, völlig konstantes Zeichen ein Heruntergehen 
des Körperchenvolumens als Folge einer Eiterverdünnung bei 
Zufuhr von Kochsalz und eine Eindickung des Eiters, die aber 
mehrmals nicht bis zur anfänglichen Konzentration führte, bei 
Entziehung des Kochsalzüberschusses bzw. Einschränkung des 
Kochsalzes in der Nahrung. Seit den Untersuchungen von 
Cohnstein?) wissen wir, daß der Körper auf intravenöse Koch- 
salzzufuhr mit einer Blutverdünnung antwortet. Neuere Unter- 
suchungen [Veil2)] ergaben, daß bei kochsalzarmer Ernährung 
das Blut wasserärmer ist, als bei kochsalzreicher. Auch in unseren 
daraufhin untersuchten Fällen konnten wir, wie erwähnt, diese 
Hydrämie 24 Stunden nach der Kochsalzgabe aufs deutlichste 
nachweisen. Veil gab an, daß bei kochsalzarmer Ernährung 
der prozentuale Kochsalzgehalt des Blutserums niedriger liege, 
als bei kochsalzreicher Kost. In einigen Fällen sahen auch wir 
nach der Kochsalzzulage ein mäßiges Ansteigen des prozentualen 
Kochsalzgehaltes im Blut, doch fanden wir in anderen Fällen, 
wie es besonders bei Fall Giffey, Abb. 3, schon besprochen 
ist, daß 24 Stunden nach der Kochsalzzufuhr der NaCl-Gehalt 
im stark hydrämischen Blute niedriger war, als vor der Kochsalz- 
zulage. Als konstanter Befund ist aber festzuhalten, daß bei 
Eiterungen an ganz verschiedenen Körpergegenden bei Hydrämie 
auch im Eiterserum eine an Intensität wechselnde, aber stets 
deutliche Flüssigkeitsanreicherung auftritt. 

Bei intravenöser Kochsalzzufuhr tritt die Blutverdünnung 
sogleich ein [Cohnstein?)]. Wann die Verdünnung des Eiters 
eintritt, können wir nicht angeben, da wir keine Wunden mit so 
erheblicher Sekretion untersuchen konnten, um schon kurze Zeit 
nach der Kochsalzzufuhr genügend Eiter zur Verfügung zu haben. 
Doch ist aus den Versuchen (Abb. 1 und 2) deutlich zu ersehen, 
daß 9½ bzw. 10½ Stunden nach der Kochsalzgabe der Eiter 
schon erheblich verdünnt ist. Die Verdünnung nahm aber in dem 
Eiter, der in den nächsten 14!/), bzw. 13½ Stunden sezerniert, 
wurde, noch weiter zu. Alsdann begann der Eiter sich wieder 
einzudicken. Bei gesunden Nieren ist ja der größte Teil einer 


` 


Veränderungen der Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 115 


peroralen Kochsalzzulage von 10—20 g nach 24 Stunden wieder 
ausgeschwemmt. 

Wir können also sagen, daß das Kochsalz ebenso wie als 
Lymphagogon so auch als „Pyagogon“ wirkt. Wie weit wir im 
übrigen das Eiterserum der Lymphe gleichsetzen dürfen, wissen 
wir noch nicht. Die Eiterkörperchen jedenfalls wandern, wie wir 
seit Cohnheim*) wissen, aus den Gefäßen aus, um den Eiter- 
zu bilden. Des weiteren bilden sich dann Eiterkörperchen durch 
Teilung der ausgewanderten und Umbildung von festen Gewebs- 
zellen [Klemensiewicz®)]. Unbekannt ist aber im einzelnen, 
wie sich das Eiterserum bildet. Unsicher ist ja auch heute immer 
noch die Frage der Lymphbildung (Theorien von Ludwig, 
Heidenhain, Asher), völlig unsicher ist es auch beim Eiter- 
serum, ob wir für dessen Bildung die physikalische Lymphbildungs- 
theorie Ludwigs, die sekretorische Heidenhains oder die 
cellular-physiologische Ashers zugrunde legen sollen. Die prompte 
Wasserzunahme des Eiterserums bei Hydrämie scheint für physi- 
kalische Einflüsse, das wechselnde Verhalten des Eiweiß- und 
Kochsalzgehaltes für sekretorische Vorgänge zu sprechen. Doch 
reichen selbstverständlich die bisherigen Untersuchungen zur 

Entscheidung dieser Fragen keineswegs aus. Besonders muß ja 
bedacht werden, daß es sich bei den Blutuntersuchungen um 
Stichproben in einem bestimmten Augenblick handelt, während 
der Eiter stets aus der Absonderung längerer Perioden stammt. 
Sicherlich darf man auch annehmen, daß der Bakteriengehalt 
und der wohl großenteils hierdurch bedingte cytologische Befund 
des Eiters mancherlei Einfluß auf den Chemismus des Eiters 
haben. Wir untersuchten besonders in den letzten Versuchen 
auch bakteriologisch und cytologisch, doch reichen die Befunde 
nicht aus, um Gesetzmäßigkeiten daraus abzuleiten. Wir möchten 
nur kurz erwähnen, daß die Wunden stets durch verschiedene 
Keimarten infiziert waren, die in sehr wechselnder Zahl auftraten. 
Cytologisch handelte es sich stets um Eiter mit überwiegend 
polymorphkernigen Leukocyten, von denen manchmal nur ein- 
zelne manchmal die große Mehrzahl kaum noch erkennbare 
Kerne aufwies. Weitere Untersuchungen werden also nötig sein, 
um etwaige Zusammenhänge zwischen Chemismus einerseits 
und bakteriologisch-cytologischem Befund andererseits aufzu- 


Ch 


116 H. Zuntz: Veränderungen d.Eitersekretion bei peroraler NaCl-Zufuhr. 


Zusammenfassung. 


Bei eitrigen Prozessen wurde nach Kochsalzzufuhr eine Ver- 
mehrung der Menge des abgesonderten Eiters gefunden. Die 
Vermehrung beruhte im wesentlichen auf einer Vermehrung 
des Eiterserums. Das Körperchenvolumen nahm dementsprechend 
ab. Kochsalz wirkt also als Pyagogon. 


Literatur. 


1) Reiss, Die refraktometrische Blutuntersuchung und ihre Ergeb- 
nisse für die Physiologie und Pathologie des Menschen. Erg. d. inn. Med. 
u. Kinderheilk. 10. — 2) Veil, Diese Zeitschr. 91. — ) Cohnstein, Über 
die Einwirkung intravenöser Kochsalzinfussionen auf die Zusammensetzung 
von Blut und Lymphe. Arch. f. d. ges. Physiol. 59. — *) Cohn heim, Vor- 
lesungen über allg. Pathologie. — ®) Klemensiewicz, Entzündung und 
Eiterung. Jena 1893. 


Kohlensäuredruck oder Eiweißquellung als Ursache der 
Muskelkontraktion? | 


Von 
Leonhard Wacker. 


(Aus dem pathologischen Institut der Universität München.) 
(Eingegangen am 14. April 1920.) 


Maschinen, bei denen als Kraftquelle ein unter Druck stehen- 
des Gas dient, sind die Dampfmaschinen und die Gas- bzw. 
Benzin- oder Dieselmotore. Von den Dampfmaschinen, denen 
das Gas, d. i. gespannter Wasserdampf, bereits mit dem erforder- 
lichen Betriebsdruck zugeführt wird, unterscheiden sich die 
genannten Motore wesentlich, da bei ihnen der für die Arbeits- 
leistung notwendige Druck des Gases erst im Maschinenkörper 
selbst, also unmittelbar an der eigentlichen Wirkungsstelle er- 
zeugt wird, und zwar durch explosionsartige Verbrennung. Der 
Arbeits vorgang beruht darauf, daß die eintretende, außerordent- 
liche Gasvermehrung in einem abgeschlossenen, entsprechend 
klein bemessenen Raum stattfindet und sich daher als starke 
Drucksteigerung äußern muß. Zu einem Vergleich mit dieser 
Krafterzeugung regen gewisse biochemische Vorgänge an, von 
denen es außer Zweifel steht, daß Kohlensäure auch bei ihnen 
unter Druck frei wird, wenn sie sich in geschlossener Apparatur 
vollziehen. Es sind dies die Gärungsvorgänge. Bei der Wein- 
bereitung ist es ein alter Erfahrungssatz, daß für den Most nur 
offene Gärbottiche verwendet werden dürfen, weil bei geschlossenen 
Behältern sich der Kohlensäuredruck so erheblich steigern kann, 
daß selbst in Eisenreifen gehaltene Gebinde gesprengt werden. 

Es liegt daher nahe, eine ähnliche Bedeutung der bei der 
Muskelarbeit auftretenden Kohlensäure anzunehmen, mit der 
Einschränkung, daß die Kohlensäureproduktion im Organismus 
genau reguliert ist. Darauf weist auch die Tatsache hin, daß 


118 L. Wacker: 


der Gasaustausch durch die Lungen bei der Arbeit eine sehr 
starke Zunahme erfährt. So werden die Sauerstoffaufnahme und 
die Kohlensäureabgabe des Menschen bei Steigarbeit bis zum 
Siebenfachen des Ruhewertes erhöht!), d. h. es werden in der 
Minute bis zu 1300 cem Kohlensäure mehr abgegeben als in der 
Ruhe. Berücksichtigt man, daß diese Kohlensäure sehr wahr- 
scheinlich fast ausschließlich im contractilen Teil der beteiligten 
Muskeln, also in einem verhältnismäßig kleinen Raum erzeugt 
wird, so ist diese Menge gewiß als sehr ins Gewicht fallend an- 
zusprechen. Als weitere Folgerung drängt sich aber der Schluß 
auf, daß diese Kohlensäure unter Druck gebildet wird. Beim 
Studium der Atmungsvorgänge im Muskel?) selbst, gelangt man 
zu der Überzeugung, daß die Annahme eines Gasdruckes an den 
Bildungsstätten gerechtfertigt ist. Auch ist nur auf diese Weise 
ein Abströmen der Kohlensäure aus dem Muskel in das Blut 
erklärlich. Die chemischen Vorgänge hierbei sind folgende: 


Die durch Abbau der Kohlenhydrate, hauptsächlich dee 
Glykogens, entstandene Milchsäure wird im statu nascendi von 
den im Muskel vorhandenen alkalischen Salzen unter Bildung 
Kaliumlactat neutralisiert und liefert bei der Oxydation Kalium- 
bicarbonat. Dieses Bicarbonat befindet sich, da die Verbrennungs- 
vorgänge sich in den Zellen vollziehen, innerhalb der Muskel- 
fasern und zwar an der Bildungsstelle der Milchsäure. Die bei 
der Muskelaktion neu entstehende Milchsäure trifft also sofort 
mit Bicarbonat zusammen, wodurch Kohlensäure in Freiheit ge- 
setzt wird. Bei Verlegung dieses Prozesses in die als contractile 
Substanz geltenden Muskelfibrillen unter Annahme einer Bläs- 
. chenstruktur im Sinne Mc. Dougalls, muß notwendigerweise 
innerhalb dieser Bläschen (Muskelelemente) eine Drucksteigerung 
angenommen werden, die durch die gleichzeitige Zunahme des 
osmotischen Druckes infolge des Zerfalles hochmolekularer Kohlen- 
hydratverbindungen noch erhöht wird. 

Die vorstehend im Prinzip geschilderte Kohlensäuredruck- 


1) Vgl. A. Loewy, Handb. d. Biochemie d. Menschen u. d. Tiere A 
248. 1911; Landois Lehrbuch der Physiologie des Menschen, 14. Aufl. 
1916, II, S. 495. 

2) L. Wacker, Ein chemischer Kreisprozeß im arbeitenden Muskel 
und seine Beziehungen zur Gewebsatmung. Arch. f. d. ges. Physiol. 174, 
426. 1919. 


CO, Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 119 


theorie!) unterscheidet sich von den früheren Kontraktionslehren 
dadurch, daß sie dem Abbau der Milchsäure bis zur Kohlensäure 
Rechnung trägt, unter Berücksichtigung des Chemismus dieses 
Vorganges. In der Milchsäure sind noch 96°/, des Energievorrates 
des Glykogens?) vorhanden und schon aus diesem Grunde kann 
m. E. deren Schicksal bei der Aufstellung der Lehre über die 
Muskelkontraktion nicht vernachlässigt werden. 

Die Literaturangaben, daß die saure Reaktion des ermüdeten 
oder absterbenden (totenstarren) Muskels auf die Anwesenheit 
von freier Milchsäure zurückzuführen sei, sind nicht stichhaltig. 
Die Reaktion des Muskels ist vielmehr in allen Stadien amphoter, 
doch überwiegt im ermüdeten Zustand das Monokaliumphosphat 
gegenüber dem Dikaliumphosphat. Der Vorgang erklärt sich 
durch die direkte oder indirekte Einwirkung der Milchsäure bzw. 
Kohlensäure auf das im ruhenden Muskel reichlich vorhandene 
Dikaliumphosphat, wie aus den folgenden chemischen Gleichun- 
gen ersichtlich ist: 


KHCO, + CH,CHOHCOOH = CH,CHOHCOOK + H,CO, 
K,HPO, + CH,CHOHCOOH = CH,CHOHCOOK + KH,PO, 
K,HPO, + H,CO, = KHCO, + KH,PO,. 


Die irrtümliche Annahme des Vorhandenseins von freier 
Milchsäure im Muskel scheint auf die bei der Isolierung derselben 
aus Muskelextrakt zur Enteiweißung verwendeten Chemikalien 
(z. B. Sublimat und Salzsäure) s) zurückzuführen sein. Durch die 
Anwendung von Salzsäure wurde das vorhandene Kaliumlactat 
in Milchsäure und Chlorkalium zerlegt und dadurch der Anschein 
erweckt, als ob freie Milchsäure zugegen gewesen wäre. Dieser 
folgenschwere Irrtum ist in die ganze Muskelliteratur und in die 
Lehrbücher übergegangen, und höchst wahrscheinlich wäre eine 
sehr große Anzahl von arbeitsreichen Untersuchungen mit weit- 
gehenden Schlußfolgerungen unterblieben, wenn man sich der 
Tatsache bewußt gewesen wäre, daß der Organismus bestrebt ist, 


1) L. Wacker, Chemodynamische oder Kohlensäuretheorie der 
Muskelkontraktion. Arch. f. d. ges. Physiol. 168, 147. 1917; Berl. klin. 
Wochenschr. 1917, Nr. 7. 

2) L. Wacker, Zur Kenntnis der Totenstarre und der physiologischen 
Vorgänge im Muskel. Münch. med. Wochenschr. 1915, Nr. 26 u. 27. 

s) Vgl. Handb. d. biochem. Arbeitsmethoden Bd. V/2, S. 1258. 1912. 


120 L. Wacker: 


den neutralen Zustand der Gewebe zu erhalten!). Man kann sogar 
noch weiter gehen und behaupten, daß durch dieses Mißverständ- 
nis die ganze Muskelforschung auf ein falsches Geleise geschoben 
worden ist. 

Nach der Oberflächenspannungstheorie der Muskelkontrak- 
tion?) soll die freie Milchsäure zu einer Zustandsänderung der 
Oberfläche kleinster Teilchen führen, welche die Ursache der 
Muskelaktion bilden, während nach der Eiweißquellungstheorie?) 
die Fibrillen gleichfalls durch Milchsäure in einen Quellungs- 
zustand versetzt werden, wodurch letzten Endes die Kontraktion 
eingeleitet werden soll. Besonders diese Theorie hat wegen ihrer 
Berührungspunkte mit der Kolloidchemie eine eingehende Be- 
arbeitung gefunden. Wenn auch die Bedeutung dieses neuen 
Gebietes für das organische Leben nicht unterschätzt werden soll, 
so werden die Vertreter dieser Richtung doch die Ergebnisse 
anders gerichteter Forschung in wohlwollende Erwägung ziehen 
müssen, wenn man nicht früher oder später wieder auf dem 
Standpunkt des „Ignoramus“ angelangen will. Von diesen Ge- 
sichtspunkten aus habe ich es mit Rücksicht auf die Einwände 
Paulis und v. Fürths (a. a. O.) gegen die osmotische Theorie 
Mc. Dougalls und Zuntz’, sowie gegen die von mir aufgestellte 
Kohlensäuretheorie unternommen: 


I. Die Eiweißquellung durch Säure als Unterlage für eine Lehre 
der Muskelkontraktion kritisch zu prüfen, und habe die wichtigsten 
Argumente hiergegen in den folgenden Leitsätzen zusammengefaßt: 


1. Die Säure-Eiweißquellungstheorie berücksichtigt weder das 
Schicksal der bei der Muskelarbeit gebildeten Milchsäure, noch 
den Zweck anderer im Muskel anwesender Chemikalien. 


1) J. Henderson, Das Gleichgewicht zwischen Säuren und Basen 
im tierischen Organismus. Erg. d. Physiol. 8. Jahrg. S. 257. 1909. 

2) J. Bernstein, Experimentelles und Kritisches zur Theorie der 
Muskelkontraktion. Arch. f. d. ges. Physiol. 162, 52. 1915; Die Energie 
des Muskels als Oberflächenenergie. Jbid. 85, 271. 1901. 

3) W. Pauli, Kolloidchemie der Muskelkontraktion. Leipzig 1912, 
Steinkopf. O. v. Fürth, Die Kolloidchemie des Muskels und ihre Bezie- 
hungen zu den Problemen der Kontraktion und der Starre. Ergebn. d. 
Physiol. 17, Jahrg. S. 263. Siehe dort weitere Literatur. W. H. Stri et mann 
und M. H. Fischer, Über die Contractilität von Catgut und die Theorie der 
Muskelcontractilität. Zeitschr. f. Chemie u. Industrie d. Kolloide 10, 65. 1912. 


CO, Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion.e 121 


2. Eine Quellung des Eiweißes ist ausgeschlossen, weil die 
hierzu erforderliche Milchsäure im Augenblick des Entstehens 
neutralisiert wird. 

3. Die Erklärung der Restitution (Erschlaffung) bietet nach 
der Quellungstheorie Schwierigkeiten. 

4. Die anoxybiotische Muskelarbeit ist bei Annahme der 
oxydativen Beseitigung der Milchsäure unmöglich. 

5. Die zur Erholung des ermüdeten Muskels führende Re- 
generation der Alkalescenz ist nicht erklärlich. 

6. Die Ausnützung der dem Muskel zur Verfügung stehenden 
Energie ist nach der Quellungstheorie nicht ersichtlich. 

7. Quellungs- und Entquellungsvorgänge vollziehen sich viel 
zu langsam, um für eine Kontraktionstheorie in Frage zu kommen. 

1. Die Säure-Eiweißquellungstheorie berücksich- 
tigt weder das Schicksal der bei der Muskelarbeit ge- 
bildeten Milchsäure, noch den Zweck anderer, im Mus- 
kel anwesender Chemikalien. 

Die Milchsäure enthält noch den weitaus größten Teil der 
durch die Kohlenhydrate zur Verfügung stehenden Energie. Die 
Eiweißquellungstheorie vernachlässigt dies ganz, trotzdem damit 
zu rechnen war, daß die Erforschung des weiteren Abbaues bis 
zur Kohlensäure noch neue Gesichtspunkte über das Wesen der 
Muskelkontraktion zutage fördern konnte. Bemerkenswerte Fort- 
schritte über den biochemischen Abbau sind bereits gemacht. 
Wie im nächsten Kapitel bewiesen werden wird, tritt Neutrali- 
sation!) der Milchsäure ein. Wir wissen ferner: Das Endprodukt 
der Oxydation des entstandenen Lactats ist Alkalibicarbonat?). 

Die schönen Untersuchungen Neubergs?) über die zucker- 
freien Gärungen haben für die Salze der der Milchsäure nahe- 


1) W. N. Berg, The physico-chemical basis of striated muscle con- 
traction. Biochemical Bulletin 3, 177/187 (1914) Zit. nach v. Fürth. Die 
amerikanische Literatur war mir leider nicht zugänglich. L. Wacker, 
Ein chemischer Kreisprozeß im arbeitenden Muskel. a. a. O. ferner: Physi- 
kalische und chemische Vorgänge im überlebenden Muskel als Ursache der 
Totenstarre. Diese Zeitschr. 75, 116. 1916. 

2?) J. Liebig, Annalen der Chemie u. Pharmazie 50, 161. 1844. 
Nencki und Sieber, Journ. f. prakt. Chemie 26, 5. 1882. L. Wacker, 
Arch. f. d. ges. Physiol. 165, 455. 1916. 

3) C. Neuberg, Handbuch der Biochemie des Menschen und der Tiere, 
Zuckerumsatz der Zelle. Erg. Bd. 1913, S. 605. 


122 L. Wacker: 


stehenden Oxydationsstufe — der Brenztraubensäure — be- 
wiesen, daß auf fermentativem Weg Alkalibicarbonate als enzy- 
matische Spalt produkte entstehen können. Hieraus ergeben sich 
wichtige Anhaltspunkte über den Verlauf des stufenweisen Ab 
baues der Milchsäure im Muskel. Die Möglichkeit einer Entstehung 
von Alkalibicarbonat durch Spaltprozesse steht mit den Unter- 
lagen der Kohlensäuretheorie in bestem Einklang. 


Im Muskel befinden sich noch reichliche Mengen von Kalium- 
phosphat, Kaliumbicarbonat und Kaliumalbuminat, die neben der 
Neutralisation noch der Regulation der Kohlensäureabfuhr dienen. 
Die Quellungstheorie gibt über deren Zweck keinen Aufschluß. 
Die Anwesenheit von Kaliumalbuminat wird in dem Referate von 
v. Fürth (a. a. O. S. 447) in Abrede gestellt. Hierauf werde ich 
noch ausführlich zurückkommen. 


Die Bedeutung der reversiblen chemischen Prozesse zwischen 
Alkaliphosphaten und Alkalialbuminaten einerseits und Kohlen- 
säure und Alkalibicarbonat andererseits beim Transport der 
Kohlensäure im Blute ist bekannt 1). Da dieselben Salze im Pflan- 
zen- und Tierreich immer dort zu finden sind, wo Kohlensäure 
dissimiliert oder assimiliert wird, ist anzunehmen, daß sie auch 
im Kohlensäurestoffwechsel des Muskels eine hervorragende Rolle 
spielen. Durch die Wechselwirkung zwischen Kohlensäure und 
Dikaliumphosphat erklärt die Kohlensäuretheorie die Erschlaf- 
fung. 

2. Eine Quellung des Eiweißes ist ausgeschlossen, 
weil die hierzu erforderliche Milchsäureim Augenblick 
des Entstehens neutralisiert wird. 


In seinem verdienstvollen Referate unterzog sich v. Fürth 
(a. a. O.) der mühevollen Aufgabe, die umfangreiche Literatur 
über die Kolloidchemie des Muskels und die Studien über die 
Säurequellung zusammenzustellen und zu sichten. Obschon sich 
v. Fürth der Tatsache bewußt ist, welche Schwierigkeiten der 
Säurequellung als Unterlage für eine Kontraktionstheorie durch 
die unwiderlegbaren Beweise für die Neutralisation der Milch- 


1) Vgl. Abderhalden, Lehrbuch d. physiol. Chemie, 3. Aufl. 2, 971. 
1914. L. Wacker, Die Kohlensäure des Muskels und ihre Beziehungen 
zur Entstehung und Lösung der Totenstarre. Arch. f. d. ges. Baer 165, 
461. 1916. 


CO,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 123 


säure!) einerseits und die Messungen der geringen Zunahme der 
H-Ionen im Muskel?) andererseits erwachsen, sucht er sie dennoch 
auf eine neue Basis zu stellen, und empfiehlt dieselbe als Arbeits- 
hypothese. In einem besonderen Kapitel (a. a. O. S. 403) be- 
spricht er die physikalisch- chemischen Vorbedingungen zur Bil- 
dung von Säureproteinen unter Anerkennung der Berechtigung 
der Einwände Bergs (a. a. O.), wonach eine Anhäufung von 
Milchsäure im Muskel wegen der Anwesenheit von „Puffer- 
verbindungen“ (Phosphaten, Carbonaten, Albuminaten) unwahr- 
scheinlich ist. Die Gründe, die ihn trotzdem veranlassen, die 
Möglichkeit einer Bildung von Säureproteinen das Wort zu reden, 
sind m. E. nicht überzeugend und lassen eine andere Deutung zu, 
wie die folgenden Ausführungen beweisen: 

Die Zunahme der H-Ionenkonzentration bei der Muskel- 
tätigkeit ist so gering, daß sie durch die Produktion von Kohlen- 
säure und. Monokaliumphosphat erklärlich wird. (Pechstein 
a.a. O., v. Fürth a. a. O. S. 393 und 404). Eigene eingehende 
Versuche (a. a. O.) durch fortlaufende Titration des Kochextraktes. 
des frischen und totenstarren Muskels lehrten, daß keine Spur 
freier Säure auftritt, weil die Summe von Alkalescenz plus Acidität 
in allen Stadien eine konstante Zahl ist, woraus mit Sicherheit auf 
eine Neutralisation der Milchsäure durch Bicarbonat bzw. das 
Dikaliumphosphat geschlossen werden muß. Nach Bottazzi und 
d'Agosti nos) verursacht Milchsäurezugabe in dem physiologisch 
in Betracht kommendem Ausmaße zum Muskelpreßsaft eine 
mächtige Säurequellung. Diese Angabe sucht v. Fürth als Stütze 
für seine Anschauung heranzuziehen, mit der Begründung, daß 
die Puffersalze nicht neutralisierend gewirkt hätten. Die Ver- 


1) J. Henderson (1909) und W. N. Berg (1914) a. a. O. L. Wacker, 
Münch. med. Wochenschr. 1915, a. a. O. L. Wacker, Anoxybiotische Vor- 
gänge im Muskel (Kohlensäureentbindung und Wärmebildung als Begleit- 
erscheinungen eines Neutralisationsprozesses im arbeitenden und über- 
lebenden Muskel). Arch. f. d. ges. Physiol. 163, 491. 1916. A. v. Tschmer- 
mack, Allg. Physiol. I, 154. 1916. l 

2) H. Pechstein, Die Reaktion des ruhenden und arbeitenden Frosch- 
muskels. Diese Zeitschr. 68, 140. 1914. J. Goldberger, Über die Änderung 
der H-Ionenkonzentr. während der Arbeit. Diese Zeitschr. 84, 200. 1917. 
Weitere Literatur siehe bei v. Fürth, a. a. O. S. 404. 

23) F. Bottazzi und E. d’Agostino, Atti R. Accad. dei Lincei 1913, 
22. 2. Sem. S. 183 (zit. nach v. Fürth). 


124 L. Wacker: 


suchsanordnung der beiden Autoren würde aber nur dann beweis- 
kräftig sein, wenn der Preßsaft vorher neutralisiert worden wäre, 
denn schon durch die Operation des Auspressens bildet sich Milch- 
säure in solchem Umfang, daß ein solcher Preßsuft nicht über die 
Verhältnisse des intakten Gewebes zu orientieren vermag. (v. Fürth 
a. a. O. S. 392). Durch die reichliche Milchsäureneubildung 
wurden natürlich die Puffersalze aufgebraucht, und es kann 
dann nicht überraschen, wenn ein nochmaliger Säurezusatz 
Quellungserscheinungen hervorruft. Die Quellungen sind also 
unter Verhältnissen erzeugt worden, wie sie im Muskel nie auf- 
treten. 

Weiter vertritt v. Fürth den Standpunkt, daß die Muskel- 
eiweißkörper trotz der Anwesenheit der Puffersalze mit der Milch- 
säure Verbindungen eingehen können. Dies ist schon aus dem 
Grunde unwahrscheinlich, weil Myosin und Myogen Globulin- 
charakter haben und an sich schwach sauer sind. Es wird sich 
daher keine Säure mit einer anderen Säure verbinden, besonders 
wenn noch Bicarbonat und Dikaliumphosphat in ausreichender 
Menge vorhanden sind. Dieser Fall ist ein lehrreiches Beispiel 
dafür, zu welchen Konsequenzen es führt, wenn man die chemi- 
schen Prozesse der Theorie anpassen will. Pauli (a. a. O. S. 18) 
sowie v. Fürth (a. a. O. S. 554) vertreten den Standpunkt, daß 
die Erschlaffung des Muskels durch Neutralisation der Milchsäure 
erfolgen kann. Die gleiche Milchsäure soll also behufs Auslösung 
von Quellungserscheinungen der Neutralisation durch die Puffer- 
salze entgangen sein, um im nächsten Augenblick, behufs Ein- 
leitung der Restitution durch dieselben Salze, unwirksam gemacht 
zu werden. 

Ein anderer Punkt, der v. Fürth veranlaßte, die Quellungs- 
theorie als Arbeitshypothese zu empfehlen, bildete eine Beobach- 
tung Mondscheins!), wonach ein Drittel der Milchsäure im 
Muskel so fest verankert ist, daß sie durch Auskochen mit Wasser 
nicht extrahiert werden kann. Zur Isolierung muß man den 
Muskel mit 10 proz. Natronlauge kochen, d. h. die Eiweißkörper 
zerstören. Über den Ursprung der auf diese Weise gewonnenen 
Milchsäure kann man verschiedener Meinung sein, auf alle Fälle 
handelt es sich aber um keine reversible Eiweiß-Milchsäure- 


1) J. Mondschein, Quantitative Bestimmung der Milchsäure bei 
Gegenwart von Eiweißkörpern. Diese Zeitschr. 42, 105. 1912. 


CO,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 125 


verbindung, wie sie zur Erklärung der Kontraktionserscheinungen 
einschließlich Restitution in erster Linie notwendig wäre. 

Als letzten Beweis für seine Auffassung zieht v. Fürth von 
ihm in Gemeinschaft mit Lenk!) durchgeführte Quellungsver- 
suche heran, bei denen sie Gelatine mit verschiedenen Salzen, 
unter anderem mit Trikaliumphosphat, imprägniert haben und 
ein Ausbleiben der Wasseraufnahme beim Einlegen in Säure er- 
warteten. Sie fanden aber, daß die so behandelte Gelatine stärker 
quillt als reine Gelatine und schließen daraus, daß die Phosphate 
die Quellung unterstützen. Bei dieser Versuchsanordnung wurde 
aber in dem Trikaliumphosphat ein stark basisches Salz gewählt, 
das im Muskel nicht vorkommt und an sich dieser basischen 
Eigenschaften wegen zu einer Hydratation führen muß. Beim 
Einlegen in Säure wird das in den äußeren Partien der Gelatine 
befindliche Phosphat neutralisiert und ausgelaugt, und der Säure- 
überschuß kann sogar eine Säurequellung hervorrufen, während 
im Innern der Gelatinewürfel eine Alkaliquellung bestehen kann. 
Auf diese Weise ließen sich diese Befunde erklären, aber selbst, 
wenn das nicht der Fall wäre, so liegen die Verhältnisse im Muskel 
doch verschieden, weil überhaupt keine freie Säure vorhanden ist. 

Es ergibt sich also hieraus, daß nicht nur alle Be- 
dingungen zur Einleitung einer Säure-Eiweißquellung 
fehlen, sondern daß der Organismus sogar Abwehr- 
maßregeln in den Puffersystemen geschaffen hat, um 
die Quellung zu verhindern. 

Theorien über das Zustandekommen der Muskel- 
kontraktion und der Totenstarre auf dieser Basis 
werden sich daher auf die Dauer nicht halten können. 

3. Die Erklärung des Restitutionsvorganges (Er- 
schlaffung) bietet nach der Quellungstheorie Schwie- 
rig keite n. 

Wie wir im vorangehenden Abschnitt gesehen haben, ist es 
unmöglich, sich vorzustellen, wie in Anwesenheit der Puffer- 
verbindungen Säurequellungen zustande kommen sollen, die zur 
Kontraktion des Muskels führen. Diese Schwierigkeiten ver- 
mehren sich, wenn man sich über die Einleitung der Dehydratation 
der Eiweißkörper, welche der Erschlaffung vorangehen muß, 
durch die Beseitigung der Milchsäure ein Bild zu machen sucht. 

1) v. Fürth und Lenk, Diese Zeitschr. 33, 356. 1911. 


126 L. Wacker: 


Der plausibelste Vorgang wäre deren Neutralisation, aber da 
erhebt sich sofort die Frage, warum dies nicht schon im statu 
nascendi der Säure geschieht ? Bei sofortiger Neutralisation wäre 
natürlich die Quellung ausgeschlossen. Der oxydativen Beseitigung 
stehen vom rein chemischen Standpunkt Bedenken entgegen, 
denn die Erfahrung lehrt, daß die Salze organischer Säuren im 
alkalischen Medium der Oxydation am leichtesten zugänglich 
sind. Der wichtigste Einwand liegt aber darin, daß die Oxydation 
die anoxybiotische Muskelarbeit nicht erklärt (v. Fürth a a O. 
S. 554). Die Annahme der Beseitigung der Milchsäure durch 
Überführung in eine ihrer Vorstufe ist chemisch nicht begründet 
und hat daher nur heuristischen Wert. Sie bringt uns dem Ziele 
nicht näher, weil wir im ermüdeten oder absterbenden Muskel 
nur eine Anhäufung von milchsaurem Kalium finden. Die Be- 
seitigung der Milchsäure aus dem säuregequollenen Eiweiß 
durch Neutralsalze stößt auch auf unüberwindliche Schwierig- 
keiten, denn diese Salze müßten schon während der Kontrak- 
tion anwesend sein und also eigentlich die Quellung verhin- 
dern. Ferner sind die Kaliumsalze fast ausschließlich als Phos- 
phate zugegen und würden entsprechend der Beweisführung 
v. Fürth und Lenks an Gelatinewürfeln (siehe den vor- 
angegangenen Abschnitt) die Entquellung gar nicht einleiten 
können. 

4. Die anoxybiotische Muskelarbeit ist bei An- 
nahme der oxydativen Beseitigung der Milchsäure 
unmöglich. 

Die Paulische Formulierung der Erschlaffung des Muskels 
durch oxydative Beseitigung der Milchsäure erklärt zwar theo- 
retisch die Möglichkeit der Restitution, sie verschafft aber keine 
Vorstellung über die anoxybiotische Muskelarbeit bei vorüber- 
gehender starker Beanspruchung bei höheren Tieren sowohl wie 
bei der Anoxybiose der Ascariden und Taenien. 

Nach der Kohlensäuretheorie ist eine anoxybiotische Muskel- 
arbeit möglich, so lange der Vorrat an alkalischen Salzen, die 
zum Teil aus dem Blut ergänzt werden können, reicht. Anoxy- 
biotisch lebende Individuen wie Taenien und Ascariden, können 
die Alkalescenz aus dem Organismus (Darm) des Wirtes ergänzen 
und sind daher vollständig unabhängig von deren Regeneration 
durch Sauerstoff. 


CO,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 127 


5. Die zur Erholung des ermüdeten Muskels führende 
Regeneration der Alkalescenz ist nicht er klärlich. 

Im erholten, ruhenden Muskel herrscht Dikaliumphosphat 
vor, während sich im ermüdeten Monokaliumphosphat neben 
Kaliumlactat als Ermüdungsstoffe befinden. Dikaliumphosphat 
ist alkalisch, Monokaliumphosphat dagegen sauer. Die Annahme 
von freier Milchsäure im ermüdeten Muskel ist irrig. Bei der 
Erholung stellt sich unter Sauerstoffaufnahme der alte Zustand 
wieder her, der Muskel wird wieder alkalisch, d. h. es regeneriert 
sich Dikaliumphosphat, während das Kaliumlactat verschwindet. 
Es frägt sich also, woher dieser Gewinn an Alkalescenz kommt, 
und durch welche chemischen Prozesse er hervorgerufen wird? 
Auf die Dauer und ohne Regeneration kann die Alkalescenz aus 
dem Blute auch nicht bezogen werden, weil dieses dann selbst 
an diesen Stoffen verarmen müßte. Die Quellungstheorie gibt 
darüber keinen Aufschluß. Eine Erklärung hiefür liefert die 
Kohlensäuretheorie. Sie lehrt, daß die Regeneration durch Oxy- 
dation des Lactats zu Bicarbonat erfolgt und daß die Wechsel- 
wirkung zwischen Dikaliumphosphat und Kohlensäure, bzw. 
Monokaliumphosphat und Kaliumbicarbonat ein reversibler che- 
mischer Prozeß ist (cf. Fußnoten S. 118 Nr. 2, S. 119 Nr. 1 u. 
2, S. 122 Nr. 1, S. 123 Nr. 1). 

6. Die Ausnützung der dem Muskel zur Verfügung 
stehenden Energie ist nach der Quellungstheorie nicht 
ersichtlich. 

Die Einwirkung verdünnter Säuren auf Leimgallerten ist ein 
exothermischer Prozeß (v. Fürth a. a. O. S. 399). Bei Erzeugung 
des Quellungsdruckes durch Einwirkung der supponierten freien 
Milchsäure auf die Eiweißkörper des Muskels wird neben der zu 
leistenden Arbeit noch Wärme produziert (v. Fürth a. a. O. 
S. 502/503), die nicht aus dem Energievorrat des Muskels stammt. 
Zur Kontraktion wird also nur die Energiemenge beansprucht, 
die zum hydrolytischen Abbau des Glykogens zur Milchsäure 
nötig ist, und diese beträgt nur etwa 4%, der Gesamtenergie des 
Glykogens. Osmotische Kräfte und andere durch den anoxy- 
biotischen Abbau verfügbare Energie, oder die durch Verbrennung 
der Milchsäure freiwerdende Wärme werden zur Kontraktion 
nicht benötigt. (Paulia. a. O. S. 18.) Der größte Energieaufwand 
muß nach Pa uli im Gegensatz zu allen bisherigen Vorstellungen 


128 L. Wacker: 


auf die Restitutionsvorgänge, also auf die Herstellung des mecha- 
nischen Ausgangspotentials im Muskel entfallen. Dem Muskel 
muß demnach zur Einleitung der Entquellung (Dehydratation) 
Wärme zugeführt werden, und zwar muß diese der geleisteten 
Arbeit äquivalent sein und ferner noch die beim Quellungsproze B 
als solche frei gewordene Wärme ersetzen. Die Restitution 
wäre daher ein thermodynamischer Prozeß, während 
die Kontraktion als chemodynamischer Vorgang be- 
zeichnet werden kann. Da aber eine Kontraktion ohne 
Restitution nicht denkbar ist, muß die Arbeitsleistung 
nach der Quellungstheorie als ein ther mod yna mischer 
Vorgang angesehen werden, denn die verfügbare Ener- 
gie kommt nur auf diesem Wege zur Geltung. 

Die Anhänger der Quellungstheorie stehen somit vor dem 
Problem, den Beweis zu erbringen, ob die Einwände Fic ks gegen 
die thermodynamische Theorie Engel manns nicht auch in 
diesem Fall Geltung besitzen. (Vgl. dazu v. Fürth, a. a. O. 
S. 538.) 

Pauli (a. a. O. S. 18) schreibt mit Recht über die Energie- 
verwertung nach der Quellungstheorie: „Bei Zucker als Energie- 
quelle würde nur etwa ½ seiner Verbrennungswärme auf die 
Kontraktion, der Rest auf die Erschlaffung verwendet werden. 
Wir haben lange gezögert, mit dieser auf den ersten Blick paradox 
erscheinenden Ansicht hervorzutreten.“ Woraus zu ersehen ist, 
daß selbst bei den Vertretern der Quellungstheorie Zweifel über 
die Verwertbarkeit dieser Lehre bestanden haben. 

7. Die Quellungs- und Entquellungsvorgänge voll- 
ziehen sich vielzulangsam, um für eine Kontraktions- 
lehre in Frage zu kommen. 

Nach landläufigen Begriffen sind Quellung- und Ent- 
quellungsvorgänge langsame Prozesse, während eine Muskel- 
kontraktion mit explosionsartiger Geschwindigkeit erfolgen 
kann. 

Wenn auf einen langsamen Quellungsprozeß eine ebenso zeit- 
raubende Entquellung folgen soll, kann man sich nicht vorstellen, 
wie z. B. die enorme Geschwindigkeit der Bewegung eines In- 
sektenflügels, die 400 Kontraktionen in der Sekunde erfordert, 
zustande kommt, ganz abgesehen von der Zeit, die die Beseitigung 
der Milchsäure beansprucht. 


CO,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 129 


Nach dieser kritischen Besprechung der Berechtigung der 
Säure-Eiweißquellung als Unterlage für die Kontraktionstheorie 
sollen im folgenden die Einwände v. Fürths gegen andere Theo- 
rien etwas eingehender geprüft werden, da er in seinem Referate 
„Über die Kolloidehemie des Muskels und ihre Beziehungen zu 
den Problemen der Kontraktion und der Starre“ unter anderem 
in Kapitel 21, S. 530—534 die osmotische Theorie von Mc. Dou- 
gall (a. a. O.) mit der Ergänzung von Zu ntz!) und im Zusammen- 
hang damit auch die von mir aufgestellte Kohlensäuretheorie 
(a. a. O.) in ablehnendem Sinne besprochen hat. 


II. Entgegnung auf die Einwände gegen die osmotische und die 
: Kohlensäuretheorie. 


å. Einwände gegen die osmotische Theorie (v. Fürth a. a. O. 
S. 581, 582). 


a) Fehlen einer Längsfaltung der Bläschenwände 
(Bernstein). Bernstein (a. a. O. 1915, S. 20) hat insofern gegen 
die Bläschenstruktur der Fibrillen nach Mc. Dougall Bedenken 
geäußert, als er die kontraktilen Elemente nur dann als ver- 
kürzungsfähig erklärte, wenn sie in der Längsrichtung ausdehnbar 
sind, und in der Querrichtung elastisch dehnbare Wandungen be- 
sitzen. Hierzu äußert sich W. Biedermann?) wörtlich wie folgt: 


„Die Voraussetzungen, von welchen Mc. Dougall bei Aufstellung 
seiner Theorie ausgegangen ist, sind aber, wie mir scheint, ganz wesentlich 
verschieden von jenen Bernsteins. Die einzelnen Fibrillensegmente (Sar- 
komeren) sind nach Auffassung Mc. Dougalls nicht allseitig von elasti- 
schen Wänden begrenzte Zylinder oder Rotationsellipsoide, sondern von- 
einander durch ebene, una usdehnbare Scheidewände (die Zwischen- 
scheibe Z) getrennt, welche von beiden Seiten her unter gleichem Druck 
stehen. In diesem Falle würde aber jede Volumenzunahme des 
flüssigen Inhaltes notwendig zu einer Verkürzung unter Nähe- 
rung jener Septen führen müssen. Ja selbst dann, wenn man die An- 
nahme einer seitlichen Fibrillenmembran ganz fallen läßt und die Fibrillen 
von gallertartiger Konsistenz auffaßt, erweist sich, wie später gezeigt wer- 
den soll, der Grundgedanke Mc. Dougalls noch leistungsfähig.“ 


So weit Biedermann. Durch meine Muskelmodelles), die im 


1) N. Zuntz, Der Mechanismus der Muskelarbeit. Handbuch d. Bio- 
chemie d. Menschen u. d. Tiere Bd. 4/I, S. 863, 1911. 

2) W. Biedermann, Vergleichende Physiologie der irritablen Sub- 
stanzen. Ergebn d. Physiol. 8, 183. 1909. Siehe dort auch weitere Literatur. 

3) L. Wacker, Über einige Modelle zur Demonstration der Muskel- 
kontraktion nach der Drucktheorie. Arch. f. d. ges. Physiol. 169, 492. 1917. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 9 


130 ` L. Wacker: 


Referate v. Fürths noch keine Berücksichtigung gefunden haben, 
sind sogar durch Einfügung von unelastischen Längsfäden (Längs- 
lamellen) die Bernsteinschen Einwände behoben. Über die histo- 
logische Berechtigung dieser Längslamellen siehe unter Einwand g. 

b) Allzu geringe Menge vorhandenen Sarkoplasmas, 
um eine ausgiebige Flüssigkeitsaufnahme aus dem 
Sarkoplasma in die Muskelelemente (Sarkomeren) 
plausibel erscheinen zu lassen. 

Hier ist zu bemerken, daß die Menge des Sarkoplasmas sehr 
verschieden ist, sie kann u. U. sogar sehr groß sein. Nach den 
Angaben der Lehrbücher der Histologie!) ist sie abhängig von 
der Funktion des Muskels, worüber sich Me. Dougall?) wörtlich 
wie folgt äußert: 


„The view here adopted of the influence on contraction of the waste 
products of metabolism finds confirmation in the fact of those muscles of 
which very rapidly succeeding distinet contractions are required, contain 
a realitvily very large amount of sarcoplasma and elaborate arrangements 
for carrying off the waste products of metabolism. Thus the insect’s wing 
muscle has a very large amount of sarcoplasm which is permeated in all 
its parts with a very dense network of fine airtubes. These tubes constitute 
a very perfect system for carrying carbonic acid away from the sarcoplasm. 
So also the fibres of the bat’s wing contain a very large amount of sarco- 
plasm, and are very slender; and each of these slender fibres is surroun- 
ded by an extraordinarely dense network of capillary bloodvessels‘“‘ 3). 


1) Vgl. Stöhr, Lehrbuch d. Histologie, 16. Aufl. 1915, S. 102. P. Eis- 
ler in v. Bardelebens Handb. d Anatomie Bd. II 2, 1 S. 5, 1912. 

2) Mc. Dougall, A theory of Muscular Contraction. Journ. of Anatom. 
V, 32, p. 185, 1898. 

3) Die in besonders klarer Weise dargestellten Vorrichtungen zur Ab- 
fuhr der Kohlensäure im Insekten- und Fledermausflügelmuskel veran- 
lassen mich zur Beifügung der Übersetzung der oben angezogenen Stelle: 

Die hier vertretene Anschauung des Einflusses der Abfallprodukte 
des Stoffwechsels auf die Kontraktion findet in der Tatsache Bestätigung, 
daß solche Muskeln, von denen sehr raschfolgende Kontraktionen gefor- 
dert werden, eine verhältnismäßig sehr große Menge Sarkoplasma enthalten 
und sorgfältige Einrichtungen zur Abfuhr der Abfallprodukte des Stoff- 
wechsels besitzen. So hat der Insektenflügelmuskel eine sehr große Menge 
Sarkoplasma, das in allen seinen Teilen von einem sehr dichten Netz von 
feinen Luftschläuchen durchdrungen ist. Diese Schläuche stellen ein sehr voll- 
kommenes System dar, um die Kohlensäure aus dem Sarkoplasma wegzu- 
führen. Auch die Muskelfasern des Fledermausflügels enthalten sehr viel Sar- 
koplasma, sie sind sehr schlank und jede dieser schlanken Fasern ist umgeben 
von einem außergewöhnlich dichten Netzwerk von capillaren Blutgefäßen. 


CO -Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 131 
l 


Der Begriff „allzugeringe Menge“ kann also nur für be- 
stimmte Muskeln gelten, während andere über eine sehr große 
Menge (,, very large amount“) verfügen, im übrigen scheint es 
bei der Frage nach der Berechtigung der osmotischen Theorie in 
erster Linie darauf anzukommen, ob überhaupt Wasser von den 
Muskelelementen aufgenommen wird oder nicht, und dies muß ` 
bejahend beantwortet werden, denn Hürthle!) und Meigs?) 
haben die Zwischenräume zwischen den einzelnen Fibrillen unter- 
sucht und berichten übereinstimmend über deren Abnahme bei 
der Kontraktion. Umgekehrt spricht die Vorwölbung der Q- 
Schicht der Muskelelemente für deren Flüssigkeitsaufnahme. 
Näheres darüber im Abschnitt c. 

Nach Literaturangaben nimmt der arbeitende Muskel Wasser 
aus dem Blute auf. Danach besteht die Möglichkeit einer Er- 
gänzung des Flüssigkeitsbestandes des Sarkoplasmas aus dem Blut. 

c) Volumkonstanz der Muskelelemente (Sarkome- 
ren). Bei Beobachtung der Kontraktion am lebenden Muskel 
vermochte Hürthle weder eine Volumzunahme der Fibrillen im 
ganzen, noch ihrer doppeltbrechenden Abschnitte festzustellen. 

Hürthle hat seine Beobachtungen an Zupfpräparaten des 
lebenden Muskels des Wasserkäfers (Hydrophilus) gemacht, wäh- 
rend Engelmann seine Präparate fixierte und dabei zu ganz 
entgegengesetzten Resultaten gelangte. Die Verschiedenheit der 
Beobachtung kann also nur in der Methode liegen. Hürthle 
betont selbst, daß genaue Volummessungen der einzelnen Schich- 
ten bei lebenden Fasern mit besonderen Schwierigkeiten ver- 
bunden sind (vgl. dazu W. Biedermann a. a. O. S. 207). Eine 
Entscheidung der Frage, welche Beobachtung den tatsächlichen 
Verhältnissen entspricht, ist für den Nichthistologen unmöglich, 
aber es existieren andere gewichtige Gründe, welche die Frage im 
Sinne Engelmanns zu klären imstande zu sein scheinen Nach 
den vorangegangenen Ausführungen nehmen bei der Kontraktion 
die Zwischenräume der Fibrillen ab. Ferner hat Mc. Dougall, 
a. a. O. beobachtet, daß bei der Kontraktion die Muskelelemente 

1) K. Hürthle, Über die Struktur des quergestreiften Muskels. Biol. 
Centralbl. 27, 112. 1907. Siehe a. Arch. f. d. ges. Physiol. Bonn 1909. Zit. 
nach v. Fürth. 

2) E. B. Meigs, The structure of the element of cross striated muscle 


and the changes of form which it undergoes during contraction. Arch. f. allg. 
Physiol. 1908. 


dh 


132 L. Wacker: 


eine Faßform annehmen und die Q-Schichten sich vorwölben, 
was zu ringförmigen Einschnürungen der Z-Linien (Festons) führt. 
Diese Erscheinungen sind ohne eine Volumvermehrung kaum 
denkbar. Auch noch ein anderer Gesichtspunkt spricht gegen die 
Volumkonstanz. Ein physikalisches Grundgesetz lautet: 

l „Arbeit ist das Produkt aus Kraft mal Weg.“ Die 
Druckbildung im Innern der Muskelelemente entspricht der 
Kraft, während der zugehörige Weg nur die Volumzunahme sein 
kann Ohne diese Zunahme des Volumens gleichen die Muskel- 
elemente dem Zylinder einer Dampfmaschine, der zwar unter 
Dampfdruck steht, dessen Kolben aber festgehalten ist und dem- 
nach keine Arbeit leisten kann, weil die Maschine überhaupt nicht 
in Betrieb kommt. Dem allenfallsigen Einwand, es lägen bei den 
Muskelelementen andere Verhältnisse vor, weil es zur Kontraktion 
genügt, wenn sie bei gleichbleibendem Volumen an Höhe (longi- 
tudinal) abnehmen, um dadurch an Dicke (transversal) zu ge- 
winnen, ist entgegenzuhalten, daß schon diese Formänderung eine 
Arbeitsleistung bedingt. 

| Eine Volumvermehrung der Muskelelemente bedeutet na- 
türlich noch nicht, daß der ganze Muskel bei der Kontraktion 
gleichfalls zunehmen muß, es ist vielmehr wahrscheinlich, daß 
kompensatorische Erscheinungen, die ja auch im Wesen des os- 
motischen Ausgleichs liegen, in Aktion treten können. 

d) Die Theorie scheint auf die glatten Muskeln 
nicht anwendbar, insofern sie an bestimmte morpho- 
logische Voraussetzungen geknüpft ist, die nur für die 
quergestreifte, nicht aber für die glatte Muskulatur 
gegeben erscheinen. (Pauli 1912). 

Der histologische Bau der glatten Muskulatur ist in seinen 
Einzelheiten noch viel zu wenig geklärt, um hieraus auf die Be- 
rechtigung oder Nichtberechtigung einer Theorie Schlüsse ziehen 
zu können. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Architektur des 
glatten Muskels der des quergestreiften analog. Das Vorhanden- 
sein von Längsstreifen analog den Fibrillen kann als sicher gelten. 
Einzelne Forscher (Altmann, Mc. Dougall)!) wollen eine Quer- 
streifung sowie ein Sarkoplasma beobachtet haben. 

1) Vgl. dazu M. Heidenhain, Plasma und Zelle, 2. Lieferung. Jena 


1911, S. 509, 600—603 in v. Bardenlebens Handbuch d. Anatomie 8. 
. Mc. Dougall, a. a. O., S. 208 u. 209. 


CO,-Drack oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 133 


e) Die Theorie bietet keinen Anhaltspunkt für die 
Erklärung der elektrischen Erscheinungen bei der, 
Muskelkontraktion (Pauli 1912). 

Nach F. Haber und Z. Klemensiewicz!) entstehen die 
elektrischen Erscheinungen im Muskel auf Grund verschiedener . 
Tension der Kohlensäure an der Grenze zwischen Fibrille und 
Sarkoplasma. W. Pauli a. a. O. spricht dagegen die Meinung 
aus, daß selbst dann noch Schwierigkeiten bestehen, wenn man 
die Kohlensäure durch Milchsäure ersetzt. Die Entstehung elektro- 
motorischer Kräfte könne nur bei Annahme einer aktiven Beteili g- 
ung von Säureeiweiß befriedigend erklärt werden. 

Wie unter I, 2 erläutert, wird die Milchsäure im statu nascendi 
neutralisiert. Das zur Bildung eines Stromes erforderliche Säure- 
eiweiß ist also gar nicht vorhanden. Im Gegensatz zur Pauli- 
schen Auffassung steht die Habersche Theorie auf dem Boden 
gegebener Verhältnisse und stimmt mit dem Muskelstoffwechsel 
und der Kohlensäuretheorie gut überein. 


f) Sie trägt dem Zusammenhang zwischen Doppel- 
brechung und Kontraktilität in keiner Weise Rech- 
nung. (Pauli 1912.) 

Das optische Verhalten des Muskels bei der Kontraktion ist 
der Gegenstand lebhafter Kontroversen gewesen (vgl. dazu 
W. Biedermann, a. a. O., S. 207). So besteht beispielsweise ein 
Gegensatz zwischen den Befunden Engelmanns und Hürthles 
bezüglich der Zunahme der Höhe der einfachbrechenden Schich- 
ten (J.). Solange die Ergebnisse der histologischen Forschung 
noch widersprechend sind und das optische Verhalten der Muskel- 
:chemikalien keine Berücksichtigung gefunden hat, ist es un- 
möglich, dazu Stellung zu nehmen. Glykogen und milchsaures 
Kalium sind bekanntlich optisch aktiv. Durch den Stoffwechsel 
und die Muskeltätigkeit bedingte Veränderungen in den Mengen 
und in der Lokalisation dieser Substanzen können ebenso wie 
Spannungsdifferenzen unter dem Polarisationsmikroskop Ver- 
schiebungen im Grade der Helligkeit hervorrufen. 


g) Sie ist mit dem tatsächlich beobachteten Ver- 
kürzungsgrad des Muskels unvereinbar. Es ist nach 


1) F. Haber u. Z. Klemensiewicz, Über elektrische Phasengrenz- 
kräfte, Zeitschr. f. physikal. Chem. 67, 385. 1909. 


134 L. Wacker: 


Schäfer!) (1910) weder praktisch noch theoretisch mög- 
lich, ein Modell im Sinne von Mc. Dougall zu kon- 
struieren, das sich so stark kontrahiert, wie der lebende 
Muskel. Dieser kann sich auf weniger als !/, seiner 
. ursprünglichen Länge (nach Engelmann. unter Um- 
ständen auf einen noch weit geringeren Bruchteil) zu- 
sammenziehen, während das Mc. Dougallsche Modell 
höchstens eine Zusammenziehung auf !/, seiner ur- 
sprünglichen Länge gestatten würde. 

Dieser nochmals gegen die Kohlensäuredrucktheorie er- 
hobene Einwand wird unter B.c) eingehend widerlegt. 


B. Einwände gegen die Kohlensäuretheorie (v. Fürth a. a. O. 
S. 584-587). 

a) Absolute Muskelkraft. v. Fürth versucht auf Grund 
des im absterbenden Muskel nachgewiesenen Milchsäurebildungs- 
maximums den Beweis zu führen, daß die Menge der bei der Neu- 
tralisation mit Kaliumbicarbonat freiwerdenden Kohlensäure zur 
Erklärung des erforderlichen Kohlensäuredruckes nicht ausreicht. 
Es entsteht, sagt v. Fürth, im günstigsten Fall ein Überdruck 
von 1!/, Atmosphären, während sich der Muskel in maximo mit 
einer Kraft zusammenzieht, die auf 10 kg pro qem veranschlagt 
wird. 
Diese Einwände sind jedoch histologisch und chemisch aus 
folgenden Gründen unhaltbar: 

L v. Fürth berechnet den Kohlensäuredruck auf das ge- 
samte Muskelvolumen und berücksichtigt dabei nicht, daß sich 
die Kohlensäure nur innerhalb der als kontraktile Substanz 
geltenden Fibrillen bildet. Diese stellen aber nur etwa ein Drittel 
(vgl. W. Biedermann, a.a. O., S. 188) der ganzen Muskelmasse 
dar. Nach Schiefferdeckers?) Messungen und Berechnungen 
(bei Mensch und Hund) beträgt die Fibrillenmasse sogar nur 
1/,—!/, der Gesamtfasermenge. Man würde aber immer noch 


1) E. A. Schäfer, On Mc. Dougalls Theory of muscular contraction 
with some remarks on Hürthles observations on muscle structure and the 
changes which it undergoes in contraction. Quarterly Journ. of experim. 
Physiol. 3, 63. 1910. Die Ausführungen Schäfers waren mir unzugäng- 
lich und konnten daher nicht berücksichtigt werden. 

2) Vgl. P. Eislerin v. Bardelebens Handbuch der Anatomie, Bd. Il, 
1, S. 5. 1912. ö 


CO, Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 135 


fehlgehen, bei Annahme des ganzen äußeren Volumens der Fi- 
brillen als aktiven Druckraum, denn Vorrichtungen, die einem 
Druck widerstehen sollen, müssen eine gewisse Festigkeit be- 
sitzen. Es ist also ein entsprechendes Volumen für die Wandungen 
abzuziehen; ferner müssen im vorliegenden Fall noch Lagerstätten 
für die Betriebsmittel, wie z. B. das Glykogen vorhanden sein, 
wodurch der für die Druckwirkung verfügbare Raum weiter ver- 
kleinert wird. | 

Bei Zugrundelegung der Hälfte des Fibrillenvolumens als 
Druckraum berechnet sich, daß voh einem Kilo gleich etwa 
1 Liter Muskel nur der 6. bis 10. Teil, d. i. etwa 170 bis 
100 ccm als solcher in Frage kommt. 

Die Berechnungsart, den gesamten Muskelinhalt inkl. Sarko- 
plasma, Sarkolem, Bindegewebe, Blut- und Lymphgefäßen, 
Nerven usw. als Druckraum anzunehmen, wäre etwa dem Fehler 
gleichbedeutend, den ein Ingenieur begehen würde, wenn er als 
Expansionsraum des Dampfes einer Dampfmaschine das ganze 
äußere Volumen der Maschine zuzüglich Kesselraum und Funda- 
ment in Rechnung stellen wollte. 

2. Zur Richtigstellung des chemischen Teiles der Berechnung 
des Kohlensäuredruckes muß etwas weiter ausgeholt werden, 
weil es sich hier um eine irrtümliche Anschauung handelt, der 
man in der Literatur häufiger begegnet: 

Als Beweis für den Ursprung der Milchsäure aus Glykogen 
(bzw. Kohlehydraten) hat man im absterbenden Muskel eine dem 
Glykogenschwund theoretisch äquivalente Menge neugebildeter 
Milchsäure erwartet. In der Regel ist jedoch die Menge des ver- 
schwundenen Glykogens größer als der Neubildung der Milch- 
säure entspricht. Dieses Defizit an Milchsäure ist auf den Fort- 
gang der Oxydationsprozesse im Muskel nach dem Tod zurück- 
zuführen, denn es ist nicht einzusehen, weshalb gerade diese zum 
Stillstand kommen sollten, während andere Prozesse, wie der- 
jenige der Milchsäurebildung noch weiterlaufen. Es wird dem- 
nach die Oxydation des milchsauren Kaliums zu Kaliumbicarbo- 
nat noch einige Zeit weitergehen und dadurch der Anschein 
erweckt, als sei eine im Vergleich zum Glykogenschwund zu 
geringe Milchsäuremenge gebildet worden. 

Wenn v. Fürth zu dem Schlusse kommt, daß die zur Ver- 
fügung stehende Kohlensäure nur für 1½ Atmosphären Druck 


8 7 
| Te rer 


136 L. Wacker: 


ausreicht, so hat er dabei, ganz abgesehen von den nicht zu- 
treffenden Größenverhältnissen des Druckraumes, jene Kohlen- 
säuremenge unberücksichtigt gelassen, die sich unseren rech- 
nerischen und analytischen Wahrnehmungen entzogen hat; durch 
den Fortgang der Oxydationsprozesse während des Absterbens 
wurde Kaliumbicarbonat neu gebildet und aus diesem durch 
Neutralisation mit Milchsäure eine weitere Kohlensäuremenge 
produziert!). 

3. Außerdem nimmt v. Fürth an, im Muskel befände sich 
Alkalicarbonat (K CO,), während doch zweifellos primäres Salz 
(KHCO,) zugegen ist. Dadurch verdoppelt sich natürlich die 
Menge der berechneten Kohlensäure. 

4. Nach der ursprünglichen Fassung der Kohlensäuretheorie 
kommt mit dem Kohlensäuredruck noch gleichzeitig der os- 
motische Druck zur Geltung. Es ist anzunehmen, daß v. Fürth 
dies auch so aufgefaßt hat, denn sonst bestünde keine Veran- 
lassung, in seinem Referate die Kohlensäuretheorie gleichzeitig 
mit der osmotischen Theorie zu behandeln. Aus diesem Grunde 
dürfte bei den Berechnungen der absoluten Muskelkraft natür- 


lich diese Druckquelle nicht ignoriert werden. 


Seine rechnerische Beweisführung bezüglich der vorherrschen- 
den Druckzustände in den Muskelelementen kommt also den 
tatsächlich bestehenden Verhältnissen nicht annähernd nahe. 

Rein äußerlich betrachtet, ist es ganz selbstverständlich, daß 


1) Die fortschreitende Erkenntnis des stufenweisen Abbaues des 
milchsauren Kaliums im Muskel wird vielleicht lehren, daß die gesamte 
Kohlensäure durch Neutralisationsprozesse in Freiheit gesetzt wird. Es 
wurde bereits die wichtige Entdeckung Neubergs (a. a. O). erwähnt, wo- 
nach brenztraubensaures Kali durch Gärung in Kaliumbicarbonat und 
Acetaldehyd zerfällt, gemäß der Gleichung: 

CH, . CO. COOK + H,O = CH, COH + KHCO, 

Wenn der als Spaltprodukt entstehende Aldehyd unter dem Einfluß des 
Sauerstoffes zu Essigsäure oxydiert wird, so kann durch Neutralisation 
ein weiteres Molekül CO, abgespalten werden. Ferner ist nicht undenkbar, 
daß auf dem Wege gekoppelter Reaktionen sich am essigsauren Kalium eine 
ähnliche fermentative Spaltung mit darauffolgender Oxydation und Neu- 
tralisation wiederholt. Eine derartige Vorstellung würde nicht nur mit der 
Kohlensäuretheorie gut vereinbar sein, sondern auch Anhaltspunkte über 
die Art der Ausnutzung der Energie liefern. Da die experimentellen Unter- 
lagen hierzu noch im Marsche sind, muß einstweilen, so verlockend dieses 
Thema auch zu sein scheint, auf Berechnungen verzichtet werden. 


CO, Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 137 


die Kohlensäure im Muskel unter Druck sein muß, wenn sie ins 
Blut abwandern soll, weil dabei natürlich auch der Kohlensäure- 
druck des Blutes selbst, der zirka 30 mm beträgt, zu überwinden 
ist. Ziehen wir ferner in Betracht, daß bei der Muskelarbeit, wie 
schon eingangs erwähnt, die Kohlensäureproduktion um das 
Zehnfache des Ruhewertes!) steigen kann, und daß selbst die 
geringsten Bewegungen die Kohlensäureausfuhr vermehren, so 
wird die Bedeutung des Kohlensäuredruckes als Kraftquelle 
immer wahrscheinlicher. 

b) Beobachtungen an Rohrzuckermuskeln. Einen 
weiteren Einwand v. Fürths gegen die Kohlensäuretheorie bildet 
das Verhalten der Muskeln gegen Rohrzuckerlösungen. Beim 
Einlegen in solche Lösungen: verlieren sie die Erregbarkeit, um 
sie in Lösungen von Natriumsalzen wieder zu gewinnen. (Lite- 
ratur hierzu siehe bei v. Fürth a. a. O. S. 536.) Dieses Verhalten 
wird auf die Extraktion der Natriumsalze durch die Zucker- 
lösung zurückgeführt. 

In meiner ersten Publikation über die Kohlensäuretheorie 
wurde angenommen, daß sich im Muskel Natriumbicarbonat, ent- 
standen durch Oxydation von milchsaurem Natron, befindet. 
Die Extraktion des Natriumbicarbonats durch die Rohrzucker- 
lösung erklärt also gut die Unmöglichkeit der Kontraktion nach 
dem Lagern in einer solchen Lösung, weil es dann zu keiner 
Kohlensäurebildung kommen kann. Auf den ersten Blick, sagt 
v. Fürth, steht dieses Verhalten mit der Kohlensäuretheorie im 
besten Einvernehmen, aber die Erregbarkeit dürfte nur auf 
Zusatz von Natriumbicarbonat wiederkehren, während taisäch- 
lich Natriumsalze der allerverschiedensten Art eine derartige 
Wirkung auszuüben vermögen. 

Dagegen ist einzuwenden, daß die Annahme des Vorhanden- 
seins von Natriumbicarbonat in dem Kontraktionsschema eine 
rein willkürliche und aus dem Grunde vielleicht eine nicht ganz 
korrekte war, weil im Muskel die Kaliumsalze vorherrschen. Bei 
der Einwirkung von Kohlensäure auf Dikaliumphosphat entsteht 
bekanntlich Kaliumbicarbonat, gemäß der Gleichung: 

K, HPO. + HZCO = KH PO. + KHC OZ. 

Aus dieser Erkenntnis heraus wurde bereits in einer späteren 

Publikation über den chemischen Kreisprozeß im arbeitenden 


1) Landois a. a. O. 


138 L. Wacker: 


Muskel und seine Beziehungen zur Gewebsatmung (a. a. O.) 
schon vor dem Erscheinen des v. Fürthschen Referates nur 
mehr von der Anwesenheit von Kaıiumbicarbonat gesprochen. 

Es ist natürlich schwer, für das Verhalten des Muskels gegen- 
über Natriumsalzen, das vielleicht mit feinen chemischen Re- 
gulationsmechanismen in Zusammenhang steht, die richtige Er- 
klärung zu finden. Man könnte beispielsweise an eine Regulation 
der Milchsäurebildung durch Aktivierung von Fermenten bei 
Gegenwart von Natriumionen denken. Als Beweis gegen die 
Haltbarkeit der Kohlensäuretheorie kann dieser Einwand aber 
nicht dienen. 


c) Verkürzung der Muskeln. 

v. Fürth sagt: „Sie ist mit dem "tatsächlich beobachteten Verkür- 
zungsgrad des Muskels vereinbar. Es ist nach Schäfer (1910) weder prak- 
tisch, noch theoretisch möglich, ein Modell im Sinne Mc. Dougalls zu 
konstruieren, welches sich so stark kontrahiert, wie der lebende Muskel. 
Dieser kann sich auf weniger als !/, seiner ursprünglichen Länge (nach 
Engelmann sogar auf einen noch weit geringeren Bruchteil, vgl. v. Fürth 
a. a. O. S. 424) zusammenziehen, während das Mc. Dougallsche Modell (über 
das ich in der Literatur keine Angaben finden konnte — Wacker), höchstens 
eine Zusammenziehung auf ?/, der ursprünglichen Länge gestatten würde. 

Dieser Einwand berücksichtigt nicht den von mir in Pflü- 
gers Archiv Bd. 169, S. 494 (1917) beschriebenen und durch 
Modelle illustrierten Verkürzungsmodus und ist aus dreierlei 
Gründen unberechtigt: 

1. Die einzelnen Muskelelemente können sich über die Kugel- 
gestalt hinaus je nach den Druckverhältnissen beliebig weit 
zusammenziehen, wenn man sich in deren Mantelfläche, parallel 
zur Längsachse, Längslamellen eingeflochten denkt, die nicht 
dehnbar und mit den Zwischenscheiben fest verankert sind. 
Wenn bei der Drucksteigerung im Innern der Muskelelemente 
sich die Mantelflächen vorwölben (Faßform), so werden die 
Längslamellen nach außen gedrückt und dadurch ein Zusammen- 
rücken der Zwischenscheiben herbeigeführt (siehe dazu die Muskel- 
modelle a. a. O.). | 

Die histologischen Unterlagen hierzu befinden sich bei 
M. Heidenhain a. a. O. S. 619, 620 im Kapitel „ Hypothetische 
Längsverbindung der Fibrillen“. 

2. Bekanntlich besteht zwischen Bindegewebs- und Muskel- 
fasern hinsichtlich der Bedingungen des Eintretens und Verlaufes 


C0,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 139 


der Kontraktion weitgehende Analogie (Biedermann a a. O. 
S. 172). Und in der Tat lassen sich an Zupfpräparaten der Pia 
mater!) bei der Einwirkung von verdünnten Säuren Kontraktions- 
erscheinungen hervorrufen, die in jeder Hinsicht mit dem er- 
wähnten Muskelmodell in Einklang stehen. An den nicht kon- 
trahierten Fasern sind die Längslamellen deutlich wahrnehm- 
bar, während nach der Kontraktion die Zwischenscheiben mit 
den Einschnürungen (Festons) in aller Schärfe sichtbar wer- 
den. Es kann demnach kein Zweifel bestehen, daß die Mus- 
kelmodelle Verhältnisse nachahmen, wie sie im Organismus exi- 
stieren. 

3. Wie in der zitierten Arbeit über die Modelle zur Demon- 
stration der Muskelkontraktion nach der Drucktheorie bereits 
hervorgehoben wurde, kann man sich die Gesamtkontraktion des 
Muskels aus zwei Verkürzungsmomenten zusammengesetzt den- 
ken, die als Fibrillen- und Bündelverkürzung bezeichnet 
werden könnten. | 

Während die Fibrillenverkürzung an geeigneten Objekten 
„unter dem Mikroskop verfolgt und gemessen werden kann, ent- 
zieht sich die Bündelverkürzung der Beobachtung. Den Vorgang 
bei der Bündelverkürzung kann man sich bei den am einfachsten 
gebauten Muskelformen in folgender Weise denken: Ein Muskel, 
bestehend aus dem Bauch und den beiden Sehnenenden, wird im 
Querschnitt durch den Bauch eine viel größere Anzahl von Fasern 
aufweisen, als an den Enden. Bei Zunahme der Dicke infolge der 
Kontraktion werden die an der Peripherie gelegenen Fasern nach 
auswärts gedrängt werden, wodurch natürlich die Enden zu- 
sammenrücken müssen. Prinzipiell unterscheidet sich demnach 
die Bündelverkürzung von der unter 1. und 2. besprochenen 
Fibrillenverkürzung nicht. Es handelt sich nur um eine makro- 
skopische Wiederholung des mikroskopisch zu beobachtenden 
Vorganges. Wenn daher, gemäß dem von v. Fürth auf Seite 537 
seines Referates angezogenen Beispiel B und B’, Hürthle (a. a. O.) 
eine Fibrillenverkürzung von 5,3 auf 2 u, d. h. von zirka 62% 
gemessen hat, so ist damit noch nicht die gesamte Verkürzung des 
Muskels gegeben, sondern diese wird erheblich größer sein. Zu 
den von v. Fürth unter Abbildung C dargestellten preßkuchen- 


1) Vgl. Stöhr, Lehrbuch d. Histologie, 16. Aufl., S. 39. unter „um- 
spinnende Fasern“. 


140 L. Wacker: 


artigen Gebilden wird es daher gar nicht kommen, weil das Maxi- 
mum der Zusammenziehung einer viel geringeren Fibrillenver- 
kürzung entspricht. 


III. Über das Vorkommen und die Bedeutung der Alkalialbuminate 
im Muskel. 


Werden frische Muskeln eines entbluteten Tieres innerhalb 
weniger Minuten nach dem Tode des Tieres zerkleinert und durch 
Einwerfen in heißes Wasser ausgekocht, so läßt sich bei der 
Neutralisation des Filtrates ein flockiger Eiweißkörper ausfällen, 
der im Überschuß von Säure leicht löslich ist. Verwendet man 
jedoch einen Muskel, der bereits unter Säurebildung totenstarr 
geworden ist, so beobachtet man bei der Neutralisation des Koch- 
extraktes diesen Eiweißniederschlag nicht mehr oder erst nach 
längerem Stehen, und dann nur in sehr geringen Mengen. Nach 
seinen Eigenschaften und in Analogie mit den im Blute, in der 
Milch und in den Getreidearten!) usw. vorkommenden Verbin- 
dungen ist diese extrahierbare Substanz als Kaliumalbuminat 
aufzufassen. Die Ursache, weshalb dieser Eiweißkörper nur aus 
den frischen und nicht aus den totenstarren Muskeln in größeren 
Mengen extrahiert werden kann, ist in dessen Zersetzung inner- 
halb des Muskels durch die postmortal sich bildende Säure zu 
suchen. Die Eiweißkomponente dieser Albuminate wird dadurch 
innerhalb der Muskelfaser abgelagert und bildet eine der Er- 
scheinungen in dem Komplex von Vorgängen, welche die Toten- 
starre?) verursachen. Setzt man dem totenstarren, zerkleinerten 
Muskel vor der Extraktion mit heißem Wasser zirka 30 ccm 
n/ „Alkalibicarbonatlösung pro 100g Muskel zu, so er scheint 
der Eiweißkörper wiederum im Extrakt. Dieses Verhalten, bei 
der Säurebildung abgeschieden zu werden, steht im Einklang 
mit der Anschauung W. Biedermanns a. a. O. S. 151, wo- 


r 


nach der Vorgang der Muskelkontraktion unter Umständen 


von einer Ausfällung vorher gelöster Eiweißstoffe begleitet 
sein kann. 
Das Vorkommen von Albuminaten im Muskel wurde bereits 


1) Vgl. Abderhaldens Lehrbuch d. physiol. Chemie 3. Aufl. Bd. 1, 
S. 391. i 

) Oppenheim und Wacker, Berl. klin. Wochenschr. 1919, Nr. 42, 
S. 990. 


U 


CO,-Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskel kontraktion. 141 


von Kühnel), Haliburton?) und in anderer Weise auch von 
Röh manns) beobachtet, später aber von Whitfield“) und von 
v. Fürth) bestritten. Diese widersprechenden Angaben dürften 
in der Methode der Isolierung und der Schwierigkeit der 
Trennung einzelner Eiweißkörper aus vorhandenen Gemischen 
zu suchen sein. Die genannten Autoren stellten durch Aus- 
pressen der Muskeln ein Plasma her, das gemäß der ange- 
wandten Methode ein Gemisch der verschiedenartigsten Eiweiß- 
körper darstellen muß. Bei dem Prozeß des Auspressens geben 
natürlich keine histologischen Einheiten, sondern alle in einem 
Muskel vereinigten Zellgebilde wie Bindegewebe, Blutgefäße usw. 
ihren Zellinhalt ab. Die Trennung von solchen Gemischen und 
die Isolierung von chemischen Individuen daraus ist sehr schwierig 
bzw. noch nicht erreicht worden. (Vgl. Abderhaldens Lehrb. 
d. physiol. Chemie, 3. Aufl. S. 385.) Geringe Unterschiede in der 
Arbeitsweise führen zu anderen Resultaten. Wenn also v. Fürth 
seine Muskeln ohne Kühlung ausgepreßt hat, während Kühne 
und Haliburton gefrorene Muskeln verwendeten, so kann der 
Unterschied in der Menge der postmortal gebildeten Säure die 
verschiedenen Resultate erklären. Bei der Arbeitsweise v. Fürths 
können die Albuminate durch die Säure zerlegt worden sein und 
sich dadurch der Beobachtung entzogen haben. 

Die von mir eingeschlagene Methode der Isolierung der 
Albuminate durch Auskochen des frischen (alkalischen) Muskels 
entscheidet also die Frage zugunsten Kühnes und Haliburtons, 
Der Säugetiermuskel verhält sich demnach analog demjenigen der 
Fische und Frösche, die nach v. Fürth®) gleichfalls Albuminate 
enthalten. 

Die Frage des Vorhandenseins von Kaliumalbu- 
minaten im Muskel ist für die Erklärung mancher Vor- 
gänge bei der Kontraktion und der Totenstarre von 


1) Kühne, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1859. Myologische Untersuch. 
Leipzig}1860. , 

9. Haliburton, Journ. of. Physiol. 8. 1887. 

gi F. Röhmann, Arch. f. d. ges. Physiol. 50, 84. 1981. Vgl. Tiger- 
stedt, Lehrbuch d. Physiologie 3. Aufl. Bd. II, S. 5. 1905. 

t) Whitfield, Journ. of Physiol. 12. 1894. 

De Fürth, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol 36, 259. 1895. 


) v. Fürth, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 36, 260—262. 
1895, 


142 L. Wacker: 


prinzipieller Wichtigkeit, da das Kaliumalbuminat nach 
dem Eintritt des Todes infolge der Säurebildung zu einer Eiweiß- 
fällung im Muskel führt, die zu dessen Versteifung beiträgt, ja 
sogar während der Kontraktion kann es schon zu solchen Eiweiß- 
abscheidungen kommen. (Tonische Muskelkontraktion, W. Bie- 
dermann a. a. O. S. 151 und 152.) Die Gegenwart von Al- 
buminaten verträgt sich daher nicht mit der Lehre von 
dem Zustandekommen der Totenstarre durch Eiweiß- 
quellung. Als Anhänger der letzteren Anschauung bezeichnet 
daher v. Fürth in seinem Referat a. a. O. S. 447 die von mir 
aus frischem Muskel isolierte Albuminateiweißkomponente als ein 
in der Hitze entstandenes Kunstprodukt. Dieser Auffassung muß 
ich entschieden entgegentreten, denn wenn es sich um ein solches 
handeln würde, so wäre nicht einzusehen, weshalb nicht auch 
der totenstarre Muskel beim Auskochen dasselbe Produkt liefert !). 
Ferner werden genuine Eiweißkörper bekanntlich beim Kochen 
nicht in lösliche Spaltprodukte zerlegt, sondern sie koagulieren 
und denaturieren. Der schlagendste Beweis, daß Kaliumalbuminat 
vorhanden ist, liegt in der Abnahme der extrahierbaren Menge 
bei der Zunahme der Säure und umgekehrt. Die Vorgänge wurden 
beim Kaninchen und Hund eingehend studiert und die Resultate 
schematisch in Kurven dargestellt?). Daraus geht unzweideutig 
hervor, daß die Alkalescenzabnahmekurve analog der Kurve der 
extrahierten Eiweißkomponente verläuft. Auch nachstehende 
Tabelle zeigt die Abhängigkeit der Menge des extrahierbaren 
Kaliumalbuminates vom Stadium der postmortalen Säurebildung 
am Muskel verschiedener Kaninchen (siehe Biochem. Ztschr. 
75, S. 120). 

Wenn schon die angeführten Eigenschaften an dem Albuminat- 
charakter dieses Eiweißkörpers keinen Zweifel aufkommen lassen, 
so zeigt auch ein Vergleich mit den analogen Verbindungen aus 
Muskeln von Fischen und Fröschen die Richtigkeit des Gesagten. 
v. Fürth hat selbst einen als Myoproteid bezeichneten Eiweiß- 
körper mit allen Eigenschaften der Albuminate aus Fischmuskeln 
hergestellt (Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 36, 260). 
Er hat dabei gekocht, ohne hinterher seine Produkte als durch 


1) Vgl. dazu die übereinstimmende Beobachtung von Röhmann 
a. a. O. S. 94; ferner J. Mondschein, Diese Zeitschr. 42, 114. 1912. 
2) L. Wacker, Diese Zeitschr. 75, 111, 112. 1916. 


CO Druck oder Eiweißquellung als Ursache der Muskelkontraktion. 143 


die Hitze entstandene Kunstprodukte zu bezeichnen, sondern 
deren Eiweißcharakter genau festgestellt. Der Erfolg beim Fisch- 
muskel ist hauptsächlich auf dessen alkalische Reaktion, ver- 
ursacht durch die Anwesenheit von Trimethylamin zurückzu- 
führen, wodurch die Eiweißkomponente in Lösung gehalten wurde. 


Acidität pro A 
100g Muskel Mittel- B 5 
ausgedrückt in zahlen emerkungen 
n/ -Säure 


. Alkalescenz pro 


100 g Muskel Albuminat- | Mittel- 


ausgedrückt in| 9 T i8 in Si zahlen 
Be -Säure 

52,0 098 0,98 38,7 38,7 [ Menge des bis zum 
0,88 42,7 Eintritt der Starre 

1955 10 0 e ů26 | 5420 als Albuminat ex- 

45,3 0,74 0,74 45,3 45,3 trahierbaren. Bi- 

41,3 | 0,42 0,42 50,7 50,7 weißes 0,67% 

38,7 0,36 | 0,36 46,7 46,7 IMIE 

36,0 0,18 0,18 57,3 57,3 Menge des vom Ein- 
0,21 0 tritt der Starre bis 

30,7 915 0,16 e 60,9 zu deren Lösung als 

1 2, s 

28,0 0,16 | 0,16 60,0 60,0 || Albuminat extra- 

25,3 0,05 0,05 61,3 61,3 hierbaren Eiweißes 

20,0 0,05 0,05 69,3 69,3 % 0,12%. 


Wie schon früher besprochen, tritt das Kaliumalbuminat im 
tierischen und pflanzlichen Organismus gleichzeitig mit Dikalium- 
phosphat und Kaliumbicarbonat auf und bildet einen Bestand- 
teil der sog. ‚‚Puffersalze‘‘, die gemäß Henderson (a. a. O. S. 316) 
die Neutralität der Gewebe aufrechterhalten. Es ist nicht un- 
wahrscheinlich, daß dem Kaliumalbuminat in Verbindung mit 
Dikaliumphosphat eine große Bedeutung beim reversiblen che- 
mischen Regulationsmechanismus zur Abfuhr der Kohlensäure 
aus dem Muskel zukommt. Durch seine Eigenschaft, unter dem 
Einfluß der Kohlensäure in die Eiweißkomponente und Kalium- 
bicarbonat zu zerfallen, kann es als Sicherheitsventil gegen die 
Gefahr des Berstens der Zellen bei allzu hohem Kohlensäuredruck 
funktionieren, gemäß der Gleichung: 

Alb!) K + H,CO, = AlbH + KHCO,. 

Es findet sich daher neben dem Kaliumphosphat im organi- 
schen Leben immer dort, wo Kohlensäure als Stoffwechselprodukt 
auftritt, z. B. im Blut, im Muskel und im keimenden Samen. 
(Siehe auch Abderhaldens Lehrb., 3. Aufl. S. 391 und 971.) 

Erwähnt möge noch sein, daß die Asche des Kochextraktes 
des menschlichen Muskels 0, 17% K,CO, enthält. Diese Menge 

1) Alb = Eiweißkomponente der Albuminate. 


144 L. Wacker: CO,-Druck od. Eiweißquell. als Ursache d. Muskelkontr. 


ist ziemlich konstant für die Asche des frischen, als auch des 
totenstarren Muskels (Oppenheim und Wacker a. a. O.). Es 
ist denkbar, daß dieses Carbonat im frischen Muskel in Form von 
Kaliumalbuminat anwesend ist. 


Schlußbetrachtung. 


Wie nachgewiesen wurde, zeigt die Lehre von der Muskel- 
kontraktion durch Eiweißquellung in allen wichtigen Phasen 
schwerwiegende Mängel. 

Die Quellung des Eiweißes soll durch freie Milchsäure er- 
folgen. Es läßt sich aber der zwingende Beweis erbringen, daß 
eine freie Säure im Muskel nicht existieren kann. Dies kann aus 
dem Verhalten des Kochextraktes sowohl, wie aus den Messungen 
der Wasserstoffionenkonzentration im Muskel geschlossen werden. 
Es führen also nach verschiedenen Methoden von verschiedenen 
Autoren gelieferte Beweise zu übereinstimmenden Resultaten. 
Die Gründe, die v. Fürth bestimmten, dennoch an eine Säure- 
quellung zu glauben, lassen eine andere Deutung zu und führen 
teilweise zu Widersprüchen. 

Ferner erklärt die Theorie den nächstwichtigen Vorgang der 
Erschlaffung ebensowenig wie denjenigen der Erholung und der 
anoxybiotischen Muskelarbeit. 

Bei der Prüfung des Energiehaushaltes nach der Quellungs- 
theorie ergab sich, daß der Muskel bezüglich des Kontraktions- 
vorganges eine chemodynamische, bezüglich der Erschlaffung 
eine thermodynamische Maschine sein würde. Die zur Er- 
schlaffung notwendige Energie wäre annähernd gleich groß der 
Kontraktionsenergie. Der Muskel müßte demnach letzten Endes 
eine thermodynamische Maschine sein. Über die Bedenken, 
die gegen die Auffassung des Muskels als thermodynamische 
Maschine geltend gemacht worden sind, herrscht auch unter den 
Anhängern der Quellungstheorie nur eine Meinung. 

Es ist nicht überraschend, daß eine Kontraktionstheorie, die 
den Abbau der Milchsäure bis zur Kohlensäure vernachlässigt, 
von vorneherein als aussichtslos erscheinen muß, denn die Milch- 
säure enthält noch 96% der zur Verfügung stehenden Energie. 
Die fortschreitende Erkenntnis deren chemischen Abbaues hat 
Tatsachen zutage gefördert, die uns der Wahrheit näher bringen 
werden. 


Über die Pepsinbestimmung in achylischen Probemahl- 
zeiten mit besonderer Berücksichtigung der Adsorption 
von deren festen Teilen. 


Von 
A. Norgaard. 


(Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Kopenhagen [Chef: Prof. 
Dr. Knud Faberl.) 


(Eingegangen am 14. April 1920.) 


Bei den meisten quantitativen Pepsinbestimmungen im 
Mageninhalt muß man das Filtrat aus der Probemahlzeit zur 
Bestimmung benutzen, da die festen Teile der Probemahlzeit 
die Beobachtung von Farbentönen (z. B. Grützners Verfahren) 
oder Durchsichtigkeit (Gross’, Liebmanns u. a. Verfahren) 
verhindern. 

Da man a priori nicht wissen kann, wie das Pepsin sich 
zwischen Filtrat und disperser Phase verteilt, wird eine Unter- 
suchung dieses Verteilungsverhältnisses vonnöten sein, wenn man 
von der Messung im Filtrate aus auf den Gesamtgehalt der Probe- 
mahlzeit an Pepsin schließen will. 

Durch ein einziges Verfahren ist man imstande, die Pepsin- 
menge sowohl des filtrierten als des unfiltrierten Mageninhalts 
zu messen, und zwar durch Metts Verfahren. Bei diesem Ver- 
fahren mißt man, wie lang die Säule ist, die von einer in einem 
Hahrröhrchen koagulierten Eiweißlösung verdaut wird, nachdem 
man das Röhrchen 24 Stunden mit 1 Teil Probemahlzeit und 
15 Teilen %/,,-Salzsäure bei 37° hat stehen lassen. 

Bei den Versuchen wurde stets die Ewaldsche Probemahlzeit 
benutzt; die Mettschen Röhrchen waren standardisiert [ad mo- 
dum Johanne Christiansen]!). 


1) Diese Zeitschr. 46, 257. 1912. 
Biochemische Zeitschrift Band 107. 10 


146 A. Norgaard: 


Ein Vergleich des Befundes in den Filtraten mit den ent- 
sprechenden Befunden aus der unfiltrierten Probemahlzeit einer 
großen Reihe von Fällen ergab dieselben Werte in Probemahlzeit 
und Filtrat, falls die Probemahlzeit die normale Säurezahl auf- 
wies oder Hyperacidität vorlag. Zum Beispiel: 


Tabelle A. 
Unfiltriert: 85 91 91 11,2 9,8 82 7,5 93 92 12,0 
Filtriert: 83 11,5 92 10,9 9,7 9,5 86 104 91 11,5. 
(Unfiltriert durchschnittlich 9,39. Filtriert durchschnittlich 9,87.) 
Ganz anders verhält es sich, wenn die Probemahlzeit vor der 
Filtration achylisch war. Zum Beispiel: | 


Tabelle B. 
Unfiltriert: 6,0 3,0 4,3 49 5,4 1,3 5,5 10 71 8,8 
Filtriert: 0 0 0O O O 9 02 0,2 0,5 2, 5. 

Das Filtrat wird bei den achylischen Probemahlzeiten nur 
einen Bruchteil der in der Probemahlzeit vorhandenen Pepsin- 
mengen enthalten; oft ist das Filtrat a pe ptisch, obgleich 
die Probe mahlzeit eine nicht geringe Menge Pepsin 
enthält!). | 

Der Grund dazu ist in dem Umstand zu suchen, daß das 
Pepsin in der Probemahlzeit gleichmäßig verteilt ist, falls die 
Acidität eine gewisse Grenze übertrifft; sinkt die Acidität unter 
diese Grenze hinab, wird das Pepsin an die aufgeschlämmten 
Teile gebunden, und das Filtrat wird dann mehr oder minder 
pepsinfrei. 

Daß dies richtig sein muß, läßt sich leicht durch Versuche 
dartun. Macht man die achylische Probemahlzeit sauer und 
läßt man darauf eine gewisse Zeit (etwa 1 Stunde) verstreichen, 
wird man bei der Filtration ein Filtrat erhalten, das dieselbe 
Menge Pepsin enthält wie die Probemahlzeit. Zum Beispiel: 


1) So ergab eine Untersuchung von 55 achylischen Probemahlzeiten 
folgendes Resultat: 


Werte nach 

M ett 
Filtrierte 
Probemahlz. 


Unfiltrierte 0 
Probemahlz. 


0 0— 1,1—2|2,1—3 2141-5 51-10 >10 Total 


23 12 


Pepsinbestimmung. 147 


Tabelle C. 
Unfiltriert : 6,6 7,1 88 60 70 61 49 30 3,1 
Natives Filtrat: 0,4 0,5 25 0 25 08 hb 0 0 
Saures Filtrat: 6,7 6,8 9,8 5,5 7,5 4,5 4,8 2,6 2, 3. 

Daraus erhellt, daß die Salzsäure des Ventrikels nicht nur 
dadurch von Bedeutung ist, daß sie der Ferment wirkung ein 
passendes saures Milieu verschafft, sondern zugleich zur Be- 
freiung des Pepsins von den aufgeschlämmten Teilen beiträgt, 
die zwar Pepsin binden, aber zu ihrem Abbau kein Pepsin er- 
fordern; dadurch wird der therapeutische Nutzen einer Dosierung 
von Salzsäure verständlich. 

Sucht man Klarheit zu gewinnen über die Lage des Punktes, 
bei dem der Absorptionsumschlag stattfindet, so zeigt es sich 
bei Betrachtung der Säurezahlen der bezüglichen Probemahl- 
zeiten, daß alles Pepsin freigemacht ist in den Fällen, wo Boas’ 
(Günzburgs) Reaktion positiv ist, und in den meisten von den 
Fällen, wo das Kongopapier blaue Farbe annimmt. Was den 
Alizarinumschlag betrifft — Alizarin ergibt Farbenumschlag beim 
Neutralpunkt — zeigt es sich, daß die Absorptionserscheinungen 
sich nur bei Alizarinzahlen unter 25 nachweisen lassen, — Titration 
in gewöhnlicher Weise mit Sie NOCH. Die Grenzen sind jedoch 
nicht scharf. Der Grund dazu ist u. a. in dem Umstand zu suchen, 
daß eine gewisse Menge Pepsin in Lösung treten kann, wo die 
aufgeschlämmten Teile mit Pepsin gesättigt sind, wie es der Fall 
sein wird, 1. wo die vorhandene Pepsinmenge eine sehr reichliche 
ist oder 2. die Menge der aufgeschlämmten Teile eine sehr spär- 
liche ist. 

1. Wenn man zu Proben derselben achylischen Probemahl- 
zeit zunehmende Mengen von Pepsin setzt und das Resultat 
untersucht, zeigt es sich, daß man kleine Mengen Pepsin zu- 
setzen kann, ohne daß das Filtrat Pepsin enthalten wird; über- 
treffen aber die zugesetzten Pepsinmengen eine gewisse Grenze, 
steigert sich der Pepsingehalt sowohl der Probemahlzeit als des 
Filtrats. Zum Beispiel: 
Tabelle D. 
Unfiltriert: 1,6 1,9 2,7 3,7 
Filtriert: 0 0 13 16. 

Der Zusatz muß unter gewissen Kautelen stattfinden, da die 

verschiedenen Pepsinpräparate (Brückner, Langebeck, Ar- 


10* 


148 A. Norgaard: 


mour) an und für sich so sauer sind, daß sie auf Kongopapier 
reagieren. 

2. Die Zahlen der Tabelle B zeigen, daß sich im Filtrat bald 
wenig, bald kein Pepsin findet. Weder die absoluten Pepsin- 
mengen (die Pepsinmenge der unfiltrierten Probemahlzeit) noch 
die Säurezahlen offenbaren, ob Pepsin in das Filtrat hinübergeht 
oder nicht. Vergleicht man aber die im Filtrate gefundenen Re- 
sultate mit einem Moment, „dem gesamten Bodensatz“, einem 
hier in der Klinik bestimmten Wert!), so sieht man, daß die 
Pepsinzahl 0 vorliegt, wo „der gesamte Bodensatz“ groß ist, 
während ein wenig Pepsin in das Filtrat hinübergeht, wenn das 
genannte Moment klein ist. Es ist klar, daß die Möglichkeit einer 
Adsorption des gesamten Pepsins um so größer ist, je mehr auf- 
geschlämmte Teile (gesamte Bodensatz) in der Probemahlzeit 
vorhanden sind; je weniger aufgeschlämmte Teile sich darin 
finden, um so größer ist die Möglichkeit eines Verbleibens eines 
Teils des Pepsins in der Lösung. 

Diese Untersuchungen ergeben, daß man bei den früher an- 
gestellten klinischen Untersuchungen über den Pepsingehalt von 
Probemahlzeiten, bei denen das Filtrat nicht von mindestens 
einer Stunde zuvor sauergemachter Probemahlzeit herrührt, nur 
bei denjenigen Probemahlzeiten richtige Werte erhalten hat, die 
eine normale oder eine vermehrte Säuremenge enthielten, während 
man bei achylischen Probemahlzeiten zu geringe Werte der 
Pepsinmenge erhalten hat. 

So fand ich bei der Untersuchung von 70 achylischen Probe- 
mahlzeiten nie eine vollständige Apepsie, wenn die Pepsinmenge 
auch oft bedeutend herabgesetzt war. 


Diese Untersuchungen eröffnen ferner die Möglichkeit, daß 
der unter dem Namen Pepsinogen oder Propepsin angenommene 
Stoff nichts anderes ist, als durch Adsorption an die Zellen der 
Schleimhaut gebundenes Pepsin — wenn sie dies auch nicht 
geradezu beweisen. Die Behandlung mit Salzsäure ist daher nicht 
eine Aktivierung im gewöhnlichen Sinne dieses Wortes, sondern 

1) „Der gesamte Bodensatz“, normaliter etwa 40 ccm, bezeichnet die 
Anzahl Kubikzentimeter, die Bodensatz in einem Meßglas ausmacht, wenn 


die Probemahlzeit und das Spülwasser nebst Wasser bis zur Marke 500 
darein getan sind. Das Ablesen findet nach 24 Stunden statt. 


Pepsinbestimmung. 149 


eine einfache Aufhebung einer Adsorption in einem alkalischen 
Medium. 
Zusammenfassung. 

1. In achylischen Probemahlzeiten geht das Filtrat pepein- 
frei oder pepsinarm durch das Filter, weil das Pepsin an die 
festen Teile gebunden ist. Dies Binden findet nicht statt bei 
normalen oder gesteigerten Säurezahlen. | 

2. Die aufgeschlämmten Teile können nur eine gewisse Menge 
Pepsin aufnehmen. Der Überschuß geht in das Filtrat über, was 
von Bedeutung ist, wenn bei achylischen Probemahlzeiten ent- 
weder viel Pepsin oder wenig aufgeschlämmte Teile vorhanden 
sind. 

3. Pepsinogen ist möglicherweise dasselbe wie adsorbiertes 
Pepsin. 

4. Bei klinischen Pepsinbestimmungen ist Metts 
Verfahren zu benutzen und mit unfiltrierten Probe- 
mahlzeiten zu arbeiten. 


Über die Stabilität der «-Glucose. 


Von 


Hans v. Euler und Arvid Hedelius. 
(Aus dem biochemischen Laboratorium der Hochschule Stockholm.) 
(Eingegangen am 16. April 1920.) 
Mit 2 Abbildungen im Text. 


Die vorliegende Untersuchung ist, wie eine ähnliche von 
Euler und Laurin), durch neuere Ergebnisse veranlaßt, welche 
über den Temperaturkoeffizienten der Inaktivierung der Sac- 
charase gewonnen worden sind. 

Berechnet man den Temperatureinfluß auf die Inaktivierung 
der Saccharase nach der Arrheniusschen Formel 

A(T, - 79 
k= ke 2 T. fi, 
so findet man für die Konstante A den Wert 101 000. Temperatur- 
koeffizienten von dieser Größe sind bis jetzt bei chemischen 
Reaktionen — mit Ausnahme der Hitzekoagulation der Pro- 
teine — nicht bekannt; die bis jetzt ermittelten A-Werte liegen 
im allgemeinen zwischen 10 000 und 30 000, diejenigen der en- 
zymatischen Reaktionen noch niedriger (etwa 5000 bis 10 000). 

Um eine Einsicht in den Chemismus der Enzyminaktivierung 
zu gewinnen, ist es wünschenswert zu erfahren, welche Reaktionen 
Temperaturkoeffizienten von der gleichen Größe wie die Enzym- 
inaktivierungen besitzen). 

Nun hatten Euler und Laurin?) beim Studium der Saccha- 
raseinaktivierung gefunden, daß der Temperaturkoeffizient dieses 
Vorganges bei der Acidität von etwa 0,00003 u. H’ oder Pg = 4,5 
ein ausgeprägtes Maximum der Stabilität aufweist, wie aus folgen- 
dem Auszug aus einer Tabelle der genannten Arbeit hervorgeht. 


1) Euler und Laurin, Sv. Vet. Akad. Arkiv f. Kemi 7, Nr. 32. 1920. 

2) Siehe hierzu auch Euler und af Ugglas, Zeitschr. f. physiol. 
Chemie 65, 124. 1910. 

3) Euler und Laurin, Zeitschr. f. physiol Chemie 108, 64. 1919. 


H. v. Euler und A. Hedelius: Stabilität der a-Glucose. 151 


Aciditat PR 4 
SS ͤ A e a 75 000 
4553535 101 000 
„ Er 87 000 i 
F E ër d ri 53 000. 


Dieses Maximum des Temperaturkoeffizienten fällt fast voll- 
kommen mit dem Aciditätsmaximum der Stabilität der Saccharase 
und mit dem isoelektrischen Punkt dieses Enzyms zusammen. 

Es war nun die Vermutung naheliegend, daß auch bei anderen 
und zwar chemisch bekannten Stoffen der Temperaturkoeffizient 
der Umwandlungs- bzw. Spaltungsgeschwindigkeit sich mit der 
Acidität ändern und bei der Acidität der größten Stabilität der 
Substanz ein Maximum erreichen würde. 

Wir untersuchten deshalb, ob sich bei der Umlagerung der 
&-Glucose in wässeriger Lösung (Mutarotation) ein Maximum des 
Temperaturkoeffizienten beim Maximum der Stabilität zeigt. 

Hierzu war es zunächst notwendig, das Aciditätsmaximum 
der Stabilität der gelösten &-Glucose zu ermitteln, also festzu- 
stellen, in welcher Weise die Mutarotation der &-Glucose von der 
Konzentration der H’ bzw. HO’-Ionen abhängt. 


I. Frühere Arbeiten. 

Außer den älteren Arbeiten von Urech!), Levy?) und 
Trey?) sind hier besonders die Untersuchungen von Y. Osa ka“) 
und von C. 8. Hudson’) zu erwähnen. | 

Die beiden letztgenannten Autoren haben sich mit dem Ein- 
fluß der Acidität auf die Birotation der Glucose beschäftigt. 
Bekanntlich wird der Rückgang der Rotation der Glucose sowohl 
von Säuren als von Alkalien stark beschleunigt, und zwar durch 
letztere noch viel mehr als durch erstere. | 

C. S. Hudson hat seine und Osakas Ergebnisse in einer 
Formel zusammengefaßt, welche die Umwandlungsgeschwindig- 
keit der Glucose in ihrer Abhängigkeit von Wasserstoff- und 
Hydroxylionen darstellen soll. Die Formel gilt für 25° und lautet: 


k = 0,0096 + 0,258 H` + 9750 HO’. 


1) Urech, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 17, 1547. 1884. 

2) Levy, Zeitschr. f. physikal Chemie 17, 301. 1895. 

3) Trey, Zeitschr. f. physikal. Chemie 22, 424. 1897. 

) Osaka, Zeitschr. f. physikal. Chemie 35, 661. 1900 und Mem. Coll. 
Science Kyoto Univ. 1, 304. 1908. 

D Hudson, Journ. Amer. Chem. Soc. 29, 1571. 1907. 


152 He Euler und A. Hedelius: 


Nehmen wir für diese Temperatur das Ionenprodukt des 
Wassers zu 1, 20. 10-14 an, so erhalten wir aus obiger Formel 
folgende Werte: 


Pu k. 10° 

e, e e d 1218 

F 986 

J A, Ae a 962,7 

4 961 (Maximum d. Stabilität) 
On ae Werden 961,25 

| weg Aere të 971,7 

R 1077 


Das Maximum der Stabilität bzw. das Minimum von & würde 
der Formel gemäß also bei pH = 4,6 oder bei H = 2,5. 10-5 
liegen. 

Außerdem können noch folgende Daten in Betracht gezogen 
werden: 

Nach Trey wird k durch O, I n-Essigsäure (py = 2,9) ver- 
kleinert und nach Osaka tritt wenigstens in 0,03 n-Essigsäure 
(pe = 3,17) keine Beschleunigung ein, dagegen eine Verzögerung 
bei 0,0066 n-Essigsäure (pe = 3,5) und bei 0,0033 n-Bernstein- 
säure (Pg = 3,3). Diese letzteren Daten deuten schon darauf 
hin, daß die Acidität der maximalen Stabilität etwas größer ist, 
als sich aus der Hudsonschen Formel ergibt. 

Weder Hudson noch Osaka hat die Acidität der Lösungen 
direkt gemessen, sondern sie haben nur den Titer der Natron- 
lauge bzw. Salzsäure ermittelt und daraus die H-Konzentration 


„abgeleitet. Auf diese Weise gelangt man bei Aciditäten, welche 


größer als 0,001 n-HCl, und bei Alkalinitäten, welche größer 
als 0,001 n-NaOH sind zwar zu angenähert richtigen Werten, 
aber gerade im interessantesten Gebiet, zwischen Pyg = 3 
bis 8 wird die H-Bestimmung aus der Titrationsacidität viel zu 
ungenau. | 

Es waren daher in diesem Gebiet neue Messungen notwendig. 


II. Experimentelles. 


Die meisten Versuche sind bei 20° ausgeführt; daher haben 
wir zu jedem Versuch 2g reinste Glucose (Kahlbaum) genau 
abgewogen und in 20 cem Wasser gelöst, welches auf genau 20° 
vorgewärmt worden war. Die Auflösung wurde möglichst be- 
schleunigt und sobald dieselbe vollzogen war, wurde die Haupt- 


Stabilität der &-Glucose. 153 


menge der Lösung in ein 1 dm-Polarisationsrohr eingeführt, welches 
mit Wassermantel und oberer Öffnung zum Einführen des Ther- 
mometers versehen war. Während des ganzen Versuches wurde 
der Mantel von 20grädigem Wasser durchspült. Unmittelbar 
nach dem Einfüllen wurde die erste Ablesung der Drehung im 
Polarisationsapparat gemacht. Die durchspülte Röhre verblieb 
während der Dauer des Versuches auf dem Polarisationsapparat; 
in geeigneten Zeitabständen wurden die Drehungen abgelesen, 
welche dann nach der Formel für monomolekulare Reak- 
tionen, deren Gültigkeit für die vorliegende Reaktion schon von 
Urech festgestellt worden war, berechnet wurden. 

Da es galt, die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit 
von der Acidität genau festzulegen, so wurde mit „Puffern“ ge- 
arbeitet, und die Glucose wurde also nicht in reinem Wasser 
sondern in den Pufferlösungen aufgelöst. 

Diese Pufferlösung wurde hergestellt, indem 0,10 n-HCI und 
0,10 n-Natriumeitratlösung in wechselnden Mengenverhältnissen 
gemischt wurden. Da die Glucose selbst eine schwache Säure ist, 
wurde die Acidität in den Pufferlösungen erst nach Zugabe der 
Glucose gemessen. Die Bestimmungen geschahen elektrometrisch 
nach Sörensen und Michaelis. Der py-Wert der 0,10 n-HCl 


Versuche. 
A. Die Reaktion bei 20°. Puffer 0,1-molar. 


| 
33 6,35 129 13⁰ 
51 ³ 5583 127 
oc | 4,84 — 
4,28 1 | 9,02 — l 
14 7,99 88 
30 7,12 88 90 
45 6,41 91 
62 5,90 96 
oe 4,84 ki 
4,08 0 9,28 — 
7 8, 60 86 
20 7, 82 87 87 
30 7,27 7 
50 6,44 88 
00 4,84 — 


154 | H. v. Euler und A. Hedelius: 


SKS 


Pa 
3,34 0 9,34 
13 8,40 
25 7,73 
40 7.05 78 
63 6,26 
90 4,84 
3,08 0 9,55 
10 8,76 
26 7,82 
47 6,87 77 
75 6,04 
100 5,60 
OO 4,84 
2,66 0 9,56 
11 8,68 
24 7,87 
36 7,26 81 
65 6,25 
OO 4,34 
2,04 0 9,05 
8 8,38 
29 7,07 
45 6,37 95 
75 5,71 
105 5,29 
oo 4.84 
1,02 0 3,65 
12 6,63 
25 5,81 | | 200 
oo 4,84 
B. Reaktion bei 20°. Puffer O, Ol-molar. 
4,96 6 10,21 e es 
(Sek. Citrat) 25 8,45 173,5 
20 8,25 | 72,8 | 72,8 
| 35 7,97 | 72,0 í 
45 7,51 l 72,9 ! 
3,43 E 0 9,90 — 
(HCI + sek. Citrat) 10 9,22 67, 0 
20 8,65 05.8 J Ga 
30 8,10 68,4 
40 7,67 g 68,4 | 
2,54 0 9,33 — | 
(HCI + sek. Citrat) | 25 8,28 71,0 
30 8,00 72,8 72,0 
35 7,78 | 72,4 
40 7,58 ' 71,8 
1,75 0 9,90 € t 
(HCl, etwa 0,01-n.);, 25 8,08 87,2 87.2 
40 7,27 86,7 ’ 
45 7,05 | 87, 


EA. . 


Stabilität der &-Glucose. 155 
C. Reaktion bei 20°. Wechselnde Konz. des Puffers (sek. Citrat). 


Drehung 
8 in Graden 


*. 10* Mittel 


k. 10‘ 
4,87 0 8,94 — 
Sek. Citrat O, 0O5- mol.“ 10 8,11 107 
20 7,45 107 107 
25 7,21 105 
30 7,00 103 
4,80 0 9,26 — 
Sek. Citrat 0, O2- mol.“ 10 7,89 175 
E 15 7,31 185 179 
20 6,80 184 
25 6,59 180 
D. Reaktion bei 20°. Glucoselösung in destill. Wasser. 
4,93 0 9,48 — 
10 8,80 74,0 
20 8,25 72,0 72,2 
30 7,79 71.0 
45 7,15 73,8 
E. Reaktion bei 12°. Pufferlösung wie bei A. 
3, 34 | 0 9,40 — 
| 28 8,56 32 
85 7,37 30 31 
149 6,44 31 
œo | 4,84 — 


Drehung | 104 k.10* 

Pu in Graden | E | Mittel 
0 4,60 — 

35 2,50 74,5 

40 2,27 77 

45 2,13 74,5 75,5 

50 1,92 76 

55 1,77 75,5 

60 1,61 76 


betrug etwa 1, derjenige der 0,10 n-Natriumcitratlösung etwa 5, 
so daß durch die Mischung der beiden Lösungen der hier näher 
zu untersuchende Aciditätsbereich umfaßt wurde. 

Die Anwendung von Puffern führte den Nachteil mit sich, 
daß die zu untersuchenden Lösungen Salze enthielten, welche die 
Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen. Gerade bei der Um- 
wandlung der Glucose ist die Wirkung geringer Salzkonzentrationen 
besonders stark. Wie schon Trey beobachtet hat, tritt hier 
durch geringe Konzentrationen von NaCl eine Beschleunigung 


156 H. v. Euler und A. Hedelius: 


der Mutarotation ein, bei größeren Konzentrationen!) eine Ver- 
zögerung. In einer besonderen Versuchsreihe haben wir deshalb 
die Konzentrationsfunktion unseres Puffergemisches festgestellt 
und auf die Konzentration O zu extrapolieren versucht. 


Besprechung. 


Wir stellen nun zunächst die bei 20° mit 0,100- und 0,010- 
molarer Pufferlösung erhaltenen Ergebnisse graphisch in der 
Abb. 1 zusammen. 

Zunächst sehen wir unmit- 
telbar, daß das Maximum der 
Stabilität bei größerer Acidität 
liegt, als nach den Versuchen 
und der Formel von Hudson 
und Osaka. In der O, Ol-molaren 
Pufferlösung liegt das Maximum 
etwa bei pH = 3, 5; eine Extra- 
polation auf die Pufferkonzen- 
tration O würde etwa den Wert 
Py = 3,6 ergeben. In der 0,10- 
molaren Pufferlösung ist das 
Maximum etwas gegen die saure 
Seite hin verschoben worden 
(pe = 3). Ferner ist das Maxi- 
mum in der konzentrierteren Pufferlösung sehr viel ausgeprägter. 

Extrapolieren wir auf die Pufferkonzentration 0, so ergibt 
sich als Acidität des Stabilitätsmaximums 

Py = 3, 6 + 0,2. 
Hiermit lassen sich die eingangs erwähnten Beobachtungen von 
Osaka über den Einfluß von 0,03 n-Essigsäure (pg = 3,17) gut 
vereinbaren. 

Was dann die absoluten Werte unserer Konstanten und die 
Übereinstimmung mit früheren Versuchen betrifft, so ist zunächst 
zu bemerken, daß Osaka und Hudson für die reine Glucose- 
lösung den Wert pg = 7, mit anderen Worten vollkommene 
Neutralität, stillschweigend angenommen haben. Dies trifft nun 


1) Die Angaben über die Grenzen dieser beiden entgegengesetzten 
Wirkungen sind unsicher; sie dürften bei etwa 0,2 n-NaCl liegen. Siehe 
hierzu auch Osaka, l. c. Zeitschr. f. physikal. Chemie, S. 705. 


Stabilität der a-Glucose. 157 


aber nicht zu, vielmehr zeigt eine Glucoselösung in destilliertem 
Wasser von gewöhnlicher Qualität (mit dem normalen Gehalt 
an CO,) recht konstant den Aciditätswert pe = 4,8 — 5,0. 
Gehen wir davon aus, daß die in früheren Untersuchungen — 
auch denen von Euler und af Ugglas — mit destilliertem 
Wasser ausgeführten Versuche bei der mittleren Acidität Py 
= 4,9 bis 5,0 angestellt waren, so finden wir eine recht befrie- 
digende Übereinstimmung mit den früheren Ergebnissen. 
Vermittels der Zusammen- 
stellung in der Abb. 2 können 
wir nämlich bei dieser Acidität 
auf die Pufferkonzentration 0 
extrapolieren!). Wir erhalten 
dann für die Temperatur 20° 


k - 10% =: 66. 


Es ist dies genau der Wert, 
welchen Osaka für die wässe- 
rige Glucoselösung bei dieser 
Temperatur angibt (Mem. Coll. 
Science 1, S. 306). Reduzieren 
wir den von Hudson ange- 
nommenen Wert 106 von 25° 
auf 20° mit dem von Osaka 
und von Euler und af Ugglas festgestellten Temperaturkoeffi- 
zienten, so finden wir den Wert 65. Euler und af Ugglas geben 
den Wert 64 an. | 

Aus den in den Abb. 1 und 2 enthaltenen Zahlen können 
wir schließlich für das Maximum der Stabilität (pg = 3,4 — 3,8) 
und die Temperatur 20° die Konstante kb. 104 = 63 extrapolieren. 

Dies steht wiederum in recht guter Übereinstimmung mit 
der Zahl, welche man erhält, wenn man Hudsons Minimumwert 
98 auf 20° reduziert. 

Nimmt man, wie dies Euler und Laurin (l.c.) bei einer 
ähnlichen Untersuchung des Äthylacetats getan haben, an, daß 
das Stabilitätsmaximum des untersuchten Substrates dem iso- 


1) Aus der Abb. 2 geht hervor, daß sich im vorliegenden Fall die 
Neutralsalzwirkung innerhalb des untersuchten pn-Gebietes recht erheblich 
ändert. Die Kurve bedarf indessen noch einer weiteren Bearbeitung. 


158 H. v. Euler und A. Hedelius: Stabilität der a-Glucose. 


elektrischen Punkt desselben entspricht,!) so erhält man, unter der 
Voraussetzung, daß die Acidität der Glucose sich bei der Muta- 
rotation nur wenig ändert, und daß man also den für Glucose 
mehrfach, zuletzt von Michaelis?), festgestellten Wert 6,6 10-13 
(18°) hier anwenden kann, die Gleichung 


6,6. 10-13 
K, 
und somit K, = 10-!9. Wie bei der Berechnung des entspre- 
chenden Wertes für Äthylacetat kann es sich einstweilen nur um 

die Festlegung der Größenordnung (10-18 bis 10-20) handeln. 
Was schließlich den Temperaturkoeffizienten der Reaktion 

beim Stabilitätsoptimum betrifft, so ergibt eine Berechnung der 

Konstanten A der Arrheniusschen Temperaturformel den Wert 


A = 19300, 


also nur wenig höher, als für etwa pg = 5 gefunden wird. 

Aus den Daten von Osaka berechnen wir nämlich A = 17500, 
während Euler und af Ugglas aus ihren eigenen Messungen 
den Wert A = 17 340 fanden. 

Es liegt also hier keine annähernd so starke Abhängigkeit 
der Konstanten A von der Acidität vor, wie bei der Saccharase. 
Bis jetzt zeigt also nur die Hitzekoagulation der Proteine?) 
einen Temperaturkoeffizienten von ähnlicher Größe wie die 
Temperaturinaktivierung der Enzyme. 

Was hingegen die absolute Größe der Reaktionsgeschwindig- 
keit bei der Acidität der größten Beständigkeit angeht, so ist 
etwa bei 40° die «-Glucose weit instabiler als die Saccharase, 
wie folgende abgerundete Konstanten zeigen: 


Saccharase 40° k. 101 = 0,004 
&-Glucose 40° k - 10% = 500 


Erst bei sehr hohen Temperaturen würde Saccharase schneller 
umgewandelt werden als &-Glucose. 


[H] -Vý Ke  2,2-10-¢= -0,73 . 10-14 
b 


1) Der hier gefundene Einfluß der Neutralsalze auf das Stabilitäts- 
maximum gibt uns zu einer Untersuchung Veranlassung, ob nicht die 
„Neutralsalzwirkung“ bei Hydrolysen auf eine Beeinflussung des iso- 
elektrischen Punktes zurückzuführen ist. 

3) Michaelis, Diese Zeitschr. 65, 360. 1914. 

3) Chick u. Martin, Journ. of Physiol. 40, 404. 1910. 


Biochemische Zeitschrift 


Beiträge 17 J 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von $an Francısch 
F. Hofmeister -Würzburg, C. von Noorden -Frankfurt a. M., 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin 


unter Mitwirkung von 


M. Ascoli-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Biekel-Berlin, F. Blumenthal- 
Berlin, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, G. Bredig-Karlsruhe i. B., A. Durig-Wien, 
F. Ehrlich-Breslau, H. v. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, S. Flexner-New York, 
J. Forssman- Lund, S. Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich - Berlin - Dahlem, 
E. Frledberger-Greifswald, E. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel, 
F. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Härl-Budapest, A. Heffter- 
Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W. Heubner-Göttingen, R. Höber- 
Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, M. Kumagawa-Tokio, F. Landolf-Buenos 
Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-New York, L. v. Liebermann-Budapest, J. Loeb- 
New York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel-New York, L. March- 
lewski - Krakau, P. Mayer-Karlsbad, J. Melsenheimer- Greifswald, L. Michaelis - Berlin, 
H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münzer-Prag, W. Nernst-Berlin, W. Ostwald- 
Leipzig, W. Palladin-St. Petersburg, W. Paull-Wien, R. Pfeiffer- Breslau, E. P. Pick- 
Wien. J. Pohl-Breslau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona- Berlin, H. Sachs - Heidelberg, 
S. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sieber-St. Petersburg, S. P. L. Sörensen- 
Kopenhagen, K. Spiro-Liestal, E. H. Starling-London, J. Stoklasa-Prag, W. Straub- 
Freiburg i. B., A. Stutzer-Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner- München, H. Thoms-Berlin, 
P.Trendelenburg-Rostock, O. Warburg-Berlin, W. Wiechowskl- Prag, A. Wohl-Danzig, 
J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertundsiebenter Band 
Viertes bis sechstes Heft 
Ausgegeben am 2. August 1920 


Berlin 
Verlag von Julius Springer 
1920 


De Biochemische Zeitschrift 


erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus- 
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis 
eines jeden Bandes beträgt M. 40.—. Die Biochemische Zeit- 
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter- 
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen. 


In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn sie 
nicht mehr als 1% Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des 
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser 
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts 
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent- 
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen. 

Manuskriptisendungen sind an den Redakteur, 

Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorfstr. 18, 
zu richten. 

Die Verfasser erhalten 60 Sonderabdrücke ihrer Abhandlungen kosten- 
frei, weitere gegen Berechnung. Für den 16 seitigen Druckbogen wird ein 
Honorar von M. 40.— gezahlt. 


Verlagsbuchhandlung Julius Springer 
Berlin W 9, Linkstraße 23/24. 


107. Band. Inhaltsverzeichnis. 4.,5. u. 6. Heft. 
Seite 

Weszeczky, Oskar. Untersuchungen über die gruppenweise Hämag- 
naten beim Menschens Nk A 156 


Windisch, Wilhelm, Wilhelm Henneberg und Walther Dietrich. 
Über die Einwirkung oberflächenaktiver Nonylsäure und einiger 
oberflächenaktiver höherer Jlomologe der Alkoholreihe (Amyl- 
alkohol und Oktylalkohol) auf die Ilefezelle und die Gärung . 172 

Salkowski, E. Über die antiseptische Wirkung einiger Chlorderi- 
vate des Methans, Athans und Äthylens sn 191 

Hartwich, G. Eine neue Methode quantitativer Brom-Bestimmung 202 

Doerr, R. Zur Oligodynamie des Silbers. (II. Mitteilung). . . 207 

Walbum, L. E. Über die Wasserstoffionenkonzentration einiger 
Standardlösungen bei verschiedenen Temperaturen . 219 

Ege, Rich. Über die Restreduktion des Blutes. (Zur Physiologie 
des Blutzuckers. III) 229 

Ege, Rich. Zur Frage der Permeabilität der Blutkörperchen gegen- 


e A ee , gr 28 


über Glucose und Analaktrolytin . n Es A 246 
Hagedorn, H. C. Einige Bemerkungen über die Verteilung der 

Glucose zwischen Blutkörperchen und Plasma . . ...... 248 
Gad Andresen, K. L. Über die Verteilung der Reststickstoffkörper 

auf Plasma und Körperchen im strömenden Blute 250 
Warburg, E. J. Einige Bemerkungen über die Verteilung von 

Anionen zwischen Blutkörpern und Plasma . . 2.2.2... . 252 


Schweitzer. Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? . 256 
Herzfeld, E. und R. Klinger. Zur Chemie der Polysaccharide. Rein- 


darstellung von Polysacchariden. — Die Jodreaktion. — Die 
Wirkungsweise der diastatischen Fermente und die Dextrinstufe 
BOE-POIERBROHHEIGE EE ĩ˖˙ ⅛ •—ũͥd:( ir . 268 


Traube, J. Über die Bedeutung der Magen-Salzsäure und Bemer- 

kungen über die Bedeutung der W asserstoffionenkonzentration in 

den biologischen W issenschaften C 295 
Joachimoglu, Georg. Zur Pharmakologie des Selens und Tellurs. 

I. Mitteilung. Die Wirkung ihrer Säuren auf Bakterien . . 300 
Autorenverzeic hnis: 


Untersuchungen über die gruppenweise Hämagglutination 
beim Menschen. 


Von 
Oskar Weszeczky. 


Aus Aem Institut für allgemeine Pathologie der Universität in Debreczen.) 


(Eingegangen am 16. April 1920.) 


Die Untersuchung der Isohämagglutinine des menschlichen 
Blutserums, das heißt seiner Fähigkeit die Blutkörperchen von 
anderen Menschen zu agglutinieren, hat neuerdings sehr an Be- 
dutung gewonnen. 


_ Tsoagglutinine wurden im menschlichen Blutserum zuerst von Land- 
5 X er!) gefunden (1900). Bald überzeugte er sich, daß die Isohämagglu- 
es Le mit irgendwelchen Krankheiten nicht zusammenhängen. Land- 

© ner?) hat bereits ausdrücklich mittels der Isoagglutinine 4 Typen 
Menschenblutes feststellen können (1901, 1905, 1909). Später haben 
t N v. Dungern und Hirschfeld?) die gruppenspezifischen Struk- 
uren des Blutes studiert. v. Dungern bestätigte ebenfalls diese 
G ruppen und bestimmte ihre Häufigkeit. Dabei gaben die Autoren an, 
mit anderen Methoden Anhaltspunkte für noch weitere Unterschiede be- 
kommen zu haben. Kurz darauf fand Moss*) in Baltimore (USA) ganz 
= iche Zahlen. 


Die einleitend erwähnte praktische Bedeutung haben 
die Untersuchungen auf Isohämagglutinine neuerdings besonders 
m Nordamerika gewonnen, wobei man von dem Satz ausging, 
daß, wenn im Blute keine Isohämagglutinine enthalten sind, dann 
Auch keine Isohämolysine vorhanden sind (Moss). Deshalb darf 


1) Zentralbl. f. Bakt. 27, 361. Wiener. klin. Wochenschr. 1901; 46. 
Zentralbl. f. Bakt. 38, 548 (mit Leiner). 

2) Oppenheimers Handb. 1909, II, 1, 407—414. S. dort auch die 
Weitere Literatur. 
| 3) Münch. med. Wochenschr. 1910; Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 4, 
531. 1909; 6, 284. 1910; 8, 526. 1911. 

4) Folia serologica 1910, 267, V. Moss zitiert auch Jansky, der 
ebenso gruppierte. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 11 


160 O. Weszeczky: 


nur bei solchen Personen Transfusion vorgenommen werden, bei 
welchen konstatiert ist, daß sie gegenseitig keine Hämagglutinine 
enthalten. Nun ist zwar diese Regel nicht ganz einwandsfrei; 
wir besitzen schon ältere Angaben, wonach der Gehalt an Hä- 
molysin nicht immer parallel geht mit dem an Hämagglutinin; 
praktisch scheinen aber solche Ausnahmen nicht in Betracht zu 
kommen. 

Man hatte früher oft schlechte Erfahrungen mit Bluttrans- 
fusionen von Mensch auf Mensch, jedenfalls deshalb weil es dabei 
zu Hämolyse kam, durch Isohämolysine des Empfängers oder 
Gebers. Läßt sich nun durch eine einfache rasche Methode im 
voraus bestimmen, ob diese Gefahr nicht besteht, so gewinnt 
dadurch die Indikation von Transfusionen sehr (Moss, Otten- 
berg u. a.). In der nordamerikanischen Armee ging man des- 
halb bereits so weit, daß man massenhaft die Zugehörigkeit zu 
einer Blutgruppe bestimmte, um bei schweren Verwundungen 
gleich solche Individuen zu kennen und in nächster Nähe zu 
haben, die als Geber gefahrlos verwendet werden können. Auch 
im Spitalbetrieb soll an manchen Orten dieses System aus- 
gebildet worden sein!). 

Somit rückt die Bestimmung der Landsteinerschen Grup- 


pen-Hämagglutinine in die Reihe unserer üblichen Laboratoriums- 


methoden und es darf erwartet werden, daß mit ihrer Hilfe .die 
fast verlassene Transfusion wieder zu Bedeutung gelangt. 

Auf Veranlassung und Leitung von Herrn Prof. Verzär 
führte ich deshalb zahlreiche Untersuchungen zur Kontrolle der 
Methodik und der Angaben der Autoren aus. 

Massenhafte Untersuchungen an vielen Tausenden von In- 
dividuen haben zu dem Resultat geführt, daß die Menschen 
bezüglich ihrer Isoagglutinine sich in vier verschiedene Gruppen 
teilen lassen. Nach den Angaben des Laboratory Methods of the 
USA. army New York 1919 sind die folgenden Gruppen zu 
unterscheiden: 

Gruppe 1. (Zu dieser gehören 5% aller Menschen.) 

Das Serum agglutiniert Zellen keiner anderen 
Gruppe. Die Zellen (rote Blutkörp.) werden 
agglutiniert vom Serum der 2., 3. und 4. Gruppe. 


1) Wir verdanken diese Angaben dem Buche von Storm van Leeu- 
wen (Indrukten van een studiereis naar America bei Wolters, Haag 1920) 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 161 


Gruppe 2. (40%, aller Menschen.) 

Das Serum agglutiniert Zellen der Gruppe 1 und 3. 
Die Zellen werden agglutiniert durch Gruppe 3 
und 4. 

Gruppe 3. (10%, aller Menschen). 
Das Serum agglutiniert Zellen der Gruppe 1 und 2. 
Die Zellen werden ägglutiniert durch Gruppe 2 
und 4 (jedoch nicht immer). 

Gruppe 4. (45% aller Menschen). 
Das Serum agglutiniert Zellen der Gruppe 1, 2 
und 3. 
Die Zellen werden durch keine Gruppe agglutiniert. 

Dieses Verhalten zeigt die folgende kleine Tabelle: 


Es genügt also zur Bestimmung, zu welcher Gruppe irgend- 
ein Blut gehört, je ein Serum der 2. und 3. Gruppe. Mit einem 
Serum der 1. und 4. — wie das aus der Tabelle ohne weiteres klar 
it — kann noch nicht bestimmt werden, zu welcher Gruppe 
jemand gehört. 

Zur Gruppenbestimmung wird die makroskopische Ag- 
glutination auf dem Objektträger benutzt. Man gibt auf einen 
Objektträger je einen Tropfen eines Testserum 2 und 3; dann 
mischt man zu jedem etwa ½ Blut, welches man aus der 
Fingerbeere oder dem Ohrläppchen der zu untersuchenden Person 
entnimmt. Nach gründlichem Durchmischen und Hin- und Her- 
schwenken des Objektträgers, bemerkt man nach kaum einer 
Minute, ob Agglutination der roten Blutkörperchen eintritt. Wird 
das Blut durch Serum 2 und 3 agglutiniert, so gehören die Blut- 
körperchen zur Gruppe 1 Werden sie weder durch 2 noch durch 
3 agglutiniert, so gehört das Blut zur Gruppe 4. Agglutiniert 
Serum 2 nicht, jedoch Serum 3, so gehört das Blut zur Gruppe 2 
und im umgekehrten Falle zur Gruppe 3. 


Anstatt flüssigen Testserums wird in Amerika auf Deckgläsern oder 
Objektträgern getrocknetes Testserum in Verkehr gebracht. Will man dieses 
lla 


i 


162 O. Weszeczky: 


benutzen, so verfährt man auf folgende Weise: 1 bis 2 Tropfen werden in 
Leem 1—2proz. Na. citr. Lösung aufgefangen. Davon gibt man je einen 
Tropfen auf das Deckglas mit Trockenserum 2 und 3 und beobachtet im 
hängenden Tropfen. Die Agglutination erfolgt auf diese Weise erst nach 
10 Minuten. Diese Modifikation ist aber nur ein Notbehelf. 

Im allgemeinen ist die Objektträgeragglutination, wenn sie 
überhaupt erfolgt, außerordentlich grob und deutlich. Es bilden 
sich fast momentan kleine Klümpchen, die von Sekunde zu Se- 
kunde größer werden, bis die Zwischenflüssigkeit sich ganz klärt. 
Manchmal wird die Ablesung des Resultates etwas erschwert 
durch Geldrollenbildung, welche aber viel feinere Körnchen gibt, 
so daß sich der Geübte nicht täuschen wird. Selbstverständlich 
kann auch ohne Testsera bestimmt werden, ob zwei Individuen 
zur Transfusion geeignet sind. Man muß dann vier Reaktionen 
machen. Serum A mit Blut B und als Kontrolle auch mit Blut- 
körperchen A, ferner Serum B mit Blutkörperchen A und zur 
Kontrolle auch mit Blutkörperchen B. Nur wenn alle vier Proben 
negativ ausfallen, darf die Transfusion ausgeführt werden. 

Wir haben diese Methode vielfach ausprobiert. Original- 
testsera standen uns nicht zur Verfügung, sondern wir haben uns 
dieselben selbst hergestellt auf folgende Weise: Von etwa 15 bis 
20 Individuen wurde 1—2ccm Blut aus der Fingerbeere in kleine 
Reagensgläser entnommen, dann zentrifugiert und das Serum 
abpippettiert. Als Blutkörperchen wurden von derselben Person 
ein Tropfen frisches Blut benutzt. Man kann aber auch so ver- 
fahren, daß man die mit etwas Serum aus dem Blutkuchen aus- 
gepreßten Blutkörperchen benutzt. Man bringt dann sämtliche 
Sera mit Blutkörperchen eines jeden Individuums zusammen und 
notiert genau das Resultat. Dabei werden sich sehr bald solche 
Sera zeigen, welche alle roten Blutkörperchen außer ihren eigenen 
agglutinieren. Diese gehören zur Gruppe 4. Ferner wird man 
Sera finden, die überhaupt keine Blutkörperchen agglutinieren; 
diese gehören zur Gruppe 1. Die übrigen Sera gehören zur Gruppe 
2 und 3, und nun ergibt es sich aus der Frequenz, welche Sera 
zu der Gruppe 2 und welche zu der Gruppe 3 gehören. Alle jene 
Sera, welche nicht zur Gruppe 1 und 4 gehören, teilen sich näm- 
lich wieder in zwei Gruppen: Es gibt solche, die ihre Blut- 
körperchen gegenseitig agglutinieren oder das nicht tun, Man 
bezeichnet dann die häufigeren als Gruppe 2, die anderen als 
Gruppe 3. 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 163 


Vom methodischen Gesichtspunkt mag noch erwähnt werden, 
daß wir uns wiederholt überzeugten, daß makroskopische Häm- 
agglutination im Reagensrohr dieselben Resultate gibt, wie Ag- 
glutination auf dem Objektträger, und daß ferner die Sera in 
flüssigem Zustand, selbst wenn sie nicht steril aufbewahrt wurden, 
ihre spezifische Agglutinationsfähigkeit lange Zeit, mindestens 
vier Wochen lang und noch länger, behalten. Halbstündige Er- 
wärmung auf 56°C zerstört die Isoagglutinine nicht (Moss). 
Dieses Resultat wurde in mehreren hundert Fällen gefunden. 

Meine nächste Aufgabe war zu untersuchen, ob die anderen- 
orts gefundenen Prozentzahlen für die verschiedenen Gruppen 
sich auch bei uns — also bei einer ganz anderen Bevölkerung — 
konstatieren lassen. Nach Angabe der Amerikaner, die sich auf 
eine sehr große Anzahl von Untersuchungen stützt, beträgt die 
erste Gruppe 5%, die zweite 40%, die dritte 10%, die vierte 
45%. Nach v. Dungerns Angaben sind seine Gruppen 4,6%, — 
47,6% — 12,2% — und 35,3%. Auf Grund von 550 Unter- 
suchungen fanden wir die folgenden Prozentzahlen: 

1. Gruppe: 16,9%, 2. Gruppe: 37,3%, 3. Gruppe: 18,3%, 
4. Gruppe 27,5%. | 

Es zeigen sich also Unterschiede gegenüber den früheren 
Angaben und deshalb muß einiges über unser Untersuchungs- 
material gesagt werden. Zur Untersuchung wurden verwandt: 
1. Gesunde Menschen; 2. Kranke eines Militärspitals. Dieselben 
waren fast ausschließlich Gonorrhoiker und Luetiker, ferner 
leichte Interne, Kranke und Verwundete, 3. Zwecks Wassermann 
oder Widalreaktion eingesandte Blutproben. 4. en und 
gesunde Erwachsene. 


Tabelle I. 
Gesunde. 122 Ohrenkran kek 1 
Gonorrhõe 11 EEN 1 
Ulcus molle 12 Anaemia pernicio ss 1 

„ dur um 9 Typhus abdominalis 4 
Verwundete 20 Paratyphus 88. 1 
Scroph ul. 2 Typhus exanthemicuns 2 
Magenkr anne 8 Widal negativ .. ..... 6 
Bronchitis ........ 7 Wassermann negativ . . 295 
Rheumatismuunns 3 positiv ... 4l 
Maler, > E 2. ĩð 2 Zusammen 550 


164 | | O. Weszeczky: 


In Tabelle I ist die Anzahl der untersuchten Gruppen zahlen- 
weise angegeben. Es sei von vorherein bemerkt, daß sich auch 
bei uns irgendwelcher Zusammenhang der Isoagglutinine mit 
irgendeiner Krankheit oder Zustand der untersuchten Person in 
Übereinstimmung mit allen neueren Untersuchern nicht finden 
läßt, so daß die aus dieser Statistik gewonnenen Mittelwerte als 
Normalwerte zu betrachten sind. 

Der Unterschied zeigt sich hauptsächlich gegenüber der er- 
wähnten Prozentzahl in der ersten und vierten Gruppe. Die 
Amerikaner fanden, daß zu der ersten Gruppe 5%, wir dagegen, 
daß 16,9%, der Untersuchten gehören. Zu der vierten Gruppe 
gehören nach den Amerikanern 45%, bei uns 37,3%. In Über- 
einstimmung mit den früheren Autoren gehört die größte Zahl 
der Menschen, und zwar in Amerika 85%, bei uns 64,8% zu der 
zweiten und vierten Gruppe. Während der Unterschied zwischen 
der Prozentzahl der vierten Gruppe nicht gar zu groß ist, beträgt er 
bei der ersten Gruppe den dreifachen Wert der Amerikaner und 
v. Dungerns (16,9% anstatt 5%). Die Statistik der Amerikaner 
stützt sich — wie wir wissen — auf viele Tausende von Unter- 
suchungen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei einer Vermehrung 
der Fälle auch unsere Statistik sich ändern würde. Es ist jedoch 
nicht wahrscheinlich, daß speziell die Verhältniszahl der ersten 
Gruppe, eventuell auch der vierten sich wesentlich ändern würde. 
Es scheint dieses Resultat auf die Möglichkeit hinzuweisen, daB 
vielleicht Rassenunterschiede an der Verteilung der Menschen 
innerhalb verschiedener Gruppen beteiligt sind. Unser Material 
bestand, von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, aus Sieben- 
bürger Deutschen (Sachsen), Rumänen und Ungarn. Irgend- 
welcher Zusammenhang mit der Nationalität läßt sich aber auch 
nicht nachweisen, wie das die folgende kleine Statistik (siehe 
Tabelle II, S. 156) zeigt. 

Die drei hier in Betracht kommenden Nationen leben aller- 
dings bereits seit Jahrhunderten insolcher Gemeinschaft zusammen, 
daß eine größere Vermischung allenfalls stattgefunden hat, so 
daß also von einem Vergleich gänzlich rein gebliebener Rassen 
nicht die Rede sein kann. 

Bei der Untersuchung einer größeren Anzahl von Personen 
wurde eine Statistik über Körpergröße, Haut- und Haarfarbe, 
Gewicht und Krankheiten geführt. Keinerlei Zusammenhang 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 165 


Tabelle II. 


Ungarn: 457. 
77 16,8% 174 = 38,1% 86 = 18,8%/,| 120 = 26,3% 
Rumänen: 81. 
14 = 17,3% | 28 = 34,5% 13 = 16,1%] 26 = 32,1% 
Deutsche: 12. 
2 = 16,6% 3 = 25% | 1= 8,3% 6=50% 
Zusammen: 550. 
93 = 16,9% 205 = 37,3% 100 = 18,3% 152 = 27,5% 
zwischen diesen und der Gruppe einer Person konnte gefunden 
werden. 

Woher stammt diese merkwürdige Teilung der Menschen in 
vier Gruppen! Kein Anhaltspunkt bezüglich der Rasse, Habit us, 
Krankheit ist bisher gefunden. Ehe diese, nunmehr durch die 
praktische Verwendung dieser Methode nicht nur theoretisch 
interessante Frage beantwortet werden kann, mußte man sich 
darüber klar sein, wie diese Verhältnisse bei Tieren liegen, wo 
sie auch eventuell experimentell untersucht werden können. Es 
ist deshalb von Interesse zu untersuchen, ob sich bei Tieren auch 
derartige gruppenweise Isoagglutinine, wie bei Menschen nach- 
weisen lassen. Bei Tieren liegen Untersuchungen von Dungern 
und Hirschfeld vor, die bei Hunden normal keine, sondern nur 
nach Injektion von Blut anderer Individuen Isoagglutinine auf- 
treten sahen, wobei auch Gruppen zu beobachten waren, die aber 
von der Rasse ganz unabhängig waren. (Nachträglich sehen wir, 
daß auch Katzen gelegentlich positive Befunde hatten, doch ohne 
Gruppenbildung [Ottenberg und Thalhimer]!), während bei 
Fröschen Morris Fischbei n?) keine Isohämagglutinine gefunden 
haben, während Klein?) beim Pferd positive Befunde hatte “).) 

Unsere Untersuchungen wurden an Kaninchen, Meerschwein- 
chen, Rindern, Pferden, Hühnern, Hunden und Schweinen aus- 
geführt. 
`` H R. Ottenberg and W. Thalhimer, Studies in experimental 
Transfusion, Journ. of med. research. 33, 213. 1915. 

2) Isoagglutination in man and lower Animals, J. Inf. Diseases 12, H. 2. 
1913. e 
3) Wien. klin. Wochenschr. 1902, S. 413. 

1) Ferner sah Ottenberg und Friedmann (S. exp. med. 13, 
531) Isoagglutinine bei Ochsen und Kaninchen mit Gruppenbildung. 


166 O. Weszeczky: 


Kaninchen. Das Blut wurde aus dem Ohr entnommen. Untersucht 
wurden 22 Tiere. Mit dem Serum eines jeden Tieres wurden die roten Blut- 
körperchen eines jeden anderen Kaninchens zusammengebracht (462 Re- 
aktionen). In keinem einzigen Fall hat das Serum eines Kaninchens die 
Blutkörperchen eines anderen agglutiniert. Allerdings ist zu bemerken, 
daß alle Tiere aus derselben Zucht des Institutes stammten. Diese Zucht 
war aber nicht älter wie 2—3 Jahre; immerhin scheint es uns von Wichtig- 
keit, zu bemerken, da es ja denkbar wäre, daß innerhalb ein und derselben 
Zucht (Familie) keine Isoagglutinine vorkommen. (S. dagegen Ottenberg 
u. Fried mann L c.) 

Meerschweinchen. Untersucht wurden 18 Tiere der Institutszucht. 
Die Zucht war im Laufe der letzten Jahre wiederholt aufgefrischt worden. 
Unter den Tieren befanden sich verschiedenartigste Individuen: Albinos, 
gekräuselte Tiere und verschiedenfarbige langhaarige. Auch hier wurde. 
mit dem Serum eines jeden Tieres die Blutkörperchen eines jeden anderen 
zusammengebracht (306 Reaktionen). In keinem einzigen Fall wurde 
Agglutination der roten Blutkörperchen gefunden. 

Hühner und zwar 6 Hühner und 2 Hähne, gewöhnliche Marktware, 
verschiedenartigster Färbung wurden ebenso untersucht (56 Reaktionen). 
Kein Serum agglutinierte die Blutkörperchen eines anderen Tieres. Das 
Blut wurde aus dem Kamme entnommen. 

Rinder. 6 Ochsen (30 Reaktionen) und zwar 3 ungarische, 1 Pinz- 
gauer und 2 Mischrassiger. Blut aus der V. jugularis entnommen. Es fanden 
sich keine Isoagglutinine, obzwar zwischen diesen Tieren deutliche Rassen- 
unterschiede sich befanden. (S. dagegen Ottenberg Lei 

Dagegen agglutinierte das Serum von 5 Ochsen die Blutkörperchen 
von 2 Büffeln und nicht von 1 Büffel, während das Büffelserum die roten 
Blutkörperchen der Ochsen nicht agglutinierte. Büffelserum agglutinierte 
Büffel-Blutkörperchen nicht (1 Fall). Hierbei handelt es sich schon um 
Heteroagglutination, wobei es auffällt, daß die Heteroagglutination nicht 
gegenseitig ist. 

Pferde. Es wurden 4 Tiere untersucht. Die Agglutination auf dem 
Objektträger war schwierig, weil die Geldrollenbildung hier sehr stark 
ist, so daß wir nur schwer beurteilen konnten, ob in einem gegebenen Falle 
es sich um Geldrollenbildung oder Hämagglutination handelt. Auch beim 
Zusammenbringen von Blut mit Serum desselben Tieres ist diese Erschei- 
nung sehr stark, viel stärker als bei irgendeiner anderen von uns unter- 
suchten Tierart. Trotzdem wurde in Übereinstimmung mit Klein (l. c.) 
häufige Isoagglutination beobachtet. 


Blutkör- Serum 
perchen Pferd | 1 | 2 | 3 | 4 
ı Mannlich - ` 
2 Weiblich | — | — +1 + 
3 Kastriert | — | — | — |+ 
4 Weiblich | — !— X — 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 167 


Weitere Untersuchungen müßten zeigen, ob es sich hier um ähnliche 
Verhältnisse handelt, wie bei Menschen und außerdem müssen diese Ver- 
suche mit makroskopischer Agglutination ergänzt werden. 

Schweine. Das Blut stammte aus dem Schlachthaus. Untersucht 
wurden 11 Tiere (110 Reaktionen). Folgende Tabelle zeigt das Resultat: 


Blutkör- | 
perchen Schweine Mel 9 1011 
1 Waben , Weiblich | -!-|-|- — — — 
S trächtig i + a e WG FIRS 
4 „ Ferke! ——- ze. 
5 iert EE = 
6 zen +|+]- 
7 Weiblich —1——— 1 — PERI 
8 Kastriert bell E Ge escht Ges 
9 j 5 . 
10 | -|1-|-|- -|—-|- 
11 Ferkel Edel — — — 


Wie man sieht, wurden die Blutkörperchen von verschiedenen Tieren 
durch andere agglutiniert. 

Auffallend war besonders das Verhalten von Schwein Nr. 2, dessen 
Blut von 7 Sera agglutiniert wurde, dessen Serum selbst aber die Blut- 
körperchen von keinem anderen Tiere agglutinierte. Ebenso wurde Schwein 
6 und 7 durch vier verschiedene andere Sera agglutiniert, während es selbst 
keine anderen Schweine- Blutkörperchen agglutinierte. Ebenso merkwürdig 
ist es, wenn man die Schweine von der Seite der Sera betrachtet, dann sieht 
man, daß mit einigen Ausnahmen alle Agglutinationen durch dieselben 
Sera zustande kamen, nämlich durch Serum 3 —5 — 8 — 9 — 10 (Ausnahme 
ist Serum 1 und 4, welche die Blutkörperchen von nur einem Tier aggluti- 
nierten). 

Die Zahl dieser Untersuchungen an Schweinen ist natürlich viel zu 
klein, als daß man daraus weitgehende Folgerungen ziehen könnte, immer- 
hin zeigt diese kleine Versuchsreihe, daß bei Schweinen ähnliche Verhält- 
nisse zu sein scheinen wie bei Menschen. Wir können keine Vermutung 
darüber aussprechen, welche Ursache sie haben kann. An Rassenunter- 
schiede zu denken, fehlt hier jede sichere Basis. Die Tiere waren gewöhn- 
liche Marktware. 

Hunde. Man würde erwarten, daß gerade bei Hunden, bei welchen 
eine besonders starke Variabilität vorkommt, Isoagglutinine zwischen ver- 
schiedenen Individuen sich nachweisen werden lassen. Jedoch schon 
v. Dungern fand keine. 

Wir haben 8 Hunde untersucht. Das Blut wurde in Morphin-Narkose 
aus der V. jugularis entnommen. Kein Serum agglutinierte die Blutkörper- 
chen von einem anderen. Die Tiere waren durchgehend alle Bastarde von 
ganz verschiedenem Äußeren (Foxterrier, wolfshundähnlich, kleine und 
große Schäferhunde usw.). Nur in einem Fall wurde beobachtet, daß die 


168 O. Weszeczky: 


Blutkörperchen von einem Hund durch Sera von 2 anderen agglutiniert 
wurden, während das Serum selbst keine Blutkörperchen agglutinierte. 
Wir wollen aus diesem aber keine Folgerungen ziehen, weil das Blut von 
einem zu einem anderen Versuche stundenlang narkotisierten und mit 
intravenösen Injektionen von Blutegelextrakt behandelten Hund stammte. 

Die bisherigen Untersuchungen haben keine Anhaltspunkte 
gegeben, wodurch es bedingt sein kann, daß beim Menschen diese 
merkwürdige Gruppierung in verschiedene Gruppen bezüglich der 
Isoagglutinine stattfindet. Aus einer Statistik waren keine irgend- 
welchen Anhaltspunkte zu gewinnen. Bei Tieren fanden wir (ab- 
gesehen vom Schwein) nichts Ähnliches. Deshalb versuchten wir 
darüber Aufklärung zu bekommen, ob sich die Zugehörigkeit zu 
irgendeiner Gruppe vererbt? l 

In ihren erwähnten Versuchen haben v. Dungern und 
Hirschfeld bereits den Versuch gemacht eine Erklärung über 
diese merkwürdigen Unterschiede im menschlichen Blut zu geben. 
Sie haben deshalb bereits bei 342 Personen von 71 Familien 
(also durchschnittlich 4,8 Personen in einer Familie) auf die 
Gruppen untersucht und kamen zu dem Resultat, daß diese 
Strukturen sich der Mendelschen Regel entsprechend vererben. 
Sie unterscheiden eine Eigenschaft A und nicht A, B und nicht B, 
wobei A und B dominant, nicht A und nicht B rezessiv sind. Als 
Vererbungsregel gilt nach v. Dungern, daß wenn beide Eltern den 
Bestandteil A oder B in den Blutkörperchen nicht enthalten, 
er niemals bei den Kindern auftritt und umgekehrt; wenn beide 
Eltern dieselbe Struktur besitzen und findet man sie auch bei 
sämtlichen Kindern, jedoch mit Ausnahmen. Nie aber kommt 
eine Gruppe vor bei den Kindern, die nicht bei den Eltern ver- 
treten ist. So ließe sich gegebenenfalls auch der Vater eines 
Kindes erkennen. Auch ein Versuch an Hunden bestätigte das. 

Es ist bekannt aus Halbans!) Untersuchungen, daß auch 
schon das Blut des Neugeborenen Hämagglutination mit dem 
der Mutter geben kann. Daraus ist vorerst nur soviel klar, daß 
Mutter und Kind nicht zur selben Gruppe gehören müssen. Es 
war von Interesse zu untersuchen, wie sich diese Verhältnisse 
bezüglich der verschiedenen Gruppen stellen. Untersucht wurden 
19 Mütter und deren Säuglinge. In 10 Fällen von 19 gehörte das 


ı) Halban, J. Agglutinationsversuche mit mütterlichem und kind- 
lichem Blute. Wien. klin. Wochenschr. 1900. 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 169 


Blut des Säuglings in dieselbe Gruppe, wie das der Mutter. Die 
9 anderen Fälle gruppierten sich folgenderweise: 
4 mal gehörte die Mutter in die Gruppe 2, das Kind in Gruppe 4 


3 5 an „ H 55 „ d l, ” * en 55 3 
1 „ 39 * 77 zm „» D l, , 5 „ „ 3 
1 (LU 57 H 27 995 a . An l, H A LK 97 2 
1 „ D 55 d nm „7 „ 3, D 5 „ „* 4 


Keinerlei Gesetzmäßigkeit ist hier zu bemerken, jede Kom- 
bination kommt vor, allerdings scheint die Kombination mit 
2 und 4 besonders häufig zu sein. In diesen Fällen war die Gruppe 
des Vaters unbekannt. 

In der folgenden Tabelle sind nun verschiedene Fälle zu- 
sammengestellt, aus welchen bei Erwachsenen ersichtlich ist, wie 
sich die Gruppe vererbt. Die Zahlen bedeuten die Gruppe; V? 
und M? bedeutet, daß die Gruppe des Vaters bzw. der Mutter 
unbekannt blieb. In solchen Fällen ist eine eventuelle Gleich- 
heit der Gruppen unbeweisend, weil eventuell auch die Eltern 
gleich waren. 


H ) 
Mutter! Tochter Sohn | Vater | Tochter | Sohn ne | Tochter| Sohn 

3 12 2 2 

4 23 3 3 

2 1 1 2 4 
4 4 4 2 4 
4 3 3 M? 2 4 
2 3 3 M? 2 2 
4 2 2 M? 2 2 
2 4 2 M? 2 2 
3 2 4 2 2 
2 3 3 
2 


Aus dieser Tabelle ist klar ersichtlich, daß die Gruppe sich 
von keinem der Eltern in gesetzmäßiger Weise auf eines oder 
beide Kinder vererbt. Dagegen geht daraus hervor, daß, wenn 
beide Eltern zur gleichen Gruppe gehören, auch die Kinder sehr 
häufig (unter 10 Fällen siebenmal) zur selben Gruppe gehören, 
während in den übrigen 3 Fällen die Eltern zur Gruppe 2, die 
Kinder zur Gruppe 4 gehörten, was jedenfalls auffallend ist. 
v. Dungern bemerkte in seiner erwähnten Arbeit, daß „die 
nachweisbaren Bestandteile der Blutkörperchen niemals rezessiv 
sind, und daher bei den Kindern nie erscheinen, wenn nicht eines 
der Eltern enthält“ (Münch. med. Wochenschr. 1910). 


170 O. Weszeczky: 


Endlich gelang es mir auch bei einigen Familien, Mitglieder 
von mehreren Generationen zu untersuchen. Es ist natürlich viel 
schwieriger, Stammbäume aus lebenden Individuen zusammenzu- 
stellen, als wenn man sich auf Überlieferungen stützen kann. 
Deshalb sind auch diese Stammbäume sehr lückenhaft. Die 


Familie G. 
Qt Q 
Familie R. 
Ot Ne Ot O 
S Ot O: O- 239,319,20,20,16 
OI: 2 Os (2) S 


Familie W. 


leeren Kreise bedeuten, daß das entsprechende Individuum nicht 
untersucht werden konnte. Ich glaube, daß die Mitteilung dieser 
Stammbäume nicht wertlos ist, denn nur durch Sammeln von 
solchen wird man ein klares Bild über die Vererbungsregeln hier 
bekommen, und bisher sind Fälle von drei Generationen nur 
selten bekannt geworden. In Familie G. herrscht die Gruppe 2, 
in Familie R. die Gruppe 4, in Familie W. die Gruppe 3. Es 
scheint also eine Gruppe immer zu überwiegen. Gestört wird 
die Eindeutigkeit dieses Resultates dadurch, daß wiederholt die 
Ehegatten zur gleichen Gruppe gehörten. 

Am interessantesten ist die Familie H., in welcher vier Gene- 
rationen vollständig vertreten sind. Die Gruppe 4 des Urgroß- 
vaters vererbt sich auf ®/, der Enkel und den einen Urenkel. 
Aus der Ehe der Großeltern, welche zur selben Gruppe 2 ge 
hören, entstanden zwei Kinder der Gruppe 2, und drei der 
Gruppe 4, also war in der zweiten Generation 2 dominant und 
4 rezessiv, was sich in die Mendelsche Regel einreihen läßt. 


— 


Gruppenweise Hämagglutination beim Menschen. 171 


Daß die Blutgruppe auch rezessiv sein kann, geht außer 
diesem Stammbaum auch mit Wahrscheinlichkeit aus einem 
weiteren Fall hervor, in welchem das Kind weder zur Gruppe 
des Vaters noch zu der der Mutter gehörte. In Familie R. gehören 
“nämlich zwei Eltern in Gruppe 2 und 4 und ihre beiden Kinder 
zur Gruppe 4 und 3. Also muß die Gruppe 3 bei den Eltern re- 
zessiv gewesen sein. Daß sich bei den Ahnen eine Gruppe 3 
befunden haben muß, ist deshalb wahrscheinlich, weil auch noch 
ein anderes Enkelkind zur Gruppe 3 gehört. 

Zusammenfassend kann also folgendes gesagt werden: 
Es lassen sich vier verschiedene Gruppen von Menschen unter- 
scheiden, die bezüglich ihrer gegenseitigen Isoagglutinine diffe- 
rieren. Dieser Befund ist in Übereinstimmung mit den Angaben 
vonLandsteiner, Dungern, v. Moss und anderen. Die Pro- 
zentzahlen entsprechen nicht ganz. In Amerika betragen sie 
für Gruppe 1: 5%, bei uns 16,9% ; für Gruppe 2 :40°/,, bei uns 
37,30% für Gruppe 3: 10%, bei uns 18,8°%,; für Gruppe 
4: 45% , bei uns 27,5%. 

„Keinerlei Zusammenhang mit Habitus, Krankheit oder Na- 
tionalität ließ sich finden. 

Es wurde durch Untersuchungen von Familien konstatiert, 
daß eine direkte Vererbung oder eine gekreuzte, oder eine sprung- 
weise nicht existiert, dagegen lassen sich in Bestätigung der Be- 
funde von v. Dungern und Hirschfeld Anhaltspunkte dafür 
finden, daß hier eine Vererbungsregel, wohl der Mendelschen 
Regel entsprechend, herrscht. 

Bei sieben verschiedenen Tierarten konnte solche gruppen 
weise Hämagglutination nicht konstatiert werden, nur beim 
Schwein fanden sich gelegentlich Isoagglutinine, die an Gruppen 
erinnern. Dieser Befund macht es noch merkwürdiger, daß beim 
Menschen solche Gruppen vorkommen. 

Die Bestimmung der Landsteinerschen Blutgrup- 
pen in der von mir kontrollierten Form ist eine sehr ge- 
eignete Methode, um sich rasch über die Zugehörigkeit 
eines Individuums zu orientieren, was von klinischer 
Bedeutung sein kann, wenn es sich um die Anwendung 
einer Bluttransfusion handelt, denn nur solche Personen 
sollten zur Transfusion verwendet werden, deren Blut sich gegen- 
seitig nicht agglutiniert. 


Über die Einwirkung oberflächenaktiver Nonylsäure und 

einiger oberflächenaktiver höherer Homologe der Alko- 

holreihe (Amylalkohol und Octylalkohol) auf die Hefe- 
zelle und die Gärung. 


Von 
Wilhelm Windisch, Wilhelm Henneberg und Walther Dietrich. 


(Aus dem chemisch-technologischen Laboratorium der Versuchs- und Lehr 
anstalt für Brauerei in Berlin [Institut für Gärungsge werbe).) 


(Eingegangen am 18. April 1920.) 
Mit 1 Abbildung im Text. 


Es ist eine bekannte Tatsache, daß die sogenannten physio- 
logischen Flüssigkeiten, z. B. Wasserauszüge aus tierischen und 
pflanzlichen Geweben, Blutserum, Bierwürzen usw. mehr oder 
weniger oberflächenaktiv sind. Die Oberflächenaktivität kann 
herrühren von kleinen Mengen verhältnismäßig stark capillar- 
aktiver Substanzen oder größeren Mengen relativ inaktiverer. 
Im allgemeinen kann man annehmen, daß die Oberflächenaktivität 
physiologischer Flüssigkeiten in der Hauptsache auf die Anwesen- 
heit von Stickstoffverbindungen zurückzuführen ist, die sich nach 
dem Grade ihrer Oberflächenaktivität bekanntlich in der fallenden 
Reihe Albumosen —> Peptone —> Aminosäuren anordnen. 

In einer früheren Arbeit!) konnten zwei von uns feststellen, 
daß aus einer Bierwürze und dem daraus hergestellten Bier sich 
die oberflächenaktiven Stoffe fraktioniert durch Ultrafiltration 


efast quantitativ entfernen ließen, was sich aus der Vergrößerung 


der Oberflächenspannung des Ultrafiltrats ergab, das sich sehr 
weitgehend dem Wasserwert näherte. Diese Tatsache wies darauf 
hin, daß die Oberflächenaktivität von Körpern kolloidaler Größen- 
ordnung herrühren mußte; allerdings ist dieser Schluß nicht ganz 
sicher, da ja auch stark oberflächenaktive molekulardisperse Stoffe 
nach dem Gibbsschen Theorem durch mechanische Adsorption 
am Ultrafilter zurückgehalten werden. Aus ergänzenden Ver- 


1) W. Windisch und W. Dietrich, diese Zeitschr. 105, 96. 1920. 


Windisch, Henneberg u. Dietrich: Einw. oberflächenakt. Nonylsäure usw. 173 


suchen einer folgenden Arbeit!) ergab sich, daß für Bierwürze 
molekulardisperse oberflächenaktive Stoffe nicht oder nur in 
verschwindendem Maße in Betracht kommen. Es ergibt sich mit 
größter Wahrscheinlichkeit die Tatsache, daß die molekular- 
dispersen Eiweißabbauprodukte (Aminosäuren) praktisch ober- 
flächeninaktiv sind, mit steigender Vergröberung des Dispersitäts- 
grades in das Gebiet der kolloidalen Größenordnung hinein die 
Oberflächenaktivität bis zu einem Maximum zunimmt (Pep- 
tone —> Albumosen) und dann bei weiterer Vergröberung des 
Dispersitätsgrades (hochmolekulares genuines Eiweiß) wieder 
abnimmt bzw. vollständig erlischt. 

Da die in der Bierwürze vorhandenen Kohlenhydrate (Maltose 
und Dextrine), die in bezug auf die Quantität die Stickstoff- 
verbindungen weit übertreffen, capillarinaktiv sind, so muß auch 
die ziemlich starke Oberflächenaktivität einer mittelkonzentrierten 
Würze auf die Eiweißabbauprodukte zurückzuführen sein, die 
sich daran je nach der vorhandenen Menge und nach der Eigen- 
capillaraktivität ihrer Moleküle beteiligen. 

Bekanntlich ist die Bierwürze in der Praxis das Nährsubstrat, 
in dem sich die alkoholische Gärung abspielt. Die Gärung voll- 
zieht sich also in einer Flüssigkeit, die capillaraktiv ist. Aus 
vielen von uns gemessenen Oberflächenspannungszahlen von 
Bierwürzen mittleren Extraktgehalts, gemessen miteinemTraube- 
schen Viscostagonometer mit dem Wasserwert 114,5, ergaben sich 
im Durchschnitt Werte von 70, 0— 75, 0. 

Angenommen, es werde in der Bierwürze zur Einleitung der 
Gärung Hefe ausgesät, so wird das ursprünglich homogene Würze- 
system inhomogen und es lassen sich zwei Phasen unterscheiden, 
die einzelnen Hefezellen und die sie umgebende Nährflüssigkeit. 
Da man unter einer Oberfläche die Trennungsfläche zweier Phasen 
versteht, ist durch die Aussaat der Hefe in der Würze eine außer- 
ordentliche Vermehrung der Oberflächen eingetreten. 

Nach dem Gibbsschen Theorem haben nun bekanntlich die 
oberflächenaktiven Stoffe die Eigenschaft, sich um so mehr an 
einer Oberfläche zu konzentrieren, je capillaraktiver sie sind — 
die Oberflächenaktivität eines Stoffes hängt sowohl von der 
Molekülart, als auch von der Art der Grenzfläche ab; sie ist anders 
für ein und denselben Stoff, z. B. an einer Grenzfläche: Flüssig- 

1) W. Windisch und W. Dietrich, diese Zeitschr. 105, 92. 1920. 


174 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


keit— Luft und einer Grenzfläche: Flüssigkeit— fester Körper usw. 
Die Konzentrierung eines oberflächenaktiven Stoffes an einer 
Grenzfläche findet so lange statt, bis der durch die Konzentrierung 
an der Oberfläche entstehende osmotische Druck — je weiter die 
Entfernung von der Grenzfläche nach dem Flüssigkeitsinnern 
ist, um so weniger Moleküle des oberflächenaktiven Stoffes sind 
im Flüssigkeitsvolumen vorhanden — gleich ist dem Zug der 
oberflächenaktiven Moleküle nach außen. 

Während nach dem eben Gesagten die nichtoberflächenaktiven 
Stoffe der Würze, also die Kohlenhydrate nach Zugabe der Hefe 
gleichmäßig in der Flüssigkeit verteilt bleiben, werden sich die 
oberflächenaktiven Stoffe um die Hefezellen — an den Grenz- 
flächen — konzentrieren. Es hätten also die capillaraktiven 
Substanzen eine größere Möglichkeit in eine Zelle einzudringen, 
als ihnen nach ihrer absoluten Menge in der Flüssigkeit eigentlich 
zukommen würde. In einer Bierwürze würde also den Albumosen, 
also gerade den relativ größten Molekülen, auch das größte Kon- 
zentrationsvermögen zukommen und dann weiter mit fallender 
Molekülgröße über die Peptone zu den Aminosäuren dasselbe 
abnehmen. Welche Folgerungen diese Tatsache für die Gärung 
und besonders Gärungshemmungen ergibt, soll, da das von dem 
eigentlichen in der Überschrift angegebenen Thema zu weit ab- 
führen würde, wo es sich um die Einwirkung außerordentlich stark 
capillaraktiver Substanzen, die die capillaraktiven natürlichen 
Stickstoffverbindungen der Würze an Aktivität um ein Viel- 
faches übertreffen handelt, in einer folgenden Arbeit ausgeführt 
werden. 

Die einleitenden Betrachtungen sollten nur kurz dazu dienen, 
auf die Eigenschaften der capillaraktiven Substanzen in physio- 
logischen Flüssigkeiten hinzuweisen und mit der Tatsache ver- 
traut machen, daß in jeder natürlichen organischen Flüssigkeit 
oberflächenaktive Substanzen eine bedeutende Rolle spielen. 

Bekanntlich steigt in der homologen Reihe der Fettsäuren 
und Alkohole die Oberflächenaktivität der einzelnen Glieder nach 
der Traubeschen Regel. 

Wir haben nun zu Würzen sowohl höhere Fettsäuren als auch 
Alkohole in wechselnden Mengen zugegeben, um evtl. Gärungs- 
hemmungen bzw. Verzögerungen festzustellen. Es ist die Bildung 
dieser beiden Körpergruppen teilweise in Würzen bei der Gärung 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 175 


bewiesen, teilweise theoretisch sehr wohl möglich. Die Fuselöle, 
also höherwertige Alkohole treten bei jeder Gärung auf, und es ist 
nach ihrer Entstehung aus den Aminosäuren möglich, daß außer 
den hauptsächlich entstehenden Amylalkoholen, die schon nach 
ihrer Stellung in der homologen Reihe ziemlich capillaraktiv sind, 
auch noch höhere Alkohole der Reihe in geringen Mengen ent- 
stehen. Auch die Bildung von Fettsäuren bei der Gärung ist sicher. 
Natürlich ist es ausgeschlossen, bei den Spuren der höheren 
Homologen, die auftreten können und die infolge ihrer starken 
Capillaraktivität auch in geringsten Mengen in der Flüssigkeit sich 
um die Hefezellen anreichern können, diese genau zu identifizieren. 

Es wurden Versuche mit Nonylsäure, Octyl- und Amyl- 
alkoholzusatz zu Würze angestellt und die Gärfähigkeit der darin 
ausgesäten Hefe an der entwickelten Kohlensäuremenge fest- 
gestellt. Zu gleicher Zeit wurden von Henneberg die Hefen 
in weitgehender Weise mikroskopisch kontrolliert und gemessen. 

Die Gärversuche wurden in folgender Weise in dem aus der ` 
Zeichnung (S. 176) ersichtlichen Apparat steril durchgeführt. Zu 
50 ccm einer etwa 8 proz. Würze wurde der betreffende Zusatz des 
oberflächenaktiven Körpers gemacht, die Oberflächenspannung der 
Würze gemessen und dann die Würze an drei aufeinander folgenden 
Tagen in 100-ccm-Fläschchen sterilisiert. Dann wurde eine ab- 
gemessene Menge einer in voller Gärung befindlichen mit Rein- 
zuchthefe (untergärige Bierhefe U,) 48 Stunden hergeführten, 
normalen Würze steril zugegeben und 10 ccm der Würze in den 
trocken sterilisierten Gärapparat gesaugt. 

Die einzelnen Gärapparate hatten die aus der Abbildung 
ersichtliche Form des Ostwaldschen Pyknometers mit der ein- 
gezeichneten Form der Capillare. Das Einsaugen in den Apparat 
geschieht in der Weise, daß die bei a und b in den Capillaren 
während der trockenen Sterilisation befindlichen Watteverschlüsse 
herausgezogen werden, bei 5 ein mit Alkohol und Äther aus- 
gespültes Capillarschlauchende angesetzt wird, das nach dem 
Flambieren in die einzusaugende sterile, mit Hefe versetzte Würze 
reicht und dann bei a das Gefäß c bis zur Marke vollgesaugt 
wird. Bei b wird dann mit Schlauch und Glasstöpsel verschlossen 
und der Apparat mit dem capillaren Ende a unter den mit Kohlen- 
säure gesättigten Wasser gefüllten Meßzylinder d eingehängt, 
der in der mit Quecksilber gefüllten Wanne (Petrischale) auf- 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 12 
0 


176 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


gestellt ist, wie es die Abbildung zeigt. Die entwickelte Kohlen- 
säuremenge wurde ohne Temperatur- und Barometerkorrektion 
direkt an den Zylindern abgelesen. Korrektionen waren, da es 
“sich nur um vergleichende Versuche handelte und eine zu große 
Genauigkeit nicht von Wert war, nicht nötig. Der ganze Apparat 
mit Stativ steht in einer Schale, um das. über den Rand der Petri- 
schale ablaufende Wasser aufzufangen. 


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co. Serre. 

N Sé guecksilber 
N N 
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ef — 


-Abb. 1. 


Die Gärung verlief bei Zimmertemperatur. 

Die in den folgenden Tabellen angeführten Größenzahlen 
der Zellen sind Durchschnittszahlen von etwa 40 Messungen in 
2000facher Vergrößerung. (Durch 2 geteilt, ergeben sich die Maße 
in Mikromillimeter.) 

Das Verhältnis der Länge zur Breite (die Länge = 1 
gesetzt) ist berechnet und als, V“ eingetragen, da aus dem Größer- 
werden der Zahl ein Rundlicherwerden der Zellen sofort: sichtbar 


wird. 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 177 


Die Zahlen der Hefenvermehrung sind ebenfalls Durch- 
schnittszahlen, die von Henneberg gemeinsam mit Fräulein 
Böhmer, Fräulein Streiter und Fräulein Thurm festgestellt 
wurden. 


Versuche mit Nonylsäure. 

Zu den Versuchen mit Nonylsäure sei bemerkt, daß die im folgen- 
den angegebenen Erscheinungen nicht allein auf den Säurecharakter 
der Fettsäure zurückzuführen sein können, da äquivalente Mengen 
der stark dissoziierten Salzsäure keinen Einfluß ausübten. 


I. Bierwürze mit verschiedenen Mengen Non ylsäure 


(Hefe U). 
Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 7 Tagen. 

l. Kontrolle ohne Starke Gärung, Durchschnittsgröße: 200% ziemlich 
Nonylsäurezu- sehr gute Ver- 17,9:13,7(V=-0,76), viel Glyko- 
satz (Oberflä- mehrung, sämt- keine Zelle ist rund, gen, wenig 
chenspannung liche Zellen nor- 65,7 % Einzelab- Fett, 2%tot. 
75, 3). mal. messungen, Glyko- 

genzustand. 

2. 0,005 Vol.-% Gärt,wenigSpros- 15, 7: 12,9 (V0, 82); 17,1: 14,9 (V 
Nonylsäure sung, 10% krank, 10,3% runde Zel- =0,87),Fett- 
(Oberflächen- 1% tot. len, 61,5 % Ein- hefe,10%tot. 
spannung 67, 4). zela bmessungen, 20 

N l % Fetthefe, 1% tot. 

3. 0,01 Vol.-% Gärterstnach 36 15,8 : 13,8 (V =0,87), 17,1 : 14,5 (V 
Nonylsäure Stunden, keine 10,5 % runde Zel- =0,85), 33% 
(Oberflächen- Spross ung, 33% len, 58 9% Einzel- tot, sonst nor- 
spannung 62,2). krank, 20% tot. abmessungen. (6mal mal, ziemlich 

15: 13 = 7,5: 6,5%), viel Fett und 
80% krank, 10% tot, Glykogen. 


4. 0,02 Vol.-% 
Nonylsäure 
(Oberflächen- 
spannung 56, 2). 


Gärt dauernd 
nicht, sämtliche 
Hefezellen sind 
abgestorben. 


zieml. dicke Wand. 


Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


Tage 
| 12 345 6 7 8 
1. cem CO, 35,0 | 120°| 860°: e | = I.) Sen e 
2. cem CO, 20 | 315 | 550 | 30 810875 — | — 
3. cem CO, | 0 20 | 100 | 280 | 310 | 380 440 — 
4. cem CO, 50 — — — SEN ct Er 


e 


178 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: ` 


Der erste Eindruck der Tabellen ist der, daß die Nonylsäure- 
zusätze eine außerordentlich starke physiologische Wirkung aus- 
üben. Schon bei dem geringen Zusatz von 0,005% (es handelt 
sich bei sämtlichen Zusätzen um Volumprozente) zeigt sich an 
der Kohlensäureentwicklung gegenüber der Kontrolle eine ganz 
bedeutende Verzögerung. Es wird allerdings in der doppelten 
Zeit der Endzustand der Kohlensäureentwicklung wie bei 1. er- 
reicht. Die gärungshemmenden Wirkungen der doppelten Menge, 
also von 0,01% Nonylsäure (Versuch 3) sind dann aber so stark, 
daß die Endvergärung auf der halben Kohlensäuremenge der 
Kontrolle stehenbleibt, und eine weitere Verdoppelung des 
Zusatzes verhindert dann überhaupt jede Gärung. 

Zusammenfassend wird also die Gärung durch Nonylsäure- 
zusätze in den angegebenen Mengen zunächst zeitlich, aber 
“nicht in der Quantität der entwickelten Kohlensäure, ge- 
hemmt, dann zeitlich und quantitativ verringert und end- 
lich vollständig zum Stillstand gebracht. 

Wie reagieren nun die Hefezellen im mikroskopischen Bild 
auf die Nonylsäurezusätze? Es zeigt sich, daß mit steigendem 
Zusatz auch steigend die Krankheits- und Sterbeerscheinungen 
zunehmen; in Mengen von 0,02%, ist die Nonylsäure innerhalb 
24 Stunden auf sämtliche Zellen tödlich. Eine Menge von O, OI 
läßt in 24 Stunden 20% Zellen absterben und 33%, erkranken. 
Nach weiteren 24 Stunden sind 80%, krank, doch erholen sich 
diese bis zum siebenten Tage wieder. Diese Befunde stimmen 
mit den Gärungserscheinungen überein. 

Die Einwirkung der Nonylsäure macht sich weiter in dem 
Auftreten von rundlichen Zellformen bemerkbar. Während in 
der Kontrolle nach 2 Tagen keine runden Zellformen bemerkbar 
sind (soweit die etwa 40 gemessenen Zellen dies zeigten), sind 
schon bei 0,005%, Säure 10%, runde Zellen vorhanden. Die Ab- 
messungen sind nach 2 Tagen kleiner als in dem Kontrollversuche. 
Erst bis zum siebenten Tage haben die Größenabmessungen bei 
0,005% und 0,01% Zusatz die der Kontrolle fast erreicht. Die 
Breitenabmessungen sind größer. 

Bemerkenswert ist auch, daß sich im Versuch mit 0,01% 
Nonylsäure am meisten Zellen mit gleichen Abmessungen (also 
am wenigsten nur einmal vorkommende Zellgrößen, d. h. „Ein- 
zelabmessungen‘‘), finden, meist allerdings nur je 2 mal. Auf- 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 179 


fallend ist, daß die Zellgröße 15: 13 (7,5: 6,5 u) 6mal unter 
40 Zellen festgestellt werden konnte. 

Sehr interessant ist die Fettbildung der Hefe, was wohl als 
Reaktion der Zellen auf den Nonylsäurezusatz (Versuch 2, 2. und 
7. Tag, und Versuch 3, 7. Tag) aufzufassen ist. 

Die sämtlichen Befunde zeigen, daß die oberflächenaktive 
Nonylsäure ein Gift für die Hefe ist; die Hefe wird also das Be- 
streben haben, sich gegen die Giftwirkung zu schützen. Nach 
den mikroskopischen Befunden tut sie dies durch Verkleinerung 
ihrer Oberfläche, indem die neu entstandenen Zellen Kugelgestalt 
annehmen und so die Möglichkeit des Eindringens des giftigen 
Stoffes verringert wird. Ob die Annahme der Kugelform eine 
Reaktion des lebenden Plasmas ist oder eine rein physikalische 
Erscheinung infolge der starken Veränderung der Oberflächen- 
spannung des die Zelle umgebenden Nährmediums infolge An- 
häufung capillaraktiver Substanzen nach dem Gibbsschen 
Theorem, bleibe dahingestellt. Das erstere ist wahrschein- 
licher. 

Auch die Fettbildung muß man wohl als Schutzmaßnahme 
ansehen. Die Fette sind sehr capillaraktive Körper, und wenn 
demnach im Innern der Zelle Fett gebildet wird, wird auch die 
Oberflächenspannung des Zellinnern verändert, und zwar er- 
niedrigt. Diese Erniedrigung muß in dem Sinne wirken, daß, da 
die Oberflächenspannungsdifferenzen zwischen Zellinnern und 
Außenflüssigkeit dadurch mehr ausgeglichen werden, das Ein- 
dringen capillaraktiver Substanz auch vermindert wird. 

Den besten Beweis, daß die ganzen Vergiftungserscheinungen 
Folgen der Oberflächenaktivität der zugesetzten Nonylsäure sind, 
liefert der folgende Versuch. | 


II. Die Würze- und Nonylsäurezusätze waren wie im vorigen 
| Versuch. 


Nach Einsaat der Preßhefe Rasse M wurden Tröpfchen- 
kulturen angestellt und diese bei 15° und bei 30° 24 Stunden 
aufbewahrt. 

1. Kontrolle. Normale Vermehrung und normales Aussehen 
der Zellen bei 15 und 30°. 

2. 0,005 Vol.-% Nonylsäure, ebenso. 


180 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


3. 0,01 Vol.-% Nonylsäure, bei 15° 10% tot, sonst normales 
Wachstum, 30° ebenso, doch 3%, Riesenzellen. 

4. 0,02 Vol.-% Nonylsäure. 15° 90% tot, 10% krank, 30° 
sämtliche Zellen tot, nachdem sich das Fett zusammengeballt 
hatte = langsames Absterben. 

5. 0,03%, Nonylsäure (Oberflächenspannung 49,5). Sämt- 
liche Zellen bei 15 und 30° sind abgestorben, ohne daß das Fett 
in den Zellen vorher zusammengeflossen war. 

Die Versuche im hängenden Tropfen sind auf den ersten 
Blick analog den vorigen Versuchen der Flaschengärung. (Die 
Heferasse war allerdings hier eine andere.) Es zeigt sich aber doch 
ein Unterschied, und zwar darin, daß die Giftwirkung für den- 
selben Nonylsäurezusatz im hängenden Tropfen zurückgedrängt 
worden ist. Während beim Flaschenversuch bei 0,005%, Zusatz 
schon eine deutliche Wirkung unter dem Mikroskop sichtbar war, 
ist beim Tropfenversuch nichts zu konstatieren. Ebenfalls ist 
bei den Versuchen 3 die Schädigung beim Flaschenversuch größer 
als beim Hängenden-Tropfen-Versuch. In späteren Versuchs- 
reihen (Octylalkohol) wiederholen sich dieselben Ver: 
hältnisse noch weit prägnanter. Die Erklärung für diese 
Erscheinung haben wir wahrscheinlich darin zu sehen, daß in 
der Tröpfchenkultur im Verhältnis zum Flüssigkeitsvolumen die 
Wandungs- und Flüssigkeitsoberflächen (Deckgläschen) größer 
sind als im Fläschchen (Flaschenwandungen), und sich so der 
oberflächenaktive Giftstoff im ersteren Falle über eine größere 
Oberfläche verbreitet als im zweiten Falle. Den Oberflächen 
der Hefezellen kommt also im ersteren Falle bei gleicher 
Aussaat weniger Nonylsäure zu, als im zweiten Fall, und die 
Schädigung muß demnach geringer sein. Wir kommen auf diese 
Verhältnisse an einer späteren Stelle bei der Aussaat verschie- 
dener Hefenmengen bei gleichem Gehalt an ober- 
flächenaktiven Stoffen zurück. 

Eine ähnliche Versuchsreihe wie für Würze wurde auch für 
eine etwas abgeänderte künstliche Hayducksche Nährlösung 
(100 g Rohrzucker. 0,5 g primäres Kaliumphospha:, 0,2 g Aspara- 
gin, 0,2 g Wittes Pepton, 0,2 g Magnesiumsulfat und 0,5 g Calcium- 
chlorid im Liter Flüssigkeit) durchveführt. Die vorbereitenden 
Handlungen bei der Nährlösung waren dieselben wie bei der 
Würze. 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 181 


Mikroskopischer Befund der in der Hayduckschen Nährlösung mit 
Nonylsäurezusatz gewachsenen Hefe ca. am 3. Tage. 


(Hefe U) 
1. Kontrolle (Ober- 33%, Fetthefe, 10% abgestorben. 
flächenspannung | 
91,5). 
2. 0,005 % Nonyl- Sämtliche Zellen besitzen sehr viel Fett neben 
säure (Oberflä- Glykogen. Mäßige Vermehrung. 
chens pannung 


81,5). 5 
3. 0,01 % Nonyl- Keine Gärung, sämtliche Zellen sind abgestorben. 
säure (Oberflä- 
chenspannung 
71,0). 
Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


Leg 
Q 
T 
E 
CH 
O 
» 


0,02% Nonyl- 
säure (Oberflä- 
chenspannung 


Diese Versuchsreihe zeigt gegenüber der Würzeversuchsreihe 
kaum Neues, nur daß hier eine geringere Menge Nonylsäure, 
0,01%, schon tödlich wirkt. Es liegt das daran, daß in einer 
künstlichen Nährlösung die Verhältnisse an und für sich schon 
ungünstiger liegen als in einer natürlichen Würze, was schon 
die spätere Angärung der Kontrolle zeigt, und so ist auch die 
Widerstandskraft der Hefe geringer. 

Die folgenden Versuchsreihen wurden nicht mehr miit einer 
Säure angestellt, sondern mit Alkoholen der Reihe C. Han + 2 O, 
da bei ihnen die chemische Reaktionsfähigkeit der Säuren fort- 
fällt, und man es mit chemisch viel indifferenten Körpern zu tun 
hat und man so mit größerer Sicherheit als bei den Säuren die 
von ihnen bei der Gärung ausgehenden Wirkungen auf die physi- 
kalische und nicht chemische Eigenschaft der Oberflächenaktivität 
zurückführen kann. 

In der Hauptsache wurden Versuchsreihen mit Octylalkohol 
und vereinzelt mit Amylalkohol ausgeführt. Die Versuchs- 
anordnung war dieselbe wie bei den Nonylsäureversuchen. 


182 W. Windisch, W. Henneberg und W, Dietrich: 


Versuche mit Octylalkohol. 


I. Bierwürze mit verschiedenen Mengen Octylalko- 
holundannähernd gleichen Hefemengen (Bierhefe U). 


Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 4 Tagen. 

1. Kontrolle Normale Zel- 1% tot, Glyko- 1% tot, 17,4:12,9(V 
(Oberflächen- len. genhefen. = 0,74)rund = 0. 
spannung 74,0). 

2. 0,017°/, Octyl- 1% tot, klei- 10% tot, rund- 20% tot, 17,7 : 16,7 
alkohol (Ober- nere Zellen. lichere Zellen. (V = 0,9) rund 
flächenspan- | = 36% Einzelab- 
nung 68,5). messungen 44%, 

52 % Zellen mit 
Länge 19 und 20, 


(= 9, 5 bis 10 f). 

3.,0, 027% Octyl- 33% tot, 330% 20% tot. 33% tot, alle rund! 
alkohol (Ober- krank, dicke Alle sehr viel Gly- 
flächenspan - Zellwand. kogen, dicke Wän- 
nung 64,0). de! 

4. 0,033°/, Octyl- 90% tot, 50% tot, 200% tot, sonst ki ank 
alkohol (Ober- 10% krank 40% krank, 10% (Fett!) Viel kleine, 
flächenspan - (Fett !). normal bis auf runde Zellen. 
nung 60, 3). das reichl. Fett. 

5. 0,04% Octyl- 95% tot, „ 99% tot. Sämtlich tot. 
alkohol (Ober- 5°/, krank. 
flächenspan - 
nung 57,2). 


(Die Versuche wurden nochmals mit gleichem Resultat wiederholt.) 
Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


Die Versuchsreihe zeigt, daß Octylalkohol in Würze in einer 
Menge von 0,04%, in 24 Stunden auf fast sämtliche Zellen tödlich 
wirkt. Bei 0,033% ist die Wirkung ebenfalls noch eine sehr 
schädigende; nach 24 Stunden sind 90%, tot. Bemerkenswert 
ist jedoch, daß sich bei dieser Menge die Hefe (d. h. ihre Nach- 
kommenschaft) an das Gift gewöhnt bzw. daß das letztere all- 
mählich unwirksam wird. Eine Menge von 0,027%, tötet in 
24 Stunden ½ der Zellen ab, ebensoviel sind am 4. Tage tot. 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 183 


Auch bei 0,017% ist eine deutliche Schädigung zu bemerken, 
denn nach 4 Tagen sind 20% der Zellen abgestorben. 

Das mikroskopische Bild wird bestätigt durch die Gär- 
versuche. Von 0,033%, an kommt es überhaupt nicht mehr zu 
einer merklichen Gärung. | 

Auf die Veränderungen der Zellform und -größe, die auch 
in obiger Tabelle berücksichtigt worden sind, wird erst im Zu- 
sammenhang mit den folgenden Versuchen eingegangen werden. 

Auch beim Octylalkohol wurde wieder, analog wie bei der 


. Nonylsäure, statt in der Flasche ein Versuch im hängenden Tropfen 


durchgeführt, und zwar der Versuch 5 obiger Reihe mit 0,04%, 
Zusatz. Während in der Gärflasche diese Menge absolut tödlich 
wirkte, trat hier eine gute Vermehrung ein und die Zellen unter- 
schieden sich von der Kontrolle nur durch etwas größeren Fett- 
reichtum. Es zeigt dieser Versuch noch bedeutend besser als der 
entsprechende Nonylsäureversuch, daß die Giftwirkung eine Folge 
der Oberflächenaktivität ist. 

In der folgenden Versuchsreihe sind wir nun mit der Zusatz- 
menge noch bedeutend unter den Mindestwert der Versuchsreihe I 
von 0,017% heruntergegangen, um einen Grenzwert der Gift- 
wirkung bzw. eine fördernde Wirkung festzustellen, wie man es 
oft bei sehr kleinen Mengen physiologisch wirksamer Stoffe 
beobachten kann. 


II. Würze mit verschiedenen Mengen Oktylalkohol. 


Nach 1 Tage. Nach 3 Tagen. 
l. Kontrolle (Oberflä- Sämtliche Zellen in 16,2 : 12,2 (V = 0,78) 
chenspannung 74,7). lebendem Zustand. rund 3,3%, 10% glyko- 

genhaltige Zellen. 
2. 0,002°/, Octylalkohol desgl. Normale Zellen. 
(Oberflächenspannung 
74.8). 
3. 0, 004% Octylalkoh ol desgl. Ebenso, etwas jüngere 
(Oberflächenspannung Zellen. 
74, O). | 
4. 0,008°/, Octylalkohol desgl. ~ 17,6 : 13,6 (V = 0,77) 
(Oberflächenspannung | rund 10,7%, 1% tot, 
73,3). 33% glykogenhaltige 
l Zellen. 

5. 0,017%, Octylalkohol Zellen etwas rundlicher. 17,3 : 14,8 (V = 0,83) 
(Oberflächenspannung - viel gleichmäßiger als 
70,0). bei 1—4, rund = 4,3%, 


7% tot, sehr viel gly- 
kogenhaltige Zellen. 


184 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


ee et) serge 

112 3 | 4 5 

1. cem C0. 24.5 167,5 |720 | — | 72,0 
2. cem C02 25,0 ; 60,0 | 66,0 — | 66,0 
3. cem CO, . 18,0 55,0 |, 65,0 — 1670 
4. cem CO, 110 | 495 | 625 | — 69.0 
5. cem CO, 5,5 | 25,5 |430 | — |650 


Nach den mikroskopischen Befunden ist bei diesen Zusatz- 
mengen eine deutlich schädigende Wirkung (Erkrankung, Ab- 
tötung) auf den Zellorganismus nicht mehr zu erkennen, nur die 
Gärversuche zeigen auch bei diesen geringsten Mengen eine 
deutliche Verzögerung der Angärung. Zum Schluß aller- 
dings gleichen sich alle Unterschiede wieder aus. Eine Reizwirkung 
ist bemerkenswerterweise nirgends zu beobachten. 

Es ist besonders zu beachten, durch welche kleinen 
Mengen derartiger oberflächenaktiver Stoffe die An- 
gärung in der Praxis der Gärungsgewerbe verzögert 
werden könnte. Die große Hefeaussaat in der Praxis dürfte 
allerdings diese Einwirkung meist verhindern (s. u.). 

In den vier folgenden Versuchsreihen wurde die Einsaatmenge 
der Hefe und die Vermehrung der Zellen genau festgestellt. Die 
Octylalkoholzusätze entsprechen den beiden obigen Versuchsreihen. 
III. Die Einsaat war verhältnismäßig groß, so daß in 
der Volumeneinheit 5/1000 Chmm 1,3— 1,45 Zellen waren. 

Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 3 Tagen. 


1. Kontrolle 1,45 18,4 : 11.6 (V= 19,4 : 12,9 (V= 19,2 : 12,5 (V= 
Zellen. 0.63), Vermeh- 0,66), Vermeh- 0,65), Vermeh- 
rung 8,08 mal. rung 16,85 mal. rung 16, 74 mal. 


2. O, 004% Octyl- Vermehrung Vermehrung Vermehrung 
alkohol 1,38 Zel- 3, 86 mal. 16.95 mal. 16.02 mal. 

len. 

3. O, 017% Octyl- Vermehrung 19.2: 12,9 (V= 19,3: 12,9 (V 
alkohol 1,3 Zel- 8,55 mal. 0,67), Vermch- 0.67), Vermeh- 
len. rung 19.26 mal. rung 17,1 mal. 


IV. Einsaat menge in der Volumeneinheit 0,74—0,87 
Zellen. 

Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 3 Tagen. 

1. Kontrolle Ein- Vermehrung r 195: BI (Y= 

saat 0,74. 17.06 mal. 0,73). 0.62). Vermeh- 


rung 46,19 mal, 
1°, tot. 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 


IV. (Fortsetzung.) 


185 


2. 0,004% Octyl- Vermehrung 16,8 : 12,4 (V= 19,5 : 13,1 (V= 

alkohol, Einsaat 11, 7 mal. 0, 74). 0, 67), Vermehr. 

0,87. 26,7 mal, dicke 
Zellwände, 1% 
tot. 

3. 0,017% Octyl- Vermehrung 18.3: 14,1 (V= 18,6 : 15,8 (V= 

alkohol, Einsaat 5,01 mal. 20% 0,77). 0,85), Vermehr. 

0,77. tot. 10,29 mal, dicke 


1. Kontrolle Einsaat 
.0,74. 


2. 0,00495 Octyl- 
alkohol, Einsaat 
0,87. 


3. 0,017% Octyl- 
alkohol, Einsaat 
0,77. 


Nach 5 Tagen. 

19,2: 13 (V = 0,63), keine 
Zelle rund, 20% Gly- 
kogenhefezellen. Ver- 
mehrung 49,69 mal. 

18,5 : 13,6 (V= 0,73), 
keine Zelle rund, alle 
ziemlich viel Glykogen, 


10% tot. Vermehrung 
30,3 mal. 
17,1:156 (V = 0,91), 


30% r. Zell. (4-17:17), 
500% Einzelabmessun- 
gen, 27,5% tot, Ver- 
mehrung 15 mal. 


Zellwände, 31% 
tot, 160% krank. 


Nach 12 Tagen. 
19,2 : 12 (V O, 62), 
79,5% Einzelabmes- 
sungen. 


17.8: 12,8 (V = 0,72), 
690% Einzelabmessun- 
gen. 


17,8: 16,3 (V = 0,92), 

500% Einzelabmessun- 
gen, 12,5% runde Zel- 
len. 40% tot. Sehr 
dicke Wand. 33% viel 
Glykogen. 


V. Einsaat menge in der Volumeneinheit 0,69—0,83 


Zellen. 
Nach 1 Tag Nach 2 Tagen Nach 3 Tagen 

1. Kontrolle 20: 12,9 (V= 0, 64), 18,9: 13,1 (V= 18,6 12,4 (V= 
Eins aat Vermehrung 0.69), Vermeh- O, 67), Vermeh- 
0,69. 19,1 mal. rung 34,5 mal. rung 42,9 mal. 

2. 0,001%, 20.4: 13,1 (V 20.4: 13.3 (V= 19.3: 12.9 (V= 
Octylalko- 0,64). Vermelho 0.65).  Vermeh- 0, 67), Vermeh- 
hol, 0, 78 rung 16.2 mai. . E 27. 4 mal. rung 33, 6 mal. 
Einsaat. 

3. 0,0029; 19.3: 13.4 (V= 19.7: 14.5 (V= 196:14(V=0,71), 
Oct ylalko- 0.69), 3°, runde 0.74). keine run- keine runden Zel- 
hol, 0, 83 Zellen, Lermeh- den Zellen, Ver- len. Vermehrung 
Einsaat. rung 12,5 mal. mehrung 22,7 mal. 27.2 mal. 


Von dem letzten Versuch (V) wurde auch eine Kohlensäure- 
entwicklungsbestimmung durchgeführt. 


186 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


Kohlensäureentwicklungsbestimmung zu Versuch V. 


1. cem CO, || 8,0 | 57.0 | 65,0 | 69,0 
2. cem CO, 10,0 52.0 | 61,0 | 70,0 
3. cem CO, || 10% | 50,0 | 60,0 | 69,0 


Bei sämtlichen bisher durchgeführten Versuchen schwankt 
die Einsaatmenge nur innerhalb der einzelnen Versuchsreihen 
in den Grenzen, die sich beim Herauspipettieren der Hefeauf- 
schlemmung zu der Würze nicht umgehen lassen. 

Es sollen diese Versuche im Zusammenhang besprochen 
werden. 

Eine Menge von 0,004%, Octylalkohol verhält sich wie eine 
solche von 0, 002 %. Eine Schädigung, die sich durch Absterben 
der Zellen bemerkbar macht, ist hier nicht mehr vorhanden, nur 
bei der Gärung scheint immer noch eine geringe Hemmung, wie 
die Gärungstabelle V zeigt, aufzutreten. Betrachtet man die 
Versuche IV, 2 und V, 3, die wegen der fast gleichen Ein- 
saat vergleichbar sind, so ist zwischen beiden genannten Octyl- 
alkoholmengen kein Unterschied im Einfluß auf die Vermehrungs- 
stärke der Hefe aufzufinden (1. Tag 11,7 und 12,5 mal, 3. Tag 
26,7 und 27,2 mal). 

Da die Vermehrungsstärke außerordentlich von der Ein- 
saatmenge beeinflußt wird, so läßt sich nach den oben mitgeteilten 
Versuchen nicht ganz sicher sagen, ob 0,002%, Alkoholzusatz die 
Vermehrung schädlich beeinflußt. 

Die Menge 0,001% ist sicher ohne Einfluß. 

Beachtenswert ist, daß bisher nirgends eine Anregung der 
Vermehrung und der Gärkraft wahrzunehmen war, was sonst 
bei kleinsten Giftmengen einzutreten pflegt. Ferner ist von 
großem Interesse, daß im Versuch III bei etwas größerer Einsaat 
der Octylalkohol in einer Menge von 0,017% gar keine Wirkung 
zeigt. Die giftige Einwirkung geht demnach durch 
Gegenwart von mehr Hefezellen verloren, was in Hin- 
sicht auf das Gärungsgewerbe sehr wichtig ist. 

Die Größenabmessungen in der Länge werden in der Regel 
nur wenig beeinflußt: 

Bei 0,017%, Zusatz (Versuch IV, 3) sind nach 2 Tagen die 
Zellen deutlich größer geworden als in der zugehörigen Kontrolle. 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 187 


Es ist dies auf gehemmte Vermehrung zurückzuführen. Nach 
3 Tagen ist das Umgekehrte der Fall. 

Bei 0,033% waren die Zellen am vierten Tage auffallend klein. 

Sehr auffallend sind die Einwirkungen auf die Breiten- 
abmessungen, so daß die Zellen rundlicher bzw. rund werden. 

Bei 0,027% (Versuch I, 3) sind am vierten Tage sämtliche 
Zellen rund, bei 0,017%, am gleichen Tage 36%, bzw. 30% (Ver- 
such IV, 3). Dies gibt sich auch deutlich in dem Verhältnis der 
Länge zur Breite (= V) zu erkennen: 17,7 : 16,7 = Verhältnis 
1:0,94 (Versuch I) und 17,1: 15,6 V = 0,91. Oft werden die 
Zellen durch die Octylalkoholeinwirkung nicht rund, sondern 
nur rundlicher, wie überall aus der Verhältniszahl leicht zu er- 
sehen ist. Eine Menge von 0,004%, Octylalkohol bewirkt schon 
deutlich eine mehr rundlichere Gestalt. Es zeigt sich dies be- 
sonders in Versuch II, 5 bei einem Gehalt von 0,017% Octyl- 
alkohol deutlich. Selbst 0,002% (Versuch V) hat noch eine 
geringe, aber deutliche Einwirkung in dieser Hinsicht. 0,001% 
ist endlich ohne Einfluß. 

Das Rund- bzw. Rundlichwerden der Hefezellen 
ist der augenfälligste Einfluß der kleineren Octyl- 
alkoholmengen. 

Erwähnt muß auch werden, daß 0,017%, Octylalkohol 
(Versuch I und IV) eine verhältnismäßig große Zahl gleichgroßer 
Zellen entstehen läßt, was auf Wachstumshemmung zurück- 
zuführen ist. So fanden sich hier nur 44 bzw. 50% Zellen, deren 
Größenabmessungen nur einmal vorhanden waren (,, Einzel- 
ab mess ungen“). 52% Zellen im Versuch I hatten eine Länge 
von 19—20 (= 9,5—10 u). 

Die Zellwände werden durch 0,027% (Versuch D auffallend 
dicker, ähnlich durch 0,017% (Versuch IV), etwas weniger durch 
0, 004%, dagegen nicht mehr durch 0,002% . 

Eine nicht zu übersehende Einwirkung ist schließlich die 
Fettansammlung im Zellinnern unter bestimmten Bedingungen. 
Bei 0,033 %, (Versuch I) sind hier wohl die bemerkenswertesten 
Erscheinungen zu finden gewesen. Das Fett bildete in den sonst 
anscheinend normalen Zellen entweder eine riesige Fettkugel 
oder sehr viel kleine. Langsam abgestorbene Zellen sind an den 
noch während des Lebens stattgefundenen EEN 
zu erkennen. 


188 W. Windisch, W. Henneberg und W. Dietrich: 


Der Glykogengehalt wird natürlich ebenfalls von den Octyl- 
alkoholzusätzen beeinflußt, denn er hängt ja bekanntlich mit dem 
Vergärungsgrad in der Würze, mit dem Vermehrungsgrad und 
dem Alter der Zellen zusammen. Je mehr die Vergärung gehemmt 
ist, desto länger ist der Zucker in der Würze vorhanden, desto 
länger haben auch nach früheren Untersuchungen von Henne- 
berg die Zellen viel Glykogen. Je älter unter gewöhnlichen Ver- 
hältnissen die Hefezellen sind, desto glykogenärmer sind sie. 
Bedingt also der Octylalkoholzusatz eine sehr langsame Ver- 
mehrung und Gärung, so werden sich hier noch lange Glykogen- 
hefezellen vorfinden (z. B. Versuch I bei 0,027% Alkoholzusatz 
am vierten Tage; Versuch II, 5). , 

Als Schluß der Octylalkoholreihe ist nun noch ein Versuch 
anzuführen, bei dem nicht. die Alkoholmenge variiert wurde, 
sondern die Einsaatmenge. 


VI. Einsaatmenge 0,44—0,94 (in der Volumeneinheit).. 


Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 3 Tagen. 

1. Kontrolle Ein- 18,5: 11,8 (V= 19,3: 12,4 (V= 138,1: 11,7 (V= 
saat 0,44. 0, 64), Vermeh- O, 62), Vermeh- 0,65), Vermeh- 

rung 25,36mal. rung 60,44mal. rung 63,15 mal. 

2. Kontrolle Ein- Vermehrung Vermehrung Vermehrung 
saat 0,67. 21,29 mal. 36,47 mal. 42,5 mal. 

3. 0,002 % Octyl- Vermehrung Vermehrung 
alkohol, Einsaat 18,78 mal. 40,67 mal. 

0,59. 

4. O, O02 % Octyl- 19,2: 12,3 (V= 19,6:13 (V= 18, 2: 12,9 (V= 
alkohol, Einsaat 0,64), Vermeh- O, 66), Vermeh- 0,71), Vermeh- 
0,94. rung 12,14 mal. rung 25,72mal, rung 26, 2 mal, 

keine runden keine runden 
Zellen. Zellen. 


Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


Tage 

1 2 | 3 
1. cem CO, ! 70 72,0 81,0 
2. cem CO, | 19,0 | 720 | 770 
3. cem CO, : 75 | 61,0 | 75,0 
4. cem CO: 11,5 680 | 76,0 


Der Versuch läßt keine weiteren neuen Schlüsse zu, da die 
Menge des zugesetzten Octylalkohols 0,002% zu gering gewählt 
worden ist und als solche selbst bei einer kleinen Einsaatmenge 


N 


Einwirkung oberflächenakt. Nonylsäure usw. auf die Hefezelle usw. 189 


kaum eine Giftwirkung ausübt. Immerhin ist die Tabelle an- 
geführt worden, da genaue Hefenvermehrungszahlen selten er- 
mittelt werden und in diesem Sinne die Einfügung dieser Tabelle 
in die Arbeit rechtfertigen. Die Hefe in Versuch VI, 3 hat sich 
trotz kleinerer Einsaat in den ersten 24 Stunden weniger vermehrt 
als im Kontrollversuch VI, 2. In weiteren 24 Stunden ist dies 
nicht mehr der Fall. Hier ist also jedenfalls eine geringe Ver- 
mehrungshemmung zuerst eingetreten. Auch ein geringes Rund- 
lichwerden zeigt wieder der Versuch VI am zweiten und dritten 
Tag bei 0,002%, Zusatz. 

Sind Nonylsäure und Octylalkohol Stoffe gewesen, deren 
Auftreten bei der Gärung wir zwar wahrscheinlich machen, aber 
deren Entstehung nicht mit Sicherheit nachgewiesen ist, so soll 
als letzter Versuch eine Gärung mit Isoamylalkohol, dem Haupt- 
bestandteil des Fuselöls, durchgeführt werden, der zwar nach 
Traubes Regel 27mal weniger oberflächenaktiv ist als Octyl- 
alkohol, dafür aber in verhältnismäßig großen Mengen in der 
Würze bei der Gärung auftreten kann. 


Versuch mit Amylalkohol in Würze. 
Nach 1 Tage. Nach 2 Tagen. Nach 5 Tagen. 


1. Kontrolle, Oberflächen- 1% tot. 
spannung 77,0. 

2. 0,13% Amylalkohol, 3% tot. 
Oberflächenspann. 74,0. 

3. 0,27% Amylaikohol, 3% tot 3% tot. 24 0% tot, viel 
Oberflächenspann. 64,0. Fettbildung. 

4. 0,54% Amylalkohol, 3°%% tot. 8% tot. 10% tot, 
Oberf,ächenspann. 66,0. ziemlich viel 

krank. 

5. 0,8% Amylalkohol, 8% tot, viele Wenig Ver- 60% tot, 

Oberflächenspann. 66,0. krank. mehrung, sonst krank. 
50% tot. 


Kohlensäureentwicklung derselben Versuchsreihe. 


re ñ — 
1 2 3 4 5 6 | 7 
1. cem CO, ua 55,0 590640 680 — 700 
2. cem COs 170 55,0580 | 640 | 680 I — 700 
3. ccm CO, 1% | 330 | 400 | 480 | 545 | — | 570 
4. com CO, | 80 | 245 430 | ou, 64u — | 690 
5. em C0: 25 | 160 | 330 | 340580 — ı 670 


43 


190 Windisch, Henneberg, Dietrich: Einw. oberflächenakt. Nonylsäure usw. 


Betreffs des Amylalkohols läßt sich aus dem einen Versuch 
nur folgern, daß erst eine Menge von 0, 54% schädlich und von 
0,8% sehr schädlich wirkt. 

In bezug auf die Vergärungszahlen ist zu sehen, daß die 
Angärung mit steigenden Mengen des Alkohols verzögert wird, 
daß aber der Endvergärungsgrad nicht in Mitleidenschaft ge- 
zogen wird. 


Zusammenfassung. 


1. Nonylsäure wirkt in ihrer Eigenschaft als oberflächen- 
aktive Substanz mit steigenden Mengen von 0,005—0,02%, zu- 
nächst gärungsverzögernd und dann hemmend. Die Einwirkung 
auf die Hefezelle macht sich mit zunehmender Menge in Er- 
krankungs- und Absterbeerscheinungen bemerkbar. Zu gleicher 
Zeit tritt als Folge der Einwirkung häufig Formveränderung 
(Rund- und Rundlichwerden) und Fettbildung auf. 

2. Octylalkohol in Mengen von 0,017—0,04%, zeigt analoge 
Erscheinungen wie Nonylsäure. Kleinere Mengen als 0,017% 
machen sich besonders an den Formveränderungen, wie unter 
1. angegeben, bemerkbar. 

3. Verschiedene Versuche wiesen darauf hin, daß die Ober- 
flächenaktivität dieser Stoffe und nicht eine chemische Eigen- 
schaft der Grund obiger Erscheinungen ist. 

4. Da diese oder ähnliche oberflächenaktive Stoffe sowohl 
bei der Gärung nachgewiesen sind, als auch nach theoretischen 
Überlegungen entstehen können, könnten diese Stoffe unter 
bestimmten Verhältnissen (kleine Hefeneinsaat) in der Praxis 
Gärverzögerungen bedingen. 


Über die antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate des 
| Methans, Athans und Athylens. 


Von 
E. Salkowski. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der Uni- 
versität Berlin.) 


(Eingegangen am 18. April 1920.) 


Vor langen Jahren habe ich!) auf die antiseptische Wirkung 
des Chloroforms aufmerksam gemacht und auf seine Anwendbarkeit 
zum Nachweis von Fermenten, sowie als Antisepticum bei phy- 
siologisch-chemischen Arbeiten hingewiesen. Die Anwendung des- 
selben ist seitdem neben dem von Emil Fischer eingeführten 
Toluol Allgemeingut geworden. Auf die Frage, welche Substanz?) 
den Vorzug verdient, will ich nicht näher eingehen, nach meinen 
Erfahrungen scheint es mir, daß das Toluol „schonender“ ist, 
d. h. nicht so leicht Fermente schädigt, wenn sie nur in kleinen 
Mengen vorhanden sind, ein Vorwurf, von welchem das Chloro- 
form nicht ganz freizusprechen ist, daß aber andererseits das 
Chloroform dem Toluol hinsichtlich seiner bactericiden und 
Protoplasma tötenden Eigenschaft überlegen und darum in 
manchen Fällen vorzuziehen ist. Daß auch andere nahestehende 
Chlorderivate antiseptische Eigenschaften haben, habe ich l. o. 
am Schlusse meiner damaligen Mitteilung kurz erwähnt, andere 


1) Dtsch. med. Wochenschr. 1888, Nr. 16. 

2) Vielfach ist es in den Kliniken üblich, zur Harnkonservierung beide 
Substanzen Chloroform und Toluol zugleich anzuwenden. Das ist mindestens 
überflüssig, kann aber auch Nachteile haben. Beim Eindampfen von 
toluolhaltigem Harn kann es leicht zu unangenehmen Bränden kommen, 
um so mehr, als meistens viel zu viel Toluol angewendet wird. Ganz ver- 
kehrt ist es natürlich, beide Substanzen anzuwenden und dann zu schütteln, 
da durch das Toluol das Chloroform ausgeschüttelt wird. Bei schwer zu 
sterilisierenden oder schon infizierten Flüssigkeiten kann es sich ereignen, 
daß sie trotz des Zusatzes beider Antiseptica verderben bzw. nicht sterilisiert 
werden. (Vgl. Kik koji, Zeitschr. f. physiol. Chemie 63, 112. 1909.) 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 13 


192 E. Salkowski: 


Al beiten haben mich aber verhindert, diesen Gegenstand weiter 
zu verfolgen. Was mich jetzt dazu bestimmt, die Frage wieder 
aufzunehmen, ist der Umstand, daß das Chloroform neben seinen 
guten Eigenschaften auch eine unerwünschte hat, nämlich die, daß 
sich bei seiner Anwendung in eiweißreichen Flüssigkeiten stets 
Ausscheidungen von geronnenem Eiweiß bilden, wenn auch nur 
am Boden der Flasche, defibriniertes Blut aber mit Chloroform 
geschüttelt, schon nach einigen Tagen zu einer festen Masse ge- 
steht, wie ich auch schon damals angegeben habe, so daß Chloro- 
form bei Blut nicht anwendbar ist. Es war denkbar, daß andere 
Chlorderivate diese Eigenschaft nicht haben. Es war noch ein 
zweiter Grund, der mich zur Wiederaufnahme dieses Gegen- 
standes bewogen hat. Seit der Einführung von Verfahren, durch 
welche Blut in ein staubfeines wasserlösliches Pulver verwandelt 
werden kann!), machte sich das Bedürfnis geltend, Blut, das an 
kleineren Orten beim Schlachten entfällt, in flüssigem Zustand 
und mindestens einige Tage frei von Fäulnis zu halten, da natur- 
gemäß die maschinellen Einrichtungen, die dazu dienen, Blut in 
Pulver zu verwandeln, nur an einzelnen Zentralstellen bestehen 
können. 

Um diesem Bedürfnis zu genügen, habe ich mich bemüht, 
andere Antiseptica zu finden, die von dem Fehler des Chloroforms 
frei sind. Naturgemäß faßte ich zunächst andere Chlorderivate 
des Methans und Aethans bzw. Aethylens ins Auge. Dieselben 
durften das Blut natürlich nicht verändern und mußten bei dem 
Verfahren der Verwandlung des Blutes in Pulver so vollständig ent- 
weichen, daß sich das Produkt in nichts von dem ohne Anwendung 
eines Konservierungsmittels erhaltenen unterscheidet. Die Be- 
schäftigung mit den Chlorderivaten führte dann auch zu einigen 
Versuchen über ihre Anwendbarkeit bei Milch und Fleisch von 
einem anderen Gesichtspunkte aus. Soviel ich weiß, wird das 
Auftreten der sogenannten Barlowschen Krankheit bei Säug- 
lingen vielfach auf die zu einseitige Ernährung mit gekochter 
Milch, noch mehr auf durch Erhitzen über 100° sterilisierte 

a Soviel ich weiß, gibt es zwei derartige durch Patente geschützte Ver- 
fahren. Das Verfahren von G. A. Krause in München, bei dem das Blut 
im Vakuum verstäubt wird und während des Verstäubens zu einem feinen 
Pulver eintrocknet, und ein zweites von Sgalitzerin Wien, bei welchem das 


Blut durch Gefrierenlassen und Wiederauftauen lackfarben gemacht und 
dann auf heißen Walzen im Vakuum getrocknet wird. 


Antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate usw. 193 


Milch, wie die seinerzeit sehr beliebte Scherffsche Milch!) 
zurückgeführt, die für die Ernährung, namentlich bei vorüber- 
gehendem Wechsel des Aufenthaltes z. B. in Sommerfrischen 
zweifellos große Vorteile bietet. Ich dachte mir nun, daß es nütz- 
lich sein würde, ein Verfahren zu besitzen, das die ‚Milch sicher 
sterilisiert, dabei aber die Eigenschaften der frischen Milch nicht 
verändert. Vielfach wurde oder wird — ich bin darüber natürlich 
nicht genau unterrichtet — die schädliche Wirkung des Kochens 
und mehr noch des Überhitzens auf die Zerstörung von Fer- 
menten in der Milch zurückgeführt; ich muß gestehen, daß ich 
dieser Ansicht recht skeptisch gegenüberstehe. Möglicherweise 
aber enthält die Milch sehr labile Vitamine — wir kennen diese ja 
noch lange nicht vollständig —, die durch Kochen angegriffen 
werden. Selbstverständlich mußte das Konservierungsmittel ohne 
Kochen entfernbar sein. 

Was das Fleisch betrifft, so knüpften meine Versuche an 
eine ältere Arbeit von mir über Atmidalbumose an. Diese selbst 
ging von dem Gedanken aus, den Fleischreichtum Südamerikas 
der europäischen Bevölkerung in besserer Weise nutzbar zu 
machen, als es in dem Liebigschen Fleischextrakt geschieht. Ich 
hatte gedacht, dieses Ziel durch Überführung des Fleisches in 
Atmidalbumose zu erreichen, die natürlich sämtliche Bestand- 
teile des Fleisches enthalten mußte. Da diese Versuche an dem 
schlechten Geschmack und der nicht ganz befriedigenden Resor- 
bierbarkeit des Produktes gescheitert waren, drängte sich mir der 
Gedanke auf, ob das Ziel nicht vielleicht durch Einlegen des zer- 
kleinerten Fleisches in Lösungen von Chlorderivaten zu erreichen 
sein möchte, von denen ich annahm, daß sie sich bei der Zu- 
bereitung des Fleisches ganz verflüchtigen würden. Eine Kon- 
servierung des Fleisches durch das Pökelverfahren ist zwar seit 
undenklichen Zeiten bekannt, aber das Fleisch verliert dabei ja 
den Charakter von frischem Fleisch und unterliegt auch im ge- 
wissem Grade der Autolyse. Diese Versuche liegen zum größ- 
ten Teil sehr weit zurück. Sie fallen in die Zeit vor Einführung 
des Gefrierfleisches und vor Auffindung der Autodigestion oder 


1) Von dieser habe ich in den achtziger Jahren des vorigen Jahr- 
nunderts in meiner Familie umfangreich Anwendung machen lassen, glück- 
licherweise ohne mit der Barlowschen Krankheit Bekanntschaft zu 
machen oder irgendwelche Ernährungsstörungen zu bemerken. 


13* 


194 E. Salkowski: 


Autolyse, die sich in äußerst unerwünschter Weise bemerkbar 
machte, ohne daß ich damals eine Einsicht in das Wesen des 
Vorganges hatte. Ausgeschlossen ist übrigens die Autolyse auch 
beim Einsalzen des Fleisches nicht, wienamentlichSchmidt-Niel- 
sen!) an Heringen nachgewiesen hat. Die einzige Substanz, welche 
die Autolyse ausschließt und dabei das Produkt keineswegs zum 
Genuß unbrauchbar macht, ist, wie meine Versuche?) mit auskoagu- 
liertem Blute beweisen, das Formalin in !/,—1proz. Lösung. 

Ich gehe nun zur Mitteilung der Versuchsergebnisse über, 
möchte dabei vorher nur noch die Bemerkung machen, daß eine 
lückenlose Durchführung der Versuche durch die Verhältnisse 
im Kriege und nach demselben unmöglich gemacht wurde. Zur 
Orientierung des Lesers werde ich kurze Angaben über die Eigen- 
schaften der benutzten Substanzen machen. 

1. Methylchlorid = Monochlormethan CH, Cl. Gas, das ver- 
flüssigt, bei — 23,7° siedet. Ich stellte es durch Erhitzen von 
Methylalkohol, Chlornatrium und Schwefelsäure dar. Das Gas 
passierte eine Kalilauge enthaltende Waschflasche und wurde 
unter Anwendung von !/, bis !/, Liter Milch jedesmal etwa eine 
Stunde lang oder auch länger eingeleitet?). Die Milch hielt sich, 
in einer Flasche mit Korkstöpsel aufbewahrt, solange die Be- 
obachtung reichte — etwa acht Tage lang — unverändert, Säue- 
rung trat nicht ein. Der Geschmack war merklich verändert, 
namentlich schmeckte sie süßer. Es fragte sich nun, wie man 
das Methylchlorid wieder aus der Milch entfernen sollte. Bei 
der Flüchtigkeit desselben hätte man erwarten sollen, daß hierzu 
ein Luftstrom genügen müsse. Diese Annahme erwies sich beim 
Versuch als nicht zutreffend. Anscheinend vollständig — soweit 
man es nach dem Geschmack beurteilen konnte — gelang die 
Austreibung durch einen Luft- oder Sauerstoffstrom nur bei 
gleichzeitiger Erwärmung der Milch auf etwa 40°; dieses Ver- 
halten, das zweifellos auf der Absorption von Methylchlorid durch 
das Milchfett beruht, hebt natürlich jeden Gedanken an prak- 
tische Anwendbarkeit auf, so daß ich alle weiteren Versuche aufgab. 


Über die Sterilisierung finde ich in den alten Aufzeichnungen nichts 
angegeben. Gern hätte ich die Versuche nach dieser Richtung vervollstän- 


1) Beiträge zur chem. Phys. u. Pathol. 3, 266. 1903. 

2) Diese Zeitschr. 71, 383. 1915. 

3) Diese Versuche habe ich bereits in einer Fußnote in der Berl. klin. 
Wochenschr. 1915, Nr. 23 erwähnt. 


Antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate usw. 195 


digt, wenn sie durch den Bezug von verdichtetem Methylchlorid in Stabl- 
flaschen erleichtert worden wären, solche waren aber zu der Zeit, als ich die 
Versuche machen wollte, nicht zu haben. Versuche mit Blut konnte ich 
wegen Mangel an diesem nicht anstellen. 


2. Chloroform = Trichlormethan CH Cl. Siedepunkt 61°. Lös- 
lichkeit in Wasser: 7,5 g oder ungefähr 5 cem in einem Liter. 

Das Verhalten von Milch zu Chloroform ist bereits in der 
Dtsch. med. Wochenschr. 1888, Nr. 16 angegeben. Der Voll- 
ständigkeit wegen sei die betreffende Stelle hier mitgeteilt: 

„Milch bewahrt, in einer verkorkten Flasche mit etwas 

Chloroform durchgeschüttelt, ihre ursprüngliche neutrale resp. 
schwach alkalische Reaktion dauernd. Nach einigen Monaten — 
ziemlich regelmäßig 3 Monate — gesteht sie zu einer zitternden 
Gallerte, welche sich durch starkes Schütteln zerstören läßt: sie 
trennt sich dann in einen weißen Bodensatz von Casein und Fett 
und eine gelbliche, klare, darüberstehende Flüssigkeit, welche 
sich albuminhaltig erweist. Dieselben Erscheinungen hat auch 
Meissner bei steril aufbewahrter Milch beobachtet.“ Ebenso- 
wenig wie Methylchlorid läßt sich Chloroform durch einen Luft- 
strom ohne Erwärmen austreiben. 


Das Festwerden von mit Chloroform versetztem Blut läßt sich ver- 
hindern oder mindestens stark verzögern durch kleine Mengen von Natrium- 
carbonat. 200 ccm Blut wurden am 28. IV. mit Chloroform durchgeschüttelt, 
dann mit 1 com einer 10 proz. Lösung von Natriumcarbonat (wasserfrei) 
versetzt. Das Blut wurde allmählich lackfarben, zeigte aber sonst keine 
Veränderung abgesehen von einem geringen rötlich-weißen Niederschlag, der 
allmählich an Menge zunahm, am 18. V. etwa einen Zentimeter hoch war. 
Das Festwerden des Blutes scheint danach von in einigen Tagen aus dem 
Chloroform gebildeter Salzsäure abzuhängen. 


Die Versuche mit Fleisch liegen sehr weit zurück, sie stammen 
aus einer Zeit, als über Autolyse noch nichts bekannt war. Fein- 
gehacktes Fleisch hielt sich mit Chloroformwasser unter Zugabe 
von etwas Chloroform anscheinend unbegrenzt. Die Abkochung 
schmeckte bitter, augenscheinlich wegen Peptongehalt, das Fleisch 
süß von in ihm verbliebenem Chloroform. Selbst durch Braten ist 
das Chloroform merkwürdigerweise nicht ganz auszutreiben, so- 
daß an eine praktische Verwertung nicht zu denken ist. 

3. Methylenchlorid. CH CL. ist eine leicht bewegliche, bei 
41,6° siedende, in Wasser nur wenig lösliche Flüssigkeit. Es wurde 
versucht, die Löslichkeit durch Tastversuche annähernd zu er- 
mitteln. Zu 200 cem Wasser, die sich in einer 300 cem fassenden 


196 E. Salkowski: 


Glasstöpselflasche befanden, wurde allmählich aus einer Pipette 
eine abgemessene Menge Methylenchlorid hinzugesetzt und nach 
jedesmaligem Zusatz kräftig geschüttelt, so lange bis die Lösung 
nicht mehr ganz klar erschien. War diese Grenze erreicht, so 
wurde 1 Liter Wasser mit der so festgestellten Quantität Methylen- 
chlorid auf der Schüttelmaschine anhaltend geschüttelt. 1 Liter 
Wasser löst danach 9ccm = 12,24 g Methylenchlorid. Die Lös- 
lichkeit ist also erheblich größer als die des Chloroforms. 

Das Methylenchlorid hat ausgezeichnete konservierende Eigen- 
schaften, wie folgende beispielsweise angeführte Versuche zeigen: 


1. 100 g feingchacktes Fleisch wurden am 27. XI. mit 250 ccm Wasser 
und einer die Löslichkeit übersteigenden Quantität Methylenchlorid stark 
geschüttelt. Am 16. XII. noch kein fauliger Geruch bemerkbar. Die Mischung 
wurde aufgekocht — auch dabei kein unangenehmer Geruch bemerkbar — 
koliert, abgepreßt, das Fleisch war gut genieBbar. 

2. 100 cem Blut wurden am 9. III. mit 1 cem Methylenchlorid geschüttelt. 
Am 19. III. war das Blut lackfarben, im übrigen unverändert. Beim Über- 
impfen auf Nährgelatine zeigte sich bis zum 30. III. keine Entwicklung, dann 
traten spärliche Kolonien auf, die sich langsam vermehrten. Hinsicht- 
lich der antiseptischen Wirkung steht das Methylenchlorid also doch dem 
Chloroform nach, sein Vorzug ist, daß es nicht wie das Chloroform ein Fest- 
werden des Blutes bewirkt. Dabei möchte ich eine sehr auffällige Beob- 
achtung nicht unerwähnt lassen. Als Blut, das seit dem 28. II. durch 
Borsäure konserviert war (12 g Borsäure auf 300 ccm Blut), am 6. VII. mit 
Methylenchlorid versetzt und geschüttelt wurde, bildete es schon nach 
halbstündigem Stehen eine feste Masse. Dasselbe geschah — und zwar 
sofort, — als mit Traubenzucker gesättigtes konserviertes Blut mit 
Methylenchlorid versetzt wurde. Eine Erklärung dieser seltsamen Er- 
scheinung vermag ich nicht zu geben. 

Es handelte sich nun um die Frage, ob sich aus dem mit Methylen- 
chlorid konservierten Blut ein in Wasser lösliches Trockenpräparat her- 
stellen liebe. Eine der Krauseschen ähnliche Apparatur zur Verstäubung 
stand mir nicht zur Verfügung. Statt dessen diente hierzu ein Apparat, 
der in der Festschrift zur Einweihung des neuen Pathologischen Instituts“) 
schon kurz erwähnt ist!). Er besteht aus einem horizontal liegenden, luft- 


1) Arbeiten aus dem Pathologischen Institut zu Berlin. Berlin 1906, 
Verlag von Hirschwald, S. 96. 

2) Einen Faustschen Apparat zum Eintrocknen durch einen Luft- 
strom, der noch geeigneter gewesen wäre, besitzt das Institut leider nicht. 
Auch im Vakuum-Abdampfapparat hätte sich das Eintrocknen so geringer 
Blutmengen wahrscheinlich leicht bewirken lassen. Dieser ist zwar vor- 
handen, aber bei dem geringen Wasserdruck — der Auslaf liegt etwa 14 m 
über dem Straßenniveau — nur selten brauchbar; der niedrige Wasserdruck 
behindert natürlich den Labcratoriumsbetrieb überhaupt erheblich. 


Antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate usw. 197 


dicht verschließbaren und durch einen untergesetzten Brenner heizbaren 
Kupferzylinder von ca. 40 cm Länge und 17 cm Durchmesser, der ein seinen 
Dimensionen entsprechendes halbrinnenförmiges Bleigefäß enthält, das 
zu Versuchszwecken mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllt wird. Es ist 
mit einer durchlochten Metallplatte bedeckt. Auf diese kommen die Ge- 
fäße zu stehen, welche die zu trocknende Substanz enthält, im vorliegenden 
Falle ein Blechkästchen mit niedrigen Wänden von 34,5 cm Länge und 
10!/, cm Breite. Der Zylinder wird durch eine mit einem Elektromotor be- 
triebene Luft pumpe während des Versuches dauernd ausgepumpt!). Die 
Verschlußplatte bestand anfangs aus einer Spiegelglasplatte mit Gummi- 
dichtung. Da dieselbe aber beim Gebrauch wiederholt sprang — sie mußte 
natürlich fest angeschraubt werden —, so erwies es sich als notwendig, sie 
durch eine Messingplatte zu ersetzen. Das Blechkästchen wurde minimal 
eingefettet, damit sich das eingetrocknete Blut leichter ablösen ließ. Zu 
dem Zweck wurde es mit etwa 15 cem 1—2 Tropfen Paraffin enthaltenden 
Äther schnell ausgespült. Die Eintrocknung nahm bei einer Temperatur 
von ca. 40° mehrere Stunden in Anspruch, wenn 30—35 ccm Blut ange- 
wendet waren. 


Am 19. III., also 10 Tage nach dem Zusatz des Methylen- 
chlorids wurde das Blut in den Apparat gebracht und getrocknet. 
Das getrocknete Blut löste sich leicht in Schollen ab und stellte 
nach dem Verreiben?) ein bräunlich-rotes Pulver dar, das sich 
ebenso wie das zum Vergleich herangezogene Krausesche Blut- 
pulver in etwa 10 Teilen Wasser etwas träge aber vollständig 
löste. Die filtrierte Lösung zeigte Oxyhämoglobinstreifen, da- 
neben aber stets auch den Hämatinstreifen im Rot. Sie war ganz 
geschmackfrei, bzw. sie zeigte den faden Geschmack von ver- 
dünntem Blut. Die Untersuchung auf etwaige Reste von Me- 
thylenchlorid wurde mit Rücksicht darauf, daß sie sehr um- 
ständlich gewesen wäre und Methylenchlorid sich doch durch 
Geruch und Geschmack verraten hätte, unterlassen. 

Die konservierende Eigenschaft des Methylenchlorids versagte aber 
merkwürdigerweise bei der Milch. Nach einigen Tagen war die damit ver- 
setzte Milch zwar nicht geronnen, wie die Kontrollmilch, hatte aber doch 
schon saufe Reaktion angenommen. Ob diese von abgespaltener Salzsäure 


herrührte, was unwahrscheinlich ist, da sich solche auch beim Blut hätte 
bemerkbar machen müssen, oder von Milchsäurebildung, muß dahingestellt 


1) Einen ähnlichen Apparat, jedcch in größerem Maßstabe ausge- 
führt, hat Siegmund Fränkel angegeben. Diese Zeitschr. 74, 117, 
1916. 

2) Die Beobachtung von Herzfeld und Klinger, Diese Zeitschr. 78, 
349, 1917, daß das Verreiben von trocknem Serumalbumin zu Pulver seine 
Löslichkeit beeinträchtigt, war damals noch nicht bekannt. 


198 E. Salkowski: 


bleiben. In letzterem Falle müßte man annehmen, daß die Milch überhaupt 
ein milchsäurebildendes lösliches Ferment enthält, dessen Existenz an sich 
nach verschiedenen Autolyseversuchen mit Leber und Fleisch nicht be- 
` zweifelt werden kann. 

4ð᷑. Acetylendichlorid == Dichloräthylen !). Das symmetrische 
Acetylendichlorid FR vom Siedepunkt 55°, ist gleichfalls 

CH, Cl 

eine leicht bewegliche Flüssigkeit von chloroformartigem Geruch 
und geringer Löslichkeit in Wasser. Sie ergab sich zu 4 cem in 
½ Liter Wasser, also auch nicht unbeträchtlich größer als die 
des Chloroforms. Es stand in zwei Formen zur Verfügung als 
reines und als technisches, in der Löslichkeit zeigte sich kein 
Unterschied. | 

Je 200 ccm Blut wurden am 27. IV. in einer Glasstöpsel- 
flasche mit 1 ccm Acetylendichlorid versetzt und mit der Hand 
kräftig geschüttelt. Am 3. V., also nach 6 Tagen waren beide 
Proben lackfarben, sonst unverändert, abgesehen von einer ge- 
ringen rötlich-weißen Abscheidung am Boden der Flasche, die 
beim Stehenlassen allmählich an Menge zunahm, immer aber 
unerheblich blieb. Die Kontrollprobe war schon am 29. trotz 
Aufbewahrung im Eisschrank stark faulig. 

a) Von dem mit reinem Acetylendichlorid versetzten Blut 
wurde am 6. V. also nach 9 Tagen abgeimpft: bis zum 9. V. war 
keine Entwicklung zu bemerken, am 11. V. spärliche Entwick- 
lung, am 16. V. beginnende Verflüssigung. Völlige Sterilisierung 
ist also auch durch das Acetylendichlorid im Gegensatz zum 
Chloroform nicht erreicht. Am 7. V., also 10 Tage nach dem 
Ansetzen der Mischung wurde das Blut mit Wasser verdünnt, 
unter Zusatz einer Spur Essigsäure auskoaguliert, unter wallen- 
dem Sieden ausgekocht. Trotzdem hatte das klare Filtrat 
noch einen süßlichen Geschmack. Das abfiltrierte, ausgewaschene 
und abgepreßte Koagulum erwies sich gänzlich geschmackfrei 
und wurde nach dem Erkalten vollständig auf Brot verzehrt. 
Irgendwelche Abweichung vom normalen Befinden wurde nicht 
beobachtet. 

b) Von der Probe mit technischem Acetylendichlorid wurde 
gleichfalls am 6. V. auf Nährgelatine abgeimpft, auch hier war 


"11 Von Schuchardt in Görlitz bezogen, alle anderen Präparate von 
Kahlbaum. 


Antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate usw. 199 


eine Entwicklung bis zum 9. V. nicht zu bemerken, an den fol- 
genden Tagen trat sie ein, und zwar etwas stärker als bei Mischung 
a). Am 8. V., also nach 11 Tagen, wurde der oben angegebene 
Kochversuch angestellt: das Resultat war dasselbe, das ganze 
Koagulum wurde verzehrt. 


Von den beiden Blutproben wurde am 3. V. bzw. 4. V. ein 
Trockenpräparat hergestellt, das allen Anforderungen entsprach. 

5. Trichloräthylen CHC ist gleichfalls eine leicht bewegliche 

CCl, 

Flüssigkeit von chloroformartigem Geruch. Der Siedepunkt liegt 
erheblich höher als der anderen geprüften Chlorderivate, näm- 
lich bei 88°. Es erscheint daher a priori weniger geeignet, wurde 
aber in Betracht gezogen wegen seines weit niedrigeren Preises, 
wenigstens des technischen Präparates. Es ist äußerst schwer 
löslich — auch das sprach zu seinen Gunsten, falls es sich als 
brauchbar erwies. % Liter Wasser löste O, 8 cem vollständig, 
Leem unvollständig, die Löslichkeit ist also auf etwa 1, 8 cem 
im Liter zu schätzen. Am 27. IV. wurden 200 cem Blut mit Leem 
Trichloräthylen versetzt und kräftig geschüttelt, die äußeren 
Erscheinungen waren ganz dieselben wie beim Acetylendichlorid. 
Fäulniserscheinungen wurden nicht beobachtet. Man könnte 
vielleicht annehmen, daß der Fäulnisgeruch durch den Geruch 
des Trichloräthylens verdeckt sei. Dagegen spricht aber das Ver- 
halten bei starker Verdünnung. Eine nach einem Monat ent- 
nommene Probe zeigte bei einer Verdünnung mit Wasser etwa 
auf das Zwanzigfache keinen Fäulnisgeruch. Nach einigen Tagen 
aber stellte sich Fäulnis ein, und das offene Glasgefäß bildete den 
Anziehungspunkt zahlreicher großer Fliegen. 


Am 6. V., also nach 10 Tagen, wurde auf Nährgelatine 
übergeimpft, Entwicklung konnte bis zum 1. VI. nicht beobachtet 
werden, anders aber verhielt sich eine Überimpfung am 1. VI., 
also nach 34 Tagen; nach 4 Tagen wurde eine Spur von Kolonien 
beobachtet, die in den folgenden Tagen bis zum 20. VI. nicht 
merklich zunahm. Verflüssigung trat bei einer durchschnittlichen 
Außentemperatur von 20° C nicht ein. Am 10. V., also 13 Tage 
nach dem Ansatz wurde das Blut bzw. der größte Teil aus- 
koaguliert. Das Filtrat war ungenießbar, das abfiltrierte, ge- 
waschene und abgepreßte Koagulum dagegen ganz geschmack- 


200 E. Salkowskı: 


frei. Es wurde wiederum verzehrt, ohne daß sich irgendwelche 
Gesundheitsstörungen bemerkbar gemacht hätten. 

Das am 6. V., also 9 Tage nach dem Ansatz hergestellte 
Trockenpräparat ließ nichts zu wünschen übrig. 

Danach wäre Trichloräthylen wegen seiner Billigkeit und 
der geringen erforderlichen Quantität als das zu Unterrichts- 
zwecken und auch für die praktische Anwendung geeignetste 
Präparat anzusehen, vorausgesetzt, daß es sich auch bei dem 
Verfahren im großen als vollständig flüchtig erweist. Die Not- 
wendigkeit der Anwendung von Schüttelmaschinen würde unter 
Umständen im Großbetrieb — ich denke dabei an überseeische 
Länder — kein Hindernis sein. 


Der Umstand, daß alle untersuchten Chlorderivate nicht so vollständig 
sterilisieren, wie es früher für das Chloroform gefunden ist, läßt Zweifel dar- 
über aufkommen, ob die Beobachtungen über das Chloroform ganz richtig 
sind. Man könnte zunächst meinen, daß die Zeit zwischen Ansatz und Über- 
impfung zu kurz gewesen. Dieser Einwand läßt sich durch eine ältere Beob- 
achtung widerlegen. Bei dieser wurde feingehacktes Fleisch mit Chloroform- 
wasser unter Hinzufügung von Chloroform am 3. IX. angesetzt, am 20. VII. 
des folgenden Jahres übergeimpft, die Röhrchen bis zum 20. IX. beobachtet: 
keine Entwicklung von Kolonien. 


6. Athylehlorid CH, Cl. Siedepunkt 12°. Löslichkeits- 
bestimmungen habe ich aus naheliegenden Gründen nicht machen 
können. Die Notizen über dasselbe sind abhanden gekommen, 
aus der Erinnerung kann ich nur sagen, daß es Blut nicht über 
6 Tage hinaus konserviert; das wäre an sich ja wohl genügend, 
eine praktische Anwendung wäre aber durch seine Leichtflüchtig- 
keit ausgeschlossen, ich erwähne es nur deshalb, weil die Lösung 
des unter Anwendung desselben hergestellten Trockenpräparates, 
abweichend von allen anderen, keinen Absorptionsstreifen im Rot 
zeigte, sondern nur die Oxyhämoglobinstreifen. 

Es sind noch Versuche mit einigen anderen Chlorderivaten 
angestellt, aber nicht bis zur Herstellung eines Trockenpräparates 
durchgeführt, sie können daher übergangen werden, dagegen sei 
es mir gestattet, noch eine Mitteilung anzuknüpfen, die einer 
gewissen Kuriosität nicht entbehrt. 

Man schrieb früher, etwa um das Jahr 1870 herum, dem Athyläther 
eine konservierende, also entwicklungshemmende Wirkung zu, die sich unter 


günstigen Umständen bemerkbar machen sollte. In neuerer Zeit ist davon 
nicht mehr die Rede gewesen und doch war diese Annahme nicht unbe- 


Antiseptische Wirkung einiger Chlorderivate usw. 201 


gründet, wie folgende Beobachtung zeigt. Übrigens hat Stadler!) gefunden, 
daß Äthyläther die Entwicklung von Bact. coli in Nährlösungen erst bei 
einem Gehalt von 2—3%, verhindert. 

Als ich im Oktober 1872 das Laboratorium übernahm, fand ich unter 
den Materialien eine größere Flasche mit der Aufschrift in K üh nes mir wohl- 
bekannter Handschrift?): „50 Eidotter in Ather Juli 1868“. Die Flasche war 
nicht besonders gut verkorkt, von Äther nichts mehr zu sehen, wohl aber zu der 
Zeit, als ich die im nachfolgenden beschriebenen Versuche machte, deutlich 
zu riechen. Es interessierte mich zu sehen, ob der Inhalt noch genießbar 
sei. Ich entnahm daher eine etwa walnußgroße Probe, übergoß sie mit 
ziemlich viel Wasser, erhitzte zuerst auf dem Wasserbad, dann gründlich 
auf freiem Feuer unter Umrühren, kolierte, preßte ab: sie erwies sich als ganz 
geschmackfrei. Da mit dem Inhalt der Flasche doch nicht viel anzufangen 
war, glaubte ich keinen Raub an Staatseigentum zu begehen — es ist ja 
außerdem bei den damaligen knappen Mitteln des Laboratoriums sehr wohl 
möglich, daß Kühne die Eier selbst bezahlt hatte — wenn ich die Eidotter 
verzehrte. Der Versuch war ja auch an sich von Interesse. Ich habe also im 
Winter 1917/18 die Eidottermasse portionsweise in Anteilen von ungefähr 
Walnußgröße bis doppelt so groß etwa im Laufe eines Monats verzehrt. 
Die erforderliche Quantität wurde mit einem eisernen Haken aus der Flasche 
gezogen, dann so behandelt wie die erste Versuchsprobe. Die Flasche wurde 
jedesmal mit demselben alten Kork wieder zugestöpselt, kein Äther nach- 
gefüllt. Irgendwelche Gesundheitsstörungen traten nicht ein. Wenn man in 
Betracht zieht, daß die Eidottermasse fast 50 Jahre — es fehlen nur einige 
Monate daran — alt war, wird man nicht umhin können, dem Äther doch 
eine gewisse konservierende Wirkung zuzuschreiben. Übrigens handelte es 
sich augenscheinlich um die Reste von der Extraktion mit Äther, offenbar 
war die ätherische Lösung wiederholt abgegossen, denn von Fett war beim 
Kochen kaum etwas zu sehen. Bemerken möchte ich noch, daß ich die 
Flasche genau kannte und seit Oktober 1872 dauernd gewissermaßen unter 
meiner Aufsicht hatte. 


1) Stadler, Arch. f. Hyg. 73, 203. 1912. 

2) Ich bin bei W. Kühne in Heidelberg Assistent gewesen und bebe 
später mehrfach mit ihm in brieflichem Verkehr gestanden. Kühne 
leitete das chemische Laboratorium des Pathologischen Instituts vor Lieb- 
reich, dessen Nachfolger ich wurde. 


Eine neue Methode quantitativer Brom-Bestimmung. 


Von 
G. Hartwich. 


(Aus der I. Inneren Abt. des Städt. Krankenhauses Moabit, Berlin.) 
(Eingegangen am 23. April 1920.) 


Anläßlich klinischer Untersuchungen über die Bromaus- 
scheidung durch die Nieren wurde eine Anzahl der bisher be- 
schriebenen Brombestimmungsmethoden versucht, aber. wegen 
Umständlichkeit und Ungenauigkeit wieder fallen gelassen. 
Statt dessen wurde eine neue Methode ausgearbeitet und an 
vielen Serienversuchen (Strauss-Volhardscher Wassertag) sowie 
an Kontrollen erprobt. Serienversuche konnten mit den anderen 
Methoden wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes über- 
haupt nicht gemacht werden. 

Prinzip der Methode: Mit Soda veraschter bromhaltiger 
Urin wird mit Schwefelsäure unter Kohlensäureentwicklung 
angesäuert. Dabei wird das Soda in Na,SO, und in etwas NaHSO, 
übergeführt. Bei Zusatz von freiem Chlor wird dieses zuerst vom 
NaHSO, verbraucht. Weiteres freies Chlor macht das Brom aus 
seinen Salzen frei. Das Brom wird mit Chloroform ausgeschüttelt. 
Sobald alles Brom entfernt ist, bleibt bei weiterem Chlorzusatz Chlor 
in Lösung. Aus der MengeChlor, die nötig war, um alles Brom freizu- 
machen, ergibt sich die vorhandene Brommenge durch Rechnung. 

Durch etappenweise fortschreitende Chlortitrierung unter 
jedesmaliger Entfernung des freigewordenen Broms läßt sich 
diese Bestimmung ausführen. 

Zur Erkennung, ob in dem Chloroform nach der Ausschütte- 
lung Brom oder Chlor enthalten ist, bedarf es eines Indicators. 
Dieser findet sich in einer schwachen schwefelsauren Fuchsin- 
lösung, die mit Brom einen violetten Farbstoff, mit Chlor einen 
gelben Farbstoff bildet (Wünsche, Arch. f. experim. Pathol. u. 
Pharmakol. 84, 1919, H. 6 und Guaresoi, Zeitschr. f. analyt. 
Chemie 52, 528. 1913). 


— — 


G. Hartwich: Quantitative Brom-Bestimmung. 203 


Apparatur: Zwei dünne 50 ccm-Büretten mit Ständer, 
ein 50 com-Schütteltrichter, Reagensgläser, Nickeltiegel, graduierte 
Pipette (5 cem) usw. 

Reagenzien: I. Chloroform, verdünnte Schwefelsäure (10 9%), 
2. Chlor wasser (salzsäurefrei, selbst herzustellen), 3. Indicator- 
lösung in Tropfflasche (selbst herzustellen), 4. "/ „"Natrium- 
thiosulfatlösung; Jodkali puriss. usw. 

Chlorwasserherstellung: 3 große Bechergläser müssen 
so ineinanderpassen, daß das kleinste aufrecht im größeren steht 
und das mittlere umgekehrt im größten über das kleinste gestülpt 
werden kann. Das größte wird zur Hälfte mit frisch aufgekochtem, 
wieder abgekühlten destilliertem Wasser gefüllt. Das kleinste 
wird mit einigen Löffeln Chlorkalk und genügend Salzsäure 
beschickt, ins größte gestellt, wo es auf dem Wasser schwimmt, 
und mit dem mittleren überstülpt wird. Das sich bildende Chlor 
kann so nur in ganz geringen Mengen entweichen; man erhält 
sehr rasch Chlorwasser mit viel Chlorgehalt. 

Indicatorlösung: Von einer 2 proz. alkoholischen Fuchsin- 
lösung werden 10 cem mit 10,0 "/,.-Schwefelsäure und Aqu. 
dest. auf 100,0 aufgefüllt und eine Weile stehengelassen. 


Gang der Brombestimmung: 


100,0 Urin werden mit etwas Soda im Nickeltiegel verascht, 
die Asche mit heißem Aqu. dest. ausgelaugt, filtriert und aus- 
gewaschen. Das Filtrat soll etwa 50,0 ccm betragen. Menge des 
Filtrates wird notiert, dann mit der graduierten Pipette 
davon 5 cem in den Schütteltrichter gefüllt. Ferner wird so viel 
verdünnte Schwefelsäure im Überschuß zugesetzt, bis keine 
Kohlensäure mehr frei wird (gelegentlich auftretende Gelbfärbung 
rührt von Urinfarbstoffen her und hat nichts zu sagen!), und dann 
in folgender Weise mit Chlorwasser titriert. 

Chlorwasser wird in eine dunkle Bürette bis oben gefüllt; 
davon werden 20 ccm (genau!) in ein Kölbchen mit etwas Jod- 
kalilösung gelassen (gleich schließen und schütteln, damit kein 
Chlor verlorengeht!) und die Bürette wird wieder aufgefüllt. — 
Nun werden 2 cem Chlorwasser zu der im Schütteltrichter befind- 
lichen Lösung aus der Bürette zugefügt. Sofort schließen und 
schütteln. 

Sodann wird mit einigen Kubikzentimetern Chloroform ver- 


204 G. Hartwich: 


setzt, ausgeschüttelt und das Chloroform in ein Reagensglas 
abgelassen. Ist bereits freies Brom im Chloroform enthalten, hat 
letzteres Gelbfärbung angenommen und färbt sich auf Zusatz 
von 3—5 Tropfen Indicatorlösung nach Umschütteln violett. 
Ist kein Brom enthalten, färbt es sich nicht und bleibt nach 
Indicatorzusatz unverändert. 

Sodann werden weitere 2ccm Chlorwasser zugesetzt, ge- 
schüttelt, Chloroformzusatz ausgeschüttelt und in ein zweites 
Reagensglas abgelassen. Wieder wird Indicatorlösung zugesetzt. 
— Zum dritten Male 2 cem Chlorwasser zugesetzt und die ganze 
Prozedur wiederholt usw. — Gewöhnlich tritt schon im zweiten 
Reagensglase Violettfärbung auf. 

Erst wenn alles Brom aus dem Schütteltrichter verschwunden 
ist, wird ein erneuter Zusatz von 2ccm Chlorwasser das Chlor 
unverändert im Chloroform erscheinen lassen. Zusatz von Indicator- 
lösung macht nunmehr keine violette, sondern gelbe Fär- 
bung. Der Umschlag ist prompt! 

Die Anzahl der violetten Gläser ergibt, wie oft 2 cem Chlor- 
wasser gebraucht wurden, um alles Brom freizumachen. — Der 
Rest des Chlorwassers in der Bürette kann zur Kontrolle ebenfalls 
in Jodkalilösung aufgefangen werden, doch erwies sich dies als 
überflüssig, da der Chlorgehalt des Chlorwassers stets derselbe 
blieb. — Das erste Kölbchen mit der braunen Jodkalilösung 
wird nun mit 3/10-N atriumthiosulfatlösung titriert. Damit erhält 
man den Titer des Chlor wassers und kann die Brommenge er- 
rechnen. 

Zur Berechnung benutze man der Einfachheit halber folgende 
Formel: 


; i Ured- T.F 
Brommenge (im Gesamturin) = War. 125 
Dabei ist Ur = Gesamturinmenge, der die 100 ccm entnommen 
wurden, 
ür = Menge des veraschten Urins (gewöhnlich = 
100 ccm), | 


T = Menge pl, Fixiersalzlösung, die nötig war, um 
in 20 cem Chlorwasser den Chlorgehalt zu be- 
stimmen, 

F = Menge des Filtrates, dem die 5 cem zum Schüttel- 
trichter entnommen wurden, 


Quantitative Brom-Bestimmung. 205 


cl = zweimal die Anzahl der Reagensgläser, die Brom 
enthalten, d. h. Menge des dem Brom ent- 
sprechenden Chlorwassers in Kubikzentimetern. 
12,5 = errechneter Faktor, der nur stimmt, wenn 5 cem 
Filtrat und je 2ccm Chlorwasser genommen 
wurden. 

Die Formel erleichtert das ziemlich komplizierte Umrechnen, 

bei dem selbst dem Geübten leicht Ansatzfehler passieren. 


Nach Veraschung dauert jede einzelne Bestimmung etwa 
10—20 Minuten, wenn viel Brom vorhanden ist. Sonst geht es 
noch rascher. Die Arbeitsfehlerquellen sind sehr gering. Die 
Genauigkeit ist eine außerordentliche, wie die beiden folgenden 
Kontrollen beweisen: 


Kontroll versuche (Zwischenrechnungen aus Raummangel fortgelassen): 


1. 97 mg trockenes Na Br mit H,O auf 25 ccm aufgefüllt. 5 ccm Lösung 
in den Scheidetrichter. Bestimmung ausgeführt. 

Reagensgläser Nr. 1—9 violett, Nr. 10 gelb, d. h. es wurden 18 cem 
Chlorwasser verbraucht. 

Anfangstiter des Chlorwassers: 20 ccm = 2,1 Na-Thiosulfatlösung. 

Schlußtiter des Chlorwassers: 20 ccm = 2,1 Na-Thiosulfatlösung. 

18 ccm Chlorwasser entsprechen 15,1 mg Brom (35 Chlor entsprechen 
80 Brom). 

In 25 cem Stammlösung sind dann 75,5 mg Brom, was der vorgelegten 
Brommenge entspricht, denn 97 mg NaBr = 75,3 mg Brom. 

Kontrolle: Weitere 5 ccm untersucht. Im Scheidetrichter verdünnte 
Schwefelsäure zugesetzt. Bestimmung ausgeführt. 

Ebenfalle Reagensgläser Nr. 1—9 violett, Nr. 10 gelb, Anfangs- und 
Schlußtiter des Chlorwassers: 20 ccm = 2,1 Na-Thiosulfatlösung. 

Also gefundener Bromwert ebenfalls 75,5 mg. 

Trotz des Multiplikators x 5 stimmen die gefundenen Werte also 
bis auf 2 Zehntelmilligramm mit der vorgelegten NaBr-Menge überein. 

2. 100 com bromfreier Urin. 347 mg trockenes NaBr und etwas Soda 
zugesetzt. Eingedampft, EES gelöst, filtriert, nachgewaschen, ein- 
gedampft auf 131 eem. 

Davon 5 ccm. — 16 cem Chlorwasser bis Farbenumschlag verbraucht. 
Anfangs- und Schlußtiter des Chlorwassers = 1,6 Na-Thiosulfatlösung auf 20. 

16ccm Chlorwasser entsprechen 10,24 mg Brom. 

In 131 cem Stammlösung sind also 268,288 mg Brom = 345,4 mg 
NaBr. i 

Weitere 5 cem Stammlösung zur Kontrolle bestimmt. 

Resultat ebenfalls 16 cem Chlorwasser bei Titer 1,6, also 345,4 mg 
NaBr. 


206 G. Hartwich: Quantitative Brom-Bestimmung. 


Trotz des großen Multiplikators (121) also eine Genauigkeit 
bis auf 1,6 mg, wobei die Atomgewichte nicht mit Stellen hinterm 
Komma zur Rechnung benutzt wurden und die Kontrolle inner- 
halb des Versuches, die den in der vorliegenden Arbeit behandelten 
neuen Teil der Analyse ausmacht, völlige Übereinstimmung auf- 
weist. | 

Wohl ließe sich die Methode durch Verwendung kleinerer 
Mengen Chlorwassers (jedesmal l ccm) oder größerer Mengen 
vom Filtrat noch verfeinern, doch wird auf der einen Seite der 
Chloroformverbrauch zu groß sowie die Zeit um das Doppelte 
verlängert, auf der anderen Seite sind die Schlußfehler beim Ar- 
beiten mit größeren Flüssigkeitsmengen, Veraschen, Filtrieren usw. 
so groß, daß ein Schwanken um 1—2 mg niemals mit Sicherheit 
vermeidbar ist. 

Selbstverständlich läßt sich mit geringen Abänderungen 
auch Brom in Organen usw. bestimmen, und zwar selbst Bruch- 
teile eines Milligramms bei Benutzung von Mikrobüretten. — 
Bei der geschilderten groben Methode sind Anfang und Schluß 
der bromenthaltenden Reagensgläserrrihe zwar um kleinste 
Mengen ungenau, doch läßt sich erstens durch die Intensität 
der Färbung schon nach geringer Übung der minimale Fehler 
abschätzen und verkleinern, zweitens macht er am Schluß niemals 
mehr wie 1—2 mg aus. — Hinzuweisen ist noch darauf, daß das 
Ausschütteln mit Chloroform sorgfältig zu geschehen hat und 
unter Umständen zu wiederholen ist. Die zweite Chloroform- 
portion gehört natürlich nicht in ein gesondertes Reagensglas, 
weil sonst die Anzahl der Reagensgläser nicht mit der Anzahl 
der verbrauchten 2ccm-Chlorwassermengen übereinstimmen 
würde. | 

Auch muß die Reihenfolge — erst Chlorwasser wirken lassen, 
dann mit Chloroform ausschütteln — streng innegehalten werden, 
weil sonst ein Teil des Chlors unbenutzt ins Chloroform übergeht. 
Die Bestimmung würde dann falsch. 

Die Methode hat uns bei zahlreichen Serienbestimmungen 
von manchmal bis zu 20 Urinportionen am Tage gute Dienste 
geleistet. 


Zur Oligodynamie des Silbers. 
II. Mitteilung. 


Von 


R. Doerr. 


(Aus dem hygienischen Institut der Universität Basel [Vorsteher: Prof. 
Dr. Doerr].) 


(Eingegangen am 23. April 1920.) 


In einer früher&n Mitteilung (s. diese Zeitschrift) wurde die 
Fortsetzung der dort begonnenen Untersuchungen über die 
Oligodynamie des Silbers in Aussicht gestellt, um über die che- 
mische Natur des Trägers dieser Wirkung präzise Aufschlüsse 
zu erlangen. Die hier wiedergegebenen Versuche bewegten sich 
allerdings nicht in der projektierten Richtung, sind aber geeignet, 
als weiteres Beweismaterial für die Auffassung zu dienen, daß 
der bactericide Effekt von metallischem Silber auf Silbersalzen 
resp. Silberverbindungen beruht, welche der Oberfläche der 
Metallstücke auflagern und bei Berührung mit Wasser in Lösung 
gehen. 


I. Erschöpfung der bacterieiden Wirkung metallischer Silberstücke. 


Schon Miller konnte beobachten, daß Goldblättchen ihre 
keimtötende Wirkung verloren, wenn sie vorher erhitzt wurden. 
Miller nahm an, daß das Metall vor dem Glühen O an seiner 
Oberfläche kondensiert hatte, welcher durch die hohe Temperatur 
gleichzeitig mit der desinfektorischen Kraft verloren ging. 

Das Tatsächliche dieser Angabe läßt sich für Silber leicht 
bestätigen. Ich schnitt aus einem Silberblech, wie dasselbe von 
der amtlichen Bezugsquelle geliefert wurde, einen Lem breiten, 
10 em langen Streifen aus, teilte denselben in zwei annähernd 
gleiche Hälften und glühte die eine in der Flamme des Bunsen- 
brenners aus, bis die Ränder zu schmelzen begannen. Nun wurden 
beide Stücke in Petrischalen mit Agar übergossen, der mit Typhus- 
bacillen beimpft war, und 5 Stunden bei Zimmertemperatur und 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 14 


208 | R. Doerr: 


darauf 16 Stunden bei 37°C gehalten. Um das nicht geglühte 
Stück Silberblech hatte sich eine keimfreie Zone von 4 mm Breite 
entwickelt, an welche sich nach außen ein schmaler Wall ver- 
dichteten Wachstums anschloß; an letzteren grenzte dann die 
normale (durch das Ag unbeeinflußte) Durchwucherung der 
Agarschicht mit winzigen Typhuskolonien. Das geglühte Stück 
zeigte keine Andeutung der bakterienfreien Zone; im Gegenteil, 
der Agar war auf eine Distanz von etwa 1,5 mm um die Konturen 
des Ag-Streifens stärker getrübt, so daß man den Eindruck er- 
hielt, als ob der nach dem Glühen verbliebene Rest von Desin- 
. fektionswirkung eben nur ausgereicht hatte, um den gegenteiligen 
um das ungeglühte Stück als Wall zum Ausdruck kommenden 
Effekt hervorzurufen?). 

Es ist aber nicht notwendig, die Silberstreifen zu glühen, 
sondern man kann das nämliche Resultat erreichen, wenn man 
dieselben in mehrmals gewechseltem destilliertem Wasser aus- 
kocht. Wählt man die Menge Wasser im Verhältnis zur Silber- 
oberfläche nicht zu groß (50 ccm auf 100 qcm Ag), so läßt sich 
zeigen, daß das zuerst aufgegossene Wasser vor dem Kochen 
keine besonders stark abtötende Wirkung auf Typhusbacillen 
ausübt, daß dagegen nach dem Kochen die desinfektorische Kraft 
so intensiv geworden ist, daß 5 ccm einer Verdünnung von 1: 2 
bis 1 : 4 eine reichliche Einsaat von Typhusbacillen zu vernichten 
vermögen und daß der desinfektorische Titer der weiteren Koch- 
wässer sukzessive abnimmt. 

Die Höhe der Temperatur scheint dabei nur insofern eine 
Rolle zu spielen, als die an der Oberfläche des Silbers lagernden 
Silberverbindungen durch das heiße Wasser rascher in Lösung 
gebracht werden. Das läßt sich in folgender Art demonstrieren: 

Versuch: Ein Stück Silberblech wird in einer Petrischale mit typhus- 
bacillenbeimpftem Agar übergossen und 5 Std. bei Zimmertemperatur, 
16 Std. bei 37°C gehalten. Nach Ablauf dieser Zeit zeigte sich ein wachs- 
tumsfreier Hof von 5 mm Breite. 

Nun wurde das Ag-Stück herausgenommen und in derselben Weise ein 
zweites Mal behandelt. Die keimfreie Zone war nunmehr auf 2 mm reduziert. 


Bei der dritten Wiederholung war . keine Andeutung von 
keimfreiem Hof zu sehen. 


1) Ag,O wird durch Glühen ebenso wie Ag: CO, in metallisches, nicht 
bactericid wirkendes Silber übergeführt, was mit den in der früheren Mit- 
teilung geäußerten Ansichten gut übereinstimmt. 


Oligodynamie des Silbers. II. 209 


Diese Versuchsanordnung läßt sich ohne Anderung des Er- 
gebnisses auch so variieren, daß man das Übergießen des Ag-Stückes 
nicht mit infiziertem, sondern mit sterilem Agar vornimmt, woraus 
hervorgeht, daß das Bakterienwachstum für die Erschöpfung der 
Bakterizidie irrelevant ist. Auch kann man so vorgehen, daß 
man statt der Wiederholung des Übergießens die Zeit des Kon- 
taktes zwischen Ag und Agar verlängert, indem man das in die 
Gallerte eingebettete Silberstück 2—4 Tage stehen läßt. Prüft 
man dann durch Einbetten des derart vorbehandelten Metall- 
stückes in infiziertem Agar seine keimtötende Wirkung, so bleibt 
die Entstehung der keimfreien Zone aus. | 


II. Regeneration der bactericiden Wirkung. 


Es war a priori wahrscheinlich, daß die in Verlust geratene 
desinfektorische Kraft metallischen Silbers auf dem Wege zu 
erneuern sein mußte, auf dem sie auch ursprünglich entstanden 
war. Schließlich passiert ja alles Ag, mit welchem oligodyna- 
mische Experimente gemacht werden, vorher einen Schmekofen, 
war also von Haus aus unwirksam und kann erst während seiner Exi- 
stenz als gewalztes oder geprägtes Silber bactericid geworden sein. 

Daher wurde zunächst versucht, geglühte metallische Silber- 
streifen, welche nachweislich nicht mehr imstande waren, im 
typisch oligodynamischen Versuch Typhusbacillen abzutöten, 
an der Luft frei stehen zu lassen. Innerhalb von 10 Tagen, eines 
relativ allerdings sehr kurzen Zeitraumes, war die bactericide 
Wirkung nicht wiedergekehrt; diese Versuche sind jedoch noch 
wicht abgeschlossen und werden mit Anlegung von Kontrollen 
(geglühtes Silber unter Paraffinabschluß) fortgesetzt. 

Wohl aber gelang die Regeneration augenblicklich durch 
kurzen Kontakt mit stark dissoziierten Säuren, z. B. Salzsäure, 
auch wenn dieselben hochgradig mit Wasser verdünnt waren. 
Es wirkten auch schwächer dissoziierte Säuren, z. B. 1 proz. Essig- 
säure, aber nicht in gleichem Maße. Die Kontrollen sind aus 
nachstehendem Protokoll zu entnehmen. 


Versuch: Von 3 frisch ausgeglühten Silberstreifen (aus demselben 
Silberblech geschnitten) wurde der eine für 25 Min. in 0,3%, HCl, der zweite 
in 1% NaOH für die gleiche Zeit eingelegt, der dritte blieb unbehandelt. 
Die zwei Streifen, welche in Säure resp. Lauge lagen, wurden 1 Std. in flie- 
gendem und dann in destilliertem Wasser gewaschen; gleichzeitig wurden 
Streifen aus Platinblech in derselben Art mit Säure und Lauge präpariert. 


14* 


210 R. Doerr: 


Alle Metallstücke kamen, nachdem sie abgetrocknet waren, in Petri- 
schalen und wurden dort mit infiziertem Agar übergossen (Typhusbacillen). 
5 Std. Zimmertemperatur, 16 Std. 37° C. 

Um die beiden Pt-Bleche, ferner um das frisch geglühte und um das 
geglühte und mit Lauge behandelte Ag-Stück waren keine keimfreien Höfe 
zu sehen; um den mit Säure in Kontakt gewesenen Ag-Streifen entwickelte 
sich eine 4 mm breite wachstumsfreie Zone. 

Wiederholungen dieses Experimentes fielen stets gleichsinnig 
aus, auch dann, wenn zu denselben nicht geglühtes, sondern durch 
langen (2—3 tägigen) Kontakt mit Agar oder durch Auskochen 
mit destilliertem Wasser unwirksam gewordenes Silber ver- 
wendet wurde. 

Es scheint also, daß das metallische Silber seinen Uberzug 
mit bactericiden, in Wasser schwerlöslichen Ag-Verbindungen 
durch die Berührung mit Luftsauerstoff, aber auch durch H- 
Ionen gewinnt, eine Ansicht, die ja schon mehrfach vertreten 
wurde. 

Daß selbst sehr schwache Säuren die wirksamen Silberver- 
bindungen bilden, welche dann in Lösung gehen, zeigt nachfol- 
gender Versuch, in welchem ausgekochtes, destilliertes Wasser, 
Wasser, über welchem CO, stand, und H, O, welches Spuren 
H,SO ‚enthielt, mit gleichen Ag-Mengen zusammengebracht wurden. 

Versuch: In drei sterile Glaskolben kamen Ag-Streifen mit je 140 qcm 
Oberfläche. Kolben I wurde mit 100 ccm frisch ausgekochten, destillierten 
Wassers gefüllt; in Kolben II kam die gleiche Flüssigkeit, sodann wurde 
CO, eingeleitet und der Kolben gasdicht verschlossen; in Kolben III wurden 
100 ccm des Wassers und 5 cem 30 proz. Perhydrol Merk eingefüllt. Nach 
7 Tagen wurden Proben entnommen und teils konzentriert, teils in stei- 
genden Verdünnungen in sterile Eprouvetten eingefüllt, so daß jede Eprou- 
vette 5ccm enthielt. Sodann wurden zu jeder Verdünnung 0,05 ccm einer 
Emulsion von Typhusbacillen in O, 85proz. NaCl-Lösung zugesetzt und nach 
7 stündiger Einwirkungsdauer eine Öse aus jedem Röhrchen auf Schräg- 


ubert 
. e Kolben I Kolben II Kolben III 


Koot ( A 0 8 0 
öͤ˙¹ꝗ 8 v 0 0 
EE TEREE EE v v. 9 
ICCk:F::: ua a a v 0 0 
/ sr 8. 1 0 
CCE7CõöÄ58m ee 8. r E 0 
lebt geren, er rr e — 8 
12128. 2:2 58.8 4783 — — 8 


0 = kein Wachstum, v. = vereinzelte Kolonien, 83. r. zusammen- 
hängender Rasen. 


Oligodynamie des Silbers. II. 211 


In dem mit CO, gefüllten Kolben war die Bactericidie des 
Wassers durch den Ag-Kontakt stärker geworden als in dem 
Kolben, in welchem die Silberfläche nur von ausgekochtem, ur- 
sprünglich also luftfreiem Wasser umspült wurde. Außerordent- 
lich kräftig wirkte die mit H,O, gewonnene Lösung, obwohl 
das H,O, durch Kochen und bei einer zweiten Probe durch Zu- 
satz eines Tropfens Blut entfernt worden war (Kontrollen); es 
ist nur unentschieden, ob das H,O, selbst oder die verunreinigende 
HSO, die Entstehung der bactericiden Silberverbindungen 80 
intensiv gefördert hatte. 

Es ist selbstverständlich, daß die Erschöpfung der bacteri- 
ciden Wirkung nur bei metallischem Silber zu beobachten ist, 
nicht aber bei den schwerlöslichen Silberverbindungen selbst. 
Wenn man z. B. feinst gepulvertes, durch mehrfaches Auskochen 
in destilliertem Wasser gereinigtes Ag,O auf Filtrierpapier in 
dünner Schichte aufstreicht und die Ag,O-Partikelchen dadurch 
am Papier fixiert, daß man die beschickten Papierstücke mit 
Celloidin einhüllt und dieses dann trocknen läßt (das Aufrollen 
läßt sich durch Pressen verhindern), so wirken solche Ag,O- 
Scheiben ganz wie entsprechend geformte Stücke metallischen 
Silbers. Es ist das eine Variante der von Bechhold benutzten 
Versuchsanordnung. Eine Differenz gegenüber dem Silber be- 
steht nur darin, daß die Höfe um die Ag,O-Papiere etwas breiter 
sind und daß es hier häufiger zur Ausbildung einer doppelten 
wallartigen Verdichtungszone um den keimfreien Hof kommt; 
weiters kann man, wie bereits angedeutet, solche Scheiben wieder- 
holt benützen, ohne daß ihre Bactericidie abnimmt, weil eben 
immer neues Ag,O gelöst wird. 

Alle diese Tatsachen, welche die Erschöpfung und die Wieder- 
herstellung der bactericiden Effekte blanken Silbers betreffen, 
sprechen gegen die von Saxl vertretene Auffassung, daß es sich 
hier um eine dem Silber als solchem zukommende Fernwirkung 
handle; sie lassen sich aber auch nicht mit der Annahme ver- 
einen, daß das Silber selbst durch die Berührung mit Wasser in 
kolloide Lösung übergeführt wird. Wäre eine der beiden Theorien 
richtig, so könnte geglühtes, gekochtes oder mit Agar in Kontakt 
gestandenes Silber nicht völlig unwirksam sein. Weniger ein- 
deutig sind die Erfahrungen, welche bei Dialyseversuchen ge- 
macht werden konnten. 


212 R. Doerr: 


III. Dialysierbarkeit der oligodynamischen Substanz. 


Daß die an blanken Ag-Flächen entstehenden Silberverbin- 
dungen, welche nach den vorstehenden Ausführungen als Ur- 
sache der Bactericidie anzusehen sind, gut diffundieren, zeigt 
ja schon die Beschaffenheit und Breite der keimfreien Zonen, 
welche in typhusbacillen- infiziertem Nähragar auftreten. Diese 
Zonen, in welchen das Wachstum von Kolonien unterbleibt, 
werden bei manchen Silberstücken 4, ja 5 oder gar 6mm breit 
und können dann die Breite der keimfreien Höfe erreichen, welche 
sich um AgzO-Scheiben (in der beschriebenen Art hergestellt) 


bilden. Tränkt man andererseits gleichartig konturierte Filter- 


papierstücke mit AgNO -Lösungen, so fallen die steril bleibenden 
Zonen durchaus nicht breiter aus als bei Verwendung der Ag, O- 
Scheiben, obwohl letztere Verbindung so außerordentlich schwer 
löslich ist. In einem Versuche wurden unter gleichartigen Be- 
dingungen vier gleich große sternartig zugeschnittene Stücke 
verglichen, von denen eines aus Silberblech, eines aus Filter- 
papier, bestrichen mit Ae) und überzogen mit Celloidin, eines 
aus Filterpapier getränkt mit AgNO, (1: 100) und eines aus 
Filterpapier getränkt mit AgNO, (1:10000) bestand. Die 
keimfreien Zonen, welche um diese Gebilde nach der Einbettung 
in typhusinfizierten Agar auftraten, waren am stärksten aus- 
geprägt bei Ag: O, bei den AgNO, Scheiben hingegen nicht 
breiter als beim metallischen Silber. 

Dementsprechend dialysieren sowohl Ag,O-Lösungen als 
auch Wasserproben, welche ihr bactericides Vermögen durch 
Kontakt mit Silber erworben haben, leicht durch tierische Mem- 
branen (Fischblasen). 

Versuch: In 4 Fischblasen (I, II, III und IV) wurden eingefüllt: 

I. 25 ccm destilliertes Wasser, 
II. 25 cem einer konz. Lösung von Ag, O, 
III. 25 cem einer 1 proz. Lösung von H, O,, welche 25 Tage mit 
140 qem Ag in Kontakt gewesen war, und 


IV. 25 cem eines Wassers (gekocht, destilliert), welches 25 Tage eine 
Fläche von 140 qem Silber bespült hatte. 


Jede Fischblase wurde in 50 cem destilliertes Wasser eingehängt und 
die Dialyse durch 24 Std. durchgeführt. Nach 24 Std. wurden von der 
Innen- und Außenflüssigkeit, bei IV auch von der nicht dialysierten Original- 
flüssigkeit Proben entnommen, fortschreitend mit Aq. dest. verdünnt und 
je 5ccm der Verdünnungen in sterilen Eprouvetten mit 0,05ccm einer 


Oligodynamie des Silbers. II. 213 


dichten Typhusbacillenemulsion versetzt. Nach 6 stündiger Einwirkung 
Abimpfung je einer Öse auf Sohrägagar. 


L IL 

Innen Außen Innen Außen 
Kons: 2.5 5.5 4%. % v. m. r 0 0 
142 2 A 8. T. m. T. d 0 
FFT 8. r. 8. T 0 0 
EE e ͤͤĩ˙“• er — — 0 0 
121 e E 8. T 8. r 0 0 
CFC ͤ ˙ e 8. E 8. r 0 8 
1208 4 weh — — v. m. r. 
12128 2 0.2.0.2 5% 8. 7. 8. r 0 0 

III. IV. 

Innen Außen Innen Außen Original 
Non % 0 0 0 0 d 
1,2 EE 0 0 0 d d 
Ee e E 0 d d d d 
FFC 0 8 0 0 0 
LS ———L——U 0 0 mr mr. v. 
o A ier 0 0 8. T. 8 v. 
1394 ër 0 0 — — m. T 
12128 24.2 382% 0 9 — — 8. r 


0 = steril, v. = vereinzelte, m. r. = mäßig reichlich Kolonien, =. r. 
== zusammenhängender Rasen. 

Wie I lehrt, konnte also die beobachtete Bactericidie nicht 
von Stoffen herrühren, welche die Fischblase an das Wasser 
abgegeben hatte. Die Lösung IV, welche durch langen Kontakt 
von gekochtem, destilliertem Wasser mit Ag gewonnen war, 
also nach dem Typus oligodynamischer Versuche, verhielt sich 
wie die Lösung eines dialysablen Silbersalzes (z. B. II); die bac- 
tericiden Werte für die Innen- und Außenflüssigkeit entsprachen 
der rechnungsgemäß zu erwartenden Verdünnung der Original- 
lösung auf das Dreifache (25 ccm Innenflüssigkeit gegen 50 ccm 
Außenflüssigkeit). 

In einem anderen Versuch war die Anordnung derart, daß 
Ag-Stücke in das im Inneren der Fischblasen befindliche Wasser 
gelegt wurden und daß sich die Typhusbacillen nur in der Außen- 
flüssigkeit befanden. Das Silber oder die von demselben in Lösung 
tretenden Verbindungen vermochten somit nur nach vorheriger 
Dialyse bactericid zu wirken. 


Versuch: 4 Fischblasen wurden innen mit 20 com dest. Wassers 
gefüllt und in 40 ccm Aq. dest. sterilis. eingehängt; 3 Fischblasen enthielten 


214 R. Doerr: 


außerdem Silberblech, und zwar Nr. 1 und 3 größere Flächen als Nr. 2. 
Nach 6stündigem Stehen wurden die Außenflüssigkeiten mit 0,25 ccm Typhus- 
bacillenemulsion (in O, 85 proz. NaCl) beimpft und nach weiteren 10 Stun- 
den mit je 0,1 und 0,5 ccm jeder Außenflüssigkeit Gelatinezählplatten 
gegossen: 


L Olcem e a’ S blieb steril 
05cm 2:58 ee blieb steril 
II. O, I cemmnm 960 Kolonien 
eee a r e e ua 1400 Kolonien 
IIL 0,l cem K 2 Kolonien 
O See 60 Kolonien 
IV. Ole Re 8:8 4 2400 Kolonien 
em NN A 8 12000 Kolonien 


Nach weiteren 10 Std. erwiesen sich allerdings sämtliche Außenflüssig- 
keiten (einschließlich der Kontrolle Nr. IV) frei von Typhusbacillen, viel- 
leicht weil die vorher nicht gewaschenen Fischblasen nicht ganz frei von 
bactericiden Substanzen waren. Die starke und der wirksamen Silberober- 
fläche entsprechende Beschleunigung der Abtötung in den Außenflüssig- 
keiten Nr. I—III mußte aber wohl auf Silbersalze bezogen werden, die sich 
gelöst und die Membran durchwandert hatten. 

In einer Beziehung ergab sich jedoch eine Unstimmigkeit, 
deren Aufklärung bisher zweifelhaft blieb. 

Bringt man eine Fischblase in eine Petrischale, so daß der 
geschlossene Teil derselben in die Mitte der Schale zu liegen 
kommt, während das geöffnete Ende zwischen Untersatz und 
Deckel der Schale nach außen geleitet wird, und übergießt man den 
Schalenboden mit Nähragar, welcher mit Typhusbacillen be- 
impft ist, so wird die Kuppe der Fischblase in den Agar eingebettet, 
in welchem sich bei 37°C infolge des Auswachsens der Keime 
eine dichte, an den Kontur der Fischblasenkuppe eng anschließende 
Trübung entwickelt. Füllt man vorher in die Fischblase 3 cem 
destillierten Wassers, so ändert sich im Aussehen der Platten 
nichts. Befindet sich aber im Innern der Fischblase eine gleiche 
Menge konzentrierter, wässeriger Lösung von Ag, O, so dialysiert 
das letztere natürlich durch die Membran und nach der Bebrütung 
erscheint der Rand der Fischblase allseits von einer 2 mm breiten, 
keimfreien Zone umgeben, wie das ja von vorn herein erwartet 
werden muß. Die allseitige Umrandung des Fischblasenkonturs 
von einer wachstumsfreien Agarzone beobachtet man weiter 
auch dann, wenn man in die Kuppe der Fischblase vor der Ein- 
bettung in Agar 3 cem destillierten Wassers und ein beliebig 
geformtes Filterpapier, auf dessen Oberfläche pulverisiertes Ag, 


Oligodynamie des Silbers. II. 215 


mit Celloidin fixiert ist, bringt. Auch in diesem Falle umrahmt 
die keimfreie Zone in gleichbleibender Breite den Rand des 
Dialysiersackes und folgt nicht den Umrissen des Ag O-Papieres. 
Es löst sich also offenbar zuerst Ag,O in der Innenflüssigkeit, 
dialysiert dann durch die Wand des Fischblasenschlauches und 
diffundiert nun gleichmäßig nach allen Seiten in die infizierte 
Agarschicht, wo die Keime abgetötet oder in ihrer Entwickelung 
gehemmt werden. Ganz anders präsentiert sich aber das Bild, 
wenn man in den Dialysiersack Figuren aus Silberblech mit 
etwas Aq. dest. einlegt. Jetzt erscheint die Agarschichte überall 
von Kolonien dicht durchwachsen, auch in den an die Fischblase 
unmittelbar angrenzenden Partien; nur dort, wo sich das Silber- 
blech dem Kontur des Fischblasensackes nähert, bleibt der Agar 
an der Außenseite des letzteren steril. Die wachstumsfreie Zone 
folgt also den Umrissen des Silberblechs und nicht den Konturen 
der Dialysiermembran, ein Ergebnis, welches bei dreimaliger 
Wiederholung des Versuches stets gleich blieb. Wie sich diese 
Erscheinung, welche eher für die Theorie Saxls verwertbar zu 
sein scheint, deuten läßt, soll vorläufig nicht erörtert werden. 
Dagegen möchte ich noch auf zwei Eigenschaften der Oligo- 
dynamie des Silbers eingehen, nämlich auf die Bildung der ver- 
dichteten Wachstumszone und auf die Silberhämolyse. 


IV. Wachstumsbeförderung durch metallisches Silber und - 
Silbersalze. 


Bekanntlich grenzt an die keimfreien Höfe, welche die in 
beimpfte Agarplatten eingebetteten Ag-Stücke umgeben, eine 
schmale Zone verdichteten Wachstums, ein Wall, in welchem 
sich die Bakterienaussaat stärker entwickelt hat. Man hat dieses 
Phänomen vielfach mit den Liesegangschen Ringen verglichen. 
In der Tat findet man, speziell bei sehr breiten keimfreien Höfen, 
nicht nur einen, sondern zwei konzentrische derartige Wälle 
stärkerer Bakterienvegetation, welche einen Abstand von etwa 
l mm voneinander besitzen. Es läßt sich bei schwacher Ver- 
größerung feststellen, daß die Bildung solcher Schichtlinien ge- 
steigerter Wachstumsintensität und dichterer Trübung des Agars 
nicht so sehr auf Zunahme der Zahl der Kolonien, als auf einer 
Vergrößerung der Kolonien, und zwar sowohl der oberflächlichen 
als auch der tiefen beruht. Dieses Auftreten von „Riesenkolonien“ 


216 R. Doerr: 


überwiegt speziell dann, wenn man den zum Gießen der Platten 
und zur Einbettung der Ag-Stücke benützten Agar nicht zu 
stark beimpft, so daß die Kolonien Gelegenheit zu freierer Entfal- 
tung bekommen; man sieht dann um das Ag-Stück den klar ge- 
bliebenen Agar, dann die Zone der relativ vergrößerten Kolonien 
und nach außen die für die gegebenen Verhältnisse normalen 
Koloniendimensionen, wie sie ohne Ag-Wirkung zustande kommen. 

Wie schon angedeutet, sind die beschriebenen Ringe nicht 
nur bei metallischem Silber, sondern oft noch viel deutlicher beim 
Einbetten von Ag,O-Scheiben oder von mit AgNO, getränkten 
Scheiben zu sehen. Statt kreisförmiger Scheiben sind Streifen 
oder Sterne mit Vorteil zu verwenden. 

Man hat sich die Entstehung der Zonen gesteigerten Wachs- 
tums so erklärt, daß die Silbersalze in gewissen Konzentrationen 
entwickelungshemmend, in schwächeren aber als Stimulantien 
für den Bakterienstoffwechsel fungieren, und kann diese Auf- 
fassung durch folgendes Experiment stützen. 

Es werden fortschreitende Verdünnungen irgendeines Silber- 
präparates z. B. von Ag, O angefertigt und mit Typhusbacillen 
besät. Nach mehreren Stunden impft man von jeder Verdünnung 
auf Schrägagar ab und erhält nun zuweilen, wenn man die Kon- 
zentrationen richtig gewählt hat, keine regelmäßige abfallende 
Reihe der abtötenden Wirkung, sondern eine in graphischer Dar- 
stellung gesattelte Kurve. Es wäre das eine Zerlegung des auf 
der Platte stetig verlaufenden Phänomens in mehrere treppen- 
artige Absätze. 


Versuch: Ag, O-Lösung wird fortschreitend mit sterilem destilliertem 
Wasser verdünnt, jede Verdünnung (5 cem) in steriler Eprouvette mit einer 
gleichen Menge Typhusbacillen beimpft und nach 5 Std. von jeder Ver- 
dünnung eine Öse auf ein Schrägagarröhrchen übertragen. 


Konzentration: Keimgehalt: 
2,5 100fach verd. konz. Lösung + 2,5 Aq. dest. 0 
2,0 LE 99 99 77 + 3,0 ?9 LE . . 0 
1,8 ” IL IT „ + 3,2 57 57 0 
1,6 ” IL 99 ” + 3,4 ” 57 es o 0 
1.4 25 57 TT IT + 3,6 TT TT e o V. 
1.2 nm 55 „ 27 + 3,8 nm nm e e MT. 
1,0 „ 57 T „ 4 4,0 27 nm e e Br 
0,8 TT „ an 57 + 4,2 L TT e a V. 
0,6 55 „ » „ + 4,4 77 77 ..4 Kolonien 


0,4 90 CU 97 97 + 4,6 97 DI Ss a d 


Oligodynamie des Silbers. II. 217 


(Fortsetzung) Konzentration: Keimgehalt: 
0,2 100fach verd. konz. Lösung + 4,8 Aq. dest. . m. r. 
0,1 ” 99 99 EL + 4,9 29 LE * e r. 
0,09 97 LE 39 39 + 4,91 99 99 e y r. 
0,08 39 99 99 99 + 4,92 LEI 99 Le. r. 


Solche Reihen wurden bei verschiedenen Gelegenheiten er- 
halten, allerdings meist mit schwächer ausgeprägtem zweitem 
bactericidem Intervall. Nachprüfungen mit genauen Keimzäh- 
lungen wurden bisher noch nicht angestellt. Jedenfalls beweist 
aber der Umstand, daß die Wälle auch mit schwer- oder leicht- 
löslichen Silbersalzen zu erzielen sind, daß hier keine Sondereigen- 
schaft vorliegt, welche für blanke Metalle als solche charakteri- 
stisch wäre. 

V. Hämolyse. 


Legt man Silberblechstreifen in Petrischalen und übergießt 
dieselben mit sterilen Gemengen von auf 50°C abgekühltem 
Nähragar mit defibriniertem Hammel- oder Menschenblut, so 
bildet sich um das Ag bei Einstellung in einen Thermostaten 
von 37°C ein heller, hämolytischer Hof, welcher sich allmählich 
vergrößert. Die Schnelligkeit, mit welcher diese Zone erscheint, 
und die Breite, bis zu welcher sie anwächst, waren bei verschiede- 
nen Versuchen verschieden; doch war zuweilen schon in 24 Stun- 
den ein Hof von 6—7 mm Breite lackfarbig. Glühen vernichtet 
die hämolytische Wirkung, Kochen reduziert sie erheblich; die 
Metallstücke, welche in diesen Versuchen hämolysiert hatten, 
vermochten nachher in typhusbeimpftem Agar das Kolonien- 
wachstum in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht zu unter- 
drücken. Über die genaueren Bedingungen der Erscheinung wird 
demnächst berichtet werden. | 


Zusammenfassung. 


1. Die bactericide Wirkung metallischen Silbers wird durch 
Glühen, mehrmaliges Kochen in destilliertem Wasser oder durch 
mehrtägiges Einbetten des Silbers in Agargallerte gänzlich auf- 
gehoben. 

2. Das unwirksam gewordene Silber wird wieder wirksam, 
wenn es mit hochgradig verdünnten Säuren, speziell stark disso- 
ziierten Säuren in Kontakt kommt. Anhaftende Säurespuren 
können hierbei keine Rolle spielen. 


218 | R. Doerr: Oligodynamie des Silbers. II. 


3. Der chemische Träger der oligodynamischen Ag-Wirkung 
ist dialysabel. Bei bestimmten Versuchsanordnungen treten aber 
Verschiedenheiten im Passieren der Silbersalze (Ag,O) und der 
oligodynamischen Stoffe durch Dialysiermembranen zutage, 
die sich vorderhand nicht befriedigend aufklären ließen. 

4. In der Diffusibilität von Ag, O, AgNO, und oligodyma- 
mischen Stoffen in feuchter Agargallerte bestehen keine erheb- 
lichen Differenzen; der Löslichkeitsunterschied zwischen Ag,O 
und AgNO, kommt nicht zum Ausdruck. 

5. Die Zone gesteigerten Wachstums, welche den keim- 
freien Hof umgibt, besteht oft aus zwei konzentrischen Ringen 
und tritt ebenso bei metallischem Ag wie bei Ag, O und AgNO, 
auf. Die Erhöhung der Wachstumsintensität kommt oft mehr in 
einer Vergrößerung der Kolonien als in einer Vermehrung ihrer 
Zahl zum Ausdruck. 

6. Um Silberstücke bilden sich in Blutagarplatten hämo- 
lytische Zonen. Auch diese Wirkung wird ebenso wie die bac- 
tericide durch Glühen und Kochen vernichtet. 

7. Mit diesen Versuchsergebnissen ist sowohl die Annahme 
einer Fernwirkung wie jene einer kolloiden Lösung des Silbers 
selbst nicht vereinbar. Vielmehr spricht alles dafür, daß an der 
Oberfläche der Metallstücke durch den Luftsauerstoff oder durch 
H-Ionen Verbindungen entstehen, deren Wasserlöslichkeit ihre 
zytotoxischen Effekte bedingt. Glühen verwandelt diese Ver- 
bindungen in metallisches, daher unwirksames Silber, was für 
Ag O leicht gezeigt werden kann, Kochen oder Kontakt mit 
Wasser löst sie rasch oder langsam, wodurch die Ag-Stücke gleich- 
falls ihre „Oligodynamie“ einbüßen. 


Über die Wasserstoffionenkonzentration einiger Standard- 
lösungen bei verschiedenen Temperaturen. 


Von 
L. E. Walbum 


Abteilungsvorsteher am Institut. 
(Aus Statens Seruminstitut, Kopenhagen. Direktor Dr. Th. Madsen.) 


(Eingegangen am 27. April 1920.) 
Mit 4 Abbildungen im Text. 


In einer Untersuchungsreihe über die Bedeutung der Wasser- 
stoffionenkonzentration für die Bildung verschiedener bakterieller 
Gifte (Toxine) war es unmöglich, die in den Kulturen und Kultur- 
filtraten vorhandene Wasserstoffionenkonzentration elektromet- 
risch zu messen (und zwar besonders in Lösungen, deren pg. 
höher als etwa 6,0 war); dies rührt wahrscheinlich in erster Linie 
daher, daß diese Flüssigkeiten nicht unbeträchtliche Mengen 
freies Ammoniak enthalten. Deshalb mußte ich mich bei der 
weit überwiegenden Mehrzahl dieser Versuche mit der kolori- 
metrischen Methode begnügen. Die Kulturversuche wurden 
indessen bei verschiedenen Temperaturen (von etwa 20° bis 
etwa 50°) ausgeführt, im Hinblick darauf, die Bedeutung dieses 
Faktors für die Bildung der betreffenden Gifte auch zu unter- 
suchen, und es war deshalb notwendig, die Wasserstoffionen- 
konzentrationen bei den Versuchstemperaturen zu kennen. Es 
stellte sich aber hier die Schwierigkeit meinen Versuchen ent- 
gegen, daß die Wasserstoffionenkonzentration der verwendeten 
Standardlösungen [S. P. L. Sörensen!)] nur bei 18° festgestellt 
worden war und sich somit nur für vergleichende Messungen bei 
dieser Temperatur verwenden ließ. 

In vielen Arbeiten, wo die Bedeutung der Wasserstoffionen- 
konzentration für den Verlauf verschiedener biologischer Pro- 
zesse untersucht worden ist, hat man dieses Verhältnis über- 
sehen, indem die Wasserstoffionenkonzentration z. B, bei 18° 
kolorimetrisch gemessen worden ist, während der eigentliche 


220 L. E. Walbum: 


Versuch bei einer anderen, höheren oder niedrigeren, Temperatur 
ausgeführt wurde. Solange man von der Größe der Wasserstoff- 
ionenkonzentration der Standardlösungen bei verschiedener Tem- 
peratur gar nichts weiß, ist es selbstverständlich, daß man bei 
dem angeführten Verfahren mit keiner Sicherheit wissen kann, 
ob die erhaltenen Resultate, rücksichtlich der Bedeutung der 
Wasserstoffionenkonzentration für den Verlauf der betreffenden 
Prozesse, zuverlässige sind. 

Da es ohne experimentelle Untersuchungen kaum möglich 
sein wird, Aufschlüsse über die von der Temperatur hervor- 
gerufenen Änderungen der Wasserstoffionenkonzentration dieser 
Lösungen zu erhalten, und da ich ohne Kenntnisse dieser Ver- 
hältnisse in meiner obenerwähnten Arbeit nicht weiterkommen 
würde, war ich gezwungen diese Frage einer experimentellen 
Bearbeitung zu unterziehen. 

Die Versuche wurden mit den von S. P. L. Sörensen an- 
gegebenen Standardlösungen (Phosphat-, Borat-, Citrat- und 
Glycinmischungen) und bei Temperaturen von 10— 70“ aus- 
geführt. Sowohl das ElektrodengefäB mit der betreffenden 
Lösung, die Kalomelelektrode (0,1 n-KCl), als die Verbindungs- 
flüssigkeit (3,5 n oder 1, 75 n-KCl) war in einem großen Luft- 
thermostat mit Wassermantel und einem Quecksilberregulator, 
der eine genaue Einstellung der Temperatur erlaubte, unter- 
gebracht. Im Thermostaten war auch eine kleine Waschflasche 
mit Wasser vorhanden, durch welche der Wasserstoffstrom 
geleitet wurde, um bei der Versuchstemperatur mit Wasserdampf 
gesättigt zu werden. Als Elektrodengefäß wurde ein gewöhnlicher 
Hasselbalchapparat verwendet, weil dieser die Anwendung einer 
verhältnismäßig geringen Menge Lösung erlaubt, und der Wasser- 
stoffstrom wurde während des Versuches kontinuierlich durch 
den Apparat geleitet. Damit die Flüssigkeit im Elektrodengefäß 
die Temperatur des Thermostates schnellstens annehmen konnte, 
wurden die Lösungen in einem Wasserbade bei derselben Tem- 
peratur vorgewärmt. Da die Ausgleichung kleinerer Temperatur- 
unterschiede in einem Luftbad erfahrungsgemäß ziemlich lange 
Zeit beansprucht, ließ ich immer das Elektrodengefäß mit der 
Lösung etwa ½ Stunde im Thermostat vor dem Anfang der 
Wasserstoffdurchleitung stehen; es wurde durch Kontroll- 
versuche konstatiert, daß eine halbe Stunde immer durchaus 


Wasserstoffionenkonzentr. einiger Standardlösungen bei versch. Temp. 221 


genügt, um ein vollständiges Ausgleichen der Temperaturunter- 
schiede zu bewerkstelligen; daß dieses Verhältnis bei derartigen 
Versuchen besonders in Betracht gezogen werden muß, ist ein- 
leuchtend. 

Die Berechnung der Wasserstoffionenkonzentration (pg.) 
wurde nach der untenstehenden Gleichung?) vorgenommen. 

u T — Ao 

0,0577 + 0,0002 (t — 18) 

wo t die Versuchstemperatur bezeichnet, x die gemessene Span- 
nung und z die Spannung bei derselben Temperatur von einer 
Lösung, die in 1 Liter 10° = 1g Äquivalent Wasserstoff als 
Ionen enthält. 

Der Wert von ze bei verschiedenen Temperaturen ist mit 
großer Genauigkeit von R. Koefoed?) im Carlsberg-Labora- 
torium bestimmt worden. Die Messungen wurden bei den unten- 
stehenden Temperaturen ausgeführt: 

18° — 20° — 30° — 40° — 50° — 60°. 
Da ich beabsichtigte, meine Messungen bei Temperaturen von 10 
bis 70° auszuführen, habe ich unter Verwendung von R. Koefoeds 
Zahlen und durch Inter- und Extrapolation folgende Werte 
für z, gefunden, welche ich bei der Berechnung benutzt habe. 


E · 


0 0,3388 32 0,3361 52 0,3320 


5 0,3387 34 0,3358 94 0,3314 
10 0, 3384 36 0,3356 56 0,3306 
15 0,3380 37 0,3354 58 0,3299 
18 0,3377 38 0,3353 60 0,3290 
20 0,3375 40 0,3349 62 0,3281 
22 0,3373 42 0, 3346 64 0,3271 
24 0,3371 44 0,3342 66 0,3261 
26 0,3369 46 0,3337 68 0,3250 
28 0,3366 48 0,3332 70 0,3239 
30 0,3364 50 0,3326 


In untenstehender Tabelle habe ich für dieselben Tempera- 
turen den Wert des Nenners in obenstehendem Bruche zusammen- 
gestellt, indem die Werte für Temperaturen unter 18° mittels 
Extrapolation bestimmt worden sind. 

Da es eine ganz außerordentlich große und außerdem unnütze 
Arbeit sein würde, die Wasserstoffionenkonzentration in sämt- 
lichen für die kolorimetrischen Messungen nötigen Mischungen 


222 


der verschiedenen Standardlösungen festzustellen, habe ich dies 
unterlassen und in grobem Umfange mich der graphischer Inter- 
polation bedient, indem ich überzeugt bin, daß die Resultate 


L. E. Walbum: 


dadurch nicht weniger zuverlässige geworden sind. 


S&S SSS 


0,0539 
0,0550 
0,0560 
0,0571 
0,0577 
0,0581 
0,0585 
0,0589 
0,0593 
0,0597 
0,0601 


SEERBSSISERS 


46° — 56° — 62° — 70° gemessen worden. 


8,0 
6,0 
4,0 
2,0 
0,5 


80 „ 
6,0 „, 
4,0 LL 
2,0 99 
LI „ 


8,0 ” 
6,0 92 
4.5 „, 
3,33 „ 
2,0 „ 
1.0 ” 


Phosphatmischungen. 
9,5 sek. Phosphat + 0,5 prim. Phosphat 


55 d + 2,0 55 „ 
97 99 + 4,0 99 LU 
99 LU + 6,0 LL 99 
LE 29 + 8,0 LL LL 
LÉI 9? + 9,5 EL (LA) 
Glyeinmischungen. 
9,5 Glyein + 0,5 NaOH 
+ 2,0 LL 9,0 LE) + 1,0 99 
+ 4,0 99 7,0 99 + 3,0 | 99 
+ 6,0 LL 5,5 99 + 4,5 LL 
+ 8,0 99 5,0 „ + 5,0 (E 
+90 „, 4.5 „ +55 „, 
3,0 „ +70 „ 
1,0 „ +90 „, 
Citratmischungen. 
10 Citrat 
+20 „ 9 „ JI NaOH 
+ 4,0 LE 7 99 + 3 „ 
+ 5,5 LL 5,5 LE + 4,5 99 
+ 6,67 99 5,25 LL + 4,75 LE 
+ 8,0 „ 


+ 9,0 


9,5 Glycin + 0,5 HCI, 


9,5 Citrat + 0,5 HCl, 


Die Wasserstoffionenkonzentration der untenstehenden Mi- 
schungen ist bei den Temperaturen 10° — 18° — 28° — 37° — 


H 


Wasserstoffionenkonzentr. einiger Standardlösungen bei versch. Temp. 223 


Boratmischungen. 
8,5 Borat + 1,5 HCl, 10 Borat 
70 „ +30 „ 8 „ +2 NaOH 
6,0 D + 4,0 H 6 725 SC 4 29 
5,5 ?9 + 4,5 LEI 5 99 + 5 99 
5,25 „ J 4,75 „ 4 „ +6 „, 


Die Versuche sind in der Weise ausgeführt worden, daß der 
Thermostat erst auf 10° (mittels Kaltwasserdurchleitung) ein- 
gestellt wurde und sämtliche Mischungen bei dieser Temperatur 
gemessen wurden, darauf wurde die Temperatur auf 18° einge- 
stellt, bei welcher Temperatur die Messung sämtlicher Mischungen 
wiederholt wurde; danach wurde bei 28° gemessen usw. 

Mittels des so erhaltenen Zahlenmaterials habe ich für die 
verschiedenen Mischungen der Hauptkurventafel von S.P.L. 
Sörensen entsprechend Kurven gezeichnet, wo die Werte für 
pg. Abszissen und der Inhalt der Mischungen (in 10 cm?) von 
sekundärem Phosphat, Glycin, Citrat oder Borat Ordinaten sind. 
Durch die in dieser Weise gezeichneten Kurven wurde mittels 
graphischer Interpolation die pg. der nicht elektrometrisch 
gemessenen Mischungen bestimmt. 

Mit den in dieser Weise bestimmten Werten wurden Kurven 
mit den verschiedenen Temperaturen als Abszissen und der 
Wasserstoffionenkonzentration der Mischungen in pg. aus- 
gedrückt als Ordinaten gezeichnet und dann durch Interpolation 
die pg. der nicht elektrometrisch gemessenen Mischungen bei 
den fehlenden Temperaturen festgestellt; dies war besonders 
leicht, weil die korrespondierenden Werte immer auf geraden 
Linien lagen. 

Es stellte sich bei den Versuchen heraus, daß die für Phos- 
phatmischungen, Glycin-HCI und Citrat-HCl gezeichneten Linien 
alle mit der Abszissenachse parallel verliefen, d. h. daß die 
Wasserstoffionenkonzentration dieser Lösungen bei 
Temperaturen zwischen 10° und 70° dieselbe ist. 

Für die übrigen obenerwähnten Standardlösungen hatte 
eine Änderung der Temperatur eine Änderung in der Wasser- 
stoffionenkonzentration der Lösungen zur Folge. 

Die Werte dieser (Glycin- NaOH, Citrat- NaOH, Borat- 
HCl und Borat- NaOH) sind auf den Abb. 1, 2, 3 und 4 und 
in den entsprechenden Tabellen I, II, III und IV angeführt. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 15 


L. E. Walbum: 


224 


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EAR SE SR 88 | 08 | 088 95 


Wasserstoffionenkonzentr. einiger Standardlösungen bei versch. Temp. 225 


Tabelle II. Citrat- NaOH. 
| 10° | 20° 30° | 40° | 50° 60° | 70° > 


10 Citrat . .... 4,93 | 4,96 | 5,00 | 5,04 | 5,07 | 5,10 | 5,14 

0,5 NaOH | 4,99 | 5,02 | 5,06 | 5,10 | 5,13 | 5,16 | 5,20 
1 NaOH 5,08 511 | 5,15 | 5,19 | 5,22 | 5,25 | 5,29 
2 NaOH 5,27 | 531 | 5,35 | 5,39 | 5,42 | 5,45 5,49 


3 NaOH| 5,53 | 5,57 | 5,60 | 5,64 | 5,67 | 5,71 | 5,75 

55 4 NaOH) 5,94 | 5,98 | 6,01 | 6,04 | 6,08 | 6,12 6, 15 

5 „ 4,5 NaOH 6,30 | 6,34 | 6,37 6,41 | 6,44 | 6,47 6, 51 
„25 „ 4, 75 NaOH || 6,65 | 6,69 | 6,72 | 6,76 | 6,79 | 6,83 | 6,86 


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w 20 30 70 60 Cat 
Abb. 1. Glyein-Na0OH. 


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„55518. 


II 


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Ai. 
Abb. 2 Citrat- NaOH. 


L. E. Walbum: 


Tabelle III. Borat- HCl. 


8 


S 1 0 A a o M A A „ a „ 


& ~ e a a e © a AA a Aa A 


SN 8 888888888 


S e M~ M A 


SSS 88822888 


a OO A e e A Aa 


2888888488888 


REITS 
1 


A "e ® a a e o ù a A a 


a "e "e "e e aa o a A a a a 


88888 OO O O = r 


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S88S8 888888 
EEEEEEE EE 
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eieiei DI Gi CO EC ali wii di A 
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8 
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SSO ο , SD N 


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— — — 


— 


— —— 


V 


50 


Abb. 8. Borat-HCl. 


Abb. 4. Borat- NaOH. 


Sort | 8L'OT | S8‘0T | 16°01 ` 86/07 | FOTI O11 98 11 HIT | SF . Ho NR “ p 
866 | 30‘01 | 90°01 | OTOT sor 61501 [OI 28˙01 28501 9E‘OT OF OI ol 65˙01 88701 (Go HONG TE “ g 
836 1086 2886 log |8E6 850 EFG 95˙6 85˙6 186 796 96 63˙8 896 | 6 HO NT 
816 — — Is | — I! — | | — 186 — ises | — 96 — HOTNEe+ “ AL 
26 | — | — |s0o6 — |n | — icre — 816 — |za6 — i96 | — HONZ + “ 8 
56.8 — | — |868 — 106 — 806 — 1806 | — 116 | 16 — HOWNI+ “ 6 
988 | — | — 068 — ises | — L6‘8 — 00° — 80˙6 | — 209 — 227010 01 


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190°T | 89°0T | PL‘OT | 8L‘OT | Z8‘OT | 98°0T | TGʻOT | S6OT | 66ʻOT FO II | SOTT | ZITI | HT“ | OZTI | Fall HO®ENS + 9 
Logo | TILG 86 |8L6 |086 886 |986 |886 16˙6 |768 16˙6 |666 soot root | 90°01 HO N “ 9 
556 456 ose — isce | — 68˙6 — 296 — |896 | — 86 — 9˙6 HONN gt “ L 
086 erg 8.6 — 68,6 — iere | — 96 | — loss | — ipse — Vlog HONZ + “ 8 
81.6 1086 |E56 | — 98.6 — 1666 — 886 — 986 — 686 — 85 ˙6 | HOW NI T. 6 
80˙6 11˙6 216 ie [I 6 | — |188 — es] — [L586 | — 1086 2.0 01 


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HORN "2800 AI Ie 


Wasserstoffionenkonzentr. einiger Standardlösungen bei versch. Temp. 227 


228 Walbum: Wasserstoffionenkonz. einig. Standardlösg. bei versch. Temp. 


Es geht hieraus hervor, daß die Wasserstoffionenkonzentra- 
tion in den Mischungen von Glycin- NaOH, Borat- HCl und 
Borat- NaOH mit steigender Temperatur größer wird (d. h. pp. 
wird kleiner), während Citrat- NaOH sich umgekehrt verhält. 

In den erwähnten drei Arten von Mischungen, wo 
Py. mit steigender Temperatur fällt, ist die mit der 
Temperatur eintretende Änderung am größten für die 
meist alkalischen Mischungen und nimmt mit Ab- 
nehmen der Alkalinität allmählich ab. 

Ich habe in dieser Untersuchungsreihe nur die Standard- 
lösungen von S. P. L. Sörensen untersucht, weil diese das 
ganze Wasserstoffionenkonzentrationsgebiet decken und bei der 
Mehrzahl der Messungen vollständig ausreichend und befriedigend 
sind. Man hat ja bekanntlich mehrere andere in Vorschlag ge- 
bracht, aber auch für diese kennt man nicht das Verhalten gegen- 
über Änderungen der Temperatur; in der allerletzten Zeit hat 
jedoch MacIntosh und Smart“) die Wasserstoffionenkon- 
zentration in Acetatmischungen bei Zimmertemperatur und bei 70 
untersucht und gefunden, daß sie bei diesen Temperaturen die 
gleiche war. 

Literatur. 

1) S. P. L. Sörensen, Enzymstudien II. Compt. rend. du Lab. de 
Carlsberg 1909, und Ergebn. d. Physiologie 12 (Asher und Spiro). 1912. 
— 2) S. P. L. Sörensen, diese Zeitschr. 21. 153 u. 160. 1909. — 


3) S. P. L. Sörensen, Ergebn. d. Physiologie 12. 1912. — *) Mo. J. In- 
tosh und W. Smart, The Brit. Journ. of experim. Pathology I. 1920. 


Über die Restreduktion des Blutes. 
(Zur Physiologie des Blutzuckers. III.) 


Von 


Rich. Ege. 
(Aus dem physiologischen Institut der Universität Kopenhagen.) 
(Eingegangen am 1. Mai 1920.) 


In einer früheren Arbeit habe ich eine Untersuchung von 
Bangs Mikromethode zur Bestimmung von Glucose angewendet“). 

Das Ergebnis der Untersuchung war, daß der Methode zahl- 
reiche Fehlerquellen anhaften, unddaß einzelne davon recht 
ernster Art sein können, daß es aber andererseits möglich ist, 
diese Fehlerquellen zu vermeiden, und daß die Methode in dem 
Falle überraschend übereinstimmende Resultate ergebe, sowohl 
bei der Bestimmung von reinen Glucoselösungen als von Blut- 
proben. Da die benutzten Titerflüssigkeiten auf Glucoselösungen 
bekannter Konzentration eingestellt werden, geben die gefundenen 
Zahlen die wahre Glucosemenge an, solange von reinen Glucose- 
lösungen die Rede ist. Inwiefern dies auch bei der Bestimmung 
des Reduktionsvermögens des Blutes der Fall ist, ist eine andere 
Frage. Hier genügt es nicht, zu zeigen, daß die Methode über- 
einstimmende Resultate gibt, sowie auch nicht, daß eine zu- 
gesetzte Glucosemenge quantitativ wiedergefunden wird; die 
entscheidende Frage ist, ob die Methode eine spezifische ist, 
oder ob es andere Stoffe gibt als die Glucose, welche dasselbe 
Reduktionsvermögen besitzen, auf dem die angewandte quanti- 
tative Zuckerbestimmung beruht. 

Nun ist es eine wohlbekannte Tatsache, daß die Reduktion 
einer alkalischen Metallsalzlösung nicht eine für die Glucose 
spezifische Reaktion darstellt, sondern daß es eine Reihe anderer 


1) Rich. Ege, Zur Physiologie des Blutzuckers. I. Diese Zeitschr. 87. 
1918. 


230 R. Ege: 


Stoffe gibt, die in größerem oder geringerem Maße dasselbe Ver- 
mögen besitzen; da dies eben Stoffe sind, die im Blute vorkommen, 
sowohl unter normalen als pathologischen Zuständen, auch nach 
Fällung der Proteinstoffe des Blutes, so ist somit gegeben, daß 
Reduktionsbestimmungen von Glucose im Blute notwendiger- 
weise zu hohe Zahlen liefern müssen; um wieviel die Zahlen 
aber zu hoch sind, darüber war es bisher nicht möglich, einig 
zu werden. Einige behaupten, daß die Menge von reduzierenden 
Stoffen im Blute, welche nicht Glucose oder einfache Kohlen- 
hydrate darstellen, eine so verschwindende ist, daß man sie bei 
Untersuchungen über den Blutzucker ganz außer acht lassen 
kann; andere meinen, daß sich im Blute sehr wesentliche Mengen 
von reduzierender Substanz finden, die nichts mit den einfachen 
Kohlenhydraten zu schaffen haben, und daß jede Untersuchung 
über den Zuckergehalt des Blutes mittels Reduktionsbestim- 
mungen ohne entscheidenden Wert ist, falls diese Verhältnisse 
nicht zur Genüge berücksichtigt werden. 

Wie wenig spezifisch die Reduktionsmethode ist, ergibt sich 
aus folgender Liste, die eine Aufzählung der wichtigsten Krystal- 
loide enthält, die alle — in höherem oder geringerem Grade — 
ein Metallsalz (Kupfersalz) in alkalischer Lösung reduzieren 
können: Pentosen, Hexosen, Dihexosen (mit Ausnahme von 
Rohrzucker), Kreatin, Kreatinin, Aldehyde, Harnsäure und 
andere Purine, Adrenalin, Homogentisinsäure sowie gewisse 
Farbstoffe. 5 

Eine Methode zur quantitativen Bestimmung eines einzelnen 
dieser Stoffe oder einer Stoffgruppe, z. B. Glucose, mittels einer 
Reduktionstitration gibt es nicht; dagegen kann man die ge- 
nannten Stoffe dem Vergärungsvermögen gemäß in zwei 
Abteilungen teilen: Die Hexosen (und einzelne Dihexosen), welche 
vergären, und die übrigen reduzierenden Stoffe, die nicht vergären. 
Den nicht vergärungsfähigen Teil nennt man die Restreduktion. 
Diese Gruppe ist also von sehr heterogener Zusammensetzung, 
wogegen der gärungsfähige Teil aus einander sehr nahestehenden 
Stoffen besteht; da es außerdem unzweifelhaft ist, daß bei weitem 
der größte Teil davon Glucose ist, wird man kaum wesentliche 
Fehler begehen, wenn man aus analytischen Gründen gezwungen 
wird, die gärungsfähigen Stoffe insgesamt als Gluccse zu be- 
handeln. 


Blutzucker. III. 231 


Dagegen ist es notwendig, eine quantitative Untersuchung 
über die Größe der Restreduktion anzustellen. 
Über die Restreduktion liegt eine sehr reiche Literatur vor!). 


Der Platz gestattet keine eingehende Erörterung derselben, ioh möchte 
nur erwähnen, daß die meisten Verfasser finden, daß die Restreduktion 
etwa 300% der gesamten Reduktion des Blutes beträgt; von Interesse ist 
auch, daß das von Bang und seinen Schülern (Lyttkens und Sandgren) 
behauptete Verhältnis, daß die ganze, nicht unbedeutende Reduktion, 
welche die Blutkörperchen besäßen, ausschließlich Restreduktion sei. 
Andererseits fehlt es auch nicht an Untersuchern, die dem Begriff Rest- 
reduktion jede Bedeutung absprechen; so behaupten Griesbach und 
Strass ner (Zeitschr. f. physiol. Chemie 88. 1913), daß die Restreduktion 
ein Produkt der alten Bangschen Methode sei. Dieser Standpunkt ist 
jedoch nicht haltbar, vielmehr muß man den Umstand, daß Griesbach 
und Strassner keine Restreduktion finden, durch die Unbrauch- 
barkeit der von ihnen angewandten Bertrandschen Methode er- 
klären; diese Methode muß nämlich, wie A. C. Andersen (diese Zeitschr. 15. 
1909) zeigte, in biologischen Flüssigkeiten zu geringe Werte ergeben. 

Wenn auch, wie erwähnt, in den meisten Versuchen eine bedeutende 
Reduktion nach der Vergärung gefunden wurde, ist es klar, daß diese Ver- 
suche nichts von der wahren Restreduktion offenbaren, solange man nicht 
die Frage gelöst hat, die ursprünglich von Seegen (Arch. f. d. ges. Physiol. 
37. 1885) erhoben wurde: Hat die Hefe unter den vorliegenden Versuchs- 
umständen vermocht, die Glucose quantitativ zu entfernen? Seegen be- 
antwortete die Frage auf Grund einiger von ihm angestellten Versuche ab- 
lehnend und ist hier in Übereinstimmung mit v. Lippmann, welcher 
behauptet: .. , O, 1 proz. Lösungen vergären sogar ohne Nährlösungen über- 
haupt nicht‘‘ (Chemie der Zuckerarten, 3. Aufl., S. 581). 


Außer der Frage nach der Vollständigkeit der Vergärung ist 
ursprünglich von Neuberg?) und sodann von P. Mayer?) ein 
prinzipieller Einwand gegen die gewöhnliche Restreduktions- 
bestimmungsmethode erhoben worden. Der Einwand beruht 
auf dem Umstande, daß die Hefe selbst sowohl optisch aktive 
als reduzierende Stoffe enthält und abgibt. 

P. Ma yer stellte O,1proz. Glucoselösungen her, setzte 1g reinkultivierte 


Hefe zu 100 ccm und stellte 24 Stunden zum Vergären in den Thermostaten; 
nach Reinigung mit kolloidalem Eisen wiesen die Proben eine deutliche 


1) Näheres siehe Rich. Ege, Studier over Glukosens Fordeling mellem 
Plasmaet og de rede Blodlegemer og nogle dermed sammenhørende Pro- 
blemer. Kobenhavn 1919/20. 

2) C. Neuberg, Kleine Mitteilungen verschiedenen Inhalts. III. Über 
einige Reaktionen vergorener Zuckerlösungen. Diese Zeitschr. 24. 1910. 

3) Paul Mayer, Zur Bestimmung der sog. „ Restreduktion“ des 
Blutes. Diese Zeitschr. 50. 1013. 


232 R. Ege: 


Reduktion mit Fehlings Lösung auf. Wenn Mayer auch nicht dartat, 
daß die Reduktion von unvergorener Glucose herrührt, hat er doch sicher- 
lich mit der Behauptung recht, daß die reduzierenden Stoffe von der Hefe 
stammen; darauf deutet auch, daB die vergorene Lösung, wie bereits 
Neuberg nachwies, optisch aktiv sein kann, daß sie bald nach rechts, 
bald nach links dreht und in gewissen Fällen deutliche Reaktionen sowohl 
auf Pentosen als auf Purine gibt. 

Wurde die Hefemenge vermindert, machte sich das Vorhandensein der 
obengenannten Stoffe in geringerem Grade geltend, aber in dem Falle 
verlief die Vergärung nicht mehr vollständig (bei Anwendung von 0,1 g Hefe 
zu 100 ccm 0,lproz. Glykoselösung, 24stündige Vergärung). 

„Es hat sich also jedenfalls gezeigt, daß nach der Vergärung 
von Zuckerlösungen, die eine dem Blutzuckergehalt entsprechende 
Konzentration haben, Drehungen sowie Reduktionen auftreten 
können, die zu einer völlig falschen Beurteilung der Substanzen- 
gruppe führen müssen, auf die man die Restreduktion bezieht“. 
(P. Mayer). 

Eine kritische Durchsicht der Literatur ergibt weiterhin 
folgendes: 


1. Die Größe der Restreduktion ist von der benutzten Me- 
thode abhängig. 


a) Bei der Benutzung von einigen Methoden scheint sie 
verschwindend klein zu sein — unter normalen Verhältnissen 
0,005%, bei Hyperglykämien jedoch bis auf 0,03%; dies gilt 
z.B. von Bertrands Methode. Es ist jedoch zweifelhaft, ob 
dies tatsächlich einen Vorteil der Methode bedeutet, oder ob 
es nicht vielmehr von einem Mangel des Verfahrens herrührt. So 
scheint dieser Umstand. bei Bertrands Methode darauf zu be- 
ruhen, daß die Methode bei der Bestimmung von reduzierender 
Substanz leicht versagt, namentlich in biologischen Flüssigkeiten, 
wo kleine Mengen von Kupferoxydul in Lösung gehalten werden. 


b) Bei Benutzung von anderen Methoden, namentlich Bangs 
Hydroxylaminmethode wird die Restreduktion zu 0,02—0,04 
angegeben, d. h. zu 20—40%, der Totalreduktion unter normalen 
Verhältnissen. 

Es scheint keine Bestimmung der Restreduktion bei Be- 
nutzung von Bangs Mikromethode vorzuliegen; jedoch finden 
sich gute Gründe zur Unterstützung der allgemeinen Annahme, 
daß die Größe der Restreduktion kaum bei diesen beiden Methoden 
wesentlich versohieden sein kann. | 


Blutzucker, III. 233 


2. Sämtliche positive Angaben über die Größe der Restre- 
duktion verlieren in hohem Grade an Wert, da noch als unent- 
schieden betrachtet werden muß: 

a) Wie groß der Teil der sogenannten Restreduktion ist, der 
von unvergorener Glucose herrührt. 

b) Wie groß der Teil der Restreduktion ist, der von der zu- 
gesetzten Hefe herrührt. 

Da keine systematischen Untersuchungen über die Größe der 
Restreduktion bei Anwendung von Bangs Mikromethode an- 
gestellt worden sind, war es schon aus dem Grunde notwendig, 
solche Bestimmungen auszuführen. Die untengenannten Be- 
stimmungen der Größe der Restreduktion in normalem Blut 
gelten nur für Bangs Methode und haben sicherlich keine all- 
gemeine Gültigkeit; dieser Abschnitt enthält aber doch eine 
Reihe von Untersuchungen, die für die Methodik der Restreduk- 
tionsbestimmung von allgemeiner Bedeutung sind. 

Will man entscheiden, wie groß der Teil der Totalreduktion 
ist, der auf einfache Kohlenhydrate entfällt, und wie groß der 
Teil ist, der die Restreduktion darstellt, so setzt man Hefe zu 
einer Probe; bestimmt man nun das Reduktionsvermögen der 
Probe nach einer angemessenen Zeit — meist 24 Stunden — so 
hat man ein Maß für die Größe der Restreduktion; die Differenz 
zwischen Totalreduktion und Restreduktion ergibt den Zucker- 
gehalt der Probe. 

Wie einfach diese Methode zur Bestimmung der Restreduk- 
tion auch zu sein scheint, birgt sie doch, wie schon erwähnt, die 
Möglichkeit zweier erheblicher Fehler. Die beiden unsicheren 
Punkte sind: 

1. Ist die zugesetzte Hefe imstande, unter den angegebenen 
Verhältnissen und im Laufe der angewandten Zeit den Zucker 
quantitativ zu vergären ? 

2. Enthält die zugesetzte Hefe selbst, restreduzierende“ Stoffe? 

Vor der quantitativen Untersuchung über die wahre Größe 
der Restreduktion muß notwendigerweise eine Untersuchung 
darüber vorgenommen werden, wie es sich mit dem Vermögen 
der Hefe verhält, unter gewissen Bedingungen (Glucosekonzen- 
tration, Zusatz von Nahrungsstoffen, Salzgehalt, Reaktion, 
Bakteriengifte) Glucose zu vergären und wie lange dies dauert. 
Eine solche Untersuchung muß zeigen können, ob die Hefe wirk- 


234 R. Ege: 


lich imstande ist, die Glucose quantitativ zu vergären; entgegen- 
gesetztenfalls müßte man bestimmen können, bei welcher Kon- 
zentrationsgrenze der Vergärungsprozeß stillsteht, ‘und dann 
dieses zur Einführung einer Korrektion bei den Restreduktions- 
bestimmungen selbst benutzen. 

Gleichfalls muß man notwendigerweise die Eigenreduktion 
der benutzten Hefensuspension kennen. 


Untersuchungen über den Gehalt der Hefe an reduzierenden Stoffen. 


Zu den ersten Versuchen benutzte ich reinkultivierte Hefe 
(Saccharomyces Carlsbergensis) !), um dadurch so konstante 
Resultate wie möglich zu erhalten. Fortgesetzte Untersuchungen 
zeigten indessen, daß die gewöhnliche Preßhefe sich sehr wohl ver- 
wenden ließ, wie dieses auch aus dem Folgenden hervorgehen wird: 

Die benutzte Hefe wurde in reichlichen Mengen von Wasser 
aufgeschlemmt, worauf sie abzentrifugiert wurde. Dies wurde 
zweimal wiederholt. 

Versuch: 1,5g Hefe zu 20ccm Ringerscher Lösung. Davon 
wurde O, Ol ccm nach 2stündigem Stehenlassen bei 30° zur Bestimmung 
entnommen. Der Reduktionswert der Probe entsprach 0,10 eem n/200- 
Jodlösung. 

Nach !/,, 1, etwa 2 und etwa 7 Tagen wurde der Gehalt der Hefe an 
reduzierender Substanz wieder bestimmt. Bei diesen Bestimmungen wurden 
zu den Analysen größere Proben entnommen. Gibt man das Reduktions- 
vermögen — als Glucose berechnet — für 1 mg Hefe an, erhält man fol- 
gende Zahlen: 


nach 2 Stunden 0,017 mg Glukose 
„ 6 Stunden 0,00084 mg e 
„ 43 Stunden 0,00084 mg z 
1 agen 0,00084 mg 5 


Die genannten Zahlen zeigen, daß die Hefe nur kleine Mengen 
von reduzierender Substanz enthält, und, was von größerer Be- 
deutung ist, die Menge hält sich unverändert sogar lange Zeiten 
hindurch. Die Abweichung der ersten Bestimmung muß wahr- 
scheinlich darauf beruhen, daß sich in der Hefe Kohlenhydrate 
finden, die noch nicht vergoren sind. 

Das Reduktions vermögen der einzelnen Hefenaufschwemmung 
ist also sehr konstant; aber verschiedene Hefenlösungen können 

1) Die reinkultivierte Hefe erhielt ich von der gärungsphysiologischen 


Abteilung des Carlsberg-Laboratoriums. Ich bringe dem Vorstand der 
Abteilung, Herrn Klöcker, hiermit meinen besten Dank zum Ausdruck. 


Blutzucker. III. 235 


ein etwas verschiedenes Reduktionsvermögen haben. Kennt man 
aber das Reduktionsvermögen der benutzten Hefenlösung, wird 
man also mit einiger Sicherheit die Restreduktionsbestimmungen 
damit korrigieren können, indem die Konstanz des Reduktions- 
vermögens eine gewisse Sicherheit dafür darbietet, daß das Re- 
duktionsvermögen, welches die Hefe in der Kontrollprobe (Rin- 
gersche Lösung) hat, dasselbe sein muß, wie die gleiche Menge 
derselben Hefe in der Blutprobe aufweist. Eine weitere Bestäti- 
gung dieser Annahme erhielt ich durch besondere Versuche, 
welche dartaten, daß das Reduktionsvermögen der Hefe dasselbe 
ist bei Stehenlassen in Ringerscher Lösung, destilliertem 
Wasser oder in besonderen Nährlösungen. 


Vermag die Hefe die Glucose quantitativ zu entfernen? 


Diese Frage läßt sich leicht durch Untersuchungen reiner 
Glucoselösungen beantworten; hier gibt es keine restreduzierenden 
Stoffe außer denjenigen, die von der Hefe herrühren, und ihre 
Menge wird durch besondere Versuche bestimmt. Die sich in 
einer solchen Flüssigkeit befindende Reduktion kann daher nur 
von noch nicht vergorener Glucose herrühren. 

Wieviel Zeit das Vergären von Glucose erfordert, ist aus 
der untenstehenden Tabelle ersichtlich; hier wie in allen folgen- 
den Versuchen fand die Vergärung bei 30—33° statt. 

Versuch: 70 ccm 0,9%, NaCl, 0,1% Glucose!) wurden zum Vergären 
mit Je Vol. 10 proz. Hefenaufschwemmung (10 Tr. Toluol) hingestellt. Ab 


und zu wurden Proben zur Analyse entnommen. Das Resultat der Be- 
stimmungen ist aus untenstehender Tabelle ersichtlich: 


Verbraucht n. ,„ Korr. f. d. 

Vergärungszeit COM Lösung”) „, Jod. Pin Reduktion % Glucose 
zur Analyse y 
lösung der Hefe 

1 Stunde 0.20 0,75 0,14 0,01 0,053 
2 Stunden — 0,44 — — 0,029 
3 Stunden — 0,26 — — 0,0097 
5 Stunden 0,40 0,28 —- 0,02 0,0053 
T sr 2,00 0,32 — 0,09 0,0008 
1, Tage.. .... — 0,31 — — 0,0007 
21/, Tage . 4, 00 0,44 — 0,28 0,0005 
4½ Tage — 0,46 — 0,31 0,00004 


1) Durch diese Schreibweise wünsche ich zu bezeichnen, daß die 
Flüssigkeit 0,9 proz. ist in betreff des NaCl, 0,1 proz. in betreff der Glucose. 

2) Davon nur !°/,, Glucoselösung, !/,, Hefensuspension; bei der Be- 
rechnung wurde darauf Rücksicht genommen. | 


236 | R. Ege: 


Die Korrektion für die benutzte Hefensuspension wurde 
durch Analyse der Hefensuspension selbst gefunden. 

Die Analysen wurden, und zwar sowohl die der Zucker- 
lösungen als die der Hefenaufschwemmungen, in der früher be- 
schriebenen Weise!) ausgeführt. Die Anwendung von Ferrum 
oxydatum dialysatum ist von besonderer Bedeutung, da es erst 
dadurch möglich wird, vorhandene kolloidale Stoffe durchaus 
quantitativ zu fällen, was die erste Bedingung einer zuverlässigen 
Bestimmung der Restreduktion ausmacht. 

Aus der obenstehenden Tabelle ersieht man, daß es sogar 
bei so reichlichem Zusatz von Hefe etwa 4 Tage dauert, bevor 
die Glucose quantitativ vergoren ist; dies ist nur von theore- 
tischem Interesse; ein größeres Interesse hat es indessen, daß 
nach fünfstündigem Stehenlassen noch erkennbare Glucosemengen 
übrig sind (0,005%), nach einem Tage beträgt die restierende 
Glucosemenge etwa 0,001% oder weniger. 

Das schnelle und einigermaßen vollständige Vergären läßt 
sich nur durch Zusatz von recht reichlichen Hefenmengen er- 
zielen; in allen eigentlichen Versuchen benutzte ich "ia Vol. 
10 proz. Hefensuspension, d. h. die untersuchte Zucker- und Blut- 
probe enthält 1% Hefe. Da die Proben in der Regel 0,1%, Glucose 
enthalten, so finden gich 10 Teile Hefe zu 1 Teil Glucose. 

Wie wichtig es ist, reichliche Hefenmengen zu benutzen, 
sieht man aus dem folgenden Versuth, wo nur !/„ Vol. 2 proz. 
Hefenlösung also 1 Teil Hefe zu 1 Teil Glucose benutzt wurde. 

Versuch: Ursprüngliche Glucosekonzentration . . 0,096% 


nach eintägigem Vergären . ..... 0,028% 
nach zweitägigem Vergären ..... 0,053% 
nach fünftägigem Vergären . ..... 0,006% 


Schließlich ist zu bemerken, daß es vorkommt, daß die 
Aktivität der Hefe so gering ist, daß sie, sogar in den großen 
Mengen (10: 1) angewandt, nach 24 Stunden ebenso große 
Glucosemengen übrigbleiben läßt, wie im obenstehenden Versuch. 

Die angeführten Versuche zeigen, daß es für die Be- 
stimmung der wahren Restreduktion des Blutes notwendig ist, 
Kontrollversuche anzustellen sowohl über den Gehalt der Hefe 
an reduzierenden Stoffen als über die Glucosemenge, die zu ent- 
fernen innerhalb der angewandten Zeit nicht gelang. 


1) Diese Zeitschr. 87, 91. 1918. 


Blutzucker. III. 237 


Diese Methode zur Bestimmung der wahren Restreduktion 
beruht jedoch auf unsicherer Grundlage, solange nicht untersucht 
worden ist, ob die Vergärung in derselben Weise im Blute wie 
in den untersuchten Glucoselösungen verläuft. 

Diese Unsicherheit habe ich durch die folgenden Versuche 
zu beheben gesucht: 

1. Ich untersuchte, ob die Vergärungsgeschwindigkeit und 
namentlich die Größe der restierenden Glucosemenge von der 
Natur der Glucoselösung abhängig ist. 

2. Es wurden vergleichende Bestimmungen über die Ver- 
gärungsgeschwindigkeit in Ringerscher Lösung und im Blute 
angestellt. 

3. Ich habe die Vergärung im Blute untersucht, das durch 
Dialyse von Glucose sowie von restreduzierenden Stoffen befreit 
worden war. 


Untersuchungen über die Vergärungsgeschwindigkeit in Blut und 
Glucoselösungen. 


Vers uch: Durch eine Reihe von Vergärungs versuchen mit Blut — und 
als Kontrolle — mit verschiedenen Salzlösungen (die Einzelheiten und Re- 
sultate finden sich in umstehender Tabelle) zeigte sich zuerst, daß die 
Restreduktion des Blutes — mit Mikro-Bang bestimmt — eine recht ver- 
schwindende Größe darstellte; wie groß sie war, kann man vorläufig nicht 
entscheiden, sondern nur behaupten, daß sie nicht größer sein kann als 
0,0018; inwiefern sie kleiner ist, evtl. 0,000, läßt sich nicht unmittelbar 
entscheiden. Daß die Restreduktion kleiner sein muß als der gefundene 
Reduktionswert O, O0018%, ist wahrscheinlich, indem die Kontrollversuche 
mit Ringerscher Lösung zeigen, daß nach derselben Vergärungszeit 
noch 0,002% unvergorene Glucose übrig war. Das einfachste Verfahren, 
um zu entscheiden, ob das Reduktionsvermögen, welches das Blut nach 
2 Tagen noch besitzt, von unvergorener Glucose oder einer tatsächlichen 
Restreduktion herrührt, würde es sein, die Vergärung fortzusetzen; wenn 
es sich um Zucker handelt, wird es wahrscheinlich nach noch längerem 
Stehenbleiben vergären, indem die Vergärungsversuche in reinen Glucose- 
lösungen mit vereinzelten Ausnahmen zeigten, daß die Glucosekonzentration 
fortwährend abnimmt, so daß die Zuckerkonzentration nach 4—8 Tagen 
Null wurde. Die Vergärungsversuche im Blute lassen sich jedoch nicht gut 
über etwa 2 Tage hinaus fortsetzen; das Blut beginnt dann trotz des Toluol- 
zusatzes zu faulen, was eine Steigerung des Reduktionsvermögens bewirkt. 

Man muß sich also daher damit begnügen, zu untersuchen, ob die 
Vergärungsbedingungen wesentlich besser oder schlechter sind in Blut als 
in den Kontrollflüssigkeiten. Etwas Absolutes läßt sich darüber nicht aus- 
sagen; aber das Hauptergebnis einer Reihe von Vergärungsversuchen war, 


238 R. Ege: 


daß die Vergärung schnell und sehr vollständig verlief in destilliertem 
Wasser, etwas langsamer in Ringerscher Lösung und 0,9proz. NaCl; bei 
Zusatz eines Nährstoffes wie Asparagin zur Ringerschen Lösung verlief 
die Vergärung zu Anfang bedeutend schneller, aber nicht wesentlich voll- 
ständiger, in einzelnen Fällen sogar weniger vollständig und jedenfalls 
nicht so gut wie in destilliertem Wasser. 


nach ½ St. 2 St. 20 St. 48 St. 


Vergärung Verg. Verg. Verg. 

Blut (defib. Ziege) . . . .. . 0,035 0,0028 0,0024 
dgl. Yo Vol. n/i- HCl. .. 0,0024 0,0018 
dgl. ½0 Vol. % Oxal... 0,0040 0,0022 
dgl. Yo Vol. Toluol 0,0050 0,0022 
Ringer, 0,1% Glucose. . . 0,050 0,015 0,0092 0,0022 
dgl. Leem Asparacin 1% . 0,014 0,0042 0,0024 
H,O, 0,1% Glucose 0,0048 0,0030 0,0018 


Sämtliche Proben enthielten !/,, Vol. 10% Hefensuspension und, wo 
nichts anderes angegeben wird, ½/100 VoL Toluol. 

Man begeht daher kaum wesentliche Fehlschlüsse, wenn man 
annimmt, daß die Vergärung im Blute etwas langsamer von- 
statten geht als in Ringerscher Lösung, so daß die Glucose- 
menge, die sich nach 28stündiger Gärung noch im Blute findet, 
geringer sein muß als diejenige, die sich zu demselben Zeitpunkt 
in der Kontrollflüssigkeit findet, die in den meisten Fällen Rin- 
gersche Lösung war. Daß die Vergärung im Blute mindestens 
ebenso vollständig verlief wie in Ringerscher Lösung, läßt 
sich vielleicht gleichfalls aus dem Umstande schließen, daß die 
Versuche, in denen zu verschiedenen Zeitpunkten während der 
Gärung Proben entnommen wurden, das Resultat ergaben, daß 
die Vergärungsgeschwindigkeit im Blute größer war als in der 
Kontrollflüssigkeit. 

In einer dritten Untersuchungsserie habe ich die Vergärungs- 
geschwindigkeit in dialysiertem Blute und in Ringerscher 
Lösung, zu der Asparagin gesetzt war, untersucht. Um die 
Vergärung im Blute mit der Vergärung in der Kontrollflüssigkeit 
vergleichen zu können, war es notwendig, erst das Blut von 
seinem Gehalt an reduzierenden Stoffen zu befreien; dies geschah 
durch Dialyse. Nach fünftägigem Dialysieren war das Reduk- 
tions vermögen des Blutes nach Fällung der Proteinstoffe prak- 
tisch 0 (0,0004). 

Der Versuch zeigt also nicht nur, daß die reduzierenden 
Stoffe durch die Dialyse entfernt worden waren, sondern auch, 


Blutzucker. III. 239 


was für die übrigen Versuche von Bedeutung war, daß es möglich 
ist, mittels der benutzten Fällungsmethode aus einer protein- 
stoffhaltigen Lösung alles zu fällen, was darin von kolloidalen 
reduzierenden und jodbindenden Stoffen vorhanden sein könnte. 

Bevor die Vergärungsbedingungen in dem dialysierten Blut 
untersucht wurden, wurde Salz zugesetzt, so daß das Blut den 
Salzgehalt des normalen Blutes enthält; darauf wurden folgende 
Proben: zum Vergären hingestellt: 


Gärung: 2 St. 7 St. 19 St. 41 St. 
10 ccm dialys. Blut + 1 cem 1% 
Gl. + 1 ccm 10% Hefe . . 0,028 0,008 0,0025 0,00082) 


10 cem Ringer + 1 ccm 1% Gl. 
+ 1 cem 10% Hefe + 1 ccm 
1% Asparagin 0, 27 0,014 0,0040 0,0006 


Die Vergärung im Blute geht also’schneller und vollständiger 
vonstatten als in der Ringerschen Lösung mit Asparagin, 
wenn der Unterschied auch ein verschwindend kleiner ist. 

Nach diesen Versuchen ist kaum zu bezweifeln, daß die Ver- 
gärung im Blute und in der Kontrollflüssigkeit einigermaßen in 
derselben Weise erfolgt, so daß es wirklich möglich ist, bei den 
Restreduktionsbestimmungen eine Korrektion einzuführen; aber 
diese Korrektion ist nur anwendbar, wenn ihre Größe gering ist. 
Der Vergärungsversuch in der Ringerschen Lösung ist daher 
vorzugsweise als Kontrollversuch, und nicht als Korrektions- 
bestimmung zu benutzen. 

Findet man z. B., daß das Reduktionsvermögen einer Blut- 
probe nach 48stündigem Gären noch O0, O35 %, in der entsprechen- 
. den Kontrollprobe 0,030%, beträgt, so ist es sehr gefährlich, zu 
schließen, daß die wahre Restreduktion der betreffenden Blutprobe 
0,035— 0,030 = 0,005% beträgt; denn dazu ist unser Wissen von der 
Identität der Vergärungsgeschwindigkeit und der Vergärungsvoll- 
ständigkeit in den beiden Lösungen viel zu unsicher; wenn dagegen 
das Reduktionsvermögen der Kontrollprobe 0,001% Glucose ent- 
spricht, während die Reduktion des Blutes0,006entspricht, dann läßt 
sich mit fast absoluter Sicherheit behaupten, daß die wahre 
Restreduktion des Blutes zwischen 0,005 und 0,006% liegen muß. 


1) Hier ist in Betracht zu ziehen, daß das dialysierte Blut nicht von 
reduzierenden Bestandteilen befreit worden war, bevor der Versuch anfing, 
sondern zu dem Zeitpunkt 0,0004% enthielt. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 16 


240 R. Ege: 


Da es, wie die genannten Versuche gezeigt haben, möglich 
ist, das Vergären der Glucose im Blute selbst vorzunehmen, wird 
eine Restreduktionsbestimmung beinahe ebenso einfach sein 
wie eine Gesamtreduktionsbestimmung und wird mit recht kleinen 
Blutmengen, z. B. 1—2 ccm ausgeführt werden können; diese 

Menge wird genau abgemessen oder abgewogen, und !/,, Vol. 
Hefenlösung wird zugesetzt; nach 24 oder 48 Stunden wird die 
ganze Probe gefällt und bis 25,0 oder 50,0 ccm verdünnt, wovon 
10 ccm zur Analyse entnommen werden. Die Analyse darf nicht 
angestellt werden, bevor Lockes Lösung — dieselbe Hefen- 
art und Menge enthaltend und zu demselben Zeitpunkt hingestellt 
— etwa 0,001% Glucose enthält. 

Eine Reihe von Untersuchungen, die vorgenommen wurden, 
um zu entscheiden, inwiefern es notwendig sei, das Blut in be- 
sonderer Weise zu behandeln, um eine schnelle und vollständige 
Vergärung zu erzielen, ergaben, daß die Vergärung vom Zusatz 
kleiner Säuremengen einigermaßen unabhängig war, wohingegen 
sie bei Zusatz von kleinen Fluoridmengen bedeutend schlechter 
verlief, sich aber von Kaliumoxalat nur in geringerem Grade 
beeinflussen ließ. Toluol in größeren Mengen verminderte gleich- 
falls das Vergärungsvermögen. 

Die Vergärung wurde daher am besten in defibriniertem Blut 
vorgenommen; jedoch kann man auch ohne Risiko in Oxalatblut 
vergären. 

In den nun zu besprechenden Versuchen über die Restreduk- 
tion des Blutes wurde die Vergärung in allen Fällen im Blut selbst. 
unternommen. Sie wurde fortgesetzt, bis die entsprechende Kon- 
trollflüssigkeit etwa 0,002%, Glucose enthielt, oder bis das Re- 
duktionsvermögen der Blutprobe seit den letzten 24 Stunden nicht 
abgenommen hatte; diese beiden Umstände zeigen nämlich jeder 
für sich, daß die Vergärung so weit vorgeschritten ist, wie sie es 
unter den vorliegenden Versuchsbedingungen tun kann, wie da- 
durch auch verbürgt wird, daß die restierende Glucosemenge 
nicht größer sein kann als O0, O02 0%. 

Die Versuche, in denen die Hefe nicht so kräftig war, daB 
die Glucose der Kontrollflüssigkeit bis unter 0,002% vergor, 
oder in denen die Reduktion nach 24stündigem Vergären wesent- 
lich höher war als nach 48 Stunden, wurden ausgeschaltet oder 
wiederholt. 


Blutzucker. III. 241 


Größe der Restreduktion unter normalen Verhältnissen: 
Etwa 24stünd. Etwa 48stünd. Kor- 


Vergären Vergären rektur?) 
R! 8 0,006 0,007 0,0006 
0,0084 0,008 0,0015 
0,0088 0,0084 0,0028 

0,0030 0,0030 
EE EE 0,0024 0,0012 
Kaninchen . ......... 0,006 0,004 0,002 
0,003 0,001 

0,004 
Mensch 0,0046 0,0045 0,0015 


Von den obengenannten Proben sind einige Arterien-, 
andere Venenblutproben; die Tabelle enthält keine Angaben 
darüber, da spezielle Versuche dargetan haben, daß die 
beiden Blutarten keinen systematischen Unterschied der Rest- 
reduktion aufwiesen. 


Hund 
Gesamtreduktion Arterienblut. . . . 0,169 0,224 0,258 
Restreduktion Arterienblut . ... . 0,004 0,004 0,004 
Restreduktion Venenblut . . . . . . 0,004 0,005 0,005 


Hund. Restreduktion. 
Arterienblut . . . 0,005 0,005 0,004 0,004 0,002 0,004 0,003 0,003 
Venenblut. . 0,003 0,006 0,003 0,004 0,004 0,002 0,004 0,005 


Durchschnittliche Restreduktion in Arterienblut = 0,0038 
Durchschnittliche Restreduktion in Venenblut = 0,0040. 

Es ist bekannt, daß eine Reihe von Eingriffen bewirkt, 
daß das Reduktionsvermögen des Blutes zunimmt; dagegen 
war man nicht immer darüber im klaren, inwiefern man hier 
mit einer echten Hyperglykämie zu tun habe, oder ob nur die 
Größe der Restreduktion zunehme (Otto), ob sowohl die Rest- 
reduktion als die eigentliche Glucosemenge sich vermehre, und 
zwar in demselben Grade (Andersson), oder ob man ausschließ- 
lich mit einer Zunahme der Glucose zu tun habe. 

Diese Frage soll daher besonders untersucht werden. 

Wie Bang?) gezeigt hat (und wie im übrigen aus einer Reihe 
noch nicht veröffentlichter Untersuchungen über die ‚„Aderlaß- 


1) Gibt die Glucosekonzentration in einer Lockeschen Lösung 
nach 48stündigem Vergären an. 
2) Diese Zeitschr. 38—65. 1913 u. 1914. 


16 * 


242 R. Ege: 


hyperglykämie“ hervorgegangen ist), ruft der Aderlaß bei Ure- 
thannarkose eine ganz enorme Steigerung des Reduktionsver- 
mögens des Blutes hervor. In einem solchen Versuch habe ich 
untersucht, ob die Steigerung des Reduktionsvermögens ausschließ- 
lich von Glucose — oder wenigstens von vergärbarem Zucker — her- 
rührt, oder ob auch die Größe der Reduktion zugenommen hat. 
Versuch. Kaninchen 5kg, 5g Urethan. Carotiskanüle 


Gesamt- Restredukt. 
reduktion nach 48 St. 


l. Probe 2, nët, ee 3h15” 10 ccm 0,127 0,0050 
2. Probe `... 3545’ 10 ccm 0,185 0,0045 
3. Probeeee 420% 20 om 0,224 0,0043 
4. Probkreeee 4640’ 20 ccm 0,298 0,0042 
5. Probe . . ..... 53107 10 ccm 0,403 0,0050 


Ringersche Lösung, 0,2%, Glucose nach 48stünd. Vergären 0,0012. 


Der Versuch zeigt, daß die Restreduktion nicht zunimmt; 
die ganze Steigerung des Reduktionsvermögens rührt von ver- 
gärbarem Zucker her. 

Die durchschnittliche Restreduktion beträgt: 


unkorrigiert korrigiert 
0,0046 0,0034 
Ein Aderlaßversuch an einem Hund gab dasselbe Resultat: 
Vor dem Aderlasse Nach dem Aderlasse 
Gesamtreduktion Restreduktion Gesamtreduktion Restreduktion 
0,0% 0,004 0,146 0,0046 


(Durchschnitt von 4 Bestimmungen.) | | 


Das Hauptresultatsämtlicher Untersuchungen ist, 
daß die mit Mikro - Bang bestimmte Restreduktion des 
Blutes eine recht geringe Größe ist, zwischen 0,002 
und 0,009% schwankend,durchschnittlich 0,004—0,005%, 
und zwar ohne Korrektion für die noch nicht vergorene 
Glucose: der wahre Wert der Restreduktion liegt etwa 
0,001— 0,002% niedriger. 

Unter normalen Verhältnissen beträgt der nicht vergär- 
bare Teil der reduzierenden Stoffe des Blutes etwas unter 5% der 
Gesamtreduktion. 

Da diese Untersuchung als Einleitung zum Studium der 
Glucoseverteilung zwischen dem Plasma und den roten Blut- 
körperchen angestellt wurde, eine Untersuchung, die abgeschlossen 


Blutzucker. II. 243 


ist und bald publiziert werden wird, ist die Frage von der Verteilung 
der restreduzierenden Stoffe zwischen dem Plasma und den Blut- 
körperchen von besonderer Bedeutung; wie diese Verteilung sich 
gestaltet, geht aus dem folgenden Versuch hervor: 


Versuch: 70ccm Blutkörperchenbrei (Rind), etwa 10% Plasma 
+ 35 m Ringersche Lösung enthaltend. 


Vor dem Vergären (Korr. für Verd.) = 0,021%!) 

Nach 17stünd. Vergären = 0,011% 

Nach 36stünd. Vergären = 0,006% 
Plasma. 

Vor dem Vergären. . . 2.2.2200. = 0,160% 

Nach 17stünd. Vergären . . ...... = 0,0096% 

Nach 36stünd. Vergären . ....... = 0,0032% 
Restreduktion. Hund. 

Plaama aa = 0,002% 

Blutkörperchen = 0, 002% 24 st und. Vergären 

Kontroll flüssigkeit = 0,0002% 


Die restreduzierenden Stoffe finden sich also sowohl im 
Plasma wie in den Blutkörperchen; wenn die Konzentration 
auch in dem einen Versuch in den Blutkörperchen am größten 
ist, so ist die Größenordnung doch dieselbe. Dank der geringen 
absoluten Größe kann man daher bei Untersuchungen über die 
Verteilung der Glucose zwischen Plasma und Blutkörperchen, 
ohne merkbare Fehler zu begehen, von der Reduktion absehen 
und die gefundenen Reduktionswerte als für die Glucose maß- 
gebend benutzen, oder man kann die Glucosekonzentration durch 
Subtraktion von 0,005 von der Gesamtreduktion berechnen. 

Während die Restreduktion unter normalen Verhältnissen ver- 
schwindend klein ist, so klein, daß mansie in der Regel außer Betracht 
lassen kann, braucht dies bei verschiedenen pathologischen Ver- 
hältnissen nicht der Fall zu sein, wenn sie auch nicht die von 
Feigl angegebenen Werte erreicht. 


Versuch: Hund. 2,4kg. Nierenexstirpation. 3 Tage nach der Ope- 
ration wies eine Blutprobe folgende Reduktionswerte auf: 


Gesamtre duktion e 0, 115% 
Restreduktion nach 24 stünd. Vergären. . . . . 0,036% 
Restreduktion nach 48stünd. Vergä ren 0, 035% 


Das Tier starb 8 Stunden nach der letzten Probeentnahme. 


1) Wird noch für den Gehalt des Plasmas an reduzierenden Stoffen 
korrigiert, wird die Gesamtreduktion der Blutkörperchen zu 0,005% be- 
rechnet. 


244 R. Ege: 
Kaninchen. Nierenexstirpation. Probe 3 Tage danach. 


Gesamtreduktion . 2. 2.2. 2 222220000. 0,150% 
Restreduktion nach 24stünd. Vergären 0,028% 
Kontrollflüssigkeit nach 24stünd. Vergären . . . . 0,0017% 


Die Versuche zeigen, daß ½ — / vom Reduktionsvermögen 
des Blutes bei experimentell hervorgerufener Urämie von der 
Restreduktion herrührt: solche Zustände werden somit Pseudo- 
hyperglykämien veranlassen können. 


Die oben besprochenen Restreduktionsuntersuchungen be- 
sitzen natürlich nur absolute Gültigkeit bei Benutzung von Mikro- 
Bang; einige allgemeine Resultate ist man jedoch berechtigt 
aufzustellen, indem Feigl sicherlich recht hat, wenn er behauptet, 
daß die Restreduktion einigermaßen identisch ist bei Mikro- 
Bang und Makro-Bang, welche Behauptung durch einige Unter- 
suchungen über die mit Mikro-Bang und mit der neuen von Hage- 
dorn und Normann Jensen!) beschriebenen Kalium-Ferri- 
cyanidmethode bestimmte Restreduktion in Blut sowie in Harn 
erhärtet wird?). Es zeigte sich nämlich, daß die Restreduktion 
des Harns denselben durchschnittlichen Wert hatte bei Bestim- 
mung mit Mikro-Bang wie bei A. C. Andersens Bestimmung 
mit Makro-Bang?). 

- Da nun Makro-Bang eine größere Restreduktion ergeben 
hat als andere Methoden, nach denen quantitative Untersuchungen 
angestellt wurden, läßt sich daraus schließen, daß die Restreduk- 
tion nach den meisten Restreduktionsmethoden von derselben, 
ja evtl. von geringerer Größenordnung sein muß, als die in 
dieser Untersuchung nach Mikro-Bang gefundenen, und es läßt 
sich im allgemeinen behaupten, daß die Restreduktion des Blutes 
ganz außerordentlich klein ist. Andererseits muß man natürlich 
darauf gefaßt sein, Reduktionsmethoden zu finden, die eine größere 
Restreduktion ergaben als Mikro-Bang; eine solche Methode ist 
eben die obenerwähnte Kaliumferricyanidmethode, bei der die Rest- 
reduktion in Blut prozentisch größer ist alsnach Mikro-Bang, der ab- 
solute Unterschied unter normalen Verhältnissen ist aber sehr gering. 

Nachdem ich meine Untersuchungen über die Restreduktion 


1) Hagedorn und Normann Jensen, Ugeskrift for Laeger. 1918. 
2) Rich. Ege und Ove Rasmussen, Hospitalstidende 1919. 
3) Diese Zeitschr. 15. 1909. 


Blutzucker. III. 245 


des Blutes beendigt hatte, hat J. W. Best eine umfangreiche 
Untersuchung über dasselbe Thema veröffentlicht!), in der er 
zu einem ganz anderen Resultat kommt, indem er mittels einer 
Kupfersulfatmethode findet, daß ein sehr großer Teil der redu- 
zierenden Bestandteile des Blutes sich nicht vergären läßt. Er 
benutzte reinkultivierte Hefe verschiedener Sorten (Torula 
monosa, Saccharomyces cerevisiae und eine Lactosehefe). 

Die bei Benutzung einer dieser Hefesorten übrigbleibenden 
Substanzen bestehen hauptsächlich aus nicht vergärbaren Kohlen- 
hydraten unbekannter Zusammensetzung. 

Ich bezweifle diese Angaben jedoch stark, denn teils wider- 
sprechen meine Versuche, bei denen sich fast die ganze Reduk- 
tion durch Vergären mit gewöhnlicher Preßhefe entfernen 
ließ, teils gestatte ich mir zu behaupten, daß Best keine Garantie 
dafür hat, daß die Vergärung tatsächlich eine vollständige war; 
nach den Resultaten, zu denen ich bei Vergärungsversuchen inreinen 
Glucoselösungen gekommen bin, möchte ich a priori behaupten, 
daß dies unmöglich der Fall gewesen sein kann, da die Hefemengen 
— Best benutzt eine ‚Platinöse‘‘ Hefekultur zu 150 ccm Lösung — 
viel zu klein sind. 


Zusammenfassung. 


I. Soll eine Vergärungsuntersuchung zuverlässige Aufschlüsse 
über die Menge von nicht gärungsfähigen reduzierenden Stoffen 
ergeben, so muß 

l. die Eigenreduktion der Hefe bestimmt und 

2. die Vergärungsfähigkeit der Hefe kontrolliert werden. 

II. Die Restreduktion ist von der benutzten Reduktions- 
methode abhängig. 

III. Die Restreduktion ist bei Anwendung von Bangs 
Mikromethode ganz außerordentlich gering (0,000— 0,008). 

IV. Die Restreduktion in Blutkörperchen und Plasma ist 
von derselben Größenordnung. 

V. Die Restreduktion ist die gleiche in arteriellem und in 
venösem Blut. 


1) J. W. Best, Over de suikers van het bloed. Onde: zoekingen 
gedaan in het Physiol. Laboratorium, Utrecht. 1918. 


Zur Frage der Permeabilität der Blutkörperchen gegen- 
über Glucose und Anelektrolyten. 


Von 
Rich. Ege. 


(Aus dem physiologischen Institut der Universität Kopenhagen.) 


(Eingegangen am 1. Mai 1920.) 


In dieser Zeitschrift 100, 1919, haben W. Falta undM. Rich- 
ter- Quittner, sich auf ein sehr reiches Analysenmaterial stüt- 
zend, dessen angegebene Genauigkeit eine ungemein große ist, 
behauptet, daß die früheren Untersuchungen über die Verteilung 
von Stoffen zwischen Blutkörperchen und Plasma nicht für das 
zirkulierende Blut zutreffen; Falta und Richter- Quittner 
finden nämlich, daß die Blutkörperchen von Hirudinblut weder 
Chlorionen (noch sonstige Elektrolyten) noch Glucose enthalten; 
wenn andere Forscher gefunden haben, daß die Blutkörperchen 
Elektrolyten enthalten, und daß wenigstens die Menschenblut- 
körperchen auch Glucose enthalten, sollte dies nur von Blut- 
körperchen gelten, die durch Zusatz von Kaliumoxalat, Natrium- 
fluorid oder durch Defibrinieren geschädigt worden wären. 

Da ich eben eine Untersuchung über das osmotische Ver- 
halten der Blutkörperchen und der Durchlässigkeit des Blut- 
körperchenhäutchens für verschiedene Stoffe (spez. Anionen und 
Glucose) abgeschlossen hatte, war ich genötigt, Falta und Rich- 
ter- Quittners Resultate einer näheren Nachprüfung zu anter- 
` werfen. Es ergab sich dadurch, daß die Behauptung dieser For- 
scher gar nicht zutrifft. 

Bestimmt man die Verteilung der Glucose zwischen Blut- 
körperchen und Plasma im Menschenblut, das in Hirudin entleert 
worden ist (ich arbeitete mit derselben Menge und demselben 
Hirudinpräparat wie Falta und Richter- Quittner), so findet 
man, daß die Blutkörperchen eine Glucosenmenge von etwa 70% 


R. Ege: Permealität der Blutkörperchen gegenüber Glucose usw. 247 


von der des Plasmas enthalten. An Kaninchenblut gelang es mir 
durch ein schnelles Zentrifugieren des unbehandelten Blutes, eine 
quantitative Scheidung von Plasma und Blutkörperchen zu er- 
zielen. Diese Probe muß somit sehr nahezu dem strömenden 
Blut entsprechen, während sich dies eigentlich nicht vom Hirudin- 
blut behaupten läßt. Die Chlormenge der Blutkörperchen betrug 
67%, von der des Plasmas. 

Ganz dieselben Resultate hatte ich früher für Oxalat- (0,1%), 
Fluorid- (0,2%) und für defibriniertes Blut gefunden, weshalb 
ich mich berechtigt glaube, die Richtigkeit und Allgemeingültig- 
keit meiner” Resultate zu behaupten. 

Die Resultate meiner Versuche), die später in ausführlichem 
Umfang veröffentlicht werden sollen, waren u. a., daß 1. die Blut- 
körperchen diffusible Elektrolyten enthalten; 2. Die Anionen 
dringen durch das Häutchen der Blutkörperchen mit einer Ge- 
schwindigkeit, die teilweise vom Ionengewicht abhängig ist. (Setzen 
wir die Geschwindigkeit für SO: = 1, so erhalten wir für andere 
Ionen die folgende Geschwindigkeiten: HPO! = 2; NO; = 10; 
COg = 20; CI” = 30); 3. Die roten Blutkörperchen des Kanin- 
chens, der Ziege, des Rindes und des Hundes sind impermeabel 
für Glucose, dagegen sind die des Menschen permeabel für Glucose. 
Die Verhältnisse sind jedoch nicht so einfach, wie Masin g und 
Kozawa meinen, indem die Glucose teils in der Membranphase 
absorbiert wird, teils ganz langsam in die Blutkörperchen hinein- 
dringt. d 

1) Rich. Ege, Studier over Glukosens Fordeling mellem Plasmaet og 
de røde Blodlegemer og nogle dermed beslægtede Problemer (Studien über 


die Verteilung der Glucose zwischen Plasma und roten Blutkörperchen und 
einige hiermit verwandte Probleme [1—205)]). Diss. København 1919—20. 


Einige Bemerkungen über die Verteilung der Glucose 
‚ zwischen Blutkörperchen und Plasma. 


Von 


H. C. Hagedorn. 


(Aus der medizinischen Universitätsklinik Kopenhagen 
[Prof. Dr. Kn. Fa be rl.) 


(Eingegangen am 1. Mas 1920.) 


Als ich vor einigen Jahren gemeinschaftlich mit Herrn Nor- 
man Jensen eine Mikromethode zur Blutzuckerbestimmung aus- 
arbeitete !), hatte ich bei den systematischen Untersuchungen über 
die Fehlerquellen auch darauf zu achten, inwiefern eine kleine, 
bei der Probeentnahme entstandene Inhomogenität im Verhältnis 
Blutkörperchen: Blutplasmaeinen Analysenfehler bedingen konnte. 
Deshalb kamen mehrere Proben von Oxalatblut und Plasma sowie 
Blut und Serum zur Analyse, wobei ein größerer Gehalt an 
Glukose im Plasma gefunden wurde. Die Unterschiede waren 
aber recht kleine, so daß man also annehmen mußte, daß im Blut- 
körperchen eine erhebliche Menge von Glucose vorkäme. 

Zunächst haben W. Falta und M. Richter- Quittner?) 
einige Untersuchungen mitgeteilt, aus welchen hervorzugehen 
schien, daß die Blutkörperchen im zirkulierenden Blut oder 
Hirudinblut keine Glucose enthalten sollen. Hier sollen nun einige 
Analysen von Hirudinblut und Plasma, die die Anwesenheit der 
Glucose in Blutkörperchen feststellen, veröffentlicht werden. 

Das Blut ist durch Punktion der Vena mediana cubiti gewon- 
nen, in ein Zentrifugengläschen mit Hirudin aufgefangen und so- 
gleich nach Mischung und Probeentnahme zentrifugiert worden. 
Die Glucose ist durch die genannte Mikromethode, deren Prinzip 


1) Bisher nur in Ugeskrift for Laeger 1918 veröffentlicht: Om kvanti- 
tativ Bestemmelse af minimale Glucosemaengder saerlig i Blod.. 
2) W. Falta und M. Richter-Quittner, diese Zeitschr. 100. 1919. 


H.C. Hagedorn: Verteilung d. Glucose zwischen Blutkörp. u. Plasma. 249 


sich auf die Reduktion des Ferricyanids in Ferrocyanid stützt, 
bestimmt, das Ferricyanid jodometrisch titriert, und es ist für 
jede Analyse O, 1 com Blut verwendet worden. 


Glucose % 
Blut- Häma- 

| Ee a tokrit BIP 

Normaler Mann 0,087 0,105 0,068 50,0 64 
0,087 0,107 

Normaler Mann. Nüchtern. 0,067 0,076 0,055 42, 5 12 

0,068 0,077 P 

Normaler Mann. Nüchtern . 0, 107 0, 117 0,0986 49, 5 81 
0,107 0, 119 

Derselbe, 40 Min. nach Eingabe 0,165 0,173 0,156 49,5 91 
von 50 g Glucose 0,163 0,169 

Pat. mit leichtem Diabetes. 0,139 0, 151 0,123 47, 0 80 
Nüchtern ‚ 0,155 

Derselbe, 50 Min. nach Eingabe 0,237 0,257 0,216 47,0 84 
von 40 g Glucose 0,238 O, 258 


Die Blutkörperchenwerte sind mittels der Glucosekonzen- 
tration des Blutes und des Plasmas unter Berücksichtigung des 
Blutkörperchen volumens berechnet. 


Über die Verteilung der Reststickstoffkörper auf Plasma 
und Körperchen im strömenden Blute. 


Von 
kb K. L. Gad Andresen. 


(Aus dem zoophysiologischen Laboratorium der Universität Kopenhagen.) 
(Eingegangen am 1. Mas 1920.) 


In dieser Zeitschrift 100, 1919, haben W. Falta und M. Rich- 
ter- Quittner eine Arbeit über die Verteilung des Zuckers, der 
Chloride und der Reststickstoffkörper auf Plasma und Körperchen 
im strömenden Blute veröffentlicht. Die Resultate, die sie erhalten 
haben, gehen darauf hinaus, daß weder Zucker noch freie Chloride, 
noch Reststickstoffkörper in diffusibler Form in den Blutkörper- 
chen zu finden sind, wenn man das Blut mit Hirudin flüssig hält oder 
nach Defibrinierung sofort untersucht, sondern daß diese Bestand- 
teile ausschließlich im Plasma vorkommen. 

Da der Harnstoff einen wesentlichen Teil des Reststickstoffes 
ausmacht, will ich, durch jene Arbeit veranlaßt, eine vorläufige 
Mitteilung über eine Untersuchung machen, die ich über die Ver- 
teilung des Harnstoffes auf Plasma und Blutkörperchen angestellt 
habe. Die Bestimmung ist teils an Menschenblut und teils an 
. waärmblütigen wie auch kaltblütigen Tieren gemacht worden. Bei 
den meisten Bestimmungen habe ich Oxalatblut (1 g oxalsaures 
Kali auf 1000 cem Blut und nicht, wie Falta und Richter- 
Quittner, Ig oxalsaures Natron auf 100 ccm Blut) verwendet. 
Gleichzeitig habe ich einzelne Bestimmungen an defibriniertem 
Blut sowie nach der Angabe von Faltaund Richter- Quittner 
durch Hinzusetzen von Hirudin zum Blute gemacht, und zwar 
unmittelbar nachdem dieses einer Vene entnommen war. 

Bei allen Bestimmungen habe ich gefunden, daß die Blut- 
körperchen Harnstoff enthielten, nämlich ca. 80% der im Plasma 
enthaltenen Menge, wenn man die Harnstoffmenge pr. 100 ccm 


K. L. Gad Andresen: Verteilung der Rest-N-Körper auf Plasma usw. 251 


Blutkörperchen resp. 100 ccm Plasma berechnet. Außerdem habe 
ich die Verteilung des Harnstoffes zwischen Ringerscher Flüssig- 
keit und Blutkörperchen bestimmt, wo ich dieselbe' Verteilung 
wie zwischen Plasma und Blutkörperchen fand. Gleichzeitig habe 
ich vergleichende Bestimmungen über Harnstoffkonzentrationen 
im Blut und verschiedenen Sekreten und Organen angestellt, wobei 
ich nie höhere, aber bisweilen niedrigere Harnstoffkonzentrationen 
als im entsprechenden Blute fand, welches in hohem Grade dafür 
zeugt, daß Harnstoff nicht ausschließlich im Plasma des strömen- 
den Blutes vorkommt. 


Einige Bemerkungen über die Verteilung von Anionen 
zwischen Blutkörpern und Plasma. 


D 


Von 
E. J. Warburg. 


(Aus dem Laboratorium von Finsens med. Lichtinstitut, Kopenhagen [Direk- 
tor: Dr. med. Carl Sonnel) 


(Eingegangen am 13. Mai 1920.) 


In der Biochemischen Zeitschrift 100, 148, 1919, haben 
W. Falta und M. Richter- Quittner ein bedeutendes Ver- 
suchsmaterial veröffentlicht. Sie geben u.a. an, daß alles Chlorid 
im Blut, welches mit Hirudin inkoagulabel gemacht ist, im Plasma 
vorhanden ist, während ein großer Teil der Chloriden im defibri- 
nierten Blut und im Oxalat- und Fluoridblut in den Blutkörper- 
chen gefunden werden, solcherweise, daß man eine Wanderung 
der Cl vom Plasma zu den Blutkörpern vermuten muß, wenn das 
Blut auf die letztere Art behandelt wird. Da wir im hiesigen La- 
boratorium mehrere Jahre lang mit Untersuchungen über die 
Gesetze für die Verteilung der Ionen zwischen Blutkörperchen und 
Serum im defibrinierten Blut beschäftigt gewesen sind, haben wir 
Faltas und Richter- Quittners Versuche einer Nachprüfung 
unterworfen und finden es des lebhaften Interesses wegen, welches 
die Frage erwecken kann, zweckmäßig, eine vorläufige Mitteilung 
über diese Verhältnisse zu geben; ein ausführlicherer Bericht über 
die Verhältnisse im defibrinierten Blut wird bald erscheinen. Wir 
können aber gleich feststellen, daß wir, im Gegensatz zu 
Falta und Richter- Quittner, ganz die gleiche Vertei- 
lung von Cl und HCO, im Hirudinblut wie im defibrinier- 
ten Blut gefunden haben. 


Bemerkung ü. d. Verteilung v. Anionen zwischen Blutkörp. u. Plasma. 253 


Versuch I. Pferdeblut, hinzugesetzt 3 cg Hirudin zu 100 ccm 
Blut, ½/ Stunde mit 19,4 mm HgCO, e 


Hämatokrit - gramm Vol.-% CO, 8 S 


äquivalente äquivalente 
zahl Cl in 1000 eem bunden HCO in 100000m 
Plasma 108 59,4 26, 6 
Blut. 42,0 —43, 0 82 48,6 21,6 
Blutkörpergrütze 77,0—77,0 63 37,9 16,9 
Cl in Blutkörperchen 


3 LI suchen = 0,44 Bl 
a a Plana von Blut und Plasma 


Cli Blutkörperchen == 0,46 von Blutkörpergrütze und Plasma 
Cl in Plasma 

HCO, in Blutkörperchen 

HC, in Plasma 

HCO, in Blutkörperchen 


C, in Plasma 


= 0,57 von Blut und Plasma 


= 0,53 von Blutkörpergrütze und Plasma 


Versuch II. Dasselbe Blut mit 744,2 mm Hg CO, gesättigt. 
Hämatokrit. Milligramm- Vol.-% CO, Milligramm- 


aquivalente äquivalente 
hl ` ois 1000 cem gebunden HCO, in 1000 om 

Plana 92 127,4 57,0 
Blut 46,0—46, 5 82 122,4 54,8 
Blutkörpergrütze 77,5—78,5 75 116,4 52,1 
9 i dee = 0,78 von Blut und Plasma 

Cl in Plasma 
Cl in Blutkörperchen 0,77 von Blutkörpergrütze und Plasma 

Cl in Plasma 
FFF = 0,92 von Blut und Plasma 

HCO, in Plasma 


HCO, in Blutkörperchen 


= 0,89 Blutkö it d Plas 
HCO, in Plasma von Blutkörpergrütze un ma 


Versuch III. Dasselbe Pferdeblut defibriniert, 24 Stunden 
lang auf Eis aufbewahrt und mit 15,0 mm Hg CO, gesättigt. 
Hämatokritzahl Milligrammäquival. Cl in 1000 om 


Serum. cu. Ae a er e re ee A e e 107 
Blut 42,0 — 42,0 82 
Blutkörpergrütze . . 75,0 — 75, 0 60 
Cl in Blutkörperchen = 0,44 von Blut und Serum 


Cl ım Serum 
C in EE 
Cl im Serum 


A 


0,49 von Blutkörpergrütze und Serum 


254 E. J. Warburg: 


Versuch IV. Dasselbe Blut mit 741,5 mm Hg CO, gesättigt. 
Hämatokritzahl Milligrammäquival. Cl in 1000 cem 


S/ ⁵ ee a a ae 92 
Blut #5 & 2:2 2.05% 47,5—47,5 82 
Blutkörpergrütze . . 72,0—73,0 73 


33 = 0,78 von Blut und Serum 
Cl im Serum 

Cl in Blutkörperchen 
Cl im Serum 


Die Verteilung von Bicarbonat mußte früheren Untersuchungen ent- 
sprechend in Versuch 3: 0,55 und in Versuch 4: 0,86 sein. 


= 0,72 von Blutkörpergrütze und Serum 


Ferner haben wir einige Proben von Menschenblut, dem Hiru- 
din beigesetzt war, untersucht und haben hier große Mengen Cl 
in den Blutkörperchen ‚gefunden; hier kann z. B. angeführt wer- 
den, daß wir bei Zentrifugierung gleich nach der Blutentleerung 
eine Cl-Verteilung von 0,53 vorfanden. 

Die CO, Bestimmungen sind durch Auspumpen mit der 
Quecksilberpumpe und die Analyse im Pettersonapparat vorge- 
nommen worden. Die Cl-Bestimmungen sind nach Bang gemacht, 
indem wir aber 1 cem zur Ausfällung nahmen und in Mengen 
O, 2 cem entsprechend titrierten; dies geschah bequemlichkeits- 
halber und es läßt sich nicht erwarten, daß dadurch größere Ge- 
nauigkeit erlangt werden konnte, weil man dadurch eine von 
Richter - Quittner behauptete Inhomogenität in kolloiden Auf- 
lösungen vermeiden sollte. | 

Richter- Quittner hat in der Biochemischen Zeitschrift, 
Bd. 96, S. 92, 1919, mehrere vorhandene Mikromethoden mit der 
Motivierung modifiziert, daß kolloide Auflösungen so inhomogen 
sind, daß man sich nicht damit begnügen kann, O, I cem zur Ana- 
lyse zu nehmen, sondern lieber 3 ccm nehmen müßte; ein einfacher 
Rechnungsüberschlag wird zeigen, daß dies nicht richtig ist. 

Laßt uns zuerst das Serum betrachten; dies enthält ca. 7,5% 
Proteine, laßt die Molekülzahl der Proteine 73000 sein und die 
Avogadrozahl 6 - 1028 in 0,l cem wird dann sein 


6.103 
104.104 


In Blut mit 5. 106 Blutkörperchen pr. Kubikmillimeter 
werden in 0,l ccm 5 - 108 Blutkörperchen sein, es versteht sich 


= 6. 1018 Partikeln Protein. 


Bemerkung ü. d. Verteilung v. Anionen zwischen Blutkörp. u. Plasma. 255 


von selbst, daß hier keine Rede sein kann von Inhomogenität im 
Richter - Quittnerschen Sinne. | 

Zum Schluß möchten wir nur darauf aufmerksam machen, 
daß Richter- Quittner selbst im Jahre 1918 in der Biochem. 
Zeitschr., Bd. 95, S. 202, Analysen mitgeteilt hat, die zeigen, daß 
das Plasma dieselbe Menge Chlorid wie auch dieselbe Menge Rest-N 
enthält, ob es aus Hirudinblut oder Oxalat-Fluorid- und Citrat- 
blut gewonnen wird. Die Genauigkeit der erwähnten Analysen 
scheint sehr groß zu sein, und es ist erstaunlich, daß die Über- 
einstimmung zwischen den Chloriden so gut ist, da ja die Verteilung 
zwischen Blutkörpern und Plasma von der Kohlensäurespannung 
während der Zentrifugierung abhängig ist. 

Richter- Quittner hat selbst nicht auf die mangelnde 
Übereinstimmung zwischen den früheren und später mitgeteilten 
Resultaten aufmerksam gemacht, und auch wir wollen gerne 
davon absehen, eine Erklärung zu geben. 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 17 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter 7 


Von 
Dr. Schweitzer. 


(Aus der Experimentell-biologischen Abteilung des Pathologischen Institute 
der Universität Berlin.) 


(Eingegangen am 1. Mai 1920.) 


In seiner Arbeit „Physiologische und klinische Unter- 
suchungen über die Magensaftsekretion“ zeigte Ehr mann!), 
daß gewisse Eiweißabbauprodukte, und darunter auch einige 
Aminosäuren, keinen secretinartigen Charakter haben, d.h. er 
stellte fest, daß diese Körper nach ihrer intravenösen oder sub- 
cutanen Injektion bei einem nach der Bickelschen Methode 
ganz oder nach der Heidenhainschen Art teilweise seiner extra- 
gastralen Nerven beraubten fundalen Magenblindsack des Hundes. 
an eben diesem Blindsack keine Sekretion hervorrufen. Ehr- 
mann prüfte in dieser Weise das Pepton (Witte), das Natrium 
nucleinicum (Boehringer), das Sarkosin (Kahlbaum), ferner 
Kreatinin, Alanin, Glykokoll. Andererseits war von Eisen- 
hardt?), Bickel®) und mir festgestellt worden, daß es Amino- 
säurengemische gibt, die zweifellos einen mehr oder minder 
stark secretinartigen Charakter besitzen. Zu diesen Gemischen 
gehört vor allem dasjenige, das durch die Säurehydrolyse des. 
Spinats gewonnen wird, ferner ein Gemisch, das durch die Säure- 
hydrolyse des im Handel erhältlichen Ereptons, angeblich eines. 
auf fermentativem Wege erhaltenen Fleischeiweißabbauproduktes, 
gewonnen wird, endlich gehört zu diesen Aminosäurengemischen 
die Muttersubstanz der ebenfalls im Handel erhältlichen Maggi- 
schen Suppenwürze (Würzepaste). 

Bei diesen widerspruchsvollen Ergebnissen war es nun 
zweifellos von Interesse, einmal die Frage zu entscheiden, ob- 
der secretinartige Charakter eines Aminosäurengemisches eine 
Ausnahme bei solchen Gemischen verschiedener Provenienz ist, 


Schweitzer: Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 257 


oder ob im Gegenteil die Ausnahme darin gesucht werden muß, 
daß einem solchen Gemisch der secretinartige Charakter fehlt, 
Gleichzeitig war es wünschenswert, auch noch reine Amino- 
säuren auf ihren secretinartigen Charakter hin zu prüfen. Denn 
wenn sich ergab, daß reine Aminosäuren oder Aminosäuren- 
gemische verschiedener Provenienz gewöhnlich keinen Secretin- 
charakter haben, so war damit die Annahme überaus wahrschein- 
lich geworden, daß der Secretincharakter in Aminosäurengemischen 
durch Substanzen erzeugt wird, die bei dem hydrolytischen Ab- 
bau und Aufschluß der Muttersubstanzen nicht ohne weiteres 
durch einen solchen Prozeß erzeugt werden. Entweder sind den 
Muttersubstanzen — von vornherein — Secretinkörper bei- 
gemischt, die durch die Hydrolyse in Freiheit gesetzt werden, 
oder aber es erfährt der Abbau durch besondere Eingriffe eine 
bestimmte, ungewöhnliche Richtung, so daß Spaltungen mit 
secretinartigem Charakter entstehen, die bei der gewöhnlichen 
Hydrolyse der meisten solcher Muttersubstanzen nicht erzeugt 
werden.*) 

Wenn nun auch der Secretincharakter der Aminosäuren 
noch ungeklärt war, so war doch auf der anderen Seite durch 
Bickel?) festgestellt worden, daß jedes Aminosäurengemisch 
verschiedenster Provenienz, das durch Säurehydrolyse aus Eiweiß 
gewonnen wurde, nach seiner Einführung per os in den Magen 
auf dem nervösen, reflektorischen Wege eine Sekretion auszu- 
lösen imstande ist. Diese Aminosäurengemische sind also sämt- 
lich Erreger für die nervösen Apparate der Magendrüsen. Rhein- 
bold ts) hatte das zuerst für die Maggische Suppenwürze nach- 
gewiesen’und in gewissem Sinne gehört auch vielleicht in diese 
Reihe der Nachweis von Pawlow und Sasaki über die erregende 
Wirkung des Fleischextraktes. 

Die Methodik, deren ich mich nun zur Prüfung der Frage 
bediente, ob bestimmte Aminosäuren oder Aminosäurengemische 
Secretincharakter haben, war folgende. | 

Wenn man einem Hunde mit einem aller extragastralen 

*) Im Jahre 1917 hat Bickel mitgeteilt, daß er über eine Methode 
verfügt, durch die er Aminosäurengemischen, die von Hause aus keinen 
Secretincharakter haben, den Secretincharakter verleihen kann. Er zwingt 
dabei das Eiweißmolekül, einen anderen Weg beim Abbau einzuschlagen, 
als er bei der Säurehydrolyse beschritten wird. (Berl. klin. Wochenschr. 


1917.) 
17 


258 Schweitzer: 


Nerven beraubten Bic kel schen Magenblindsack eine Substanz 
in den großen Magen eingießt, und wenn sich dann eine Sekretion 
in dem kleinen Magen einstellt, so kann diese Sekretion nur in 
der Weise ausgelöst werden, daß entweder die eingeführte Sub- 
stanz resorbiert und durch das Blut den Drüsen des kleinen 
Magens zugeführt wird und diese anregt, oder daß die Schleim- 
haut des großen Magens durch die Zufuhr der genannten Sub- 
stanzen zunächst auf dem Wege eines nervösen Reflexes. zur 
Arbeit getrieben wird, daß dabei der Pylorus Secretin produ- 
ziert, daa nach seiner Resorption den kleinen Magen wieder auf 
dem Blutwege beeinflußt; endlich ist es möglich, daß beide Fak- 
toren nebeneinander hergehen. 

Auch dann, wenn nach der intravenösen oder der subcutanen 
Zufuhr eine Sekretion im nervenlosen Magenblindsack auftritt, 
ist eine Intervention des von der Schleimhaut des großen Magens 
stammenden Secretins nicht auszuschließen. In jedem Fall aber 
kann man beim negativen Ausfall der nach der einen oder anderen 
Anordnung angestellten Versuche den Schluß ziehen, daß die 
eingeführten Substanzen nach ihrer Resorption, vorausgesetzt 
daß sie resorbiert werden, auf dem Weg über die Blutbahn keine 
direkte Reizung der Drüsen bewirken können, daß sie also keinen 
secretinartigen Charakter haben. 

Die Aminosäuren wurden im allgemeinen in der Weise her- 
gestellt, daß eine bestimmte Menge der Grundsubstanz mit dem 
2—6fachen Volumen rauchender HCl einige Zeit auf dem Wasser- 
bade gelöst und dann während 6 Stunden am Rückflußkühler 
gekocht wurde. Die mit Wasser verdünnte, filtrierte braune 
Flüssigkeit wurde dann im Vakuum unter wiederholtem Zusatz 
von Wasser solange destilliert, bis eine Prüfung auf Chlor mit 
Silbernitrat keine Trübung mehr ergab; und die Biuretprobe 
mußte, um Polypeptide ausschließen zu können, negativ aus- 
fallen. Bei der schließlich auf 200 cem eingeengten Flüssigkeit 
wurde der N-Gehalt, bei der Mehrzahl der Aminosäuren auch 
der NaCl-Gehalt bestimmt. 

Es ist natürlich möglich, daß, wie aus den Arbeiten von 
Thomas B. Osborne und H. H. Guest*) hervorgeht, das 
prozentische Verhältnis der einzelnen Aminosäuren zueinander 


- *) Untersuchung der bei der Hydrolyse von Weizengliadin entstehen- 
den Produkte. Journ. of Biol. Chem. 9, 425—438. 1911. 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 259 


in einem Gemisch, das nah derselben Ursprungssubstanz stammt, 
ein anderes ist, je nachdem, ob man den hydrolytischen Prozeß 
längere oder kürzere Zeit dauern läßt. Hiervon wird es abhängen, 
ob die Bildung der einen oder anderen Aminosäure in dem Ge- 
misch ein Optimum erreicht. Dieses Moment habe ich berück- 
sichtigt, indem ich einige Substanzen länger als 6 Stunden, sogar 
bis zu 80 Stunden mit Salzsäure kochte. 

Ich untersuchte die Wirkung der Aminosäuren jn drei Appli- 
kationsweisen: I. bei intragastraler, 2. bei intravenöser, 3. bei 
subcutaner Einführung. Die Versuche wurden an Hunden aus- 
geführt, von denen dem einen ein nervenloser Magenblindsack 
nach Bickel, zwei anderen ein partiell entnervter nach Heiden- 
hain angelegt war. 

Bei der Gabe per os wurde eine Menge eines Aminosäuren- 
gemisches verabfolgt, die, aus dem N-Gehalt berechnet, einem 
Eiweißgehalt von 6g entsprach; der NaCl-Gehalt schwankte 
zwischen 0,5 und 2 g; diese Menge wurde neutralisiert, in 100 ccm 
Wasser gelöst und mit der Schlundsonde eingegeben. Vorher 
war die Magensaftsekretionskurve des nüchternen Hundes auf- 
gezeichnet worden; alle 30 Minuten erfolgte die Entnahme und 
Messung des aus der Fistel secernierten Magensaftes, und zwar 
so lange, bis nach Eingabe der zu untersuchenden Substanzen 
die Menge des secernierten Magensaftes zu den Werten im nüch- 
ternen Zustand zurückgekehrt war. Es sei hier bemerkt, daß 
die nach der Bickelschen oder Heidenhainschen Methode 
operierten Magenblindsackhunde eine kontinuierliche Sekretion 
erkennen lassen, durch die also auch bei leerer Höhle des großen 
Magens, d.h. im nüchternen Zustande, die Saftabscheidung nie 
ganz zum Stillstand kommt. | 

Bei der intravenösen und subcutanen Einführung wurden 
Mengen von Aminosäuren gegeben, die 3 g Eiweiß entsprachen. 
Die Entnabme des Magensaftes und die Aufstellung der Sekretions- 
kurve erfolgte hier in derselben Weise wie oben. 

In allen Fällen wurden (ie Versuche zur Kontrolle des öfteren 
wiederholt, in einzelnen Fällen Kontrollversuche mit Kochsalz- 
lösungen in den den Aminosäurengemischen entsprechenden 
Konzentrationen angesetzt. Die zu den Versuchen verwendeten, 
durch Salzsäurehydrolyse gewonnenen Aminosäurengemische 
waren folgende: 


260 


Schweitzer: 


. Hydrolysiertes Glidin (1a) Kochdaner bei der Hydrolyse 80 Stunden. 
. Hydrolysiertes Casein. 

. Hydrolysierte Weizenkörner. 

. Hydrolysierte, gekeimte Weizenkörner. 


Hydrolysiertes Heu. 


O 9 A N ge d 


. Hydrolysiertes Rindfleisch. 
. Hydrolysiertes, vorher fermentativ peptonisiertes Rindfleisch. 
. Hydrolysierte, vorher autolysierte Leber. 

. Hydrolysierter Fisch. 


10. Glutaminsäure (Kahlbaum). 
11. Glutaminsaures Chlorhydrat. 
12. Hydrolysierter Spinat. 

13. Hydrolysiertes Erepton. 

14. Maggische Würzenpaste. 


A. Versuche bei peroraler Verabreichung der Aminosäurengemische. 
L Hund J (mit nervenlosem Magenblindsack nach Bick el). 


Zeit. Magensaftmenge. 
95 30—10» J 
wm Ion 30“ nüchtern 3, 9 ccm 
10h 30° Leberhydrolysat (8) 
10h 30°— 11 2,5 
III III 30° 5, 6 
11h 30° — 12h W 
12 —12b 30 1,0 
12h 30 Caseinhydrolysat (2) 
12h 20: — 1h 3,6 | 
In I 30 2.7 
1h 30°—2h 3,3 „oem 
2h —2h 30“ 0,3 
2. Hund I. 
Zeit. Magensaftmenge 
Qh 45°— 108 15“ nüchtern 0,4 ccm 
10h 15’ Fleischhydrolysat (6) 
10h 15 — 10h 45’ 0,9 i 11855 
10h 45 — 11 15“ | 0,21 7 
11h 15° Fleischhydrolysat (7) 
11h 15°— 115 45° 0,1 
115 45°—12h 15’ 2,2 4.9 cc 
12h 15,.— 125 45 Sat "E 
12h 45° — 1h 15° 0,3 


1h 15° 
In 15°—1h 45° 
1h 45 — 2h 15’ 


100 ccm einer 1 proz. NaCl-Lösung 


0,2 
0.4 0,6 ccm 


— — 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 


3. Hund L 
Zeit 

9h 30’— 11 
115 10 — 112 20° 
11e 20 — 11h 30’ 
UIR 30 — 11 40’ 
11? 40 — 11h 50˙ 
11h 50 — 12h 
122 — 12 10’ 
12h 10 — 12h 30“ 
12 30’ 
12h 30 — 12h 50’ 
120 50°— 1è 16’ 

In 10 — 1 36° 

In 30 — Ih 50 

1b 50 — 2 10’ 

4. Hund J. 
Zeit. 

10t 10 — 10h 30’ 
10h 30 — 11h 
UR 
II Dh 30’ 
11 30’ —12 
12h _-12h 30’ 
12h 30’ —ıh 


nüchtern 
Fischhydrolysat (9) 


Caseinhydrolysat (2) 


} nüchtern 


Weizenhydrolysat (3) 


261 


Magensaftmenge. 


1,8 ccm 
0,3 
0,5 


.0,4 


0,1: 
0,2 
0,1 
0,4 


2, O ccm 


0,3 
1,2 
0,1 
0,4 
0,3 


2,3 ccm 


Magensaftmenge. 


0,2 ccm 


0,6 
1,7 
0,8 
0,4 


3,5 ccm 


5. Hund II (mit partiell entnervtem Magenblindsack nach Haiden: 


hain.) 
Zeit. 

10h — 10h 30’ 
10h 30° 

10h 30 —ı1h 
IIn III 30° 
11 30 — 12h 
12h — 2B 30’ 


nüchtern 
Glidin (1) 


Magensaftmenge. 


1, 2 ccm 


5,0 cem 


Anhang zur Gruppe A. 


6. Hund I*). 
| Zeit. 
10 — 10h 30° 
10h 30° 
10h 30 — 11 
llh —-11n 30 
11h 30 — 12 


nüchtern 
Spinathydrolysat (12) 


Magensaftmenge. 


0,2 


0,2 
0,5 | 1,0 ccm 
0,3 


*) Ein entsprechender Versuch an dem Hunde II mit Heidenhain- 


schem Blindsack hatte 


dasselbe Ergebnis. 


262 Schweitzer: 


7. Hund L 
Zeit. Magensaftmenge. 
10h — 10h 30’ 0,8 ccm e 
100 30°— 11% ann 0,8 ccm 
118 Würzenpaste (14) 
111 III 30’ 1.8 
-11 30 — 12h 2,3 En 
12 — 125 30’ 1,34 
12h 30 — 1 0.2 


Resultat: Nach der peroralen, Zufuhr von Aminosäuren- 
gemischen in den großen Magen wird in dem nervös isolierten 
Magenblindsack in der Regel eine schwache Sekretion ausgelöst, 
die wohl auf die Bildung und Resorption von Magensecretin 
und dessen Einwirkung auf den Blindsack von der Blutbahn 
aus zu beziehen ist. 


Daß obendrein mit den Aminosäurengemischen noch be- 
sondere Secretinstoffe zugeführt, resorbiert und in Wirkung ge- 
treten wären, dafür geben höchstens die Versuche mit dem 
Leberhydrolysat (8) und der Maggischen Würzenpaste (14) einen 
gewissen Anhalt. Der Versuch mit dem Spinathydrolysat be- 
weist, daß die in diesem Hydrolysat enthaltenen Secretine ent- 
weder überhaupt nicht resorbiert oder nach ihrer Resorption in 
der Leber festgehalten werden, jedenfalls nicht zur Wirkung auf 
den Magenblindsack kommen. 


B. Versuche mit intra venöser Verabreichung der Aminosäurengemische. 


8. Hund I. 
Zeit. l Magensaftmenge. 
10h 5° | 0,0 
10h 35’ 1,9 
PR nüchtern | 0,5 7,4 ccm 
12h 350 i 5,0 
125 a Hydrolysiertes Glidin (1) = 0,7 g NaCl enthaltend 
12h 35° l 3,5 
In 5“ 0, 5 4,6 ccm 
In 35 0,6 
20 25“ 15 cem hydrolysiertes Casein (2) = 0,9 g NaCl enthaltend 
2h 55 0,4 
Zu 25° 1,5 2,1 ccm 
Zn 55’ 0,2 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 263 


9. Hund I. 
Zeit. Magensaftmenge. 
Dh — 95 30’ e 0,9 
gh 20: 10h ' nüchtern 0,5 l 1,4 com , 
10n hydrolysiertes Fleisch (6) 
106 — 10n 30’ 0,2 0.5 co 
100 30 —11n 0,3 f % em 
Anhang zur Gruppe B. 
10. Hund I. 
it. Magensaftmenge. 
9 n — KE AN | 0,0 
9h 30’— 10h nüchtern 0,9 1,4 cem 
10h  —10h 30 0,5 
10h 30’ 6g Würzenpaste (14) 
10h 30 — 11h 3,7: 
Dh —1lè 30° 1,5 | 5,4 ccm 
11h 30’—12h 0,2 


Resultat: Nach intravenöser Zufuhr lassen die Hydroly- 
sate von Glidin, Casein und Fleisch keine Secretinwirkung er- 
kennen. Bei der Würzepaste von Maggi ist solche nachweisbar. 


C. Versuche mit subeutaner Verabreichung der Aminosäurengemische. 


11. Hund I. 
Zeit. Magensaftmenge. 
11% III 30“ nüchtern 0,8 com 
LI 30“ Weizenhydrolysat (3) 
(KEISER 2,1 
125 —125 30“ 1,4 4,4 ccm 
12h 30 — 1 0,6 ( 
In EIn 30 ` 0,3 
12. Hund II. 
Zeit. Magensaftmenge. 
11h 15 —11 45) 15 
TUTE ET 150 nüchtern 12 2,7 ccm 
12 15 Weizenhydrolysat (3) 
12h 15°—12h 45° 2,0 
12h 45°—1h715’ 1,3 
VV 1,0 [ 5, 4 cem 
1» 45 — 2h 15° 1,1 
13. Hund II. 
Zeit. Magensaftmenge. 
5 \ nüchtern 0,4 ccm 
106 —10n 30° 


105 207 Glidinhydrolysat (1) 


E 
— EE E 


264 Schweitzer: 


13. Hund II (Fortsetzung). 


Zeit Magensaftmenge 
-10ħ 30’ — 11h 0,8 
llè —-11h 30° 0,3 1,3 ccm 
11h 30’— 12h 0,2 
12h Caseinhydrolysat (2) 
12h — 2h 30’ 0,3 \ 0.7 cem 
12h 30 —1 0, 44 
In Leberhydrolysat (8) 
lè —1h 30 Së 0,7 ccm 
In 20: 2 0,27 % F 
2h Gekeimtes Weizenhydrolysat (4) 
2 —2h 30’ | 0.9 
2ħ 30’—3h AR Beta 
14. Hund II. 
Zeit. Magensaftmenge. 
II — III 30 2.0 
113 30, — 125 nüchtern 1,5 | 3,5 ccm 
12h Heuhydrolysat (5) 
12 12h 30° 4,1 49 
12ħ 30° —ı * 
15. Hund II. 
Zeit. Magensaftmenge. 
9h 20: 105 20: 0,9 
100 20:11 l nüchtern 0,4 \ 1,3 ccm 
IIn Glidinhydrolysat (1) 
III —-11n30° 0,8 
III 30 — 12h , 0,8 } 1,9 ccm 
12 18h20 0,3 
12h 30 0,5g Glutaminsäure in 8 ccm Aq. (10) 
12h 30’—1 1,2 
1 —1 30° 0,5 2,2 ccm 
IR 30’—2h 0,3 
16. Hund II. ` | 
Zeit. Magensaftmenge. 
Dh —11h30 ` 1,9 ccm 
110 30 —12n | An 
12h Fischhydrolysat (9) 
121 —12h 30 Si 2.3 ccm 
12h 30 — Ih LIT" 
17. Hund III (nach Heidenhain operiert). 
Zeit. Magensaftmenge. 
9h 30 — 10h i 0,8 
Im on en. nüchtern 0,9 1.7 ccm 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 


17 Hund III an 


Zeit. Magensaftmenge. 
10h 30° 0,5 g Glutaminsäure (10) in Aq. 
10h 30’— 11h 1,6 
lie III 30’ 0,7 f 2,7 ccm 
11h 30’—12h 0,4 
12h Glidinhydrolysat (1) 
12 —12h 30’ eg, 10 8585 
12h 30 — 1 0, 44 
18. Hund III. 
Zeit. Magensaftmenge. 
Dh — 9! 30’ 0,9 
9b 30 — 10 nüchtern 1.2 3,0 cem 
10h — 10 30° | 0,9 
. 10h 30° Glidinhydrolysat (1a) (80 Std. gekocht) 
10h 30’ — 11% 2,5 
UR III 30’ 3,8 7,4 ccm 
11h 30’— 12h 1.1 
12h l g glutaminsaures Chlorhydrat in Aq. gelöst 
12h —12n 30’ 1,8 
TEE (ER 1,5 | 4,0 ccm 
In — II 30’ 0.7 
19. Hund III. 
Zeit. | Magensaftmenge. 
9h —-9h 30’ 
9h 30’— 10h nüchtern | l 1,8 ccm 
100 —10t 30 
10h 30—11% 
11% 1g Glutaminsäure (10) in Aq. gelöst. 
III III 30 0.7 
11h 30 —12n l 0,5 20 60 
12 — 12h 30 0,8 ' 
12h 30 — 15 0,3 
In Glidinhydrolysat (1) 
1 —15 30 0,8 
3 > 6,5 ccm 
2 —2h 30 2,6 | ý 
2h 30’—3h 1,2 
Anhang zur Gruppe C. 
20. Hund L 
Zeit. Magensaftmenge. 
9b Oh 30’ 0,5 
= 30 SCH 30 nüchtern P | 2,2 ccm 
10h 30 — 11h 0,5 


265 


—— 22; ⅛ . ͤ [.. nn un — au 


266 Schweitzer: ö 


20. Hund 1 (Fortsetzung). 
III Würzepaste (14) (6,0 g in H, O gelöst) 


lit} — IIb 307 2, 6 
11h 30 — 12 2,9 74 com 
12 —-12h 30 1,4. 
12h 30/— 1h 0,5 
IN Erepton (13) 
In 2—1230’ 2,1 
In 30’— 2b á 1,8 l 5,4 em 
2 — 2h 30’ 1,5 
21. Hund I. 
Zeit. Magensaftmenge. 
A 5 nüchtern 5 V 1,8 ccm 
10h Spinathydrolysat (12) (enthaltend 3,5 g NaCl) 
10h —10ꝭb 30’ N 5,9 
10h 30 — 11h ; 16,4 
III —11è 30° 15,6 ? 59,2 cem 
11» 30—12 18,3 
12 — 12h 30’ 3,0 


Resultat: Nach der subcutanen Zufuhr lassen die Hydroly- 
sate von Weizen, gekeimtem Weizen, Casein, autolysierter Leber, 
Heu und Fisch, keine Secretinwirkung erkennen. Das Hydroly- 
sat von Glidin enthält vielleicht Spuren von Secretin; jedenfalls 
waren hier die Versuche nicht ganz eindeutig negativ.“ Glutamin- 
säure und glutaminsaures Chlorhydrat hatten keine Secretin- 
wirkung. Bei den Hydrolysaten von Erepton, Maggischer 
Würzepaste und Spinat war dieselbe deutlich; weitaus am 
stärksten war dieselbe bei dem Spinathydrolysat. 


Schluß. 

Aus allen im vorstehenden mitgeteilten Versuchen ergibt 
sich, daß die nach der angegebenen Methode durch Salzsäure- 
hydrolyse bei 100° C aus verschiedenen eiweißhaltigen Rohpro- 
dukten gewonnenen Aminosäurengemische in der Regel keine 
Secretinwirkung auf die Magendrüsen erkennen lassen. Gleiches 
gilt auch für alle bislang von Ehrmann und mir geprüften 
reinen Aminosäuren. Nur ausnahmsweise trifft man Amino- 
säurengemische an, die Secretinwirkung besitzen. Diese Er- 
fahrungen machen es wahrscheinlich, daß die Träger der Secretin- 


*) Bei dem Kontrollversuch, bei dem allein 4,0g NaCl subcutan 
injiziert wurden, gelangten nur 1,8 ccm Magensaft zur Absonderung. 


Haben Aminosäuren schlechthin Secretincharakter? 267 


wirkung, die gelegentlich bei Aminosäurengemischen (Erepton, 
Spinat, Würzenpaste) beobachtet wird, nicht solche Aminosäuren 
sind, die bei dem nach der genannten Methode sich vollziehenden 
Abbau auftreten, sondern daß die beobachteten Secretinwirkungen 
entweder darauf beruhen, daß durch Besonderheiten des an- 
gewandten Spaltungsverfahrens (Bickel) secretinartige Stoffe 
erzeugt werden, oder daß die Muttersubstanzen von vornherein 
Secretinstoffe enthalten, die nur bei der Hydrolyse in Freiheit 
gesetzt werden. Jedenfalls ist der Secretincharakter keine all- 
gemeine Eigenschaft der Aminosäuren. 

Ferner ergibt sich, daß nach der intragastralen Zufuhr 


von Secretinsubstanzen nicht alle Secretinsubstanzen in gleich- 


mäßiger Weise resorbiert und auf dem Weg über die Blutbahn 
in wirksamer Form den Magendrüsen zugeführt werden können. 
Das in der Würzenpaste enthaltene Secretin scheint resorbiert 
und sofort dem ganzen Kreislauf in größerem Umfange mitgeteilt zu 
werden, das im Spinathydrolysat enthaltene Secretin dagegen wird 
entweder überhaupt nicht resorbiert, oder, wie K. Djena bê) an- 
nimmt, resorbiert, aberinder Leber weitgehend zurückgehalten, end. 
lich besteht diedritte Möglichkeit, daßes beider Magen-Darmpassage 
resorbiert und in unwirksamer Form in den Kreislauf gelangt. 

Endlich machen meine Versuche es wahrscheinlich, daß die 
Secretinwirkung nicht an einen einzigen chemisch einheitlichen 
Körper gebunden ist, sondern daß verschiedene Körper Secretin- 
wirkung haben können. 


Literatur. 


1) Ehrmann, Physiologische und klinische Untersuchungen über die 
Magensaftsekretion. Bickels Internat. Beiträge z. Pathol. u. Therap. der Er- 
nährungsstörungen 3, 382. 1912. — ?) Eisenhardt, Über die hämatogene 
Anregung der Magensaftsekretion durch verschiedene Bestandteile der 
Nahrung. Bickels Internat. Beitr. z. Pathol. u. Therap. der Ernährungs- 
störungen 2, 206. 1911. — 3) A. Bickel, Ein neues Pflanzensecretin. Berl. 
klin. Wochenschr. 1917, S. 74; derselbe, Über Sekretine und Vitamine. 
Ebenda S. 552. — *) A. Bickel, Über die Wirkung der Aminosäuren auf 
die Magensaftsecretion. Bickels Internat. Beitr. z. Pathol. u. Therap. der 
Ernährungsstörungen 5, S. 75. — 5) Rheinboldt, Experimentelle Unter- 
suchungen über den Einfluß der Gewürze auf die Magensaftbildung. Zeitschr. 
1. phys. u. diät. Therapie 1906. — 6) K. Djenab, Berl. klin. Wochenschr. 
1917, S. 624. 


Zur Chemie der Polsyaccharide. 


Reindarstellung von Polysaccharid en. — Die Jod 
reaktion. — Die Wirkungsweise der diastatischen 
Fermente und die Dextrinstufe der Polysaccharide. 


Von 
E. Herzfeld und R. Klinger. 


. (Aus dem chem. Lab. der med. Klinik und aus dem Hygiene-Institut der 


Universität Zürich.) 
(Eingegangen am 3. Mai 1920.) 
Mit 6 Abbildungen im Text. 


Die bisherigen Methoden für die Reindarstellung der Poly- 
saccharide sind teils unbefriedigend, weil sie keine wirklich reinen 
Präparate liefern, teils umständlich und unzweckmäßig. Viele, 
namentlich Stärkepräparate, sind N-haltig, wobei nicht selten 
ein Gehalt von 1% N (entsprechend etwa 6%, Eiweiß) gefunden 
wird. Am reinsten wurde bisher das Glykogen dargestellt, weil 
in diesem Falle die besonderen chemischen Eigenschaften des 
Stoffes dem Untersucher eine geeignete Darstellungsweise förm- 
lich aufdrängten. Bei den übrigen Polysacchariden wurde hin- 
gegen in der Regel nicht genügend beachtet, daß dieselben infolge 
ihrer Entstehung inmitten eines eiweißreichen Mediums Eiweiß- 
körper (und zwar in nicht zu vernachlässigender Menge) einge- 
schlossen enthalten. Wir möchten daher im folgenden ein Ver- 
fahren beschreiben, welches gestattet, auf relativ einfachem Wege 
zu wirklich reinen Stoffen zu gelangen. Wir haben auch mit der- 
artigen Präparaten die wichtigsten chemischen Reaktionen aus- 
geführt und werden auf Grund der hierbei festgestellten Eigen- 
schaften eine Einteilung derselben versuchen; hierauf soll im zwei- 
ten Teil dieser Mitteilung näher eingegangen werden. 

Für die Isolierungsmöglichkeit der Polysaccharide (P. S.) 
ist von großer Wichtigkeit, daß sie, wie bekannt, gegen die Ein- 


= 


—— — — — — ë 


E. Herzfeld und R. Klinger: Polysaccharide. 269 


wirkung von Alkali sehr widerstandsfähig sind, während die sie 
begleitenden oder in die Stärkekörner miteingebauten Stoffe 
gegen Alkali, namentlich in der Hitze sehr empfindlich sind (Ei- 
weiß, Lipoide usw.). Es ist deshalb möglich, diese Verunreini- 
gungen durch alkalische Aufspaltung in ihre tiefen Bausteine zu 
zerlegen, während die Polysaccharide unversehrt zurückbleiben. 
Es handelte sich bloß darum, die bei dieser Behandlung entstehen- 
den Spaltstücke der Begleitstoffe auf geeignete Weise von den 


Polysacchariden abzutrennen. Nach den in früheren Arbeiten 


von uns entwickelten Vorstellungen ausgedrückt, kommt es 
darauf an, einen Lösungsvermittler zu finden, welcher diese Ver- 
unreinigungen und das Alkali zu entfernen gestattet, zu den 
Polysacchariden dagegen keine größere Affinität besitzt, so- 
daß dieselben durch ihn aus ihren kolloiden Lösungen ausgefällt 
werden. 

Dieser Anforderung entspricht der auch bei der Reindarstel- 
lung der Eiweißkörper so gut bewährte 90 proz. Alkohol. Unsere 
Methode läßt sich somit folgendermaßen zusammenfassen: 

Aufspaltung aller Verunreinigungen in tiefe, alkohollösliche 
Bausteine durch Behandlung mit warmer Lauge. Ausfällung der 
intakt gebliebenen Polysaccharide durch Versetzen mit 90 proz. 
Alkohol, Wiederauflösen derselben in Wasser, nochmalige Fällung 
usw. Es war zu erwarten, daß auf diese Weise eine vollständige 
Befreiung der betreffenden Stoffe von allen Beimengungen er- 
reichbar sein würde. In der Tat ist es uns gelungen, die verschie- 


densten Polysaccharide stickstofffrei zu erhalten und bis auf 


Spuren von allen organischen Bestandteilen (Salzen) zu befreien). 
Wir geben im folgenden einige Beispiele für die Darstellung sol- 
cher Polysaccharid-Präparate und werden hierbei noch auf ver- 
schiedene Einzelheiten näher eingehen. 

Es muß allerdings hervorgehoben werden, daß dieses Verfahren dann 


unzulänglich ist, wenn es sich um die Isolierung niederer (jod- negativer) 


PS aus eiweißreichem Medium handelt. Es entstehen dann bei der Laugen - 
behandlung große Mengen von Abbauprodukten, die, wie wir weiter unten 
näher zeigen werden, als Lösungsvermittler des PS auftreten und dessen 
Fällung durch Alkohol verhindern. Für die Darstellung solcher Körper 


muß daher ein etwas anderes Verfahren (vorherige Entfernung möglichst 


1) Reis und Kartoffelstärke sowie Glykogen waren ganz aschefrei. Die 
aus Hefe gewonnenen Präparate enthielten Spuren von Stickstoff, ebenso 
unsere Gerstenstärke. 


e 


— ——— ܹũww̃—— —ę— a EE —— — —ꝓ)Dkb—Vc!• E — - 


nn = 


/ 


270 E. Herzfeld und R. Klinger: 


vieler von diesen Lösungsvermittlern, weniger starke Aufspaltung des 
Eiweißes usw.) angewandt werden, worauf wir in einer späteren Mit- 
teilung eingehen möchten 


Reindarstellung von Stärkearten. 


Besteht das Ausgangsmaterial aus frischen, wasserhaltigen Pflanzen- 
teilen (z. B. Kartoffel- oder Inulinknollen usw.), so werden dieselben durch 
die Hackmaschine getrieben, der erhaltene Brei wird mit 33% NaOH am 
Wasserbade erhitzt, wobei so lange Lauge zugesetzt wird, bis der größte 
Teil der Masse eine homogene, durchscheinende, schleimige Beschaffenheit 
angenommen hat. Ebenso kann trockenes Mehl nach Anrühren mit etwas 
Wasser verarbeitet werden. Hierauf wird scharf zentrifugiert, um die in 
der Masse suspendierten, unlöslichen Bestandteile zu entfernen. Die ge- 
klärte, zähe Flüssigkeit wird abgegossen und in einer Porzellanschale unter 
Umrühren auf dem Wasserbade erwärmt, dann mit kleinen Mengen 90 proz. 
Alkohol so lange versetzt, bis kein weiterer Niederschlag mehr entsteht. 
Im (wasserhaltigen) alkalischen Alkohol bleibt ein großer Teil der Eiweiß- 
körper, Lipoide usw. gelöst, der Alkohol ist daher dunkelbraun ‚gefärbt. 
Man läßt den Niederschlag absetzen und löst den meist zähen klebrigen 
Rückstand in möglichst wenig Wasser auf dem Wasserbade auf, bis wieder 
eine klare sirupöse Flüssigkeit resultiert. Die Alkoholfällung und die Lösung 
in Wasser werden hierauf noch zweimal wiederholt, worauf mit verdünnter 
HCl genau neutralisiert und hierauf neuerlich mit Alkohol bis zur völligen 
Fällung versetzt wird. Die Fällung wird hierauf noch zweimal wiederholt, 
um alle Salzreste zu entfernen. Die letzten Waschungen müssen bereits 
nahezu klare Alkoholabgüsse ergeben. Die Niederschläge werden dagegen 


mit jeder Fällung heller, an Stelle der ursprünglich zähen, klebrigen Kon- 


"sistenz tritt eine mehr flockige, schließlich körnige, zugleich wird die Farbe 
des Materials rein weiß (nur in manchen Fällen bleibt das Präparat grau 
gefärbt). Schließlich wird nach dem Abdampfen des Alkohols pulverisiert, 
was häufig nur mit großer Mühe gelingt. 8 

Interessant ist die Löslichkeit derartiger Stärkepräparate. 
Werden dieselben nach dem Verdampfen des Alkohols grob zer- 
kleinert und einige Stückchen davon in Wasser geworfen, so sind 
sie darin zunächst gut löslich, die einzelnen Körnchen werden am 
Rand rasch vollständig durchsichtig, man sieht, wie die Stärke 
abschwimmt und in Lösung geht. Aber schon nach kürzer Zeit 
macht dieser Auflösungsprozeß halt und die durchsichtig gewor- 
denen Partien werden wieder trüb. Zugleich wird auch die vorher 
klare Lösung getrübt von grob dispersen (zusammengelagerten) 


. Stärketeilchen. Die durch Alkoholfällung gewonnene Stärke hatte 


noch Alkohol an ihren Oberflächen festgehalten und dieser hatte 
als Lösungsvermittler für die Stärke gedient. Sehr bald wird aber . 
der Alkohol vom Wasser, zu welchem er viel größere Affinitäten 


Polysaccharide. 271 


als zur Stärke hat, gebunden und dadurch der Stärke entzogen. 
Diese verliert damit ihre Beziehung zum Wasser und fällt aus. 
Wirklich reine, d. h. vollkommen alkoholfreie Stärke besitzt nur 
so geringe Nebenaffinitäten, daß sie in Wasser nicht kolloid ver- 
teilbar ist; erst durch Erhitzen in Wasser ist eine grobdisperse 
kolloide Verteilung möglich (Verkleisterung), weil jetzt die Affi- 
nitäten zu Wasser (wie bei allen anderen löslichen Stoffen) etwas 
größer werden. Die Teilchen gehen dadurch in den gequollenen 
Zustand über, können aber zum größten Teil wieder abzentri- 
fugiert werden. 


Reindarstellung von Hefe-Polysacchariden. 


Nach den bisherigen Angaben soll in der Hefe neben einem Glykogen 
eine Art Zellulose vorkommen, ein Polysacharid, von welchem behauptet wird, 
daß es keine Jodreaktion gibt und in kochendem Wasser nur schwer quillt. 
Bei Verarbeitung von Preßhefe mit Hilfe der beschriebenen Methode haben 
wir zuerst eine Fraktion erhalten, welche nach Erhitzen der Hefe mit Lauge 
sehr leicht kolloid] verteilbar war und ähnlich wie Dextrin mit Alkohol 
ausfiel. Eine zweite Fraktion blieb bei der Laugenbehandlung gröber dispers 
und wurde auf der Zentrifuge von der ersten getrennt. Dieselbe wurde 
hierauf wiederholt mit Alkali ausgekocht und mit Alkohol immer wieder 
gewaschen, schließlich neutralisiert und noch einmal gefällt und weiter 

gereinigt. So wurde eine Art Zellulose erhalten, auf deren Eigenschaften 
wir unten noch näher eingehen. 


Darstellung von Zellulose. 


Wir gingen hier in Anlehnung an das bekannte Viskoseverfahren 
vor: gereinigte Watte wird mit dem dreifachen Gewicht NaOH (in Stangen) 
unter Wasserzusatz verrieben und CS, in kleinen Mengen zugesetzt. Man 
reibt die Masse einige Minuten kräftig, sie wird hierbei allmählich weich 
und klebrig, die Fasern werden undeutlich, gleichzeitig tritt hier (wie bei 
allen anderen Polysacchariden nach Laugenzusatz) eine Gelbfärbung auf. 
Es wird immer etwas Wasser und kleine Mengen CS, unter starkem Reiben 
zugesetzt, bis eine dickliche Flüssigkeit resultiert, die beim Stehen dunkel 
orangerote Farbe annimmt. Man läßt über Nacht stehen, zentrifugiert 
dann und fällt den erhaltenen viskösen Abguß mit 90% Alkohol. Es tritt 
eine massive Fällung ein, die in Wasser nur zum kleinen Teil wieder löslich 
ist. Der größere Teil der Zellulose geht in eine sulzige, grünliche Masse über. 
Diese wird mit 90%, Alkohol versetzt, noch einmal ausgefällt, dann mir 
Wasser auf dem Wasserbade erhitzt und durch Glaswolle filtriert. Det 
Filterrückstand wird neuerdings mit Alkali in der Wärme digeriert und 
abermals mit Alkohol behandelt. Ist dieser jetzt farblos, so kann man den 
sulzigen Rückstand mit verdünnter HCl neutralisieren und abermals mit 
Alkohol behandeln. Solange die Masse noch gelblich gefärbt ist, ist eine 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 18 


272 E. Herzfeld und R. Klinger: 


Fortsetzung der Alkalibehandlung angezeigt. Das mit Alkohol und Äther 
getrocknete Präparat bildet eine weiße flockige Masse, die pulverisierbar ist. 


Darstellung von reinem Agar. 

Agar wird mit Wasser im Autoklav gelöst, dann mit Lauge versetzt, 
die dunkelbraungelbe Masse auf dem Wasserbade erwärmt; es geht nicht 
alles in Lösung, daher wird zentrifugiert, hierauf mit Alkohol gefällt und 
wie sonst weiterbehandelt. Das Präparat ist eine harte, etwas zähe, bräun- 
liche Masse, die nicht gut pulverisierbar ist 


Glykogendarstellung. 

Möglichst frisch zerriebene Leber (beste Ausbeute aus Meerschwein- 
chen- und Kaninchenleber nach Rübenfütterung) wird mit 33%, NaOH 
auf dem Wasserbad etwa 1 Std. erhitzt, wobei eine klare, dünnflüssige Lösung 
erhalten wird. Hierauf wird durch Glaswolle heiß filtriert, dann mit Alkohol 
auf dem Wasserbad in der Hitze gefällt, wieder in wenig Wasser gelöst, 
abermals gefällt, die dritte Lösung mit HCl neutralisiert, hierauf noch zwei- 
mal gefällt. Man erhält schließlich nach dem Trocknen im Exsiccator eine 
glasige Masse, die pulverisiert ein schneeweißes Präparat liefert. 


/ 


Darstellung von Inulin. 

Darstellung gelang nur schlecht, weil Jahreszeit (Februar) schon zu 
vorgeschritten. Das Präparat blieb lange durch Lösungsvermittler ver- 
unreinigt, die wässerige Lösung war immer noch sirupös und braun. Nach 
Behandlung mit etwas körniger Tierkohle und Filtrieren durch ein asche- 
freies Filter konnte schließlich ein ziemlich reines Präparat erhalten werden, 
allerdings nur in sehr geringer Ausbeute und immer noch braun gefärbt. 

Gummi arabicum, nach der gleichen Methode behandelt, liefert 
ein rein weißes wasserlösliches Pulver. 

Wir wollen im folgenden die wesentlichsten Eigenschaften 
der verschiedenen Polysaccharid-Präparate, die wir nach dem obi- 
gen Verfahren erhalten haben, besprechen, wobei hauptsächlich 
berücksichtigt werden soll: 1. Das Verhalten gegenüber Wasser. 
2. Die Jodreaktion. 3. Aufspaltbarkeit. 4. Verhalten gegenüber 
einigen Fällungsmitteln. 5. Die enzymatische Aufspaltung. 

1. Verhalten gegenüber Wasser. 

Die Zellulose ist dadurch charakterisiert, daß sie nur mit 
Hilfe einiger ganz bestimmter Lösungsvermittler (Kupferoxyd- 
amoniak, Viskoseverfahren, als Acetat) zur kolloiden Verteilung 
gebracht werden kann. Aus solchen Lösungen rein dargestellte 
Zellulose ist in Wasser auch in der Hitze unlöslich. Nur mit Alkali 
quillt die Zellulose in der Hitze auf, ohne sich kolloid zu verteilen. 
Von Interesse ist, daß alle diese Lösungsvermittler nur eine relativ 


Polysaccharide. 273 


schwache Affinität zu den Zelluloseteilchen besitzen, so daß sie 
leicht von denselben entfernt werden können. Auch der Alkohol 
haftet nicht merklich an Zellulose. 

Wir möchten die Stoffe, welche sich ähnlich wie das beschrie- 
bene Präparat verhalten, als Zellulose gruppe zusammenfassen. 
Ihr schließt sich eine zweite, die Stärkearten umfassende 
Gruppe, an. Reine Stärke verschiedener Herkunft ist in Wasser 
in der Kälte ebenfalls unlöslich, in der Hitze erlangt sie aber 
bereits eine gewisse Beziehung zum Wasser, wird kolloid verteil- 
bar, fällt allerdings beim Erkalten zum großen Teil wieder aus. 
Mit Alkali und Wasser erhitzt, läßt sich dagegen eine ziemlich 
gute Lösung erzielen, aus welcher die Stärke mit Alkohol fäll- 
bar ist. Die so erhaltenen Präparate enthalten, wie oben bereits 
erwähnt, auch nach dem Trocknen noch Alkohol an den Ober- 
flächen der Teilchen gebunden und sind daher vorübergehend 
wasserlöslich. Wir sehen somit in dieser Gruppe im Gegensatz 
zur ersten, daß die Teilchen bereits relativ mehr Nebenaffinitäten 
im Vergleich zur Größe ihrer Oberfläche besitzen und daher mit 
Wasser und auch mit Alkohol, wenn auch nur schwach, reagieren. 


2. Übergangsgruppe zu den Dextrinen (,Dextri- 
noide‘“). : | 

Hierher gehören Polysaccharide, die in der Hitze durch 
Wasser in kolloide Verteilung überführbar sind und auch nach 
dem Erkalten derartiger wässeriger Lösungen noch eine gewisse 
Beziehung zum Wasser bewahren. Ein relativ großer Teil des 
Wassers bleibt an die kolloide Oberfläche gebunden, so daß eine 
gelatinöse oder sulzige Masse entsteht. Ein bekanntes Beispiel 
ist der Agar. 

3. Dextrine. 

Polysaccharide, die schon in kaltem Wasser löslich sind, 
deren Teilchen aber noch so groß sind, daß die Lösungen noch 
kolloide Eigenschaften zeigen (Tyndall-Kegel nachweisbar, gehen 
aber ähnlich wie Peptone durch Abderhalden-Hülsen). Hierher 
gehört das Glykogen, ferner unser Inulinpräparat, sowie die 
gewöhnlichen Dextrine aus verschiedenen Polysacchariden. 


II. Die Jodreaktion. 
Neben der Wasserlöslichkeit ist es namentlich das Verhal- 
ten gegenüber Jod, welches die eben aufgestellten Gruppen 


18* 


274 E. Herzfeld und R. Klinger: 


zu charakterisieren gestattet. Bevor wir jedoch auf diesbezügliche 
Einzelheiten eintreten, müssen ein paar Worte über das Wesen 
der Jodreaktion selbst gesagt werden. Wir gehen hierbei von der 
am meisten untersuchten Jod-Stärkereaktion aus. 

Während früher vielfach eine Verbindung von Jod und Stärke als 
‚Ursache der Blaufärbung angesehen wurde, ist besonders Harrison zuerst 
dafür eingetreten, daß dieselbe bloß mit dem physikalisch-chemischen Zu- 
stande des Jods zusammenhänge!), eine Ansicht, welche in den letzten Jahren 
immer mehr Anhänger gefunden hat?). Harrison kam zur Annahme, daß 
das Jod in der Stärkelösung kolloid verteilt sei und die Stärke ihm hierbei 
als Schutzkolloid diene. Er führt als Stütze dieser Ansicht die Tatsache 
an, daß die Blaufärbung in der Hitze verschwindet, von gewissen Mischungs- 
verhältnissen beider Stoffe abhängig sei (was namentlich beim Erhitzen 
deutlich bervortritt), daß Salze (mit Ausnahme der Jod lösenden) die 
Blaufärbung begünstigen, während Alkohol umgekehrt wirkt usw. 

Wir möchten diesen Beobachtungen einige weitere für diese 
Frage wichtige anfügen und zugleich einen unseres Erachtens 
nicht unwichtigen Punkt in der Auffassung Harrisons (und 
mehrerer späterer Autoren) richtigstellen. 

Wenn man ein mit Stärke imprägniertes Filtrierpapier mit 
einer absolut alkoholischen Jodlösung benetzt, so tritt nur eine 
Rotbraunfärbung des Papiers ein, identisch mit jener der Jod- 
lösung selbst. Die Stärke hat mit dem Jod nicht reagiert. Sowie 
wir dagegen mit Wasser anfeuchten, wird das Papier blau. Es 
ist somit notwendig, daß das Jod in wässerigem Milieu auf die 
Stärke einwirke, ein Umstand, der bereits auf die Wichtigkeit 
phys.-chemischer Momente bei dieser Reaktion hinweist. Das 
blaugefärbte Papier oder in Wasser suspendierte und mit Jod 
blau gefärbte, gewöhnliche Stärke können nun jederzeit durch 
bloße jodlösende Mittel wieder entfärbt werden (Zusatz von Al- 
kohol, Xylol usw.), ein deutlicher Beweis für die Richtigkeit der 
Harrisonschen Behauptung, daß hier keine wirkliche Verbin- 
dung vorliegt. Hingegen ist die von diesem Forscher gemachte 
Annahme, daß das Jod hier für sich kolloid verteilt ist und die 
Stärke bloß die Aufgabe hat, als Schutzkolloid seine Ausfällung 


1) Kolloid-Ztschr. 9, 5. 

2) Wir verweisen namentlich auf die eingehende Bearbeitung dieser 
Frage durch W. Ostwald, Kolloid. chem. Beihefte II. S. 457, worin sich 
dieser Autor allerdings der Harrisonschen Ansicht (Stärke als Schutzkolloid 
für das Jod) anschließt. Hingegen hat sich L. Berczeller (diese Zeitschr. 84) 
für die Adsorptionsnatur der Jod-Stärkeverbindung ausgesprochen. 


Polysaccharide. 275 


zu verhindern, nicht haltbar. Sie träfe ja nur für den Fall zu, 
daß wir eine kolloide Verteilung von Jod hervorgerufen haben; 
dies mag z. B. dann eintreten, wenn eine alkoholische Jodlösung 
in die wässerige Stärkelösung eingebracht wird, vielleicht auch bei 
stärkerer Verdünnung einer Jod-JK-Lösung usw. Hier könnte 
in der Tat eine schutzkolloide Wirkung der Stärke angenommen 
werden, wenn sich auch sofort die Frage erheben muß, warum 
nicht andere als gute Schutzkolloide bekannte Körper, wie z. B. 
kolloid verteiltes Eiweiß, denselben Dienst tun können? Wir 
können aber eine Jod- Stärkereaktion auch unter Bedin- 
gungen hervorrufen, wo eine vorherige kolloide Ver- 
teilung desJodes nicht besteht. So in folgendem, einfachem 
Experiment: In eine nicht zu dünne Lösung von Stärke in Wasser 
werden nach dem Erkalten einige Plättchen krystallisierten Jodes 
eingetragen. Man sieht nun, wie beim leichten Bewegen der Flüs- 
sigkeit fortwährend blaue Wolken von Jodstärke von den Krystall- 
oberflächen weg in die Flüssigkeit abgehen. Dieser Versuch zeigt, 
daß die Stärke das Jod von den Krystallflächen weg löst, es an 
sich zieht (während Jodkrystalle in reinem (kalten) Wasser ganz 
ungelöst liegen bleiben. Unmöglich kann hier die Stärke zunächst 
eine kolloide Verteilung von Jod bewirkt haben und dann als 
Schutzkolloid für dasselbe funktionieren!). Nur die Annahme einer 
direkten Verbindung der Stärke mit dem Jod vermag diese 
Erscheinung zu erklären, eine Verbindung, die freilich nicht eine 
auf Hauptaffinitäten beruhende, sondern eine bloße „Adsorp- 
tions bindung“ ist, die auf Nebenaffinitäten beider Körper 
zurückzuführen ist. (Der Versuch läßt sich noch einfacher in der 
Weise anstellen, daß ein Jodkrystall auf angefeuchtetes, kleister- 
haltiges Filtrierpapier gelegt wird; die Umgebung desselben wird 
sofort blau.) 

Es liegt somit nicht eine kolloide Verteilung von Jod 
zwischen den Stärketeilchen, sondern eine Adsorption 
des Jods an denStärkeoberflächen vor. Es muß angenom- 
men werden, daß auch hier, analog wie bei den kolloiden Metallen, 
der jeweilige Dispersitätsgrad des Stoffes, an welchem das Jod 
adsorbiert ist, für die auftretende Färbung entscheidend ist, und 
daß der blauen Farbe (,Jodstärke‘‘) eine relativ gröber disperse, 


1) Wird anstatt Stärke Dextrin gelöst und Jod Krystalle zugegeben, 
so erhält man auf diese Weise eine braunrote Färbung! 


276 E. Herzfeld und R. Klinger: 


der gelben (z. B. J-JK-Lösung) eine weit feinere, molekular dis- 
perse Verteilung des Jodes entspricht, während die violettbraunen 
und rotbraunen Zwischentöne den verschiedenen Zwischenstufen 
der Aufteilung zukommen. Weitere Beweise für die Richtigkeit 
dieser Auffassung werden wir noch unten kennenlernen. Die Jod- 
reaktion gestattet uns daher, einen Schluß auf den Dispersitäts- 
grad der Polysaccharid- teilchen, und scheint uns deshalb für eine 
Einteilung der Polysaccharide gut verwendbar zu sein. 

Daß Stärke ohne Wasser mit Jod nicht blau gefärbt wird, zeigt, daß 
die Bindung des Jods an die Stärke nicht direkt erfolgt, sondern daß zu- 
nächst Wasser adsorbiert werden muß und erst an die hierdurch schon teil- 
weise abgesättigten Nebenaffinitäten der O-Atome (der Stärke oder des 
Wassers) die Jodmoleküle sich anlagern. Das Verschwinden der Jodreaktion 
in der Hitze beruht darauf, daß dann sowohl das Jod wie die Stärke größere 
Affinitäten zu Wasser erlangen und daher ihre gegenseitige Bindung auf- 
geben, 

Wie verhalten sich nun die einzelnen Präparate gegenüber 
Jod? Wenn von der Zellulose einige gröbere Körnchen in etwas 
Wasser gebracht und /o n-Jodlösung zugesetzt wird, so nehmen 
dieselben rasch eine schwarzblaue Farbe an; sobald man die Jod- 
lösung durch Wasser ersetzt, geht das Jod bald wieder in das 
Wasser über, die Körnchen entfärben sich. Dasselbe geschieht 
noch schneller in der Hitze; das Jod haftet somit nur sehr schwach 
an der Zellulose, wird aber durch dieselbe aus seiner Bindung an 
das JK herausgezogen. — Ähnlich verhält sich die aus Hefe ge- 
wonnene Cellulose, doch haftet hier das Jod noch etwas fester. 

Stärkegruppe: Ungelöste Körnchen von reiner Stärke 
färben sich in Jod-J K -Lösung intensiv schwarz. Das Jod haftet 
hier sehr fest, da es mit Wasser allein kaum und selbst mit Alkohol 
nur langsam wieder ablösbar ist. Erhitzt man und kühlt wieder 
ab, so nehmen die gequollenen Stärkepartikelchen jetzt eine 
schön violett-blaue, die kolloide Lösung die bekannte tiefblaue 
Farbe an. 

Dextrinoidgruppe: Agar körnchen in kaltem Wasser wer- 
den braunschwarz gefärbt. Wasser löst das Jod leicht wieder ab. 
Erhitzt quillt der Agar, beim Erkalten werden die Stücke dunkel- 
blau, die Lösung rotbraun, ähnlich wie Dextrin. — Hefe-Poly- 
saccharid verhält sich ähnlich, nach dem Erhitzen wird die Lösung 
rot bräunlich gefärbt. 

Dextringruppe: Glykogen: Noch ungelöste Körnchen färben 


277 


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Polysaccharide. 


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278 E. Herzfeld und R. Klinger: 


sich in J-JK-Lösung sofort braunrot, gehen bald in Lösung, 
die Lösung ist je nach der Konzentration des Glykogens rot bis 
braun gefärbt. — Inulin: Die wässerige Lösung gibt mit Ble: 
Jodlösung eine braungrüne Färbung. — Die übrigen Dextrin- 
lösungen reagieren bekanntlich mit Braunfärbung. 


III. Aufspaltbarkeit. 


Um die Hydrolysierbarkeit der verschiedenen Polysaccharide 
zu untersuchen, wurden 2% Aufschwemmungen in Wasser 4 Stun- 
den bei 138° (ca. 3 At mosphären) gehalten. Die Lösungen wurden 
hierauf auf ihre Jodreaktion sowie auf die Anwesenheit reduzieren- 
der Stoffe (N ylandersche Probe) untersucht. Dort, wo die letz- 
tere positiv ausfiel, wurde die Natur der abgespaltenen Zucker 
durch die Osazonprobe festgestellt. 

1. Gruppe. Die Zellulose wurde mit Wasser zum Teil auf- 
gespalten: Nylander positiy; die wässerige Lösung gab aber mit 
Jod keine Färbung. Es waren somit bloß niedere Saccharide 
von der Zellulose abgespalten worden. Die Phenyl- 
hydrazinprobe ergab dem Maltoseosazon ähnliche Krystalle. 

2. DieStärkearten waren zum großen Tei? nicht tiefer 
verändert (Nylander negativ, blaue Jodreaktion). Auffallend 
war aber die starke und tiefe Aufspaltung der aus Gerste 
gewonnenen Stärke: Die Lösung gab viel Glukosazon, da- 
gegen mit Jod keine Färbung mehr. | 

3. Agar: Reduktionsprobe stark positiv, mit Jod Braun- 
färbung. Mit Phenyl-Hydrazin wurde nur eine amorphe Fällung 
erzielt, in der Kälte eine braun- schwarze, harzige Fällung. — 
Hefe Polysaccharide: mit Jod zuerst etwas bläuliche, dann braune 


Färbung. 

94. Glykogen: Keine Reduktion! Jodreaktion braunrot, 
also anscheinend unverändert. — Inulin ebenfalls un- 
verändert. 


Einzelne Präparate wurden auch bei 5 Atmosphären (3 Stun- 
den) auf Hydrolysierbarkeit untersucht. Hier war die Reduktions- 
probe bei Reisstärke und Glykogen ganz schwach positiv, Kartof- 
felstärke war jetzt deutlich aufgespalten. 


Wir haben ferner dem gespannten Wasserdampf noch eine schwache 
Säurewirkung hinzugesellt, indem zu je 50 cem derselben Aufschwemmungen 
je I Tropfen konz. Milchsäure zugesetzt und abermals 3 Stunden bei 138° 


Polysaccharide. 279 


gehalten wurde. Nunmehr war die Jodreaktion braun bei Kartoffel- 
stärke, gelbbraun bei Reisstärke, in beiden Fällen aber die Nylander- 
sche Probe noch immer negativ. Diese Stärkearten waren somit wohl in 
Dextrin aufgespalten, ohne daß Zucker entstanden wäre. Mais war noch 
weniger verändert: Jodreaktion rotviolett, Nylander negativ. Glykogen 
gab noch rotbraune Jodfärbung, zeigte aber deutliche Reduktion. Das 
Verhalten der anderen Stoffe war ähnlich dem auch ohne Säure erhaltenen 
Befund und ist im einzelnen aus der Tabelle erkennbar. 

Wir sehen somit, daß bei der Zellulosegruppe nur we- 
nige, tiefe Bausteine abgespalten wurden, daß die Stär- 
ken, mit Ausnahme der sehr labilen Gerstenstärke, 
sehr resistent sind und erst bei schwach saurer Hydrolyse in 
Dextrin übergeführt werden. Der Agar wurde stark in redu- 
zierende Stoffe aufgespalten, während das Glykogen sich als 
unerwartet resistent erwies. 17 . 


IV. Verschiedene Fällungsmittel [Ba(OH,) und Tannin]. 


Hier können nur die wenigstens kolloid löslichen Präparate 
untersucht werden. Bekannt ist die gute Fällbarkeit von Stärke- 
lösungen durch Bariumhydroxyd; von den übrigen Präparaten 
reagierte nur Inulin mit schwacher Opalescenz. Das Verhalten 
des Tannins ist ebenfalls aus der Tabelle erkennbar. Wir heben 
die ungemein starke Fällbarkeit des Glykogens durch diesen 
Körper hervor, die den Charakter einer spezifischen Reaktion 
trägt. Im Überschuß des Glykogens sowie in Alkohol ist dieser 
Niederschlag sehr leicht löslich. Jod-Jodkalium verstärkt die Fäl- 
lung und färbt sie rostbraun. 


Zur Theorie der Diastasewirkung. 


Im Laufe unserer Versuche mit den verschiedenen gereinigten 
Polysaccharid-präparaten haben wir auch die Einwirkung von dia- 
statischen Fermenten auf dieselben untersucht. Wenn man ge- 
reinigte Reisstärke unter Aufkochen in Wasser löst und dann mit 
einem Diastasepräparat versetzt im Brutschrank stehen läßt, so 
ist die Jodstärkereaktion nach 24 Stunden blau. Die wasserunlös- 
liche Stärke wurde somit von der Diastase nicht deutlich angegrif- 
fen. Stellt man denselben Versuch mit Speichel anstatt mit reiner 
Diastase an, so zeigt sich am nächsten Tag die Jodreaktion zu- 
nächst wohl negativ; wenn man aber die Mischung nach der oben 
beschriebenen Methode behandelt, d. h. mit Alkali versetzt und 


- 


280 E. Herzfeld und R. Klinger: 


dann mit Alkohol ausfällt, so scheidet sich beim Erwärmen am 
Boden des Kölbchens eine gelbe, klebrige Masse ab, die nach 
Abgießen des Alkohols mit verdünnter HCl neutralisiert und gelöst 
und nochmals mit Alkohol gefällt einen weißen Bodensatz liefert. 
Dieser ist in Wasser löslich und gibt mit Jod eine intensiv blaue 
Reaktion. Die Stärke war also noch nicht tiefer verän- 
dert, ihre Jodreaktion war bloß verdeckt, vermutlich 
durch Adsorption von Eiweiß oder Eiweißabbauprodukten aus 
dem Speichel. 

Dieser und ähnliche Befunde lassen Zweifel an der Zuverläs- 
sigkeit der Jodreaktion bei Anwesenheit von Eiweiß oder dessen 
Abbauprodukten aufkommen, was für unsere Frage um so wichtiger 
ist, als die meisten Diastasepräparate nicht frei von diesen Stoffen 
sind. Wir mußten uns deshalb nach einer besseren Nachweis- 
methode für eine eventuelle Aufspaltung der Stärke umsehen. Das 
sicherste Zeichen einer solchen ist jedegfalls die Feststellung der 
betreffenden Spaltprodukte, in unserem Falle also von Zuckern. 
Um über das Auftreten von Mono- oder Di-Sacchariden Auskunft 
zu erhalten, darf aber bei solchen Versuchen nicht eine der meist 
verwendeten Reduktionsproben angewandt werden, weil sowohl 
die Methode nach Trom mer oder Fehling wie nach Nylander 
auch mit anderen, den Zuckern fernstehenden Körpern Reduktion 
geben. So reagiert Harnsäure, Kreatinin und ähnliche nach Tro m- 
mer und Fehling positiv. Aldehyde geben mit diesen und 
mit der Nylanderschen Probe positiven Ausfall usw. 
l Einzig die Phenylhydrazinprobe nach E. Fischer kann 
für unsere Untersuchungen als brauchbar bezeichnet 
werden, da hierbei die Zucker in einer für sie vollko m- 
men charakteristischen Weise nachgewiesen werden. 
Es frägt sich bloß, ob diese Reak ion fein genug ist, um auch sehr 
geringe Zuckermengen zu erkennen, speziell dann, wenn andere 
Stoffe wie Stärke oder Eiweiß zugegen sind? Unsere diesbezüg- 
lichen Versuche haben ergeben, daß es bei Verwendung der freien 
Base möglich ist, noch Zuckermengen nachzuweisen, die 
einem Gehalt von 0,005% oder 0,5 mg in 10 ccm entspre- 
chen. 

Treten wir, mit dieser Methode ausgerüstet, an die Frage nach 
der enzymatischen Aufspaltbarkeit der Stärke heran, so ergibt 
sich, daß auch bei Verwendung „F guter“ Diastasepräparate eine 


— — ne — 


Polysaccharide. / 281 


Zuckerbildung nicht 'nachweisbar ist. Wir haben weder mit 
den käuflichen oder aus physiologischen Laboratorien 
erhaltenen!), noch mit einem aus Grün malz nach A. Wro- 
blewsky (Ber. 30, 31) selbst hergestellten Präparate, 
noch mit dem bekanntlich gut diastatisch wirkenden 
Speichel in sehr zahlreichen und unter verschiedenen 
Versuchsbedingungen angestelltenVersucheninirgend 
einem Falle eine erkennbare Zuckerbildung feststellen 
können. (Viele dieser Versuche werden von A. Bianchetti als 
Dissertationsarbeit veröffentlicht werden; daselbst wird auch über 
den Einfluß des Zusatzes von Salzen, Eiweißabbauprodukten 
usw. berichtet.) 

Bei der Mehrzahl dieser Verauche wurde die von Wohlgemuth (diese 
Zeitschr. 9) vorgeschriebene und als die beste empfohlene Methode ver- 
wendet (Digerieren einer 10 proz. Stärkelösung (,, lösliche“ Stärke Kahlbaum 
in Aqua dest.) in der Menge von 5 cem mit absteigenden Mengen der Dia- 
staselösung während 30—60 Min., bei 37—40°, vor und nach dem Aufenthalt 
im Wasserbade Eiskühlung). Für die Osazonbildung hat sich uns schließ- 
lich folgendes Verfahren als das empfindlichste bewährt: Zu je 1,0 Phenyl- 
hydrazin (fast farblose, in zugeschmolzenen Röhrchen aufbewahrte, freie 
Base!) wird 2—3 ccm Eisessig und 10 ccm der zu untersuchenden Flüssig- 
keit hinzugefügt. Es wird eine Stunde im Wasserbad gekocht und hierauf 
vorsichtig abgekühlt, wobei die büschelförmigen gelben Krystalle ausfallen. 
Um die evtl. störende Anwesenheit von Eiweiß zu vermeiden, wurde die 
mit Diastase digerierte Lösung zunächst mit dem 5—6 fachen Volumen 
abs. Alkohols versetzt und zum Sieden erhitzt. Man erhält auf diese Weise 
ein Filtrat von ca. 80—85% Alkohol, in welchem aller evtl. vorhandener 
Zucker gelöst ist. Dieses wird zur Trockne eingedampft, der Trockenrück- 
stand einige Minuten mit absolutem Alkohol auf dem Wasserbade extra- 
hiert (bis der Alkohol kräftig siedet). Man filtriert hierauf den Alkohol- 
Extrakt, dampft ihn nochmals ein und löst den so erhaltenen Rüekstgnd 
in 10 ccm Wasser auf dem Wasserbade Nachdem diese Lösung mit 
Phenylhydrazin und Eisessig eine Stunde im kochenden Wasserbade ge- 
standen, wird sie sofort heiß filtriert, um etwa gebildete Verharzungs- 
produkte (die das Auskrystallisieren kleiner Osazonmengen stören 
würden) zu entfernen. Es gelingt auf diese Weise leicht, 1 und selbst 
noch !/, mg künstlich zugesetzten Zucker in Diastaselösungen (Speichel, 
Blut usw.) nachzuweisen. Hingegen ist es uns auch bei längerer Ein- 
wirkung der Diastasepräparate (z. B. 24 Stunden Brutschrank unter 
Toluol) nicht gelungen, eine Zuckerbildung festzustellen. 


1) Für die gütige Überlassung mehrerer Präparate möchten wir Herrn 
Prof. E. Winterstein an dieser Stelle unseren besten Dank aussprechen. 
Ebenso sind wir Herrn Brauereidirektor H. Bibus fürein größeres Quan- 
tum Grünmalz zu großem Dank verpflichtet. 


282 E. Herzfeld und R. Klinger: 


Wir stellen somit fest, daß niedere Spaltstücke bei der 
diastatischen Stärkeverdauung nicht auftreten und 
daß das Verschwinden der Jodreaktion noch nicht als 
Beweis einer Aufspaltung gelten kann!). Worin beruht 
also die biologisch gewiß bedeutungsvolle Wirkung dieser „En- 
zyme“‘? 

Hierüber gibt uns folgender grundlegende Versuch Auskunft : 
50 ccm einer 3 proz. Lösung von löslicher Stärke (Kahlbaum) 
werden mit 0,15 g Diastasepulver versetzt, das letztere mit einem 
Glasstab zur Lösung gebracht und, sobald dies geschehen ist, eine 
kleine Probe entnommen. Mit ½ n-Jodlösung erhält man die 
für Dextrine charakteristische Braunrotfärbung. Die Stärke ist 
somit bereits auf die Dextrinstufe übergeführt. Ver- 
setzen wir eine weitere Probe unserer Lösung mit dem 5fachen 
Volumen Alkohol, so fällt auf, daß zunächst nur eine opalescente, 
Trübung eintritt, von einigen Flocken abgesehen, die von der 
gefällten Diastase herrühren. Erst wenn wir einige Tropfen NaOH 
(33%) zusetzen, fällt nun auch das Polysaccharid massig aus. Wird 
zentrifugiert, mit verdünnter HCl neutralisiert, mit Alkohol noch- 
mals gefällt und der Bodensatz mit Wasser gelöst, so gibt er mit 
Jod eine blauviolette Farbe. Es war somit möglich, durch 
Behandlung mit Alkali und Fällung mit Alkohol die 
dextrinierteStärke wiederineinen wesentlichgröberen 
Dispersitätszustand zurückzuführen. Sowohl dieser Um- 
stand wie das fast momentane Eintreten der Dextrinierung be- 
weisen, daß hier unmöglich eine hydrolytische Auf- 
spaltung vor sich gegangen sein kann (die, wie wir 

1) Zugesetztes Jod verbindet sich außerdem direkt mit Eiweißabbau- 
produkten und reagiert daher, solange solche ungesättigt vorhanden sind, 
nicht mit Stärke. Auf diese Tatsache begründet sich eine Eiweißbestim- 
mungsmethode, die C. Lange vor kurzem an dieser Stelle veröffentlicht 
hat (Bd. 95, S. 46). Der Autor ist darin der Ansicht, daß durch Zusatz einer 
titrierten Jodlösung zu Eiweiß ein Urteil über den Eiweißgehalt der Lösung 
möglich sei. Er übersah dabei vollständig, daß das Jod nicht mit dem 
Eiweiß, sondern bloß mit dessen Abbauprodukten reagiert, welche in jeder 
Eiweißlösung in einer bald größeren, bald geringeren, von Zufälligkeiten 
(Grad der Hydrolyse usw.) abhängenden Menge vorkommen. Eine grobe 
Bestimmung wäre auf diese Weise wohl möglich, dürfte aber, da wir weit 
genauere Methoden besitzen, entbehrlich sein. Daß feinere eiweiß-chemische 
Vorgänge wie Immunreaktionen u. ä. mit dieser Technik studierbar sein 
sollten, scheint uns wenig wahrscheinlich. 


Polysaccharide. 283 


gesehen haben, selbst bei stark hydrolytischen Einwirkungen 
auf Stärke nur sehr schwer erzielbar ist). Der Versuch beweist 
vielmehr, daß dasjenige, was wir auf Grurd der Jod- 

reaktion als „Dextrin“ bezeichnen, nicht eine eigent- 
liche Aufspaltung, sondern bloß eine Dispersitäts- 
erhöhung, eine Zerteilung der zuerst gröber dispersen 
Stärkepartikelchen in wesentlich feinere ist. Die 
Änderung der Farbenreaktion ist ja, wie wir oben ausgeführt 
haben, dadurch bedingt, daß das: Jod jetzt auf viel höher 
dispersen Teilchen adsorbiert ist. 

Es ist klar, daß diese schnelle Umwandlung nur dadurch er- 
folgt sem kann, daß ein geeigneter Lösungsvermittler an die Stärke- 
oberflächen gebunden wurde und dadurch deren Affinität zu Was- 
ser erhöht hat. Entfernen wir diese aus der Diastase adsorbierten 
Stoffe wieder (alkalischer Alkohol), so sind die Partikelchen wieder 
ungenügend mit wasserbindenden Stoffen versehen, sie müssen 
sich daher wieder zu gröberen Komplexen = „Stärke“ zusammen- 
legen. Der Unterschied zwischen Stärke und Dextrin ist somit 
kein „ he mischer“ in dem Sinne, daß Dextrin durch eine che- 
mische Umwandlung (Hydrolyse) aus der Stärke hervorgeht, son- 
dern mehr physikalisch-chemischer Natur: er beruht auf 
einer feinen dispersen Aufteilung infolge besserer Wasserlöslichkeit 

der Oberflächen. Diese wurde in unserem Beispiele durch gewisse, 
in der Diastase enthaltene Stoffe bewirkt, die sich elektiv an die 
Stärke adsorbieren und als ihre Lösungsvermittler dienen. Für 
die Aufspaltung der Stärke in Zucker ist damit an sich noch nichts 
geschehen. Doch ist es eine für die folgende Hydrolyse sehr wich- 
tige Vorbereitung. Denn die Stärke hat dadurch nicht nur eine 
weit größere Oberfläche erhalten, sie wurde zugleich — was noch 
wichtiger ist — mit dem Wasser in Beziehung gebracht und dürfte 
dadurch geeigneten, hydrolytischen Agentien gegenüber angreif- 
barer. geworden sein. 

Die Wiederherstellung der Stärke aus dem Dextrinzustand 
gelingt (bei löslicher Stärke) nur, wenn die Diastase bloß kurze 
Zeit eingewirkt hat. Nach Stehen (namentlich im Brutschrank) 
wird die Adsorption der Diastasestoffe und damit die Aufte lung 
der Stärke bald so hochgradig, daß auch nach Alkali-Alkoholfällung 
nur noch Dextrin erhalten wird. Es tritt zunächst ein zerflieBlicher, 
gelblicher Bodensatz auf, der nach der zweiten Fällung weiß- 


284 E. Herzfeld und R. Klinger: 


flockig ist, in Wasser sich glatt löst und mit Jod schön braunrot 
gefärbt ist. Dem entspricht auch die bekannte Tatsache, daß 
jetzt die Jodreaktion, an der ungefällten Stärke-Diastaselösung 
ausgeführt, ganz negativ ist: „Achroodextrin“. Wie sehrdiese 
Bezeichnung aber in diesem Falle unzutreffend wäre, 
zeigt die eben geschilderte Restituierbarkeit der Jod- 
reaktion durch die bloße Entfernung der Lösungsver- 
mittler. Auch dieses Achroodextrin ist somit keine Abbaustufe 
der Stärke, sondern bloß ein durch reichliche Adsorption von 
Abbauprodukten sehr fein aufgeteiltes Dextrin. 


Sind in der Stärkelösung infolge ungenügender Auflösung der Stärke 
einige ungelöste Krümelchen liegen geblieben, so können dieselben von der 
Diastase natürlich nicht angegriffen werden (ebenso wie unlösliche Stärke) 
und geben daher, wenn sie später entfernt und in Wasser gelöst werden, 
die unveränderte Blaufärbung. Man ersieht daraus die Wichtigkeit einer 
schon vorherigen, feineren Verteilung der Stärke behufs Vergrößerung der 
Ansatzflächen der Diastase. 


Welcher Art sind die in den „Diastasen“ enthaltenen Lösungs- 
vermittler? Alle wirksamen Präparate geben die Biuretreaktion 
und reduzieren die Nylandersche Lösung. Die Reindarstellungs- 
verfahren weisen uns ebenfalls darauf hin, daß Abbauprodukte 
der Eiweiß- oder Lipoidgruppe vorliegen dürften. Von Interesse 
ist ferner der folgende Befund, welcher inzwischen durch die von 
G. Woker hervorgerufene Diskussion!) über die Diastase-ähn- 
liche Wirkung des Formalins in weiteren Kreisen bekannt wurde: 
Wenn man fösliche Stärke mit Formaldehyd versetzt und etwas 
erhitzt, so tritt gleichfalls schon nach kurzer Zeit dieselbe Dex- 
trinierung ein: braunrote Jodreaktion. Gewöhnliche (nicht lös- 
liche) Stärke zeigt diese Umwandlung erst später und nach 
mehrmaligem Aufkochen. Wir sehen daraus, daß auch 
chemisch einfache Körper, wofern sie sich nur an die 
Stärkeoberflächen binden, eine Dextrinierung be- 
wirken können und dürfen daher vermuten, daß auch in 
den eigentlichen Diastasepräparaten vielleicht ähnliche Stoffe 

1) Diese Zeitschr. 99, Ber. 1919. Durch den von uns erbrachten 
Beweis, daß auch die Diastasen nicht zur Zuckerbildung führen, fällt 
natürlich der Hauptunterschied zwischen Diastase- und Formalin-Wirkung 
dahin, und ist es daher wieder berechtigt, beide Vorgänge in Analogie zu 
setzen. Der von G. Woker gegebenen Erklärung der Formalinwirkung 


auf Stärke können wir uns dagegen, aus eben diesem Grunde (weil eine 
Hydrolyse nicht eintritt), nicht anschließen. 


Polysaccharide. 285 


eine Rolle spielen. Freilich haben die Diastasestoffe viel aus- 
gesprochenere Affinitäten zur Stärke als bloßes Formaldehyd. 
Dies zeigt sich darin, daß sie viel schneller und leichter sich 
adsorbieren (Formalin bedarf Erhitzung) und auch schwerer 
wieder entfernbar sind. Mit bloßem Alkohol kann z. B. wohl das 
Formalindextrin, nicht aber das mit Diastase gewonnene von 
den Lösungsvermittlern wieder befreit und die blau färbbare, 
ursprüngliche Stärke wiedergewonnen werden. Das Formalin 
wird sogar durch das Jod spontan zerstört (vermutlich oxy- 
diert), so daß eine mit Jod braunrot gefärbte Formalinstärke- 
lösung beim Stehen allmählich dunkler, violett, schließlich blau- 
violett wird (Restitution des Stärkedispersitätsgrades 
infolge Verlust des Formalins). Wir möchten aber keines- 
wegs behaupten, daß nicht auch andere als aldehydartige 
Stoffe eine diastatische Wirkung ausüben könnten. Es ist sogar 
wahrscheinlich, daß auch Eiweißabbauprodukte, z. B. gewisse 
Albumosen oder Peptone, ähnlich wirksam sind, und daß 
vielleicht darauf zum Teil die dextrinierende Wirkung des 
Speichels (die sich mit der obigen Technik leicht nachweisen 
läßt) zurückzuführen ist. | 

Daß N-haltige, am Aufbau tierischer (und pflanzlicher) Zellen 
beteiligte Stoffe bei der Dextrinierung eine Rolle spielen, läßt 
sich auch aus folgenden Versuchen erkennen: 30 g fein zerriebener 
Leichenleber (Mensch) werden mit 30 cem 33% Lauge auf dem 
Wasserbade erhitzt, bis die Flüssigkeit homogen zu werden be- 
ginnt, und hierauf 100 cem einer 3 proz. Lösung von löslicher 
Stärke zugesetzt. Es wird eine Stunde auf dem Wasserbade 
gekocht, hierauf mit 90% Alkohol heiß gefällt. Sobald das Ge- 
misch durchsichtig, der Bodensatz also sichtbar wird, gießt man 
den Alkohol ab und löst den Rückstand in alkalischem Wasser, 
fällt noch einmal, neutralisiert die Fällung mit HCl, zentrifugiert 
und fällt die klare Lösung mit 90% Alkohol. Der weißliche 
Niederschlag wird abzentrifugiert und liefert nach dem Trocknen 
eine schwach gelb gefärbte, glasige Masse. Das so erhaltene 
dextrinartige Produkt ist in kaltem Wasser leicht kolloid- 
verteilbar und gibt dann bei Versetzen mit einigen Tropfen 
einer / 100 Jodlösung eine intensiv rot-violette Farbe. Behandelt 
man dagegen lösliche Stärke ebenso, aber ohne Leberzusatz, so 
erhält man ein in kaltem Wasser kaum lösliches, mit Jod (nach 


EE — nn 


286 E. Herzfeld und R. Klinger: 


p 


Auflösen in heißem Wasser) tiefblau färbbares Produkt. — Das- 
selbe wie mit Leber kann auch durch Kochen von Stärke mit 
Eiereiweiß und Lauge und nachfolgender gleichartiger Behand- 
lung erzielt werden. Wir haben somit die ursprünglich in kaltem 
Wasser unlösliche Stärke in einen Körper von relativ leichter 
Löslichkeit und veränderter Jodfärbbarkeit umgewandelt, somit 
zweifellos den Dispersitätsgrad seiner wässerigen Lösung erhöht, 
d. h. ihn in einen Körper der Dextrinstufe übergeführt. Eine 
Fermentwirkung ist unter den beschriebenen Bedingungen aus- 
geschlossen, so daß die gegenwärtige Auffassung für die Erklärung 
dieses Vorganges (wie für die oben besprochene Formalin- 
wirkung) völlig versagt. Derselbe dürfte dagegen leicht verständ- 
lich werden, wenn wir annehmen, daß Abbauprodukte der ver- 
wendeten Organe sich an die Stärketeilchen adsorbiert und 


dieselben feiner Kolloid verteilt haben. Bei der folgenden Fäl- 


lung mit Alkohol werden dieselben nicht wieder völlig abgelöst, 
die Teilchen können sich daher nicht mehr wie früher zu Stärke 
zusammenlagern. Nur dort, wo wir die Lösungsvermittler wieder 
glatt entfernen können, wie dies bei dem nur schwach haftenden 
Formalin leicht möglich ist (Zusatz von Ammonazetat nach 
M. Jacoby), von Neutralsalzen oder kochendem Wasser 
(v. Kaufmann und Lewite), kann die ursprünglich blaue 
Jodreaktion der Stärke wieder erhalten werden. 

Ob das völlige Verschwinden der Jodreaktion bei Zusatz relativ 
großer Formalinmengen wirklich auf einer Aufteilung der Stärke bis 
über die Dextrinstufe oder bloß auf einer so dichten Besetzung der 
Oberflichen durch das Formalin beruht, daß diese mit Jod nicht mehr 
zu reagieren vermögen, sei dahingestellt. 

Auch die bekannte Nachweismethode diastatischer Fermente 
mit Hilfe der Kleisterplatte wird in ihrem Chemismus duroh das 
soeben Gesagte verständlich. Die mit der Diastasg herangebrach- 


ten Lösungsvermittler erhöhen die Beziehungen der Stärkepartikel- 


chen zum Wasser und verteilen sie fein dispers, sie führen daher 
in ganz gleicher Weise zur Verflüssigung wie etwa eine Gelatine- 
platte durch „ proteolyische Fermente“, d. h. Eiw&ißabbaupro- 
dukte flüssig wird. Eine Verzuckerung findet auch hier nicht statt. 
Daß Formalin Stärkekleisterplatten ähnlich wie Diastase auflöst 
(Woker), ist nach dem oben Gesagten zu erwarten. 

Stellen wir analoge Versuche anstatt mit Stärke mit Glykogen 
und gewöhnlichem „Dextrin“ an, so ergibt sich folgendes: Diese 


Polysaccharide. 287 


ged 


beiden Dextrine werden nach Digerieren mit Diastase so verän- 
dert, daß sie weder direkt noch nach der eben geschilderten Be- 
handlung mit Alkali-Alkohol die ursprüngliche rotbraune Jod- 
reaktion geben. Mit Speichel tritt dieselbe Veränderung sogar 
momentan ein, so daß schon das sofort nach der Mischung wieder- 
gewonnene Dextrin nur noch goldgelbe Jodreaktion gibt, nach 
längerer Einwirkung die Jodreaktion ebenfalls ganz negativ wird. 


Wir sehen daraus, daß das Dextrin noch keineswegs die 


letzte Stufe in der Verteilung der Polysaccharide (vor 
ihrer Aufspaltung in Zucker) darstellt, sondern daß diesel- 
ben noch feiner dispers aufteilbar sind und in einen 
Zustand übergehen können, in welchem das Jod eben 
noch ein wenig oder überhaupt nicht mehr mit ihnen 
reagiert. Daß auch hier einzig Adsorptionsvorgänge entschei- 
dend sind, beweist der Umstand des schnellen Eintritts dieser Ver- 
änderung, sowie der folgende, analog zu dem oben geschilderten 
Versuch (mit Stärke) anstellbare Versuch: Wird eine Glykogen- 
lösung mit etwas Formalin kurz aufgekocht und jetzt die Jod- 
reaktion gemacht, so ist dieselbe zunächst ganz negativ; nach 
Fällung mit Alkohol und Wiederauflösen in Wasser erhält man 
aber auch jetzt nicht mehr die ursprünglich rote, sondern nur 
noch eine goldgelbe Farbe. Das einmal feiner dispers verteilte 
Glykogen bleibt in diesem Zustand, weil unser Fällungsmittel 
(der Alkohol) nicht ganz indifferent zu demselben ist. Er vermag 
zwar die Teilchen nicht vor dem Aneinanderlagern zu schützen, 
bleibt aber doch teilweise an ihrer Oberfläche adsorbiert, so daß, 
wenn wir wieder in Wasser lösen, keine so grob disperse Zusammen- 
lagerung (d. i. Glykogen) auftreten kann. (Diese Affinitäten des 
Alkohols zu den Polysacchariden haben wir schon oben bei der 


Stärke kennengelernt, sie läßt sich auch am Glykogen gut beob- 


achten. Ein frisch aus Alkohol gewonnenes Glykogen löst sich 
in Wasser besser und feiner dispers als ein schon längere Zeit 
aufbewahrtes Präparat oder als ein solches, welches nach dem 
Alkohol noch mit Äther behandelt wurde.) 

Wir sehen somit, daß es unter dem Glykogen noch eine 
Dextrinstufe gibt, die sich gegen Jod bereits negativ verhält 
und dennoch als typisches Dextrin bezeichnet werden muf 
(Fällbarkeit in sehr wasserarmen Alkohol, negative Reduktions- 
probe). | 


Biochemische Zeitschrift Band 107. 19 


288 E. Herzfeld und R. Klinger: 


Um das gegenseitige Verhalten dieser verschiedenen Stufen 
und die Zusammenhänge mit der Löslichkeit möglichst klar zu 
machen, wollen wir die Bildung und Wiederaufteilung eines Stärke- 
kornes in der Pflanze verfolgen: Der im Chlorophylikorn rasch in 
großer Menge auftretende Zucker wird synthetisiert und liefert 
den niedersten Polysaccharidbaustein (im engeren Sinn), das jod- 
negative Dextrinteilchen. Da am Ort der Entstehung keine oder 
nur wenige Lösungsvermittler vorhanden sind, so lagern sich diese 
Partikelchen immer wieder aneinander, es entstehen dadurch zu- 
nächst etwas gröbere Körnchen (jod positive Dextrinstufe). In 
unserem Schema (Abb. 1) haben wir die synthetisch wirksamen 
Stellen des Protoplasmas mit einer Lage schwarzer Striche an- 
gedeutet. Sie produzieren nach rechts die niedersten Dextrin- 
teilchen, welche sich sofort zu Komplexen zusammenlagern. Indem 
diese durch das nachwachsende Dextrin von ihrer Bildungsstätte 


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Abb. 1. Abb. 2 Abb. 4. Abb. 5. 


abgeschoben werden, treten in den entstehenden zylindrischen 
Gebilden einzelne Bruchlinien auf, wodurch die jod- positiven Dex- 
trinteilchen vorgebildet sind. Alle diese sind, da sie fast keine 
Lösungsvermittler besitzen, voneinander nicht durch Wasserhüllen 
isoliert und lagern sich daher fest aneinander. Nach einer gewissen 
Dauer der Synthese muß durch äußere Momente (Belichtung usw.) 
oder vielleicht durch innere chemische Ursachen bedingt, ein Still- 
stand in der Produktion eintreten und nunmehr an der entstan- 
denen Stärke zunächst Eiweiß oder Eiweißabbauprodukte ange- 
lagert werden, worauf später wieder die Stärkesynthese einsetzen 
kann. So kommt der bekannte wechselnde, organisierte Bau der 
Stärkekörner zustande; die meist nachweisbare Doppelbrechung 
weist auf eine geschichtete Struktur, die chemische Analyse auf 
nicht unbeträchtliche Eiweißeinlagerung hin. Abb. 2 stellt, eben- 
falls schematisch, ein Stück eines solchen Kornes dar (die vom Eiweiß 
eingenommenen Streifen sind weiß gelassen). Wenn wir dieses in 


Polysaccharide. 289 


Wasser erhitzen, so dringt das heiße Wasser in die großen Spalt- 
systeme ein, die daselbst befindlichen Albumosen usw., sowie 
die Stärkeoberfläche selbst werden besser wasserlöslich; die Teil- 
chen erlangen daher so viel Wasserbindung, daß sie nicht sofort 
wieder verkleben, sondern einigermaßen verschieblich bleiben 
(Kleister, kolloid verteilte Stärke i)). (Abb. 3, wo einzelne Teil- 
chen schwarz umrandet gezeichnet sind, was schematisch die 
[blaue] Jodadsorption bei Jodfärbung andeuten soll.) Mehr ist 
mit bloßem (heißem) Wasser nicht erreichbar, eine Trennung der 
gröberen Komplexe in die höher dispersen Partikelchen erfolgt 
nicht, weil das Wasser keine genügende Wasserbindung bewirkt, 
um auch die feineren Teilchen auseinanderzuhalten. Setzen wir 
nunmehr einen Lösungsvermittler in Form von Diastase zu, 
so wird dieser nicht nur die schon bestehenden Oberflächen 
sofort in Beschlag nehmen und gut wasserbindend machen, son- 
dern er dringt, durch seine chemischen Affinitäten zur Stärke ge- 
trieben, auch in die präexistierenden Spalten der Stärkepartikel- 
chen ein; gleichzeitig mit ihm das Wasser, welches die Teilchen nun 
umhüllt und dadurch isoliert, d. i. fein dispers verteilt. Die Lösungs- 
vermittler gehen natürlich zuerst in die gröberen Spalten und teilen 
die Stärke daher zunächst in Teilchen der jodpositiven Dextrin- 
stufe (Abb. 4). Sind sie aber in genügender Menge vorhanden und 
lassen wir dem ganzen Vorgang Zeit, so dringen sie auch zwischen 
die Haftflächen der niederen Bausteine, der negativen Dextrin- 
teilchen, ein und verwandeln das ganze Stärkekorn in die feinst 
disperse Phase (Abb. 5). Alles dies geschieht ohne Hydrolyse 
und ist ein bloßer Lösungsvorgang infolge Adsorption von Lösungs- 
vermittlern. | 

Da die Dextrinstufe (namentlich die hoch disperse) bereits 
aus sehr kleinen und sehr gut wasserlöslichen Teilchen besteht, 
vermag dieselbe durch die gewöhnlichen Zellmembranen und 
Scheidewände ohne weiteres durchzutreten. Wir möchten deshalb 
für wahrscheinlich halten, daß in der Pflanze nicht, wie bis- 
her meist angenommen wurde, jeweils eine Hydrolyse der 
Stärke bis zu Zucker eintritt, wenn die Stärke von 
einer Zelle zur andern wandert, sondern daß es im we- 

1) Die „lösliche“ Stärke ist eine durch Säurehydrolyse teilweise auf- 


gespaltene Stärke, in welcher das vorhandene Dextrin die gröbern 
Partikelchen umgibt und so in kolloider Verteilung hält. 


19* 


290 E. Herzfeld und R. Klinger: 


sentlichen Polysaccharide der De xtrinstufe sind, wel- 
che in der Pflanze von einem Ort zum anderen ziehen. 
Es genügt ja, daß in der Zelle Lösungsvermittler in größerer 
Menge auftreten (wir erinnern an die diesbezügliche Wirkung der 
Aldehyde, die ja in der Pflanze verschiedentlich vorkommen), 
um die Stärke in Dextrin überzuführen und damit permeierend zu 
machen. Und diese Lösungsvermittler müsse nnur an anderer 
Stelle wieder entfernt (z. B. oxydiert oder synthetisch verarbeitet) 
werden, um wieder eine Aneinanderlagerung der Teilchen und 
damit die Ausscheidung von Stärke zu bewirken. 

Ganz anders als in den Stärkekörnern müssen wir uns den 
Aufbau der Cellulosewände in der Pflanze vorstellen. Hier 
werden ebenfalls die kleinsten Bausteine (Dextrinteilchen) anein- 
andergelagert, sie scheiden sich aber jedenfalls in Form einer zu 
sammenhängenden, bloß von wenigen gröberen Spalten durch 


brochenen Masse aus. Denn wir wissen, daß diese Scheidewände 


zwar für Wasser und darin gelöste Stoffe (wenigstens in den jün- 
geren Geweben) durchgängig sind, wir kennen aber auch die 
großen Schwierigkeiten, welchen Pflanze und Tier und schließlich 
selbst der Chemiker begegnen, wenn sie diesen Stoff feiner kolloid 
verteilen sollen. Hier genügt es eben nicht, daß Lösungsvermittler 
— berangebracht werden, die Oberfläche 
. ist viel zu wenig ausgedehnt, die Spal- 
ten viel zu spärlich, als daß dadurch 
eine Verteilbarkeit ermöglicht wäre 
(Abb. 6). Dazu kommt noch, daß die 
älteren Cellulosewände durch Einlage- 
rung selbst wieder schwer löslicher Stoffe (Lignin usw.) in die 
Zwischenräume abgedichtet werden, wodurch die Angriffsfläche für 
Lösungsvermittler noch weiter vermindert wird. Erst wenn wir 
diese Stoffe entfernen, können wir solches Material einigermaßen 
verdaulich machen, d. h. mit Hilfe von Drüsensekreten usw. zum 
Teil in fein disperse Teilchen aufteilen. Nur die Scheidewände 
junger, noch wachsender Gewebe dürften noch nicht aus durch- 
wegs zusammenhängender Cellulose, sondern aus einzelnen Schol- 
len bestehen, die erst später durch Einlagerung weiterer Cellulose 
oder anderer unlöslicher Stoffe verschmolzen werden. 
Diese Uberlegungen machen uns das verschiedene chemische 
Verhalten der einzelnen, von den Pflanzen her vorgebrachten Poly- 


Polysaccharide. 291 


saccharide verständlich, und zwar aus vorwiegend physika- 
lisch- chemischen Momenten. Daß noch Unterschiede in der 
chemischen Vereinigung der Zucker (z. B. bei Cellulose einer- 
seits, bei Stärke andererseits usw.) vorkommen können, soll 
damit nicht bestritten werden. Wir sind aber der Ansicht, daß 
dies weit weniger häufig ist, als aus der großen Mannigfaltigkeit 
der verschiedenen Polysaccharide zunächst geschlossen werden 
könnte, und daß die Unterschiede derselben vor allem 
durch die Art der Zusammenlagerung der Dextrin- 
partikelchen und durch die Natur und Menge der an 
ihnen vorhandenen Lösungsvermittler bedingt ist. Wir 
müssen daher die oben gegebene Einteilung (die für praktische 
Zwecke natürlich ihren Wert behält) insofern ergänzen, als wir 
nicht alle einzelnen Gruppen als chemisch different und ihre Gren- 
zen daher nicht als scharfe ansehen können; vielmehr müssen 
wirden jeweils bestehenden Beziehungen zwischen den 
sie aufbauenden Teilchen zum Wasser eine ent- 
scheidende Bedeutung zuschreiben. 

Überall dort, wo sich Lösungsvermittler in relativ großer 
Menge vorfinden, wird eine Zusammenlagerung von Dextrin- 
teilchen zu Stärke nicht stattfinden können. Dies ist wohl der 
Grund, warum im tierischen Organismus keine Stärke, sondern 
bloß ein Dextrin auftritt und warum wir derartigen Dextrinen 
auch im Pflanzenreich nicht selten begegnen (namentlich bei den 
saprophytisch lebenden Pflanzen wie Bakterien, Hefen, Pilzen 
usw., welche ihre Polysaccharide meist nach Art der Tiere aus 
Zucker, Glycerin oder ähnlichem aufbauen und sie nicht, wie die 
grünen Pflanzen, selbst produzieren). Wir möchten aber auch 
in bezug auf die Verdauung der Stärke im tierischen 
Organismus einige wichtige Schlußfolgerungen aus unseren 
Beobachtungen ziehen. Der Speichel und die Sekrete der Darm- 
drüsen bringen an die (mit Vorteil durch Quellung etwas zugäng- 
licher gemachte) Stärke Lösungsvermittler heran, welche sie in 
die jodnegative Dextrinstufe überführen. Als solche kann die 
Stärke die Darmwand (unter Benützung der zwischen den Epithe- 
lien befindlichen, kapillaren Spalten) glatt durchsetzen und ins 
Blut übertreten. Es scheint uns deshalb sehr wahrscheinlich, 
daß die höheren Kohlehydrate unserer Nahrung keines- 
wegs, wie bisher angenommen wurde, stets bis zu Zucker 


292 E. Herzfeld und R. Klinger: 


aufgespalten und erst in dieser Form resorbiert wer- 
den, vielmehr ist eine Resorption in Form von Dextrin 
viel wahrscheinlicher, und zwar aus folgenden Gründen: 
1. Weil im Darm eine schwach alkalische Reaktion besteht, die 
für eine Hydrolyse von Polysacchariden (Verzuckerung des Dex- 
trins) nicht günstig ist. Auch haben wir gesehen, daß sogar 
die Dextrine wie Glykogen, Inulin usw. nur schwer hydrolysierbar 
sind. Die Annahme einer solchen Aufspaltung hätte jedenfalls 


weit weniger Wahrscheinlichkeit für sich als diejenige einer 


direkten Resorption des Dextrins. 2. Wir wissen, daß für Stärke, 
im Gegensatz zu Zucker, eine beliebige Toleranz besteht. 
Würde die Stärke wirklich in Zucker zerfallen, so müßte bei sehr 
reichlicher Zufuhr ebenfalls eine Zuckerüberladung des Blutes 
eintreten. Um diese große Toleranz zu erklären, mußte bisher eine 
„außerordentliche Feinheit in der Regelung von Resorption und 
Nachschub der Stärke“ bei der Verdauung angenommen werden 
(O. Cohnheim, Physiol. d. Verd. 1908, S. 145), über deren Me- 
chanismus freilich nichts bekannt war. Hingegen ist diese Tat- 
sache vom Standpunkt unserer Auffassung aus ohne weiteres ver- 
ständlich. Wollte man diese Annahme nicht machen, so müßte 
ja, in Anbetracht der ungemein schnellen Überführung der Stärke 
in die gut permeierende Dextrinstufe bei der Verdauung die Frage 


aufgeworfen werden, was denn die Stärke im Darm zurückhalten 


sollte, damit sie erst nach ihrer Hydrolyse und nicht schon als 
Dextrin resorbiert wird ?}). 

Nach der Resorption wird das Dextrin sehr schnell von den 
verschiedenen Zellen (Leber, Organe) aufgenommen, so daß es 
aus dem Blut wieder verschwinde;. Die meisten Organzellen be- 
sitzen dagegen die Fähigkeit, es nicht nur zu binden, sondern auch 
bis zur jodpositiven Dextrinstufe zusammenzulagern (durch Weg- 
nahme des Hauptteils seiner Lösungsvermittler). 

Es genügt aber, daß durch eine Änderung im Chemismus der 
Zelle (Steigerung der Autolyse und damit der Abbauvorgänge 
infolge von Nervenströmen usw.) die Lösungsvermittler zuneh- 
men, um das Glykogen zu „mobilisieren“, d. h. in Dextrin über- 
zuführen. Auch für diesen Vorgang ist es somit nicht notwendig, 


1) Die Tatsache, daß Glykogen auch aus Zucker in den tierischen 
Zellen aufgebaut werden kann, steht mit unserer Annahme natürlich nicht 
in Widerspruch. 


| 


Polysaccharide. 293 


daß das Glykogen bis zur Zuckerstufe aufgespalten werde, um 
aus der Zelle austreten zu können. (Es sei übrigens daran erinnert, 
daß das Glykogen auch selbst ein Dextrin ist und durch die Mem- 
branen vieler Zellen bereits durchtreten kann, wie aus pathol.- 
anatomischen Arbeiten hervorgeht.) Wir halten es für wahr- 
scheinlich, daß nicht nur die Aufnahme der Polysaccha- 
ride, sondern auch der größte Teil des inneren U msat- 
zes nicht in Form von Zucker, sondern auf der (jod- 
negativen) Dextrinstufe abläuft, worauf wir in einer 
späteren Arbeit noch näher eingehen möchten. 

Mit diesen Feststellungen dürfte eines der Haupträtsel des 
pflanzlichen und tierischen Kohlehydratstoffwechsels aufgeklärt 
sein. Die Frage, wie die niederen Dextrine aus den Zuckern her- 
vorgehen und wie sie wieder in dieselben übergeführt werden, ist 
freilich noch nicht gelöst. Dasselbe gilt ja auch für die Entstehung 
und den Abbau der Zucker selbst. Doch lassen uns die neueren 
Arbeiten auf diesem Gebiete, wie sie von C. Neuberg und seinen 
Mitarbeitern ausgeführt sind, hoffen, daß auch hier bald ein- 
fache chemische Formeln an Stelle der bloßen Fermentnamen 
treten werden. 


Zusammenfassung. 


L Es wird eine Methode für die Reindarstellung von 
höheren Polysacchariden beschrieben und die Eigenschaften 
(Löslichkeit, Aufspaltbarkeit usw.) verschiedener, nach diesem 
Verfahren gewonnener Polysaccharid-präparate besprochen. 

2. Die Jodreaktion der Polysaccharide beruht auf der Ad- 
sorption von Jod an die Oberfläche der kolloid verteilten Partikel- 
chen und ändert sich in bezug auf die jeweils auftretende Farbe 
mit der Dispersität der letzteren: Blau entspricht einer relativ 
grob dispersen, Braunrot einer hoch dispersen Verteilung. 

3. Die Stärke kann durch bloße Besetzung ihrer Oberfläche 
mit Lösungsvermittlern (Adsorption von z. B. Formaldehyd) dex- 
triniert, d. h. aus dem grob in den fein dispersen Zustand über- 
geführt werden. Die Dextrine sind somit nicht aufgespal- 
tene, sondern bloß höher disperse Stärke. 

4. Auch die Wirkung der diastatischen Fermente be- 
steht in einer bloßen Änderung des Dispersitätsgrades der Stärke, 
bedingt durch Herantreten von Lösungsvermittlern, wodurch die 


294 E. Herzfeld und R. Klinger: Polysaccharide. 


vorher aneinanderhaftenden, unlöslichen Teilchen wasserbindende 
Oberflächen erhalten und daher kolloid verteilbar werden. Da- 
durch wird zunächst die grob disperse Stärke in kleinere Partikel- 
chen (jodpositive Dextrinstufe) und diese weiter in eine noch 
tiefere, jodnegative Stufe zerteilt, ohne daß hierfür eine 
‚Hydrolyse nötig ist. Eine Überführung in Zucker 
wird durch diese Fermente nachweislich nicht 
bewirkt, doch dürfte die damit gegebene Vergrößerung der 
Oberfläche für eine spätere Hydrolyse eine wichtige Vorberei- 
tung sein. 

5. Die wirksamen Stoffe der Diastasen sind sehr wahrschein- 
lich Spaltprodukte aus Lipoiden oder Eiweißkörpern, 
oder deren Derivate. 

6. Die mannigfaltigen Polysaccharide des Pflanzenreiches sind 
nur z. T. chemisch, z. T. dagegen durch physikalisch-chemische 
Momente unterschieden; in erster Linie wichtig ist die Art 
und Menge der zwischen ihnen und den aneinander gelagerten 
Dextrinteilchen vorkommenden Lösungsvermittler, ferner 
das Vorhandensein oder Fehlen eingelagerter fremder Substanzen 
(Eiweiß, Lignin usw.). 

7. Da die in Dextrin übergeführte Stärke löslich ist und durch 
Membranen durchtreten kann, braucht nicht, wie bisher, ein Ab- 
bau der Stärke in Zucker und Wiederaufbau angenommen zu werden 
für alle Fälle, wo Stärke durch Zellmembranen durchgehen muß; 
es genügt die Besetzung ihrer Oberflächen mit geeigneten Lö- 
sungsvermittlern. (Wanderung der Stärke in der Pflanze, Re- 
sorption „verdauter‘‘ Stärke aus dem Darm und GEET innerer 
Stoffwechsel des tierischen Organismus.) 

8. Das tierische Glykogen ist mit Stärke der Dextrinstufe 
identisch. Es findet sich im Tierkörper nur deshalb ausschließlich, 
weil hier Lösungsvermittler stets so reichlich vorhanden sind, daß 
unlösliche (und daher grob disperse) Teilchen (Stärke) nicht 
entstehen können. 


Über die Bedeutung der Magen-Salzsäure und Bemer- 
kungen über die Bedeutung der Wasserstoffionenkonzen- 
tration in den biologischen Wissenschaften?). 


Von 
J. Traube. 


(Technische Hochschule Charlottenburg.) 
(Eingegangen am 4. Mai 1920.) 


Soerensen?) hat nachgewiesen, daß das Optimum der Pep- 
sinverdauung für Acidalbumin, nach der Wasserstoffionenmeß- 
methode berechnet, bei einer Konzentration von 0,01—0,03 n H 
liegt, während L. Michaelis und Mendelsohn?) das peptische 
Verdauungsoptimum für Casein bei 0,017n Wasserstoffionen- 
konzentration fanden. 

Es spricht für die Zweckmäßigkeit unseres Organismus, 
daß nach Michaelis und Davidsohn®) der Mittelwert der 
normalen Magenacidität nach der elektrometrischen Methode 
gemessen gleich 0,015 n gefunden wurde. Wenn der Magen richtig 
arbeitet, so ist hiernach gerade diejenige Menge freier Salzsäure 
vorhanden, welche für eine optimale peptische Verdauung er- 
forderlich ist. Es wurde nun von mir darauf hingewiesen®), daß 
nach einer Arbeit von M. Fischer‘) ein Maximum der Fibrin- 
quellung bei 0,02 n Salzsäurekonzentration und nach Traube 
und Köhler?) ein Maximum der Gelatinequellung bei 0,019 n 

1) Siehe die Mitteilungen von Traube, Dtsch. med. Wochenschr. 1919, 
Nr. 27, und Leonor Michaelis, ebenda 1920, Nr. 5. 

2) Soerensen, diese Zeitschr. 21, 136. 1909. 

3) L. Michaelis und Mendelsohn, diese Zeitschr. 65, 1. 1914. 

4) Michaelis und Davidson, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Th. 
8, 398. 1910. | 

5) Traube, Dtsch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 27. 

) M. Fischer, Das Ödem. Dresden 1910. S. 24. 

7) Traube und Köhler, Intern. Zeitschr. f. phys. chem. Biol. 
2. 42. 1915. 


296 J. Traube: 


Salzsäurekonzentration statthat. Die letztere Quellungskurve 
steigt steil an, um ebenso steil wieder abzufallen. 

Aus diesem Zusammenfallen der Konzentrationen der freien 
Salzsäure für die optimale Fermentwirkung bei der Verdauung 
eines so leicht verdaulichen Eiweißstoffes wie das Fibrin und seiner 
maximalen Quellbarkeit zog ich den bereits — empirisch — von 
anderer Seite gezogenen und sich geradezu als selbstverständlich 
aufdrängenden Schluß, daß das Ferment Pepsin Leim und Eiweiß- 
stoffe wie Fibrin usw. am besten angreift, wenn die Quellung des 
Substrats am größten ist. Daß die maximale Quellung ein absolut 
notwendiger Faktor für die Verdauung aller Eiweißstoffe ist, 
habe ich nicht behauptet. Wohl aber glaubte ich den Satz aus- 
sprechen zu dürfen, daß ein Eiweißstoff im Magen um so leichter 
und schneller verdaut wird, je größer seine Quellung bei der 
vorhandenen Salzsäurekonzentration ist. So wies ich denn auch 
darauf hin, daß es bei den Verdauungsvorgängen im Magen und 
Darm in erster Linie auf die Quellung ankommt, und diese Quel- 
lung besorgt im Magen die Säure und im Darme das Alkali. 

Herr Leonor Michaelis (l. c.) ist nun mit dieser einfachen 
Theorie nicht recht einverstanden. Er gibt zwar zu, daß „ein 
Kolloid je nach der Oberfläche, die es dem Ferment darbietet, 
und je nach der Quellung schneller oder langsamer verdaut wird“; 
„aber damit sei nicht gesagt, daß dies die einzige Beziehung 
der Säure zur Fermentwirkung sei, er glaube vielmehr, daß dies 
eine mehr sekundäre Wirkung der Säuren sei“ usw. 

Herr Michaelis hält fest an der von ihm aufgestellten 
Theorie, daß die Wirkung der Wasserstoffionen vor allem in 
einer Beeinflussung des elektrolytischen Dissoziationszustandes 
der als Elektrolyte aufgefaßten Fermente zu erblicken sei!). 

Wenn bei einer bestimmten Wasserstoffionenkonzentration 
ein Ferment in der Zeiteinheit den halben Umsatz herbeiführt, 
wie bei der optimalen Wasserstoffionenkonzentration, so meint 
Michaelis, daß nur die Hälfte des Ferments wirksam sei, und 
indem er die Fermente als teilweise dissoziierte Elektrolyte auf- 
faßt, ist er nun der Ansicht, daß bei dem einen Ferment nur der 
undissoziierte Anteil, bei dem anderen nur das Kation oder Anion 
und bei wieder anderen die Ionen und der undissoziierte Teil 


1) L. Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration, S. 60 u. f. 
Berlin 1914. 


Bedeutung der Magen-Salzsäure. 297 


wirksam sind. Je nach dem Grade der Verschiebung des Disso- 
ziationszustandes durch die Wasserstoffionen wird nun eine mehr 
oder weniger optimale Wirkung eintreten. Bei der Invertase 
soll der undissoziierte Teil der Träger der Fermentwirkung sein, 
beim Pepsin sollen nur die Kationen, beim Erepsin nur die 
Anionen wirksam sein und bei der Katalase endlich wird auf eine 
Wirkung des undissoziierten Ferments sowie der Anionen ge- 
schlossen. | 

Man erkennt, daß diese Theorie von Michaelis doch sehr 
hypothetisch ist, und sie wird noch hypothetischer, wenn man 
berücksichtigt, daß außer den Wasserstoffionen auch die ver- 
schiedensten anderen Ionen, insbesondere Anionen, und zwar 
entsprechend ihrer Stellung in der Haftdruckreihet) (Hof meister- 
Spiroschen Reihe) die Fermentwirkung beeinflussen. Das führt 
zu weiteren Hypothesen?), die mir wenig annehmbar erscheinen. 

Vor allem aber sei auf die Arbeiten von Snetlage?®) hin- 
gewiesen, insbesondere auf die im Institut von Bredig angefer- 
tigte Inauguraldissertation. Bekanntlich hatte Wilhelm Ost- 
wald u. a. behauptet, daß bei der Inversion des Rohrzuckers und 
anderen katalytischen Vorgängen in der Säurereihe der Katalysa- 
toren nur die Wasserstoffionen wirksam seien. Snetlage zeigt aber, 
daß diese Annahme — eine der Fundamentalannahmen zur 
Stütze der elektrolytischen Dissoziationstheorie — nicht mehr 
haltbar sei, daß auch die Anionen und insbesondere auch der 
undissoziierte Teil der Säuren einen ganz erheblichen Anteil bei 
der katalytischen Wirkung ausübten. Was für andere Kataly- 
satoren richtig ist, sollte nun doch auch für die Fermente gelten. 
Und es scheint mir ein Rückschritt zu sein, wenn Michaelis 
im Gegensatz zu den Arbeiten von Snetlage beiden Fermenten 
bestimmte hypothetische Teile der Fermente als wirksam, andere 
als unwirksam erklärt. Da ist doch wirklich an Stelle dieser ver- 
wickelten Annahmen die Annahme wahrscheinlicher, die Fermente 
einstweilen als einheitlich aufzufassen und deren Wirkungen in 
gewissen Fällen, insbesondere bei den Verdauungsvorgängen als 
in erster Linie abhängig von der Quellung des zu verdauenden 


1) Traube, Archiv f. d. ges. Physiol. 13%, 511. 1910, u. 140, 109. 1911. 

2) Michaelis, Die Wasserstoffionenkonzentration, I. o. S. 75. 

3) Snetlage, Inaug.-Diss. Karlsruhe 1913, und Zeitschr. f. physikal. 
Chemie 90, 1. 1915. 


— — — — — 


298 J. Traube: 


Substrats anzunehmen. Diejenigen, welche sich mit meiner Haft- 
drucktheorie beschäftigt haben, wissen auch, daß die Wirkung 
der Salzionen auf fermentative und andere katalytische Vor- 
gänge dem Verständnisse weit geringere Schwierigkeiten dar- 
bietet als die Anwendung der elektrolytischen Dissoziations- 
theorie. | 

Endlich sei mir noch ein allgemeines Wort gestattet 
in bezug auf die nach meiner Ansicht allzu häufige Berufung 
auf die Wasserstoffionentheorie in den biologischen und medi- 
zinischen Wissenschaften. - 

Man hört u. a. fortwährend von der Wasserstoffionenkonzen- 
tration der Körperflüssigkeiten, erfährt, daß das Blut und andere 
Körpersäfte nahezu neutrale Flüssigkeiten sind, und die Methoden 
der Titrationsacidität und -alkalität, die uns die Gesamtacidität 
und -alkalität der Körpersäfte zu messen gestatten, sind ganz in 
den Hintergrund getreten. Und doch ist die Bestimmung dieser 
Gesamtacidität und -alkalität etwa des Blutes viel wichtiger 
als die Feststellung der Wasserstoffionenzahl. Während die letz- 
tere Größe in den meisten pathologischen Fällen gegenüber dem 
Normalzustande eine kaum feststellbare Anderung erfährt, ver- 
schiebt sich das Mengenverhältnis zwischen den primären und 
sekundären Phosphaten und insbesondere dem Natriumbicarbonat 
sehr erheblich, und man kann durch Messung der Gesamtacidität 
und -alkalität ganz besonders mit Hilfe der von mir herrührenden 
oberflächenaktivitätstitrimetrischen Methode!) zweifellos wertvolle 
Schlüsse in physiologischer und pathologischer Hinsicht ziehen. 
Das Blut ist beispielsweise ein stark alkalisches und gleichzeitig 

1) Vgl. Traube, Internat. Zeitschr. f. phys.-chem. Biol. I, 389. 1914, 
und Münch. med. Wochenschr. Nr. 31, S. 1713. 1914. Somogyi, Intern. 
Zeitschr. f. phys-chem. Biol. 1, 370. 1914. Vgl. insbesondere auch Win- 
disch und Dietrich, diese Zeitschr. 9%, 135. 1919 und 100, 130, 1919. 
— Wenn man eine größere Empfindlichkeit der Methode anstrebt, so ist 
die von den Herren Windisch und Dietrich angewandte Undecylsäure 
oder Nonylsäure der Isovaleriansäure vorzuziehen, ebenso das von mir den 
Herren vorgeschlagene Eukupin dem von mir früher angewandten Chinin. 
Die sehr beachtenswerten Untersuchungen der genannten Herren über 
Bier, Bierwürze usw. sind direkt auf Blut und andere Körperflüssigkeiten 
übertragbar, da dieselben Gleichgewichte zwischen Phosphaten und Carbo- 
naten bestehen. Untersuchungen nach dieser Richtung dürften in physiolo- 


gischer und namentlich auch pathologischer Hinsicht weit mehr ergeben als 
Feststellungen der Wasserstoffionenkonzentrationen. 


Bedeutung der Magen-Salzsäure. 299 


saures Milieu, in pathologischen Fällen bei Kachexie usw. ver- 
schiebt sich das Verhältnis von Acidität und Alkalität oft sehr 
erheblich. Ob auch in allen Fällen, wo man von der Wasserstoff- 
ionenreihe der Säuren spricht, wirklich nur die Zahl der Wasser- 
stoffionen in Betracht kommt und nicht auch häufig andere 
Faktoren mitsprechen (wie Oberflächenaktivität, Haftdruck), er- 
scheint mir nach meinen biologischen Arbeiten recht zweifelhaft. 
Bei aller Anerkennung der gewiß in vieler Hinsicht sehr beachtens- 
werten Arbeiten von Leonor Michaelis meine ich doch, daß 
es nicht schaden würde, wenn man zuweilen etwas weniger die 
Wasserstoffionen in den Vordergrund treten ließe. 


Zur Pharmakologie des Selens und Tellurs. 


I. Mitteilung. 
Die Wirkung ihrer Säuren auf Bakterien.“) 


Von 
Georg Joachimoglu. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Berlin.) 
(Eingegangen am 6. Mai 1920.) 


Über den Zusammenhang zwischen chemischer Konstitution 
und pharmakologischer Wirkung ist viel gearbeitet und noch 
mehr spekuliert worden?). 

Wenn man bedenkt, daß wir nicht einmal in der Lage sind, 
die einfachen physikalischen Eigenschaften der chemischen Ver- 
bindungen auf Grund ihrer chemischen Konstitution zu erklären 
und allgemeine Regeln über den Zusammenhang zwischen Bau 
der Moleküle und ihrer physikalischen Eigenschaften aufzustellen, 
so muß man mit Recht im Zweifel sein, ob es uns jemals gelingen 
wird, die pharmakologischen Wirkungen der chemischen Ver- 
bindungen aus ihrer Konstitution abzuleiten und bei Synthesen 
neuer Körper ihre Wirkungen vorauszusagen. Bei wenigen ver- 
wandten Verbindungen der organischen Chemie (2. B. Curarewir- 
kung der quartären Basen) und auch bei einigen Giften aus der 
anorganischen Chemie konnten allerdings einige allgemeine Regeln 
aufgestellt werden, deren Wert man freilich aus den oben er- 
örterten Gründen nicht überschätzen darf. 


1) Vorgetragen in der Berl. Mikrobiologischen Gesellschaft am 3. Mai 
1920. 

2) Curci (Therapia moderna, Jan. 1891, S. 33; zit. nach S. Fränkel, 
Arzneimittelsynthese, S. 26, Berlin 1919) hat die Hypothese aufgestellt, 
daß in den organischen Verbindungen dem Kohlenstoff eine lähmende, dem 
Wasserstoff eine erregende und dem Sauerstoff eine indifferente Wirkung 
zukäme. Es wäre leicht aus der Literatur noch weitere Beispiele derartiger 
Absurditäten anzuführen. Besonders irreführend ist der Versuch, Tat- 
sachen, die innerhalb einer Gruppe von verwandten Verbindungen gewonnen 
sind, auf andere Gruppen zu übertragen und daraus allgemeine Regeln zu 
ziehen. 


G. Joachimoglu: Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 301 


Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß die Verbin- 
dungen des dreiwertigen Arsens (arsenige Säure) viel wirksamer 
sind als die des fünfwertigen (Arsensäure). In einer früheren Ar- 
beit!) konnte gezeigt werden, daß nach Versuchen an Warmblü- 
tern die Giftigkeit der arsenigen Säure sich zu der Giftigkeit der 
Arsensäure verhält wie 6:10, d. h. 10 g As in der fünfwertigen Form 
entsprechen 6 g Asin der dreiwertigen. Am isolierten Froschherzen 
war die arsenige Säure ca. 300 mal giftiger als die Arsensäure. 

In einer späteren mit E. Friedberger ausgeführten Arbeit, 
konnte die höhere Giftigkeit der arsenigen Säure auch an Bak- 
terien, Protozoen und Hefezellen deutlich nachgewiesen werden )). 

Das pharmakologische Verhalten der arsenigen Säure und 
Arsensäure veranlaßte mich, analoge Versuche mit Tellur- und 
Selenverbindungen anzustellen. Während Arsen in die fünfte 
Gruppe des periodischen Systems gehört, gehören Tellur und Selen 
in die sechste. Trotzdem haben sie mit dem Arsen einige Eigen- 
schaften gemeinsam. Nach den Untersuchungen von Czapek 
und Weil?) zeigen die Symptome der Selen- und Tellurvergiftung 
bei Kalt- und Warmblütern große Ähnlichkeit mit den nach 
Applikation von Arsenik beobachteten. Selen und Tellur treten 
in ihren Verbindungen zwei-, vier- und sechswertig auf. Hier 
interessieren uns die vier- und sechswertigen Verbindungen, näm- 
- lich die selenige Säure und Selensäure, bzw. die tellurige Säure 
und die Tellursäure. 


OH OH 
SelvO Se IO, 
“OH “OH 
Selenige Säure Selensäure 
‚OH OH 
TelvO TevIO, 
NOH "OH 
Tellurige Säure Tellursäure 


Die Technik meiner Versuche war die denkbar einfachste. Die 
Natriumsalze der genannten Säuren (Na,SeO,, Na,SeO, - 10H,O, 
Na,TeO,, Na,TeO, :5 H, O) wurden in wässeriger Lösung zu 
verflüssigtem Agar zugesetzt und die erzielte Selen bzw. Tellur- 


1) Diese Zeitschr. 70, 157. 1915. 
2) Diese Zeitschr. 79, 135. 1917. 
3) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 32, 438. 1893. 


302 G. Joachimoglu: 


konzentration aus der zugesetzten Menge berechnet. Der Agar 
wurde dann in Petrischalen gegossen. Aus einer 24stündigen 
Agarkultur der betreffenden Bakterien wurde nun eine Öse auf 
die Oberfiäche gebracht und mit einem Drigalskispatel gleich- 
mäßig verteilt. Die Platten blieben 24 Stunden lang im Brut- 
schrank. Die Resultate sind aus folgenden Tabellen ersichtlich. 


Tabelle I. 
Tellurat- Kontrolle 


j | Tellurit- 
Bakterienart agar Te 1: 2500 


arar Te 1: 2500 


1. X 19 Koch steril üppiges Wachstum | ü pigstes 
| achstum 

2. X 19 Moabit SS mäßiges Wachstum H 

3. Proteus Jacoby e üppiges Wachstum 75 

4. Proteus 280 e starkes Wachstum „ 

5. Prodigiosus 5» steril W 

6. B. Coli 55 i | D 99 

7. B. subtilis en en TT 

8. Micr. candicans S | A x 

9. Milzbrand Se „ Se 

10. Typhus = S de 

11. Paratyphus B. ab D e 

12. B. Gärtner 5 | e ge 

13. V. Metschnikoff së 5 2 

14.Staphylokokken ge mäßiges Wachstum ey 

15. Streptokokken 5 etwa 100 Kolonien 15 

16. Flexner = steril Sg 

17. Pyocyaneus S , er dë 


Die Tabelle zeigt uns, daß alle benutzten Bakterien bei glei- 
cher Te-Konzentration durch das Tellurition eine vollständige 
Wachstumshemmung erfahren, während das Telluration sich bei 
den 4 Proteusarten!) sowie bei Staphylokokken und Strepto- 
kokken sich als nicht wirksam genug erweist. Tellurat entspre- 
chend einer Konzentration von Te‘! 1:1250 zeigt bei Strepto- 
kokken und Staphylokokken vollständige Hemmung, während die 
Proteusarten erst durch eine Konzentration von "Teil 1: 850 in 
ihrem Wachstum vollständig gehemmt werden. 

Bei einer Konzentration von Tel“ 1: 5000 haben wir bei allen 
Bakterien mit Ausnahme des X 19 Moabit vollständige Hem- 
mung, während bei Tellurat die Proteusarten mäßiges bis starkes 
Wachstum, Streptokokken, Staphylokokken, Pyocyaneus geringes 
Wachstum zeigen. Wir sehen also, daß das Tellurition bei einer 
Konzentration von Tel“ 1:5000 das Wachstum auch der Proteus- 


1) Die mit X 19 Koch und X 19 Moabit bezeichneten Proteusarten 
wurden durch Fleckfieberserum auch nach dem Erhitzen auf 85° agglutiniert. 


Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 303 


Tabelle II. 


Bakterienart | `Tellurit- Kontrolle 


! agar Te 1: 5000 agar Te 1: 5000 


steril mäßiges Wachstum | üpp. Wachst. 
geringes Wachstum | starkes Wachstum 
steril  |mäßiges Wachstum 
starkes um 


3. Proteus Jacoby 
4. Proteus 280 

5. Prodigiosus 

6. B. Coli 

7. B. subtilis 

8. Micr. candicans 


10. Typhus 

11. Paratyphus B. 
12. B. Gärtner 

13. V. Metschnikoff 


14. Staphylokokken a 2 Kolonien 5 
15. Streptokokken ge geringes Wachstum p 
16. Flexner o | steril ge 
17. Pyocyaneus 50 geringes Wachstum e 


arten hemmt, während beim Tellurat die gleiche Wirkung erst bei 
einer Konzentration von Te‘! 1:850 erreicht wird. Man kann 
daraus schließen, daß das Tellurition in Bezug auf die Proteus- 
arten etwa 6 mal wirksamer ist als das Telluration. 


Tabelle III. 


Bat rent Tellurit- Tellurat - 


agar Te 1-10 000 | agar Te 1: 10 000 | Due 


— — TI 


1. X 19 Koch mäßiges Wachstum | starkes Wachstum | üpp. Wachst. 
2. X 19 Moabit H 
3. Proteus Jacoby || starkes Wachstum üppigstes Wachstum be 
4. Proteus 280 mäßiges Wachstum | starkes Wachstum S 
5. 1 | steril steril 7 
6. B zs 55 
1. B. Sabtilis | S de 5 
8. Micr. candicans We eg = 
9. Milzbrand | eg 5 Pr 
10. Typhus 5 „ 7 
11. Paratyphus B. „ 95 en 
12. B. Gärtner = e ge 
12. V. Metschnikoff Sé e 2 
14. Staphylokok- jk spärliches Wachs- e 
ken tum nach 48 Stden 
15. Flexner z steril 2 
16. Streptokokken M mäßiges Wachstum = 
17. Pyocyaneus | e 20 Kolonien 6 


Bei der Konzentration von Te 1:10 000 zeigen die Proteus- 
arten bei Tellurit mäßiges Wachstum, bei Tellurat starkes Wachs- 
tum. Die anderen Bakterien weisen das gleiche Verhalten wie bei 
der Konzentration 1: 5000 auf. 

Biochemische Zeitschrift Band 107. 20 


304 G. Joachimoglu: 


Tabelle IV. 


Bakteri ` Tellurit- Ä Tellurat- 
a agar Te 1:20 000 | agar Te 1: 20 000 | Kontrolle 


1. X 19 Koch | mäßiges Wachstum starkes Wachstum ü pigstes 
Wachstum 

2. X 19 Moabit 15 j | „ 

3. Proteus Jacoby e = ve 

4. Proteus 280 d Se gé | e 

5. Prodigiosus d geringes Wachstum | S 

6. B. Coli | steril ı mäßiges Wachstum | S 

7. B. subtilis | Mr ziemlich starkes = 

| Wachstum 

8. Mier, candicans e geringes Wachstum * 

9. Milzbrand 7, | mäßiges Wachstum; > 
10. Typhus 35 geringes Wachstum 2 
II. Paratyphus e e ) m 
12. B. Gärtner | y mäßiges Wachstum | ei 
13. V. Metschnikoff | j 
14.Staphylokokken | mäßiges Wachstum | starkes Wachstum S 
15. Streptokokken | geringes Wachstum | geringes Wachstum Se 
16. Flexner l steril ziemlich starkes ge 

Wachstum | 

17. Pyocyaneus | D | mäßiger Wachstum | e 


Bei der Konzentration von Te 1 : 20 000 haben wir im Ver- 
gleich zu der Konzentration 1: 10 000 bei Staphylokokken und 
Streptokokken mäßiges Wachstum. 

Interessant ist, daß bei dieser geringen Konzentration die 
mit Heu- und Milzbrandbacillen beimpften Platten steril bleiben. 


Tabelle V. 


| Tellurit- Tellurat- | 
Bakterienart i i agar Te 1: 30 000 agar Te 1: 1: 30000 Kontion, 


1. X 19 Koch I starkes Wachstum | | kes Wachstum üppigstes 


(bräunlich) weiß Wachstum 
2. X 19 Moabit A | ze be 
3. Proteus 280. | e 5 E 
4. Proteus Jacoby 7 E e 
5. Prodigiosus ` steril rötliches ši 
| mäßiges Wachstum 
6. Mier. candicans | mäßiges Wachstum mäßiges Wachstum SE 
7. B. Coli | steril vereinzelte Kolonien Sé 
8. Milzbrand 2300 Kolonien starkes Wachstum ge 
9. Typhus eteril steril j 
10. Paratyphus B. dE 10 Kolonien = 
11. B. Gärtner ge 60 Kolonian a: 
12. V. Metschnikoff 75 Kolonien e 
13.Staphylokokken || mäßiges Wachstum | starkes Wachstum Ge 
14. Streptokokken mäßiges Wachstum 8 
15. Flexner steril 20 Kolonien ë 


16. Pyocyaneus geringes Wachstum | starkes Wachstum = 


Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 305 


Bei der Konzentration von Te 1:30 000 ist bemerkenswert, daß 
die Bacillen der Thyphus-Coli-Gruppe (Typhus, Paratyphus B, 
Coli) durch Tellurit vollkommen gehemmt werden. Auch Gärtner, 
Flexner, V. Metschnikoff zeigen dasselbe Verhalten. 


Tabelle VI. 
Tellurit- | Tellurat- | 
ee agar Te 1:40 000 | agar Te 1: 40 000 Fontane 
1. X 19 Koch üppiges Wachstum | üppiges Wachstum | üppigstes 
(bräunlich (weiß) Wachstum 
2. X 19 Moabit sg j j 
3. Proteus 280 | S Ä 5 S 
4. Proteus Jacoby en 29 55 
5. Prodigiosus geringes Wachstum starkes Wachstum de 
6. Micr. candicans = geringes Wachstum a 
7. B. Coli Ä steril steril 2 
8. Milzbrand : geringes Wachstum | starkes Wachstum jà 
9. Typhus | steril steril 5 
10. Paratyphus B. S geringes Wachstum e 
11. B. Gärtner 5 steril ö 53 
12. Staphylokokken starkes Wachstum starkes Wachstum 1 
13. Streptokokken „ ge 15 
14. Flexner i steril steril j 
15. Pyocyaneus || starkes Wachstum | starkes Wachstum * 
grünlich 
Tabelle VII. 
Be Tellurit- Tellurat- Kontrolle 


| agar Te 1: 60 000 l 
starkes Wachstum | starkes Wachstum | üppigstes 


agar Te 1:60 000 


1. X 19 Koch 
Wachstum 

2. X 19 Moabit 55 „ „ 
3. Proteus 280 i en DE an 
4. Proteus Jacoby | » 75 75 
5. Prodigiosus | geringes Wachstum o „ 
6. Micr. candicans " 39 an 

7. B. Coli | steril steril 

8. Milzbrand geringes Wachstum | starkes Wachstum 

9. Typhus steril steril 
10. Paratyphus B. | . 


11. B. Gärtner ö mäßiges Wachstum 


— —— ll. —Ä——ͤĩ— ——ðr⅛ẽK“l.ů—ů —— — 
< Ki + * “ * Ki 
ki Ki Ki = Ki Ki Ki 


12. V. Metschnikoff 745 Kolonien 620 Kolonien 

13. Staphylokok- || starkes Wachstum | starkes Wachstum 2 
ken (schwarz) (weiß) 

14. Streptokokken a 2 x 
15. Flexner steril Ge = 
16. Pyocyaneus | starkes Wachstum e z 


Bei den Verdünnungen Te 1: 30 000 bis 1: 60 000 fällt weiter 
die hohe Empfindlichkeit der Typhus-Coli-Gruppe auf. Auch 
Tellurat ist ziemlich wirksam. 

20* 


306 G. Joachimoglu: 
Tabelle VIII. 


i Tellurit- Tellurit- 
EE ee 1: 100.000 agat Te 1: 100.000 Kontrolle 
1. B. Coli steril | steril ` üpp. Wachst. 
2. Milzbrand mäßiges Wachstum ; starkes Wachstum | ee 
3. hus steril steril S 
4. Paratyphus B. S  mäßiges Wachstum 2 
5. B. Gärtner Spur starkes Wachstum 
6. Flexner steril mäßiges Wachstum D 
Tabelle IX. 
e ß Ee EE EE . , , E 
e Tellurit- Tellurat- 
| ee | [agar Te 12 200 000 apar Tel: Te 1: 200 000 | Ä Kontrolle 
1. B. Coli steril geringes Wachstum üpp. Wachst. 
2. Milzbrand starkes Wachstum starkes Wachstum 3 
3. Typhus steril steril Ge 
4. Paratyphus B. = Spur er 
5. B. Gärtner Spur mäßiges Wachstum 3 
6. Flexner geringes Wachstum D w 
Tabelle X. 
, Tellurit- Tellurat- 
Bakterienart | „Jar Te 1:400000| agar Te 1: 90070 ae 


1. B. Coli Spur geringes Wachstum üpp. Wachst. 
2. Typhus steril | mäßiges Wachstum | e 
3. Gärtner geringes ee | 3 
4. Paratyphus B. geringes Wachstum o 
5. Flexner | mäßiges e Wachstum starkes Wachstum ep 
Tabelle XI. 
ae 2 Tellurit- Tellurat- 
Pak toricnant PE er Te 1: EE agar Te 1: 800 000 | Kontroke 
1. B. Coli ! mäßiges Wachstum | üpp. Wachst. 
2 Typhus „ 


Ga 


97 


l Paratyphus B. 

Diese Tabellen zeigen uns weiter die starke Beeinflussung 
der Bakterien der Coli-Typhus-Gruppe gegenüber Tellurit. Auch 
bei einer Konzentration von Te!Y 1:1000000 ist eine sehr deut- 
liche Hemmung des Wachstums der Typhusbacillen zu beobach- 
ten. Andere Paratyphus B.- und auch Paratyphus A.-Stämme ver- 
hielten sich ebenso. Bemerkenswert ist, daß der Mäusetyphus- 
bacillus (Bac. typhi murium) gegen Tellurit die gleiche Empfind- 
lichkeit zeigt. Daß wir es hier mit einer spezifischen Wirkung 
des Tellurits auf die Bakterien der Typhus-Coli-Gruppe zu tun 
haben, zeigt uns die Tatsache, daß Sublimat unter den gleichen 
Versuchsbedingungen bei einer Hg-Konzentration von 1: 500000 


Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 307 


das Bakterienwachstum gar nicht beeinflußt. Erst bei einer Kon- 
zentration von Hg 1:100000 ist eine vollständige Wachstums- 
hemmung zu beobachten. Carbolsäure übt auch bei einer Kon- 
zentration 1:100000 keinen Einfluß aus. Es sei erwähnt, daß 
Schimmelpilze (Penicillium glaucum, Mucor) bei der höchsten 
Konzentration, die wir angewandt haben Tel“ 1:865 und Te’! 
1:1250 ein sehr üppiges Wachstum zeigen. 

Auf die hohe Empfindlichkeit der Bacillen der Typhus-Coli- 
Gruppe komme ich später noch einmal zurück. Zunächst möchte 
ich die Versuche mit Selenit und Selenat schildern. 


Tabelle XII. 


Selenit- | Selenat- 


u 
agar Se 1:5000 | agar Se 1: 5000 E 


geringes Wachstum starkes Wachstum | üppigstes 


rötlich weiß Wachstum 
4 Ui 25 
5 geringes Wachstum starkes Wachstum j 
6 steril mäßiges Wachstum eg 
7. Micr.candicans mäßiges Wachstum | starkes Wachstum ee 
8. Milzbrand pur 25 e 
9. Typhus steril mäßiges Wachstum S 


10. Paratyphus B. | geringes Wachstum wë 
11. B. Gärtner mäßiges Wachstum | starkes Wachstum 0 


12. V. Metschnikoff | an „ „ 

13. Staphylokokken 97 55 55 

14. Streptokokken PR me „ 

15. Flexner Ä steril mäßiges Wachstum y 

16. Pyocyaneus ‘| mäßiges Wachstum | starkes Wachstum 9 
Tabelle XIII. 


, Selenit- Selenat- 
| N 
m Ä agar Se 1: 10000 | agar Se 1:10000 | Celle 


1. X 19 Koch mäßiges Wachstum starkes Wachstum |üpp. Wachst. 
2. X 19 Moabit a 


3. Proteus 280. e | en D 
4. Proteus Jacoby e ge ag 
5. Prodigiosus | SS ge e 
6. B. Coli - Spur mäßiges Wacstum 55 
7. Micr. candicans || mäßiges Wachstum | starkes Wachstum e 
8. Milzbrand (rötlich) 75 
9. Typhus steril mäßiges Wachstum j 
10. Paratyphus B. || geringes Wachstum ge 


11. B. Gärtner mäßiges Wachstum | starkes Wachstum e 
12. V. Metschnikoff 
13. Staphylokokken 
14. Streptokokken 
15. Flexner 


39 59 


99 


mäßiges Wachstum 


308 G. Joachimoglu: 


Tabelle XIV. 


: Selenit- | | 

Bakterienart | agar 1: 20 000 agar 1: 20 000 Kontrolle 

1. X 19 Koch starkes Wachstum starkes Wachstum ` üppigstes 

| Wachstum 
2. X 19 Moabit 55 „ sn 
3. Proteus 280 zé | gë = 
4. Proteus Jacoby 35 | > ; 
5. Prodigiosus mäßiges Wachstum | 15 E 
6. B. Coli starkes Wachstum 25 8 
7. Mier. candicans | Se e gy 
8. Milzbrand mäßiges Wachstum 7 D 
9. Typhus | starkes Wachstum 5 Ge 
10. Paratyphus B. geringes Wachstum e 8 
11. B. Gärtner | starkes Wachstum 2 m 
12. V. Metschnikoff | mäßiges Wachstum = . e 
13.Staphylokokken | 5 e „ 
14. Streptokokken | starkes Wachstum dÉ e 
15. Flexner geringes Wachstum o 1 
16. Pyocyaneus mäßiges Wachstum 8 3 


Diese Tabellen zeigen uns, daß entsprechend dem Verhalten 
der tellurigen Säure und Tellursäure die selenige Säure stärker 
wirksam ist als die Selensäure. Weiter sehen wir, daß die Selenite 
und die Selenate bei weitem nicht so wirksam sind wie die Tellurite 
und Tellurate. Bei einer Konzentration von Se 1: 20 000 wird 
das Wachstum der Bakterien kaum beeinflußt, während die ent- 
sprechende Te-Konzentrationen (vgl. Tab. 4) die meisten unserer 
‚Bakterien stark in ihrem Wachstum hemmen. Überblicken wir 
diese Versuche, so sehen wir, daß unsere Vermutung, wonach 
entsprechend dem Verhalten der arsenigen Säure und Arsensäure 
die Ionen der tellurigen Säure und selenigen Säure wirksamer 
sind als die Ionen der Tellursäure und Selensäure, sich experi- 
mentell begründen läßt. 

Diese Befunde stimmen mit den Angaben von Czapek und 
Weil (a. a. O. S. 451), die gefunden haben, daß an Warm- und 
Kaltblütern die Selenate und Tellurate schwächer wirken als die 
Tellurite und Selenite. Nach den Angaben dieser Forscher wirkt 
Natriumselenit in Mengen von 4 mg pro Kilogramm subcutan 
Kaninchen, Hunden, Katzen appliziert, binnen wenigen Stunden. 
Das selensaure Na wirkt erst in der 5fachen Menge in gleicher 
Weise letal. Bei Fröschen beträgt die Dosis letalis weniger als 
l mg. Beim Natriumtellurit beträgt die Dosis letalis 2 mg. Das 
tellursaure Na wirkt erst von l cg an letal. Bei Warmblütern 
beträgt die letale Dosis des Natriumtellurits 2 cg pro Kilogramm 


Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 309 


Tier, des Natriumtellurats 5 cg. Die Angabe von Bokorny}), 
daß 0, 1 proz. Lösungen von Kaliumtellurit und -tellurat für niedere 
Tiere und Pflanzen unschädlich sind oder nur schwache Gifte 
darstellen, bezieht sich auf Infusorien und Diatomeen und ent- 
spricht unserem Befund bei den Schimmelpilzen. 

Eigentümlich ist, daß die untersuchten Bakterien namentlich 
vom Tellurition ganz verschieden beeinflußt werden. Die Proteus- 
arten werden bei einer Konzentration von Te 1: 20 000 bis 1: 30 000 
in ihrer Entwicklung kaum gehemmt. Dieses Verhalten konnte 
ich während des Krieges im Hygienischen Institut der Universität 
Greifswald feststellen und habe dann gemeinsam mit E. Fried- 
berger?) empfohlen, zur Züchtung der X 19 Bac. bei Fleckfieber- 
kranken Agar mit Tellurzusatz anzuwenden. Ich hatte später?) 
Gelegenheit gehabt, gelegentlich der Fleckfieberepidemien in 
Pommern im Frühjahr 1918 Blut, Stuhl usw. von vielen Fleck- 
fieberkranken, die ich an Ort und Stelle genau beobachten konnte, 
auf Telluragar auszustreichen. Die Platten blieben meistens 
steril und wir können daraus schließen, daß der X 19 Bacillus 
im Körper der Fleckfieberkranken selten vorkommt. 

Als Erreger des Fleckfiebers kommen diese Bacillen nicht in 
Frage. 

Viel interessanter und vielleicht auch praktisch wichtig ist 
das Verhalten der Bakterien der Typhus-Coli-Gruppe gegenüber 
Tellurit. Wir haben gesehen, daß bei einer Konzentration von 
Te 1: 800 000 nur ein ganz geringes Wachstum der Typhus- 
bacillen stattfindet. Das legt den Gedanken nahe, mit Tellurit- 
verbindungen die Chemotherapie der Typhusinfektionen in An- 
griff zu nehmen. Zwar ist der Typhus keine lokale Darmerkran- 
kung, vielmehr eine Bakteriämie und schon deswegen durch 
chemotherapeutische Mittel schwer zu beeinflussen. Leichter 
wird es vielleicht sein, in Anbetracht der hohen Wirksamkeit der 
Tellurite Typhusbacillenträger mit Telluriten zu behandeln. Auf 
die große Bedeutung der Bacillenträger bei der Verbreitung des 
Abdominalthypus brauche ich nicht näher einzugehen. Ich er- 
innere nur an die Erfahrun gen bei der Typhusbekämpfung im 


1) Chem.-Ztg. 1893, S. 1598; 1894, S. 1739. 

3) Münch. med. Wochenschr. 1918, Nr. 30, S. 805. 

3) Verhandl. d. Berl. Gesellsch. f. öffentl. Gesundheitspflege. Hygien. 
Rundschau 1919, Nr. 11. 


310 6. Joachimoglu: 


Südwesten des Reichs!). Über die Dosen, die man Bacillenträgern 
per os geben könnte, besitzen wir bereits einige Anhaltspunkte. 


Wöhler, der sich in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
mit der Chemie des Tellurs beschäftigt hatte, veranlaßte seinen Schüler 
Hansen?), Versuche an Tieren und Menschen mit Tellurverbindungen aus- 
zuführen. Ich will nur auf die Versuche an Menschen eingehen. Hansen 
nahm 7 Tage lang jeden Tag 1 Stunde vor dem Mittagessen Kaliumtellurit 
per os. In den ersten 4 Tagen wurde je 0,04 g, in beiden folgenden Tagen 
je 0,05 g und am letzten Tag 0,08 g eingenommen. Die Symptome nach 
der Applikation waren geringfügig. Es stellte sich eine gewisse Schläfrig- 
keit ein. Außerdem war verstärkter Appetit zu bemerken. Nach der Ein- 
nahme von 0,08 g am 7. Tag wurden Druck in der Herzgegend, Neigung 
zum Erbrechen und vermehrte Speichelabsonderung beobachtet. Der Atem 
roch nach Knoblauch, der sich schon in den ersten Minuten nach Einnahme 
des Salzes einstellte, und 7 Wochen lang andauerte. Eine andere Ver- 
suchsperson nahm 0,04—0,05 g Kaliumtellurit ein, es stellte sich leichtes 
Aufstoßen und verstärkter Appetit ein. Auch hier roch der Atem nach 
Knoblauch. Wöhler selbst, der speziell mit Telluräthyl (C, H,), Te gearbeitet 
hatte, roch ebenfalls längere Zeit nach Knoblauch. Als er infolge einer 
Erkältung in starke Transpiration geriet, wies auch der Schweiß denselben . 
Geruch auf. Ein Wiener Arzt?) hat später Kaliumtellurit gegen Nacht- 
schweiße der Phthisiker angewandt. Das Medikament wurde in Pillenform 
in Mengen von 0,02—0,06 g pro die verabreicht. Als einzige unangenehme 
Nebenwirkung wurde auch hier Knoblauchgeruch wahrgenommen. Die 
Kranken nehmen den unangenehmen Geruch nicht wahr‘). Eine experi- 
mentelle Grundlage für die Wirksamkeit des Tellurits gegen Nacht- 
schweiße der Phthisiker fehlt natürlich. Der obenerwähnte Knoblauch- 
geruch ist, wie die Untersuchungen von Wöhler und Hansen und später 
von Hofmeister) gezeigt haben, bedingt durch die Bildung von Tellur- 
methyl (CH,),Te. Mit diesem Knoblauchgeruch wird man bei der Anwen- 
dung des Tellurits gegen Typhusinfektionen zu rechnen haben. Andere 
toxische Wirkungen sind nach Applikation der obenerwähnten Dosen kaum 
zu erwarten. ` 


Um die Wirksamkeit des Tellurits bei Typhusinfektion zu 
beweisen, könnte man auch in der Weise vorgehen, daß man nach 


.1) Vgl. P. Uhlenhuth, Abdominaltyphus; im Lehrbuch der Mikro- 
biologie von E. Friedberger und Pfeiffer, II. Bd., S. 593. 

2) Annalen d. Chemie u. Pharmazie 86, 208. 1853. 

3) E. Neusser, Wien. klin. Wochenschr. 1890, Nr. 23, S. 437. 

4) Dieses Verhalten kann ich bestätigen. Nach Einnahme von 0, (2 g 
Natriumtellurit fiel bereits nach 45 Min. der Knoblauchgeruch meiner 
Umgebung auf, während ich den Geruch nicht wahrnehmen konnte. 
Auch in den nächsten Tagen war der Geruch noch deutlich. Zeitweise 
fehlt er vollständig. Der Urin zeigt keinen abnormen Geruch. 

5) F. Hofmeister, Archiv f. exp. Path. u. Pharm. 33, 199. 189. 


Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 311 


Uhlenhuth und Messerschmidt!) bzw. Hailer und Unger- 
mann?) Kaninchen durch Injection von Typhusbacillen in die 
Gallenblase zu Bacillenträgern macht und dann die Wirksamkeit 
des Tellurits oder Tellurats prüft. Ich beabsichtige, derartige 
Versuche auszuführen und später darüber zu berichten. 

Da die Typhusbacillen, bei den Bacillenträgern, sich be- 
kanntlich in der Gallenblase und den Gallengängen aufhalten, 
so wäre” zunächst zu prüfen, ob nicht die Galle die Wirkung 
des Tellurits aufhebt. Folgender Versuch soll darüber Auskunft 
geben: 

Zu 5 ccm Galle (Kayser-Conradi von E. Merk bezogen) wurden 
fallende Mengen von Tellurit zugesetzt, so daß Tellurkonzentration von 
1:100000 bis 1:200000 resultierten. In die tellurhaltige Bouillon be- 
ziehungsweire Galle wurde je eine Öse einer 24 stündigen Typhuskultur 
gebracht. Nach 24 Stunden waren die Bouillon- beziehungsweise Galleröhr- 
chen mit einer Konzentration von Te !: 100 000 vollkommen klar, während 
die Kontrollen eine starke Trübung zeigten. Bei der Tellurkonzentration 
1: 200 000 war die Bouillon und auch die Galle ganz leicht getrübt. Von 
allen Röhrchen wurde nun auf Agar eine Ose ausgestrichen, das Resul- 
tat nach 24 Stunden war folgendes: die einer Konzentration von Te 
1: 100 000 entsprechenden Platten blieben vollkommen steril, während 
die einer Konzentration von Te 1: 200 000 entsprechenden Platten und 
die Kontrollen ein starkes Wachstum aufwiesen. 

Dieser Versuch zeigt uns, daß das Tellurit auch in Gegen- 
wart von Galle seine elektiv antiseptische Wirkung ausübt. 

Die Versuche in vitro haben für die Verhältnisse in vivo nur 
einen bedingten Wert. Über die Resorptions verhältnisse der Tel- 
lur verbindungen haben wir ja noch keine Erfahrungen und wir 
wissen nicht, ob das Tellurit an die Stellen gelangen wird, wo die 
Typhusbazillen sich aufhalten. Die Wirksamkeit der Tellurverbin- 
dungen für die Behandlung der Bacillenträger kann nur durch 
Versuche an Menschen und Tieren festgestellt werden. 


Zusammenfassung. 

1. Entsprechend dem Verhalten der arsenigen Säure und 
Arsensäure sind die Ionen der tellurigen und selenigen Säure viel 
wirksamer als die Ionen der Tellur- und Selensäure. 

2. Während Schimmelpilze durch Tellurite und Tellurate 
kaum in ihrem Wachstum beeinflußt werden, sind Bakterien ver- 


1) Dtsch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 51, S. 2397. 
3) Dtsch. med. Wochenschr. 1912, Nr. 48, S. 2267. 


312 G.Joachimoglu: Wirkung von Säuren des Se und Te auf Bakterien. 


hältnismäßig empfindlich. Am empfindlichsten sind die Bak- 
terien der Typhus-Coli-Gruppe (Typhus, Paratyphus B, Coli). 
Diese werden noch in Verdünnungen von 1: 800 000 in ihrem 
Wachstum stark gehemmt. Es wird vorgeschlagen, die Chemo- 
therapie der Typhusinfektionen mit Tellurverbindungen in An- 
griff zu nehmen und speziell Bacillenträger mit Tellurit oder 
Tellurat in Mengen von 0,02—0,06g pro die in geeigneter Weise 
zu behandeln. í 


Druckfehlerberichtigungen. 
In Band 105 muß in der Arbeit von Michaelis u. Roth- 
stein auf S. 72 die zweite Formel lauten: 


kn 


= 4 — 14 (a u g)> — al-] 


Ferner muß es in der ganzen Mitteilung derselben Autoren 
heißen: 0,5- k,, statt 1,5 · kis. 


In Band 105 soll es in der Abhandlung von Herzig u. 
Landsteiner auf S. 112 letzte und vorletzte Zeile von unten 
heißen: CH, an N gebunden statt CH, an CH, gebunden. 


Autorenverzeichnis. 


Andree, W. und H. Wendt. 
Über den Einfluß einiger darm- 
wirkender Arzneimittel auf die 
endogene Harnsäureausscheidung. 
S. 50. 

Baudisch, Oscar und Paul 
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tion der Nitrite und Nitrate. S.1- 

Beck, R. s. Verzär. 

Dietrich, Walter s. Windisch. 

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Silbers. II. S. 207. 

Ege, Rich. Über die Restreduk- 
tion des Blutes. S. 229. 

— — Zur Frage der Permeabilität 
der Blutkörperchen gegenüber 
Glucose u. Anelektrolyten. S. 246. 

von Euler, Hans u. Arvid He- 
delius. Uber die Stabilitat der 
&-Glucose. S. 150. 

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Verteilung der Reststickstoffkörper 
auf Plasma und Körperchen im 
strömenden Blute. S. 250. 

Hagedorn, H. C. Einige Be- 
merkungen über die Verteilung 
der Glucose zwischen Blutkörper- 
chen und Plasma. S. 248. 

Hartwich, G. Eine neue Me- 
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Hedelius, Arvid s. von Euler. 

Henneberg, Wilhelm siehe 
Windisch. 

Herzfeld, E. und R. Klinger. 
Zur Chemie der Polysaccharide. 
S. 268. 


Joachimoglu, Georg. Zur 
Pharmakologie des Selens und 
Tellurs. S. 300. 

Keller, Rudolf. Die Capillari- 
sation in der Biochemie. S. 43. 

Klinger, R. s. Herzfeld. 

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Norgaard, A. Uber die Pepsin- 
bestimmung in achylischen Probe- 
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Salkowski, E. Über die anti- 
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Schweitzer, Dr. Haben Amino- 
säuren schlechthin Secretincharak- 
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Stepp, Wilhelm. Über das Vor- 
kommen von aldehydartigen Sub- 
stanzen im Blute von Kranken. 
S. 60. 

Traube, J. Über die Bedeutung 
der Magen-Salzsäure und Bemer- 
kungen über die Bedeutung der 
Wasserstoffionenkonzentration in 
den biologischen Wissenschaften 
S. 295. 

Verzär, Fritz. Zur Frage des 
Nachweises der Permeabilitäts- 
änderung des Nerven bei Narkose 
und Erregung. S. 98. 

— — und R. Beck. Die Ände- 
rung der Aussalzbarkeit von Bak- 
terien der Typhusgruppe durch ver- 
schiedene Verhältnisse. S. 81. 


314 


Wacker, Leonhard. Kohlen- 
säuredruck oder Eiweißquellung 
als Ursache d. Muskelkontraktion? 
S. 117. 

Walbum, E. L. Über die Was- 
serstoffionenkonzentration einiger 
Standardlösungen b. verschiedenen 
Temperaturen. S. 219. 

Warburg, E.J. Einige Bemer- 
kungen über die Verteilung von 
Anionen zwischen Blutkörpern und 
Plasma. S. 252. 

Wendt, H. s. Andree. 


Weszeczky, Oskar. Unter- 


Autorenverzeichnis. 


suchungen über die gruppenweise 
Hämagglutin. b. Menschen. S.159- 

Windisch, Wilhelm, Wil- 
helm Henneberg u. Walther 
Dietrich. Über die Einwirkung 
oberflächenaktiver Nonylsäure und 
einiger oberflächenaktiver höherer 
Homologe der Alkoholreihe (Amyl- 
alkohol und Oktylalkohol) auf 
die Hefezelle und die Gärung. 
S. 172. 

Zuntz, H. Über Veränderungen 
der Eitersekretion bei peroraler 
Kochsalzzufuhr. S. 106. 


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