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Biochemische Zeitschrift
Beiträge
zur chemischen Physiologie und Pathologie
Herausgegeben von
F. Hofmeister - Würzburg, C. von Noorden -Frankfurt a. M.,
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin
unter Mitwirkung von
М. Ascoli-Catania, L. Asher-Bern, d. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, F. Blumenthal-
Berlin, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, d. Bredig-Karlsruhe i. B., A. Durig-Wien,
Е. Ehrileh-Breslau, H. v. Euler-Stockholm, J. Feigl- Hamburg, 8. Flexner-New York,
J. Forssman-Lund, 8, Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem,
E. Friedberger-Greifswald, E. Friedmann-Beriin, O. v. Fürth-Wien, d. Galeotti-Neapel,
F. Haber- Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger- Groningen, P. Häri- Budapest, E. Hägglund-
Aabo, A. Heffter- Berlin, V. Henri- Paris, V. Henriques- Kopenhagen, W. Heubner-
Göttingen, R. Hö ber- Kiel, М. Jacoby- Berlin, A. Koch- Göttingen, M. Kumagawa- Tokio,
F. Landolf- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene- New York, L. v. Liebermann-
Budapest, J. Loeb- New York, A. Loewy - Berlin, A. Magnus-Levy- Berlin, J. A. Mandel-
New York, L. Marchlewekl- Krakau, P. Mayer- Karlsbad, J. Meisenhelmer- Greifswald,
L. Michaelis-Berlin, H. Mollsch- Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münser-Prug, W. Nernst-
Berlin, W. Ost wald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg. W. Paull- Wien, R. Pfeiffer-
Breslau, E. P. Pick- Wien, J. Pohl - Breslau, Ch. Porcher - Lyon, P. Rona - Berlin,
Н. Sachs-Heidelberg, 8. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sleber- St. Pet ers-
burg, 8. P. L. Sörensen-Kopenhagen, К. Spiro- Liestal, E. Н. Starling-London, J. Stoklasa»
Prag, W. Straub- Freiburg i. B., A. Stutser- Königsberg i. Pr., H. v. Ta .
H. Thoms-Berlin, P. Trendelenburg-Rostock. 0. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin.
Redigiert von
C. Neuberg-Berlin
Hundertundachter Band
Berlin
Verlag von Julius Springer
1920
Druck der Spamerschen Buchdruckerel in Leipzig.
Inhaltsverzeichnis.
Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde-
gewebsmembranen . nnd
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phosphatide und Sterine. Т............. SS
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine П
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. III
— — Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten Blut-
körperchen für den Traubenzucker“ von M. Bönniger
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar
stellung der Tetradekamethylendikarbonsiure ........
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion
mit Phenolaldehyden .,.,.................
Bechhold, Н. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns . . .
Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Be-
deutung in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I
— — Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der Radium-
emanation und der Radioaktivität des Kaliums auf die bioche-
mischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeß der Pflanzen. II
— — Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photo-
synthese: II ya Ee уя ee
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung
von akzessorischen Nahrungssubstanzen . . . . 2 2 2 2 2.02.
— — Weitere Untersuchungen über Stoffwechselregulierung bei Bak-
ei ] U Eee el AE A
Rosenthal, F. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei
anämischen Krankheitszuständen . n
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen
Gärung ere 88
Salkowskl, E. Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol
Schnabel, Alfred. Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (1. Mit-
teilung: OptochnRn nnn ðͤ ке +
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das lipo-
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper-
Iipochrom mie
Schuhbauer, Franz. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure.
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die
Resorption der Кїезездшише.................
Holde, D. Über Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische
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109
140
173
185
207
220
235
244
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Biochemische Zeitschrift
Beiträge
zur chemischen Physiologie und Pathologie
Herausgegeben von
F. Hofmeister - Würzburg, C. von Noorden - Frankfurt. A OCH CENTER LEN.
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin
unter Mitwirkung von JAN 2 1962
М. Ascoll-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, Е. Blumenthal-
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„ Ehrlieh-Breslau, Н. v. er-Stockholm, J. Ееі=1- Hamburg, S. Flexner-N r
J. Forssman-Lund, S, Fränkel-Wien, Е. Freund-Wien, Н. Frzundilah-Beriin WANT rancısco, 22
Е. Friedberger-Greifswald, Е. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel,
Е. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Härl-Budapest, E. Hägglund-
Aabo, A. Heffter-Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W, Heubner-
Göttingen, R. Höber-Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, M. Kumagawa-Tokio,
F. Landolf- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, Р. A. Levene-New York, L. v. Liebermann-
Budapest, J. Loeb-New York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel-
New York, L. Marchlewskl- Krakau, Р. Mayer-Karlsbad, J. Melsenheimer-Greifswald,
L. Michaells-Berlin, H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münzer-Prag, W. Nernst-
Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg, W. Pauli-Wien, R. Pfeiffer-
Breslau, E. P. Piek- Wien, J. Pohl- Breslau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona- Berlin,
Н. Sachs-Heidelberg, S. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sieber-St. Peters-
burg, S. P. L. Sörensen- Kopenhagen, К. Spiro-Liestal, E. H. Starling-London, J. Stoklasa-
Prag, W. Straub- Freiburg і. B., A. Stutzer-Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München,
Н. Thoms- Berlin, P. Trendelenburg- Rostock. O. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-Prag,
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin.
Redigiert von
C. Neuberg-Berlin
Hundertundachter Band
Erstes bis drittes Heft
Ausgegeben am 28. August 1920
Berlin
Verlag von Julius Springer
1920
De Biochemische Zeitschrift
erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus-
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis
eines jeden Bandes beträgt M. 48.—. Die Biochemische Zeit-
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter-
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen.
In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn ste
nicht mehr als 1½ Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent-
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen.
Manuskriptsendungen sind an den Redakteur,
Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorjstr. 18,
zu richten.
Die Verfasser erhalten 60 Sonderabdriicke ihrer Abhandlungen kosten-
frei, weitere gegen Berechnung. Für den 16 seitigen Druckbogen wird ein
Honorar von M. 40.— gezahlt.
Verlagsbuchhandlung Julius Springer
Berlin W 9, Linkstraße 23/24.
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108. Band. Inhaltsverzeichnis. „% u; 3, Heft,
Seite
Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde-
от mm)) . — ey ]
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
a Und Sterne. . as we wa eo we 35
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phosphatide wid Sterne. IH. ⁰ ALE E kA . 52
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phospnaiide: nad Storme: r жж =ч.» 8 61
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Bemerkungen zu der Arbeit
„Die Permeabilität der roten Blutkörperchen für den Trauben-
%% у ео а и оона эз эд ®ъэ».а 74
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar—
stellung der Tetradekamethylendikarbonsiiure . ......, 75
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion
mit Phenolaldehyden 82
Bechhold, H. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns . . 98
Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre
Bedeutung in der chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Zelle. I 109
Stoklasa, Julius. Der Mechanismus der physiologischen Wirkung
der Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums au
die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeb der
Pflanzen. II . 140
Stoklasa, Julius. Die Bedeutung der Radioaktivität des Kali ums
ber der Photosynthese, IH а te zn ae a ba а за ИЗ
Membran und Narkose.
II. Mitteilung’).
Vergleichende Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel-
und Bindegewebsmembranen.
Von
Paul Schulze.
(Aus dem pharn.akclogischen Universitätsinstitut in Göttingen.)
(Eingegengen am 6. April 1920.)
it 24 Abbildungen im Text.
| Von besonderer Wichtigkeit für eine physikalisch-chemische
f keorie der Narkose sind die Schichten der Zelle, durch die hin-
durch der Stoffwechsel, die Aufnahme von Nahrungsstoffen
und die Abgabe der Stoffwechselprodukte, der Austausch von
Ionen, die Wanderung von Wasser und gelösten Stoffen, der Aus-
gleich von Potentialdifferenzen stattfindet. Denn es liegt seit
langem nahe, an diesen Grenzschichten — und unter Grenz-
schichten der Zelle braucht man sich dabei [vgl. Loewe?)] keine
differenzierten Zellmembranen vorzustellen, sondern hat hier
jede Zwischenschicht zwischen einem Außen und Innen einzu-
begreifen — auch den Angriffspunkt der narkotisch wirksamen
Substanzen zu suchen. Für Betrachtungen über den Wirkungs-
mechanismus der Narkotika darf man sich diese jeweils wechseln-
den Stätten des Zellprotoplasmas als Membran in physikalisch-
chemischem Sinne vorstellen, denn ihnen kommen sicherlich
die zwei Figenschaften zu, die nach der Definition des Membran-
begriffs durch Loewe?) notwendig vorhanden sein müssen an
Gebilden, die man als Membran bezeichnen will: 1. bestimmte
Form, die gegeben ist durch die Anordnung als Grenzsystem
zwischen zwei jederseits anschließenden Nachbarsystemen, und
2. Mehrphasigkeit, Mikroheterogenität in sich selbst. Ermitt-
1) J. Mitt. siehe diese Zeitschr. 57, 161. 1913.
2) I. c. sub’).
Biochemische zeitschrift Band 108.
2 P. Schulze:
lungen über Membranfunktionen und deren Änderungen unter
Einwirkung äußerer Einflüsse haben also stets Bedeutung auch
für die Funktion und Funktionsänderung dieser lebenden Zell-
„membranen“.
Als wesentliche Funktion dieser Membranen wird man
gemäß der Definition derselben ihren Einfluß auf die Diffusion
von Wasser und gelösten Substanzen durch sie hindurch ansehen
dürfen.
Gerade für die physikalisch- chemische Theorie der Narkose
ist es daher von großem Interesse, die Diffusions verhältnisse in
den Zellmembranen, ihre Permeabilität für Ionen und die Ande-
rung derselben unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen
durch Versuche möglichst zu klären.
Die Versuche, die der möglichst genauen Kenntnis der Permeabilitäts-
änderung in der Narkose dienten, haben die Mehrzahl der Forscher zu der
Annahme einer Per meabilitätsherabse ізо пр durch reversibel, einer
Per meabilitätssteigerung durch toxisch, d. h. irreversibel wirkende
Narkoticum konzentrationen geführt und dabei im wesentlichen folgende
drei Wege eingeschlagen:
1. Bei der Schwierigkeit, das eigentliche Objekt der Versuche, die iso-
lierte, einzelne Zelle selbst zu fassen und die Permeabilität ihrer Membran-
gebilde zu untersuchen, beschränkt man sich auf Versuchsmodelle, die
Struktur und Funktion der lebenden Zellen, soweit sie bekannt sind, még-
lichst naturgetreu nachahmen und die Wirkung der verschiedenen äußeren,
nach der Willkür des Untersuchers zur Wirksamkeit gelangenden Ein-
flüsse, hier also der Narkotica, sowie auch deren engeren Angriffspunkt in dem
Komplexe der Membranbestandteile, technisch leichter feststellen lassen.
In dieser Absicht wurden von Loewe!) Messungen der Leitfähigkeits-
änderung an künstlichen Lipoidmembranen unter dem Einfluß
verschiedener Narkotica ausgeführt und eine Leitfähigkeitsverminderung
festgestellt.
Gegen diese Versuchsanordnung ist einzuwenden, daß es sich bei ihr
sicherlich um nichts weniger als eine vollkommene Nachahmung der Ver-
hältnisse an biologischen Membranen handelt.
II. Als Versuchsobjekt dienen einzelne isolierte Zellen, soweit man sie
als besonders günstige Objekte sich wirklich gut zugänglich machen kann.
So fand Lepeschkin?), daß lebende Spirogyrazellen in Äthernarkose
das in Äther unlösliche Methylgrün oder Methylenblau schlechter in sich
aufnehmen und speichern als ohne Narkose, während ein Versuch mit in
Äther löslichem Bismarckbraun unter denselben Versuchsbedingungen
keinen Unterschied zwischen der Färbbarkeit der narkotisierten und der
nicht narkotisierten Zellen erkennen ließ. Hierin sah er eine Bestätigung
1) J. c. S. 1.
2) Le peschkin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911.
Membran und Narkose. 3
seiner Ansicht, daß die Narkotica in schwacher Konzentration, die nicht
durch Koagulation der in dem Dispersionsmittel der Plasmahautkolloide
enthaltenen Eiweißstoffe den Dispersitätsgrad herabsetzt, die Durch-
gängigkeit der Plasmahaut für in Wasser gut, in den Narkoticis
schlecht lösliche Farbstoffe herabsetzen.
Ebenso stellte er fest!), daß die Blattepidermiszellen von Tradescantia
discolor unter dem Einfluß von 0,05 bis 0,12 proz. Chloroformwasser oder
1—21/,proz. Atherwasser eine Verminderung der Permeabilität für
Salpeter zeigen, während höhere Konzentrationen des Chloroformwassers
eine Erhöhung der Permeabilität für den gleichen Elektrolyten bewirkten.
Joël?) benutzte gleichfalls eine Methode, mit der die Durchlässigkeit
von Membranbestandteilen der Zelle selbst geprüft werden kann: er fand
eine Verzögerung des Eintritts der Hämolyse durch schwach hypo-
tonische Rohrzuckerlösung unter der Einwirkung schwacher Narkoticum-
konzentrationen, während starke selbst Hämolyse bewirkten.
Auch Mac Clendon?) benutzte eine Versuchsanordnung, deren Ob-
jekt in einzelnen Zellen bestand. Er fand, daß Funduluseier, die für gewöhn-
lich für Salze und Wasser völlig undurchlässig sind, so daß sie in destil-
liertem Wasser sich nicht verändern, in schwach giftigen "/,,- Nitrat-
lösungen die in ihnen enthaltenen Chloride rasch austreten lassen, daß aber
Narkotica, in geeigneten, schwachen Konzentrationen zugesetzt, diese
Permeabilitätssteigerung durch Nitratlösungen verringern,
während höhere Narkoticumkonzentrationen für sich ebenso wirken wie
die giftigen Nitratlösungen ohne Narkoticumzusatz.
Dieser zweite Weg läßt die besten Resultate erwarten, da er die ein-
zelne Zelle, das eigentliche Versuchsobjekt, zu fassen gestattet. Trotzdem
lassen sich auch gegen ihn Einwände erheben: statt des Einflusses der Nar-
kotica auf die Diffusion normaler Stoffwechselprodukte wird ihr Einfluß
auf die Diffusionsverhältnisse von gänzlich zellfremden Farbstofflösungen
untersucht. Statt lebender Zellen sind abgestorbene rote. Blutkörperchen
das Versuchsobjekt. Statt tierischer Zellen werden einseitig differenzierte
Pflanzenzellen untersucht. Gegen jede dieser Versuchsanordnungen gleich-
mäßig erhebt sich der Einwand, daß es sich bei keiner um die undifferen-
zierte Idealzelle handelt, von der aus ohne Bedenken verallgemeinert
werden könnte, noch auch um die in der interessantesten Richtung diffe-
renzierten tierischen Zellen, an welchen beim höheren Tier der Angriffs-
punkt des wichtigsten Narkosephänomens zu suchen ist, nämlich um Ner-
venzellen. Gelänge esaber auch, gerade Zellen aus dem Verbande des Zellen-
staates des Mehrzellers isoliert zu fassen, so träfe gerade dann der weitere
Einwand zu, daß die untersuchten Zellen während der ganzen Versuchs-
dauer aus ihrem natürlichen Zusammenhang mit anderen Zellen heraus-
gerissen sind. Diese letzte Schwierigkeit wird bei der dritten Versuchs-
anordnung vermieden.
1) Lepeschkin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911.
2) Joél, Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915.
3) Mac Clendon, Amer. journ. of physiol. 38. 1915.
1*
4 P. Schulze:
IIl. Die Versuche werden an Zellen vorgenommen, die in natürlichem
Zusammenhang mit ihren Nachbarzellen gelassen sind, also an Geweben.
Dieser Versuchsanordnung bediente sich vor allem Winterstein). Er
untersuchte die Durchgängigkeit von Muskelplatten für Salze und Wasser
und ihre Veränderung unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen
und stellte gleichfalls eine Permeabilitätsverminderung durch reversibel
narkotisch wirkende Konzentrationen fest. А
Es ist in der Tat vollkommen einwandfrei, Versuchsergebnisse, die zu-
nächst an komplexen Gesamtgeweben gewonnen sind, auf die Parenchym-
zellen, die Träger der Hauptfunktion dieser Gewebe, zu beziehen, sobald
sichergestellt ist, daß der Einfluß des Bindegewebsanteiles der unter-
suchten Gewebsstücke, des Interstitiums, auf die Versuchsergebnisse ver-
nachlässigt werden darf. Aufgabe dieser Arbeit ist es, zu prüfen, mit welchem
Rechte dies geschehen darf.
Bei Versuchen, welche die Permeabilitätsänderung in ihrer
Gesamtheit, als „Membranen“ verwendeter Organstücke, etwa
unter dem Einfluß eines Narkoticums, prüfen und daraus Schlüsse
ziehen wollen auf die Änderung der Durchlässigkeit ihres Paren-
chyms, sind folgende Überlegungen anzustellen:
Ein solches Objekt ist schon in seinem mikroskopischen Bau heterogen
im Gegensatz zu einem einheitlichen Membranmatcrial, das erst in kolloider
Größenordnung seine Mikroheterogenität aufweist. Daher ist es zweck-
mäßig, sich bei den Erwägungen zunächst einmal auf einen einzelnen Quer-
schnitt der Permeationsbahn zu beschränken, um die Betrachtung nicht
ins Ungemessene zu komplizieren. Das ist erlaubt, weil ja auch an dem Ob-
jekt selbst gewisse Querschnitte, freilich in häufiger Wiederholung, die
Stätten besonderer Erschwerung der Permeation bedeuten. Zu einer wei-
teren Vereinfachung des Objektes gelangt man folgendermaßen: man stelle
sich dasselbe, dhne Rücksicht auf die unendliche Vielgestaltigkeit seiner
Einzelheiten, an dem ins Auge gefaßten Querschnitt nur als aus zwei Materi-
alien zusammengesetzt vor: aus Parenchyminseln, die ihrerseits aus einem
einheitlichen Material bestehen sollen, und aus ebenfalls in sich gleich-
mäßig gedachtem Interstitialmaterial, mit welchem jene Parenchyminseln
regelmäßig abwechseln sollen. Dann ergeben sich einfach aus dem Massen-
verhältnis von Parenchym und Interstitium folgende drei Möglichkeiten
(vgl. Abb. 1—3).
Den Stoffen, welche die Membran permeieren, bei Leitfähigkeitsmessun-
gen also den Ionen, stehen zur Wanderung durch Muskelzellmembranen
entsprechend dem anatomischen Bau derselben im wesentlichen drei Wege
zur Verfügung: Entweder sie wandern direkt durch die Muskelfasern, das
Parenchym; das interstitielle Gewebe kommt egen seiner geringen Aus-
bildung nicht als Weg für sie in Betracht, wie in Abb. 1. Oder gerade um-
gekehrt: Die Mehrzahl oder sämtliche Ionen wandern durch das interstitielle
Gewebe; die Parenchymzellen stehen nur als der Masse nach unbedeutende
1) Winterstein, Die Narkose, 1911 u. diese Zeitschr. 75. 1919.
Membran und Narkose. 5
Querschnittsanteile, also als sehr kleine und seltene Inseln in der Strom-
bahn, wie in Abb. 2. In extremen Fällen, etwa bei der Aufschwemmung
von AgCl in einem Elektrolyten, sind diese Inseln völlig bedeutungslos.
Oder drittens: Parenchymzellen und interstitielles Gewebe sind in gleichem
Massenverhältnis vorhanden, wie in Abb. 3. Ein vierter Fall, daß nämlich
gerade ein Blut- oder Lymphgefäß in dem von den Ionen durchwanderten
Bezirk der Muskelmembran in der Wanderungsrichtung der Ionen ver-
läuft, ist nicht berücksichtigt, da solche Verhältnisse die Wanderungs-
geschwindigkeit der Ionen je nach der Gestaltung der verschiedenen Be-
dingungen, z. B. schon je nach dem zufälligen Kontraktions- und Füllungs-
zustand des Gefäßes, ganz atypisch beeinflussen würden. Der Einfluß end-
lich, den die Gewebsschichten des Peritoneums und der Gelenkkapsel- und
Lymphraumauskleidung, welche bei den für diese Arbeit untersuchten
Versuchsobjekten in Betracht kommen, auf die Ionenpermeabilität aus-
üben, kann hier vernachlässigt werden, da er in gleichem Maße die Paren-
chymzellen und das Interstitialgewebe, m. a. W. nicht den hier ins Auge
gefaBten, speziellen Querschnitt betrifft.
Wie die Strombahnen — wir wollen uns zur weiteren Vereinfachung
der Erörterung gleich auf die Betrachtung der Ionenpermeabilität, also
der elektrolytischen Leitfähigkeit unseres Objektes beschränken — durch
diesen Querschnitt verlaufen, hängt nun aber außer von dem in den Abb.
1—3 allein berücksichtigten Massenverhältnis zwischen Parenchym-
zellen und Interstitialgewebe auch von der „spezifischen Leitfähig-
keit“ beider Materialien ab.
Um überhaupt zu einigermaßen fruchtbaren Überlegungen kommen
zu können, müssen wir ferner noch von einer weiteren großen Zahl von
Komplikationsmöglichkeiten absehen. Zunächst von den Polarisations-
einflüssen, die unter der Einwirkung des Narkoticums auftreten dürften.
Ferner von den etwa auftretenden Veränderungen im Verhältnis der Be-
teiligung beider Komponenten des Membranmaterials am Gesamtquer-
schnitt, wenn etwa die Narkose in der allereinfachsten Weise als Adsorp-
tionsvorgang, also als eine Vermehrung der schlecht permeablen Anteile
der Membran am Gesamtquerschnitt sich erweisen sollte. Wir wollen nur
einmal den Fall betrachten, daß bei gleichbleibendem Querschnitts-
anteil beider Komponenten die Durchlässigkeit derselben für Ionen, also
ihre spezifische Leitfähigkeit quantitativ verändert wird.
Dann können wir die über den Querschnitt verteilten Parenchym-
inseln in ihrer Wirkung auf die Ionenpermeabilität der Membran gleichsetzen
einem zusammenhängenden, aus demselben Material gebildeten, in sich
gleichartigen Querschnittsanteil. Wir können also alle drei obigen sche-
matischen Figuren ableiten aus der folgenden einfacheren Abb. 4.
An dem Querschnitt Q herrschen dann folgende Leitfähigkeitsver-
hältnisse, wenn wir die Leitfähigkeit des Gesamtquerschnitts als L, die
spezifischen Leitfähigkeiten als 2, und J, bezeichnen, und wenn wir ferner
die Länge der beiden leitenden Schichten l, und l, vernachlässigen, indem
wir sie zunächst gleichsetzen, dann aber als konstapt aus der Gleichung
fortlassen.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
Inhaltsverzeichnis.
Schulze, Paul. Membran und Narkose. П. Mitteilung. Vergleichende
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde-
gewebsmembranen ....................
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phosphatide und Sterine. fl. Ге
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. П
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. III.
— — Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten Blut-
körperchen für den Traubenzucker“ von М. Bönniger ..
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Über die elektrosynthetische Dar-
stellung der Tetradekamethylendikarbonsäure . . . . 2...
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion
mit Phenolaldehyden ...................
Bechhold, H. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harms... .
Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Be-
deutung in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I
— — Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der Radium-
emanation und der Radioaktivität des Kaliums auf die bioche-
mischen Vorgänge bei dem Wachstumsproze8 der Pflanzen. II
— — Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photo-
syntheses ß Be Ren
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung
von akzessorischen Nahrungssubstanzen . . . . . 2 2 2 2.02.
— — Weitere Untersuchungen über Stoffwechselregulierung bei Bak-
Кепей Ae a wa Be ⁵ði“ i i
Rosenthal, F. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei
anämischen Krankheitszustinden . n
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen
Gärung der eee. ðͤ ĩ éi
Salkowskl, E. Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol
Schnabel, Alfred. Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (1. Mit-
teilung: Opto nnn
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das lipo-
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper-
Uüpeebrom wie e wk 8
Schuhbauer, Franz. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure.
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die
Resorption der Kieselsäure . . 2. 2. 2. 2 2 2 2 0 2 l
Holde, D. Über Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische
Neütraltotte ou ва EE EEN
Seite
109
140
173
185
207
220
235
244
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EK 1962
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izig, J. Won emu Berlin.
Redigiert von
A с. Neuberg-Berlin
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tes bis drittes Heft
Sege geben am 29. August 1920
Berlin
Verlag von Julius Springer
1920
Die Biochemische Zeitschrift
erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus-
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis
eines jeden Bandes beträgt М. 48.—. Die Biochemische Zeit-
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter-
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nicht mehr als 110% Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser
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werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent-
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen.
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Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorjstr. IS.
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Verlagsbuchhandlung Julius Springer
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108. Band. Inhaltsverzeichnis. I., 2 u, J. Heft.
Seite
Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde-
—.!. Ооз e u Sa ² . Oe eS 1
Brinkman, К. und Frl. Е. van Dam. Studien zur Biochemie der
—. U / oa. tae ae Ent ir Ф 35
Brinkman, R. und Frl. Е. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phosphatide und Sterine. П . . . ..
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der
Phösphatide und Bterine, d ала 2% 2 2% 2 ага з 61
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Bemerkungen zu der Arbeit
„Die Permeabilität der roten Blutkörperchen für den Trauben-
d „зуу bw ˙ AA aa 74
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar-
stellung der Tetradekamethylendikarbonsäure . . . . 2 . . . . 75
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion
. d ᷣͤ ů ꝶ·mMZf]]]‚d‚/ 82
Bechhold, Н. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns .. . . 98
Stoklasa, Julius. Uber die Radioaktivität des Kaliums und ihre
Bedeutung in der chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Zelle. I 109
Stoklasa, Julius. Der Mechanismus der physiologischen Wirkung
der Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums auf
die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeb der
CCCP ²˙-. ̃ ⅛ ²ůuT 7ĩo˖¹v⅛L 140
Stoklasa, Julius. Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums
/ , / ͤ⁰ T HS. er een 173
Membran und Narkose.
II. Mitteilung).
Vergleichende Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel-
und Bindegewebsmembranen.
Von
Paul Schulze.
(Aus dem pharn:akclogischen Universitätsinstitut in Göttingen.)
(Eingegangen am 6. April 1920.)
Mit 24 Abbildungen im Text.
Von besonderer Wichtigkeit für eine physikalisch-chemische
Theorie der Narkose sind die Schichten der Zelle, durch die hin-
durch der Stoffwechsel, die Aufnahme von Nahrungsstoffen
und die Abgabe der Stoffwechselprodukte, der Austausch von
Ionen, die Wanderung von Wasser und gelösten Stoffen, der Aus-
gleich von Potentialdifferenzen stattfindet. Denn es liegt seit
langem nahe, an diesen Grenzschichten — und unter Grenz-
schichten der Zelle braucht man sich dabei [vgl. Loe we?)] keine
differenzierten Zellmembranen vorzustellen, sondern hat hier
jede Zwischenschicht zwischen einem Außen und Innen einzu-
begreifen — auch den Angriffspunkt der narkotisch wirksamen
Substanzen zu suchen. Für Betrachtungen über den Wirkungs-
mechanismus der Narkotika darf man sich diese jeweils wechseln-
den Stätten des Zellprotoplasmas als Membran in physikalisch-
chemischem Sinne vorstellen, denn ihnen kommen. sicherlich
die zwei Eigenschaften zu, die nach der Definition des Membran-
begriffs durch Loe we?) notwendig vorhanden sein müssen an
Gebilden, die man als Membran bezeichnen will: 1. bestimmte
Form, die gegeben ist durch die Anordnung als Grenzsystem
zwischem zwei jederseits anschließenden Nachbarsystemen, und
2. Mehr phasigkeit, Mikroheterogenität in sich selbst. Ermitt-
—ů —
1) I. Mitt. siche diese Zeitschr. 5%, 161. 1913.
) 1. c. sub!)
Bloch e mische Zeitschrift Band 108. 1
2 P. Schulze:
lungen über Membranfunktionen und deren Änderungen unter
Einwirkung äußerer Einflüsse haben also stets Bedeutung auch
für die Funktion und Funktionsänderung dieser lebenden Zell-
„membranen“. |
Als wesentliche Funktion dieser Membranen wird man
gemäß der Definition derselben ihren Einfluß auf die Diffusion
von Wasser und gelösten Substanzen durch sie hindurch ansehen
dürfen.
Gerade für die physikalisch-chemische Theorie der Narkose
ist es daher von großem Interesse, die Diffusionsverhältnisse in
den Zellmembranen, ihre Permeabilität für Ionen und die Ände-
rung derselben unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen
durch Versuche möglichst zu klären.
Die Versuche, die der möglichst genauen Kenntnis der Permeabilitäts-
änderung in der Narkose dienten, haben die Mehrzahl der Forscher zu der
Annahme einer Permeabilitätsherabsetzung durch reversibel, einer
Permeabilitätssteigerung durch toxisch, d. h. irreversibel wirkende
Narkoticumkonzentrationen geführt und dabei im wesentlichen folgende
drei Wege eingeschlagen:
1. Bei der Schwierigkeit, das eigentliche Objekt der Versuche, die iso-
lierte, einzelne Zelle selbst zu fassen und die Permeabilität ihrer Membran-
gebilde zu untersuchen, beschränkt man sich auf Versuchsmodelle, die
Struktur und Funktion der lebenden Zellen, soweit sie bekannt sind, mög-
lichst naturgetreu nachahmen und die Wirkung der verschiedenen äußeren,
nach der Willkür des Untersuchers zur Wirksamkeit gelangenden Ein-
flüsse, hier also der Narkotica, sowie auch deren engeren Angriffspunkt in dem
Komplexe der Membranbestandteile, technisch leichter feststellen lassen.
In dieser Absicht wurden von Loewe!) Messungen der Leitfähigkeits-
änderung an künstlichen Lipoidmembranen unter dem Einfluß
verschiedener Narkotica ausgeführt und eine Leitfähigkeitsverminderung
festgestellt.
Gegen diese Versuchsanordnung ist einzuwenden, daß es sich bei ihr
sicherlich um nichts weniger als eine vollkommene Nachahmung der Ver-
hältnisse an biologischen Membranen handelt.
| II. Als Versuchsobjekt dienen einzelne isolierte Zellen, soweit man sie
als besonders günstige Objekte sich wirklich gut zugänglich machen kann.
So fand Lepeschkin?), daß lebende Spirogyrazellen in Äthernarkose
das in Äther unlösliche Methylgrün oder Methylenblau schlechter in sich
aufnehmen und speichern als ohne Narkose, während ein Versuch mit in
Äther löslichem Bismarckbraun unter denselben Versuchsbedingungen
keinen Unterschied zwischen der Färbbarkeit der narkotisierten und der
nicht narkotisierten Zellen erkennen ließ. Hierin sah er eine Bestätigung
1) J. е. S. 1.
2) Lepesch kin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911.
Membran und Narkose. 3
seiner Ansicht, daB die Narkotica in schwacher Konzentration, die nicht
durch Koagulation der in dem Dispersionsmittel der Plasmahautkolloide
enthaltenen Eiweißstoffe den Dispersitätsgrad herabsetzt, die Durch-
gängigkeit der Plasmahaut für in Wasser gut, in den Narkoticis
schlecht lösliche Farbstoffe herabsetzen.
Ebenso stellte er fest!), daß die Blattepidermiszellen von Tradescantia
discolor unter dem Einfluß von 0,05 bis 0,12 proz. Chloroformwasser oder
1—21/, proz. Atherwasser eine Verminderung der Permeabilität für
Salpeter zeigen, während höhere Konzentrationen des Chloroformwassers
eine Erhöhung der Permeabilität für den gleichen Elektrolyten bewirkten.
Joël?) benutzte gleichfalls eine Methode, mit der die Durchlässigkeit
von Membranbestandteilen der Zelle selbst geprüft werden kann: er fand
eine Verzögerung des Eintritts der На то! узе durch schwach hypo-
tonische Rohrzuckerlösung unter der Einwirkung schwacher Narkoticum-
konzentrationen, während starke selbst Hämolyse bewirkten.
Auch Mac Clendon?) benutzte eine Versuchsanordnung, deren Ob-
jekt in einzelnen Zellen bestand. Er fand, daß Funduluseier, die für gewöhn-
lich für Salze und Wasser völlig undurchlässig sind, so daß sie in destil-
liertem Wasser sich nicht verändern, in schwach giftigen Blo Nitrat-
lösungen die in ihnen enthaltenen Chloride rasch austreten lassen, daß aber
Narkotica, in geeigneten, schwachen Konzentrationen zugesetzt, diese
Permeabilitätssteigerung durch Nitratlösungen verringern,
während höhere Narkoticumkonzentrationen für sich ebenso wirken wie
die giftigen Nitratlösungen ohne Narkoticumzusatz.
Dieser zweite Weg läßt die besten Resultate erwarten, da er die ein-
zelne Zelle, das eigentliche Versuchsobjekt, zu fassen gestattet. Trotzdem
lassen sich auch gegen ihn Einwände erheben: statt des Einflusses der Nar-
kotica auf die Diffusion normaler Stoffwechselprodukte wird ihr Einfluß
auf die Diffusionsverhältnisse von gänzlich zellfremden Farbstofflösungen
untersucht. Statt lebender Zellen sind abgestorbene rote, Blutkörperchen
das Versuchsobjekt. Statt tierischer Zellen werden einseitig differenzierte
Pflanzenzellen untersucht. Gegen jede dieser Versuchsanordnungen gleich-
mäßig erhebt sich der Einwand, daß es sich bei keiner um die undifferen-
zierte Idealzelle handelt, von der aus ohne Bedenken verallgemeinert
werden könnte, noch auch um die in der interessantesten Richtung diffe-
renzierten tierischen Zellen, an welchen beim höheren Tier der Angriffs-
punkt des wichtigsten Narkosephänomens zu suchen ist, nämlich um Ner-
venzellen. Gelänge esaber auch, gerade Zellen aus dem Verbande des Zellen-
staates des Mehrzellers isoliert zu fassen, so träfe gerade dann der weitere
Einwand zu, daß die untersuchten Zellen während der ganzen Versuchs-
dauer aus ihrem natürlichen Zusammenhang mit anderen Zellen heraus-
gerissen sind. Diese letzte Schwierigkeit wird bei der dritten Versuchs-
anordnung vermieden.
1) Lepeschkin, Ber. а. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911.
2) Joél, Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915.
3) Mac Clendon, Amer. journ. of physiol. 38. 1915.
1*
4 P. Schulze:
IIl. Die Versuche werden an Zellen vorgenommen, die in natürlichem
Zusammenhang mit ihren Nachbarzellen gelassen sind, also an Geweben.
Dieser Versuchsanordnung bediente sich vor allem Winterstein!). Er
untersuchte die Durchgängigkeit von Muskelplatten für Salze und Wasser
und ihre Veränderung unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen
und stellte gleichfalls eine Permeabilitätsverminderung durch reversibel
narkotisch wirkende Konzentrationen fest. Р
Ks ist in der Tat vollkommen einwandfrei, Versuchsergebnisse, die zu-
nächst an komplexen Gesamtgeweben gewonnen sind, auf die Parenchym-
zellen, die Träger der Hauptfunktion dieser Gewebe, zu beziehen, sobald
sichergestellt ist, daß der Einfluß des Bindegewebsanteiles der unter-
suchten Gewebsstücke, des Interstitiums, auf die Versuchsergebnisse ver-
nachlässigt werden darf. Aufgabe dieser Arbeit ist es, zu prüfen, mit welchem
Rechte dies geschehen darf.
Bei Versuchen, welche die Permeabilitätsänderung in ihrer
Gesamtheit, als ‚Membranen‘ verwendeter Organstiicke, etwa
unter dem Einfluß eines Narkoticums, prüfen und daraus Schlüsse
ziehen wollen auf die Änderung der Durchlässigkeit ihres Paren-
chyms, sind folgende Überlegungen anzustellen:
Ein solches Objekt ist schon in seinem mikroskopischen Bau heterogen
im Gegensatz zu einem einheitlichen Membranmaterial, das erst in kolloider
Größenordnung seine Mikroheterogenität aufweist. Daher ist es zweck-
mäßig, sich bei den Erwägungen zunächst einmal auf einen einzelnen Quer-
schnitt der Permeationsbahn zu beschränken, um die Betrachtung nicht
ins Ungemessene zu komplizieren. Das ist erlaubt, weil ja auch an dem Ob-
jekt selbst gewisse Querschnitte, freilich in häufiger Wiederholung, die
Stätten besonderer Erschwerung der Permeation bedeuten. Zu einer wei-
teren Vereinfachung des Objektes gelangt man folgendermaßen: man stelle
sich dasselbe, öhne Rücksicht auf die unendliche Vielgestaltigkeit seiner
Einzelheiten, an dem ins Auge gefaßten Querschnitt nur als aus zwei Materi-
alien zusammengesetzt vor: aus Parenchyminseln, die ihrerseits aus einem
einheitlichen Material bestehen sollen, und aus ebenfalls in sich gleich-
mäßig gedachtem Interstitialmaterial, mit welchem jene Parenchyminseln
regelmäßig abwechseln sollen. Dann ergeben sich einfach aus dem Massen-
verhältnis von Parenchym und Interstitium folgende drei Möglichkeiten
(vgl Abb. 1—3).
Den Stoffen, welche die Membran permeieren, bei Leitfähigkeitsmessun-
gen also den Ionen, stehen zur Wanderung durch Muskelzellmembranen
entsprechend dem anatomischen Bau derselben im wesentlichen drei Wege
zur Verfiigung: Entweder sie wandern direkt durch die Muskelfasern, das
Parenchym; das interstitielle Gewebe kommt wegen seiner geringen Aus-
bildung nicht als Weg fiir sie in Betracht, wie in Abb. 1. Oder gerade um-
gekehrt: Die Mehrzahl oder sämtliche Ionen wandern durch das interstitielle
Gewebe; die Parenchymzellen stehen nur als der Masse nach unbedeutende
1) Winterstein, Die Narkose, 1911 u. diese Zeitschr. 75. 1919.
Membran und Narkose. 5
Querschnittsanteile, also als sehr kleine und seltene Inseln in der Strom-
bahn, wie in Abb. 2. In extremen Fallen, etwa bei der Aufschwemmung
von AgCl in einem Elektrolyten, sind diese Inseln völlig bedeutungslos.
Oder drittens: Parenchymzellen und interstitielles Gewebe sind in gleichem
Massenverhältnis vorhanden, wie in Abb. 3. Ein vierter Fall, daß nämlich
gerade ein Blut- oder Lymphgefäß in dem von den Ionen durchwanderten
Bezirk der Muskelmembran in der Wanderungsrichtung der Ionen ver-
läuft, ist nicht berücksichtigt, da solche Verhältnisse die Wanderungs-
geschwindigkeit der Ionen je nach der Gestaltung der verschiedenen Be-
dingungen, z. B. schon je nach dem zufälligen Kontraktions- und Füllungs-
zustand des Gefäßes, ganz atypisch beeinflussen würden. Der Einfluß end-
lich, den die Gewebsschichten des Peritoneums und der Gelenkkapsel- und
Lymphraumauskleidung, welche bei den für diese Arbeit untersuchten
Versuchsobjekten in Betracht kommen, auf die Ionenpermeabilität aus-
üben, kann hier vernachlässigt werden, da er in gleichem Maße die Paren-
chymzellen und das Interstitielgewebe, m. a. W. nicht den hier ins Auge
gefaßten, speziellen Querschnitt betrifft.
Wie die Strombahnen — wir wollen uns zur weiteren Vereinfachung
der Erörterung gleich auf die Betrachtung der Ionenpermeabilität, also
der elektrolytischen Leitfähigkeit unseres Objektes beschränken — durch
diesen Querschnitt verlaufen, hängt nun aber außer von dem in den Abb.
1—3 allein berücksichtigten Massenverhältnis zwischen Parenchym-
zellen und Interstitialgewebe auch von der „spezifischen Leitfähig-
keit“ beider Materialien ab.
Um überhaupt zu einigermaßen fruchtbaren Überlegungen kommen
zu können, müssen wir ferner noch von einer weiteren großen Zahl von
Komplikationsmöglichkeiten absehen. Zunächst von den Polarisations-
einflüssen, die unter der Einwirkung des Narkoticums auftreten dürften.
Ferner von den etwa auftretenden Veränderungen im Verhältnis der Be-
teiligung beider Komponenten des Membranmaterials am Gesamtquer-
schnitt, wenn etwa die Narkose in der allereinfachsten Weise als Adsorp-
tionsvorgang, also als eine Vermehrung der schlecht permeablen Anteile
der Membran am Gesamtquerschnitt sich erweisen sollte. Wir wollen nur
einmal den Fall betrachten, daß bei gleichbleibendem Querschnitts-
anteil beider Komponenten die Durchlässigkeit derselben für Ionen, also
ihre spezifische Leitfähigkeit quantitativ verändert wird.
Dann können wir die über den Querschnitt verteilten Parenchym-
inseln in ihrer Wirkung auf die Ionenpermeabilität der Membran gleichsetzen
einem zusammenhängenden, aus demselben Material gebildeten, in sich
gleichartigen Querschnittsanteil. Wir können also alle drei obigen sche-
matischen Figuren ableiten aus der folgenden einfacheren Abb. 4.
An dem Querschnitt Q herrschen dann folgende Leitfähigkeitsver-
hältnisse, wenn wir die Leitfähigkeit des Gesamtquerschnitts als L, die
spezifischen Leitfähigkeiten als 2, und 2, bezeichnen, und wenn wir ferner
die Länge der beiden leitenden Schichten l, und J; vernachlässigen, indem
wir sie zunächst gleichsetzen, dann aber als konstapt aus der Gleichung
fortlassen.
Р. Schulze:
Neben dieser Voraussetzung
L = 1, = const.
soll, wie oben bereits erörtert, nicht nur
de + q; = const.;
sondern zunächst auch g, = const. und d, = const. gelten.
Dann gilt zunächst:
L = I, 9, EE (1)
Die unter dem Einfluß des Narkoticums zustandekommende, der Messung
unter den oben erwähnten Vorbehalten und unter Berücksichtigung der
oben angeführten Vereinfachungen zugängliche Veränderung von L wäre
dann: ?
AL = Al + 44%. (2)
Der Anteil, den 4/,, der Einfluß des Narkoticums auf die spezifische Leit-
fähigkeit des Parenchyms, d. h. also die der näheren Untersuchung unter-
zogene Zellnarkose, an dem Messungsresultat hat, ist um so größer, je kleiner
q; oder auch 44, ist.
Nehmen wir den allgemeinsten Fall I, daß
d = H: J
so wird
AL, = An + 9, + 9). (1)
Im einfachsten Falle II, wenn nämlich
ist SE
ALn = АА (4, + 9). (Н)
Beide Falle unterscheiden sich, vorausgesctzt, daB es sich jedesmal
um dasselbe Interstitialmaterial handelt, um
AL, — ALn = An + 4, + d. — 9 — 9) = (п — 1)gp 44.
Bei der Voraussetzung, daß J stets aus dem gleichen Material besteht,
ist auch 2; und damit zugleich 44, unter dem gleichen Narkoticumein-
fluß stets unveränderlich, kann also als K, als konstant in die Gleichung
eingesetzt werden, so daß diese nunmehr lautet:
AL, — AL, =K-q,(n — 1). (3)
Dies bedeutet also zunächst, daß sich jeder Fall einer besonders-
artigen Beteiligung des Parenchyms an dem Vorgang der Narkose des
ganzen Gewebes von dem Falle II, in welchem das Parenchym keinen Un-
terschied gegenüber dem Interstitialgewebe hinsichtlich seiner Beeinflus-
sung durch das Narkoticum bei der Gewebsnarkose aufweist, — denn wenn
4, = А, darf auch 44, = ЛА, angenommen werden, — dadurch unter-
scheidet, daß die Querschnittsbeteiligung von P maßgeblich ist für
die Größe dieses Unterschiedes.
Stellen wir die ganzen Betrachtungen für die Querschnittseinheit
der Gesamtmembran an, bei der also
9 + 9. = 1,
"Membran und Narkose. 7
dann wird jede Vergrößerung des Querschnittsanteils von 1 über q, = 0
hinaus den Einfluß von п herabsetzen gegenüber dem technisch bequemsten
Fall, in dem g, = 1 ist. Größer als 1 kann es ja nach der Voraussetzung
qp + q; = const.
nicht werden 1).
Dieser günstigste Einzelfall kann, wie oben erwähnt, nie verwirklicht
sein, außer wenn es gelingt, eine einzelne Zelle als Objekt zwischen die
Elektroden zu bekommen. Gerade das ist aber von jedem vernachlässigt,
der mit Geweben dasselbe erreichen zu können glaubt. Selbst wenn wir
aber diese vereinfachende Annahme q; = 0 machen, dann wird
AL, — AL, = К . (п – l),
ев ergibt sich also dann immer noch, daß die Größe n zu beachten ist.
Diese Überlegungen bestätigen die von vornherein sicher stehende
Tatsache, daß in dem denkbar uninteressantesten Versuchsfall, in dem
beide Membranen nur aus Interstitialgeweben bestehen, gleiche Beschaffen-
heit des Membranmaterials und gleichen Querschnitt der untersuchten
Flächen vorausgesetzt, unter dem Einfluß desselben Narkoticums diese
zwei Membranen dieselbe Änderung der Leitfähigkeit ergeben werden, ein
Ergebnis, das auch erhalten wird, wenn man in Gleichung (3)... п = 1 setzt.
Gering ist der Unterschied des Falles I gegenüber dem Falle II, wenn
n C1, d. h. in allen Fällen, in denen sich das Parenchym nur in geringerem
Maße an der Gesamtleitfähigkeit, also auch an Anderungen derselben be-
teiligen kann als das Interstitialgewebe Nur wenn n > 1, beginnt das
Ergebnis solcher Messungen an ganzen komplexen Geweben fiir die Frage
nach dem Narkoticumeinfluß auf die parenchymatösen, funktionell wichti-
gen Membrananteile interessant zu werden.
Es ergibt sich also auf dem Umwege iiber die vorstehenden Betrach-
tungen, daß die Zahl n erstens möglichst genau bekannt und zweitens größer
als 1 sein muß, wenn man aus den Versuchsergebnissen an Gewebsmembra-
nen auf die Beeinflussung ihrer parenchymatösen, cellulären Bestandteile
schließen will. Diese Voraussetzung macht jeder, der Resultate, die an
bindegewebsdurchsetzten Organmembranen gewonnen wurden, auf deren
Parenchym bezieht. Aber er macht, wie hier gezeigt ist, damit auch einen
wichtigen Anteil dessen, was erst zu beweisen wäre, zur Voraussetzung.
Aus diesen Überlegungen heraus wurde als Ziel gesetzt,
Organmembranen verschiedenen Parenchymgehalts mitein-
ander zu vergleichen und zu prüfen, inwieweit gemäß dem wech-
selnden Anteil des Parenchyms an der Gesamtmasse bzw. am
1) Ist umgekehrt in
| 4» + Ф == 1
9. = 1, also q, = O,
dann folgt aus Gleichung (3)
AL, — 4ш = K+(n—1)-0,
AL = АЙ.
5 Р. Schulze:
Gesamtquerschnitt etwa Verschiedenheiten in der Beeinflußbar-
keit solcher Gewebsstücke durch Narkotica zur Beobachtung
kommen.
Zwar gibt es keine geeigneten und völlig zuverlässigen Anhaltspunkte
zur Feststellung der oben erörterten Größe n für die verschiedenen Gewebe
des Körpers, es wurde aber nach dem Vorgang Wintersteins von der
Annahme hohen Parenchymgehalts der Froschmuskeln ausgegangen und
Membranen aus solchen verglichen mit Membranen aus einem Gewebe,
das praktisch nur als aus Bindegewebe und elastischen Fasern bestehend
angesehen werden kann. Diese Membranen wurden dem Ligamentum
patellae und der in dieses übergehenden Ansatzsehne des Musculus rectus
femoris des Frosches entnommen. Als Muskelmembranen, bei denen der
Parenchymanteil stark überwiegen soll, wurden kleine Stückchen aus den
zartesten Teilen des Musculus transversus abdominis von Temporarien oder
Esculenten verwandt. Endlich wurden noch Stückchen aus dem Musculus
rectus abdominis von Fröschen im Zusammenhang mit der ventralen und
dorsalen Aponeurose untersucht, ein Objekt, an dessen Zusammensetzung
sich Parenchym und Interstitium hintereinandergeschaltet beteiligen.
Die Verteilungsverhältnisse zwischen Parenchym und Interstitium ent-
sprechen bei dem zuerst angeführten Versuchsobjekt annähernd den Ver-
hältnissen der Abb. 2, bei dem zweiten annähernd der Abb. 1, bei dem dritten
etwa der Abb. 3.
Als Methode zur Prüfung der Permeabilitätsänderung dieser
Gebilde wurde die Leitfähigkeitsmessung in der auch von
Loewe benutzten Anordnung gewählt. Zur Begründung dieser
Wahl sei folgendes angeführt:
Bei genauer Betrachtung wird auch in der Wintersteinschen Ver-
suchsanordnung nicht mit ganz physiologischen und eindeutigen Verhält-
nissen gearbeitet. Es wird einerseits die Quellung in destilliertem Wasser,
andererseits die Durchlässigkeit solcher gequollenen Membranen für Wasser
und Salze untersucht. Gerade die Hineinziehung des Quellungszustandes
schafft eine neue und, insoweit er durch die Versuchsbedingungen wechselt,
unnötige Verwicklung. Bei allen Permeabilitätsvorgängen durch Mem-
branen handelt es sich zunächst einmal um die Beweglichkeit des Lösungs-
mittels an den verschiedenen Stellen des mikroheterogenen Systems. Dieses
selbst an verschiedenen Stellen verschieden bewegliche Material bildet dann
die Schiene, auf der die wiederum wechselnd bewegliche Fülle der gelösten
Stoffe permeiert. Bei der Frage der Beweglichkeit des Lösungsmittels ein-
zusetzen, hat also alle Berechtigung der radikaleren Problemstellung. Aber
man muß dann auch mit Beweglichkeitsbedingungen arbeiten, wie sie am
physiologischen Substrat vorliegen. In einem unphysiologischen Quellungs-
zustand befindliche Membranen wählen, deren Lösungsmittel also eine ab-
norme Beweglichkeit besitzt, heißt, sich von der Ausgangsposition ent-
fernen. Und darum sind die Bedenken gegenüber dieser Wahl der Ver-
suchsanordnung nicht geringer als gegenüber einer solchen, die bewußt
Membran und Narkose. d
nur die Beweglichkeit eines der sekundär wandernden Stoffe ins Auge faBt.
Nimmt man als solchen einen Farbstoff, wie z. B. Lepeschkin, so ent-
fernt man sich freilich mit diesen unphysiologischen Wanderungsstoffen
gleichfalls unnötig von den physiologischen Verhältnissen. Aber die
Ionendurchlässigkeit der Membranen zu wählen, die bei dieser Arbeit
ellein in Betracht gezogen wurde, erscheint nach alledem immerhin als eine
angemessene Beschränkung.
Eine andere, für unsere Versuchsanordnung wichtige Frage
ist von Gildemeister eingehend untersucht worden, ob näm-
lich mit der Kohlrauschschen Leitfähigkeitsmethode nun eigent-
lich der Widerstand, die Selbstinduktion oder die Polarisation
der untersuchten Membranen und deren Änderung bei Änderung
der Zusammensetzung des Mediums gemessen wird!).
Die Resultate Gildemeisters sind entscheidend für die Schlüsse,
die man aus dem Ausfall von solchen Leitfähigkeitsmessungen mit der bis-
herigen Methode auf das Wesen der Membranveränderung ziehen darf.
Aberim Augenblick besteht die Aufgabe nur darin, die mit derselben Methode
an drei verschiedenen Versuchsobjekten gewonnenen Resultate miteinander
zu vergleichen, ganz unabhängig davon, was diese Resultate eigentlich
bedeuten. Letzten Endes sind die Ergebnisse allerdings nur vergleichbar
unter der Voraussetzung, daß an den drei verschiedenen Versuchsobjekten
mit derselben Methode stets dieselbe Größe — nach Gildemeister die
Polarisation — gemessen wird, nicht etwa z. B. an den rein bindegewebigen
Membranen die Polarisation, an den vorzugsweise muskulären Membranen
dagegen die Selbstinduktion.
Diese Voraussetzung ist nach dem heutigen Stand unserer Kennt-
nisse keineswegs erfüllt. Aber wenn man für den rein orientierenden Zweck
der vorliegenden Untersuchung diesen Punkt zurückstellt, so darf man wohl
ohne Rücksicht auf den prinzipiellen Einwand Gildemeisters einmal
zu dem Vergleich dessen schreiten, was sich mit der Kohlrauschschen
Versuchsanordnung für Membranen verschiedener Herkunft und Beschaffen-
heit ergibt.
Untersucht wurden Membranen des Musculus transversus
und rectus abdominis und des Ligamentum patellae von Esku-
lenten und Temporarien, in zwei oder drei Versuchen auch die
von Muskelgewebe makroskopisch ganz befreite Aponeurose des
Musculus rectus abdominis.
Über die Art und Konzentration der angewandten Narkotica
gibt die folgende Tabelle I eine Übersicht:
1) Gilde meister, Elektrischer Widerstand, Capacität und Polarisation
an der Haut. Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919.
10 P. Schulze:
Tabelle I.
Narkoticum Konzentration
Alkohol 50 0
ee Eet teg зл sde 1,25 %
Chloroform 0,1 %
Ather 3,0 %
йз eS шалу Әз 1,5. 90
Urethan. ....... 1,0 %
Sel. Жу ЖОШ Oe Beh 0,75 %
T7 0,375 %
Iso prall 1.0 90
Уа 0,5 %
5 0,25 ©,
Im einzelnen entspricht die Versuchsanordnung der von Loewe ge-
gebenen Beschreibung). Zur Unterbringung der Membranen und der sie
beiderseits umspülenden Ringerlösung dienten die auch schon von ihm
benutzten U-förmig gebogenen Glasröhrchen, deren Hälften mittels zweier
Metallspiralen so aneinander gepreßt wurden, daß die Membranen fest
zwischen ihnen saßen und die Durchbohrungen der Röhrchen möglichst
genau aufeinander eingestellt waren.
Die Membranen selbst wurden derart gewonnen, daß aus einem во-
eben getöteten Frosch die zu prüfenden Gewebsstückchen herausgeschnitten
wurden; sie wurden entweder sofort in die U-Röhrchen eingespannt, die
dann sogleich beiderseits mit Ringerlösung gefüllt wurden, wobei sorg-
fältig darauf geachtet wurde, daß keine Luftblasen an den Membranen oder
in dem horizontal verlaufenden Teil der U-Röhrchen haften blieben; oder
die Gewebsstückchen wurden für kurze Zeit in Ringerlösung eingelegt und
erst dann zu Messungen eingespannt. Nachdem so von demselben Tier
je ein Stückchen aus dem Musculus rectus und Transversus abdominis und
dem Ligamentum patellae eingespannt und die Röhrchen mit Ringerlösung
gefüllt worden waren, wurde zunächst der Widerstand dieser drei Mem-
branen in Ringerlösung bestimmt, und zwar durch zwei oder drei durch-
schnittlich 15—20 Minuten auseinanderliegende Messungsreihen, die aus
je drei nacheinander, aber völlig getrennt voneinander vorgenommenen
Ablesungen bestanden. Hierauf wurde die Ringerlösung entfernt und er-
setzt durch Ringerlösung, die eins der oben angeführten Narcotica in der
dort angegebenen Konzentration enthielt. In der Regel wurde in einer Ver-
suchsreihe dasselbe Narkoticum gleichzeitig an den drei verschiedenen
Membranarten untersucht. Nach verschieden langer Einwirkungsdauer
wurde die narkoticumhaltige Ringerlösung durch narkoticumfreie ersetzt
und zunächst wieder der Widerstand der Membran in Ringerlösung mehr-
fach bestimmt, worauf eine zweite, sehr selten noch eine dritte Narkose
folgte.
1) Vgl. S. 8 bzw. 1.
Membran und Narkose. 11
Nach Möglichkeit wurde die Einwirkungsdauer des Narkoticums so
lang gewählt, bis Gleichgewicht eingetreten war. Die Kurven zeigen aber,
daß dieser Zustand in annehmbaren Zeiträumen meist nur annäherungsweise
zu erreichen war.
Als Fehlerquellen für die beobachteten Leitfähigkeitsände-
rungen der Membranen kommen in Betracht Temperatureinflüsse,
Einflüsse des Narkoticums auf die membranlosen Anteile des
Systems, also auf Ringerlösung allein, und interkurrierende
Absterbeerscheinungen an den Membranen.
Die Sicherung der Temperaturkonstanz durch Verwendung eines
Thermostaten war durch die Konstruktion der Membrangefäße unmöglich
gemacht. Die Thermostatenflüssigkeit hätte die Ränder der eingespannten
Gewebsmembranen umspült und so unübersehbare Störungen geschaffen.
Abdichtung der Membranränder gegen diese Schädigung ist umständlich,
unsicher und zeitraubend; daher schien es ein geringerer Fehler, sich gegen
Temperatureinflüsse auf andere Weise zu sichern. Die Messungen wurden in
einem möglichst gleichmäßig temperierten Raum vorgenommen, alle Lö-
sungen zuvor auf die Temperatur dieses Raumes gebracht und alle Objekte
gegen Wärmestrahlen geschützt. Außerdem wurde die Temperatur möglichst
oft während der Versuche abgelesen. Demgemäß kommen Temperatur-
schwankungen innerhalb der einzelnen Versuchsreihen, wie aus den Kurven
zu ersehen ist, kaum jemals vor. Gleichwohl wurde unter Zugrundelegung
der bei verschiedenen Temperaturen vorgenommenen Widerstandsmessun-
gen der reinen Ringerlösung in einer ersten Reihe von Vorversuchen der
Temperaturkoeffizient ihrer Leitfähigkeit berechnet nach der von Kohl-
rausch und Holborn’) angegebenen Formel
1 0 — w,
w tt,
c= |
wobei w, den Ausgangswiderstand bei der Temperatur t,, w, den Endwider-
stand bei der Temperatur t, bezeichnet, die höher ist als fo. Die Werte von
w und t, mit deren Hilfe c berechnet wurde, sind in der folgenden Tabelle II
angegeben.
Tabelle II.
{ ; 10
e 4917 Ohm
RF 4820 „,
РЛЕР 3740 „„
Aus diesen Zahlen ergibt sich für c der Wert 0,022975.
Während sich in breiteren Temperaturbereichen die c-Kurve
nicht mehr als linear darstellt, kann c für das kleine Temperatur-
1) Siehe Kohlrausch und Holborn, Die Leitfähigkeit der Elek-
trolyte.
12 P. Schulze:
intervall, um das es sich bei den vorliegenden Messungen handelt,
als konstant angesehen werden.
Dem entspricht, daß die graphisch ermittelte Temperatur-
kurve, die sich in Abb. 5 (S. 28) eingezeichnet findet, von den
ermittelten Einzelwerten nur geringe Abweichungen — höchstens
3% — zeigt. Diese Kurve konnte daher bezugsweise zugrunde
gelegt werden.
Die Widerstandswerte, von denen bei Zeichnung dieser Kurve ausge-
gangen wurde, wurden so ermittelt, daß die Mittelwerte zahlreicher Messun-
gen um die beiden Grenztemperaturen 7 und 19° C herum rechnerisch be-
stimmt, in ein Koordinatensystem eingetragen und dann durch eine Gerade
verbunden wurden.
Der Einfluß der Narkotica auf die Leitfähigkeit von membran-
losen Ringerlösungen wurde in einer zweiten Reihe von Vorversuchen
ermittelt. Das Ergebnis wird durch die graphische Darstellung (Abb. 6 u. 7,
S. 28) veranschaulicht. Bei konstanter Temperatur wurde abwechselnd der
Widerstand einer reinen Ringerlösung bestimmt und die Widerstands-
änderung, die eintrat, wenn sie ersetzt wurde durch eine Ringerlösung mit
Narkoticum bestimmter Konzentration. Die Maximal- und Mipimalwerte
der einzelnen Messungen liefern die beiden eingezeichneten Kurven.
Auf der Grundlage dieser Vorversuche über die Wirkung des Narkoti-
cums auf Ringerlösung allein, die alle übereinstimmend zu dem Ergebnis
einer Leitfähigkeitsverminderung durch jedes der geprüften Narkotica in
jeder geprüften Konzentration geführt hatten, war nun eine Korrektur
an den Ergebnissen der Hauptversuche erforderlich:
Auf den Kurven dieser Versuche ist dem Einfluß der Konzentration
des Narkoticums auf die Widerstandsänderung auf folgende Art Rechnung
getragen.
Es seien in den anschließenden Ausführungen als Abkürzung gestattet
für ein System mit Ringerlösung L,
für ein System mit Ringerlösung und Narkoticum Lx,
für ein System mit Membran in Ringer M,
für ein System mit Membran in Ringer und Narkoticum My.
Ferner seien die Widerstandswerte für die reine Ringerlösung
vor und nach der Prüfung mit Narkoticum mit Wr, die Widerstände
der Systeme Ly mit Wz, bezeichnet.
Wi, — Wi
Ӯ; - 100
bedeutet demnach die prozentische Widerstandserhéhung геіпег Ringer-
lösung.
Unter Berücksichtigung der höchsten und der Durchschnittswerte
von je drei Ablesungen einer Messungsreihe wurden jeweils ein Maximal-
und ein Durchschnittswert dieser Prozentualangabe berechnet; diese Pro-
zentwerte sind in Tabelle III zusammengestellt.
Membran und Narkose. 13
Tabelle III.
Wry — Wr, 100
L
Narkoticum Konzentretion Maximum Mittel
Ather 1,5 5,15 3,75
wo т 1,0 2,94 2,31
„ 0,5 2,73 2,09
Chloroform . . 01 3,25 1,99
Alkohol 10 40,75 37, 60
ЧУ 5 16,40 14,82
Ж. меу 2,5 12,56 11,62
Do жаш EE 1,25 6,90 5,495
Urethan. .... 3,0 8,36 7,04
ОЕ" 1,5 3,16 2,045
a жылы 1,0 2,318 1,675
x 0,75 2,526 1,786
Si. жш EEN 0,50 1,904 1,108
gie ere з 0,375 1.585 0,792
Isopral ..... 1,0 3,780 2,940
© pes epee he 0,5 2,310 1,045
re ur 0,25 3,075 1,940
Wie man sieht, handelt es sich schon bei diesen Werten um Approxi-
mativzahlen: die im allgemeinen hinreichend gleichmäßig abfallenden
Reihen für die verschiedenen Konzentrationen des gleichen Narkoticums
zeigen nur bei Urethan — 1,0% und 0,75% — und Isopral — 0,5%, und
0,25%, — eine Unstimmigkeit. Eine feste gesetzmäßige Beziehung zwischen
Abnahme der Konzentration und Abnahme der Leitfähigkeitsverminderung
läßt sich aus den gewonnenen Resultaten nicht ableiten.
Unter Zugrundelegung der Zahlen dieser Tabelle erhielt man die
Widerstandswerte, die im Laufe der Membranversuche gemessen worden
wären, wenn die Widerstandserhöhung nach Zufügen des Narkoticums allein
auf dessen Einfluß auf die Ringerlösung zurückzuführen wäre.
Diese Werte sind als Kreise in die Kurven 8—21 eingetragen und durch
die kurz gestrichelten, bzw. die kurz-lang gestrichelten Linien ver-
bunden (vgl. auch Tab. IV). Die ersteren begrenzen den ungünstigsten
Maximalbereich dieses Einflusses des Narkoticums auf Ringerlösung allein,
der unter Zugrundelegung der höchsten der drei Ablesungen in dem System
M und des Maximalwertes der Tabelle III berechnet ist. Die letzteren geben
den Durchschnittswert an, der sich als Mittel ergibt, wenn einmal die höchste,
einmal die niedrigste Ablesung in dem System M mit dem Durchschnitts-
prozentualwert der Tabelle III multipliziert wird.
Von Wichtigkeit für die Beurteilung der Versuchsergebnisse sind
endlich noch die Absterbeerscheinungen, soweit sie in den vorliegen-
den Leitfähigkeitsmessungen zum Ausdruck kommen.
Sie ließen sich am deutlichsten beobachten, wenn unmittelbar nach der
Tötung des die Versuchsobjekte liefernden Tieres die zu untersuchenden
~
14 P. Schulze:
Membranen, hier also ein Stückchen des Musculus transversus und des
Ligamentum patellae dem Frosch entnommen, sofort eingespannt und
namentlich anfangs während der nächsten 6—8 Stunden möglichst häufig
gemessen wurden (Kurven 22 u. 23, S. 33).
Ein Vergleich der beiden Kurven zeigt folgendes: der Musculus trans-
versus weist zunächst eine nicht unbedeutende Steigerung des Widerstandes
auf. In etwa 1½ Stunden ist das Maximum der bei dem Versuch festge-
stellten Widerstandszunahme erreicht mit einer Widerstandssteigerung um
8,19%, des zuerst gemessenen Widerstandswertes. Da der Frosch bis kurz
vor seiner Tötung in einem geheizten Zimmer stand, die Messung aber in
Ringerlösung und bei einer Zimmertemperatur von nur 6°C stattfand,
könnte an eine Erhöhung des Widerstandes durch die Abnahme der Tem-
peratur gedacht werden. Dem entspräche, daß eine solche Anfangssteige-
rung des Widerstandes für gewöhnlich nicht zur Beobachtung kam.
Im weiteren Verlauf zeigt sich dann eine bis zur 9. Stunde sehr steil,
später flacher verlaufende Abnahme des Widerstandes. In acht Stunden
40 Minuten beträgt sie 9,75%, des vorherigen Maximums. Das Minimum
ist nach 1½ Tagen mit ca. 17% Abnahme erreicht. Diese Absterbeerschei-
nung läßt sich auch an vielen Beispielen der Kurven 8—21 verfolgen, wo
die Widerstandsmessungen der rein muskulären Membranen in reiner Rin-
gerlösung mit der Zeit ständig absinkende Widerstandswerte ergeben, ob-
wohl sie zuvor mit sicher reversibel, nicht toxisch wirkenden Narkoticum-
konzentrationen behandelt wurden. Diese Leitfähigkeitsvermehrung ist
wohl auf eine Permeabilitätssteigerung durch Zustandsänderung der Plas-
makolloide zurückzuführen.
Die nachträgliche Widerstandserhöhung am dritten und vierten Tag
ist von geringerem Interesse, weil sie geringeren Umfang besitzt und weil
um diese Zeit die Membran meist nicht mehr zu Narkoseversuchen ver-
wendet wurde. Zu ihrer Erklärung wird wohl in erster Reihe an bakterielle
Prozesse — Bildung permeabilitätsvermindernder und porenverschließender
Rasen — zu denken sein.
Im Vergleich hiermit ergibt die Kurve des Ligamentum patellae fol-
gendes:
Gleichfalls nach etwa 1½ Stunden ist das Maximum der bei dem Ver
such beobachteten Widerstandszunahme erreicht bei einer Steigerung des
Widerstandes um 2,38%, des Anfangswertes.
Dieser anfängliche Anstieg des Widerstandes liegt beim Lig. pat.
weniger steil als beim Muskel. Nach 10 Minuten z. B. hat der Widerstand
des Ligamentum patellae um 0,198% des Anfangswertes zugenommen, der
des Musculus transversus bereits um 3, 34% des Anfangswiderstandes. In
8 Stunden 40 Minuten beträgt die daran sich anschließende Widerstands-
abnahme 2,325% des vorherigen Maximalwertes; das Minimum ist ebenfalls
nach 1½ Tagen mit са. 11% erreicht.
Die Kurve des Lig. pat. unterscheidet sich also von der des Muskels
durch eine wesentlich schwächere und sich langsamer ausbildende anfängliche
Widerstandszunahme und durch eine wesentlich geringere und erst bedeutend
später einsetzende Widerstandsabnahme im Verlauf der zwei ersten Tage.
Membran und Narkose. 15
Nähme man, wie eben bei den Muskelmembranen erörtert, die Ab-
kühlung des Organstückes des zuvor im geheizten Zimmer befindlichen
Frosches zur Erklärung für den anfänglichen Anstieg, so bliebe der Unter-
schied des Lig. pat. gegenüber der höheren Steigerung des Anfangswider-
standes des Muskels sehr auffällig. Übrigens ist auch bei den Ligamenta
patellae diese Steigerung in analogen Versuchen nicht beobachtet worden.
Das deutlich stärkere und frühere Einsetzen dieser anfänglichen und
durch den Einfluß der Temperatur allein kaum zu erklärenden Widerstands-
steigerung bei der parenchymreichen, bindegewebsarmen Membranart
ladet dazu ein, die Erklärung hierfür zu suchen in dem wesentlichen Unter-
schied dieser Membranart gegenüber der parenchymarmen: in ihrem großen
Parenchymreichtum.
Ob die beobachtete Erscheinung bei der Muskelmembran identisch ist
mit der Totenstarre des Muskels, bzw. der Lösung derselben, kann und soll
hier nicht erörtert werden. Vielleicht liegt aber die Erklärung für das stär-
kere und frühere Auftreten der Anfangswiderstandserhöhung an der muskel-
reichen Membran in der beim Absterben steigenden H-Ionen-Konzentration,
die sich bei der muskelreichen Membranart wesentlich stärker bemerkbar
machen dürfte als bei der bindegewebsreichen, parenchymarmen.
Damit ist aber wieder die Frage aufgerollt, wie man sich den Einfluß
starker und schwacher H-Ionen-Konzentrationen auf die Permeabilität
tierischer Membranen zu denken habe.
Schwächere H-Ionen-Konzentrationen dürften eine Quellung des
Parenchyms und damit eine gesteigerte Leitfähigkeit, eine Verminderung
des Widerstandes bewirken. Höhere H-Ionen-Konzentrationen müßten,
wenn man ihren Angriffspunkt gleichfalls in die Parenchymbestandteile
allein verlegt, durch Schrumpfung derselben eine Vergrößerung des von
Bindegewebe ausgefüllten, gut leitenden Interstitiums ergeben, also eine
Leitfähigkeitserhöhung. Ist aber das Interstitium allein der Angriffspunkt,
werden in ihm durch Fällung von bisher gelösten Eiweißsubstanzen
Flockenbildung und daher Verstopfung der bisher zur Leitung benutzten
Strombahn bewirkt, muß eine Leitfähigkeitsherabsetzung die Folge sein.
Wirkt das Narkoticum auf das Parenchym allein und kommt dieses allein
für die Permeabilität des Gewebes in Betracht, während das Interstitium
schlecht oder gar nicht permeabel ist, müssen starke H-Ionen-Konzen-
trationen durch Verstopfung der Strombahn durch Gerinnung Leitfähig- .
keitsverminderung bewirken. Sind schließlich Parenchym und Inter-
stitium dem Einfluß der H-Ionen in gleicher Weise ausgesetzt, und werden
sie beide zur Gerinnung gebracht, würde gleichfalls eine Leitfähigkeits-
herabsetzung hieraus folgen.
Die allgemein herrschende Ansicht über die Wirkung der H-Ionen-
Konzentrationen auf Gele, — bei schwachen Konzentrationen Quellung,
Leitfähigkeitserhöhung und Widerstandsabnahme, bei starken Gerinnung,
Leitfähigkeitsherabsetzung und Widerstandszunahme — läßt eine Er-
klärung der oben beobachteten anfänglichen Widerstandssteigerung nur dann
zu, wenn man annimmt, daß für die Permeation von Ionen durch aus Paren-
chym und Interstitium zusammengesetzte Membranen nur das Interstitium
16 P. Schulze:
in Betracht kommt, das Parenchym vielleicht nur als Hindernis wirkt.
Denn dann wiirde eine am Parenchym angreifende Quellung durch schwache
H-Ionen-Konzentrationen eine Leitfähigkeitsverminderung durch Verkleine-
rung des Strombahnquerschnittes bewirken, eine am selben Ort angreifende
Gerinnung durch hohe H-Ionen-Konzentrationen durch Vergrößerung des
Strombahnquerschnittes eine Leitfähigkeitssteigerung zur Folge haben.
Das Ergebnis dieses Versuches weist also erneut darauf hin, wie über-
aus mannigfaltig die Erscheinungen an überlebenden tierischen Membranen
sind, eine Mannigfaltigkeit, welche die Auffindung irgendwelcher, allgemein
gültiger Gesetzmäßigkeiten für die Verhältnisse an diesen Membranen
außerordentlich erschwert.
Diese beiden Absterbekurven zeigen anschaulich, wie die Absterbe-
erscheinungen nicht nur während eines Versuches die Resultate der Messun-
gen beeinflussen können, sondern auch für die Verwendbarkeit überlebender
Membranen überhaupt von großer Bedeutung sind: mit steigendem Alter
nimmt ihre Brauchbarkeit ständig ab und man entfernt sich mit jeder
Stunde zusehends von den Verhältnissen intra vitam. Man kann geradezu
das Paradoxum aussprechen, daß die Leitfähigkeitsmessung bei allen ihren
Schwächen einen feineren Gradmesser für den Lebendigkeitsgrad der Ge-
webe abgibt als die Prüfung der Funktion selber, die ja zum mindegten
qualitativ noch viel länger intakt gefunden wird.
Auch dieser Nachweis des Überlebens durch die Funktion wurde für
die hier untersuchten Objekte, wenigstens die muskulären, versucht. Es
wurde geprüft, ob sich die Reizschwelle für elektrische Reizung vor und
nach der Narkose feststellen ließe. Gerade der Umstand, daß es nicht ge-
lang, eindeutige Ergebnisse bei diesen Funktionsprüfungen vor und nach
Gebrauch der Membranen zur Narkose zu finden, bestätigt vielleicht den
vorausgeschickten Satz. Übrigens kann auf den Nachweis der Reversibili-
tät der mit den angewandten Narkoticumkonzentrationen auf die Mem-
branen ausgeübten Einflüsse auf diesem Wege verzichtet werden. Daß sic
sich aus unseren Kurven als reversibel erweisen, kann für die hier ver-
folgten Zwecke genügen. Dazu kommt, daß Narkoticumkonzentrationen
angewandt wurden, die nach den Erfahrungen früherer Untersucher von
vornherein als reversibel wirksam anzusehen sind.
Was ergibt sich nun, wenn unter Berücksichtigung dieser
Momente die Kurven 8—21 und die Tabellen IV und V betrachtet
werden, aus diesen 1. für die Frage der allgemeinen Brauchbarkeit
der hier angewandten Methode, und 2. für die Beantwortung der
Frage, ob an Geweben gewonnene Resultate ohne weiteres auf
Zellen übertragbar sind?
Praktisch gut verwendbar wäre die angewandte Methode dann,
wenn in jedem Versuch die Ergebnisse auBerhalb der größten
Fehlerbreite lägen, d. h. wenn auch die Minimalablesung zur Zeit
der Höchsteinwirkung des Narkoticums auf das System Му ober-
halb des Maximalwertes lage, den der Widerstand in einem
Fortsetzung auf S. 18.
Membran und Narkose. 17
Tabelle IV.
| Коп- | Теш- |
і d 1
Narko- DOE | ` Aa der Membran |209) HD | HM | НМ
| in % in? C іп //, in %
Alkohol 5 17,75} Muskel mit vie! B. G. |+ 320 6,78 | +140 +2,92
* 5 117,75 e „ wenig „ |+ 380 9,54 | +220|+5,365
A 1.25 17 Е „ viel „ |+ 400 J 4,64 | — 20|—2,22
5 1,25 17 я М Е „ |+ 5607 6,2 712071, 285
= 1.2517 = „ wenig „ |+ 230|+ 4,16 | + 100,176
9 1,25 17 И à А „ |+ 300!+ 5,82 | + 90|+1,69
ч | 1,25 17 8 5 3 „ — 35|— 0,938! — 150 | — 3,94
„ 1.2517 S „ viel „ |+ 65/+ 139 | — 75|—1,568
„ 1.25 12,2 | „ wenig „ |+ 14 0,159 —155|—2,42
a 1,25 12,2 А „ viel , |— 55— 0,842 — 255 — 3,81
5 | 1,25|12,2 | Ligamentum patellae — 10 — 0, 203 —185 — 3,64
Chlorof. 0,1 |17 Muskel mit wenig B. G. |+ 105 + 25 — 20/—0,46
„ 0,1 17 а „ viel + 80+ 1,95 | — 70| — 1,65
5 0,1 12,2 S SA „ |+ 25/7 0,412; —160|—2,64
Е 0,1 |12,2 н „ wenig — 30|— 0,497 —210 | — 3,41
= 0,1 12,2 Ligamentum patellae + 195 + 41 | + 300.6175
Ather „8 17 Muskel mit viel B.G. + 260 + 5,65 7110 72.33
3 17 „ „ wenig „ |+ 170 4,64 | + 35 | +0,938
е 3 12.5 = „ viel „ |+ 70+ 86 | +325 773,62
4 8 12,5 S „ wenig „ |+ 440|+ 5,71 | + 20|+0,249
я 3 12,5 | Ligamentum patellae + 280|+ 5,76 — 90| — 1,785
В 1,5 [19,2 | Muskel mit viel B.G. |+ 90/+ 1,62 — 130 — 2,28
" 15 12.2 „ wenig „ 45550 11.7 256 75)
М 1,5 |12,2 | Ligamentum patellae + 651+ 1,42 | — 85:—1,81
1) Zur Erklärung der Ausdrücke HD, HD , HM und НМ ist
folgendes auszuführen (vgl. S. 12 und 13). In den Versuchsprotokollen
bezeichnen die ausgezogenen Linien (Ii) Maximum und Minimum des
Widerstandes in dem System Mn, wie sie bei den einzelnen Ablesungen
festgestellt wurden; die kurz gestrichelten Linien (Iz) verbinden die rechne-
risch (vgl. Tab. III) gefundenen Maxima des Widerstandes in den Systemen
In, wie sie unter Einhaltung derselben Versuchsbedingungen gefunden
worden wären, die kurz-lang gestrichelten Linien (Iz) die graphisch ge-
fundenen Mittel der aus dem Maximum und Minimum der Meßresultate in
dem System Mn für die gleichen Versuchsbedingungen berechneten Werte
in dem System In.
HD bedeutet die Differenz zwischen dem Mittel der durch Ii dargestell-
ten Widerstandswerte und dem entsprechenden durch I dargestellten Wert.
Нр % diese Differenz ausgedrückt in Prozenten des entsprechenden,
durch I, gegebenen Widerstandswertes.
HM und HM % haben entsprechende Bedeutung für die Differenzen
zwischen den einander entsprechenden Werten, die gegeben sind durch die
untere der beiden ausgezogenen Linien (Ii) und die kurz gestrichelte (Iz).
Ein + Zeichen bedeutet, daß eine Zunahme, ein — Zeichen, daß eine
Abnahme des Widerstandes vorliegt. -
Biochemische Zeitschrift Band 108. 2
18 P. Schulze:
Tabelle IV (Fortsetzung).
Nark Kon- | Tem-
arko- jwentra-| pera-
oe | ton wur Art der Membran | HD
in іп / in? in °С ]
Gegen 1,0 | 18,0! Muskel mit viel B. G. + 270/+ 61 + 180/+ 4,02
А 5 17/0 „ 1+1920,+22,95 |+1280 +16,4
e | ITO 18 В „ wenig „ |+ 340 + 8,27 |+ 210+ 4,98
„ 0,75 | 17 a ae й „ + 450!+10,39 |+ 320 4 7,25
„ 0.75 17 „ „ 7 + 60+ 142 — 120 — 2.78
„ 10,75 | 17 5 А „ '+ 50'+ 117 |— 65| 1.49
„ 0,75 17 „ „ Viel „ + 60+ 1,42 — 65] — 1,5
„ 40751122; „ „ „ 4 105'+ 1,97 — 80| — 1,47
„ „ wenig „ + 135 215 — 15 — 0,299
» 0,75 12,2 Ligamentum patellae |+ 65+ 1,39 — 60|— 1,26
„ 0.375 10,2: : + 154|+ 3,5 |+ 60|+ 1,33
x 0, 75 102 Aponeurose i+ 195:+ 3,48 + 5 + 0,087
„ 10,75 | 10,2. Muskel mit wenig В.С. + 160+ 2,96 — 10| — 0,181
„ 0,375 102 „ „ Е „ |+ 165 + 3,19 + 95| + 0,461
Isopral 1.0 | 17,0| Muskel mit viel B. G. +1420/+16,5 '+ 720|+ 8,06
„ |10 17, „ wenig „ |+ 560 711,6 4 340 6,62
А 055 110! „„ viel „ — 851— 0,768 — 180] — 3,86
„. ee „ 7 85+ 2,04 — 60 — 1,41
„ 0.5 17 „ „ wenig „ + 80 2,26 = 35|— 0,965
„ (05 17,5 „ „ „ „ + 90+ 0,56 — 85]— 2,355
„ 0,5 12,22 „ „ viel „ + 125/+ 236 — 35| — 0,645
„ (0,5 |122| , „ wenig , + 120/+ 248 — 65 — 1,32
Ё 10,5 | 12,2; Ligamentum patellae + 551+ 1,22 — 105|— 2,26
„ 10,5 | 10,2| Aponeurose + 145/+ 265 - 5 — 0,089
„ 00,25 | 102 i + 205 + 3,018 + 40|+ 0,723
d 10,5 | 10,2| Muskel mit wenig В.С. + 125 2,31 — 25, — 0,45
„ Jos 10,22 „ „ „ „ i+ 11504 214 — 10/— 0,182
analogen, aber membranlosen System Ly aufwiese, — wie das
z. B. in Abb. 17u. 21 angedeutet ist — wenn kurz gesagt die diesen
Unterschied zum Ausdruck bringenden Werte HM bzw. HM%
in den Tabellen positiv wären und damit eine zweifellose Wider-
stands z u n a h me des membranhaltigen Systems unter dem Einfluß
der Narkotica ausdrückten, die dann mit Sicherheit auf den Einfluß
des Narkoticums auf die Membran selbst zurückzuführen wäre. Die
so gefundene Permeabilitätsveränderung müßte dann in der Tat als
Membranfunktion unter dem Einfluß der Narkotica gedeutet werden.
Dies Ergebnis ist aber sehr selten. In der Regel findet sich ein
negativer Wert, der aber — 4% niemals überschreitet, während
unter den positiven Ergebnissen Zahlen bis zu 16% vorkommen.
Erkennt man dagegen auch diejenigen Ergebnisse als bewei-
send an, wo die Zuführung der Narkotica zu dem System M eine
Widerstandszunahme des Mittelwertes der Ablesungen über den
Membran und Narkose. 19
berechneten Durchschnittswert des membranlosen Systems be-
wirkt, so gewinnen die Resultate bedeutend an Brauchbarkeit.
Denn in den Spalten HD und HD% der Tabelle IV, in denen diese
Durchschnittsdifferenzen aufgeführt sind, finden sich nur 5 nega-
tive Werte, und diese können eher durch zufällige Fehler während
der Ausführung der Versuche, z. B. unbemerkt gebliebene Ver-
schiebung der beiden U-Röhrchen gegeneinander, erklärt werden.
Im folgenden werden die Ergebnisse unter Zugrundelegung
dieser Durchschnittswerte beurteilt.
Einen Überblick über die Ergebnisse geben am besten die
graphische Darstellung der Resultate in Abb. 24 (S. 34), die
Tabelle IV und am einfachsten die folgende Tabelle V.
è Tabelle V.
Narkoticum Musc. transv. Musc. rectus. Lig. patellae.
Alkohol + 6,17% + 4,75%, +0,1%
Chloroform +10% + 1,20% + 2,00%
Ather. + 7,30% + 5,30%, + 3,6%,
Urethan ..... + 4,20% + 8,80% + 2,70%
Isopral ...... + 3,6% + 6,8% + 0, 61%
Diese Tabelle wurde auf folgende Art gewonnen: ohne Rück-
sicht auf Konzentration und Temperatur wurde aus allen jeweils
einem einzelnen Narkoticum und einer Membranart entsprechen-
den Werten der Spalten HD% der Tabelle IV der Durchschnitt
errechnet, der also jeweils der Widerstandserhöhung vom Muskel
mit viel bzw. mit wenig Bindegewebe bzw. vom Lig. pat. durch
Narkoticumzusatz entspricht.
Ein Vergleich dieser Mittelzahlen ergibt, daß für Chloroform,
Urethan und Isopral die Werte der Spalte 2 größer sind als die der
Spalte 1, dagegen nicht für Alkohol und Äther. Dies bedeutet
also, daß außer bei Alkohol und Äther bei den angewandten
Narkoticumarten und -konzentrationen die Widerstandserhöhung,
die durch Zustandsänderung der Membran selbst, durch Her-
absetzung ihrer Permeabilität für Ionen bedingt ist, bei binde-
gewebsreichen Membranarten größer ist als bei bindegewebs-
armen, parenchymreichen.
Aus allen diesen Beobachtungen, die zum größeren Teil
im Vorausgehenden übersichtlich zusammengestellt sind, lassen
sich die Fragen, die wir uns eingangs vorgelegt haben, folgender-
maßen beantworten:
9 *
20 P. Schulze:
Die erste Frage betrifft die Brauchbarkeit der Leitfähigkeits-
messung von Membranen als Methode zur Prüfung von Permea-
bilitätsänderungen, wie sie sich nach den Ergebnissen der hier
wiedergegebenen Versuche darstellen.
Die Abweichungen der einzelnen Ablesungen sind, wie sich
aus der Breite der mit ausgezogenen Linien umsäumten Ab-
lesungsstreifen unserer zahlreichen Kurven ergibt, nicht ganz
unbeträchtlich. Aber die Methode reicht doch vollkommen aus,
um Veränderungen, die sich nach willkürlicher Variation der
Bedingungen des Mediums einstellen, deutlich erkennen zu
lassen. Die Anderungen der Kurvenrichtung unter dem Einfluß
eines jeglichen Narkoticumzusatzes sind augenfällig. Wenn
man sich fragt, inwieweit alle diese augenfälligen Kurvenaus-
schläge auf Veränderungen der Membrangebilde selbst unker dem
Einfluß der Narkotica zurückzuführen sind, so darf man dabei
freilich eine wichtige Nebenbeobachtung, die sich aus unseren
Vorversuchen ergibt, nicht vernachlassigen.
Alle von uns gepriiften Narkotica beeinflussen nach unseren
Vorversuchen bereits die Leitfahigkeit eines einphasigen, aus einer
echten Lösung (Ringerlösung) bestehenden Systems. Und zwar
erfolgt dieser Einfluß regelmäßig im Sinne einer Leitfähigkeits-
verminderung dieses membranlosen Systems. Bei der Vernach-
lässigung, die wir im Rahmen dieser Untersuchung von vornhereirf
der prinzipiellen Frage angedeihen lassen wollten, inwieweit der
gemessene Vorgang wirklich eine Widerstandsänderung, inwieweit
er Polarisation ist, soll auch hier die Frage nicht erörtert werden,
ob nicht vielleicht die scheinbare Widerstandserhöhung der
Ringerlösung durch unsere Narkoticumzusätze in Wirklichkeit
ein Polarisationsvorgang (etwa an unseren Elektroden) ist. Sieht man
von dieser Frage ab, so hat man die Feststellung, daß Narkotica
auf Salzlösungen leitfähigkeitsvermindernd einwirken, in den
Vordergrund der Betrachtung zu stellen. In der Literatur sind
uns Feststellungen über dieses allerprimitivste Modell einer Nar-
kose, die „Narkose von Salzlösungen“, nicht begegnet. Auch
Loewe hat bei seinen Versuchen an künstlichen Membranen
diese Frage vernachlässigt, weil er glaubte, seine Schlüsse auf eine
Leitfähigkeitsverminderung der Membranen auch ohnedies ziehen
zu dürfen einfach aus dem Umstande heraus, daß seine Leitfähig-
keitskurven unter dem Einfluß eines Narkoticumzusatzes nicht einen
Membran und Narkose. 21
plötzlichen Anstieg zu einem veränderten, aber konstant bleibenden,
also horizontalen Verlauf und bei der Wegnahme des Narkoticums
einen entsprechenden plötzlichen Abfall erfuhren, sondern in einem
meist bogenförmigen Anstieg den Narkoticumeinfluß auf die Mem-
bran zu erkennen gaben. Esist naheliegend, ausdiesem unerwarteten
Verlauf der Änderung in der Kurvenrichtung auf Vorgänge zu
schließen, die sich erst allmählich mit einer im Versuch ver-
folgbaren Reaktionsgeschwindigkeit an den Membranen abspielen.
Dieses Argument ist in der Tat auch für unsere vorliegenden
Messungen wichtig. Es treten auch bei unseren Kurven die Ver- .
änderungen nach dem Narkoticumzusatz nicht sofort und dann
konstant bleibend in die Erscheinung, sondern alle unsere Narkose-
abschnitte im Verlauf der Kurven streben während einer sehr
beträchtlichen Zeit der Narkoticumeinwirkung (20 Minuten bis
1 Stunde) einem Maximum zu, das bei sorgfältiger Betrachtung
der Kurven während der Messungszeit eigentlich niemals erreicht
wird. Diese Argumentation kann aber einem Einwand begegnen.
Auch wenn, was man durch die vorausgehenden Überlegungen
widerlegt glaubt, der Einfluß des Narkoticums sich nur an dem
Elektrolytmedium abspielt, also an demselben Objekt, das auch
bei unseren Vorversuchen an membranlosen Lösungssystemen
einer in diesen vereinfachten Fällen plötzlich und ohne allmäh-
lichen Anstieg zustande kommenden Leitfähigkeitsverminderung
unterliegt, so kann doch, sobald eine Membran in dieses Lösungs-
system eintritt, der Einfluß auch auf die Lösungsbestandteile
der Membran allein das Gleichgewicht langsamer vielleicht des-
wegen erreichen, weil zwar nicht die Membran selbst einem
besondersartigen Einfluß des Narkoticums mit langsamerer
Reaktionsgeschwindigkeit unterliegt, ihre disperse Phase aber
den Einfluß des Narkoticums auf die in ihr enthaltenen Teile der
freien Lösung einfach durch Behinderung der freien Diffusion
verlangsamt. Dieser Einwand kann nur dadurch widerlegt
werden, daß der Einfluß des Narkoticums auf ein membran-
haltiges System deutlich größer wird als auf ein membranloses.
Darum dürfen wir uns bei der Bewertung der Narkosezacken
unserer Kurven nicht auf ihr augenfälliges Vorhandensein und
die Langsamkeit, mit der sie einem Maximum zustreben, be-
schränken, sondern wir müssen jedesmal prüfen, ob das erreichte
Maximum auch höher liegt als dasjenige, welches ein sonst
22 P. Schulze:
analoges Lösungssystem ohne Membran unter dem Einfluß des
Narkoticums erreicht hätte. Dieser Überschuß darf mit gutem
Gewissen verwendet werden. Denn selbst wenn der ganze Einfluß
der Membran auf der Enge und Verzweigtheit der Strombahn, also
auf der Vermehrung der Wandbestandteile beruht, sosind doch Ver-
änderungen in der Leitfähigkeit, die auch nur auf diesen Verhältnis-
sen beruhen, mit Recht bereits als Membranfunktionen zu buchen.
Durch das Erfordernis, den Einfluß des Narkoticums auf das
gleiche System abzüglich der Membran zu ermitteln, leidet aber
naturgemäß die Genauigkeit der Methode. Denn dieser Sub-
trahend kann nur rechnerisch ermittelt werden, und wenn wir
auch die für uns ungünstigsten Rechnungsergebnisse nicht scheuen,
so müssen wir die rein experimentell bereits eintretenden Ablese-
fehler durch Multiplikation noch merklich vermehren, d. h. also
die Fehlerbreite merklich vergrößern. Wenn wir hierin bis zum
äußersten Maße ungünstiger Gestaltung der Verhältnisse gehen,
wie wir das in unseren Kurven durch Einzeichnung des maximal
errechenbaren Einflusses des Narkoticums auf das membranlose
System getan haben, so sehen wir tatsächlich alle Membran-
einflüsse oft genug in die Fehlerbreite der Methode hineinfallen.
Arbeitet man also unter so ungünstigen Verhältnissen der Berech-
nungsmethode, so ist das Leitfähigkeitsverfahren in der Tat für
unsere Zwecke kaum brauchbar. Begnügen wir uns aber, wie
bereits weiter oben ausgeführt, mit einem Vergleich der Durch-
schnittswerte der Membrannarkose und der Lösungsnarkose, so
gelangt man auch rechnerisch zu dem Ergebnis, daß die Anwesenheit
einer Membran doch nicht ohne Einfluß auf die Leitfähigkeit des
narkotisierten Systems ist. Ein Ergebnis, welches ja auch bereits
aus dem Kurvenverlauf, wieoben ausgeführt, abgeleitet werden darf.
Es erscheint also bei aller Ungenauigkeit der Methode,
einer Ungenauigkeit im übrigen, die auch die Messung der
Salz- und Wasserpermeabilität nach Winterstein bei genauerer
Betrachtung aufweisen dürfte, doch nicht aussichtslos, auch
eine Beantwortung der zweiten Frage mit ihr zu versuchen.
Diese zweite Frage sucht, wie eingangs erörtert, Aufschluß
darüber, ob bei einer aus mindestens zwei verschiedenen Kom-
ponenten (z. B. Parenchym und Interstitialgewebe) zusammen-
gesetzten Membran die Beteiligung einer jeden dieser beiden
Komponenten an der „Membrannarkose“, somit das gegenseitige
Membran und Narkose. 23
Verhältnis 21) ihrer Beteiligung, ermittelt bzw. mit welchem
Recht Ergebnisse an der Gesamtmembran auf eine dieser beiden
Komponenten (hier das Parenchym) bezogen werden dürfen.
Bei besonders günstiger Sachlage kann ein Aufschluß über die
Größe n einfach aus einem unmittelbaren Vergleich der Größen
erhofft werden, welche sich einmal bei der Membrannarkose von
vorwiegend parenchymatösen, ein andermal bei denjenigen
von vorwiegend interstitiellen Geweben ergeben. Erfordernis
hierfür ist aber, daß die zu vergleichenden Gewebsmembranen
gleichen Querschnitt und gleiche Dicke aufweisen. Das ist nun
schwer zu erreichen. Man müßte dazu stets gleichmäßig dicke
Platten aus den beiden Gewebsarten herausschneiden können, .
und man müßte, was bei unserer Versuchsanordnung noch wesent-
lich mehr erschwert war, stets in einem und demselben Wider-
standsgefäß messen, wobei nicht nur der Elektrodenabstand
jedesmal der gleiche sein müßte, sondern vor allem der Quer-
schnitt desjenigen Teils des Meßgefäßes, in welchem sich die Mem-
bran ausgespannt findet. Dies zu erreichen ist bei den benutzten
Widerstandsgefäßen unmöglich, und dementsprechend besagen
auch die Zahlen, die für die Ermittlung des Verhältnisses der
spezifischen Leitfähigkeiten unserer Gewebsarten gewonnen wur-
den, nicht viel. Sie seien im folgenden zusammengestellt:
Aus einer größeren Zahl von Messungen der Leitfähigkeit ,
eines unserer Meßröhrchen, mit Ringerlösung allein gefüllt,
ergeben sich Widerstandswerte von 4500—4825 Ohm bei Tem-
peraturänderung von 10—18°. Verschiedene Ligamenta patel-
laria, in verschiedenen Widerstandsgefäßen gemessen, ergaben
Werte zwischen 4250 und 4860 Ohm. Der Widerstand dieser
Gewebsart scheint also nicht groß zu sein. Muskelgewebe mit
wenig Bindegewebe weist demgegenüber Widerstandswerte von
4020—8960 Ohm auf, Muskelgewebe mit viel Bindegewebe
Werte von 3530—7050 Ohm. Vernachlässigt man die Variations-
möglichkeiten des Querschnitts unserer verschiedenen MeBgefaBe, so
kann man diese Schwankungen am einfachsten auf die verschiedene
Dicke unserer Membranen beziehen. Dagegen kann nur vorgebracht
werden, daß die Musculi transversi im allgemeinen ebenso wie die
Ligamenta patellaria wesentlich dünner waren ale die Membranen
aus dem Musculus rectus, der Muskelart mit viel Bindegewebe.
J) vgl. S. 6 ff.
24 P. Schulze:
Alles in allem läßt also die Betrachtung dieser Werte allein
keine allzu weittragenden Schlüsse zu. Sie zeigt nur, daß der
absolute Widerstand von Membranen unter den von uns gehand-
habten Bedingungen, also bei wechselnder Dicke und bei wech-
selndem Querschnitt, großen Schwankungen unterliegen kann.
Demnach müssen die Betrachtungen sich hauptsächlich
auf die Ergebnisse der Narkose dieser Membranen richten. Be-
trachten wir die graphische Übersicht in Abb. 24, welche die
Prozentualwerte der maximalen Membrannarkose für die ver-
schiedenen Membrangebilde nebeneinander stellt, so zeigt sich,
daß die Ergebnisse wenig Gleichmäßigkeit erkennen lassen, daß
der Membraneinfluß auf die Leitfähigkeitsverminderung des
Gesamtsystems bei Anwesenheit der verschiedenen Narkotica
ein sehr verschiedener, manchmal ein kaum mit Sicherheit fest-
stellbarer, manchmal ein recht hoher, bis zu 12%, sein kann.
Im einzelnen wird man also nicht viel Aufschluß erwarten können.
In dem Gesamtüberblick über diese zusammengefaßten Resultate
wird aber eines sehr augenfällig: Irgendein eindeutiger Unter-
schied zwischen bindegewebsreichen und parenchymreichen Mem-
branen läßt sich nirgends feststellen. Bald tritt der Einfluß an
der einen, bald an der anderen Gewebsart besonders stark hervor.
Will man hieraus Schlüsse auf die Größe von n ziehen, so läßt
sich der Wert von n kaum anders als mit der Zahl 1 definieren.
Das heißt mit andern Worten, bindegewebsreiche und parenchym-
reiche Organe werden, wenn man sie in ihrer Gesamtheit als Mem-
bran benutzt und dem Einfluß eines Narkoticums aussetzt, von
den Ergebnissen der Leitfähigkeitsveränderung aus betrachtet,
wie dies ja sehr augenfällig auch schon ein Vergleich der Narkose-
zacken unserer verschiedenen einzelnen Kurven dartut, nicht in
merklich unterschiedlicher Weise beeinflußt. Das würde zu dem
Ergebnis führen, daß ein Narkoticum die Permeabilitätsverhält-
nisse grundsätzlich in gleicher Weise beeinflußt, einerlei ob es
auf Interstitien oder auf Zellen einwirkt, und das wäre in gewissem
Sinne eine Bestätigung der Vorstellung, die man sich aus mancher-
lei Ergebnissen der letzten Jahre zu machen hat. Schon ein Ver-
gleich der Verteilung von Narkoticum auf solche Gebilde, an
denen leicht funktionelle Narkoseveränderungen feststellbar sind,
z. B. Gehirngewebe, und auf andere Gewebe, die keine funktionelle
Veränderung durch die Narkose augenfällig werden lassen, hat
Membran und Narkose. | 25
dazu geführt, zu zeigen, daß quantitativ das Narkoticum sich
auf alle diese Gewebsarten annähernd gleichmäßig verteilt. Und
wenn von anderer Seite herkommend gezeigt worden ist, daß ein
Narkoticum an allen möglichen biologischen und nichtbiologischen,
einfachen und komplizierten Gebilden, vom metallischen Kataly-
sator angefangen bis zur komplizierten Nervenzelle, einen Angriffs-
punkt findet, so bedeutet dies das gleiche. Man könnte allmählich
zu der These von einem geradezu ubiquitären Angriffspunkt
der Narkotica gelangen, wobei dann allerdings die Vorstellung
von der hohen Adsorbierbarkeit der Narkotica das Gemeinsame
aller dieser Angriffspunkte in adsorptionsfähigen Oberflächen zu
suchen Anlaß wäre. Und dann würde der verschiedene Narkose-
effekt nicht in der verschiedenen quantitativen oder qualitativen
Ausbildung dieser Angriffsflächen des Narkoticums zu suchen sein,
sondern auf der physiologischen Seite des Narkosevorgangs, in
dem verschiedenen Grad der funktionellen Empfindlichkeit des
narkotisierten Gebildes, also in dem verschiedenen Grade, in wel-
chem bei verschieden bedeutungsvollen und an verschieden
wichtigem Posten stehenden physiologischen Gebilden sich ein
im Grunde gleichartiger Einfluß äußern muß.
Alle diese Betrachtungen sind allerdings solange noch recht
wenig verbindlich, als sie nur mit der von uns benutzten, recht
begrenzt brauchbaren Methode der Leitfähigkeitsmessung erhoben
worden sind. Sie bedürften noch der Bestätigung durch Heran-
ziehung feinerer und zuverlässigerer Methoden.
Diese Betrachtungen entfernen sich aber auch bereits von
der viel einfacheren und engeren Frage, die wir zur Grundlage
und zum Ausgangspunkt unserer Versuche genommen haben.
Und diese Frage läßt sich auf jeden Fall eindeutig beantworten:
es muß als verfrüht bezeichnet werden, wenn man aus Beobach-
tungen an einem so komplizierten Objekt wie einer Gewebs-
membran, also einem aus Parenchym und Interstitium gemischten
Membrangebilde, Schlüsse auf Veränderungen zieht, die sich an
der einen Komponente desselben, dem Parenchym, abspielen.
Genau wie unsere Versuche führen daher diejenigen Winter-
steins wohl zu dem sehr interessanten Ergebnis, daß auch der-
artige Gewebsmembranen, ebenso wie die Lipoidmembranen
Loewes, in ihrer Permeabilität durch die Anwesenheit von
Narkoticis in physiologischen Konzentrationen eindeutig beein-
26 P. Schulze:
trächtigt werden. Das gilt nach Wintersteins Versuchen von
der Salz- und noch mehr von der Wasserpermeabilität, nach
unseren Versuchen von der Ionenpermeabilität oder, wofern die
Leitfahigkeitsmethode in ihrer Deutung durch die Gilde meister-
schen Untersuchungen eine grundsätzliche Revision erfahren muß,
im umgekehrten Sinne von der Polarisierbarkeit. Aber ob es
sich bei allen diesen Befunden um eine Veränderung handelt,
die in ganz unspezifischer Weise alle Gebilde von Membran-
charakter, im speziellen alle biologischen Membranen betrifft,
oder um eine solche Veränderung, die sich wirklich nur abspielt
an den für die generellste Lebensfunktion wichtigen Membranen,
also den Membrangebilden innerhalb der Zellstruktur, das bleibt
bei allen derartigen Messungen, bei denen nicht ausschließlich
die von der eigentlichen Fragestellung ins Auge gefaßte Zell
membran allein geprüft wird*), nach wie vor offen.
Literatur.
1) Loewe, Membran und Narkose. Diese Zeitschr. 37. 1913. —
2) Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. — *) Lepeschkin,
Zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der Plasmamembran.
Ber. d. dtsch. bot. Gesellsch. 29. 1911. — ) Lepeschkin, Uber die Ein-
wirkung anästhesierender Stoffe auf die osmotischen Eigenschaften der
Plasmamembran. Ber. d. dtsch. botan. Gesellsch. 29. 1911. — 5) Joel,
Uber die Einwirkung einiger indifferenter Narkotica auf die Permeabilität
roter Blutkörperchen. Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915. — *) Mac
Clendon, The action of anaesthetics in preventing increase of cell per-
meability. Amer. journ. of physiol. 38. 1915. — 7) Winterstein, Os-
motische und kolloide Eigenschaften des Muskels, und Narkose und Per-
meabilität. Diese Zeitschr. 75. 1916. — ®) Winterstein, Die Narkose.
Berlin 1919. — ) Gilde meister, Elektrischer Widerstand, Kapazität und
Polarisation der Haut. Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919. — 10) Verworn,
Die Narkose. Jena 1912. — !!) Traube, Über die Theorie der Narkose.
Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919.
*) Nach Abschluß der Drucklegung erfuhren w:r durch freundliche
persönliche Mitteilung von He:rn Professor Winterstein, daß bei
seinen hier mehrfach erwähnten Versuchen Vergleiche mit Interstitial-
membranen angestellt worden sind, wodurch unseren Uberlegtngen, so-
weit sie sich im speziellen geg&n seine Arbeiten richten, jeder Boden.
entzogen wäre. Es sei auch gleichzeitig erwähnt, daß die vorstehende
Untersuchung durch weitere, inzwischen im hiesigen Institut ausgeführte
Versuche gleichfalls in mancher Hinsicht überholt worden ist. Trotzdem
möchten wir die Wiedergabe der Gedankengänge dieser Veröffentlichung
nicht für überflüssig halten.
Membran und Narkose. д"
Abb. 1. Р = Parenchym, х. B. Muskelfasern, Q = Querschnitt, J = Interstitium
z. B. Bindegewebe.
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Abb. 2. Р = Parenchym, © = Querschnitt, J = Interstitium.
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Abb. 4. Р = Parenchym, J = Interstitium, @ = Querschnitt.
Abb. 5. Temperaturkurve der
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Ringerlösung.
% i
Temp. 5,0° C. Abb. 7. Leerwiderstande.
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Membran und Narkose. 29
Abb. 11. Ligamentum patellae. Temp. 10,2° C.
W W N
Abb. 9. Musc. transv. abdom. Temp. 10, 2 C.
20’
Abb. 10.
Abb. 12. Aponeurose.
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Abb. 15. Musc. rectus abdom.
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Abb. 14. Muse. trans v. abdom. Temp. 12,2° C.
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Membran und Narkose. 31
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Abb. 16. Ligamentum patellae. Temp. 12,5°.
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Abb. 17. Musc. transv. abdom. Temp. 12,2° C
3200 "WS 40 29d 0 0 IE SS COS
Abb. 18. Muse. rectus abdom. Temp. 17,0° C.
ge oe 20 w Lë 20 W 250 W J 20 wi GA Ä W ЗЇ 20° e
Abb. 19. Musc. transv. abdom. Temp. 17,0° С,
32 ‚ Р. Schulze:
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| 2453 20, wi 7547 20° 40' 2497 20° 40’ AAR 20°
- 2550 20° 40' AA 80’ vi 250 20' V S 20° 40°
Abb. 20. Muse. rectus abdom. Temp. 17,0° C.
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Abb. 21. Muse. (renge, abdom. Temp. 17,0° C.
Membran und Narkose. 33
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Abb. 22. Absterbekurve. Muse. transv. abdom.
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Abb. 28, Absterbekurve. Ligamentum patellae.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 3
P. Schulze: Membran und Narkose.
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MID Musc. transv. (wenig Bindegewebe, viel Muskelfasern).
Rectus-Aponeurose (viel Bindegewebe, wenige Muskelfasern).
Abb, 24. Zusammenfassung der MeBresultate von Membrannarkosen.
Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. I.
Von
‚ R. Brinkman und Fri. E. van Dam.
(Aus dem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen
[Holland ].)
Eingegangen am II. Mai 1920.)
Einleitung.
Die dynkmische Biochemie der Phosphatide und Sterine
befindet sich noch in den ersten Stadien ihrer Entwickelung.
Man hat die Überzeugung bekommen, daß diese Gruppen von
hervorragender Bedeutung für das Zellenleben sind und als echte
Zellbausteine aufgefaßt werden müssen. Die deskriptive bio-
chemische Forschung hat die allseitige Anwesenheit dieser Sub-
stanzen dargelegt, und ihro Unentbehrlichkeit in der Nahrung
für das Wachstum, bzw. für das Leben ist von Stepp’), Mac
Collum?), Osborne und Mendel?), Heubner‘), Röhl’) u. a.
festgestellt worden. In der Serologie spielen sie eine große Rolle
und die pathologische Untersuchung hat eine ganze Reihe inter-
essanter Änderungen der normalen Cholesterin- und Lecithin-
Konzentrationen aufgedeckt.
Wenn man aber nach der speziellen Bedeutung dieser Sub-
stanzen zu fragen anfängt, so läßt sich davon ebensowenig eine
genauere Analyse geben wie von ihrem speziellen Stoffwechsel.
Die Anzahl der den Phosphatiden und Sterinen zugeschriebenen
Einzelfunktionen wird bereits größer, ihre allgemeine Bedeutung
für die Zelle ist aber noch nicht erkannt worden®).
1) Stepp, Zeitschr. f. Biol. 57, 136; 59, 366; 62, 405. |
2) Mac Collum, Journ. of Biolog. Chem. 15, 167; 19, 245; 20, 641;
21, 179.
3) Osborne and Mendel, Journ. of Biolog. Chem. 17, 40; 20, 379.
4) Heubner, Miinch. med. Wochenschr. 1911, S. 2543.
5) Röhl, Verhand. а. Kongr. f. Inn. Med., Wiesbaden 1912, S. 607.
6) Zusammenfassung 8. J. Bang, Chemie und Biochemie der Lipoide.
Wiesbaden 1911.
3*
36 R. Brinkman und E. van Dam:
Die Ursache dieser Unsicherheit ist in erster Linie darin zu
suchen, daß die chemische Konstitution dieser Verbindungen
noch nicht genügend erkannt ist und daß die Phosphatide sehr
leicht zersetzlich sind, so daß ihr Schicksal im Körper schwer zu
verfolgen ist!). -
Neben der chemischen Konstitution und dem chemischen
Einfluß dieser Substanzen hat man in letzter Zeit vornehmlich
auch ihre physikalischen Eigenschaften studiert; die Kolloid-
chemie der Phosphatide und Sterine muß ein fundamentelles
Problem der Kolloidforschung werden und es scheint, daß die
physikalisch-chemische Untersuchung dieser Probleme mehr Ein-
sicht zu geben verspricht als die rein chemische.
Wenn man nun die dynamische Bedeutung dieser Stoffe
näher untersuchen wird, во kann man natürlich Auf sehr ver-
schiedener Weise vorgehen. Man kann ihre Konzentration und
Konzentrationsänderungen im Plasma und in der Zelle studieren
oder aus den Folgen der experimentellen Korzentrationsainde-
rungen auf die normale Funktion schließen; man kann auch
den intermediären Stoffwechsel der Phosphatide usw. zu ver-
folgen suchen, was bei den jetzigen Kenntnissen der chemischen
Konstitution der betreffenden Substanzen wohl möglich sein
wird. Allein die Deutung der so gewonnenen Resultate wird sehr
schwierig sein bei solchen den Gesamtorganismus betreffenden
Versuchen.
Zu eindeutigen Schlüssen wird man kommen,
wenn man den Effekt der genannten Verbindungen
auf einzelnen Zellen, z. B. auf Blutkörperchen, unter-
suchen kann. Hier kann man das Suspensionsmedium so
wählen, daß seine Zusammensetzung bekannt und möglichst
physiologisch ist, und in diesem Medium kann man den Effekt
der einzelnen Phosphatide und Sterine auf die Körperchen genau
studieren. Die so gewonnenen Resultate werden dann natürlich
‘mit den nötigen Kautelen auf vitale Verhältnisse übertragen
werden müssen.
Wir werden hier über Versuche berichten, in welchen der
Einfluß einzelner Phosphatide und Sterine in ihren gegenseitigen
Verhältnissen auf Blutkörperchen untersucht wurde. Aus diesen
1) Für die neuere Forschung der Phosphatidchemie siehe Levines
zahlreiche Arbeiten. Reprints Rockefeiler Institution.
Phosphatide und Sterine. I. 37
Versuchen werden wir dann zu mehr allgemeinen Schlüssen
uber die Bedeutung der studierten Substanzen fir die Zelle
kommen können.
Erste Mitteilung.
Die Bedeutung des „Lezithins“ für die normale Resistenz der Blut-
körperchen und für die normale und pathologische Hämolyse.
In einer zunächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Arbeit
haben wir festgestellt, daß die osmotische Resistenz menschlicher
und tierischer Blutkörperchen durch Waschen der Körperchen
mit physiologisch äquilibrierter Salzlösung beträchtlich zunimmt.
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, wo das Waschen der Kör-
perchen mit reiner NaCl-Lösung immer Resistenzabnahme zur
Folge hatte !), findet man bei Behandlung mit physiologisch
äquilibrierter Salzlösung konstant eine erhebliche Resistenz-
zunahme. Da auch beim Waschen der Körperchen im Ultra-
filtrat des entsprechenden Serums diese Resistenzzunahme statt-
findet, können wir diese Erscheinung schwerlich als die Folge
eines unphysiologischen Eingriffs deuten, sondern müssen im
Gegenteil diese Resistenzerhöhung für mehr „physiologisch“
halten als die Resistenzabnahme in reiner NaCl-Lösung.
Es liegt auf der Hand, vorläufig die Hypothese aufzustellen,
daß durch das Waschen Agenzien beseitigt werden, die normaler-
weise die Blutkörperchenresistenz erniedrigen. Ob diese Resistenz-
abnahme durch bestimmte Substanzen verursacht wird oder mehr
durch allgemeine kolloid-chemische Änderungen, können wir jetzt
noch nicht sagen.
Wenn die Resistenzzunahme durch ein Ausspülen eines im
normalen Blute vorkommenden hämolytischen Komplexes ent-
steht, so kann es möglich sein, daß die resistenten Körperchen
ihre ursprüngliche Resistenz zurückbekommen, wenn man die
(gewaschenen) Körperchen wieder in ihr eigenes Serum zurück-
bringt. \ | —
Wir haben deshalb folgende Versuche mit Kaninchen- und
mit Menschenblut angestellt. Von jeder der Versuchsserien
werden wir einen Versuch als Modell beschreiben; die analogen
Versuche gaben immer dasselbe Resultat.
1) Snapper, diese Zeitschr. 43, 266. 1912.
38 R. Brinkman und E. van Dam:
1. Direkt zu der hypotonischen Lösung gefügt, zeigt das Kaninchen-
blut eine beträchtliche Hämolyse (35%) bei NaCl 0,34%, (NaHCO, 0,17%,
KO 0,02%, CaCl,- 6 ад. 0,02%, [Н] = 0,45-107', [Са] = + 30 mg
pro Liter)!).
Blutkörperchen desselben Blutes, die zweimal mit isotonischer Lösung
(NaCl 0,7% usw.) gewaschen wurden, zeigen bei NaCl 0,30%, usw. noch
keine Spur von Hämolyse.
Körperchen, welche zweimal in isotonischer Lösung gewaschen sind,
werden wieder im Serum suspendiert und bei 37° aufbewahrt. Nach !/, Stunde
zeigen diese Körperchen bereits leichte Hämolyse in NaCl 0,34%, usw.; nach
einer Stunde ist die Hämolyse in NaCl 0, 34% usw. wieder 35%, wie vor der
Waschung.
Auch bei Zimmertemperatur kehrt im Serum die normale Resistenz
der gewaschenen Körperchen zurück.
Serum, das eine Stunde auf 56° gestellt wurde, hatte noch dieselben
Eigenschaften; das hämolytische Komplex hat also eine gewisse Thermo-
stabilität.
Aus diesen Versuchen können wir also folgern:
Indem man die gewaschenen resistenten Körper-
chen des Kaninchens wieder während ungefähr einer
Stunde in ihr eigenes Serum zurückbringt, kehrt die
ursprüngliche Resistenz wieder. Einstündige Erwär-
mung des Serums auf 56° hat keinen Einfluß auf die-
sen Prozeß.
Für das Menschenblut kann man dieselben Verhältnisse in
dieser Weise nicht demonstrieren. Bringt man hier gewaschene
Körperchen in ihr Serum zurück, so kehrt die ursprüngliche
Resistenz nicht wieder. Wir werden später diese Erscheinung
zu erklären suchen, wollen aber erst die Ergebnisse am Kaninchen-
blut weiter mitteilen.
2. Nach der Feststellung, daß die Resistenzzunahme ein
reversibler Prozeß ist, haben wir zu untersuchen, ob die be-
schriebene Wirkung des Serums eine allgemein physikochemische
ist (Viscosität usw.), oder ob wir bestimmte Substanzen nachweisen
können, welche die Träger der resistenzerniedrigenden Eigen-
schaften sind.
In einer Serumalbumin- oder Gelatine-Salzlösung von der-
selben Viscosität wie das Blutserum haben wir keine Resistenz-
erniedrigung der gewaschenen Körperchen konstatieren können;
1) Für die Bestimmung des [Са] s. Brinkman und van Dam,
Kon. Akad. у. Wetenschappen. DL XXVIII.
4
Phosphatide und Sterine. I. 39
wir suchten deshalb nach mehr speziellen Substanzen für die Er-
klärung dieser Erscheinung.
In erster Linie haben wir dabei an das „Lecithin“ und die
Serumseifen gedacht, weil von diesen Substanzen eine mehr oder
weniger hämolytische Funktion bekannt ist. |
Es lag nun auf der Hand zu prüfen, ob die resistenzernied-
rigende Wirkung des Serums in den Alkohol- oder Ätherextrakt
überging, und es war leicht festzustellen, daß dieses wirklich der
Fall war. |
Wenn man nämlich 1 ccm frisches Kaninchenserum in Papierstückchen
nach Bang aufsaugt und diese 3 Stunden mit Alkohol oder mit Äther
extrahiert, den Extrakt abdampft und den Rückstand in physiologische
Salzlösung aufnimmt, so hat jetzt diese Salzlösung eine erhebliche resistenz-
erniedrigende Wirkung auf gewaschene Körperchen, welche der Serum-
wirkung überlegen ist, offenbar, da die hämolytischen Substanzen mehr
konzentriert worden sind.
Wenn man mit Kaninchen im normalen Ernährungszustande arbeitet,
bekommt man immer dieses Resultat.
Wir können also im allgemeinen sagen:
Die resistenzerniedrigende Wirkung des Kanin-
chenserums ist an Substanzen gebunden, die mit
Alkohol und mit Äther extrahierbar sind.
3. Wenn also die Resistenzerhöhung durch Auswaschen da-
durch entsteht, daß alkohollösliche hämolytische Substanzen aus-
gespült werden, so müssen wir diese Substanzen auch in der
Waschflüssigkeit auffinden können.
Wir konnten dieses folgenderweise zeigen.
0,2 ccm Kaninchenblut wurde in 4 ccm isotonischer äquilibrierter Salz-
lösung suspendiert und abzentrifugiert. Die Waschflüssigkeit wurde im
Vakuum-Exsiccator eingetrocknet und der Rückstand in Alkohol gelöst.
Der Trockenrest des Alkoholextraktes wurde in ½ cem isotonische Salz-
lösung aufgenommen; diese Lösung zeigte in starkem Maße die resistenz-
erniedrigende Wirkung des Serums. K
Die Konklusion ist also:
Die Waschflüssigkeit des Kaninchenblutes enthält
alkohollösliche Substanzen, welche resistenzerniedri-
gend sind. |
4. Wir haben gezeigt, daß Kaninchenserum und auch die
Waschflüssigkeit der Körperchen alkohollösliche Substanzen ent-
40 R. Brinkman und E. van Dam:
halten mit hämolytischen Eigenschaften. Wenn wir jetzt ver-
suchen wollen zu analysieren, welche die betreffenden Substanzen
sind, so haben wir wieder in erster Linie an „Lecithin“ zu denken
(die Seifen kommen nur in sehr kleiner Konzentration vor). Wir
haben deshalb untersucht, ob in dem Serum und Körperchen-
extrakt und in der Waschflüssigkeit Lecithin mit Hilfe der Reak-
tion nach Hamburger!) aufzufinden ist. Die genauere quanti-
tative Analyse werden wir später nach der Bangschen Methode?)
ausführen.
Die Hamburgersche Reaktion gestaltet sich folgenderweise: In alko-
holischer Lösung präzipitiert 1 Volum konz. Salzsäure das Lecithin in
der Kälte; durch Erhitzen der Flüssigkeit verschwindet die Lecithin-
trübung wieder völlig. Wir fanden, daß Cholesterin in alkoholischer Lösung
ebenfalls von !/, Volum НСІ ausgeflockt wird, daß aber Cholesterin durch
Erwärmen nicht wieder in (kolloidale?) Lösung geht.
Wir fanden nun folgendes:
l ccm Kaninchenserum in Ba N Papierstückchen aufgesaugt,
wird 10 Minuten mit Ather und dann 1 Stunde mit Alkohol extrahiert.
Das Atherextrakt gibt eine leichte Cholesterinreaktion (Lieber mann),
das Alkoholextrakt eine starke Lecithinreaktion.
Waschflüssigkeit von 0,5ccm Kaninchenblut wird eingedampft, der
Rückstand in Alkohol aufgenommen. Diese Lösung gibt eine starke Lecithin -
reaktion und eine schwache Cholesterinreaktion.
Dieselben Extrakte von Blutkörperchen geben eine viel schwächere
Lecithinreaktion. |
Das fir unsere Untersuchungen wichtige Resultat ist also:
Die Waschflissigkeit des Kaninchenblutes enthält
„Lecithin“; daneben ist etwas Cholesterin anwesend.
Der Serumextrakt enthält mehr Lecithin als der
Körperchenextrakt.
5. Wir müssen jetzt untersuchen, wie diese Erscheinungen
sich beim Menschenblut gestalten. Es wurde bereits angegeben,
daß wir im Menschenserum nicht die resistenzerniedrigende
Wirkung auffinden konnten, welche wir im Kaninchenserum
fanden.
Wenn man z. B. Menschenblut zweimal in isotonischer äquili-
brierter Salzlösung wäscht, wird die Resistenz der Körperchen
beträchtlich erhöht; bringt man dann diese Körperchen in
1) Hamburger, Arch. Néer. d. Physiol. 3, 361. 1919.
2) Bang, diese Zeitschr. 91, 235. 1910.
Phosphatide und Sterine. I. 41
Menschenserum zurück (eine Stunde auf 37°), so ist die Resistenz
noch dieselbe geblieben. Wir suchten diesen Unterschied folgender-
weise zu erklären:
Wenn ein hämolytisches Komplex im Plasma auf die Körper-
chen einen Einfluß hat, so muß es mindestens zum Teil an diesen
Körperchen gebunden sein. Wir machten nun die Annahme, daß,
während das hämolytische Komplex im Kaninchenblut an den
Körperchen gebunden und daneben auch frei im Plasma vor-
kommt, es im Menschenblut fast ausschließlich an den Körper-
chen gebunden ist. Wir prüften diese Annahme durch folgende
Vers&che: `
Defibriniertes Menschenblut wurde zentrifugiert, 1 cem des Serums
und 1 ccm der Körperchen in Bangschen Papierstückchen aufgesaugt und
2 Stunden mit Alkohol extrahiert, die Extrakte abdestilliert und die Rück-
stände in isotonische Salzlösung aufgenommen. Das Extrakt der Körperchen
enthielt viel Lecithin und zeigte eine stark resistenzerniedrigende Wirkung;
das Serumextrakt aber zeigte nur eine sehr leichte Lecithinreaktion und
hatte fast keinen resistenzerniedrigenden Effekt.
Wir müssen hieraus schließen, daß im Menschenserum nur
wenig freies Lecithin vorkommt und daß fast alles Lecithin an
den Körperchen gebunden ist.
Die Untersuchung der Waschflüssigkeit zeigte auch hier,
daß beim Auswaschen aus den Körperchen eine beträchtliche
Menge hämolytischer Komplex ausgespült wird, und daß eben-
falls eine Menge Lecithin aus den Körperchen tritt.
0,4 ccm Menschenblut wurde in NaCl 0,7%, usw. ausgewaschen; die
Waschflüssigkeit im Vakuum eingetrocknet, der Rückstand mit Alkohol
extrahiert und das Alkoholextrakt abdestilliert; der Trockenrest wurde
wieder in NaCl 0,7% usw. emulgiert. Diese Lösung hatte eine so stark
hämolytische Wirkung, daß Körperchen, die 1 Stunde in dieser isoto-
nischen Lösung auf 37° gestellt worden waren, fast völlig hämolysiert
waren. Das Alkoholextrakt der Waschflüssigkeit zeigte dabei eine starke
Lecithinreaktion.
Beim Menschenblut müssen wir also zu folgenden Schlüssen
kommen:
Die Waschflüssigkeit von Menschenblut enthält
einen hämolytischen Komplex; sie zeigt auch eine
starke Lecithinreaktion. Das Extrakt menschlicher
Körperchen enthält Lecithin und wirkt hämolytisch;
der Extrakt von Menschenserum enthält sehr wenig
Lecithin und wirkt fast nicht hämolytisch. Menschen-
x
42 R. Brinkman und E. van Dam:
serum, das nicht konzentriert worden ist, hat keinen
merkbaren resistenzerniedrigenden Einfluß.
Der genannte Unterschied von Menschen- und Kaninchen-
blut ist hiermit erklärt:
Beim Kaninchenblut werden durch das Auswaschen hämo-
lytische Komplexe aus den Körperchen entfernt und ihre Re-
sistenz wird dadurch größer; bringen wir nun diese resistenten
Körperchen in Serum, das ja auch noch hämolytische Stoffe
enthält, so nehmen sie diese Substanzen wieder auf und die
Resistenz wird kleiner. “
Beim Menschenblut verlieren die Körperchen ebenfalls ihre
hämolytischen Komplexe und werden resistenter durch das
Waschen. Im Menschenserum ist aber kein freier hämolytischer
Komplex mehr vorhanden, der wieder absorbiert werden kann,
und so kann sich hier die Resistenz der im Serum zurück-
gebrachten Körperchen nicht wieder verringern.
Übereinstimmend mit dieser Auffassung zeigte auch Cal-
mette!) mit seiner Kobragift-Methode, daB Menschenserum kein
freies Lecithin enthält.
6. Die in Nr. 1—5 mitgeteilten Versuche zeigen mit Sicher-
heit, daßdas Blut einen normalen resistenzerniedrigenden Komplex
enthält, der in physiologisch äquilibrierter Salzlösung ganz oder
teilweise ausgespült wird. |
Die Intensitäten der hämolytischen Wirkungen von Serum
oder Waschflüssigkeit gehen parallel mit ihren Leeithinkon-
zentrationen. Besonders beweisend sind in dieser Hinsicht die
Versuche zur Vergleichung von Menschen- und Kaninchenblut
(vgl. sub 5).
Wir können also mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten,
daß die Resistenzzunahme der Körperchen durch Ausspülen von
Leeithin aus der Körperoberfläche entsteht. Wir wollen nicht
behaupten, daß das Lecithin die einzige Komponente des hämo-
lytischen Komplexes darstellt, aber jedenfalls war die Intensität
der normalen resistenzerniedrigenden Wirkung von der Lecithin-
konzentration abhängig.
1) Calmette, Les venins, les animaux vénimeux et la sérothérapie.
Masson, Paris 1909.
Phosphatide und Sterine. I. | 43
Es war also für unsere Untersuchungen von großer Wichtig-
keit, die Eigenschaften der Lecithinhämolyse näher kennenzu-
lernen, da wir dadurch zu gleicher Zeit die normale hämolytische
Funktion des Serums studieren konnten.
Die folgenden Versuche haben einige der wichtigsten Tat-
sachen festgestellt.
Eine Lecithinemulsion wurde aus Mercks Lecithin puriss. ex ovo
bereitet. Wir sind uns bewußt, daß dieses „Lecithin“ kein reines Produkt
ist und nicht mit dem Blutphosphatid identisch zu sein braucht Ein besseres
Präparat konnten wir aber nicht bekommen, und die Resultate mit diesem
Produkt können uns doch ein Bild des Phosphatideinflusses geben. Von
diesem Lecithin wurde eine Emulsion in NaCl 0, 280% usw. bereitet, welche
50 mg pro 10 ccm enthielt. 0,005 ccm dieser Emulsion genügt, um resistente
gewaschene Körperchen, die in NaCl 0, 30% usw. noch keine Spur von
Hamolyse zeigen, innerhalb einer halben Stunde і in NaCl 0,30% usw. kom-
plett zu hämolysieren.
Die Intensität der Resistenzerniedrigung ist proportional der Lecithin-
konzentration, wie aus untenstehenden Versuchen mit Menschenblut her-
vorgeht.
0,02 ccm Blut, direkt in NaCl 0, 32% gebracht, zeigt starke Hämölyse
(800%); wenn diese Körperchen zweimal in NaCl 0, 7% usw. gewaschen wer-
den, ist nachher in NaCl 0, 30% usw. noch keine Hämolyse zu sehen. /
Fügt man aber zu 2 ccm der in NaCl 0,7%, usw. suspendierten gewa-
schenen Körperchen 0,02 ccm der obengenannten Lecithinemulsion, dann
zeigen diese Körperchen, wenn sie nach 5 Minuten untersucht werden, bei
NaCl 0,32%, eine Hämolyse von 30—40%; nach viertelstündigem Verweilen
in dem lecithinhaltigen NaCl 0,7 % usw. ist die Resistenzerniedrigung viel
größer geworden, und wenn die Körperchen eine halbe Stunde in der Lecithin-
lösung bleiben, kommt es in NaCl 0,32% usw. zur kompletten Hämolyse.
Wenn zu der Körperchensuspension 0,01 ccm der Lecithinemulsion
statt 0,02ccm gefügt wird, sehen wir dieselben Erscheinungen; allein ist
die Resistenzerniedrigung nicht so stark und führt erst in längerer Zeit
zur kompletten Hämolyse in NaCl 0,32% usw. Werden nun 0,002 ccm der
Lecithinemulsion genommen, so wird die Hämolyse in NaCl 0,32%, ebenso
stark, wie wenn das Blut direkt zu dieser Lösung gefügt worden war, also
80%. Längeres Verweilen in der isotonischen Lösung, die 0,002 ccm Emul-
sion auf 2ccm Lösung, also 0,0005% Lecithin enthält, nat keinen weiteren
erniedrigenden Einfluß auf die Resistenz mehr.
Wir können diese Ergebnisse also folgenderweise zusammen-
fassen:
Durch Hinzufügen einer sehr geringen Lecithinmenge zu der
isotonischen äquilibrierten Salzlösung bewirkt man, daß die
Resistenz der Körperchen in dieser Lösung nicht mehr zunimmt,
sondern abnimmt. Die Intensität dieser hämolytischen Wirkung
44 R. Brinkman und E. van Dam:
ist von der Einwirkungszeit und von der Lecithinkonzentration
abhängig. 0,0005% Lecithin bewirkt, daß die Hämolyse ungefähr
ebenso stark wird wie bei direkter Zufügung des Blutes zu der
hypotonischen Lösung.
Durch diese Versuche ist es noch deutlicher geworden, daß
die normale resistenzerniedrigende Wirkung deg Serums eine
Lecithinwirkung ist. Einerseits zeigten wir sowohl beim Serum
wie bei der reinen Lecithinemulsion, daß die Stärke der hämo-
lytischen Wirkung immer der Lecithinkonzentration proportional
ist, andererseits haben wir jetzt gefunden, daB eine sehr geringe
Menge Lecithin (ex ovo) dieselbe Resistenzerniedrigung gibt wie
das Serum.
7. Wir müssen noch eine interessante Eigenschaft der Leci-
thinhämolyse angeben, die wir noch nicht näher untersucht
haben, aber die uns wichtig genug zu sein scheint, um sie schon |
jetzt zu vermelden. Bei den oben beschriebenen Versuchen stu-
dierten wir nämlich immer den Lecithineinfluß in isotonischen
Salzlösungen und fanden eine Resistenzerniedrigung. Emulgiert
man aber das Lecithin in hypotonischer Salzlösung, so verringert
das Phosphatid nicht die Resistenz, sondern erhöht sie sogar ein
wenig. Für die hämolytische Wirkung des Lecithins ist also
bestimmt eine isotonische Ionenkonzentration notwendig.
Folgende Versuche geben eine Ubersicht dieser Verhältnisse:
0,02 cem Menschenblut in 2 cem NaCl 0, 7% usw., dann in 2 cem NaCl |
0 I0 URW. узж. ж Ж éier зе уа Бы шуш жа Hämolyse 40%
0,02 cem Menschenblut in 2 cem NaCl 0,7% usw., dann in 2ccm NaCl
0,30%, usw. + 0,01 ccm Lecithinemulsion . . . . . keine Hämolyse
0,02 ccm Menschenblut in 2 cem NaCl 0,70%, usw. + 0,01 cem Lecithin-
emulsion, dann in 2 ccm NaCl 0,30% usw. + O, Ol cem Lecithinemulsion
Hämolyse 50%
0,02 ccm Menschenblut in 2ccm NaCl 0,7% usw. + 0,01 cem Lecithin-
emulsion, dann in NaCl 0,30% usw. . . . . komplette Hämolyse
Man wird sich noch denken können, daß nicht die Isotonie,
sondern die Koincidenz von Serum und Lecithin das für die
Hämolyse bestimmende Moment sei. Man kann aber das Serum
erst völlig auswaschen und danach doch eine ebenso intensive
Lecithinwirkung in isotonischer Lösung beobachten. Folgende
Versuche geben ein Beispiel:
Phosphatide und Sterine. I. 45
0,02 ccm Menschenblut in 2ccm NaCl 0,7%, usw., abzentrifugieren und
wieder in NaCl 0,7%, usw.; dasselbe noch einmal und dann in NaCl
0,30% usw. .... 2s ee ee e Hämolyse 20%
Derselbe Versuch, aber jetzt zu der NaCl 0,30%, usw. 0,005 cm Lecithin-
emulsion gefügt keine Hämolyse
Derselbe Versuch, aber jetzt nach 3 maligem Auswaschen die Körperchen
in 2 cem NaCl 0,7% usw. + 0,005 cem Lecithinemulsion suspendiert,
während 5 Minuten; jetzt kommt in NaCl 0, 30% usw. Hamolyse 90%
Man kann auch fiir den ganzen Versuch eine und dieselbe Portion
Körperchen verwenden:
0,02 ccm Blut in NaCl 0,7% usw.; 2 mal mit NaCl 0,7% usw. aus-
waschen und dann in NaCl 0,28%, usw. — keine Hämolyse; dann in NaCl
0,28%, usw. + 0,01 ccm Lecithinemulsion — keine Hämolyse. Dann in
NaCl 0,7% + 0,01 cem Lecithipemulsion und dann 80% Hämolyse in
NaCl 0,28%, usw.
Es findet sich also, daß nicht die Koincidenz von Serum und
Lecithin für die Hämolyse bestimmend ist, sondern nur die An-
wesenheit einer isotonischen Salzlösung.
Endlich haben wir auch zeigen können, daß die
beschriebene Lecithinwirkung durch kleine Konzen-
‚trationen Cholesterin absolut aufgehoben wird. Wir
werden in der dritten Mitteilung weiteres über diesen
interessanten Antagonismus angeben können.
8. Bei Gelegenheit anderer Untersuchungen hatten wir be-
merkt, daß Blutkörperchen des Kaninchens nach einmaligem
Auswaschen mit isotonischer Rohrzuckerlésung eine erhebliche
Resistenzabnahme erlitten und sogar in isotonischer Rohrzucker-
lösung hämolysierten. Wir haben deshalb auf die oben ange-
gebene Weise den Einfluß des Auswaschens in Rohrzucker auf die
Körperchen untersucht.
Kaninchenblut wurde in Rohrzuckerlösung 8% gewaschen; die Wasch-
flüssigkeit in vacuo eingedampft und der Rückstand mit Alkohol extrahiert;
das Extrakt gibt keine Lecithinreaktion und eine schwache Cholesterin-
reaktion.
Ein in dieser Weise angefertigter Alkoholextrakt der Rohrzucker-
waschflüssigkeit wurde wieder eingedampft und der Trockenrest wieder in
Rohrzuckerlösung aufgenommen. In diese Lösung wurden jetzt Blut-
körperchen gebracht, die einmal in isotonischer Rohrzuckerlösung ge-
waschen waren; nach einer Stunde auf 37° war keine Hämolyse aufgetreten.
In einem Kontrollröhrchen, worin einmal mit Rohrzucker gewaschene
Körperchen wieder in frische isotonische Rohrzuckerlösung gebracht wurden,
war nach einer Stunde auf 37° 70% Hämolyse aufgetreten.
46 R. Brinkman und E. van Dam:
0,1 cem Menschenblut wurde in 5 cem Rohrzuckerlösung 8% ge-
waschen; die eingedampfte Rohrzuckerlösung, mit Alkohol extrahiert, gab
eine schwache Cholesterinreaktion und keine Lecithinreaktion. Dieselben
in isotonischer Rohrzucker gewaschenen Körperchen wurden jetzt in NaCl
0,7% usw. suspendiert und nach 5 Minuten abzentrifugiert. Die Salz-
lösung enthielt jetzt viel Lecithin und hatte eine erhebliche resistenz -
erniedrigende Wirkung.
Aus diesen Versuchen gehen die folgenden Resultate hervor:
In isotonischer Rohrzuckerlösung wird das Lecithin nicht
ausgespült, wohl wird Cholesterin ausgewaschen.
Durch diese Ergebnisse ist es deutlich geworden, weshalb
das einmal in Rohrzucker gewaschene Kaninchenblut in der
isotonischen Rohrzuckerlösung hämolysieren kann. Das Lecithin
wird ja nicht ausgespült, aber wohl der funktionelle Antagonist
Cholesterin; dadurch verschwindet die normale Hemmung der
Lecithinfunktion.
Man wird einsehen, daß diese Ergebnisse für die experimen-
telle Hämolyseforschung nicht ohne Interesse sind; wir wissen
jetzt, daß die Körperchen in Salzlösung sich ganz anders ver-
halten wie in Zuckerlösungen. Auf die Bedeutung dieser Tat-
sachen für die serologische Forschung werden wir später zurück-
kommen.
Fassen wir jetzt noch einmal die in 1—9 gewonnenen Resultate
kurz zusammen, so können wir das in folgenden Sätzen schreiben:
1. Die osmotische Resistenz der Blutkörperchen
wird durch Waschen in physiologisch äquilibrierter
Salzlösung erhöht.
2. Die Ursache dieser Resistenzerhöhung ist das
Auswaschen von Lecithin aus den Körperchen.
| 3. Das Lecithin hat einen resistenzerniedrigenden
EinfluB auf die Kérperchen, aber nur in isotonischer
Salzlösung; es wird vom Cholesterin antagonistisch
beeinflußt.
4. Inisotonischer Rohrzuckerlösung wird dasLeci-
thin nicht ausgespült. '
Diese Resultate können in mehreren Weisen praktisch
physiologisch und serologisch verwendet werden. Wir werden in
dieser Mitteilung nicht detailliert darauf eingehen und nur einige
allgemeine Verwendungen besprechen.
Phosphatide und Sterine. I. 47
In erster Linie haben wir auf diesen Ergebnissen eine Blut-
untersuchungsmethode fundiert, die eine tiefergehende Analyse
des roten Blutbildes zu geben vermag als die bisherigen Me-
thoden.
Bei der rationellen Bestimmung der osmotischen Resistenz-
kurve!) können wir auf 2 Weisen vorgehen. Wir können das Blut
direkt zu den hypotonischen Lösungen fügen, wir können aber
auch die Körperchen erst bis zur maximalen Resistenz auswa-
schen und dann die Resistenzkurve bestimmen. Mit diesen beiden
Methoden untersucht man zwei prinzipiell ganz verschiedene Zu-
stände der Körperchen, wie wir in folgender Überlegung zeigen
werden.
In welcher Weise man sich die Struktur der Körperchen
auch zu denken hat, man wird zugeben müssen, daß die Körper-
chenoberfläche eine lokale” Konzentration von capillar-aktiven
Substanzen darstellen muß, welche in den Körperchen und im
Suspensionsmedium gelöst sind. Wird das Adsorptionsgleich-
gewicht zerstört durch wiederholtes Auswaschen in Salzlösung,
so wird das capillar-aktive Lecithin (und Cholesterin ?), welches
die Körperchen aus dem lecithinhaltigen Plasma adsorbiert hat-
ten, wieder ausgespült. Und da das Lecithin eine beträchtliche
resistenzerniedrigende Wirkung hat, so erhöht sich dadurch die
Resistenz.
Wenn wir aber die Körperchen direkt in die hypotonische
Lösung bringen, so tritt die Hämolyse so schnell auf, daB nur
sehr wenig Lecithin ausgespült sein kann. Wir untersuchen also
in diesem Falle Körperchen unter dem Einfluß ihres betreffenden
Plasmas.
Wenn wir aber die osmotische Resistenzkurve von Körper-
chen bestimmen, die bis zur maximalen Resistenz gewaschen
sind, dann untersuchen wir Zellen, welche von ihrem Plasma-
Lecithin so gut wie möglich befreit worden sind, welche also
dichter bei den Zellen stehen, welche noch nicht im Plasma auf-
genommen sind. Es ist gewissermaßen, als ob wir in hämoly-
tischer Hinsicht durch die erste Methode Plasmablutkörperchen,
durch die zweite Knochenmarkkörperchen untersuchen. Wir
wollen dann auch die Kurve im Blut, welches direkt zur hypo-
tonischen Lösung hinzugefügt worden ist, die sekundäre, und
1).Brinkman, diese Zeitschr. 108, 66. 1920.
48 R. Brinkman und E. van Dam:
die Kurve der gewaschenen Körperchen die primäre Resistenz-
kurve nennen. |
Die hier entwickelte Anschauung wird erheblich gestützt
durch die Tatsache, daß die essentiell primäre Blutänderung,
die Regeneration der Körperchen, nur in der primären Kurve
deutlich anzutreffen ist. Wir werden die diesbetreffenden Ver-
suche in einer demnächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Mit-
teilung veröffentlichen.
Die sekundären Blutkörperchenänderungen, wie wir sie z. B.
durch Blutgifte und abnorme Ernährung erzeugen können, sind
in erster Linie nur in der sekundären Kurve zu sehen; nur wenn
diese Einflüsse zur erhöhten Regeneration oder zur Hemmung
der Regeneration Anlaß geben, erfolgt eine Änderung der pri-
mären Kurve.
Durch diese Methode hoffen wir eine rationelle Analyse der
primären und sekundären Blutänderungen geben zu können.
Mit Sicherheit ist aus unseren bisherigen Versuchen der
hämolytische Einfluß des Plasmalecithins auf die Körperchen
hervorgegangen. Dieser Einfluß ist normalerweise nicht so stark,
daß er zur Hämolyse führt, aber eine erhebliche Resistenz-
abnahme kann immer gefunden werden. Zwischen Hämolyse
und Resistenzabnahme ist der Unterschied nur graduell; die
Wirkung eines hämolytischen Agens kann in kleineren Konzen-
trationen schon durch Resistenzerniedrigung aufgedeckt werden.
So zeigt z. B. Frieda Ottiker!), daß Verankerung eines Hämo-
lysins an die Körperchen in einer Menge, die an sich noch keine
Hämolyse bewirkt, an der Herabsetzung der osmotischen Resis-
tenz zu erkennen ist, und daß dies auch für die im Körper vor-
kommenden, Autolyse bewirkenden Substanzen gilt. Auch in der
Serologie der Hämolyse findet man sehr viele Tatsachen, die
auf die Bedeutung des Lecithins für die normale und pathologische
Hämolyse hinweisen.
Grundlegend sind die bekannten Landsteinerschen Ver-
suche mit Kieselsäure und Lecithin?). Die hämolytische Wirkung
der Kieselsäure kann nur beträchtlichen Effekt haben, wenn
durch Lecithin die Kieselsäure zu einem Lecithin-Organosol wird
1) Ottiker, Inaug.-Diss. Zürich 1914. |
2) Landsteiner und Hagie, Wien. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 3.
Phosphatide und Sterine. I. 49
und in diesem Zustand mit den Körperchenkolloiden reagieren
kann.
Auch das hämolytische Kobragift bedarf bekanntlich
Lecithin zu seiner Wirkung, wie in einer großen Reihe von Unter-
suchungen festgestellt worden ist; zur Erklärung hat man die
Existenz von Kobragiftlecithiden, also von chemischen Ein-
flüssen zu beweisen gesucht; es bleibt aber eine Frage, ob auch
hier nicht die kolloidchemische Erklärung wie bei der Kieselsäure-
hämolyse genügen wird!).
Für die hämolytische Wirkung des Saponins ist die große
Bedeutung des Lecithins ebenfalls dargestellt; die Widerstands-
fähigkeit der Körperchen gegen Saponin nimmt zu mit dem
Quotient Cholesterin: Lecithin?), die Membrane von Pascucci
wurden am leichtesten von Saponin angegriffen, wenn sie viel
Lecithin und wenig Cholesterin enthielten“).
Auch für die parasitären Hämolysine (Skorpiongift, Bienen-
gift, Würmergift) ist ein stark aktivierender Einfluß des Leci-
thins bekannt.
Man sieht also, daß das Lecithin auch bei der serologischen
Hämolyse eine sehr wichtige Rolle spielt. Es erinnert in seinem
Verhalten durchaus an die natürliche komplementäre Funktion
des Serums; zwar können wir nicht sagen, daß eine direkte
Identität von Serumkomplement mit Lecithin besteht, aber beide
Stoffe haben doch zuviel analoge Eigenschaften, als daß wir
nicht eine innigere Beziehung zwischen ihnen annehmen müssen.
Wir werden später ausführlicher auf diesen Gegenstand
zurückkommen müssen, wollen aber hier noch einige Tatsachen
mitteilen, die den Zusammenhang von „Lecithin und Komple-
ment‘‘ noch näher charakterisieren.
Seit den Untersuchungen von Buchner, Ferrata, Sachs
und Teruchi, Brand, Hecker usw.“) ist es bekannt, daß das
Komplement in salzfreier isotonischer Lösung nicht imstande ist,
hämolytische Amboceptoren zu aktivieren. In Übereinstimmung
hiermit fanden wir die hämolytische Lecithinwirkung nur in
isotonischer Salzlösung; in hypotonischer Lösung erfolgt sogar
1) Siehe bei Landsteiner im Handbuch der Biochemie II, 1, 395.
2) К. Meyer, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 11, 357. 1908.
з) Pascucci, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 8, 552. 1905.
4) Siehe bei Landsteiner, 1. с.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 4
50 R. Brinkman und E. van Dam:
eine Hemmung der Hämolyse, wie sie auch beim Komplement
unter besonderen Umständen beobachtet worden ist. Die ge-
nannte Erscheinung der Komplementinaktivierung ist noch viel
eingehender analysiert worden und hat zu der Spaltung des
Komplementes in Mittelstück (Globulinfraktion) und Endstück
(Albuminfraktion) geleitet. |
In einer ausführlichen Arbeit hat nun Guggenheimer?)
festgestellt, daß Körperchen, welche in Rohrzuckerlösung ge-
waschen sind, schon mit dem Mittelstück beladen und dadurch
persensibilisiert sind, d.h. durch Endstück und Amboceptor
hämolysieren.
Andererseits haben wir (sub N. 8) gefunden, daB Körper-
chen, welche in Rohrzuckerlösung gewaschen werden, ihre Leci-
thinhülle behalten und nicht, wie bei der Auswaschung in Salz-
lösung, verlieren.
Aus dieser Vergleichung erhellt also ein weitgehender Par-
allelismus vom Kömplementmittelstück und Lecithin, welchen
wir noch durch die chemische Untersuchung von Globulin-
und Alhuminfraktion des dialysierten Serums vervollständigen
miissen. |
Auch bei der Kobragifthämolyse ist es bekannt, daß nur
in Rohrzuckerlösung keine Lecithinaktivierung mehr notwendig
ist. Bang?) hat aus diesem differenten Verhalten der Kobra-
gifthämolyse in Salzlösung und in Zuckerlösung eine Reihe von
Annahmen gemacht; wir wissen jetzt aber, daB die Körper-
chen in Zuckerlösung noch ihre Lecithinhülle besitzen, und
daß das Kobragift also auch hier von Lecithin aktiviert werden
kann. |
Wenn wir aus allen diesen Tatsachen den Zusammenhang
zwischen Lecithin und Serumkomplement ersehen, so ist es auch
nicht gewagt, den von uns gefundenen normalen Lecithineinfluß
dem natürlichen Autolysineinflusse parallel zu setzen. Ob das
natürlich autolytische Komplex einzig und allein aus Lecithin
besteht, oder daß Lecithin nur wie eine Art Mittelstückkomple-
ment wirkt, bleibt noch eine offene Frage. Jedenfalls wissen wir,
daß auch für die natürliche Hämolyse das Lecithin eine wichtige
Rolle spielt.
1) Guggenheimer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 8, 295. 1911.
2) S. Bang, Ergebn. physiol. 8, 463. 1909.
a
Phosphatide und Sterine. I. 51
Zusammenfassung.
Es wurde nachgewiesen, daB die von uns beobachtete Re-
sistenzerhéhung roter Blutkörperchen durch Waschen mit physio-
logisch äquilibrierter Salzlösung seine Ursache in dem Ausspülen
von Lecithin aus der Körperchenoberfläche findet.
Das Lecithin des normalen Plasmas ist also an der Körper-
chenoberfläche adsorbiert und erniedrigt physiologischerweise
die Resistenz; es wird dabei von Cholesterin antagonistisch be-
einflußt.
Ausgehend von diesen Tatsachen wurde eine Methode zur
Resistenzbestimmung angegeben, welche gestattet, die Körper-
chen in zweierlei Weise zu untersuchen, nämlich unter dem
Einfluß ihres Plasmas und nativ, wie sie vom Knochenmarke
kommen.
Es wurde weiter auf die Analogie der Eigenschaften des
Plasmalecithins und des normalen Komplementes hingewiesen
und neue Beziehungen zwischen dem Phosphatid und dem Mittel-
stück des Komplementes festgestellt.
4*
Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. П.
Von
R. Brinkman und Frl. E. van Dam.
(Ausdem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.)
(Eingegangen am 11. Mai 1920.)
Die Bedeutung des Cholesterins für die physikalisch-chemischen
Eigenschaften der Zelloberfläche.
In seinem ,,Osmotischen Druck und Ionenlehre!)“‘ wird von
Hamburger die Aufmerksamkeit auf die von ihm und später
auch von anderen beobachtete Tatsache gelenkt, daß die bikonkave
oder Glockenform der normalen Erythrocyten in anderen Flüssig-
keiten als im Plasma der Kugelform zustrebt. Er sagt nämlich:
„In welche Lösungen man die Blutkörperchen auch bringt,
es mögen isotonische, hyperisotonische oder hypisotonische Salz-
oder Zuckerlösungen sein, es mögen mit Wasser verdünntes Serum,
normale oder pathologische Lymphe sein, stets verlieren die roten
Blutzellen die bikonkave Gestalt und erfahren eine Verkleinerung
des größeren Durchmessers. Bleibend sind diese Veränderungen
nicht, denn wenn man die Blutkörperchen wieder in ihr eigenes
Serum zurückbringt, so bekommen sie auch wieder ihre bikonkave
Gestalt.. Und weiter: „Vielleicht handelt es sich hier um eine
Veränderung der Oberflächenspannung, die sich bei jeder Ver-
änderung der chemischen Zusammensetzung des Mediums ent-
sprechend modifizieren muß.“
Unseres Wissens ist eine Erklärung der von Hamburger
beschriebenen Erscheinung nicht gegeben worden. Das Ziel
folgender Versuche ist in erster Linie eine Analyse dieses Phänomens
und eine Erklärung der Formänderung. Zu gleicher Zeit können
wir in diesen Versuchen einen Beitrag zu den Studien zur Bio-
chemie der Phosphatide und Sterine erblicken.
1) Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre I, S. 199—200;
Arch. f. а. ges. Physiol. 141, 230. 1895.
R. Brinkman und Е. van Dam: Phosphatide und Sterne П. 53
I. Das Verhalten der Кӧгрегеһеп in reiner NaCl-Lösung und in
physiologisch equilibrierter Salzlösung.
| Für die folgenden Versuche benutzten wir immer das Blut
des Kaninchens. Mit Körperchen meinen wir also die Körperchen
des Kaninchens. In späteren Versuchen haben wir gesehen, daß
mit den Körperchen des Menschen dieselben Resultate gewonnen
werden.
Fügt man 0,02 ccm Blut zu 2 ccm einer 0,9proz. NaCl-
Lösung, welche mittels einer Spur NaHCO, neutralisiert worden
ist, und bringt man ein wenig dieser Suspension in die sorgfältig
gereinigten und getrockneten Zählkammer eines Thoma-Zeiss-
Apparates, legt ein Deckgläschen auf und untersucht sofort,
dann sieht man folgendes. |
Die im Anfang bikonkaven Körperchen nehmen fast unmittel-
bar eine unregelmäßige Rosetten- oder Sternform an und werden
kleiner. Wartet man, bis die Körperchen auf den Boden gesunken
sind, so sieht man, daß sie noch etwas mehr kugelförmig geworden
sind, mit zahllosen kleinen Spitzen. Weitere Formänderung crlei-
den sie in dieser Lösung nicht; das Endstadium ist. also die so-
genannte „Stechapfelform“.
Eine reine Kugelform sieht man aus dieser Stechapfelform
entstehen, wenn man die Körperchen in eine mehr physiologische
Salzlösung suspendiert. Dafür benutzten wir die bereits früher
von uns beschriebene physiologisch equilibrierte Salzlösung:
NaCl 0,7%, NaHCO, 0,18%, KCl 0,02%, CaCl,- 6 aq 0,02%,
[Н] = 0, 45. 10-7 und [Саг] = + 30 mgr pro Liter!). In dieser
Suspensionslösung zeigen die Körperchen in der trocken geriebenen
Zählkammer die folgenden Formänderungen: In dem Augenblick,
da sie in die Zählkammer gebracht werden, sind sie noch bi-
konkav; sofort werden sie dann unregelmäßig, rosettenförmig;
dann bekommen sie die Stechapfelform, sehließlich werden sie
kugelförmig mit sehr feinen Ausläufern, um in Kügelchen zu en-
den. Die ganze Formänderung währt nur 1—2 Minuten, nur das
Verschwinden der letzten Spitzchen auf den Kügelchen dauert
etwas länger.
1) R. Brinkman, Einige Bemerkungen über die Bedeutung des
Blutkalks. Diese Zeitschr. 95, 101. 1919.
54 R. Brinkman und E. van Dam:
П. Die Ursache des Entstehens der Kugelform.
Wir hatten also gesehen, daB die Kugelform nicht in der Salz-
lösung entstand, sondern erst wenn die Suspension in die Zähl-
kammer gebracht wurde. Die Formänderung kann also erst
hier ihre Ursache finden. Weiter ersahen wir, daß die Kugelform
nicht unmittelbar aus der bikonkaven Form entstand, sondern
über Rosetten- und Stechapfelform. Der ganze Verlauf erinnert
direkt an die von Rollett beschriebene Formänderung, wenn das
Blut von Funken aus einer Leidener Flasche getroffen wurde;
hier entstanden vor der finalen Hämolyse genau dieselben Formen.
Die Versuche von Rollett!) führten uns zu der Annahme,
ob auch nicht in unserem Fall die Entstehung der Kugelform
abhängig sein würde von einer elektrischen Ladung
der Körperchen. Wir wußten bereits, daß die Kugelform erst
auf dem Objektträger entstand, und es war doch sehr wohl mög-
lich, daß dieser Objektträger geladen war, weil er immer mit
einem Stückchen Leinwand trocken gerieben wurde.
Unsere Annahme erwies sich als richtig. Wenn wir Objekt-
träger und Deckgläschen sorgfältig in der Flamme entladen
hatten, sahen wir sowohl in NaCl-Lésung wie in physiologisch-
equilibrierter Salzlösung nur die normale bikonkave Form. Die
Ursache des Entstehens der Kugelform ist also der Einfluß einer
elektrischen Ladung auf die Körperchen.
Im Serum behalten die Körperchen ihre normale Form,
auch wenn der Objektträger geladen ist. Hier muß man eine sehr
große Ladung einer Leidener Flasche anwenden, um die Blut-
Kkörperchen kugelförmig zu machen; von der geringen Ladung
eines Objektträgers spüren wir keinen Einfluß.
Ш. Eine genauere Analyse deg Einflusses einer geringen elektri-
schen Ladung auf Blutkörperchen in Serum und in Salzlösung.
Bringt man in der Zählkammer eines geriebenen Tho ma-
Zeiss - Apparates eine Salzlösung, so wird diese geladen werden;
schweben Blutkörperchen in dieser Salzlösung, so haben wir den
Fall, daß sich kleine Körperchen im Innern eines geladenen Lei-
ters befinden. Im Innern dieses Leiters kann kein elektrisches
Feld bestehen; solange also die Körperchen nicht mit der Ober-
1) Rollett, Sitzungsber. d. Kais. Akad. d. Wissensch. 46. 1862.
Phosphatide und Sterine. II. 55
fläche der Lösung in Berührung sind, werden sie nicht geladen wer-
den können. Erst wenn sie auf dem Boden der Zählkammer ge-
sunken sind, können die Körperchen geladen werden.
Stellt man sich nun das Körperchen als einen kleinen bikon-
kaven Leiter vor, dann ist es unseres Einsehens nach wohl deut-
lich, daß eine elektrostatische Ladung dieser elastischen Körper-
chen zu der Kugelform führen wird. An den stark gekriimmten
Rändern des Körperchens wird die Ladungsdichte viel größer
sein als in der Mitte des Scheibchens; an den Rändern werden
also viel stärkere elektrische Kräfte herrschen, welche durch ihre
anziehende Wirkung auf die Moleküle der Stoffe das elastische
Körperchen umformen werden, bis die Krümmung überall gleich
groB geworden ist, d. h. bis die Kugelform erreicht ist.
In diesem Gedankengang ist aber vorausgesetzt, daB der
leitende Blutkörpercheninhalt in einer leitenden Verbindung mit
der Flüssigkeitsoberfläche steht, und dies ist im Plasma (Serum)
nicht der Fall. Wissen wir doch, daß Körperchen im Serum den
Strom fast nicht leiten, weil normalerweise in der Zellmembran
nur sehr wenig Ionenbewegung unter diesen Umständen möglich ist.
Im Serum wird das Körperchen immer noch von einer isolierenden
Zellmembran von der Ladungsoberfläche getrennt sein, und es
wird also nicht geladen werden können. Hierin muß der Grund
gelegen sein, weshalb Körperchen in Serum ihre normale Form
bewahren, wenn sie mit einer geladenen Oberfläche in Berührung
kommen; nur kräftige Entladungen können die Isolation über-
winden, wie auch eine starke Entladung eine Glasplatte durch-
bohren kann.
In Salzlösungen ist der Zustand aber anders. In der ersten
Mitteilung dieser Serie!) zeigten wir, daß die Blutkörperchen in
Salzlösungen ihre Kondensationsmembrane größtenteils ver-
lieren, weil Lecithin und Cholesterin aus der Blutkörperchen-
oberfläche gehen und in der Salzlösung aufzufinden sind, dies
infolge einer Störung des Adsorptionsgleichgewichts. Durch
diese Emulgierung der Zelloberfläche entsteht eine Permeabili-
täts- und Resistenzänderung, und dies ist auch die Erklärung
der Tatsache, daß in Salzlösungen die normale Isolation der Blut-
körperchen verschwunden ist, weil ja die isolierenden Stoffe nicht
mehr an der Oberfläche kondensiert sind. In Salzlösung wird also
1) Diese Zeitschr. 108, 35. 1920.
56 R. Brinkman und E. van Dam:
der gut leitende Blutkörpercheninhalt in einer leitenden Ver-
bindung mit der Ladungsoberfläche stehen, mit andern Worten
jetzt werden die Blutkörperchen geladen werden.
Der Unterschied zwischen dem Zustand der Blutkörperchen
im Serum und in physiologischer Salzlösung soll also der sein, daß
im Serum die Körperchen von einer isolierenden Zellmembran um-
geben sind (welche entstanden ist durch die Oberflächenkonden-
sation isolierender Stoffe), während diese Membran in Salzlösungen
ganz oder teilweise verschwunden ist.
IV. Welche Substanz ist verantwortlich zu machen für die nor-
male Isolation der Blutkörperchen?
Wenn man untersuchen will, welche der konstituierenden
Bestandteile der Zellmembran als isolierende Substanz würde
dienen können, so kommen hauptsächlich Eiweißstoffe, Lecithin
und Cholesterin in Betracht. Die Eiweißstoffe mit ihrem ausge-
sprochenen Elektrolytcharakter können wir wohl ausschlie-
Ben, und auch die Phosphatide haben noch eine größere Anzehl
Elektrolyt-Eigenschaften als die Sterinen. Letztere sind prak-
tisch ganz Anelektrolyt. Für einen stark isolierenden Stoff
kommt also in erster Linie das Cholesterin in Betracht.
Es fällt uns in der Tat leicht, zu zeigen, daß nur Cholesterin
die normale Isolation der Körperchen aufrecht erhalten kann.
Bringt man Blutkörperchen, die zweimal mit physiologischer
Salzlösung gewaschen sind, in eine Salzlösung auf ein gerieben
Objektglas, so nehmen sie sehr bald unter dem Einfluß der elek-
trischen Ladung die Kugelform an. Bringt man diese Körper-
chen aber in einen Tropfen Serum, so behauptet sich die bikonkave
Form, wie schon oben erwähnt wurde.
Aber auch wenn die Blutkörperchen in einer 0,1 proz. Chole-
sterinsuspension in Salzlösung untersucht werden, ergibt es sich, daß
die bikonkave Form behalten wird!). Wir müssen also annehmen,
1) Die Suspension wurde in folgender Weise bereitet: 100 mg Cho-
lesterin wurde in ungefähr 10 ccm Aceton gelöst und diese Lösung in einem
Male zu einer physiologischen Salzlösung gefügt, worin 0,5%, reiner Serum-
albumin (Merck) gelöst worden war. Die also erhaltene Suspension wurde
von Aceton befreit durch das Durchleiten von Luft bei einer Temperatur
von ungefähr 30°. Als der Acetongeruch ganz verschwunden war, wurde
die Lösung zum ursprünglichen Volum mit destilliertem Wasser aufgefüllt;
Phosphatide und Sterine. П. 57
daß sich in dieser Suspension wieder eine isolierende Membran
an der Blutkörperchenoberfläche kondensiert hat, wodurch die
Blutkörperchen ungeladen bleiben.
In einer O, I proz. Lecithinemulsion in Salzlösung oder in
einer 0,5 proz. Serumalbuminlösung in Salzlösung findet gar keine
Isolation der Blutkörperchen statt; sie verhalten sich einem
elektrischen Einfluß gegenüber genau wie in einer reinen Salz-
lösung.
Die normale Isolation der Blutkörperchen im Plasma kann
also nur das Cholesterin besorgen; ob die Cholesterinester auch ein
isolierendes Vermögen haben, ist nicht von uns untersucht worden.
V. Die Bedeutung des Cholesterins für die Zellenoberfläche.
Die Tatsache, daß neben den Phosphatiden immer Choleste-
rin in den tierischen Zellen und Flüssigkeiten vorkommt, weist
auf eine allgemeine Bedeutung dieser Substanz hin. Es ist wohl
eigentümlich, daß die physikalisch und chemisch doch so verschie-
denen Gruppen der Phosphatide und Sterine im Organismus
so konstant nebeneinander vorkommen, daß man sie unter einem
allgemeinen Namen zusammenfa8te. Die Funktionen dieser
Substanzen sind erst in der letzten Zeit etwas mehr bekannt ge-
worden; man sucht ihre Bedeutung jetzt hauptsächlich in physi-
kalisch- chemischer Richtung.
Es ist deutlich geworden, daB diese Lipoide einen wichtigen
Bestandteil der Zellenoberfläche bilden, und daß ihre physikalisch-
chemischen Eigenschaften die Zellenpermeabilität stark beein-
flussen.
Für das stark capillär-aktive Lecithin ist diese Oberflächen-
Kondensation nach dem Gibbs - Thonsenschen Prinzip!) sehr
verständlich. Weil das Phosphatid die Oberflächenspannung
Blutkörperchenplasma erniedrigt, so soll es an dieser Phasen-
grenze kondensiert sein. Die Dispersitätsänderungen, die diese
dünne Schicht unter dem Einfluß adsorbtiver und elektroche-
mischer Kräfte erfahren kann, sind von fundamentaler Wichtig-
dann wurde CO, durchgeleitet bis Н = 0, 45. 1077. Die in dieser Weise
bereitete Suspension ist nicht lange haltbar; nach 24 Stunden oder schon
früher ist fast alles Cholesterin niedergeschlagen.
1) Berczeller, diese Zeitschr. 84, 59. 1917.
58 R. Brinkman und E. van Dam:
keit für die Zellpermeabilität!). Die kolloidchemischen Eigen-
schaften des Lecithins werden also viele Permeabilitätserschei-
nungen näher erklären können.
Ganz verschieden ist der Zustand beim Cholesterin und im
allgemeinen bei den Sterinen. Diese Substanzen haben wenig oder
gar keinen Effekt auf die Oberflächenspannung des Wassers,
ihre wässerige Lösung hat die Eigenschaften eines stark hydro-
phoben Kolloides?). Loewe?) nennt die gelösten Sterine Semi-
Kolloide, weil ihr Dispersitätsgrad von der Konzentration abhängig
ist und sie wenig adsorptive Eigenschaften haben. Die Sterine
können dann auch nur an der Zelloberfläche kondensiert sein,
weil das Lecithin in starkem Maße als Schutzkolloid fungiert.
Zu einer funktionellen Bedeutung des Cholesterins für die Zellen-
oberfläche können wir aus seinen bis jetzt bekannten kolloid-
chemischen Eigenschaften nicht schließen.
Aus den oben erwähnten Versuchen können wir nun eine all-
gemeine Funktion des Cholesterins der Zellmembran ableiten;
das Cholesterin ist nämlich die Ursache der normalen Isolation
der Blutkörperchen, also wahrscheinlich aller tierischen Zellen.
Unsere Versuche beweisen dies sehr deutlich, denn während
es bei vielen Fällen von Membranuntersuchung schließlich sehr
schwer ist, einen Unterschied zu machen zwischen elektrischen
und molekularen Kräften, können wir hier die molekularen
Kräfte außer Betracht lassen, weil wir hier ausschließlich ein
elektrostatisches Kraftfeld benutzten.
Bei den modernen Permeabilitätsstudien drängen sich immer mehr
die bioelektrischen Membranpotentialen in den Vordergrund“); speziell
natürlich für die Ionenpermeabilität sollte man neben den osmotischen auch
die elektroendosmotischen Erscheinungen) studieren. Für diese Ionen-
bewegungen wird die Anwesenheit einer schlecht leitenden Schicht om die
Zelle von großer Wichtigkeit sein, weil die Ionenbewegungen von dieser
Schicht gehemmt werden müssen.
1) Porges und Neubauer, diese Zeitschr. 7, 152 — Vernon, diese
Zeitschr. 51, 1. 1913.
2) Berczeller, l. e. — Porges und Neubauer, l. с.
3) Loewe, diese Zeitschr. 42, 150—218; Kolloidzeitschr. 11, 179.
4) Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912.
5) Perrin, Journ. de chim. physique 2, 601. — Höber, Physikalische
Chemie der Zellen und Gewebe 1914, S. 234, 241, 568. — Loeb, Journ.
chem. physiol. 1, 717.
Phosphatide und Sterine П. 59
Ohne nun weiter auf die Bedeutung und das Wesen dieser Isolation
einzugehen, müssen wir nun doch schon feststellen, daß man aus Versuchen,
wobei die dünne Cholesterinschicht um die Körperchen nicht mehr anwesend
ist, keine Schlüsse betreffs der physiologischen Ionenpermea bilität ziehen
darf. Wenn also die Blutkörperchen nicht in ihrem Serum, sondern in einer
Salzlösung untersucht werden, wie es in den meisten Fällen geschah, so ist
ihre Ionenpermesbilität abnorm geworden.
Rohonyi?) z. B. schließt aus seinen zahlreichen Experimenten mit
öfters in Salzlösung gewaschenen Blutkörperchen, daß die Kérperchenober-
flache hauptsächlich aus Hämoglobin bestehen solle, und daß von einer
differenzierten Membran gar nicht die Rede sein soll. Die Ionenaufnahme
würde von demselben Typus sein wie die Elektrolytaufnahme von Suspen-
soiden. е
Es ist nun aber klar, daß diese und dergleichen Schluß-
folgerungen nicht den physiologischen Zustand wiedergeben,
weil durch das Waschen in Salzlösung die isolierende Blutkörper-
chenoberfläche entfernt worden ist.
Bei den neueren Untersuchungen Hamburgers?) mit Hilfe
der Ultrafiltration sind die Blutkörperchen immer in ihrem
eigenen Serum untersucht worden; die hier gefundenen Ionen-
verschiebungen können also mit physiologisch vorkommenden
analog sein. | |
Im allgemeinen wird man bei Suspensionen von Zellen in
Salzlösungen, oder bei Durchströmung von überlebenden Organen
mit Salzlösung der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß die
isolierenden Schichten der Zelloberflächen ausgespült werden
können, und daß dadurch die Ionenpermeabilitatseinfliisse gänz-
lich anders werden können.
Zusammenfassung.
Als Ursache der von Hamburger und später auch von an-
deren beschriebenen Tatsache, daß rote Blutkörperchen in Salz-
lösungen die Kugelform annehmen, haben wir eine elektrische
Ladung der roten Blutkörperchen gefunden.
Diese Ladung, die die schon bestehende schwach negative
Ladung verstärkt, rührt von dem mittels Reibung geladenen
Objektglas her.
1) Rohonyi, Kolloidchem. Beihefte 8, 337. 1916.
2) Hamburger, diese Zeitschr. 86, 309. S. auch S. de Boer, Journ.
Physiol. 51, 211. — Hamburger, Wiener med. Wochenschr. 1916, Nr. 14/15
(siehe die Literatur).
60 R. Brinkman und E. van Dam: Phosphatide und Sterine. II.
In der Salzlösung selber sind die Körperchen normal geformt;
sobald sie aber mit einer elektrisch geladenen Oberfläche in der
Zählkammer eines Tho ma - Zeiss- Apparates in Berührung kom-
men, entstehen Formänderungen, die nach kurzer Zeit über Ro-
setten-Stechapfelform zur Kugelform führen. |
Im Serum erleidet das Blutkörperchen von dieser elektrischen
Ladung keinen Einfluß. Die Ursache dieses Unterschiedes liegt
darin, daß die Blutkörperchen im Plasma von einer isolieren-
den Schicht umgeben sind, welche Schicht in einer Salzlösung
verschwindet. ,
Die Substanz, die dieser absorbierten Schicht ihre Eigen-
schaften gibt, ist das Cholesterin, das von dem an der Blut-
körperchenoberfläche adsorbierten Lecithin in kolloidaler Lösung
gehalten wird.
Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. IH.
Von
K. Brinkman und Frl. Е. van Dam.
(Ausdem Ph ysiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.)
(Eingegangen am 11. Mas 1920.)
Über die Bedeutung des funktionellen Antagonismus von Phos-
phatiden und Cholesterin.
Die Tatsache, daß chémisch so sehr verschiedene Körper
wie Phosphatide und Cholesterin im tierischen Organismus im-
mer nebeneinander vorkommen; muß eine biologische Bedeu-
tung haben.
In der Nahrung sind sie nicht in beständigem Verhältnis anwesend;
der tierische Körper aber scheint bestrebt zu sein, das gegenseitige Konzen-
trationsverhältnis physiologisch konstant zu erhalten!). Auch die Kon-
zentration der totalen Fettsäuremenge, welche man nicht immer von der
Lecithinkonzentration hat trennen können, steht in bestimmtem Verhältnis
zur Cholesterinmenge, so daß der Quotient Cholesterin : totale Fettsäure
eine konstante Größe darstellt, welche von Mayer und Schaeffer?) studiert
worden ist (coöfficient lipotytique).
Wacker und Hueck?) haben an Kaninchen gezeigt, daß die künst-
liche Anreicherung des Cholesterins durch die Nahrung nicht nur. zu einer
Cholesterinämie führt, sondern auch gleichzeitig einen Anstieg der fettsäure-
haltigen Phosphatide bewirkt, so daß auch hier der Körper bestrebt ist,
eine Erhöhung des Plasmacholesterins durch eine analoge Erhöhung der
Phosphatide folgen zu lassen. Umgekehrt kann auch der Cholesterin-
spiegel durch reichlich Fett und Phosphatide zu füttern, in die Höhe ge-
trieben werden (). |
1) Bloor, Journ. of Biolog. Chem. 25, 577. 1916. — Wacker und
Hueck, diese Zeitschr. 100, 84. 1919. — Mayer et Schaeffer, Journ.
de Physiol. et de Pathol. génér. 16, 1 et 23. 1914. — Terroine, ibid. 16, 386.
— Lindemann, Zeitschr. f. Geburtshilfe u. Gyn. 74, 814. 1913.
з) L. с.
з) L. с.
4) Reicher, Verband, а. 28. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1911,
8. 327. — Röhl, Verband, а. 29. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1912,
8. 607.
62 R. Brinkman und E. van Dam:
Die allgemeine Bedeutung der Konstanz dieses Quotienten finden wir
in dem funktionellen Antagonismus, welcher zwischen „Lecithin“ und Chole-
sterin von mehreren Autoren aufgedeckt worden ist. Besonders bei der
serologischen Hämolyse gibt es zahlreiche Beispiele dieses Antagonismus?).
Wir:) fanden eine erhebliche Resistenzerniedrigung durch physiologische
Lecithinkonzentrationen; diese wird aufgehoben durch eine geringe Chole-
sterinmenge.
Auch sahen wir mikroskopisch, daß in einer 0,5 proz. Lecithinemulsion
in physiologischer Salzlösung die Körperchen schnell ihren Farbstoff ver-
loren und zu og. „Schatten“ wurden. Dieses Phänomen wird ebenfalle
von Cholesterin aufgehoben.
Die Widerstandsfähigkeit der Körperchen gegen Saponin geht par-
allel mit dem Quotienten Cholesterin : Lecithin?), genau wie bei den
bekannten Pascucci-Membranen ().
Mehrere bakterielle und parasitäre Hämotoxine, welche von Lecithin
aktiviert werden, werden von Cholesterin in ihrer Wirkung gehemmt, wie
besonders bei der Kobragift-Hämolyse festgestellt wurde 5). Gegen die
hämolytische Wirkung der hereditären Hämolysine verteidigt sich der
Organismus durch eine Hypercholesterinämie®). Es ist bekannt, daß im
allgemeinen die Hypercholesterinämie mehrerer Krankheiten eine Reristenz-
erhöhung zur Folge hat’).
Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß während Lecithin viele
Eigenschaften mit dem sog. Komplementmittelstück gemein hat“), das
Cholesterin gerade inaktivierende Eigenschaften zeigt. Auch die Verhält-
nisse bei der Wassermannschen Reaktion sowie bei der Reaktion nach
Sachs - Georgi sprechen für den funktionellen Antagonismus in hämo-
lytischer Hinsicht“).
Bei der Phagocytose ist der Antagonismus von Stuber 10), bei Wachs-
tumserscheinungen von T. B. Robertson!) beobachtet worden. Uber den
antagonistischen Einfluß dieser Substanzen auf Gewebe und Organe sehe
man bei A. W. Robertson’),
1) Siehe bei Landsteiner im Handb. а. Biochemie II, 1, 395.
2) Brink manu. van Da m, diese Zeitschr., 108, 35. 1920. I. Mitteilung.
3) K. Meyer, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 11, 357. 1908.
4) Pascucci, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 8, 552. 1905.
5) Siehe bei Landsteiner, Handb. d. Biochemie II, 1, S. 444 ff.
6) Froisier et Hubert, Journ. de Physiol. et de Pathol. génér.
16, 483. 1914.
7) Zusammenfassend bei Byline et Khosroev, Le médecin russe
13, 579, 681, 722. 1914.
8) Brinkman und van Dan, Le, 1. Mitteilung.
э) Zusammenfassend bei Sachs, Kolloid-Zeitschr. 24, 113. 1919.
10) Stuber, diese Zeitschr. 51, 211.
11) Robertson, Proc. Soc. exp. Biol. and Med. 10, 59.
12) A. White Robertson, Studies in Electropathology. London,
Rontledge and Sons, 1918.
Phosphatide und Sterine. III. | 63
Die allgemeine Bedeutung dieses Quotienten für Ionenpermeabilitäts-
verhältnisse wollen wir neben die von Hamburger u. a. aufgestellte
Theorie der Ionenpermeabilitätsregelung durch die Kohlensäure stellen’).
Während man für die Regelung dieser Permeabilität in erster Linie stets
an den elektrischen Einfluß von Wasserstoff- und anderen Ionen gedacht
hat?), wollen wir hier die Aufmerksamkeit auf die Dielektrizitätskonstante
der Zelloberfläche lenken. Wir haben in der zweiten Mitteilung dieser Serie?)
angegeben, daß die normale elektrische Isolation der Körperchen von der
Anwesenheit von Cholesterin in der Zelloberfläche herrührt. Wenn kein
Cholesterin in dieser Oberfläche anwesend ist, verhält sich diese wie eine
gutleitende Membran; mit Cholesterin aber ist der Inhalt der Körperchen
elektrisch fast isoliert. Es genügen nun ganz geringe Lecithinkonzentratio-
nen in der Suspensionsflüssigkeit, um die isolierende Wirkung des Chole-
sterins gänzlich aufzuheben. Auch wenn man Lecithin zum Serum fügt,
sieht man diese Erscheinung; in diesem Falle ist Zufügung einer Konzen-
tration von -+ 0,03% Lecithin genügend, um die normale elektrische
Isolation der Körperchen zu beseitigen. Nicht alle Körperchen ver-
lieren zu gleicher Zeit ihre Isolation, sondern die Zahl der ihrer Isolation
beraubten Körperchen wächst mit der Lecithinkonzentration und mit
der Zeit.
Wir sehen also, daß die normale elektrische Isolation der
Körperchen eine Funktion des Quotienten Cholesterin: Lecithin
ist; das quantitative Verhältnis muß noch festgestellt werden.
Für die Ionenbewegung zwischen Zelle und Medium wird also
dieser Quotient eine Bedeutung haben müssen, weil in einer Ober-
fläche mit sehr geringer Leitfähigkeit nur wenig Ionenbewegung
möglich sein wird. ,
Sehr intereesant sind in dieser Hinsicht die Untersuchungen von
Mayer und Schaeffer‘) über die cellulären Konstanten. Nach diesen
Autoren ist der Wassergehalt der Gewebe abhängig von dem sog. ,,Coéfficient
lipocytique“‘, womit sie den Quotient Cholesterin: totale Fettsäuremenge
bezeichnen. Die Koeffizienten verschiedener Gewebe ändern sich alle in
gleicher Weise, so daß z. B. der Quotient im Blut einen Indicator darstellt
für den gesamten Organismus. Ausgehend von diesen Versuchen haben
1) Hamburger, diese Zeitschr. 86, 309. 1918; siehe auch S. de
Boer, Journ. de Physiol. et de Pathol. génér. 51, 211. 1918 und Ha m-
burger, Wien. med. Wochenschr. 1916, Nr. 14 u. 15. — van Slyke,
Journ. of Biolog. Chem. 30.
2) Zusammenfassend bei Loeb, Journ. general Physiol. 1, 717. 1919.
— Höber, Physikalische Chemie der Zellen und Gewebe, Kap. 6, 8, 10,
11, 12. — Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. — Bayliss,
Principles of. Gen. Physiol., Ch. 5, 6, 7.
з) Diese Zeitschr. 108, 52. 1920.
4) Mayer und Schaeffer, 1. с.
64 R. Brinkman und E. van Dam:
dann Achard, Ribot et Leblanc’) zeigen können, daß bei ödematösen
Zuständen durch Niereninsuffizienz der Koeffizient ausnahmslos erhöht ist.
Sie sehen in dieser Prävalenz des Cholesterins die Ursache der Wasser-
retention.
Andererseits sind wir zu der Auffassung gelangt, daß ein Vor-
herrschen des Cholesterins die Ionendiffusion hemmen muß, und
eine Behinderung der Ionenbewegung wird eine Wasserretention
zur Folge haben. Wir sehen also, daß durch diese Auffassung des
lipocytischen Koeffizienten der Zusammenhang von Salzretention
und Verschiebung des Quotienten Cholesterin: Lecithin deutlich
wird. Die Wasserretention bei erhöhtem lipocytischen Koeffi-
zienten muß die Folge einer Ionenretention sein; die Ursache der
Ionenretention ist die verringerte Leitfähigkeit der Zelloberfläche.
Bei urämischen und eklamptischen?) Zuständen ist eine ex-
zessive Erhöhung des Cholesterinspiegels festgestellt worden;
man könnte sich vorstellen, daß die Salzretention von der Er-
höhung des lipocytischen Koeffizienten abhängig sein würde.
Therapeutisch würde man dann solche Zustände mit Lecithin-
` injektionen behandeln können.
Wenn wir also sehen, daß der Körper auch in pathologischen
Umständen immer bestrebt ist, das normale Verhältnis nn
oder Ee aufrechtzuerhalten, so können wir
totale Fettsäuremenge
das begreifen, wenn wir an die oben beschriebenen allgemeinen
cellulären Einflüsse dieser Quotienten denken. Es ist nun kli-
nisch von großer Bedeutung, daß die Konzentrationen der be-
treffenden Substanzen teilweise von ihren Konzentrationen in
der Nahrung abhängig sind. Unsere Kenntnisse über den Zu-
sammenhang von Nahrungslipoiden und Blutlipoiden sind noch
sehr lückenhaft; allgemein erkannt wird die Fähigkeit des Säuge-
tierorganismus zur Lecithinsynthese*), ob aber auch das Chole-
sterin im Säugetierorganismus synthetisch aufgebaut werden kann,
ist sehr fraglich.
Jedenfalls sind normalerweise die Blutsterine, die überhaupt
nur pflanzliche Produkte darstellen, von der Konzentration in
1) Achard, Ribot et Leblanc, Compt. rend. de la soc. de biol.
82, 339. 1919.
з) Man sehe 2. В. Neumann und Hermann, Wien. klin. Wochen-
schrift 1911, Nr. 12
з) Kurze Zusammenfassung bei Lichtwitz, Klin. Chemie 1918, S. 172.
Phosphatide und Sterine. III. 65
der Nahrung abhängig: bei Cholesterinverfütterung entsteht
eine Hypercholesterinämie, während auch die Lecithinkonzen-
tration emporgeht zur Erhaltung des normalen Gleichgewichtes!).
Bei reichlicher Fett- und Lecithinzufuhr versucht umgekehrt die
Cholesterinkonzentration so hoch wie möglich zu kommen. Es
ist aber ganz gut denkbar, daß, wenn das Cholesterin in der Nah-
rung fehlt, ein Emporsteigen des Cholesterinspiegels auf die Dauer
nicht möglich ist. Durch einseitige Ernährung wird somit ein ab-
normer Quotient SS entstehen können.
Da auch die Phosphatide chemisch viel leichter zersetzbar
sind und viel mehr an intermediären Fettstoffwechselvorgängen
teilnehmen als das Cholesterin, so ist es ebenfalls begreiflich, daß
in der Inanition ein abnormes Verhältnis zwischen diesen Sub-
stanzen entstehen wird, wie tatsächlich von Mayer und Schaeffer
gezeigt wurde. Diese Autoren fanden, daß bei hungernden Tieren
der Quotient 555 in allen untersuchten Organen an-
totale Fettsäure
stieg und damit auch der Wassergehalt dieser Organe größer
wurde.
Wir haben nun einen Anfang gemacht mit der Untersuchung
des Einflusses lecithinreicher und cholesterinarmer Ernährung
auf die Resistenz und die Regeneration roter Blutkörperchen
beim Kaninchen. Obwohl wir noch nicht über eine Anzahl
detaillierter Versuche verfügen, haben wir doch schon einige
prinzipielle Resultate gewonnen, welche wir hier mitzuteilen
wünschen. А
Die Resistenz untersuchten wir nach der in dieser Zeitschrift
mitgeteilten Methode?); es wurde also die sekundäre Resistenz
(Körperchen unter dem Einfluß ihres Plasmas) und die primäre
Resistenz (gewaschene Körperchen) bestimmt.
Die Resistenz von normalen, mit Rüben und Hafer gefütter-
ten Kaninchen kann im allgemeinen durch folgende Tabelle wie-
dergegeben werden.
1) Siehe bei Wacker und Hueck, 1. с. Vgl. auch Stepp, Zeitschr
L Biol. 57, 136; 59, 366; 62, 405. — E. V. McCollum, Journ. of Biolog.
Chem. 15, 167; 19, 245; 20, 641; 21, 179. — Bloor, l. с.
2) R. Brinkman, diese Zeitschr 108, 37. 1920. I. Mitteilung;
genaue Angaben werden in kurzer Zeit erscheinen.
Blochemische Zeitschrift Band 108. 5
66 R. Brinkman und E. van Dam:
NaCl-Konzentration der hypo-
tonischen Lösung, die konstant
Hämolyse?), NaHCO, 0,18%, KCl 0,02%, 3 mal gewaschen,
sekundär CaCl, · 6 aq. 0,02%, [H'] = 0,45 primäre Hämolyse
- 10-7 und [Ca] = +30 mg pro
Liter enthält
20% 0,42% 0%
40%, 0,40% 5%
80% 0,38% 20%
90% 0,36% 40%
100% 0,34% 60%
0,32% 70%
0,30% 90%
0,28%, 90%
0,26% 90%
0,24%, 95%,
Wir sehen also einen erheblichen Unterschied in primärer
und sekundärer Resistenz der Körperchen; auch ist die Anwesen-
heit der „jungen“ (am meisten resistenten) Körperchen sehr deut-
lich in der primären Resistenzkurve angegeben; das Knochenmark
ist also funktionierend.
Setzen wir das Kaninchen nun der Inanition aus, so daß es
ausschließlich etwas Zuckerwasser bekommt, so sehen wir nach
2 Tagen die folgenden Resistenzkurven.
Hämolyse, NaCl-Konzentration der Бе- 3 mal gewaschen,
sekundär kannten hypotonischen Lösung primäre Hämolyse
0% 0,42% 0% |
5% 0,40%, 2%,
20% 0,38% 20%
20% = 0,36% 30%
50% 0,34% 50%
80% 0,32% 70%
98% 0,30% 90%
100% 0,28% 95%
0,26% 99%
Es ist also die sekundäre Resistenz viel größer geworden?),
die primäre Resistenz ist dieselbe geblieben. Primäre und sekun-
1) Bestimmung des Hämolysegrades nach Arrhenius, Zeitschr. f.
physikal. Chemie 1903.
2) Acél (diese Zeitschr. 95, 211. 1919) berichtet ebenfalls, daß bei
der Inanition die Resistenz der Körperchen steigt.
Phosphatide und Sterine. III. 67
dare Resistenz sind jetzt praktisch identisch, es hat also die Inanition
denselben Effekt wie das Waschen der Körperchen. Es stimmen
also diese Versuche mit der oben erwähnten Auffassung von Mayer
und Schaeffer überein, daß der ,,Coéfficient lipocytique in
der Inanition größer wird.
Weiter ist es wichtig zu sehen, daß auch die Körperchenbil-
dung jetzt fast ganz aufgehört hat. Diese Tatsache haben wir
ausnahmslos in zahlreichen Versuchen beobachtet: Wenn die
sekundäre Resistenz sich zu der primären erhöht hat,
wenn also der normale Lecithineinfluß aufgehoben ist,
so ist auch die Bildung deR orperehen nicht mehr zu
erkennen.
Es ist nun für die Steigerung der primären Resistenz durch-
aus nicht nötig, die Tiere auf absolute Karenz zu stellen; wenn
man nur fettfreie Nahrung gibt, z. B. Rüben, bekommt man auch
dasselbe Resultat.
Für die Komplettierung des Versuches haben wir nun dem
Kaninchen nach der fett- und lipoidfreien Periode 1 g Lecithin
pro Tag in Emulsion mit der Schlundsonde gegeben. Die Resi-
stenzkurve nach 2 Tagen war jetzt wie folgt:
Hämolyse, ` NaCl-Konzentration der be- 3 mal gewaschen,
sekundär kannten hypotonischen Lösung primäre Hämolyse
10% 0,42%, 0%
40% 0,40% 0%
70% 0,38% 20%
90% 0,36% | 20%
98% 0,34% 30%
100% 0,32% 60%
0,30% 80%
\ 0,28%, | 80%
0,26% 80%
Man sieht also, daß schnell wieder die sekundäre Resistenz er-
niedrigt wird. Bei fortgesetzter Lecithinfütterung wird sie noch
geringer.
Anstatt Lecithin kann man auch viel Hafer, der beträcht-
liche Mengen Lecithin enthält, geben; auch dann bekommt man
unmittelbar eine starke Resistenzerniedrigung.
Man sieht aber noch eine zweite wichtige Tatsache. Es
findet sich nämlich in allen Fällen, daß nach der Lecithineingabe
5*
68 RN. Brinkman und E. van Dam:
eine sehr ausgesprochene Änderung der primären Resistenz-
kurve auftritt: die Fraktion der am meisten resistenten
Körperchen, also aller Anschein nach der „jüngsten“ Kör-
perchen, wird beträchtlich vergrößert.
Während also beim Verschwinden des Lecithineinflusses die
Knochenmarkfunktion (bezüglich der roten Körperchenbildung)
fast ganz aussetzt, wird ein neues Auftreten der Lecithin-
wirkung unmittelbar von einer intensiven Körperchenbildung
gefolgt.
Bei fortgesetzter einseitiger Lecithinfütterung wird einer-
seits die Resistenzerniedrigung durch das Plasma so intensiv,
daß Hämolyse in vivo auftritt (Hämoglobinämie). Andererseits
aber ist das Knochenmark so energisch funktionierend, daß z. B.
bei NaCl 0,28%, usw. noch keine Hämolyse der gewaschenen
Körperchen auftritt, und daß die Anzahl der Körperchen sich
nicht verringert.
Es ist verständlich, daB für die Genese der hämolytischen
Anämien die oben erwähnten Versuche von Bedeutung werden
können. Die Lipoidtheorien spielen seit den Untersuchungen
Tallquists über die Bothriocephalus-Anämie eine große Rolle,
haben aber trotz zahlreicher Untersuchungen noch kein defini-
tives Ergebnis ergeben’).
Wir sind der Meinung, daß bei der Erforschung dieser Zustände
dem funktionellen Antagonismus von Lecithin und Fett gegen
Cholesterin nicht genügend Rechnung getragen worden ist; nicht
die Konzentration einzelner Lipoidfraktionen ist hier ausschlag-
gebend, sondern der Quotient Cholesterin : Lecithin, oder Chole-
sterinfettsäure.
Wir haben nun mit der einseitigen Ernährung von Kanin-
chen mit Rüben (welche nahezu fettfrei sind) und Lecithin ange-
fangen. Die Versuche müssen viel längere Zeit fortgesetzt werden,
als wir es bis jetzt machen konnten, aber der Einfluß der ein-
seitigen Ernährung ist sofort unverkennbar.
Das folgende Versuchsprotokoll gibt eine Übersicht der Ände-
rung des roten Blutbildes in der ersten Woche der einseitigen
Lecithinernährung.
1) Zusammenfassend bei Türc k, Klin. Hämatologie II, 2, Vorl. 35.
1912,
Phosphatide und Sterine. III. 69
16. II. 1920. Kaninchen, mit Hafer und Rüben gefüttert.
Resistenzbestimmung 10% a. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
30% 0,42% 0%
60% 0,40% 20%
90% 0,38% 30%
90% 0,36% 50%
100% 0,34% 70%
0,32%, 90%
0,30% 90%
0,28% 90%
17. П. Nach 16. П. ausschließlich mit Rüben gefüttert.
0% 0,4208 0%
10% 0,40% 0%
50% 0,38% 300%
50%, 0,36% 40%
70% 0,34% 700%
95% 0,32% 90%,
100%, 0,30%, 90%
0,28%, 100%
18. II. Resistenzbestimmung 102 а. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42%, 0%
10% 0,40% 0%
20% 0,38% 10%
50% 0,36% 30%
80% 0,34% 70%
90% 0,32% 90%
100%, 0,30% 95%
0,28% 100%
Resitenzbestimmung 10h a. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
11è a. m., 1 g Lecithin in Emulsion mit der Schlundsonde eingeführt.
Resistenzbestimmung 3" p. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42% 0%
10% 0,40% 0%
20% 0,38% 0%
50% 0,36% 0%
70% 0,34% 40%
80% 0,32% 80%
98% 0,30% 90%
00% 0,28% 90%
Das Serum ist sehr leicht hämolytisch.
70 R. Brinkman und E. van Dam:
19. П. Resistenzbestimmung 10% a. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
5% 0,42%, 0%
10% 0,40% 0%
30% 0,38% 5%
50% 0,36% 10%
90% 0,34% 30%
95% 0,32% 90%,
100% 0,30% 98%
0,28% 100%
118 a m. 1g Lecithin.
Resistenzbestimmung 125 30’ p. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
5% 0,42% 0%
10% è 0,40% 0%
30% 0,38% 0%
0% 0,36% 0%
| 80% 0,34% 50%
90% 0,32% 70%
95% 0,30% 0%
100% 0,28% 90%
Das Serum ist leicht hämolytisch.
20. IT. Resistenzbestimmung 10% а. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42% 0%
0% 0,40% 0%
20% 0,38% 0%
80% 0,36%, 0%
95% 0,34% 90%
100% 0,32% 95%
0,30% 98%
0,28%
Das Serum ist hämolytisch.
12h. 2g Lecithin.
| Resistenzbestimmung 3% p. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42% 0%
0% 0,40% 0%
0% 0,38% 0%
5% 0,36% 0%
80% 0,34% 90%
90% 0,32% 90%
98% 0,30% 90%
98% 0,28% 90%
Das Serum ist hämolytisch.
Phosphatide und Sterine. III. 71
21. IL Resistenzbestimmung 10% а. m,
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42% 0%
0% 0,40% 0%
20% 0,38% 0%
40% 0,36% 2%
90% 0,34% 40%
95% 0,30% 80%
100% 0,30% 95%
0,28% 100%
120. 2 g Lecithin.
Resistenzbestimmung 3h p. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
0% 0,42% 0%
0% 0,40% 0%
50% 0,38% 0%
80% 0,36% 40%
90°% ; 0,34% 80%
95% 0,32%, 80%
100% 0,30% 909
` 0,28% |
Das Serum ist hämolytisch.
22. П. 115 a. m. 2g Lecithin.
Resistenz bestimmung 2 p. m.
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz
2% 0,42%, 0%
40%, 0, 40% 0%
50% 0,38% 0%
10% 0,36% 0%
90% 0,34% 0%
95%, 0,32%, 0%
95%, 0,30% 0%
99% 0,28%, 0%
Das Serum ist fast nicht hämolytisch.
Wenn man diese Versuche übersieht, so ist der Einfluß ein-
seitiger Lecithinernährung wohl sehr überzeugend. Während
beiFütterung mitRüben und Hafersekundäre und pri-
“mare Resistenz beträchtlichen Unterschied zeigen
und die „Neubildungsfraktion“ deutlich markiert ist,
wird bei fettfreier Ernährung die sekundäre Resistenz
fast identisch mit der primären, und ist die „Neu-
bildung“ so gut wie ausgesetzt.
72 R. Brinkman und E. van Dam:
Dieses Aufhören der Regeneration bei fett- und lecithin-
freier Ernährung kann man auch konstatieren, wenn man ein in
dieser Weise gefüttertes Kaninchen eine Menge Blut entzieht und
die Regeneration durch Zählung der Körperchen verfolgt. Es
findet bei dieser Ernährung fast keine Regeneration statt; gibt
man aber Hafer, so ist die ursprüngliche Körperchenzahl in weni-
gen Tagen wieder erreicht.
Nach jeder täglichen Lecithineingabe sieht man
eine Neubildungsfraktion in der primären Kurve,
welche am folgenden Tage wieder aufgehört hat.
Während die intravitale Hämolyse durch die einseitige
Lecithinernährung so stark geworden ist, daß eine Hämoglobin-
ämie entstanden ist, ist andererseits die Regeneration so erheblich,
daß die Körperchenzahl nur sehr langsam abnimmt.
Auch im nach Giemsa gefärbten Blutbilde kann man diese
Regeneration sehr deutlich wahrnehmen: mehr als 50% der
Körperchen sind erheblich größer wie normal und die Polychroma-
tophilie der Erythrocyten ist excessiv geworden. Setzt man die
Lecithinfiitterung wieder aus, so werden die Körperchen bald
viel kleiner und regelmäßiger, und die Polychromasie ist auf ein-
zelne Chromocyten beschränkt.
Von einer pathologischen Regeneration war in dieser Zeit
noch nicht die Rede; Megaloblasten oder Megalocyten haben wir
nicht beobachtet und der Index war im Mittel eins.
Die sekundäre Resistenzkurve zeigte auch nach der Lecithin-
eingabe immer noch größere Resistenz wie die ursprüngliche se-
kundäre Resistenz bei Haferfütterung. Die Ursache dieses Ver-
haltens muß die intravitale Hämolyse sein, durch welche die am
geringsten resistenten Körperchen schon vor der Resistenzbe-
stimmung intravital hämolysiert wurden. Allerdings ist der Un-
terschied von primärer und sekundärer Resistenzkurve durch
Lecithineingabe deutlich wiederhergestellt, und wenn wir die
Resistenzbestimmung bei sehr geringer vitaler Hämolyse aus-
führten, zeigte sich die sekundäre Resistenz fast ebenso niedrig wie
bei der ursprünglichen Haferfütterung, obwohl die primäre Resi-
stenz außerordentlich hoch war (Versuch vom 22. Februar).
Wir haben mit diesen Versuchen nur prinzipiell den Einfluß
einseitiger Lecithinernährung demonstrieren wollen. Auf die
systematische Anwendung dieser Prinzipien für die Untersuchung
Phosphatide und Sterine. ПІ. 73
der Genese und Therapie hämolytischer Anämien werden wir in
einer ausführlichen Arbeit zurückkommen müssen.
Zusammenfassung.
Die Tatsache, daß Phosphatide und Sterine im tierischen Or-
ganismus immer nebeneinander in einem bestimmten Verhältnis
vorkommen, findet ihre Bedeutung im funktionellen Antagonismus |
dieser Substanzen.
Es wurden mehrere neue Beispiele dieses Antagonismus mit-
geteilt und gezeigt, daß wir das Verhältnis Lecithin : Cholesterin
als eine wichtige zelluläre Konstante auffassen müssen, von welcher
die Resistenz der Körperchen, die elektrische Isolation der Zelle,
фе Ionenpermeabilität der Zelloberfläche und der Wassergehalt
der Gewebe direkt abhängig sind. Es wurde darauf hingewiesen,
daß eine Änderung dieses Quotienten bei pathologischen Zu-
ständen von Bedeutung werden kann; speziell aber wurde der Ein-
fluß der Ernährung auf diesen Quotienten betont. Eine einseitige
Lecithinfütterung während einer Woche hat beim Kaninchen
eine intensive intravitale Hämolyse und Regeneration zu Folge,
welche mittels unserer Resistenzbestimmungsmethode genau ana-
lysiert werden konnte. Die intravitale Hämolyse wurde durch
Lecithinämie sehr stark vergrößert, so daß sogar Hämoglobinämie
entstand; zu gleicher Zeit aber wurde auch die Körperchenneu-
bildung durch das Vorherrschen des Lecithins stark angeregt, so
daß die Regeneration mit der Hämolyse im Gleichgewicht war.
Für die Erhaltung der normalen Regeneration war Lecithin-
fütterung unbedingt notwendig.
Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten
Blutkörperchen für den Traubenzucker“ von M. Bönniger.
Von
R. Brinkman und Frl. E. van Dam.
(Ausdem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.)
(Eingegangen am 11. Mai 1920.)
Die vielumstrittene Frage nach der Durchlässigkeit menschlicher roter
Blutkörperchen für Glucose haben wir in einer im vorigen Jahre erschienenen
Arbeit!) dahin entscheiden können, daß wir die Erythrocyten unter physio-
logischen Umständen als völlig impermeabel bezeichnen müssen, solange
kein Gerinnungsanfang eingetreten ist. Auch Falta und Richter - Quitt-
пег?) sind in einer ausführlichen Arbeit zu demselben Schlusse gelangt.
М. Bönniger?) berichtet nun in einer eben erschienenen Mitteilung,
daß Blutkörperchen des Menschen bei der Suspension in isotonischer Glucose-
lösung von 37° nach einigen Stunden Hämolyse zeigen, oder auch eine be-
trächtliche Volumzunahme. Er schließt aus diesen, im übrigen schon lange
bekannten Tatsachen auf eine physiologische Glucosepermeabilität der roten
Körperchen. Daß diese Konklusion nicht richtig ist, meinen wir mittels
folgender Überlegungen zeigen zu können.
Erstens hat Bönniger nicht den Gerinnungsanfang verhindert; aus
unserer vorigen Mitteilung®) wird man den Einfluß dieser Tatsachen ersehen
können. |
Zweitens hat Bönniger'das Blut in reiner isotonischer Glucoselösung
suspendiert. Wir haben in einer ausführlichen Arbeit in dieser Zeitschrift)
gezeigt, daß in solcher Lösung das hämolytische Verhalten der Körperchen
ganz anders wird, weil das hämolytische, an der Körperchenoberfläche ad-
sorbierte „Lecithin“ nicht ausgespült wird, das antagonistisch wirkende
Cholesterin aber wohl. Der Einfluß des „physiologisch“ hämolytischen
Komplexes wird dadurch so sehr gesteigert, daB Hämolyse erfolgen kann.
Fügt man aber zu der Glucoselösung etwas cholesterinhaltiges Serum, so
bleibt die Hämolyse aus.
Daß Kaninchen- und Hammelblut keine Hämolyse zeigten, findet
seine Erklärung in der Tatsache, daß diese Körperchen vorher mit iso-
tonischer NaCl-Lösung gewaschen worden waren; durch dieses Waschen
wird das „Lecithin“ von den Körperchen entfernt und das natürliche
hämolytische Komplex hat jetzt keinen oder geringen Einfluß.
Wir können also die Versuche Bönnigers nicht als Beweise für die
Glucosepermeabilität der Blutkörperchen betrachten und müssen unsere
Meinung, daß die Körperchen glucoseimpermeabel sind, aufrechterhalten.
1) Arch. internat. de physiol. 15, 105. 1919.
з) Diese Zeitschr. 100, 140. 1919.
3) Diese Zeitachr. 103, 306. 1920.
4) Arch. internat. de physiol. 15, 105. 1919.
5) Diese Zeitschr. 108, 35. 1920.
Uber die elektrosynthetische Darstellung der Tetradeka-
methylendikarbonsäure.
Von
Karl Stosius und Karl Wiesler.
(Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der Krankenanstalt
Rudolfstiftung, Wien.)
‚(Eingegangen am 10. Mai 1920.)
Aus der Wurzel der Thapsia garganica hat Canzoneri?)
eine zweibasische Säure C,,H,, (COOH), die Thapsiasäure,
isoliert. Dieser Körper ist insofern von Interesse, weil hier einer
der wenigen Fälle vorliegt, daB eine höhere Dicarbonsäure in
freiem Zustande im Pflanzenorganismus aufgefunden wurde.
Bougault?) hat dieselbe Säure durch Oxydation der Juniperin-
säure, einer natürlich vorkommenden Oxysäure, erhalten. An-
dererseits hat er die Juniperinsäure zu Palmitinsäure reduziert
und somit bewiesen, daß die Juniperinsäure bei normaler Kohlen-
stoffkette eine primär gebundene Hydroxylgruppe enthält, daB
ihr also die Formel COOH (CH,) CH, OH zukommt.
Daraus folgt aber auch, daß die Thapsiasäure eine normale
Kohlenstoffkette und zwei endständige Carboxylgruppen ent-
halten muß. Eine auf synthetischem Wege dargestellte n-Tetra-
decan-1-14-dicarbonsäure muß also damit identisch sein.
Crum Brown und James Walker?) haben folgende Dicarbon-
säuren mit normaler Kohlenstoffkette und mit den beiden Carbox ylgruppen
in &-w-Stellung auf elektrosynthetischem Wege dargestellt:
Adipinsäure aus Bernsteinsäure;
Korksäure aus Glutarsäure;
Sebacinsäure aus Adipinsäure;
Dekamethylendicarbonsäure aus Pimelinsäure;
Dodekamethylendicarbonsäure aus Korksäure;
Hexadekamethylendicarbonsäure aus Sebacinsäur>.
1) Gazz. chim. ital. 13, 514.
2) C. r. 150, 874. — С. 1910, I. 1890.
3) Ann. 261, 107. 1891.
76 K. Stosius und K. Wiesler:
Ausgehend von der Azelainsäure muß man dementsprechend zu der
gewünschten Dicarbonsäure COOH(CH,),,COOH gelangen.
Der Reaktionsverlauf bei diesen Elektrosynthesen entspricht, wie
C. Brown und J. Walker!) gezeigt haben, völlig der Bildung von ge-
sättigten Kohlenwasserstoffen bei der Elektrolyse von fettsauren Salzen,
7. В. 2CH,—COONa = 2 Na + 2 СО, + СН, — CH,,
wenn in der Dicarbonsäure eine Carboxylgruppe durch Esterifizierung gegen
die elektrolytische Spaltung geschützt wird. In diesem Falle verhält sich
dann die Gruppe C,H,OCO - (CH,), wie eine einfache Alkylgruppe, und die
Reaktion kann durch folgendes Schema ausgedrückt werden:
I. 2C,H,O-CO-(CH,),— COO - K = 2K’ + 2CO, + C H, O- CO(CH,),(CH,)p
CO. OC,H;.
Die Reaktion verläuft aber nur unter gewissen Bedingungen in diesem
Sinne. Das Anion kann nach Abgabe seiner Ladung an die Anode auch
in anderer Weise reagieren und zwar ergeben sich folgende weitere Möglich-
keiten des Reaktionsverlaufes im Anodenraum:
П. R. COO + НОН R. СООН OH,
III. 2 R. COO —> В. COOR + CO,,
IV. 2C,H.,41 COO —> CaH n + CnHan+ı COOH + CO,
Der unbeständige Säurerest reagiert also entweder mit einem Molekül
des Lösungswassers oder mit einem zweiten gleichartigen Atomkomplex.
Von den Versuchsbedingungen hängt es ab, welche dieser Reaktionen in
den Vordergrund tritt. Die Bedingungen, welche einzuhalten sind, um die
Reaktion in ersterem oder letzterem Sinne zu leiten, kann man sich folgen-
dermaßen zurechtlegen. Wenn im Anodenraume wenige Anionen neben
sehr vielen Molekülen des Lösungswassers vorhanden sind, mit anderen
Worten, wenn die Konzentration der Anionen klein ist, so ist die Wahr-
scheinlichkeit der Reaktion des entladenen Anions mit Wasser groß. Ist
aber die Konzentration der Anionen groß, so findet ein Anion nach der
Entladung relativ mehr gleichartige Atomkomplexe und weniger Wasser-
moleküle, so daß die Reaktion der Anionen miteinander wahrscheinlicher
ist. Diese Wahrscheinlichkeit wird noch erhöht durch die Unbeständigkeit
der entladenen Anionen; denn wenn ein Anion bei seiner Entladung in
seiner Umgebung einen gleichartigen unbeständigen Atomkomplex und
ein Wassermolekül vorfindet, so wird es bei sonst gleichen Bedingungen
mit der unbeständigen, d. h. reaktionsfähigeren Verbindung in Reaktion
treten.
Um eine Reaktion mit dem Lösungswasser zu vermeiden, ist es folg-
lich wichtig, daß die Ionenkonzentration im Anodenraume möglichst groß
sei. Dies erreicht man einerseits durch eine möglichst große Konzentration
des Elektrolyten und andererseits durch große Stromdichte an der Anode.
Die Konzentration des Elektrolyten ist aber nach oben begrenzt durch
den Löslichkeitsgrad der betreffenden Verbindung und ferner dadurch, daß
1) Ann. 261, 107. 1891.
Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 77
bei zu großer Konzentration die elektrische Leitfähigkeit zu klein wird
und das Bad auch zu heftig schäumt. Die hohe Stromdichte an der Anode
erreicht man durch hohe Stromstärke mit einer kleinen Anodenfläche. Mit
der Stromstärke steigt aber auch die Temperatur; und eine zu hohe Tem-
peratur begünstigt das Schäumen und bewirkt wahrscheinlich auch eine
Verseifung des gebildeten Esters durch die an der Kathode entstehende
Kalilauge. Um diese Wärme abzuleiten, ist daher eine wirksame Kühlung
zumal des Anodenraumes notwendig.
In der Malonsäurereihe verläuft die Reaktion, wenn man die ange-
führten günstigen Versuchsbedingungen schafft, recht glatt nach dem
Schema I. Dabei muß, wie erwähnt, eine der beiden Carboxylgruppen
durch Umwandlung in die Carbäthoxylgruppe gegen elektrolytische Spaltung
geschützt werden. Die hohe Löslichkeit der Kaliumsalze der Estersäuren
dieser Reihe in Wasser ermöglicht eine hohe Konzentration des Elektrolyten.
Bei großer Stromdichte tritt dann im wesentlichen folgende Reaktion ein:
2С,Н,0 - CO- (CHa: COOK — 2K’+2C0, + C,H,O- СО(СН,),
CO-. OCH,.
Im folgenden soll nun gezeigt werden, daß — wie zu erwarten
ist — bei der Elektrolyse des Estersalzes der Azelainsäure der
Tetradekamethylendicarbonsäureester entsteht.
C,H,O-CO-(CH,);-COOK С,Н;0. CO- (CH,),- CO
+ C,H;0 - CO. (CH,),- COOK .ОС,Н, + 2CO, + 2 K
Wir haben uns bemüht, die auf Grund obiger Erwägungen
günstigsten Versuchsbedingungen bei der Elektrolyse aufs ge-
naueste einzuhalten. Dabei verlief die Reaktion, wie sich zeigte,
im gewünschten Sinne und wir erhielten nach der Verseifung des
gebildeten Esters die Tetradekamethylendicarbonsäure. Die
gewonnene Menge dieser Säure war gering, weil schon das Aus-
gangsmaterial nicht gerade leicht in größerer Menge rein zu er-
halten ist und weil ferner die Ausbeute bei der Elektrolyse ziem-
lich niedrig war. Die Ausbeute bei der Elektrosynthese selbst
müßte sich jedenfalls noch bis zu einem gewissen Grade ver-
bessern lassen, wenn man unter Variieren von Konzentration,
Stromstärke, Spannung, Elektrodenoberfläche und Temperatur
verschiedene Versuche anstellte, um so die günstigsten Versuchs-
bedingungen empirisch zu ermitteln. Dies war uns aber nicht
mehr möglich, da das Ausgangsmaterial nur in beschränkter
Menge zur Verfügung stand,
Die erhaltene Dicarbonsäure erwies sich als identisch mit
der natürlich vorkommenden und der aus der Juniperinsäure
dargestellten Thapsiasäure.
78 | К. Stosius und К. Wiesler:
Experimenteller Teil.
Azelainsäure.
Die als Ausgangsmaterial benötigte Azelainsäure wurde aus Ricinusöl
dargestellt. Ricinusöl wurde verseift und die Ricinolsäure in alkalischer
Lösung der Oxydation mit Kaliumpermanganat unterworfen. Dabei hatten
wir Gelegenheit zu verschiedenen Beobachtungen über den Verlauf dieser
Reaktion, über welche in der Literatur nur eine kurze Angabe!) vorhanden ist.
Die Oxydation der Ricinolsäure in alkalischer Lösung mit Permanganat
ergab einige beachtenswerte Beobachtungen, über welche wir in einer
eigenen Abhandlung noch berichten werden.
Azelainsäurediäthylester.
Zur Veresterung wurden nach Miller?) 20 Gew. T. Azelainsäure (1Mol.)
mit 10 Gew.-T. Äthylalkohol (1 Mol.) und 1 Gew.-T. konz. Schwefelsäure
in einem Kölbchen am Rückflußkühler 20 Stunden lang mäßig gekocht.
Auf dem Wasserbade wurde dann der überschüssige Alkohol entfernt. Nach
Zusatz von 10 Gew.-T. Wasser und Mischen im Scheidetrichter wurde die
wässerige Schichte abgetrennt, der ölige Ester wurde mit schwacher Soda-
lösung bis zum Verschwinden der sauren Reaktion und dann rasch mit
kaltem Wasser gewaschen und schließlich mit Chlorcalcium getrocknet.
Wenn die Phasen sich zu langsam trennten, was besonders beim Waschen
mit Sodalösung zu Verlusten führen kann, so gelang es durch Zusatz von
etwas Äther und festem Kochsalz die Trennung sehr zu beschleunigen. Der
Ester wurde dann rektifiziert; er siedet unter Atmosphärendruck bei 291°.
Bei der Verbrennung gaben:
5,074 mg Substanz 11,831 mg CO, und 4,365 mg H,O.
In 100 Teilen:
| Gefunden: Berechnet für (CH,),(COOC,H,),
Co жө чыры ЛӘ Ла: 63,61 63,98
НЕ 9,63 9,84
20 g Azelainsäure gaben 18 р Diäthylester oder 90% vom Gewichte
der Azelainsäure. Die wässerigen Lösungen enthielten unveränderte Azelain-
säure, von der fast ?/, der ursprünglichen Menge zurückerhalten werden
konnte.
Halbverseifung des Azelainsäurediäthylesters.
_ Der Ester wurde mit der berechneten Menge alkoholischer Kalilauge
(1 Mol. KOH auf 1 Mol. Ester) auf einmal versetzt. Die Mischung erwärmte
sich und bald fiel das weiße Estersalz aus. Nach mehrstündigem Stehen
bei Zimmertemperatur wurde unter Durchleiten eines Kohlensäurestromes
auf dem Wasserbade bei vermindertem Druck bis fast zur Trockene ein-
1) Maquenne, Bl. (3) 21, 1061. 1899.
2) Ann. 307, 384
Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 79
седат pft. Der Rückstand wurde in kaltem Wasser aufgenommen, mit
Ather ausgeschüttelt und die wässerige Lösung dann unter Durchleiten
von CO, ganz zur Trockene eingedampft. Die Ausbeute betrug 80% der
Estermenge oder 72% des Gewichtes der Azelainsäure. Das Athylkalium-
salz ist weiß und in Wasser sehr leicht löslich; 2 Gew.-T. des Salzes werden
von 1 Gew.-T. Wasser auch in der Kälte noch leicht gelöst. Dieses rohe
Estersalz enthält noch etwas Dikaliumsalz und K,CO,. Eine weitere Reini-
gung ist aber nicht nötig, da diese beiden Salze nach Cr. Brown und
J. Walker bei der Elektrolyse nicht schaden, da sie dort als Nebenprodukte
auch entstehen.
Der getrocknete ätherische Auszug lieferte nach dem Abdestillieren
des Athers eine geringe Menge unverseiften Azelainsäurediäthylesters.
Ele ktros ynthese.
Die Apparatur zür Elektrolyse wurde auf Grund der diesbezüglichen
Angaben bei Cr. Brown und J. Walker!) zusammengestellt. Als Strom-
quelle diente StraBenstrom von 220 Volt Spannung. Mit Hilfe einer ein-
fachen Schaltung durchfloB der Strom zwei als Regulierwiderstände die-
nende Schieberwiderstände, ein Ampéremeter und die Zersetzungszelle,
deren Klemmenspannung durch ein Voltmeter gemessen wurde.
Als Zersetzungszelle verwendeten wir einen geräumigen Platintiegel mit
4, 5 ст oberem Durchmesser und вст Höhe, der mit dem negativen Pol leitend
verbunden war; ein spiralenförmig gewundener Platindraht bildete die Anode.
Beim ersten Versuch wurde der Tiegel in einem geeigneten Apparat
von flieBendem kalten Wasser umspült; dabei stieg die Temperatur im
Bade jedoch über 50° С, und es wurde beobachtet, daß gerade im Anoden-
raume die Temperatur am höchsten war. Um die gebildete Wärme von
hier wirksam abzuleiten, brachten wir für die folgenden Elektrolysen eine
besondere Kühlung der Anode an.
Während der Elektrolyse stieg die Temperatur Ge gut flieBender
Kühlung auch im Anodenraume nicht über 40°; im übrigen Tiegelraum
war sie erheblich niedriger. Die Stromstärke wurde auf 4—5 Ampere, die
Spannung auf 8—10 Volt gehalten.
28 g rohes Estersalz, gelöst in 28ccm Wasser, wurden 2,5 Stunden
lang elektrolysiert. Die Temperatur betrug 30—40° C. Zu Beginn der
Elektrolyse trat ein ganz feinblasiger Schaum auf und das Bad neigte zum
Überschäumen. Darum konnte anfangs nur eine Stromstärke von etwa
4 Ampere angewendet werden. Bald aber wurde der Schaum grobblasiger
und fiel leichter in sich zusammen; die Stromstärke konnte dann allmählich
auf 5 Ampere gesteigert werden. Um die Temperatur, die Stromstärke und
die Spannung innerhalb der gewünschten Grenzen zu halten, wurden deren
Werte nach jeder Viertelstunde gemessen und notiert.
An der Kathode entsteht KOH; es wird aber durch das an der Anode
gebildete CO, als K,CO, gebunden, welches sich bereits während der Elektro-
lyse in festem Zustande abscheidet.
1) Ann. %61, 107. 1891.
80 K. Stosius und K. Wiesler:
Gegen Ende der Elektrolyse wurde der Schaum sehr grobblasig und
nahm in der Mitte des Tiegels an Stärke ab, ohne aber ganz zu verschwinden.
Diäthylester der Tetradekameth ylendicarbonsäure.
Nach Unterbrechung des Stromes wurde der Tiegelinhalt in ein Becher-
glas gegossen; es schied sich eine schwimmende Ölschichte ab. Diese wurde
‚in Äther aufgenommen, die ätherische Lösung mit Chlorcalcium getrocknet
und der Äther dann auf dem Wasserbade abdestilliert. Es blieben 10,5 g
eines schwach gelblich gefärbten Öles zurück, das im Vakuum fraktioniert
destilliert wurde. Die bei einem Drucke von 10 mm Hg oberhalb von 200°
übergehende Fraktion erstarrte im Rohre und stellte den gewünschten Ester
dar. Dieser wurde durch Umkrystallisieren aus Athylalkohol gereinigt:
er siedet bei 230° bei 17 mm Hg. Bei Zimmertemperatur ist er fest, kry-
stallinisch, aber ohne deutliche Krystallform, weiß und von fettähnlicher
Konsistenz. | s
Die Verbrennung lieferte folgende Werte:
3,964 mg Substanz gaben 10,231 mg CO, und 3,901 mg H,O.
In 100 Teilen:
Gefunden: Berechnet für (CH,),,(COOC,H,),:
Ста d eg E я 70,41 70,18
H i oh Se Bd: Зе ws as 11,01 11,11
Es lag also der Diäthylester der Tetradekamethylendicarbonsäure vor.
Ausbeute 21% der Theorie.
Tetradeka meth ylendicarbonsaure.
Zur Verseifung des Esters wurde eine Lösung von 4 g Ester in wenig
Alkohol langsam zu einer siedenden alkoholischen Kalilauge zufließen
gelassen, die 2 g KOH enthielt, d. i. 3 Mol. KOH auf 1 Mol. Ester. Die
Mischung wurde dann noch 2 Stunden lang am Rückflußkühler gekocht
und hierauf zur Entfernung des Alkohols auf dem Wasserbade unter Wasser-
zusatz erwärmt. Das Kaliumsalz bildete auch nach dem Filtrieren und
Auskochen mit Tierkohle eine seifige Lösung.
Mit verdünnter Schwefelsäure wurde die freie Säure ausgefällt. Sie
wurde in Ather aufgenommen und nach dem Abdestillieren des Athers
umkrystallisiert. Zu diesem Zwecke lösten wir die Säure in wenig warmem
Alkohol und fügten auf dem Wasserbade vorsichtig Wasser hinzu, bis eine
geringe Trübung entstand, die sich durch einige Tropfen Alkohol wieder
löste. Beim Abkühlen fiel die Säure krystallinisch aus. Sie war aber noch
etwas gelblich gefärbt und schmolz unscharf bei 115,5 C.
Zur weiteren Reinigung behandelten wir die Säure im Extraktions-
apparate mit Petroläther (Sdp. 25—40°) und erhielten aus dem Petrol-
ätherextrakte eine rein weiße Substanz, die aber auch schon bei 118°
schmolz. Durch wiederholtes Lösen in verdünnter Kalilauge und Wieder-
ausfällen mit verdünnter Salzsäure, Filtrieren, Waschen mit Wasser und
Trocknen über Schwefelsäure im Vakuum wurde eine Substanz erhalten,
Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 81
die bei 123° schmolz. Die Säure war weiß, krystallinisch, aber ohne deut-
lich ausgeprägte Krystallform. Sie war unlöslich in Wasser, schwer löslich
in Petroläther, leicht löslich in Alkohol, Äther, Chloroform und Aceton.
Die Verbrennung ergab folgende Werte:
I. 3,29 mg Substanz gaben 8,101 mg CO, und 3,002 mg H,O.
П. 5,23 mg Substanz gaben 12,88 mg CO, und 4,95 mg H,O.
In 100 Teilen:
Gefunden: Berechnet für (CH,),,(COOH),:
I. П.
FF 67,17 67,19 67,13
Н. ss ee SH së a ж 10,21 10,59 10,49
Zur Titration wurde eine gewogene Menge in Alkohol, der zuvor
mit / - Natronlauge genau neutralisiert worden war, gelöst, und mit
1% Natronlauge titriert (Phenolphthalein als Indicator):
12,085 mg Substanz verbrauchten 5,84 ccm, berechnet: 5,92 ccm.
Der vorliegende Körper entsprach also der Formel:
COOH(CH,) „COOH.
Die Ausbeute, berechnet auf das Estersalz, betrug 12%, der Theorie,
Dieser Körper war, wie die oben angeführten Eigenschaften und die Analysen-
resultate bewiesen, identisch mit der von Canzoneri und von Bougault
beschriebenen Thapsiasäure.
Alle Analysen wurden nach Pregls mikroanalytischer Methode aus-
geführt,
Biochemische Zeitschrift Band 108. | 6
Die Fahigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit
| Phenolaldehyden.
Von
Otto Gerngross.
(Mitteilung aus dem techn.-chem. Institut der Technischen Hochschule,
Berlin. )
(Eingegangen am 12. Mas 1920.)
Mit 2 Abbildungen im Text.
Die Frage, ob die Gerbung tierischer Haut auf vorwiegend
chemischen oder rein physikalischen Vorgängen beruhe, ob das
Leder eine chemische oder eine reine ,,Adsorptionsverbindung?)‘*
zwischen dem Kollagen und dem Gerbmaterial sei, ob also die
Haut überhaupt bei der Gerbung eine chemische Veränderung
erleide, ist noch nicht entschieden.
Als das ausschlaggebendste Argument für die rein physi-
kalische Auffassung der Gerbvorgänge ist von den schärfsten
Vertretern der physikalischen Richtung der Haut sowie allen
ähnlichen hochmolekularen Geweben von kolloidalem Charakter
überhaupt die Fähigkeit, chemisch zu reagieren, abgesprochen
worden.
Eine große Rolle spielt in diesem Widerstreit der Meinungen
die Aldehydgerbung. Da festgestellt ist, daß die Haut durch
Formaldehyd eine Verminderung ihres Säureaufnahmevermögens
1) In engem Zusammenhang mit diesem Problem steht die Frage,
ob die Adsorption eine im wesentlichen nur von der Oberfläche der dispersen
Phase und nicht auch von ihren chemischen Eigenschaften abhängige
Erscheinung ist. In guter Übereinstimmung mit den Ansichten, daß die
Adsorption von Elektrolyten genau so verlaufe, wie sie nach der chemischen
Natur von Adsorbens und Adsorbendum zu erwarten ist (vgl. L. Michaelis
und Р. Rona, diese Zeitschr. 97, 57. 1919), stehen Versuche, die ich mit
Formaldehydleder gemacht habe (Colleg. Nr. 597, S. 2. 1920). Formaldehyd-
leder betätigt nämlich, da es infolge Ausschaltung basischer Gruppen im
Kollagen saurer als nicht vorbehandelte Haut ist, eine verminderte Ad-
sorption gegen Säuren und nach noch nicht veröffentlichten in Gemein-
schaft mit Herrn cand. phil. Loewe angestellten Versuchen eine erhöhte
Adsorption gegen Alkalien.
O. Gerngross: Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion usw. 83
erfährt!), wird von vielen Gerbereichemikern angenommen, daß
es sich in diesem Falle der Gerbung um eine chemische Wechsel-
wirkung handle, die ähnlich wie die Reaktion zwischen einer
Aminosäure und Formaldehyd verlaufe.
R-CH,—NH, R-. CH · N= СН,
|- + CH, O = | + H,O А
СООН COOH
Das verminderte Säureaufnahmevermögen wird durch Aus-
schaltung freier basischer Gruppen im Kollagen erklärt, und
diese Deutung kann als die wichtigste Stütze für die chemische
Theorie der Gerbung gewertet werden. Sie wird jedoch keines-
wegs widerspruchslos anerkannt. Yon manchen Chemikern wird
die Aldehydgerbung im wesentlichen mit einer Umhüllung der
Hautfaser durch. reaktionsträge Formaldehydpolymere erklärt,
welche auch die Ursache der verminderten Säureadsorption sein
sollen“).
In diesem Zusammenhang bietet das Studium der Einwirkung
des o-Protocatechualdehyds auf die Haut ein besonderes In-
teresse. |
Н. Pauly und К. Lockemann?), welche diesen Körper zuerst, und
zwar durch Verseifung des o-Vanillins®):
OCH,
-OH |
$ -COH Aig COH
o-Vanillin o-Protocatechualdehyd
dargestellt haben, beobachteten, daß er die Haut und tierische Faser gelb
färbt. Die Schiffschen Basen, welche er mit primären Aminen bildet,
sind jedoch intensiv farbig, so z. B. das Anil blaustichig scharlachrot.
Auf diese Tatsache macht Е. Stiasny°) aufmerksam. Er deutet an,
daß die Beobachtungen Pa ul ys vielleicht zu dem Schluß berechtigen, daß
der Aldehyd keine Verbindung vom Charakter einer Schiffschen Base
mit der Haut bilden könne. Moeller’) verwendet das gleiche Argument
1) Е. Stias ny, Colleg. 1908, S. 132; C. С. 1908, I, S. 2214. — О. Gern-
gross, Colleg. 1920, S.2. W. Fahrion, Colleg. 1920, S. 128.
2) Moeller, Colleg. 1918, S. 32.
3) Ber. 43, 1813. 1910.
4) Der Firma Haarmann & Reimer, Holzminden, und der Chem.
Fabrik v. Heyden, Radebeul, bin ich für die Schenkung von einmal 40
und einmal 100 g o-Vanillin, die mich in die Lage versetzte, diese Arbeit
auszuführen, zu ganz besonderem Dank verpflichtet.
5) Colleg. 1910, S. 301.
6) Colleg. 1918, S. 66; С. С. 1918, II, S. 234.
6*
84 O. Gerngross:
in einer späteren Arbeit und hält die von Pauly und Loc ke mann fest-
gestellte Eigenschaft des o-Protocatechualdehyds, die Haut bloß gelb zu
färben, mit Anilin jedoch eine scharlachrote Verbindung zu bilden, „für
einen vollwertigen Beweis dafür, daß keine Reaktion nach Art der Schiff-
schen Base stattgefunden hat und daB überhaupt keine chemische Reaktion
der Aldehyde mit der Haut vor sich geht...“
Nun besitzen aber die Schiffschen Basen, weiche Pauly
und seine Mitarbeiter dargestellt haben, als basische Komponente
nur primäre Amine der aromatischen Reihe, während die Amino-
säuren der Haut, Wolle usw. nur Amine aliphatischen Charakters
als Bausteine haben. Wenn tatsächlich auch diese Eiweiß-
spaltungsprodukte mit dem 2,3-Dioxybenzaldehyd Verbindungen
geben würden, deren Farbe wesentlich von der der Haut erteilten
abwichen, so wäre allerdings die Fähigkeit der Haut, mit Alde-
hyden zu reagieren, stark in Frage gestellt.
Zur Untersuchung dieser Frage stellte ich zunächst die
Schiffsche Base aus o-Protocatechualdehyd und Glycylglycinester
her, da das Kollagen der Haut ja als hauptsächlichsten Baustein
Glykokoll aufweist. Die Umsetzung zu der gewünschten Ver-
bindung geht bei leichtem Erwärmen in alkoholischer Lösung
glatt vonstatten.
Der neue Körper, eine schöne krystallinische Verbindung,
zeigt eine leuchtende goldgelbe Farbe, die eine große Ähnlichkeit
mit der o-Protocatechualdehyd - Hautfärbung, aber geringere
Intensität besitzt. |
Da ich festgestellt hatte, daß auch das o-Vanillin imstande
ist, die Haut zu färben, allerdings viel weniger echt und intensiv
als der o-Protocatechualdehyd — die Farbe ist grünstichig,
gelb — bereitete ich auch in analoger Weise die o-Vanillin-
Glycylglycinesterverbindung. Auch hier starke Ähnlichkeit mit
der entsprechenden Hautfärbung.
Ich wählte nun zu meinen weiteren Versuchen solche Ei-
weißbausteine, welche neben der aliphatischen Aminogruppe
auch eine aromatische Komponente enthielten, um von vorn-
herein dem Zweifel zu begegnen, daß vielleicht der Benzolkern
der Seitenkette einen wesentlichen Einfluß auf die Färbung der
Schiffschen Base auszuüben vermége. Mit 4-1 Phenylalanin-
ester entstanden sowohl mit o-Protocatechualdehyd als mit
o-Vanillin ölige Kondensationsprodukte, die ich bisher nicht zur
Krystallisation zu bringen vermochte. Dahingegen ergab der
-
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 85
Versuch mit o-Protocatechualdehyd und l-Tyrosinmethylester!)
eine prächtige krystallinische eigelbe Schiffsche Base. Also selbst
eine auxochrome Phenolgruppe in der Seitenkette ist nicht im-
stande, die Farbe über Eigelb hinaus zu vertiefen und ich denke,
daß damit die Einwände, welche unter Hinweis auf die Ver-
schiedenheit der Hautfärbungen und der Farbe der von Pauly
dargestellten Schiffschen Basen gegen die Reaktivität des Kol-
lagens gemacht wurden, als erledigt zu betrachten sind.
Da durch die Paulysche Reaktion nachgewiesen ist, daß
in der Haut eine reaktive freie Imidogruppe, nämlich die des
Histidins vorhanden ist?), versuchte ich, ob vielleicht diese mit
dem Aldehyd zu reagieren vermag und also für die Hautfärbung
mit den beiden Körpern verantwortlich zu machen wäre. Ver-
schiedene Versuche, den o-Protocatechualdehyd mit freier Imid-
azolbase oder dem &-Exo-benzoyl-Histidinester®) in Reaktion zu
bringen, hatten jedoch keinen Erfolg. Falls also — was ich je-
doch, wie weiter unten auseinandergesetzt wird, auch nach meinen
bisherigen Untersuchungen nicht für erwiesen halte — die frag-
liche Hautfärbung wirklich durch Bildung von Schiffschen Basen
zu erklären wäre, müßte man mit einiger Bestimmtheit die An-
wesenheit freier primärer Aminogruppen im Kollagen an-
nehmen.
Aber schon die bloße Beobachtung der Färbung, welche so-
wohl der o-Protocatechualdehyd wie das o-Vanillin auf der Haut
hervorrufen, sind geeignet, einigen Aufschluß für die Beant-
wortung der Frage zu geben, ob die Haut zu chemischen Re-
aktionen befähigt ist oder nicht. Während der o-Protocatechual-
dehyd schwefel- also fahlgelb, seine Lösungen im Wasser und in
Alkohol nur unbedeutend gelbgefärbt sind, zeigt Hautpulver“),
das mit solehen Lösungen geschüttelt wird, eine leuchtend gold-
gelbe Farbe. Papier und Baumwolle zeigen diese auffallenden.
Färbungen nicht. Ähnliches, wenn auch in etwas geringerem
1) Tyrosin ist im Kollagen nicht enthalten, was für die hier zu ent-
scheidende Frage unwesentlich ist.
2) О. Gerngross, Colleg. 1920, S. 2.
3) O. Gerngross, Zeitschr. f. physiol. Chemie 108, 56. 1919.
) Es wurde zu diesen und den folgenden Versuchen das für Gerbstoff-
analysen gebräuchliche Hautpulver der deutschen Versuchsanstalt für Leder-
industrie in Freiberg in Sachsen verwendet.
86 O. Gerngross:
Maße, gilt auch für o-Vanillin. Es handelt sich also hier offenbar
um keine einfache Adsorptionserscheinung, sondern um eine
chemische Reaktion, wie sie von R. Nietzki und E. Burck-
hard!) und P. Pfeiffer und F. Wittka®) an Wolle und Seide
mit ammoniakalischer Fuchsin- und essigsaurer Tetrabrom-
phenolphthaleinesterlösung beobachtet wurde.
Wenn nun tatsächlich im Formaldehydleder ein Teil der
reaktiven basischen Gruppen der Haut besetzt und ausgeschaltet
ist, so sollte dieses Leder nur in geringem Maße oder gar nicht
mehr imstande sein, mit den Phenolaldehyden unter Farbstoff-
bildung zu reagieren, wenn man annimmt, daß diese freien ba-
sischen Gruppen die Vorbedingung für die Hautfärbungen mit den
Aldehyden sind. |
Eine Reihe von Versuchen ergab auch wirklich in ganz un-
verkennbarer Weise, daß sich das mit Formaldehyd vorbehandelte
Hautpulver nur ganz schwach im Vergleich zu gewöhnlichem
Hautpulver mit den beiden Phenolaldehyden färbt. Die Färbung,
die auch bei dem Formaldehydlederpulver auftritt, ist leicht
auswaschbar und zeigt nur die unscheinbare Körperfarbe der
Aldehyde und nicht den leuchtenden gelben Ton der normalen
Hautfärbung. |
Ich versuchte ferner, ob sich das Formaldehydleder auch
durch geringere Farbstoffbildung mit diazobenzolsulfosaurem
Natrium?) auszeichne. Das wäre im bejahenden Falle ein Be-
weis dafür gewesen, daß in diesem Leder auch die basische Imido-
gruppe des Imidazolringes substituiert und für die Farbstoff-
bildung ausgeschaltet sei. Nach meinen oben mitgeteilten Ver-
suchen mit Imidazol und o-Protocatechualdehyd war das von
vornherein wenig wahrscheinlich. Es erwies sich auch tatsäch-
lich, daß die formalinbehandelte und die nicht präparierte Haut
in ganz gleicher Weise mit der Diazolösung kuppelte. Ich glaube,
daß dies zugleich ein neuer Beweis gegen die Panzertheorie der
Aldehydgerbung 186%), welche u.a. das verminderte Aufnahme-
vermögen des Formalinleders in bezug auf Säuren durch eine
schützende Hülle von Formaldehydpolymeren erklärt, welche im
1) Ber. 30, 175. 1897.
2) Chem.-Ztg. 40, 357. 1916.
3) Colleg. 1920, S. 2.
4) Moeller, Colleg. 1918, S. 32, 345.
Fuhigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 87
Formaldehydleder die Hautfaser umkleiden soll. Diese Hülle
sollte, wenn sie wirklich bestände, doch in gleicher Weise wie
gegen Säuren auch gegen die Diazolösung Schutz bieten.
Interessant war es endlich zu untersuchen, ob der o-Proto-
catechualdehyd auch gerbend wirken könne. Es zeigte sich, daß
er in schwach sodaalkalischer Lösung!), welche für die Durch-
führung der Aldehydgerbung unerläßlich ist, Hautpulver bis zu
der allerdings nur geringen Wasserbestandigkeitszahl?) 20 gerbte.
Mit einer Kaninblöße ergab sich ein verhältnismäßig gutes und
nach dem Stollen schmiegsames, braungelbes Leder, das, seit
einem Jahre aufbewahrt, sich nicht veränderte..
Es war jedoch von vornherein fraglich, ob die Aldehyd-
gruppe oder die o-Dioxygruppe in dem Phenolaldehyd als Trägerin
der Gerbwirkung anzusprechen sei, denn es ist bekannt, daß
Benzaldehyd keinerlei Gerbwirkung entfaltet, und ich habe dies
durch verschiedene Versuche bestätigt gefunden, während das
Brenzcatechin®), das 1—2 Dioxybenzol, gerbende Eigenschaften
besitzt. Da nun unser Aldehyd ein Dioxybenzaldehyd ist, war zu
vermuten, daß auch in ihm die Dioxygruppe für die Gerbung
verantwortlich zu machen sei. Ein vergleichender Gerbversuch
mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd ergab die Richtigkeit
dieser Schlüsse, denn o-Vanillin, das wohl die Aldehyd- aber
keine Dioxygruppe besitzt, gerbt nicht und ein ähnlicher Versuch
mit Guajacol und Brenzcatechin, die im selben Konstitutions-
verhältnis zueinander stehen wie o-Vanillin und o-Protocatechu-
aldehyd, brachte eine weitere Stütze für diese Anschauung.
Es ist auch durchaus möglich, daß auch die Ursache für die
Färbung der Haut durch die Phenolaldehyde nicht im Aldehyd-
charakter, sondern im Phenolcharakter dieser Verbindungen zu
suchen, daß also die Färbung durch Salzbildung und nicht durch
die Entstehung einer Schiffschen Base veranlaßt ist, was von
den Autoren, die sich bisher mit dieser Frage beschäftigten, nicht
beachtet wurde. |
1) J. und Е. Pul mann, D. R. P. 111 408. 1898; Chem. Centralblatt
1900, II, S. 609; Colleg. 1920, S. 8.
) W. Fahrion, Chem.-Ztg. 32, 888. 1908.
3) В. О. Herzog, J. Adler, Kolloid-Zeitschr. 2, Suppl.-Heft II. 1908.
— L. Meunier, A. Seyewetz, D. R. P. 206957; Chem. Centralblatt
1909, I, S. 1212.
88 O. Gerngross:
Die Färbeversuche mit Formaldehydleder sind zwar ein neuer
und sicherer Beweis dafür, daß reaktive basische Gruppen des
Kollagens und zwar wahrscheinlich Aminogruppen durch Formal-
dehyd ausgeschaltet werden — der Imidazolring bleibt intakt —,
daß also die Haut mit ihren basischen Gruppen ähnlich wie eine
Aminosäure reagiere. Aber diese Ausschaltung der basischen
Gruppen verhindert in gleicher Weise die Salzbildung wie die
Bildung Schiffscher Basen, so daß für die unmittelbare Ent-
scheidung der Frage Salzbildung oder Schiffsche Basen-
bildung nichts gewonnen ist.
Ich habe daher, um vielleicht auf anderem Wege einer
Lösung dieser Frage näherzukommen, Adsorptionsversuche mit
Hautpulver und den beiden Phenolaldehyden gemacht. Diese Ver-
suche mußten aus im experimentellen Teil angeführten Gründen
auf ziemlich verdünnte Lösungen beschränkt bleiben und ergaben,
daß in sehr niedrigen Konzentrationsgebieten sich die Phenol-
aldehyde zwischen Haut und der wässerig-alkoholischen Lösung
der Freundlichschen!) Adsorptionsisotherme = gc ent-
sprechend verteilen. = |
Aber schon bei Gleichgewichtskonzentrationen von etwa
0,007 Milliäquivalenten im Kubikzentimeter angefangen, kriimmt
sich die durch Logarithmen der Werte von c und = - erhaltene
Gerade und zeigt die Tendenz, sich zur log. c-Achse parallel zu
stellen — eine Erscheinung, wie wir sie auch bei der Aufnahme
von Salzsäure aus wässeriger Lösung durch Haut, die als chemische
Reaktion?) aufzufassen ist, sehen (vgl. die Abbildungen im ex-
perimentellen Teil), während organische Säuren genau der Iso-
therme folgen®).
Interessant ist es aber, daß sich bei den größten Verdün-
nungen, in denen sich das typische Bild der , Adsorption“ ergibt,
die mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd behandelte Haut
deutlich die wiederholt beschriebene durch bloße „Adsorption“
nicht erklärbare Änderung der Farbennuance zeigt. Ohne Frage
1) H. Freundlich, Zeitschr. f. physikal. Chemie 57, 386. 1907.
2) V. Kubelka, Kolloid-Zeitschr. 19, 172. 1916. — H. R. Procter,
Kolloidchem. Beihefte 2, 250. 1911. Н. В. Procter, J. A. Wilson.
Journ. Chem. Soc. 109, 307. 1916.
3) V. Kubelka, Colleg. 1915, S. 389.
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 89
ist dies so aufzufassen, daß trotz Adsorptionsisotherme auch in
diesen niedrigsten Konzentrationsgebieten eine chemische Re-
aktion zwischen Haut und den Phenolaldehyden stattfindet.
Versuche.
In Gemeinschaft mit Dr. A. Ritter.
Zur Darstellung des o-Protocatechualdehyds aus dem o-Vanillin ver-
wendeten wir die vorzügliche Entmethylierungsmethode mit 48 proz. Brom-
wasserstoffsäure und heißem Eisessig, die Pauly, K. Schübel und K.
Lockemann!) mitgeteilt haben. Bei genauer Einhaltung der beschrie-
benen Versuchsbedingungen gelingt es leicht, die von den Autoren ange-
gebene Ausbeute an Dioxybenzdaldehyd zu erreichen, doch stellte es sich
heraus, daß man sie durch Verwendung von größeren Mengen Bromwasser-
stoffsäure noch etwas steigern kann. Wir verwendeten auf 40 р o-Vanillin
66 ccm Bromwasserstoffsäure (statt 45,6 ccm), d. i. etwa 2,2 Mol. und
erhielten 22 g der reinen Verbindung vom Schmelzpunkt 107°, а. і. etwa 600
Ausbeute?).
2-Oxy-3-methoxy-benzyliden-glycylglycinath ylester.
(ОН). (CH,0) - CH; CH N. CH,-CO-NH-CH,-COO-C,H;.
l g o-Vanillin, (2/300 Mol.) werden in 3,5 cem absolutem
Alkohol bei mäßiger Wärme gelöst und mit einer filtrierten
Lösung von 1,07 g (2/300 Mol.) Glycylglycinäthylester in 8 ccm
absolutem Alkohol versetzt. Beim Abkihlen erstarrt die Lésung
zu einem Brei gelber Nadelchen. Sie werden mit einem Gemisch
von Alkohol und Ather gewaschen und bei 90° getrocknet. Aus-
beute 1,5 g. `
Die Substanz schmilzt bei 118°. Beim weiteren Umkrystalli-
sieren, das bequem aus der 7,5fachen Menge heißen Alkohols
durchführbar ist, ändert sie den Schmelzpunkt nicht mehr.
0,1452 g Substanz, 11,6ccm N; 15° C; 763 mm.
C,4H,,N.0,, ber.: N. 9, 52%
gef.: N. 9,51%.
Sie krystallisiert in Gestalt langer, hellgelber, seidenglänzen-
der Nadeln, die sich beim Liegen an der Luft allmählich etwas
dunkler färben. Sie ist auch in kaltem Wasser etwas löslich und
1) Annalen d. Chemie 383, 312. 1911.
2) In der Arbeit ist angegeben, daß auf 50g o-Vanillin die theo-
retische Menge 40 proz. Bromwasserstoffsäure, d. i. 57 ccm, benötigt werde.
Die berechnete Menge wäre aber bloß etwa 37 ccm, die sicher nicht aus-
reichen würden, um die in der Arbeit angeführte Ausbeute zu erreichen.
90 О. Gerngross:
zwar mit grünlichgelber Färbung und schwach saurer Reaktion
gegen Lackmus. Aus der etwa 60fachen Menge siedenden Wassers
läßt sie sich ohne Zersetzung umkrystallisieren. Beim langen
Kochen (über !/, Stunde) wird die Lösung jedoch zersetzt unter
Bildung harziger Produkte. `
2,3-Dioxy-benzvliden-gl ycylglycinester.
(ОН), · CH,. CH N. CH,. СО. NH. CH.. COO- C,H; .
2,76 g o-Protocatechualdehyd und 3,2g Glycylglycinester
werden, in je 10ccm warmen Alkohols gelöst, gemischt. Die
Lösung färbt sich intensiv goldgelb und alsbald scheiden sich
goldgelbe Krystallflitter ab. Sie schmelzen bei 125° und zeigen
die merkwürdige Eigenschaft, bei weiterer Reinigung durch
Umkrystallisieren einen niederen Schmelzpunkt nämlich von
1201/,° anzunehmen. Ausbeute an reinem Produkt vom kon-
stanten Schmelzpunkt nach einmaligem Umkrystallisieren aus
der 6—7fachen Menge Alkohol 4,5 g. Für die Analyse wurde bei
90° getrocknet. |
0,1399 g Substanz, 0,2830 g CO,; 0,07488 H,O I
0,1504 g Substanz, 0,3076 g CO,; 0,0829 g H,O II
0,1386 р Substanz, ?1,8 cem N; 14°C; 761 mm.
‚ Uys3H,.N,0;, gef.: I. 55,56% С; 5,98% Н; 10,14% N.
gef.: II. 55,78% C; 6,16% Н.
ber.: 55,68% C; 5,76% Н; 10,00% N.
Die Substanz krystallisiert in Gestalt goldgelber Platten
mit atlasartigem Glanz. Der Vergleich der Färbung ihrer Lösung
in neutralen Mitteln mit der durch Protocatechualdehyd hervor-
gerufenen Hautfärbung ergibt eine geradezu verblüffende Uber-
einstimmung. Sie ist spielend leichtlöslich in Aceton, leicht-
löslich in Essigester und in Eisessig, schwer löslich selbst ih
kochendem Ather, unlöslich in Petroläther, der sie unverändert
aus einem Ather-Eisessiggemisch auszufällen vermag. Auch aus
kochendem Wasser, dem sie saure Reaktion gegen Lackmus-
papier erteilt, läßt sie sich bei etwas rascherem Arbeiten unver-
ändert umkrystallisieren, 5 Minuten langes Kochen bewirkt je-
doch bereits nicht unwesentliche Verharzung.
Gegen kalte Alkalien ist die Verbindung relativ beständig,
sehr unbeständig gegen Säuren. Verreibt man z. B. 0, 84 g mit
3 com n- Salzsäure, das ist die auf 1 Mol. berechnete Menge, so
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 91
entsteht ein Brei gelber Nadeln, die sich als o-Protocatechualdehyd
vom Schmelzpunkt 107° erweisen. |
Schittelt man 0,56 der Schiffschen Basen mit !/, Liter
15е n-Essigsäure, das ist die fünffache molare Menge, so entsteht
nach kurzer Zeit eine fast farblose Lösung, aus der durch Aus-
schütteln mit Äther 0,25 g, also fast die theoretisch zu erwartende
Menge reinen o-Protocatechualdehyds gewonnen werden kann.
2,3-Dioxy-benzyliden-1-tyrosinmethylester.
(ОН), - C. H.. СН = №. СН. (CH.. C,H, OH). COO. CH,.
2,76 р Aldehyd und 3,9 р Tyrosinester!) werden іп je 10 ccm
40 proz. wässerigem Äthylalkohol miteinander gemischt. Beim
Erkalten entsteht eine ölige und eine wässerige Schicht, die, wenn
kein Impfmaterial zur Verfügung steht, erst nach längerem
Stehen krystallisieren. Man wäscht mit 40 proz. Alkohol, trocknet
auf Ton und krystallisiert aus 25 cem 50proz. Alkohol unter
mäßigem Anwärmen um. Ausbeute 4g, Schmelzpunkt 143 bis
144° zu klarem, orangeroten Öl.
Für die Analyse wurde bei 100° getrocknet:
0,1472 g Substanz, 0,3495 g CO,; 0,0741 g H,O.
0,1897 g Substanz, 6,8 cem N; 10° С; 760 mm.
CI: HzO, N, ber.: 64,73%, C; 5,44% Н; 4,45% N.
gef.: 64,75% С; 5,63% Н; 4,32% N.
Die Substanz krystallisiert in Form eigelber vierseitiger
Prismen und Platten. Ihre Farbe ist etwas heller als z.B. die
des o-Nitroanilins.
In Wasser ist der Ester so gut wie unlöslich, leichtlöslich in
Alkohol, Aceton und Chloroform, weniger in siedendem Benzol
oder Äther, unlöslich in Petroläther. Ein Versuch mit Essig-
säure, der analog dem bei dem Glycylglycinester mitgeteilten.
jedoch mit 3 Mol. bloß "/ „Säure durchgeführt wurde, ergab,
daß sogar diese geringe Konzentration einer so schwachen Säure,
wie es die Essigsäure ist, genügt, um die Schiffsche Base voll-
kommen in ihre Komponenten zu zerlegen.
1) Die beiden Substanzen lagen 14 Tage nebeneinander im Exsiccator,
wobei sich der ursprünglich farblose Ester dunkelgelb färbte.
92 О. Gerngross:
Farbeversuche mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd.
8 g nichtchromiertes Hautpulver der Freiberger Versuchs-
anstalt werden / Stunde mit 120 cem Wasser gequollen und
nach und nach mit 40 cem 35 proz. Formaldehyd, der mit Soda-
lösung schwach alkalisch gegen Phenolphthalein gemacht worden
war, versetzt. Nach 24stündigem Stehen wird abgesaugt, das
Formaldehydlederpulver mehrere Tage an der Luft getrocknet.
Je 0,5g dieses Lederpulvers und des nicht vorbehandelten Haut-
pulvers werden in Reagensgläsern mit 8 cem destilliertem Wasser, das mit
je 2 cem einer 7,5 proz. alkoholischen o- Vanillin- oder o- Protocatechualdehyd-
lösung versetzt ist, unter zeitweisem Schütteln ½ Stunde stehen gelassen.
Die Lösungen mit den Hautpulver- und Lederpulverproben zeigen zunächst
keinen Unterschied, sie sind kaum merklich gelb gefärbt. Nach wenigen Se-
kunden zeigt sich jedoch eine rasch zunehmende Vertiefung und Veränderung
des Farbentones bei den nicht präparierten Haut pulvern, während die Leder-
pulver unverändert bleiben. Nachdem man unter öfterem Umschütteln eire
Stunde stehen gelassen, nutscht man die Proben auf Trichternutschen ab
und kann dann bequem die Farben der zusammengepreBten Fasern ver-
gleichen. Es ist bemerkenswert, daß die Filtrate der Haut proben mehr entfärbt
sind als die der Lederproben, entsprechend der stark verminderten Aufnahme-
fähigkeit der letzteren für die beiden Phenolaldehyde.
Verschiedene dieser Pröbchen werden dann im Reagensglas mit je
25 cem Wasser oder 25 ccm /ο⁰-Sodalösung oder 1/100 - Essigsäure ver-
setzt und unter Schütteln 1 Stunde stehen gelassen, dann abgenutscht.
Es zeigt sich, daß in allen Fällen die einfach durch Aufsaugen der Farbstoff-
lösungen entstandenen schwachen Färbungen des Aldehydleders sich
bereits durch die geringen Mengen des angewandten Waschmittels glatt
auswaschen lassen, die Farbe der Haut jedoch nicht. Nur die o-Vanillin-
hautfärbung, die überhaupt weniger bedeutend und echt ist als die mit
o-Protocatechualdehyd, erweist sich als sehr wenig säurebeständig.
Tabelle I.
| | o-Protocate-
o-Protocate- | o-Vanillin chualdehyd
huadoh (be ee Fe ы
с у | nach Waschen m. 25 ccm Wasser
|
= e me ee —— EH
Hautpulver | grüngelb
Formaldehyd- ` blaßgelb
lederpulver |
| ыы
o Vanillin
|
a
goldgelb grüngelb | goldgelb
schwefelgelb farblos fast farblos
|
Farbeversuch mit Diazobenzolsulfosäure.
Је 0,5 g des Formaldehydlederpulvers und des Hautpulvers
werden in Reagensgläsern mit 8ccm Wasser gequollen, dann mit
2 ест 2 n-Sodalésung und mit 2 cem einer fast farblosen Lösung
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 93
von 0,19 р Diazobenzolsulfosäure in 20 ccm Wasser versetzt.
Beim Umschütteln entstehen innerhalb einiger Sekunden in bei-
den Proben das Maximum einer tiefen blutroten Färbung. Sie
ist absolut wasserfest; beim Ansäuren schlägt sie in Orangegelb
um und wird durch Alkalischmachen in alter Stärke wieder her-
vorgerufen. Ein wesentlicher Unterschied des Azofarbstoffes des
Formaldehydleders von dem der Haut kann nicht festgestellt
werden.
Gerbversuche mit o-Protocatechualdehyd und o-Vanillin.
41 g einer mit Arsensulfid und Kalk geschwödeten und mit
Oropon gebeizten Kaninblöße werden in 60 cem Wasser mit einer
Lösung von 0,5 g o-Protocatechualdehyd in 20 cem Alkohol und
mit ca. 7ccm n-Sodalösung allmählich versetzt und unter zeit-
weiser Bewegung etwa 24 Stunden stehengelassen.
Die Probe hat vollständig den blößenhaften Charakter: ein-
gebüßt und läßt sich wie Formaldehydleder auspressen. Nach
einigem Wässern wird sie getrocknet und erweist sich nach dem
Stollen als ein nur wenig blechiges, braungelbes Leder von ver-
hältnismäßig vollem Griff. Läßt man bei diesem Versuche die
Sodalösung fort, so ist die Gerbwirkung beträchtlich geringer.
Eine mit o-Vanillinlösung genau ebenso behandelte Blöße
ergibt ein pergamentartiges, durchaus ungegerbtes Produkt.
Zur Bestimmung der Wasserbeständigkeit nach Fahrion!) werden vier
verschiedene Proben von je 10 g Hautpulver in 84ccm Wasser mit äqui-
valenten Mengen von o-Protocatechualdehyd (0,548 g), o-Vanillin (0,608 g),
Brenzcatechin (0,44 g) und Guajacol (0,496 g) in 36 ccm Alkohol versetzt
Tabelle II.
Hautpulver | Wasser | Asche | j GE W. B. Farbe der Haut-
behandelt mit 9% о | оу, | pulverproben
o-Protocatechual-! 15,7 2,7 ЖҮ: orangegelb
dehyd (0,548 g)
o- Vanillin 15,8 1,6 82,5 gelb
(0,608 g) | „
o-Brenzcatechin ; 17,1 | 1,9 43,8 graubraun
(0,44 g) i d
e-Guajacol | 179 | 18 81,3 | e | farblos
(0,496 р) |
1) Chem.-Ztg. 32, 888. 1908. — Procter, Taschenbuch f. Gerberei- `
chemiker 1914, S. 210.
94 O. Gerngross:
und allmählich 35 ccm einer etwa /- Sodalösung zugegeben. Nach
24stündigem Stehen wird abgesaugt und jedesmal mit rund 61 Wasser
gewaschen, an der Luft konstant getrocknet, Asche und Wassergehalt
bestimmt. Die o-Protocatechualdehyd- und Brenzcatechinproben sind durch
den bloßen Augenschein durch größeres Volumen, Elastizität und wolle-
artiges Aussehen als gegerbt von den ungegerbten bröseligen o-Vanilin-
und Gusjacolproben zu unterscheiden.
Adsorptionsversuche.
Die Aufnahme der beiden Phenolaldehyde durch die Haut
läßt sich quantitatv sehr bequem verfolgen, da beide in 20 proz.
alkoholischer Lösung gegen Phenolphthalein mit Barythydrat wie
einbasische Säuren titrierbar sind!). Diese Methode ist jedoch
für konzentriertere Lösungen nicht anwendbar. Denn schon
eine 0,12 Grammäquivalente im Liter enthaltende Lösung der
beiden Phenolaldehyde verbraucht bei der Titration gegen
Phenolphthalein nur etwa 90% der berechneten Menge an 2/,,-
Barytlauge. Man muß daher vor dem Titrieren die Flüssigkeit
stets auf etwa 0,025 п mit 20 proz. Alkohol verdünnen. Ich habe
aus diesem Grunde diese Untersuchung nur in niedrigen Kon-
zentrationsgebieten durchgeführt, da außerdem auch wegen der
Kostbarkeit des Materials das Arbeiten mit starken Lösungen
sich nicht gelohnt hätte, und die Resultate auch ohnedies ein
genügend klares Bild ergeben.
Die Versuche wurden so angestellt, daß die aus den Tabellen ersicht-
liohen Hautpulvermengen mit 100 cem der Phenolaldehydlösungen in 20-
bis 35proz. Alkohol eine bestimmte Zeit geschüttelt, dann die Lösungen
— zwecks Ausschaltung der Adsorption von seiten des Filterpapiers unter
Verwerfung der ersten 10ccm — über einer Wittschen Platte vorsichtig
abgesaugt wurden. In aliquoten Teilen der vorher wie eben beschriebenen
verdünnten Ausgangslösung und des Filtrates wurde nach Zusatz von
2 Tropfen Phenolphthalein mit ®/,)-Barytlauge die Anfangskonzentration
und die Gleichgewichtskonzentration nach dem Schütteln ermittelt. Dar-
aus ließ sich die Adsorption x und aus der Trockensubstanz des angewendeten
Hautpulvers die Werte von Z errechnen. Das unchromierte weiße Haut-
pulver, das wir gleichmäßig für alle Versuche verwendeten, entstammte
. der Versuchsanstalt in Freiberg in Sachsen und enthielt 13,45%, Wasser
und 0,23% Asche.
Es wurde zunächst die zur Einstellung der Gleichgewichte
zwischen Hautpulver und Phenolaldehydlösung nötige Zeit er-
1) Н. Pauly, K. Schübel, K. Lockemann, Annalen d. Chemie
383, 289. 1911.
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 95
mittelt. Dabei stellte sich heraus, daß unabhängig von den an-
gewandten Konzentrationen die Gleichgewichte nach spätestens
1 Stunde’) erreicht waren und sich alsdann nicht mehr änderten.
Tabelle III.
100 cem o-Vanillinlösung
Anfangskonzentration
| Anfangskonzentration
a | у == 0,00945 п Fehler-
Minuten | Hautpulver- | Gleichge- Hautpulver- | Gleichge- ЁТӨПТӨ
trocken- wichtskonzen ] trocken- ichtekonzen-
КЕ ‚substauz in g| tration e Fil substanz in g| tration c = 8
15 4,3225 0,00825 а g
30 4,3225 0,00734 183 8
5 H
120 43225 | 0,00730 |285
240 41.3225 0,00384 4,3225 0,00730 на
Tabelle IV.
100 сеш o-Protocatechualdehydlésung
Schüttel- Anfangskonzentration у = 0,006 п Fehl
dauer in | Hautpulver- | Gleichgewichts- ` єп өг
Minuten trookensubstanz | konzentration grenze
ing с =
5 | 4,3225 0,00399 8 8
15 4,3225 0,00349 (LEE
30 || 4,3295 0,00340 | sgp?
DU 4.3225 000335 = 238
120 4,3225 0,00335 HS
Es wurde nun untersucht, ob die Reaktion zwischen Haut
und den Phenolaldehyden in wässeriger alkoholischer Lösung
reversibel ist. Dabei ergaben sich gut definierte, von beiden Sei-
ten erreichbare Gleichgewichte, so daß wir sicher sein konnten,
daß irgendwelche störende Zersetzungen oder Nebenreaktionen
nicht eingetreten waren. (Tabelle V u. VI.) |
Die Methodik war die von H. Freundlich?) für solche Zwecke an-
gegebene. Eine bestimmte Menge Hautpulver wurde einmal mit 100 ccm
einer bestimmten Anfangskonzentration 2 Stunden geschüttelt, alsdann die
Gleichgewichtskonzentration I bestimmt. Eine zweite Probe wurde mit
50 cem einer Lösung von genau der doppelten Konzentration 2 Stunden
1) Mit Phenol stellt sich das Gleichgewicht viel rascher ein; mit einer
0,01n-Phenollösung ist die Reaktion schon in 5 Minuten beendet. R. O.
Herzog, J. Adler, Kolloid-Zeitschr. 2, Suppl. II, S. 3. 1908.
2) Zeitschr. f. physikal. Chemie 57, 386. 1907.
96 О. Gerngross:
geschüttelt, diese Mischung alsdann mit 50 ccm Wasser verdünnt, und weiter
geschüttelt. Die nach dieser Zeit ermittelte Gleichgewichtskonzentration II
stimmte innerhalb der Fehlergrenze mit der Gleichgewichtskonzentration I
überein.
20 vol.-proz. Alkohol
verdünnt, eine Stunde
weitergeschütteit
Tabelle V.
| Е
Ab- Haut- Bee Fehler- Bemerkungen und
Gelöster | Kr үз Race Sege Anfangskonzentrationen
Stoff „ Мааш. = у in Milldquivalenten
| Hautpulver substanz Se 1 für pro ccm
| in g in g pro cem e
МУШТУУ ee E el
o-Vanillin 5 0,00181 | Mit 100ccm Lösung von
in 20 vo- у = 0,0025 zwei Stunden
lumpro- 2 geschüttelt
ti | 5 4,3225 | 0,001905 0,0009 Mit 50 cem Lösung von
2епивег | Milliäqui- | »=0,0050 eine Stunde
alkoholi- | valente geschilttelt, dann mit
scher pro ccm 50 ccm 20 vol.-proz.
Lösung | | Alkohol verdünnt und
| | eine Stunde weiterge-
| | schüttelt
5 4.3295 0.00384 Mit 100 ccm Lösung von
| : ‚00 y=0,006 zwei Stunden
| geschiittelt
| 5 4,3225 | 0,00381 | 0,00009 | ане 50 ccm Lösung von
Milliäqui- | y=0,01 eine Stunde
| valente geschüttelt, dann mit
| ; 50 ccm 20 vol.-proz.
ro ccm
| H Alkohol verdünnt und
i eine Stunde weiter-
| | geschüttelt
Tabelle VI.
nn е Sg Gleich- ССЗ
Ab- Haut- i
i gewichts- Bemerkungen und
Gelöster | меле: сет 1 Periler: 5
Stoff daten Illis. grenze |= „in Milliäquivalenten
GEESS substanz ERPI für c 5
| in g in g pro ccm=c
o- Proto- | | 0,00181 Mit 100 ccm Lösung von
catechu- і У = 0,0025 2 Stunden
aldehyd | + 0,0001 | geschüttelt
in 20 vo. 5 4.3225 | 0,00172 | Milliäqui- | Mit 50 ccm Lösung von
| h | | valente y = 0,005 eine Stunde
umpro- | | | pro сет geschüttelt, mit 50ccm
zentiger | 20 vol.-proz. Alkohol
alkoholi- | | verdünnt, eine Stunde
scher i | weitergeschüttelt
Lösung 5 4,3225 0,00335 Mit 100 cem Lösung von
! | y = 0,005 2 Stunden
| А -+ 0,0001 | geschüttelt
| 0,00335 | Milliäqui- | Mit 60 com Lösung von
| valente у = 0,012 eine Stunde ge-
| pro ccm schüttelt, mit 50 ccm
|
Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 97
Nach diesen Vorarbeiten untersuchten wir die Beziehungen
zwischen Gleichgewichtskonzentration und der durch 1 р Trocken-
substanz adsorbierten Menge an Phenolaldehyden. Es ergab sich
wie aus Tab. VII und VIII und Zeichnung 1 und 2 ersichtlich ist,
nur in den niedrigsten Konzentrationsgebieten das Bild einer Ad-
sorption.
Tabelle VII (siehe Abb. 1).
Mit 100ccm o-Vanillinlösung 2 Stunden geschüttelt.
x
с = Gleichge- = die durch 1
Angewandte y = Anfangs- 5 в
Мепре konzentration in raton їй Hautsubstanz ad-
Hautpulver | Milliäquivalenten Milliäquivalenten sorbierte Menge in
| Milliäquivalenten
|
| 0,0095 0,00181 0,01573
|
0,00332 0,00241 0,01874
0,0050 0,00384 0,02633
4,3225 g 0,00934 0,00730 0,04720
Trockensubstanz 0,0100 0,00796 0,04558
0,01306 0,01045 0,06016
0.03819 | 0.03346 0,1078
Abb. 1. Abb. 2
Tabelle VIII (siehe Abb. 2).
Mit 100 ccm o-Protocatechualdehydlösung 2 Stunden geschüttelt.
Angewandte Anfangs c = Gleichge- * Z die durch 1 g
u у ichtskonzen-
aa ae konzentration in ш 5 Hautsubstanz ad-
Trockensubstanz Milliäquivalenten Milliäquivalenten sorbierte Menge in
Milliäquivalenten
4,3225 g 0,0025 0,00172 0,001804
4,3225 g 0,0050 0,00335 0,03679
4,3225 g 0,009 75 0,00697 0,06409
4,3225 g 0,01566 0,01252 0,07265
Biochemische Zeitschrift Band 108. 7
Die Stalagmone des Harns.
Von
Н. Bechhold und L. Reiner.
(Aus dem Institut für Kolloidforschung zu Frankfurt a. M. [Direktor:
Prof. Dr. H. Bechhold].)
(Eingegangen am 16. Mai 1920.)
In Heft Nr.4—6, Bd. 105 der biochemischen Zeitschrift berich-
tete Schemensky, daß bei gewissen Gruppen pathologischer
Urine, (Infektionskrankheiten, insbes. Tuberkulose, Carcinom,
Schwangerschaft, Icterus, Nephritiden, Pyelitiden) die Oberflächen-
spannung des Urins weit unter der Norm ist. Wir haben uns be-
müht, diejenigen Stoffe aufzufinden, welche diese Anderung bedingen.
Aus Zweckmäßigkeitsgründen maß Sche mens ky nicht die
Oberflächenspannung, sondern den „stalagmometrischen Quo-
tienten“, der in enger Beziehung zur Oberflächenspannung steht.
Die Messung erfolgte durch Bestimmung der Tropfenzahl eines
aus dem Stalagmometer abtropfenden Urins. Der Quotient wird
gebildet durch die Tropfenzahl des auf 1,010 spezifisches Gewicht
verdünnten Urins, dividiert durch die Tropfenzahl derselben Füssig-
keit nach dem Schütteln mit Tierkohle (durch die Tierkohle wer-
den die adsorbierbaren Stoffe, welche hauptsächlich für die Er-
niedrigung der Oberflächenspannung verantwortlich sind, ent-
fernt). Während dieser Wert bei normalen Urinen, auch wenn sie
stark sauer oder angesäuert sind!) 1,180 nicht überschreitet,
fand Schemensky pathologische Urine mit einem stalagmo-
metrischen Säurequotienten von 1,300 bis 1, 4002). Die gesuchten
Stoffe bezeichnen wir als Stalag mone).
1) Der nicht angesäuerte Urin hat einen tieferen Quotienten.
2) Von Schemensky werden bloß die Dezimalen der eigentlichen
Quotienten angegeben. Wir geben in den Tabellen der Einfachheit halber
die Tropfenzahl an, die mit 50 (Volumen unseres Stalagmometers) dividiert,
annähernd der Quotient ist. |
3) Anfangs dachten wir, daß es ein bestimmter Stoff sei, der die
Oberflächenspannung erniedrigt. Im Laufe der Untersuchungen (schon
bei der Ultrafiltration) stellte es sich heraus, daß es offenbar mehrere
Stoffe sind.
Н. Bechhold und L. Reiner: Stalagmone des Harns. 99
I. Analyse.
Das Prinzip unserer Untersuchung auf Stalagmone war
folgendes: Wir bemihten uns, durch irgendeine physikalische
Methode die Stalagmone aus dem Urin zu isolieren, bestimmten
vor- und nachher die Oberflichenspannung des Urins aus der.
Tropfenzahl am Stalagmometer und schlossen aus der Änderung
auf die mehr oder minder vollkommene Entfernung der Stalag-
monet). Das Isolationsprodukt mußte dann die Stalagmone ent-
halten, und, dem Urin beigefügt, wieder annähernd den ursprüng-
lichen Quotienten geben. Zunächst suchten wir durch Destil-
lation mit Wasserdampf nach flüchtigen Stalagmonen.
Wie aus Tabelle I ersichtlich, ist zwar die Oberflächenspannung
des Rückstandes verändert (das mag durch Hydrolyse, vielleicht
durch Konzentration des Urins bedingt sein), jedoch war die
Oberflächenspannung des Destillats gleich der des destil-
lierten Wassers.
Tabelle I.
Tropfenzahlen (umgekehrt proportional der Oberflächenspannung).
(Destilliertes Wasser gab 50,3 Tropfen).
Destillationsrückstand Destillat
ohne mit ohne mit ohne mit
Son Säure Säure Säure Säure Säure Säure
1. Normal . . 54,0 55,5 53,6 55,8 50,1 50,1
2. Nephritis. 56,0 64,8 56,2 61,2 50,4 50,6
3. Nephritis. 62,1 67,3 58,0 66,7 505 50,4
1. Kolloide und Semikolloide.
Die kolloiden und semikolloiden Stalagmone haben wir durch
Ultrafiltration zu isolieren versucht. Die Orientierungsver-
suche mit dem Ostwaldschen Spontan-Ultrafilter deuteten auf
eine hohe Dispersität der Stalagmone, da sie von ihm nicht zurück-
gehalten wurden. Wir setzten weitere Versuche mit dem Ultra-
filtrationsapparat von Bechhold an und verwendeten das bezüg-
1) Allerdings war darauf zu achten, daf das Verfahren selbst eine
Oberflächenspannungsänderung bedingen konnte. So war das Ausschütteln
mit organischen Lösungsmitteln nicht durchführbar, da diese selbst die
Oberflächenspannung wässeriger Lösungen beeinflussen. Die Änderung der
Oberflächenspannung des Urins nach dem Ausschütteln mit Äther oder
Benzol konnte also kein Maß der Entfernung дег Stalagmone sein. Sie
wird vielmehr durch die Aufnahme des Lösungsmittels hervorgerufen.
Те
100 H. Bechhold und L. Reiner:
lich seiner Durchlässigkeit wohldefinierte 7,5 proz. Eisessigkolloi-
diumfilter. Dieses Filter hält Hämoglobin quantitativ zurück.
Es schien zweckmäßig, nach zwei verschiedenen Arten zu
ultrafiltrieren : Einmal so, daß man den Urin vollständig, und ferner
so, daB man nur einen Teil (z. B. die Hälfte oder ein Drittel)
durch das Filter laufen ließ. Letzteres geschah, um bei starkem
Einkonzentrieren auftretende irreversible Zustandsänderungen
zu vermeiden!). Stets wurden Filtrat und Rückstand stalagmo-
metrisch geprüft. Im ersten Falle — bei vollständiger Filtration —
wurde der Rückstand in wenig physiologische Kochsalzlösung
suspendiert.
Die Ergebnisse gaben keine einfache Antwort. Bei Versuchs-
anordnung I fanden wir zwar eine Vergrößerung der Oberflächen-
spannung des Filtrates und eine geringe Verminderung der Ober-
flächenspannung der zur Aufschwemmung des Rückstandes be-
nützten Kochsalzlösung. Additivität waraber nicht vorhanden, d.h.
die Summe der Oberflächenspannung von Filtrat und Rückstand
ergab eine höhere Oberflächenspannung als der ursprüngliche Urin.
Bei Versuchsanordnung II war die Oberflächenspannung
des Filtrates wieder erhöht, und die des Rückstandes vermindert.
Das Gemisch des Filtrates und des Rückstandes hatte auch dies-
mal eine höhere Oberflächenspannung wie der Urin selbst-), indessen
war die Differenz nicht so bedeutend wie bei Versuchsanordnung I.
¢
Tabelle II.
Tropfenzahl.
Rückstand Ultrafiltrat Teilfiltrat
ohne mit ohne mit ohne mit Vollst.
Oma Säure Säure Säure Säure Säure Säure Filtrat
1. Normal. . . 592 597 579 59,93) 57,1 576 ½
9. Normal 59,9 63,1 52 644 53,0 60,9 ½
10. Pyelitis . . . 52,7 58,2 54,1 62,1 52,6 59,5 ½
11. Nephritis. 551 66,5 59,8 66,8 55,4 56,8 ½
12. Tuberkulose. 53,9 65,2 56,2 68,7 54,3 67 1,
13. Tuberkulose. 52,8 61,0 524 61,7 51,7 51,9 ½
1) Es wurden auch Ultrafiltrationen bei verschiedenem H- und OH
Gehalt durchgeführt, diese gaben aber keine abweichenden Resultate.
2) Zuweilen lag eine merkliche Fehlerquelle darin, daß sich bei der
sehr langsamen Filtration Bakterien ansammelten. Wir mußten von der
Sterilisation absehen, um den Urin möglichst nicht zu verändern.
3) Die Suspension geschah in / des ursprünglichen Volums.
Stalagmone des Harns. 101
Es ist zwar noch hervorzuheben, daß die Oberflächenspan-
nungsänderung des Filterrückstandes nicht nur nicht gleich der
des Filtrates war, sondern auch das Verhältnis dieser beiden
Änderungen bei verschiedenen Urinen nicht dasselbe ist.
Man kann also nicht sagen, daß ein bestimmter Bruchteil der
Stalagmone im Rückstande und ein bestimmter Bruchteil im
Filtrate ist. Vielmehr ist die Verteilung der Stalagmone für
die betreffenden Krankheitsfälle charakteristisch. Be-
trachten wir einen Pyelitis- oder Nephritisurin — 10 und 11 der
Tabelle II — dann finden wir eine beträchtliche Verminderung
der Oberflächenspannung des Rückstandes gegenüber einer ge-
ringen Vergrößerung der Oberflächenspannung des Filtrates.
Bei Normalurin oder Tuberkulose — 9 und 13 — finden wir eine
kleine Verminderung der Oberflächenspannung des Rückstandes
gegenüber einer starken Vergrößerung der des Filtrates. Man
darf daraus schließen, daß die überwiegend wirksamen Stalagmone
in verschiedenen Fällen nicht identisch sind, d. h., daß die Stalag-
mone kein einheitlicher Körper, sondern eine Mehrzahl von
Stoffen sind.
Die Ergebnisse der Ultrafiltration sind folgendermaßen zu
erklären:
a) Das Fehlen der Additivität der beiden Fraktionen Rückstand und
Filtrat könnte durch die Adsorption in dem Filter bedingt sein. Es können
aber auch Zustandsänderungen des Kolloids bzw. Semikolloids während
der Ultrafiltration eintreten. Die unvollständige Löslichkeit des Ultra-
filterrückstandes bei Versuchsanordnung I spricht für das letztere.
b) Der Umstand, daß sowohl der Rückstand wie auch das Filtrat
eine Änderung der Oberflächenspannung zeigen, beweist, daß es verschie-
dene Stalagmone gibt, welche Körper von verschiedener Dispersität sind.
Ein im allgemeinen geringer, nur bei eiweißhaltigen Urinen erheblicher Teil
der Stalagmone (der vom Filter zurückgehaltene Teil) ist den Eiweißstoffen
ähnlich dispergiert. Der Hauptteil ist feiner dispergiert (der vom Filter
adsorbierte oder durchgelassene Teil).
Nach diesen Versuchen ist es jedoch nicht auszuschließen,
daß eine Dispersitätsänderung des Kolloids während der Filtra-
tion auftritt.
2. Das Verhalten bei höherer Temperatur und bei Konzentration des
Urins.
Normale und pathologische Urine wurden auf dem Wasser-
bade eingedampft und im ursprünglichem Volumen Wasser wieder
102 H. Bechhold und L. Reiner:
aufgelöst. Damit wollten wir feststellen, ob die Konzentration
des Kolloids bei höherer Temperatur eine irreversible Dispersitäts-
änderung hervorruft. Wie zu erwarten, war dies nur bei eiweiß-
haltigen Urinen in geringem Maße der Fall. In solchen Fällen war
auch der Trockenrückstand nicht vollkommen löslich.
8. Trennungsversuche durch Adsorption.
Wie wir schon erwähnten, fand Schemensky eine Steige-
rung der Oberflächenaktivität des Urins bei Erhöhung der H-
Konzentration. Daher vermuteten wir eine auswählende Ad-
sorptionsfähigkeit durch Adsorbenzien mit ausgesprochenem
elektrochemischem Charakter. Wir verwendeten das elektro-
negative Osmosil!) (kolloide Kieselsäure) und das elektro-
positive Eisenoxydgel. Unsere Versuchsbedingungen waren solche,
bei welchen Tierkohle die Stalagmone aus dem Urin entfernt
(10—20 minutenlanges Schütteln mit 5— 10proz. Aufschwemmung).
Tabelle III.
Nach dem Schütteln mit
Eisenoxydgel Osmosil- Kieselsäure
Urin ohne mit ohne mit ohne mit
Säure Säure Säure Säure Säure Säure
1. Normal 55,1 61,8 54,2 62,9 54,6 63,2
2. Normal . 55,0 69,2 55,1 68,6 54,9 69,9
Tabelle III zeigt, daß nach diesem Verfahren keine merk-
liche Änderung der Oberflächenspannung des Urins zu bemerken
war. Man konnte daraus jedoch nicht auf die Elektroneutralität
der Stalagmone schließen, da eine deutliche Schutzwirkung der-
selben gegenüber Eisenoxydgel festzustellen war. Man konnte
nämlich das mit Urin geschüttelte Eisenoxyd nach dem Schütteln
nicht mehr durch ein gewöhnliches Filter — in diesem Falle war
‘nur ein solches verwendbar — trennen. Eisenoxyd lief durch das
Filter; das Filtrat war deutlich rot gefärbt. Dieser Umstand
spricht für einen teilweise sauren Charakter der Stalagmone.
Dasselbe ergibt sich aus Versuchen, die durch Tierkohle
adsorbierten Stalagmone mit HCl oder NaOH wieder loszu-
lösen. Mit HCl gelang es überhaupt nicht, mit NaOH nur teil-
weise.
1) Osmosil wurde uns von der Osmose-Gesellschaft (Berlin) zur Ver-
fügung gestellt.
Stalagmone des Harns. 103
Zusammenfassung.
1. Die Stalagmone sind nicht flüchtige oberflächenaktive
Stoffe.
2. Sie sind Kolloid e bzw. Se mikolloide, da sie von 7,5 proz.
Eisessigkollodiumfilter teilweise zurückgehalten, teilweise durch-
gelassen werden und gut adsorbierbar sind.
3. Sie sind ziemlich stabile Kolloide (kochbeständig).
4. Sie besitzen vermutlich amphoteren oder sa uren
Charakter. .
II. Synthese.
Durch die oben angegebenen Methoden sind wir zu einer
Isolierung derjenigen Stoffgruppen gelangt, welche uns Hinweise
boten, in welcher Richtung die Stalagmone zu suchen sind.
Die heutige Kolloidchemie bietet noch nicht die Möglichkeit,
die einzelnen Substanzen zu isolieren, um sie, ähnlich wie die
organische Chemie, nach ihrem chemischen Aufbau zu definieren.
Wir waren also darauf angewiesen, bekannte Bestandteile der nor-
malen und pathologischen Urine zu kombinieren und zu prüfen,
ob auf diese Weise Lösungen zu erhalten sind, welche sich ähnlich
wie die eingangs erwähnten pathologischen Urine verhalten.
Schemensky fand bisher eine erhebliche Erhöhung des stalag-
mometrischen Quotienten bei Nierenentzündungen, Schwangerschaft, Car-
cinom, gewissen Stadien der Tuberkulose, auch bei akuten Infektions-
krankheiten und mit Ikterus verlaufenden Krankheiten.
Es ist naheliegend, daran zu denken, daß die in diesen Fällen auftre-
tenden bekannten pathologischen Harnbestandteile die Oberflächenspan-
nung erniedrigen. Unter diesen kämen insbesondere Eiweißstoffe und
Gallenbestandteile in Betracht. In der Tat sind auf Grund der Ultra-
filtrationsversuche Eiweißkörper im Urin (Cystitis, Pyelitis) als Stalagmone
anzusprechen. Gleiches gilt für Gallenbestandteile (Ikterus). Die meisten
Fälle, in welchen hohe stalagmometrische Quotienten gefunden wurden,
enthalten aber kein Eiweiß und auch wahrscheinlich Gallenbestandteile
nur in sehr geringem Maße. Das sind dieselben pathologisch nicht zusammen-
gehörigen Krankheiten, bei welchen Salomon und Sali, Fall und
Hesky?), Weiss?) hauptsächlich das vermehrte Auftreten unvoll-
ständiger Eiweißabbauprodukte — insbesondere polypeptidartige
Körper wie Oxyproteinsäuren — beobachten konnten. Auch erscheint oft
1) Salomon und Saxl, Beiträge zur Krebsforschung 1910, Heft 2;
Med. Klin. 1910, S. 510.
2) Fall und Hesky, Zeitschr. f. klin. Med. 71, 971. 1910.
3) Weiss, diese Zeitschr. 27, 201. 1910.
104 H. Bechhold und L. Reiner:
Urobilin — als Folge sekundärer Leberalteration nach Hesky — im
Urin. Die physikalischen Eigenschaften dieser Substanzen stimmen, mit
denen weitgehend überein, welche nach unseren Untersuchungen den
Stalagmonen eigen sein müssen.
Noch eine Erscheinung führte uns auf denselben Weg. Die patho-
logischen Urine mit hohen stalagmometrischen Quotienten sind meistens
(Ausnahmen: z. B. Pyelitis und Cystitis) mehr oder weniger dunkel-
braun gefärbt. Diese Färbung wird von erhöhtem Urochromgehalt ver-
ursacht.
Um den Zusammenhang des Urochromgehalts mit der Ober-
flächenspannung des Urins zu untersuchen, haben wir angestrebt,
Urinverdünnungen von möglichst gleichem Urochromgehalt zu
erhalten. Wir stellen die Verdünnungen colorimetrisch in gleich
weiten Reagensgläsern fest. Wegen des Unterschiedes im Farben-
ton waren die Einstellungen mit Fehlern behaftet. Trotzdem
konnte man in den meisten Fällen Parallelismus, jedoch keine
strenge Proportionalität zwischen Färbung und Oberflächen-
spannungsänderung des Urins feststellen. Ausnahme bildeten
auch hier Cystitis- und Pyelitisurine.
Diese Ausnahme bedeutet wahrscheinlich auch in diesem
Falle ein verhältnismäßiges Überwiegen gewisser Stalagmone ge-
genüber solchen, die in anderen abnormen Zuständen wie Schwan-
gerschaft, Carcinom und gewissen Stadien der Infektionskrank-
heiten vorkommen. |
Tabelle IV.
Tropfenzahl
Urin ohne Säure mit Säure Verdünnung
І. Vergleich-Urin ..... 54,7 59,4 0
Tuberkulose . ..... 56,7 64,0 1:4
Tuberkulose...... 57,6 64,3 1:9
II. Vergleich-Urin ..... 53,6 61,9 0
Nephritis 52,4 62,9 1: 2,5
Schwangerschaft 55,0 63,2 1:11
Pyelo- Nephritis 33,0 57,7 1:5
Es geht aus diesen Versuchen hervor, daß Urochrom keine
wesentliche Komponente der Stalagmone sein kann. Jedoch scheint
es, daß die Stalagmone in einer gewissen Beziehung zu
Urochrom stehen. (Die zur Zeit herrschende Theorie der
Urochrombildung führte uns wieder zu Eiweißabbauprodukten,
insbesondere zur Oxyproteinsäure.)
Stalagmone des Harns. 105
Es war also angezeigt, solche Eiweißabbauprodukte, welche
den Stalagmonen entsprechende physikalische Eigenschaften be-
sitzen, auf ihre Oberflächenaktivität zu untersuchen. Schemen-
sky fand eine starke Wirksamkeit derPeptone und Albu-
mosen. Er untersuchte physiologische Kochsalzlösungen, in
denen die Konzentration der Albumosen beziehungsweise Pep-
tone gleich war der maximalen Konzentration dieser Stoffe in
pathologischen Urinen. Die Oberflächenspannungen dieser Lö-
sungen waren stark erniedrigt, erreichten aber nicht den
dem pathologischen Urine entsprechenden tiefen Wert.
Sie sind also nicht die einzigen Stalagmone.
Wir untersuchten auf ähnliche Weise die Oxyproteinsäuren
bzw. die von Ginsberg als Barytfraktion benannten Bestand-
teile des Urins. Die Barytfraktion enthält außer sämtlichen
Oxyproteinsä uren noch einen ‚‚peptidartigen Rest“. Sie besteht aus
wasserlöslichen und alkoholunlöslichen Bariumsalzen gewisser
polypeptidartiger Säuren, die aus dieser Barytfraktion durch
Fällung mit Schwermetallsäure (Blei- Quecksilberacetat) zu trennen
sind. Wir isolierten die Barytfraktion nach der von Ginsberg?)
angegebenen Methode und berechneten die den pathologischen
Urinen entsprechende Maximalkonzentration aus Analysen von
Salo moni), Falk und Hes k yz) und Weiss). Sie beträgt ca.
1%. Die Tropfenzahlen solcher Lösungen sowohl mit physio-
logischer Kochsalzlösung wie auch mit Normalurin als Lösungs-
mittel befinden sich in Tabelle V.
Tabelle V.
Tropfenzahl
ohne Säure mit Säure Verdünnung
І. In Wasser 66,5 4%
58,5 2%
54,0 1%
51,6 0,5%
П. In Wasser . . . 54,0 57,5 1%
ПІ. In Wasser ... 54,6 60,0 1%
IV. In Urin 72,6 4%
62,7 2%
56,5 1%
53,0 0,5%
1) Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 10. 1907.
2) loc. cit.
106 H. Becbhold und L. Reiner:
Wir sehen, daß die Barytfraktion eine erhebliche Er-
niedrigung der Oberflachenspannung hervorruft. Ba-
rytfraktionlösungen haben aber auch keine so tiefen Oberflachen-
spannungswerte wie einzelne pathologische Urine.
Aus dem Bisherigen geht hervor, daß hauptsächlich Eiweiß-
abbauprodukte, also Stalagmone zu betrachten sind.
Es war jedoch noch zu entscheiden, ob sich die Wirkung der
Stalagmone in Urinen mit sehr geringer Oberflächenspannung
einfach summiert oder durch andere indifferente Stoffe
verstärkt. |
Um diese Frage zu entscheiden, setzten wir zu einer 1 proz.
Peptonlösung und 1 proz. Barytfraktionslösung normale Harn-
bestandteile, ungefähr in dem Verhältnis, in welchem sie im nor-
malen Urin vorkommen. Wir fanden eine 10—15 proz. Ernied-
rigung der Oberflächenspannung nach Zusatz von 4 ‚Salzen.
Es wurde auch noch die gegenseitige Wirkung der Barytfraktion-
und Peptonlösungen aufeinander untersucht. Bei einer Konzen-
tration von 0, 5% ist die Oberflächenspannung additiv; bei der
Verwendung 1 proz. Lösung entspricht sie der Additivität nicht
mehr, sie liegt höher.
Tabelle VI.
1 proz. Peptonlösung 1 proz. Barytfraktionlösung
еа ohne Säure mit Säure ohne Säure mit Säure
TOL NaCl ошаса Bore 2.4 59,0 59,0 54.6 60.0
2% Harnstoff 59,6 59,6 84,3 60,1
0,5% Na HPO. 58,3 59,7 55, 8 61.4
0,02% Cal. 58.9 61.6 57.7 61.3
ohne Säure mit Säure
0,5% Oxyproteinsäure und
0,5% Pepton . 60,9 60,9
1% Oxyproteinsäure und
1% Pepton ..... 59,6 64,1
Die Werte in Tabelle VI zeigen keine Quotienten, die den
höchsten der pathologischen Urine entsprechen würden. Dies
war aber bei Kombinationen zweier Stalagmone auch nicht zu
erwarten. Es war jedoch nicht möglich, sämtliche Eiweißabbau-
produkte zu untersuchen, da die in Betracht kommenden hoch-
molekularen schwer oder gar nicht zu isolieren sind. Besonders
trifft das bei der Polypeptidgruppe zu. Wir wollten mit diesen
Stalagmone des Harns. 107
Versuchen nur zeigen, daß durch Kombination der von uns
als Stalagmone erkannten Stoffe miteinander und insbe-
sondere bei Gegenwart von Salzen solche Lösungen herstell-
bar sind, deren Oberflachenspannungen sich den nie-
deren Werten der pathologischen Urine nähern!).
Zusammenfassung.
I.
1. Als Stalag mone bezeichnen wir die für gewisse Krank-
heitsgruppen (Tuberkulose, Schwangerschaft, Carcinom, Ne-
phritis, Ikterus, Pyelitis, schwere Infektionen) charakteristischen
Stoffe im Urin, welche dessen Oberflachenspannung er-
niedrigen. l
2. Ultrafiltrationsversuche zeigten, daß es Kolloide, be-
sonders aber Semikolloide sind, und daß sie nicht einem
bestimmten Dispersitätsgrade angehören.
3. Sie sind bezüglich ihrer Dispersität sehr stabil.
П.
1. Веі verschiedenen Krankheiten sind verschiedene
Stalagmone oder Stalagmongruppen wirksam.
2. Bei EiweiBausscheidungen ist EiweiB ein wesentlicher
Faktor. Bei ikterischen Urinen scheinen Gallenbestandteile
wirksam zu sein!).
3. In den meisten bis jetzt untersuchten Fälle geht die
Oberflächenspannungserniedrigung einigermaßen parallel mit der
Färbung des Urins.
4. Die Erniedrigung der Oberflächenspannung wird jedoch
nicht von Urochrom, sondern von anderen Eiweißschlacken
wie Albumosen, Peptonen, Oxyproteinsäuren verursacht.
5. Es zeigt sich, daß in allen den Fällen, welche durch den
stalagmometrischen Quotienten als pathologische charakterisiert
waren, Weiss, Salomon, Falk und Hesky das vermehrte
Auftreten von Eiweißschlacken (insbesondere Oxyproteinsäure)
nachgewiesen hatten.
1) Es gelang uns neuerdings aus, stark eingeengten mit verd. HCI
digerierten Urinen durch Ausschütteln mit Ather geringe Mengen (0,5 —29/,,)
sehr stark oberflächenaktive Substanzen zu isolieren. Sie sind amphoter,
lösen sich nicht im Wasser, jedoch leicht in NaOH. — Sie spielen in
ikterischen Fällen eine große Rolle.
108 H. Bechhold und L. Reiner: Stalagmone des Harns.
5. Die Oberflächenaktivität dieser Stoffe wurde nachge-
prüft. Es zeigt sich bei einer 1 proz. Lösung der sogen. Baryt-
fraktion oder von Pepton je eine Tropfenzahl von 60—61, die
einem Säurequotienten von 200 nach Schemensky ungefähr
entspricht?).
6. Normalurinbestandteile erhöhen die Wirksamkeit der Stalag-
mone (um 10—15%). Es ist somit anzunehmen, daß die Stalag-
mone als pathologische Eiweißabbauprodukte (Eiweißschlacken)
anzusehen sind, deren oberflächenaktive Wirkung von Fall zu
Fall durch akzessorische Bestandteile (Eiweiß, Gallenbestandteile
und vielleicht noch andere nicht bekannte Stoffe) erhöht wird.
1) Die von uns neuerdings gewonnene ,,Atherfraktion zeigt bereits
in 0, 5% -Lösung einen Säurequotienten von 160—180.
Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung
in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I.
Von
Julius Stoklasa.
(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, E. Napravil und
J. Hromädko.)
(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm.-techn. Hochschule
in Prag.)
(Eingegangen am 15. April 1920.)
Mit 1 Abbildung im Text.
Die ersten Untersuchungen über pflanzliche Radioaktivität
sind im Jahre 1904 von Tom masina!) und Paul Becquerel?)
im Jahre 1905 ausgeführt worden.
Tommasina konnte feststellen, daß frisch gepflückte Pflanzen, wie
Gräser, Früchte, Blumen und Blätter schon eine ziemlich bedeutende Radio-
aktivität besaßen; und fernerhin, daß die Objekte im Laboratorium, sowie
dieselben Pflanzen, die ausgetrocknet waren, nur minimale Spuren davon
zeigten. Es wäre also eine gewisse Radioaktivität vorhanden. Tomma-
sina hat kein genaues Maß für diese Radioaktivität angegeben.
Die Angaben Tommasinas wurden von Tarchanoff und Molden-
hauer?) bestätigt. Becquerel, Camillo Acqua, Thomas und Lan-
cien war es dagegen nicht möglich, mit der gehabten Apparatur zu beweisen,
daß in dem Pflanzenorganismus tatsächlich eine Bioradioaktivität existiert.
Thomas und Lancien erzielten dieselben Resultate wie Becquerel,
welcher den Beweis geliefert hat, daß bei Tommasinas Untersuchungen
unbedingt ein Versuchsfehler unterlaufen sein muß, welcher ihn zu der
Anschauung brachte, daß die Pflanzen eine besondere Radioaktivität be-
sitzen.
1) Tommasina, Compt. rend. de ГАсаа. des Sc., Paris, 7. XI. 1904.
Siehe auch Paul Becq uerels Arbeit: Die Radioaktivität und die Pflanzen-
biologie, in dem Handbuch der Radium-Biologie und Therapie von Paul
Lazarus. Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden 1913.
2) Paul Becquerel, Compt. rend. de l’Acad. des Sc., Paris, 2. I. 1905.
3) Tarchanoff und Moldenhauer, Intern. akadem. Blatt 1905,
8. 728—134.
110 J. Stoklasa:
Die Folgerungen, zu welchen die vorerwähnten Forscher
gekommen sind, daß keine pflanzliche Bioradioaktivität existiert,
kann ich nicht teilen, ebensowenig die Anschauungen, daß, wenn die
Pflanzen eine äußerst schwache Radioaktivität zeigen, diesekeinerlei
Beziehung zu ihrem Leben hat, und sie an Intensität nicht die
gewöhnliche des Erdbodens und der Atmosphäre überschreiten muß.
Seit der Entdeckung des Radiums und der energischen Wir-
kung seiner Strahlen haben wir uns bemüht, die organischen
und funktionellen Veränderungen der pflanzlichen und tierischen
Organismen unter dem Einfluß der Radiumemanation zu stu-
dieren. Die von uns gewonnenen Beobachtungsresultate habe
ich schon in meiner Festrede auf dem VI. Internationalen Kon-
greß für allg. u. ärztl. Elektrologie u. Radiologie in Prag im Jahre
1912 im kurzen skizziert (siehe Berichte des Kongresses).
Aus unseren Versuchen geht deutlich hervor, daß in gewissen
Fällen eine Bioradioaktivität in dem Pflanzenorganismus vor-
handen ist. Durch exakte Messungen wurde gefunden, daß die
Pflanzen, welche mit radioaktivem Wasser begossen wurden,
stets eine deutliche Radioaktivität aufwiesen. Aber auch die
Pflanzen, welche im Freien wuchsen, waren radioaktiv.
Wir haben namentlich während der Blutungsperiode im
Monate März den Gehalt des Blutungssaftes an Mineralstoffen und
die Radioaktivität der Betula alba und Acer platanoides studiert.
Gemäß unserer Analysen befand sich in 11 des Blutungs-
saftes von Betula alba: |
durchschnittlich . ß 9,326 g Trockensubstanz
Diese Substanz enthielt. 0,58 g Reinasche,
was in Prozenten ausgedrückt . . . . 6,2 ergibt.
In 11 des Blutungssaftes waren vorhanden:
~ Soo; ra See ! 0,002 g
W Ä ee Ss 0,028 g
РО e ĩ A0 эш. $ 0,065 g
GGG! олы ы ш a et 0,005 g
Бес 28 205 0,001 g
. ee E ae ee 0,015 g
, Ee Sea жу ша Spuren
“ A A 0,111 g
// / Br Ле чё ee 0,016 g
KO a ae en ой 0,249 g
NGO ааа е ee 0,080 g
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 111
In der Gesamtreinasche sind 43% Kaliumoxyd zu-
gegen. Ä
Was die Radioaktivität anbelangt, so wurde gefunden: Im
Blutungssaft von Betula alba pro Liter 5,24. 10-12, ferner
6,69 - 10-12, 9,36 - 10-12.
Der Blutungssaft von Acer platanoides weist in 11 10, 84 g
Trockensubstanz auf, welche Substanz 0,9793 g Reinasche ent-
halt. 11 dieses Blutungssaftes besaß eine Radioaktivität von
4,62 . 10-18, 4,37. 10-12, 5,75 - 10-12,
Diese Zahlen wurden bei Betula alba und Acer platanoides
während 5 jähriger Beobachtung gewonnen und zwar in den
Jahren 1913—1918. Wie daraus erhellt, zeichnet sich der Blu-
tungssaft durch eine deutliche Radioaktivität aus, welche davon
abhängt, auf welchem Gestein sich die Bäume entwickelt haben.
Wenn sich das Wurzelsystem der Bäume in Verwitterungs-
produkten, evtl. in einem Gestein verbreitet, welches reich an
Aktivität ist, und deren Aktivität auf ihre akzessorischen Bei-
mengungen von gewissen radium- und thoriumhaltigen Minera-
lien, oder Trümmern derselben beruht, so enthält auch der Blu-
tungssaft eine reichliche Aktivität. |
In der Natur kommen Eruptivgesteine vor, die sich durch
einen hohen Radium- und Thoriumgehalt auszeichnen. Auf
solchen Gesteinen entwickelt sich eine Vegetation, die stets
radioaktiv ist. Auch die Pflanzen, welche mit radioaktiven
Wassern in der Natur fortwährend in Berührung kommen, sind
radioaktiv. Am deutlichsten ist das in der Brambacher Gegend
zu finden, wo die Bachwässer 6—10 ME. enthalten. Wir
konnten bei den in diesen Wässern sich entwickelnden Wasser-
pflanzen stets eine Radioaktivität nachweisen. Bei den Pflanzen
von der sich in der Nähe der Uran- und Radiumfabrik in St.
Joachimsthal entwickelnden Vegetation konnte ebenfalls
eine Bioradioaktivität konstatiert werden. Die an-
gegriffenen Pflanzen, und zwar Brassica napus rapifera, Raphanus
sativus, Apium graveolens, Daucus carota, Symphoricarpus race-
mosus, Lonicera Caprifolium, Robinia pseudacacia, Caragana
arborescens usw. in der Nähe der Radium- und Uranfabrik, waren
alle radioaktiv. Nicht nur ich, sondern auch Herr Kollege Uni-
versitätsprofessor Dr. Störba- Böhm, konnte in den Pflanzen,
die während der ganzen Vegetation mit radioaktivem Wasser
112 J. Stoklasa:
begossen wurden, eine deutliche Radioaktivität nachweisen. Es
war das namentlich bei Beta vulgaris, Solanum somniferum und
Lupinus angustifolius der Fall.
Uber die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums auf die Ent-
wicklung des Pflanzenorganismus.
Bei unseren Versuchen über den Einfluß der Radioaktivität!)
auf die Mechanik des Stoff- und Gasaustausches, sowie über-
haupt der ganze Bau- und Betriebsstoffwechsel der
chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Pflanzen-
zelle?) haben wir gefunden, daß bei den kalireichen Pflanzen die
Radioaktivität einen speziell schädlichen Einfluß ausgeübt hat,
den wir weiter verfolgen. Wenn man die kinetische Energie der
ß-Strahlen des Kaliums mit der kinetischen Energie der $-Strahlen
des Radiums und mit der der «-Strahlen des Urans vergleicht, findet
man, daß das Durchdringungsvermögen der Strahlen des Kaliums
viel größer ist als bei Radium. Interessant war weiter die Beob-
achtung von Strutt, indem ereinen merklichen Heliumgehalt in
den StaBfurter Kalisalzen gefunden hat und zwar in Sylvin KCI in
100 р 0,55 ccm Helium, in Karnallit KMgCl, + 6 H, O in 100g
0,151 ccm Helium.
Uber die Bedeutung des Kaliums in der tierischen Zelle hat H. Zwaarde-
maker in Utrecht mit seinen Mitarbeitern P. Feenstra, Ben-
jamins, de Lind van Wyngaarden, Lely usw. Versuche ausge-
führt, zuerst die Resultate derselben in holländischer Sprache publiziert
und hierauf ein zusammenfassendes Referat in Pflügers Archiv f. d. ges. Phy-
siologie im Jahre 1918 veröffentlicht.
Zwaardemaker?) kommt bei seinen Untersuchungen, die er bloß an
tierischem Organismus ausgeführt hat, zu ganz neuen Entdeckungen:
In manchen Geweben ist Kalium, wie er gefunden hat, ein für die
Funktion unentbehrliches Element. Es kann in diesen Fällen ersetzt werden
durch alle anderen Elemente, die mit dem Kalium die Eigenschaft der
Radioaktivität gemeinsam haben. Die Vertretung geschieht in nahezu
äquiradioaktiven Mengen nach totaler Radioaktivität berechnet; statt eines
radioaktiven Elementes kann eine von außen eingeführte Strahlung treten.
1) J. Stoklasa, Compt. rend. hebd. des séances de l’Acad. des Sc.
T. 155, No. 22; ferner l. c. 156, No. 2.
2) J. Stoklasa, J. Šebor et V. Zdobnicky, Compt. rend. hebd. des
séances de l’Acad. des Sc. 156. No. 8, S. 24. 1913. — Julius Stoklasa,
Chem.-Ztg. Cöthen 1912, Nr. 142, S. 1382; 1914, Nr. 79, S. 841. Julius
Stoklasa, Strahlentherapie Bd. IV, Heft 1. 1914.
3) Zwaardemaker, Pflügers Arch. f. d. ges. Phys. 173. 1918.
- er iii eee
=i iin ꝑ—ꝛ— ia — к _ щы ы
|
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. J. 113
Es ist, was die jetzt vorliegenden Verhältnisse anbetrifft, gleichgültig, ob
die Strahlung einen a- oder einen $-Charakter besitzt. Wenn gleichzeitig
anwesend, sind die a- und die £-Strahlen, biologisch betrachtet, Antago-
nisten. Sowohl bei vollständiger Abwesenheit der Radioelemente als bei
genauer gegenseitiger Aufwägung derselben verschwindet die Funktion.
Sie kehrt zurück, wenn eine der beiden Strahlungsarten neu hinzugesetzt
wird; ob durch materielle Strahler, ob durch Strahlungen ist gleichgültig.
Der Nullpunkt und die Reihe der Gleichgewichtspunkte bilden eine Kurve
mit charakteristischer Gestalt. Der Sommer verringert das Bedürfnis
mancher Gewebe an Radioelement in der Zirkulationsflüssigkeit. Es ist
gleichgültig, ob das Radioelement, das zur Vertretung des Kaliums eingesetzt
wird, in Ionenform anwesend ist, oder in einem kolloidalen Komplex.
Die ersten Versuche, die wir ausgeführt haben, beziehen sich
auf die Keimfähigkeit der Samen.
A. Über den Einfluß der Radioaktivität des Kaliums auf die
Keimfähigkeit der Samen.
Es ist gewiß von großem Interesse zunächst zu erfahren, wie
die natürliche und künstliche Radioaktivität, die aus Radium ent-
standen ist, sowie die Radioaktivität des Kaliums auf die Wachs-
tumsbeschleunigung der verschiedenartigen Pflanzen wirkt. Es
wurden zuerst von uns Versuche über die Wirkung der natürlichen
und künstlichen Radioaktivität auf den KeimungsprozeB der
verschiedenen Pflanzensamen vorgenommen. Unsere Keimungs-
versuche wurden mit Samen von Triticum vulgare, Hordeum
distichum, Vicia faba, Pisum sativum, Lupinus angustifolius,
Trifolium pratense und Pisum arvense mit natürlichem radio-
aktivem Wasser an Ort und Stelle in St. Joachimsthal und mit
Brambacher und Franzensbader Mineralwasser ausgeführt. Das
Mineralwasser von Brambach wurde, weil sich Brambach ganz
in der Nähe von Franzensbad befindet, stets an demselben Tage,
wie es der Quelle entnommen wurde, nach Franzensbad transportiert
und gleich nach Erhalt noch am selben Tage zum Versuche benützt.
Weiter wurden Keimungsversuche ausgeführt mit demselben
Grubenwasser von St. Joachimsthal, und Mineralwasser von
Franzensbad und Brambach, jedoch wurden die Wässer radio-
aktivfrei gemacht. Dies geschah auf diese Weise, daß das Wasser
bis auf 37° C erwärmt und die Luft durch das Wasser stark durch-
geleitet wurde, bis die Radioaktivität vollständig entwichen ist.
Dann wurden Versuche mit künstlicher Radioaktivität vor-
genommen, indem das Grubenwasser von St. Joachimsthal, so-
Biochemische Zeitschrift Band 108. 8
114 | J. Stoklasa:
wie das Mineralwasser von Franzensbad und Brambach von der
natürlichen Radioaktivität befreit wurde und zu diesem Wasser
künstliche Radioaktivität, welche aus Radiumchlorid erzeugt
wurde, zugeleitet worden ist.
Eine andere Serie der Versuche wurde in der Weise aus-
geführt, daß die radioaktiven Grubenwässer von St. Joachims-
thal und Mineralwässer von Franzensbad und Brambach
radioaktivfrei gemacht wurden und pro 11 5g Kaliumchlorid
zugesetzt wurden.
Die von den vorerwähnten Pflanzen ganz frischen unver-
letzten keimfähigen Samen wurden in großen Mengen gesammelt,
ein Durchschnittsmuster davon genommen, die Keimfähigkeit
genau bestimmt, sowie das Gewicht der Trockensubstanz er-
mittelt. Ferner wurde das Gewicht von 100 Samen auf Trocken-
substanz berechnet, festgestellt. Die Keimversuche wurden immer
mit 100 Samen der gleichen Pflanzenart von fast gleichem Ge-
wicht vorgenommen, und zwar entfielen auf 100 g Trockensub-
stanz der Samen pro 12 Stunden, 30 Macheeinheiten = 12 030 - 10 -!?
= 0,000 012 mg Ra der natürlichen oder künstlichen radioaktiven
Emanation. Die Prozedur dauerte 144 Stunden, während welcher
Zeit auf 100 g Trockensubstanz der Samen 360 ME = 144 360
e 10-12 = 0,000 144 mg Ra wirkten. In einigen Fällen war der
Keimungsprozeß entweder nach 48 oder 72 Stunden vollendet.
Vor dem Studium des Einflusses der Radiumemanation auf
den KeimungsprozeB wurden die Samen maceriert, 100 Samen
wurden in sterilisierten cylindrischen Gefäßen, welche einen
Durchmesser von 12cm und eine Höhe von 25cm besaßen,
2 Stunden entweder in gewöhnlichem Wasser oder in natürlichen
radioaktivem, oder künstlich radioaktivem Wasser, oder in kalium-
chloridhaltigem Wasser maceriert. Das Wasser wurde nach
12 Stunden stets erneuert. Die Gefäße wurden während der
Macerierung mit sterilisierter Watte verstopft.
Zur Ermittlung der Keimfähigkeit und der Keimungsenergie
unter Einwirkung des gewöhnlichen Wassers, oder des natürlichen,
oder künstlich radioaktiven Wassers wurden sterilisierte cylin-
drische Gefäße benutzt von 7,5 cm Durchmesser und 22 cm Höhe.
Es wurde so viel Wasser angewendet, daß die Samen bis zu ihrer
Oberfläche im Wasser eingetaucht waren, und daß die Luft vollen
Zutritt hatte. In jedem Gefäß befanden sich bloß so viele Samen,
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 115
daß nur der Boden des Cylinders bedeckt war, so daß die Samen
niemals aufeinander zu liegen kamen. Nach 12 Stunden wurde ent-
weder das gewöhnliche Wasser oder das natürlich oder künstlich radio-
aktive oder kaliumchloridhaltige Wasser erneuert. Die kleinen cylin-
drischen Gefäße wurden ebenfalls mit sterilisierter Watte verstopft.
Zum Studium des Einflusses der Radioaktivität auf die
Keimfähigkeit und Keimungsenergie der Samen wurde folgendes
Wasser benutzt. Vom Wernerschachte pro 11 mit 250—400
Macheeinheiten, vom Danielistollen mit 460 — 640 Macheeinheiten
und vom Barbarastollen mit 165—342 Macheeinheiten. In den
Wässern wurden bevor sie zur Untersuchung benutzt wurden,
die Emanation gemessen und die zum Versuche nötigen Quanti-
täten Wasser abpipetiert. Das Wasser von Brambach hatte pro
11 eine Radioaktivität von 860—1286 Macheeinheiten.
Was die Radioaktivität und chemische Zusammensetzung
der radioaktiven Grubenwässer von St. Joachimsthal und der
Mineralquellen von Franzensbad und Brambach anbelangt, sei
folgendes bemerkt.
I. Radioaktives Wasser aus dem Danielistollen in
St. Joachimsthal.
Auf Grund unserer Untersuchungen an Ort und Stelle weisen
diese Grubenwässer eine Radioaktivität von 460—640 Mache-
einheiten bei einer Temperatur von 12°C auf. Die Restaktivitat
beträgt 0,047 Macheeinheiten. Die hier ausgeführten Messungen
der Radioaktivität, sowie Bestimmungen des Charakters der
Emanation wurden nach den Angaben von J. Elster und H.
Geitel!) und nach Н. Mache und St. Meyer?) vorgenommen.
In 1000 g Wasser wurden gefunden:
Kationen: Anionen:
E oe eaaa 0,00316 g СЇ о еа вв 2з 0,008 g
NN в alae жыз 0,00806 g So ³²˙ð¹¹1ů T 0,042 g
FFP 0,00005 g SIO ve ee A 0,0286 g
С... ee ar ЛГУ 0,02698 g
МЕ ooie sae 0,00498 g
РЕЧИСИ Е" 0,00021 р
Mn ran u. 0,00058 g
1) J. Elster und H Geitel, Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1904.
2) J. Mache und St. Meyer, Sitzungsber. d. kaiserl Akademie d.
Wissensch. Wien 1905.
8*
116 i J. Stoklasa:
II. Radioaktives Wasser vom Barbarastollen.
Dasselbe besitzt eine Radioaktivität von 165—342 Mache-
einheiten bei einer Temperatur von 11° C. In 1000 g des Wassers
befanden sick:
Kationen: Anionen:
RCC ee 0,00266 g F 0,0038 g
Ne 0.0.4. 44, ЖЮ or 0,00584 g SW. У 0,0392 g
CA 2k езе Se ws 0,0133 g POW ж wie шш Re 0,0036 g
МӨ a see 0,0067 g 80 8 0,0302 g
fe 0, 00452 g
Me et oe a 0,0003 g
III. Grubenwasser aus dem Wernerschachte.
Dieses Wasser ist von einer Radioaktivität von 250—400
Macheeinheiten bei einer Temperatur von 10,3°C. Die Rest-
aktivität beträgt 0,06 Macheeinheiten.
In Jonenform ausgedrückt gestaltet sich die Zusammen-
setzung für 1000 g Wasser folgendermaßen:
Kationen: Anionen:
RR; ͤ Tc 0,0039 g . 0,0037 g
Ма A EE 0,0167 g БО к A e 0,01326 g
Са. res 0,00718 g S 0,0031 g
Мое тәам 0,00558 g ІО ена н жов 0,0122 g
ЕРЕ ОЧЕР 0,00432 р ү
Mit ........ 0,00211 к
Aus den vorstehenden Analysen ist ersichtlich, daB sich diese
radioaktiven Wässer durch eine kleine Härte auszeichnen. Beim
Danieli- und Barbarastollen beläuft sich die Härte des Wassers
ungefähr auf 4°, beim Wernerschachte auf 2°. Bemerkenswert
ist hier noch, daß diese Wässer Lithium, sowie Spuren von Stron-
tium und Baryum enthalten. Die Grubenwässer sind verhältnis-
mäßig arm an Kaliumion. Alle diese drei Wässer sind stark ra-
dioaktiv.
AuBerdem sind in St. Joachimsthal noch radioaktive Wässer
vom Schweizergange in einer Aktivität von 80—70 Macheein-
heiten. Die stärksten radioaktiven Wässer befinden sich in der
unmittelbar an der Putzenwacke entspringenden Quelle (ein basal-
tischer Brockentuff), welche gemäß unseren Untersuchungen
900— 1300 Macheeinheiten aufweisen.
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 117
Die Aktivität wird durch die gelöste Radiumemanation er-
zeugt. Die Thoriumemanation ist nicht vorhanden. Es konnte
bloß eine unbedeutende Restaktivität beobachtet werden.
Unsere Untersuchungen bezüglich der Feststellung, ob Zer-
setzungsprodukte, in erster Linie Radiothor, konstatierbar sind,
führten zu negativen Resultaten. Auch in den Sedimenten
konnten ganz geringe Mengen von Radiumsalzen nachgewiesen
werden.
Weitere Untersuchungen werden noch zeigen, ob Aktinium
in den Grubenwässern zugegen ist.
IV. Radioaktive Wässer von Franzensbad und Bram-
bach.
Die Franzensbader Grenzquelle, welche der Bohrung in
Ober-Reuth entspringt, besitzt bei 8,5°C eine Radioaktivität
von 138,6 Macheeinheiten. Die Restaktivität beträgt 0,073 Mache-
einheiten. Die chemische Analyse hat folgendes Resultat ge-
liefert:
1000 g des Mineral wassers, auf Ionen berechnet, enthalten:
Kationen: Anionen:
Kos елж A 0,0497 g V 0,0789 g
Ма оа ае е 0,225 g БО ша жуш а к 0,1941 g
GF уй A 0,162 g РО Gio ле Ake 0,0002 g
Me aes we rear 0,0293 g SIO е аа 0,067 g
EE ee ie: de и 0,0148 g
Von freiem Kohlendioxyd befanden sich in dem Wasser
1,438 g. Auch Spuren von Schwefelwasserstoff waren daselbst
zugegen. Dieses Wasser ist verhältnismäßig reicher an Kalium-
Ion als die Grubenwässer von St. Joachimsthal.
Radioaktives Wasser von Brambach.
Die Wettinquelle (neue Quelle) von Brambach im Vogt-
lande weist nachstehende Zusammensetzung auf: Das Wasser
besitzt bei einer Temperatur von 9,2° С eine Radioaktivität von
860— 1286 Macheeinheiten.
Auch induzierte Aktivität, welche sich aus den vorhandenen
aktiven Sedimenten entwickelt, war nachweisbar. Radiothor
wer in ganz geringen Mengen vertreten.
118 J. Stoklasa:
Unsere chemische Untersuchung hat nachstehendes er-
geben:
In 1000 g des Mineralwassers waren zugegen:
Kationen: Anionen:
„ 0,0399 g . San oy ad жЕ 0,098 g
Ма: ke 0,226 g бО A a 0,299 g
Сас а ae ees ' А 0,204 g PO 55. er eras eS 0,0001 g
МЕ ai ж ж-ш — 0,028 g o. a, ж з 0,088 g
Беа, 0,0135 g
Von freiem Kohlendioxyd befanden sich іп dem Wasser 2,438 р. Das
Kaliumion war hier in derselben Weise vertreten wie im Franzensbader
Wasser.
In diesen beiden Wässern waren neben den vorerwähnten Ionen von
den Kationen noch Strontium, Baryum- und Manganion, von den Anionen
Brom-, Jod- und Arsenion vorhanden.
Zieht man die chemische Zusammensetzung der Wasser in
Betracht, so gelangt man zur Überzeugung, daß die Ionen von
juvenilem Ursprung sind. Diese juvenilen Quellen treten neu-
geboren aus der Tiefe der Erde hervor, um die Hydrosphäre zu
vermehren und der Geosphäre neue Mineralstoffe zuzuführen.
Die Versuche wurden in St. Joachimsthal in den Jahren
1912 und 1915, im Stadtlaboratorium in Franzensbad im Jahre
1913 und die weiteren Versuche in unserer Chem.-phys. Versuchs-
station ausgeführt. Die Experimente wurden in einem Thermo-
stat bei einer Temperatur von 23—25°C vorgenommen. Sie
wurden in der Weise angestellt, daß 30 Macheeinheiten in 12
Stunden auf 100 g Samen wirkten. Das Gewicht der Samen war
auf Trockensubstanz berechnet. Der ganze Vorgang spielte sich in
144 Stunden ab, während welcher Zeit auf 100 g Trockensubstanz
der Samen ca. 360 ME = 144 360 - 10-1? = 0,000144 mg Ra ihre
Wirkung ausübten. Der Keimungsprozeß war in einigen Fällen
nach 48 oder 72 Stunden abgeschlossen.
Eine Übersicht über die Einwirkung der natürlichen und
künstlichen Radioaktivität, sowie des Kaliumchlorides auf das
Erwachen des Embryos bilden folgende Tabellen, in welchen
angegeben ist, was für Anzahl der Embryonen gekeimt haben.
Die Tabellen enthalten die Resultate erstens der Versuche über
den Einfluß der radioaktivfreien Wässer, zweitens der radio-
aktiven Wässer und drittens der radioaktivfreien Wasser, zu
welchen 5g Kaliumchlorid pro 11 zugesetzt wurde.
119
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І.
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`Т#Чэвиицовор 48 UOA us Mun JUT 5 Jon A
19119 4B
120
Aus den Tabellen
ersieht man deutlich,
wie der KeimungsprozeB
bei radioaktivfreiem
Grubenwasser, oder ra-
dioaktivfreiem Mineral-
wasser sowie unter dem
Einflusse dernatürlichen
und künstlichen Radio-
aktivität in St. Joa-
chimsthal, Franzensbad
und Brambach vor sich
geht. DieKeimungs-
energie ist nament-
lich unter Einwir-
kungdernatürlichen
Radioaktivitätüber-
raschend gestiegen.
Am deutlichsten
tritt die Differenzin
der Keimungsener-
gie unter dem Ein-
flusse der natür-
lichen und künst-
lichen Radioaktivi-
tät gegenüber jener
bei Verwendungvon
bloB radioaktiv-
freiem Grubenwas-
ser oder ebensol-
chen Mineralwas-
ser nach 36 Stunden
zutage, wenn man
die erhaltenen Da-
ten in Prozenten
ausdrückt.
In der Zusammen-
stellung findet sich ein
Parallelismus zwischen
J. Stoklasa:
Tabelle III.
Versuche mit Brambacher Mineralwässern.
En nn
— — —— —— —
Wasser ohne Radioaktivität
Radioaktivfreies Wasser
|
ta б 1
Natürliches radioaktives
— — — —ä—Pmä . m ͤ ¶—ÆũDÄ—
.
mit Kallumchloridsusats
Wasser
Künstliches radioaktives
|
Wasser
Es haben folgende Mengen von Samen gekeimt (in Prozenten ausgedrückt):
|
—
In Stunden:
Gesamtanzahl d.
— ——— w— ve
— EEE,
Samen der Pflanzen
nach 144 Std
120
144
72
08
144
144 „
144
144 „
72
Gesamtanzahl d.
gekeimt. Samen
ES S S S S S
888228
Sl
7 | 27 | 51 100 nach 144 Std.
— 81 71 | 887 100
06
144
72
48
144
144 „
144
144
72
gekeimt. Samen
”
”
"
Gesamtanzahl d.
td
n
0D
|
96
144
72
48
120
» 144
» 144
„ 144
72
8 2 8 SS & 2
888888883
=ч
8 5 5
888828888
оо; 25 22 28
.
gekeimt. Samen
100 nach 1448
E E
24 | 86
gekeimt. Samen |
Gesamtanzahl d. |!
|
24 | 86 | 48 72
&
ERZEHNSER
S
2
|
o_o — ñ.—ã§kͥZ 2.
— —u— Eo —
Lupinus angustifollus
Vicia faba Aa.
Triticum vulgare A.
Hordeum distichum B.
Pisum arvense. . . .
Trifolium pratense. .
Hordeum distichum A.
Triticum vulgare В. .
Vicia faba В. ....
Pisum sativum ...
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І. 121
dem nichtradioaktiven Grubenwasser und der Einwirkung der
Radioaktivität von 90 ME = 36 090 - 10 12 = 0,000036 mg Ra
auf 100 g Trockensubstanz der Samen binnen 36Stunden.
Ich lasse die diesbezüglichen Daten zunächst von St. Jo-
achimsthal folgen. Die Versuche mit Grubenwässern von
St. Joachimsthal dokumentieren, daß die Keimungsenergie
bei verschiedenen Pflanzensamen wie folgt gestiegen ist:
Natürliche Künstliche
Radioaktivität Radioaktivität
Pisum sativum ........ 400,0% 300,0%
Pisum arvense ........ 125,0% 83,3%
Lupinus angustifolius ..... 75,0% 25,0%
Vicia faba A...... 96,7% 12,9%
Trifolium pratense. ...... 34,30% —3-2%
Hordeum distichum Aa. 520,0% 280,0%
Triticum vulgare А. ...... 120,0% 60,0%
Hordeum dustichum B. . . . 700,0% 500,0%
Triticum vulgare В. ..... 225,0% 150,0% |
Vicia faba 83. 62,5% 28,1%
Bei den Versuchen mit Franzensbader Mineralwässern hat
sich die Keimungsenergie in nachstehender Weise erhöht:
Natürliche Künstliche
Radioaktivität Radioaktivität
Pisum sativum um 150,0% 100,0%
Pisum arvense ........ 173,6% 100,0%
Lupinus angustifolius ..... 85,7% 28,5%
Vicia faba А. KA. 100,0% 71,4%
Trifolium pratense. ...... 39,0% 20,3%
Hordeum distichum A.. . . . . 900,0% 650,0%
Triticum vulgare А....... 275,0% < 175,0%
Hordeum distichum . 800,0% | 600,0%
Triticum vulgare В. 388. 120,0% 80,0%
Vicia faba . 53,8% 15,30%
Bei den Versuchen mit Brambacher Mineralwässern war
folgende Erhöhung der Keimungsenergie zu beobachten:
Natürliche Künstliche
Radioaktivität Radioaktivität.
Pisum sativum mm 125,0% 75,0%
Pisum arvense ....... 242,8% 142,8%
Lupinus angustifolius . . . . 175,0% 150,0%
Vicia faba Aa... 188,2% 176,4%
Trifolium pratense. . . . . . 478,5% 364,2%
122 J. Stoklasa:
Natürliche Künstliche
Radioaktivität Radioaktivitat
Hordeum distichum ..... 650,0% 300,0%
Triticum vulgare aK. 266,6% 266, 6%
Hordeum distichum B.. . . . 555, 00% 550,0°%
Triticum vulgare В. 838. 350,0% 350,0%
Vicia faba В. gg. 66,6% 20,8%
Die erzielten Daten geben uns eine tiefergehende
Erklärung über die Wirkung der natürlichen und künst-
lichen Radioaktivität auf den KeimungsprozeB und
auf das Erwachen des Embryos. Dabei gelangten wir
z ur interessanten Entdeckung, daß die natürliche
Radioaktivität viel energischer wirkt als die künstliche
Radioaktivität, welche aus der Emanation des Radiums
ge wonnen wurde.
Wie bekannt, ist die Emanation des Radiums noch stärker
radioaktiv als das Radium selbst. Ihre Atome sind noch weniger
fest, als die des Radiums, und zerfallen noch schneller (in 3,8 Tagen
zur Hälfte) in a-Strahlen und ein neues Produkt, von kleinerem
Atomgewicht als die Emanation. Dieses Produkt zerfällt seiner-
seits noch weiter. Jedes der entstehenden Produkte ist charak-
terisiert durch seine Zerfallsperiode. Dieser Prozeß wird dann
zum Schluß kommen, wenn sich ein festes, nicht mehr zerfallendes
Atom bildet; die Auffindung dieses Endproduktes wird sich als
schwer erweisen, da sich minimale Quantitäten bilden werden, die
sogar mittels der empfindlichsten elektrometrischen Methode
nicht zu entdecken sind, weil die Radioaktivität eben fehlt.
Im Gegensatz zu der konstanten Aktivität des Radiums
verliert die Emanation allmählich ihre Radioaktivität, im An-
fang schnell, dann immer langsamer nach einem Gesetze, das
in der Formel
1, == I,e-*
ausgedrückt ist, wo I, die ursprüngliche Aktivität der gegebenen
Quantität Emanation ist, I, die Aktivität zur Zeit t, e die Basis
der natürlichen Logarithmen und 4 die für die Emanation charak-
teristische Konstante, die „radioaktive“ Konstante genannt.
Wie wir bei unseren Versuchen gesehen haben,
wirkt die aus Radiumchlorid hergestellte Emanation
nicht so günstig wie die Emanation, welche in den
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 123
Gruben- undMineralwässern aufgelöst ist. Die E mana-
tion, also das radioaktive Gas, das sich aus Radium
entwickelthat,istnichtidentisch mitdenradioaktiven
Gasen, die inden Wässern aufgelöst sind. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß neben Radiumemanation (Niton)
auch die von Thorium und Aktinium abgegebenen
Gase in ganz kleinen Quantitäten in diesen Mineral-
wässern vorhanden sind. Daß die induzierte Aktivität, die
sich aus der Radiumemanation entwickelt und einen aktiven
Niederschlag bildet, eine gewisse Rolle spielt, ist selbstverständ-
lich. Von diesen Erscheinungen wird in meiner großen
Arbeit „Die Radioaktivitätin der Natur und ihre phy-
siologische Bedeutung für die Pflanzen- und Tier-
organismen“ ausführlich gesprochen.
Nun treten wir zu den Resultaten unserer Versuche mit
Kaliumchlorid. Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, haben sich
in dem Erwachen des Embryos keine großen Unterschiede er-
geben. Nichtsdestoweniger ist bei Gegenwart von Kalium-
chlorid der KeimungsprozeB und die Keimungsenergie viel
schneller vor sich gegangen wie bei gewöhnlichem Grubenwasser,
das radioaktivfrei gemacht wurde. Ausdrücklich betont sei hier,
daß Parallelversuche mit Natriumchlorid angestellt wurden. Es
wurden 5g Natriumchlorid zu 11 radioaktivfreien Wassers zu-
gesetzt und studiert, wie das Natriumchlorid auf die Keim-
fähigkeit und Keimungsenergie derselben Samen wirkte. Es
wurde gefunden, daß das Kaliumchlorid die Wirkung des Natrium-
chlorids weit übertrifft. Durch Natriumchlorid zeigte sich bei
den Gramineen eine günstige Wirkung auf die Keimfähigkeit,
doch ist das so unbedeutend, daß ich von diesen Versuchen nichts
Näheres erwähne. Bei den Leguminosen war eine nachteilige
Wirkung zu konstatieren.
Ernst Lehmann hat eine keimfördernde Wirkung von Kaliumnitrat
auf lichtgehemmte Samen von Veronica Tournefortii!) gefunden. Er hat
nämlich beobachtet, daß die Keimung der Samen von Veronica durch das
Licht gehemmt wird und das Kaliumnitrat dennoch in erheblichem Maße
keimfördernd wirkt. Diese Eigenschaft ist nicht dem Nitration, sondern
dem Kaliumion zuzuschreiben, weil die anderen Nitrate dieses Phänomen
nicht hervorrufen. Es ist hervorzuheben, daß diese Eigenschaft nicht nur
1) Ernst Lehmann, Zeitschr. f. Botanik, Jena 1919.
124 J. Stoklasa:
die Samen von Veronica, sondern auch viele Samen von Hydrophyten
besitzen.
Bei den Versuchen mit St. Joachimsthaler Grubenwassern
war die Keimungsenergie unter Einwirkung von Kaliumchlorid
im Vergleiche zu dort, wo nichtradioaktives Grubenwasser zur
Verwendung gelangte, folgerdermaßen größer:
Bei Pisum sativum .......... um 33,33%
„ Pisum arvense . . . 2 2 2 2 20% „ 25, 00%
„ Lupinus angustifolius ....... „ 12,5%
„ Vicia faba a.. Ж —%
„ Trifolium pratense ........ „ —8 · 2%
„ Hordeum distichum А ...... „ 180,0%
„ Triticum vulgare A... . . . .. „ 20,00%
„ Triticum vulgare 888. „ 50, 00%
„ Vicia faba . „ 18,7%
Bei den Versuchen mit Franzensbader Mineral wässern ist
die Keimungsenergie durch den Einfluß von Kaliumchlorid wie
folgt gestiegen:
Bei Pisum sativum .......... um 25,0%
„ Lupinus angustifolius ....... „ 28,50%
„ Vicia faba А. .......... = 7,1%,
„ Trifolium pratense ........ „ 18,7%
„ Hordeum distichum AKA. 2 300,09
„ Triticum vulgare ....... „ 50, 00%
„ Triticum vulgare 383. „ 20, 00%
„ Vicia faba Bg.. sé 7,6%
Bei den Versuchen mit Brambacher Mineralwässern hat
infolge Einwirkung von Kaliumchlorid folgende Erhöhung der
Keimungsenergie stattgefunden:
Bei Pisum sativum .......... um 200,0%
„ Pisum arvense . . » 2 2 2 2 202. „ 28,50%
„ Lupinus angustifolius ....... „ 75,00%
„ Vicia faba AKK. „ 11,19,
„ Trifolium pratense ese „ 50,00%
„ Hordeum distichum AA. „ 100, 00%
„ Triticum vulgare ....... „ 66,6%
„ Triticum vulgare 333. „ 300, 00%
„ Vicia faba 8. „ 33,30%
Das Kaliumchlorid hat sich in einer Konzentration von
5g pro 11 keimfördernd erwiesen.
Zë РТ Ce eg
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. 1. 125
Über den Einfluß der natürlichen Radioaktivität der Mineralien
. und Gesteine auf die Keimung und Entwickelung der Pflanzen.
Die weiteren Versuche waren dem Studium des Einflusses
der natürlichen Radioaktivität unserer Mineralien, Gesteine und
Bodenarten auf die physiologischen Prozesse des Pflanzenor-
ganismus, und zwar in erster Reihe auf die Keimung der Samen
gewidmet.
Die Versuche wurden einerseits in der Weise ausgeführt, daß
die Samen direkt auf dem Gestein der Keimung überlassen wurden,
anderseits in Emanatorien, in welchen die von dem Gestein frei
entwickelte Emanation zur Wirkung gelangte. Die vergleichen-
den Versuche wurden bei 15—18 С vorgenommen.
Versuche mit der Keimung der Samen direkt auf dem
Gestein.
Es wurden 100 g des pulverisierten Gesteins abgewogen und auf eine
Schale gebracht mit einer doppelten Schicht von Filtrierpapier bedeckt,
und auf diesem je 50 Samen zur Keimung gebracht. Da die verschiedenen
Gesteinsarten eine verschiedene Wasserkapazität aufwiesen, wurde diese
für jeden Fall im voraus bestimmt und dann die entsprechende Wasser-
menge zugeführt. Täglich wurden sodann weitere 25 ccm Wasser zugesetzt.
Die angewendeten Gesteine besaßen nachstehende Radio-
aktivitat :
S/ ²˙ dee Ae Ж 0,50
Basalt von Rip ca aie beh tr te fees о 3,90
Basalt von Schluckenau. ....... 8,87
Porphyr von Marienbad. ....... 5,01
Granit von Sedlčany .........- 6,76
Die Keimversuche wurden mit den Samen der Gerste und
des Weizens ausgeführt, und die Versuchsresultate sind in der
folgenden Tabelle enthalten:
Versuch Gerste Weizen
es keimten in % nach Stunden:
24 48 72 96 24 48 72 96
mit Sand ............ 6 38 52 94 4 28 42 88
mit Basalt von Rip 8 42 60 96 6 32 44 90
mit Basalt von Schluckenau . . . 12 50 74 98 10 40 56 94
mit Porphyr von Marienbad. . . . 8 46 64 98 4 32 44 88
mit Granit von Sedlčany . . . .. 8 44 62 96 4 30 42 86
126 J. Stoklasa:
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daB insbesondere
die Radioaktivitat des Basaltes, PorphyrsundGranits
von günstigem Einflusse auf die Samenkeimung war.
Keimversuche in den Emanatorien.
A. Versuche in kleineren Glaszylindern von 20 Liter Gehalt.
Zu diesen Versuchen wurden folgende Mineralien und Ge-
steine angewendet:
1. Calcit-Magnesit von St. Joachimsthal mit 67,04 - 10 12 g
Ra in 1g’).
2. Basalt von St. Joachimsthal mit 75,70 . 10 12 g Ra in 1 g.
3. Uranpecherz 161. 105 Ra in 1 g.
In die Glaszylinder, welche mit einem eingeschliffenen Glas-
deckel versehen waren, wurde auf den Boden eine Schale mit
100 g des Minerals oder des Gesteins gesetzt und darüber ein
Ständer mit der Glasschale, die auf Filtrierpapier gebettet die
Samen enthielt. Täglich wurden 25 cem Wasser mittels eines
Tropftrichters zugeführt, welcher durch den Glasdeckel hindurch-
ging. Zu gleicher Zeit wurden bei gleichartiger Versuchsanordnung
Parallelversuche ausgeführt, wobei anstatt der Mineral- oder
Gesteinsarten Quarzsand von Horni Briza Verwendung fand.
Um den Einfluß der ungleichartigen Belichtung auszu-
schlieBen, wurde vor die Apparate ein Leinwandschirm gesetzt.
Der Keimverlauf, sowie die Entwicklung der Pflänzchen wurde
nach vier Tagen und einige Zeit noch nachher an freier Luft
beobachtet.
Bei den ersten Versuchen war der Glasdeckel nicht mit
Paraffin abgedichtet, so daß die Luft etwas Zutritt hatte. Die
Versuche, die mit Gerstensamen ausgeführt wurden, ergaben
folgende Resultate:
100 Samen keimten Gewicht der Keimlinge in
100 g іп % d. Trockensubstanz in mg
) Nach 24 48 72 72 Stunden
Sand ЖУРЕТ a, КО. 8 92 98 342,8 mg
Calcit-Magnesit ..... 14 98 98 584,4 mg
Die Emanation aus dem Calcit- Magnesit wirkte
günstig auf die Keimung und Pflanzenentwicklung:
1) Das Calciummagnesit hat akzessorische Beimengungen von radium-
haltigen Mineralien.
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 127
die Trockensubstanz der Keimlinge war unter Einwirkung der
Emanation um 70, 4% größer, als beim Kontrollversuche.
Eine andere Versuchsreihe hatte folgende Resultate:
Radioaktivität der
100 g Gestein Eg еш с n: u Luft von
ME Curie • 1012
San 0 8 15 — —
Calcit-Magnesit .... . 3 15 45 0,41 164
Basalt von St. Joachimsthal 8 30 63 3,30 1323
Bei den weiteren Versuchen wurden die Samen vorher mit
Wasser maceriert; die Versuchsresultate waren:
Es keimten % von
Radioaktivit.
100 g Mineral oder Gestein мю SS Se SE der Luft
2
nach 24 St. nach 17 St. GE
/ vw: He SS жою аз 39 50 —
Caleit- Magnesit. 72 66 0,41
Basalt ............. 18 88 3,30
Uranpecherz .........-. — 56 341,0
Eine schwache Radioaktivität wirkt sehr günstig auf den
Keimverlauf.
Bei den weiteren Versuchen wurden die Glasdeckel der
Emanatorien mit Paraffin verschlossen, so daß die Luft keinen
Zutritt von außen hatte. Die Samen wurden vor dem Versuche
maceriert.
Versuche mit Gerste:
Radioaktivität der Luft Es keimten n. 30 Std. %
100 g ME Curie. 10-: I. II.
ü? ЕЕ z 36 39
Calcit-Magnesit . . . . . . 0,61 244 22 22
Basalt von St. Joachimsthal 3,30 1323 20 19
Uranpecherz шз . 3500 140350 17 16
Bei dem Versuche mit Uranpecherz und bei dem Kontroll-
versuche mit Sand wurden die Pflänzchen 7 Tage lang weiter
entwickeln gelassen und sodann das Gewicht der Trockensubstanz
des oberirdischen Teiles bei 105° C bestimmt; es wurde gefunden:
Versuch ohne Emanation 748,2 mg
Versuch mit Emanation von Uranpecherz . . . 292,6 mg
Diese Versuche dokumentieren wieder, daB die starke Ra-
diumemanation toxische Wirkungen hervorgerufen hat.
128 J. Stoklasa:
Versuche mit Roggen.
Radioaktivität der Luft Es keimten
100 g ME Curie . 101 nach 48 Std.
Sand’ жу уз жя es A Sie ж з — — 82%
Calcit-Magnesit ....... 0,64 256 740%
Basalt von St. Joachimsthal 3,30 1323 63%
Uranpecherz ........ 350,0 140 350 56%
Aus diesen Versuchen ist ersichtlich, daß bei ungenügendem
Luftzutritt die Radiumemanation eine schädigende Wirkung auf
die Entwicklung der Pflanzen ausübt und die Keimung hintanhält.
B. Versuche in großen Emanatorien von 66 Liter Inhalt.
Die Methodik dieser Versuche war die gleiche, wie in den
vorhergehenden. Die Samen der Gerste wurden auf: mit Filtrier-
papier ausgelegten Schalen gelegt und über die radioaktive
Substanz gestellt. Als Emanationsproduzent wurde Basalt von
Joachimsthal gewählt. Nach 28 Stunden wurde die Aktivität
der Luft festgestellt und die ausgekeimten Samen gezählt.
Sodann wurden die Samen in einem Glaskasten der weiteren
Entwicklung überlassen, nach 12 Tagen die Länge des oberirdischen
Teiles gemessen und das Trockengewicht der Pflänzchen bestimmt.
i Versuch I Versuch II
ИК ө R Ө R
Gewicht desselben 300 g 400 g
Oberfläche desselben . . . . . . . 530 ccm 1018 ccm
Emanation nach 28 Std.. . .. . 0,8 ME 2,2 ME
Gekeimt O .. 46 65 44 76
Gewicht der Pflanzen im fri- .
schen Zustande ...... 15,1 g 19,7 g 11.7 g 19,0 g
Weiter wurden Versuche ausgeführt, um die Keimung der
Samen in einem Emanation enthaltenden Luftstrom zu studieren.
Aus den vorhergehenden Versuchen folgt nämlich, daß sich eine
günstige Wirkung der Emanation nur in dem Falle bei den phy-
siologischen Versuchen bemerkbar macht, wenn bei der Keimung
eine genügende Sauerstoffmenge zur Verfügung ist, also für Luft-
erneuerung gesorgt ist. Dies ist im Einklange mit den Erfahrungen,
welche bei der Radiotherapie gewonnen wurden, welche dahin
gehen, daß ein günstiger Einfluß auf die physiologischen Pro-
zesse des menschlichen Organismus durch die Emanation nur
dann zur Geltung kommt, wenn sich der Kranke während der
Kur viel in der Luft bewegt, insbesondere in der Sommerszeit,
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І. 129
wo sich die Sonnenstrahlenenergie am längsten und am intensiv-
sten geltend machen kann.
Die Versuche, über welche im folgenden berichtet
wird, bestätigen, daß ähnliche Verhältnisse auch bei
dem Einflusse der Radioaktivität auf den Pflanzen-
organismus zu finden sind.
Die Versuche im radioaktiven Luftstrome wurden in Glas-
zylindern von ca. 201 Inhalt ausgeführt, durch welche mittels
eines Aspirators, der am Ende der Versuchseinrichtung geschaltet
war, Luft gesaugt wurde, welche Radiumemanation in einem
Gefäße, auf dessen Boden 50g Basalt von Schluckenau, bzw.
Uranpecherz geschüttet war, aufnahm. Sonst war die Versuchs-
einrichtung dieselbe, wie in den vorhergehenden Versuchen. Als
Versuchsobjekt dienten die Samen von Hordeum distichon.
Ohne Mit Mit
Emanation Basalt Uranpecherz
Luftstrom-Aktivität. ........ — — 1,38 ME
Nach 24 Std. keimten O 71 77 81
Gewicht der Pflanzen im frischen Zu-
An lee 8,8 g 14,1 g 16,5 g
Gewicht des oberirdischen Teiles, frisch 4, 6 g 9,5 g 13,4 g
Gewicht des oberirdischen Teiles in der 8
Trockensubstanz. ........ 727,0 mg 881,4 mg 952,2 mg
Vergleichsversuche über den Einfluß des Sauerstoffes
bei der Radiumwirkung auf die Pflanzen.
Versuche bei verschiedenem Luftvolumen. Temp. 15—18° С.
Zu den Versuchen wurden einerseits Glaszylinder von 201
Inhalt, anderseits Emanatorien von 601 Inhalt benützt und als
Versuchspflanze Gerste verwendet, deren Samen in Glasschalen
auf Filtrierpapier über eine Sandschicht gelegt wurden. Sonst war
die Versuchseinrichtung dieselbe, wie in den früheren Versuchen.
Im Ben Im kleinen
Ma 5 Emanatorium
0 R 0 R
Uranpecherz ...... — 75 g == 25 g
dessen Oberfläche . . . . — 60 ccm — 187 ccm
Radioaktivität der Luft — 13,1 ME — 7,05 ME
Ausgekeimt % nach ] I. 49 62 53 46
nach 28 Std. | II. 50 63 52 47
Kohlendioxyd: Volum-% . 0,036 0,038 ‚ 0,048 0,047
Sauerstoff: Volum-% . . 21,2 20,2 20,4 20,0
Biochemische Zeitschrift Band 103. : d
130 J. Stoklasa :
Nach 28 Stunden wurden die Keimlinge aus den Glasschalen
herausgenommen und an der Luft unter Glaskästen der weiteren
Entwicklung überlassen. Sie wurden täglich mit 10 ccm destil-
liertem Wasser begossen und sodann das Gewicht der Pflänzchen
bestimmt:
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
Gewicht der ganzen Pflanze Ө R Ө R
im frischen Zustande . 18,8 g 21,7 g 18,0 g 20,0 g
Gewicht des oberirdischen
( EEN 5, 9 g 7,5 g 5, 7 g 7,4 g
Gewicht des oberirdischen
Teils in Trockensubstanz 557,2 mg 711,2 mg 544,9 mg 683,8 mg
Versuche mit Vicia faba.
Die Versuche wurden mit je 25 Samen ausgeführt, welche
2 Stunden in destilliertem Wasser maceriert wurden. Die Glas-
schalen mit Uranpecherz enthielten 150 g auf einer Fläche von
1018 cem in den großen und 50 g auf einer Fläche von 187 ccm
in den kleinen Emanatorien. Temperatur 15—18 C.
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
Ө R Ө R
Uranpecherz ..... — 150 g — 50 g
dessen Oberfläche. — 1018 ccm — 187 cem
Radioaktivität der Luft
nach 86 Stud — 47,7 ME — 26,6 ME
| © 46 Stunden. 5=20% 8 = 232% 5=20% 3=12%
В| 52 „ . 10 400. 13 52% 10 40% 6= 249%
Я] 7o „ . . 18 - 72% 21 84% 17 68% 12 = 48%
276 „ . 20 = 80% 23 92% 21 = 84% 18 = 72%
94 „ . 23 ⸗ 92% 25 100% 24 96% 23 = 92%
& (100 „ . 24 ⸗ 96% 25 = 100% 25= 100% 24 = 96%
Hierauf wurden die Glasschalen mit den Samen herausge-
nommen und an der freien Luft der Weiterent wicklung überlassen.
Nach 12 Tagen wurden die Pflänzchen gemessen, gewogen und
die Trockensubstanz des oberirdischen Teiles bestimmt.
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
Ө R Ө R
Gewicht der frischen Pflanzen 38,49 55,1g 43,1 g 47,8 g
Gewicht des frischen oberirdi-
schen Teils 7, 1 g 17,1 g 9,4 g 12, 2 g
Gewicht des oberirdischen Teils |
in der Trockensubstanz. . 727,2 mg 1585,7 mg 868,8 mg 1122,3 mg
%
100
Radioaktivitat des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 131
Versuche mit Pisum sativum.
Diese Versuche ergaben die gleichen Resultate. Temperatur
16—18° С.
GroBes Emanatorium Kleines Emanatorium.
Ө R Ө R
Uranpecherz ..... — 150 g — 50 g
dessen Oberfläche — 1018 ccm — 187 ccm
9 52 Stunden —=0% = 4% —= 0% 0=0%
E 70 H =20% 8 = 232% 6 = 24% 5 = 209.
g ) 76 35 8 = 32% 13 = 52% 10 = 40% 9 — 36%
Ba „ 13 52% 18 72% 16 72% 12 480%
P 100 5 . . 15 = 60% 21 = 84% 19=76% 17 = 68%
2 1s „, . 19 = 76% 23 — 92% 91 = 840% 24 = 96%
In dem folgenden Diagramm sieht man die Keimungs-
kurven, und zwar den Verlauf im großen Emanatorium Eo und Er
und im kleinen Emanatorium Ho und Er bei An- und Abwesen-
heit von Sauerstoff.
120 Stunden
Versuche mit Phaseolus vulgaris.
Diese Versuche ergaben folgende Resultate. Temperatur
15—18° С.
dh
132 J. Stoklasa:
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
Ө R 8 R
Uranpecherz .. 0 Sand 150 g 0 Sand 50 g
dessen Oberfläche 1018 ccm 187 ccm
o ( 70 Stunden 2 = 8% 4=16% 3 = 12%, 2= 8%
8 76 „ . . As 16% 6 = 24% 5 = 200% 4=16%
8 94 „. . . 10 = 40% 12 = 48% 11 = 44% 8 = 32%
5 {10 „ . . 18 = 52% 17 = 68% 15 = 60% 10 = 40%
ч |118 „ . . 15 = 60% 20 = 800% 20 = 800% 17 = 68%
D 124 „ 18 72% 23 92% 22 88% 20 80%
1142 „ 21 = 84% 23 = 92% 23 = 92% 21 = 84%
Versuche mit Gestein in Stücken.
Um festzustellen, in welcher Weise sich das Gestein nicht
in Pulverform, sondern in Stücken verhält, also in der Form, in
welcher es in der Natur im Boden vorkommt, und wie in diesem
Falle sich die Emanationsent wicklung zur Geltung bringt, wurde
eine Reihe von Versuchen ausgeführt, in welchen sonst unter
gleichen Bedingungen, wie früher anstatt gemahlenem Gestein
dasselbe in Stückform angewendet wurde. Als radioaktive Sub-
stanz fand der Basalt von Schluckenau Verwendung und
wurden die Keim versuche mit Pisum sativum ausgeführt.
Die Stückgröße vom Basalt war die einer WalnuB.
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
Ө R Ө R
Beschickung Sand 200g Basalt Sand 200g Basalt
Radioaktivität der Luft — 0,21 ME = 0,53 ME
а ( 52 Stunden — = 0% l= 4% —=0% — = 0%
8 70 „ 4 = 16% 5 = 20% 5 = 20% 3= 12%
DWI a 6 = 24% 6= 2% 17 = 28% 5 = 20%
Eia „ 10=40% 12=48% 12=48% 10 = 40%
$ 100 „ 14 = 56% 16 = 64% 15 = 60% 14 = 56%
2 118 „ 19 = 76% 20=80% 20 = 800% 19 = 76%
< (194 „ 21 = 84% 22 = 88% 23=92% 22 = 88%
Versuche in Emanatorien von verschiedenem Volum,
aber gleichem Sauerstoffgehalt.
Die Keimversuche wurden in kleinen Glaszylindern von 201
Inhalt und in großen Emanatorien, die 661 faßten, ausgeführt.
Um die Sauerstoffmenge auf denselben Wert zu bringen, wurde
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 133
die Konzentration des Sauerstoffes in den kleineren Zylindern
auf 66% gebracht, wie das in den großen Emanatorien der Fall
war. Dann war in beiden Versuchsgefäßen nahezu dieselbe
Menge von Sauerstoff freilich in verschiedenen Volumen ent-
halten.
Die Versuche über die Wirkung der Radioaktivität wurden
mit 25 Samen, die vordem 2 Stunden in Wasser maceriert worden
waren, ausgeführt. Diese Samen wurden dann auf Keimschalen
gelegt und in die Emanatorien gebracht, worauf der Sauerstoff-
gehalt auf nahezu 66% in den kleineren Versuchszylindern er-
höht wurde. Die Versuche wurden mit Pisum sativum, Vicia
faba und Zea Mays ausgeführt und es wurde der Keimverlauf
in bestimmten Intervallen festgestellt.
Versuch mit Pisum sativum
Großes Emanatorium
Kleines Emanatorium
Ө В d R
Beschickung Байа OE ana en:
pecherz pecherz
Oberfläche 1018 ccm 187 ccm
д 52 Stunden — = 0% l= 4% —= 0% —= 0%
g 70 „ 3 = 12% 6 = 24% 228 % 5 = 200%
> 76 „ d = 16% 8 = 32% 32 12% 6= 2%
94 „ 9 = 36% 14 = 56% 8 = 32% 12 = 48%
ý 100 — 12 = 48% 16 = 64% 10 = 40% 13 = 52%
= 118 „ 18 = 72% 20 = 800% 17 = 68% 18 = 72%
4 1124 „ 20 = 80% 22 = 88% 19 = 76% 21 = 84%
Versuch mit Vicia faba.
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium
8 R Ө R
Beschickung 80% San ET con send "ЭОБ ren
pecherz pecherz
Oberfläche 1018 ccm 187 ccm
a ( 46 Stunden 5=20% 9=36% 5=20% 9= 36%
3 52 „ 8 = 32% 12 = 48% 8 = 320) 13 = 52%
з 70 „ 15 = 600% 18 = 72% 15 = 60% 17 = 68%
4476 „ 18 = 72% 20 = 809) 17 = 68% 19 = 76%
p 94 „ 91 = 84% 23 = 92% 21 = 84% 22 = 88%
= 100 „ 22 = 88% 93 = 92% 21 = 84% 22 = 88%
1118s „ 94 = 96% 24 = 96% 23 = 92% 23 = 92%
134 J. Stoklasa:
Versuch mit Zea Mays.
GroBes Emanatorium. Kleines Emanatorium.
Ө R 8 R
: 150 g Uran- 150 g Uran-
Beschickung 150 g Sand ресе: 150 бапа e E
Oberfläche . . 1018 ccm 187 ccm
„а ( 46 Stunden = 16% 6 = 24% 3 = 12% = 240,
8 52 „„ 6 = 24% 10 = 40% 5 = 200% 8 = 320,
270 „ 11 = 44% 13 = 52% 11 = 44% 14 = 56%
fiw „ 144=52% 16=64% 13=52% 16= 64%
Sja „. 19 = 76% 20=80% 18=64% 20 = 800%
= 100 „ 21 = 840% 22 = 88% 20 = 800% 21 = 84%
4\18 „ 23 = 92% 23 = 92% 22 — 800% 21 = 84%
Diese Versuche sprechen ganz deutlich dafür, daß ein be-
stimmter Zusammenhang zwischen der Wirkung der Radium-
emanation und der Sauerstoffkonzentration besteht. Wenn in
den kleinen Emanatorien nicht genügende Zirkulation von Sauer-
stoff vorhanden ist, so ruft die Radiumemanation schädliche
Wirkungen auf den ganzen KeimprozeB hervor. Sind aber größere
Mengen von Sauerstoff zugegen, wie in den großen Emana-
torien, oder wo der reine Sauerstoff künstlich zu gesetzt wurde, 80
verläuft der Keimungsprozeß ganz normal. Also bei großen Sauer-
stoffkonzentrationen hat die Radiumemanation sogar die Keim-
fähigkeit gefördert. Das Phänomen ist gewiß von großer Wichtig-
keit und ist eine Richtschnur für alle Beobachtungen über die
Wirkung der Radiumemanation auf den pflanzlichen und tieri-
schen Organismus. Wenn nicht geeignete Verhältnisse zwischen
der Radiumemanation und dem Sauerstoff herrschen, so kann
eine verhältnismäßig schwache Emanation auch schon toxische
Wirkungen nach sich ziehen. Bei reichlicherer Sauerstoffzufuhr
kann sogar eine starke Radiumemanation ohne schädliche Wir-
kung auf den gesamten Stoffwechsel in der chlorophyllhaltigen
und chlorophyllosen Zelle einwirken.
Unsere weiteren Beobachtungen haben aber ergeben, daß
die Mechanik der Radiumwirkung nicht nur von der Sauerstoff-
menge in der Atmosphäre abhängig ist, sondern auch von der
Intensität der Insolation. Die Radiumwirkung übt im Sommer
einen ganz anderen Einfluß aus als im Winter.
Aus allen unseren Beobachtungen geht hervor, daß
die Radioaktivität in der Natur ein wichtiger Vegeta-
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 135
tionsfaktor ist und daß namentlich die Radioaktivität
der Mineralien, Gesteine, Böden, sowie des Wassers
auf den ganzen Bau- und Betriebsstoffwechsel der
Pflanzen einen großen Einfluß ausübt. Das ist also
ein Vegetationsfaktor, der bei der Entwicklung der
Pflanzen in der Natur genau beobachtet werden muß
und bei den physiologischen Forschungen keinesfalls
übersehen werden darf. |
Bei den Versuchen mit Gerste haben wir eine günstige Wirkung der
Radiumemanation in den großen Emanatorien verzeichnen können, wo
eine Radioaktivität der Luft von 13,1 ME = 5253,1 - 10-1? = 0,000005 mg
Ra herrschte; in den kleinen Emanatorien, wo nicht genügende Mengen
von Sauerstoff vorhanden waren, wirkten 7,05 ME = 2827. 10"?
= 0,0000028 mg Ra schon schädlich und hemmten den ganzen Keimungs-
prozeB.
Dasselbe konnten wir bei anderen Versuchen mit Pisum sativum,
Vicia faba und Phaseolus vulgaris in kleinen Emanatorien konstatieren,
wo 26,6 ME = 10666,6 - 10-12 = 0,0000106 mg Ra eine hemmende Wir-
kung auf den KeimungsprozeB hervorrief, während 41,7 ME = 16721
- 10-12 = 0,0000167 mg Ra einen günstigen Einfluß auf den Keimungs-
verlauf ausübten, nachdem wieder genügende Quantitäten von Sauerstoff
in großen Emanatorien zugegen waren. А
Wenn дег Sauerstoff dann іп den kleinen Emanatorien in gentigenden
Mengen zugefiihrt wurde, wie bei den Versuchen mit Pisum sativum, Vicia
faba und Zea mays, haben 26 ME = 10 426. 10 -'* = 0,0000104 mg Ra
den Keimungsprozeß nicht beeinflußt, im Gegenteil begünstigt.
Die Wirkung war fast dieselbe wie in großen Emanatorien, wo 41,7 ME
= 16721 -10-1*g Ra = 0,0000167 mg Ra vorhanden waren.
Diese Versuche dokumentieren, daß 26 ME bei Abwesen-
heit von genügenden Mengen von Sauerstoff schädlich wirkten
und 41,7 ME einen günstigen Verlauf des Keimungsprozesses
hervorriefen, nachdem die Versuche in großen Emanatorien aus-
geführt worden sind, in welchen 661 Luft vorhanden waren, wo-
gegen in den kleinen Emanatorien bloß 201 Luft zugegen waren.
Wie wir also sehen, wird die Radiumwirkung ungemein
durch die Belichtung und die Sauerstoffmenge in der Atmosphäre
beeinflußt.
Über die Wirkung des Kaliums auf den Keimungsprozeß in den
Emanatorien.
Gewiß von großem Interesse ist, wie sich der Keimungs-
prozeß der Samen verschiedenartiger Pflanzen verhält, wenn
2
136 J. Stoklasa:
große Quantitäten Kalium in verschiedener Form in den Emana-
torien vorhanden sind, wie da die Emanation des Radiums zur
Geltung kommt.
Daß das Kalium im Dunkeln Elektronen emittiert, wurde zuerst von
J. J. Thomson im Jahre 1905 hervorgehoben. Die Kalisalze besitzen
eine schwache $-Aktivität, die ungefähr }/, оо von der B- Akti-
vität des Uraniums beträgt, worauf wir schon aufmerksam gemacht
haben. Die Aktivität scheint eine spezifische Atomeigenschaft des Kaliums
zu sein. Das Kalium sendet unter dem Einfluß des Lichtes £-Strahlen?*)
aus, die den Kathodenstrahlen sehr ähnlich sind, d. h. sie besitzen eine
photoelektrische Empfindlichkeit.
Die photographische Wirkung der $-Strahlen sowie ihr Ionisierungs-
vermögen wurde tatsächlich nachgewiesen.
Nach den Angaben von E. Henriot unterhält eine Schicht von 1 ccm
Oberfläche in Luft normaler Dichte als Folge der Ionisation ihrer 6-Strah-
lung einen Sättigungsstrom von K.SO, ca. 9,10 stat. Einh. (ca. 3,10“
Amp.).
Es ist also gewiß von großem Interesse zu erfahren, wie die
Strahlen des Kaliums, welche sich in verschiedenartigen Ver-
bindungen im Emanatorium befinden, auf den Keimungsprozeß
der Samen einwirkten. Zu diesem Behufe haben wir kleine
` Emanatorien von 20 1 Inhalt benutzt und für jedes Emanatorium
1,75 kg Kalium in Form von Kaliumhydroxyd, oder
Kaliumchlorid oder Kaliumsulfat zur Anwendung
gebracht. Die Emanatorien waren so eingerichtet, daß über
die einzelnen Kaliverbindungen die Glasschale, auf deren Boden
Filterpapier sich befand, gelegt wurde. Auf jeder Glasschale
waren 25 evtl. 50 Samen vorhanden. Zu den Glasschalen führte
ein trichterförmiges Glasrohr, welches bis zu dem Boden der
Glasschale reichte. Es wurde immer dasselbe Quantum Wasser
zu jeder Glasschale zugesetzt, damit die Wassermenge überall
konstant war. Der Rauminhalt der Schalen war überall gleich.
Pro Glasschale wurden 20—30 ccm im Anfang benutzt. Es wurde
streng darauf geachtet, daß sich in jeder Glasschale dieselben
Quantitäten Wasser befanden und wurden sogar in der Nacht
diesbezügliche Beobachtungen gemacht.
1) Frederick Soddy vertritt in seinem bekannten Buche: Die
Chemie der Radioelemente die Ansicht, daß das Kalium Kathodenstrahlen
sendet. Siehe Frederick Soddy, La chimie des &lements radioactifs.
Paris 1915.
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 137
Der Keimungsprozeß der Samen ist unter dem Einfluß des
diffusen Lichtes vor sich gegangen. Wir haben unsere Versuche
mit nachstehenden Samen vorgenommen:
Hordeum distichum, Triticum vulgare, Secale
cereale, Avena sativa, Phaseolus vulgaris, Vicia faba.
Die Resultate waren auf Prozente umgerechnet folgende:
I. Versuche mit Hordeum distichum. Temperatur 23—25° С.
Nach 47 Stunden keimten: I II
Im Emanatorium mit reiner Luft. . 24% 26%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 38% 40%
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid. 40% 36%
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 36% 36%
II. Versuche mit Triticum vulgare. Temperatur 17—19°C.
Nach 72 Stunden haben gekeimt: I II
Im Emanatorium mit reiner Luft. 26% 24%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 42% 38%
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid. 36% 34%,
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 38% 40%
ПІ. Versuche mit Secale cereale. Temperatur 18—20° С.
Nach 48 Stunden haben gekeimt: I. II
Im Emanatorium mit reiner Luft . 62% 64%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 88% 86%
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 80% 82%
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 92% 90%
IV. Versuche mit Avena sativa. Temperatur 18—21° C.
Nach 72 Stunden haben gekeimt: 1 II
Im Emanatorium mit reiner Luft . 12% 14%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 24% 26%
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 22% 24%
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 24% 26%
V. Versuche mit Vicia faba. Temperatur 22—24° C.
Nach 48 Stunden haben gekeimt: I II
Im Emanatorium mit reiner Luft. . . 20% 20%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 33% 32%,
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid 28% 30%
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 30% 32%
VI. Versuche mit Phaseolus vulgaris. Temperatur 30—34° С.
Nach 68 Stunden haben gekeimt: I п
Im Emanatorium mit reiner Luft. . . 16% 16%
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 22% 24%
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 24% 26%
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 38% 36%
138 Е J. Stoklasa:
Um die sich hier ergebenden Differenzen genauer ersichtlich zu machen,
lasse ich sie in Prozenten ausgedrückt folgen.
Bei Hordeum distichum haben durchschnittlich unter Einwirkung
von Kaliumhydroxyd um 56%, unter Einfluß von Kaliumchlorid um 52%
und bei Gegenwart von Kaliumsulfat im Emanatorium um 44%, mehr ge-
keimt, als im Emanatorium mit reiner Luft.
Bei Triticum vulgare war durchschnittlich bei Anwesenheit von
Kaliumhydroxyd im Emanatorium die Keimung um 60%, unter Einwir-
kung von Kaliumchlorid um 40%, und unter Einfluß von Kaliumsulfat um
56%, gestiegen im Vergleich zu dort, wo bloß reine Luft im Emanatorium
zugegen war.
BeiSecalecerealewardurchschnittlich beiVorhandensein von Kalium-
hydroxyd im Emanatorium eine um 38, 090%, bei Gegenwart von Kaliumchlorid
eine um 28,5%, und unter Einwirkung von Kaliumsulfat eine um 44, 40%
größere Keimung zu konstatieren, als im Emanatorium mit reiner Luft.
Bei Avena sativa stieg durchschnittlich bei Gegenwart von Kalium-
hydroxyd im Emanatorium die Anzahl der gekeimten Samen um 92,3%,
unter Einwirkung von Kaliumchlorid um 76,9%, und bei Anwesenheit von
Kaliumsulfat um 92,3%, gegenüber dort, wo nur reine Luft im Emanatorium
sich befand. |
Bei Vicia faba war die Keimung unter Einflu8 von Kaliumhydroxyd
durchschnittlich um 62,5%, unter Einwirkung von Kaliumchlorid um 45%
und bei Gegenwart von Kaliumsulfat im Emanatorium um 55% größer,
als im Emanatorium mit reiner Luft.
Bei Phaseolus vulgaris stieg durchschnittlich die Keimung bei
Gegenwart von Kaliumhydroxyd um 43,75%, bei Einwirkung von Kalium-
chlorid um 56,2% und unter EinfluB von Kaliumsulfat um 131,25% gegen-
über dort, wo bloß reine Luft im Emanatorium zugegen war.
Diese Zahlen dokumentieren, daß durch die emit-
tierten Strahlen des Kaliums der Keimungsvorgang
viel energischer .bei allen Samen, mit welchen wir die
Versuche ausführten, vor sich gegangen ist. Drückt
man diese Differenz in Prozenten aus, so merkt man
genau, daß die Aktivität einen günstigen Einfluß auf
das Erwachen desEmbryoshervorgerufenhat. Wir haben
uns bemüht, die Aktivität der Luft, wo Kaliumhydroxyd vor-
handen war, zu bestimmen und gefunden, daB die Aktivität in einem
Falle 0,08 ME pro 11 Luft, in einem anderen Falle 0,0096 ME pro
11 Luft beträgt. Ob diese Daten ganz exakt sind, werden die
weiteren Untersuchungen erst lehren. Man könnte annehmen,
daß möglicherweise eine gewisse Menge vom Kaliumhydroxyd
oder Kaliumchlorid von dem Wasser absorbiert werden könnte
und infolgedessen der Keimungsprozeß begünstigt wurde.
Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 139
Zum Nachweis des Kaliums haben wir alle Reaktionen, namentlich
die Methode von De Koningh und die mikrochemische Methode von
Macallum angewendet.
Nach jedem Versuch überzeugten wir uns, konnten aber
nicht einmal Spuren von Kalium nachweisen, so daß wir mit
Bestimmtheit erklären können, daß der vorgeschrittene Keimungs-
prozeB und überhaupt die Keimungsenergie nur der Aktivität
des Kaliums und den emittierten ß-Strahlen zuzuschreiben ist.
Diese Tatsache ist gewiß von hoher physiologischer Bedeutung
und eröffnet uns eine neue Perspektive in der Beteiligung des
Kaliums bei den Lebensvorgängen der Pflanze.
Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der
Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums
auf die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstums-
prozeß der Pflanzen. II.
Von
Julius Stoklasa.
(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, Е. Napravil und
J. Hromádko.)
(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm. techn. Hochschule
in Prag.)
(Eingegangen am 15. April 1920.)
C. Neuberg hat im Jahre 1904 (für den Tierkörper) fest
gestellt, daß die biochemische Wirkung der radioaktiven Stoffe
zum wesentlichen Teil auf dem Wege über die Beeinflussung
der Zellfermente eintritt!).
Der Mechanismus der Radiumemanation auf den
lebenden OrganismusderSamen ist vom physiologisch-
chemischen Standpunkte sehrinteressant. Durch unsere
Versuche wurde nachgewiesen, daß die Radiumemanation auf
die enzymatischen Prozesse, und zwar namentlich die Erhöhung
der Aktivität der Enzyme, äußerst günstig wirkt. Es gilt dies
namentlich von den Carbohydrasen, Amylasen, Amidasen
(Proteasen), Oxydasen und Gärungsenzymen, speziell
glucolytischen Enzymen?).
Nun schreiten wir zu unseren Versuchen über Einwirkung
der Radiumemanation in den Emanatorien auf den Keimungs-
prozeB der Samen.
1) C. Neuberg, Zeitschr. f. Krebsforsch. 2, 171. 1904; s. ferner
C. Neuberg, Chem. u. physik.-chem. Wirkungen radioaktiver Substanzen
und deren Beziehungen zu biologischen Vorgängen. Monogr. Wiesbaden 1913°
2) Über die Einwirkung der Radiumemanation auf die enzymatischen
Prozesse wird in einer speziellen Arbeit eingehend gesprochen.
J. Stoklasa: Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 141
Wie ich schon hervorgehoben habe, wirkt die Radiumemana-
tion äußerst günstig auf die Erhöhung der Aktivierungsprozesse
der Enzyme. Um uns zu überzeugen, ob die biochemischen
Prozesse bei dem Keimungsprozeß unter Einwirkung der Radium-
emanation viel schneller vor sich gegangen sind, stellten wir zwei
Versuche an. Diese Versuche mit Hordeum distichum wurden in
zwei großen Glasglocken von 66 Liter Inhalt ausgeführt. In jede
Glasglocke wurde ein Keimbeet mit 400 Samen gegeben. Die
Samen wurden vorher mit Wasser 2 Stunden lang maceriert,
und zu jeder Schale wurde täglich das gleiche Quantum Wasser
durch ein im oberen Teile der Glasglocke befindliches trichter-
formiges Rohr zugesetzt. In einer Glasglocke befanden sich
50g Uranpecherz. Nach 5 Tagen wurden die Versuche abge-
schlossen und in dem Emanatorium eine Radioaktivität von
13,8 Macheeinheiten 5533,8 · 10 12 = 0,0000055 mg Ra, kon-
statiert. Die Keimungsversuche wurden in gleicher Weise bei
ein und derselben Wasserzugabe und stets gleicher Temperatur
von 15—20°C angestellt, damit der Keimungsprozeß in gleicher
Weise in den Glasglocken im Keimbeet verläuft. Nach 5 Tagen
wurde die Analyse vorgenommen. Es wurde der Dextrin- und
Stärkegehalt bestimmt und die stickstoffhaltigen Stoffe, sowie
die Trockensubstanz ermittelt.
Bei den Kontrollversuchen betrug das Gewicht von 400 Gerstensamen,
bevor sie noch zum Keimungsprozeß herangezogen wurden, 16,2733 g, das
Trockensubstanzgewicht 14,4503 д. Das Gewicht der 400 Samen, welche
der Einwirkung der Radiumemanation ausgesetzt waren, belief sich auf
16,0266 g, das Trockensubstanzgewicht auf 14,3958 g.
Die Menge der Hexosen auf Glucose berechnet von 400 Samen war
folgende:
Bei dem Kontrollversuche ohne Radiumemanationswirkung nach
5tagigem Keimungsprozeß betrug sie 0,406 g, oder 2,5%, bei dem Ver-
suche im Emanatorium 0,897 g, oder 5, 600.
Nun schreiten wir zum zweiten Versuche.
Bei dem Kontrollversuche ohne Radiumemanationseinwir-
kung bezifferte sich das Gewicht von 400 Samen vor dem Ver-
suche auf 16,094 g, das Trockensubstanzgewicht auf 14,1194 g.
Unter Einfluß der Radiumemanation betrug das Gewicht von
400 Samen vor dem Versuche 16,0267 g, das Trockensubstanz-
gewicht 13,997 g. Веі dem Kontrollversuche nach 5 tägigem
Keimungsprozeß betrug die Menge der Hexosen auf Glucose
A
142 J. Stoklasa:
berechnet 0,5 g, oder 3,1%, jene unter Einwirkung der Radium-
emanation 0,837 g, oder 5,2%.
Was die Bestimmung der Stärke betrifft, wurde diese nach der modifi-
zierten Methode nach Lintner bestimmt. Die Gerstensamen wurden zer-
mahlen, davon 2,5g abgewogen und in 100-ccm-Kolben gegeben. Dazu
wurden 5 cem 96 proz. Alkohol, 10 ccm destilliertes Wasser und 20 ccm
konz. Chlorwasserstoffsäure zugesetzt. Nach 30 Minuten wurden wieder
50 ccm Chlorwasserstoffsäure vom spez. Gew. von 1,125 und 4 ccm 8 proz.
Phosphorwolframsäure zugefügt und der Inhalt des Kolbens mit Chlor-
wasserstoffsäure vom spez. Gew. von 1,125 bis zur Marke gefüllt. Das
Filtrat wurde dann polarisiert. Die gefundenen Zahlen sind nachstehende:
Vor dem Versuche wurde in den Gerstensamen 58,4% Stärke gefunden,
was 59,07%, Trockensubstanz entspricht. Nach 5 tägiger Keimung wurden
bei dem Kontrollversuche 58,2%, unter Einfluß der Radiumemanation
49,2%, Stärke in der Trockensubstanz gefunden. Der Verlust an Stärke,
in Prozenten ausgedrückt, beträgt 15,46%. In einem anderen speziellen
Versuche wurde eine um 9% kleinere Menge Stärke gefunden als vor dem
Versuche. Daraus erhellt, daß durch die Einwirkung der Polysaccharide
spaltenden Enzyme eine Hydrolyse der Stärke stattgefunden hat.
Durch die Amylase wurde die Stärke durch einen hydrolytischen Prozeß
in ihre nächst niederen Spaltprodukte Dextrin, Maltose und Glucose zerlegt.
Nun treten wir zum Studium der Wirkung der Radium-
emanation auf den Abbau der Eiweißstoffe. Die Versuche wurden
in derselben Weise ausgeführt, wie bereits früher angedeutet
wurde, nur wurden anstatt 400 Samen 500 Samen im Gewichte
von 20,843 g benutzt. `
Das Gewicht von 500 Samen vor dem Versuche betrug:
Веі dem Kontrollyersuche ........... 20,843 р,
der Gesamtstickstoffgehalt in der Trockensubstanz 1,89%.
Das Gewicht von 500 Samen belief sich vor dem Versuche auf:
In den Emanatorien . . . 2... 222020200. 20,516 а,
der Gesamtstickstoffgehaltin derTrockensubstanz. . 1,89%.
Vor dem Versuche befanden sich іп 100 g der Gerste:
Amidstickstoff. . - . 2: 2 2 2 2 2 re we ne. 0,512 g
Diaminostickstoff ............... 0,304 g
Monoaminostickstoff .............. 0,914 g
Gesamtstickstoff. . . . 2 2 2 ee 1,89%
Nach 5tagiger Keimung waren in 100 g Gerste zugegen:
Bei dem Kontrollversuche:
Amidstickstoff ................ 0,608 g
Diaminostickstoff . . . 2 2» 2 2 s 2 s 2 s s 0,354 g
Monoaminostickstoff .............. 0,803 g
Gesamtstickstoff ................ 1,89%.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 143
In den Emanatorien:
Amidstickstoff. . . 2 2 2 2 2 0 0 ee te es 0,908 g
Diaminostickstoff ............... 0,261 g
Monoaminostickstoff .............. 0,622 g
Gesamtstickstoff. ........ Se GO e A 1,89%.
Diese Zahlen dokumentieren, daß durch Einwirkung der
Radiumemanation sich eine bedeutende Menge von Amidstick-
stoff gebildet hat. |
Vom Gesamtstickstoff 1,89 р waren in der ursprünglichen
Gerste 0,512 g Amidstickstoff vorhanden, also in Prozenten aus-
gedrückt 27,08.
Bei dem Kontrollversuche haben sich nach 5tagiger Keimung
0,608 g von Amidstickstoff gebildet, also vom Gesamtstickstoff
32,16%.
Unter Einwirkung von Radiumemanation wurden 0,908 g
Amidstickstoff gefunden, also vom Gesamtstickstoff 48,04%.
Es ergab sich also unter Einwirkung der Radiumemanation im
Vergleiche zur ursprünglichen Gerste eine Differenz von 0,396 g
Amidstickstoff oder 77,34%, im Vergleiche zum Kontrollversuche
eine Differenz von 0,3 g oder 49, 34%.
Man sieht hier einen bedeutenden Einfluß der Radium-
emanation auf den AbbauprozeB der Proteinstoffe durch die
eiweißspaltenden Enzyme.
Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß die Reservestoffe
der Frucht der Gerste, und zwar die Eiweißstoffe und die Stärke,
welche in Form von Kolloiden in dem Embryon und Endosperm
usw. vorhanden sind, bei Einwirkung der Radioaktivität durch
die hydrolytischen Enzyme viel energischer abgebaut werden, als
in den Kontrollversuchen, wo die Radioaktivität nicht zur Wir-
kung gekommen ist. Die Dynamik der Enzymwirkung ist hier
durch die Radioaktivität, namentlich bei den Eiweißstoffen zur
vollen Geltung gelangt. Die Kinetik der Wirkung der
proteolytischen Enzyme zeichnet sich namentlich
durch große Quantitäten von Amidstickstoff aus.
Vom Gesamtstickstoff wurde durch die Radiumemana-
tion während 5tägiger Einwirkung 48, 04% Amidstick-
stoff gebildet, bei dem Kontrollversuch bloß 32,16%.
Interessant ist die spezifische Wirksamkeit der Amylase auf die
Bildung von Hexosen, welche sich jedenfalls sehr günstig bei
144 J. Stoklasa:
Radiumemanation erwiesen hat. Die glucolytischen Enzyme
kommen, wie wir gefunden haben, durch den Einfluß der Radium-
emanation zur vollen Wirksamkeit. Die Dynamik der enzyma-
tischen Prozesse, welche sich durch eine große Energie durch die
Radiumwirkung auszeichnet, übt auf den gesamten Bau- und
Betriebsstoffwechsel des Pflanzenorganismus bei weiterer Ent-
wicklung einen großen Einfluß aus.
Einfluß der Radioaktivität auf den Bau- und Betriebsstoffwechsel
der Pflanzen.
Über die Einwirkung der radioaktiven Wässer auf die Zell-
vermehrung und das Wachstum der Pflanzen haben wir die ersten
Versuche in St. Joachimsthal im Jahre 1912 ausgeführt. Wir
benutzten damals Keimlinge, die sich in radioaktivem und nicht-
radioaktivem Wasser entwickelt haben. Nach raschem Transport
nach Prag wurde zu dem radioaktiven oder nichtradioaktiven
Wasser pro Liter 1g Ca(NO,),, 0,30 g KH,PO,, 0,25 g KCl und
0,25g MgSO, zugesetzt. Das radioaktive Wasser hatte 300 ME
pro 1 Liter, wovon 320 ccm pro 1 Vegetationsgefäß verwendet
wurden. Demgemäß befanden sich also in 1 Vegetationsgefäß
96 ME 38 496 - 10 12 = 0,000038 mg Ra. Da die Radioaktivität
stetig abnimmt, kann man rechnen, daß sich die Pflanzen während
46 Vegetationstagen nur 20 Tage lang unter dem Einfluß der
Radiumemanation entwickelten, die restlichen 26 Tage aber
schon ohne derselben, denn die Aktivität sinkt binnen 20 Tagen
auf 1% der ursprünglichen Höhe. Nachdem das radioaktive
Wasser jeden 5. Tag neu zugeführt wurde, so übten während
der ganzen Vegetationsdauer ca. 384 ME = 153 984 · 10-12 =
0,0001539 mg Ra ihren Einfluß auf eine Pflanze aus. Pro 1 Pflanze
und Tag ergibt das 19 ME = 7619 · 10-12 = 0,0000076 mg Ra.
Nach 46 Vegetationstagen besaßen 10 Pflanzen folgendes Trocken-
substanzgewicht:
In radioakt. In nichtradioakt.
Wasser: Wasser:
Pisum arvense ......... 6,873 g 2,137 g
Vicia faba а... 2 2 2 2 20. 12,887 g 6,009 g
Lupinus angustifoliuus 3,793 g 1,845 g
Hordeum distichum ....... 9,085 g 0,906 g.
Die Differenzen in dem Gewicht der Trockensubstanz der
Pflanzenmasse, die bei Gegenwart von radioaktivem Wasser
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II. 145
im Vergleiche zu dort, wo nichtradioaktives Wasser zur Ver-
wendung gelangte, erzielt wurden, sind in der Tat ins Auge fallend.
Wir haben diese Versuche in Franzensbad, das ja nur !/, Stunde von
Brambach entfernt ist, mit -Brambacher Wasser, welches 2100 ME
pro 11 = 842,100 . 10 1 = 0,000842 mg Ra hat, wiederholt. Auch mit
Franzensbader Wasser mit 100—150 ME pro 11= 40 100 - 10—12
= 0,000040 mg Ra bis 60 150. 10-'* = 0,000060 mg Ra stellten wir
Versuche an. Das Arrangement dieser Versuche war das gleiche wie
jenes bei den schon erwähnten Versuchen mit Joachimsthaler Wässern,
nur mit dem einzigen Unterschiede, daß die Keimpflanzen während der
ganzen Vegetationszeit in radioaktivem Wasser zur Entwicklung gebracht
wurden. Es befanden sich in 700ccm Nährlösung 70 ME = 28 070
« 10-12 = 0,000028 mg Ra. Selbstredend entweicht ja die Radioaktivität
des Wassers, und so fanden wir am 1. Tag 70 ME pro 11, nach 2 Tagen
nur mehr 52 ME, den 3. Tag nur schon 36 ME, und nach 4 Tagen 19 ME;
infolgedessen wurde jeden 5. Tag die Emanation erneuert. Es kann an-
genommen werden, daß während der Versuchsdauer, und zwar in 25 Tagen,
ca. 350 ME = 140 350 . 10 1 = 0,000140 mg Ra auf eine Pflanze wirkten.
Pro eine Pflanze und pro Tag entfallen daher 14 ME = 5614-107"?
= 0,0000056 mg Ra. |
Wir haben diese Experimente mit Linse (Lens esculenta),
Erbse (Pisum sativum) und mit Weizen (Triticum vulgare) bei
einer Temperatur von 18—20°C ausgeführt. Nach 25 Tagen
wurden pro 100 Pflanzen nachstehende Mengen Pflanzenmasse
auf Trockensubstanz berechnet geerntet: |
In radioaktivem In nichtradioak-
Wasser: tivem Wasser:
Bei Lens esculenta ....... 6 g 3,7 g
„ Pisum sati vum 21 g 9,7 g
„ Triticum vulgare 8 g ? 3,1 g.
Aus diesen Resultaten ist ersichtlich, daß durch die An-
wendung von radioaktivem Wasser von 70 МЕ = 28 070 · 10-12
= 0,000028 mg Ra eine um 62—158% größere Menge an Pflanzen-
masse geerntet wurde.
Wir stellten weiter auch Wasserkulturversuche bei Gegen-
wart aller Nährstoffe in unserem Glashause an mit 30, 60, 300
und 600 ME pro 1 Liter Nährlösung. Jeden 5. Tag wurde die
Emanation erneuert. Diese Versuche, die mit Buchweizen
(Polygonum fago p yru m) ausgeführt wurden, dauerten 52 Таре.
Pro eine Pflanze entfielen demgemäß während 52 Tagen bei Anwen-
dung von 300 ME = 120300 · 10-12 = 0,00012 mg Ra, bei Be-
nutzung von 600 ME = 240 600 · 10-12 = 0,00024 mg Ra.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 10
146 J. Stoklasa:
Pro 100 Pflanzen betrug das Gewicht der Pflanzenmasse
in der Trockensubstanz:
In radioaktivem Wasser mit 30ME....... 13,54 g
er S j „ OOME....... 19,54 g
in nichtradioaktivem Wasser 9,45 g.
Durch den EinfluB des radioaktiven Wassers von
600 ME pro 1 Pflanze während der ganzen Entwicklung
wurde der Ertrag um 106,8% und durch Anwendung
des Wassers mit 300 ME um 43,2% erhöht.
‚Bei nicht intensiver Einwirkung der Radioaktivität, wo im
ersten Falle pro Tag und Pflanze bloß 5,76 МЕ = 2309 - 10-12
= 0,0000023 mg Ra, im zweiten Falle 11,53 ME = 4623 · 10-12
= 0,0000046 mg Ra einwirkten, finden wir einen äußerst
günstigen Einfluß auf die Bildung neuer lebender
Pflanzen masse.
Interessant ist ferner, daß eine Dosierung von 300 und 600 ME
pro 1 Tag und 1 Pflanze schon nach 50 Vegetationstagen einen
schädlichen Einfluß ausgeübt hatte!). Auf jede Pflanze wirkten
in diesem Falle während 50 Vegetationstagen in der ersten Gruppe
15 000 ME = 6 015 000 · 10 12 = 0,006 mg Ra und in der zweiten
Gruppe bis 30000 ME = 12 030 000 - 10-12 = 0,012 mg Ra ein.
Bei einer stärkeren Radioaktivität, wo pro Pflanze
und Tag 300 ME 120 300 · 10-12 = 0,00012 mg Ка und im
zweiten Falle 600 ME 240 600 - 10-12 = 0,00024 mg Ra ein-
wirkten, wurde durch die Aktivität schon eine toxische
Wirkung verursacht.
Nach 50 Vegetationstagen wurde in der Nährlösung mit
600 ME pro Tag und Pflanze die Entwicklung von Polygonum
fagopyrum sistiert, und nach 64 Tagen ist in den Chlorophyll-
apparaten schon ein Abbauprozeß beobachtet worden. Das Ge-
wicht der Trockensubstanz von 100 Pflanzen betrug bei Anwen-
dung von 300 ME pro Tag und Pflanze 5,34 g, bei Anwen-
dung von 600 ME 2,06g. Wie wir also sehen, hat die ganze
Bildung der Pflanzenmasse eine starke Depression durch die
Einwirkung der Radioaktivität erfahren. In nichtradioaktivem
1) Die Nährlösung wurde jeden Tag erneuert, und in der Nährlösung
befanden sich 300 oder 600 ME. Bei den früheren Versuchen wurde jeden
4. oder 5. Tag die Nährlösung erneuert, und die Intensität der Radioaktivität
ist nur annähernd angedeutet.
Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 147
Wasser betrug das Trockensubstanzgewicht von 100
Pflanzen 9,45 р.
Eine neue Serie der Versuche wurde ausgeführt іп den Vege-
tationsgefäßen. Bei diesen Versuchen hat es sich namentlich
darum gehandelt, zu eruieren, wie die Radiumemanation auf den
Pflanzenorganismus wirkt, wenn der Organismus reich an Kalium-
‘ion ist, wie zum Beispiel die Zuckerrübe. Zu diesem Behufe
stellten wir weitere Versuche in großen Vegetationsgefäßen mit
Sand und Torf an, wo die Zuckerrübe bis zu ihrer vollen Ent-
wicklung weiter beobachtet wurde. Das Gemisch von Sand und
Torf, in welchem sich die Zuckerrübe entwickelte, hatte eine Akti-
vität von 0 385 1012 pro Gramm. Die Zuckerrübe gedeiht be-
kanntlich nicht gut im bloßen Sand, weshalb wir als Bodenma-
terial ein Gemisch von Sand und Torf verwendeten. Es wurden
80% von Sand mit 20% des Torfes untereinander gut vermengt
und mit dem Gemisch die Vegetationsgefäße gefüllt. Jedes Ge-
fäß erhielt 18 kg, und in jedem Gefäß befand sich eine Pflanze.
Die VegetationsgefaBe waren glasierte zylindrische Behälter aus
Ton, 35 cm hoch und 27cm im lichten Durchmesser. Diese
Experimente wurden in einem Glashause durchgeführt, in wel-
chem auf Schienen bewegliche kleine Rollwagen vorhanden waren,
welche die Vegetationsgefäße trugen.
Bei günstigem Wetter wurden diese lowryartigen Wagen
mit den Vegetationsgefäßen in einen unmittelbar an das Glashaus
sich anschließenden Raum, der zum Zwecke des Schutzes vor
allerlei Schädlingen allseitig von Wänden aus dichtem Draht-
geflecht abgeschlossen ist, herausgefahren.
In der Nähe des Bodens war jedes dieser zylindrischen
Gefäße mit einer seitlichen Öffnung versehen, die einen einmal
gebohrten Stopfen trägt, in dessen Bohrung eine, im rechten
Winkel gebogene Glasröhre steckt, um die Luftzirkulation zu
ermöglichen. 40 Vegetationsgefäße wurden in 4 Gruppen geteilt.
Die erste und zweite Gruppe, bestehend aus je 10 Vegetations-
gefäßen, dienten zu Kontrollversuchen. Diese beiden Gruppen
wurden mit allen Nährstoffen, nur nicht mit Kalium. gedüngt,
und zwar erhielt jedes Vegetationsgefäß 1,6g Stickstoff in
Form von Natriumnitrat, 0,8g Phosphorsäureanhydrid in
Form von Monocalciumphosphat, Ig Magnesiumsulfat, 1,5g
Natriumchlorid, 0,5 g Ferrophosphat, 0,1 g Aluminiumsulfat und
10*
148 J. Stoklasa:
Tabelle I.
Gewicht von 10 Zucker- Durchschn. Gewicht von | Zuckergehalt der
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe
in g in g in %
I. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter 1051,6 | Blätter. 105,16 14.83
Wurzeln 12936 F Wurzeln 129,36
Trockensubstanz.
Blätter 216,62 | Blätter 21,66 69,95
Wurzeln . . 274,94 | Wureln ..... 27,42
U. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter . 963,4 Blätter 96,34 13,18
Wurzeln. . . . .1121,7 [Wurzeln 112,17
Trockensubstanz.
Blatter ..... 187,86 | Blätter. 18,78 56,56
Wurzeln. . . 261,35 | Wurzeln 26,13
Ш. Gruppe.
Frische Substanz.
Blatter 2988,4 Blätter. 298,84 17,25
Wurzeln 56190 Wurzeln 567,20
Trockensubstanz.
Blätter. . . 519,98 | Blätter. . . . 51,99 84,97
Wurzeln. . . . .1151,41 | Wurzeln 115,14
IV. Gruppe.
Frische Substanz.
Blatter ..... 2110,7 Blätter 211,07 | 13,62
Wurzeln 39916 [Wurzeln 329,16
Trockensubstanz.
Blätter 380,13 | Blätter. 38,01 69,84
Wurzen 641,86 Wurzen 64,18
0,1 g Mangansulfat. Diese angewandten Salze waren alle chemisch
rein. Vor Anwendung dieser Nährstoffe wurden bei diesem
Versuche pro Vegetationsgefäß 15 g Calciumcarbonat zugesetzt.
Die dritte und vierte Gruppe, bestehend wiederum aus je
10 Vegetationsgefä Den, wurde mit allen Nährstoffen gedüngt,
und zwar erhielt jedes einzelne Vegetationsgefäß 1,6 g Stickstoff
in Form von Natriumnitrat, 0,8 g Phosphorsäureanhydrid in
Form von Monocalciumphosphat, l g Magnesiumsulfat, 1,58
Natriumchlorid, 0,5 g Ferrophosphat, 0,1 g Aluminiumsulfat,
Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 149
0,1 g Mangansulfat und 2,4 g Kaliu mo x yd in Form von chemisch
reinem Kaliumchlorid. Die benutzten Salze waren wieder alle
chemisch rein. Die erste Gruppe diente zur Kontrolle und wurde
täglich mit dem gleichen Quantum reinen Wasser begossen.
Zur zweiten Gruppe wurde jeden Tag radiumemanationhaltiges
Wasser von 30 ME = 12 030 · 10 12 = 0,000012 mg Ra zugesetzt.
Zur dritten Gruppe wurde täglich bloß reines Wasser hinzugefügt,
und zur vierten Gruppe wurden wieder dieselben Quantitäten
Radiumemanation von 30 ME zugesetzt, wie bei der zweiten Gruppe.
Das Radiumemanations wasser wurde seit der ersten Entwicklung
der Pflanze zugesetzt, und zwar vom 10. V. bis zum 28. IX.,
also 172 Tage lang.
Für jede Gruppe, und zwar für die zweite und vierte Gruppe,
wurden auf 10 Zuckerrübenpflanzen pro Gruppe 49 917 ME =
ca. 20 016 717 · 10-12 = 0,02 mg Ra angewendet, so daß auf
1 Pflanze bzw. 1 Vegetationsgefäß 4991 ME = 2 001 671 - 10-13 =
0,002 mg Ra entfielen.
Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Vegetationszeit 172
Tage beträgt, so entfallen pro Tag und Pflanze ca. 29 ME =
11 629 - 10-12 = 0,0000116 mg Ra.
Aus diesen Versuchsresultaten ist ersichtlich, daB schon in
der zweiten Gruppe, wo die Mechanik der Radiumemanation
zur Wirkung gekommen ist, der Bau- und Betriebsstoffwechsel
eine kleine Depression erfahren hat. Man sieht das ganz deutlich,
nicht nur in dem Gewicht der Trockensubstanz der Blatter und
Wurzeln, sondern auch im Zuckergehalt. Bei der Gruppe I und II
wurde überhaupt das Kalium nicht verwendet und die Rübe lebte
und entwickelte sich bloß aus dem kleinen Quantum Kalium,
das im Nährmedium im Boden vorhanden war. In dem Nähr-
medium, wo Kalium als Nährstoff nicht zugesetzt wurde, hat
sich die Zuckerrübe nicht in dem Maße entwickelt, wie bei Gruppe
II, wo Kalium in genügenden Mengen vorhanden war. Bei Gruppe
П, wo auf 1 Pflanze 4991 ME = 2 001 671 · 10-12 = 0,002 mg
Ra entfielen, war schon ein Rückgang in der Entwicklung kon-
statierbar. Es ergab sich bei den Kontrollversuchen ein
Trockensubstanzgewicht der Blätter pro 10 Pflanzen von 216,6 р,
unter Einwirkung der Radiumemanation ein solches von 187,8 g,
was eine Differenz von 28,8 gausmacht. Das Trockensubstanzge-
wicht der Wurzeln betrug bei den Kontrollversuchen pro
150 J. Stoklasa:
10 Pflanzen 274,24 g, unter Radiumemanationseinwirkung 261,3 g,
also im letzteren Fall um 12,94g mehr. Der Zuckergehalt in
der Trockensubstanz belief sich bei den Kontrollversuchen
auf 69,95%, durch den Mechanismus der Radiumemanation
ist er auf 56,56%, gesunken, also um 13,39%.
Noch deutlicher treten diese Differenzen bei Gruppe III
und IV zutage, wo das Kalium im Boden reichlich vorhanden
war. Bei Gruppe IV zeigte sich schon eine bedeutende Depression
in dem Bau- und Betriebsstoffwechsel durch die Radiumemana-
tion. Es stellte sich ein deutlicher Rückgang in der Trockensub-
stanz der Blätter und der Wurzeln ein, auch der Zuckergehalt
ist gesunken. Bei Gruppe III betrug das Trockensubstanzgewicht
der Blätter pro 10 Pflanzen 519,98 g, jenes der Wurzeln 1151, 41 g.
unter Einwirkung der Radiumemanation das der Blätter 380,13 g,
der Wurzeln 641,86g. Durch die Radiumemanation wurde ein
um 139,85 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Blätter und
ein um 509,55 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Wurzeln
geerntet. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz belief sich bei
Gruppe III auf 84, 97%, unter Einwirkung der Radiumemanation
auf 69,84%, ist also im letzteren Falle um 15,13%, gesunken
gegenüber der dritten Gruppe, wo keine Radiumemanation zur
Einwirkung gelangte. |
Wir haben die Уегвисһе weiter fortgesetzt, um uns
zu überzeugen, ob die Resultate richtig sind. Für diese
Versuche haben wir aber bloB zwei Gruppen angestellt.
Für die erste und zweite Gruppe wurden alle Nährstoffe ver-
wendet, also auch das Kalium in genügendem Maße. Es wurden
1,6 g Stickstoff in Form von Natriumnitrat, 0,8 р Phosphor-
säureanhydrid in Form von Monocalciumphosphat, 1 g Magnesium-
sulfat, 1,5 р Natriumchlorid, 0, 5 g Ferrophosphat, 0,1 g Alu-
miniumsulfat, 0,1 g Mangansulfat und 2,4 g Kaliumoxyd in Form
von Kaliumchlorid zugesetzt. Für 10 Vegetationsgefäße, in welchen
sich 10 Pflanzen befanden, wurden während der ganzen Vege-
tationszeit, die sich auf 175 Tage erstreckte, zusammen
52 800 ME angewendet, also pro 1 Pflanze und Vegeta-
tionsgefäß 5280 ME und prol Tag ca. 30 ME = 12 030 - 1012
= 0,000012 mg Ra.
Auch die Resultate dieser Versuche (Tab. II) haben gezeigt,
daß durch die Radiumemanation eine deutliche Depression in
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 151
Tabelle II.
Gewicht von 10 Zucker- | Durchschn. Gewicht von | Zuckergehalt der
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe
in g in g in %
I. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter . .26468 Blätter. 264,68 17,37
Wurzeln 6323,3 | Wurzeln 632,33
Trockensubstanz.
Blättern 447,30 | Blätter. . . 44,73 77,1
Wurzeln. 424 Wurzeln. .142,4
Il. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter 1860 Blätter 186 | 14,19
Wurzeln 4770 Wurzeln 477
Trockensubstanz.
Blätter 425,94 Blätter. ..... 42,59 | 58,3
Wurzeln 1159,11 Wurzeln 115,91
der ganzen Entwicklung stattgefunden hat, und zwar nicht nur
in dem Trockensubstanzgewicht der Blätter und Wurzeln, sondern
auch im Zuckergehalt. Es ergab sich bei der ersten Gruppe
ein Trockensubstanzgewicht der Blätter von 10 Pflanzen von
447,30 g, der Wurzeln von 1424 g, bei der zweiten Gruppe belief
sich pro 10 Pflanzen das Trockensubstanzgewicht der Blätter
auf 425,94 g, das der Wurzeln auf 1159,11 g, во daß unter Ein-
wirkung der Radiumemanation bei der zweiten Gruppe ein um
21,36 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Blätter und ein
um 264,89 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Wurzeln zu
verzeichnen war. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz
bezifferte sich bei der ersten Gruppe auf 77, 1%, bei der zweiten
Gruppe auf 58,3%, also in letzterem Falle war er um 18,8%
niedriger. Durch die Radiumemanation wurde der gesamte
Bau- und Betriebsstoff wechsel beeinflußt.
Wir haben aber noch eine dritte Reihe der Versuche
ausgeführt, und zwar in einem gewöhnlichen ange-
schwemmten Leh mboden, der eine Radioaktivität von
0,46 - 10-12 aufwies. Jedes Vegetationsgefäß erhielt 1,6 g Stick-
stoff in Form von Natriumnitrat, 0,8 g Phosphors ureanhydrid
in Form von Superphosphat und 2,5 g Kaliumoxyd in Form von
chemisch reinem Kaliumchlorid. Die Vegetationsperiode dauerte
152 J. Stoklasa:
168 Tage. Für die zweite Gruppe der Vegetationsgefäße wurden
pro 10 Vegetationsgefäße 35 600 ME angewendet, во daß auf
1 Vegetationsgefäß, oder 1 Pflanze 3560 ME und рго1 Tagca.21 ME
= 842] . 10 1 = 0,0000084 mg Ra entfielen. Es wurden folgende
Resultate erzielt (siehe Tab. III).
Tabelle III.
Gewicht von 10 Zucker- | Durchschn. Gewicht von
Zuckergehalt der
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe
in g in g іп %
I. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter 2863,8 Blätter 286,38 18,63
Wurzeln 5783,2 Wurzeln 578,32
Trockensubstanz.
Blatter ..... 524,07 Blätten. 52,40 80,3
Wurzeln. . 346,7 Wurzeln 134,67
П. Gruppe.
Frische Substanz.
Blätter 1654,2 Blätter 165,42 14,57
Wurzeln. . .4030,8 | Wurzeln. .... 403,08
| Trockensubstanz.
Blätter 425,87 Blätter 42,58 64,7
Wurzeln. . . . . 906,93 | Wurzeln 90,69 |
Bei der ersten Gruppe wurde ein Trockensubstanzgewicht
der Blätter von 10 Pflanzen von 524,07 g, der Wurzeln von
1346,7 g geerntet. Bei der zweiten Gruppe betrug das Trocken-
substanzgewicht der Blätter pro 10 Pflanzen 425,87 g, der Wurzeln
906,93 g; demgemäß ist das Trockensubstanzgewicht der Blätter
um 98,20 g, das der Wurzeln um 439,77 g bei der zweiten Gruppe
gesunken. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz betrug bei
der ersten Gruppe 80, 3%, bei der zweiten Gruppe 64, 7%, ist also
in letzterem Falle ebenfalls um 15,6% kleiner.
Aus allen diesen Versuchsresultaten geht hervor, daß der
Mechanismus der Radiumwirkung den ganzen Bau- und Betriebs-
stoffwechsel schädlich beeinflußt hat. Bei allen 3 Versuchen
ergab sich eine deutliche Differenz in der produzierten Pflanzen-
masse und auch im Zuckergehalt. Diese Versuche haben
wir unter Einwirkung vonUran undThorium, und zwar
0,3011—3,011 mg Uran in Form von Uranylnitrat, oder
Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 153
1,97—7,9mg Thorium in Form von Thoriumnitrat und
Thoriumchlorid pro 1 kg Boden angestellt. Um das Uran
und Thorium nicht in unlösliche Form zu überführen, wurden keine
Nährstoffe angewendet, bloß Ammoniumnitrat, und zwar 2 g
Stickstoff in Form von Ammoniumnitrat pro 1 VegetationsgefaB.
Alle die von uns in einem Gemisch, bestehend aus Torf und Sand,
ausgeführten Versuche dokumentierten, daß das Uran in stärkerer
Dosis wie 2—3 mg pro 1 kg Boden auf die Entwicklung
schädlich eingewirkt hat; bei einer schwachen Dosis waren gar
keine Unterschiede in der Entwicklung der Rübe gegenüber
jener bei dem Kontrollversuche zu bemerken. Dasselbe wurde
auch bei Thorium gefunden.
Bei einer Menge von 7,9 mg Thorium pro 1 kg Boden, ebenso
bei 5,92 mg desselben war schon eine starke Depression in der
Entwicklung der Zuckerrübe zu konstatieren. Das gleiche war
auch im Zuckergehalt wahrzunehmen. Wir fanden, daß der
Zuckergehalt in dem Kontrollversuche, wo kein Thorium zur
Anwendung gelangte, in der Trockensubstanz 78,2%, betrug,
während er bei Thoriumbenützung zwischen 58,4 62,5% schwankte.
Die gleichen Beobachtungen machten wir auch bei Anwendung
von Uranpecherz (in 1 kg sind 0,00013g Radium enthalten)
und auch mit Erzlaugrückständen (die pro 1 kg O, 000396 g Ra-
dium aufweisen). In dieser Beziehung haben wir bei der Zucker-
rübe, Kartoffel und Weinrebe eine exklusive Stellung gefunden.
Alle 3 Pflanzen assimilieren bekanntlich große Quantitäten von
Kaliumion.
Ganz andere Erscheinungen traten bei anderen Kulturpflanzen
zutage. Wir haben diese Versuche mit Gerste (Hordeum disti-
chum), Buchweizen (Polygonum fagopyrum), Mohn (Papaver
somniferum), Lupine (Lupinus angustifolius), Pferdebohne (Vicia
faba) ausgeführt und gefunden, daß die natürliche Radioaktivität,
welche durch Joachimsthaler Uranpecherz, Erzlaugrückständen
und durch die natürlichen radioaktiven Wässer entstanden ist,
in schwacher Dosis einen äußerst günstigen Einfluß auf die Ent-
wicklung ausgeübt hat. Auch die künstliche Radioaktivität, die
durch Emanation des Radiumchlorids erzeugt wurde, hat auf die
Bildung neuer lebender Pflanzenmasse vorteilhaft gewirkt.
Ich führe hier einige Versuche an, die im Glashause in großen
Vegetationsgefäßen angestellt wurden.
154 J. Stoklasa:
I. Versuche mit Mohn (Papaver somniferum). Zu diesem Zwecke
wurden 20 Vegetationsgefäße gefüllt mit Lehmboden verwendet. In einem
Vegetationsgefäß befanden sich 8 kg Boden. Zu jedem Vegetationsgefäß
wurden 1 g Stickstoff in Form von Natriumnitrat, 0,8g Phosphorsäure
in Form von Monocalciumphosphat und 1g Kaliumoxyd in Form von
Kaliumchlorid für beide Gruppen angewendet. Der Boden besaß eine Radio-
aktivität von 0,46 - 10- :*, 16 Vegetationsgefäße wurden mit radium-
emanationhaltigem Wasser begossen, während die übrigen 10 Vegetations-
gefäße zur Kontrolle dienten. Zu den Vegetationsgefäßen, in denen sich
35 Pflanzen befanden, wurden während der ganzen Vegetationszeit, die
sich auf 108 Tage erstreckte, 88 200 ME, also pro 1 Pflanze 2500 ME
= 1 002 500 - 10 1 = 0,001 mg Ra und pro Tag ca. 23 ME = 9223 . 10- :*
= 0,0000092 mg Ra benutzt. An Trockensubstanz wurde geerntet:
| Samen Stroh Ganze Pflanzen
Mit radioaktivem Wasser . | 36,33 g 83,58 g 118,91 g
Ohne radioaktives Wasser . 16,25 g 63.08 g 79,33 g
Differenz für Radium 19,08 g 20,50 g 39,58 g
Differenz in % .... | 117,4% 32,4% 49,80%
Es wurde ein Mehrertrag an Pflanzen masse erzielt, und
zwar an Samen 19,08 g, an Stroh 20,50 g. Demnach ergibt sich
also beim Samen ein Mehrertrag in Prozenten ausggdrückt
von 117,4 und beim Stroh von 32,4%.
II. Nun schreiten wir zu dem Versuch mit Lupinus angustifolius, der
in derselben Weise ausgeführt wurde, wie der frühere. Die Versuchszeit
dauerte hier 135 Tage. 10 Vegetationsgefäße, in denen sich 48 Pflanzen
befanden, wurden 96000 ME, also einer Pflanze 2000 ME = 800 000 · 10 -'°
= 0,0008 mg Ra, also pro 1 Pflanze und Tag 14 ME = 5614.10"!
= 0,0000056 mg Ra zugeführt, während 10 Vegetationsgefäße zur Kontrolle
dienten. —
Der Ertrag an Pflanzenmasse in der Trockensubstanz ausgedrückt
war nachstehender:
| Samen | Stroh | Ganze Pflanzen
Mit radioaktivem Wasser. 224,918 | 451,25 р 676,168
Ohne radioaktives Wasser . 136,58 g 284,16 g 420,75 g
Differenz für Radium + . 88,33 g 167,09 g 255,41 g
Differenz іп „+ .... 64,6% 58,8% 60,7%
Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß wir einen Mehrertrag
beim Samen von 88, 33 g, beim Stroh von 167,09 g zu verzeichnen
haben. In Prozente umgerechnet ist das beim Samen 64, 6%,
beim Stroh 58,8%.
Es ergibt sich daher aus diesen beiden Versuchen, daß durch
das BegieBen mit radioaktivem Wasser entschieden ein äußerst
günstiger Effekt bei der Samenproduktion erzielt worden ist.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. | 155
III. Ebenso günstige Resultate erzielten wir bei unserem Versuch mit
Pferdebohne (Vicia faba), der genau so angestellt wurde, wie der I. Versuch.
Diese Versuche wurden in 16 Vegetationsgefäßen ausgeführt. Eine Gruppe,
bestehend aus 8 Vegetationsgefäßen, diente als Kontrollversuche, die andere
Gruppe wurde mit radiumemanationhaltigem Wasser begossen. Als Nähr-
stoffe wurden 5g Calciumsulfat und 5g Kaliumphosphat angewendet
Die Vegetationszeit dauerte 140 Tage, und es wurden 74160 ME pro
8 Vegetationsgefäße, also pro 1 Vegetationsgefäß 9270 ME benutzt. In
jedem Vegetationsgefäß befanden sich 5 Pflanzen, also pro 1 Pflanze
1854 ME = 743 454 - 10-1? = 0,00074 mg Ra, und pro Tag ca. 13 ME
= 5213 . 10-!° = 0,0000052 mg Ra. Der Ertrag auf 10 Vegetationsgefäßen
umgerechnet, war folgender:
Samen Stroh Ganze Pflanzen
Mit radioaktivem Wasser . | 223 g 351 g 574 g
Ohne radioaktives Wasser . 167 g 305 g 472 g
Differenz für Radium . 56 g 46 g 102 g
Differenz in / + .... 33,53%, 15,08% 21.61%
IV. Nun kommen wir zur Gerste (Hordeum distichum). Diese Ver-
suche wurden ebenfalls in großen Vegetationsgefäßen mit 24 kg Lehmboden
pro Topf ausgeführt. 10 Vegetationsgefäße dienten wieder zur Kontrolle
und 10 Vegetationsgefäße wurden mit radiumemanationhaltigem Wasser
begossen. Pro 1 Vegetationsgefäß wurden folgende Nährstoffe angewendet:
0,4g N in Form von Natriumnitrat, 0,8g P,O, in Form von Mono-
calciumphosphat und 1,2g K,O in Form von Kaliumchlorid. Die Vege-
tationszeit dauerte 148 Tage und es wurden pro 10 Vegetationsgefäße
165 200 ME benützt, so daß auf 1 Vegetationsgefäß, in welchem sich
8 Pflanzen befanden, 16 520 ME entfielen. Auf eine Pflanze kamen
2065 ME = 827 664 - 10 -!? = 0,000827 mg Ra, pro Tag са. 14 ME = 5614
101 = 0,0000056 mg Ra. Der Ertrag an Pflanzenmasse in Trocken-
substanz ausgedrückt, war folgender:
| Frucht | Stroh | Ganze Pflanzen
Mit radioaktivem Wasser . 152,4 g 320 g 472,4 g
Ohne radioaktives Wasser 104,3 g 241 g 345, 3 g
Differenz für Radium + . 48,1 g 79 g 127,1 g
Differenz іп %% .... 46,1% 32,7%, 36,8%
Ferner haben wir noch andere Versuche in der Art aus-
geführt, daß wir verschiedene Kulturpflanzen nach 65 Vegetations-
tagen in Vegetationsgefäben im Glashaus zur Entwicklung
brachten und mit einem Wasser von verschiedener Aktivität
begossen. Wir konnten konstatieren, daß, sobald ein Vegetations-
gefäß, in welchem sich 6—8 kg Erde befanden, mit einem Radium-
wasser von 600 ME pro 1 Pflanze täglich begossen wurde,
156 J. Stoklasa:
sich schon nach 50—80 Vegetationstagen ein schädlicher Einfluß
einstellte. Namentlich die Blatter der Zuckerrübe, der Kartoffel,
der Weinrebe und des Tabaks waren angegriffen, das Chlorophyll
war abgebaut und die Blätter haben eine rotbraune Farbe an-
genommen. Auch bei anderen Pflanzen konnte man nach 60 bis
100 Tagen der Behandlung mit Radium wasser eine markant toxische
Wirkung beobachten. Es waren dies die Gramineen, Leguminosen
und Cruciferen, bei denen sich die Blätter rotbraun gefärbt
haben, das Chlorophyll in dem Chlorenchym vollständig zersetzt
wurde und man eine Plasmolyse beobachten konnte. Daraus
ersieht man, daß es hauptsächlich darauf ankommt, die richtige
Dosierung der Radiumemanation zu wählen, denn nur
durch eine schwache Aktivität lassen sich überall mit
Ausnahme bei gewissen Kalipflanzen gute Resultate
erzielen.
Die Radiumemanation, welche bekanntlich ein Gas ist,
zerfällt unter Abgabe von a-Strahlen. Die sich bildenden Zer-
fallsprodukte Radium A, B, C, D E und F sind bekanntlich
feste Körper, die sich dann nacheinander umwandeln und hierbei
ebenfalls Strahlen emittieren. Alle die von uns angestellten
Versuche zeigen, daß eine Radiumemanation in schwacher
Aktivität und bei richtiger Dosierung die Karyokinese in der
Zelle und überhaupt die Mechanik.des ganzen Bau- und Betriebs-
stoffwechsels äußerst günstig beeinflußt. Auf Grund unserer
Beobachtungen können wirerklären, daß die Radium-
emanation nicht immer in gleichem Maße auf die
Entwicklung und Stoffwechselprozesse der einzelnen
Pflanzen einwirkt; es ist das ein ganz individuelles
Verhalten aller Pflanzengattungen. GewiB von großer
physiologischer Bedeutung ist zu studieren, welche Dosis der
Emanation, bzw. welches Optimum sich für den Organismus
der Kulturpflanzen am besten eignet. Bestimmte Daten lassen
sich freilich derzeit nicht anführen, da unsere Erfahrungen darin
noch zu gering sind. Wir konnten ja die Beobachtung machen,
daß bei gewissen Vegetationsfaktoren einige Pflanzen
auf eine höhere Dosis, andere wieder auf eine schwache
Dosierung reagieren. Aus unseren ganzen Studien ist ersicht-
lich, daß die Zuckerrübe eine eigentümliche Stellung unter allen
Kulturpflanzen gegen die Radiumwirkung einnimmt.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 157
Bei unseren Versuchen, wo wir für ein Zuckerrübenexemplar
pro Tag ca. 29 ME = 11 629- 10-12 = 0,0000116 mg Ra, bei einem
anderen Versuch täglich 30 ME = 12 030 · 10 1 = 0,000012 mg
Ra und bei einem nächsten Versuch 21 ME = 8421 - 10-1?
= 0,0000084 mg Ra anwendeten, konnten wir beobachten, daß im
Anfang, und zwar nach 30 Vegetationstagen keine Unterschiede
zwischen den Kontrollpflanzen nachweisbar waren. Erst nach
60 Vegetationstagen blieben die Pflanzen in der Entwicklung
gegen den Kontrollpflanzen etwas zurück. Nach 95 Vegetations-
tagen, also in der IV. Periode, konnte man schon eine Depression
in der Entwicklung beobachten, welche sich in der V. Periode
nach 118 Tagen und in der VI. Periode nach vollendeter Vege-
tation, also nach 145 Vegetationstagen, deutlich kennzeichnet.
Die De pression in der Bildung neuerlebender Masse
ist tatsächlich für die Zuckerrübe und fiir alle anderen
Kalipflanzen charakteristisch.
Wenn wir unsere Versuchsergebnisse vergleichen, finden wir, daB auf
100 g Trockensubstanz der gebildeten Pflanzenmasse während der ganzen
Vegetationszeit bei der Zuckerrübe beim ersten Versuch 2672 ME
= 1,070 472 . 10-12 = 0,00107 mg Ra, bei dem anderen Versuch 3330 ME
= 1,335 731. 10-!* = 0,0013 mg Ra und beim letzten Versuch 4891 ME
= 1,961 291 - 101 = 0,00196 mg Ra entfallen.
Wenn wir hier mit der Radioaktivität anderer Kulturpflanzen einen
Vergleich ziehen, so ergibt sich, daß auf 100g Trockensubstanz der pro-
duzierten Pflanzenmasse von Vicia faba 12 890 ME = 5,169 291 - 10"?
= 0,005169 mg Ra, von Papaver somniferum 74 173 ME =: 29,743 000
«10731 = 0,0297 mg Ra, von Lupinus angustifolius 14200 ME
= 5,694 200 . 10-1? = 0,005694 mg Ra, und von Hordeum distichum
35 000 ME = 14,035 000 . 10 1 = 0,014 mg Ra entfielen.
Daraus erhellt, daß auf 100 g Trockensubstanz der Zucker-
rübe eine viel schwächere Dosierung zur Anwendung kam wie bei
den anderen Kulturpflanzen, nachdem wir uns schon bei unseren
früheren Versuchen überzeugt haben, daB die Radiumemanation
schädlich auf die Entwicklung der Zuckerrübe wirkt. Es ist
a uch genau ersichtlich, wie empfindlich die Zucker-
rü be gegen andere Kulturpflanzen ist, wo auf 100g
Trockensubstanz der gebildeten Pflanzen masse die
dreifache, bei Gerste die zehnfache, bei Mohn sogar
die fünf zehnfache Menge Radiumemanation ent-
fiel, als bei der Zuckerrübe. Das sind gewiß äußerst lehr-
reiche Beispiele, wie ungleich die Radioaktivität wirkt. Wir
158 J. Stoklasa:
konnten überhaupt beobachten, daß bei der Zuckerrübe, Kar-
toffel, Weinrebe und Tabak durch Einfluß der Radiumemanation
das Zellprotoplasma viel früher getötet wurde als bei anderen
Kulturpflanzen.
Die Zuckerrübe resorbiert, wie bekannt, bedeutende Quanti-
täten von Kaliumion. Nach unseren Versuchen!) wurden in den
einzelnen Perioden von 1 Rübenpflanze folgende verschiedene
Mengen an Kaliumoxyd resorbiert:
I. Ferie 0,00003 g
II „ Ee E 0,0042 g
ПІ. ae fel tas, ah Dee Heat Gs ately esa 1,5024 g
IV. чо ët ee Фу Жз 2,1020 g
Vo Ge. a Gee, Goes ee 2,3294 g
VI 7 ̃ Жол: e SS 2,3377 g
Also 1 Exemplar der Zuckerrübe bei einem Gewicht der
Blätter und Stiele in der Trockensubstanz von 75,86 g und des
Wurzelsystems von 138,55 g enthalt 2,3377 g Kaliumoxyd. Das
Kalium ist, wie ich schon früher hervorgehoben habe, radioaktiv.
Nach Campbell ist das Ionisationsvermögen des Kaliums 1/1000
der В- und y-Aktivität des Urans. Die Beeinflussung der Radio-
aktivität auf das Wachstum und die Zellvermehrung der Zucker-
rübe ruft gewisse formative Erfolge hervor. Die Rhythmik der
Vegetationsprozesse gestaltet sich ganz anders, wie bei den anderen
Kulturpflanzen. Wir müssen die Ursache der spezifischen
GestaltungdesgesamtenBau-undBetriebsstoffwechsels
nur zum Teil ір der Radioaktivitätdes Kaliums suchen.
Einen besonderen Einfluß auf die Wachstumstätigkeit unter
Einfluß der Radioaktivität hat das Licht mit seinen photochemi-
schen Wirkungen.
Uber den Einfluß des Lichtes auf die Wirkung der Radium-
emanation bei der Entwicklung der Pflanze.
Die Versuche wurden mit Zuckerrübe (Beta vulgaris) im
zweiten Vegetationsjahr ausgeführt. Es wurden 40 gleichmäßig
entwickelte Rübenwurzeln bei der Ernte aus dem Versuchsfeld
herausgenommen und die Blattrosetten ungefähr 5 ст über dem
1) Siehe Stoklasa - Matoušek, Beitrag zur Kenntnis der Ernährung
der Zuckerrübe. Physiologische Bedeutung des Kaliumions im Organism us
der Zuckerrübe. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1916.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 159
Rübenkopf abgeschnitten. Über den Winter wurden sie sorg-
fältig aufbewahrt, damit sie weder erfrieren, noch vorzeitig aus-
treiben. Sie wurden im Keller im Sand eingemietet. Im Frühjahr
im Mai wurden sie in geräumige Vegetationsgefäße, die 35 cm
hoch waren und 27 cm im Durchmesser hatten, eingesetzt, sodaß
auf 1 Vegetationsgefäß eine Rübenwurzel entfiel. Die Vegetations-
gefäße waren mit humosem Sandboden gefüllt, welchem alle
wichtigen Pflanzennährstoffe, also Stickstoff, Phosphor und
Kalium, zugesetzt waren. Eine Gruppe der Vegetationsgefäße,
also 16, wurden in eine Dunkelkammer gebracht. Die I. Serie
der Gruppe, aus 8 Vegetationsgefäßen bestehend, wurde mit
radiumemanationhaltigem Wasser befeuchtet. Es wurden pro
1 Vegetationsgefäß täglich 30 ME = 12 030 · 10-12 = 0,00001203
mg Ra zugesetzt. Die anderen 8 Vegetationsgefäße wurden bloß
mit destilliertem Wasser begossen.
Die II. Serie bestand wieder aus 16 Vegetationsgefäßen.
8 Vegetationsgefäße wurden im Vegetationshaus, wo die Sonne
vollen Zutritt hatte, mit radiumemanationhaltigem Wasser be-
gossen, während die anderen 8 bloß mit destilliertem Wasser
befeuchtet wurden. In der Dunkelkammer entwickelten sich
nach 51 Tagen die etiolierten Herzblätter in den Vegetations-
gefäßen, die nicht mit radiumemanationhaltigem Wasser begossen
wurden, ungemein langsam, wogegen sie sich in jenen Gefäßen,
zu welchen täglich 30 ME pro 1 Exemplar zugesetzt wurden,
üppig entwickelten und große stattliche Rosetten bildeten.
Im Vegetationshaus unter Einfluß des Lichtes, wo die Rüben-
pflanzen nicht mit radioaktivem Wasser begossen wurden, ent-
wickelten sich neue schöne grüne Herzblätter in sehr reichlichem
Masse und erreichten eine Länge von etwa 20—25 cm. Bei den
Rübenexemplaren, welche hingegen mit radiumemanationhaltigem
Wasser begossen wurden, entwickelten sich die Blätter sehr
langsam.
Nun treten wir zu den Resultaten unserer Untersuchungen.
Nach 55 Vegetationstagen wurde beobachtet:
I. Gruppe in der Dunkelkammer.
Das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und des Samensprosses
betrug pro 10 Exemplaren:
Mit Radiumemanationbehandlung . . . . . 48,6 g
Ohne Radiumemanationbehandlung . . . . 35,6g
160 J. Stoklasa:
Im Vegetationshaus:
Ohne Radiumemanationbehandlung . . . . 57,2g
Mit Radiumemanationbehandlung . . . . . 41,165
Durch mikrochemische Beobachtungen wurde nachgewiesen,
daB die etiolierte reine Blattsubstanz nicht viel Kalium aufge-
wiesen hat.
Diese Resultate sind sehr lehrreich! Wir sehen ganz deutlich,
daß in der Dunkelkammer, also bei vollständigem Ausschluß des
‚Lichtes, die Wirkung der Radiumemanation auf die etiolierten
Pflanzen in günstiger Weise zur Wirkung gekommen ist. Das
Gewicht der Trockensubstanz der etiolierten Blätter und des
Samensprosses ist in der Dunkelkammer um 13g größer
wie bei den Vegetationsgefäßen, wo die Pflanzen nicht mit
Radiumwasser behandelt worden sind. Im Vegetationshaus
war unter Einwirkung der Radiumemanation das Trockensubstanz-
gewicht der Blätter und des Samensprosses um 16,1 g kleiner als
ohne Radiumemanation.
Im Vegetationshaus, übte also bei Einwirkung der Sonnen-
strahlen durch die photochemischen Wirkungen die Radium-
emanation einen schädlichen Einfluß aus. Die Entwicklung
der Blätter und des Samensprosses blieb bei Einwirkung der
Radiumemanation gegenüber den Kontrollpflanzen zurück.
Wir haben wieder neue Versuche in Emanatorien mit einem
Rauminhalte von 66 Liter angestellt. Diese Versuche wurden
mit Mutterrüben «derart ausgeführt, daß wir ein Vegetations-
gefäß mit den Mutterrüben in ein Emanatorium stellten. Die
Emanation wurde durch Erzlaugrückstände hervorgerufen. Die
Luft im Emanatorium wies im Liter 20 ME = 8020 · 10-1? =
0,000008 mg Ra auf. Die Versuche wurden im Winter im Monate
November und Dezember und im Frühjahr im Mai und Juni
vorgenommen. Es wurde gefunden, daB im Monat November
und Dezember unter Einfluß der Radiumemanation sich neue
Blattorgane und der Samensproß früher entwickelten als ohne
Radiumemanation. Nach 55 Tagen wurde das Trockensubstanz-
gewicht der Blätter eines Exemplars aus dem Emana-
torium von 4,97g, aus den Kontrollgefäßen, wo keine
‚Radiumemanation vorhanden war, von 3,85 g konstatiert. Die
mikroskopische Untersuchung hat ergeben, daß in der etiolierten
reinen Blattsubstanz nicht viel Kalium enthalten war.
Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 161
Im Frühjahr unter Einwirkung der Sonnenstrahlen war gerade
das Gegenteil zu beobachten. Wir fanden, daß bei den Mutter-
rüben ohne Radiumemanation neue Blätter und der Samensproß
in üppigerer Weise entwickelt waren, als unter Einfluß der Radium-
emanation. Es betrug das Trockensubstanzgewicht der neu
entwickelten Blätter pro 1 Exemplar aus dem Emanatorium
5,01 g, aus den Kontrollgefäßen 6,30 р. Es ergaben sich also
wieder Differenzen. |
Die photomorphotischen Wirkungen sind gewiß durch die
Radiumemanation beeinflußt worden. Die formative Tätigkeit,
welche durch die Radioaktivität im Dunkeln, also bei Ausschluß
des Lichtes, sowie im Winter hervorgerufen wurde, zeigt uns,
daB das ein Agens ist, welches auf die Bildung neuer lebender
Pflanzenmasse einen Einfluß hat. Im Dunkeln fördert die Radio-
aktivität das Wachstum neuer Organe, bei Gegenwart von Sonnen-
strahlen hingegen wird dasselbe verlangsamt oder ganz sistiert.
Namentlich im Dunkeln konnten wir bei Beta vulgaris konsta-
tieren, daß durch die Radioaktivität etiolierende breite Blätter
eine ziemliche Größe erreicht haben. Das Gewicht ist aber ein
Beweis, daß wir es hier mit einem Phänomen zu tun haben, das
von hoher physiologischer Bedeutung ist.
Bei den neuen Forschungen über kosmische Radioaktivität
kommen wir immer mehr und mehr zur Überzeugung, daß in
der Sonne Radioelemente vorhanden sind und diese radioaktiven
Strahlungen müssen in einem gewissen Zusammenhange stehen
mit dem Einfluß der Radiumemanation auf den Pflanzenorganis-
mus. Wir wissen ja, daß die physikalischen Eigenschaften des
radioaktiven Atoms im Sommer und Winter gleich sind, aber die
biologische Beeinflussung ist verschieden. Uran und Thorium
senden reine «-Strahlen aus, während das Radium a- und B-
Strahlen liefert. Das Kalium sendet größtenteils Pen und
ganz geringe Mengen von y-Strahlen.
Auf das lebende Protoplasma wirken die «-Strahlen am stärk-
sten, dann folgen die weichen G Strahlen, Die y-Strahlen haben
erst einen Effekt, wenn sie in großen Mengen längere Zeit ein-
gewirkt haben.
Unsere Experimente haben deutlich gezeigt, daß die Radium-
_ emanation toxische Wirkungen in den Organen, welche reich an
Kalium sind, hervorruft. Zum mikrochemischen Nachweis des
Biochemische Zeitschrift Band 108. 11
162 J. Stoklasa:
Kaliums in der Zuckerriibe haben wir die modifizierte Methode
von Macallum angewendet.
In der Zuckerrübenpflanze ist das Kaliumion ubiquitär!).
Das meiste Kalium enthält die Blattspreite, weniger der Blatt-
stiel und am wenigsten die Wurzel. In der Blattspreite tritt das
Kaliumion am reichlichsten in den subepidermalen Schichten auf.
Das Palisadengewebe unmittelbar unter der oberen Epidermis
ist am kaliumreichsten. Die chlorophylihaltige Zelle enthält
stets Kalium. In der Epidermis selbst ist, mit Ausnahme der
Schließzellen, weniger Kalium enthalten. Der Xylemteil der.
Gefäßbündel, und zwar sowohl des Blattstieles wie der Blatt-
nervatur, enthält mehr Kalium als der Phloemteil. Auffallend
große Mengen von Kalium sind in der sogenannten Zuckerscheide.
In der Rübenwurzel steigt die Kaliummenge in der Richtung
zum Kopfe. Die Gefäßbündel mit ihrem reichen Kaliumgehalt
bilden konzentrische Ringe. Außerdem sind größere Kalium-
mengen in den unmittelbar unter der Korkschichte liegenden
Geweben enthalten.
An verwundeten Stellen häuft sich das Kalium an. Die
Wasserkulturen haben gezeigt, daß bei Abwesenheit des Kalium-
ions in der Nährlösung, der im Samen vorhandene Vorrat an
Kalium hauptsächlich in die beleuchteten Teile, meist in die
Blattspreite, wandert. Die Wurzel enthält verhältnismäßig
weniger Kalium. Etiolierte Blätter fallen durch die
geringe, in ihnen enthaltene Kaliummenge auf. Die
Gesamtverteilung des Kaliumions in den ohne Kalium gezüch-
teten, resp. etiolierten Pflanzen, ist im allgemeinen eine ähnliche
wie in normalen Pflanzen.
Durch die mikrochemische Analyse wurde tatsächlich fest-
gestellt, daß die Chlorophyllapparate von der Zuckerrübe von
allen Organen am reichsten an Kaliumion sind. Wir haben auch
an den Blättern anderer Kulturpflanzen, die wir zu unseren Ver-
suchen herangezogen haben, mikrochemische Untersuchungen
angestellt und gefunden, daß sich bei Hordeum distichum, Poly-
gonum fagopyrum, Papaver somniferum, Lupinus angustifolius,
Vicia faba und Pisum sativum mittels der von uns modifizierten
1) Julius Stoklasa und Alois Matousek unter Mitwirkung von
E. Senft, J. Sebor und W. Zdobnicky, Beiträge zur Kenntnis der Er-
nährung der Zuckerrübe. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1916.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 163
mikrochemischen Methode nach Macallum im Palisadengewebe
der Chlorophyllapparate nicht so groBe Mengen von Kalium wie
bei der Zuckerrübe nachweisen ließen. In den Blättern der Kar-
toffel, der Weinrebe und des Tabaks wurden große Quantitäten
von Kalium vorgefunden und diese Pflanzen sind, wie wir gefunden
haben, gegen die radioaktiven Elemente ungemein empfindlich.
Auch die chemische Analyse hat dokumentiert, daß die Blätter
der Zuckerrübe tatsächlich die größten Mengen an Kaliumion
aufweisen. Auf Grund unserer sorgfältigen Untersuchungen wur-
den in den Blättern der Pflanzen, mit welchen wir Experimente-
ausführten, folgende Quantitäten an Kalium in der Trockensub-
stanz der Blätter gefunden:
Beta vulgaris 1,73—2,86%
Solanum tuberosum ........ 2,04%
Nicotiana tabacum ........ 1,83%
Vitis vinifera... ... ee 1,64%
Pisum arvense . . 2... 2220. 0,88%,
Pisum sativum .........-. 1,03%
Hordeum distichum ........ 0,78—0,94%
Polygonum fagopyrum....... 0,69%
Papa ver somniferum . ...... . 0,96%
Lupinus angustifolius ....... 0,84%
Vicia faba ............ 0,92%
Die analytischen Daten zeigen uns, daß die Blatter der
Zuckerriibe, der Kartoffel und des Tabaks, sowie der Weinrebe
sehr reich an Kalium und, wie wir schon erwähnt haben, gegen
die Einwirkung der radioaktiven Strahlen von Uran, Radium,
Radiumemanation und Thorium sehr empfindlich sind. Durch die
Beobachtung der photomorphotischen Wirkungen bei Gegenwart
von Radiumemanation haben wir gefunden, daß in der Dunkel-
kammer, also im etiolierten Zustande, die Radiumemanation
nicht toxisch, im Gegenteil vorteilhaft auf die formative Tätig-
keit der Pflanzen einwirkte. Interessant ist, daß die etiolierten
Blätter geringere Quantitäten von Kali enthalten. Bei Gegenwart
von Licht wirkte die Radiumemanation auf das Zellprotoplasma
nachteilig. Daraus muß geschlossen werden, daß die Toxidität
jedenfalls mit der Dynamik der photosynthetischen Assimilation,
also mit der Produktion der organischen Substanz durch die
Assimilation von Kohlendioxyd zusammenhängt. Das natürliche
Element Kalium sendet sehr durchdringende Strahlen aus, во
11*
164 J. Stoklasa:
daß man annehmen muß, daß in der chlorophylihaltigen Zelle,
welche ein bedeutendes Quantum von Kalium aufweist, ganz von
Strahlen ausgefüllt ist.
Die ausströmenden Strahlen des Kaliums müssen in einem
gewissen biologischen Gegensatze durch die х-ЗітаШеп der Ra-
diumemanation schädlich beeinflußt sein. Die Radiumemanation
ist das unmittelbare Zerfallsprodukt des Radiums, d. h. ein
Atom Radium spaltet sich in Heliumatom (a-Strahlen) und ein
Atom Emanation. Aus der Radiumemanation entwickelt sich die
induzierte Aktivität.
Unter dem Name „aktiver Niederschlag‘ faßt man sämt-
liche Umwandlungsprodukte, die nach der Emanation kommen,
zusammen. Sie verhalten sich durchwegs wie feste Körper.
Man unterscheidet gewöhnlich zwischen dem schnell zerfallenden
und dem langsam zerfallenden aktiven Niederschlag. Dem schnell
zerfallenden aktiven Niederschlag gehören die drei ersten Zer-
fallsprodukte der Radiumemanation, nämlich Radium A, Radium
B und Radium C an.
Н. Zwaarde maker’) erwähnt in seiner Publikation „Die Bedeutung
des Kaliums im Organismus‘, daß offenbar ein biologischer Gegensatz
existiert, der sich mit dem physikalischen Unterschied deckt. Die a- und
ß-Strahlen sind biologische Antagonisten, physikalisch verschieden.
In der chlorophyllhaltigen Zelle spielen sich entschieden physikalisch-
biologische Prozesse ab, wovon wir bis jetzt keine Ahnung gehabt haben.
Ganz richtig betont Rudolf Keller?) in seiner Publikation „Die
Elektrizität in der Zelle", daß die Kraftäußerung im engsten Raume in
der organischen Welt nur noch übertroffen wird vom Chlorophyllkorn, das
in seinem Punktraum Kohlensäure mit einem Aufwand von sicher über
300 Joules zerlegt und auseinanderhält.
Dieser Autor kommt in dieser Publikation, sowie in seiner jüngst er-
schienenen „Neue Versuche über mikroskopischen Elektrizitätsnachweis‘‘?)
zu einer Ansicht, die ich hier rekapituliere:
„Wenn man einen lebenden Schnitt in eine beliebige Kobaltlösung
bringt, nicht in Nitrit, sondern in Chlorür, Chlorid oder Nitrat, so fallen
ebenfalls bräunliche Reduktionsprodukte an den Kathoden aus, die ihre
Reduktionswirkung an Kobaltsalzen ebenso betätigen wie an Eisensalzen.
Man kann diese Niederschläge unter dem Mikroskop auch als gelbbraun
1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 173. 1918.
8) Rudolf Keller, Die Elektrizität in der Zelle. Verlag von Wilhelm
Braumüller, Wien-Leipzig 1918.
| 3) Derselbe, Neue Versuche über mikroskopischen Elektrizitätsnach-
weis. Verlag von Wilhelm Braumüller, Wien-Leipzig 1919.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 165
bezeichnen. Es hat also schon der erste Teil der Reaktion etwas Unsicheres
in dem Punkt, ob bestimmt eine Kaliumverbindung niedergeschlagen wird,
zumal auch die Ammoniakverbindung gelb und unlöslich ist. Beim zweiten
` Teil, der Schwärzung durch Ammonsulfid, ist es aber ganz sicher, daß diese
nur die Orte betrifft, an denen Kobaltkationen sich angesammelt haben,
d. h. die Kathoden. Ich habe dies einfach dadurch festgestellt, daß ich
mit beliebigen Kobaltsalzen, ohne das spezifische Kaliumreagens Nitrit,
genau dieselben Bilder erhalte wie Macallum und wie Stoklasa - Ma-
to u šek bei allen Geweben, bei denen ich es versuchte. Der richtige Vorgang
ist also folgender: Die Kobaltlösung Macallums, die auf das lebende
Gewebe einwirkt, geht keineswegs dem Kalium nach, sondern sie differenziert
sich autonom nach ihrer elektrischen Natur und der des Gewebes, die
Kathoden ziehen Kobalt an und halten es fest, die Anoden stoßen es ab.
Pringt man darauf das Sulfid hinzu, so werden die Kathoden ausgefärbt,
und zwar etwas stärker als bei meiner Eisenmethode, offenbar weil Kobalt
giftiger ist und die Differenzierung durch rascheres Absterben des Gewebes
verstärkt wird.
Ich bleibe davon überzeugt, daß Macallums Kaliumorte wirklich
Kalium enthalten, wenn auch nicht in solchen Massen, wie die Schwär-
zungen sie anzeigen würden. Ein so stark positives Element wie Kalium
kann im Ionenzustand sich an keinem anderen Ort aufhalten als an den
stärksten Kathoden. Es ist nur möglich, daß geschlossene Kugeln von
Chlorophyll oder Zellkerne, Aleuronkörner in ihrem Innern Kalium ent-
halten, das durch eine äußere anodische Zwischenschicht oder Neutral-
schicht am Reagieren verhindert ist; auch die Analysen der ganzen Pflanzen-
teile zeigen eine grobe Übereinstimmung mit den Resultaten der mikro-
chemischen Feststellungen, es ist aber sicher, daß Macallums Methode,
zweiter Teil, absolut nicht eine spezifische Reaktion auf Kalium dar-
stellt.
Wie ich schon hervorgehoben habe, sendet das Kalium £- und y- Strah-
len aus. Die € Strahlen sind identisch mit Kathodenstrahlen von hoher
Geschwindigkeit, die 300 000 km pro Sekunde beträgt. Die Geschwindigkeit
der £-Strahlen ist bedeutend größer als die der Kathodenstrahlen und
besitzen daher auch ein viel größeres Durchdringungs vermögen. Nament-
lich durch die Untersuchungen von F. Giesel!) wurde die magnetische
Ablenkung eines Teiles der Strahlen nachgewiesen und durch St. Meyer
und E. v. Schweidler?) gezeigt, daß der Sinn der Ablenkung derselbe
sei, wie bei Kathodenstrahlen. Unabhängig gelangte bald darauf H. Bec-
querel°) zum gleichen Resultate.
Nach Becquerel kann man auf die Identität der Träger der $-Strahlen
mit dem Träger der Kathodenstrahlen, den Elektronen, schließen.
1) F. Giesel, Ann. de Chim. et de Phys. 69, 834. 1899.
2) St. Meyer und Е. у. Schweidler, Phys. Z. F, 113. 1899; Wien.
Ber. 119, 92. 1900.
з) Н. Becquerel, С. К. 129, 996 u. 1205. 1899; Journ. de phys.
(3) 9, 71. 1900.
166 J. Stoklasa :
Die Befunde von Rudolf Keller sind nur auf die Radioaktivität des
Kaliums zurückzuführen, wo die -Strahlen mit den Kathodenstrahlen fast
identisch sind und die gefundenen Kathodenstrahlen zum Teil auf die
Wirkung der ausgesandten f̃- Strahlen zurückgeführt werden können.
Die f- Strahlen sind Elektronen, die mit ihrer großen Geschwindigkeit
(fast bis zur Lichtgeschwindigkeit) von dem Kalium ausgeschleudert werden.
Sie rufen beim Auftreten auf fluorescenzfähige Substanzen ein gleichmäßiges
Leuchten hervor.
Die Radioaktivität des Kaliums kommt in den Chlorophyll-
apparaten der Zuckerrübe zur vollen Geltung, sodaß man sie im
Laufe ihrer Entwicklung genau verfolgen kann. Wenn man die
kinetische Energie der B-Strahlen des Kaliums mit der kinetischen
Energie der -Strahlen des Radiums und mit der der «-Strahlen
des Urans vergleicht, findet man, daß das Durchdringungs ver-
mögen der Strahlen bei dem Kalium größer ist, als bei Radium.
Der energische Baustoffwechsel der Zuckerrübe kennzeichnet
sich in einer progressiven Entwicklung der Chlorophyllapparate.
Wir beobachteten, daß sich die Chlorophyllapparate in der ersten
Phase der Entwicklung der Zuckerrübe sehr rasch entwickeln
im Verhältnisse zum Wurzelsystem. So fanden wir, daß auf 1 g
Wurzelsystem in der ersten Phase der Entwicklung der Zucker-
rübe 5—6 g Chlorophyllapparate entfallen. Erst später, nament-
lich in den Monaten August und September, wo sich das Wurzel-
system schon stärker entwickelt hat, sinkt die Entwicklung der
Chlorophyllapparate und die Assimilate zirkulieren dann in den
Rübenkörper.
Wie die Experimente zeigten, ist die Wirkung der radio-
aktiven Strahlen in den Phasen, wo die Chlorophyllapparate
sich üppig entwickelten und reich an Kaliumion sind, immer am
toxischsten. Die Tendenz des Organismus der Zuckerrübe im
ersten Stadium ist, so schnell wie möglich die Chlorophyllapparate
zur Entwicklung zu bringen und viel Kaliumion zu resorbieren.
Das Chlorenchym, welches reich an Chloroplasten ist, findet seine
Hauptfunktion in der Zersetzung der Kohlensäure und der Assi-
milation seines Kohlenstoffs zum Aufbau der Kohlenhydrate.
Diese Funktion kann einen mikroskopisch sichtbaren Ausdruck
in der Ablagerung kleiner Stärkekörner innerhalb der Chloro-
plasten finden. Natürlich ist die Kohlensäurezersetzung nicht nur
von dem Chlorophyll, sondern auch von dem Lichte abhängig.
Berücksichtigt man nun, daß das Palisadenparenchym, da es
Radiumemanation und Wachstumsproze8 der Pflanzen. II. 167
an der Oberseite der Blätter liegt, viel besser beleuchtet ist,
so ist es klar, daß der Löwenanteil der von den Blättern assi-
milierten Kohlensäuremenge auf das Palisadenparenchym ent-
fällt. Die Ausbildung dieses spezifischen Assimilationsgewebes
ist in den Zuckerrübenblättern nicht überall gleich und hängt von
verschiedenen Vegetationsfaktoren ab. Die Assimilationstätigkeit
der Blattorgane unterliegt sehr vielen Einflüssen vegetativer,
klimatischer und auch physikalischer Natur, daß jede direkte
Folgerung in ansteigender Linie (etwa je mehr Blätter oder de-
taillierter je mehr Blattoberfläche desto mehr Zucker, nach der
gegebenen Definition) von vornherein ausgeschlossen erscheinen
muß. Die Blattformen sind äußerst verschieden, sowohl in der
Stellung, als auch in der Ausbildung und Zahl.
Unseren Beobachtungen gemäß ist die Entwicklung des
Gesamtorganismus der Zuckerrübe und überhaupt die Akku-
mulation des Zuckers in der Wurzel nicht von dem Gewichte der
Blätter, sondern von dem Chlorophyligehalte des Chlorenchyms
abhängig. So z. B. fanden wir bei mangelhafter Ernährung der
Zuckerrübe, daß die Blattrockensubstanz bloß 0,6—0,9% Chloro-
phyll aufwies, während sie bei Vorhandensein aller Nährstoffe
1,0—1,8% Chlorophyll enthielt.
Bei Gegenwart aller Nährstoffe konstatierten wir nach
60 Vegetationstagen, also bei der III. Periode, ein Gewicht der
Trockensubstanz der Blätter und Stiele einer Rübenpflanze von
30,83 р, der Wurzeln, von 9,85 g, also zusammen 40,68g. Der
Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der Blätter und Stiele
belief sich auf 1,65%, infolgedessen befanden sich in der Trocken-
substanz der Blätter und Stiele 0,5087 g. Von der Gesamtkalium-
oxydmenge, welche pro 1 Rübenpflanze 1,5024 g in diesem Sta-
dium beträgt, wurden von den Blättern und Stielen 1,4305 g
und bloß 0,0719g von den Wurzeln aus dem Boden resorbiert.
Also in Prozenten ausgedrückt sind von der Gesamtkaliumoxyd-
menge 95,21%, in den Blättern und 4,79% in den Wurzeln vor-
handen.
In der IV. Periode nach 95 Vegetationstagen bezifferte sich
das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele auf
70,86 g, des Wurzelsystems auf 46,52 g, daher zusammen auf
117,38 g. Der Chlorophyllgehalt in der Trockensubstanz der
Blätter und Stiele betrug 1,52%, so daß sich in der Trocken-
168 , J. Stoklasa:
substanz der Blätter und Stiele 1,0771 g befanden!). Von der
Gesamtkaliumoxydmenge, die in dieser Periode 2,1020 g beträgt,
wurden von den Blättern und Stielen 1,7857 g, von dem Wurzel-
system 0,3163 g K,O aus dem Boden resorbiert. Eswarendaher
vom Gesamtkaliumoxyd in den Blättern und Stielen
84,95%, in den Wurzeln 15,05% zugegen.
In der V. Periode, also nach 118 Vegetationstagen, belief
sich das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele
auf 80,42 g, der Wurzeln auf 130,72 g, zusammen auf 211,14 g..
Der Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der Blätter und.
Stiele betrug in dieser Periode 1,43%,, so daß in der Trocken-
substanz der Blätter und Stiele 1,1500 g Chlorophyll vorhanden
waren. Von der Gesamtkaliumoxydmenge, die 2,3294 g betrug,
wurden von den Blättern und Stielen 1,4797 g, von dem Wurzel-
system 0,8497 g K,O aus dem Boden resorbiert. Demgemäß
befanden sich vom Gesamtkaliumoxyd 63,52%, in den
Blättern und Stielen und 36,48% in den Wurzeln.
In der VI. Periode, also nach 145 Vegetationstagen, bezifferte
sich das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele
auf 75,86 g, des Wurzelsystems auf 138,55 g, also zusammen
auf 214,41 g. Der Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der
Blätter und Stiele betrug in diesem Stadium 0, 92%; es befanden
sich daher in der Trockensubstanz der Blätter und Stiele 0,6979 g.
Von der Gesamtkaliumoxydmenge, die 2,3377 g betrug, wurden
1,3124 р von den Blättern und Stielen und 1,0253g von dem
Wurzelsystem aus dem Boden resorbiert. Vom Gesamtkalium-
oxyd waren also 56,14%, in den Blättern und Stielen
und 43,86% in den Wurzeln konstatierbar.
Diese Zahlen sind sehr lehrreich! Wir fanden, daß der Or-
ganismus der Zuckerrübe bei der Entwicklung von Chlorophyll-
apparaten, wo die Trockensubstanz der Blätter und Stiele die
reichste Menge Chlorophyll enthält, bestrebt ist, die größte Menge
von Kalium aus dem Boden zu resorbieren. So sehen wir, daß bis
zur VI. Periode in den Blättern und Stielen immer der Kalium-
gehalt, sowie Chlorophyligehalt steigt, um die größte Menge von
1) Wir bestimmten das Chlorophyll nach jener Methode, welche in
unserer Arbeit, betitelt: Beitrag zur Kenntnis der Zusammensetzung des
Chlorophylis. Beihefte zum Botan. Centralbl. 30, Abt. I, Heft 2. 1913.
genau beschrieben wurde.
Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II. 169
Zucker zu produzieren. Dann finden wir plötzlich einen Um-
schwung. Der Chlorophyligehalt der Blätter sinkt, da sich schon
die Assimilate in den Wurzeln abgelagert haben und auch der
Kaliumgehalt ist ein kleinerer geworden und nähert sich dem
Quantum, welches in dem Wurzelsystem vorhanden ist.
Wenn wir all die von uns durch langjährige Experimente
gewonnenen Zahlen überblicken, finden wir einen vollen Zu-
sammenhang zwischen dem Mechanismus der endothermen Assi-
milationsprozesse und der chemischen Aufspeicherung der Licht-
energie und Umwandlung der kinetischen Energie in potentielle
Energie. oa
Wir wollen zunächst einmal versuchen, uns eine Vorstellung
davon zu machen, wie groß die von der Rübenpflanze bei der
Photosynthese gespeicherten Energiemengen, in Calorien aus-
gedrückt, sind. Dies zu berechnen, ist nicht schwer, da uns ja
die Verbrennungswärme der Assimilate bekannt ist; die zu ihrer
Synthese erforderliche Energie hat natürlich denselben absoluten
Wert. Angenommen, es liege Glucose vor, dann entspricht ein
Molekül C,H,,0, 6 Molekülen CO,. Die entsprechenden Molekular-
gewichte stehen im Verhältnis 180, 12: (44 · 6) = 0,682. Nun
hat 1 g Glucose die Verbrennungswärme 3760. Wenn die Pflanze
Leem СО, (auf 0° und 760 mm Druck bezogen) assimiliert, вог
gewinnt sie damit, da 1 ccm CO, 0,001965 g wiegt, und 0,001965
- 0,682 = 0,001340 g Glucose entspricht, 0,001340 - 3760 = 5,0384 g
Calorien an Energie.
Von großem Interesse war, zu erfahren, wie sich die Mechanik
der photochemischen Assimilation in den Blättern der Zucker-
rübe, in einem Nährmedium bei Gegenwart aller Nährstoffe im
Vergleiche zu dem Falle, wo das Kalium fehlte, gestaltete. Studien
über die Menge der assimilierten Kohlensäure wurden zuerst von
U. Kreusler!) ausgeführt.
Das Prinzip seiner Methode besteht darin, daß die Kohlensäure in
dem zu den Blättern geleiteten und im abgeleiteten Gasstrom ermittelt
wird. Der Vergleich zwischen dem Kohlensäuregehalt des Luftstroms, der
über die Blätter im Dunkeln geleitet worden ist, und dem Strom, der über
die belichteten Blätter geht, gibt ohne Einfluß der Atmung den Betrag
des assimilierten Kohlendioxydes. Die Methode nach Kreusler hat auch
1) U. Kreusler, Landwirtsch. Jahrb. 14, 913. 1885; 16, 711. 1887;
- 17, 161. 1888; 19, 649. 1890.
170 J. Stoklasa:
Willstatter') bei seinen Untersuchungen über die Ermittlung der Menge
der assimilierten Kohlensäure zur Anwendung gebracht.
Unsere Versuche nahmen wir auch nach der modifizierten Me-
thode von Blackman und Matthaei?), Brown und Escombe?)
vor und fanden, daß bei Anwesenheit aller Nährstoffe im Nähr-
medium 1 дй, bei einer Temperatur von 22—24° С, durchschnitt-
lich aus 6 Versuchen während 1 Stunde im diffusen Tageslichte
3,578 cem Kohlendioxyd assimilierte. Dies entspricht 18,0274 g-
Calorien. Bei Annahme, daß pro Tag durchschnittlich 9 Stunden
die Assimilation vor sich geht, so werden pro 1 айт 162,25 g-
Calorien produziert. Bei den Rübenblättern, wo im Nährmedium
Kaliumoxyd fehlte, wurden von 1 qdm bei diffusem Tageslicht
während der gleichen Zeit bei 22—24°C durchschnittlich aus
7 Versuchen 1,051 cem Kohlendioxyd assimiliert, was 5,2954 g-
Calorien entspricht und in 9 Stunden 47,66 g-Calorien ausmacht.
Hier ergeben sich gewiß in der ganzen Dynamik der Photo-
synthese bedeutende Unterschiede, welche genau dokumentieren,
daB dem Kalium bei den fundamentalen Prozessen der Photo-
synthese eine hervorragende Rolle zukommt. Die autotrophe
Assimilation des Kohlendioxyds scheint also von dem Kalium-
gehalt des Chlorenchyms abhängig zu sein.
Das Kalium, das in der chlorophyllhaltigen Zelle
verhältnismäßig in großen Quantitäten vertreten ist,
sendet durchdringende G und y -Strahlen in der Weise
aus, daß die ganze chlorophyllhaltige Zelle mit Strah-
len gefülltist, wasein Phänomen vongroßer Bedeutung
ist. Der photochemische Effekt des Kaliums ist zwar
nicht groß, verdient aber volle Beachtung, wenn man
bedenkt, daß das Rubidium 90 Tage, das Kalium 50 Tage und
das Uranium 1 Tag zur Schwärzung der photographischen Platte
fordert. Die photochemische Wirkung, sowie die Bedeutung der
Radioaktivität hat einen nennenswerten Einfluß auf die ganze
1) R. Willstätter und A. Stoll, Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad.
d. Wissenschaften, Physikal.-mathem. Kl. XX, 15. IV. 1915.
2) Е. F. Blackman und Gabrielle Matthaei, Proo. Roy. Soc. (В)
46, 402—459. 1905.
з) F. F. Blackman und A. М. Smith, Proc. Roy. Soc. (В) 83, 401.
1911; F. Brown und Е. Escombe, Proc. Roy. Soc. (В) 76, 29, 44. 1905.
Die Beschreibung unserer modifizierten Methode, sowie die diesbeziiglichen
analytischen Daten erscheinen in einer speziellen Arbeit.
Radiumemanation und Wachstumsprozen der Pflanzen. П. 171
Dynamik der Photosynthese. Daß tatsächlich die toxische Wir-
kung des Kaliumions unter starkem Einfluß der Radiumema-
nation bei der Photosynthese zur Geltung kommt, geht daraus
hervor, daß der Einfluß der Radioaktivität auf die Stoffwechsel-
prozesse der Bakterien, namentlich der Bakterien, welche ele-
mentaren Stickstoff assimilieren, wie z. B. der Azotobacter
chroococcum deutlich zutage tritt. Acotobacter chroococcum ist
reich an,Kaliumion. In der Trockensubstanz wurde gefunden:
Р,О,............. 4,93—5,2% .
EO ek ³·˙ð«·’wR Be е 2,41—2,65%
Reinasche . .......... 8,2 —8,6%.
Von den Ammonisationsbakterien, zu welchen Bac. mycoides
zählt, ist in der Trockensubstanz zugegen:
Oe Ss Es Er ᷣ Ä 4,07%
KO ce i tee, & ож Gr et eee d 2,27%
Җешаввһе........... 7,50%.
Von den Denitrifikationsbakterien bei Bac. fluorescens lique-
faciens war in der Trockensubstanz konstatierbar:
PO: оао ee a 5,32%,
КО ve, ж e ier бё Ок. A 0,83%
Reinasche. e 6,48%
Die Versuche, die ich mit Stranäk und Hromádko in
großem Maßstabe ausgeführt habe, dokumentierten, daß die
Radiumemanation von 80—150 ME = 32 080 · 10-13 = 60 150
- 10-12 = 0,000 032 — 0,000 06 mg Ra pro 1 Liter auf die Ent-
wicklung der Bakterien nicht schädlich gewirkt hat, im Gegenteil
die Assimilationspotenz des elementaren Stickstoffs steigt bei
Azotobacter chroococcum ungemein. Eine Wachstumsverzögerung
der Bakterien konnte bei dieser Dosierung nicht beobachtet
werden.
Wir haben auch in den Emanatorien gefunden, daß die
Radiumemanation selbst in schwacher Aktivität ungemein günstig
auf die Bakterien, welche elementaren Stickstoff assimilieren,
und auf die Stickstoffanreicherung des Bodens wirkt.
AusdenVersuchsresultatenerhellt,daBdie Radium-
emanation auf die chlorophyllose Zelle der Bakterien,
trotzdem sie reich an Kaliumion ist, keine toxischen
Wirkungen hervorruft.
172 J. Stoklasa: Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II.
Die toxische Wirkung wird in der chlorophylihalti-
gen Zelle erzeugt bei der Produktion der organischen
Substanz durch die Assimilation von Kohlendioxyd,
also bei der photosynthetischen Assimilation. Durch
Beeinträchtigung der Dynamik der Photosynthese leidet natür-
lich auch der ganze Bau- und Betriebsstoffwechsel und die Bildung
der formativen und plastischen Zellbestandteile. Die Assimilations-
tätigkeit der grünen Zelle geht, wie wir sehen werden, bei Gegen-
wart von Kalium vor sich. Bei Vorhandensein von Radium-
emanation findet zwischen den a-Strahlen der Radiumemanation
und den weichen ß-Strahlen des Kaliums eine Gegenwirkung statt.
Die biologische Radioaktivität, welche sich durch fortwährende
Herbeischaffung der elektrischen Ladung charakterisiert, verläuft
nicht normal. Es existiert ein biologischer Gegensatz zwischen
den a- und f-Strahlen. Es sind das biologische Antagonisten,
die physikalisch verschieden sind.
Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums
bei der Photosynthese. III.
Von
Julius Stoklasa.
(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, Е. Napravil und
J. Hromädko.)
(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm.-techn. Hochschule
in Prag.)
(Eingegangen am 15. April 1920.)
Willstätter und Stoll schreiben bei ihren Untersuchungen
über die Assimilation bekanntlich dem Magnesium eine besondere
Aufgabe in der chlorophylihaltigen Zelle zu, was sich gemäß
unseren Erfahrungen als nicht am Platze erweist.
Durch unsere exakten Wasserkulturversuche!) wurde nach-
gewiesen, daß, wenn im Nährmedium von den Aschen-
bestandteilen Phosphor und Kalium fehlt, sich die
Pflanzen überhaupt nicht entwickeln können. Ganz
andere Verhältnisse herrschen bei der Vegetation, wosich
in der Nährlösung kein Magnesium befand. Die Pflanzen
blieben allerdings gegenüber den Nor mal pflanzen in
ihrer Entwieklung zurück, jedoch ihre Blätter waren
zie mlich gut entwickelt und sehr schön grün gefärbt.
Auch die Palisadenzellen waren reich an Chlorophyll-
körnern. Überhaupt ließ das Aussehen der Pflanzen darauf
schließen, daß sie sich nicht, wie dies bei jenen in der Nährlösung
ohne Phosphor und Kalium der Fall war, in einem pathologischen
Zustande befinden.
Berechnen wir nun auf Grund unserer Untersuchungen,
wieviel Magnesium zur Bildung des Chlorophylis in den Blättern
1) Julius Stoklasa, Johann Sebor und Em. Senft, Beihefte
z. Botan. Centralbl. 30, Abt. I, Heft 2. 1913.
174 | J. Stoklasa:
beispielsweise von Zea Mais (die ein bestimmtes Gewicht auf-
weisen) gebraucht wird.
Wir haben eine Reihe von Versuchen mit Zea Mais in einer
Nährlösung mit und ohne Magnesium angestellt, um genügend
Material von Blättern zu erhalten. Unsere diesbezüglichen Versuche
wurden in 48 Vegetationsgefäßen ausgeführt und die Resultate
sind auf 100 Pflanzen berechnet. Das Gewicht von 100 ganzen
Pflanzen, auf Trockensubstanz berechnet, betrug 137,9 р.
In der Nährlösung mit Magnesium haben sich bei 100 Pflan-
zen von Zea Mais 75,6 g reine Blatt-Trockensubstanz gebildet.
Wir können auf Grund unserer Bestimmungen annehmen,
daß in der Blatt-Trockensubstanz von Zea Mais durchschnittlich
1,4% Chlorophyll vorhanden sind. Folgedessen befinden sich
in 75,6 g Blatt-Trockensubstanz 1,058 g Chlorophyll. Nehmen wir
nun an, daß das Chlorophyli 3,53%, Magnesium enthält, so ist
für den Chlorophyllaufbau in der Zelle der Blätter 0,0373 g
Magnesium erforderlich. Wir fanden in der reinen Blatt-Trocken-
substanz 0,036% Magnesiumoxyd oder 0,0217% Magnesium.
In der reinen Blatt-Trockensubstanz im Gewichte von 75,6 g
sind also 0,0272g Magnesiumoxyd, oder 0,0164 g Magnesium
vorhanden.
Nach Willstätters Annahme wären 0,0373 g Magnesium
für den Aufbau des Chlorophylis erforderlich. Wir fanden aber
bloß 0,0164 g.
Wenn das Gewicht der Blatt-Trockensubstanz 75,6 g beträgt,
во muß die ganze Menge von Magnesium, die sich auf 0,0164 р
beläuft, nicht ausschließlich im Chlorophyll vorhanden sein,
vielmehr verteilt sich dieselbe auch auf andere Zellbausteine.
Es sei noch erwähnt, daß Zea Maig eine Pflanze ist, welche
nicht nur für die Entwicklung der Blätter, sondern auch der
anderen Organe verhältnismäßig viel Magnesium braucht.
Ähnliche Resultate haben wir nicht nur in der reinen Blatt-
substanz von Zea Mais, sondern auch von Beta vulgaris, Vitis
vinifera und Nicotiana tabacum gefunden.
Die Hypothese, daß das Chlorophyll durch seinen Gehalt an Magnesium
befähigt ist, eine bicarbonatähnliche dissoziierende Verbindung mit Kohlen-
dioxyd zu bilden, welche Anschauung auch E. Reinaul) in seiner Ab-
handlung „Kohlensäure und Pflanzen“ vertrat, ist nicht stichhaltig.
1) E. Reinau, Chem.-Ztg. Nr. 88, 91, 94, 97, 98. Köthen 1919.
Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 175
Schon A. Lieben!) hat in seiner Arbeit „Über die Reduktion der
Kohlensäure bei gewöhnlicher Temperatur“ im Jahre 1895 das Problem
der Assimilation von Kohlendioxyd durch die chlorophylihaltige Zelle zu
lösen versucht und hat zum erstenmal darauf hingewiesen, daß das Kalium-
bicarbonat, das in Entstehung begriffen ist, sehr leicht und immer durch
nascierenden Wasserstoff zu ameisensaurem Salz reduziert wird. Lieben
konnte bei vielen seiner Versuche durch Reduktion des in Entstehung be-
griffenen Magnesiumbicarbonats durch nascierenden Wasserstoff überhaupt
keine oder nur Spuren von Ameisensäure nachweisen. Auch Wislicenus
ist der Meinung, daß Kaliumbicarbonat sich am besten zur Bildung von
Formiat eignet.
Durch unsere Versuche wurde gefunden, daß durch
Einwirkung der ultravioletten Strahlen auf Kohlen-
dioxyd, Magnesiumhydroxyd und Wasserstoff, welch
letzterer sichin statu nascendi befand, aus Magnesium-
bicarbonat man nie Ameisensäure, Formaldehyd und
überhaupt eine Zuckerbildung nachweisen kann. Das-
selbe wurde bei Anwendung von Ferroverbindungen
anstatt Wasserstoff beobachtet. Die Resultate unserer
Forschungen befinden sich in dem von mir und Matousek bei
Fischer, Jena, herausgegebenen Buch: Über die physiologische
Bedeutung des Kalium-Ions im Organismus der Zuckerrübe.
Fragen wir uns jetzt, was für eine physiologische Funktion
das Magnesium im Chlorophyll hat?
Nach den Untersuchungen von Luigi Bernardini und
Giuseppe Morelli, О. Loew, L. Bernardini und G. Corso,
L. Bernardini und A. Siniscalchi, Plato und J. Tribot?)
ist anzunehmen, daß das Magnesium im Pflanzenorganismus
vorwiegend dazu bestimmt ist, die Phosphorsäure in die Nucleo-
proteide des Zellkerns, sowie in die Chlorophyllorgane einzu-
führen, weil die Phosphorsäure am leichtesten aus Magnesium-
phosphat abspaltbar ist. Das Magnesium muß man als
treuen Begleiter des Phosphors bei dem Bau- und Be-
triebsstoffwechsel der Pflanzen ansehen.
Das Chlorophyli besteht aus drei verschiedenen Arten von
Verbindungen:
1) Adolf Lieben, Monatshefte f. Chemie. Wien 1895.
2) Siehe Atti, R. Accad. dei Lincei 1912; Compt. rend. de l’Acad.
des Sc. 148; Staz. sperim. agrar. ital. 41, 42 u. 43; Landw. Jahrbücher 1902:
Landwirtschaftl. Versuchsstation 1892.
176 J. Stoklasa: —
a) Dem Phäophorbin und dessen Metallverbindungen, die von Will-
stätter und seinen Mitarbeitern festgestellt wurden. Dieselben sind in
Alkohol und Äther, nicht in Petroläther löslich.
b) Dem Phäophytin und den Phäophytiden, die in Äther fast unlös-
lich, in Alkohol und Petroläther löslich sind.
c) Die Chlorolecithinen oder Phäophorbinphosphatide, das sind Ver-
bindungen von Phäophorbin oder Phäophytin mit Phosphoglyceriden, wie
Hoppe-Seyler, Gautier und Stoklasa angenommen haben!). Die-
selben sind ebenso wie deren Metallverbindungen in allen drei Lösungs-
mitteln löslich. Vielleicht kommen auch Phäophytin-Glyceridester, ohne
Phosphorsäuregehalt, Chlorophyllane vor!
Die Phosphorsäure ist an Glyceridreste von ungesättigten Säuren oder
Oxysäuren gebunden. Im Frühjahr und Sommer bilden sich die ungesättig-
ten Säuren, daneben verläuft eine Oxydation zu Oxysäuren, die auch am
Präparate sowie an den aus demselben gewonnenen Säuren weiter fort-
schreitet. Dabei spielt wahrscheinlich das Phäophorbin die Rolle eines
Katalysators, und zwar im Sonnenlichte eines im Sinne der Reduktion,
im Dunkeln im Sinne einer Oxydation. Die Metallverbindungen enthalten
vorwiegend Magnesium, doch ist auch Kalium und Calcium zugegen.
Wenn man die frisch zerschnittenen Blätter einem Druck von
300 Atmosphären aussetzt, so enthalten die Säfte immer Phosphor
und Kalium, aber nur kleine Quantitäten von Magnesium. Die
gequollene Zellhaut des Wurzelsystems, die negativ elektrisch ist,
zieht die Kationen der dissoziierten Salzlösungen an und verwandelt
sich in Hydraten, die unter gleichzeitiger Reduktionswirkung an die
Orte des Verbrauches weitergeleitet werden. Das Kalium-Ion
wird in der chlorophyllhaltigen Zelle in Form von Carbonaten
gebunden und das Kaliumcarbonat ist eigentlich dasjenige
Agens, welches die Kohlensäure der Luft, die durch die Spalt-
öffnungen zu den Chloroplasten dringt, absorbiert und in Bicar-
bonat umwandelt. Auf diese Weise kann man sich auch erklären,
daß bei starker Insolation und Wärme das Kohlendioxyd in der
chlorophyllhaltigen Zelle zurückgehalten wird.
Die Löslichkeit von Kohlendioxyd in Wasser bei 760 mm
Kohlendioxyddruck beträgt in 1 Liter Wasser 0,2 Gewichtspro-
1) Willstätter vertrat in seiner Publikation „Untersuchungen über
das Chlorophyll“ die Ansicht, daß bei der Darstellung des Chlorophylls
der Farbstoff durch die Pflanzensäure des Extraktes und das Erwärmen
in alkoholischer Lösung gelitten hat und von Beimengungen nicht frei
war. Diese Anschauung entspricht nicht den Tatsachen. Wir haben bei
der Darstellung des Chlorophylis stets die Pflanzensäure neutralisiert; das
Chlorophyll. wurde nicht abgebaut. |
Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 177
zent. Nun entspricht aber einem Befunde von 2/100 ooo CO, in
der Luft nur ein Partialdruck derselben von 0,282 mm, also löst
sich bei einem Gehalte von nur 24 CO, in der Luft auch nur
760 : 0,282 = 2 x = 0,0074 g CO, in einem Liter Wasser, oder
die Konzentration ist tatsächlich nur 0,00074 proz., bzw. 0,0017
normal, also etwa 2 Tausendstel normal. |
Daß in der grünen Blattzelle mit dem Chlorophyll eine
Kohlensäure verbindung entsteht, wie sich Willstätter und Stoll
das vorstellten, ist kaum anzunehmen. Bei dieser kleinen Aus-
nützung der kinetischen Energie der Sonne, wo bekanntlich die
zur Assimilationsarbeit benutzte Energie ca. 1%, der auffallenden
Gesamtstrahlung der Sonne, die manchmal unter 1/, rückt, aber
auch über den dreifachen Betrag steigen kann, wäre die chloro-
phylihaltige Zelle auf diejenigen Quantitäten angewiesen, die von
dem Zellsaft zurückgehalten werden, was für den ganzen Bau-
und Betriebsstoffwechsel der Pflanzen nicht ausreichen würde.
Bei den submersen Wasserpflanzen geht die Produktion der orga-
nischen Substanz durch die Assimilation von Kohlensäure in
Form von Bicarbonaten vor sich, wie sowohl unsere Versuche
als auch jene von Raspail!), Draper?), Cohn’), Hanstein“)
Hassac k5), Grafe“), Nathanson’), Angelstein®) usw. nach-
gewiesen wurde. Die Pflanze hat die Fähigkeit, die Bicarbonate
aktiv zu verwenden und erreicht dadurch eine reichere Zufuhr
von Kohlendioxyd als in Wasser gleicher Kohlendioxydtension
ohne Bicarbonate. Von anderen Autoren und auch von uns
wurde festgestellt, daB alle Pflanzen, mit welchen man operierte,
imstande sind, wenn 1,0 g Kaliumbicarbonat in 1 Liter kohlen-
säurefreies Wasser aufgelöst sind, das Kaliumbicarbonat zu ver-
werten und Sauerstoffblasen auszuscheiden.
1) Raspail, Nouv. systéme de chim. org. 1833.
з) Draper, Ann. de Chim. et de Phys. (3) 11, 223. 1844.
3) Cohn, Abhandl. d. schles. Ges. 2, 52. 1862.
) Hanstein, Botan. Ztg. 1873, S. 964.
5) Hassack, Unters. a. d. bot. Inst. Tübingen 2, 472.
6) Viktor Grafe, Biochem. Zeitschr. 32, Heft 2. 1911.
7) Nathanson, Ber. über die Verhdlg. d. Kgl. sächs. Сев. d. W. math. -
phys Kl. 59, 1907. — Stoffwechsel der Pflanzen, Verlag von Quelle u.
Meyer in Leipzig 1910.
8) Udo Angelstein, Untersuchungen über die Assimilation sub-
merser Wasserpflanzen. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Breslau 1910.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 12
178 E e J. Stoklasa:
Die Versuche waren derart arrangiert, daß in hohen Glas-
cylindern verschiedenartige Pflanzen vegetierten. Alle Pflanzen,
welche für unsere Experimente zur Anwendung gelangten, wurden
in einer Nährlösung, wo alle Nährstoffe, namentlich das Phos-
phat-Ion reichlich vorhanden waren, zur Entwicklung gebracht
und erst nach 40 Vegetationstagen zum Versuche herangezogen.
Das hierzu nötige Nährmedium wurde auf diese Weise hergestellt,
daß wir absolut kohlensäurefreies Wasser benutzten. In 1 Liter
wurden 1,0g Kaliumbicarbonat oder 1 g Magnesiumbicarbonat
aufgelöst, 0,5g Kaliumnitrat zu der Nährlösung zugesetzt und
kohlendioxydfreie Luft zugeleitet. Die Nährlösung wurde jeden
6. Tag erneuert. Die Vegetationsgefäße befanden sich bei zwei
Gruppen der Versuche auf festem Kaliumhydroxyd, welches den
Zweck hatte, das ausgeatmete Kohlendioxyd zu absorbieren.
Zur ersten Gruppe wurde Kaliumbicarbonat, zur zweiten Gruppe
Magnesiumbicarbonat und zur dritten Gruppe eine Nährlösung
benützt, die frei von Bicarbonaten war. Für die vierte Gruppe
wurde atmosphärische Luft mit Kohlendioxyd zugeführt. Nach
53 Tagen konnten wir wahrnehmen, daß dort, wo Kaliumbicar-
bonat vorhanden war, eine neue Produktion der Pflanzenmasse
in demselben Maße stattgefunden hat, wie bei der vierten Gruppe.
Weiter war von großem Interesse, zu konstatieren, daß dort,
wo Magnesiumbicarbonat zugegen war, sich die Produktion an
Pflanzenmasse nicht in der Weise gestaltete, als bei Gegenwart
von Kaliumbicarbonat. Wenn wir anstatt Kaliumbicarbonat
Magnesiumbicarbonat zusetzen, so wird Sauerstoff nicht aus-
geschieden und es findet auch keine nennenswerte Erhöhung
der Produktion an Pflanzenmasse statt. Das ist ein Beweis
dafür, daß die Hypothese von Willstätter und Stoll
betr. der Rolle von Magnesiumcarbonat nicht zutref-
fend ist. |
Über diese Versuche werde ich demnächst einen ausführ-
lichen Bericht publizieren.
Die photosynthetische Assimilation der Kohlensäure in der chloro-
phyllhaltigen Zelle kann man sich in folgender Weise vorstellen: Die Kohlen-
säure, die durch die Spaltöffnungen dringt, wird von der chlorophyllhaltigen
Zelle sofort absorbiert und das vorhandene Kaliumcarbonat wird in Kalium-
bicarbonat umgewandelt. Das Kaliumbicarbonat gelangt dann in das Proto-
plasma der Gewebselemente. Die Reduktion des Kaliumbicarbonats, das
Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. Ш. 179 |
in seiner Entstehung begriffen ist, wird durch die Lichtenergie bewirkt. Der
Mechanismus dieser photochemischen Reaktion geht wie folgt vor sich’):
KHCO, = HCO,K + О —>
HCO,K + H,CO, => НСО,Н + KHCO,
HCO,H = НСОН + О —»
п НСОН = (CH, O)n
КНСО, = НСО,К + O —— usw.
Wie wir gefunden haben, kann sich das Magnesium
an der Photosynthese nicht beteiligen, sondern nur
das Kalium. Wir müssen annehmen, daß das Chlorophyll bei
der Zersetzung des Kaliumbicarbonats unter Einwirkung der
Sonnenstrahlen intensiv mitwirkt und daß der Formaldehyd,
der sich aus Ameisensäure bildet, sich sehr rasch zu Kohlen-
hydraten kondensiert. Hier finden wir die Erklärung, warum keine
großen Quantitäten von Formaldehyd in den frischen grünen
Blättern konstatierbar sind. Die Bildung der Ameisen-
säure aus Kaliumbicarbonat, sowie die weitere Zer-
setzung der Ameisensäure zu Formaldehyd ist ein
rein endothermischer Prozeß, wo die Sonnenenergie
in potentielle Form aufgespeichert wird.
In Berücksichtigung unserer bei den biologischen Vorgängen
in der chlorophyllhaltigen Zelle erhaltenen Resultate wirft sich
zuerst die Frage auf, ob dort genügende Mengen an Kalium
vorhanden sind. Bei unseren mikrochemischen Studien über die
Lokalisation des Kali-Ions in den Blättern verschiedener Kultur-
pflanzen haben wir nicht nur stets das Kalium-Ion in den chloro-
phyllhaltigen Zellen vorgefunden, sondern auch konstatieren
können, daß die Lamina eine ganz charakteristische Verteilung
desselben aufweist. Das unmittelbar unter der oberen Epidermis
befindliche Palisadengewebe enthält das meiste Kalium; in den
daruntergelegenen Geweben nimmt der Kaliumgehalt ab und
steigt wieder im Schwammparenchym unter der unteren Blatt-
epidermis. In den einzelnen Zellen kommt das meiste Kalium
in der Umgebung der Chromatophoren vor. Auf quantitativem
Wege konnten wir sogar in Chlorophylipräparaten 0,57% K,O
vorfinden.
1) Siehe Sitzungsber. а. Akad. а. Wiss. Wien. Biochem. Zeitschr:
1910—1913.
12*
180 J. Stoklasa:
Die Wirkung der Lichtstrahlen bei der Photosynthese ist
im Palisadengewebe unterhalb der oberen Blattepidermis am
stärksten und diese Zellen enthalten auch in der Tat am meisten
Chromatophoren und das meiste Kalium!) als unentbehrliches
Reagens bei der Photosynthese. Je tiefer in das Mesophyll hinein,
um so schwächer wird die Wirkung der Lichtstrahlen und der
Chromatophoren-, sowie der Kaliumgehalt der einzelnen Zellen
nimmt ab. In der Zellschicht unterhalb der unteren Epidermis
wird die Intensität des Lichtes, das hier von unten eindringen
kann, stärker, der Kaliumgehalt nimmt zu, aber nicht in dem
Maße, wie bei der oberen Epidermis.
Gewiß ein großer Einfluß auf die Dynamik der photosynthe-
tischen Assimilation wird durch die Radioaktivität des Kaliums
hervorgerufen. Das Kalium ist radioaktiv und besitzt
eine atomistische Eigenschaft, welche kein anderes
biogenes Element aufweist. Diese hochwichtige Eigenschaft
des Kaliums tritt stark in den Vordergrund. Obzwar die Radio-
aktivität des Kaliums sehr schwach ist und ausschließlich auf
ß- und y-Strahlung beruht, muß man das bei der Mechanik
des Stoff- und Gasaustausches und bei der Produktion der orga-
nischen Substanzen durch die Assimilation der Kohlensäure in
Betracht ziehen. Namentlich die Radioaktivität des Kaliums
spielt eine bedeutende Rolle bei der photosynthetischen Assi-
milation der Kohlensäure in der chlorophyllhaltigen Zelle. Bei
dem Kalium wurde auch eine geringe photochemische Reaktion
nachgewiesen. Man braucht aber dazu eine längere Expositions-
zeit. Wenn man bedenkt, wie die Zelle bei den biochemischen
Prozessen mit ganz minimalen Quantitäten arbeitet, so kommt
gewiß die geringe Radioaktivität des Kaliums zur vollen Geltung.
Die Pflanzenzelle ist überhaupt für die Radioaktivität ungemein
empfindlich. Wir haben auf Grund unserer Untersuchungen
gefunden, daß auf 100g Trockensubstanz der Samen binnen
36 Stunden 90 ME = 36 090 · 10-1? 0, 000036 mg Ra eine deut-
liche Reaktion auf das Erwachen des Embryos und auf die Bil-
dung der neuen lebenden Masse ausüben.
Bei den Versuchen mit Gerste haben wir eine günstige Wir-
1) Nach Haberlandt wirken die konvexen Zellen der Epidermis wie
Sammellinsen, und es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, daß sich das
Kalium gerade in ihren Brennpunkten häuft,
Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 181
kung der Radiumemanation in den groBen Emanatorien ver-
zeichnen können, wo eine Radioaktivität der Luft von 13,1 ME =
5253,1 - 10-1 = 0,000005 mg Ra herrschte; іп den kleinen
Emanatorien, wo nicht genügende Mengen von Sauerstoff vor-
handen waren, wirkten 7,05 ME = 2827 . 1012 = 0,0000028 mg Ка
schon schädlich und hemmten den ganzen Keimungsprozeß und
die Entwicklung der Pflänzen. Dasselbe konnten wir bei anderen
Versuchen mit Pisum sativum, Vicia faba und Phaseolus vulgaris
in kleinen Emanatorien konstatieren, wo 26,6 ME = 10 666,6 ·
101 = 0,0000106 mg Ra eine hemmende Wirkung auf den Kei-
mungsprozeß hervorriefen, während 41,7 ME = 16 721,7 . 10-1?
= 0,0000167 mg Ra einen günstigen Einfluß auf den Keimungs-
verlauf ausübten, nachdem wieder genügende Quantitäten von
Sauerstoff in großen Emanatorien zugegen waren. |
Wenn der Sauerstoff dann den kleinen Emanatorien in
genügenden Mengen zugeführt wird, wie bei den Versuchen mit
Pisum sativum, Vicia faba und Zea mays haben 26 ME = 10 426
10-12 = 0,0000104 mg Ra den Keimungsprozeß nicht beein-
trächtigt, im Gegenteil begünstigt. Unsere Versuche sprechen
ganz deutlich, daß ein bestimmter Zusammenhang zwischen
der Wirkung der Radiumemanation und der Sauerstoffkonzen-
tration besteht. |
Auch die Radioaktivität des Kaliums hat auf den
ganzen Keimungsprozeß günstig gewirkt; es haben
28—92% bei verschiedenen Samen der Kulturpflanzen
die Keimfähigkeit erhöht und auch das Wachstum
der Pflanzen gefördert. Wenn die Radioaktivität einen so
günstigen Einfluß auf die Wirkung der Enzyme bei dem Keimungs-
prozeß der Samen ausgeübt hat, so ist auch die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, daß die Radioaktivität des Kaliums auf die En-
zyme, welche sich bei der assimilatorischen Leistung der Blätter
beteiligt, ebenfalls zur Geltung kommt.
Willstätter nimmt nämlich an, daß außer dem Chlorophyli ein
zweiter innerer Faktor, dessen Natur enzymatisch sein soll, für den Assi-
milationsvorgang bestimmend sei; er glaubt, daß es sich dabei um ein
Enzym handelt, das den Zerfall eines aus Chlorophyll und Kohlensäure
gebildeten Zwischenproduktes unter Abgabe von Sauerstoff bewirkt. Das
Enzym ist aber bis jetzt weder isoliert noch nachgewiesen worden.
Durch unsere Untersuchungen wurde gefunden,
daß die photosynthetische Assimilation der Kohlen-
182 J. Stoklasa:
säure entschieden durch die Radiumemanation un-
gemein unterstützt wird. Da in chemischer und physio-
logischer Hinsicht die Radiumemanation der Wirkung der ultra-
violetten Strahlen sehr ähnlich ist, warf sich die Frage auf, ob
es nicht möglich wäre, auch durch Radiumemanation eine Zucker-
synthese hervorzurufen!), um so mehr als ja schon nach den Ar-
beiten von Thiele bekannt war, daß sich durch die Einwirkung
der ultravioletten Strahlen aus Kohlensäureanhydrid Kohlen-
oxyd bildet. Das gleiche konnten Ramsay und Cameron,
sowie Herschfinkel auch ber Einwirkung der Radiumemanation
beobachten.
Um endgültig zu ermitteln, ob durch Einwirkung starker
Radiumemanation dieselben Prozesse verlaufen wie unter Ein-
wirkung der ultravioletten Strahlen auf das Kohlendioxyd,
Kaliumhydroxyd bei Gegenwart von Wasserstoff oder Ferro-
verbindungen stellten wir diesbezügliche Versuche an Ort und
Stelle, also in der Radiumfabrik in St. Joachimsthal unter Mit-
wirkung von Direktor Dr. Ulrich an, und benutzten hierzu
0,466 g Radiumchlorid. Es ist mir nun unter Mithilfe meiner
Mitarbeiter, Dozent Dr. Sebor und Dr. Zdobnicky, tatsächlich
gelungen, nach S6stindiger Einwirkung der Radium-
emanation bei Gegenwart von Kaliumhydroxyd aus
Kohlensäureanhydrid und Ferrihydroxyd.oder Wasser-
stoff, der in statu nascendi entstanden ist, Zucker
herzustellen; es war dies eine Hexose. Dieser Befund
eröffnet uns eine ganz neue Perspektive über die Be-
deutung des Radiums in der Produktion der Zellb au-
steine in den Chlorophyllapparaten.
Schon Е. L. Usher und J. Н. Priestley?) sind zur Über-
zeugung gekommen, daß durch Einwirkung von a- und ß-Stralhlen
der Radiumemanation und durch ultraviolette Strahlen eine Zer-
setzung von wässeriger Lösung von Kohlendioxyd hervorgerufen
wird, was wir bei unseren Versuchen bei Gegenwart von Kaliwm-
hydroxyd nicht konstatieren konnten.
Diese Forscher haben ferner gefunden, daß durch Einwirkung
von 0,001 cem Emanation auf 200 cem kohle nsä uregesätt ig-
1) J. Stoklasa, J. Sebor und v. Zdob nic К у, Compt. rend. de Асай.
des Sc. 156, Nr. 8. 1913. |
. 2) F. L. Usherund q. H. Priestley, Proc. Roy. Soc. Ser. В. 84, 101. 1911.
Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 183
tes Wasser innerhalb 4 Wochen eine merkliche Menge
Formaldehyd größtenteils in polymerer Form sich
gebildet hat. Auch bei eintägiger Belichtung von kohlensäure-
haltigem Wasser mit ultravioletten Strahlen trat neben Spuren
von Wasserstoffsuperoxyd eine leicht nachweisbare Menge
Formaldehyd auf, hauptsächlich als Polymeres.
Interessant ist, daß auch B. Moore und T. A. Webster!)
konstatiert haben, daß unter der sensibilisierenden Wirkung von
kolloidem Uranhydroxyd und Eisenhydroxyd kleine Quanti-
täten von Formaldehyd aus Kohlensäure entstehen
können. |
Bei den. ganzen photosynthetischen Prozessen treten die
photodynamischen Eigenschaften des Chlorophylis in den Vorder-.
grund.
Es gelingt sehr leicht, nachzuweisen, daß die Chlorophyli-
organe in Alkohol lösliche photodynamisch wirkende Substanzen
enthalten, wobei wir das Chlorophyll nach den Untersuchungen
von Hausmann?) zumindest als einen der in Betracht kommenden:
Sensibilisatoren betrachten müssen. Der alkoholische Blatt-
extrakt hat demnach eine photodynamische Wirkung.
Die Möglichkeit, daß das Chlorophyll als photodynamisch
wirkender Lichtüberträger in den Mechanismus der Kohlensäure-
assimilation eingreife, ist zuerst von v. Tappeiner?) erwogen,
durch die experimentellen Untersuchungen von W. Hausmann
nachgewiesen worden. Die photodynamische Wirkung des Chloro-
phylis wird sich in stark abgeschwächter Form in den Chloro-
plasten der Pflanze abspalten. |
Es ist nach den Untersuchungen von Becquerel, Ti mi-
riazeff und Engelmann bekannt, daß die Chlorophyllösungen
fähig sind, die photographische Platte zu sensibilisieren.
Die strahlende Energie der Sonne, welche in der
chlorophyllhaltigen Zelle die Synthese des organischen
Materials aus anorganischer Substanz bewirkt, steht
im Zusammenhange mit den f- und y - Strahlen, welche
das Kalium aussendet. Das Kalium sendet Strahlen
aus, welche die ganze chlorophyllhaltige Zelle durch-
1) B. Moore und T. A. Webster, Proc. Roy. Soc. Ser. B. 87, 163. 1913.
2) W. Hausmann, diese Zeitschr. 16, 294. 1909; 30, 276. 1910.
3) H. v. Тарреіпег und А. Jodlbauer, Monogr. Leipzig 1907.
184 J. Stoklasa: Bedeutung der Radioaktivität dee Kaliums usw.
dringen und sich gewiß bei der ganzen Photosynthese
und bei der Produktion der organischen Substanz
durch die Assimilation von Kohlensäure beteiligen.
Aus den grundlegenden Arbeiten von Neuberg!) ist auch zu
ersehen, daß die katalytischen Lichtreaktionen, welche bei der
photosynthetischen Assimilation eine hervorragende Rolle spielen,
sehr in Betracht gezogen werden müssen.
Wenn man berücksichtigt, daß die Radioaktivität des Ka-
liums bei dem Aufbau neuer lebender Masse, bei dem Keimungs-
vorgang der Samenpflanzen, so tief eingreift, so ist zu erwarten,
daß die 8 und y-Strahlungen bei dem Mechanismus der photo-
chemischen Reaktion, welche sich in der chlorophyllhaltigen
Zelle bei Gegenwart von Kalium abspiilen, sich in vollem MaBe
beteiligen.
Auf Grund unserer Untersuchungen läßt sich an-
nehmen, daß dieser fundamentale endothermische
Vorgang und die photosynthetische Assimilation der
Kohlensäure die Zersetzung des Kaliumbicarbonates
unter Einwirkung des Lichtes zu Ameisensäure, Sauer-
stoff und Kaliumcarbonat ist, sowie die weitere Zer-
setzung der Ameisensäure zu Formaldehyd und Sauer-
stoff. Bei diesem photosynthetischen Prozeß muß
auch die Radioaktivität des Kaliums zur vollen Gel-
tung kommen.
1) С. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 305. 1908; 27, 271; 29, 279. 1910;
61, 315; 67, 63. 1914; 71, 219. 1915. Siehe auch C. Neuberg, ,,Bezie-
hungen des Lebens zum Lieht“. Monegr. Allgemeine mediz Verlagsanstalt,
Berlin 1913.
Biochemische Zeitschrift
Beitrage
zur chemischen Physiologie und Pathologie
Herausgegeben von U. C. MEDICAL CENTER Шог:
Е. Hofmeister -Wiirzburg, С. von Noorden-Frankfurt a. M.,
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin JAN 2 1862
unter Mitwirkung von
М. Ascoll-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, F. Blumepthal- :
Berlin, A. Bonanni-Rom, Е. Bottazzi-Neapel, G. Bredig-Karlsruhe і. B., A. Durig SQM. Ё rancisco, 22
Е. Fhrlich-Breslau, H. у. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, S. Flexner-New York, i
J. Forssman-Lund, S, Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem,
E. Fried berger-Greifswald, E. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel,
F. Haber-Berlin-Dahlem, II. J. Hamburger-Groningen, P. Hári-Budapest, Е. Hägglund-
Aabo, A. Heffter-Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W. Heubner-
Göttingen, R. Héber- Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, М, Kumagawa-Tokio,
F. Landolt- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-New York, L. v. Liebermann-
Budapest, J. Loeb- New York, A. Loewy- Berlin. A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel-
New York, L. Marchiewski-Krakau, P. Mayer-Karlsbad, J. Meisenheimer-Greifswald,
L. Michaelis-Berlin, H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Miinzer-Prug, W. Nernst-
Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg, W. Paull-Wien, R. Pfeiffer»
Breslau, Е. P. Pick- Wien, J. Pohl- Breslau, Ch. Porcher- Lyon, P. Копа - Berlin,
Н. Sachs-Heidelberg, S. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sleber-St. Peters-
burg, S. P. L.Sérensen-Kopenhagen, К. Spiro- Liestal, Е. H. Starling-London, J, Stoklasa-
Prag, W. Straub-Freiburg i. B., A. Stutzer- Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München,
H. Thoms-Berlin, P. Trendelenburg-Rostock 0. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-Prag,
A. Wobl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin.
Redigiert von
C. Neuberg-Berlin
Hundertundachter Band
Viertes bis sechstes Heft
Ausgegebenam 4. September 1920
Berlin
Verlag von Julius Springer
1920
bie Biochemische Zeitschrift
erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus-
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis
eines jeden Bandes beträgt M. 48.—. Die Biochemische Zeit-
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter-
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In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn eie
nicht mehr ala 1\], Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent-
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Herrn Prof. Dr. С. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorfstr. IS.
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frei, weitere gegen Berechnung. Für den 16 seitigen Druckbogen wird ein
Honorar von М. 40.— gezahlt,
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ZE ЕЕ
108. Band. Inhaltsverzeichnis. 4.,5. u. 6. Heft.
Verzar, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung ES
von akzessorischen Nahrungssubstanzen .......... 185
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Weitere Untersuchungen über Stoff.
wechsel regulierung bei Bakterien . . 2... 2 2 2 2 2 2 0. 207
Rosenthal, Е. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei
animischen Krankheitszuständen . nnn „ 220
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen
Gärung der Hefe EEEE EEEE e ont a me „ 249
Salkowski, E. Uber die Konservierung von , Blut mit Allylalkohol 244
Schnabel, Alfred. Über die Bestimmung zell- und keimschädigender
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (I. Mit-
/ // a N 258
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das line.
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper-
lipochromiimie . . 2... Е
Schuhbauer, Franz. Zur EW CC Wir der Kieselsäure.
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus 304
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die
Resorption der Kieselsäure < — 5 4 33 „ ooo
Holde, D. Uber Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutral-
EEN deier te E E bie сал eee eee ee ee ee 317
/ 6 > YES SERS DEN, m
Untersuchungen über die Wirkung von akzessorischen
Nahrungssubstanzen.
Von
Fritz Verz4r und Josef Bégel.
(Aus dem Institut fiir allgem. Pathologie der Universitit in Debreczen.)
(Eingegangen am 18. Mai 1920.)
Mit 15 Abbildungen im Text.
Die Stoffwechselphysiologie hat im Laufe der letzten Jahre
tiefgreifende Anderungen erfahren. Außer den bisher bekannten
und in ihrer Bedeutung in jeder Hinsicht, erforschten Nahrungs-
stoffen, wie Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Salze und Wasser,
wurden Substanzen bekannt, die in keiner Diät längere Zeit
fehlen dürfen, wenn es nicht zu schweren Störungen kommen
soll. Hopkins sprach zuerst von „akzessorischen Nahrungs-
faktoren“ [Hofmeister!)]; spätere Autoren reden von „Er-
gänzungsstoffen“ (Schlagenauer), „Ergänzungsnährstoffen“
(Boruttau), „Extraktstoffen“ (Aron) oder ,,protektiven Sub-
stanzen [McCollum?)]. Der letzte Namen deckt wohl am besten
die charakteristische Eigenschaft dieser unbekannten Stoffe:
ihre Schutzwirkung vor verschiedenen Schädigungen. Bezüglich
der Literatur dieser Substanzen sei auf das Referat von Hof-
meister!), McCollum?) und Sjollema?) verwiesen.
Man unterscheidet hauptsächlich zwei Gruppen von Substanzen,
welche von den amerikanischen Autoren kurz als A- und B-Substanzen
bezeichnet werden. Diese Bezeichnung präjudiziert nichts und ist des-
halb, so lange wir nicht mehr über die Natur dieser Stoffe wissen, praktisch
| 1) Hofmeister, Uber qualitativ unzureichende Ernährung. Ergebn.
а. Physiol. у. Asher-Spiro 16, 520. 1918.
2) McCollum, The newer knowledge of nutrition. New York 1919.
3) Sjollema, Nieuwe gezichtspunten in de Voedingsleer. Utrecht,
П. Aufl. 1918.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 13
186 F. Verzär und J. Bögel:
Als A-Substanz wird eine ihrer Natur nach bisher ganz unbekannte
Substanz bezeichnet, welche besonders an die Fettfraktion der Milch,
also an die Butter gebunden ist. Dieselbe Substanz oder wenigstens ebenso
wirkende Substanzen kommen im Ei und in Vegetabilien in den grünen
Blättern vor. Diese fettlöeliche A-Substanz ist zum Wachstum durchaus
nötig. Ohne dieselbe bleibt die Entwicklung junger Tiere stehen; aber auch
erwachsene Tiere erkranken bei längerdauerndem Mangel an dieser Sub-
stanz (Xerophthalmie usw.). |
Die B-Substanz ist identisch mit Funks Vitamin. An Stelle des
letzteren Namen, der nach Hofmeister, McCollum u. a. die chemische
Natur dieses Stoffes ebensowenig deckt, wie die Verallgemeinerung des
Vitaminbegriffes bzw. der Avitaminosen gerechtfertigt ist, wird von Hof-
meister der Name Antineuritin und für eine gegen Skorbut wirksame
Substanz Antiscorbutin empfohlen. Während man in Amerika und Eng-
land so neben B-Substanzen noch C-, usw. Substanzen unterschieden
hat, glaubt speziell Mc Collum und Mitarbeiter, daß es nur eine B-Sub-
stanz gibt, die zum Leben durchaus unentbehrlich ist. Diese ist überall
dort vorhanden, wo unsere Nahrungsmittel reich an Zellen, besonders an
jungen Zellen sind, während sie in den Reservestoffen fehlt. Deshalb findet
man sie auch besonders in den Kleberzellen des Reiskorns, jedoch nicht
im geschälten Reis; in den Kleberzellen des Weizens, Roggens usw., in
den grünen Blättern und bei animalischen Nahrungsmitteln besonders in
den zellreichen Drüsen (z. B. Leber).
Von der A-Substanz ist — soweit uns bekannt — chemisch nur so
viel geklärt, daß sie immer bei der Fettfraktion und deshalb wohl fettlöslich
ist. Wie aus Stepps Versuchen hervorgeht, scheint die Substanz auch
alkohol- bzw. alkohol-ätherlöslich zu sein.
Von der Natur der B-Substanz wissen wir bedeutend mehr. Sie ist
alkohol- und wasserlöslich. Seit Funks Forschungen ist man auch ihrer
chemisch reinen Darstellung schon sehr nahegekommen. Funk glaubte
sie krystallinisch rein hergestellt zu haben; auch Suzuki!) und Mitarbeiter
haben eine als Oryzanin bezeichnete B-Substanz aus Weizenkleie her-
gestellt und unlängst arbeitete Uhlmann?) mit einem Vitaminpräparat
„Orypan“. Die Substanz scheint nahe verwandt mit den Pyridinen, speziell
mit Nicotinsäure zu sein.
Bezüglich der biologischen Wirkung dieser Substanzen wissen wir
nichts Sicheres. Wodurch wirken sie, weshalb sind sie unentbehrlich?
Sie scheinen bereits in so geringer Quantität wirksam zu sein, daß sie
keinesfalls als Energiequellen in Betracht kommen. — Man dachte auch
daran, daß sie nur die Rolle haben, gewisse im Stoffwechsel entstehende
oder in der Nahrung befindliche Stoffe zu entgiften. Glaubhafter schien
jedoch, daß sie — ähnlich wie viele Aminosäuren — als Bausteine gewisser
1) Vgl. Hofmeister, Le
2) Uhlmann, Beitrag zur Pharmakologie der Vitamine. Zeitschr.
f. Biol. 68, 419. 1918; Zentralbl. f. Bioch. ux Bioph. 20, 105. Uhlmanns
Versuche wurden uns erst nach Abschluß dieser Versuche bekannt.
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 187
unentbehrlicher Körpersubstanzen gebraucht werden. Aber auch dem
steht die auffallende Tatsache gegenüber, daß bekanntlich außerordentlich
geringe Mengen schon genügen, um die pathologischen Erscheinungen fast
momentan zu heilen. So heilen z. B. schon einige Milligramm B-Substanz
beriberikranke Hühner und mangels A-Substanz im Wachstum stehen-
gebliebene Ratten beginnen sogleich zu wachsen, wenn nur einige Gramm
Butter verfüttert sind.
Man muß da auf den Gedanken kommen, daß diese Sub-
stanzen entweder selbst eine starke physiologische Reizwirkung
haben müssen oder aber vielleicht Bausteine einer sehr wirksamen
Substanz (Hormons oder Antikörpers?) sind. Diese zwei Mög-
lichkeiten scheinen bisher kaum geprüft zu sein. Wir wollen im
folgenden nur die erstere Möglichkeit untersuchen: enthalten
die an diesen Körpern reichen Nahrungssubstanzen einen physio-
logisch stark wirksamen Stoff?
Man kann an diese Frage auf zweierlei Wegen herantreten.
Entweder versucht man diese Substanzen rein darzustellen und
untersucht dann die Wirkung dieser „reinen“ Substanzen, so wie
es z.B. Uhlmann machte. Oder man geht von den Nahrungs-
mitteln aus, die erfahrungsgemäß die Substanzen enthalten und
untersucht, ob in den Extrakten stark wirksame Stoffe vorhanden
sind. Beide Wege müssen begangen werden. Wir haben vorerst
den letzteren versucht.
Versuchsplan: Wir haben deshalb Extrakte aus je einer
Substanz gemacht, die in besonders großer Quantität den A-,
bzw. aus solcher die den B-Körper enthält und untersuchten,
welche Wirkung diese Extrakte auf verschiedene physiologische
Funktionen: haben.
Verschiedene Möglichkeiten bestehen. Wenn sich keinerlei
Substanzen nachweisen lassen, die irgendwelche Organfunktionen
beeinflussen, so ist wohl die lebenswichtige Wirkung in anderer
Richtung zu suchen. Ließe sich aber in den Extrakten ein sehr
wirksamer Stoff nachweisen, so könnte vielleicht durch Fraktio-
nieren der aktiven Substanz nähergekommen werden.
Demnach wurde geprüft, welche Wirkung Extrakte von
Nahrungsmitteln haben, die besonders reich an der Substanz A
und von solchen, die reich an B sind. Der Hauptrepräsentant
der Substanz A (fettlöslicher, Wachstum fördernder Faktor) ist
Butter bzw. die Fettfraktion der Milch. An B-Substanz ist be-
sonders Weizenkleie sehr reichhaltig, aus welcher sie mit Alkohol
| 13*
188 F. Verzär und J. Bögel:
und Wasser extrahierbar ist. Suzuki, McCollum usw. be-
nutzten Weizenkleie, während Funk von Reiskleie ausging.
Auch wir benutzten Weizenkleie. Unsere Versuche teilen sich
demnach in solche mit Butterextrakt (A) und Weizenkleien-
extrakt (B).
Wir untersuchten: 1. Die Wirkung auf die Vasomotoren im
Laewen-Trendelenburgschen Froschpräparat; 2. dasselbe
am Kaninchenohr; 3. auf das isolierte Froschherz; 4. auf den
Blutdruck von Warmblütern; 5. die allgemeine Giftwirkung
beim Frosch; 6. die Wirkung auf den isolierten Nerv- und Muskel;
7. auf den isolierten Darm; 8. die Pupille; 9. auf Drüsensekretion
(Pankreassaft, СаНе, Speichel) und 10. die Zuckerausscheidung
des pankreas-diabetischen Tieres. Wir werden diese Versuchs-
reihen nacheinander beschreiben und am Schluß summieren,
welche Wirkung den einzelnen Extrakten zukommt.
Herstellung der Extrakte: Wir haben insgesamt 30
verschiedene Extrakte geprüft, wobei sowohl verschiedenes Ma-
terial, als auch dasselbe Material auf verschiedene Weise extra-
hiert, geprüft wurde. Es zeigte sich bald, daß für unsere Zwecke
Ather- und Aceton-Extrakte aus Butter, alkoholische und wiisse-
rige Extrakte aus Mehl — die zum Vergleich herangezogen
wurden — keine Bedeutung haben. Wir übergehen deshalb alle
mit diesen gemachten Versuche und beschreiben nur die alko-
holischen und alkoholisch-wässerigen Butter- und Kleienextrakte.
Die Extrakte wurden nach den folgenden Rezepten hergestellt
und mit den folgenden Bezeichnungen versehen:
Butte re xtrakte: А 1. 50 g frische, reine Butter wurden
mit 50 cem 96 proz. Alkohol extrahiert, 2 Stunden geschüttelt, dann
24 Stunden lang bei 15° oder 37° stehengelassen und abgesaugt.
А 2. 200 g Butter wurden mit 200 g Alkohol extrahiert
und auf dem Wasserbade bis zu 20—24 cem eingedampft.
A 3. Extrakt Al wurde auf dem Wasserbad zu Sirupkonsi-
stenz eingedampft und dann bis zur Ausgangsmenge in Ringer-
lösung wieder gelöst.
A 4. Extrakt A2 wurde auf dem Wasserbade ebenso ein-
gedampft und dann in ebensoviel Ringerlösung wieder gelöst.
Al wäre kurz als alkoholischer, A 2 als konz. alkoholischer,
А 3 als alkoholisch-wässeriger, А 4 als konz. alkoholisch-wässe-
riger Butter-Extrakt zu bezeichnen.
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 189
Kleienextrakte. B 1. 10 g Weizenkleie werden mit
50 ccm 70proz. Alkohol extrahiert. 2 Stunden geschiittelt, dann
24 Stunden lang bei 15° bzw. 37° stehengelassen.
B 2. 100 oder 200 g Weizenkleie wurden mit ebensoviel Al-
kohol extrahiert und auf 40 ccm eingedampft.
В 3. Extrakt В 1 wurde auf dem Wasserbad bis zu Sirup-
konsistenz eingedampft und dann bis zur Ausgangsmenge in
Ringerlösung gelöst.
B4. Extrakt B2 wurde auf dem Wasserbade ebenso ein-
gedampft und in ebensoviel Ringerlösung gelöst.
Wir bezeichnen hier auch В 1 als alkoholischen, В 2 als konz.
alkoholischen, B3 alkoholisch-wässerigen, B4 als konz. alko-
holisch-wässerigen Kleienextrakt. |
Die alkoholischen Extrakte gaben bereits in 0,5 proz. wässe-
riger Lösung Opalescenz und nach längerem Stehen, besonders
die konz. alkoholischen, auch Fällung. Die wässerigen Extrakte
gaben das nicht. Die Wirkung an verschiedenen Präparaten wird
an einzelnen Beispielen demonstriert.
Versuche am Laewen-Trendelenburgschen Frosch-Präparat.
Wir haben die Wirkung auf Vasomotoren sowohl am Kalt- als auch
am Warmblüter untersucht. Wir machten unsere Versuche zuerst
am Laewen -Trendelenburgschen Präparat, wobei wir der oft be-
schriebenen Originalmethodik folgten. Zur Durchströmung wurde Ringer-
lösung benutzt, zu welcher die Extrakte hinzugesetzt wurden. Umschalten
eines T-Hahnes gestattete fast momentanen Wechsel der Flüssigkeit. Es
wurden insgesamt 17 gut gelungene Versuche gemacht, wobei in jedem
mehrere Extrakte geprüft wurden.
Wie aus den als Beispiel angeführten Protokollen hervorgeht, zeigten
die Extrakte charakteristische und konstante Eigenschaften. A-Extrakt
(Butter) wirkt regelmäßig vasodilatatorisch; B-Extrakt (Kleie) dagegen
vasoconstrictorisch. Aus dem A-Extrakt ließ sich der vasodilatatorische
Körper auch mit Wasser extrahieren, dagegen aus dem B-Extrakt der
Vasoconstrictorkörper nicht. Sowohl die Vasodilatator- als die Vasocon-
strictorwirkung kann, wenn der Extrakt nicht zu lange durchgeflossen ist,
rückgängig gemacht werden. Die Wirkung erscheint rasch und klingt,
nach Wiedereinschalten der Ringerlösung, nur langsam ab.
In Tabelle I sind 7 Versuche als Beispiel für die Wirkung der Extrakte
wiedergegeben.
Der A-Extrakt (Butterextrakt) hat eine recht bedeutende Vasodilatator-
wirkung. Eine ½ proz. A 1-Lösung gab gelegentlich schon 150% Zunahme
der Durchflußmenge. Die gute Wasserlöslichkeit der Vasodilatatorsubstanz
wird demonstriert, indem eine 2proz. Lösung des eingedampften alko-
Fortsetzung auf S. 192.
190
Zeit
Versuch XVIII.
F. Verzär und J. Bogel: ,
ond
©
8
E
A
=
Lösung
| A
GË
Es merkung
Tabelle I.
An-
28. XII. 1919.
55 5’| Ringer 29019
> 0 зы Alkoholisc
— oho
25 0.5% A 1 46 Butter.
30 48| "Bingen
35 | Ringer 54| lösung
53 44
6 0
3 10,5%, Al —
5 4
10 70
11 | Ringer —
15 l 54
40 36
42 0,5% A 1 тү
45 45
53 66
57 75
59 | Ringer —
7а 5 265 45
10, 38
15 36
16 |0,5°9/, А 1 —
20 5
25 60
| | È
35 | 60
Versuch XLIV. 11. П. 1920.
10% 351 Ringer | 210 22
45 22 a
— H
58 2% А 4 30 sikohollsch-
56 35 Butter.
57 Ringer —| extrakt
11° 0 34
15 30
20 29
22 2% A4 —
25 34
30 36
32| Ringer —
40 32
45 30
47| 6% A A —
50 37
55 50
57| Ringer —
125 0 36
25 | [94
4 eg
Zeit | Lésung Ё | ei Am
Cp merkung
mm | —
12527’ 0,5% A 2 — | Konz.
wj 3| Butters
40 35| extrakt
42! Ringer —
45 22
55 „ 22)
ma 0,5%, В 2 = en
Versuch XL. 3. II. 1920.
5b 10) Ringer | 175 |16
20 o 15 5
22 0,5% А 2 — Konz.
255 gt
35 35 | Ringerldeg.
40 28 | Starkes
45 22 Odem
50 12
52 Ringer —
65 0 4
10 255 | 30
15 32 |.
20 32
22 0,5% A 2 —
25 65
30 67
Versuch XIV. 19. XII. 1919.
10% 391 Ringer | 330 н
5
115 0 § |Alkoholisch.
9 0,5%, B 1 = eleextrakt
5 5
14 2
15 Ringer —
21 | 5
Sé | e Alkoholisch.
41/0,5°/, alk. — |Alko
Mehlextr. Mohlextrakt
45 15
55 17
12° 0 | 18
5 0 e holisch.
SH
30 , | 3
35 Ringer 3
op 2 5% alk : Alkobolisch.
55 10,59%, alk. — |Alkoho
Mehlextr. eblextrakt
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 191
Tabelle I (Fortsetzung).
Ё
п
=]
09
"Tropfen
pro Minute
8
5
R
N
Ф.
Las
С"
Сх
@
=
5
09
= Druck
Tropfen
pro Minute
Б
Sr
09
Versuch XXVIII. 19. I. 1920.
2
. 5 2h 3’| Ringer | 230 |13
* 8 6 12 1% ВІ — |Alkoholisch.
15 6 15 9 7 Kleieextrakt
17 |0,5%, B1 — |Alkoholisch. 90 5
99 5 Kleleextrakt 39 Ri —
5» 0 2 KEN
| 35 6
3h 5 280 | 9
Versuch XVI. 20. XII. 1919. 15 14
125 47 Ringer | 275 |16 25 >
27 10,1%, В 2 — | Konz.
8 0% % в1 |— 30 1
1323 14 35 7
19 9 37 Ringer —
20 Ringer — BS 11
98 16 2 10,1%, B2 —
29 0,01% Bl |— 2 S
30 17 E
11 2 | 16 A Ringer 7
1 P 55 0 10
a 19 Versuch XXV. 7. І. 1920
7 0,5% alk РЕР ersuch XXV. 7. e
Mehlextr Ringer | 145 |15
10 10 14
30 8 1% В З —
33| Ringer — 15
37 8 18
45 8 Ringer =
47 | 0,5°/, alk. — 20
Mehlextr. | 14
50 14 14
55 14 |. 1% В 3 —
57 Ringer — 15
30 3 | 13 16
2b 8 | 14
30 8 Ringer —
31 0,1% B1 = 14
35 8 1% Bl —
47 8 7
48 0,5% В 1 — Ringer —
50 8 4
4% 9 4 7
10; Ringer — 195 |16
18 6 18
38 4 19
19
5% ВЗ
192 F. Verzär und J. Bögel:
» Tabelle I (Fortsetzung).
65 3
40 10
42; Ringer 12] Ringer
45 15 |
h
21% A1 т |
0 А
holischen Extraktes (А 4) noch 50%, eine 6proz. 100% Zunahme der
Tropfenzahl bewirkt. So ändert sich z. B. in Versuch XVIII nach 0,5% A 1
die Tropfenzahl von 19 auf 48, 44 auf 70, 36 auf 75. Durch den konzen-
trierteren A 2-Extrakt (Versuch XL) von 15—35, 32—67. Der wässerige
Extrakt A4 (Versuch XLIV) gibt in 2proz. Lösung 22 auf 35 und in
6 proz. 30 auf 50.
Die Vasoconstrictorwirkung der В 1-Extrakte betrug in 0,5 prog. Lö-
sung bis zu 200% (z. B. in Versuch XIV von 5—2, 8—3, 6—2) und bei
dem konzentrierten alkoholischen Extrakt schon in 0,1 proz. Lésung 100%
Abnahme (in Versuch XXVIII von 15—7, 11—6). Dampft man den
letzteren Extrakt ein und löst wieder in Wasser (bzw. Ringerlösung), so
erhält man nun keine Vasoconstriction, dagegen eine schwache Vasodilata-
tion. In 5proz. Lösung beträgt sie etwa 25%, (z. B. in Versuch XXV von
14—20, 14—16, 19—25).
Einige Kontrollversuche zeigten, daß in feinstem Weizenmehl (das
zur selben Kleie gehörte) mit Alkohol keine Vasoconstrictorsubstanz,
dagegen eine alkohol- und wasserlösliche Dilatatorsubstanz extrahierbar ist.
Demnach hat diese Vasodilatatorsubstanz sicher nichts mit den von uns
gesuchten Körpern zu tun. (Versuch XIV 12—18 in alkoholischer, 3—6 in
wässeriger Lösung.) :
Versuche am Kaninchenohr.
Einem eben getöteten Kaninchen wurden die Ohren abgeschnitten
und in die zentrale Arterie eine Kanüle eingeführt. Die Methodik ist in
letzter Zeit öfters beschrieben worden. Durchströmt wurde mit Ringer-
lösung von Zimmertemperatur, durch welche Luft perlte. Die Zahl der
abfließenden Tropfen wurde gezählt. Umschalten eines T-Hahnes gestattete
auch hier rasche Änderung der Flüssigkeit.
Die Wirkung der Extrakte stimmt vollständig mit jener am Laewen-
Trendelenburg-Präparat überein. Der A-Extrakt hat auch hier Vaso-
dilatatorwirkung, während B-Extrakt vasoconstrictorisch wirkt.
Der A 1-Extrakt gab in den Versuchen XXXIV, XXXVII und XXX
in 1 proz. Lösung Erhöhung der Tropfenzahl von 20—24, 30—37, und in
2 proz. Lösung von 32—35, 57—72. Der B-1-Extrakt war wirkungslos, da
gegen hatte der konzentrierte B-2-Extrakt deutliche Wirkung, und zwar
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 193
gab ег in Versuchen XXXVII, XXX in 0,5 proz. Lösung eine Abnahme der
Tropfenzahl von 24—8, 63—29, 17—3.
Hier sei auch einer Kontrolle gedacht, die natürlich auch am Frosch-
präparat gemacht wurde, indem die Wirkung von 2proz. Alkohol geprüft
wurde. Dieser wirkt schwach vasoconstrictorisch. Das kann unsere Re-
sultate nicht beeinflussen, denn die Vasoconstrictorwirkung der B-2-Extrakte
ist schon in 0, 50% sehr deutlich, und A-Extrakte wirken gerade umgekehrt.
Die am Frosch gefundenen Resultate gelten also ebenso auch für
den Warmblüter.
Tabelle II.
= 3
5 |83
Zeit | Lösung | g ag Zeit | Lösung
ee
—
Ф
on
a
о
ba
E
Versuch XXXVII. 27. I. 1920.
106 45” Ringer 445 24
55 | 24
57 0,5% B2 | —
11" O
38 49/ 1% А1 |
45
50 | |
Versuch XXX. 20. I. 1920.
| | 8 Zu 25˙ Ringer | 440 |32
2 Ringer — 30 32
5 | 3 32 2% A! =
35 5 35 | 35
37 1% Al = 40 134
40 | 5 45 35
12h 33 | 12 50 33
43 И 55 [81
45; Ringer | — 56 Ringer —
49 13 4 0 31
59 | 13 үс = Зу тшеп
2b 48 490 20 „unter 5 57 :
50 90; топар 55 57 Deene
52 1% Al — 57 2% Al —
55 24 5һ 0 72
versuch XXXIV. 28. I. 1920. 10 0
35 О] Ringer 445 30 12! Ringer —
10 | 30 15 57
12 2°/,Alkoh. — Kontroll- 25 63
15 d E 30 63
20! | 8 32 0,5% В 2 =
22 Ringer — 35 29
25 | 9 36 Ringer =
30 | 22 40 18
35 | 30 6h 25 35
40| 30 In 38 35
Versuche am isolierten Froschherz.
Wir benutzten zur Durchströmung die Methode von Symes’).
Die Flüssigkeit flo8 in den Ventrikel durch eine Kanüle mit kurzem
Gummiansatz, die an eine f=- Kanüle geschaltet wurde. Dadurch wird er-
1) Symes, Journ. of physiol. XXV, 43. 1912.
194 F. Verzär und J. Bögel:
reicht, daß ein Überdruck nicht möglich ist, denn die Flüssigkeit entweicht
dann nach oben. Der horizontale Ast stand mit Davyflaschen in Verbin-
dung, in welchen Ringer- bzw. Extrakt-Ringerlösung war. An insgesamt
19 Herzen wurden jedesmal verschiedene Extrakte geprüft.
Sowohl die A- wie die B-Extrakte sind giftig, jedoch ist die Wirkung
von beiden restituierbar. Die einfachen alkoholischen Lösungen sind fast
ungiftig, konzentrierte alkoholische A-2- und B-2-Lösung ist dagegen von
0,5% an giftig. Der wässerige Extrakt A 4 ist wirksam, dagegen ist — in
Übereinstimmung mit den am Laewen-Trendelenburgschen Präparat
gemachten Erfahrungen — der wässerige Kleieextrakt B4 unwirksam.
Demnach geht die auch für das Herz giftige Substanz nicht in die wässerige
Lösung über. Die folgenden Kurven erläutern das.
Versuch XXXIX (Abb. 1) zeigt die Giftwirkung eines 1% A-2-
Extraktes (konzentrierter alkoholischer Butterextrakt) und die fast momen-
tane Restitution nach Ringerlösung.
Daß es sich dabei nicht um Alkoholwirkung handelt, zeigt Ver-
such X (Abb. 2), in welchem 1 und 2% Alkohol noch wirkungslos und
erst 4% Alkohol giftig wirkt, aber selbst dann noch nicht so giftig wie
0,5% Butterextrakt.
Versuch XLII (Abb. 3) zeigt die Wirkung eines B-2-Extraktes in
1 proz. Lösung. Die Wirkung zeigt sich erst nach 10 Minuten in einer Ver-
kleinerung der Kontraktionen.
In Versuch VII (Abb. 4) wird demonstriert, daß die wirksame Sub-
stanz der Butter auch in Wasser löslich ist. Der A-4-Extrakt gibt in
10 proz. Lösung rasche, aber ganz restituierbare Giftwirkung.
Umgekehrt geht die Giftsubstanz der Kleie nicht in den wässerigen
Extrakt über, wie das Versuch X (Abb. 5) zeigt, in welchem B 4 wir-
kungslos ist. Gelegentlich wurde allerdings nach wiederholter Anwendung
auch dieser Extrakt giftig (Versuch LII).
Endlich ist in Versuch X (Abb. 6) ein Fall beschrieben, in welchem
ein А l-Extrakt eine scheinbar restituierende Wirkung hatte. Das Herz
schlug aus unbekannten Gründen unregelmäßig (Pulsus alternans). Der
verdünnte alkoholische A-1-Extrakt änderte in 0,5 proz. Lösung sogleich den
Rhythmus, welcher normal wurde, während er auf Ringerlösung wieder
unregelmäßig wurde. 0,5%, Alkohol hatte diese Wirkung nicht.
. Ein B-1-Extrakt gab gelegentlich Herzbeschleunigung. Dem-
nach ist alkoholischer Butter- und Kleieextrakt, besonders ersterer
giftig auf das isolierte Froschherz. Die giftige Substanz der Butter-
extrakte geht auch in Wasser über, jene der Kleieextrakte jedoch
nicht.
Wirkung auf den Blutdruck.
Es wurden 5 Versuche, und zwar 3 an Hunden und 2 an Kaninchen
ausgeführt. Die Tiere waren mit Morphin bzw. Urethan und ACE narkoti-
siert. Sie lagen während des Versuches auf einem erwärmten Operations-
tisch. Die Tiere wurden gleichzeitig auch zur Beobachtung der Wirkung
195
Nahrungssubstanzen.
von akzess.
Untersuchungen über die Wirkung
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196 F. Verzär und J. Bögel:
der Extrakte auf die Sekretion verschiedener Drüsen benutzt (S. 202).
Die Art. carotis der linken Seite war mit einem Hg-Manometer verbunden,
das auf einem Kymographion registrierte. Die Extrakte wurden intravenös
durch die rechte V. jugularis injiziert.
Die A- Extrakte (Butter), und zwar sowohl alkoholische wie wässerige,
gaben Blutdrucksteigerung, welcher meist eine kurze Blutdrucksenkung
während der Injektion vorausging. Die B-Extrakte (Kleie) gaben auch
Blutdrucksteigerung, jedoch nur in alkoholischer Lösung, und die wirk-
same Substanz ging ebenso wie in den Versuchen am Froschpräparat und
Herz nicht in die wässerige Lösung über. Die an isolierten Organen ge-
wonnenen Erfahrungen erklären wohl die blutdrucksteigernde Wirkung
der B-Extrakte, nachdem dort gezeigt war, daß es sich um Vasocon-
strictorwirkung handelt. Dagegen läßt sich die Wirkung der A-Extrakte
so nicht erklären.
Als Beispiel seien die folgenden Kurven angeführt:
Versuch IV (Abb. 7) an einem 5000 g schweren Hund zeigt die
Wirkung eines A4 (konzentrierter alkoholisch-wässeriger Butterextrakt).
Während der Injektion von 10 cem Extrakt sinkt der Blutdruck, dann
steigt er, besonders nach der zweiten Injektion. Hierauf wurde eine Re-
gistrierung bei schnellem Trommelumgang gemacht, in welcher auch die
Pulsbeschleunigung zu sehen ist. Der alkoholische konzentrierte A-2-
Extrakt hatte dieselbe Wirkung (Versuch X XVI).
Versuch XXVI (Abb. 8) an einem 2500 g schweren Kaninchen zeigt
die Blutdrucksteigerung während der Injektion von 10 ccm eines B-2-Extrak-
tes (konzentrierte alkoholische Kleie) in 10 proz. Lösung.
Versuch LI (Abb. 9) an einem Hund zeigt, daß die wirksame Sub-
stanz des B-Extraktes in Wasser (Ringer) nicht übergeht. Dagegen gab
kurz darauf der wässerige A-Extrakt, ebenso wie in Versuch IV, deutliche
Blutdrucksteigerung. (1. Injektion 10 сет В 4, 2, und 3. Injektion je
10 cem А 4 bei )).
Die allgemeine Giftigkeit der Extrakte.
Die im vorigen Abschnitt behandelte Wirkung auf den Blutdruck
von Säugern zeigt auch, daß die Extrakte hier nur sehr vorübergehende
Wirkung haben und so gut wie ungiftig sind. Wir haben auch Giftig-
keitsprüfungen an Fröschen vorgenommen, welchen wir diese Extrakte
subcutan injizierten (Versuche LIII, LIV, LVII). Dabei wurde das all-
gemeine Verhalten, Reizbarkeit, Stellung, Atmung, Pupillen usw. beachtet.
Die Versuche sind an Winterfröschen ausgeführt bei einer Zimmertemperatur
von ca. 15° С,
In Versuch LIII wurde drei Fröschen je 1, 5, 8 cem A-4-Extrakt
injiziert. Das letzte Tier saß etwa eine Stunde lang mit abwärts gesenktem
Kopf und geschlossenen Augen und reagierte träge. Nach 4 Stunden
waren diese Erscheinungen verschwunden. Die Tiere blieben am Leben.
Drei weitere Frösche erhielten je I, 5 und 10 ccm B-4-Extrakt. Das zweite
und dritte Tier reagierte mehrere Stunden lang nur träge auf Reize. Das
5-cem-Tier konnte während 1—2 Stunden auf den Rücken gelegt, sich nicht
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Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen.
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198 Е. Verzär und J. Bögel:
umwenden. Die Tiere waren nach 24 Stunden ganz normal und blieben
am Leben.
In Versuch LXVII gaben zwei Tiere mit B-4-Extrakt (5 bzw. 10 ccm)
dasselbe Resultat wie die vorigen. Dagegen hatte bei zwei anderen Fröschen
1/, cem bzw. l cem B-2-Extrakt (konzentrierte alkoholische Kleie) schon
nach 15 Minuten eine stark lähmende Wirkung. Sie ließen sich aus der
Rückenlage nicht mehr zurückdrehen und reagierten kaum auf Reize.
Der Cornealreflex blieb bestehen. Nach 48 Stunden waren die Tiere normal
(Alkoholwirkung ?).
Die Extrakte gefährden also das Leben selbst in sehr großen Quanti-
täten nicht. Die konzentrierten alkoholischen B-2-Extrakte gaben starke
Lähmungserscheinung, die den wässerigen Extrakten fehlen (Alkohol-
wirkung?). Die wässerigen A- und B-Extrakte sind ganz ungiftig.
Wirkung auf die Reizbarkeit von Nerv und Muskel.
Die Wirkung auf die Reizbarkeit von Nerv und Muskel wurde am
Gastrocnemius-Ischiadicus-Präparat und am Sartorius des Frosches unter-
sucht. Die in bekannter Weise isolierten Präparate kamen in Ringerlösung,
zu welcher die entsprechenden Extrakte hinzugesetzt wurden. Von Zeit zu
Zeit wurde die Reizschwelle kontrolliert. (Edelmann-Induktorium, 1 Acc.
im primären Kreis, Öffnungsschläge. Angabe der Reizschwelle in Milli-
meter Rollenabstand.)
Versuch XL mit A-Extrakt gab das folgende Resultat (Tabelle III).
(Der Extrakt war aus 250 g Butter mit 250 g 90 proz. Alkohol extrahiert
worden, dann auf 40 ccm eingedampft und enthielt nun nur Spuren von
Alkohol. Er wurde zu Ringerlösung hinzugesetzt.)
Tabelle III.
Vers. XL. A-Extrakte.
Я M. gastrocnem gastrocnemicus м, sartorius
fn) oles xl : | Tele DE
GE 2127 |94 АЕ ов |28 | 26 |80
40 42.5 40,5 47,5 325 23,5 24 22 24 23.5 25, 16 21 | 28,5) 28 20
87 |41588 26 19 23 |21 22 14 11 22 2 2 oli
o Miess e a 28 17 18,6 11 122 28/22] o
22.5 26,5 0 0 0 1855 21 9 0 0 0 5 6 18 0
го O Oo 17 20 5 0 0 0 0 0 0 о
10 0 0 о 0 | 0 0 0 о! o о o| 0
Vers. XLVIII. B-Extrakte.
— — H—ä—ä— ——4ʒ — EE EE ee
Cé _B2 4 | B2 Ba B2 B4 | Extrakte
ario 6 IT I o бь 1 | 1] 6] 10 0/05 1] 1 | 5 10
0 28.5 — 62 245 35 — 16550135 14 16 15 15 155165 14 1° 185 16,
0,45 40 425836140 40 | 41 19,5 19 |17 22.5 21 |17,5 27.5 22,5 20 27.5 30,5 29
30 48 37,5 42.5 42.5 89 | — 117,5 17 |18 17.5 19,5 16 1855 15,5 17 16,5) 25,5 24
18 43 |40 |42 0 85 0 17.5 16 19 17.517 13 „ 21,5 80
от 39 41 |41 9 42.5 0 19 17 17,510 |13 19,5 19,5 22,5 19 22.5 28
43 38 |85 260 245 0 19 |17 [17 |17 (1-5 6.5 15 20.5 1 2% 25 165
67 31 0 0 0 olo 1s 0 0 %0 o оо [оо [о оо |
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 199
Wie man sieht, behalten die Kontrollpräparate ihre direkte und in-
direkte Reizbarkeit 3 Tage lang. 1%, Extrakt ist fast ungiftig und erst
10% gibt bereits innerhalb 24 Stunden deutliche Giftwirkung, d.h. ein
Verschwinden der Reizbarkeit.
In Versuch XLVIII mit B-Extrakt hebt der konzentrierte alko-
holische B-2-Extrakt in !/,— 1 proz. Lösung die Reizbarkeit selbst in 2 Tagen
nicht auf, während der alkoholische wässerige B-4-Extrakt in 10 proz. Lösung
rasch die Reizbarkeit des Nerven vernichtet.
Die giftigen Konzentrationen sind so hoch (10% ), daß die Giftwir-
kungen nicht als spezifisch gelten können, so daß also die Extrakte auch
in ihrer Wirkung auf Nerv und Muskel als ungiftig betrachtet werden
müssen. ;
Wirkung auf den Darm.
Die Versuche wurden an isolierten Kaninchen- und Katzendärmen
ausgeführt, die nach der Methode von Magnus in Tyrodelösung suspen-
diert waren. Die beständig durch die Flüssigkeit perlende Luft wurde
durch Druckflaschen betrieben. Das Gefäß, in welchem das Darmstück
war, hatte ein Volum von 150 cem. Das ganze stand in einem Wasserbad
von 38° С. Von den zahlreichen Einzelversuchen an den Därmen von
5 Kaninchen und 2 Katzen sind hier einige Kurven wiedergegeben. Nach-
dem zuerst die normalen Kontraktionen registriert waren, wurden die
Extrakte hinzugesetzt. ` | |
Kontrollversuche mit Alkohol zeigten, daß 1—1'/,% Alkohol (Ver-
suche IX, ХХХІ, Abb. 10) erregend wirkt, während 2—8%, rasche Hem-
mung der Kontraktionen gibt. Höhere Konzentrationen der alkoholischen
Extrakte sind also nicht anwendbar.
A-Extrakte. In Versuch XXXV hat der konzentrierte alkoholische
A-2-Extrakt in 0,2—0,3 proz. Lösung stark giftig gewirkt (Abb. 11). In
Tyrodelösung wurde die Wirkung jedoch vollkommen restituiert. Der
A-1-Extrakt wirkte erst in 1 proz. Lösung hemmend auf die Bewegungen
(Versuch ХХХІ).
B- Extrakte. Der B-l- (alkoholische Kleie-) Extrakt hatte wieder-
holt — besonders bei schlecht arbeitenden Präparaten — eine ordnende
Wirkung auf die Kontraktionen. 1½ — 2 proz. Lösungen wirken jedoch
schon hemmend, was aber auch Alkoholwirkung sein kann (Versuch XXXI,
L 2, 3 und Versuch XXXII, Abb. 12 und 13).
Bei einem nach Weiland!) mit Darmextrakt behandelten Katzen-
darm, der ganz regelmäßig arbeitete, hatte schon ½0% B-1-Extrakt hem -
mende Wirkung (Versuch XVII, Abb. 14). Der konzentrierte B-2-Extrakt
war bereits in 0,2 proz. Lösung stark giftig (Versuch XX XV, 3, Abb. 15).
Aber auch hier ist die Wirkung restituierbar.
Aus diesen Versuchen geht also hervor, daB die alkoholischen konzen-
trierten Butter- und Kleieextrakte auf die Darmbewegung stark giftig
sind. Nur bei den verdünnten B-1-Extrakten kam gelegentlich eine die
Bewegung ordnende Wirkung zur Beobachtung.
1) Arch. f. ges. Phys. 147, 171. 1912.
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Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 201
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Abb. 18.
Abb. 14.
Abb. 15.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 14
202 F. Verzär und J. Bögel:
Wirkung auf die Pupille.
Wir haben die Wirkung sämtlicher Extrakte am Kaninchenauge ge-
prüft, indem wir sie innerhalb einiger Stunden mehrmals einträufelten
Als Kontrolle diente das andere Auge. Niemals zeigte sich irgendwelche
Wirkung, abgesehen von einer conjunctivalen Hyperämie, die auf die Reiz-
wirkung des Alkohols zurückführbar ist.
Auch an isolierten Froschbulbi haben wir nach Ehrmanns Methode
diese Wirkung untersucht. Zu den enucleirten, in Paraffinschälchen befind-
lichen Bulbi kam der mit Ringerlösung gemischte Extrakt (Versuche LVII,
LVI, LI, XLIX). Es wurden in jedem Versuch 6—8 Bulbi gleichzeitig
beobachtet. Kontrollen wurden mit Ringerlösung und mit Alkohol auf-
gestellt. i ; |
Keinerlei charakteristische Wirkung war zu beobachten. Nach
24 Stunden waren alle Pupillen stark dilatiert. Manchmal schien es, daß
das bei den Vergifteten etwas früher eintrat. Irgendeine spezifische Wirkung
ist jedoch nicht vorhanden.
Wirkung auf Drüsensekretion.
Bei den drei Hunden, an welchen wir auch die Wirkung dieser Extrakte
auf den Blutdruck untersucht haben (S. 196), wurde gleichzeitig auch die
Sekretion des Pankreassaftes, der Galle und des Speichels kontrolliert. Es
wurde diesen in Morphin-ACE-Narkose befindlichen Tieren je eine Kanüle
in den Ductus submaxillaris, Ductus pancreaticus und Ductus choledochus
eingeführt und mittels einem mit Wasser gefülltem Schlauche mit einer
in 1/,,ccm kalibrierten Pipette verbunden, wobei darauf geachtet wurde,
daß das Sekret keinem Druck ausgesetzt sei. Die Injektion der Extrakte
erfolgte in die V. jugularis. Vor der Injektion wurde 1/,—1/, Stunde lang
die Sekretion gemessen, und nach der Injektion weiter genau bestimmt.
‚In keinem Falle, weder durch die A- noch durch die B-Extrakte,
konnte eine Änderung in der Gallen-, Speichel- oder Pankreassekretion
bemerkt werden (Versuche IV, XX, LI), doch ist die Zahl unserer Ver-
suche zu gering um, nach den schönen Untersuchungen von Uhlmann
und Bickel (cit. bei Uhlmann), hieraus Schlüsse zu ziehen und es
sollen diese Versuche noch ergänzt werden.
Wirkung auf die Zuckerausscheidung des pankreasdiabetischen
Hundes.
(Versuche mit Dr. O. Weszeczky und stud. med. G. Martos.)
Wir haben einleitend ausgeführt, daß die Wirkung der unbekannten
A- und B-Substanzen vielleicht darin bestehen könnte, daß sie auf die
innere Sekretion in irgendeiner Weise wirken. In dieser Hinsicht schien
uns der Befund von Boruttau!) wichtig, nach welchem in der Rinden-
1) Boruttau, Über das Verhalten von Ergänzungsnährstoffen II.
Über spezifische antidiabetische Stoffe. Diese Zeitschr. 88, 420. 1918;
vgl. Zentralbl. f. Bioch u. Bioph. 20, 23; 19, 2133.
Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 203
schicht der Haferkörner ein Stoff enthalten sei, welcher bei innerlicher
Darreichung sowohl beim pankreasdiabetischen Hund wie am diabetischen
Menschen die Zuckerausscheidung beträchtlich herabsetze. Es liegt nahe,
hier an diese akzessorischen Nahrungssubstanzen zu denken, besonders ап
den B-Stoff, der ja auch in der Rindenschicht dieser Körner vorhanden ist.
Wir prüften deshalb unsere Extrakte auch in dieser Richtung, indem wir
sie Hunden injizierten, deren Pankreas entfernt worden war und die Wir-
kung auf die Zuckerausscheidung beobachteten. Wie die folgenden Proto-
kolle zeigen, war das Resultat negativ.
1. Hund P. 5000 g. Am 15. I. totale Pankreasexstirpation. Erhält
täglich 500 g Küchenabfall und Wasser nach Belieben. Der 24 stündige
Urin wurde gesammelt und der Zucker mittels Polarisation und Titration
nach Pav y bestimmt. Bauchwunde heilt per primam.
Tabelle IV.
Tag nach der Tagesmenge Tagesmenge огр"
Operation Urin ccm Zucker g Injektion usw.
4 310 17,6
5 420 19,7
6 460 23,5
7 340 18,2
8 370 18,5
9 410 24,4
10 720 46,3 Morgens 15 cem A-2-Extrakt in
100 cem Ringer subcutan
11 285 11,6
12 610 31,3
13 479 26,1 Morgens 20cem A-2-Extrakt in
100 ccm Ringer subcutan
14 595 11,8
15 | Morgens tot aufgefunden
Sektion: Pankreas fehlt vollkommen. Keine Wundeiterung. An der
Stelle der subcutanen Injektion Nekrose.
Epikrise: Die Abnahme des Zuckers am 11. Tag ist nur scheinbar.
Nimmt man den Mittelwert des 10. und 11. Tages 29,0 р, so zeigt sich
Tabelle V.
Tag nach дег Tagesmenge | Tagesmenge EE
Operation Urin ccm Zucker g Injektion usw.
4 330 28,7 |
5 290 15,5
6 210 18,3
7 320 22,3 Am Anfang des Tages Injektion
von 10 cem В 2 in 100 ccm
Ringer
230 16,0
9 160 10,
10 Stirbt im Laufe des Tages
14*
204 F. Verzär und J. Bögel:
kein Unterschied gegenüber der Vor- und Nachperiode. Die Abnahme am
14. Tag ist eine prämortale Erscheinung.
2. Hund Q. 4000 g. Am 15. І. totale keeten Erhält
täglich 330 g Kiichenabfall und Wasser nach Belieben. Geringe Naht-
eiterung der Wunde. Sonst wie bei Hund P.
Epikrise: Keine wesentliche Abnahme der Zuckerausscheidung nach
der Injektion. Die Abnahme am 9. Tag ist prä mortal.
Diskussion der Versuchsresultate.
Wir gingen von dem Gedanken aus, daß die Wirkung der
akzessorischen Nahrungssubstanzen (protektiven Substanzen),
die energetisch nicht zu erklären ist und bei denen es besonders
auffallend ist, daß sie einesteils absolut unentbehrlich, ander-
seits aber schon in kleinsten Dosen wirksam sind, vielleicht so
zu erklären wäre, daß sie irgendwelche starke physiologische
Wirkung haben.
Man könnte sich diese Wirkung z. B. so vorstellen, daß sie
direkt als Reiz auf gewisse Organe wirken, oder so, daß sie Reize
für die Bildung lebenswichtiger Stoffe sind.
Es gelang uns nicht, in den einfachen Extrakten aus Nahrungs-
substanzen, welche als die typischen Vertreter des A- und
B-Stoffes betrachtet werden, Körper nachzuweisen, welche solche
charakteristische Wirkungen hätten, daß damit ein Anhaltspunkt
zur Erklärung der Wirkung dieser Stoffe gewonnen werden könnte
Ein Bedenken gegen diese Versuche ist, daß in den Ex-
trakten evtl. die A- und B-Substanz gar nicht vorhanden war.
Trotzdem wir derzeit über keine eigenen Versuchsreihen mit
Ernährungsversuchen verfügen, muß auf Grund unserer bis-
herigen Kenntnisse wohl angenommen werden, daß sowohl der
A- wie der B-Stoff in die alkoholischen Extrakte überging, und
der B-Stoff auch in die wasserigen. Wir hoffen durch „Er-
nährungsversuche‘“ unsere Untersuchungen noch ergänzen zu
können.
Es ist ferner auch daran zu denken, daß evtl. zu wenig von
den A- und B-Substanzen in den Extrakten vorhanden war. Dabei
sei wieder daran erinnert, wie äußerst geringe Quantitäten des
A-Stoffes schon das Wachstum möglich machen und wie wenig
B-Substanz zum Heilen der Vogel-Beriberi schon genügt. Und
andererseits wieder haben wir die Extrakte in so großen Kon-
zentrationen angewandt, als es überhaupt nur möglich war, bis
Untersuchungen tiber die Wirkung von akzess. Nehrungssubstanzen. 205
starke Giftwirkungen eintraten. Besonders in den konzentrierten
A-2- und B-2 Extrakten war wahrscheinlich viel von den Sub-
stanzen vorhanden.
Bei der Interpretation der Versuche stört es jedenfalls sehr,
daß wir nichts darüber aussagen können, ob die Giftwirkung von
den gesuchten Substanzen, oder irgendwelchen anderen in den
Extrakten vorhandenen Körpern herstammt. Diese Schwierig-
keit konnten wir natiirlich nicht umgehen, denn wir haben ja
gerade nach stark wirksamen Extraktstoffen geforscht.
Trotzdem die Untersuchung möglichst vieler Organfunktionen
einigermaßen zur Hoffnung berechtigt, daß eine starke physio-
logische Wirkung entdeckt worden wäre, kann es natürlich immer ·
noch sein, daß die Wirkung in irgendeiner anderen Reizwirkung
liegt und uns somit entgangen ist.
Uhlmann (1. с.) hat gezeigt, daß die von ihm benutzten
Vitaminpräparate Pilocarpin ähnliche Wirkungen haben. In
seiner Arbeit (S. 44) ist gelegentlich auch angeführt, daß in den
Rohextrakten Substanzen vorhanden sind, die umgekehrt wirken
oder die Wirkung verdecken, was unsere Resultate erklären
könnte. Unsere Versuche sind durchaus in keinem Widerspruch
mit seinen, denn während er nach der Wirkung der Reinsubstanz
forschte, suchten wir nach einer auffallenden Wirkung, die' schon
in den einfachen Extrakten zu finden wäre.
Die Prüfung der Wirkung der verschiedenen Extrakte führte
zu den folgenden Resultaten:
Eine allgemeine Giftwirkung ist bei Fröschen, bei sub-
cutaner Einverleibung fast nicht vorhanden; auch bei Säugern
ist sie intravenös oder subcutan verabreicht nicht nachweisbar.
Bei isolierten Organen, wie Herz und Darm äußert sich die
Giftwirkung in einer Aufhebung der Kontraktionen, die aber
wieder restituierbar ist. Am Nervmuskelpräparat heben die
Extrakte die Reizbarkeit erst in sehr hohen Konzentrationen
bzw. nach Tage langer Einwirkung auf. Eine Gift wirkung ist
hier praktisch nicht vorhanden.
Keine Wirkung hatten unsere Extrakte auf Drüsensekretion
und Pupille sowie auf die Zuckerausscheidung des pankreas-
diabetischen Hundes.
Reiz wirkungen konnten besonders am Laewen-Tren-
delenburg - Präparat sowie am Kaninchenohr beobachtet
206 Е. Verzär u. J. Bögel: Untersuchungen über die Wirkung usw.
werden. In ganz regelmäßiger Weise gaben die alkoholischen
B-Extrakte (Kleie) eine starke Vasoconstriction sowohl am Frosch,
wie am Warmblüterorgan. Die Wirkung, welche bereits in sehr
schwachen Lösungen auffallend ist, geht in die wässerigen Ex-
trakte nicht über. Das spricht dagegen, daß die Vasoconstrictor-
substanz identisch wäre mit der alkohol- und wasserlöslichen
B-Substanz.
Die A-Extrakte (Butter) geben regelmäßig Vasodilatation.
Die Wirkung geht auch in den wässerigen Extrakt über. Hier
spricht jedoch gerade das dagegen, daß die Vasodilatatorsubstanz
identisch wäre mit der fettlöslichen (Alkohol-Äther extrahierbaren)
A-Substanz.
Wir haben also in Kleieextrakten eine alkohollösliche und
wasserunlösliche Vasoconstrictorsubstanz und in Butterextrak-
ten eine alkohol- und wasserlösliche Vasodilatatorsubstanz ge-
funden. Die Löslichkeitsverhältnisse sprechen jedoch nicht
dafür, daß es sich dabei um die von uns gesuchten A- und B-Sub-
stanzen handeln könnte. |
Hier ist auch der Blutdruck steigernden Wirkung dieser
Extrakte zu gedenken, ferner der Reizwirkung aufs Herz, die
sich gelegentlich in einer Beschleunigung äußert, während im
allgemeinen nur Hemmung, besonders durch die A-Extrakte
beobachtet wird. Auch am Darm zeigte sich nur selten eine
geringe Reizwirkung, gewöhnlich aber nur Hemmung.
Wir hoffen diese Fragen noch weiter bearbeiten zu können.
Weitere ie über Stoffwechselregulierung
bei Bakterien.
Von
Fritz Verzär und Josef Bögel.
(Aus dem Institut für allgem. Pathologie der Universität in Debreczen.)
(Eingegangen am 18. Mai 1920.)
Mit 9 Abbildungen im Text.
In einer früheren Arbeit!) haben wir den Zusammenhang
verschiedener Stoffwechselprozesse bei Bac. coli comm. unter-
sucht. Im ersten Teil wurde die Beeinflussung verschiedener
Stoffwechselprozesse durch Giftwirkung, im zweiten Teil die
Beeinflussung der Indolbildung durch Säurebildung und im
dritten Teil die Beeinflussung der Säure- und Alkalibildung be-
handelt. Die vorliegende Untersuchung schließt sich an jene an.
Es werden die in jener Arbeit bei B. coli comm. geprüften Säure-
und Alkalibildungsprozesse nun auch bei anderen Bakterien
untersucht (Teil IV), ferner der zeitliche Ablauf des Gaswechsels
(Teil V) und endlich die in der früheren Arbeit bereits in Angriff
genommene Analyse der Giftwirkungen weiter verfolgt (Teil VI).
Teil IV. Säure- und Alkalibildung bei verschiedenen Bakterien.
In unserer früheren Arbeit haben wir in Übereinstimmung
mit früheren Autoren demonstrieren können, wie die titrierte Säure-
bildung von B. coli comm. bis zu einem Maximum steigt. Ist
viel Zucker vorhanden, so wird so viel Säure gebildet, daB dieses
Säuremaximum konstant bleibt, bis die Bakterien absterben.
Ist jedoch weniger als 0,6% Zucker vorhanden, so wird nach
Vergärung des ganzen Zuckers Alkali gebildet. Wir haben gezeigt,
daß die Säurebildung unabhängig ist von dem Grade der titrierten
1) Untersuchungen über den Zusammenhang von verschiedenen Stoff-
wechselprozessen bei В. coli comm. Diese Zeitschr. 91, 1—45. 1918.
208 F. Verzér und J. Bögel
Acidität bzw. Alkalität am Anfang des Versuchs, sowie von der
Neutralisierung der gebildeten Säure; ferner, daß die Alkali-
bildung immer durch eine gewisse Acidität des Milieus ausgelöst
wird. Wir haben dieselben Verhältnisse nun auch bei Bac. para-
typhi B, Streptococcus hämolyticus und Bac. proteus (Stamm X 19
von Weil- Felix) geprüft.
Unsere Resultate sind in Kurvenform wiedergegeben.
Die Originalkurven wurden auf Millimeterpapier gezeichnet,
wobei ein Millimeter der Abszisse die Zeit, eine Stunde, und die
Ordinate die Reaktion der Kulturlösung ausgedrückt in ccm
nio NaOH bzw. 2/,, HCl auf 10 cem Bouillon verbraucht,
bedeutet; 1 mm = !/,,cem 1½10-Lösung. Die Versuche wurden im
übrigen genau nach derselben Methodik ausgeführt wie in der
früheren Arbeit (Teil III).
1. Bac. paratyphi B.
Versuch XVII und XXI (Abb. 1) zeigen die Änderung der Reaktion
in einer Bouillonkultur von zwei verschiedenen Paratyphusstämmen, wenn
der Bouillon verschiedene Konzentrationen an Traubenzucker enthielt.
d 0496
E 2 x quu 05%
f ... о]
A |. Тая
@ 7 50 %0
04
Versuch ХҮП. Versuch XXI. Versuch ХХУ.
Abb. 1.
Die Ziichtung fand bei diesen Versuchen immer bei 37°C statt. Die Pro-
zentzahlen tiber den Kurven geben die Zuckerkonzentration an. Beide
Versuche geben in guter Ubereinstimmung das folgende Resultat: Bis zu
einer Zuckerkonzentration von 0,2% folgt auf die anfängliche Säurebildung
eine Alkalibildung, bzw. der Bouillon wird weniger sauer Bereits in einer
—
Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 209
0,3 und 0,4 proz. Zuckerlösung wird ein Säuremaximum erreicht, welches
zwischen 2,3 und 2,9ccm 2/,, NaOH liegt und dann konstant bleibt.
Während in gewöhnlichem Bouillon die Bacillen lange am Leben bleiben,
gehen sie nach Erreichung dieses Säuremaximums rasch zugrunde. Ebenso
bleiben sie auch lange am Leben bei einer so geringen Zuckerkonzentration,
die zu keiner konstanten Säuerung führt (Versuche XVI, XXIX). In
1 proz. Traubenzuckerbouillon (was, wie aus der bakteriologischen Literatur
ersichtlich, auch sonst schon oft untersucht wurde) starben ab Bac. para-
typhi Bin 2 Tagen, Bac. coli comm. in 3 Tagen, Streptococcus haemol. in
9 Tagen und Bac. proteus X 19 in 14 Tagen.
Die Ausgangsreaktion ist in Versuch XVII etwas sauer, in Versuch XXI
etwas alkalisch. Die Geschwindigkeit der Alkalibildung scheint bei Ver-
such XXI etwas größer zu sein als bei dem anderen Stamm in Versuch XVII.
Ein Parallelversuch (XVIII) gelang ebenso.
Zum Vergleich fiigen wir die Kurven von einem Versuch mit Bac. coli
hinzu. Es ist das ein Parallelversuch zu Versuch XXXI der friheren
Arbeit. In diesem Versuch XXV wird im Gegensatz zu Bac. paratyphi, wie
man sieht, auch noch in 0,4% Traubenzucker, nach anfänglicher Säure-
bildung Alkali gebildet. Bei Bac. paratyphi B wird das Säuremaximum in
0,3%, Zucker erreicht und beträgt im Mittel 2,6ccm 1/1 ⁰-NaO H. Bei
B. coli geschieht dasselbe erst in 0, 5% Zucker, und es wird eine etwa gleich
große, in vielen Fällen aber eine höhere Acidität erreicht.
2. Säurebildung bei verschiedener Ausgangsreaktion.
Wie Versuch XIX (Abb. 2) und XX zeigen, ist ebenso wie bei Bac. coli
das Säuremaximum unabhängig von der Ausgangsreaktion, wenn genügend
Zucker vorhanden ist. Aus Versuch XIX geht auch hervor, daß, wenn
die Bouillon saurer ist als das Säuremaximum, überhaupt keine Säure-
bildung stattfindet. Die Bacillen sterben dann ab. Michaelis und Mar-
cora!) haben gezeigt, daß Bac. coli einen charakteristischen Aciditätsgrad
in Milchzuckerlösungen verursacht. Dieser entspricht einer H-Ionenkon-
zentration von 1. 10°5 und ist der höchste Aciditätsgrad, den das Bac-
terium auf die Dauer ertragen kann. Jedoch stimmt dieses Resultat,
welches ebenso in unseren Versuchen von 1918 zu sehen ist, nicht überein
mit dem von Whyatt?), der in Versuchen, die sich mit ähnlichen Fragen
befassen, unsere Versuche jedoch nicht kennt, zu finden glaubt, daß „eine
Änderung in der Anfangsreaktion des Mediums auch eine Änderung der
Endreaktion der Kultur zur Folge hat, welche in derselben Richtung
liegt, aber von geringerer Größe ist“. Dabei dürfte es sich um Ver-
schiedenheiten der Säurewirkung und der undissozierten Säuremoleküle
handeln. Wir haben im Sinn, unsere Versuche noch mit Messungen der
aktuellen Acidität zu ergänzen, um diese Frage zu klären.
1) L. Michaelis und Е. Marcora, Zeitschr. f. Hyg. 14, 170. 1912.
2) F. I. S. Whyatt, The effect of acids, alkalis and sugars on the
growth and Indol production of В. coli. Biochemical Journ. 13, 1. 1919.
210 F. Verzär und J. Bögel:
Versuch XVII (Abb. 2) zeigt ferner, daß nach Neutralisierung der in
1 proz. Traubenzuckerbouillon gebildeten Säure immer wieder dasselbe Säure-
maximum erreicht wird, natürlich nur so lange, als gärfähiger Zucker in der
Lösung vorhanden ist. Dasselbe haben wir auch für Bac. coli nachgewiesen.
cm NaOH Acidıtät
20 985
cm pra Alkalıtat |
Versuch XIX. Versuch ХХ. Versuch XVII b.
Abb. 2
Alle diese Versuche wurden in 1 proz. Traubenzuckerbouillon bei 37° С
ausgeführt. Die Ausgangsreaktion und die Anderung der Reaktion im
Laufe des Versuches ist aus den Kurven ohne weiteres ablesbar. In der
dritten Kurve bedeuten die punktierten Linien, daß an jener Stelle der
Bouillon mit 1/10 NaOH neutralisiert wurde. Die Reaktions bestimmungen
geschahen immer in Proben von 10 cem
3. Bac. proteus (Stamm X 19, Weil-Felix).
Dieser zeigt in Versuch XXIII (Abb. 3) und ebenso in einem hier nicht
wiedergegebenen Parallelversuch (XXV) sehr ähnliche Verhältnisse wie
Bao. paratyphi. Das Säuremaximum wird in 0,3 proz. Traubenzucker erreicht.
Unterhalb dieser Grenze wird nach Vergärung des ganzen zur Verfügung
stehenden Zuckers, durch die saure Reaktion des Milieus ein Alkalibildungs-
vorgang ausgelöst, welcher zur Neutralisierung der Säure führt, ebenso
wie bei Bac. coli und Bac. paratyphi. Wir müssen bemerken, daß die Alkali-
bildung nicht bei gleichen Reaktionen aufzuhören scheint. Dieser Teil der
Kurven müßte aber noch den Gegenstand weiterer Untersuchung bilden,
auch bezüglich der anderen Bakterien und soll mit Mes zung der H- Kon-
zentration ergänzt werden.
Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 211
0,
sech Versuch XXIIL Versuch XXII.
стз FHC Abb. 8.
4. Streptococcus hamolyticus.
Das Säuremaximum wird hier [Versuch XXII (Abb. 3) und ebenso
Parallelversuch XXIV] in 0,3proz Traubenzuckerlésung erreicht. Bei ge-
ringerer Zuckerkonzentration wird natürlich eine geringere Acidität erreicht.
Im Gegensatz jedoch zu den bisher untersuchten Bakterien löst
hier die saure Reaktion keinen Alkalibildungs- bzw. Neutralisierungs-
prozeB aus. Allerdings sieht man am Gipfel der Kurven eine geringe
unbedeutende Senkung, dann aber geht die Kurve in gerader Linie weiter.
5. Alkalibildung in zuckerfreiem sauerem Bouillon.
Wie gezeigt wurde, löst die aus Zucker gebildete Säure sowohl bei
Bac. coli wie bei Bac. paratyphi und Bac. proteus einen Neutralisierungsprozeß
aus. Das geschieht aber auch dann, wenn der Bouillon durch Salzsäure
angesäuert wird. Den Verlauf der Alkalibildung unter solchen Umständen
0
50 700 0 5 Stunden
Versuch XXVI. Versuch XXVII. Versuch XXVIII.
Abb. 4.
zeigt Versuch XXVI bei Bac. coli, Versuch XXVII bei Bac. paratyphi und
Versuch XXVIII bei Bac. proteus (Abb. 4). Wie man sieht, bildet Bac. coli
noch in so saurem Bouillon Alkali, in welchem die beiden anderen das nicht
mehr tun. Die geringe Zunahme der Acidität in fast neutraler Lösung
stammt jedenfalls daher, daß der Bouillon nicht ganz kohlehydratfrei war.
Die Unterschiede in der noch wirksamen höchsten Konzentration hängen
damit zusammen, daß Bac. coli die höchsten Säuregrade verträgt.
212 F. Verzär und J. Bögel:
Teil V. Der zeitliche Ablauf des Gaswechsels bei Bac. coli und
paratyphi.
Es existieren bereits eine größere Anzahl Untersuchungen über den
Gaswechsel von Bakterien. Bezüglich der Literatur sei auf den Artikel
von Gottschlich im Handb. der pathog. Organismen!) verwiesen. Wir
haben eine einfache Methode versucht, um einen Überblick über den zeit-
lichen Ablauf des Gaswechsels in einer Bakterienkultur zu gewinnen.
Wir benutzten das Barcroftsche Kompensationsmanometer. Auf
die eine Seite des Apparates kamen 3 ccm Bouillon, welcher mit einer Öse
Kultur beimpft wurde. In das Kompensationsgefäß kamen 3 ccm destil-
liertes Wasser. Dann wurde der Apparat vorschriftsgemäß in ein Wasser
bad gestellt. Die Temperatur des letzteren schwankte um 20°C. Kleine
Temperaturschwankungen sind bei diesem Kompensationsapparat von
keinem Einfluß auf das Resultat?).
Die Züchtung wurde deshalb bei so niedriger Temperatur vorgenom-
men, weil dabei der Stoffwechsel langsamer ist und Einzelheiten leichter
zu beobachten sind.
6. Gasbildung und Gasverbrauch von Bac. coli comm.
In Versuch V und IV (Abb. 5) sind die Resultate von 6 Proben regi-
striert. Die Kurven entstanden so, daß auf der Ordinate im Original 10 mm
1 Stunde bedeuteten und auf der Abszisse 1 mm je 1 mm Skalendifferenz
des Barcroftschen Kompensationsapparates entsprach. Die publizierten
Kurven sind entsprechend verkleinert. Versuch V zeigt die Volumzunahme
bei der Gärung, Versuch IV die Volumabnahme bei der Atmung.
Bei der Gärung des Traubenzuckers wird bekanntlich mehr CO, ge-
bildet, als dem aufgenommenen Sauerstoff entspricht. Der RQ ist viel
größer als 1. Im Apparat findet dementsprechend eine Volumzunahme
statt. Diese wurde 6 Tage lang stündlich und nachts etwa 8stündlich
abgelesen. Hatte sich eine Druckdifferenz von mehreren Millimetern inner-
halb einer gewissen Periode ausgebildet, so wurden die Hähne des Mano-
meters geöffnet, um einen Druckausgleich zu erhalten. Dann wurde so-
gleich wieder geschlossen und die neuere Änderung des Druckes beobachtet.
Die Züchtung fand in 1 proz. Traubenzuckerbouillon statt.
Züchtet man Bac. coli іп gewöhnlichem Bouillon, so findet man bekannt-
lich, daß ebenso wie bei höheren Organismen der O,-Verbrauch größer ist
als die CO,- Bildung, d. h. der RQ ist kleiner als 1. Es muß also im Ap-
parat eine Volumabnahme zustande kommen. Die Kurve des Gasver-
brauches muß also im Vergleich zur Gärungskurve unter der Abszisse liegen.
Wir haben aber des besseren Vergleiches halber auch diese Kurven im
selben System über die Abszisse gezeichnet. Es sei ausdrücklich hervor-
gehoben, daß die Volumänderung sowohl bei den Gärungskurven als auch
bei der Atmung nicht die absoluten Werte des O,-Verbrauches und der
1) Kolle-Wassermann 1, 99.
2) S. Münzer u. Neumann, diese Zeitschr. 81, 319. 1917
Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 213
CO,-Bildung wiedergibt, sondern nur die Differenz CO, — O,, welche bei
der Gärung positiv, bei der Atmung negativ ist. Trotzdem also quanti-
tative Angaben keine.Bedeutung haben, sei angegeben, daß 100 mm der
Abezisse ca. 0,4ccm Gas entsprechen. Während der Gärung von 3 cem
Bouillonkultur wurden also ca. 1,4 cem Gas gebildet und bei der Atmung
wurde etwa ebensoviel Gas verbraucht.
Alle diese Kurven zeigen innerhalb der ersten 24 Stunden einen lang-
samen Anstieg; dann — vom Ende des ersten Tages an — steigen die
Kurven steil an, um sich vom Ende des dritten Tages an wieder abzu-
flachen, und am 5. Tage zeigt sich sowohl bei der Gärung als bei der Atmung
70 20 30 4050 0020304050 100 Stunden
Versuch V. Versuch IV.
Atb. 5. |
keine Volumänderung mehr. Wir können derzeit noch nicht darauf ein-
gehen, inwiefern das Aufhören des Gaswechsels eine Folge des Absterbens
der Kultur oder des Aufhörens der Vermehrung der Bakterien oder von
anderen Gründen ist. Das Konstantbleiben des Volumens könnte natür-
lich auch dadurch bedingt sein, daß der RQ gleich 1 wäre, d. h. CO, — O2
Aus anderen Versuchen wissen wir aber, daß davon keine Rede sein kann.
Die Kurve der Gasbildung verläuft in einer nach oben konkaven, jene des
Gasverbrauches dagegen in konvexem Bogen. Nach anderen Versuchen,
von welchen einige im nächsten Abschnitt erwähnt werden, findet am
Anfang der Gärung eine charakteristische Volumabnahme statt, die jedoch
in diesen Versuchen nicht registriert ist. Siehe Versuch XIII, XV, VII.
Die Ursache ist, daß zuerst die Atmung über die Gärung überwiegt und
erst gegen Ende des ersten Tages der Gärungstypus hervortritt.
214 F. Verzär und J. Bögel:
7. Vergleich der Gasbildung in verschiedenen konzentriertem Zucker-
bouillon mit der Säure- und Alkalibildung.
In Teil III der vorigen und Teil IV dieser Arbeit wurde gezeigt, daß
in 1 proz. Traubenzuckerbouillon nur Säure gebildet wird, während in ver-
dünnterem, z. B. 0,2%, Traubenzucker nach der Vergärung des Zuckers
eine Alkalibildung stattfindet bzw. die produzierte Säure wieder neutrali-
siert wird. Von dieser Alkalibildung wurde in Teil III nachgewiesen, daß
sie nur bei Sauerstoffzutritt erfolgt. Es war von Interesse zu untersuchen,
wie sich der Gaswechsel im Vergleich zum Alkali- und Säurebildungs-
prozeB verhält.
In Versuch VII (Abb. 6) und ebenso in einem Parallelversuch Nr. X
ist das registriert. Die Gasbildung wurde ebenso wie in dem vorigen Ver-
Had 300 ==
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0
-02
TEE
. Versuch VIL
Abb. 6. ——— Bāurebildung. - - - Gasbildung.
such gemessen. Die Kurven unterscheiden sich jedoch insofern von den
vorigen, als hier die später einsetzende Volumabnahme in entgegengesetzter
Richtung eingezeichnet ist wie die Volumzunahme, so daß die Kurven also
ein korrektes Bild über die Volumänderung im Apparat geben. Die Prozent-
zahlen geben die Traubenzuckerkonzentration des Bouillons an. In 1%, wird
das Säuremaximum erreicht und die Acidität bleibt dann konstant. In
0,2% wird nach der Säure Alkali gebildet. Diese Kurven entstanden auf
dieselbe Weise, wie in Teil IV. Wie man sieht, findet in 1 proz. Zucker
nur Gasbildung statt und das Maximum wird etwa zur selben Zeit erreicht,
wenn das Säuremaximum erreicht ist. Diese Kurve zeigt nach dem Er-
reichen des Maximums, beim Übergang in das Plateau, eine unbedeutende
Senkung. Im 0,2proz. Zucker tritt gleichzeitig mit der Alkalibildung an
Stelle der Volumzunahme eine Volumabnahme auf; es erscheint also an
Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 215
Stelle des Gärungstypus der Atmungstypus. Mit anderen Worten heißt
das, daß während der Säurebildung viel mehr CO, als O, gebildet wird,
während der Alkalibildung dagegen viel mehr O, verbraucht wird, als der
CO, entspricht. Es ist hier also nachgewiesen, daß die Alkalibildung mit
großem Sauerstoffverbrauch einhergeht.
8. Gasverbrauch und Gasbildung von Bac. paratyphi B.
In Versuch IXa (und ebenso in den Parallelversuchen IV und VI)
ist die Gasbildung und der Gasverbrauch von Bac. paratyphi B untersucht
(Abb. 7). Die Kurven sind sehr ähnlich mit jenen von Bac. coli comm. in
Teil VI6. Auch die Methodik war dieselbe.
9. Zusammenhang zwischen Gaswechsel und Bewegung bei Bac.
paratyphi B.
Вас. paratyphi В gehört bekanntlich zu den rasch beweglichen Bakterien.
Bei höheren Organismen geht mit der Bewegung (Muskelarbeit) eine außer-
ordentliche Steigerung des O,-Verbrauches und der CO,-Bildung Hand in
Hand. Wir stellten uns nun die Frage, ob auch bei Bakterien die Be-
wegung von deutlichem Einfluß auf den Gaswechsel ist. Es wurde sowohl
der Zusammenhang mit der Gärung, als auch mit der Atmung untersucht.
тт Skale
300
Versuch ІХ a. Versuch VI.
Abb. 7.
Wir besitzen eine Möglichkeit, die Bewegung der Bakterien aufzu-
heben, ohne ihre Lebensfähigkeit sonst zu beeinträchtigen, so daß man sie mit
spezifischem Serum agglutiniert. Dadurch werden sie sogleich unbeweglich,
ballen sich zu Klümpchen zusammen und sinken zu Boden. Die Bewegung
verschwindet aber sofort. Wir gingen so vor, daß der Gaswechsel im
Barcroftschen Apparat beobachtet wurde.
216 F. Verzär und J. Bögel:
In Versuch VI (Abb. 7) ist der Zusammenhang mit der Gasbildung
in Traubenzuckerbouillon wiedergegeben. Nachdem die Gasbildung eine
gewisse Konstanz erreicht hatte, wurde bei +0,l ccm agglutinierendes
Paratyphus-B-Serum (Titer 1: 10000) hinzugefügt. Das gab starke
Agglutination der Kultur in einigen Minuten. Wie man aus der Kurve
sieht, ändert sich die Gasbildung nicht und geht auch fernerhin parallel
mit derjenigen in den zwei anderen Apparaten, in denen nicht agglutiniert
wurde. (Ebenso zeigte sich auch kein Unterschied im Gasverbrauch bei
Züchtung in gewöhnlichem Bouillon, wenn während der Züchtung aggluti-
niert wurde, jedoch sind diese Versuche noch nicht abgeschlossen.)
Teil VI. Die Wirkung von Alkoholen, Chloroform und Form-
aldehyd auf Gaswechsel und Säurebildung von Bac. coli comm.
In Teil I der früheren Arbeit haben wir untersucht, wie verschiedene
Stoffwechselprozesse durch verschiedene Konzentrationen eines Giftes be-
einflußt werden. Es wurde gezeigt, daß Gifte die einzelnen Stoffwechsel-
prozesse von Bac. coli in sehr verschiedenen Konzentrationen hemmen. Es
mm Skale
| normal єт? Z NaOH
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| |
| ER e L. I | |
gt — J 100 50 200 4 S 50 SO Stunde?
-50 L | 24
Versuch XIII und XV. Versuch ХІІ. Versuch XLII.
Abb. 8.
war von Interesse, diese Verhältnisse auch quantitativ zu verfolgen. Wir
haben deshalb vorerst für Äthyl- und Methylalkohol, Chloroform und
Formaldehyd die Wirkung auf Gasbildung und Säurebildung quantitativ
verfolgt.
Versuch XIII und XV (Abb. 8) zeigen die Wirkung von Äthylalkohol
auf die Gasbildung in 1 proz. Traubenzuckerbouillon. Aus den früheren
|
Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 217
Versuchen ging hervor, daß diese erst bei 12% Alkohol vollständig ge-
hemmt wird. Wie man aus den Kurven sieht, haben schon weit geringere
Konzentrationen von 2%, 4%, 6% eine deutlich hemmende Wirkung.
Diese äußert sich auf zweierlei Weise. Erstens dadurch, daß die Gasbildung
verzögert wird, und zweitens darin, daß das Maximum der Gasbildung
um so geringer wird, je mehr Alkohol vorhanden ist. Die Kurven liegen
fast parallel untereinander, d. h. die Gasbildung verläuft um so langsamer,
je größer die Alkoholkonzentration.
Sehr schön zeigen sich dieselben Wirkungen von Äthylalkohol (Ver-
such XLI) sowie von Methylalkohol (Versuch XLII) auf die Säurebildung
aus Traubenzucker. Unsere Methode war dieselbe wie in den früheren
Säurebildungsversuchen. Die Prozentzahlen bei den Kurven bedeuten die
Alkoholkonzentrationen. Wie man sieht, hat der Alkohol auch auf die
Säurebildung eine doppelte Wirkung. Erstens verzögert er den Säure-
bildungsprozeB, und zwar um so mehr, je mehr Alkohol vorhanden ist.
Zweitens ist das erreichte Säuremaximum um so niedriger, je mehr Alkohol
vorhanden ist. Nachdem die Entwicklung eines Säuremaximums, oberhalb
welchem keine Säure mehr gebildet werden kann, so zu erklären ist, daß
das Stoffwechselprodukt, die Säure, als Gift die weitere Säurebildung hemmt,
so wird man dieses Verhalten so deuten müssen, daß sich die Giftwirkung
der Säure mit der Giftwirkung dieser Alkohole summiert. Während die
gebildete Säure erst bei 3,9 ccm Dia NaOH Acidität weitere Säurebildung
hemmt, tritt das z. В. bei 6% Äthylalkohol schon bei 1,7 ccm 2/10 NaOH
und bei Methylalkohol bei 3ccm 1/10 NaOH ein. Sehr deutlich geht aus
diesen Versuchen auch die geringere Giftigkeit des Methylalkohols hervor!).
Die Wirkung von Chloroform ist in Abb. 9 wiedergegeben. Bouillon
wurde durch Schütteln mit Chloroform gesättigt und dann in verschiedenen
Konzentrationen zu gewöhnlichem Bouillon hinzugesetzt, so daß ver-
schiedene Sättigungsgrade entstanden. Diese sind in Prozenten an den
Kurven vermerkt. In Versuch XII ist die Wirkung von Chloroform auf
die Gasbildung in 1 proz. Traubenzuckerbouillon registriert; man sieht,
daß diese nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur äußerst verzögert wurde,
dann aber im Gegensatz zur Alkoholwirkung dasselbe Maximum erreicht
wurde, wie ohne Chloroform.
In einer anderen Versuchsreihe (Versuch XXXV) wurde die Wirkung
von Chloroform auf die Säurebildung aus 1 proz. Traubenzuckerbouillon
geprüft. Es sei bemerkt, daß nicht alle Versuche hier wiedergegeben sind.
Man sieht deutlich, daß das Chloroform die Säurebildung um so mehr ver-
zögert, in je größerer Konzentration es vorhanden ist. Dagegen ist auch
hier, ganz parallel zur Gasbildung, und im Gegensatz zu der Wirkung der
Alkohole, das erreichte Säuremaximum ebenso groß wie normal. Die Gift-
wirkung des Chloroforms summiert sich also nicht mit jener der Säure.
| Das dritte Gift, welches untersucht wurde, ist Formaldehyd. [Nur
die Wirkung auf die Säurebildung ist untersucht (Versuch XXXIX, Abb. 9).]
1) Siehe z.B. Verzär, Über die Wirkung von Methyl- und Äthyl-
alkohol auf die Muskelfaser. Archiv f. d. ges. Physiol. 128, 398. 1909.
Biochemische Zeitschrift Band 108, 15
218 Е. Verzär und J. Bagel:
0,18% hemmt diese vollständig. Niedrigere Konzentrationen verlangsamen
die Säurebildung in charakteristischer Weise, wobei aber dasselbe Säure-
maximum erreicht wird, wie ohne Gift. Also auch dieses Gift zeigt einen
charakteristischen Unterschied gegenüber den Alkoholen.
Zusammenfassung.
Die vorliegende Untersuchung schließt sich an unsere frühere
an. In Teil IV wurde gezeigt, daß der bei Bac. coli comm. stu-
dierte zeitliche Ablauf der Säure- und Alkalibildung in ganz ähn-
licher Weise auch bei Bac. paratyphi B und bei Bac. proteus X 19
abläuft. In 1% Traubenzucker wird ein Säuremaximum erreicht.
Bei geringeren Zuckerkonzentrationen folgt auf die anfängliche
Säurebildung eine Alkalibildung. Unterschiede zeigen sich jedoch
1. іп dem titrierten Säuremaximum, 2. in der Zuckerkonzentration,
welche bereits nach Säurebildung auch Alkalibildung gibt. Diese
Grenzen liegen bei den beiden letzteren Bazillen niedriger als
bei Bac. coli').
Streptococcus haemolyticus dagegen bildet aus Trauben-
zucker nur Säure, jedoch niemals Alkali.
1) Nach Roux und Yersin sowie Madsen wird auch bei Diphtherie-
bacillen nach anfänglicher Säuerung eine Abnahme der Acidität und dann
eine zunehmende Alkalität beobachtet. (Gottschlich, 1. с. S. 119.)
Stoffwechselregulierung bei Bakterien’ 219
Die bei Bac. coli comm. gefundene Unabhängigkeit der
titrierten Säurebildung von der titrierten Ausgangsreaktion wurde
auch für Bac. paratyphi B und Bac. proteus konstatiert. Der
erreichte Säuregrad ist unabhängig davon, welche Acidität oder
Alkalität am Anfang des Versuches herrscht.
In Teil V ist die Gasbildung im Traubenzuckerbouillon und
der Gasverbrauch in gewöhnlichem Bouillon mit Hilfe des Bar-
croftschen Apparates registriert. Die Versuche sind mit Bac.
coli comm. und Bac. paratyphyi ausgeführt, und zeigen einen
charakteristischen Verlauf.
Ein Vergleich des Gaswechsels mit der Säure und Alkali-
bildung bei Bac. coli comm. zeigt, daß gleichzeitig mit der Säure-
bildung Gas gebildet wird, während mit der Alkalibildung ein
starker O- Verbrauch einsetzt.
Es konnte ferner gezeigt werden, daß bei Paratyphus-Bacillen
zwischen der Beweglichkeit und der Gasbildung kein nachweis-
barer Zusammenhang besteht.
In Teil VI wurde in Fortsetzung der in Teil I aufgeworfenen
Fragen die Wirkung von einigen Giften auf den Gaswechsel
von Bac. coli studiert. Es läßt sich sehr schön demonstrieren,
daf Athyl- und Methylalkohol, Chloroform und Formaldehyd
diese Stoffwechselprozesse schon in Konzentrationen auffallend
verlangsamen, welche noch weit von der ganz hemmenden Dosis
entfernt sind.
Die Alkohole haben noch eine andere Wirkung i im Gegensatz
zu den beiden anderen Giften. Ihre Giftwirkung summiert sich
nämlich mit jener der aus Traubenzucker gebildeten Säure, wo-
durch ein um so geringeres Säuremaximum erreicht wird, je
mehr Alkohol vorhanden ist. Die geringere Giftigkeit des Methyl-
alkohols ist auch dabei deutlich. Dieser Befund dürfte für die
Analyse von Giftwirkungen von Bedeutung sein.
15*
Beiträge zur Chemie des Blutes bei anämischen Krank-
heitszuständen.
Von
F. Rosenthal und P. Holzer.
(Aus der Medizinischen Klinik der Universität Breslau.)
(Eingegangen am 20. Mai 1920.)
Die Untersuchungen von Tallquist und Faust über die
lipoide hämolytische Substanz in den Proglottiden des breiten
Bandwurms und die Auffindung der koktostabilen Hämolysine
durch Korschun und Morgenroth haben die Anschauungen
über die Genese der perniziösen Anämie und anderer schwerer
anämischer Krankheitsprozesse lange Zeit hindurch weitgehend
beeinflußt. Man kann die Forschungsrichtung, die von diesen
Arbeiten ihren Ausgangspunkt nimmt, kurz dahin zusammen-
fassen, daß die Fragestellung nach der Natur des einwirkenden
Krankheitsprozesses bei den schweren Anämien verschiedenster
Ätiologie sich auf den Nachweis stark hämolytisch wirksamer
Lipoide vom Bau der kochbeständigen Hämolysine konzentriert,
und daß in der Bildung dieser Lipoidsubstanzen vom Typus der
Ölsäure die letzte einheitliche Ursache der in ihren Erscheinungs-
formen noch so verschiedenen schweren Anämien erblickt wird. —
Man kann bereits auf Grund der morphologisch-histologischen
Charaktere der verschiedenen Blutkrankheiten ohne weiteres
behaupten, daß nur eine einseitige serologische Gedankenführung
zu solchen Anschauungen einer wesensgleichen Ätiologie der
Anämien gelangen konnte. Das Blutbild der Perniciosa auf der
einen Seite und die morphologischen Kriterien der gewöhnlichen
Carcinomanämie oder Ankylostomumanämie noch so schweren
Grades auf der anderen Seite tragen in so ausgesprochener Weise
den Stempel verschiedenartiger Pathogenese, daß schon allein
dieses histologische Moment gegen eine unitaristische Betrach-
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 221
tungsweise der schweren menschlichen Anämien unter dem Ge-
sichtswinkel der Ölsäuretheorie spricht.
Geht man im einzelnen den experimentellen Grundlagen der Ölsäure-
theorie, wie sie sich in den Arbeiten von Flury und Schminke über
die chronische Ölsäurevergiftung am Hunde finden, nach, so wird man
mit Recht gegen diese Untersuchungen einzuwenden haben, daß die mit
chronischer Ölsäurefütterung experimentell erzeugten Anämien das typische
Bild der echten perniziösen Anämie vermissen lassen. Was in diesen Ver-
suchen an Blutveränderungen in die Erscheinung tritt, sind die Zeichen
einer nicht erheblichen sekundären Anämie mit mäßiger Verringerung der
Erythrocyten und herabgesetztem Färbeindex beim Fehlen jedes für die
Perniciosa gharakteristischen Blutbefundes. Ist somit das Fundament der
Ölsäuretheorie der Anämien nach dieser experimentellen Richtung an sich
schon ein recht dürftiges, so sind noch überdies in jüngster Zeit diese Be-
funde von Flury und Schminke durch Beumer in eingehenden Nach-
prüfungen überhaupt in Frage gestellt. Weder ließen sich nach viermonat-
licher Ölsäurefütterung Zeichen von einer hämolytischen Wirkung der
Ölsäure im Serum oder Blutbild nachweisen, noch konnte die von
Schminke und Flury beobachtete erworbene relative Ölsäurefestigkeit
der Erythrocyten mit partieller Abartung der Lipoide infolge Substitution
des freien Cholesterins durch Cholesterinester bestätigt werden. Ebenso-
wenig konnten Bürger und Beumer bei Übertragung der Ölsäuretheorie
auf die menschliche Pathologie in den Blutkörperchen bei perniziöser
Anämie Cholesterinester feststellen.
Was zur weiteren Begründung der Ölsäuretheorie bei menschlichen
Anämien, insbesondere bei der Perniciosa an klinischem Material zusammen-
getragen worden ist, entbehrt gleichfalls der Beweiskraft. Die von Berger
und Tsuchiya in den Extrakten der Magendarmwandung von 2 Fällen
perniziöser Anämie nachgewiesenen hämolytisch wirksamen Lipoide stellen
keine spezifische Erscheinung dar, da nach Hirschfeld, Friedberger
und Ewald auch das Macerat von Magendarmschleimhaut nichtanämischer
Kranken Lipoide von gleicher Menge und gleicher hämolytischer Kraft ent-
halten kann. Es läßt sich ferner gegen die Ölsäuretheorie der menschlichen
Anämien ganz allgemein der sehr wesentliche Einwand erheben, daß die
hämolytische Wirkung der Ölsäure und anderer ungesättigter Fettsäuren
bereite durch kleine Mengen von Blutserum aufgehoben wird, und daß
der Angriff der Ölsäure bei einer Resorption vom Darm aus auch durch
die synthetischen Kräfte des Darmepithels (Munk, Minkowski) und
durch die Leber (Bang) abgeschlagen wird, bevor er die Blutkörperchen
trifft. Unter diesen Gesichtspunkten kann auch die Arbeit von Joanno-
vios und Pick nicht als Stütze für die Ölsäuretheorie der hämolytischen
Anämien herausgezogen werden. So wichtig auch ihre Feststellungen sind,
daß bei der subakuten Toluylendiaminvergiftung der Hunde eine in der
Leber vorkommende blutlösende Substanz, die ätherlöslich ist und zum
wesentlichen Teile aus Ölsäure besteht, um das 40—50fache der Norm
vermehrt ist, so läßt sich auch gegen die ätiologische Bedeutung dieser Be-
222 F. Rosenthal und P. Holzer:
funde einwenden, daß quantitative Bestimmungen der ungesattigten Fett-
säuren im Blut fehlen, und daß exakte Beweise für eine Beteiligung der
Glsäure verbindungen in der Leber am gesteigerten toxischen Blutzerfall
während der Toluylendiaminvergiftung nicht erbracht sind.
Die Таа uistsche Theorie — von den meisten Autoren aufgegeben —
‚ ist durch die Untersuchungen von Eppinger, King und Medak in
modifizierter Form erneut zur Diskussion gestellt worden. Sie gelangen zu
dem Ergebnis, daß bei hämolytischen Prozessen in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle jodbindende Substanzen in gesteigerter Menge im Blut
vorkommen, und daß die Blutzusammensetzung hinsichtlich Cholesterin.
Cholesterinester und ungesättigten Fettsäuren, gemessen an der Hüblschen
Jodzahl wohl ein Bild über den gegenwärtigen Stand des Krankheits-
prozesses, soweit er den hämatopoetischen Apparat tangiert, zu bieten im-
stande ist. Sie lassen hierbei freilich die Frage offen, ob die bei hämo-
lytischen Prozessen gefundene hohe Jodzahl durch ungesättigte Fettsäuren,
die von der Milz an die Blutbahn abgegeben werden oder durch gesteigerten
Zerfall roter Blutkörperchen bedingt ist. Im einzelnen weisen die Unter-
suchungen von King auf engere Beziehungen zwischen Milz und dem Ge-
halt des Blutes an ungesättigten Fettsäuren hin. Bei gesunden Hunden
fiel nach der Milzexstirpation die Menge der jodbindenden Substanzen auf
sehr geringe Werte, und auch bei menschlichen perniziösen Anämien trat
nach Splenektomie ein Absinken der ursprünglich hohen Jodzahlen zugleich
mit fortschreitender objektiver Besserung ein. Die Befunde von Medak
beim Menschen sind widerspruchsvoll, so daß die Frage offen bleiben muß,
inwieweit die Milz der Ort ist, wo die jodbindenden Substanzen, die die
hohe Jodzahl im Blut bedingen, an die Blutbahn abgegeben werden.
Bei kritischer Durchsicht der von Eppinger und Medak angeführten
Protokolle wird man allerdings den Beweis für die engen Beziehungen
zwischen hohem Gehalt des Blutes an Cholesterin, an ungesättigten Fett-
säuren und hämolytischen Prozessen nicht als zwingend geführt betrachten
können. Weder ist der Cholesterinestergehalt bei den untersuchten Blut-
krankheiten (perniziöse Anämie, hämolytischer Icterus) über die Norm
und gegenüber nichtanämischen Krankheitszuständen wirklich prozentual
und absolut vermehrt, noch zeigt sich bei den hämolytischen Prozessen
ein wesentlich höherer Gehalt des Blutes an ungesättigten Fettsäuren gegen-
über anderen Erkrankungen ohne gesteigerten Blutuntergang. So sind
2. В. bei Medak in einem Falle von abklingendem Icterus die Jodzahlen
höher als bei perniziöser Anämie, und auch Eppinger findet in manchen
Fällen von atrophischer Lebercirrhose Jodzahlen, die den Werten bei
hämolytischen Prozessen nicht nachstehen, bzw. sie sogar übertreffen. In
methodischer Hinsicht haben die Untersuchungen von Eppinger, King
und Medak den Nachteil, daß sie keinen Einblick in die Verteilung der
ungesättigten Fettsäuren an die Einzelkomponenten des Blutes gestatten,
und daß sie vor allem keinen Aufschluß über die Bindung ungesättigter
Fettsäuren an die Erythrocyten gewähren, deren Zerstörung vom Stand-
punkte der Glsäuretheorie eine gesteigerte Bindung ungesättigter Fett-
säuren wohl vorangehen müßte.
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 223
Die Befunde von Eppinger, King und Medak haben
durch Feig! für das Serum bei perniziösen Anämien und beim
hämolytischen Icterus keine Bestätigung erfahren. Weder waren
die Jodzahlen im Serum über die Norm gesteigert, noch waren
Veränderungen in der Bindungsweise des Cholesterins ent-
sprechend den King - Medakschen Resultaten im Blut nach-
zuweisen. Untersuchungen, die wir in ähnlicher Richtung bei
einem klassischen Fall von hamolytischem Icterus Minkowski-
Chauffard auf breiter Basis ausgeführt haben, führten uns dazu,
die Frage des Vorkommens von ungesättigten Fettsäuren im Blut
bei anämischen Krankheitszuständen ausführlich zu bearbeiten
und auch die Beziehungen der Milz zur Jodzahl und Bindungs-
form des Cholesterins in den einzelnen Blutkomponenten einer
eingehenden Analyse zu unterziehen. Damit ergab sich zugleich
die Notwendigkeit, die Untersuchungen auch auf die chemische
Zusammensetzung der Milz unter normalen und krankhaften
Verhältnissen unter der gleichen Fragestellung auszudehnen.
Wir haben damit insgesamt ein experimentelles Material gewon-
nen, das neben einer Kritik der Befunde Eppingers und seiner
Schüler auch einen Beitrag zur Biochemie anämischer Krank-
heitszustände und zur Frage der pathogenetischen Bedeutung
der ungesättigten Fettsäuren bei schweren menschlichen Anämien
liefert. Unsere eigenen Untersuchungen sind an roten Blutkörper-
chen und Serum getrennt vorgenommen worden.
Als Maß für den Gehalt des Blutes an ungesättigten Fett-
säuren einschließlich der Ölsäure steht uns die Hiiblsche Jod-
zahl zur Verfügung. Sie ist ein Maß für die Anzahl der Doppel-
bindungen der ungesättigten Fettsäuren, und diese Doppel-
bindungen gehen wiederum nach Joa nnovies und Pick der
hämolytischen Kraft der ungesättigten Fettsäuren parallel.
Unsere Versuchsmethodik gestaltete sich im einzelnen folgendermaBen:
In der Regel wurden Gesamtfett und Jodzahl einerseits und Cholesterin und
Cholesterinester andererseits in exakt abgewogenen Mengen des Ausgangs-
materials für sich gesondert bestimmt. Die Bestimmung des Gesamtfettes ge-
schah nach Peritz und Glikin in mindestens dreitägiger Extraktion mit
Ather, Alkohol oder Chloroform im Soxhletapparat. Die beim Verdunsten
zurückbleibenden Extrakte wurden in Äther aufgenommen, vereinigt und
in Leuchtgasstrom bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. In dem so ge-
trockneten Atherextrakt wurde die Jodzahl nach der Vorschrift von Hübl
bestimmt. Wir berechnen die Jodzahl sowohl in der üblichen Weise auf
100 g Fett, wie auf 1000 g des Untersuchungsmaterials und bringen hier-
224 F. Rosenthal und P. Holzer:
von die dem gefundenen Gesamtcholesterin entsprechende Jodzahl in
Abzug. Wir erhalten so Jodzahlen, die als eigentliches Maß für die im
Extrakt vorhandenen ungesättigten Fettsäuren angesehen werden dürfen.
Die Bestimmung des freien und gebundenen Cholesterins geschah nach
der Digitonin-Methode von Windaus nach vorangehender Extraktion
des feuchten Materials mit siedendem 94 proz. Alkohol nach Röh man n?).
Die Extraktion der Organe erfolgte nach sorgfältiger Faschierung der-
selben. Die Bestimmung von Gesamtfett, Jodzahl und Cholesterin wurde
in Blutkörperchen und Serum getrennt vorgenommen. Die für Gesamtfett
und Cholesterin gewonnenen Werte wurden auf 1000 g feuchte Substanz
entsprechend umgerechnet.
Wir berichten zunächst über unsere Befunde bei Blut-
körperchen und Serum gesunder Individuen, bzw. von Kranken,
die nicht an anämischen Krankheitsprozessen litten.
Tabelle I.
1000 g Erythrocyten enthalten:
A. Bei Gesunden:
Gesamt- | Freies Chole- | Jodzahl | Jodzahl
Fall Ges chole- | Chole- | sterin- für für
sterin sterin ester 1000 g Е 100 g Fett
1 | 7,6943 | 1,468 1,470 | = | 2,7102 | 35.223
2 | 15981 | 14329 | 14314 = 3.1623 | 41.615
B. Bei Kranken ohne Anämie:
ГЕ |
Gesamt-
extrakt
Gesamt-| Freies
chole-
sterin
Krankheit
== 2,2080 | 36,842
0,2258 | 4,2929 | 35,126
= 3,9623 | 48,623
I. Aortensklerose | 5,984 | 0,6582 | 0,6578
II. Lipoidnephrose | 12,224 | 1,2534 | 1,0276
III. Magencarcinom | 8,1675 | 0,703 | 0,692
mit Icterus
Bei Gesunden und Kranken ohne gesteigerten Blutuntergang bewegt
sich die Jodzahl, auf 1000 g Blutkörperchen bezogen, zwischen 2,2 und 4,2
bzw. wenn wir sie auf 100 Teile Gesamtfett beziehen, zwischen 35—48.
Die roten Blutkörperchen erweisen sich frei von gebundenem Cholesterin.
Nur bei dem Fall von Lipoidnephrose finden sich wägbare Mengen von
Cholesterinestern, wohl ein Ausdruck dafür, daß auch die roten Blut-
körperchen an dem für die Lipoidnephrose charakteristischen infiltrativen
Prozeß mit Cholesterinestern teilnehmen (Aschoff, Kawamura, Wind-
1) Bezüglich Einzelheiten dieser Methode sei auf unsere Arbeit im
Deutschen Archiv f. klin. Med. Bd. 13%, Heft 3/4. 1920 verwiesen.
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 225
a us). Auch das Rohfett der Blutkörperchen bei der Lipoidnephrose ist
ganz beträchtlich über die Normalwerte hinaus gesteigert. Zwischen
Gesamtfett und ungesättigten Fettsäuren besteht ein gewisser Parallelis-
mus, indem mit dem Anstieg des Gesamtextrakts auch der Gehalt an jod-
bindenden Substanzen wächst. Bei BI und III macht sich außerdem
eine Herabsetzung des Cholesteringehaltes der Erythrocyten bemerkbar
(vgl. Rosenthal, Rosenthal und Patrzek).
Die folgende Tabelle gibt die Jodzahl und die Bindungsverhältnisse
des Cholesterins im Serum Gesunder und Kranker ohne Alteration des
hämatopoetischen Apparates wieder:
Tabelle II.
1000 g Serum bei Gesunden und Kranken ohne Anämie enthalten:
|. \,а| ala |238l88 35
| +2 ke em — 5 E? — SS Ф
кп fr 38 8 „ CREE? | Be
| 2S S S ls |555). Зы
15° 19217618 |21328 |38
1. Gesund 7,203 1.438 | 0,516 Ä 0,922 | 1:1,8 |2,6734| 37,132
I. Aortensklerose | 8,969 | 1,906 | 0,594 1.312 1:2,2 |4,2401| 47,269
II. Lipoidnephrose || 28,950 i 5,234 | 1,843 | 3,391 | 1:1,8 |9,8661| 34,082
Ш. Magencarcinom || 17,345 | 2,895 2,041 | 0,854 | 24:1 6,3154 36,401
mit Icterus |
Im Serum Gesunder und Kranker ohne wesentliche Alteration des
hämatopoetischen Apparates schwankt nach unseren Befunden die Jod-
zahl, auf 1000 р Serum bezogen, zwischen 2,6 und 9,8. Diese erheblichen
Schwankungen hängen eng mit dem Gesamtfettgehalt des Serums zu-
sammen, der bei der Lipoidnephrose und bei dem von uns untersuchten
Magencarcinom mit Icterus mindestens das 4- bzw. 2fache der Norm
beträgt. (Vgl. Bürger und Beumer, eigene Untersuchungen.) Auch hier
tritt also wie bei den Erythrocyten ein engerer Zusammenhang zwischen
der Menge des Gesamtfettes und der Menge der in ihm enthaltenen un-
gesättigten Fettsäuren in die Erscheinung. Mit der Zunahme des Gesamt-
fettes im Serum steigt auch anscheinend im allgemeinen entsprechend
die Menge der jodbindenden Substanzen. So erklärt es sich, daß die
Jodzahl, auf 100 Teile Fett bezogen, nur geringen Schwankungen zwischen
34—37—47 unterliegt.
Bemerkenswert ist der hohe Fettgehalt des ikterischen Serums, auf
den schon von Becquerel und Rodier, in neuerer Zeit besonders von
Bürger und Beumer hingewiesen worden ist. Es handelt sich hier um
eine cholämische Lipämie, bei der das Serum klar und durchsichtig bleibt
und nicht das milchige Aussehen der diabetischen und der nephrotischen
Lipämie zeigt. Bezüglich der Genese dieser Lipämie beim Icterus, die
angesichts der gestörten Fettresorption bei Gallenverschluß auffällig ist,
sei im einzelnen auf die Ausführungen von Bürger und Beumer ver-
226 F. Rosenthal and P. Holzer:
wiesen. Der Quotient Cholesterin : Cholesterinester beträgt enteprechend
auch anderen Erfahrungen durchschnittlich 1:2, beim Stauungsicterus
verschiebt er sich zugunsten des freien Cholesterins, worauf auch von
Bürger und Beumer, Bang, Grigaut u.a. hingewiesen worden ist.
Nach Festlegung dieser Werte in Erythrocyten und im Serum geben
wir in der folgenden Tabelle unsere Versuchsergebnisse bei schweren
anämischen Krankheitszuständen wieder:
Tabelle III.
1000 g Erythrocyten enthalten bei:
| Gesamt- Е Freies | Chole- | Jodzahl | Jodzahl
Krankheit |Gesanit chole- ; Chole- | sterin- | für fur 110 f
extrakt | sterin sterin | ester mn gE Fett E Fett
1. 1. Perniziöse Anämie 0,5348 т 29438 40.827
2. Perniziöse Anämie 0, 8065 — 1,4181 | 24,451
3. Carcinomanämie 0.2658 — 11 45,619
4. Hamolyt. Icterus
5. Splenomegalie
(Fibroadenie)
6. Norma
bzw. Kranke ohne
Anämie
0,7877 | Spuren
Überblicken wir das Ergebnis dieser Analysen, so treffen
wir zunächst in unseren beiden Fällen von schwerer perniziöser
Anämie keine Steigerung der Jodzahl in den Erythrocyten an.
Wir können hieraus den Schluß ziehen, daß im Widerspruch mit
der experimentellen Begründung der Ölsäuretheorie (Schminke
und Flury) die roten Blutkörperchen der Perniciosa sich in ihrem
Gehalt an ungesättigten Fettsäuren nicht von normalen Blut-
körperchen unterscheiden. Mit dieser Feststellung steht auch
unser weiterer Befund, der mit gleichsinnigen Ergebnissen von
Bürger und Beumer übereinstimmt, in gutem Einklang, daß
in unseren beiden Perniciosa-Fällen Cholesterinester in den
Erythrocyten, wie wir sie nach den experimentellen Beobach-
tungen von Schminke und Flury — ihre Richtigkeit voraus-
gesetzt — als Ausdruck der Bindung von Ölsäure an das Chole-
sterin der Blutkörperchen eigentlich erwarten müßten, nicht
vorhanden sind.
Auch in den Blutkörperchen der von uns untersuchten
Krebsanämie haben wir keine Cholesterinester gefunden, was im
Hinblick auf die Befunde von Grafe und Böhmer über das
Vorkommen hämolysierender Substanzen vom Typus unge-
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszustanden. 227
sättigter Fettsäuren in zerfallenden Carcinomen von Interesse ist.
Auch die Jodzahl war gegenüber den Zahlen der Tabelle I nicht
erhöht. Wir haben also auch bei den Carcinomanämien keinen
Anhaltspunkt dafür, daß der toxische Blutzerfall etwa in Ana-
logie zu den Befunden von Schminke und Flury bei der ex-
perimentellen Ölsäureanämie durch eine gesteigerte Aufnahme
von Ölsäure in die Erythrocyten zustandekommt.
Den Befunden bei den roten Blutkörperchen bei der Per:
niciosa und der Carcinomanämie steht das Ergebnis gegenüber,
daß wir bei dem von uns untersuchten hämolytischen Icterus
und bei der Splenomegalie mit Anämie einen sehr hohen Grenz-
wert, bzw. eine Vermehrung der jodbindenden Substanzen im Ge-
samtextrakt von 1000 g Erythrocyten gegenüber nichtanämischen
Krankheitsprozessen festgestellt haben. Es kreisen somit in diesen
beiden Fällen rote Blutkörperchen in der Zirkulation, die durch
einen beträchtlichen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren gegen-
über normalen Erythrocyten ausgezeichnet sind, und die auch
Cholesterinester teils in Spuren, teils in mäßigen Mengen ent-
balten.
Bevor wir in eine Diskussion der Frage eintreten, inwieweit
die hier erhobenen Befunde doch im Sinne einer Beteiligung un-
gesättigter Fettsäuren bei der Pathogenese mancher anämischer
Krankheitsprozesse zu verwerten sind, seien noch unsere Resultate
beim Serum der gleichen Krankheitsfälle besprochen.
Tabelle IV.
1000 g Serum enthalten bei:
a L u _ 8
AE e S 3883 ZE ЕЕ
f ES | e 28 ©| 2 —
Krankheit са са |р 1235| 2 |5
Se Fels] sis Sp S
S2 MS O8 355 58 88
— A Фо 5 F- © |
ОЕ BE ee мй
1. Perniziöse Anämie 5,569 1,420
2. Perniziöse Anämie 4,047 !0,771 44,664
3. Carcinomanimie | 7,509 1, 415 37,016
4, Hamolyt. Icterus 3, 151 0, 5686 | 0, 2680 | 0, 2041 48,122
5. Splenomegalie 5, 162 81.934
10171
Fibroadenie)
. Norm
bzw. Kranke ohne
Anämie |
228 F. Rosenthal und P. Holzer:
In keinem der hier untersuchten Fälle haben sich die Ver-
teilungsverhältnisse des Cholesterins im Serum zugunsten der
Cholesterinester verschoben; bei der Carcinomanämie hat sogar
im Gegenteil eine starke absolute und prozentuale Abnahme
der Cholesterinester stattgefunden. Auch die Jodzahl ist im Serum
nirgends über die Werte hinaus gesteigert, wie wir sie bei Ge-
sunden bzw. bei nicht anämischen Kranken kennen. Nur bei
der Splenomegalie mit Banti-Symptomenkomplex erreicht die
Jodzahl, auf 100 Teile Fett berechnet, einen Wert, der etark über
die normalen Jodzahlen hinauswächst. DaB es sich aber hierbei
offenbar nicht um eine absolute, sondern nur um eine prozentuale
Vermehrung der Fettsäuren handelt, beweist die Jodzahl, auf
1000 g Serum bezogen, die nicht über Werte hinausragt, wie
wir sie auch in Tabelle II bei Kranken ohne besondere Alteration
des hämatopoetischen Apparates beobachtet haben.
Fassen wir unsere Ergebnisse über die Beziehungen zwischen
anämischen Krankheitsprozessen und Jodzahl und Bindungsform
des Cholesterins im Blute zusammen, so können wir die Angabe
von Eppinger, King und Medak nicht bestätigen, daß ein
Parallelismus zwischen hoher Jodzahl und hämolytischen Pro-
zessen besteht, und daß die Blutzusammensetzung hinsichtlich
der jodbindenden Substanzen, des Gehaltes an Cholesterinestern
ein Bild über den momentanen Stand des Krankheitsprozesses,
soweit er den hämatopoetischen Apparat tangiert, zu bieten im-
stande ist. Sehen wir von unseren Befunden an den Erythro-
cyten des hämolytischen Icterus und der Splenomegalie mit Banti-
Komplex vorläufig ab, so konnten wir bei keiner der von uns
untersuchten Bluterkrankungen weder in den Blutkörperchen noch
im Serum charakteristische Veränderungen der Bindungsart des
Cholesterins und des quantitativen Gehaltes an ungesättigten Fett-
säuren im Sinne von Eppinger-King-Medak nachweisen. Es
gilt dies nach unseren Untersuchungen ganz besonders von der
perniziösen Anämie, die ja auch morphologisch zur Botriocephalus-
anämie die weitgehendsten Ähnlichkeiten bietet, und bei der im
Hinblick auf die Anschauungen von Tallquist und Faust am
ehesten mit einem gesteigerten Auftreten von ungesättigten Fett-
säuren in der Zirkulation und einer Vermehrung der Cholesterin-
ester zu rechnen gewesen wäre. —
Unsere Feststellung eines beträchtlichen Gehaltes an jod-
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 299
bindenden Substanzen in den Erythrocyten des hämolytischen
Icterus und der Splenomegalie mit Arämie stellt uns vor die Frage,
inwieweit nicht wenigstens bei diesen Bluterkrankungen eine
engere Beziehung zwischen Jodzahl und Krankheitsprozeß besteht.
Eine experimentelle Beantwortung dieser Frage läßt sich
unserer Ansicht nach mittels der therapeutischen Milzexstirpation
bei diesen Fällen führen. Sofern nämlich ein enger Zusammen-
hang zwischen Blutuntergang und Jodzahl des Blutes besteht,
wird mit dem Einsetzen der manifesten klinischen Besserungen,
wie sie im Gefolge der Splenektomie bei hämolytischen Anämien
bekanntlich auftreten, ein deutliches Absinken der Jodzahl im
Blute zu erwarten sein. Tritt eine wesentliche Besserung des
Blutbildes ein, ohne daß wesentliche Veränderungen im Gehalt
des Blutes an ungesättigten Fettsäuren vor sich gehen, so darf
hieraus der Schluß gezogen werden, daß auch in diesen Fällen
die hohe Jodzahl in den Erythrocyten nur ein akzidentelles Sym-
ptom darstellt, das in keinem Parallelismus zu der Intensität des
toxischen Blutzerfalls steht.
Wir berichten zunächst über den Einfluß der Milzexstirpation
auf die Blutkörperchen bei dem Falle von hämolytischem Icterus
Minkowski-Chauffard.
Tabelle V.
1000 g Erythrocyten beim hämolytischen Icterus enthalten:
= : 22 — чә
2E 2 | 2 „ p3 38 38
БУХ „„ „„ 55] 3 |=
5 . 3325 S 35 BS 88 8
S ое |mo | 8 = 38 зә
© S 2 A | = Me S | ò
be Q © Fa er Ba
Vor der Splenek- 7,722 | 0,8020 0, 7877 Spuren | 2 720 000 | 4,1935 | 54,320
tomie
16 Tage nach der | 7,608 0, 7405 | 0,6746 | 0,0659 | 5 220 000 | 2,8758 | 37,785
Splenektomie
26 Tage nach der | 9,942 1, 1880 | 1,1523 | Spuren | 5 644 000 | 5,5724 | 56,062
Splenektomie
Wir sehen nach der Splenektomie zunächst in der Tat ein Absinken
der Jodzahl im Blutkörperchenfett, 26 Tage post operationem sind aber
bereits wieder ähnliche Jodzahlen wie vor der Operation erreicht, obwohl
die manifeste klinische Besserung anhält, die Zahl der roten Blutkörperchen
von 2 720 000 auf 5 644 000 angestiegen ist und die osmotische Resistenz
sich erheblich gebessert hat. Es bestehen somit keinerlei gesetzmäßige
Beziehungen zwischen Blutbefund und dem Gehalt der Erythrocyten an
230 F. Rosenthal und P. Holzer:
ungesättigten Fettsäuren, und die gleiche Unabhängigkeit des allgemeinen
Blutstatus von der Menge der ungesättigten Fettsäuren tritt auch beim
Serum dieses Falles deutlich in die Erscheinung.
Tabelle VI.
1000 g Serum beim hämolytischen Icterus enthalten:
д ` L I u u B
eel ak E |E =з& Se EE
a| EL os | Sp ad 8 © | aa Ё
8 2 = 8 њо 83838328
2 5 5 £2 D Ф© E bo 4 to
S Os | шо | 8 8.8 3 8
S S 33 38 |38
© © S EE 22 Fa e
Vor See Splenek- || 3,757 | 0,5686 | 0,2680 | 0,2041 | 1:1,6 1,8091 | 48,122
16 me nach der 4,508 | 0,9025 | 0,2550 0,6475 1:2,5 | 2,7891 | 61,984
Spl enektomie |
26 Tage nach der | 5,864 | 1,6575 | 0,4625 1,195 | 1:2,6 24782 42,291
Splenektomie
Hier sehen wir trotz der klinischen eklatanten Besserung 16 Tage
nach der Splenektomie sogar einen Anstieg der Jodzahl im Serum; sie fällt
zwar 26 Tage nach der Operation ab, hilt sich aber trotz der fortechreiten-
den Genesung auf der Höhe der Werte vor der Splenektomie, obwohl die
ursprüngliche Anämie nach der Milzexstirpation einer deutlichen Hyper-
globulie gewichen ist. Es wird somit nach der Splenektomie beim hämo-
lytischen Ikterus trotz erstaunlicher Besserung des Allgemeinbefindens,
trotz Schwindens der Anämie und des Ikterus der Gehalt des Blutes an
ungesättigten Fettsäuren nicht ostentativ im Sinne eines kritischen Ab-
falles beeinflußt.
Ein hiermit prinzipiell übereinstimmendes Ergebnis erhielten wir bei
dem vor und nach der Milzexstirpation untersuchten Fall von Splenomegalie
mit Fibroadenie. |
Tabelle VII.
1000 g Erythrocyten enthalten:
Gesamt- Gesamt- Jodzahl für
extrakt cholesterin 1000 g E
vor derSplenektomie . . . . | 11,741 | 1,5494 | 6,0038
16 Tage nach der Splenektomie 8,155 1,4329 6,9841
1000 g Serum enthalten:
Gesamt- Gesamt- | Jodzahl für
extrakt cholesterin | 1000 g Serum
Vor der Splenektomie . . . 5,162 | 0,577 | 5,2188
16 Tage nach der Splenektomie 9,137 1,308 4,8753
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 231
Wir können somit die von Eppinger und King im Tier-
experiment erhobenen Befunde, daß nach Milzexstirpation die
Menge der ungesättigten Fettsäuren im Blut auf ein Minimum
reduziert wird, beim kranken Menschen nicht bestätigen.
In beiden Fällen von Splenektomie steigt in Übereinstimmung
mit den tierexperimentellen Befunden von King, Soper und
den Ergebnissen von Medak der Gesamtfett- und Gesamtchole-
steringehalt im Blute deutlich an. —
Es bleibt noch die von Meyerstein, Lewin, Eppinger
und Medak im Hinblick auf den therapeutischen Erfolg der
Splenektomie aufgeworfene Frage zu diskutieren, ob nicht dem
gesteigerten Blutuntergang eine krankhafte gesteigerte Bildung
von ungesättigten Fettsäuren in der Milz zugrunde liegt, wobei
theoretisch die Möglichkeit zuzugeben ist, daß es nicht immer
zu einer Ausschwemmung dieser Substanzen in das periphere Blut
zu kommen braucht. Auch diese Hypothese hält, wie die folgenden
Milzanalysen beweisen, vor den Tatsachen nicht stand.
Tabelle VIII.
.1000 g Milz enthalten:
Џ ka N
ax 251.515, 93) =2
Untersuchte Milzen ck 9 8 8 5 23 5 ы аы
S SS S S 88 88
© O10 е 2
| 5,097 | 48,735
1. Apoplexie...... — d
ER д. Myodegen. cord. — 18,9854 49,667
ЕЕЕ 3. Lipoidnephrose.. . — 20,836 | 44,462
= °<| 4. Magencarcinom mit
@ Ikterus........ 16,766 | 41,533
5 | 1. Perniziöse Anämie 2,591 | 2,586 | — | 7,7301| 40,908
8553| П. Perniziöse Anämie 1,954 1,949 — | 5,6144 46,397
FE III. Himolytischer
g 58 Ikterus...... 3,027 | 0,940 | 2,087 8,2360 35,473
34 “| IV. Carcinomanänie . 3,255 | 3,250; — 111,4823| 57,646
Der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren in der Milz bei schweren
menschlichen Anämien ist nach unseren Befunden gegenüber normalen
Milzen nicht nur nicht erhöht, sondern, bezogen auf gleiche Gewichte-
mengen des Organs, sogar durchweg erheblich vermindert. Es dürfte sich
hierbei, worauf auch die starke Herabsetzung des Gesamtfettes hinweist,
um ein unspezifisches Inanitionssymptom handeln, wie es auch von Feigl
bei der Ödemkrankheit beschrieben worden ist. Dem starken Fettschwund
232 F. Rosenthal und P. Holzer:
geht nicht eine entsprechende Verminderung des Cholesteringehaltes
parallel. Wir finden hier ähnliche Verhältnisse vor, wie sie von Bürger
und Beumer beim Knochenmark erhoben worden sind, das gleichfalls
bei hochgradiger Fettverarmung des Körpers seine Cholesterinbestände als
integrierenden Bestandteil nach Möglichkeit zu wahren sucht.
Auf die in der Milz beim hämolytischen Ikterus in größeren Mengen
vorhandenen Cholesterinester möchten wir kein großes Gewicht legen.
Während sämtliche Milzen erst nach 16—20 Stunden post mortem ge-
wonnen wurden, gelangte die Milz dieses Falles unmittelbar nach der Heraus-
nahme ganz frisch zur Verarbeitung. Es besteht daher die Möglichkeit,
daß eine Spaltung der ursprünglich vorhandenen Cholesterinester durch
das von Röhmann entdeckte und von Schulz und Cytronberg näher
studierte esterspaltende Ferment, die sog. Cholesterase, stattgefunden hat.
Allgemein kann man auf Grund der oben geschilderten Er-
gebnisse somit sagen, daß eine gesteigerte Bildung von ungesättig-
ten Fettsäuren in der Milz bei anämischen Krankheitszuständen
verschiedenartigster Ätiologie sich nicht nachweisen läßt.
Wir kommen somit zu dem Gesamtergebnis, daß entgegen
den Befunden von Eppinger- King -Medak und in Überein-
stimmung mit den entgegengesetzten kurzen Angaben Feigls
die chemische Struktur des Blutes bei schweren anämischen
Krankheitsprozessen des Menschen hinsichtlich Jodzahl, hin-
sichtlich Cholesterin und Cholesterinester keine charakte-
ristischen Abweichungen gegenüber der Zusammensetzung des
Blutes bei nichtanämischen Zuständen darbietet und daß ein
ostentativer Einfluß der Splenektomie auf die Jodzahl im Blute
beim Menschen vermißt wird.
Es mag vielleicht nicht überflüssig sein, darauf hinzuweisen,
daß eine Ablehnung der Befunde von Eppinger- King - Medak
noch nicht ohne weiteres eine Ablehnung der pathogenetischen
Bedeutung der ungesättigten Fettsäuren bei der Genese der
schweren anämischen Krankheitszustände des Menschen in sich
schließt. Es besteht die Möglichkeit, daß sich innerhalb des
Komplexes der jodbindenden Substanzen im Blute nicht quanti-
tative Veränderungen abspielen, wie sie Schminke und Flury
auf Grund ihrer (von Beumer bezweifelten) experimentellen
Beobachtungen am ölsäurevergifteten Hund postulieren, sondern
daß der Entstehungsmechanismus der schweren Anämien mit
qualitativen, spezifischen Abartungen der ungesättigten Fett-
säuren zusammenhängt, die wir mit dem Kollektivbegriff der
Jodzahl einzeln nicht erfassen. Es kommt dazu, daß diese Ver-
Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 233
schiebungen sich nicht in der Zirkulation, sondern nur in den
Organen und auch hier vielleicht nur in bestimmten Organen voll-
ziehen können, und daß zur schweren Schädigung der Erythro-
cyten vielleicht schon eine lockere, vorübergehende Bindung
der hämolytischen Lipoidsubstanzen an die Blutkörperchen aus-
reicht. Es ist schließlich zu berücksichtigen, daß mit der Eiweiß-
und Cholesterinverarmung des Blutes, wie sie sich im Verlaufe
schwerer Anämien einstellt, die Schutzkraft des Serums gegen die
hämolytische Wirkung der ungesättigten Fettsäuren sinkt, und
daß damit auch eine sekundäre Beteiligung jodbindender Fett-
säuren am Zerstörungsprozeß der Blutkörperchen auch ohne
quantitative und qualitative Verschiebung in den Bereich der
Möglichkeit rückt. к |
Ae
Zusammenfassung.
1. Entgegen den Befunden von Eppinger- King - Medak
bietet die chemische Struktur des Blutes bei schweren anämischen
Krankheitszuständen hinsichtlich Cholesterin, Cholesterinester
and Jodzahl keine charakteristischen Abweichungen gegenüber
der Zusammensetzung des Blutes bei nichtanämischen Zu-
ständen.
2. Nach der Splenektomie beim Menschen wird trotz wesent-
licher Besserung des Blutbefundes der Gehalt der Blutkörperchen
und des Serums an ungesättigten Fettsäuren nicht ostentativ
im Sinne eines kritischen Abfalles beeinflußt. Die Jodzahl im
Blute steht in keinem Parallelismus zu der Intensität des toxischen
Blutzerfalles. {
3. Nach der Splenektomie beim Menschen steigt ent-
sprechend den Erfahrungen im Tierexperiment (Eppinger,
Soper) der Gesamtfett- und Gesamtcholesteringehalt im Blute
deutlich an. Diese Zunahme des Fett- und Cholesteringehaltes
betrifft konstant das Serum, kann aber auch bei den Erythro-
cyten in die Erscheinung treten.
4. In der Milz bei schweren menschlichen Anämien sind
jodbindende Fettsäuren nicht in vermehrter Menge vorhanden.
5. Die roten Blutkörperchen bei perniziösen Anämien sind
in Übereinstimmung mit Bürger und Beumer im Gegensatz
zu den Befunden von Schminke und Flury bei der experimen-
tellen Ölsäureanämie frei von Cholesterinestern.
Biochemische Zeitschrift Band 108. 16
934 F. Rosenthal und P. Holzer: Chemie des Blutes usw.
6. Dem starken Fettschwunde in der Milz bei schweren
Anämien geht nicht eine entsprechende Verminderung des
Cholesteringehaltes parallel.
7. Bei der Lipoidnephrose können die roten Blutkörperchen
an dem charakteristischen infiltrativen Prozeß mit Cholesterin-
estern teilnehmen. An der Cholesterinämie im Serum sind freies
und gebundenes Cholesterin in normalem Verhältnis beteiligt.
Literatur.
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Bürger und Beumer. — Beumer, diese Zeitschr. 95, 237. 1919. —
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Berl. klin. Wochenschr. 1913, Nr. 33, S. 1509. — Feigl, diese Zeitschr.
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Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 7. 1909. — Kawamura, Die
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Patrzek, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 34, S. 793. — Soper, Zieglers
Beiträge z. allg. Path. u. pathol. Anat. 60, 232. 1915. — Tallquist und
Faust, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 57, Heft 5—6; Münch.
med. Wochenschr. 1909, Nr. 1.
a = „к==р © le ——
Untersuchungen tiber den Gang der alkoholischen
Garung der Hefe.
Von
Erich Köhler.
(Aus dem botan. Laboratorium der Hochschule Weibenstephan )
(Vorläufige Mitteilung.)
(Eingegangen am 27. Mas 1920.)
Mit 6 Abbildungen im Text.
Einleitung.
In einer kürzlich erschienenen Abhandlung!) hat Verfasser
über Versuche berichtet, die das Verhalten wachsender Hefe
zum Gegenstand hatten. Es wurde u.a. gezeigt, daß die Pro-
zesse des Wachstums und der Gärung nicht stetig verlaufen,
sondern in Abhängigkeit von Konzentrationsveränderungen im
Nährsubstrat weitgehenden Schwankungen unterliegen. Weiter
wurde nachgewiesen, daß dem Äthylalkohol jedenfalls ein we-
sentlicher Anteil am Auftreten und dem Verlauf der Schwan-
kungen zugesprochen werden muß. Es wurde in jener Abhand-
lung die Frage offengelassen, ob die bei der Gärung wachsender
Hefe nachgewiesenen Schwankungen der CO,-Produktion ledig-
lich eine Folge seien der Schwankungen des Wachstums, m. a. W.,
ob die CO,-Produktion mit dem Wachstum durchaus parallel
gehe, oder ob die Gärung an und für sich schon unregelmäßig
verlaufe. Die im folgenden mitgeteilten Versuche an nicht
wachsender Hefe bringen die Antwort auf diese Frage.
Zur Literatur.
Buchner und Hahn?) beschreiben einen Gärungsver-
such mit nicht wachsender Hefe und äußern sich über die
1) Erich Köhler, Diese Zeitschr. 106, 194. 1920.
2) Eduard Buchner, Hans Buchner u. Martin Hahn, Die
Zymasegärung. München u. Berlin 1903, S. 152.
16*
236 E. Köhler:
dabei in Erscheinung getretenen Unregelmäßigkeiten der CO,-
Produktion bei verschiedener Zuckerkonzentration: „Die nach
4 und nach 81/, Stunden erhaltenen Kohlendioxydzahlen
schwanken ziemlich und lassen eine Gesetzmäßigkeit nicht er-
kennen, da die Unterschiede wahrscheinlich innerhalb der Fehler-
grenzen liegen. Es wurden deshalb noch genauere Versuche mit
je 2 Parallelversuchen angestellt.“ In diesen ‚genaueren‘ Ver-
suchen — eine besondere Methode wird nicht angegeben — sind
nun merkwürdigerweise die Schwankungen verschwunden: ein
— 22 — — —
Abb. 1.
mir ganz unerklärliches Ergebnis. Auch Rubner!) beschreibt
einen Versuch, bei welchem dieselbe Hefemenge in Zucker-
lösungen von verschiedener Konzentration ausgesät wurde.
Er stellt in einer Tabelle die Mittelwerte einer „sehr großen An-
zahl“ von Versuchen zusammen. Zum Verständnis des Folgen-
den müssen wir darauf näher eingehen. Um gleich anschaulich
zu machen, auf was es ankommt, übertrage ich die bei den Kon-
zentrationen von 5,25, 2,6 und 1, 25% Zucker in den letzten Stunden
1) Max Rubner, Die Ernährungsphysiologie der Hefezelle bei alko-
holischer Gärung. Leipzig 1913, S. 105 u. ff.
Gang der alkoholischen Gurung. | 237
erhaltenen Werte der Rubnerschen Tabelle in ein Koordinaten-
system. (Abb. 1.) Man ersieht daraus sofort, daß die Gärungs-
energie großen Schwankungen unterworfen ist, daß sich in diesen
Schwankungen Gesetzmäßigkeiten ausdrücken müssen, die uns
bis jetzt unbekannt geblieben sind. Rubner geht den Schwan-
kungen nicht weiter nach. Er findet enorme Unterschiede der
Zerlegungskraft bei den verschiedenen Zuckerkonzentrationen
und äußert sich hinsichtlich der Geschwindigkeit der Zerlegung,
daß sich aus (den gefundenen) Zeiten offenbar bestimmte An-
gaben über Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs überhaupt nicht
ableiten lassen. Daß letzteres doch . möglich ist, werden die fol-
genden Versuche zeigen.
Methodik.
Der zeitliche Verlauf der Gärung ist, 80 eigentümlich das
klingt, noch nicht einmal in seinen groBen Ziigen untersucht.
Das liegt wohl mit an der Unvollkommenheit der Methoden.
Es galt im folgenden, die bei der Gärung auftretenden, gering-
sten Schwankungen zu erfassen. Dazu waren die bisher allein
gebräuchlichen Methoden der Wägung, der CO,- Volumen-Messung
und der calorimetrischen Methode (Rubner) nicht hinreichend.
Denn durch diese Methoden wurden die Summen derjenigen
Werte gewonnen, auf die es uns im einzelnen ankam. Zur Ver-
folgung des zeitlichen Verlaufs wurde die aus dem Kulturgefäß
entweichende Kohlensäure durch eine Flüssigkeit geleitet und
die dabei auftretenden Gasblasen gezählt. Geringe Schwankungen
in der Intensität der Gärung machen sich durch die Zahl der in
der Zeiteinheit passierenden Gasblasen bemerkbar. Als geeignete
Gefäße erwiesen sich 100-ccm-Pasteur-Kolben, deren Lüftungs-
rohr nach unten umgebogen und in die Flüssigkeit — als beson-
ders günstig erwies sich mit Berücksichtigung der Oberflächen-
spannung der Alkohol — getaucht wurde.
Versuch.
Je 100 ccm einer 5, 10, 15 und 20 proz. wässerigen Dextrose-
lösung wurde die gleiche Menge (Weihenstephaner Betriebs-)
Hefe zugesetzt und diese Aufschlämmungen in 4 Pasteurkolben
eingefüllt. Die Temperatur betrug 13°. Die Messungen, bei
Kolben I beginnend, wurden alle 10 Minuten vorgenommen,
238 | | E. Köhler:
indem die Zahl der in 1 Minute auftretenden Blasen gezählt
wurde. Die folgende Tabelle gibt die dabei gefundenen Werte
(siehe Tabelle I). Über den weiteren Verlauf gibt Abb. 2 Auf-
schluß.
Tabelle І.
Zahl der in 1 Minute gezählten Gasblasen.
Zeit Oo | pT | Rete ЫЕ А I Kolben II | Kolben IH Kolben IV
Oo | pT | Rete ЫЕ А 10% 15% ШЕ. 20% Dextrose
8d 30’ 13 6 3 ЕЕ 0
gb 40’ 17 11 8 0
85 50’ 22 14 9 | 0
95 00’ 22 18 13 3
95 10’ 22 21 17 7
9һ 20 18 21 | 20 9
95 30’ 13 29 | 23 9
ob 40’ 10 29 | 23 11
9% 50’ 10 23 26 13
102 00’ 9 23 | 26 14
105 10’ 9 20 | 28 15
102 20’ 9 17 30 17
10» 30’ 10 17 30 17
10% 40’ 11 17 31 19
105 50’ 11 16 33 19
1100’ 10 16 35 20
118 10’ 12 16 | 31 22
112 20’ 13 17 | 29 26
11530’ 13 17 27 27
11h 40’ 12 19 | 33 27
115 50° 14 18 31 28
1200’ 15 19 | 34 30
12» 10’ 16 20 | 35 31
125 20 16 21 33 32
12h 30’ | 18 21 34 35
12h 40’ 19 20 34 32
12150 | 18 22 34 36
Wir wollen zuerst den Kurvenverlauf im groBen ansehen
und die kleinen Schwankungen vorerst auBer acht lassen. Die
Gärungsintensität weist zu Beginn eine gleichmäßige Beschleuni-
gung auf, wie aus der Geradlinigkeit der Kurvenanfänge hervor-
geht. Dabei ist es interessant, daß letztere bei I bis III parallel
gehen, daß also diese Beschleunigung denselben Wert hat, wo-
gegen bei IV dieser Wert geringer ist. I bis IV unterscheiden sich
aber sämtlich dadurch voneinander, daß die gleiche Intensität
der Gärung in Abhängigkeit von der Zuckerkonzentration
nicht gleichzeitig erreicht wird. Der Einsatz der Gärung
ist verschieden. Dabei wirkt die stärkere Zuckerkonzentration
Gang der alkoholischen Gärung. 239
verzögernd. Kurve IV steigt nicht so steil an wie die an-
deren. Die durchschnittliche Beschleunigung ist geringer. Dieser
langsame Verlauf hat auch zur Folge, daß die kleinen Schwan-
kungen, die sich bei I—III kaum in Andeutungen zeigen, hier
deutlicher ins Auge fallen und das Bild der Gleichmäßigkeit stören,
die hier offenbar ebenso vorhanden ist, wie bei den andern Kurven.
AMohlensäure -blasen
d
HCE
oo
Bei I und II halt sich nach Erreichung einer bestimmten
Höhe die Gärungsintensität annähernd auf dieser Höhe, um
nach einer gewissen Zeit wieder stark nachzulassen. Nach Er-
reichung eines Minimums folgt ein erneuter Anstieg, nicht mit
derselben Geschwindigkeit wie der erste, so daB die ,,kleinen
Schwankungen‘ deutlich hervortreten. Dieser erneute Anstieg
führt auf eine den ersten übertreffende Höhe. Der nun folgende
Abstieg wurde nicht mehr im einzelnen verfolgt. Unter Zuhilfe-
nahme der oben nach den Ergebnissen Rubners konstruierten
Kurven (Abb. 1) läßt sich ein unregelmäßiger Verlauf erkennen.
240 E. Kohler:
Bei den Kurven III und IV (Abb. 2) läßt sich, soweit das Beob-
achtungsmaterial vorliegt, ein Absinken nach dem ersten An-
stieg nicht deutlich erkennen. Es sieht so aus, als ob das Mini-
mum des Abstiegs mit zunehmender Zuckerkonzentration immer
höher rücke, um schließlich ganz zu verschwinden.
Alles in allem zeigt der beschriebene Versuch zur Genüge,
daß die Gärung unregelmäßig verläuft und von der
=| | LA ||
N
а AA аа
ЗД rt —
Konzentration des Zuckers abhängig ist. Es ist ohne
weiteres klar, daß alle Versuche, die angestellt worden
sind, um die Wirkung von irgendwelchen Stoffen auf
die Kynetik der Gärung zu erforschen, einer Revision
unterzogen werden müssen. Es geht nicht an, wie es
häufig geschehen ist, daß man denGärungsversuchineinem
beliebigen Zeitpunkt abbricht und dann feststellt, wie-
vielZucker zerlegt wurde. Man erhält auf diese Weise keine
brauchbaren Vergleichswerte, wie ein Blick auf unsere Abbildung
lehrt. Die in der ersten Stunde entfaltete Intensität gibt keinen
Gang der alkoholischen Gärung. 241
MaBstab ab fiir den weiteren Verlauf. Leider enthalten die oben mit-
geteilten Kurven groBe Lücken, da einem einzelnen Beobachter
eine Verfolgung des Prozesses durch längere Zeiträume unmög-
lich ist. Dem ließe sich durch automatische Registrierung leicht
abhelfen. Es sind Versuche im Gang, die darauf abzielen, ein
Diagramm unmittelbar auf eine sich
drehende berußte Walze zu über-
tragen, wodurch sich eine ununter-
brochene Beobachtung ermöglichen
ließe.
Der Einfluß des Alkohols.
Wir haben bisher die kleinen
Schwingungen unberücksichtigt ge-
lassen, obgleich sie ebenso sicher
vorhanden sind, wie die großen.
Das geht schon aus der Gestaltung
hervor, in der sie sich auf der Kurve
abzeichnen. Man vergleiche ihre
Form bei steilem, geneigtem und
horizontalem allgemeinem Kurven-
verlauf. Es läßt sich vermuten, daß
sie eine Folge sind von Konzen-
trationsänderungen im Substrat und
es liegt der Gedanke nahe, sie mit
der Alkoholproduktion in Verbin-
dung zu bringen. Es hat sich ja in
der angegebenen Arbeit!) heraus-
gestellt, daß durch ganz geringe
Unterschiede im Alkoholgehalt des
Kulturmediums ungeahnte Unterschiede im Wachstum hervor-
gerufen werden können. Die Vermutung, daß der Alkohol auch
die Gärung nicht wachsender Hefe weitgehend beeinflusse, hat sich
als zutreffend erwiesen, Wie die folgenden Versuche zeigen werden.
In 14 Erlenmeyerkolben (100 ccm) wurden je 45 ccm einer
10 proz. Lösung (ungereinigter) Saccharose eingefüllt. Dazu
wurden um 0,1 cem steigende Mengen von 1—2,3 ccm Alkohol
(94 vol.-proz.) zugegeben. Jeder einzelne Kolben wurde sofort
1) Köhler, Le.
242 E. Kohler:
nach Einfüllen von 25 cem einer Hefeaufschlimmung gewogen
mit einer Wage, die zuverlässig Unterschiede von 0,01 g anzeigte.
Genau nach Verlauf von drei Stunden wurde die Wagung wieder-
holt. Die Gewichtsabnahmen (CO, Verlust) sind auf Abb. 3 in
die Ordinaten, die Alkoholmengen in die Abszissen eingetragen.
Nach drei Stunden (Kurve I) befinden sich Optima der Gärung
bei 1, 1,9 und 2,3 ccm Alkohol; Minima bei 1,6 und 2,1 ccm. —
Mit zunehmender Gärgeschwindigkeit rücken die Optima und
Minima näher zusammen, wie aus Kurve II zu ersehen ist. Auf
Kurve II ist die von der 6. bis zur 7. Stunde (seit Beginn
des Versuchs) während der Hauptgärung erfolgte Gewichts-
abnahme festgestellt. Hier beträgt die Gärungsintensität mehr
als das Dreifache des Anfangs. Dabei treten die Optima und
NYNA DUNST I TAI
las Ce TOY ENE IW
EE EE EE
004
07—17 1% 15 19 {5 16 17 18 19 20 17 11 28
com Alkohol (24 Vol %)
Abb. 8.
Minima nicht mehr überall mit gleichmäßiger Deutlichkeit hervor.
Diese Erscheinung hat ihren Grund offenbar darin, daß mit
steigender Alkoholkonzentration ebenfalls Optima und Minima
näher zusammenrücken, wieein Vergleich der beiden Kurven ergibt.
Da durch die bei der Gärung erfolgende Alkoholproduktion
die Alkoholkonzentration dauernd zunimmt, müssen in jeder
Kultur nacheinander die Zeitmomente eintreten, wo sie vorüber-
gehend die gleichen Konzentrationen passiert, die die Kulturen
mit höherer Anfangskonzentration aufgewiesen haben, und dem-
nach müssen auch in jeder Kultur die gleichen Höhen- und
Tiefenpunkte der Gärungsintensität aufeinander folgen. Bei dem
folgenden Versuch wird die Richtigkeit dieser Überlegung dar-
getan. Voraussetzung für das Gelingen des Versuchs ist, daß
man eine Zeitspanne zur Beobachtung auswählt, während welcher
die Gärungsgeschwindigkeit sich annähernd gleichbleibt. Außer-
dem darf die Gärung nicht zu stürmisch verlaufen, weil sonst
Gang der alkoholischen Gärung. 243
die Optima und Minima zu rasch aufeinanderfolgen und das
Bild verzerren. — |
In Abb. 4 sind die in einem Intervall von je einer Stunde
durch Wägung gewonnenen Werte der CO,-Produktion als Kurven
eingetragen. Die einander entsprechenden Höhen- und Tiefen-
punkte sind mit gleichen Buchstaben bezeichnet. Man erkennt
deutlich die mit derZeit vor sich gehende Verschiebung
der ganzen Kurve nach links. (Die Unregelmäßigkeiten
sind auf die schwer-
lich zu vermeiden-
den Fehlerquellen zu-
rückzuführen.) Nach
jeder Stunde ist
die Kurve weiter
nach links ver-
legt. Dies ist eine
direkte Folge der
durch die Gärung
erfolgenden Zu-
nahme der Alko-
holkonzentration.
Jeder bestimm-
ten Alkoholkon-
zentration ent-
spricht eine be-
stimmte Gärungs-
intensität. Im
Verlauf der Gä-
rung wechseln Hemmung und Förderung dauernd
miteinander ab. |
Wie fir den WachstumsprozeB ist nun also auch
für den Gärungsprozeß der Nachweis erbracht, daß er
unter dem Einfluß zunehmender Alkoholkonzen-
tration rhythmisch verläuft. Diese Erscheinung ist von
bedeutendem theoretischem Interesse, da sie sich für das Problem
der Stoffaufnahme in die Zelle höchstwahrscheinlich in frucht-
barer Weise wird verwerten lassen. Weiteres muß der Haupt-
arbeit vorbehalten bleiben.
Abb. 4.
Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol.
Von
E. Salkowski.
(Aus der chemischen Abteilung des pathologischen Instituts der Universitat
Berlin.)
(Eingegangen am 31. Mai 1920.)
In einer kürzlich erschienenen Arbeit!) habe ich ausge-
führt, daß eine Anzahl von Chlorderivaten des Methans, Äthans,
Äthylens imstande ist, Schlachttierblut ohne es, abgesehen vom
Lackfarbenwerden, merklich zu verändern, für längere oder
kürzere Zeit in frischem Zustand zu erhalten, daß sie ferner
bei der Herstellung von Trockenblut in Pulverform — haupt-
sächlich auf diese ging ich bei meinen Versuchen aus — restlos
aus dem Blut verschwinden. Die genannten Chlorderivate haben
aber den großen Nachteil, daß sie äußerst schwer löslich sind
und infolgedessen zur Konservierung anhaltendes und kräftiges
Schütteln des Blutes mit denselben erforderlich ist. Für die
praktische Anwendung ist das ein sehr großer Ubelstand. Glas-
flaschen kommen dabei wohl kaum in Frage, verschlieBbare
Blechgefäße bieten aber zu wenig Garantie für vollständige
Reinigung (um so weniger, als sich doch Gerinnsel bilden können),
die schon bei den üblichen Milchkannen schwierig, aber immerhin
möglich ist, außerdem durch Aufstülpen auf einen AuslaB, aus
dem Dampf ausströmt, vervollständigt zu werden pflegt. Nach
dem, was ich davon gesehen habe, dauert diese Prozedur nur
so kurze Zeit, daß man über ihre Wirksamkeit wohl in Zweifel
sein könnte, wenn diese Zweifel nicht durch die tatsächliche Er-
fahrung widerlegt würden.
Was die Blutkonservierung betrifft, so ist es, abgesehen
von der erwähnten technischen Schwierigkeit, sehr zweifelhaft,
ob das Schütteln ohne einen Schüttelapparat, der bei der Auf-
1) Diese Zeitschr. 107, 191, 1920.
E. Salkowski: Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 945
sammlung kleiner Blutmengen — nur diese kommen hier in Be-
tracht, da das Blut aus Schlachthäusern natürlich frisch verarbeitet
wird — wohl ganz ausgeschlossen erscheint, in ausreichendem Maße
geschehen könnte bzw. würde. Es handelte sich also darum,
eine Substanz zu finden, die folgende Eigenschaften in sich ver-
einigt: 1. sie mußte mit Wasser mischbar, also unbegrenzt lös-
lich sein; 2. in verhältnismäßig geringer Quantität hinreichend
konservierend wirken; 3. das Blut nach keiner Richtung hin
verändern; 4. bei der Herstellung des Blutpulvers vollständig
entweichen; 5. keinen zu hohen Preis haben. Nach einigem
Suchen habe ich eine solche Substanz in dem Allylal-
kohol gefunden, einem ungesättigten Alkohol von der Formel
CH,—CH = CH, O vom Siedepunkt 96,6° und 0,8573 D (bei 15°).
Seine antiseptischen Eigenschaften sind allerdings nur mäßig, wie
folgende Versuche zeigen:
1. 100 ccm einer faulenden Fleischmaceration wurden am 23. VI.
mit 0,5 cem Allylalkohol versetzt, nach 2 Stunden auf Nährgelatine
tibergeimpft. Schon am 25. VI. war die Nährgelatine verflüssigt und
augenscheinlich faulig. Als Desinfektionsmittel ist also Allylalkohol un-
brauchbar.
2. 20ccm Nährgelatine und 180 ccm Wasser wurden in zwei gleiche
Teile geteilt: a und b. Die eine Hälfte wurde mit 0,5ccm Allylalkohol
versetzt, beide Mischungen in offenen Gefäßen leicht bedeckt, der spon-
tanen Infektion ausgesetzt. Schon nach 2 Tagen war a trüb und faulig,
bei b dauerte es 3 Tage länger, jedenfalls aber war von einer dauernden
Konservierung bei dieser Konzentration nicht die Rede.
Für die Konservierung von Blut ergab sich folgendes: 100 ccm Rinder-
blut, am 6. IX. mit 1 ccm = 0,8575 g Allylalkohol versetzt, in einer ver-
korkten Flasche aufbewahrt, war am 15. IX. noch ganz frisch und unver-
ändert. An Proben, die mit 0,7 und 8ccm versetzt waren, war noch nach
5 Wochen keine Veränderung zu konstatieren. Dagegen reichte ein Zusatz
von 0,5 cem auf 100 ccm Blut nur 5—6 Tage aus. Für die Praxis könnte
ein Zusatz von 5—6ccm auf 11 Blut als ausreichend betrachtet werden,
da es sich kaum um mehr als 5—6 Tage zwischen dem Auffangen des Blutes
und der Verarbeitung handeln dürfte; der Anwendung einer etwas größeren
Quantität stände zudem nichts im Wege.
Veränderungen des Blutes traten in der kurzen Zeit der
Aufbewahrung, an der ich Interesse hatte, nicht ein, Ausschei-
dungen wie beim Chloroform wurden nicht beobachtet. Das Blut
wurde lackfarben, allmählich bräunlich bis schwärzlich, der Oxy-
hämoglobinstreifen war unverändert, daneben im Hämatinstreifen
ein Rot sichtbar, jedoch auffallenderweise nicht immer deutlich.
246 E. Salkowski:
Der Allylalkohol ist nun keine ganz harmlose Substanz.
Nach Miessner!) erkranken die mit der Darstellung des Allyl-
alkohols beschäftigten Arbeiter und Chemiker nicht selten unter
influenzaartigen Erscheinungen, selbst vorübergehende Akkom-
modationslähmung ist beobachtet worden. Durch angemessene Vor-
beugungsmaßregeln dürfte sich indessen dieser Übelstand wohl
beseitigen lassen, so daß hieraus der Anwendung des Allylalkohols
keine Schwierigkeit. erwachsen würde, dagegen muß unter diesen
Umständen die Forderung erhoben werden, daß Blut pulver,
welches aus mit Allylalkohol konserviertem Blut dargestellt ist,
ganz oder bis auf bedeutungslose Spuren frei sein muß von
Allylalkohol.
Es handelte sich also darum, ein Verfahren zu finden, das
den Nachweis minimalster Mengen von Allylalkohol ermöglicht.
Zu dem Zweck erschien es mir am nächstliegenden, den Allyl-
alkohol zu Akrolein?) zu oxydieren, für dessen Nachweis wir scharfe
Reaktionen besitzen. Allerdings schließt das Oxydationsverfahren
die Gefahr in sich, daß die Oxydation zu weit geht bis zur Akryl-
säure oder noch darüber hinaus. Wie diese Gefahr zu vermeiden
ist, mußte durch Versuche festgestellt werden, jedenfalls war es
von vornherein klar, daß das Oxydationsmittel nur ein milde
wirkendes sein dürfe.
Eine Vorfrage ist dabei, welche Reaktion man zum Nach-
weis des Akrolein anwenden soll. Als Aldehyd gibt dasselbe
die allgemeinen Aldehydreaktionen namentlich die Reaktion
mit fuchsinschwefliger Säure [Grosse - Bohlesche Lösung)]
und die Reaktion mit ammoniakalischer Silberlösung. Eine sehr
empfindliche und — abgesehen vom Acetaldehyd -- auch spezifische
Reaktion hat L. Lewin?) aufgefunden. Lewin sagt darüber:
„Mischt man auf einem Tiegeldeckel einen Tropfen Piperidin
mit einem Tropfen Nitroprussidnatriumlösung und setzt auch nur
eine Spur Akrolein oder einer Akroleinlösung hinzu, so entsteht je
nach der Menge des Akroleins eine an Intensität verschiedene
1) Miessner, Berl. klin. Wochenschr. 1918, S. 819, zitiert nach
5. Fränkel, Arzneimittelsynthese, 4. Aufl., 8. 110 (1919). Vgl. auch
Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen, 1. Aufl. S. 583 (1898), sowie
L. Lewin, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 43, 366. 1900.
2) Beim Ansäuern mit Salzsäure blau werdend, also nicht wie Acet-
aldehyd, sondera wie Formaldehyd.
3) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 43, 363. 1900.
—
K onservierung von Blut mit Allylalkohol. 247
Blaufärbung von der Nuance des schönsten Enzianblaus, die
durch Zusatz von Eisessig in Blaugrün, durch Ammoniak in Vio-
lett übergeht.“
Eine etwas andere Form der Versuchsanstellung beschreibt Lewin
in den Ber. d. Dtsch. Chem. Gesellsch. 42, 3388. (1900.) Hier heißt es:
„Mischt man Piperidin mit einer Lösung von Nitroprussidnatrium, so ent-
steht auf Zusatz von Akrolein in Substanz oder in Lösung eine enzian-
blaue Färbung. In einer Verdünnung des Akrolein von 1: 100 ist die
Färbung noch intensiv, von 1 : 1000 rein blau, 1 : 2000 deutlich erkenn-
bar, 1: 2500 anfangs grünlich, dann allmählich grünlichblau und bei
1: 3000 ist die Reaktionsgrenze erreicht, die Farbe ist hierbei nur grünlich.“
Es ist noch zu erwähnen, daß nach Lewin auch Acetaldehyd die Reak-
tion gibt, und zwar auch in größerer Verdünnung, schwächer Paraldehyd
und sehr viel schwächer Propionaldehyd; Formaldehyd nicht.
Was die Art der Versuchsanstellung betrifft, so ziehe ich
ein anderes Verfahren vor, indem ich nicht die zu prüfende Flüssig-
keit in ein Gemisch von Nitroprussidnatrium und Piperidin ein-
tropfe, sondern umgekehrt die zu prüfende Flüssigkeit mit Nitro-
prussidnatrium versetze und dann Piperidin eintropfe. Ich ziehe
dieses Verfahren vor, weil bei demselben augenscheinlich eine
größere Quantität des Akroleins in Wirkung tritt. Zu meinen
Versuchen benutzte ich anfangs wässerige Akroleinlösung, die
durch Eintropfen von käuflicher alkoholischer 33 proz. Akrolein-
lösung in das 100fache Wasser und Abfiltrieren von dem unlöslich
Ausgeschiedenen erhalten war, später Oxydationsdestillate des
Allylalkohols.
Ich kann nun noch eine neue Reaktion hinzufügen, die ganz
spezifisch zu sein scheint. Dieselbe schließt sich aufs engste an
die früher von mir beschriebene Art der Reaktionsanstellung
auf Formaldehyd mit Witte-Pepton, Ferrichlorid und Salz-
säure an. Während beim Formaldehyd in etwa 50 000facher
Verdünnung nur anfangs violette, dann tiefblaue Färbung ent-
‚steht, die sich monatelang ohne jede Veränderung hält, gibt
Akroleinlösung eine grasgrüne Färbung, die aber nicht beständig
ist. Die eben erwähnte Akroleinlösung zeigte, 10fach verdünnt,
die Reaktion noch deutlich.
Ich gehe nun zur Mitteilung der Versuche über den Nachweis
des Allylalkohols durch Oxydation über.
Als Oxydationsmittel diente anfangs Salpetersäure und
zum Nachweis des gebildeten Akroleins ammoniakalisch-alka-
248 E. Salkowski:
lische Silberlösung (40 ccm 3 proz. Lösung von Silbernitrat,
10 cem 12,5 proz. Ammoniak, 10 cem Natronlauge 15—-16 proz.).
Lösungen von Allylalkohol 1 proz. (Volumenprozent) verhalten
sich dabei folgendermaßen. Nach Zusatz von etwa !/,, Volumen
Salpetersäure von 1,5 D!) wurde zum Sieden erhitzt, gut abge-
kühlt, mit starker Natronlauge alkalisiert, wieder abgekühlt und
ungefähr das gleiche Volumen der angegebenen alkalischen Silber-
lösung hinzugesetzt; es tritt fast momentan Schwärzung ein, beim
Stehenlassen auch Silberspiegel. Bei Allylalkohollösungen von 0,1%
tritt die Schwärzung allmählich ein. Erhitzen behufs Beförderung
der Reaktion ist unzulässig, denn die angegebene Silberlösung
gibt beim Erhitzen zum Sieden an sich einen Silberspiegel, zu-
nächst an der direkt von der Flamme getroffenen Stelle, all-
mihlich aber breitet sich der Spiegel über die ganze oder fast
die ganze benetzte Fläche aus. Die Silberlösung ist auch bei
Aufbewahrung in einer gelben Flasche nicht haltbar: es bildet
sich allmählich ein Silberspiegel*). Das Verfahren der Oxydation
mit Salpetersäure hat den Vorteil, daß man die Destillation
zur Isolierung des Akroleins erspart, andererseits den Nachteil,
daß man auf die Silberreaktion allein beschränkt ist: weitere
Reaktionen sind in der mit Salpetersäure oxydierten Lösung
nicht mit Sicherheit anzustellen.
Später wurde allgemein die Oxydation mit einer dünnen
Lösung von Kaliumchromat und Schwefelsäure in bestimmten
Konzentrationsverhältnissen angewendet. Über die Brauchbar-
keit dieses Verfahrens wurden folgende Versuche angestellt.
1. 100 ccm Wasser, 1 cem 1 proz. Allylalkohollösung (dem Gewicht
nach 0,857 proz.), 10ccm 5 proz. Dikaliumchromatlösung, 10 ccm ver-
dünnte Schwefelsäure (20 proz.) werden destilliert. Die ersten Anteile
zeigen stechenden Geruch. Es werden im ganzen 50 ccm abdestilliert.
1) So starke Salpetersäure habe ich angewendet, damit die Akrolein-
lösung durch den Zusatz möglichst wenig verdünnt wird.
2) Die Ursache dieser langsam beim Aufbewahren, schnell beim
Erhitzen eintretenden Reduktion muß einstweilen dahingestellt bleiben.
Sie liegt vielleicht in einem geringen Gehalt der käuflichen Natronlauge
an organischer Substanz. Dafür spricht folgendes. Setzt man zu ver-
dünnter, durch ein wenig Kaliumpermanganatlösung rosa gefärbter, im
Sieden befindlicher Schwefelsäure ein wenig Natronlauge, so entfärbt sich
die Mischung sofort. Aus Natrium hergestellte Natronlauge wirkt aber
auch entfärbend, wenn auch nicht so stark; es käme also auch das destil-
lierte Wasser, Verunreinigung durch Staub usw. in Betracht.
Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 249
Das Destillat gibt die Lewinsche Reaktion, reduziert die Silberlösung
fast momentan.
2. 100 ccm Wasser, 0,15ccm Allylalkohol, alle Verhältnisse sonst
ebenso. Das Destillat wurde in 3 Fraktionen aufgefangen zu 10, 25, 25 com.
Das erste Destillat riecht stechend, die folgenden nicht. Alle Destillate geben
die Lewinsche Reaktion und die Silberreduktion in abnehmender Stärke.
Um die Grenzen des Verfahrens kennenzulernen, wurden sukzessiv
verdünntere Allylalkohollösungen angewendet. Es ergab sich, daß bei
Anwendung von 100 ccm einer Lösung von 1: 10000 in den ersten 10 ccm
des Destillats sowohl die Lewinsche Reaktion, als auch die Silberreduktion
noch deutlich vorhanden waren; in einer Verdünnung von 1: 20 000
konnte die Lewinsche Reaktion noch erhalten werden, wenn man die auf
Zusatz von Eisessig eintretende schnell verschwindende Grünfärbung als
beweisend ansieht.
Im weiteren Verlauf wandte ich auch die oben angegebene
neue Reaktion, zum Teil im Vergleich mit der Lewinschen an.
Diese Reaktion schließt sich, wie erwähnt, an die von mir modi-
fizierte Reaktion mit Pepton - Witte, Ferrichlorid und Salzsäure
an, ich habe sie nur insofern etwas abgeändert, als ich statt ½ Vol.
das gleiche Volumen Salzsäure von 1,19 D anwende und meistens
zuerst die Salzsäure, dann erst die Eisenchloridlösung hinzusetze.
Die Quantität dieser muß, wie sich zeigte, der Konzentration des
Akroleins angepaßt werden. In allen Fällen wurde die Reaktion
mit 5 cem des Destillates angestellt
Versetzt man 100 ccm Wasser mit 1 ccm einer 1 proz. Allyl-
alkohollösung (1: 10 000), 10 ccm einer 5 proz. Dikaliumchromat-
lösung und destilliert 50 ccm ab, so enthält das Destillat relativ
reichlich Akrolein, die späteren Anteile des Destillates keine
merkliche Menge mehr, auch nicht nach erneutem Zusatz von
Kaliumchromat und Schwefelsäure. Versetzt man 5ccm dieses
Destillates mit einer kleinen Messerspitze Pepton (etwa 0,8 g),
dem gleichen Volumen Salzsäure von 1,19 D, 4—5 Tropfen der
3proz. Ferrichloridlösung und erhitzt zum Sieden, so tritt nicht,
wie beim Formaldehyd, Violett- und Blaufärbung ein, sondern
intensiv grasgrüne Färbung, die allmählich verblaßt. Auch das
5 fach verdünnte Destillat gibt die Reaktion noch ziemlich inten-
aiv, jedoch nur wenn man die Quantität des Eisenchlorids auf
einen Tropfen beschränkt, die Bemessung des Eisenchloridzu-
satzes ist somit von maßgebender Bedeutung für das Gelingen
der Reaktion. Hierin liegt zweifellos eine gewisse Unsicherheit
der Reaktion, indessen ist diese durch Tast versuche leicht zu
Biochemische Zeitschrift Band 108. 17
250 , Е. Salkowski:
beseitigen. Die Lewinsche Reaktion ist bei dieser Verdünnung
nicht mehr ganz sicher, immerhin tritt bei nachträglichem Zusatz
von Eisessig eine allerdings schnell verschwindende Grünfärbung
ein. Nimmt man an, daß der Allylalkohot vollständig oxydiert
wird, und zwar ausschließlich zu Akrolein und daß dieses restlos
in den 50 ccmDestillat enthalten ist, so entsprechen die 50 ccm
Destillat 0,01 Allylalkohol, bei 5facher Verdünnung 0,002. Der
Nachweis des Allylalkohols läßt sich noch dadurch verfeinern, daß
man nur 10 cem abdestilliert. Als zu 100 ccm Wasser 1 ccm einer
Lösung von 0,001%, hinzugesetzt und unter gleichen Bedingungen
nun 10 cem abdestilliert wurden, gaben 5 cem des Destillates
unter Anwendung von 1 Tropfen Eisenchloridlösung (aus einer
etwas schräggehaltenen Pipette oder einem Tropfglas) noch
eine deutliche grüne Färbung, mit 4—5 Tropfen war eine solche
nicht zu bemerken. Vor der Lewinschen Reaktion hat die be-
schriebene mit Pepton, Salzsäure auf Akrolein den Vorzug, daß
sie mit Acetaldehyd nicht eintritt und von der Formaldehyd-
Reaktion durch die Art der Färbung gänzlich verschieden ist.
Jedenfalls sieht man, daß auch die geringsten Quantitäten Allyl-
alkohol sich durch Oxydation zu Akrolein nachweisen lassen.
Dieses Ergebnis steht nun in eınem auffallenden Widerspruch
mit den Angaben in der Literatur, die ich glücklicherweise nicht
gekannt habe.
Bezüglich der Oxydation mit Salpetersäure heißt es im
Beilstein, 3. Aufl., S. 250: „ .. mit verdünnter Salpetersäure
entsteht Ameisensäure und Oxalsäure (Kekule, Rinne,
Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 6, 387)“, von Akrolein ist nicht die
Rede. Von der Oxydation mit Chromsäure heißt es: ,,Chrom-
säurelösung oxydiert zu Akrolein und Ameisensäure (Rinne,
Tolle as Annalen d. Chemie 159, 110)“. Die Bildung von Akrolein
ist aber nicht einmal unbestritten. Wagner!) sagt in einer Ar-
beit hierüber: „Der Allylalkohol wurde in dieser Richtung (näm-
lich bezüglich der Oxydation) von mehreren Forschern untersucht
und die Angaben fast aller stimmen darin überein, daß bei der
Oxydation mit Chromsäuregemisch als einzig faBbares Produkt
Ameisensäure entsteht, im Anfang der Reaktion jedoch noch
der Geruch nach Akrolein wahrgenommen wird, welches aber auf
keine andere Weise konstatiert wurde.“
1) Ber. d. Dtsch. Chem. Gesellsch. 21, 3351.
Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 251
Was die Oxydation mit Chromsäure betrifft, so haben die
Autoren nicht mit so verdünnten Lösungen gearbeitet, hierin
könnte die Erklärung des Widerspruches liegen. Bezüglich der
Oxydation mit Salpetersäure war die ja allerdings wohl sehr ent-
fernte Möglichkeit vorhanden, daß die beobachtete Silberreduktion
gar nicht von Akrolein, sondern von Ameisensäure abhängt. Zur
Prüfung dieser Möglichkeit — die eigentlich ausgeschlossen er-
scheint, da Ameisensäure nach den. vorliegenden Angaben in
alkalischer Lösung nicht reduziert — wurden kleine Quantitäten
von Ameisensäure mit Natronlauge übersättigt und mit dem
gleichen Volumen der ammoniakalisch-alkalischen Silberlösung
versetzt. Auch bei längerer Beobachtung trat keine Schwärzung
ein; nach 24 Stunden zeigte die Flüssigkeit eine kaum wahr-
nehmbare gelbbräunliche Färbung, beim Erhitzen verhielt sie
sich ebenso wie mit dem gleichen Volumen Wasser versetzte
Silberlösung.
Es fragte sich nun, ob in dem Blutpulver!), das aus mit
Allylalkohol konserviertem Blut von mir dargestellt war, Allylalko-
hol nachzuweisen ist. Die Untersuchung ergab die völlige Ab-
wesenheit von Allylalkohol.
Die Untersuchung stieß anfangs auf Schwierigkeiten in der Aus-
führung. Das zuerst angewendete Verfahren des Auskoagulierens der
verdünnten Lösung des Blutpulvers und Untersuchung des Filtrats erwies
sich als unbrauchbar; denn als zu der Lösung von 5 g Blutpulver (Krause)
0,1 ccm Allylalkohol hinzugesetzt wurde, war in dem Filtrat Allylalkohol
nicht sicher nachweisbar. Bei der direkten Destillation von 5 g unter Zu-
satz von Allylalkohol war zwar Allylalkohol im Destillat nachweisbar,
die Destillation war aber wegen des starken Schäumens kaum ausführ-
bar?) und meistens gingen die Destillierkolben durch Auskoagulieren
von Eiweiß an einer Stelle und Überhitzung an dieser entzwei. Schließ-
lich wurde folgendes Verfahren eingeschlagen. 5 g des Blutpulvers — aus
mit Allylalkohol konserviertem Blut erhalten — wurden in 100—150 ccm
lauwarmem Wasser gelöst, dazu 1 bzw. 1,5 ccm Salzsäure von 1,126 D und
1 bzw. 1,5 g Pepsin hinzugesetzt, das vorher mit einem Teil der Lösung behufs
guter Verteilung in der Reibschale angerieben war. Die so hergestellte
Mischung kam in Glasstöpselgläsern in den Thermostaten. Am nächsten
Tage läßt sich die Mischung — betrug das Volumen nicht schon 150 ccm,
1) Bezüglich der Herstellung des Blutpulvers verweise ich auf meine
Arbeit über die antiseptische Wirkung von Chlorderivaten des Methans,
Äthans usw. Diese Ztschr. 107, 191. 1920.
2) Die Destillation im Dampfstrom konnte nicht angewendet werden,
weil dadurch etwa vorhandener Allylalkohol zu sehr verdünnt worden wäre.
17*
252 E. Salkowski:
so wurden noch 50ccm Wasser hinzugefügt — auf dem Sandbad gut
destillieren: sie schäumte zwar noch etwas, doch läßt sich das Schäumen
durch Siedestäbchen und Kleinhalten der Flamme in Schranken halten.
Es wurden regelmäßig 100 ccm abdestilliert. Eine kleine Probe wurde zur
Oxydation mit Salpetersäure versetzt usw., später wurde diese Probe ganz
weggelassen. 100 cem des Destillates wurden mit 10 ccm 5 proz. Dikalium-
chromatlösung und 10 cem verdünnter Schwefelsäure versetzt und zuerst
10, dann 25 ccm abdestilliert. Die Lewinsche Reaktion und die Silber-
probe fielen negativ aus.
Zu Kontrollversuchen wurde ohne Anwendung von Allylalkobol
hergestelltes Krausesches Blutmehl benutzt.
1. 5g Blutmehl gelöst in 150 com Wasser, dazu 0,5 ccm Allylalkohol
(5ccm einer frisch hergestellten 1 proz. Lösung), 1,5 ccm Salzsäure, 1g
Pepsin, etwa 24 Stunden verdaut, 100 com abdestilliert, dann mit K,Cr0,
und H, SO. oxydiert. usw. |
а) 10 cem abdestilliert: Enorme Reaktion nach Lewin.
b) 25 ccm abdestilliert: Gleichfalls sehr starke Reaktion.
2. Wiederholung unter Zusatz von 1 cem der 1 proz. Allylalkohol-
lösung = 0,01 ccm Allylalkohol.
a) 10ccm. Starke Reaktion nach Lewin, ebenso mit Pepton, Salz-
säure und Eisenchlorid.
b) 25cem. Lewinsche Reaktion deutlich nach Zusatz von Eis-
essig, ebenso die zweite Reaktion.
3. Wiederholung unter Zusatz von 0,5 ccm der 1 proz. Lösung (oder
richtiger 0,87 proz., die Verdünnung war ja dem Volumen! nach her-
gestellt). In den ersten 10 com war die Lewinsche Reaktion und die Silber-
probe deutlich, in den folgenden 25 ccm Lewinsche Reaktion angedeutet,
die Reaktion mit Pepton usw. deutlich.
Die Kontroliversuche haben demnach die Nach-
weisbarkeit auch der geringsten Mengen von Allyl-
alkoholergeben und bestätigen, daßindemBlutpulver
das ich aus mit Allylalkohol konserviertem Blut dar-
gestellt hatte, kein Allylalkohol nachzuweisen war.
Es war nun augenscheinlich von Interesse, festzustellen,
ob dies auch für das Krausesche Verfahren gilt. Dank dem
liebenswürdigen Entgegenkommen der Firma G. A. Krause in
München, für das ich auch an dieser Stelle verbindlichst danke,
war ich in der Lage, diese Frage zu untersuchen.
Das Blutmehl sah genau so aus wie das aus frischem Blut
hergestellte, verhielt sich gegen Wasser ebenso, zeigte keinen
Geruch. Bei der Untersuchung von 5 g des Pulvers genau
auf dem angegebenen Wege stellte sich- heraus, daß in
dieser Quantität Spuren von Allylalkohol nachweisbar waren.
-
Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 253
Diese sind indessen als bedeutungslos anzusehen. Nach den
oben angeführten Kontrollversuchen sind 0,5cem der 1 proz.
Lösung = 0,005 Allylalkohol in 5g Blutmehl mit Sicherheit
nachweisbar. Nimmt man, hochgerechnet, an, daB eine solche
Quantität in 5 g des Krauseschen zu Versuchszwecken für mich
hergestellten Präparates vorhanden waren, so würde dieses für
20 g auf einmal genossenes Blutmehl 0,02 Allylalkohol bedeuten,
bzw. richtiger 0,0175g. Dabei kommt noch in Betracht, daß
das Pulver ja nicht roh, sondern in üblicher Weise gekocht ge-
nossen werden soll. Ез ist anzunehmen, daß der größte Teil dieses
Gehaltes beim Kochen entweicht; daß diese Annahme begründet
ist, dafür sprechen die oben angegebenen Versuche, die anfangs
zum Nachweis des Allylalkohols gemacht wurden. Es hatte sich,
um es zu wiederholen, gezeigt, daß selbst 0,1 cem Allylalkohol
in 5g Blutpulver nicht nachzuweisen ist, wenn man die Lösung
auskoaguliert und den Allylalkohol im Filtrat nachzuweisen sucht.
Um Bedenken nach dieser Richtung hin auch durch Versuche
zu beseitigen, habe ich wiederholt aus 10—20 g Blutpulver, das
aus mit Allylalkohol konservierten Blut von Krause hergestellt
war, in der üblichen Weise Suppe (,, Schwarzsauer“) zubereitet und
gegessen, ohne das mindeste Unbehagen oder irgendwelche
Symptome zu bemerken. Auch a priori ist es äußerst unwahr-
scheinlich, daß so kleine Meugen Allylalkohol irgendwie gesund-
heitsschädlich wirken könnten. Werden doch Schwefelverbin-
dungen des Allyls, wie das Allylsenföl und andere vielfach in der
Nahrung genossen! Außerdem wirken die Schwefelverbindungen
der Fettkörper allgemein in weit höherem Grade toxisch, als
die Sauerstoffverbindungen. So ist der Äthylalkohol!) doch relativ
harmlos gegenüber dem Mercaptan.
Damit könnte ich meinen Bericht über die Anwendbarkeit
des Allylalkohols zur Konservierung von Blut schließen, wenn
die Verfolgung der Angelegenheit zum Zweck der Erlangung
eines Patents nicht zu Erörterungen und Schlüssen geführt hätte,
die mir von allgemeinerem Interesse zu sein scheinen.
Bei dem Suchen nach einem geeigneten Konservierungs-
mittel stieß ich auf die in Flügges „Mikroorganismen“, 2. Auf.
S. 580 (1886) abgedruckte Tabelle, in welcher die Einwirkung
einer Reihe von Substanzen auf das Auswachsen von an Seiden-
d Methylalkohol nimmt eine Ausnahmestellung ein.
254 E. Salkowski:
fäden angetrockneten Milzbrandsporen zu Fäden nach den Ver-
suchen von R. Koch angegeben ist. Nach dieser Tabelle behindert
Senföl in einer Konzentration von 1:333 000 das Auswachsen
merklich, in einer Konzentration von 1:33 000 hebt es dasselbe
völlig auf. Daß dieser Satz nicht verallgemeinert werden darf,
hatten mich schon vor Anwendung des Allylalkohols Versuche mit
Senföl gelehrt!). Ein Liter Rinderblut wurde mit einigen — etwa
4—5 — Tropfen Senföl?) eine halbe Stunde lang auf der Schüttel-
maschine in einer verschlossenen Flasche durchgeschüttelt: schon
nach wenigen Tagen war das Blut stark faulig. Der Zusatz ist
auf etwa 1: 10 000 zu schätzen:). Vom Allylalkohol wird in der
Tabelle gesagt, daß er in einer Konzentration von 1: 167 000 das
Wachstum der Milzbrandbacillen merklich behindert. Obwohl
ich nach meinen am Senföl gemachten Erfahrungen große Zweifel
hegte, daß diese Behinderung auch auf Blut und Fleisch Bezug
haben würde, machte ich doch einen dahingehenden Versuch.
Es zeigte sich, daß eine Allylalkohollösung, leicht alkalisiert, in
einer Konzentration von 1:500 (!) auf in ihr aufbewahrtes ge-
-hacktes Fleisch nicht den mindesten Einfluß ausübt: es fault
in ihr ganz ebenso oder fast ganz ebenso, wie in Wasser allein.
Immerhin war es doch denkbar, daß eine etwas höhere Konzen-
tration bei der Anwendung auf Blut für kurze Zeit brauchbar
sein würde Wie oben angegeben ist, ergab es sich in der Tat,
daß 0,5 bie 0,6% Allylalkohol die Fäulnis desselben für 5 bis 6
Tage, ein Plus auf längere Zeit verhinderte, also für den vor-
liegenden Zweck brauchbar ist. Trotz dieser Sachlage wurde von
einer einsprechenden Fabrik, anfangs auch vom Patentamte
selbst entgegengehalten, daß nach den Angaben von Koch die
konservierende Wirkung des Allylalkohols schon bekannt sei
Wie lautet nun die Angabe von Koch? In den „Arbeiten des
Reichsgesundheitsamtes“, Bd. І, S. 270 (1881) sagt Koch,
nachdem er die Versuche mit Milzbrand beschrieben hat, wört-
lich folgendes:
„Weiter wurden die Versuche vorläufig nicht fortgesetzt,
Man wird auch die Zahlen für die Entwicklungshinderung und
Aufhebung bei vollständigem Ausschluß der Verdunstung ver-
missen. Dieselben mußten, weil die Untersuchung immer prak-
1) Diese Zeitschr. 71, 371. 1916.
2) 1 g Senföl = 44 Tropfen, also 4 Tropfen rund 0,1 g auf 1000 Blut.
Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 255
tische Gesichtspunkte im Auge hatte, ein geringes Interesse
beanspruchen; bei der praktischen Verwendung würde wohl nur
in Ausnahmsfällen (vielleicht Konservierung von Nahrungsmitteln
in geschlossenen Gefäßen) der Verlust durch Verdunstung!) zu
vermeiden sein. Übrigens ist nicht zu zweifeln. daß unter dieser
letzteren Bedingung der Grenzwert für die Aufhebung des Bak-
terienwachstums bei einer noch viel größeren Verdünnung des
Allylalkohols gesucht werden muß.“
Wie hieraus hervorgeht, hat Koch also nur vermutet,
daß eine noch schwächere Konzentration als 1: 167 000 zur Kon-
servierung von Nahrungsmitteln geeignet sein würde. Nun!
auch ein Meister kann einmal irren, seine Vermutung war irrig!
Hätte Koch statt zu „vermuten“ nur den einfachsten Versuch
mit einem geeigneten fäulnisfähigen Material, wie gehacktes
Fleisch, am besten in mit Na,CO, alkalisiertem Wasser, auf welches
ich immer wieder als besonders geeignet hinweisen muß, hätte er
einen solchen Versuch gemacht, so würde man damals schon zu
der Erkenntnis gekommen sein, die noch immer nicht allgemein
durchgedrungen zu sein scheint, daß die Wirkung antiseptischer
Mittel eine spezifische ist, abhängig von den angewendeten
Bakterien (und dem betreffenden Medium), daß jede Verallge-
meinerung ausgeschlossen werden muß (abgesehen natürlich
von solchen Chemikalien, welche die organische Substanz. voll-
ständig zerstören) oder doch zum mindesten, daß der S:niuB,
daß Substanzen, die sich pathogenen Mikroorganismen gegenüber
als wirksam erwiesen haben, auch zur Fernhaltung von Fäulnis
bzw. Konservierung überhaupt geeignet sein müssen, durchaus
falsch ist. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes möchte ich
zum Beleg noch einige Literaturquellen anführen.
1. Das Eucupin (Isoamylhydrocuprein) tötet nach Morgenroth
und Т ugendreich?) Streptokokken in einer Konzentration von 1: 20 000
bis 40 000, Diphtheriebacillen dagegen nach Schaeffer?) erst bei 1: 2000.
2. Bieling*) sagt zusammenfassend: „Diese Versuche beweisen,
daß die Wirkung des Eucupins (Isoamylhydrocupreins) und des Isooctyl-
hydrocupreins auf Diphtherie-, Gasbrand-, Milzbrand- und Tetanusbacillen
1) Von einem Abdunsten des Allylalkohols aus der verdünnten Lösung
kann bei seinem hohen Siedepunkt (97!) wohl nicht die Rede sein. E.S.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 29, S. 794.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 38, S. 104.
4) Diese Zeitschr. 85, 209. 1918.
256 ö E. Salkowski:
als eine spezifische Desinfektions wirkung anzusehen ist und nicht auf einer
allgemeinen unspezifischen Giftwirkung auf lebende Organismen beruht.
Diese Ansicht kann ich durch eigene Versuche mit Eucupin bestätigen:
eine fäulniswidrige Wirkung kommt demselben, wenigstens nach Versuchen
mit Fleisch, nicht zu.
3. Die Wirkung des Antimonkaliumtartrat und anderer organischer
Antimon verbindungen beschränkt sich nach Kolle!) und seinen Mit-
arbeitern auf Trypanosomen.
4. Chinin tötet die Malaria parasiten schon in der außerordentlichen
Verdünnung, in der es im Blut kreist, während es das Wachstum von Milz-
brandbacillen erst in einer Konzentration von 1: 625 hemmt, ja nach
Tappei ner!) ein guter Nährboden für Schimmelpilze ist und nach meinen
eigenen Versuchen die Fäulnis von Fleisch nicht verhindert, wenn auch
et was hinausschiebt.
Sicher würde man in der Literatur bei weiterem Nachforschen
noch zahlreiche Belege für die Unzulässigkeit der Ubertragung
der Beobachtung an bestimmten, namentlich pathogenen Mikro-
organismen auf andere finden, die angeführten Beispiele dürften
indessen genügen.
Ob eine nicht giftige Substanz (bzw. auch eine nicht ganz
ungiftige, wenn sie durch die nachfolgende Behandlung entfernt
wird) zur Konservierung von Nahrungsmitteln geeignet ist oder
nicht, kann auf keinem anderen Wege, als durch direkte Ver-
suche mit dem betreffenden Nahrungsmittel festgestellt
werden. Es läßt sich unmöglich verkennen, daß das durch
spontane Aussaat in die Nahrungsmittel hineingelangende bzw.
in ihnen befindliche Gemisch von Bakterien oder Keimen weit
widerstandsfähiger ist, als isolierte Mikroorganismen, augenschein-
lich wird die Resistenz durch die Symbiose nicht herabgesetzt,
sondern gesteigert.
In einem gewissen Sinne ist die Konservierung der Des-
infektion geradezu entgegengesetzt. Bei der Beurteilung der
Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels läßt man sich bekannt-
lich außer der Konzentration des Mittels auch von der Zeit leiten,
und zwar in dem Sinne, daß ceteris paribus dasjenige Des-
infektionsmittel für besser gehalten wird, das nur kurze Zeit
mit der zu desinfizierenden Flüssigkeit in Berührung zu bleiben
braucht, um sie zu sterilisieren: je kürzer die Zeit, desto besser
ist das Mittel. Bei der Konservierung ist es gewissermaßen umge-
1) Malys Jahresber. d. Tierchemie 43, 1537. 1913.
2) Lehrbuch der Arzneimittellehre. 10. Aufl. 1913, S. 137.
Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 257
kehrt: je länger sich bei Abimpfungen die konservierte Flüssigkeit
oder das konservierte Gemisch als keimfrei oder schwach keim-
haltig erweist, desto besser ist das Mittel. Die Tatsache, daB manche
Konservierungsmittel sich nur auf einige Tage, andere auf
Wochen und Monate, ja vielleicht fiir immer wirksam erweisen,
kann wohl nur so erklärt werden, daß durch die spontane Aus-
saat entwicklungsfähige Keime von äußerst verschiedener Resi-
stenz in das zu konservierende Medium gelangen; solche, welche in
nicht zu langer Zeit abgetötet werden und solche, welche einer sehr
langen Zeit der Einwirkung des konservierenden Mittels!) bedürfen.
Der auf Grund der Vermutung vonKoch erhobene Einwand,
daß meine Beobachtung nicht neu sei, konnte also widerlegt
werden, da sich die Vermutung von Koch als irrig erwiesen
hatte. Ein besser begründeter Einwand findet sich aber, wie sich
später herausstellte, in einer Arbeit von H.Stadler?), die ich
leider übersehen habe. Stadler hat gefunden, daß in Lösungen,
die 0,2—0,3%, Allylalkohol enthalten, eine Entwicklung von
Bacterium coli nicht eintritt. Da B. coli zu den Eiweiß unter
Bildung von Indol und Phenol zersetzenden Bakterien gehört,
so konnte sich hierauf ein Einwand gegen die Anwendung von
Allylalkohol zur Konservierung von Blut als neues Verfahren
wohl stützen, wenn ich auch nach den obigen Ausführungen über
Konservierung denselben nicht als entscheidend ansehen kann.
Zur Entschuldigung des Übersehens der Arbeit von Stadler
kann ich folgendes anführen: Ich habe den ganzen Malyschen
. Jahresbericht — soweit Generalregister existieren nur diese —
auf das Stichwort ‚Allylalkohol‘‘ durchgesehen, aber außer der
erwähnten Mitteilung von Miessner über die gesundheitsschäd-
lichen Wirkungen von Allylalkohol das Wort überhaupt nicht
gefunden. Ja, selbst in dem Referat über die Arbeit von Stad-
ler?) kommt das Wort Allylalkohol nicht vor, obwohl sie u. a.
auch von diesem handelt. Ich glaube kaum, daß ich in dieser
Sache mehr hätte tun können, als den Malyschen Jahresbericht
durchsehen, der ja auch die Antisepsis eingehend berücksichtigt.
© ау Selbstverständlich schlieBt die Konservierung die Autolyse nicht
aus, ев sei denn, daß die Konservierung durch Formaldehyd von etwa
31.96 bewirkt ist, beim Blut ist aber die Autolyse nach meinen Erfahrungen
fast Null.
2) Arch. f. Hyg. 73, 207. 1911.
3) Malys Jahresber. f. d. Tierchemie für 1911. 41, 764.
Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender Sub-
stanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege.
(1. Mitteilung: Optochin.)
Von
Alfred Schnabel.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Basel.)
(Eingegangen am 31. Mas 1920.)
Wenn wir Substanzmengen ermitteln wollen, deren Bestim-
mung die Leistungsfähigkeit der gewöhnlichen gewichts- oder
maßanalytischen Verfahren übersteigt, so greifen wir zu Methoden,
die uns zwar keine absoluten, sondern nur Annäherungswerte
anzeigen, uns aber über Quantitäten Aufschluß geben, die um
` ein Vielfaches kleiner sein dürfen als jene, die auf gravimetrischem
Wege gefunden werden können. |
Zu den empfindlichsten, wenn auch ungenauesten Methoden
gehören die biologischen. Hier machen wir uns die Eigenschaft
lebender Zellen höherer. und niederer Organismen zunutze,
auf kleinste Substanzmengen auf diese oder jene Art zu reagieren.
Als Indicator dienen uns die Lebensäußerungen der Zellen. So
kënnen wir z. B. die Konzentration einer Chininlösung bestimmen,
indem wir jene Grenzverdünnung feststellen, die die Kaninchen-
cornea nach einer bestimmten Zeit gerade noch anästhetisch zu
machen vermag. Es ist klar, daß bei der schwankenden Re-
aktionsfähigkeit der Organzellen die erhaltenen Resultate sich
innerhalb relativ großer Fehlergrenzen bewegen können.
Man kann auch tierische Zellen, die außerhalb des Organis-
mus in zusagenden Medien lebend erhalten werden, zu derartigen
Versuchen heranziehen. In letzterem Falle ist aber die Versuchs-
dauer wegen der rasch abnehmenden Lebensfähigkeit der Zellen
eine beschränkte.
A. Schnabel: Best. zell- u. keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 259
Viel besser eignen sich für solche Zwecke lebende Bakterien.
Keimschädigende Mittel physikalischer oder chemischer Natur
wirken je nach der Art ihrer Anwendung entwicklungshemmend
oder abtötend auf die Bakterien. Doch sind damit die schädlichen
Einwirkungen nicht erschöpft. Es sind auch andere Beeinflus-
sungsarten bekannt, die, ohne die Vermehrung der Keime zu
beeinträchtigen, eine Schädigung oder gar den Verlust dieser
oder jener Lebensfunktion bedingen. So kann durch Änderung
des Nährsubstrates, durch Behinderung der Sauerstoffzufuhr,
durch höhere oder tiefere Temperaturen ein Aufhören der zymo-
genen Fähigkeit, der Farbstoffproduktion, der Sporenbildung
usw. eintreten. Auch die Pathogenität kann auf diese Weise be-
einflußt oder aufgehoben werden, ohne Änderung des übrigen
Wachstums, der Vermehrung oder anderer Lebensäußerungen.
Die Leichtigkeit, mit der das Bakteriensubstrat hergestellt
werden kann, die bequeme Dosierungsmöglichkeit, die relativ
größere Lebensfähigkeit und die leicht festzustellende Grenze
zwischen Leben und Tod brachten es mit sich, daß man die
Bakterien in den Dienst biologischer Messungen stellte. Beson-
ders waren es die mittels bestimmter Affinitäten wirkenden
Mittel, die auf diese Weise in stärkeren Verdünnungen noch be-
stimmt werden konnten. Versuche, chemotherapeutisch wirk-
same Mittel qualitativ auf biologischem Wege festzustellen,
wurden von Gonder, Castelli, Swift und Ellis an Spirochäten,
von Roos an Milzbrandbacillen, von Wright an Pneumokokken
unternommen. Boecker konnte relativ dünne Lösungen von
Salvarsan, Morgenroth solche von Optochin quantitativ
annähernd bestimmen, und zwar betrug die schwächste bestimm-
bare Konzentration für das u 1:150 000 (+), für das
Optochin 1: 300 000.
Die von uns hier mitgeteilten Versuche nahmen ihren Ur-
sprung in der Erwägung, daß es möglich sein könnte, schwächere
Konzentrationen zell- bzw. bakterienschädigender Substanzen
zu bestimmen, wenn man nicht den Eintritt des Zelltodes, son-
dern die Beeinträchtigung verschiedener Lebensfunktionen als
Indicator nehmen würde. Als besonders geeignet hierzu schien
uns die Fähigkeit lebender Zellen und Bakterien, auf gewisse
Farbstoffe reduzierend einzuwirken. Die dabei eintretende Ent-
färbung — der Ausdruck einer in einem viel kürzeren Zeitraum
260 | A. Schnabel:
sich abspielenden Lebenserscheinung als die Vermehrung — oder
ihr Ausbleiben unter dem Einfluß schädigender Substanzen,
würden einen leicht zu handhabenden und daher bequemen
Indicator abgeben.
Die Fähigkeit vieler lebender Bakterien und Organzellen,
gewisse Farbstoffe wie Methylenblau, Lackmus, indigoschwefel-
saures Natron, Neutralrot usw. zu reduzieren und sie in eine
farblose Verbindung überzuführen, ist schon längst bekannt.
Diese leicht reduzierbaren Farbstoffe sind an sich Oxydations-
stufen, während ihre Reduktionsstufen, Küpen genannt, farblos
erscheinen und die Eigenschaft haben, unter dem Einfluß oxy-
dierender Mittel und auch schon durch Berührung mit dem Luft-
Sauerstoff die ursprüngliche Farbe anzunehmen. Letzteren Vor-
gang nennt man Verküpung.
P. Ehrlich stellte dieses Reduktionsvermögen des tierischen
und pflanzlichen Protoplasmas als fundamentale Eigenschaft
desselben fest und führte es auf das Sauerstoffbedürfnis der
lebenden Zelle zurück. Er brachte Farbstoffe in den lebenden
Organismus ein und beobachtete die Veränderungen, die sie im
Körper erfuhren. Die ersten Versuche über Reduktion von Farb-
stoffen durch Bakterien stammen von Cahen, Spina, Rosza-
hegyi. Sie ergaben, daß die Entfärbung an das Leben der
Bakterien gebunden ist. Erhitzte oder sonstwie abgetötete Keime
büßen die Fähigkeit ein. Daß es sich tatsächlich um einen Re-
duktionsvorgang handle, konnte man auf einfache Weise zeigen:
beim Schütteln, also bei inniger Berührung mit der Luft oder bei
Zufuhr von Sauerstoff erlangten entfärbte Bakterienfarbstoff-
gemische ihre ursprüngliche Farbe wieder.
Bei Reduktionsversuchen darf nicht übersehen werden, daß
auch manchen Nährmedien schon in sterilem Zustande das Re-
duktionsvermögen in beschränktem Maße zukommt. Dies konnte
Spina für Gelatine zeigen, die in sterilem Zustande bei Zusatz
von Methylenblau oder Indigblau sich (sehr langsam) entfärbte.
Auch Smith sah diese Erscheinung bei der gefärbten Bouillon.
Jedoch kommt diesen Befunden praktisch keine besondere Be-
deutung zu, da sich die Entfärbung steriler, gefärbter Nahrmedien
in Tagen und Wochen vollzieht, während sich das Phänomen in
Gegenwart lebender Zellen oder Bakterien in Minuten oder
Stunden beobachten läßt.
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 261
Schon vor etwa 20 Jahren haben Neisser und Wechsberg:
das Reduktionsvermögen lebender Zellen zur quantitativen Be-
stimmung herangezogen. Diese Autoren fanden, daß Leukocyten,
die die Fähigkeit haben, Methylenblau zu einer farblosen Base
zu reduzieren, diese Eigenschaft unter dem Einfluß verschiedener
sie sohädigender Substanzen, wie Alkohol, leukocide Sera usw.,
einbüßten. Sie nannten das Verfahren Bioskopie und benützten
es zum Nachweis des aus Staphylokokkenkulturen gewonnenen
Leukocidins. Die kleinste Menge, die sie auf diese Weise be-
stimmen konnten, betrug 0,025 cem Kulturfiltrat.
Die von uns gestellte Frage lautete: Ist es möglich, bak-
terien- und zellschädigende Substanzen in dünnen Lösungen,
durch das bioskopisch-biologische Verfahren verhältnismäßig
genau nachzuweisen? Vor Beantwortung dieser Frage waren wir
uns von vorneherein darüber im klaren, daß auf die Feststellung
absoluter Werte bei derartigen quantitativen Bestimmungen kein
Anspruch erhoben werden darf. Die Erwägung, daß die Be-
hinderung der Reduktion durch keim- und zellschädigende Sub-
stanzen der Ausdruck einer Protoplasmaschädigung sei, ließ ja
erwarten, daß zwischen den Wirkungseffekten einzelner, von-
einander nur wenig verschiedener Konzentrationen, nur all-
mähliche Übergänge bestehen können, von vollkommener, viel-
leicht nur zeitweiliger Behinderung der Reduktion bis zum völligen
Intaktbleiben der Zellen und somit auch des Entfärbungs-
phänomens, so daß nur größere Konzentrationsdifferenzen deut-
liche Aufschläge geben würden. |
Nicht ohne Absicht wählten wir zu den ersten Versuchen
Pneumokokken als entfärbendes Agens und das Optochin als
einwirkende Substanz. Die praktische Bedeutung, welche die
Möglichkeit der Feststellung dieses Alkaloids in stark verdiinnten
Lösungen besitzt, die in der Literatur bereits mitgeteilten Er-
gebnisse anderer Ermittlungsverfahren und hierdurch die Möglich-
keit des Vergleiches der Resultate, ferner die bekannte Spezifität
des Optochins waren dabei richtunggebend.
In Vorversuchen suchten wir uns zuerst über die Reduk-
tionsfähigkeit der Pneumokokken zu orientieren. Als Farbstoff
nahmen wir zu den Versuchen das Methylenblau, und zwar wegen
seiner leichten Reduzierbarkeit und ebenso leichten Verküpbar-
keit (Reoxydation), was wir schon in Versuchen mit anderen
262 A. Schnabel:
Bakterien konstatiert hatten. Den Pneumokokkenstamm haben
wir durch Uberimpfen eines geeigneten Sputums auf eine
Maus und Ubertragung ihres Herzblutes auf Blutagar ge-
wonnen. 24stündige Kulturen auf diesem Nährboden wurden mit
steriler 0,85 proz. Kochsalzlösung abgeschwemmt und so ver-
wendet. Wir kamen jedoch bald vom Blutagar wegen seiner
großen Empfindlichkeit gegen Verunreinigung durch Luftkeime
ab. Es bedarf ja keiner näheren Erklärung, daß fremde Keime
den Versuch stören können, da sie dessen Spezifität und Emp-
findlichkeit beeinträchtigen würden. Aus diesem Grunde wandten
wir Nährbouillon an, welche mit ca. fünf Tropfen defibrinierten
‚Menschen- oder anderen Blutes versetzt und vorher auf ihre
Sterilität geprüft wurde. Daß wir auf andere feste Nährböden
wie Glycerin- oder Traubenzuckeragar nicht reflektierten, rührt
daher, weil auf diesen Nährböden das Wachstum nicht genug fippig
ist; auch bietet der flüssige Nährboden den Vorteil der gleich-
mäßigen Verteilung der Pneumokokken, gegenüber der sich oft
umständlich gestaltenden Abschwemmung von festen Nährböden.
Die traubenzuckerhaltige Bouillon erwies sich als ungeeignet,
da in ihr gewachsene Pneumokokken nicht imstande sind, Me-
thylenblau zu reduzieren. Diese Erfahrung erschien uns um во
merkwürdiger, als ja, wie wir weiter unten sehen werden, Trauben-
zucker, zu 24stündigen Kulturen zugesetzt, die Entfärbung in
hohem Maße begünstigt und verstärkt. Anscheinend bilden sich bei
Gegenwart von Traubenzucker oder aus ihm Stoffwechselprodukte,
die eine Reduktion von Methylenblau unmöglich machen.
Die 24stündige Pneumokokkenkultur wurde vom Blute,
das in den Röhrchen einen Bodensatz bildete, abpipettiert und
nun zum Versuch verwendet. Fallende Mengen von Bouillon-
kultur wurden in Röhrchen von ca. 8-10 mm Durchmesser ge-
bracht, die Kulturmenge mit steriler 0,85 proz. Kochsalzlösung
auf lccm aufgefüllt; ein Tropfen einer nach dem beigegebenen
Rezept !) von Neisser und Wechsberg hergestellten Methylen-
1) Methylenblaulösung nach Neisser- Wechsberg: Methylenblau
1 g, Alkohol absolut 20 р, Aq. dest. 29 р. Von dieser Stammlösung wurde
Leem zu 49 cem 0,85 proz. NaCl-Lösung zugesetzt und so die Gebrauchs-
lösung erhalten. Während die Stammlösung monatelang haltbar ist, muß
die Gebrauchslösung wegen bakterieller Zersetzungen und Ausfallens des
Methylenblaus jedesmal frisch zubereitet werden.
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 263
blaulösung zugesetzt, das Gemisch mit flüssigem Paraffin zwecks
Verhinderung des Luftzutrittes und der Reoxydation überschichtet
und in die Brutkammer (37° C) gestellt. Nach verschiedenen
Zeiten wurde der Entfärbungsvorgang beobachtet und notiert.
Eine Tabelle (Tabelle I) möge dies näher erläutern.
d
Tabelle I.
1. Röhrchen: 1,0 ccm Bouillonkultur + 0 com 0,85% NaCl- os
2. „э 0, 9 ” ” + 0, 1 ээ 0 ‚85% 99
3. » 0,8 „ ›э + 0,2 „ 0,85% »
4. ” 0,7 ээ э + 0,3 55 0,85% 99
5. 5 0,6 „ D +04 „ 0,85% 5
6. 25 0,5 „ 2 +0,5 „ 0,85%
1. 99 0,4 99 ээ + 0,6 99 0, 85% 99
8. e 0,3 „ e + 0,7 „ 0,85% H
9. 99 0,2 39 99 + 0,8 LE 0,85% 99
10. LA 0,1 99 79 + 0,9 99 0,85% 99
Zu jedem Röhrchen wurden je ein Tropfen Methylenblaulösung und
eine gleiche Paraffinschicht zugesetzt.
Nach einer halben Stunde bei 37° С zeigten die vorher blau gefärbten
Kulturlösungen folgendes Verhalten: 1. Röhrchen entfärbt, die übrigen
unverändert.
Nach ?/, Stunden: 1. Röhrchen entfärbt, sonst unverändert.
Nach 1 Stunde: 1. bis 2. Röhrchen entfärbt, sonst unverändert.
Nach 1½ Stunden: I. bis 5. Röhrchen entfärbt; 6. fast vollständig
entfärbt.
Nach 2 Stunden: 1. bis 7. Röhrchen entfärbt.!)
Aus Tabelle I ist zu ersehen, daß die Entfärbung eine Funk-
tion der in verschiedenen Bouillonmengen enthaltenen Keimzahl
und der Zeit ist, und zwar erfolgt sie um so rascher, je mehr Keime
D Die von uns zur Angabe einzelner Entfärbungsstadien gebrauchte
Nomenklatur umfaßt folgende Bezeichnungen: Als entfärbt bezeichnen
wir das vollständige Verschwinden des blauen Tones in den Röhrchen
oder seine Reduktion auf eine schmale Zone in dem an die Paraffinschicht
angrenzenden Flüssigkeitsanteil; als schwach entfärbt, wenn die Ent-
färbung am Boden des Röhrchens begonnen hat oder wenn der blaue Ton
eine geringe diffuse Aufhellung zeigt. Ist die nicht entfärbte Zone etwas
breiter als bei vollständiger Entfärbung, so sprechen wir von fast voll-
ständiger Entfärbung. Hat die Entfärbung nur die halbe Flüssigkeits-
menge betroffen, so nennen wir sie mäßig. Die Reduktion des Farbstoffes
erfolgt in der Regel von unten nach oben. Die Ablesung erfolgte in der
Brutkammer, zur Vermeidung der infolge geänderter Temperaturverhält-
nisse sich zeigenden Störungen,
264 A. Schnabel:
im Gesamtreaktionsvolumen enthalten sind, ferner erstreckt sie
sich auf um so kleinere Keimmengen, je länger wir die Röhrchen
bei 87° С belassen. Die kleinste Keimmenge, die nach einer
bestimmten, willkürlich gewählten Zeit, Entfärbung herbeiführt,
nennen wir (wie Neisser und Wechsberg) Dosis minima re-
ducens.
Nun gingen wir daran, den Versuch zu variieren und den Ein-
fluß einzelner Änderungen in der Versuchsanordnung zu studie-
ren, also den Einfluß der Ergänzungsflüssigkeit, der Farbstoff-
menge, der Breite der Reagensgläser, der Höhe der Paraffin-
schicht, der Temperatur und evtl. Zusätze wie Serum usw. Zu-
erst wurde anstatt der sog. physiologischen Kochsalzlösung sterile
Nährbouillon als Ergänzungsflüssigkeit genommen. Tabelle II
zeigt einen derartigen Versuch.
| Tabelle II.
1. Röhrchen: 1 cem Bouillonkultur + O ccm sterile Nährbouillon
2. j 0,9 ,, 35 +01 „ „ 75
3. ээ 0,8 ээ ээ + 0,2 „ ээ ээ
4. 99 0,7 99 99 + 0,3 99 99 77
5. 55 0, 6 „ 57 + 0,4 ээ „э э
6. 99 0,5 99 99 + 0,5 99 99 97
7. 99 0,4 ээ 99 + 0,6 ээ 99 ээ
В. 3 0,3 „ o 107 „ „ РЄ
9. РЕ 0,2 „ e +08 ,, is ji
10. e 0,1 „ ve +09 „ ” 75
11. В 0,05 ,, + 0,95 ,, 55 ”
Kontrolle: 1 ccm sterile Nährbouillon.
Zu jedem Röhrchen wurde je 1 Tropfen Methylenblaulösung und
eine gleiche Paraffinschicht zugesetzt. Brutkammer (37° C).
Nach 3/, Stunde: 1. und 2. Röhrchen entfärbt; sonst unverändert.
Nach 1 Stunde: 1. bis 3. Röhrchen entfärbt; 4. Röhrchen schwach
entfärbt.
Nach 1½ Stunden: 1. bis 7. Röhrchen entfärbt, 8. Röhrchen schwach
entfärbt.
Nach 2 Stunden: 1. bis 8. Röhrchen entfärbt.
Die Kontrolle (sterile Nährbouillon allein) war noch nach
6 Stunden unverändert. Vergleichen wir Tabelle I und II mit-
einander, dann sehen wir, daß der Einfluß der als Ergänzungs-
flüssigkeit zugesetzten Nährbouillon (Tabelle II) sich in einer
Steigerung der Intensität der Entfärbung und in einer Beschleuni-
gung derselben kundgibt. Während bei Tabelle I nach einer
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 265
Stunde nur die ersten zwei Röhrchen entfärbt sind, ist dies bei
Tabelle II bei Röhrchen 1—3 der Fall (4. Röhrchen schwach).
Die Dosis minima reducens (nach 2 Stunden) beträgt bei Tabelle I
0,4ccm Kultur, bei Tabelle П 0,3 ccm. Eine Erklärung hierfür
ist darin zu suchen, daß die 0,85 proz. Lösung von Kochsalz kein
zusagendes Medium für Pneumokokken darstellt, ferner im Um-
stande, daß der Nährbouillon eine wenn auch geringe Reduktions-
kraft zukommt. Daß diese Reduktionsfähigkeit nicht allzu hoch
anzuschlagen ist, ersieht man daraus, daß sie selbst unverdünnt
auch nach vielen Stunden keine Spur einer Entfärbung zeigt.
Wahrscheinlich spielt auch das sauerstoffabsorbierende Vermögen
der Nährbouillon eine Rolle. |
Auf eine Ablesung nach mehr als 2 Stunden haben wir ver-
zichtet, in Erwägung dessen, daß eine stärkere Reduktion bei
längerer Bebrütung durch eine evtl. Vermehrung der Keime oder
eine hinzukommende Verunreinigung verursacht sein könnte.
Der fördernde Einfluß von zugesetztem Serum ist bereits
von anderen Autoren festgestellt worden. Wir konnten diese
Erfahrung dahin erweitern, daß in unseren Versuchen von den
angewendeten Seris besonders das Meerschweinchenserum in
hohem Maße aktivierend auf die Reduktionsfähigkeit der Pneumo-
kokken einwirkt. Diese Erscheinung tritt besonders deutlich zu-
tage, wenn man in mehreren Parallelreihen zu fallenden Keim-
mengen gleiche Mengen verschiedener Sera wie Menschen-, Rin-
der-, Pferde-, Hammel-, Kaninchen- oder Meerschweinchenserum
zusetzt und als Ergänzungsflüssigkeit 0,85 proz. Kochsalzlösung
nimmt. Zwischen den erstgenannten 5 Seris besteht, wie wir
finden konnten, keine nennenswerte Differenz in der Beeinflussung
des Reduktionsvermögens, wenn auch jedes Serum für sich den
Entfärbungsvorgang fördert. Dagegen zeigt das Meerschweinchen-
serum ein deutlich differentes Verhalten, wie dies Tabelle III und
IV zeigen.
Die Kontrolle (1 ccm Meerschweinchenserum allein) zeigte
auch nach 6 Stunden keine Entfärbung.
Die Tabellen III und IV zeigen, daß das Meerschweinchen-
serum in höherem Maße als das Kaninchenserum befähigt ist,
das Entfärbungsvermögen der Pneumokokken hinsichtlich In-
tensität und Schnelligkeit der Entfärbung zu steigern. Die Dosis
minima reducens beträgt in diesem speziellen Falle bei Gegenwart
Biochemische Zeitschrift Band 108. 18
266 A. Schnabel:
Tabelle ІП.
Bouillonkultur Kan.-Serum
1. Röhrchen: 1 ccm +0 cem 0,85 % NaCl-Löeung + 0,1 cem
2 „ 0, „ +0 „ 0,85 % е +01 „
3. Е 08 „ +01 „ 085% 5 +01 „
4. e 0,7 , +02 , 085% Se +01 „
5. ʻi 0,6 „ +03 „ 085% „ +01 „
6. Е 0,5 „ +04 „ 0,85% nm +01 „
7. e 0,4 „ +05 „ 085% „ + O, 1 „
8. ge 03 „ +06 „ 085% ze +0,1 „
9, 2 0,2 „ +07 „ 085% 8 +0] „
10. ээ 0,1 „ +08 „ 0,85% A + O, 1 „,
JI. E 0,05 ,, + 0, 85 , 0,85% „ e +01 „
Kontrolle: 1 ccm Kaninchenserum.
Zu jedem Röhrchen wurde je 1 Tropfen Methylenblaulösung und eine
gleiche Paraffinschicht zugesetzt. Brutkammer (37° С).
Nach / Stunden: Röhrchen 1—4 entfärbt, sonst unverändert.
„ 1 Stunde: 5 1—5 ge Е М
„ 2 Stunden: = 1—9 S 8 d
Tabelle IV.
Boulllonkultur Meerschw.-Serum
1. Röhrchen: 1 cem + O ccm 0,85°, NaCl-Lésung + 0,1 cem
2. Se 09 „ +0 „ 0,85% к +01 „
3. » 0,8 „ +01 „ 085% „ + 0, 1 „
4. ” 0,7 ээ * 0,2 55 0,85 95 99 Se 0,1 ”
5. ` 0,6 „ +0,3 „ 0,85 % е 01:
6. ээ 0,5 99 + 0,4 99 0,85 o 99 = 0,1 ”
7. as 04 , +05 „ 0,85% S +01 „
8. р 0,3 „ +06 „ 0,85% ы ASOT 5;
8. 2 02 „ +07 „ 0,85% e +01 „
10. ээ 0,1 99 F 0,8 92 0,85 % 99 Ae 0,1 ээ
11. Е 0,05 „ +0,85, 0,85 % © +01 „
Kontrolle: 1 com Meerschweinchenserum.
Jedes Röhrchen erhält 1 Tropfen Methylenblaulösung, Paraffinöl,
37°C.
Nach 3/, Stunden: Röhrchen 1—6 entfärbt, sonst unverändert.
ээ 1 Stunde: „э 1—8 99 39 ээ
» 2 Standen: Т 1—10 „ ge Е
von Kaninchenserum 0,2 ccm Kultur und bei Anwendung von
Meerschweinchenserum 0,1 ccm).
1) Diese Zahlen haben nur relativen, d. h. Vergleichswert, bezogen
auf die Ergebnisse der mit der gleichen Kultur angestellten Versuche,
da die Dosis minima reducens in erster Linie von der Zahl der Keime und
deren Vitalität abhängt.
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 267
Eine das Reduktionsvermögen der Pneumokokken und der
Bakterien im allgemeinen verstärkende Fähigkeit besitzt auch
der Traubenzucker, wenn derselbe der bereits ausgewachsenen
Kultur zugesetzt wird. Dagegen bleibt die Reduktion überhaupt
aus, wenn man die Bakterien in traubenzuckerhaltiger Bouillon
wachsen läßt und diese Kultur zu den Versuchen heranzieht.
Mit Rücksicht darauf, daß manche Bakterien in ihrem
Wachstum durch Methylenblau ungünstig beeinflußt werden,
wurde in einem besonderen Versuch die Farbstoffmenge, die pro
Röhrchen zugesetzt wurde, auf die Hälfte herabgesetzt, also ein
Tropfen einer zweimal mit 0,85 proz. NaCl-Lösung verdünnten
Methylenblaulösung gebraucht. Es zeigte sich keine Differenz
gegenüber der ursprünglichen Anordnung. Da außerdem die
Entfärbung bei Gebrauch der unverdünnten Methylenblaulösung
viel deutlicher zu erkennen war, wurde die Originallösung be-
lassen. Zwei Tropfen Methylenblaulösung pro Röhrchen hemmten
die Reduktion bis zu einem gewissen Grade.
Die Verwendung breiterer Reagensgläser oder von weniger
Paraffinöl machte sich in einer Verzögerung der Reaktion be-
merkbar. Aus diesem Grunde achteten wir darauf, daß zum Ver-
suche Röhrchen von gleichem Kaliber kamen und daß die Paraffin-
schichte in allen gleich breit war.
Den Einfluß der Temperatur auf den Reduktionsvorgang
studierten wir in der Weise, daß wir die Entfärbung bei Zimmer-
temperatur (18°C) vor sich gehen ließen. Tabelle V zeigt einen
solchen Versuch.
Tabelle V. |
1. Röhrchen: 1 cem Bouillonkultur + O ccm sterile Nährbouillon
2. ээ 0,9 99 LE) + 0,1 99 99 ээ
3. ээ 0,8 EL 99 + 0,2 99 97 99
4. 39 0,7 LE 99 + 0,3 ээ ээ 99
5. 99 0,6 99 99 + 0,4 LA) 99 99
6. 99 0,5 ээ 99 + 0,5 99 99 99
1. 99 0,4 97 э? + 0,6 99 99 99
8. 99 0,3 ээ 77 + 0,7 99 99 э
9. 99 0,2 LE ” + 0,8 ээ „э 99
10. ээ 0,1 99 ээ + 0,9 99 99 99
1 Tropfen Methylenblau pro Röhrchen. Paraffinöl, 18° C.
Nach 1 Stunde: 1. Röhrchen schwach entfärbt, sonst unverändert.
Nach 2 Stunden: 1. bis 4. Röhrchen entfärbt, 5. Röhrchen schwach
entfärbt.
18*
268 A. Schnabel:
Wie zu erwarten war, erfolgt bei 18°C, einer dem Pneumo-
kokkus nicht zusagenden Temperatur, die Reduktion sehr lang-
sam und die Dosis minima reducens beträgt 0,7 cem Bouillon-
kultur, also mehr als das Doppelte der unter sonst gleichen Be-
dingungen bei 37°C erhaltenen Dosis.
Auch bei dieser Temperatur wurden die Versuchsbedingungen
variiert. Die Ergebnisse entsprechen im allgemeinen den bei
37°C erzielten.
Zusammenfassend läßt rich auf Grund der Ergebnisse
der Vorversuche sagen: 1. Pneumokokken haben die Fähig-
keit, Methylenblau zu reduzieren. 2. Dieser Reduk-
tionsvorgang ist eine Funktion der Zeit und der Keim-
zahl. 3. Er unterbleibt, wenn die Pneumokokken in
einer traubenzuckerhaltigen Bouillon gewachsen sind.
4. Die Entfarbungsfihigkeit der Pneumokokken wird
durch Serum, besonders durch das vom Meerschwein-
chen, ferner durch Traubenzucker gesteigert.
Nach diesen orientierenden Vorversuchen gingen wir zu den
Hauptversuchen über, Optochinlösungen verschiedener, beson-
ders aber dünner Konzentrationen zu bestimmen. Wir
ließen das Optochinum hydrochloricum unter verschiede-
nen Bedingungen auf die Pneumokokken einwirken und beob-
achteten den Grad der Beeinflussung ihres Reduktionsvermögens
Methylenblau gegenüber. Die dabei angewendete Technik war
folgende: Von einer 24stündigen Blutbouillonkultur von Pneumo-
kokken wurde vorerst im Vorversuch die Dosis minima reducens
bestimmt. Im Hauptversuch wurden dann zu gleichbleibenden
Keimmengen (= Dosis minima reducens) fallende Mengen einer
frisch bereiteten Lösung von Optochinum hydrochloricum in
0,85 proz. NaCl-Lösung zugesetzt, ein Tropfen Methylenblau-
lösung hinzugefügt, gut durchgeschüttelt, mit Paraffinöl über-
schichtet und in die Brutkammer bei 37°C gestellt. Bei jedem
Versuche wurden immer mehrere Kontrollen, in der Regel drei,
angesetzt, und zwar ohne Optochin. Das Gesamtflüssigkeits-
volumen betrug (ohne Paraffinöl) 1 ccm. In verschiedenen Zeit-
abständen wurde die Entfärbung beobachtet und notiert. Tabelle VI
demonstriert einen rolchen Versuch:
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 269
Tabelle VI.
a) Vorversuch: Fallende Dosen Kultur von 1 cem bis O, 1 com mit
0,85 proz. NaCl-Lösung ergänzt. Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer
(37°C). Nach 2 Stunden: Röhrchen 1—7 entfärbt, die Dosis minima
reducens beträgt also @,4ccm Kultur.
b) Hauptversuch: Verdünnung der Kultur mit 0,85 proz. NaCl-
Lösung, во daß in 1 ccm 0,4 ccm Kultur enthalten waren, also 21/ fach.
Mit dieser verdiinnten Kultur wurden dann die Optochinverdiinnungen
hergestellt, indem z.B. zu 0,9ccm verdünnter Pneumokokkenkultur
O, com einer 1 proz. Optochinlösung zugesetzt wurde. Durch weitere
Verdünnungen wurden die Optochinkonzentrationen beliebig gewählt.
1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000
2. sg Ei РА 3 55 1: 1000000
3. ўз E a 8 We 38 1: 2 000 000
4. ээ 1 „э ээ 99 9 1 S 4 000 000
5. э 1 „э 5 d d 1: 8000000
6. „ 1 zm ” 9 99 1 : 16 000 000
3 Kontrollen: je Leem verdünnte Kultur, kein Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C).
Nach 1 Stunde 50 Minuten: 3 Kontrollen entfärbt, Röhrchen 3—6
zeigen eine schwache Entfärbung, 1—2 blau.
Nach 2 Stunden: 3 Kontrollen entfärbt, Röhrchen 3—6 mäßig ent-
färbt, 1—2 blau.
Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe.
Nach 2 Stunden 20 Minuten: Dasselbe.
Nach 2 Stunden 30 Minuten: 3 Kontrollen und Röhrchen 3—6 ent-
färbt, 2. Röhrchen mäßig entfärbt, 1. Röhrchen blau.
Aus Tabelle VI ist zu ersehen: Optochinlösungen vermögen
die Reduktion durch Pneumokokken in relativ starken Verdün-
nungen aufzuheben oder zu verzögern. Im speziellen Fall besteht
zwischen den Kontrollen und den stärksten Optochinverdün-
nungen (1:16 Millionen) ein Unterschied, der sich besonders
scharf vom 2. Röhrchen (1:1 Million) ausprägt. Während die
Kontrollen schon nach 1 Stunde 50 Minuten entfärbt sind, zeigen
die Röhrchen 1 und 2 auch nach 2 Stunden 20 Minuten keine
Veränderung; die übrigen Röhrchen (3—6) entfärbten sich, und
zwar anfangs schwach, später vollständig. Bei weiterer Beob-
achtung dehnt sich die Entfärbung auch auf stärkere Optochin-
konzentrationen aus und erst Verdünnungen, die erfahrungs-
gemäß auf Pneumokokken abtötend wirken, behalten dauernd
den blauen Farbenton. Doch gestattet uns diese deutliche, sich
scharf ansprägende Verzögerung der Reduktion, Optochinlösungen
270 | A. Schnabel:
in stärkeren Verdünnungen zu bestimmen. Erwähnt sei hier,
daß die abtötende Wirkung des Optochinpräparates wiederholt
geprüft wurde; die bakterizide Verdünnung betrug 1: 300 000
bis 1: 500 000.
Die weitere Versuchsrichtung war klar vorgezeichnet. In
Berücksichtigung des Umstandes, daß die hier in Betracht kom-
mende Protoplasmaschädigung nur eine partielle, eine einzelne
Funktion der Zelle betreffende ist und somit in das Gebiet der
Entwicklungsbehinderung und Entwicklungshemmung fällt, konn-
ten wir erwarten, daß die auf dem bezüglichen Gebiete der Des-
infektionslehre erzielten Ergebnisse, also besonders jene, die sich
auf die wachstumshemmende Eigenschaft verschiedener Sub-
stanzen beziehen, auch hier eine Bestätigung finden müßten.
Als wichtigstes Moment betrachteten wir die Feststellung
der Bedeutung der Zahl der Keime, der Dauer der Ein-
wirkung des Mittels und der Temperatur, bei der die Ein-
wirkung bzw. Entfärbung erfolgt.
Über den Finfluß der Keimzahl auf die Abtötungsfähigkeit
von Desinfizienten liegen zahlreiche Arbeiten vor. Schon Gruber,
ferner Behring stellten die Tatsache fest, daß die Keimzahl für
die Wirkungsdauer desinfizierender Mittel von wesentlicher Be-
deutung ist. Exakte Untersuchungen darüber haben Chick und
Martin angestellt, die z. В. in einem Versuch feststellten, daß
8proz Phenollösung bei 21°C, bei einem Gehalt von 187 000
Paratyphuskeimen pro Leem in 2,25 Minuten abtötend wirkt,
bei einem Gehalt von 440 000 in 4,5 Minuten, von 56 Millionen
in 32,75 Minuten und von 66 Millionen in 34 Miunten. Auch
andere Autoren bestätigten dieses Verhalten.
Sehr spärlich sind dagegen Arbeiten über die Beziehungen
zwischen Zahl der Keime und Entwicklungshemmung durch
keimschädigende Substanzen. Besonderes Interesse besaß für uns
die Arbeit von Schiemann und Ishiwara, welche die ent-
wioklungshemmende Wirkung des Optochins auf Pneumokokken
untersuchten. Sie fanden, daß „der Einfluß der Bakterienmenge
auf den Ablauf der antiseptischen Wirkung stets deutlich nach-
weisbar sei. Nach den Ergebnissen unserer Vorversuche hatten
wir es in der Hand, die Dosis minima reducens zu verringern,
so z.B. durch Anwendung von steriler Nährbouillon an Stelle
der Kochsalzlösung oder durch Zusatz von Serum oder Trauben-
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 271
zucker, während die Möglichkeit, höhere Dosen zu gebrauchen,
von vornherein gegeben war. Tabelle VII zeigt einen Versuch
mit einer Keimmenge, die größer war als die im Vorversuch be-
stimmte Dosis minima reducens. Die Pneumokokkenkultur
wurde mit 0,85 proz. NaCl-Lösung so verdünnt, daß in Leem
0,6 ccm Kultur enthalten waren. Die Dosis minima reducens
betrug 0,4 cem. Die Optochinverdünnungen blieben die gleichen
wie bei Tabelle VI.
Tabelle VII.
. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 500 000
: 1000000
: 2 000 000
1
1
1
= ER 2 75 1: 4 000 000
1
1
ээ 1 LU 99 99 ээ
1
2.
3. X
4
5 : 8000000
: 16 000 000
<
Ki
— p — —
*
*
ә
Ki
KI
Ki
wë
w
6. 99
3 Kontrollen: je 1 ccm verdünnte Kultur, kein Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C).
Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Réhrchen 3—6 ganz entfarbt,
das 2. Röhrchen zeigt schwache Entfärbung.
Nach 2 Stunden 15 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 2—6
entfärbt, Röhrchen 1 blau.
Nach 2 Stunden 30 Minuten: Dasselbe.
Nach 3 Stunden: Dasselbe.
Wie aus dieser Tabelle (УП) zu ersehen ist, vermag das Op-
tochin bei Anwendung einer größeren Keimzahl (0,6 ccm) nur
in einer Verdünnung 1: 500 000 die Reduktion deutlich zu hem-
men. Das Röhrchen 2 (Optochin 1:1 Million) zeigt zu einer
Zeit, wo die Kontrollen und die übrigen Röhrchen entfärbt sind,
zuerst eine wenn auch schwache, doch bald vollkommene Ent-
färbung.
In weiteren Versuchen verringerten wir die Dosis minima
reducens durch Anwendung von steriler Nährbouillon als Ver-
dünnungsflüssigkeit (Tabelle VIII) oder durch Zusatz von Meer-
schweinchenserum (Tabelle IX).
Der Ausfall dieser zwei Versuche (Tabelle VIII u. IX) zeigt,
daß bei Verringerung der Dosis minima reducens die zu ermittelnde
Optochinkonzentration eine schwächere sein darf als bei Gebrauch
einer größeren Kulturmenge. Bei Tabelle VIII, wo die Dosis
minima reducens 0,3 ccm beträgt, hemmt die Optochinverdün-
nung 1:1,5 Millionen, bei Tabelle IX (Dosis minima reducens
272 A. Schnabel:
Tabelle VIII.
Die im Vorversuch festgestellte Dosis minima reducens beträgt bei
Anwendung von Nährbouillon als Verdünnungsflüssigkeit 0,3 cem Kultur.
1. Röhrchen: 1 cem mit Bouillon verd. Kultur, Optochin 1: 500 000
2. 99 1 ” L 99 sp ээ э 1 H 1 000 000
3. „э l,„ 55 ” sp ep 55 1: 1 500 000
4. 99 1 99 57 L ” ” TT 1: 2000 000
5. ээ 1 sn „э 55 „э 99 IT 1 : 4000 000
6. 99 1 ээ 99 ” 99 ээ 55 1 м 8 000 000
3 Kontrollen je 1 ccm mit Bouillon verdiinnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C).
Nach 1 Stunde 45 Minuten: 3 Kontrollen und Röhrchen 4—6 entfarbt.
Nach 2 Stunden: Dasselbe.
Tabelle 1X.
Zusatz von O, I cem Meerschweinchenserum pro Röhrchen; die im
Vorversuch festgestellte Dosis minima reducens beträgt 0, 2 cem Kultur
bei Anwendung von 0,85 proz. NaCl-Lösung als Verdünnungsflüssigkeit.
1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000
2. e L а e i 1: 1 000 000
3. 55 1 „ nm „ „ 1:1 500 000
4. 55 l 5; 55 ” э» 1: 2 000 000
5. sn 1 „ ” 55 ” 1 : 2 500 000
6. „ 1 „, э? „ 72 1: 4 000 000
3 Kontrollen je 1 cem verdünnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C).
Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und das 6. Röhrchen
entfärbt, 1—5 blau.
Nach 2 Stunden: Dasselbe.
Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe.
= 0,2 ccm) übt auch die Verdünnung 1:2,5 Millionen eine deut-
liche Wirkung aus. Es genügt also bei Anwendung einer kleineren
Keimzahl ein kleineres Optochinquantum, um das Entfärbungs-
vermögen der Pneumokokken zu hemmen oder zu verzögern.
Bei den bisherigen Versuchen ließen wir das Reduktions-
phänomen unmittelbar nach dem Zusatz des Optochins vor sich
gehen. Es lag nun nahe, zu untersuchen, ob eine vorausgegangene
längere oder kürzere Einwirkung des Optochins bei verschiedenen
Temperaturen mit daran anschließender Reduktion eine Ände-
rung der Ergebnisse herbeizuführen vermag. Die bezüglichen
Versuche wurden in verschiedener Weise hinsichtlich Keimzahl,
Temperatur, Wirkungsdauer usw. variiert. Eine Wiedergabe
Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 273
sämtlicher Versuchstabellen ist aus äußeren Gründen unmöglich.
Es mögen 3 Tabellen von bei 37°, 18° und 4° C angestellten Ver-
suchen genügen (Tabelle X, ХІ, ХП).
Tabelle X.
Die Dosis minima reducens beträgt 0,4 ccm Kultur bei Anwendung von
O, 85 proz. NaCl-Lösung als Verdünnungsflüssigkeit. Nach Herstellung der
Optochinverdünnnngen wurden die Röhrchen ohne Methylenblau 2 Stun-
den bei37° С gehalten, nachher wurde Methylenblau hinzugefügt, geschüt-
telt, mit Paraffinöl überschichtet und in die Brutkammer bei 37° C gestellt.
1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000
2. „э 1 ээ 5 ээ 9 1: 1 000 000
3. ээ 1 „ 55 э? э 1: 2 000 000
4. UI 1 2 39 БЫ * 1 4 000 000
5. 99 1 5 „ „ 99 1 8 000 000
6. » I» » » » 1: 16000 000
7. „э 1 „э 29 ээ 99 1: 32000000
8. DI 1 „э „э 99 9 1 64 000 000
9. ээ 1 „э ээ sp 55 1 2 128 000 000
3 Kontrollen je 1 ccm verdünnte Kultur, ohne Optochin.
2 Stunden bei 37°C, dann Methylenblau, Paraffinöl und wieder in
die Brutkammer bei 37° С. А
Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 4—9 entfärbt.
1—3 blau.
Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe.
Nach 2 Stunden 20 Minuten: Dasselbe.
Tabelle XI.
Dosis minima reducens 0, 4 ccm Kultur, 0,85 proz. NaCl-Lösung als
Verdünnungsflüssigkeit. Vor dem Zusatz des Methylenblaus wurden die
Röhrchen 2 Stunden im Zimmer bei 18° С gehalten.
1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000
2. 99 1 nm ` 99 э 55 1: 1 000 000
3. 99 1 99 ээ БЫ 99 1: 1500000
4. „э 1 99 sp „э „ 1: 3 000 000
5. 75 1 „ » 75 » 1: 4000 000
6. ээ L y „ 55 22 1: 8 000 000
7. „э 1 97 ” э 99 1 : 16 000 000
8. ээ 1 ” ээ 99 „ 1 H 32 000 000
9. E 1 IT „ээ IT 75 1 H 64 000 000
3 Kontrollen: je 1 ccm verdünnte Kultur, ohne Optochin.
2 Stunden bei 18° C, dann Methylenblau, Paraffinöl und bei 37° C.
Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 5—9
entfärbt, 1—4 blau.
Nach 2 Stunden: Dasselbe.
274 A. Schnabel:
Tabelle XII.
Dosis minima reducens = @,4ccm Kultur, 0,85 proz. NaCl-Lésung
als Verdünnungsflüssigkeit; vor dem Zusatz des Methylenblaus kamen
die Röhrchen fiir 2 Stunden in den Eisschrank bei 4° C.
1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000
2. ” 1 99 99 99 7 l: 1 000 000
3. » l „ „ 5 e 1 2 000 000
4. de E e з = 1 4 000 000
5. es l, e 7 7 1: 8 000 000
6. „ К» КА з e 1: 16000000
7. Ar 1» „ ›„ > 1: 32 000 000
8. nu SE e уз + 1: 64000000
9. 99 l 55 э „ en 1: 128 000 000
3 Kontrollen: је Leem verdünnte Kultur, ohne Optochin.
2 Stunden bei 4° C, dann Methylenblau, Paraffinöl und 37° C.
Nach 2 Stunden 30 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 6—9
entfärbt, 1—5 blau.
Nach 2 Stunden 45 Minuten: Dasselbe.
Diese drei Tabellen (X, XI, XII) gestatten den Schluß, daß
durch Verlängerung der Wirkungsdauer des Optochins, letzteres
imstande ist, in höheren Verdünnungen die Reduktion durch
Pneumokokken zu hemmen oder zu verzögern, als wenn man den
Reduktionsprozeß unmittelbar nach dem Optochinzusatz ein-
setzen läßt. Doch hängt der Wirkungrgrad von der Temperatur
ab, bei der das Optochin auf die Pneumokokken wirkt, und zwar
erwiesen sich die tieferen Temperaturen geeigneter für die Er-
zielung stärkerer Wirkungseffekte. So betrug die schwächste
Optochinkonzentration, die nach zweistündiger Einwirkung
bei 37°C die Entfärbung deutlich zu verzögern vermochte,
1:2 Millionen (Tabelle X), bei gleich langer Wirkungsdauer
bei 18°C 1:3 Millionen (Tabelle XI), während unter dem
Einfluß der Eisschranktemperatur (4°C) die noch wirksame
Optochinkonzentration 1:8 Millionen betrug (Tabelle XII).
Diese Zunahme der Wirkung bei tieferen Temperaturen ent-
spricht den beim Studium der entwicklungshemmenden Eigen-
schaften anderer Substanzen erhobenen Befunden. So stellte
schon Behring fest, daß die entwicklungshemmende Wirkung
keimschädigender Substanzen durch tiefere Temperaturgrade
gesteigert werden kann, während die Abtötungsfähigkeit durch
höhere Temperaturen, also auch solche, die das Wachstums-
optimum vieler Bakterien darstellen (ca. 37° C), begünstigt wird.
Bestimmung zell- und keimschidigender Substanzen auf biol. Wege. 275
é
Er erklärte diese Erscheinung folgendermaßen: Durch höhere
Temperaturen werde nicht nur die Aktivität des Desinficiens,
sondern auch die des lebenden Protoplasmas erhöht; die Gift-
wirkung eines Mittels werde, ceteris paribus, von allen Lebewesen
um so leichter ertragen, je günstiger für dieselben die Lebens-
bedingungen sind; bei tieferen Temperaturen kämen zu der
Giftwirkung der schädigenden Substanz die ungünstigen Tempe-
raturverhältnisso hinzu
Außer der Temperatur, bei der das Optochin einwirkt, ist
auch die Einwirkungsdauer von Bedeutung. Wirkte das Mittel
niehr als 2 Stunden ein, dann erzielten wir noch höhere Wirkungs-
effekte, besonders bei Anwendung der Eisschranktemperatur.
Bei 37°C, weniger bei 18°C, waren die Resultate bei mehr-
stündiger Einwirkungsdauer nicht immer eindeutig, insofern als
häufig schon bei stärkeren Konzentrationen und früher Ent-
färbung eintrat als bei kürzerer Wirkungsdauer. In derartigen
Fällen handelte es sich oft um Sterilitätsfehler, auch dürfte die
Vermehrung der Keime eine Rolle spielen.
Es schien uns von Interesse, zu untersuchen, wie sich der
ReduktionsprozeB bei Zimmertemperatur (18°C) in ver-
schiedenen Optochinkonzentrationen abspielt. Keimzahl und
Wirkungsdauer wurden auch hier variiert. Doch zeigten schon
die ersten Versuche, daß die üblichen Optochinverdünnungen
nicht ausreichten. Bei Anwendung der Dosis minima reducens
zeigten auch die Röhrchen mit 100-millionenfachen, ja sogar
in vielen Fällen bei milliardenfacher Optochinkonzentration
keine Spur von Entfärbung, zu einer Zeit, wo die gleichzeitig an-
gesetzten Kontrollen deutliche Entfärbungszeichen aufwiesen.
Tabelle XIII zeigt einen eolchen Versuch.
Aus dieser Tabelle (XIII) ersieht man, daß die Optochin-
konzentrationen, die auf den Reduktionsprozeß der Pneumo-
kokken verzögernd einwirken, wenn derselbe bei 18° C stattfindet,
auch 100-millionenfache und milliardenfache sein kön-
nen. Bei Anwendung größerer Kulturquantitäten, als es den Vor-
versuchen entsprach, erfolgte die Entfärbung rascher und zeigte
nur bei stärkeren Optochinkonzentrationen deutliche Hemmungen.
Zwischen den Versuchen bei 37°C und denen bei 18°C besteht
ferner der Unterschied daß bei Bruttemperatur die Grenz-
konzentrationen sich deutlich von den unwirksamen Optochin-
276 A. Schnabel:
J
Tabelle XIII.
Dosis minima reducens bei 18°C und bei einem Zusatz von 0,1 ccm
Meerschweinchenserum @,® ccm Kultur.
1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 1 000 000
2. js 1: 5 = j l: 2 000 000
3. 2 l э e 95 m l: 4 000 000
4. e I o H e Se (E 8 000 000
5. Se l %&% sp e 5 1: 16000000
6. e l „ e P 1 1: 32 000 000
7. ‘3 e Se e e 1: 64 000 000
8. 99 1 99 d „э ээ 1: 128000000
9. МЫ 1 э ээ ээ ” 1: 256000 000
10. „ l, E А „ 1: 512 000 000
11. А eg ge ge # 1: 1 024 000 000
12. Р 1 j Se e 1 : 2 048 000 000
3 Kontrollen је Leem verdünnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, 18° C.
Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen fast entfärbt, sonst
alles unverändert. -
Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen entfärbt, 12. Röhrchen schwach
entfärbt.
verdünnungen abheben, während dies bei 18° C nicht der Fall ist.
Infolgedessen kann sich nur die Reduktion bei 37° C für quanti-
tative Bestimmungen eignen, während sie bei 18° C den Charakter
einer hochempfindlichen qualitativen Reaktion aufweist.
Die eigentliche Fragebeantwortung nach der praktischen
Anwendbarkeit der Methode, blieb Schlußversuchen vorbehalten.
Wir stellten uns drei verschiedene Verdünnungen des Optochins
in Meerschweinchenserum her, und zwar 1: 25 000, 1: 50 000 und
1: 100 000 und suchten nun die Hemmungsgrenzen für diese drei
Konzentrationen festzustellen (Tabelle XIV, XV, XVI).
Tabelle XIV.
Die Dosis minima reducens bei 37° С und bei Zusatz von 0,1 ccm
Meerschweinchenserum pro Röhrchen beträgt 0,2 cem Kultur. Die erste
Optochinlösung im Serum wurde so verdünnt, daß im 1. Röhrchen eine
Konzentration 1: 500 000 resultierte.
1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin i: 500 000
2. sp 1 99 99 99 „э 1:1000000
3. „э 1 ээ 99 99 э 1: 2 000 000
4. 57 1 „э 99 „э 9 1: 4 000 000
5. » l „ » » ” 1: 8 000 000
Bestimmung zell- und keimschidigender Substanzen auf biol. Wege. 277
3 Kontrollen је 1 com verdtinnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, 37° C.
Nach 1 Stunde 55 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrcher 4—6
entfärbt, 1—3 unverändert.
Nach 2 Stunden: Dasselbe.
Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe.
Tabelle XV.
Dosis minima reducens = @,2 ccm Kultur, 0,1 com Meerscheinchenserum
pro Röhrchen; die Optochinverdünnung 1 : 50 000 kam zur Anwendung.
1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 1 000 000
2. А I; ge PR 75 1: 2 000 000
3. „ 1 „ э» 55 „ 1: 4000 000
4. ” 1 „ 55 s 55 1: 8 000 000
5. j E ës 15 er Se 1 : 16 000 000
3 Kontrollen је l cem verdünnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, 37° C.
Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 3—6
entfärbt, 1—2 blau.
Nach 2 Stunden: Dasselbe.
Tabelle XVI.
Dosis minima reducens = @,2 ccm Kultur, 0,1 ccm Meerscheinchenserum
pro Röhrchen, die Optochinverdünnung 1 : 100000 wurde angewendet.
1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 2 000 000
2. ” 1 „, 2 55 IT 1: 4000000
3. „ 1 „ э ” ГЫ 1: 8000000
4. 9 1 „э э ээ „ 1 : 16 000 000
5. э, 1 э 9 э ap 1 : 32 000 000
3 Kontrollen je 1 com verdünnte Kultur, ohne Optochin.
Methylenblau, Paraffinöl, 37° C.
Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 2—6 entfärbt,
1. Röhrchen blau.
Nach 2 Stunde 10 Minuten: Dasselbe.
Vergleichen wir die drei Tabellen (XIV, XV, XVI) mit-
einander: In der Tabelle XIV, wo die Ausgangslösung das Op-
tochin in einer Verdünnung 1: 25 000 enthielt, konnte letztere,
noch 80fach verdünnt, die Reduktion hemmen (3. Röhrchen
1:2 Millionen), bei Tabelle XV traf dies nur noch in einer
40fachen Verdünnung zu, da ja die Ausgangslösung 1: 50 000,
also zweimal schwächer war als die erste; die Hemmung erstreckte
sich dementsprechend nur auf die Röhrchen 1 und 2 (Optochin
1:2 Millionen). Bei Tabelle XVI zeigte nur das 1. Röhrchen
278 A. Schnabel: Best. zell- u. keimschädigender Substanzen auf biol. Wege.
Hemmung, da bereits hier die Konzentration 1: 2 Millionen
betrug (= 20fache Verdünnung der Ausgangslösung 1: 100 000).
Das Verhältnis der Ausgangslösungen zueinander war 25 000
50 000: 100 000 = 1: 2: 4, ihre noch feststellbaren Verdünnungen
20: 40: 80, also ebenfalls 1: 2: 4. Ahnliche Versuche wurden
mehrmals wiederholt und die erzielten Resultate entsprachen den
hier mitgeteilten, — wenn auch nicht bezüglich der Konstanz der
Grenz konzentrationen, so doch hinsichtlich des Verhältnisses der
Ausgangs verdünnungen zueinander.
Wir sind also auf diese Weise in der Lage, Optochinlösungen
unbekannter Konzentrationen durch Vergleich mit bekannten
Lösungen zu bestimmen, und zwar in Verdünnungen, die auf eine
andere Art nicht ermittelt werden können. Es wird Gegenstand
weiterer Untersuchungen sein, die hier erhaltenen Ergebnisse
praktisch anzuwenden. Auch wollen wir in weiteren Versuchen
die Ausdehnung des Verfahrens auf andere Substanzen erstreben.
Zusammenfassung: 1. Durch Beeinflussung des
Reduktions vermögens der Pneumokokken sind wir
in der Lage, Optochinlösungen in millionenfachen
und höheren Verdünnungen zu bestimmen. 2. Die auf
diese Weise ermittelte Grenz konzentration hängt ab
von der Keimzahl, der Dauer der Einwirkung des
Mittels und der Temperatur, bei der es einwirkt.
3. Die höchsten Verdünnungen (milliardenfache) kön-
nen ermittelt werden, wenn der ReduktionsprozeB
bei Zimmertemperatur stattfindet; doch eignet sich
die Reduktion bei Zimmertemperatur nur für qualita-
tive Bestimmungen. 4 Genauere quantitative Ermit-
telungen lassen sich bei 37°C ausführen.
Literatur“).
1) P. Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Berlin 1885.
— *) E. Behring, Zeitschr. f. Hyg. 9. — *) M. Neisser und F. Wechs-
berg, Zeitschr. f. Hyg. 36. — ) R. Grass berger, Desinfektion. Leipzig
1913. — 5) J. Morgenroth, Dtsch. med. Wochenschr. 36. 1918. —
*) O. Schiemann und Т. Ishiwara, Zeitschr. f. Hyg. 7%. — 7) E. Fried -
berger, Die allgemeinen Methoden der Bakteriologie (im Handbuch der
pathogenen Mikroorganismen von Kolle-Wasser mann).
*) Wegen Raummangels werden nur die wichtigsten von uns
hier zitierten Publikationen angeführt, in е umfangreichere Literatur-
nachweise zu finden sind.
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen,
Xanthosis, Hyperlipochromamie.
Von
Hymans van den Bergh und P. Muller.
(Unter Mitwirkung von J. Broekmeyer.)
(Aus der medizinischen Klinik der Universität Utrecht.)
(Eingegangen am 31. Mai 1920.)
Die Farbe der Haut und der Gewebe ist mehreren, in ver-
schiedenartigen Verhältnissen miteinander vermischten Farb-
stoffen zuzuschreiben, die noch keineswegs hinreichend unter-
sucht worden sind. Sehen wir vom Blutfarbstoff selbst und seinen
unmittelbaren Modifikationen, reduziertem Hämoglobin, Met-
hämoglobin und Sulfhämoglobin ab, dann können wir schon
jetzt verschiedene Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe
bilden Zersetzungsprodukte von Eiweißkörpern, die wahrschein-
lich aus dem Protoplasma an Ort und Stelle entstehen. Die
zweite Gruppe wird von eisenhaltigen Derivaten des Blutfarb-
stoffs gebildet, für welche als Beispiel das Hämatin genannt sei.
Eisenfreie Hämoglobinderivate können zu einer dritten Gruppe
gezählt werden, deren wichtigster Vertreter das Bilirubin ist,
während zuweilen wohl auch das isomere Hämatoporphyrin eine
Rolle spielt. Eine vierte Gruppe bilden schließlich diejenigen
Pigmente, die unter verschiedenen Namen beschrieben werden,
Luteine, Carotinoide, Lipochrome. Mit der zuletzt genannten
Gruppe von Farbstoffen beschäftigt sich vorliegende Abhandlung.
Gelbe Pigmente, die vorläufig am besten mit dem Namen Lipochrome
bezeichnet werden, sind bis vorkurzem namentlich von Botanikern*), weniger
von Chemikern und fast gar nicht von Klinikern untersucht worden. Be-
reits Stokes!) und Sorb у?) hatten entdeckt, daß sich in grünen Pflanzen-
teilen neben dem Chlorophyll gelbe Farbstoffe befinden. Nachdem das
*) Vgl. Tine Tammes, Flora. 87, 205. 1900 und von Wisse-
lingh, Flora. 107, 371. 1915.
280 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
Carotin aus Daucus carota abgesondert worden war, wies Arnaud?) im
Jahre 1885 in grünen Pflanzenteilen ein gelbes Pigment nach, das mit dem
Carotin aus Daucus carota identisch ist. Seitdem sind zahlreiche Unter-
suchungen dieser Pigmente vorgenommen worden. In den letzten Jahren
hat Willstätter ‘), 5) sich namentlich damit beschäftigt. Diejenigen dieser
Pigmente, welche am häufigsten vorkommen, können in die zwei Gruppen
‚von Borodin®) eingeteilt werden. Die Pigmente der ersten Gruppe, welcher
das Carotin angehört, lassen sich in Petroleumäther (Benzin) leicht, in Alko-
hol schwer auflösen. Zur zweiten Gruppe gehört das Xanthophyll; die hier-
her gehörigen Farbstoffe lassen sich verhältnismäßig leicht in Äthyl- und
Methymlkohol, schwer in Petroleumäther auflösen.
Auch in tierischen Produkten, namentlich im Eidotter, im Serum
von Menschen und Tieren, haben bereits ältere Forscher lipochrome Pig-
mente angetroffen (Krukenberg, Thudicum, Schunk u.a.); sie
werden gewöhnlich Luteine genannt. Auch auf diesem Gebiet verdanken
wir Willstätter und seinen Mitarbeitern wichtige Untersuchungen.
Es stellte sich heraus, daß auch die tierischen Lipochrome oder Carotinoide,
je nach ihrer Lösbarkeit in Petroleumäther oder Alkohol, in zwei Gruppen
eingeteilt werden können. Willstätters Schüler Escher hat aus dem
Corpus luteum der Kuh das Carotin in reinem Zustand abgesondert,
während Willstätter und Escher zusammen aus dem Eidotter das
Lutein in chemisch reinem Zustande gewannen, wobei sie fanden, daß es,
vom Schmelzpunkt abgesehen, völlig mit dem Pflanzenxanthophyll über-
einstimmt.
In einer Abhandlung über die Farbstoffe des Blutserums
haben wir’) im Jahre 1913 eine einfache Methode beschrieben,
mittels welcher man das Lipochrom aus dem Blutserum von
Mensch und Tier auszuscheiden vermag. Dabei fanden wir, daß
dieses Pigment im Serum von Hühnern und Rindern in verhält-
nismäßig großer Menge vorkommt. Bei Menschen trafen wir es
in sehr verschiedener Menge an, das eine Mal fanden sich nur
geringe Spuren, das andere Mal nicht unbeträchtliche Mengen.
Ferner stellten wir fest, daß bei manchen Menschen. namentlich
bei Zuckerkranken, aber auch wohl bei solchen, die nicht an
dieser Krankheit litten, der Lipochromgehalt des Serums sehr
stark erhöht war. Diese Personen mit abnormal hohem Lipo-
chromgehalt des Blutserums zeichneten sich durch eine eigen-
artige Hautfärbung aus, die ein wenig an einen leichten Ikterus
erinnerte. Die Farbe war aber etwas anders, mehr orangegelb,
und die Sclerae waren stets farblos, und, wie selbstverständlich,
enthielt der Urin keinen Gallenfarbstoff. Es war uns entgangen,
daß eine derartige eigentümliche gelbe Farbe bereits von v. Noor-
dens) und Salomon?) unter dem Namen Xanthosis beschrieben
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 281
worden war. Es wurde aber von v. Noorden die Art des Farb-
stoffes, der diese Xanthosis veranlaBt, nicht festgestellt.
Später sind in der deutschen Literatur verschiedene Mitteilungen,
die sich auf diesen Gegenstand beziehen, erschienen.
Raupen) lenkte die Aufmerksamkeit auf eine gelbe Hautfarbe,
die während des Krieges bei kleinen Kindern, die viel Mohrrüben gegessen
hatten, beobachtet wurde. Stöltzner!!) und Klose!2) führten derartige
Beobachtungen an, während Moro!) eine eigentümliche Verfärbung der
Haut bei Säuglingen, die mit sog. „Möhrensuppe‘‘ großgezogen worden
waren, schon vorher beschrieben hatte. Schüssler!?) beschrieb die erwähnte
Hautfärbung bei Erwachsenen, die viel Mohrrüben gegessen hatten. Um-
ber!) bestätigte in der zweiten Auflage seines Lehrbuches von Noorden’s
Xanthosebeobachtung und kam im Jahre 1916 noch einmal darauf zurück!“).
Alle diese Mitteilungen machen die Wahrscheinlichkeit, daß die Lipochrom-
zunahme im Blut bei der Xanthose mit der Ernährung zusammenhängt,
sehr groß. Diese Annahme wird durch eine Untersuchung von Bürger
und Reinhart!’), 18) verstärkt, die bei quantitativer Schätzung des
Lipochroms im Blut bemerkten, daß der Gehalt entsprechend dem Lipo-
chromgehalt der Nahrung wechselt. Eine kurze Mitteilung von Salo-
mon!?) bestätigt, daß das Serumlipochrom bei Xanthosis in seinen
spektroskopischen Eigenschaften mit dem Pflanzenlipochrom übereinstimmt.
Sehr wichtige Untersuchungen, auf die wir noch wiederholt zurück-
kommen werden, verdanken wir dem amerikanischen Ackerbauchemiker
Palmer und seinen Mitarbeitern 22), 23), 24), 27), während Hess und
Meyers“) eine Untersuchung vornahmen, die wir besser an späterer Stelle
besprechen. Einen kurzen Artikel widmet diesem Gegenstand The Journal
of the American medical Association in ihrem Editorial vom 3. Januar 1920.
1. Einige chemische Eigenschaften der Carotinoide.
Es ist nicht nötig, die Chemie dieser Pigmente hier ausführlich zu
behandeln. Eine ausgezeichnete Darstellung geben Willstätter und
Stoll). Nur müssen, um die nachfolgenden Ausführungen verständlich
zu machen, einige Eigenschaften hervorgehoben werden. Das Pigment
aus Mohrrüben (Daucus carota) war vermutlich das erste, welches in che-
misch reinem Zustand abgesondert wurde. Arnaud hat es in einer vor-
trefflichen Arbeit (unter Chevreuil) genau untersucht. Er wies nach,
daß es ein ungesättigter Kohlenwasserstoff ist, welcher, dem Licht aus-
gesetzt, leicht Sauerstoff aufnimmt. Auf Grund seiner Analyse des Stoffes
selbst und seiner Additionsprodukte nahm er C, Hs, als empirische Formel
an. Arnaud fand, daß das Carotin mit gelben Pigmenten, die in grünen
Pflanzenteilen neben dem Chlorophyll vorkommen, jdentisch ist. Später
hat man entdeckt, daß außer dem Carotin noch andere lipochrome gelbe
Pigmente in der Natur vorkommen. Nach Tswett?!) nennt man sie alle
zusammen Carotinoide. In dieser Abhandlung werden nur die beiden großen
Gruppen, die durch das Carotin und das Xanthophyll vertreten sind, berück-
sichtigt werden. Diese beiden Pigmente kommen einmal getrennt, ein
Biochemische Zeitschrift Bd. 108. 19
РА
282 Hymans van den Bergh, Р. Muller und J. Broekmeyer:
anderes Mal nebeneinander in der Natur vor. Sie lassen sich alle in Fetten,
Äther, Petroleumäther, Aceton, Schwefelkohlenstoff auflösen. Ihre spektro-
skopischen Eigenschaften lassen wir der Kürze halber und weil wir uns
ihrer bei unseren jetzigen Untersuchungen nicht bedienten, unbesprochen.
Dasselbe gilt für ihre adsorbtiven Eigenschaften hinsichtlich des Calcium-
carbonats. Eine sehr wichtige Eigenschaft der Carotinoide ist diese, daß
sie sich, sofern sie sich in trockenem Zustand befinden, mit einer dunkel-
blauen Farbe in starker Schwefelsäure lösen.
Willstätter hat die Ergebnisse, zu denen Arnaud bei seiner Unter-
suchung des Carotins gelangte, so gut wie ganz bestätigen können. Es zeigte
sich, daß die molekulare Zusammenstellung ein wenig von derjenigen
abwich, die Arnaud gefunden hatte. Für Carotin stellte Willstätter
Co Hz, für Xanthophyli C.o Hs eO, fest. |
Xanthophyll und Carotin lassen sich quantitativ leicht voneinander
trennen, weil sie sich in verschiedener Weise auf Petroleumäther und 90 proz.
Methylalkohol verteilen. Hat man eine Mischung jener beiden Stoffe, dann
bringt man sie in eine Mischung von starkem Methylalkohol und Petroleum-
äther. Danach setzt man ein wenig Wasser zu, geradesoviel wie nötig ist,
um die Konzentration des Alkohols auf ungefähr 90%, zu bringen. Es
bilden sich dann zwei Schichten. Das Carotin, das sich in Methylalkohol
schwer löst, lagert sich in die obere Petroleumätherschicht. Das Xantho-
phyll geht in die untere Schicht, den Methylalkohol.
2. Die Absonderung der Lipochrome aus Blutserum und aus
pflanzlichen und tierischen Geweben.
In unserer früheren, vorhin bereits erwähnten Abhandlung
haben wir angegeben, auf welche Weise das Serum-Lipochrom
auf einfache Art abgesondert werden kann. Ein Volumen Rinder-
serum wird mit 2 Volumen Alkohol gemischt. Beim Menschen-
serum nimmt man gleiche Volumina. Die Mischung wird zentri-
fugiert, die oben liegende Flüssigkeit abgegossen. Das Eiweiß-
präcipitat, welches das Lipochrom enthält, wird mit Äther extra-
hiert. In der letzten Zeit machten wir es oft ein wenig anders:
Kinem Volumen Serum setzten wir 1 Volumen 96proz. Alkohol
und 1½ Volumen Äther zu, dann, ohne zu schütteln, soviel Wasser,
wie zur Entmischung nötig ist. Gewöhnlich reichen hierzu
1½ Volumen hin. Das Lipochrom geht dann quantitativ in
die Ätherschicht.
Palmer?!) schlug einen etwas anderen Weg ein. Er mischte das Serum
mit wasserfreiem CaSO,, benetzte mit Alkohol und extrahierte mit Äther.
Diese Methode bietet unserer Meinung nach keinen Vorteil vor der. von uns
befolgten, welche auch von Reinhart und Bürger und von Salomon
angewandt wird.
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 283
Um die Lipochrome aus pflanzlichem und tierischem Gewebe
abzusondern, werden sie entweder in frischem Zustand mit Alko-
hol und Ather behandelt, worauf mittels Wasser getrennt wird,
oder aber das Material wird zuerst bei mäßiger Erwärmung ge-
trocknet und fein verteilt und dann mit Alkohol und Äther
extrahiert. Gallenfarbstoff kann man durch Waschen mit sehr
verdünnter Lauge entfernen.
In den meisten Fällen, sei es auch nicht in allen Fällen, ist
es nötig, der Extraktion mit Äther eine Behandlung mit Alkohol
vorausgehen zu lassen. Aus manchen Pflanzenteilen kann man das
Pigment direkt durch Extraktion mit Äther erhalten. Dasselbe
ist beim Eidotter der Fall. Reibt man ibn mit Äther, dann geht
das Pigment (Xanthophyll) in letzteren über. Wendet man je-
doch Petroleumäther als Extraktionsmittel an, dann ist vorher-
gehende Behandlung mit Alkohol nötig. Gekochter Eidotter tritt
dagegen seinen Farbstoff wieder direkt an Petroleumäther ab.
Aus Rinderserum, Menschenserum und zahlreichen
tierischen Geweben gelingt es nicht, das Pigment mit
Äther zu extrahieren, es sei denn, daß man sie zuvor
mit Alkohol behandelt habe.
Auch beim Hühnerserum stellte sich bei acht von den zehn
von uns benutzten Proben dasselbe heraus. Dies widerspricht
der Erfahrung Palmers, nach dessen Ansicht das Hühnerserum
sein Pigment immer direkt an Äther abgibt.
Nach demselben Forscher soll das Pigment des Rinderserums
darin an Eiweiß gebunden, als sog. Carotoalbumin, vorkommen;
die genannte Molekularverbindung müsse durch Alkohol zerlegt
werden, ehe das Pigment sich in Äther lösen könne. Im Gegen-
satz hierzu fanden wir aber, daß das Lipochrom aus Rinderserum
nicht in Äther übertritt, wenn man das Eiweiß mittels gesättigter
Ammoniumsulfatlösung oder durch Kochen gefällt hat, während
doch, unserer Meinung nach, das Eiweiß durch Kochen stärker
denaturiert wird, als durch Alkohol. Überraschend ist ferner
die schnelle Wirkung des Alkohols. Unmittelbar nach dem Zu-
setzen des Alkohols bemerkt man, daß der Äther eine gelbe Fär-
bung annimmt. Die Wirkung scheint also bereits während der
ersten Phase (der Ausflockung) einzutreten und vor der zweiten
Phase (dem Denaturieren des Eiweißes).
Die Lipochrome sind in Wasser nicht löslich. Dies erschwert
19*
284 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
ihre Untersuchung im Tierexperimente. Lésungen in Ather,
Petroleumäther und dergleichen sind dazu nicht zu brauchen
Man kann sich einigermaBen behelfen, indem man die Stoffe in
farblosen Olen auflöst. Indessen lassen sich diese auch nicht
bei allen Experimenten anwenden, z. B. nicht bei intravenöser
Injektion für tierphysiologische Untersuchungen. Es ist also
von Nutzen, daß die Lipochrome auf folgende Weise in wässerige
(kolloidale) Lösung gebracht werden können.
Man bereitet eine konzentrierte Carotinlösung, indem man getrocknete
und fein geriebene Mohrrüben mit einer-Mischung von Alkohol und Äther
extrahiert. Der Äther wird entfernt. Es bleibt dann eine schöne, gold-
gelbe, völlig durchsichtige alkoholische Carotinlösung übrig. Auf ein-
fachere Weise erhält man diese Lösung, wenn man Mohrrüben zuerst mit
Alkohol kocht, wodurch sie Wasser, einen kleinen Teil ihres Carotins und
ihre anderen Farbstoffe loslassen. Darauf werden sie in einem Rückfluß-
kühler auf dem Wasserbad mit kochendem Alkohol extrahiert. Wenn man
die alkoholische Lösung mehrmals mit Wasser verdünnt, so daß nur noch
ein sehr geringer Alkoholgehalt in der Mischung übrigbleibt, dann bildet
das Carotin keinen Niederschlag, sondern bleibt gelöst. Durch Eindampfen
in vacuo (nötigenfalls bei leichter Erwärmung im Wasserbad) wurden die
Alkoholreste, die noch übrig waren, so viel wie möglich entfernt. Auch
dann bildet das Carotin keinen Niederschlag, sondern man behält eine
kolloidale Lösung übrig. Konzentrierte kolloidale Lösungen dea Carotins
opalescieren, weniger konzentrierte sind klar.
Versucht man nun aber dieser kolloidalen Lösung das Carotin mittels
Äther zu entziehen, so gelingt dies nicht. Man mag noch so stark schütteln,
selbst nach 2 Stunden starken Schüttelns in einer Schüttelmaschine, es
geht keine Spur des gelben Farbstoffs in den Äther oder das Benzin über.
Sobald man aber der Mischung eine kleine Menge Alkohol zusetzt (z. B.
auf 5ccm kolloidale Carotinlösung + 3 ccm Ather, einige Tropfen Alko-
hol), tritt der Farbstoff sogleich und quantitativ in die obere Flüssigkeits-
schicht über, während die untere Schicht ganz entfärbt wird und gewöhn-
lich etwas stärker opalesciert. Das sicherste Resultat erzielt man, wenn
man zuerst den Alkohol zusetzt und nachher den Äther.
Ebenso wie das Mohrrübencarotin können das Carotin aus Rinder-
und Menschenserum und das Xanthophyll aus Hühnerserum und Eidotter
auf gleiche Weise in wässerige, kolloidale Lösung gebracht werden. Letztere
opalescieren stärker als die Carotinlösung aus Mohrrüben, am stärksten
die Eidotter-Xanthophyli-Lösung. Sie laufen nichtsdestoweniger alle un-
verändert durch das Filter und die Opalescenz kann durch Entfernen der
Fette (nach Verseifen) und des Cholesterins (Fällen mittels Digitonin)
stark verringert werden. Schüttelt man diese wässerigen kolloidalen
Lösungen mit Äther, so geht in diesen — genau wie bei dem Carotin aus
Daucus carota — keine Spur Farbstoff über. Setzt man aber zuerst eine
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 285
kleine Menge Alkohol zu und schiittelt, dann tritt der Farbstoff wieder
sofort und quantitativ in die Atherschicht ein.
Dieselbe Wirkung hat die Hinzufiigung von gewissen Salzen. Setzt
man zur kolloidalen Lösung des Carotins einige Tropfen einer CaCl,-Lésung,
oder noch besser eines Aluminiumsols zu, so kann man den Farbstoff so-
fort mit Ather ausschiitteln. Die Wirkung dieser Salze beruht offenbar
auf einer Ausflockung des Carotins, die nach längerem Stehen sichtbar
wird. Aber schon die für das Auge nicht sichtbare Ausflockung der kleinsten
Partikelchen macht dieselbe für den Äther erreichbar.
Nachdem wir in der uns zur Verfügung stehenden Literatur vergeb-
lich nach einem ähnlichen Verhalten gesucht haben, fanden wir, daß
Willstätter dieselbe Erscheinung bei wässerigen kolloidalen Lösungen
von Chlorophyll wahrgenommen hatte. Er bereitete diese — ebenso wie
wir die entsprechenden Lipochromlösungen — indem er einer alkoholischen
Chlorophyllösung eine große Menge Wasser zusetzte und darauf den Alko-
hol in vacuo verdampfte. Mittels Äther gelang es ihm dann nicht, das
Chlorophyll aus der wässerigen Lösung zu extrahieren. Wohl aber ging
der grüne Farbstoff sofort in den Äther über, wenn er der wässerigen
Lösung eine kleine Menge Lauge zugesetzt hatte. Willstätter hat nicht
untersucht, ob auch einige Tropfen Alkohol „ befreiend“ wirken. Er erklärt
die Wirkung, wie wir es vorher dargelegt haben. Die Wirkung des Alkohols
muß aber eine andere sein. In diesem Falle ist ja von „Ausflockung“ keine
Rede. Eher müßte der Alkohol, wenigstens bei Zusatz einer hinreichenden
Menge, die kolloidale Lösung in eine echte Lösung verwandeln.
Eine Erklärung der Erscheinung vermögen wir nicht zu
geben. Wir glauben aber in ihr eine Analogie sehen zu dürfen zu
einer anderen, früher von uns beobachteten Erscheinung. Beim
Studium der Gallenfarbstoffe hatten wir wahrgenommen, daß
das Bilirubin, sowie es sich in der Galle und im Blutserum von
Personen, die an Stauungsikterus leiden, vorfindet, direkt ‘und
vollkommen imstande ist, mit Diazoniumsalzen zu koppeln.
Nimmt man aber dieselbe Reaktion im Blutserum solcher
Patienten vor, die an jenem Zustand leiden, den man früher
hämatogenen Ikterus nannte, dann kommt die Reaktion ver-
spätet und unvollständig zustande. Die Koppelung findet jedoch
auch hier sofort und vollkommen statt, sobald man eine kleine
Menge Alkohol zusetzt.
Man wird zu der Annahme geführt, daß das Bilirubin im
Serum bei Stauungsikterus und in Gallenblasengalle sich in
einem andern Zustand befindet als im Serum bei hämotogenem
Ikterus. Im letzteren Fall scheint es, als ob die Bilirubinpartikel-
chen nicht imstande seien, mit der Diazoniumlösung in Berührung
zu kommen, hierzu jedoch durch die Einwirkung kleiner Mengen
286 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
Alkohol in den Stand gesetzt werden. In dieser Hinsicht verhält
sich also das Bilirubin im Serum bei hämatogenem Ikterus ebenso
wie das Lipochrom im Rinderserum, oder in der wässerigen kol-
loidalen Lösung. Das übereinstimmende Verhalten einer wässe-
rigen, kolloidalen Carotinlösung mit jenem des nativen, Lipo-
chrom enthaltenden Rinderserums ließ vermuten, daß das Carotin
auch im Serum sich vielleicht in kolloidalem und gieichartigem
Zustand befinde. Diese Vermutung erwies sich aber als unrichtig:
Die wässerige, kolloidale Lösung wird ja durch die obengenannten
Stoffe (NaOH, AL sol usw.) ausgeflockt, so daß das Lipochrom
mit Äther ausgeschüttelt werden kann. Setzt man dagegen jene
Reagenzien dem nativen Serum zu, dann tritt der Farbstoff
nicht in den Äther ein.
Ein anderer wichtiger Unterschied zwischen dem nativen,
lipochromhaltigen Serum und der künstlichen kolloidalen Lösung
ist ihre Empfindlichkeit gegen Licht. Ältere Untersuchungen
haben gezeigt, daß das Carotin aus Daucus carota (nach späteren
Untersuchungen gilt dasselbe für das Xanthophyll), wenn es dem
Sonnenlicht ausgesetzt wird, unter Aufnahme von Sauerstoff
verblaßt und nach einiger Zeit die Farbe ganz verliert. Die wässe-
rigen Lösungen verloren, der Quarzlampe in kurzer Entfernung
ausgesetzt, nach 15—90 Minuten die Farbe, je nachdem es Lipo-
chromlösungen aus Eidotter oder solche aus Daucus carota
betraf. Im Gegensatz hierzu wurden unter solchen Umständen
die nativen Stoffe (Eidotter, Mohrrüben, Rinderserum) nicht
entfärbt. In der Empfindlichkeit gegen Licht besteht also ein
zweiter Unterschied zwischen der nativen Lipochromlösung und
den kolloidalen, wässerigen Lösungen.
3. Quantitative Schätzung des Lipochroms im.Serum und in
tierischem und pflanzlichem Gewebe.
Für die Untersuchung nach der Bedeutung der lipochromen
Pigmente ist es nötig, diese quantitativ bestimmen zu können.
Vorläufig war uns dies nur auf colorimetrischem Wege und nur
annäherungsweise möglich. Im Blutserum geschieht diese quanti-
tative Schätzung folgendermaßen: 1—2ccm Serum werden mit
einer gleichen Menge 96proz. Alkohol gefällt. Die Flüssigkeit
‚wird zentrifugiert, der Niederschlag mit 1—2ccm Äther extra-
hiert. Man erhält auf solche Weise eine Lipochromlösung in Äther
Das lipochrome Pigment in Blntserum und Organen, Xanthosis usw. 287
von der gleichen Konzentration wie im urspriinglichen Serum.
Bei hohem Gehalt wurde der Niederschlag noch einmal mit einer
gleichen Menge Äther extrahiert, so daf der abgelesene Gehalt
also mit 2 multipliziert werden mußte.
Findet sich viel Bilirubin im Serum vor, so wird der
ätherische Extrakt mit einigen Tropfen sehr verdünnter Natron-
lauge gewaschen. Verglichen wurde mit ½ proz. Kaliumbichro-
matlösung mit Hilfe des Colorimeters von Hellige.
Den Lipochromgehalt von Pflanzenteilen und von tierischen
Geweben bestimmten wir auf folgende Weise:
Pflanzenteile wurden mit Alkohol gekocht, nachher in einem Mörser
mit Alkohol und Ather zu farblosem Extrakt verrieben. Der Extrakt wurde
filtriert, alsdann durch Hinzufügung von Wasser der Farbstoff in Ather
übergeführt. Andere Farbstoffe als die Lipochrome blieben bei dieser Be-
handlung in der unteren, verdünnt- alkoholischen Schicht. Die untere
Schicht wird nötigenfalls noch einmal mit Äther extrahiert, die ätherischen
Extrakte durch vorsichtiges Eindampfen auf eine hinreichende Farben-
intensität gebracht. Durch einige Tropfen absoluten Alkohols erhält man
einen klaren ätherischen Extrakt. Von diesem mißt man nun Volumen
und Farbintensität. Hat man a Gramm Pflanzenteile, b Kubikzentimeter
Extrakt mit einer Farbe von c Prozent der Normalfarbe, dann ist der
cb ~
Gehalt: 100 а `
Die Farbe wird also berechnet, als ob man 1 g Stoff völlig extrahiert
hätte zu lccm ätherischen Extrakt; der Gehalt gibt dann an, wievielmal
diese Farbe stärker ist als unsere Normalfarbe. |
Tierische Gewebe werden fein geschnitten und in zwei Teile geteilt.
Von dem einen Teil wird eine Wasserbestimmung gemacht, indem man
ihn mit getrocknetem Seesand auf dem Wasserbad oder im Trocken-
schrank (105°) zu konstantem Gewicht trocknet. Der zweite Teil wird
mit Alkohol und Äther verrieben und von dem so erhaltenen Material,
ebenso wie bei den Pflanzen, der Gehalt bestimmt. Der Gehalt tierischer
Gewebe wird gewöhnlich für 1 g trocknen Stoffes bestimmt. Bei Fett
tritt eine Fettbestimmung an die Stelle der Wasserbestimmung. Dabei
wird also der Gehalt auf 1 g reines Fett berechnet.
Die bei diesen Bestimmungen angewandte Methode ist ziemlich wenig
genau; wenn die Untersuchung von kleinen Mengen Rohstoff ausgeht,
werden geringe Mengen Lipochrome vielleicht der Beobachtung entgehen.
Finden wir von 10 cem Rinderserum ausgehend 3 Carotin und 0 Xantho-
phyll, so ist demnach wohl möglich, daß beim Verarbeiten großer Mengen
Serum noch Spuren Xanthophyll nachgewiesen werden könnten (Palmer). _
Es sei hier ferner ein für allemal darauf hingewiesen, daß in
unsren Pigment-Lösungen die Lipochrome sich nicht in chemisch reinem
Zustande vorfanden, sondern daß wir nur bestrebt waren, die Hauptmasse
der Begleitstoffe (Eiweiß, Fette, Cholesterin) zu entfernen,
288 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
Bei diesen Bestimmungen haben wir ferner vorausgesetzt, daB die
beiden Gruppen Lipochrom (Carotin und Xanthophyll) in gleicher Kon-
zentration eine gleiche Farbe und Farbenintensität haben, und daß diese
bei Verdünnung regelmäßig abnimmt. Nach Willstätters Untersuchungen
ist diese Voraussetzung nicht zutreffend. Bei den starken Verdinnungen,
die wir gebrauchten, glaubten wir den gemachten Fehler außer acht lassen
zu dürfen. Schließlich muß noch auf die Notwendigkeit hingewiesen werden,
bei derartigen Untersuchungen stets das gleiche Lösungsmittel anzuwenden,
da die Farbe einer gleichen Menge eines bestimmten Lipochroms in ver-
schiedenen Lösungsmitteln (z.B. Äther und Schwefelkohlenstoff) sehr
verschieden ist.
Nachstehende Tabelle gibt den Lipochromgehalt einiger Nahrungs-
mittel an. Die gefundenen Werte sind Durchschnittewerte; bei mehreren
Proben eines gleichen Stoffes weichen die Werte oft stark voneinander ab.
Tabelle ].
Lipochromgehalt einiger Nahrungsmittel (Durchschnittswerte).
Xanthophyll Carotin Total
Salat: e ue ае 2,9 0,76 3,66
Mohrrübben 0 2,5 2,5
Spinat ............ 15,3 4,4 19,7
Eidotter ........... 27,5 0 27,5
Das Weiße des Eies . . . . . . 0 0 0
Rinderserum. ......... 0 3 3
Hühnerserum ......... 3 0 3
e r e a aeaa ? ? Spur
WeiBbrot........... Spur Spur 0,3
Braunbrot .......... Spur Spur 0,27
Il!!! E ас 0 0,9 0,9
Buttermilch (selbst gebuttert) 0 Spur 0,01 —0,02
Butter ... s.es esenea’ 0 2,1 2,1
Rindfleisch (mager) ...... d 0,08 0,08
Rindfleisch (fett). ....... d 0, 16 0,16
Kartoffel 7 ? 0,2—0,5
Blumenkohl ? ? 0,3
Май A uge, te na tes ee 6,7 1,6 8,3
Rüben 0 0 0
4. Der Lipochromgehalt des Blutserums und seine Beeinflussung
durch die Ernährung.
Wir erwähnten bereits, daß verschiedene Beobachtungen aus neuerer
Zeit den Einfluß nachgewiesen haben, den die Ernährung auf den Lipochrom-
gehalt des Blutserums ausübt. Höchst wichtige Untersuchungen Pal mers
haben dies, insofern es Tiere betrifft, mit Sicherheit bewiesen. Palmer
wies nach, daß das Körperfett, das Milchfett und das Blutserum der Rinder
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 289
ein Pigment enthalten, welches mit dem Carotin identisch ist. Das Körper-
fett, das Blutserum und der Eidotter der Hühner enthalten ein Pigment,
das völlig mit dem Xanthophyll übereinstimmt. Füttert man nun Rinder
mit pigmentloser (oder äußerst pigmentarmer) Nahrung, so verringert
sich der Carotingehalt des Serums und der Milch beträchtlich. Ebenso
wird der Eidotter sehr blaß und verliert das Blutserum sein Pigment,
wenn man Hühnern ein xanthophyllarmes Futter verabreicht.
Gibt man ferner Rindern eine Nahrung, welche einen Überfluß an
Xanthophyll, aber kein Carotin enthält, dann ist das Ergebnis das gleiche
wie bei pigmentloser Fütterung. Dasselbe geschieht, wenn man Hühnern
reichlich Carotin gibt, ihnen aber das Xanthophyll entzieht. Hieraus geht
hervor, daß Rinder und Hühner, was die Resorption der lipochromen
Pigmente betrifft, spezifisch eingestellt sind, die einen auf Carotin, die
anderen auf Xanthophyli. Zudem geht aus diesen Versuchen der alimentäre
Ursprung beider Pigmente im Organismus der Rinder und der Hühner
hervor. Jedoch sei bereits hier bemerkt, daß es Palmer bei seinen Ver-
suchen nicht gelang, Serum oder Eidotter ganz pigmentlos zu bekommen.
Wir selbst haben ebenfalls den Einfluß des Nahrungslipo-
chroms auf den Lipochromgehalt des Blutserums beim Menschen
nachweisen können. Schon im Jahre 1913 hat Herr Berg im
Laboratorium der Groninger Klinik unveröffentlichte Versuche
angestellt, welche die nachstehenden Schlußfolgerungen ergaben:
1. Der Lipochromgehalt des Blutserums ist bei Diabetes
zuweilen, aber nicht immer, höher als normal.
2. Es gibt keine Krankheit, bei welcher der Lipochromgehalt
des Serums konstant auffallend hoch oder niedrig ist.
3. Der Lipochromgehalt des Blutes hängt von dem der
Nahrung ab. Er nimmt (Versuche an Herrn Berg selbst) stark
ab nach einer 10 tägigen Ernährung mit abgerahmter Milch,
farblosem Mehl und Reis. Nach einer Ernährung mit gemischter
Kost und viel Eiern steigt der Lipochromgehalt bis zu einem
Wert, der höher ist, als vor dem Versuch.
4. Hühner haben einen hohen Serum-Lipochromgehalt.
Setzt man sie einige Zeit auf lipochromarme Diät, dann verschwin-
det das Lipochrom ganz aus dem Serum.
5. Kühe, auf der Weide geben Milch, die viel reicher an
Lipochrom ist, als bei Stallfütterung (Verwandtschaft der Farb-
stoffe des Grases mit denen des Blutserums). Auch das Blut-
serum dieser Rinder enthält mehr Lipochrom als das der Stallkühe.
Diese vorläufigen, nicht veröffentlichten Versuche fanden in
der großangelegten Arbeit Palmers an Tieren ihre Bestätigung.
290 Hymans van den Bergh, P. Maller und J. Broekmeyer:
Die Untersuchung des Herrn Berg war nur von vorläufiger
Art. Wir haben sie fortgesetzt, indem wir bei etwa 12 Personen
das Blutserumpigment bestimmten, und zwar zuerst bei Ver-
abreichung gewöhnlicher, gemischter Krankenhausnahrung und
dann zum zweitenmal nach l4tägigem Gebrauch einer Diät, die
sehr reich an Gemüsen und Eiern war. Die folgende Tabelle ent-
hält eine Übersicht der erhaltenen Resultate:
Tabelle II.
gewöhnliche Nahrung lipochromreiche Nahrung
Nr. 1 0,25 1,08
* 2 0,17 0,45
„ 3 0,42 1.34
„ 4 0,34 0,86
w0 0,21 0,54
» 6 0,16 ; 0,65
A 0,21 0,42
» 8 0,19 0,70
» 9 0,41 0,92
„ 10 0,8 1,24
» 11 0,52 0,74
„ 12 0,2 0,96
„ 13 0,08 0,4
derselbe — 0,56 (nach
weiteren zwei Wochen)
Aus dieser Tabelle geht hervor, daß eine lipochromreiche
Nahrung das eine Mal eine beträchtliche, das andere Mal eine
geringere Zunahme des Serum-Lipochroms veranlaßt. Früher
hatten wir, wie schon erwähnt, bei Diabetes oft hohe Werte ge-
funden. Vergleicht man nun die Ziffern der Tabelle II mit denen
der Tabelle III, in welcher der Serumlipochromgehalt bei 15 Dia-
betesleidenden angegeben ist, dann zeigt sich, daß die starke und
eigenartige Ernährung, die bei Zuckerkrankheit häufig angewandt
wird, namentlich der Genuß von viel Blattgemüsen, Eiern und
Butter, zu einem guten Teil die hohen Werten und die Xanthose
Tabelle III.
Serum-Lipochrom bei 15 an Zuckerkrankheit Leidenden.
1. 1,3 4. 0,82 7. 0,7 10. 0,72 13. 0,95
2. 0,9 5. 0,95 8 1,9 11. 1,3 14. 0,75
3. 0,54 6. 0,8 9. 0,85 12. 0,9 15. 0,45
~
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 291
zu erklären imstande ist. (Vgl. die friher bereits genannten
Untersuchungen von Birger und Reinhart, Salomon, Hess
und Meyers.)
Wir stellten ferner fest, daß sowohl beim Genuß von viel
Mohrrüben (Carotin) als von viel Eiern (Xanthophyll) der Lipo-
chromgehalt stieg. Der Mensch ist also, wie sich auch im folgen-
den zeigen wird, imstande, beide Pigmente aus der Nahrung
aufzunehmen, im Gegensatz zur Kuh und zum Huhn.
5. Der Lipochromgehalt des Fettes, der Leber, der Milz und der
Nebenniere beim Menschen.
Fremde und eigene Untersuchungen hatten also bisher den
Nachweis geliefert, daß die Ernährung großen Einfluß auf den
Lipochromgehalt des Serums ausübt. Nunmehr wünschten wir
auch den Lipochromgehalt der verschiedenen Organe oder Ge-
webe miteinander zu vergleichen. Tabelle IV gibt eine Übersicht
über einige zu diesem Zweck von uns vorgenommene Unter-
suchungen. Infolge äußerer Umstände wurde diese Untersuchung
nicht so vollständig, wie wir gewünscht hätten. Namentlich be-
dauern wir, daß bei den meisten Fällen der Lipochromgehalt des
Blutserums unbekannt ist.
Trotz der Unvollständigkeit der Untersuchung gestattet die
Tabelle IV doch einige Schlußfolgerungen.
1. Der Lipochromgehalt der verschiedenen Gewebe ist sehr
verschieden. Das Blut ist am ärmsten an diesem Pigment, auch
wenn man seine Menge auf trockenen Stoff berechnet, wobei
der Wassergehalt auf ungefähr 80% angenommen werden dürfte.
Am reichsten an Lipochrom ist die Nebenniere; dann folgt ge-
wöhnlich die Leber (in einzelnen Fällen enthielt das Fett mehr
Pigment als die Leber), dann folgen Fett und Milz. Von den bei-
den letzteren enthielt das eine Mal das Fett, das andere Mal die
Milz mehr Farbstoff.
Der große Lipochromreichtum der Nebenniere und der Leber
beweist, daß diese Organe ihren Farbstoff nicht einfach der Ab-
lagerung des gefärbten Körperfetts in ihre Gewebe verdanken.
Es muß eine elektive Affinität dieser Gewebe für Lipochrom
vorliegen.
2. Von einer einzigen Ausnahme abgesehen (Nr. 6) wurden
auch in den Fällen, bei welchen im Blut kein Lipochrom nach-
292 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
Tabelle IV.
£ Eeer in
Nr. 3 Diagnose Blut- | Fett от
E serum |(feucht) (rocken) EE,
108 Appendicitis, BEE 0038 | 1,5 2
Abszesse in d. Leber S
22 Meningitis tuberculos.| 0 | 1,1 1,3 | 10
38 Cirrhosis hepat. Laén-| C, O7 1,2 3,5 1,1
nec, Insuff. mitral.
4 1$ Akute Myeloblasten- | 0,11 | 1,3 1,9 | 19,5
leukämie
5 8 Endocarditis acuta 0,12 | 1,7 2,2 | 12,8
6 2 Tuberculos. pulmon. 0 0 0 d
786 Aortitis, stenosis ost.] 0,09 1,3 2,4
aortae, Insuffic. mitr.
8 | ch Peritonitis tuberculosa| 0 1,5 3,9 7,3
912 ? 0,23 | 2,1 3,4 3,9
10 Q Tuberculos. pulmon. 7 1.8 7 11,5
1112 Myodegeneratio cordis] 0,14 | 2,7 4,3 | 22
12 | Q Nephrolith., Spondylit.] 0,04 | 2,1 ? 11,6
13 | Q Insufficientia аогќае, | 0,11 | 3,7 7 20
| Tabes dorsalis
14 ! Q Tuberculos. pulmon. 0,12 | 2,9 5,2 ? 3,5 8,7
15 , Q Volvulus, Peritouitis ? 3,5 4,7 | 41 10 14
16 | S Diabetes 0,18 09 | 48 | 83 | 8 | 5,4
17 [© Carcinoma ventriculi | 0,14 | 10 13,6 | 29 86 1,1
18 || ? Coma diab., Paranephr.| ? 2 2,2 | 28 13 | 9
19 |$ Tuberculos. pulmon. ? 2 ? 18 ? 1,3
20 8 Sepsis, Nephr. parench. 7 3 4,2 31 6 1,2
21i Q Tuberculos. pulmon. ? 3 ? 7 ? 1,6
22 | ? Atrophische Leber- ? 3,7 8 32 14,6 5
cirrhose, Sepsis
28 8 Diabetes, Nephritis ? 3,7 5,5 | 56 14,8 | 14
24 8 Aleukim. Leukämie ? 2,6 3,6 | 52 12 2
(Aleukia) |
25 8 Nephrit. chron., Sepsis] ? 1.3 2 10,5 34 0,7
26 ES Tuberculos. pulmon. 2 2,1 4 9,6 44° 11
27 8 Pneumonia crouposa ? 10 42 34 8 13
| Q Tuberculos. pulmon. ? 76 | 11,4 | 23 5 1,8
29 © Diabetes 2 4,2 7,5 | 29 10,5 6,3
30 || Q Diabetes ? 3 ? 14 4,4 ?
31 1 Q Gangraena pulmonum| ? 1,3 ? 8 6,1 1.5
328 Pleuritis tuberculos., ? ? ? 22,6 3,2 0
! Arteriosclerosis
338 Tuberculos. pulmon. ? 3,4 5,4 10 2,2 1,2
344 Phthisis 0 22,9 7 20,6 9 | 2,3
35 il S Tuberculos. peritonei | 0 1,5 18 | 27 8,4 1.9
36 N Pneumonie 0,18 | 6,7 ? 27 10 3,1
3718 Pneumonie 0,55 5,4 H 25 22 3,5
38 18 Lungenabsceß 0,14 | 2,2 3,0 | 17 8 2,2
39 | Q Uleus ventric. 0 ? 6,0 | 38 9,7 5,5
40 |Q Phthisis 0 ? 13 14,5 | 10 4,1
41 | © Carcinom. uteri 0 ? 3 17,5 7,5 2,7
42 8 (Foetus) 2 ? ? Spur 0,9 0
43 | (Foetus) ? 0 0 + + Spur
er, gn ` N: nn zu —
Das lipochrome Pigment in Blutseram und Organen, Хапіћовіз usw. 293
gewiesen werden konnte, in den Organen immer noch beträcht-
liche Mengen Pigment vorgefunden. Um ein einziges Beispiel
zu nennen: Bei dem Patienten Nr. 40 war ein hoher Wert für
die Nebenniere vorhanden, während das Blut fast pigmentfrei
war. In anderen Fällen (z. B. Nr. 3) findet man in allen Geweben
niedrige Werte, im Fall 6 sogar fast nichts. Es läßt sich keine
Beziehung im Lipochromgehalt der verschiedenen Gewebe ent-
decken.
Soweit bis jetzt bekannt, muß ein geringer Lipochromwert
des Blutes dem Genuß lipochromarmer Nahrung zugeschrieben
werden. Aus dem Umstande, daß wir oft neben niedrigen Blut-
pigmentwerten normale oder hohe Organwerte finden, geht her-
vor, daß diese Organe (namentlich die Leber und die Nebenniere)
beim Genuß lipochromreicher Nahrung den Farbstoff hartnäckig
festhalten.
3. Es ist nicht möglich, einen Zusammenhang zwischen der
Art der Krankheiten und dem Lipochromreichtum des Blutes
oder der Gewebe zu entdecken. Die hohen Werte bei Diabetes
erklären sich jedenfalls großenteils aus der eigenartigen Er-
nährung.
4. Das Steigen des Pigmentspiegels im Blut bei lipochrom-
reicher Nahrung, das Fallen bei pigmentarmer Nahrung gestattet
den Schluß, daß der Organismus diese Farbstoffe dem Pflanzen-
reich entnimmt (evtl. indirekt durch Genuß tierischer Nahrung,
die das Vorhandensein dieser Lipochrome ebensowohl dem
Pflanzenreich verdankt). Bei der Ernährung nimmt das Blut
diese Pigmente auf und lagert sie in die Gewebe ab. Was diese
damit machen, ist bisher noch völlig unbekannt. Man könnte
sich denken, daß Fett, Leber, Nebenniere und Milz diese Pigmente
bis ins Unendliche aufstapeln. Das ist aber sehr unwahrschein-
lich, denn in diesem Fall müßten bei älteren Personen in Anbe-
tracht der beträchtlichen Mengen, welche täglich aufgenommen
werden, die Lipochrommassen in den Geweben zu unbegreiflich
hohen Werten steigen. Da man bei älteren Personen aber gar
keine exzessive Werte findet, ist man zu der Annahme gezwungen,
daß das lipochrome Pigment den Körper auf irgendeine Weise
verläßt oder in ein Derivat umgesetzt wird, das wir vorläufig
noch nicht nachzuweisen imstande sind. Wir verfügen über eine
Beobachtung, die diese Vermutung einigermaßen stützt. Bei
294 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
einem Patienten, der an akuter, gelber Leberatrophie nach einer
Krankheit von wenigen Tagen starb, und bei welchem die Autopsie
eine akute Leberatrophie (rotes Stadium) nachwies, fanden wir
in der Leber keine Spur Lipochrom.
Wir haben bisher weder in der Galle noch im Urin normaler
Menschen, auch solcher mit hohem Serum-Lipochromgehalt,
Carotin oder Xanthophyll nachweisen können. Zwar ist Hess
und Myers?) solches gelungen, im Experimente sowohl wie
beim Menschen. Das Experiment ist nicht genau beschrieben:
Nach subcutaner Einspritzung eines Extraktes aus einer Mohr-
rübe (Daucus carota) in Olivenöl nahm der Urin eine dunklere
Farbe an, und ein Petroläther-Extrakt war deutlich gefärbt
(an extract of definite colour was thus obtained). Eine Identi-
fizierung des Pigmentes scheint nicht vorgenommen zu sein.
Ferner wurde einem Kind von 1!/, Jahr ein Extrakt von Mohr-
rüben per os verabreicht in einer Menge, die dem Pigmentgehalt
von 3 Pfund Mohrrüben entsprach. Ein anderes Kind gleichen
Alters erhielt zweimal soviel. Der Urin dieser Kinder war
nach dem Versuch gelb gefärbt. Es wird nicht erwähnt, ob
Identifizierung des Pigmentes stattgefunden hat. Aber auch
davon abgesehen, ist es einleuchtend, daß diese Experimente mit
außerordentlich großen Pigmentmengen über die physiologische
Ausscheidung der Lipochrome beim Menschen nichts aussagen.
6. Der Lipochromgehalt des Blutes und der Gewebe bei einigen
Tieren. |
Palmer hat das Blutserum verschiedener Tiere auf Lipochrom-
pigment untersucht. Wir haben außer dem Blut auch die Organe einiger
Tiere untersucht, wobei wir die folgenden Resultate erhielten:
Mensch. Das Blutserum enthält gewöhnlich nachweisbare Mengen
Lipochrom; nur selten fehlt es ganz. Im Sommer ist der Gehalt durchschnitt-
lich größer als im Winter (Einfluß der Ernährung mit grünen Pflanzen-
teilen). Im vorhergehenden wurden einige Zahlen betreffs des Gehaltes
an totalem Lipochrom (Xanthophyll und Carotin) mitgeteilt. Als Durch-
schnitt darf bei gewöhnlicher Kost 0,2—0,3 nach unserem Maßstab ge-
messen, angenommen werden. Auch wurde schon darauf hingewiesen,
daß, im Gegensatz zur Kuh und zum Huhn, der menschliche Organis-
mus sowohl Xanthophyll als Carotin resorbiert. Das Verhältnis der Mengen
der beiden Pigmente im Blutserum ist bei verschiedenen Persönen ver-
schieden. Fast immer überwiegt das Carotin, bald in größerem, bald in
geringerem Maße. Oft ist das Verhältnis Carotin : Xanthophyll ungefähr
3:1; einigemal fanden wir gleiche Mengen.
e
— — AA
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 295
Auch in den Geweben überwiegt gewöhnlich das Carotin, zuweilen
fehlt das Xanthophyll nahezu ganz. Manchmal findet man aber auch von
beiden Pigmenten fast gleiche Mengen.
Schwein. Das Blutserum, das Fett (Speck) enthalten kein Pigment.
Auch in den Corpora lutea, (müßten also heißen: alba) konnte ich kein
Pigment nachweisen. Leber und Milz enthielten kleine Mengen, die Leber
mehr als die Milz. In der Leber fanden wir meistens gleiche Mengen Carotin
und Xanthophyll.
Die Nebennieren enthielten nur Spuren.
Pferd. Das Pferdeserum zeichnet sich, wie allgemein bekannt,
durch eine schöne, goldgelbe Farbe aus. Diese verdankt es größtenteils
dem Bilirubin. Dennoch enthält das Serum auch Lipochrom in sehr ver-
schiedener Menge; bald nur Spuren, ein andermal, wenn die Tiere auf
Weide gewesen sind, beträchtliche Mengen. Wir fanden nur Carotin.
Auch das Körperfett des Pferdes ist gewöhnlich stark gelb gefärbt.
Wir untersuchten in drei Fällen den Farbstoff dieses Fettes und das Blut
dieser selben Pferde. Während nun in allen diesen drei Fällen das Blut
Bilirubin und nur äußerst wenig Lipochrom enthielt, war in dem Fett aus-
schließlich Lipochrom und gar kein Biluribin vorhanden. Auch Leber,
Milz und Nebenniere enthielten Carotin.
Cavia. Das Blutserum enthält kein Pigment. Leber und Milz ent-
halten ein wenig Xanthophyll. Die Nebenniere enthält viel Carotin.
Kaninchen. Das Blutserum enthält keine oder nur geringe Spuren
Pigment. Die Leber enthält ein wenig Pigment, fast ausschließlich Caro-
tin. Milz und Fett enthalten kein oder nahezu kein Pigment, die Neben-
niere zuweilen ein wenig Carotin.
Hund. Das Blutserum enthält kein Pigment. Die Leber enthält
Carotin, die Milz kem oder nahezu kein Pigment, die Nebenniere ein wenig.
Aus dieser unvollständigen Untersuchung geht hervor, daß die Tiere
sich hinsichtlich der Lipochrome sehr verschieden verhalten. Manche nehmen
wenig Lipochrome aus der Nahrung auf, andere größere oder kleinere
Mengen. Mit Ausnahme der Hühner, die ausschließlich Xanthophyll
resorbieren, nehmen die meisten Tiere mit Vorliebe Carotin auf, das Xantho-
phyll entweder nicht, oder in viel geringerem Maße. Wenn das Blut frei
von Lipochrom ist, so beweist dies doch nicht, daß kein Pigment auf-
genommen wird. Auch bei Tieren, deren Blutserum farblos ist, fanden wir
immer Lipochrom, sei es auch in geringer Menge, in der Leber. Dies gilt
auch für den menschlichen Foetus, bei dem sich zeigte, дав die Leber ge-
ringe Mengen Pigment (Xanthophyll) enthielt.
7. Resorption und Deposition des Lipochroms.
Aus den bisherigen Untersuchungen kommt man zu dem
Schluß, daß die resorptive Funktion des Darmkanals die Auf-
nahme der Lipochrome beherrscht. Diese werden in die Leber
geleitet und an erster Stelle dort abgelagert. Die Überführung
296 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
in andere Organe und die Ablagerung in die verschiedenen Ge-
webe erfolgt nach Regeln, die wir noch nicht übersehen können.
Nur so viel ist sicher, daß es sehr spezielle Affinitäten gibt, welche
die Ablagerung der Lipochrome in die verschiedenen Gewebe
beherrschen, und die bei verschiedenen Tierarten, und einiger-
maßen auch bei verschiedenen Rassen und Individuen verschieden
sind. Es bestehen sogar bei verschiedenen Individuen Unter-
schiede der Bevorzugung hinsichtlich des Carotins und des Xantho-
phylls. So enthielt bei einem Patienten das Fett nur Carotin,
die Leber und die Nebenniere enthielten jedoch nahezu gleiche
Mengen Carotin und Xanthophyll. Ein andrer Fall zeigte gerade
das entgegengesetzte Verhalten. Leber und Nebenniere ent-
hielten keine Spur Xanthophyll, das Fett gleiche Mengen Xan-
thophyll wie Carotin. Auch bei den verschiedenen Rinderrassen
ist der Carotinreichtum des Blutserums, des Körperfetts und der
Milch, auch unter gleichen Ernährungsumständen, verschieden
(Palmer).
Wie wir schon hervorhoben, hängt die Aufnahme der Lipo-
chrome davon ab, ob sie im Darm resorbiert werden können
oder nicht. Man könnte sich daher vorstellen, daß die Bindung
des Pigments im Nahrungsmittel auf die Resorption Einfluß aus-
übe; z.B. in der Weise, daß im Darm des Huhnes das Xantho-
phyll wohl aus seiner Verbindung gelöst werden könne, das Carotin
aber nicht, und daß beim Rind das Umgekehrte der Fall sei.
Dieser Annahme widersprechen aber die folgenden Beobach-
tungen:
a) Bei Kaninchen, die gefastet haben, brachten wir 10 Tage lang
täglich mittels der Sonde eine kolloidale, wässerige Lösung von Xantho-
phyll (aus Eidotter bereitet) in den Magen. Alsdann wurden die Tiere
getötet. Leber, Milz, Nebenniere, Fett und Blutserum wurden unter-
sucht. Nur in der Leber und der Nebenniere wurde Pigment vorgefunden;
dies war ausschließlich Carotin, und in der gleichen Menge, wie wir sie zu
finden bei Tieren gewöhnt waren, die während der gleichen Zeit auf gleiche
Weise gefüttert worden waren ohne Verabreichung der Xanthophyll-
lösung.
b) Derselbe Versuch wurde gemacht, diesmal jedoch unter Verab-
reichung einer wässerigen, kolloidalen Carotinlösung mittels der Sonde.
Leber, Milz und Nebenniere enthielten diesmal sehr viel Carotin.
Hieraus geht hervor, daß der Darmkanal des Kaninchens sich hin-
sichtlich der wässerigen Lösungen von Xanthophyll und Carotin genau so
verhält wie den nativen Pigmenten gegenüber.
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 297
Das regelmäßige Vorkommen der Lipochrome in der Leber,
auch bei Tieren, deren andere Gewebe keine oder fast keine Caro-
tinoide enthalten, kann aus der Funktion der Leber erklärt wer-
den, die im Darmkanal aufgenommenen Stoffe zuerst festzu-
halten, um sie später auf irgendeine Weise und in kleinen Mengen
auszuscheiden oder abzubauen. Es wäre aber auch möglich,
daß das Lebergewebe eine spezielle Affinität für diese Pigmente
habe. In der Absicht, dies zu untersuchen, haben wir sechs
Kaninchen während 1—2 Wochen auf lipochromarme Diät ge-
setzt; darauf wurde intravenös (in die V. jugularis) eine wässerige
kolloidale, roh gereinigte Lipochromlösung eingespritzt. Drei
Kaninchen bekamen eine Xanthophyllösung (aus Eidotter be-
reitet) drei andere bekamen Carotin (aus Mohrrüben). Zu ver-
schiedenen Zeiten nach Beendigung der Einspritzung wurden die
Tiere getötet und die Organe untersucht.
a) Versuche mit intravenöser Einspritzung kolloidaler
Carotinlösung. Die Leber enthielt in allen Fällen reichlich Pigment,
viel mehr als bei normalen Kaninchen vorgefunden wird; in 2 Fällen
enthielt auch die Milz ziemlich viel Lipochrom. Dies Lipochrom war in
allen Fällen ausschließlich Carotin.
b) Versuche mit intravenöser Einspritzung kolloidaler
Xanthophyllösung. Die Leber dieser Kaninchen enthielt reichlich
Pigment, viel mehr als bei normalen Kaninchen vorgefunden wurde. Bei
der Bestimmung der Art dieses Lipochroms zeigte es sich, daß nur eine
kleine Menge aus Carotin bestand, derjenigen Menge gleich, die auch bei
normalen Kaninchen in der Leber vorkommt; während die große Masse
des Pigments aus Xanthophyll bestand.
Eins dieser Kaninchen wurde bereits eine halbe Stunde nach Be-
endigung der Einspritzung getötet; im Blut war keine Spur Xanthophyll
mehr zu finden.
Aus diesen Versuchen geht hervor:
1. daß Lipochrom, bei Kaninchen intravenös in die Vena
jugularis eingespritzt, binnen sehr kurzer Zeit das Blut verläßt
und so gut wie vollständig in der Leber (nur zu einem sehr kleinen
Teil in der Milz, ein einzelnes Mal auch in der Nebenniere) ab-
gelagert wird; |
2. daß das Lebergewebe beim Kaninchen imstande ist, so-
wohl Xanthophyll als Carotin in sich aufzunehmen;
3. die Leber reißt also nicht nur das ihr mit dem Porta-
strom zugeführte Lipochrom an sich, sondern auch das im großen
Kreislauf zirkulierende Pigment.
Biochemische Zeitschrift Band 108. ) 20
298 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
8. Die Bedeutung der lipochromen Pigmente.
Die Carotinoide kommen im Pflanzenreich in groBer Ver-
breitung vor. Nach Arnaud beträgt die Menge dieser Lipo-
chrome in grünen Blättern ein bis zwei Tausendstel des trocknen
Gewichts. Diese verhältnismäßig großen Mengen legen die Ver-
mutung nahe, daß die Carotinoide beim Stoffwechsel der Pflanze
eine wichtige Rolle spielen. Diese Vermutung wird bestärkt
durch die konstanten Gewichtsverhältnisse, die zwischen Caro-
tinoiden und Chlorophyll und zwischen Carotin und Xanthophyli
wechselseitig zu bestehen scheinen (Willstätter). Indessen ist
über die physiologische Wirkung der Lipochrome noch nichts
bekannt. Weder die zuerst von Arnaud aufgestellte Hypothese,
nach der die Carotinoide bei der Atmung eine Rolle spielen sollen,
noch die Annahme, daß sie an dem AssimilationsprozeB teil-
nehmen, eine Vermutung, die Engelmann“) zuerst aussprach,
werden von den neueren Forschern für wahrscheinlich gehalten.
Vielleicht besteht im Pflanzenreich ihre Aufgabe darin, Zellen-
zyme gegen die zerstörende Wirkung des Lichts zu schützen
(Went) ). Bestimmtes wissen wir hierüber aber nicht.
Über die physiologische Bedeutung der Lipochrome im tie-
rischen Organismus, in dem sie erst seit sehr kurzer Zeit genauer
untersucht wurden, ist ebensowenig etwas bekannt.
Man könnte auch hier vermuten, daß die Lipochrome als
Atmungspigment Dienste leisteten, so wie Arnaud sich das
bei der Pflanze vorgestellt hatte. Bei näherer Betrachtung ver-
liert diese Annahme jedoch ihre Wahrscheinlichkeit. Arnaud
kam zu dieser Hypothese durch die Eigenschaft des Carotins
(und spätere Untersuchungen lehrten dasselbe für dag Xantho-
phyll), unter dem Einfluß des Lichts (langsamer im Dunkeln) sich
zu entfarben unter Aufnahme von Sauerstoff. Durch Wiegen
stellte er fest, daß das Carotin dabei die zweihundertfache Menge
Sauerstoff aufnimmt. An dieser Beobachtung Ar na uds ist nicht
zu zweifeln. Sehr schön kann man dieses Verhalten gasometrisch
verfolgen. Nichtsdestoweniger besitzen die Carotinoide keines-
wegs die Eigenschaften eines Atmungspigments, wie man sie beim
Hämoglobin antrifft. Letztgenannter Farbstoff nimmt gierig
Sauerstoff aus der Luft auf, gibt diesen aber ebenso leicht an
reduzierende Körper (Ferro- oder Stannoverbindungen) wieder ab.
Setzt man dem Oxyhämoglobin ein derartiges Salz zu, dann
= — —
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 299
wird es oxydiert, dank dem Sauerstoff, den es dem Oxyhämo-
globin entzieht, das selbst in reduziertes Hämoglobin verwandelt
wird. Schüttelt man die Mischung kräftig, dann nimmt das redu-
zierte Hämoglobin wieder Sauerstoff auf, wobei es sich in Oxy-
hämoglobin verwandelt. Nach ein paar Minuten hat das über-
flüssige Ferro- oder Stannosalz jedoch den Sauerstoff wieder dem
Oxyhämoglobin entzogen, das sich wieder in reduziertes Hämo-
globin verwandelt hat. Dieses Spiel kann solange’ wiederholt
werden, bis alles Ferro- oder Stannosalz oxydiert ist. Das Hämo-
globin entzieht also den Sauerstoff viel gieriger der Luft als dem
Ferro- oder Stannosalz; das Oxyhämoglobin läßt sich dagegen
von demselben Salz seinen Sauerstoff entziehen. Von dieser
merkwürdigen Eigenschaft der Sauerstoffübertragung, die wohl
zuerst von Stokes!) erfaßt wurde, ist bei den Carotinoiden
nichts zu verspüren. Es ist uns nicht gelungen, durch reduzierende
Mittel (wie Schwefel-Ammonium oder Stokessche Flüssigkeit)
das unter dem Einfluß des Lichts entfärbte, oxydierte Carotin
oder Xanthophyll wieder zu einem farbigen Stoff zu reduzieren.
Um zu untersuchen, ob etwa der tierische Organismus imstande
sei, diese Reduktion herbeizuführen, haben wir bei einigen Ka-
ninchen eine unter dem Einfluß des Lichts entfärbte (oxydierte)
wässerige und isotonisch gemachte Xanthophyllösung intravenös
injiziert; 1—3 Tage nach der Einspritzung wurden die Tiere
getötet. In den Organen wurde kein Xanthophyll gefunden;
die ‘Leber enthielt nicht mehr Carotin als normalerweise bei
Kaninchen vorgefunden wird. Wir haben uns des weiteren davon
überzeugt, daß wässerige Carotin- und Xanthophyllösungen auch
nicht als Peroxydasen wirken (sie färben Guajac und Benzidin
nicht blau beim Vorhandensein alten Terpentins oder Wasser-
stoffsuperoxyds). Schließlich machen sie bei Zusatz von H,O,
keinen Sauerstoff frei.
Wir sind denn auch der Meinung, daß nicht ein einziger Grund
vorhanden ist für die Annahme, daß die Carotinoide eine Rolle
als Atmungspigmente spielen.
Die Möglichkeit, daB ihnen auf Grund ihrer leichten Oxydier-
barkeit die eine oder die andere Bedeutung für den Stoffwechsel,
etwa von Fetten oder Kohlenhydraten, zukommt, bleibt bestehen.
Die Untersuchungen der letzten Jahre über die sogenannten
Vitamine legen die Annahme nahe, daß den Carotinoiden eine
20*
300 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
solche Bedeutung zukommen dürfte. Es ist nicht zu leugnen,
daß ihr Vorkommen in gewissen Nahrungsmitteln (grünen
Pflanzenteilen, Butter), ihr Fehlen in anderen (Speck) sehr an
die ,,accessory substances, fat soluble А“ der amerikanischen
Forscher erinnert. Eine Entscheidung haben die experimentellen
Untersuchungen bis jetzt nicht gebracht. Eigene Experimente
an Ratten mußten wir wegen äußerer Schwierigkeiten beenden.
Drummond ) stellte einen Versuch an mit negativem Resultat.
Diesem einzigen Versuche ist selbstverständlich kein großer
Wert beizumessen. Von größter Bedeutung sind die breit ange-
legten und wichtigen Experimente von Palmer). Nach Über-
windung großer Schwierigkeiten gelang es diesem Forscher, eine
gewisse Zahl Hühner zu züchten bei einer, von ihm lipochrom-
frei genannter Nahrung. Unter Beobachtung gewisser Vorsorgen
wuchsen die Tiere in normaler Weise heran und zeigten normale
Fruchtbarkeit.
Aus den Eiern, deren Dotter nur ganz schwach gefärbt waren,
konnte durch künstliche Bebrütung ein zweites Geschlecht erzielt
werden, das in jeder Hinsicht normal war, abgesehen von dem
Fehlen der normalen Hautpigmentierung. Palmer schließt wei-
ter, daß das natürliche, gelbe Pigment der Hühner, das von dem
Xanthophyll der Nahrung herrührt, keine wichtige Beziehung
zum Wachstum und zur Funktion der Fruchtbarkeit und Fort-
pflanzung hat, wenigstens während einer Generation. So vor-
trefflich diese Experimente Palmers auch durchgeführt sind,
so glauben wir doch, unter Anerkennung der äußerst wichtigen
Resultate, daß die Frage noch nicht ganz gelöst und daß Palmers
Schlußfolgerung noch nicht ganz berechtigt ist.
Erstens erwähnt Palmer, daß in dem Blutserum und
dem Fettgewebe der Hühner, die mit carotinfreier Nahrung
großgezogen worden waren, doch noch eine Spur Pigment sich
nachweisen lieBe. Im Lichte unserer Untersuchungen ist es zu
bedauern, daB die andern Gewebe (Leber, Milz, Nebenniere)
nicht untersucht worden sind. Auch die Eier dieser Tiere ent-
hielten noch ein wenig Farbstoff. Zwar ist Palmer der Ansicht,
daB dieser Restfarbstoff kein Xanthophyll gewesen sei, aber
dieser Ausspruch scheint uns nicht begriindet zu sein. Er beruht
auf der Tatsache, daß eine Lösung dieses Farbstoffes nicht die
von Palmer beschriebene Reaktion mit FeCl, gab; auf andere
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 301
Eigenschaften (namentlich Blaufärbung mit konzentrierter
H,SO,) wurde aber nicht untersucht.
Zweitens bekamen bei weitem die meisten von Palmers
Tieren Schweineleber als Futter. Während Palmer nun aber
behauptet, daß Schweineleber keine Carotinoiden enthalte, haben
wir in diesem Organ dieses Pigment stets nachweisen können.
(Siehe S. 292.) |
Falls Palmers Schlußfolgerungen sich in der Zukunft als
vollkommen richtig herausstellen sollten, könnten sie möglicher-
weise zu dem Schluß führen, daß die Carotinoide für den tierischen
Organismus bedeutungslos seien. Einstweilen halten wir dies
nicht für wahrscheinlich. Zahlreiche Beobachtungen deuten,
wie uns scheint, darauf hin, daß die Lipochrome irgendeine Rolle
spielen. Erstens die große Verbreitung der Lipochrome in der
Natur und die spezifische, nahezu ausschließliche Aufnahme-
fähigkeit mancher Tiere für Carotin, anderer für das so sehr
verwandte Xanthophyll. Ferner die Tatsache, daß die Pigmente
gerade an Stellen vorkommen, die als wichtig für den Stoffwechsel
angesehen werden müssen: abgesehen von dem Fettgewebe, das
wohl als ein Reservedepot angesehen werden kann, denken wir
hier an die Leber, das Corpus luteum des Menschen, den Eidotter,
das Colostrum, die Nebenniere. Wichtig scheint uns auch, daß
der menschliche Foetus in der Leber zwar kleine, aber trotzdem
beachtenswerte Mengen Lipochrome enthält. Bemerkenswert ist
es ferner, wie bei lipochromarmer Nahrung das Pigment in den
genannten Geweben festgehalten wird: es verschwindet dabei
aus dem Blute, wahrscheinlich auch aus der Haut, aber Fett,
Leber, Nebenniere und Milz halten es zurück. Diese Tatsache
geht aus der Untersuchung der Organe solcher Patienten hervor,
die geraume Zeit vor ihrem Tode sehr wenig Nahrung zu sich
genommen hatten. Im Gegensatz hierzu sieht man, nach den
Beobachtungen von amerikanischen Autoren, daß bei legenden
Hühnern das lipochrome Pigment geradezu nach dem Eidotter
hingezogen wird, während die sichtbaren Teile, Schnabel, Kamm
und Pfoten blaß werden; gibt man legenden Hühnern eine
pigmentreiche Nahrung, dann gelingt es nicht, diese Gewebe
stärker zu färben, während die Dotter intensiv gelb werden: das
Pigment strömt nach dem Dotter. Wir fanden in der Literatur
erwähnt (können aber nicht wiederfinden, an welcher Stelle),
302 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer:
daß bei Eiern mit farblosem Dotter dennoch die Keimscheibe
immer gelb gefärbt sei. Alle diese Tatsachen scheinen uns auf eine
physiologische Bedeutung der lipochromen Pigmente hinzuweisen,
obwohl über das Wesen derselben bisher noch nichts bekannt ist.
Endlich ist es nicht überflüssig, sich zu fragen, ob den
Lipochromen unter bestimmten Umständen eine pathologische
Bedeutung zukommt. Obwohl beim Menschen der Lipochrom-
gehalt des Blutserums ohne Zweifel größtenteils vom Nahrungs-
lipochrom beherrscht wird, verfügen wir doch über Beobachtungen,
die es wahrscheinlich machen, daß möglicherweise noch andere
Faktoren einen Einfluß ausüben. So fanden wir bei zwei Dia-
betesleidenden, die während geraumer Zeit soviel wie möglich
gleiche Diät gebrauchten, und deren Blut eine gleiche Menge
Zucker enthielt, einen sehr verschiedenen Lipochromgehalt. Wir
möchten auch die Aufmerksamkeit auf die gelbe Farbe lenken,
die man so oft an den Handflächen und Fußsohlen von Leuten
sieht, die an akuten Krankheiten leiden, eine Erscheinung, die
schon vor langer Zeit von französischen Ärzten unter dem Namen
des ,,signe palmaire“ beschrieben worden ist. Die Farbe läßt ver-
muten, daß wir es hier mit Lipochrom zu tun haben. Nur in einem
einzigen Fall gelang es uns, Schuppen von der Haut eines Typhus-
kranken zur Untersuchung zu erhalten: darin konnten wir
Carotin nachweisen. Oft sieht man, daß namentlich die horn-
artig gewordenen Teile der Haut in diesen Fällen die orangegelbe
Farbe zeigen; aber auch bei Kindern und Frauen sahen wir diese
Xanthosis palmaris und plantaris bei sehr zarter Haut, ohne daß
irgend etwas von Verdickung oder hornartiger Verhärtung zu
sehen war. Eine sehr intensive gelbe Farbe zeigte die Palmar-
fläche bei einem jungen Kind mit septischer Endokarditis und
bei zwei noch jungen Frauen, die an einer Anaemia gravis litten
(nicht vom Typus Addison-Biermer). Nach dem Tode
einer dieser Frauen, die in den letzten Wochen fast keine Nahrung
zu sich genommen hatte, fiel uns die orange Farbe der Neben-
niererinde auf. Eine Bestimmung der Lipochromwerte ergab
die folgenden sehr hohen Zahlen: Leber 20,5; Milz 7,5; Fett
4,5; die Nebenniere ergab den außerordentlich hohen Wert
von 73. —
Bereits seit langer Zeit ist es denen, die sich mit der mikro-
skopischen Untersuchung des Nervensystems beschäftigen, auf-
Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 303
gefallen, daß die Nervenzellen im höheren Alter und unter ge-
wissen pathologischen Umständen pigmentiert werden.
Es scheint nunmehr bewiesen, daß diese Pigmente zweierlei
Art sind: das eine ist nichts anderes als Lipochrom und rührt
von der Nahrung her: Dolley und Guthrie“) fanden es nur
beim Menschen und bei jenen Tieren, deren Blutserum Carotinoide
enthält (z.B. beim Rind), nicht bei Tieren mit pigmentlosem
Serum (Schwein). Durch Verabreichung von carotinoidenarmer
oder carotinoidenreicher Nahrung konnten sie erreichen, daß
das Pigment in den Nervenzellen je nachdem verschwand oder
zunahm.
Das Tatsachenmaterial über das Vorkommen und die Be-
deutung der Lipochrome bei Mensch und Tier, welches man bis-
her zusanımengebracht hat, ist gering. Eine Fortsetzung solcher
Untersuchungen scheint geboten.
Literatur.
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Soc. 31, 992. 1873. — ) Arnaud, Compt. rend. de l’Acad. des Sc. 100,
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20) Dolley and Guthrie, nach Editorial in Journ. of the Amer. med.
assoc. 1920, Februar.
Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure.
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus.
Von
i Franz Schuhbauer.
(Aus der Biologischen Versuchsanstalt München.)
( Eingegangen am 2. Juni 1920.)
Die weite Verbreitung der Kieselsiure im Reiche des An-
organischen und die konstante Anwesenheit derselben in der
organischen Welt sind durch zahlreiche chemische Analysen
erwiesen. Verhältnismäßig gering ist jedoch die Literatur, die
uns über ihre nähere Bestimmung im menschlichen und tierischen
Organismus aufklärt. Äußerst spärlich sind vollends die An-
gaben über den therapeutischen Wert der Kieselsäure und ihrer
Salze. | |
Die Anwendung des Natronwasserglases zu fixierenden Verbänden
dürfte seit langem bekannt sein. Über die Verwendung der Kieselsäure bei
Wunden, über innerliche Darreichung in Form von kieselsäurehaltigen
Tees, Quellwässern und des reinen chemischen Präparates sind die Ver-
suche noch nicht sehr zahlreich. Die ersten physiologischen Versuche
über die Wirkung des Siliciums auf Tiere stammen von Papillon und
Rabuteau. Beide Forscher konstatierten eine fäulniswidrige Wirkung
des kieselsauren Natriums auf Blut, Galle, Eiter und Eiweiß. Durch Ein-
spritzung von ½ proz. Lösungen des Salzes in die Blase beseitigten Du-
breuil, Marc See und Goutier die Folgezustände von chronischer
Blasenlahmung und Harnleiterentziindung.
AuBerlich wurde das kieselsaure Natrium zur Wundbehandlung von
Unna mit gutem Erfolge angewandt. Unna gebraucht speziell Kieselgur
in Pulver-, Pasten- und Pillenform bei Ulcus cruris, tiberhaupt bei starken
Hautdefekten mit mangelnder Tendenz zur Uberhornung; er bezeichnet
die Kieselsäure als ein Härtungs- und Wundheilungsmittel ersten Ranges
bei Krankheiten, welche mit Erweichung der Oberhautzellen einhergehen,
wie Ekzem und Pemphigus.
Die intravenöse Injektion von Natr. silicicum ist jedoch nach Tier-
versuchen von Rabuteau und Papillon nicht angezeigt; schon bei
F. Schuhbauer: Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 305
geringen Dosen gehen die Tiere an Verfettung der Nieren mit Abstoßung
des Epithels der Tubuli zugrunde. Picot bestätigte diese Angabe: Er sagt:
„Auf welchem Wege man auch die Kieselsäure dem Organismus zuführen
mag, immer ist sie eine energisch wirkende Substanz. Die Haupterscheinung,
die sie hervorruft, ist die Neigung zu Asphyxie, als deren Ursache man die
Zerstörung der roten Blutkörperchen ansehen darf. Sie erzeugt Fieber,
und wenn sie auf dem Verdauungswege eindringt, Diarrhöe.‘
Der Rostocker Pharmakologe Kobert und seine Mitarbeiter M. Gon-
nermann, Zickgraf und Siegfried haben sich mit der Frage der Wirkung
der Kieselsäure auf den Organismus, speziell auf Blut und Lunge, ein-
gehender beschäftigt. Kobert ist nun der Ansicht, daß die früheren
Autoren mit dem käuflichen Natronwasserglas gearbeitet hätten; ihre Ver-
suchsergebnisse seien daher nicht als ein Effekt der Kieselsäure, sondern
als reine Laugenvergiftung aufzufassen. Er prüfte die Ergebnisse Picots
nach. Dabei verwandte er ein Präparat, Natrium silic. puriss., welches
die Firma Merck in Darmstadt eigens herstellte und seitdem in den Handel
bringt. Es enthält nach Koberts Angaben 54% SiO, in Form von Poly-
silicaten des Natriums. Es reagiert alkalisch und enthält keine
Lauge. Die mit diesem Präparat längere Zeit gefütterten Tiere blieben
nach Koberts Angaben vollkommen gesund; Kobert kommt daher zu
dem Schluß, daß die Verträglichkeit innerlich verabreichter Mengen des
kieselsauren Natriums, die die therapeutisch in Frage kommenden um das
Vielfache überschreiten, erwiesen ist.
Diese in kurzen Strichen gezeichnete pharmakologisch-
therapeutische Übersicht zeigt, daß die Ansichten über die Wir-
kung der Kieselsäure und ihrer Verbindungen noch sehr schwan-
ken und keineswegs geklärt sind, besonders hinsichtlich der Frage:
Sind etwa auftretende schädliche Wirkungen bei innerlicher
Darreichung der Salze der Kieselsäure ein Effekt der reinen
Kieselsäure oder ist vielleicht eine Laugenwirkung änzunehmen ?
Speziell diese Frage suchte ich an einer Serie von Versuchs-
tieren, weißen Mäuse, die mir durch die Liebenswürdigkeit von
Herrn Prof. Dr. Demoll, Vorstand des zoologischen Instituts
der Tierärztlichen Fakultät in München, freundlichst zur Ver-
fügung gestellt wurden, zu klären.
Für eine Versuchsreihe wurden stets möglichst aus einem
Wurfe stammende, in Gewicht und Wachstumsenergie möglichst
gleichförmige Tiere gewählt.
Das zu den Versuchen verwendete Präparat war ein Poly-
silicat der Kieselsäure, von der chemischen Fabrik Merck in
Darmstadt als Natr. silicic. puriss. in den Handel gebracht. Die
quantitative Untersuchung des Salzes durch Dr. Breest ergab
306 F. Schuhbauer:
fast dieselben Zahlen, wie die von Kobert gefundenen, nämlich
54,69%, SiO, (wasserfrei) und 32,47%, Natriumoxyd.
Als Grundnahrung fiir die Versuchs- und Kontrolltiere wurde
feinstes Weizenmehl (dieses soll ganz kieselsäurefrei sein) und
Kondensmilch gewählt. (Der Kieselsäuregehalt der Milch ist ein
ganz geringer.) Die Versuchstiere erhielten meist 1,10 mg pro
Gramm Körpergewicht von dem Merckschen Präparat täglich
in der Grundnahrung. Meist schon nach 8—10 Tagen erkrankten
die Versuchstiere unter folgenden klinischen Symptomen: Das
Haarkleid war sehr stark gesträubt, die Tiere waren matt, teil-
nahmlos für die Umgebung, bald stellte sich heftiger Durchfall
ein, verbunden mit intensiven Blähungen, die Atmung war sehr
frequent. Diese Erscheinungen, besonders auch von seiten der
Atmungswege decken sich vollkommen mit den schon von Picot
gemachten Beobachtungen.
Nach 14 Tagen bis 3 Wochen gingen die Versuchstiere in der
Regel ein. Die makroskopischen und mikroskopischen Befunde
am Darm, speziell am Dünndarm, ergaben ein absolut konstantes
Bild und ließen bald eine spezifische Wirkung des Merc kschen
Salzes auf das Duodenum erkennen.
Bei der Sektion zeigte sich nämlich der Dünndarm meist schon äußer-
lich stark rot bis braun verfärbt; beim Aufschneiden trat ein schokolade-
farbiger bis schwarzbrauner, mit Gasblasen vermischter Brei zutage, der
sich in destilliertem Wasser mit Blutfarbe löste. Die Dünndarmschleimhaut
selbst zeigte zahlreiche, unverwischbare Blutungspunkte, die Gefäße je-
weils stark injiziert. Der histologische Befund war ein dem pathologisch-
anatomischen entsprechender: Die Schleimhaut an den Kuppen der Darm-
zotten aufgeschilfert und zerfetzt; die Epithelkerne großenteils körnig
zerfallen, im Darmlumen zahlreiche Epithelien und Kerne in Auflösung;
alles in allem eine typische Darmentzündung. Der weiter rückwärts ge-
legene Darmabschnitt war meist ohne besonders auffallende Krankheits-
erscheinungen.
Um nun bei dem Merckschen Präparat eine evtl. sich er-
gebende giftige Wirkung des Alkalis nach Möglichkeit auszu-
schalten, wurde gleichzeitig ein von den Münchener „Desko“
Werken seit neuerer Zeit in den Handel gebrachtes Präparat,
kieselsäurehaltige Pralines, verfüttert. Diese enthalten das
Mercksche Natriumsilicat in genau dosierten Mengen, ,,neutrali-
siert“, d.h. bis zur neutralen Reaktion der Lösung mit einer
bestimmten physiologisch unwirksamen Säure versetzt. Sie
Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 307
schmecken wie richtige Pralines, da als Zusatz noch Schokolade
verwendet ist. Sie haben daher vor allem den Vorzug, daß sie
in der therapeutischen Verwendung für den Menschen in recht
angenehmer Form der Applikation eine genauere Dosierung zu-
lassen, als beispielsweise kieselsäurehaltige Quellwässer oder
Tees. Um die für die vorliegenden Fragen äußerst wichtige
Neutralisation selbst kontrollieren zu können, habe ich ferner
‚nach einem von Dr. Sch midt, dem Direktor der „Desko“- Werke
mir freundlichst mitgeteilten Verfahren selbst das Natrium-
silicat Merck behandelt und so eine gegen Lackmus neutral rea-
gierende Lösung erhalten, bei der durch starkes Zurückdrängen
der hydrolytischen Spaltung im Körper eine Laugenwirkung
nicht mehr zu erwarten ist. Blieben bei diesem „neutralisierten“
Präparat die schädlichen Wirkungen des Natriumsilicates aus,
so kann als bewiesen gelten, daß die Giftigkeit der Kieselsäure
eben auf dem Gehalt des Präparates an abspaltbarer Lauge
beruht, vorausgesetzt, daß die Kieselsäure in dieser Form ebenso
vom Körper aufgenommen wird, wie in dem nicht neutralisierten
Merckschen Präparat. Über eine in dieser Richtung angesetzte
Versuchsreihe, die die Frage der Resorption der Kieselsäure
überhaupt der Lösung näherbringen sollte, wird an anderer Stelle
berichtet werden.
In dieser neutralisierten Form vertrugen nun die Tiere tat-
sächlich Dosen des Merc kschen Salzes bis zu 1 mg pro Gramm
Körpergewicht ohne jede Störung; auch die Gewichtszunahmen
im Verhältnis zu den Kontrolltieren ließen keinen Unterschied
erkennen.
Die Resultate meiner Versuche sind daher folgender-
maßen zu deuten: |
Für die ausschließliche Erkrankung des Dünndarms scheint
mir diese Erklärung plausibel:
1.DasMercksche Präparat, Natrium silicicum puris-
simum mag frei sein von Lauge, wieKobert behauptet.
Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß sich bei Zutritt
von Wasser durch hydrolytische Spaltung freie Natron-
laugeimDarm bildet und dann ätzend auf dieSchleim-
haut wirkt. Im Dünndarm kommt infolge der schon
physiologisch vorhandenen alkalischen Reaktion des
Darmsaftes diese freie Natronlauge erst recht zur
308 Е. Schuhbauer: Physiologische Wirkung der Kieselsäure.
Geltung und ruft hier durch Verätzung der Schleim-
haut eine Abstoßung des Epithels hervor.
2. Diese schädlichen Wirkungen des Merckschen
Präparates werden aufgehoben durch „Neutrali-
sation“.
3. Als eine glückliche Lösung in der Frage nach der Form
der Applikation der Kieselsäure und ihrer Verbindungen ist die
Darreichung des Siliciums in Pralinéform anzusehen, einerseits,
weil durch die Neutralisation des Salzes dessen Laugenwirkung
aufgehoben und anderseits eine genaue Dosierung des Siliciums
ermöglicht wird. Auch der Geschmack, der beim Merc kschen
Präparat ein ausgesprochen laugenhafter ist, wird dadurch völlig
beseitigt.
Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure.
Über die Resorption der Kieselsäure.
Von
Fr. Breest.
(Aus der biologischen Versuchsanstalt für Fischerei in München.)
(Eingegangen am 2. Juni 1920.)
In steigendem Maße wird in den letzten Dezennien der
Kieselsäure Beachtung geschenkt, aber, wie in der vorstehenden
Arbeit von Dr. Schuhbauer geschildert ist, in ihrer Wert-
schätzung ist man sich durchaus nicht einig und Ansicht steht
gegen Ansicht. Daß die Kieselsäure aus der normalen Nahrung
vom Körper aufgenommen wird, ist zweifellos, denn zahlreiche
Analysen verschiedener Gewebe und Organe zeigen einen regel-
mäßigen Gehalt an Kieselsäure. Ob aber der Organismus fähig
ist, bei gesteigerter Darreichung von Kieselsäure mehr von ihr
aufzunehmen, ob es zu einer Art Durchschwemmung des Körpers
mit SiO, kommen kann, oder auch zu einer Aufspeicherung auf-
genommener SiO,, und ferner, in welcher Form die SiO, am
besten resorbiert wird, darüber liegen noch fast keine chemisch-
analytischen Untersuchungen vor.
Zickgraf, Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 5, 402. 1906, fand den SiO,-
Gehalt des Harnes nach Trinken von Lippepringer Kieselsäurewasser
durchschnittlich um das Doppelte vermehrt, von 40 auf 85 mg im Tag.
Schulz veröffentlichte in der Münch. Mediz. Wochenschr. 1920, S. 253,
Vergleiche zwischen dem SiO, - Gehalt des Harns vor und nach dem Genuß
von Silikoltabletten, die die Kieselsäure in kolloidaler Form enthalten, und
fand eine Steigerung von 33 mg/l auf 53 und 60 mg/l; in einem anderen
Falle auf 40 und 53,3 mg/l. In der gleichen Arbeit wird erwähnt, daß nach
Zuckmayer-Lecinwerke, Hannover, von 0,2 g SiO, in flüssiger Form auf-
genommen, binnen 15 Stunden 55% im Harn wieder ausgeschieden wurden,
von 0,2 g in fester Form 31%.
Gonnermann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 99, 272. 1917, erwähnt
ein Patent von Knorr und Weyland über Ausscheidung von Ortho-
310 Fr. Breest:
kieselsäureestern durch den Harn, daß von dem unlöslichen tertiären Gly-
cerinorthokieselsäureester 30% im Harn als SiO, wieder erscheinen.
Auf einem anderen Wege beweist Gonnermann — nach Schulz,
a. а. О. — die Resorption der Kieselsäure, indem er den SiO, - Gehalt der
Blutasche vor und nach dem Genuß SiO, - haltigen Tees oder SiO, - Ta-
bletten bestimmt. Er findet Steigerungen von 2, 26% auf 2,63%, und
2, 650%, und von 2, 1290% auf 2,47%.
Damit sind, soweit mir das Schrifttum bekannt wurde, die ana-
‘lytischen Daten zu unserem Thema erschöpft.
Um über die Giftigkeit des Merckschen Natriumsilicates
Klarheit zu bekommen, ward von Schuhbauer, wie in vor-
stehender Arbeit berichtet ist, das Mercksche Präparat an
weiße Mäuse verfüttert, ferner das Mercksche Präparat, nach-
dem es nach den Angaben von Dr. Sch midt — „Desko“-Werke —
München „neutralisiert“ war (d.h. nachdem es bis zur neutralen
Reaktion gegen Lackmus mit einer bestimmten physiologisch
unwirksamen Säure versetzt war). Durch diese Behandlung
ward das Gleichgewicht zwischen SiO, und Natronlauge stark
verschoben und die Annahme war nicht von der Hand zu weisen,
daß sich nun die SiO, in einer Form befand, in der sie nicht oder
wenigstens schwächer als das Silicat resorbierbar war. Dafür
sprach auch die Beobachtung, daß die SiO, aus der Lösung binnen
einer Stunde nach der Neutralisation gelartig sich abschied.
Durch Zusatz von gezuckerter Kondensmilch wurde die Gel-
bildung verhindert.
Andererseits konnte man aber auch annehmen, dag auch
im nicht neutralisierten Merckschen Silicat die Kieselsäure von
der Magensäure aus ihrer Natriumverbindung ausgefällt würde,
und daß man also, bis die SiO, in den Darm kommt, in beiden
Fällen die Form, in der die SiO, Gelegenheit zur Resorption
findet, die gleiche geworden ist. Nur der Versuch und die Analyse
können entscheiden, ob hier die Neutralisation bei der Resorption
eine Rolle spielt.
Konnte ferner festgestellt werden, daß auch das ,,neutrali-
sierte Silicat, wie ich das nach den Angaben der ‚Desko“-Werke
behandelte Mercksche Präparat kurz nennen will, vom Körper
ebenso aufgenommen wird, wie das nicht neutralisierte, ohne
dessen giftige Wirkung auszuüben, so war man berechtigt, die
Giftwirkung der durch hydrolytische Spaltung freigewordenen
Lauge zuzuerkennen, die SiO, als solche als ungiftig anzusehen.
Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 311
Ferner wurden noch Fiitterungsversuche mit frisch aus-
gefalltem Kieselsäurehydrat gemacht, um weitere Anhalts-
punkte zu gewinnen, wie die Kieselsäure den Aufenthalt in dem
sauer reagierenden Mageninhalt verträgt, ob, wie oben erwogen
ward, das kieselsaure Salz sowieso durch die Magensäure aus-
gefällt würde und ob es somit gleichgültig sei, ob die Kieselsäure als
Salz oder nicht besser als Säure ohne den bedenklichen Alkaligehalt
verfüttert würde, oder ob nicht doch die ursprüngliche Darreichungs-
form noch bis zur Resorption im Darm ihre Wirkung ausübe.
Gleichzeitig mußten die Resorptionsversuche mit freier Kieselsäure
auch geeignet sein, Licht auf die merkwürdigen Erkrankungser-
scheinungen zu werfen, die Bootz, Dissert. Greifswald 1903, bei der
Darreichung von freier Kieselsäure am Menschen beobachtet hat.
Die Fütterungsversuche wurden an weißen Mäusen ausge-
führt. Bei den sehr geringen Kieselsäuremengen, die zu erwarten
waren, schien es mir ausgeschlossen, einzelne Organe für sich auf
gesteigerten SiO,Gehalt zu untersuchen, auch interessierte es
mich hier ja weniger wo, sondern vielmehr ob überhaupt mehr
SiO, vom Körper aufgenommen und bei erhöhtem SiO,-Gehalt
des Futters gespeichert wurde. Deshalb bestimmte ich den
Kieselsäuregehalt des ganzen Tieres, indem ich jeweils die ganze
Maus auf einmal veraschte, was durch anfänglich trocknes Er-
hitzen, danach Abrauchen mit rauchender Salpetersäure in
1—2 Stunden ohne Schwierigkeit erfolgte. Die untersuchten
9 Mäuse stammen aus zwei untereinander engverwandten Würfen,
Alter etwa 3 Monate. | Ä
Die Fütterung der Tiere besorgte Dr. Schuhbauer, wofür
ich ihm auch hier meinen besten Dank sage. Das Grundfutter
bestand aus zu etwa 75% ausgemahlenem Weizenmehl und mit
Rohrzucker gesüßter englischer Kondensmilch. Die Fütterungs-
versuche dauerten 15 Tage, darauf 1 Tag Grundfutter ohne
Zusätze. Bei dem regen Stoffumsatz der Mäuse kann man mit
Sicherheit annehmen, daß in dieser Zeit (11/, Tage, denn getötet
wurden die Tiere an dem auf den Grundfuttertag folgenden
Morgen) der aus dem SiO,-Futter stammende Kot ausgeschieden
ist. Da übrigens ein aus dieser Quelle stammender Fehler sich bei
allen Versuchen gleichmäßig wiederholen würde, und da das
Beweisende meiner Versuche nicht die absoluten, sondern die
relativen Zahlen sind, wäre er auch ohne Belang.
312 Fr. Breest:
Die Menge der verfütterten SiO, betrug bei Versuch IV
75 mg, berechnet auf reine SiO,, täglich 5 mg, bei den anderen
Versuchen 90 mg, bei einer Tagesdosis von 6 mg.
Das bei Versuch II benutzte Kieselsiurehydrat ward nach
den Angaben von Bootz durch Ausfällen einer wässerigen Lösung
des Merckschen Natriumsilicates mit Salzsäure gewonnen,
tagelanges Auswaschen bis zum Verschwinden der Chlorreaktion
und Trocknen bei Zimmertemperatur, bis der gallertige Nieder-
schlag einen Gehalt von 9% SiO, hatte, während Bootz das
Trocknen weiter fortsetzte, bis das Hydrat eine ,,trockne, krüme-
lige Masse ward, die sich zu staubfeinem Pulver verreiben ließ.
Über den SiO, Gehalt dieses Pulvers wurden keine Angaben ge-
macht. Doch spricht er von der Gesamtmenge der gegebenen SiO,.
Das für Versuch III und IV benutzte Natrium silicicum
puriss. Merck hatte nach dem Trocknen bei 105°—110° einen
Gehalt von 54,69 und 54,72%, SiO, und 31,97% und 32,47%, Na,O
— als Chlorid gewogen.
Versuchsergebnis.
Gewichts-
82
5° Ё 810. der
а & Asche
ck
E in %
3.2 0,15
und Kiesel- 3,2 0,24
säurehydrat
IIb S е 12,40 | +0,50 0,3745 | 3,0 0,19
Пе 1 = 11,02 —1,83 |0,3673 | 3,3 0,70
Ша М und Na-Sili-| 9,10 — 2,65 0,3369 3,7 0,56
cat Merck
IIIb e es 11,35 | -0,55 0,4076 | 3,6 0,63
ше a Е 11,40 | —0,10 0, 3642 3,2 0,49
IVa ay und neutra- 10,8 | +1,20 0, 3485 3,2 1,15
lis. Silicat
orl „ н 104 | —0,50 10,4189 | 40 1,99
Aus der Tabelle geht mit großer Deutlichkeit hervor, daß
die Darreichung von SiO, in größeren Quantitäten mit dem
Futter sich im SiO,-Gehalt der Asche widerspiegelt. Zwanglos
lassen sich die Aschen nach ihrem SiO, Gehalt in Gruppen zu-
sammenfassen, je nach dem gereichten Futter, und zwar: 1. Nor-
malfutter allein und mit Kieselsäurehydrat, mit einem SiO,-
Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 313
Gehalt von rund 0,2%; 2. Merc ksches Silicat mit Kieselsäure-
gehalt von rund 0,6% , und 3. neutralisiertes Silicat mit SiO,-
Gehalt von rund 1,2%. Nur ein Versuch, IIc, fällt aus dieser Reihe
heraus mit 0,7% statt 0,291). — Damit ist die erste Frage nach
der BeeinfluBbarkeit des SiO,- Haushaltes des Körpers bejaht
und die Befunde früherer Untersucher sind bestätigt.
Mit weniger Bestimmtheit kann man von einer Aufspeiche-
rung der SiO, im normalen Körper sprechen, wohl aber von
einer geringen Anreicherung. Es ist nur ein kleiner Bruchteil
der dem Körper während der Versuchsdauer angebotenen SiO,,
den wir bei der Analyse wiederfinden. Nehmen wir rund 1 mg
als Normalgehalt unserer Mäuse an, so sind von den während
der Versuchszeit dem Körper dargebotenen 75 mg und 90 mg
im besten Falle (Versuch IV) nur rund 4,5 weniger 1,0 = 3,5 mg
SiO, im Körper zurückgeblieben. Bei der Kleinheit der Zahlen,
die durch unvermeidliche Analysenfehler schon stark beeinflußt
werden, hat es keinen Zweck, rechnerisch Prozente festzustellen.
Die Frage, ob ein kieselsäurehungriger, ein kranker Körper,
nicht erheblich mehr SiO, zu binden vermag, bleibt durch dies
Ergebnis natürlich unberührt. Immerhin ist es wahrscheinlich,
daß das Mehr an gefundener SiO, keiner vorübergehenden Auf-
nahme, sondern einer länger bestehen bleibenden Anreicherung
im Körper zuzuschreiben ist, denn wie im nachfolgenden noch
ausgeführt wird, spricht das Analysenergebnis des Me re kschen
Präparates für ein längeres Verbleiben der einmal mn
menen SiO im Körper.
Positiv sind wiederum die Ergebnisse bezüglich der ver-
schiedenen Resorptionsfähigkeit je nach der Form, in der die
SiO, mit der Nahrung aufgenommen wird.
Neutralisiertes Silicat wird gut aufgenommen. Die Be-
denken, daß durch die Neutralisation die SiO, in schwer resorbier-
bare Form übergeführt wird, sind nicht stichhaltig, zum min-
desten nicht, wenn, wie bei unserem Versuch, die Gelbildung
durch die gezuckerte Kondensmilch verhindert wird.
Wie Schuhbauer gezeigt hat, entfällt bei dem neutrali-
sierten Präparat die Giftwirkung des Merckschen Silicates;
1) Aber wie die Tabelle zeigt, nahm dieses Tier im Gegensatz zu den
anderen während des Versuchs stark ab, befand sich also vielleicht von
vornherein in anormalem Zustand.
Biochemische Zeitschrift Band 106. 21
314 Fr. Breest:
wie meine Versuche zeigen, wird das neutralisierte Silicat aber
doch, sogar stärker resorbiert, als das nicht neutralisierte.
Damit ist der Beweis geführt, daß die häufig
giftige Wirkung des Merckschen Silicates bei
starker Dosierung nicht der SiO, zukommt, son-
dern der Natronlauge.
Das Mercksche Silicat wird während der Versuchsdauer
wesentlich schwächer, nur halb so gut wie das neutralisierte,
aufgenommen. Die Befunde Schuhbauers bringen zwanglos
die Erklärung: Zunächst wird SiO, aufgenommen; allmählich
tritt dann die durch die hydrolytisch abgespaltene Natronlauge
verursachte Schädigung der Darmschleimhaut, die zur völligen
Verätzung führen kann, in Erscheinung, der kranke Darm kann
nicht mehr oder nur noch schwach resorbieren, die Menge der
aufgenommenen SiO, bleibt wesentlich zurück hinter der vom
gesunden Darm aufgenommenen, und die gefundenen Zahlen sind
wohl im wesentlichen der Aufnahme durch den anfangs noch
unversehrten Darm zuzuschreiben.
Kieselsäurehydrat wird gar nicht aufgenommen. Der Asche-
gehalt ist bei Versuch I und II gleich groß, also übt die Magen-
säure nicht die gleichmachende Wirkung aus und macht die
Form der Darreichung der SiO, mit der Nahrung nicht gleich-
gültig. Um so merkwürdiger bleiben die Beobachtungen von
Bootz nach der Darreichung des Kieselsäurehydrats am Men-
schen, die doch nur nach Resorption der SiO, von der SiO, aus-
gehen können. Eine Nachprüfung dieser Befunde bleibt sehr
wünschenswert. Daß das Bootzsche Hydrat infolge der weiter
fortgesetzten Entwässerung leichter resorbiert werden kann
als mein nur bis zu 9% SiO, getrocknetes, ist wohl ausgeschlossen.
Wie notwendig es ist, bei der Bestimmung des Aschengehalts
möglichst genau über Alter, Herkunft und Fütterung der Tiere
unterrichtet zu sein und zu solchen vergleichenden Unter-
suchungen nur Tiere gleicher Vorgeschichte zu benutzen, zeigen
zwei Analysen von Tieren, die ich noch untersuchte, um über
den SiO, Gehalt normal gehaltener Tiere ein besseres Bild zu
bekommen. Sie wurden so, wie sie vom Händler kamen, abge-
tötet; womit sie gefüttert worden sind, ist nicht festgestellt wor-
den. Wenn die Angaben über ihr Alter (3 Monate) stimmen, so
waren sie jedenfalls wesentlich anders beschaffen, als meine im
Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 315
Institut in Inzucht gezogenen Mäuse, denn gegen durchschnittlich
11g Körpergewicht hatten die beiden fremden Mäuse 19 u. 21 g
Körpergewicht. Dementsprechend war auch der Aschengehalt
verschieden. Während bei meinen Mäusen die Aschenmenge
von 3 bis 4% um 3,2% des Körpergewichts schwankte, hatten
die beiden anderen 2,7 und 2,8% des Körpergewichtes an Asche,
und der SiO Gehalt der Asche zeigte die hohen und weit ver-
schiedenen Zahlen 0,66 und 2,72%. Es wäre interessant fest-
zustellen, ob solche enorme Schwankungen von 0,15 bis 2,72%
zwischen Mäusen verschiedener Herkunft die Regel ist, oder ob
es hier sich nur um Zufallsresultate handelt. Der ganz regel-
- mäßige Gang in meinem Analysenergebnis kann, wenn das
Material zahlenmäßig auch nur klein ist, jedenfalls nicht auf
Zufall beruhen.
Anhangsweise sei auf einen Zusammenhang noch hingewiesen,
der zwar nicht zum Thema gehört, auf den aber meine Tabelle
hinzuweisen scheint, auf die Beziehung des Aschengehaltes des
Körpers zum Ernährungsgleichgewicht. Es scheint, als ob Ab-
magerung, Gewichtsabnahme, mit einer Vergrößerung des Aschen-
gehaltes des Körpers in Beziehung steht. Bei den Tieren, deren
Gewicht sich während des Versuches kaum oder positiv ver-
ändert hat, I, Па, b, IIIc, IVa ist der Aschengehalt auch am
geringsten, 3,0 und 3,2%, des Gewichtes, während die Tiere, die
stärker abgenommen haben, IIc, IIIa, b, IVb einen höheren
Aschengehalt 3,3, 3,6, 3,7 und 4,0%, besitzen. Daraus wäre zu
folgern, daß bei fehlenden Ernährungsgleichgewicht im nega-
tiven Sinne, bei Abmagerung, die Einschmelzung der organischen
Bestandteile in verhältnismäßig stärkerem Maße vor sich geht
als die der anorganischen, was wohl damit zusammenhängt, daß
ja auch beim Hungern zunächst das an den anorganischen Bestand-
teilen sehr arme Fettgewebe verbraucht wird.
Zusammenfassung.
Aus meinen Analysen gleichalteriger, nahverwandter, mit
dem gleichen Futter aufgezogener weißer Mäuse geht hervor, daB
1. der SiO,-Gehalt des Körpers durch geeignete SiO Zufuhr
mit dem Futter erhöht werden kann,
2. nur ein kleiner Teil der dargebotenen SiO, im normalen
Körper zurückbehalten wird,
| 21*
316 Fr. Breest: Physiologische Wirkung der Kiesels&ure.
3. die „Neutralisation“ des Merc kschen Silicates nicht nur
nicht die Resorption hinabsetzt, sondern im Gegenteil erhöht.
Damit ist in Verbindung mit der Arbeit von Schuhbauer be-
wiesen, daB
4. die Giftigkeit des Na-Silicates Merck auf
der abspaltbaren Natronlauge beruht, die SiO, an
sich ungiftig ist.
5. Die Passage durch den sauren Mageninhalt macht die
Verfütterungsform der Kieselsäure nicht gleichgültig.
6. Kieselsäurehydrat wird nicht resorbiert.
7. Bei vergleichenden Analysen ist es nötig, gleichalterige
Tiere gleicher Vorgeschichte und nächster Verwandtschaft zu -
benutzen.
Uber Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische
Neutralfette.
Von
D. Holde.
(Eingegangen am 30. Juni 1920.)
Wie an anderer Stelle!) mitgeteilt wurde, betrifft die von
Franz Fischer und W. Schneider vor kurzem?) gegebene
Anregung, Anhydride höherer Fettsäuren, sofern sie wie Neutral-
fette resorbierbar sein sollten, ein von mir vor 5 Jahren dem
damaligen Vorsitzenden der Ernährungskommission A (Emil
Fischer) des Kriegsausschusses für pflanzliche Ole und Fette
unterbreitetes und nachher auch in seinen wichtigsten Grund-
zügen chemisch und physiologisch verfolgtes Problems). Die
während des Krieges in Rücksicht auf die Kriegsbestimmungen
unterbliebene Publikation der gewonnenen Erkenntnisse wurde
bislang noch aufgeschoben, um die Arbeiten noch weiter abzu-
runden; sie soll aber nunmehr fortlaufend erfolgen.
Die genannten Autoren erhielten bei der Oxydation von Paraf-
fin mit Luft bei 135—145° Oxydations produkte, welche sich nicht
in Soda, sondern nur in Atzalkalien zu Seifen lösten. Ihre SchluB-
folgerung, daB es sich deshalb bei diesen Oxydationsprodukten
möglicherweise um Anhydride handele, muß indessen insofern
berichtigt werden, als nach A. Grün!) u. a. bei der Oxydation
von Paraffin mit Luft neben höheren Alkoholen auch ester-
artige Verbindungen der letztern mit Fettsäuren entstehen,
welche ohne nähere Prüfung wohl das Vorhandensein von Anhy-
driden vortäuschen können.
Die nachstehend in ihrem organoleptischen und physiologi-
schen Teil beschriebenen, im Jahre 1915 begonnenen und 1916
1) Chem. -Ztg. 44, 78. 1920.
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 53, 924. 1920.
2) Uber die bisherigen Ergebnisse habe ich am 12. Juli d. J. in der
Deutschen chemischen Ges. vorgetragen.
4) Ber. d. Deutsch. chem. Gesellsch 53, 987. 1920
318 D. Holde:
fortgesetzten Voruntersuchungen der im obigen Thema auf-
geworfenen Frage erstrecken sich ebenso wie spätere, in Gemein-
schaft mit Frl. Ida Tacke im Herbst 1919 wiederaufgenommene
Arbeiten auf technische Fettsäuregemische wie z. B. durch Vakuum-
destillation gereinigtes Olein, Leinölfettsäuren usw., weil die
Einzelindividuen für die Beantwortung der aufgeworfenen che-
mischen und physiologischen Fragen als Untersuchungsobjekte
wegen ihres zu hohen Herstellungspreises und die höher
schmelzenden krystallisierten Anhydride der Stearin-, Palmitin-
und Erucasäure an und für sich als Speisefette nicht in Frage kamen.
Zudem lassen sich die gewonnenen Ergebnisse — mutatis mutandis
— ohne weiteres auch auf die Einzelindividuen übertragen.
Über die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Problems
berichte ich folgendes:
Am 27. Nov. 1915 unterbreitete ich dem Vorsitzenden der Kom-
mission A des Kriegsausschusses folgenden Vorschlag: „„. . Bei Erwägung
der Möglichkeiten, die Fettsäuren (Ölsäure, Erucasäure, Linolsäure, Pal-
mitinsäure usw.) ohne Einverleibung von Glycerin oder Glykol in eine
leichtverdauliche, aber neutrale Form zu bringen, ist mir der Gedanke ge-
kommen, ob nicht die Anwendung der Säuren in Form von Anhydriden,
die ja neutral und hydrolisierbar sind, zu ermöglichen ist. Ich nehme an,
daß diese Körper, mit denen ich mich in ihrem reinen Zustand noch nicht
zu beschäftigen Gelegenheit hatte, da sie naturgemäß nicht wie z. B. Essig-
säureanhydrid, auf der Zunge hydrolisiert werden, weniger einen störenden
Geschmack haben könnten, als die flüssigen ungesättigten Säuren selbst...
Falls nicht grundsätzliche chemische, physiologische oder technische Be
denken entgegenstehen, würde ich an die Bearbeitung der Sache heran
gehen
Gegenüber Bedenken Emil Fischers, die sich auf die mögliche
schwerere Resorbierbarkeit der ins Auge gefaßten Anhydride höherer
Fettsäuren bezogen, antwortete ich unter dem 22. Dez. 1915, nachdem ich
einige Vorversuche in Gemeinschaft mit H. S melk us im Staatlichen
Materialprüfungsamt angestellt hatte, folgendes:. . „Ich habe die Pro-
dukte (Anhydride) aus Ölsäure bei uns mittels Essigsäureanhydrid nach
Н. Albitzky*) herstellen lassen und dabei festgestellt, daß der nicht in
Reaktion getretene Betrag an freier Ölsäure darum nicht sehr genau durch
Titration mit 2/,,-Гаџре?) zu ermitteln ist, weil der Farbenumschlag
1) Journ. d Russ. chem. Ges. 31, 103. 1899; s. a. Michael Jemel
jemof u. H. Albitzky, über Elaidinsäureanhydrid, ebenda S. 106.
2) Es wurde alkoholische Lauge benutzt. Die Reaktion wurde später
aufgeklärt, s. Vortrag, gehalten über obiges Thema am 12. Juli 1920 in der
Deutsch. chem. Ges., dessen chemischer Teil voraussichtlich in Ber. d.
Deutech. chem. Ges., Heft 8, abgedruckt wird.
Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 319
nach Rot immer wieder bald verschwindet, also die Anhydride offenbar
sehr leicht spaltbar durch ganz verdünnte Lauge sind. Dies deutet wohl
auf eine leichte Resorbierbarkeit hin, wenn als Maßstab für diese die leichte
Spaltbarkeit durch sehr verdünnte Lauge gelten kann... Tatsächlich
hat das Ölsäureanhydrid selbst in der dunkelfarbigen Beschaffenheit, in
der ich es zunächst erhalten hatte, im Gegensatz zur Ölsäure keinen kratzen-
den Geschmack... Der Vorzug solcher Anhydride gegenüber den reinen
festen Fettsäuren würde auch in deren flüssiger bzw. im Gemisch mit festen
Anhydriden in ihrer voraussichtlich vaselineartigen Konsistenz liegen!)
Ferner heißt es in dem Protokoll der Sitzung der Fettsäuresynthese-
kommission B des genannten Ausschusses vom 25. Februar 1916 (Vor-
sitzender C. Engler, Karlsrube), in der Harries und Koetschau ihre
ersten Mitteilungen über die Gewinnung von aliphatischen Fettsäuren durch
Ozonisation von Braunkohlenteerölen machten, und an der u. a. noch
E. Graefe, I. Marcusson, E. Albrecht, Hamburg und Welter,
Crefeld, teilnahmen, wie folgt:
Auf Anfrage von Holde teilt der Vortragende (Harries) mit, ...
daß eine Verwendung der synthetischen Fettsäuren zu Speisefettprodukten
bisher noch nicht erwogen sei. In dieser Hinsicht macht Holde darauf
aufmerksam, daß eine Anhydrisierung der Fettsäuren diese nach den bei
den natürlichen Fettsäuren gemachten Erfahrungen wahrscheinlich in
neutrale Speisefette überführen lasse, wenn der Geschmack der neuen
Fettsäureanhydride nicht störe.“
Da nun Paraffine bei der Oxydation mit Luft oder Sauer-
stoff, wenn sie hierbei zu Fettsäuren oxydiert werden, wahrschein-
lich vorher zu ungesättigten Kohlenwasserstoffen teilweise ab-
gebaut werden, und sich ja die von mir gemachten Vorschläge
generell auf Verwendung von Anhydriden höherer Fettsäuren
bezogen, so dürfte auch an der Priorität der Vorschläge für das
Gebiet der durch Oxydation von Kohlenwasserstoffen aus Teeren,
Erdöl, bituminösem Schiefer usw. gewonnenen Fettsäuren kein
Zweifel obwalten.
Organoleptische Prüfungen.
Nachdem sich gezeigt hatte, daß die nach Albitzky aus
einer reinen, im Vakuum destillierten Ölsäure (Ausgangsmaterial
Olein von Motard) hergestellten Anhydride, ebenso wie normale
Fette bei der Behandlung mit alkoholischer 9½-Lauge leicht
verseifbar waren, und hiernach an ihrer voraussichtlichen Resor-
1) Emil Fischer hatte im Einklang mit den ebenfalls der Ernährungs-
kommission angehörenden Herren Rubner, Zuntz usw. wiederholt auf
die bessere Resorbierbarkeit weicher Fette im Vergleich zu härteren Fetten
hingewiesen.
x
320 D. Holde:
’ bierbarkeit im tierischen Körper Zweifel nicht angezeigt schienen,
wurde ein derartiges, durch Filtration über Fullererde noch weiter-
hin gereinigtes hellgelbes geruchloses Anhydrid 4 Wochen lang
in meinem Haushalt als Salatöl genossen!). Vorher hatte ich durch
zahlreiche Geschmacksproben festgestellt, daß bei den nicht
anhydrisierten Fettsäuren, auch der reinen, durch dreimalige
Vakuumdestillation bei 9—10 mm Druck aus Olein Motard
erhaltenen blaßgelben Ölsäure, welche zur Gewinnung des zu den
Geschmacksproben und den physiologischen Versuchen benutzten
Anhydrids gedient hatte, zwar nicht auf der Zunge, wohl aber
alsbald im Gaumen ein unangenehmer kratzender Geschmack
entstand, welcher bei dem in Rede stehenden Anhydrid nicht be-
merkt wurde. Wie schon in der vorläufigen Mitteilung?) erwähnt
wurde, hat das Anhydrid, welches bei höherer Zimmerwärme
völlig flüssig (wie Olein oder Olivenöl), an kühleren Tagen aber
im Zimmer halbflüssig bis salbenartig war, als Salatöl bei häufigem
Genuß vollauf genügt. Dagegen ergab sich, als ich durch diesen
Erfolg ermutigt, die Probe zum Braten von Kartoffeln benutzen
ließ, ein kratzender Geschmack der letzteren, dessen Ursachen
und damit auch die Beseitigungsmöglichkeiten aufzuklären sind.
Wenn man beispielsweise die weiterhin bei einem Leinölsäure-
anhydrid festgestellte starke Zersetzlichkeit durch strömenden
Wasserdampf zur Erklärung dieses ersten Mißerfolges heranzieht,
so würde ja die hohe Temperatur beim Braten der Kartoffeln
und der in letzteren enthaltene Wassergehalt den unangenehmeren
Geschmack des Anhydrids genügend erklären. Es ist aber ferner
auch möglich, daß das Anhydrid, das damals nur durch Aus-
schütteln mit 85 vol.-proz. Alkohol von nicht anhydrisiert geblie-
benen freien Fettsäuren befreit wurde, wegen der immerhin vor-
handenen teilweisen Löslichkeit von Fettsäuren im Anhydrid
und umgekehrt noch geringe Mengen freier Fettsäuren?) enthielt
(im vorliegenden Fall Ölsäure), welche bei der höheren Temperatur
des Bratens den schlechteren Geschmack veranlaßten. Da von
1) Das Öl dürfte damals (Frühjahr 1916) durch Schütteln mit 85 vol.
proz. Alkohol von nicht anhydrisierten Fettsäuren gereinigt worden sein.
Leider fand sich keine Niederschrift hierüber mehr tor.
2) J. c.
9) Diese konnten nach den späteren Titrations versuchen mit alkoholi-
scher 2/10- Natronlauge (alkoholisch) auf 4—5% geschätzt werden.
Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 321
dem damals den Versuchen zugrunde gelegten Anhydrid neuer-
dings nur noch geringe Mengen vorhanden waren und diese auch
nach Entfernung des Gehaltes an freien Fettsäuren bei so langem
Lagern nicht mehr als genügend einwandfrei in organoleptischer
Hinsicht angesehen werden könnten, so werden über diesen Punkt
neue Untersuchungen an frischem Material anzustellen sein. Zu
bemerken ist übrigens, daß die Technik selbst die Gewinnung von
in bezug auf Geruch und Geschmack befriedigenden Fetten natur-
gemäß besser beherrscht, als dies bei der geringeren Übung, der
Anwendung flüchtiger Lösungsmittel usw. im kleinen Labora-
toriumsstil im allgemeinen möglich ist. Schon aus diesem Grunde
kann den organoleptischen Proben naturgemäß vorläufig keine
maßgebende Bedeutung zugesprochen werden, soweit sie noch
nicht befriedigten.
Physiologische Ausnützungsversuche.
Eindeutiger, und zwar in durchaus günstigem Sinne waren,
den von mir aus der leichten Verseifbarkeit der Anhydride ge-
schöpften Erwartungen entsprechend, die nachstehenden Ergeb-
nisse der auf meinen Wunsch von Prof. M. Cremer freundlichst
veranlaßten Ausnützungsversuche, welche im Physiologischen
Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin von Dr..
Seuffert ausgeführt wurden:
Methodik des Versuches: Nach Verfütterung von Knochen —
zwecks Abgrenzung — erhielt der Versuchshund an zwei aufeinander
folgenden Tagen je 20,0g Anhydridöl mit 75 g Reis, 2 g Fleischextrakt
und 1 g Kochsalz, worauf wieder eine Knochenperiode folgte.
Der zwischen den Knochenkoten anfallende Kot wurde gesammelt
und auf Fettgehalt analysiert.
Es ergab der Alkoholextrakt des gesamten Kotes . . . . 0,4025 g
In Petroläther lösliche Substanz: der 1. Atherextrakt . . 1,3080 g
der 2. Ätherextrakt . . 0,2660 g
zusammen: 1,9765 g
Da von dem Fett aus dem Futternapfe 0,86 g wieder gewonnen wur-
den, ist die tatsächlich verfütterte Anhydridölmenge auf 39,14 g zu korri-
gieren.
Die Ausnützung beträgt also bei diesem Versuche rund 95%.
Eine kleine Änderung dieser Zahlen ist durch die in den Rückständen
möglicherweise noch enthaltenen Seifenmengen denkbar. Da aber die
Untersuchung daraufhin noch einige Zeit in Anspruch nimmt, erlaube ich
mir, diese vorläufigen Zahlen heute schon jetzt mitzuteilen.
322 D. Holde:
Die Zahlen ergeben die Rohausniitzung. Die wahre Ausniitzung ist
besser, da bei demselben, aber anhydridölfreiem Futter ebenfalls Fett im
Kote vorhanden ist.
Den 5. Juni 1916. gen. Prof. M. Cremer.
Das vorstehende sehr günstige Ergebnis der Ausnützungs-
versuche veranlaßte mich, bei Herrn Prof. Cremer die Prüfung
von noch 2 Proben Anhydrid, deren Herstellung aus den Natrium-
salzen von sog. Olinit- und Knochenfettsäuren mittels Phosgen
Herr A. Grün freundlichst veranlaßt hatte, auf ihre Aus-
nützung nachzusuchen.
Die Untersuchung ergab folgende Werte (Hund):
Ausnützung des Olinitfettes: 93,29%,. Nettoausnutzung ist günstiger.
des Knochenfettes: 94,4%. Verfüttert 40 g in 2 Tagen.
Eine Analyse der mit dem Kote ausgeschiedenen freien Fettsäure
bzw. Seifenmenge ist bisher noch nicht abgeschlossen.
Die betreffenden Werte sollen seinerzeit mitgeteilt werden.
Das Ergebnis der Ausnützungsversuche wird durch die noch aus-
stehenden Zahlen höchstens ganz unwesentlich beeinflußt.
Den 25. VII. 1916. gez. Cre mer.
Zu den Versuchen an Olinit!)- und Knochenfettsäureanhy-
driden ist zu bemerken, daß erstere nach den später angeführten
Titrationsversuchen mit alkoholischer "/,,.-Lauge etwa 16%, letztere
aber überwiegend, nämlich fast 80%, freie Säure enthielten,
was möglicherweise auf eine Zersetzung dieser mißfarbigen salben-
artigen Produkte beim Transport zurückzuführen war. Daher
wären nur die beiden ersterwähnten Anhydride mit nur geringem
bzw. mäßigem Gehalt an freier Säure zur Beurteilung der Aus-
nützbarkeit im tierischen Organismus einstweilen heranzuziehen.
Es ist aber bekannt, daß auch manche unreine Glyceridfette,
selbst reines Palmfett oder Olivenöl, beim Transport, besonders
zur-wärmeren Jahreszeit — und dieser Fall lag auch hier vor —
leicht sehr starke Zersetzungen in freie Säure, z. B. Palmfett bis
zu fast 100%, erleiden. Es wäre mithin verfrüht, wenn man etwa
aus solchen vereinzelten Anomalien allgemeine ungünstige Schlüsse
auf die Haltbarkeit von Anhydriden ziehen wollte. Systematische
Versuche über diese Frage werden zur Zeit in Gemeinschaft mit
Frl. Ida Tacke ausgeführt; es wird später hierüber berichtet
werden.
1) Die Olinitfettsäuren entstammten einem bis zur Schmalzkonsistenz
gehärteten Tran (Waltran).
Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 323
Die technische Herstellung der Anhydride der höheren Fett-
säuren ist weder für Ernährungszwecke noch für sonstige tech-
nische Benutzung an Stelle von Glyceridfetten meines Wissens
bisher in Angriff genommen, weil es bislang sowohl an den nötigen
Reagenzien wie auch an dem erforderlichen Rohmaterial (Fett-
säuren) fehlte. Zudem mangelte es auch an den erforderlichen
Physiologischen und sonstigen chemischen Kenntnissen, welche diese
Körperklasse dem Interesse der Chemiker hätten näherbringen
können. Hierzu kam, daß man während des Krieges an den phy-
siologisch gut ausnützbaren Athylestern und an den nach Vor-
schlag von Emil Fischer in mäßigen Mengen den Speisefetten
zugesetzten freien festen Fettsäuren einen bis zu einem gewissen
Grade brauchbaren und wesentlich einfacher als die Anhydride
zu gewinnenden Neutralfettersatz hatte. Nach Beendigung des
Krieges fielen natürlich die Gründe für die Benutzung auch dieser
Notbehelfe fort, sobald genügende Mengen Neutralfette eingeführt
wurden. |
Immerhin scheint es aber auch fiir den wahrscheinlichen
Fall, daB wir mit Auslandsfetten in nachster Zeit reichlicher als
bisher versehen werden, nötig, den allgemeinen Eigenschaften
auch der im Vergleich zu den Äthylestern bisher kaum beachteten
Anhydride der höheren Fettsäuren um so mehr erhöhte Auf-
merksamkeit zu widmen, als es sich hier im Gegensatz zu den
Äthylestern dieser Säuren nicht um esterartig riechende, leichter
flüchtige und, soweit sie nicht krystallinisch sind, sehr leicht-
flüssige Produkte, sondern um Produkte handelt, welche in
allen ihren physikalischen Eigenschaften durchaus
fettartigen, d. h. viscosöligen oder salbenartigen Charakter
haben.
Natürlich ist hierbei nicht etwa an die hochschmelzenden
oder mäßig hochschmelzenden Individuen wie Palmitinsäure-,
Stearinsäure-, Erucasäureanhydrid usw. gedacht, welche, wie
schon oben erwähnt, aus bloßen ökonomischen Gründen tech-
nisch nicht als Fettersatz in Betracht kommen und ebenso wie
die entsprechenden Glyceride krystallisiert sind, sondern an
die Anhydride aus den natürlichen Fettsäuregemischen, welche
auch die bei Zimmerwärme flüssigen bzw. salbenartigen An-
hydride der flüssigen Fettsäuren neben denjenigen der genannten
festen Säuren enthalten. |
t
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