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Full text of "Biochemische Zeitschrift 108.1920"

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Biochemische Zeitschrift 


Beiträge 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von 
F. Hofmeister - Würzburg, C. von Noorden -Frankfurt a. M., 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin 


unter Mitwirkung von 


М. Ascoli-Catania, L. Asher-Bern, d. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, F. Blumenthal- 
Berlin, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, d. Bredig-Karlsruhe i. B., A. Durig-Wien, 
Е. Ehrileh-Breslau, H. v. Euler-Stockholm, J. Feigl- Hamburg, 8. Flexner-New York, 
J. Forssman-Lund, 8, Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem, 
E. Friedberger-Greifswald, E. Friedmann-Beriin, O. v. Fürth-Wien, d. Galeotti-Neapel, 
F. Haber- Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger- Groningen, P. Häri- Budapest, E. Hägglund- 
Aabo, A. Heffter- Berlin, V. Henri- Paris, V. Henriques- Kopenhagen, W. Heubner- 
Göttingen, R. Hö ber- Kiel, М. Jacoby- Berlin, A. Koch- Göttingen, M. Kumagawa- Tokio, 
F. Landolf- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene- New York, L. v. Liebermann- 
Budapest, J. Loeb- New York, A. Loewy - Berlin, A. Magnus-Levy- Berlin, J. A. Mandel- 
New York, L. Marchlewekl- Krakau, P. Mayer- Karlsbad, J. Meisenhelmer- Greifswald, 
L. Michaelis-Berlin, H. Mollsch- Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münser-Prug, W. Nernst- 
Berlin, W. Ost wald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg. W. Paull- Wien, R. Pfeiffer- 
Breslau, E. P. Pick- Wien, J. Pohl - Breslau, Ch. Porcher - Lyon, P. Rona - Berlin, 
Н. Sachs-Heidelberg, 8. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sleber- St. Pet ers- 
burg, 8. P. L. Sörensen-Kopenhagen, К. Spiro- Liestal, E. Н. Starling-London, J. Stoklasa» 
Prag, W. Straub- Freiburg i. B., A. Stutser- Königsberg i. Pr., H. v. Ta . 
H. Thoms-Berlin, P. Trendelenburg-Rostock. 0. Warburg-Berlin, W. Wiechowski- 
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertundachter Band 


Berlin 
Verlag von Julius Springer 
1920 


Druck der Spamerschen Buchdruckerel in Leipzig. 


Inhaltsverzeichnis. 


Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende 
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde- 


gewebsmembranen . nnd 
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 
Phosphatide und Sterine. Т............. SS 


— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine П 
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. III 
— — Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten Blut- 
körperchen für den Traubenzucker“ von M. Bönniger 
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar 
stellung der Tetradekamethylendikarbonsiure ........ 
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion 
mit Phenolaldehyden .,.,................. 
Bechhold, Н. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns . . . 
Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Be- 
deutung in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I 
— — Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der Radium- 
emanation und der Radioaktivität des Kaliums auf die bioche- 
mischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeß der Pflanzen. II 
— — Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photo- 
synthese: II ya Ee уя ee 
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung 
von akzessorischen Nahrungssubstanzen . . . . 2 2 2 2 2.02. 
— — Weitere Untersuchungen über Stoffwechselregulierung bei Bak- 
ei ] U Eee el AE A 
Rosenthal, F. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei 
anämischen Krankheitszuständen . n 
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen 
Gärung ere 88 
Salkowskl, E. Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol 
Schnabel, Alfred. Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender 
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (1. Mit- 
teilung: OptochnRn nnn ðͤ ке + 
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das lipo- 
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper- 
Iipochrom mie 
Schuhbauer, Franz. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. 
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus 
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die 
Resorption der Кїезездшише................. 
Holde, D. Über Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische 
N o-a 2-22 ]ðV.y ðͤ RER EI 
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Selte 


109 


140 
173 
185 
207 
220 


235 
244 


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Biochemische Zeitschrift 


Beiträge 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von 


F. Hofmeister - Würzburg, C. von Noorden - Frankfurt. A OCH CENTER LEN. 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin 


unter Mitwirkung von JAN 2 1962 


М. Ascoll-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, Е. Blumenthal- 
1 З. e ka tea er с саре, G. ae Rear dead і. Le A. Durig-Wien, 
„ Ehrlieh-Breslau, Н. v. er-Stockholm, J. Ееі=1- Hamburg, S. Flexner-N r 

J. Forssman-Lund, S, Fränkel-Wien, Е. Freund-Wien, Н. Frzundilah-Beriin WANT rancısco, 22 
Е. Friedberger-Greifswald, Е. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel, 
Е. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Härl-Budapest, E. Hägglund- 
Aabo, A. Heffter-Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W, Heubner- 
Göttingen, R. Höber-Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, M. Kumagawa-Tokio, 
F. Landolf- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, Р. A. Levene-New York, L. v. Liebermann- 
Budapest, J. Loeb-New York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel- 
New York, L. Marchlewskl- Krakau, Р. Mayer-Karlsbad, J. Melsenheimer-Greifswald, 
L. Michaells-Berlin, H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Münzer-Prag, W. Nernst- 
Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg, W. Pauli-Wien, R. Pfeiffer- 
Breslau, E. P. Piek- Wien, J. Pohl- Breslau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona- Berlin, 
Н. Sachs-Heidelberg, S. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sieber-St. Peters- 
burg, S. P. L. Sörensen- Kopenhagen, К. Spiro-Liestal, E. H. Starling-London, J. Stoklasa- 
Prag, W. Straub- Freiburg і. B., A. Stutzer-Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München, 
Н. Thoms- Berlin, P. Trendelenburg- Rostock. O. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-Prag, 
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertundachter Band 
Erstes bis drittes Heft 
Ausgegeben am 28. August 1920 


Berlin 


Verlag von Julius Springer 
1920 


De Biochemische Zeitschrift 


erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus- 
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis 
eines jeden Bandes beträgt M. 48.—. Die Biochemische Zeit- 
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter- 
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen. 


In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn ste 
nicht mehr als 1½ Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des 
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser 
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts 
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent- 
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen. 

Manuskriptsendungen sind an den Redakteur, 

Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorjstr. 18, 
zu richten. 

Die Verfasser erhalten 60 Sonderabdriicke ihrer Abhandlungen kosten- 
frei, weitere gegen Berechnung. Für den 16 seitigen Druckbogen wird ein 
Honorar von M. 40.— gezahlt. 


Verlagsbuchhandlung Julius Springer 
Berlin W 9, Linkstraße 23/24. 


p 


108. Band. Inhaltsverzeichnis. „% u; 3, Heft, 
Seite 
Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende 
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde- 


от mm)) . — ey ] 
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 

a Und Sterne. . as we wa eo we 35 
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 

Phosphatide wid Sterne. IH. ⁰ ALE E kA . 52 


Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 


Phospnaiide: nad Storme: r жж =ч.» 8 61 
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Bemerkungen zu der Arbeit 
„Die Permeabilität der roten Blutkörperchen für den Trauben- 
%% у ео а и оона эз эд ®ъэ».а 74 
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar— 
stellung der Tetradekamethylendikarbonsiiure . ......, 75 
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion 
mit Phenolaldehyden 82 


Bechhold, H. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns . . 98 

Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre 
Bedeutung in der chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Zelle. I 109 

Stoklasa, Julius. Der Mechanismus der physiologischen Wirkung 
der Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums au 


die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeb der 
Pflanzen. II . 140 


Stoklasa, Julius. Die Bedeutung der Radioaktivität des Kali ums 
ber der Photosynthese, IH а te zn ae a ba а за ИЗ 


Membran und Narkose. 
II. Mitteilung’). 


Vergleichende Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- 
und Bindegewebsmembranen. 


Von 
Paul Schulze. 


(Aus dem pharn.akclogischen Universitätsinstitut in Göttingen.) 
(Eingegengen am 6. April 1920.) 
it 24 Abbildungen im Text. 


| Von besonderer Wichtigkeit für eine physikalisch-chemische 
f keorie der Narkose sind die Schichten der Zelle, durch die hin- 
durch der Stoffwechsel, die Aufnahme von Nahrungsstoffen 
und die Abgabe der Stoffwechselprodukte, der Austausch von 
Ionen, die Wanderung von Wasser und gelösten Stoffen, der Aus- 
gleich von Potentialdifferenzen stattfindet. Denn es liegt seit 
langem nahe, an diesen Grenzschichten — und unter Grenz- 
schichten der Zelle braucht man sich dabei [vgl. Loewe?)] keine 
differenzierten Zellmembranen vorzustellen, sondern hat hier 
jede Zwischenschicht zwischen einem Außen und Innen einzu- 
begreifen — auch den Angriffspunkt der narkotisch wirksamen 
Substanzen zu suchen. Für Betrachtungen über den Wirkungs- 
mechanismus der Narkotika darf man sich diese jeweils wechseln- 
den Stätten des Zellprotoplasmas als Membran in physikalisch- 
chemischem Sinne vorstellen, denn ihnen kommen sicherlich 
die zwei Figenschaften zu, die nach der Definition des Membran- 
begriffs durch Loewe?) notwendig vorhanden sein müssen an 
Gebilden, die man als Membran bezeichnen will: 1. bestimmte 
Form, die gegeben ist durch die Anordnung als Grenzsystem 
zwischen zwei jederseits anschließenden Nachbarsystemen, und 
2. Mehrphasigkeit, Mikroheterogenität in sich selbst. Ermitt- 


1) J. Mitt. siehe diese Zeitschr. 57, 161. 1913. 
2) I. c. sub’). 
Biochemische zeitschrift Band 108. 


2 P. Schulze: 


lungen über Membranfunktionen und deren Änderungen unter 
Einwirkung äußerer Einflüsse haben also stets Bedeutung auch 
für die Funktion und Funktionsänderung dieser lebenden Zell- 
„membranen“. 

Als wesentliche Funktion dieser Membranen wird man 
gemäß der Definition derselben ihren Einfluß auf die Diffusion 
von Wasser und gelösten Substanzen durch sie hindurch ansehen 
dürfen. 

Gerade für die physikalisch- chemische Theorie der Narkose 
ist es daher von großem Interesse, die Diffusions verhältnisse in 
den Zellmembranen, ihre Permeabilität für Ionen und die Ande- 
rung derselben unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen 
durch Versuche möglichst zu klären. 


Die Versuche, die der möglichst genauen Kenntnis der Permeabilitäts- 
änderung in der Narkose dienten, haben die Mehrzahl der Forscher zu der 
Annahme einer Per meabilitätsherabse ізо пр durch reversibel, einer 
Per meabilitätssteigerung durch toxisch, d. h. irreversibel wirkende 
Narkoticum konzentrationen geführt und dabei im wesentlichen folgende 
drei Wege eingeschlagen: 

1. Bei der Schwierigkeit, das eigentliche Objekt der Versuche, die iso- 
lierte, einzelne Zelle selbst zu fassen und die Permeabilität ihrer Membran- 
gebilde zu untersuchen, beschränkt man sich auf Versuchsmodelle, die 
Struktur und Funktion der lebenden Zellen, soweit sie bekannt sind, még- 
lichst naturgetreu nachahmen und die Wirkung der verschiedenen äußeren, 
nach der Willkür des Untersuchers zur Wirksamkeit gelangenden Ein- 
flüsse, hier also der Narkotica, sowie auch deren engeren Angriffspunkt in dem 
Komplexe der Membranbestandteile, technisch leichter feststellen lassen. 
In dieser Absicht wurden von Loewe!) Messungen der Leitfähigkeits- 
änderung an künstlichen Lipoidmembranen unter dem Einfluß 
verschiedener Narkotica ausgeführt und eine Leitfähigkeitsverminderung 
festgestellt. 

Gegen diese Versuchsanordnung ist einzuwenden, daß es sich bei ihr 
sicherlich um nichts weniger als eine vollkommene Nachahmung der Ver- 
hältnisse an biologischen Membranen handelt. 

II. Als Versuchsobjekt dienen einzelne isolierte Zellen, soweit man sie 
als besonders günstige Objekte sich wirklich gut zugänglich machen kann. 

So fand Lepeschkin?), daß lebende Spirogyrazellen in Äthernarkose 
das in Äther unlösliche Methylgrün oder Methylenblau schlechter in sich 
aufnehmen und speichern als ohne Narkose, während ein Versuch mit in 
Äther löslichem Bismarckbraun unter denselben Versuchsbedingungen 
keinen Unterschied zwischen der Färbbarkeit der narkotisierten und der 
nicht narkotisierten Zellen erkennen ließ. Hierin sah er eine Bestätigung 


1) J. c. S. 1. 
2) Le peschkin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911. 


Membran und Narkose. 3 


seiner Ansicht, daß die Narkotica in schwacher Konzentration, die nicht 
durch Koagulation der in dem Dispersionsmittel der Plasmahautkolloide 
enthaltenen Eiweißstoffe den Dispersitätsgrad herabsetzt, die Durch- 
gängigkeit der Plasmahaut für in Wasser gut, in den Narkoticis 
schlecht lösliche Farbstoffe herabsetzen. 

Ebenso stellte er fest!), daß die Blattepidermiszellen von Tradescantia 
discolor unter dem Einfluß von 0,05 bis 0,12 proz. Chloroformwasser oder 
1—21/,proz. Atherwasser eine Verminderung der Permeabilität für 
Salpeter zeigen, während höhere Konzentrationen des Chloroformwassers 
eine Erhöhung der Permeabilität für den gleichen Elektrolyten bewirkten. 

Joël?) benutzte gleichfalls eine Methode, mit der die Durchlässigkeit 
von Membranbestandteilen der Zelle selbst geprüft werden kann: er fand 
eine Verzögerung des Eintritts der Hämolyse durch schwach hypo- 
tonische Rohrzuckerlösung unter der Einwirkung schwacher Narkoticum- 
konzentrationen, während starke selbst Hämolyse bewirkten. 

Auch Mac Clendon?) benutzte eine Versuchsanordnung, deren Ob- 
jekt in einzelnen Zellen bestand. Er fand, daß Funduluseier, die für gewöhn- 
lich für Salze und Wasser völlig undurchlässig sind, so daß sie in destil- 
liertem Wasser sich nicht verändern, in schwach giftigen "/,,- Nitrat- 
lösungen die in ihnen enthaltenen Chloride rasch austreten lassen, daß aber 
Narkotica, in geeigneten, schwachen Konzentrationen zugesetzt, diese 
Permeabilitätssteigerung durch Nitratlösungen verringern, 
während höhere Narkoticumkonzentrationen für sich ebenso wirken wie 
die giftigen Nitratlösungen ohne Narkoticumzusatz. 

Dieser zweite Weg läßt die besten Resultate erwarten, da er die ein- 
zelne Zelle, das eigentliche Versuchsobjekt, zu fassen gestattet. Trotzdem 
lassen sich auch gegen ihn Einwände erheben: statt des Einflusses der Nar- 
kotica auf die Diffusion normaler Stoffwechselprodukte wird ihr Einfluß 
auf die Diffusionsverhältnisse von gänzlich zellfremden Farbstofflösungen 
untersucht. Statt lebender Zellen sind abgestorbene rote. Blutkörperchen 
das Versuchsobjekt. Statt tierischer Zellen werden einseitig differenzierte 
Pflanzenzellen untersucht. Gegen jede dieser Versuchsanordnungen gleich- 
mäßig erhebt sich der Einwand, daß es sich bei keiner um die undifferen- 
zierte Idealzelle handelt, von der aus ohne Bedenken verallgemeinert 
werden könnte, noch auch um die in der interessantesten Richtung diffe- 
renzierten tierischen Zellen, an welchen beim höheren Tier der Angriffs- 
punkt des wichtigsten Narkosephänomens zu suchen ist, nämlich um Ner- 
venzellen. Gelänge esaber auch, gerade Zellen aus dem Verbande des Zellen- 
staates des Mehrzellers isoliert zu fassen, so träfe gerade dann der weitere 
Einwand zu, daß die untersuchten Zellen während der ganzen Versuchs- 
dauer aus ihrem natürlichen Zusammenhang mit anderen Zellen heraus- 
gerissen sind. Diese letzte Schwierigkeit wird bei der dritten Versuchs- 
anordnung vermieden. 


1) Lepeschkin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911. 
2) Joél, Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915. 
3) Mac Clendon, Amer. journ. of physiol. 38. 1915. 


1* 


4 P. Schulze: 


IIl. Die Versuche werden an Zellen vorgenommen, die in natürlichem 
Zusammenhang mit ihren Nachbarzellen gelassen sind, also an Geweben. 

Dieser Versuchsanordnung bediente sich vor allem Winterstein). Er 
untersuchte die Durchgängigkeit von Muskelplatten für Salze und Wasser 
und ihre Veränderung unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen 
und stellte gleichfalls eine Permeabilitätsverminderung durch reversibel 
narkotisch wirkende Konzentrationen fest. А 

Es ist in der Tat vollkommen einwandfrei, Versuchsergebnisse, die zu- 
nächst an komplexen Gesamtgeweben gewonnen sind, auf die Parenchym- 
zellen, die Träger der Hauptfunktion dieser Gewebe, zu beziehen, sobald 
sichergestellt ist, daß der Einfluß des Bindegewebsanteiles der unter- 
suchten Gewebsstücke, des Interstitiums, auf die Versuchsergebnisse ver- 
nachlässigt werden darf. Aufgabe dieser Arbeit ist es, zu prüfen, mit welchem 
Rechte dies geschehen darf. 


Bei Versuchen, welche die Permeabilitätsänderung in ihrer 
Gesamtheit, als „Membranen“ verwendeter Organstücke, etwa 
unter dem Einfluß eines Narkoticums, prüfen und daraus Schlüsse 
ziehen wollen auf die Änderung der Durchlässigkeit ihres Paren- 
chyms, sind folgende Überlegungen anzustellen: 


Ein solches Objekt ist schon in seinem mikroskopischen Bau heterogen 
im Gegensatz zu einem einheitlichen Membranmatcrial, das erst in kolloider 
Größenordnung seine Mikroheterogenität aufweist. Daher ist es zweck- 
mäßig, sich bei den Erwägungen zunächst einmal auf einen einzelnen Quer- 
schnitt der Permeationsbahn zu beschränken, um die Betrachtung nicht 
ins Ungemessene zu komplizieren. Das ist erlaubt, weil ja auch an dem Ob- 
jekt selbst gewisse Querschnitte, freilich in häufiger Wiederholung, die 
Stätten besonderer Erschwerung der Permeation bedeuten. Zu einer wei- 
teren Vereinfachung des Objektes gelangt man folgendermaßen: man stelle 
sich dasselbe, dhne Rücksicht auf die unendliche Vielgestaltigkeit seiner 
Einzelheiten, an dem ins Auge gefaßten Querschnitt nur als aus zwei Materi- 
alien zusammengesetzt vor: aus Parenchyminseln, die ihrerseits aus einem 
einheitlichen Material bestehen sollen, und aus ebenfalls in sich gleich- 
mäßig gedachtem Interstitialmaterial, mit welchem jene Parenchyminseln 
regelmäßig abwechseln sollen. Dann ergeben sich einfach aus dem Massen- 
verhältnis von Parenchym und Interstitium folgende drei Möglichkeiten 
(vgl. Abb. 1—3). 

Den Stoffen, welche die Membran permeieren, bei Leitfähigkeitsmessun- 
gen also den Ionen, stehen zur Wanderung durch Muskelzellmembranen 
entsprechend dem anatomischen Bau derselben im wesentlichen drei Wege 
zur Verfügung: Entweder sie wandern direkt durch die Muskelfasern, das 
Parenchym; das interstitielle Gewebe kommt egen seiner geringen Aus- 
bildung nicht als Weg für sie in Betracht, wie in Abb. 1. Oder gerade um- 
gekehrt: Die Mehrzahl oder sämtliche Ionen wandern durch das interstitielle 
Gewebe; die Parenchymzellen stehen nur als der Masse nach unbedeutende 


1) Winterstein, Die Narkose, 1911 u. diese Zeitschr. 75. 1919. 


Membran und Narkose. 5 


Querschnittsanteile, also als sehr kleine und seltene Inseln in der Strom- 
bahn, wie in Abb. 2. In extremen Fällen, etwa bei der Aufschwemmung 
von AgCl in einem Elektrolyten, sind diese Inseln völlig bedeutungslos. 
Oder drittens: Parenchymzellen und interstitielles Gewebe sind in gleichem 
Massenverhältnis vorhanden, wie in Abb. 3. Ein vierter Fall, daß nämlich 
gerade ein Blut- oder Lymphgefäß in dem von den Ionen durchwanderten 
Bezirk der Muskelmembran in der Wanderungsrichtung der Ionen ver- 
läuft, ist nicht berücksichtigt, da solche Verhältnisse die Wanderungs- 
geschwindigkeit der Ionen je nach der Gestaltung der verschiedenen Be- 
dingungen, z. B. schon je nach dem zufälligen Kontraktions- und Füllungs- 
zustand des Gefäßes, ganz atypisch beeinflussen würden. Der Einfluß end- 
lich, den die Gewebsschichten des Peritoneums und der Gelenkkapsel- und 
Lymphraumauskleidung, welche bei den für diese Arbeit untersuchten 
Versuchsobjekten in Betracht kommen, auf die Ionenpermeabilität aus- 
üben, kann hier vernachlässigt werden, da er in gleichem Maße die Paren- 
chymzellen und das Interstitialgewebe, m. a. W. nicht den hier ins Auge 
gefaBten, speziellen Querschnitt betrifft. 

Wie die Strombahnen — wir wollen uns zur weiteren Vereinfachung 
der Erörterung gleich auf die Betrachtung der Ionenpermeabilität, also 
der elektrolytischen Leitfähigkeit unseres Objektes beschränken — durch 
diesen Querschnitt verlaufen, hängt nun aber außer von dem in den Abb. 
1—3 allein berücksichtigten Massenverhältnis zwischen Parenchym- 
zellen und Interstitialgewebe auch von der „spezifischen Leitfähig- 
keit“ beider Materialien ab. 

Um überhaupt zu einigermaßen fruchtbaren Überlegungen kommen 
zu können, müssen wir ferner noch von einer weiteren großen Zahl von 
Komplikationsmöglichkeiten absehen. Zunächst von den Polarisations- 
einflüssen, die unter der Einwirkung des Narkoticums auftreten dürften. 
Ferner von den etwa auftretenden Veränderungen im Verhältnis der Be- 
teiligung beider Komponenten des Membranmaterials am Gesamtquer- 
schnitt, wenn etwa die Narkose in der allereinfachsten Weise als Adsorp- 
tionsvorgang, also als eine Vermehrung der schlecht permeablen Anteile 
der Membran am Gesamtquerschnitt sich erweisen sollte. Wir wollen nur 
einmal den Fall betrachten, daß bei gleichbleibendem Querschnitts- 
anteil beider Komponenten die Durchlässigkeit derselben für Ionen, also 
ihre spezifische Leitfähigkeit quantitativ verändert wird. 

Dann können wir die über den Querschnitt verteilten Parenchym- 
inseln in ihrer Wirkung auf die Ionenpermeabilität der Membran gleichsetzen 
einem zusammenhängenden, aus demselben Material gebildeten, in sich 
gleichartigen Querschnittsanteil. Wir können also alle drei obigen sche- 
matischen Figuren ableiten aus der folgenden einfacheren Abb. 4. 

An dem Querschnitt Q herrschen dann folgende Leitfähigkeitsver- 
hältnisse, wenn wir die Leitfähigkeit des Gesamtquerschnitts als L, die 
spezifischen Leitfähigkeiten als 2, und J, bezeichnen, und wenn wir ferner 
die Länge der beiden leitenden Schichten l, und l, vernachlässigen, indem 
wir sie zunächst gleichsetzen, dann aber als konstapt aus der Gleichung 
fortlassen. 


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. 


Inhaltsverzeichnis. 


Schulze, Paul. Membran und Narkose. П. Mitteilung. Vergleichende 
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde- 


gewebsmembranen .................... 
Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 
Phosphatide und Sterine. fl. Ге 


— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. П 
— — Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. III. 
— — Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten Blut- 
körperchen für den Traubenzucker“ von М. Bönniger .. 
Stosius, Karl und Karl Wiesler. Über die elektrosynthetische Dar- 
stellung der Tetradekamethylendikarbonsäure . . . . 2... 
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion 
mit Phenolaldehyden ................... 
Bechhold, H. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harms... . 
Stoklasa, Julius. Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Be- 
deutung in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I 
— — Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der Radium- 
emanation und der Radioaktivität des Kaliums auf die bioche- 
mischen Vorgänge bei dem Wachstumsproze8 der Pflanzen. II 
— — Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photo- 
syntheses ß Be Ren 
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung 
von akzessorischen Nahrungssubstanzen . . . . . 2 2 2 2.02. 
— — Weitere Untersuchungen über Stoffwechselregulierung bei Bak- 
Кепей Ae a wa Be ⁵ði“ i i 
Rosenthal, F. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei 
anämischen Krankheitszustinden . n 
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen 
Gärung der eee. ðͤ ĩ éi 
Salkowskl, E. Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol 
Schnabel, Alfred. Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender 
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (1. Mit- 
teilung: Opto nnn 
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das lipo- 
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper- 
Uüpeebrom wie e wk 8 
Schuhbauer, Franz. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. 
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus 
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die 
Resorption der Kieselsäure . . 2. 2. 2. 2 2 2 2 0 2 l 
Holde, D. Über Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische 
Neütraltotte ou ва EE EEN 


Seite 


109 


140 
173 
185 
207 
220 
235 
244 
258 


279 


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eiträge | 555 
m Physiologie und Patholog 


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i- Berlin, Ki >й жардыны зл) А | 
EK 1962 


| arburg-Berlin, W. owski-Prag, 
izig, J. Won emu Berlin. 


Redigiert von 
A с. Neuberg-Berlin 


бод ипдасмег Вапа 
tes bis drittes Heft 
Sege geben am 29. August 1920 


Berlin 
Verlag von Julius Springer 
1920 


Die Biochemische Zeitschrift 


erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus- 
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis 
eines jeden Bandes beträgt М. 48.—. Die Biochemische Zeit- 
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter- 
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen. 


In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn sie 
nicht mehr als 110% Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des 
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser 
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts 
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent- 
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen. 

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Herrn Prof. Dr. C. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorjstr. IS. 
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Verlagsbuchhandlung Julius Springer 
Berlin W 9, Linkstraße 23/24. 


108. Band. Inhaltsverzeichnis. I., 2 u, J. Heft. 


Seite 
Schulze, Paul. Membran und Narkose. II. Mitteilung. Vergleichende 
Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- und Binde- 


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Brinkman, К. und Frl. Е. van Dam. Studien zur Biochemie der 
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Brinkman, R. und Frl. Е. van Dam. Studien zur Biochemie der 
Phosphatide und Sterine. П . . . .. 

Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Studien zur Biochemie der 
Phösphatide und Bterine, d ала 2% 2 2% 2 ага з 61 

Brinkman, R. und Frl. E. van Dam. Bemerkungen zu der Arbeit 
„Die Permeabilität der roten Blutkörperchen für den Trauben- 


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Stosius, Karl und Karl Wiesler. Uber die elektrosynthetische Dar- 

stellung der Tetradekamethylendikarbonsäure . . . . 2 . . . . 75 
Gerngross, Otto. Die Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion 

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Bechhold, Н. und L. Reiner. Die Stalagmone des Harns .. . . 98 


Stoklasa, Julius. Uber die Radioaktivität des Kaliums und ihre 
Bedeutung in der chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Zelle. I 109 
Stoklasa, Julius. Der Mechanismus der physiologischen Wirkung 
der Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums auf 
die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstumsprozeb der 


CCCP ²˙-. ̃ ⅛ ²ůuT 7ĩo˖¹v⅛L 140 
Stoklasa, Julius. Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums 
/ , / ͤ⁰ T HS. er een 173 


Membran und Narkose. 
II. Mitteilung). 


Vergleichende Leitfähigkeitsmessungen an narkotisierten Muskel- 
und Bindegewebsmembranen. 


Von 
Paul Schulze. 


(Aus dem pharn:akclogischen Universitätsinstitut in Göttingen.) 
(Eingegangen am 6. April 1920.) 
Mit 24 Abbildungen im Text. 


Von besonderer Wichtigkeit für eine physikalisch-chemische 
Theorie der Narkose sind die Schichten der Zelle, durch die hin- 
durch der Stoffwechsel, die Aufnahme von Nahrungsstoffen 
und die Abgabe der Stoffwechselprodukte, der Austausch von 
Ionen, die Wanderung von Wasser und gelösten Stoffen, der Aus- 
gleich von Potentialdifferenzen stattfindet. Denn es liegt seit 
langem nahe, an diesen Grenzschichten — und unter Grenz- 
schichten der Zelle braucht man sich dabei [vgl. Loe we?)] keine 
differenzierten Zellmembranen vorzustellen, sondern hat hier 
jede Zwischenschicht zwischen einem Außen und Innen einzu- 
begreifen — auch den Angriffspunkt der narkotisch wirksamen 
Substanzen zu suchen. Für Betrachtungen über den Wirkungs- 
mechanismus der Narkotika darf man sich diese jeweils wechseln- 
den Stätten des Zellprotoplasmas als Membran in physikalisch- 
chemischem Sinne vorstellen, denn ihnen kommen. sicherlich 
die zwei Eigenschaften zu, die nach der Definition des Membran- 
begriffs durch Loe we?) notwendig vorhanden sein müssen an 
Gebilden, die man als Membran bezeichnen will: 1. bestimmte 
Form, die gegeben ist durch die Anordnung als Grenzsystem 
zwischem zwei jederseits anschließenden Nachbarsystemen, und 
2. Mehr phasigkeit, Mikroheterogenität in sich selbst. Ermitt- 
—ů — 

1) I. Mitt. siche diese Zeitschr. 5%, 161. 1913. 

) 1. c. sub!) 

Bloch e mische Zeitschrift Band 108. 1 


2 P. Schulze: 


lungen über Membranfunktionen und deren Änderungen unter 
Einwirkung äußerer Einflüsse haben also stets Bedeutung auch 
für die Funktion und Funktionsänderung dieser lebenden Zell- 
„membranen“. | 

Als wesentliche Funktion dieser Membranen wird man 
gemäß der Definition derselben ihren Einfluß auf die Diffusion 
von Wasser und gelösten Substanzen durch sie hindurch ansehen 
dürfen. 

Gerade für die physikalisch-chemische Theorie der Narkose 
ist es daher von großem Interesse, die Diffusionsverhältnisse in 
den Zellmembranen, ihre Permeabilität für Ionen und die Ände- 
rung derselben unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen 
durch Versuche möglichst zu klären. 


Die Versuche, die der möglichst genauen Kenntnis der Permeabilitäts- 
änderung in der Narkose dienten, haben die Mehrzahl der Forscher zu der 
Annahme einer Permeabilitätsherabsetzung durch reversibel, einer 
Permeabilitätssteigerung durch toxisch, d. h. irreversibel wirkende 
Narkoticumkonzentrationen geführt und dabei im wesentlichen folgende 
drei Wege eingeschlagen: 

1. Bei der Schwierigkeit, das eigentliche Objekt der Versuche, die iso- 
lierte, einzelne Zelle selbst zu fassen und die Permeabilität ihrer Membran- 
gebilde zu untersuchen, beschränkt man sich auf Versuchsmodelle, die 
Struktur und Funktion der lebenden Zellen, soweit sie bekannt sind, mög- 
lichst naturgetreu nachahmen und die Wirkung der verschiedenen äußeren, 
nach der Willkür des Untersuchers zur Wirksamkeit gelangenden Ein- 
flüsse, hier also der Narkotica, sowie auch deren engeren Angriffspunkt in dem 
Komplexe der Membranbestandteile, technisch leichter feststellen lassen. 
In dieser Absicht wurden von Loewe!) Messungen der Leitfähigkeits- 
änderung an künstlichen Lipoidmembranen unter dem Einfluß 
verschiedener Narkotica ausgeführt und eine Leitfähigkeitsverminderung 
festgestellt. 

Gegen diese Versuchsanordnung ist einzuwenden, daß es sich bei ihr 
sicherlich um nichts weniger als eine vollkommene Nachahmung der Ver- 
hältnisse an biologischen Membranen handelt. 
| II. Als Versuchsobjekt dienen einzelne isolierte Zellen, soweit man sie 
als besonders günstige Objekte sich wirklich gut zugänglich machen kann. 

So fand Lepeschkin?), daß lebende Spirogyrazellen in Äthernarkose 
das in Äther unlösliche Methylgrün oder Methylenblau schlechter in sich 
aufnehmen und speichern als ohne Narkose, während ein Versuch mit in 
Äther löslichem Bismarckbraun unter denselben Versuchsbedingungen 
keinen Unterschied zwischen der Färbbarkeit der narkotisierten und der 
nicht narkotisierten Zellen erkennen ließ. Hierin sah er eine Bestätigung 


1) J. е. S. 1. 
2) Lepesch kin, Ber. d. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911. 


Membran und Narkose. 3 


seiner Ansicht, daB die Narkotica in schwacher Konzentration, die nicht 
durch Koagulation der in dem Dispersionsmittel der Plasmahautkolloide 
enthaltenen Eiweißstoffe den Dispersitätsgrad herabsetzt, die Durch- 
gängigkeit der Plasmahaut für in Wasser gut, in den Narkoticis 
schlecht lösliche Farbstoffe herabsetzen. 

Ebenso stellte er fest!), daß die Blattepidermiszellen von Tradescantia 
discolor unter dem Einfluß von 0,05 bis 0,12 proz. Chloroformwasser oder 
1—21/, proz. Atherwasser eine Verminderung der Permeabilität für 
Salpeter zeigen, während höhere Konzentrationen des Chloroformwassers 
eine Erhöhung der Permeabilität für den gleichen Elektrolyten bewirkten. 

Joël?) benutzte gleichfalls eine Methode, mit der die Durchlässigkeit 
von Membranbestandteilen der Zelle selbst geprüft werden kann: er fand 
eine Verzögerung des Eintritts der На то! узе durch schwach hypo- 
tonische Rohrzuckerlösung unter der Einwirkung schwacher Narkoticum- 
konzentrationen, während starke selbst Hämolyse bewirkten. 

Auch Mac Clendon?) benutzte eine Versuchsanordnung, deren Ob- 
jekt in einzelnen Zellen bestand. Er fand, daß Funduluseier, die für gewöhn- 
lich für Salze und Wasser völlig undurchlässig sind, so daß sie in destil- 
liertem Wasser sich nicht verändern, in schwach giftigen Blo Nitrat- 
lösungen die in ihnen enthaltenen Chloride rasch austreten lassen, daß aber 
Narkotica, in geeigneten, schwachen Konzentrationen zugesetzt, diese 
Permeabilitätssteigerung durch Nitratlösungen verringern, 
während höhere Narkoticumkonzentrationen für sich ebenso wirken wie 
die giftigen Nitratlösungen ohne Narkoticumzusatz. 

Dieser zweite Weg läßt die besten Resultate erwarten, da er die ein- 
zelne Zelle, das eigentliche Versuchsobjekt, zu fassen gestattet. Trotzdem 
lassen sich auch gegen ihn Einwände erheben: statt des Einflusses der Nar- 
kotica auf die Diffusion normaler Stoffwechselprodukte wird ihr Einfluß 
auf die Diffusionsverhältnisse von gänzlich zellfremden Farbstofflösungen 
untersucht. Statt lebender Zellen sind abgestorbene rote, Blutkörperchen 
das Versuchsobjekt. Statt tierischer Zellen werden einseitig differenzierte 
Pflanzenzellen untersucht. Gegen jede dieser Versuchsanordnungen gleich- 
mäßig erhebt sich der Einwand, daß es sich bei keiner um die undifferen- 
zierte Idealzelle handelt, von der aus ohne Bedenken verallgemeinert 
werden könnte, noch auch um die in der interessantesten Richtung diffe- 
renzierten tierischen Zellen, an welchen beim höheren Tier der Angriffs- 
punkt des wichtigsten Narkosephänomens zu suchen ist, nämlich um Ner- 
venzellen. Gelänge esaber auch, gerade Zellen aus dem Verbande des Zellen- 
staates des Mehrzellers isoliert zu fassen, so träfe gerade dann der weitere 
Einwand zu, daß die untersuchten Zellen während der ganzen Versuchs- 
dauer aus ihrem natürlichen Zusammenhang mit anderen Zellen heraus- 
gerissen sind. Diese letzte Schwierigkeit wird bei der dritten Versuchs- 
anordnung vermieden. 


1) Lepeschkin, Ber. а. dtsch. bot. Gesellschaft 29. 1911. 
2) Joél, Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915. 
3) Mac Clendon, Amer. journ. of physiol. 38. 1915. 


1* 


4 P. Schulze: 


IIl. Die Versuche werden an Zellen vorgenommen, die in natürlichem 
Zusammenhang mit ihren Nachbarzellen gelassen sind, also an Geweben. 

Dieser Versuchsanordnung bediente sich vor allem Winterstein!). Er 
untersuchte die Durchgängigkeit von Muskelplatten für Salze und Wasser 
und ihre Veränderung unter dem Einfluß narkotisierender Substanzen 
und stellte gleichfalls eine Permeabilitätsverminderung durch reversibel 
narkotisch wirkende Konzentrationen fest. Р 

Ks ist in der Tat vollkommen einwandfrei, Versuchsergebnisse, die zu- 
nächst an komplexen Gesamtgeweben gewonnen sind, auf die Parenchym- 
zellen, die Träger der Hauptfunktion dieser Gewebe, zu beziehen, sobald 
sichergestellt ist, daß der Einfluß des Bindegewebsanteiles der unter- 
suchten Gewebsstücke, des Interstitiums, auf die Versuchsergebnisse ver- 
nachlässigt werden darf. Aufgabe dieser Arbeit ist es, zu prüfen, mit welchem 
Rechte dies geschehen darf. 


Bei Versuchen, welche die Permeabilitätsänderung in ihrer 
Gesamtheit, als ‚Membranen‘ verwendeter Organstiicke, etwa 
unter dem Einfluß eines Narkoticums, prüfen und daraus Schlüsse 
ziehen wollen auf die Änderung der Durchlässigkeit ihres Paren- 
chyms, sind folgende Überlegungen anzustellen: 


Ein solches Objekt ist schon in seinem mikroskopischen Bau heterogen 
im Gegensatz zu einem einheitlichen Membranmaterial, das erst in kolloider 
Größenordnung seine Mikroheterogenität aufweist. Daher ist es zweck- 
mäßig, sich bei den Erwägungen zunächst einmal auf einen einzelnen Quer- 
schnitt der Permeationsbahn zu beschränken, um die Betrachtung nicht 
ins Ungemessene zu komplizieren. Das ist erlaubt, weil ja auch an dem Ob- 
jekt selbst gewisse Querschnitte, freilich in häufiger Wiederholung, die 
Stätten besonderer Erschwerung der Permeation bedeuten. Zu einer wei- 
teren Vereinfachung des Objektes gelangt man folgendermaßen: man stelle 
sich dasselbe, öhne Rücksicht auf die unendliche Vielgestaltigkeit seiner 
Einzelheiten, an dem ins Auge gefaßten Querschnitt nur als aus zwei Materi- 
alien zusammengesetzt vor: aus Parenchyminseln, die ihrerseits aus einem 
einheitlichen Material bestehen sollen, und aus ebenfalls in sich gleich- 
mäßig gedachtem Interstitialmaterial, mit welchem jene Parenchyminseln 
regelmäßig abwechseln sollen. Dann ergeben sich einfach aus dem Massen- 
verhältnis von Parenchym und Interstitium folgende drei Möglichkeiten 
(vgl Abb. 1—3). 

Den Stoffen, welche die Membran permeieren, bei Leitfähigkeitsmessun- 
gen also den Ionen, stehen zur Wanderung durch Muskelzellmembranen 
entsprechend dem anatomischen Bau derselben im wesentlichen drei Wege 
zur Verfiigung: Entweder sie wandern direkt durch die Muskelfasern, das 
Parenchym; das interstitielle Gewebe kommt wegen seiner geringen Aus- 
bildung nicht als Weg fiir sie in Betracht, wie in Abb. 1. Oder gerade um- 
gekehrt: Die Mehrzahl oder sämtliche Ionen wandern durch das interstitielle 
Gewebe; die Parenchymzellen stehen nur als der Masse nach unbedeutende 


1) Winterstein, Die Narkose, 1911 u. diese Zeitschr. 75. 1919. 


Membran und Narkose. 5 


Querschnittsanteile, also als sehr kleine und seltene Inseln in der Strom- 
bahn, wie in Abb. 2. In extremen Fallen, etwa bei der Aufschwemmung 
von AgCl in einem Elektrolyten, sind diese Inseln völlig bedeutungslos. 
Oder drittens: Parenchymzellen und interstitielles Gewebe sind in gleichem 
Massenverhältnis vorhanden, wie in Abb. 3. Ein vierter Fall, daß nämlich 
gerade ein Blut- oder Lymphgefäß in dem von den Ionen durchwanderten 
Bezirk der Muskelmembran in der Wanderungsrichtung der Ionen ver- 
läuft, ist nicht berücksichtigt, da solche Verhältnisse die Wanderungs- 
geschwindigkeit der Ionen je nach der Gestaltung der verschiedenen Be- 
dingungen, z. B. schon je nach dem zufälligen Kontraktions- und Füllungs- 
zustand des Gefäßes, ganz atypisch beeinflussen würden. Der Einfluß end- 
lich, den die Gewebsschichten des Peritoneums und der Gelenkkapsel- und 
Lymphraumauskleidung, welche bei den für diese Arbeit untersuchten 
Versuchsobjekten in Betracht kommen, auf die Ionenpermeabilität aus- 
üben, kann hier vernachlässigt werden, da er in gleichem Maße die Paren- 
chymzellen und das Interstitielgewebe, m. a. W. nicht den hier ins Auge 
gefaßten, speziellen Querschnitt betrifft. 

Wie die Strombahnen — wir wollen uns zur weiteren Vereinfachung 
der Erörterung gleich auf die Betrachtung der Ionenpermeabilität, also 
der elektrolytischen Leitfähigkeit unseres Objektes beschränken — durch 
diesen Querschnitt verlaufen, hängt nun aber außer von dem in den Abb. 
1—3 allein berücksichtigten Massenverhältnis zwischen Parenchym- 
zellen und Interstitialgewebe auch von der „spezifischen Leitfähig- 
keit“ beider Materialien ab. 

Um überhaupt zu einigermaßen fruchtbaren Überlegungen kommen 
zu können, müssen wir ferner noch von einer weiteren großen Zahl von 
Komplikationsmöglichkeiten absehen. Zunächst von den Polarisations- 
einflüssen, die unter der Einwirkung des Narkoticums auftreten dürften. 
Ferner von den etwa auftretenden Veränderungen im Verhältnis der Be- 
teiligung beider Komponenten des Membranmaterials am Gesamtquer- 
schnitt, wenn etwa die Narkose in der allereinfachsten Weise als Adsorp- 
tionsvorgang, also als eine Vermehrung der schlecht permeablen Anteile 
der Membran am Gesamtquerschnitt sich erweisen sollte. Wir wollen nur 
einmal den Fall betrachten, daß bei gleichbleibendem Querschnitts- 
anteil beider Komponenten die Durchlässigkeit derselben für Ionen, also 
ihre spezifische Leitfähigkeit quantitativ verändert wird. 

Dann können wir die über den Querschnitt verteilten Parenchym- 
inseln in ihrer Wirkung auf die Ionenpermeabilität der Membran gleichsetzen 
einem zusammenhängenden, aus demselben Material gebildeten, in sich 
gleichartigen Querschnittsanteil. Wir können also alle drei obigen sche- 
matischen Figuren ableiten aus der folgenden einfacheren Abb. 4. 

An dem Querschnitt Q herrschen dann folgende Leitfähigkeitsver- 
hältnisse, wenn wir die Leitfähigkeit des Gesamtquerschnitts als L, die 
spezifischen Leitfähigkeiten als 2, und 2, bezeichnen, und wenn wir ferner 
die Länge der beiden leitenden Schichten l, und J; vernachlässigen, indem 
wir sie zunächst gleichsetzen, dann aber als konstapt aus der Gleichung 


fortlassen. 


Р. Schulze: 


Neben dieser Voraussetzung 
L = 1, = const. 
soll, wie oben bereits erörtert, nicht nur 
de + q; = const.; 
sondern zunächst auch g, = const. und d, = const. gelten. 
Dann gilt zunächst: 
L = I, 9, EE (1) 
Die unter dem Einfluß des Narkoticums zustandekommende, der Messung 
unter den oben erwähnten Vorbehalten und unter Berücksichtigung der 


oben angeführten Vereinfachungen zugängliche Veränderung von L wäre 
dann: ? 

AL = Al + 44%. (2) 
Der Anteil, den 4/,, der Einfluß des Narkoticums auf die spezifische Leit- 
fähigkeit des Parenchyms, d. h. also die der näheren Untersuchung unter- 
zogene Zellnarkose, an dem Messungsresultat hat, ist um so größer, je kleiner 
q; oder auch 44, ist. 

Nehmen wir den allgemeinsten Fall I, daß 


d = H: J 
so wird 
AL, = An + 9, + 9). (1) 
Im einfachsten Falle II, wenn nämlich 
ist SE 
ALn = АА (4, + 9). (Н) 


Beide Falle unterscheiden sich, vorausgesctzt, daB es sich jedesmal 
um dasselbe Interstitialmaterial handelt, um 


AL, — ALn = An + 4, + d. — 9 — 9) = (п — 1)gp 44. 
Bei der Voraussetzung, daß J stets aus dem gleichen Material besteht, 
ist auch 2; und damit zugleich 44, unter dem gleichen Narkoticumein- 


fluß stets unveränderlich, kann also als K, als konstant in die Gleichung 
eingesetzt werden, so daß diese nunmehr lautet: 
AL, — AL, =K-q,(n — 1). (3) 

Dies bedeutet also zunächst, daß sich jeder Fall einer besonders- 
artigen Beteiligung des Parenchyms an dem Vorgang der Narkose des 
ganzen Gewebes von dem Falle II, in welchem das Parenchym keinen Un- 
terschied gegenüber dem Interstitialgewebe hinsichtlich seiner Beeinflus- 
sung durch das Narkoticum bei der Gewebsnarkose aufweist, — denn wenn 
4, = А, darf auch 44, = ЛА, angenommen werden, — dadurch unter- 
scheidet, daß die Querschnittsbeteiligung von P maßgeblich ist für 
die Größe dieses Unterschiedes. 

Stellen wir die ganzen Betrachtungen für die Querschnittseinheit 
der Gesamtmembran an, bei der also 


9 + 9. = 1, 


"Membran und Narkose. 7 


dann wird jede Vergrößerung des Querschnittsanteils von 1 über q, = 0 

hinaus den Einfluß von п herabsetzen gegenüber dem technisch bequemsten 

Fall, in dem g, = 1 ist. Größer als 1 kann es ja nach der Voraussetzung 
qp + q; = const. 

nicht werden 1). 

Dieser günstigste Einzelfall kann, wie oben erwähnt, nie verwirklicht 
sein, außer wenn es gelingt, eine einzelne Zelle als Objekt zwischen die 
Elektroden zu bekommen. Gerade das ist aber von jedem vernachlässigt, 
der mit Geweben dasselbe erreichen zu können glaubt. Selbst wenn wir 
aber diese vereinfachende Annahme q; = 0 machen, dann wird 


AL, — AL, = К . (п – l), 


ев ergibt sich also dann immer noch, daß die Größe n zu beachten ist. 

Diese Überlegungen bestätigen die von vornherein sicher stehende 
Tatsache, daß in dem denkbar uninteressantesten Versuchsfall, in dem 
beide Membranen nur aus Interstitialgeweben bestehen, gleiche Beschaffen- 
heit des Membranmaterials und gleichen Querschnitt der untersuchten 
Flächen vorausgesetzt, unter dem Einfluß desselben Narkoticums diese 
zwei Membranen dieselbe Änderung der Leitfähigkeit ergeben werden, ein 
Ergebnis, das auch erhalten wird, wenn man in Gleichung (3)... п = 1 setzt. 

Gering ist der Unterschied des Falles I gegenüber dem Falle II, wenn 
n C1, d. h. in allen Fällen, in denen sich das Parenchym nur in geringerem 
Maße an der Gesamtleitfähigkeit, also auch an Anderungen derselben be- 
teiligen kann als das Interstitialgewebe Nur wenn n > 1, beginnt das 
Ergebnis solcher Messungen an ganzen komplexen Geweben fiir die Frage 
nach dem Narkoticumeinfluß auf die parenchymatösen, funktionell wichti- 
gen Membrananteile interessant zu werden. 

Es ergibt sich also auf dem Umwege iiber die vorstehenden Betrach- 
tungen, daß die Zahl n erstens möglichst genau bekannt und zweitens größer 
als 1 sein muß, wenn man aus den Versuchsergebnissen an Gewebsmembra- 
nen auf die Beeinflussung ihrer parenchymatösen, cellulären Bestandteile 
schließen will. Diese Voraussetzung macht jeder, der Resultate, die an 
bindegewebsdurchsetzten Organmembranen gewonnen wurden, auf deren 
Parenchym bezieht. Aber er macht, wie hier gezeigt ist, damit auch einen 
wichtigen Anteil dessen, was erst zu beweisen wäre, zur Voraussetzung. 


Aus diesen Überlegungen heraus wurde als Ziel gesetzt, 
Organmembranen verschiedenen Parenchymgehalts mitein- 
ander zu vergleichen und zu prüfen, inwieweit gemäß dem wech- 
selnden Anteil des Parenchyms an der Gesamtmasse bzw. am 

1) Ist umgekehrt in 

| 4» + Ф == 1 
9. = 1, also q, = O, 
dann folgt aus Gleichung (3) 
AL, — 4ш = K+(n—1)-0, 
AL = АЙ. 


5 Р. Schulze: 


Gesamtquerschnitt etwa Verschiedenheiten in der Beeinflußbar- 
keit solcher Gewebsstücke durch Narkotica zur Beobachtung 
kommen. 


Zwar gibt es keine geeigneten und völlig zuverlässigen Anhaltspunkte 
zur Feststellung der oben erörterten Größe n für die verschiedenen Gewebe 
des Körpers, es wurde aber nach dem Vorgang Wintersteins von der 
Annahme hohen Parenchymgehalts der Froschmuskeln ausgegangen und 
Membranen aus solchen verglichen mit Membranen aus einem Gewebe, 
das praktisch nur als aus Bindegewebe und elastischen Fasern bestehend 
angesehen werden kann. Diese Membranen wurden dem Ligamentum 
patellae und der in dieses übergehenden Ansatzsehne des Musculus rectus 
femoris des Frosches entnommen. Als Muskelmembranen, bei denen der 
Parenchymanteil stark überwiegen soll, wurden kleine Stückchen aus den 
zartesten Teilen des Musculus transversus abdominis von Temporarien oder 
Esculenten verwandt. Endlich wurden noch Stückchen aus dem Musculus 
rectus abdominis von Fröschen im Zusammenhang mit der ventralen und 
dorsalen Aponeurose untersucht, ein Objekt, an dessen Zusammensetzung 
sich Parenchym und Interstitium hintereinandergeschaltet beteiligen. 
Die Verteilungsverhältnisse zwischen Parenchym und Interstitium ent- 
sprechen bei dem zuerst angeführten Versuchsobjekt annähernd den Ver- 
hältnissen der Abb. 2, bei dem zweiten annähernd der Abb. 1, bei dem dritten 
etwa der Abb. 3. 


Als Methode zur Prüfung der Permeabilitätsänderung dieser 
Gebilde wurde die Leitfähigkeitsmessung in der auch von 
Loewe benutzten Anordnung gewählt. Zur Begründung dieser 
Wahl sei folgendes angeführt: 


Bei genauer Betrachtung wird auch in der Wintersteinschen Ver- 
suchsanordnung nicht mit ganz physiologischen und eindeutigen Verhält- 
nissen gearbeitet. Es wird einerseits die Quellung in destilliertem Wasser, 
andererseits die Durchlässigkeit solcher gequollenen Membranen für Wasser 
und Salze untersucht. Gerade die Hineinziehung des Quellungszustandes 
schafft eine neue und, insoweit er durch die Versuchsbedingungen wechselt, 
unnötige Verwicklung. Bei allen Permeabilitätsvorgängen durch Mem- 
branen handelt es sich zunächst einmal um die Beweglichkeit des Lösungs- 
mittels an den verschiedenen Stellen des mikroheterogenen Systems. Dieses 
selbst an verschiedenen Stellen verschieden bewegliche Material bildet dann 
die Schiene, auf der die wiederum wechselnd bewegliche Fülle der gelösten 
Stoffe permeiert. Bei der Frage der Beweglichkeit des Lösungsmittels ein- 
zusetzen, hat also alle Berechtigung der radikaleren Problemstellung. Aber 
man muß dann auch mit Beweglichkeitsbedingungen arbeiten, wie sie am 
physiologischen Substrat vorliegen. In einem unphysiologischen Quellungs- 
zustand befindliche Membranen wählen, deren Lösungsmittel also eine ab- 
norme Beweglichkeit besitzt, heißt, sich von der Ausgangsposition ent- 
fernen. Und darum sind die Bedenken gegenüber dieser Wahl der Ver- 
suchsanordnung nicht geringer als gegenüber einer solchen, die bewußt 


Membran und Narkose. d 


nur die Beweglichkeit eines der sekundär wandernden Stoffe ins Auge faBt. 
Nimmt man als solchen einen Farbstoff, wie z. B. Lepeschkin, so ent- 
fernt man sich freilich mit diesen unphysiologischen Wanderungsstoffen 
gleichfalls unnötig von den physiologischen Verhältnissen. Aber die 
Ionendurchlässigkeit der Membranen zu wählen, die bei dieser Arbeit 
ellein in Betracht gezogen wurde, erscheint nach alledem immerhin als eine 
angemessene Beschränkung. 


Eine andere, für unsere Versuchsanordnung wichtige Frage 
ist von Gildemeister eingehend untersucht worden, ob näm- 
lich mit der Kohlrauschschen Leitfähigkeitsmethode nun eigent- 
lich der Widerstand, die Selbstinduktion oder die Polarisation 
der untersuchten Membranen und deren Änderung bei Änderung 
der Zusammensetzung des Mediums gemessen wird!). 


Die Resultate Gildemeisters sind entscheidend für die Schlüsse, 
die man aus dem Ausfall von solchen Leitfähigkeitsmessungen mit der bis- 
herigen Methode auf das Wesen der Membranveränderung ziehen darf. 
Aberim Augenblick besteht die Aufgabe nur darin, die mit derselben Methode 
an drei verschiedenen Versuchsobjekten gewonnenen Resultate miteinander 
zu vergleichen, ganz unabhängig davon, was diese Resultate eigentlich 
bedeuten. Letzten Endes sind die Ergebnisse allerdings nur vergleichbar 
unter der Voraussetzung, daß an den drei verschiedenen Versuchsobjekten 
mit derselben Methode stets dieselbe Größe — nach Gildemeister die 
Polarisation — gemessen wird, nicht etwa z. B. an den rein bindegewebigen 
Membranen die Polarisation, an den vorzugsweise muskulären Membranen 
dagegen die Selbstinduktion. 

Diese Voraussetzung ist nach dem heutigen Stand unserer Kennt- 
nisse keineswegs erfüllt. Aber wenn man für den rein orientierenden Zweck 
der vorliegenden Untersuchung diesen Punkt zurückstellt, so darf man wohl 
ohne Rücksicht auf den prinzipiellen Einwand Gildemeisters einmal 
zu dem Vergleich dessen schreiten, was sich mit der Kohlrauschschen 
Versuchsanordnung für Membranen verschiedener Herkunft und Beschaffen- 
heit ergibt. 


Untersucht wurden Membranen des Musculus transversus 
und rectus abdominis und des Ligamentum patellae von Esku- 
lenten und Temporarien, in zwei oder drei Versuchen auch die 
von Muskelgewebe makroskopisch ganz befreite Aponeurose des 
Musculus rectus abdominis. 

Über die Art und Konzentration der angewandten Narkotica 
gibt die folgende Tabelle I eine Übersicht: 


1) Gilde meister, Elektrischer Widerstand, Capacität und Polarisation 
an der Haut. Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919. 


10 P. Schulze: 


Tabelle I. 
Narkoticum Konzentration 
Alkohol 50 0 

ee Eet teg зл sde 1,25 % 
Chloroform 0,1 % 
Ather 3,0 % 
йз eS шалу Әз 1,5. 90 
Urethan. ....... 1,0 % 
Sel. Жу ЖОШ Oe Beh 0,75 % 
T7 0,375 % 
Iso prall 1.0 90 
Уа 0,5 % 
5 0,25 ©, 


Im einzelnen entspricht die Versuchsanordnung der von Loewe ge- 
gebenen Beschreibung). Zur Unterbringung der Membranen und der sie 
beiderseits umspülenden Ringerlösung dienten die auch schon von ihm 
benutzten U-förmig gebogenen Glasröhrchen, deren Hälften mittels zweier 
Metallspiralen so aneinander gepreßt wurden, daß die Membranen fest 
zwischen ihnen saßen und die Durchbohrungen der Röhrchen möglichst 
genau aufeinander eingestellt waren. 

Die Membranen selbst wurden derart gewonnen, daß aus einem во- 
eben getöteten Frosch die zu prüfenden Gewebsstückchen herausgeschnitten 
wurden; sie wurden entweder sofort in die U-Röhrchen eingespannt, die 
dann sogleich beiderseits mit Ringerlösung gefüllt wurden, wobei sorg- 
fältig darauf geachtet wurde, daß keine Luftblasen an den Membranen oder 
in dem horizontal verlaufenden Teil der U-Röhrchen haften blieben; oder 
die Gewebsstückchen wurden für kurze Zeit in Ringerlösung eingelegt und 
erst dann zu Messungen eingespannt. Nachdem so von demselben Tier 
je ein Stückchen aus dem Musculus rectus und Transversus abdominis und 
dem Ligamentum patellae eingespannt und die Röhrchen mit Ringerlösung 
gefüllt worden waren, wurde zunächst der Widerstand dieser drei Mem- 
branen in Ringerlösung bestimmt, und zwar durch zwei oder drei durch- 
schnittlich 15—20 Minuten auseinanderliegende Messungsreihen, die aus 
je drei nacheinander, aber völlig getrennt voneinander vorgenommenen 
Ablesungen bestanden. Hierauf wurde die Ringerlösung entfernt und er- 
setzt durch Ringerlösung, die eins der oben angeführten Narcotica in der 
dort angegebenen Konzentration enthielt. In der Regel wurde in einer Ver- 
suchsreihe dasselbe Narkoticum gleichzeitig an den drei verschiedenen 
Membranarten untersucht. Nach verschieden langer Einwirkungsdauer 
wurde die narkoticumhaltige Ringerlösung durch narkoticumfreie ersetzt 
und zunächst wieder der Widerstand der Membran in Ringerlösung mehr- 
fach bestimmt, worauf eine zweite, sehr selten noch eine dritte Narkose 


folgte. 


1) Vgl. S. 8 bzw. 1. 


Membran und Narkose. 11 


Nach Möglichkeit wurde die Einwirkungsdauer des Narkoticums so 
lang gewählt, bis Gleichgewicht eingetreten war. Die Kurven zeigen aber, 
daß dieser Zustand in annehmbaren Zeiträumen meist nur annäherungsweise 
zu erreichen war. 

Als Fehlerquellen für die beobachteten Leitfähigkeitsände- 
rungen der Membranen kommen in Betracht Temperatureinflüsse, 
Einflüsse des Narkoticums auf die membranlosen Anteile des 
Systems, also auf Ringerlösung allein, und interkurrierende 
Absterbeerscheinungen an den Membranen. 

Die Sicherung der Temperaturkonstanz durch Verwendung eines 
Thermostaten war durch die Konstruktion der Membrangefäße unmöglich 
gemacht. Die Thermostatenflüssigkeit hätte die Ränder der eingespannten 
Gewebsmembranen umspült und so unübersehbare Störungen geschaffen. 
Abdichtung der Membranränder gegen diese Schädigung ist umständlich, 
unsicher und zeitraubend; daher schien es ein geringerer Fehler, sich gegen 
Temperatureinflüsse auf andere Weise zu sichern. Die Messungen wurden in 
einem möglichst gleichmäßig temperierten Raum vorgenommen, alle Lö- 
sungen zuvor auf die Temperatur dieses Raumes gebracht und alle Objekte 
gegen Wärmestrahlen geschützt. Außerdem wurde die Temperatur möglichst 
oft während der Versuche abgelesen. Demgemäß kommen Temperatur- 
schwankungen innerhalb der einzelnen Versuchsreihen, wie aus den Kurven 
zu ersehen ist, kaum jemals vor. Gleichwohl wurde unter Zugrundelegung 
der bei verschiedenen Temperaturen vorgenommenen Widerstandsmessun- 
gen der reinen Ringerlösung in einer ersten Reihe von Vorversuchen der 
Temperaturkoeffizient ihrer Leitfähigkeit berechnet nach der von Kohl- 
rausch und Holborn’) angegebenen Formel 
1 0 — w, 
w tt, 


c= | 
wobei w, den Ausgangswiderstand bei der Temperatur t,, w, den Endwider- 
stand bei der Temperatur t, bezeichnet, die höher ist als fo. Die Werte von 
w und t, mit deren Hilfe c berechnet wurde, sind in der folgenden Tabelle II 
angegeben. 


Tabelle II. 
{ ; 10 
e 4917 Ohm 
RF 4820 „, 
РЛЕР 3740 „„ 


Aus diesen Zahlen ergibt sich für c der Wert 0,022975. 
Während sich in breiteren Temperaturbereichen die c-Kurve 
nicht mehr als linear darstellt, kann c für das kleine Temperatur- 


1) Siehe Kohlrausch und Holborn, Die Leitfähigkeit der Elek- 
trolyte. 


12 P. Schulze: 


intervall, um das es sich bei den vorliegenden Messungen handelt, 
als konstant angesehen werden. 

Dem entspricht, daß die graphisch ermittelte Temperatur- 
kurve, die sich in Abb. 5 (S. 28) eingezeichnet findet, von den 
ermittelten Einzelwerten nur geringe Abweichungen — höchstens 
3% — zeigt. Diese Kurve konnte daher bezugsweise zugrunde 
gelegt werden. 


Die Widerstandswerte, von denen bei Zeichnung dieser Kurve ausge- 
gangen wurde, wurden so ermittelt, daß die Mittelwerte zahlreicher Messun- 
gen um die beiden Grenztemperaturen 7 und 19° C herum rechnerisch be- 
stimmt, in ein Koordinatensystem eingetragen und dann durch eine Gerade 
verbunden wurden. 

Der Einfluß der Narkotica auf die Leitfähigkeit von membran- 
losen Ringerlösungen wurde in einer zweiten Reihe von Vorversuchen 
ermittelt. Das Ergebnis wird durch die graphische Darstellung (Abb. 6 u. 7, 
S. 28) veranschaulicht. Bei konstanter Temperatur wurde abwechselnd der 
Widerstand einer reinen Ringerlösung bestimmt und die Widerstands- 
änderung, die eintrat, wenn sie ersetzt wurde durch eine Ringerlösung mit 
Narkoticum bestimmter Konzentration. Die Maximal- und Mipimalwerte 
der einzelnen Messungen liefern die beiden eingezeichneten Kurven. 

Auf der Grundlage dieser Vorversuche über die Wirkung des Narkoti- 
cums auf Ringerlösung allein, die alle übereinstimmend zu dem Ergebnis 
einer Leitfähigkeitsverminderung durch jedes der geprüften Narkotica in 
jeder geprüften Konzentration geführt hatten, war nun eine Korrektur 
an den Ergebnissen der Hauptversuche erforderlich: 

Auf den Kurven dieser Versuche ist dem Einfluß der Konzentration 
des Narkoticums auf die Widerstandsänderung auf folgende Art Rechnung 
getragen. 

Es seien in den anschließenden Ausführungen als Abkürzung gestattet 

für ein System mit Ringerlösung L, 

für ein System mit Ringerlösung und Narkoticum Lx, 

für ein System mit Membran in Ringer M, 

für ein System mit Membran in Ringer und Narkoticum My. 


Ferner seien die Widerstandswerte für die reine Ringerlösung 
vor und nach der Prüfung mit Narkoticum mit Wr, die Widerstände 
der Systeme Ly mit Wz, bezeichnet. 

Wi, — Wi 
Ӯ; - 100 
bedeutet demnach die prozentische Widerstandserhéhung геіпег Ringer- 
lösung. 

Unter Berücksichtigung der höchsten und der Durchschnittswerte 
von je drei Ablesungen einer Messungsreihe wurden jeweils ein Maximal- 
und ein Durchschnittswert dieser Prozentualangabe berechnet; diese Pro- 
zentwerte sind in Tabelle III zusammengestellt. 


Membran und Narkose. 13 


Tabelle III. 


Wry — Wr, 100 
L 

Narkoticum Konzentretion Maximum Mittel 
Ather 1,5 5,15 3,75 
wo т 1,0 2,94 2,31 
„ 0,5 2,73 2,09 
Chloroform . . 01 3,25 1,99 
Alkohol 10 40,75 37, 60 
ЧУ 5 16,40 14,82 

Ж. меу 2,5 12,56 11,62 

Do жаш EE 1,25 6,90 5,495 
Urethan. .... 3,0 8,36 7,04 
ОЕ" 1,5 3,16 2,045 

a жылы 1,0 2,318 1,675 
x 0,75 2,526 1,786 

Si. жш EEN 0,50 1,904 1,108 

gie ere з 0,375 1.585 0,792 
Isopral ..... 1,0 3,780 2,940 
© pes epee he 0,5 2,310 1,045 
re ur 0,25 3,075 1,940 


Wie man sieht, handelt es sich schon bei diesen Werten um Approxi- 
mativzahlen: die im allgemeinen hinreichend gleichmäßig abfallenden 
Reihen für die verschiedenen Konzentrationen des gleichen Narkoticums 
zeigen nur bei Urethan — 1,0% und 0,75% — und Isopral — 0,5%, und 
0,25%, — eine Unstimmigkeit. Eine feste gesetzmäßige Beziehung zwischen 
Abnahme der Konzentration und Abnahme der Leitfähigkeitsverminderung 
läßt sich aus den gewonnenen Resultaten nicht ableiten. 

Unter Zugrundelegung der Zahlen dieser Tabelle erhielt man die 
Widerstandswerte, die im Laufe der Membranversuche gemessen worden 
wären, wenn die Widerstandserhöhung nach Zufügen des Narkoticums allein 
auf dessen Einfluß auf die Ringerlösung zurückzuführen wäre. 
Diese Werte sind als Kreise in die Kurven 8—21 eingetragen und durch 
die kurz gestrichelten, bzw. die kurz-lang gestrichelten Linien ver- 
bunden (vgl. auch Tab. IV). Die ersteren begrenzen den ungünstigsten 
Maximalbereich dieses Einflusses des Narkoticums auf Ringerlösung allein, 
der unter Zugrundelegung der höchsten der drei Ablesungen in dem System 
M und des Maximalwertes der Tabelle III berechnet ist. Die letzteren geben 


den Durchschnittswert an, der sich als Mittel ergibt, wenn einmal die höchste, 


einmal die niedrigste Ablesung in dem System M mit dem Durchschnitts- 
prozentualwert der Tabelle III multipliziert wird. 

Von Wichtigkeit für die Beurteilung der Versuchsergebnisse sind 
endlich noch die Absterbeerscheinungen, soweit sie in den vorliegen- 
den Leitfähigkeitsmessungen zum Ausdruck kommen. 

Sie ließen sich am deutlichsten beobachten, wenn unmittelbar nach der 
Tötung des die Versuchsobjekte liefernden Tieres die zu untersuchenden 


~ 


14 P. Schulze: 


Membranen, hier also ein Stückchen des Musculus transversus und des 
Ligamentum patellae dem Frosch entnommen, sofort eingespannt und 
namentlich anfangs während der nächsten 6—8 Stunden möglichst häufig 
gemessen wurden (Kurven 22 u. 23, S. 33). 

Ein Vergleich der beiden Kurven zeigt folgendes: der Musculus trans- 
versus weist zunächst eine nicht unbedeutende Steigerung des Widerstandes 
auf. In etwa 1½ Stunden ist das Maximum der bei dem Versuch festge- 
stellten Widerstandszunahme erreicht mit einer Widerstandssteigerung um 
8,19%, des zuerst gemessenen Widerstandswertes. Da der Frosch bis kurz 
vor seiner Tötung in einem geheizten Zimmer stand, die Messung aber in 
Ringerlösung und bei einer Zimmertemperatur von nur 6°C stattfand, 
könnte an eine Erhöhung des Widerstandes durch die Abnahme der Tem- 
peratur gedacht werden. Dem entspräche, daß eine solche Anfangssteige- 
rung des Widerstandes für gewöhnlich nicht zur Beobachtung kam. 

Im weiteren Verlauf zeigt sich dann eine bis zur 9. Stunde sehr steil, 
später flacher verlaufende Abnahme des Widerstandes. In acht Stunden 
40 Minuten beträgt sie 9,75%, des vorherigen Maximums. Das Minimum 
ist nach 1½ Tagen mit ca. 17% Abnahme erreicht. Diese Absterbeerschei- 
nung läßt sich auch an vielen Beispielen der Kurven 8—21 verfolgen, wo 
die Widerstandsmessungen der rein muskulären Membranen in reiner Rin- 
gerlösung mit der Zeit ständig absinkende Widerstandswerte ergeben, ob- 
wohl sie zuvor mit sicher reversibel, nicht toxisch wirkenden Narkoticum- 
konzentrationen behandelt wurden. Diese Leitfähigkeitsvermehrung ist 
wohl auf eine Permeabilitätssteigerung durch Zustandsänderung der Plas- 
makolloide zurückzuführen. 

Die nachträgliche Widerstandserhöhung am dritten und vierten Tag 
ist von geringerem Interesse, weil sie geringeren Umfang besitzt und weil 
um diese Zeit die Membran meist nicht mehr zu Narkoseversuchen ver- 
wendet wurde. Zu ihrer Erklärung wird wohl in erster Reihe an bakterielle 
Prozesse — Bildung permeabilitätsvermindernder und porenverschließender 
Rasen — zu denken sein. 

Im Vergleich hiermit ergibt die Kurve des Ligamentum patellae fol- 
gendes: 

Gleichfalls nach etwa 1½ Stunden ist das Maximum der bei dem Ver 
such beobachteten Widerstandszunahme erreicht bei einer Steigerung des 
Widerstandes um 2,38%, des Anfangswertes. 

Dieser anfängliche Anstieg des Widerstandes liegt beim Lig. pat. 
weniger steil als beim Muskel. Nach 10 Minuten z. B. hat der Widerstand 
des Ligamentum patellae um 0,198% des Anfangswertes zugenommen, der 
des Musculus transversus bereits um 3, 34% des Anfangswiderstandes. In 
8 Stunden 40 Minuten beträgt die daran sich anschließende Widerstands- 
abnahme 2,325% des vorherigen Maximalwertes; das Minimum ist ebenfalls 
nach 1½ Tagen mit са. 11% erreicht. 

Die Kurve des Lig. pat. unterscheidet sich also von der des Muskels 
durch eine wesentlich schwächere und sich langsamer ausbildende anfängliche 
Widerstandszunahme und durch eine wesentlich geringere und erst bedeutend 
später einsetzende Widerstandsabnahme im Verlauf der zwei ersten Tage. 


Membran und Narkose. 15 


Nähme man, wie eben bei den Muskelmembranen erörtert, die Ab- 
kühlung des Organstückes des zuvor im geheizten Zimmer befindlichen 
Frosches zur Erklärung für den anfänglichen Anstieg, so bliebe der Unter- 
schied des Lig. pat. gegenüber der höheren Steigerung des Anfangswider- 
standes des Muskels sehr auffällig. Übrigens ist auch bei den Ligamenta 
patellae diese Steigerung in analogen Versuchen nicht beobachtet worden. 

Das deutlich stärkere und frühere Einsetzen dieser anfänglichen und 
durch den Einfluß der Temperatur allein kaum zu erklärenden Widerstands- 
steigerung bei der parenchymreichen, bindegewebsarmen Membranart 
ladet dazu ein, die Erklärung hierfür zu suchen in dem wesentlichen Unter- 
schied dieser Membranart gegenüber der parenchymarmen: in ihrem großen 
Parenchymreichtum. 

Ob die beobachtete Erscheinung bei der Muskelmembran identisch ist 
mit der Totenstarre des Muskels, bzw. der Lösung derselben, kann und soll 
hier nicht erörtert werden. Vielleicht liegt aber die Erklärung für das stär- 
kere und frühere Auftreten der Anfangswiderstandserhöhung an der muskel- 
reichen Membran in der beim Absterben steigenden H-Ionen-Konzentration, 
die sich bei der muskelreichen Membranart wesentlich stärker bemerkbar 
machen dürfte als bei der bindegewebsreichen, parenchymarmen. 

Damit ist aber wieder die Frage aufgerollt, wie man sich den Einfluß 
starker und schwacher H-Ionen-Konzentrationen auf die Permeabilität 
tierischer Membranen zu denken habe. 

Schwächere H-Ionen-Konzentrationen dürften eine Quellung des 
Parenchyms und damit eine gesteigerte Leitfähigkeit, eine Verminderung 
des Widerstandes bewirken. Höhere H-Ionen-Konzentrationen müßten, 
wenn man ihren Angriffspunkt gleichfalls in die Parenchymbestandteile 
allein verlegt, durch Schrumpfung derselben eine Vergrößerung des von 
Bindegewebe ausgefüllten, gut leitenden Interstitiums ergeben, also eine 
Leitfähigkeitserhöhung. Ist aber das Interstitium allein der Angriffspunkt, 
werden in ihm durch Fällung von bisher gelösten Eiweißsubstanzen 
Flockenbildung und daher Verstopfung der bisher zur Leitung benutzten 
Strombahn bewirkt, muß eine Leitfähigkeitsherabsetzung die Folge sein. 
Wirkt das Narkoticum auf das Parenchym allein und kommt dieses allein 
für die Permeabilität des Gewebes in Betracht, während das Interstitium 
schlecht oder gar nicht permeabel ist, müssen starke H-Ionen-Konzen- 
trationen durch Verstopfung der Strombahn durch Gerinnung Leitfähig- . 
keitsverminderung bewirken. Sind schließlich Parenchym und Inter- 
stitium dem Einfluß der H-Ionen in gleicher Weise ausgesetzt, und werden 
sie beide zur Gerinnung gebracht, würde gleichfalls eine Leitfähigkeits- 
herabsetzung hieraus folgen. 

Die allgemein herrschende Ansicht über die Wirkung der H-Ionen- 
Konzentrationen auf Gele, — bei schwachen Konzentrationen Quellung, 
Leitfähigkeitserhöhung und Widerstandsabnahme, bei starken Gerinnung, 
Leitfähigkeitsherabsetzung und Widerstandszunahme — läßt eine Er- 
klärung der oben beobachteten anfänglichen Widerstandssteigerung nur dann 
zu, wenn man annimmt, daß für die Permeation von Ionen durch aus Paren- 
chym und Interstitium zusammengesetzte Membranen nur das Interstitium 


16 P. Schulze: 


in Betracht kommt, das Parenchym vielleicht nur als Hindernis wirkt. 
Denn dann wiirde eine am Parenchym angreifende Quellung durch schwache 
H-Ionen-Konzentrationen eine Leitfähigkeitsverminderung durch Verkleine- 
rung des Strombahnquerschnittes bewirken, eine am selben Ort angreifende 
Gerinnung durch hohe H-Ionen-Konzentrationen durch Vergrößerung des 
Strombahnquerschnittes eine Leitfähigkeitssteigerung zur Folge haben. 

Das Ergebnis dieses Versuches weist also erneut darauf hin, wie über- 
aus mannigfaltig die Erscheinungen an überlebenden tierischen Membranen 
sind, eine Mannigfaltigkeit, welche die Auffindung irgendwelcher, allgemein 
gültiger Gesetzmäßigkeiten für die Verhältnisse an diesen Membranen 
außerordentlich erschwert. 

Diese beiden Absterbekurven zeigen anschaulich, wie die Absterbe- 
erscheinungen nicht nur während eines Versuches die Resultate der Messun- 
gen beeinflussen können, sondern auch für die Verwendbarkeit überlebender 
Membranen überhaupt von großer Bedeutung sind: mit steigendem Alter 
nimmt ihre Brauchbarkeit ständig ab und man entfernt sich mit jeder 
Stunde zusehends von den Verhältnissen intra vitam. Man kann geradezu 
das Paradoxum aussprechen, daß die Leitfähigkeitsmessung bei allen ihren 
Schwächen einen feineren Gradmesser für den Lebendigkeitsgrad der Ge- 
webe abgibt als die Prüfung der Funktion selber, die ja zum mindegten 
qualitativ noch viel länger intakt gefunden wird. 

Auch dieser Nachweis des Überlebens durch die Funktion wurde für 
die hier untersuchten Objekte, wenigstens die muskulären, versucht. Es 
wurde geprüft, ob sich die Reizschwelle für elektrische Reizung vor und 
nach der Narkose feststellen ließe. Gerade der Umstand, daß es nicht ge- 
lang, eindeutige Ergebnisse bei diesen Funktionsprüfungen vor und nach 
Gebrauch der Membranen zur Narkose zu finden, bestätigt vielleicht den 
vorausgeschickten Satz. Übrigens kann auf den Nachweis der Reversibili- 
tät der mit den angewandten Narkoticumkonzentrationen auf die Mem- 
branen ausgeübten Einflüsse auf diesem Wege verzichtet werden. Daß sic 
sich aus unseren Kurven als reversibel erweisen, kann für die hier ver- 
folgten Zwecke genügen. Dazu kommt, daß Narkoticumkonzentrationen 
angewandt wurden, die nach den Erfahrungen früherer Untersucher von 
vornherein als reversibel wirksam anzusehen sind. 

Was ergibt sich nun, wenn unter Berücksichtigung dieser 
Momente die Kurven 8—21 und die Tabellen IV und V betrachtet 
werden, aus diesen 1. für die Frage der allgemeinen Brauchbarkeit 
der hier angewandten Methode, und 2. für die Beantwortung der 
Frage, ob an Geweben gewonnene Resultate ohne weiteres auf 
Zellen übertragbar sind? 

Praktisch gut verwendbar wäre die angewandte Methode dann, 
wenn in jedem Versuch die Ergebnisse auBerhalb der größten 
Fehlerbreite lägen, d. h. wenn auch die Minimalablesung zur Zeit 
der Höchsteinwirkung des Narkoticums auf das System Му ober- 


halb des Maximalwertes lage, den der Widerstand in einem 
Fortsetzung auf S. 18. 


Membran und Narkose. 17 
Tabelle IV. 
| Коп- | Теш- | 
і d 1 
Narko- DOE | ` Aa der Membran |209) HD | HM | НМ 
| in % in? C іп //, in % 
Alkohol 5 17,75} Muskel mit vie! B. G. |+ 320 6,78 | +140 +2,92 
* 5 117,75 e „ wenig „ |+ 380 9,54 | +220|+5,365 
A 1.25 17 Е „ viel „ |+ 400 J 4,64 | — 20|—2,22 
5 1,25 17 я М Е „ |+ 5607 6,2 712071, 285 
= 1.2517 = „ wenig „ |+ 230|+ 4,16 | + 100,176 
9 1,25 17 И à А „ |+ 300!+ 5,82 | + 90|+1,69 
ч | 1,25 17 8 5 3 „ — 35|— 0,938! — 150 | — 3,94 
„ 1.2517 S „ viel „ |+ 65/+ 139 | — 75|—1,568 
„ 1.25 12,2 | „ wenig „ |+ 14 0,159 —155|—2,42 
a 1,25 12,2 А „ viel , |— 55— 0,842 — 255 — 3,81 
5 | 1,25|12,2 | Ligamentum patellae — 10 — 0, 203 —185 — 3,64 
Chlorof. 0,1 |17 Muskel mit wenig B. G. |+ 105 + 25 — 20/—0,46 
„ 0,1 17 а „ viel + 80+ 1,95 | — 70| — 1,65 
5 0,1 12,2 S SA „ |+ 25/7 0,412; —160|—2,64 
Е 0,1 |12,2 н „ wenig — 30|— 0,497 —210 | — 3,41 
= 0,1 12,2 Ligamentum patellae + 195 + 41 | + 300.6175 
Ather „8 17 Muskel mit viel B.G. + 260 + 5,65 7110 72.33 
3 17 „ „ wenig „ |+ 170 4,64 | + 35 | +0,938 
е 3 12.5 = „ viel „ |+ 70+ 86 | +325 773,62 
4 8 12,5 S „ wenig „ |+ 440|+ 5,71 | + 20|+0,249 
я 3 12,5 | Ligamentum patellae + 280|+ 5,76 — 90| — 1,785 
В 1,5 [19,2 | Muskel mit viel B.G. |+ 90/+ 1,62 — 130 — 2,28 
" 15 12.2 „ wenig „ 45550 11.7 256 75) 
М 1,5 |12,2 | Ligamentum patellae + 651+ 1,42 | — 85:—1,81 


1) Zur Erklärung der Ausdrücke HD, HD , HM und НМ ist 
folgendes auszuführen (vgl. S. 12 und 13). In den Versuchsprotokollen 
bezeichnen die ausgezogenen Linien (Ii) Maximum und Minimum des 
Widerstandes in dem System Mn, wie sie bei den einzelnen Ablesungen 
festgestellt wurden; die kurz gestrichelten Linien (Iz) verbinden die rechne- 
risch (vgl. Tab. III) gefundenen Maxima des Widerstandes in den Systemen 
In, wie sie unter Einhaltung derselben Versuchsbedingungen gefunden 
worden wären, die kurz-lang gestrichelten Linien (Iz) die graphisch ge- 
fundenen Mittel der aus dem Maximum und Minimum der Meßresultate in 
dem System Mn für die gleichen Versuchsbedingungen berechneten Werte 
in dem System In. 

HD bedeutet die Differenz zwischen dem Mittel der durch Ii dargestell- 
ten Widerstandswerte und dem entsprechenden durch I dargestellten Wert. 

Нр % diese Differenz ausgedrückt in Prozenten des entsprechenden, 
durch I, gegebenen Widerstandswertes. 

HM und HM % haben entsprechende Bedeutung für die Differenzen 
zwischen den einander entsprechenden Werten, die gegeben sind durch die 
untere der beiden ausgezogenen Linien (Ii) und die kurz gestrichelte (Iz). 

Ein + Zeichen bedeutet, daß eine Zunahme, ein — Zeichen, daß eine 
Abnahme des Widerstandes vorliegt. - 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 2 


18 P. Schulze: 
Tabelle IV (Fortsetzung). 

Nark Kon- | Tem- 

arko- jwentra-| pera- 
oe | ton wur Art der Membran | HD 
in іп / in? in °С ] 

Gegen 1,0 | 18,0! Muskel mit viel B. G. + 270/+ 61 + 180/+ 4,02 
А 5 17/0 „ 1+1920,+22,95 |+1280 +16,4 
e | ITO 18 В „ wenig „ |+ 340 + 8,27 |+ 210+ 4,98 
„ 0,75 | 17 a ae й „ + 450!+10,39 |+ 320 4 7,25 
„ 0.75 17 „ „ 7 + 60+ 142 — 120 — 2.78 
„ 10,75 | 17 5 А „ '+ 50'+ 117 |— 65| 1.49 
„ 0,75 17 „ „ Viel „ + 60+ 1,42 — 65] — 1,5 
„ 40751122; „ „ „ 4 105'+ 1,97 — 80| — 1,47 
„ „ wenig „ + 135 215 — 15 — 0,299 
» 0,75 12,2 Ligamentum patellae |+ 65+ 1,39 — 60|— 1,26 
„ 0.375 10,2: : + 154|+ 3,5 |+ 60|+ 1,33 
x 0, 75 102 Aponeurose i+ 195:+ 3,48 + 5 + 0,087 
„ 10,75 | 10,2. Muskel mit wenig В.С. + 160+ 2,96 — 10| — 0,181 
„ 0,375 102 „ „ Е „ |+ 165 + 3,19 + 95| + 0,461 

Isopral 1.0 | 17,0| Muskel mit viel B. G. +1420/+16,5 '+ 720|+ 8,06 
„ |10 17, „  wenig „ |+ 560 711,6 4 340 6,62 
А 055 110! „„ viel „ — 851— 0,768 — 180] — 3,86 
„. ee „ 7 85+ 2,04 — 60 — 1,41 
„ 0.5 17 „ „ wenig „ + 80 2,26 = 35|— 0,965 
„ (05 17,5 „ „ „ „ + 90+ 0,56 — 85]— 2,355 
„ 0,5 12,22 „ „ viel „ + 125/+ 236 — 35| — 0,645 
„ (0,5 |122| , „ wenig , + 120/+ 248 — 65 — 1,32 
Ё 10,5 | 12,2; Ligamentum patellae + 551+ 1,22 — 105|— 2,26 
„ 10,5 | 10,2| Aponeurose + 145/+ 265 - 5 — 0,089 
„ 00,25 | 102 i + 205 + 3,018 + 40|+ 0,723 
d 10,5 | 10,2| Muskel mit wenig В.С. + 125 2,31 — 25, — 0,45 
„ Jos 10,22 „ „ „ „ i+ 11504 214 — 10/— 0,182 
analogen, aber membranlosen System Ly aufwiese, — wie das 


z. B. in Abb. 17u. 21 angedeutet ist — wenn kurz gesagt die diesen 
Unterschied zum Ausdruck bringenden Werte HM bzw. HM% 
in den Tabellen positiv wären und damit eine zweifellose Wider- 
stands z u n a h me des membranhaltigen Systems unter dem Einfluß 
der Narkotica ausdrückten, die dann mit Sicherheit auf den Einfluß 
des Narkoticums auf die Membran selbst zurückzuführen wäre. Die 
so gefundene Permeabilitätsveränderung müßte dann in der Tat als 
Membranfunktion unter dem Einfluß der Narkotica gedeutet werden. 
Dies Ergebnis ist aber sehr selten. In der Regel findet sich ein 
negativer Wert, der aber — 4% niemals überschreitet, während 
unter den positiven Ergebnissen Zahlen bis zu 16% vorkommen. 
Erkennt man dagegen auch diejenigen Ergebnisse als bewei- 
send an, wo die Zuführung der Narkotica zu dem System M eine 
Widerstandszunahme des Mittelwertes der Ablesungen über den 


Membran und Narkose. 19 


berechneten Durchschnittswert des membranlosen Systems be- 
wirkt, so gewinnen die Resultate bedeutend an Brauchbarkeit. 
Denn in den Spalten HD und HD% der Tabelle IV, in denen diese 
Durchschnittsdifferenzen aufgeführt sind, finden sich nur 5 nega- 
tive Werte, und diese können eher durch zufällige Fehler während 
der Ausführung der Versuche, z. B. unbemerkt gebliebene Ver- 
schiebung der beiden U-Röhrchen gegeneinander, erklärt werden. 

Im folgenden werden die Ergebnisse unter Zugrundelegung 
dieser Durchschnittswerte beurteilt. 

Einen Überblick über die Ergebnisse geben am besten die 
graphische Darstellung der Resultate in Abb. 24 (S. 34), die 
Tabelle IV und am einfachsten die folgende Tabelle V. 


è Tabelle V. 

Narkoticum Musc. transv. Musc. rectus. Lig. patellae. 
Alkohol + 6,17% + 4,75%, +0,1% 
Chloroform +10% + 1,20% + 2,00% 
Ather. + 7,30% + 5,30%, + 3,6%, 
Urethan ..... + 4,20% + 8,80% + 2,70% 
Isopral ...... + 3,6% + 6,8% + 0, 61% 


Diese Tabelle wurde auf folgende Art gewonnen: ohne Rück- 
sicht auf Konzentration und Temperatur wurde aus allen jeweils 
einem einzelnen Narkoticum und einer Membranart entsprechen- 
den Werten der Spalten HD% der Tabelle IV der Durchschnitt 
errechnet, der also jeweils der Widerstandserhöhung vom Muskel 
mit viel bzw. mit wenig Bindegewebe bzw. vom Lig. pat. durch 
Narkoticumzusatz entspricht. 

Ein Vergleich dieser Mittelzahlen ergibt, daß für Chloroform, 
Urethan und Isopral die Werte der Spalte 2 größer sind als die der 
Spalte 1, dagegen nicht für Alkohol und Äther. Dies bedeutet 
also, daß außer bei Alkohol und Äther bei den angewandten 
Narkoticumarten und -konzentrationen die Widerstandserhöhung, 
die durch Zustandsänderung der Membran selbst, durch Her- 
absetzung ihrer Permeabilität für Ionen bedingt ist, bei binde- 
gewebsreichen Membranarten größer ist als bei bindegewebs- 
armen, parenchymreichen. 

Aus allen diesen Beobachtungen, die zum größeren Teil 
im Vorausgehenden übersichtlich zusammengestellt sind, lassen 
sich die Fragen, die wir uns eingangs vorgelegt haben, folgender- 
maßen beantworten: 

9 * 


20 P. Schulze: 


Die erste Frage betrifft die Brauchbarkeit der Leitfähigkeits- 
messung von Membranen als Methode zur Prüfung von Permea- 
bilitätsänderungen, wie sie sich nach den Ergebnissen der hier 
wiedergegebenen Versuche darstellen. 

Die Abweichungen der einzelnen Ablesungen sind, wie sich 
aus der Breite der mit ausgezogenen Linien umsäumten Ab- 
lesungsstreifen unserer zahlreichen Kurven ergibt, nicht ganz 
unbeträchtlich. Aber die Methode reicht doch vollkommen aus, 
um Veränderungen, die sich nach willkürlicher Variation der 
Bedingungen des Mediums einstellen, deutlich erkennen zu 
lassen. Die Anderungen der Kurvenrichtung unter dem Einfluß 
eines jeglichen Narkoticumzusatzes sind augenfällig. Wenn 
man sich fragt, inwieweit alle diese augenfälligen Kurvenaus- 
schläge auf Veränderungen der Membrangebilde selbst unker dem 
Einfluß der Narkotica zurückzuführen sind, so darf man dabei 
freilich eine wichtige Nebenbeobachtung, die sich aus unseren 
Vorversuchen ergibt, nicht vernachlassigen. 

Alle von uns gepriiften Narkotica beeinflussen nach unseren 
Vorversuchen bereits die Leitfahigkeit eines einphasigen, aus einer 
echten Lösung (Ringerlösung) bestehenden Systems. Und zwar 
erfolgt dieser Einfluß regelmäßig im Sinne einer Leitfähigkeits- 
verminderung dieses membranlosen Systems. Bei der Vernach- 
lässigung, die wir im Rahmen dieser Untersuchung von vornhereirf 
der prinzipiellen Frage angedeihen lassen wollten, inwieweit der 
gemessene Vorgang wirklich eine Widerstandsänderung, inwieweit 
er Polarisation ist, soll auch hier die Frage nicht erörtert werden, 
ob nicht vielleicht die scheinbare Widerstandserhöhung der 
Ringerlösung durch unsere Narkoticumzusätze in Wirklichkeit 
ein Polarisationsvorgang (etwa an unseren Elektroden) ist. Sieht man 
von dieser Frage ab, so hat man die Feststellung, daß Narkotica 
auf Salzlösungen leitfähigkeitsvermindernd einwirken, in den 
Vordergrund der Betrachtung zu stellen. In der Literatur sind 
uns Feststellungen über dieses allerprimitivste Modell einer Nar- 
kose, die „Narkose von Salzlösungen“, nicht begegnet. Auch 
Loewe hat bei seinen Versuchen an künstlichen Membranen 
diese Frage vernachlässigt, weil er glaubte, seine Schlüsse auf eine 
Leitfähigkeitsverminderung der Membranen auch ohnedies ziehen 
zu dürfen einfach aus dem Umstande heraus, daß seine Leitfähig- 
keitskurven unter dem Einfluß eines Narkoticumzusatzes nicht einen 


Membran und Narkose. 21 


plötzlichen Anstieg zu einem veränderten, aber konstant bleibenden, 
also horizontalen Verlauf und bei der Wegnahme des Narkoticums 
einen entsprechenden plötzlichen Abfall erfuhren, sondern in einem 
meist bogenförmigen Anstieg den Narkoticumeinfluß auf die Mem- 
bran zu erkennen gaben. Esist naheliegend, ausdiesem unerwarteten 
Verlauf der Änderung in der Kurvenrichtung auf Vorgänge zu 
schließen, die sich erst allmählich mit einer im Versuch ver- 
folgbaren Reaktionsgeschwindigkeit an den Membranen abspielen. 

Dieses Argument ist in der Tat auch für unsere vorliegenden 
Messungen wichtig. Es treten auch bei unseren Kurven die Ver- . 
änderungen nach dem Narkoticumzusatz nicht sofort und dann 
konstant bleibend in die Erscheinung, sondern alle unsere Narkose- 
abschnitte im Verlauf der Kurven streben während einer sehr 
beträchtlichen Zeit der Narkoticumeinwirkung (20 Minuten bis 
1 Stunde) einem Maximum zu, das bei sorgfältiger Betrachtung 
der Kurven während der Messungszeit eigentlich niemals erreicht 
wird. Diese Argumentation kann aber einem Einwand begegnen. 
Auch wenn, was man durch die vorausgehenden Überlegungen 
widerlegt glaubt, der Einfluß des Narkoticums sich nur an dem 
Elektrolytmedium abspielt, also an demselben Objekt, das auch 
bei unseren Vorversuchen an membranlosen Lösungssystemen 
einer in diesen vereinfachten Fällen plötzlich und ohne allmäh- 
lichen Anstieg zustande kommenden Leitfähigkeitsverminderung 
unterliegt, so kann doch, sobald eine Membran in dieses Lösungs- 
system eintritt, der Einfluß auch auf die Lösungsbestandteile 
der Membran allein das Gleichgewicht langsamer vielleicht des- 
wegen erreichen, weil zwar nicht die Membran selbst einem 
besondersartigen Einfluß des Narkoticums mit langsamerer 
Reaktionsgeschwindigkeit unterliegt, ihre disperse Phase aber 
den Einfluß des Narkoticums auf die in ihr enthaltenen Teile der 
freien Lösung einfach durch Behinderung der freien Diffusion 
verlangsamt. Dieser Einwand kann nur dadurch widerlegt 
werden, daß der Einfluß des Narkoticums auf ein membran- 
haltiges System deutlich größer wird als auf ein membranloses. 
Darum dürfen wir uns bei der Bewertung der Narkosezacken 
unserer Kurven nicht auf ihr augenfälliges Vorhandensein und 
die Langsamkeit, mit der sie einem Maximum zustreben, be- 
schränken, sondern wir müssen jedesmal prüfen, ob das erreichte 
Maximum auch höher liegt als dasjenige, welches ein sonst 


22 P. Schulze: 


analoges Lösungssystem ohne Membran unter dem Einfluß des 
Narkoticums erreicht hätte. Dieser Überschuß darf mit gutem 
Gewissen verwendet werden. Denn selbst wenn der ganze Einfluß 
der Membran auf der Enge und Verzweigtheit der Strombahn, also 
auf der Vermehrung der Wandbestandteile beruht, sosind doch Ver- 
änderungen in der Leitfähigkeit, die auch nur auf diesen Verhältnis- 
sen beruhen, mit Recht bereits als Membranfunktionen zu buchen. 

Durch das Erfordernis, den Einfluß des Narkoticums auf das 
gleiche System abzüglich der Membran zu ermitteln, leidet aber 
naturgemäß die Genauigkeit der Methode. Denn dieser Sub- 
trahend kann nur rechnerisch ermittelt werden, und wenn wir 
auch die für uns ungünstigsten Rechnungsergebnisse nicht scheuen, 
so müssen wir die rein experimentell bereits eintretenden Ablese- 
fehler durch Multiplikation noch merklich vermehren, d. h. also 
die Fehlerbreite merklich vergrößern. Wenn wir hierin bis zum 
äußersten Maße ungünstiger Gestaltung der Verhältnisse gehen, 
wie wir das in unseren Kurven durch Einzeichnung des maximal 
errechenbaren Einflusses des Narkoticums auf das membranlose 
System getan haben, so sehen wir tatsächlich alle Membran- 
einflüsse oft genug in die Fehlerbreite der Methode hineinfallen. 
Arbeitet man also unter so ungünstigen Verhältnissen der Berech- 
nungsmethode, so ist das Leitfähigkeitsverfahren in der Tat für 
unsere Zwecke kaum brauchbar. Begnügen wir uns aber, wie 
bereits weiter oben ausgeführt, mit einem Vergleich der Durch- 
schnittswerte der Membrannarkose und der Lösungsnarkose, so 
gelangt man auch rechnerisch zu dem Ergebnis, daß die Anwesenheit 
einer Membran doch nicht ohne Einfluß auf die Leitfähigkeit des 
narkotisierten Systems ist. Ein Ergebnis, welches ja auch bereits 
aus dem Kurvenverlauf, wieoben ausgeführt, abgeleitet werden darf. 

Es erscheint also bei aller Ungenauigkeit der Methode, 
einer Ungenauigkeit im übrigen, die auch die Messung der 
Salz- und Wasserpermeabilität nach Winterstein bei genauerer 
Betrachtung aufweisen dürfte, doch nicht aussichtslos, auch 
eine Beantwortung der zweiten Frage mit ihr zu versuchen. 
Diese zweite Frage sucht, wie eingangs erörtert, Aufschluß 
darüber, ob bei einer aus mindestens zwei verschiedenen Kom- 
ponenten (z. B. Parenchym und Interstitialgewebe) zusammen- 
gesetzten Membran die Beteiligung einer jeden dieser beiden 
Komponenten an der „Membrannarkose“, somit das gegenseitige 


Membran und Narkose. 23 


Verhältnis 21) ihrer Beteiligung, ermittelt bzw. mit welchem 
Recht Ergebnisse an der Gesamtmembran auf eine dieser beiden 
Komponenten (hier das Parenchym) bezogen werden dürfen. 

Bei besonders günstiger Sachlage kann ein Aufschluß über die 
Größe n einfach aus einem unmittelbaren Vergleich der Größen 
erhofft werden, welche sich einmal bei der Membrannarkose von 
vorwiegend parenchymatösen, ein andermal bei denjenigen 
von vorwiegend interstitiellen Geweben ergeben. Erfordernis 
hierfür ist aber, daß die zu vergleichenden Gewebsmembranen 
gleichen Querschnitt und gleiche Dicke aufweisen. Das ist nun 
schwer zu erreichen. Man müßte dazu stets gleichmäßig dicke 
Platten aus den beiden Gewebsarten herausschneiden können, . 
und man müßte, was bei unserer Versuchsanordnung noch wesent- 
lich mehr erschwert war, stets in einem und demselben Wider- 
standsgefäß messen, wobei nicht nur der Elektrodenabstand 
jedesmal der gleiche sein müßte, sondern vor allem der Quer- 
schnitt desjenigen Teils des Meßgefäßes, in welchem sich die Mem- 
bran ausgespannt findet. Dies zu erreichen ist bei den benutzten 
Widerstandsgefäßen unmöglich, und dementsprechend besagen 
auch die Zahlen, die für die Ermittlung des Verhältnisses der 
spezifischen Leitfähigkeiten unserer Gewebsarten gewonnen wur- 
den, nicht viel. Sie seien im folgenden zusammengestellt: 

Aus einer größeren Zahl von Messungen der Leitfähigkeit , 
eines unserer Meßröhrchen, mit Ringerlösung allein gefüllt, 
ergeben sich Widerstandswerte von 4500—4825 Ohm bei Tem- 
peraturänderung von 10—18°. Verschiedene Ligamenta patel- 
laria, in verschiedenen Widerstandsgefäßen gemessen, ergaben 
Werte zwischen 4250 und 4860 Ohm. Der Widerstand dieser 
Gewebsart scheint also nicht groß zu sein. Muskelgewebe mit 
wenig Bindegewebe weist demgegenüber Widerstandswerte von 
4020—8960 Ohm auf, Muskelgewebe mit viel Bindegewebe 
Werte von 3530—7050 Ohm. Vernachlässigt man die Variations- 
möglichkeiten des Querschnitts unserer verschiedenen MeBgefaBe, so 
kann man diese Schwankungen am einfachsten auf die verschiedene 
Dicke unserer Membranen beziehen. Dagegen kann nur vorgebracht 
werden, daß die Musculi transversi im allgemeinen ebenso wie die 
Ligamenta patellaria wesentlich dünner waren ale die Membranen 
aus dem Musculus rectus, der Muskelart mit viel Bindegewebe. 
J) vgl. S. 6 ff. 


24 P. Schulze: 


Alles in allem läßt also die Betrachtung dieser Werte allein 
keine allzu weittragenden Schlüsse zu. Sie zeigt nur, daß der 
absolute Widerstand von Membranen unter den von uns gehand- 
habten Bedingungen, also bei wechselnder Dicke und bei wech- 
selndem Querschnitt, großen Schwankungen unterliegen kann. 

Demnach müssen die Betrachtungen sich hauptsächlich 
auf die Ergebnisse der Narkose dieser Membranen richten. Be- 
trachten wir die graphische Übersicht in Abb. 24, welche die 
Prozentualwerte der maximalen Membrannarkose für die ver- 
schiedenen Membrangebilde nebeneinander stellt, so zeigt sich, 
daß die Ergebnisse wenig Gleichmäßigkeit erkennen lassen, daß 
der Membraneinfluß auf die Leitfähigkeitsverminderung des 
Gesamtsystems bei Anwesenheit der verschiedenen Narkotica 
ein sehr verschiedener, manchmal ein kaum mit Sicherheit fest- 
stellbarer, manchmal ein recht hoher, bis zu 12%, sein kann. 
Im einzelnen wird man also nicht viel Aufschluß erwarten können. 
In dem Gesamtüberblick über diese zusammengefaßten Resultate 
wird aber eines sehr augenfällig: Irgendein eindeutiger Unter- 
schied zwischen bindegewebsreichen und parenchymreichen Mem- 
branen läßt sich nirgends feststellen. Bald tritt der Einfluß an 
der einen, bald an der anderen Gewebsart besonders stark hervor. 
Will man hieraus Schlüsse auf die Größe von n ziehen, so läßt 
sich der Wert von n kaum anders als mit der Zahl 1 definieren. 
Das heißt mit andern Worten, bindegewebsreiche und parenchym- 
reiche Organe werden, wenn man sie in ihrer Gesamtheit als Mem- 
bran benutzt und dem Einfluß eines Narkoticums aussetzt, von 
den Ergebnissen der Leitfähigkeitsveränderung aus betrachtet, 
wie dies ja sehr augenfällig auch schon ein Vergleich der Narkose- 
zacken unserer verschiedenen einzelnen Kurven dartut, nicht in 
merklich unterschiedlicher Weise beeinflußt. Das würde zu dem 
Ergebnis führen, daß ein Narkoticum die Permeabilitätsverhält- 
nisse grundsätzlich in gleicher Weise beeinflußt, einerlei ob es 
auf Interstitien oder auf Zellen einwirkt, und das wäre in gewissem 
Sinne eine Bestätigung der Vorstellung, die man sich aus mancher- 
lei Ergebnissen der letzten Jahre zu machen hat. Schon ein Ver- 
gleich der Verteilung von Narkoticum auf solche Gebilde, an 
denen leicht funktionelle Narkoseveränderungen feststellbar sind, 
z. B. Gehirngewebe, und auf andere Gewebe, die keine funktionelle 
Veränderung durch die Narkose augenfällig werden lassen, hat 


Membran und Narkose. | 25 


dazu geführt, zu zeigen, daß quantitativ das Narkoticum sich 
auf alle diese Gewebsarten annähernd gleichmäßig verteilt. Und 
wenn von anderer Seite herkommend gezeigt worden ist, daß ein 
Narkoticum an allen möglichen biologischen und nichtbiologischen, 
einfachen und komplizierten Gebilden, vom metallischen Kataly- 
sator angefangen bis zur komplizierten Nervenzelle, einen Angriffs- 
punkt findet, so bedeutet dies das gleiche. Man könnte allmählich 
zu der These von einem geradezu ubiquitären Angriffspunkt 
der Narkotica gelangen, wobei dann allerdings die Vorstellung 
von der hohen Adsorbierbarkeit der Narkotica das Gemeinsame 
aller dieser Angriffspunkte in adsorptionsfähigen Oberflächen zu 
suchen Anlaß wäre. Und dann würde der verschiedene Narkose- 
effekt nicht in der verschiedenen quantitativen oder qualitativen 
Ausbildung dieser Angriffsflächen des Narkoticums zu suchen sein, 
sondern auf der physiologischen Seite des Narkosevorgangs, in 
dem verschiedenen Grad der funktionellen Empfindlichkeit des 
narkotisierten Gebildes, also in dem verschiedenen Grade, in wel- 
chem bei verschieden bedeutungsvollen und an verschieden 
wichtigem Posten stehenden physiologischen Gebilden sich ein 
im Grunde gleichartiger Einfluß äußern muß. 

Alle diese Betrachtungen sind allerdings solange noch recht 
wenig verbindlich, als sie nur mit der von uns benutzten, recht 
begrenzt brauchbaren Methode der Leitfähigkeitsmessung erhoben 
worden sind. Sie bedürften noch der Bestätigung durch Heran- 
ziehung feinerer und zuverlässigerer Methoden. 

Diese Betrachtungen entfernen sich aber auch bereits von 
der viel einfacheren und engeren Frage, die wir zur Grundlage 
und zum Ausgangspunkt unserer Versuche genommen haben. 
Und diese Frage läßt sich auf jeden Fall eindeutig beantworten: 
es muß als verfrüht bezeichnet werden, wenn man aus Beobach- 
tungen an einem so komplizierten Objekt wie einer Gewebs- 
membran, also einem aus Parenchym und Interstitium gemischten 
Membrangebilde, Schlüsse auf Veränderungen zieht, die sich an 
der einen Komponente desselben, dem Parenchym, abspielen. 
Genau wie unsere Versuche führen daher diejenigen Winter- 
steins wohl zu dem sehr interessanten Ergebnis, daß auch der- 
artige Gewebsmembranen, ebenso wie die Lipoidmembranen 
Loewes, in ihrer Permeabilität durch die Anwesenheit von 
Narkoticis in physiologischen Konzentrationen eindeutig beein- 


26 P. Schulze: 


trächtigt werden. Das gilt nach Wintersteins Versuchen von 
der Salz- und noch mehr von der Wasserpermeabilität, nach 
unseren Versuchen von der Ionenpermeabilität oder, wofern die 
Leitfahigkeitsmethode in ihrer Deutung durch die Gilde meister- 
schen Untersuchungen eine grundsätzliche Revision erfahren muß, 
im umgekehrten Sinne von der Polarisierbarkeit. Aber ob es 
sich bei allen diesen Befunden um eine Veränderung handelt, 
die in ganz unspezifischer Weise alle Gebilde von Membran- 
charakter, im speziellen alle biologischen Membranen betrifft, 
oder um eine solche Veränderung, die sich wirklich nur abspielt 
an den für die generellste Lebensfunktion wichtigen Membranen, 
also den Membrangebilden innerhalb der Zellstruktur, das bleibt 
bei allen derartigen Messungen, bei denen nicht ausschließlich 
die von der eigentlichen Fragestellung ins Auge gefaßte Zell 
membran allein geprüft wird*), nach wie vor offen. 


Literatur. 


1) Loewe, Membran und Narkose. Diese Zeitschr. 37. 1913. — 
2) Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. — *) Lepeschkin, 
Zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der Plasmamembran. 
Ber. d. dtsch. bot. Gesellsch. 29. 1911. — ) Lepeschkin, Uber die Ein- 
wirkung anästhesierender Stoffe auf die osmotischen Eigenschaften der 
Plasmamembran. Ber. d. dtsch. botan. Gesellsch. 29. 1911. — 5) Joel, 
Uber die Einwirkung einiger indifferenter Narkotica auf die Permeabilität 
roter Blutkörperchen. Arch. f. d. ges. Physiol. 161. 1915. — *) Mac 
Clendon, The action of anaesthetics in preventing increase of cell per- 
meability. Amer. journ. of physiol. 38. 1915. — 7) Winterstein, Os- 
motische und kolloide Eigenschaften des Muskels, und Narkose und Per- 
meabilität. Diese Zeitschr. 75. 1916. — ®) Winterstein, Die Narkose. 
Berlin 1919. — ) Gilde meister, Elektrischer Widerstand, Kapazität und 
Polarisation der Haut. Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919. — 10) Verworn, 
Die Narkose. Jena 1912. — !!) Traube, Über die Theorie der Narkose. 
Arch. f. d. ges. Physiol. 171. 1919. 


*) Nach Abschluß der Drucklegung erfuhren w:r durch freundliche 
persönliche Mitteilung von He:rn Professor Winterstein, daß bei 
seinen hier mehrfach erwähnten Versuchen Vergleiche mit Interstitial- 
membranen angestellt worden sind, wodurch unseren Uberlegtngen, so- 
weit sie sich im speziellen geg&n seine Arbeiten richten, jeder Boden. 
entzogen wäre. Es sei auch gleichzeitig erwähnt, daß die vorstehende 
Untersuchung durch weitere, inzwischen im hiesigen Institut ausgeführte 
Versuche gleichfalls in mancher Hinsicht überholt worden ist. Trotzdem 
möchten wir die Wiedergabe der Gedankengänge dieser Veröffentlichung 
nicht für überflüssig halten. 


Membran und Narkose. д" 


Abb. 1. Р = Parenchym, х. B. Muskelfasern, Q = Querschnitt, J = Interstitium 
z. B. Bindegewebe. 


NZ 
@ P te 
R \\ 
SR 
së 
N 
N 
NN 


Abb. 2. Р = Parenchym, © = Querschnitt, J = Interstitium. 


77 
SSC 


7 


SA 


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2 


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7. 


(EE la, 


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Abb. 4. Р = Parenchym, J = Interstitium, @ = Querschnitt. 


Abb. 5. Temperaturkurve der 


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G O 0 50 7 0 500 20 JO’ 


ү |1 
7 
Se 


Ringerlösung. 


% i 


Temp. 5,0° C. Abb. 7. Leerwiderstande. 


— 


Membran und Narkose. 29 


Abb. 11. Ligamentum patellae. Temp. 10,2° C. 


W W N 


Abb. 9. Musc. transv. abdom. Temp. 10, 2 C. 
20’ 


Abb. 10. 


Abb. 12. Aponeurose. 


30 Р. Schulze: 


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CH 
H 
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SR 
Sg 
CT 
wW Ј0 


Abb. 15. Musc. rectus abdom. 


РІ 50° 257 V 
Abb. 14. Muse. trans v. abdom. Temp. 12,2° C. 


[22 
u 
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e 27 30° #0 


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Membran und Narkose. 31 


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D 357 WO US SO SS ТУУ 5 III 


Abb. 16. Ligamentum patellae. Temp. 12,5°. 


«ЕЕЕ ——— LARERE EER 


MALY TTT TTL | | eR 
БШ Raa "real 


| 
“uw £6 25 0 35° wi U 50° 55 1Std 5 9 er b 25 A0r Aer WO u 50° 55 20% 5° 
Abb. 17. Musc. transv. abdom. Temp. 12,2° C 


3200 "WS 40 29d 0 0 IE SS COS 


Abb. 18. Muse. rectus abdom. Temp. 17,0° C. 


ge oe 20 w Lë 20 W 250 W J 20 wi GA Ä W ЗЇ 20° e 
Abb. 19. Musc. transv. abdom. Temp. 17,0° С, 


32 ‚ Р. Schulze: 


м 
` 


| 2453 20, wi 7547 20° 40' 2497 20° 40’ AAR 20° 
- 2550 20° 40' AA 80’ vi 250 20' V S 20° 40° 


Abb. 20. Muse. rectus abdom. Temp. 17,0° C. 


8 
S 
7 3 е 


Abb. 21. Muse. (renge, abdom. Temp. 17,0° C. 


Membran und Narkose. 33 


| 
* # е 4 6 2 2 6 12 % lag 6 12 * 
Abb. 22. Absterbekurve. Muse. transv. abdom. 


2. Jag 


Abb. 28, Absterbekurve. Ligamentum patellae. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 3 


P. Schulze: Membran und Narkose. 


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MID Musc. transv. (wenig Bindegewebe, viel Muskelfasern). 


Rectus-Aponeurose (viel Bindegewebe, wenige Muskelfasern). 


Abb, 24. Zusammenfassung der MeBresultate von Membrannarkosen. 


Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. I. 


Von 


‚ R. Brinkman und Fri. E. van Dam. 


(Aus dem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen 
[Holland ].) 
Eingegangen am II. Mai 1920.) 
Einleitung. 

Die dynkmische Biochemie der Phosphatide und Sterine 

befindet sich noch in den ersten Stadien ihrer Entwickelung. 
Man hat die Überzeugung bekommen, daß diese Gruppen von 
hervorragender Bedeutung für das Zellenleben sind und als echte 
Zellbausteine aufgefaßt werden müssen. Die deskriptive bio- 
chemische Forschung hat die allseitige Anwesenheit dieser Sub- 
stanzen dargelegt, und ihro Unentbehrlichkeit in der Nahrung 
für das Wachstum, bzw. für das Leben ist von Stepp’), Mac 
Collum?), Osborne und Mendel?), Heubner‘), Röhl’) u. a. 
festgestellt worden. In der Serologie spielen sie eine große Rolle 
und die pathologische Untersuchung hat eine ganze Reihe inter- 
essanter Änderungen der normalen Cholesterin- und Lecithin- 
Konzentrationen aufgedeckt. 
Wenn man aber nach der speziellen Bedeutung dieser Sub- 
stanzen zu fragen anfängt, so läßt sich davon ebensowenig eine 
genauere Analyse geben wie von ihrem speziellen Stoffwechsel. 
Die Anzahl der den Phosphatiden und Sterinen zugeschriebenen 
Einzelfunktionen wird bereits größer, ihre allgemeine Bedeutung 
für die Zelle ist aber noch nicht erkannt worden®). 

1) Stepp, Zeitschr. f. Biol. 57, 136; 59, 366; 62, 405. | 

2) Mac Collum, Journ. of Biolog. Chem. 15, 167; 19, 245; 20, 641; 
21, 179. 

3) Osborne and Mendel, Journ. of Biolog. Chem. 17, 40; 20, 379. 

4) Heubner, Miinch. med. Wochenschr. 1911, S. 2543. 

5) Röhl, Verhand. а. Kongr. f. Inn. Med., Wiesbaden 1912, S. 607. 


6) Zusammenfassung 8. J. Bang, Chemie und Biochemie der Lipoide. 
Wiesbaden 1911. 


3* 


36 R. Brinkman und E. van Dam: 


Die Ursache dieser Unsicherheit ist in erster Linie darin zu 


suchen, daß die chemische Konstitution dieser Verbindungen 


noch nicht genügend erkannt ist und daß die Phosphatide sehr 
leicht zersetzlich sind, so daß ihr Schicksal im Körper schwer zu 
verfolgen ist!). - 

Neben der chemischen Konstitution und dem chemischen 
Einfluß dieser Substanzen hat man in letzter Zeit vornehmlich 
auch ihre physikalischen Eigenschaften studiert; die Kolloid- 
chemie der Phosphatide und Sterine muß ein fundamentelles 
Problem der Kolloidforschung werden und es scheint, daß die 
physikalisch-chemische Untersuchung dieser Probleme mehr Ein- 
sicht zu geben verspricht als die rein chemische. 

Wenn man nun die dynamische Bedeutung dieser Stoffe 
näher untersuchen wird, во kann man natürlich Auf sehr ver- 
schiedener Weise vorgehen. Man kann ihre Konzentration und 
Konzentrationsänderungen im Plasma und in der Zelle studieren 
oder aus den Folgen der experimentellen Korzentrationsainde- 
rungen auf die normale Funktion schließen; man kann auch 
den intermediären Stoffwechsel der Phosphatide usw. zu ver- 
folgen suchen, was bei den jetzigen Kenntnissen der chemischen 
Konstitution der betreffenden Substanzen wohl möglich sein 
wird. Allein die Deutung der so gewonnenen Resultate wird sehr 
schwierig sein bei solchen den Gesamtorganismus betreffenden 
Versuchen. 

Zu eindeutigen Schlüssen wird man kommen, 
wenn man den Effekt der genannten Verbindungen 
auf einzelnen Zellen, z. B. auf Blutkörperchen, unter- 
suchen kann. Hier kann man das Suspensionsmedium so 
wählen, daß seine Zusammensetzung bekannt und möglichst 
physiologisch ist, und in diesem Medium kann man den Effekt 
der einzelnen Phosphatide und Sterine auf die Körperchen genau 
studieren. Die so gewonnenen Resultate werden dann natürlich 
‘mit den nötigen Kautelen auf vitale Verhältnisse übertragen 
werden müssen. 

Wir werden hier über Versuche berichten, in welchen der 
Einfluß einzelner Phosphatide und Sterine in ihren gegenseitigen 
Verhältnissen auf Blutkörperchen untersucht wurde. Aus diesen 


1) Für die neuere Forschung der Phosphatidchemie siehe Levines 
zahlreiche Arbeiten. Reprints Rockefeiler Institution. 


Phosphatide und Sterine. I. 37 


Versuchen werden wir dann zu mehr allgemeinen Schlüssen 
uber die Bedeutung der studierten Substanzen fir die Zelle 
kommen können. 


Erste Mitteilung. 


Die Bedeutung des „Lezithins“ für die normale Resistenz der Blut- 
körperchen und für die normale und pathologische Hämolyse. 


In einer zunächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Arbeit 
haben wir festgestellt, daß die osmotische Resistenz menschlicher 
und tierischer Blutkörperchen durch Waschen der Körperchen 
mit physiologisch äquilibrierter Salzlösung beträchtlich zunimmt. 
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, wo das Waschen der Kör- 
perchen mit reiner NaCl-Lösung immer Resistenzabnahme zur 
Folge hatte !), findet man bei Behandlung mit physiologisch 
äquilibrierter Salzlösung konstant eine erhebliche Resistenz- 
zunahme. Da auch beim Waschen der Körperchen im Ultra- 
filtrat des entsprechenden Serums diese Resistenzzunahme statt- 
findet, können wir diese Erscheinung schwerlich als die Folge 
eines unphysiologischen Eingriffs deuten, sondern müssen im 
Gegenteil diese Resistenzerhöhung für mehr „physiologisch“ 
halten als die Resistenzabnahme in reiner NaCl-Lösung. 

Es liegt auf der Hand, vorläufig die Hypothese aufzustellen, 
daß durch das Waschen Agenzien beseitigt werden, die normaler- 
weise die Blutkörperchenresistenz erniedrigen. Ob diese Resistenz- 
abnahme durch bestimmte Substanzen verursacht wird oder mehr 
durch allgemeine kolloid-chemische Änderungen, können wir jetzt 
noch nicht sagen. 

Wenn die Resistenzzunahme durch ein Ausspülen eines im 
normalen Blute vorkommenden hämolytischen Komplexes ent- 
steht, so kann es möglich sein, daß die resistenten Körperchen 
ihre ursprüngliche Resistenz zurückbekommen, wenn man die 
(gewaschenen) Körperchen wieder in ihr eigenes Serum zurück- 
bringt. \ | — 

Wir haben deshalb folgende Versuche mit Kaninchen- und 
mit Menschenblut angestellt. Von jeder der Versuchsserien 
werden wir einen Versuch als Modell beschreiben; die analogen 
Versuche gaben immer dasselbe Resultat. 


1) Snapper, diese Zeitschr. 43, 266. 1912. 


38 R. Brinkman und E. van Dam: 


1. Direkt zu der hypotonischen Lösung gefügt, zeigt das Kaninchen- 
blut eine beträchtliche Hämolyse (35%) bei NaCl 0,34%, (NaHCO, 0,17%, 
KO 0,02%, CaCl,- 6 ад. 0,02%, [Н] = 0,45-107', [Са] = + 30 mg 
pro Liter)!). 

Blutkörperchen desselben Blutes, die zweimal mit isotonischer Lösung 
(NaCl 0,7% usw.) gewaschen wurden, zeigen bei NaCl 0,30%, usw. noch 
keine Spur von Hämolyse. 

Körperchen, welche zweimal in isotonischer Lösung gewaschen sind, 
werden wieder im Serum suspendiert und bei 37° aufbewahrt. Nach !/, Stunde 
zeigen diese Körperchen bereits leichte Hämolyse in NaCl 0,34%, usw.; nach 
einer Stunde ist die Hämolyse in NaCl 0, 34% usw. wieder 35%, wie vor der 
Waschung. 

Auch bei Zimmertemperatur kehrt im Serum die normale Resistenz 
der gewaschenen Körperchen zurück. 

Serum, das eine Stunde auf 56° gestellt wurde, hatte noch dieselben 
Eigenschaften; das hämolytische Komplex hat also eine gewisse Thermo- 
stabilität. 


Aus diesen Versuchen können wir also folgern: 

Indem man die gewaschenen resistenten Körper- 
chen des Kaninchens wieder während ungefähr einer 
Stunde in ihr eigenes Serum zurückbringt, kehrt die 
ursprüngliche Resistenz wieder. Einstündige Erwär- 
mung des Serums auf 56° hat keinen Einfluß auf die- 
sen Prozeß. 

Für das Menschenblut kann man dieselben Verhältnisse in 
dieser Weise nicht demonstrieren. Bringt man hier gewaschene 
Körperchen in ihr Serum zurück, so kehrt die ursprüngliche 
Resistenz nicht wieder. Wir werden später diese Erscheinung 
zu erklären suchen, wollen aber erst die Ergebnisse am Kaninchen- 
blut weiter mitteilen. 


2. Nach der Feststellung, daß die Resistenzzunahme ein 
reversibler Prozeß ist, haben wir zu untersuchen, ob die be- 
schriebene Wirkung des Serums eine allgemein physikochemische 
ist (Viscosität usw.), oder ob wir bestimmte Substanzen nachweisen 
können, welche die Träger der resistenzerniedrigenden Eigen- 
schaften sind. 

In einer Serumalbumin- oder Gelatine-Salzlösung von der- 
selben Viscosität wie das Blutserum haben wir keine Resistenz- 
erniedrigung der gewaschenen Körperchen konstatieren können; 


1) Für die Bestimmung des [Са] s. Brinkman und van Dam, 
Kon. Akad. у. Wetenschappen. DL XXVIII. 


4 


Phosphatide und Sterine. I. 39 


wir suchten deshalb nach mehr speziellen Substanzen für die Er- 
klärung dieser Erscheinung. 

In erster Linie haben wir dabei an das „Lecithin“ und die 
Serumseifen gedacht, weil von diesen Substanzen eine mehr oder 
weniger hämolytische Funktion bekannt ist. | 

Es lag nun auf der Hand zu prüfen, ob die resistenzernied- 
rigende Wirkung des Serums in den Alkohol- oder Ätherextrakt 
überging, und es war leicht festzustellen, daß dieses wirklich der 
Fall war. | 

Wenn man nämlich 1 ccm frisches Kaninchenserum in Papierstückchen 
nach Bang aufsaugt und diese 3 Stunden mit Alkohol oder mit Äther 
extrahiert, den Extrakt abdampft und den Rückstand in physiologische 
Salzlösung aufnimmt, so hat jetzt diese Salzlösung eine erhebliche resistenz- 
erniedrigende Wirkung auf gewaschene Körperchen, welche der Serum- 
wirkung überlegen ist, offenbar, da die hämolytischen Substanzen mehr 
konzentriert worden sind. 

Wenn man mit Kaninchen im normalen Ernährungszustande arbeitet, 
bekommt man immer dieses Resultat. 

Wir können also im allgemeinen sagen: 

Die resistenzerniedrigende Wirkung des Kanin- 
chenserums ist an Substanzen gebunden, die mit 
Alkohol und mit Äther extrahierbar sind. 


3. Wenn also die Resistenzerhöhung durch Auswaschen da- 
durch entsteht, daß alkohollösliche hämolytische Substanzen aus- 
gespült werden, so müssen wir diese Substanzen auch in der 
Waschflüssigkeit auffinden können. 

Wir konnten dieses folgenderweise zeigen. 

0,2 ccm Kaninchenblut wurde in 4 ccm isotonischer äquilibrierter Salz- 
lösung suspendiert und abzentrifugiert. Die Waschflüssigkeit wurde im 
Vakuum-Exsiccator eingetrocknet und der Rückstand in Alkohol gelöst. 
Der Trockenrest des Alkoholextraktes wurde in ½ cem isotonische Salz- 
lösung aufgenommen; diese Lösung zeigte in starkem Maße die resistenz- 
erniedrigende Wirkung des Serums. K 

Die Konklusion ist also: 

Die Waschflüssigkeit des Kaninchenblutes enthält 
alkohollösliche Substanzen, welche resistenzerniedri- 
gend sind. | 


4. Wir haben gezeigt, daß Kaninchenserum und auch die 
Waschflüssigkeit der Körperchen alkohollösliche Substanzen ent- 


40 R. Brinkman und E. van Dam: 


halten mit hämolytischen Eigenschaften. Wenn wir jetzt ver- 
suchen wollen zu analysieren, welche die betreffenden Substanzen 
sind, so haben wir wieder in erster Linie an „Lecithin“ zu denken 
(die Seifen kommen nur in sehr kleiner Konzentration vor). Wir 
haben deshalb untersucht, ob in dem Serum und Körperchen- 
extrakt und in der Waschflüssigkeit Lecithin mit Hilfe der Reak- 
tion nach Hamburger!) aufzufinden ist. Die genauere quanti- 
tative Analyse werden wir später nach der Bangschen Methode?) 
ausführen. 

Die Hamburgersche Reaktion gestaltet sich folgenderweise: In alko- 
holischer Lösung präzipitiert 1 Volum konz. Salzsäure das Lecithin in 
der Kälte; durch Erhitzen der Flüssigkeit verschwindet die Lecithin- 
trübung wieder völlig. Wir fanden, daß Cholesterin in alkoholischer Lösung 
ebenfalls von !/, Volum НСІ ausgeflockt wird, daß aber Cholesterin durch 
Erwärmen nicht wieder in (kolloidale?) Lösung geht. 

Wir fanden nun folgendes: 

l ccm Kaninchenserum in Ba N Papierstückchen aufgesaugt, 
wird 10 Minuten mit Ather und dann 1 Stunde mit Alkohol extrahiert. 
Das Atherextrakt gibt eine leichte Cholesterinreaktion (Lieber mann), 
das Alkoholextrakt eine starke Lecithinreaktion. 

Waschflüssigkeit von 0,5ccm Kaninchenblut wird eingedampft, der 
Rückstand in Alkohol aufgenommen. Diese Lösung gibt eine starke Lecithin - 
reaktion und eine schwache Cholesterinreaktion. 

Dieselben Extrakte von Blutkörperchen geben eine viel schwächere 
Lecithinreaktion. | 

Das fir unsere Untersuchungen wichtige Resultat ist also: 

Die Waschflissigkeit des Kaninchenblutes enthält 
„Lecithin“; daneben ist etwas Cholesterin anwesend. 
Der Serumextrakt enthält mehr Lecithin als der 


Körperchenextrakt. 


5. Wir müssen jetzt untersuchen, wie diese Erscheinungen 
sich beim Menschenblut gestalten. Es wurde bereits angegeben, 
daß wir im Menschenserum nicht die resistenzerniedrigende 
Wirkung auffinden konnten, welche wir im Kaninchenserum 
fanden. 

Wenn man z. B. Menschenblut zweimal in isotonischer äquili- 
brierter Salzlösung wäscht, wird die Resistenz der Körperchen 
beträchtlich erhöht; bringt man dann diese Körperchen in 


1) Hamburger, Arch. Néer. d. Physiol. 3, 361. 1919. 
2) Bang, diese Zeitschr. 91, 235. 1910. 


Phosphatide und Sterine. I. 41 


Menschenserum zurück (eine Stunde auf 37°), so ist die Resistenz 
noch dieselbe geblieben. Wir suchten diesen Unterschied folgender- 
weise zu erklären: 

Wenn ein hämolytisches Komplex im Plasma auf die Körper- 
chen einen Einfluß hat, so muß es mindestens zum Teil an diesen 
Körperchen gebunden sein. Wir machten nun die Annahme, daß, 
während das hämolytische Komplex im Kaninchenblut an den 
Körperchen gebunden und daneben auch frei im Plasma vor- 
kommt, es im Menschenblut fast ausschließlich an den Körper- 
chen gebunden ist. Wir prüften diese Annahme durch folgende 
Vers&che: ` 


Defibriniertes Menschenblut wurde zentrifugiert, 1 cem des Serums 
und 1 ccm der Körperchen in Bangschen Papierstückchen aufgesaugt und 
2 Stunden mit Alkohol extrahiert, die Extrakte abdestilliert und die Rück- 
stände in isotonische Salzlösung aufgenommen. Das Extrakt der Körperchen 
enthielt viel Lecithin und zeigte eine stark resistenzerniedrigende Wirkung; 
das Serumextrakt aber zeigte nur eine sehr leichte Lecithinreaktion und 
hatte fast keinen resistenzerniedrigenden Effekt. 

Wir müssen hieraus schließen, daß im Menschenserum nur 
wenig freies Lecithin vorkommt und daß fast alles Lecithin an 
den Körperchen gebunden ist. 

Die Untersuchung der Waschflüssigkeit zeigte auch hier, 
daß beim Auswaschen aus den Körperchen eine beträchtliche 
Menge hämolytischer Komplex ausgespült wird, und daß eben- 
falls eine Menge Lecithin aus den Körperchen tritt. 

0,4 ccm Menschenblut wurde in NaCl 0,7%, usw. ausgewaschen; die 
Waschflüssigkeit im Vakuum eingetrocknet, der Rückstand mit Alkohol 
extrahiert und das Alkoholextrakt abdestilliert; der Trockenrest wurde 
wieder in NaCl 0,7% usw. emulgiert. Diese Lösung hatte eine so stark 
hämolytische Wirkung, daß Körperchen, die 1 Stunde in dieser isoto- 
nischen Lösung auf 37° gestellt worden waren, fast völlig hämolysiert 
waren. Das Alkoholextrakt der Waschflüssigkeit zeigte dabei eine starke 
Lecithinreaktion. 

Beim Menschenblut müssen wir also zu folgenden Schlüssen 
kommen: 

Die Waschflüssigkeit von Menschenblut enthält 
einen hämolytischen Komplex; sie zeigt auch eine 
starke Lecithinreaktion. Das Extrakt menschlicher 
Körperchen enthält Lecithin und wirkt hämolytisch; 
der Extrakt von Menschenserum enthält sehr wenig 
Lecithin und wirkt fast nicht hämolytisch. Menschen- 


x 


42 R. Brinkman und E. van Dam: 


serum, das nicht konzentriert worden ist, hat keinen 
merkbaren resistenzerniedrigenden Einfluß. 


Der genannte Unterschied von Menschen- und Kaninchen- 
blut ist hiermit erklärt: 

Beim Kaninchenblut werden durch das Auswaschen hämo- 
lytische Komplexe aus den Körperchen entfernt und ihre Re- 
sistenz wird dadurch größer; bringen wir nun diese resistenten 
Körperchen in Serum, das ja auch noch hämolytische Stoffe 
enthält, so nehmen sie diese Substanzen wieder auf und die 
Resistenz wird kleiner. “ 

Beim Menschenblut verlieren die Körperchen ebenfalls ihre 
hämolytischen Komplexe und werden resistenter durch das 
Waschen. Im Menschenserum ist aber kein freier hämolytischer 
Komplex mehr vorhanden, der wieder absorbiert werden kann, 
und so kann sich hier die Resistenz der im Serum zurück- 
gebrachten Körperchen nicht wieder verringern. 

Übereinstimmend mit dieser Auffassung zeigte auch Cal- 
mette!) mit seiner Kobragift-Methode, daB Menschenserum kein 
freies Lecithin enthält. 


6. Die in Nr. 1—5 mitgeteilten Versuche zeigen mit Sicher- 
heit, daßdas Blut einen normalen resistenzerniedrigenden Komplex 
enthält, der in physiologisch äquilibrierter Salzlösung ganz oder 
teilweise ausgespült wird. | 

Die Intensitäten der hämolytischen Wirkungen von Serum 
oder Waschflüssigkeit gehen parallel mit ihren Leeithinkon- 
zentrationen. Besonders beweisend sind in dieser Hinsicht die 
Versuche zur Vergleichung von Menschen- und Kaninchenblut 
(vgl. sub 5). 

Wir können also mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, 
daß die Resistenzzunahme der Körperchen durch Ausspülen von 
Leeithin aus der Körperoberfläche entsteht. Wir wollen nicht 
behaupten, daß das Lecithin die einzige Komponente des hämo- 
lytischen Komplexes darstellt, aber jedenfalls war die Intensität 
der normalen resistenzerniedrigenden Wirkung von der Lecithin- 
konzentration abhängig. 


1) Calmette, Les venins, les animaux vénimeux et la sérothérapie. 
Masson, Paris 1909. 


Phosphatide und Sterine. I. | 43 


Es war also für unsere Untersuchungen von großer Wichtig- 
keit, die Eigenschaften der Lecithinhämolyse näher kennenzu- 
lernen, da wir dadurch zu gleicher Zeit die normale hämolytische 
Funktion des Serums studieren konnten. 

Die folgenden Versuche haben einige der wichtigsten Tat- 
sachen festgestellt. 


Eine Lecithinemulsion wurde aus Mercks Lecithin puriss. ex ovo 
bereitet. Wir sind uns bewußt, daß dieses „Lecithin“ kein reines Produkt 
ist und nicht mit dem Blutphosphatid identisch zu sein braucht Ein besseres 
Präparat konnten wir aber nicht bekommen, und die Resultate mit diesem 
Produkt können uns doch ein Bild des Phosphatideinflusses geben. Von 
diesem Lecithin wurde eine Emulsion in NaCl 0, 280% usw. bereitet, welche 
50 mg pro 10 ccm enthielt. 0,005 ccm dieser Emulsion genügt, um resistente 
gewaschene Körperchen, die in NaCl 0, 30% usw. noch keine Spur von 
Hamolyse zeigen, innerhalb einer halben Stunde і in NaCl 0,30% usw. kom- 
plett zu hämolysieren. 

Die Intensität der Resistenzerniedrigung ist proportional der Lecithin- 
konzentration, wie aus untenstehenden Versuchen mit Menschenblut her- 
vorgeht. 

0,02 ccm Blut, direkt in NaCl 0, 32% gebracht, zeigt starke Hämölyse 
(800%); wenn diese Körperchen zweimal in NaCl 0, 7% usw. gewaschen wer- 
den, ist nachher in NaCl 0, 30% usw. noch keine Hämolyse zu sehen. / 

Fügt man aber zu 2 ccm der in NaCl 0,7%, usw. suspendierten gewa- 
schenen Körperchen 0,02 ccm der obengenannten Lecithinemulsion, dann 
zeigen diese Körperchen, wenn sie nach 5 Minuten untersucht werden, bei 
NaCl 0,32%, eine Hämolyse von 30—40%; nach viertelstündigem Verweilen 
in dem lecithinhaltigen NaCl 0,7 % usw. ist die Resistenzerniedrigung viel 
größer geworden, und wenn die Körperchen eine halbe Stunde in der Lecithin- 
lösung bleiben, kommt es in NaCl 0,32% usw. zur kompletten Hämolyse. 

Wenn zu der Körperchensuspension 0,01 ccm der Lecithinemulsion 
statt 0,02ccm gefügt wird, sehen wir dieselben Erscheinungen; allein ist 
die Resistenzerniedrigung nicht so stark und führt erst in längerer Zeit 
zur kompletten Hämolyse in NaCl 0,32% usw. Werden nun 0,002 ccm der 
Lecithinemulsion genommen, so wird die Hämolyse in NaCl 0,32%, ebenso 
stark, wie wenn das Blut direkt zu dieser Lösung gefügt worden war, also 
80%. Längeres Verweilen in der isotonischen Lösung, die 0,002 ccm Emul- 
sion auf 2ccm Lösung, also 0,0005% Lecithin enthält, nat keinen weiteren 
erniedrigenden Einfluß auf die Resistenz mehr. 


Wir können diese Ergebnisse also folgenderweise zusammen- 
fassen: 

Durch Hinzufügen einer sehr geringen Lecithinmenge zu der 
isotonischen äquilibrierten Salzlösung bewirkt man, daß die 
Resistenz der Körperchen in dieser Lösung nicht mehr zunimmt, 
sondern abnimmt. Die Intensität dieser hämolytischen Wirkung 


44 R. Brinkman und E. van Dam: 


ist von der Einwirkungszeit und von der Lecithinkonzentration 
abhängig. 0,0005% Lecithin bewirkt, daß die Hämolyse ungefähr 
ebenso stark wird wie bei direkter Zufügung des Blutes zu der 
hypotonischen Lösung. 

Durch diese Versuche ist es noch deutlicher geworden, daß 
die normale resistenzerniedrigende Wirkung deg Serums eine 
Lecithinwirkung ist. Einerseits zeigten wir sowohl beim Serum 
wie bei der reinen Lecithinemulsion, daß die Stärke der hämo- 
lytischen Wirkung immer der Lecithinkonzentration proportional 
ist, andererseits haben wir jetzt gefunden, daB eine sehr geringe 
Menge Lecithin (ex ovo) dieselbe Resistenzerniedrigung gibt wie 
das Serum. 


7. Wir müssen noch eine interessante Eigenschaft der Leci- 
thinhämolyse angeben, die wir noch nicht näher untersucht 
haben, aber die uns wichtig genug zu sein scheint, um sie schon | 
jetzt zu vermelden. Bei den oben beschriebenen Versuchen stu- 
dierten wir nämlich immer den Lecithineinfluß in isotonischen 
Salzlösungen und fanden eine Resistenzerniedrigung. Emulgiert 
man aber das Lecithin in hypotonischer Salzlösung, so verringert 
das Phosphatid nicht die Resistenz, sondern erhöht sie sogar ein 
wenig. Für die hämolytische Wirkung des Lecithins ist also 
bestimmt eine isotonische Ionenkonzentration notwendig. 
Folgende Versuche geben eine Ubersicht dieser Verhältnisse: 


0,02 cem Menschenblut in 2 cem NaCl 0, 7% usw., dann in 2 cem NaCl | 


0 I0 URW. узж. ж Ж éier зе уа Бы шуш жа Hämolyse 40% 
0,02 cem Menschenblut in 2 cem NaCl 0,7% usw., dann in 2ccm NaCl 
0,30%, usw. + 0,01 ccm Lecithinemulsion . . . . . keine Hämolyse 


0,02 ccm Menschenblut in 2 cem NaCl 0,70%, usw. + 0,01 cem Lecithin- 
emulsion, dann in 2 ccm NaCl 0,30% usw. + O, Ol cem Lecithinemulsion 


Hämolyse 50% 
0,02 ccm Menschenblut in 2ccm NaCl 0,7% usw. + 0,01 cem Lecithin- 
emulsion, dann in NaCl 0,30% usw. . . . . komplette Hämolyse 


Man wird sich noch denken können, daß nicht die Isotonie, 
sondern die Koincidenz von Serum und Lecithin das für die 
Hämolyse bestimmende Moment sei. Man kann aber das Serum 
erst völlig auswaschen und danach doch eine ebenso intensive 
Lecithinwirkung in isotonischer Lösung beobachten. Folgende 
Versuche geben ein Beispiel: 


Phosphatide und Sterine. I. 45 


0,02 ccm Menschenblut in 2ccm NaCl 0,7%, usw., abzentrifugieren und 
wieder in NaCl 0,7%, usw.; dasselbe noch einmal und dann in NaCl 


0,30% usw. .... 2s ee ee e Hämolyse 20% 
Derselbe Versuch, aber jetzt zu der NaCl 0,30%, usw. 0,005 cm Lecithin- 
emulsion gefügt keine Hämolyse 


Derselbe Versuch, aber jetzt nach 3 maligem Auswaschen die Körperchen 
in 2 cem NaCl 0,7% usw. + 0,005 cem Lecithinemulsion suspendiert, 
während 5 Minuten; jetzt kommt in NaCl 0, 30% usw. Hamolyse 90% 

Man kann auch fiir den ganzen Versuch eine und dieselbe Portion 
Körperchen verwenden: 

0,02 ccm Blut in NaCl 0,7% usw.; 2 mal mit NaCl 0,7% usw. aus- 
waschen und dann in NaCl 0,28%, usw. — keine Hämolyse; dann in NaCl 
0,28%, usw. + 0,01 ccm Lecithinemulsion — keine Hämolyse. Dann in 
NaCl 0,7% + 0,01 cem Lecithipemulsion und dann 80% Hämolyse in 
NaCl 0,28%, usw. 


Es findet sich also, daß nicht die Koincidenz von Serum und 
Lecithin für die Hämolyse bestimmend ist, sondern nur die An- 
wesenheit einer isotonischen Salzlösung. 

Endlich haben wir auch zeigen können, daß die 
beschriebene Lecithinwirkung durch kleine Konzen- 
‚trationen Cholesterin absolut aufgehoben wird. Wir 
werden in der dritten Mitteilung weiteres über diesen 
interessanten Antagonismus angeben können. 


8. Bei Gelegenheit anderer Untersuchungen hatten wir be- 
merkt, daß Blutkörperchen des Kaninchens nach einmaligem 
Auswaschen mit isotonischer Rohrzuckerlésung eine erhebliche 
Resistenzabnahme erlitten und sogar in isotonischer Rohrzucker- 
lösung hämolysierten. Wir haben deshalb auf die oben ange- 
gebene Weise den Einfluß des Auswaschens in Rohrzucker auf die 
Körperchen untersucht. 


Kaninchenblut wurde in Rohrzuckerlösung 8% gewaschen; die Wasch- 
flüssigkeit in vacuo eingedampft und der Rückstand mit Alkohol extrahiert; 
das Extrakt gibt keine Lecithinreaktion und eine schwache Cholesterin- 
reaktion. 

Ein in dieser Weise angefertigter Alkoholextrakt der Rohrzucker- 
waschflüssigkeit wurde wieder eingedampft und der Trockenrest wieder in 
Rohrzuckerlösung aufgenommen. In diese Lösung wurden jetzt Blut- 
körperchen gebracht, die einmal in isotonischer Rohrzuckerlösung ge- 
waschen waren; nach einer Stunde auf 37° war keine Hämolyse aufgetreten. 

In einem Kontrollröhrchen, worin einmal mit Rohrzucker gewaschene 
Körperchen wieder in frische isotonische Rohrzuckerlösung gebracht wurden, 
war nach einer Stunde auf 37° 70% Hämolyse aufgetreten. 


46 R. Brinkman und E. van Dam: 


0,1 cem Menschenblut wurde in 5 cem Rohrzuckerlösung 8% ge- 
waschen; die eingedampfte Rohrzuckerlösung, mit Alkohol extrahiert, gab 
eine schwache Cholesterinreaktion und keine Lecithinreaktion. Dieselben 
in isotonischer Rohrzucker gewaschenen Körperchen wurden jetzt in NaCl 
0,7% usw. suspendiert und nach 5 Minuten abzentrifugiert. Die Salz- 
lösung enthielt jetzt viel Lecithin und hatte eine erhebliche resistenz - 


erniedrigende Wirkung. 

Aus diesen Versuchen gehen die folgenden Resultate hervor: 

In isotonischer Rohrzuckerlösung wird das Lecithin nicht 
ausgespült, wohl wird Cholesterin ausgewaschen. 

Durch diese Ergebnisse ist es deutlich geworden, weshalb 
das einmal in Rohrzucker gewaschene Kaninchenblut in der 
isotonischen Rohrzuckerlösung hämolysieren kann. Das Lecithin 
wird ja nicht ausgespült, aber wohl der funktionelle Antagonist 
Cholesterin; dadurch verschwindet die normale Hemmung der 
Lecithinfunktion. 

Man wird einsehen, daß diese Ergebnisse für die experimen- 
telle Hämolyseforschung nicht ohne Interesse sind; wir wissen 
jetzt, daß die Körperchen in Salzlösung sich ganz anders ver- 
halten wie in Zuckerlösungen. Auf die Bedeutung dieser Tat- 
sachen für die serologische Forschung werden wir später zurück- 
kommen. 


Fassen wir jetzt noch einmal die in 1—9 gewonnenen Resultate 
kurz zusammen, so können wir das in folgenden Sätzen schreiben: 


1. Die osmotische Resistenz der Blutkörperchen 
wird durch Waschen in physiologisch äquilibrierter 
Salzlösung erhöht. 

2. Die Ursache dieser Resistenzerhöhung ist das 
Auswaschen von Lecithin aus den Körperchen. 
| 3. Das Lecithin hat einen resistenzerniedrigenden 

EinfluB auf die Kérperchen, aber nur in isotonischer 
Salzlösung; es wird vom Cholesterin antagonistisch 
beeinflußt. 

4. Inisotonischer Rohrzuckerlösung wird dasLeci- 
thin nicht ausgespült. ' 

Diese Resultate können in mehreren Weisen praktisch 
physiologisch und serologisch verwendet werden. Wir werden in 
dieser Mitteilung nicht detailliert darauf eingehen und nur einige 
allgemeine Verwendungen besprechen. 


Phosphatide und Sterine. I. 47 


In erster Linie haben wir auf diesen Ergebnissen eine Blut- 
untersuchungsmethode fundiert, die eine tiefergehende Analyse 
des roten Blutbildes zu geben vermag als die bisherigen Me- 
thoden. 

Bei der rationellen Bestimmung der osmotischen Resistenz- 
kurve!) können wir auf 2 Weisen vorgehen. Wir können das Blut 
direkt zu den hypotonischen Lösungen fügen, wir können aber 
auch die Körperchen erst bis zur maximalen Resistenz auswa- 
schen und dann die Resistenzkurve bestimmen. Mit diesen beiden 
Methoden untersucht man zwei prinzipiell ganz verschiedene Zu- 
stände der Körperchen, wie wir in folgender Überlegung zeigen 
werden. 

In welcher Weise man sich die Struktur der Körperchen 
auch zu denken hat, man wird zugeben müssen, daß die Körper- 
chenoberfläche eine lokale” Konzentration von capillar-aktiven 
Substanzen darstellen muß, welche in den Körperchen und im 
Suspensionsmedium gelöst sind. Wird das Adsorptionsgleich- 
gewicht zerstört durch wiederholtes Auswaschen in Salzlösung, 
so wird das capillar-aktive Lecithin (und Cholesterin ?), welches 
die Körperchen aus dem lecithinhaltigen Plasma adsorbiert hat- 
ten, wieder ausgespült. Und da das Lecithin eine beträchtliche 
resistenzerniedrigende Wirkung hat, so erhöht sich dadurch die 
Resistenz. 

Wenn wir aber die Körperchen direkt in die hypotonische 
Lösung bringen, so tritt die Hämolyse so schnell auf, daB nur 
sehr wenig Lecithin ausgespült sein kann. Wir untersuchen also 
in diesem Falle Körperchen unter dem Einfluß ihres betreffenden 
Plasmas. 

Wenn wir aber die osmotische Resistenzkurve von Körper- 
chen bestimmen, die bis zur maximalen Resistenz gewaschen 
sind, dann untersuchen wir Zellen, welche von ihrem Plasma- 
Lecithin so gut wie möglich befreit worden sind, welche also 
dichter bei den Zellen stehen, welche noch nicht im Plasma auf- 
genommen sind. Es ist gewissermaßen, als ob wir in hämoly- 
tischer Hinsicht durch die erste Methode Plasmablutkörperchen, 
durch die zweite Knochenmarkkörperchen untersuchen. Wir 
wollen dann auch die Kurve im Blut, welches direkt zur hypo- 
tonischen Lösung hinzugefügt worden ist, die sekundäre, und 

1).Brinkman, diese Zeitschr. 108, 66. 1920. 


48 R. Brinkman und E. van Dam: 


die Kurve der gewaschenen Körperchen die primäre Resistenz- 
kurve nennen. | 

Die hier entwickelte Anschauung wird erheblich gestützt 
durch die Tatsache, daß die essentiell primäre Blutänderung, 
die Regeneration der Körperchen, nur in der primären Kurve 
deutlich anzutreffen ist. Wir werden die diesbetreffenden Ver- 
suche in einer demnächst in dieser Zeitschrift erscheinenden Mit- 
teilung veröffentlichen. 

Die sekundären Blutkörperchenänderungen, wie wir sie z. B. 
durch Blutgifte und abnorme Ernährung erzeugen können, sind 
in erster Linie nur in der sekundären Kurve zu sehen; nur wenn 
diese Einflüsse zur erhöhten Regeneration oder zur Hemmung 
der Regeneration Anlaß geben, erfolgt eine Änderung der pri- 
mären Kurve. 

Durch diese Methode hoffen wir eine rationelle Analyse der 
primären und sekundären Blutänderungen geben zu können. 


Mit Sicherheit ist aus unseren bisherigen Versuchen der 
hämolytische Einfluß des Plasmalecithins auf die Körperchen 
hervorgegangen. Dieser Einfluß ist normalerweise nicht so stark, 
daß er zur Hämolyse führt, aber eine erhebliche Resistenz- 
abnahme kann immer gefunden werden. Zwischen Hämolyse 
und Resistenzabnahme ist der Unterschied nur graduell; die 
Wirkung eines hämolytischen Agens kann in kleineren Konzen- 
trationen schon durch Resistenzerniedrigung aufgedeckt werden. 
So zeigt z. B. Frieda Ottiker!), daß Verankerung eines Hämo- 
lysins an die Körperchen in einer Menge, die an sich noch keine 
Hämolyse bewirkt, an der Herabsetzung der osmotischen Resis- 
tenz zu erkennen ist, und daß dies auch für die im Körper vor- 
kommenden, Autolyse bewirkenden Substanzen gilt. Auch in der 
Serologie der Hämolyse findet man sehr viele Tatsachen, die 
auf die Bedeutung des Lecithins für die normale und pathologische 
Hämolyse hinweisen. 

Grundlegend sind die bekannten Landsteinerschen Ver- 
suche mit Kieselsäure und Lecithin?). Die hämolytische Wirkung 
der Kieselsäure kann nur beträchtlichen Effekt haben, wenn 
durch Lecithin die Kieselsäure zu einem Lecithin-Organosol wird 

1) Ottiker, Inaug.-Diss. Zürich 1914. | 

2) Landsteiner und Hagie, Wien. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 3. 


Phosphatide und Sterine. I. 49 


und in diesem Zustand mit den Körperchenkolloiden reagieren 
kann. 

Auch das hämolytische Kobragift bedarf bekanntlich 
Lecithin zu seiner Wirkung, wie in einer großen Reihe von Unter- 
suchungen festgestellt worden ist; zur Erklärung hat man die 
Existenz von Kobragiftlecithiden, also von chemischen Ein- 
flüssen zu beweisen gesucht; es bleibt aber eine Frage, ob auch 
hier nicht die kolloidchemische Erklärung wie bei der Kieselsäure- 
hämolyse genügen wird!). 

Für die hämolytische Wirkung des Saponins ist die große 
Bedeutung des Lecithins ebenfalls dargestellt; die Widerstands- 
fähigkeit der Körperchen gegen Saponin nimmt zu mit dem 
Quotient Cholesterin: Lecithin?), die Membrane von Pascucci 
wurden am leichtesten von Saponin angegriffen, wenn sie viel 
Lecithin und wenig Cholesterin enthielten“). 

Auch für die parasitären Hämolysine (Skorpiongift, Bienen- 
gift, Würmergift) ist ein stark aktivierender Einfluß des Leci- 
thins bekannt. 

Man sieht also, daß das Lecithin auch bei der serologischen 
Hämolyse eine sehr wichtige Rolle spielt. Es erinnert in seinem 
Verhalten durchaus an die natürliche komplementäre Funktion 
des Serums; zwar können wir nicht sagen, daß eine direkte 
Identität von Serumkomplement mit Lecithin besteht, aber beide 
Stoffe haben doch zuviel analoge Eigenschaften, als daß wir 
nicht eine innigere Beziehung zwischen ihnen annehmen müssen. 

Wir werden später ausführlicher auf diesen Gegenstand 
zurückkommen müssen, wollen aber hier noch einige Tatsachen 
mitteilen, die den Zusammenhang von „Lecithin und Komple- 
ment‘‘ noch näher charakterisieren. 

Seit den Untersuchungen von Buchner, Ferrata, Sachs 
und Teruchi, Brand, Hecker usw.“) ist es bekannt, daß das 
Komplement in salzfreier isotonischer Lösung nicht imstande ist, 
hämolytische Amboceptoren zu aktivieren. In Übereinstimmung 
hiermit fanden wir die hämolytische Lecithinwirkung nur in 
isotonischer Salzlösung; in hypotonischer Lösung erfolgt sogar 


1) Siehe bei Landsteiner im Handbuch der Biochemie II, 1, 395. 
2) К. Meyer, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 11, 357. 1908. 
з) Pascucci, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 8, 552. 1905. 

4) Siehe bei Landsteiner, 1. с. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 4 


50 R. Brinkman und E. van Dam: 


eine Hemmung der Hämolyse, wie sie auch beim Komplement 
unter besonderen Umständen beobachtet worden ist. Die ge- 
nannte Erscheinung der Komplementinaktivierung ist noch viel 
eingehender analysiert worden und hat zu der Spaltung des 
Komplementes in Mittelstück (Globulinfraktion) und Endstück 
(Albuminfraktion) geleitet. | 

In einer ausführlichen Arbeit hat nun Guggenheimer?) 
festgestellt, daß Körperchen, welche in Rohrzuckerlösung ge- 
waschen sind, schon mit dem Mittelstück beladen und dadurch 
persensibilisiert sind, d.h. durch Endstück und Amboceptor 
hämolysieren. 

Andererseits haben wir (sub N. 8) gefunden, daB Körper- 
chen, welche in Rohrzuckerlösung gewaschen werden, ihre Leci- 
thinhülle behalten und nicht, wie bei der Auswaschung in Salz- 
lösung, verlieren. 

Aus dieser Vergleichung erhellt also ein weitgehender Par- 
allelismus vom Kömplementmittelstück und Lecithin, welchen 
wir noch durch die chemische Untersuchung von Globulin- 
und Alhuminfraktion des dialysierten Serums vervollständigen 
miissen. | 

Auch bei der Kobragifthämolyse ist es bekannt, daß nur 
in Rohrzuckerlösung keine Lecithinaktivierung mehr notwendig 
ist. Bang?) hat aus diesem differenten Verhalten der Kobra- 
gifthämolyse in Salzlösung und in Zuckerlösung eine Reihe von 
Annahmen gemacht; wir wissen jetzt aber, daB die Körper- 
chen in Zuckerlösung noch ihre Lecithinhülle besitzen, und 
daß das Kobragift also auch hier von Lecithin aktiviert werden 
kann. | 

Wenn wir aus allen diesen Tatsachen den Zusammenhang 
zwischen Lecithin und Serumkomplement ersehen, so ist es auch 
nicht gewagt, den von uns gefundenen normalen Lecithineinfluß 
dem natürlichen Autolysineinflusse parallel zu setzen. Ob das 
natürlich autolytische Komplex einzig und allein aus Lecithin 
besteht, oder daß Lecithin nur wie eine Art Mittelstückkomple- 
ment wirkt, bleibt noch eine offene Frage. Jedenfalls wissen wir, 
daß auch für die natürliche Hämolyse das Lecithin eine wichtige 
Rolle spielt. 


1) Guggenheimer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. 8, 295. 1911. 
2) S. Bang, Ergebn. physiol. 8, 463. 1909. 


a 


Phosphatide und Sterine. I. 51 


Zusammenfassung. 


Es wurde nachgewiesen, daB die von uns beobachtete Re- 
sistenzerhéhung roter Blutkörperchen durch Waschen mit physio- 
logisch äquilibrierter Salzlösung seine Ursache in dem Ausspülen 
von Lecithin aus der Körperchenoberfläche findet. 

Das Lecithin des normalen Plasmas ist also an der Körper- 
chenoberfläche adsorbiert und erniedrigt physiologischerweise 
die Resistenz; es wird dabei von Cholesterin antagonistisch be- 
einflußt. 

Ausgehend von diesen Tatsachen wurde eine Methode zur 
Resistenzbestimmung angegeben, welche gestattet, die Körper- 
chen in zweierlei Weise zu untersuchen, nämlich unter dem 
Einfluß ihres Plasmas und nativ, wie sie vom Knochenmarke 
kommen. 

Es wurde weiter auf die Analogie der Eigenschaften des 
Plasmalecithins und des normalen Komplementes hingewiesen 
und neue Beziehungen zwischen dem Phosphatid und dem Mittel- 
stück des Komplementes festgestellt. 


4* 


Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. П. 


Von 
R. Brinkman und Frl. E. van Dam. 


(Ausdem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.) 


(Eingegangen am 11. Mai 1920.) 


Die Bedeutung des Cholesterins für die physikalisch-chemischen 
Eigenschaften der Zelloberfläche. 


In seinem ,,Osmotischen Druck und Ionenlehre!)“‘ wird von 
Hamburger die Aufmerksamkeit auf die von ihm und später 
auch von anderen beobachtete Tatsache gelenkt, daß die bikonkave 
oder Glockenform der normalen Erythrocyten in anderen Flüssig- 
keiten als im Plasma der Kugelform zustrebt. Er sagt nämlich: 
„In welche Lösungen man die Blutkörperchen auch bringt, 
es mögen isotonische, hyperisotonische oder hypisotonische Salz- 
oder Zuckerlösungen sein, es mögen mit Wasser verdünntes Serum, 
normale oder pathologische Lymphe sein, stets verlieren die roten 
Blutzellen die bikonkave Gestalt und erfahren eine Verkleinerung 
des größeren Durchmessers. Bleibend sind diese Veränderungen 
nicht, denn wenn man die Blutkörperchen wieder in ihr eigenes 
Serum zurückbringt, so bekommen sie auch wieder ihre bikonkave 
Gestalt.. Und weiter: „Vielleicht handelt es sich hier um eine 
Veränderung der Oberflächenspannung, die sich bei jeder Ver- 
änderung der chemischen Zusammensetzung des Mediums ent- 
sprechend modifizieren muß.“ 

Unseres Wissens ist eine Erklärung der von Hamburger 
beschriebenen Erscheinung nicht gegeben worden. Das Ziel 
folgender Versuche ist in erster Linie eine Analyse dieses Phänomens 
und eine Erklärung der Formänderung. Zu gleicher Zeit können 
wir in diesen Versuchen einen Beitrag zu den Studien zur Bio- 
chemie der Phosphatide und Sterine erblicken. 


1) Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre I, S. 199—200; 
Arch. f. а. ges. Physiol. 141, 230. 1895. 


R. Brinkman und Е. van Dam: Phosphatide und Sterne П. 53 


I. Das Verhalten der Кӧгрегеһеп in reiner NaCl-Lösung und in 
physiologisch equilibrierter Salzlösung. 


| Für die folgenden Versuche benutzten wir immer das Blut 

des Kaninchens. Mit Körperchen meinen wir also die Körperchen 
des Kaninchens. In späteren Versuchen haben wir gesehen, daß 
mit den Körperchen des Menschen dieselben Resultate gewonnen 
werden. 

Fügt man 0,02 ccm Blut zu 2 ccm einer 0,9proz. NaCl- 
Lösung, welche mittels einer Spur NaHCO, neutralisiert worden 
ist, und bringt man ein wenig dieser Suspension in die sorgfältig 
gereinigten und getrockneten Zählkammer eines Thoma-Zeiss- 
Apparates, legt ein Deckgläschen auf und untersucht sofort, 
dann sieht man folgendes. | 

Die im Anfang bikonkaven Körperchen nehmen fast unmittel- 
bar eine unregelmäßige Rosetten- oder Sternform an und werden 
kleiner. Wartet man, bis die Körperchen auf den Boden gesunken 
sind, so sieht man, daß sie noch etwas mehr kugelförmig geworden 
sind, mit zahllosen kleinen Spitzen. Weitere Formänderung crlei- 
den sie in dieser Lösung nicht; das Endstadium ist. also die so- 
genannte „Stechapfelform“. 

Eine reine Kugelform sieht man aus dieser Stechapfelform 
entstehen, wenn man die Körperchen in eine mehr physiologische 
Salzlösung suspendiert. Dafür benutzten wir die bereits früher 
von uns beschriebene physiologisch equilibrierte Salzlösung: 
NaCl 0,7%, NaHCO, 0,18%, KCl 0,02%, CaCl,- 6 aq 0,02%, 
[Н] = 0, 45. 10-7 und [Саг] = + 30 mgr pro Liter!). In dieser 
Suspensionslösung zeigen die Körperchen in der trocken geriebenen 
Zählkammer die folgenden Formänderungen: In dem Augenblick, 
da sie in die Zählkammer gebracht werden, sind sie noch bi- 
konkav; sofort werden sie dann unregelmäßig, rosettenförmig; 
dann bekommen sie die Stechapfelform, sehließlich werden sie 
kugelförmig mit sehr feinen Ausläufern, um in Kügelchen zu en- 
den. Die ganze Formänderung währt nur 1—2 Minuten, nur das 
Verschwinden der letzten Spitzchen auf den Kügelchen dauert 
etwas länger. 


1) R. Brinkman, Einige Bemerkungen über die Bedeutung des 
Blutkalks. Diese Zeitschr. 95, 101. 1919. 


54 R. Brinkman und E. van Dam: 


П. Die Ursache des Entstehens der Kugelform. 


Wir hatten also gesehen, daB die Kugelform nicht in der Salz- 
lösung entstand, sondern erst wenn die Suspension in die Zähl- 
kammer gebracht wurde. Die Formänderung kann also erst 
hier ihre Ursache finden. Weiter ersahen wir, daß die Kugelform 
nicht unmittelbar aus der bikonkaven Form entstand, sondern 
über Rosetten- und Stechapfelform. Der ganze Verlauf erinnert 
direkt an die von Rollett beschriebene Formänderung, wenn das 
Blut von Funken aus einer Leidener Flasche getroffen wurde; 
hier entstanden vor der finalen Hämolyse genau dieselben Formen. 

Die Versuche von Rollett!) führten uns zu der Annahme, 
ob auch nicht in unserem Fall die Entstehung der Kugelform 
abhängig sein würde von einer elektrischen Ladung 
der Körperchen. Wir wußten bereits, daß die Kugelform erst 
auf dem Objektträger entstand, und es war doch sehr wohl mög- 
lich, daß dieser Objektträger geladen war, weil er immer mit 
einem Stückchen Leinwand trocken gerieben wurde. 

Unsere Annahme erwies sich als richtig. Wenn wir Objekt- 
träger und Deckgläschen sorgfältig in der Flamme entladen 
hatten, sahen wir sowohl in NaCl-Lésung wie in physiologisch- 
equilibrierter Salzlösung nur die normale bikonkave Form. Die 
Ursache des Entstehens der Kugelform ist also der Einfluß einer 
elektrischen Ladung auf die Körperchen. 

Im Serum behalten die Körperchen ihre normale Form, 
auch wenn der Objektträger geladen ist. Hier muß man eine sehr 
große Ladung einer Leidener Flasche anwenden, um die Blut- 
Kkörperchen kugelförmig zu machen; von der geringen Ladung 
eines Objektträgers spüren wir keinen Einfluß. 


Ш. Eine genauere Analyse deg Einflusses einer geringen elektri- 
schen Ladung auf Blutkörperchen in Serum und in Salzlösung. 


Bringt man in der Zählkammer eines geriebenen Tho ma- 
Zeiss - Apparates eine Salzlösung, so wird diese geladen werden; 
schweben Blutkörperchen in dieser Salzlösung, so haben wir den 
Fall, daß sich kleine Körperchen im Innern eines geladenen Lei- 
ters befinden. Im Innern dieses Leiters kann kein elektrisches 
Feld bestehen; solange also die Körperchen nicht mit der Ober- 


1) Rollett, Sitzungsber. d. Kais. Akad. d. Wissensch. 46. 1862. 


Phosphatide und Sterine. II. 55 


fläche der Lösung in Berührung sind, werden sie nicht geladen wer- 
den können. Erst wenn sie auf dem Boden der Zählkammer ge- 
sunken sind, können die Körperchen geladen werden. 

Stellt man sich nun das Körperchen als einen kleinen bikon- 
kaven Leiter vor, dann ist es unseres Einsehens nach wohl deut- 
lich, daß eine elektrostatische Ladung dieser elastischen Körper- 
chen zu der Kugelform führen wird. An den stark gekriimmten 
Rändern des Körperchens wird die Ladungsdichte viel größer 
sein als in der Mitte des Scheibchens; an den Rändern werden 
also viel stärkere elektrische Kräfte herrschen, welche durch ihre 
anziehende Wirkung auf die Moleküle der Stoffe das elastische 
Körperchen umformen werden, bis die Krümmung überall gleich 
groB geworden ist, d. h. bis die Kugelform erreicht ist. 

In diesem Gedankengang ist aber vorausgesetzt, daB der 
leitende Blutkörpercheninhalt in einer leitenden Verbindung mit 
der Flüssigkeitsoberfläche steht, und dies ist im Plasma (Serum) 
nicht der Fall. Wissen wir doch, daß Körperchen im Serum den 
Strom fast nicht leiten, weil normalerweise in der Zellmembran 
nur sehr wenig Ionenbewegung unter diesen Umständen möglich ist. 
Im Serum wird das Körperchen immer noch von einer isolierenden 
Zellmembran von der Ladungsoberfläche getrennt sein, und es 
wird also nicht geladen werden können. Hierin muß der Grund 
gelegen sein, weshalb Körperchen in Serum ihre normale Form 
bewahren, wenn sie mit einer geladenen Oberfläche in Berührung 
kommen; nur kräftige Entladungen können die Isolation über- 
winden, wie auch eine starke Entladung eine Glasplatte durch- 
bohren kann. 

In Salzlösungen ist der Zustand aber anders. In der ersten 
Mitteilung dieser Serie!) zeigten wir, daß die Blutkörperchen in 
Salzlösungen ihre Kondensationsmembrane größtenteils ver- 
lieren, weil Lecithin und Cholesterin aus der Blutkörperchen- 
oberfläche gehen und in der Salzlösung aufzufinden sind, dies 
infolge einer Störung des Adsorptionsgleichgewichts. Durch 
diese Emulgierung der Zelloberfläche entsteht eine Permeabili- 
täts- und Resistenzänderung, und dies ist auch die Erklärung 
der Tatsache, daß in Salzlösungen die normale Isolation der Blut- 
körperchen verschwunden ist, weil ja die isolierenden Stoffe nicht 
mehr an der Oberfläche kondensiert sind. In Salzlösung wird also 

1) Diese Zeitschr. 108, 35. 1920. 


56 R. Brinkman und E. van Dam: 


der gut leitende Blutkörpercheninhalt in einer leitenden Ver- 
bindung mit der Ladungsoberfläche stehen, mit andern Worten 
jetzt werden die Blutkörperchen geladen werden. 

Der Unterschied zwischen dem Zustand der Blutkörperchen 
im Serum und in physiologischer Salzlösung soll also der sein, daß 
im Serum die Körperchen von einer isolierenden Zellmembran um- 
geben sind (welche entstanden ist durch die Oberflächenkonden- 
sation isolierender Stoffe), während diese Membran in Salzlösungen 
ganz oder teilweise verschwunden ist. 


IV. Welche Substanz ist verantwortlich zu machen für die nor- 
male Isolation der Blutkörperchen? 


Wenn man untersuchen will, welche der konstituierenden 


Bestandteile der Zellmembran als isolierende Substanz würde 
dienen können, so kommen hauptsächlich Eiweißstoffe, Lecithin 
und Cholesterin in Betracht. Die Eiweißstoffe mit ihrem ausge- 
sprochenen Elektrolytcharakter können wir wohl ausschlie- 
Ben, und auch die Phosphatide haben noch eine größere Anzehl 
Elektrolyt-Eigenschaften als die Sterinen. Letztere sind prak- 
tisch ganz Anelektrolyt. Für einen stark isolierenden Stoff 
kommt also in erster Linie das Cholesterin in Betracht. 

Es fällt uns in der Tat leicht, zu zeigen, daß nur Cholesterin 
die normale Isolation der Körperchen aufrecht erhalten kann. 
Bringt man Blutkörperchen, die zweimal mit physiologischer 


Salzlösung gewaschen sind, in eine Salzlösung auf ein gerieben 


Objektglas, so nehmen sie sehr bald unter dem Einfluß der elek- 
trischen Ladung die Kugelform an. Bringt man diese Körper- 
chen aber in einen Tropfen Serum, so behauptet sich die bikonkave 
Form, wie schon oben erwähnt wurde. 

Aber auch wenn die Blutkörperchen in einer 0,1 proz. Chole- 
sterinsuspension in Salzlösung untersucht werden, ergibt es sich, daß 
die bikonkave Form behalten wird!). Wir müssen also annehmen, 


1) Die Suspension wurde in folgender Weise bereitet: 100 mg Cho- 
lesterin wurde in ungefähr 10 ccm Aceton gelöst und diese Lösung in einem 
Male zu einer physiologischen Salzlösung gefügt, worin 0,5%, reiner Serum- 
albumin (Merck) gelöst worden war. Die also erhaltene Suspension wurde 
von Aceton befreit durch das Durchleiten von Luft bei einer Temperatur 
von ungefähr 30°. Als der Acetongeruch ganz verschwunden war, wurde 
die Lösung zum ursprünglichen Volum mit destilliertem Wasser aufgefüllt; 


Phosphatide und Sterine. П. 57 


daß sich in dieser Suspension wieder eine isolierende Membran 
an der Blutkörperchenoberfläche kondensiert hat, wodurch die 
Blutkörperchen ungeladen bleiben. 

In einer O, I proz. Lecithinemulsion in Salzlösung oder in 
einer 0,5 proz. Serumalbuminlösung in Salzlösung findet gar keine 
Isolation der Blutkörperchen statt; sie verhalten sich einem 
elektrischen Einfluß gegenüber genau wie in einer reinen Salz- 
lösung. 

Die normale Isolation der Blutkörperchen im Plasma kann 
also nur das Cholesterin besorgen; ob die Cholesterinester auch ein 
isolierendes Vermögen haben, ist nicht von uns untersucht worden. 


V. Die Bedeutung des Cholesterins für die Zellenoberfläche. 


Die Tatsache, daß neben den Phosphatiden immer Choleste- 
rin in den tierischen Zellen und Flüssigkeiten vorkommt, weist 
auf eine allgemeine Bedeutung dieser Substanz hin. Es ist wohl 
eigentümlich, daß die physikalisch und chemisch doch so verschie- 
denen Gruppen der Phosphatide und Sterine im Organismus 
so konstant nebeneinander vorkommen, daß man sie unter einem 
allgemeinen Namen zusammenfa8te. Die Funktionen dieser 
Substanzen sind erst in der letzten Zeit etwas mehr bekannt ge- 
worden; man sucht ihre Bedeutung jetzt hauptsächlich in physi- 
kalisch- chemischer Richtung. 

Es ist deutlich geworden, daB diese Lipoide einen wichtigen 
Bestandteil der Zellenoberfläche bilden, und daß ihre physikalisch- 
chemischen Eigenschaften die Zellenpermeabilität stark beein- 
flussen. 

Für das stark capillär-aktive Lecithin ist diese Oberflächen- 
Kondensation nach dem Gibbs - Thonsenschen Prinzip!) sehr 
verständlich. Weil das Phosphatid die Oberflächenspannung 
Blutkörperchenplasma erniedrigt, so soll es an dieser Phasen- 
grenze kondensiert sein. Die Dispersitätsänderungen, die diese 
dünne Schicht unter dem Einfluß adsorbtiver und elektroche- 
mischer Kräfte erfahren kann, sind von fundamentaler Wichtig- 


dann wurde CO, durchgeleitet bis Н = 0, 45. 1077. Die in dieser Weise 
bereitete Suspension ist nicht lange haltbar; nach 24 Stunden oder schon 
früher ist fast alles Cholesterin niedergeschlagen. 

1) Berczeller, diese Zeitschr. 84, 59. 1917. 


58 R. Brinkman und E. van Dam: 


keit für die Zellpermeabilität!). Die kolloidchemischen Eigen- 
schaften des Lecithins werden also viele Permeabilitätserschei- 
nungen näher erklären können. 

Ganz verschieden ist der Zustand beim Cholesterin und im 
allgemeinen bei den Sterinen. Diese Substanzen haben wenig oder 
gar keinen Effekt auf die Oberflächenspannung des Wassers, 
ihre wässerige Lösung hat die Eigenschaften eines stark hydro- 
phoben Kolloides?). Loewe?) nennt die gelösten Sterine Semi- 
Kolloide, weil ihr Dispersitätsgrad von der Konzentration abhängig 
ist und sie wenig adsorptive Eigenschaften haben. Die Sterine 
können dann auch nur an der Zelloberfläche kondensiert sein, 
weil das Lecithin in starkem Maße als Schutzkolloid fungiert. 
Zu einer funktionellen Bedeutung des Cholesterins für die Zellen- 
oberfläche können wir aus seinen bis jetzt bekannten kolloid- 
chemischen Eigenschaften nicht schließen. 

Aus den oben erwähnten Versuchen können wir nun eine all- 
gemeine Funktion des Cholesterins der Zellmembran ableiten; 
das Cholesterin ist nämlich die Ursache der normalen Isolation 
der Blutkörperchen, also wahrscheinlich aller tierischen Zellen. 
Unsere Versuche beweisen dies sehr deutlich, denn während 
es bei vielen Fällen von Membranuntersuchung schließlich sehr 
schwer ist, einen Unterschied zu machen zwischen elektrischen 
und molekularen Kräften, können wir hier die molekularen 
Kräfte außer Betracht lassen, weil wir hier ausschließlich ein 
elektrostatisches Kraftfeld benutzten. 


Bei den modernen Permeabilitätsstudien drängen sich immer mehr 
die bioelektrischen Membranpotentialen in den Vordergrund“); speziell 
natürlich für die Ionenpermeabilität sollte man neben den osmotischen auch 
die elektroendosmotischen Erscheinungen) studieren. Für diese Ionen- 
bewegungen wird die Anwesenheit einer schlecht leitenden Schicht om die 
Zelle von großer Wichtigkeit sein, weil die Ionenbewegungen von dieser 
Schicht gehemmt werden müssen. 


1) Porges und Neubauer, diese Zeitschr. 7, 152 — Vernon, diese 
Zeitschr. 51, 1. 1913. 

2) Berczeller, l. e. — Porges und Neubauer, l. с. 

3) Loewe, diese Zeitschr. 42, 150—218; Kolloidzeitschr. 11, 179. 

4) Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. 

5) Perrin, Journ. de chim. physique 2, 601. — Höber, Physikalische 
Chemie der Zellen und Gewebe 1914, S. 234, 241, 568. — Loeb, Journ. 
chem. physiol. 1, 717. 


Phosphatide und Sterine П. 59 


Ohne nun weiter auf die Bedeutung und das Wesen dieser Isolation 
einzugehen, müssen wir nun doch schon feststellen, daß man aus Versuchen, 
wobei die dünne Cholesterinschicht um die Körperchen nicht mehr anwesend 

ist, keine Schlüsse betreffs der physiologischen Ionenpermea bilität ziehen 
darf. Wenn also die Blutkörperchen nicht in ihrem Serum, sondern in einer 
Salzlösung untersucht werden, wie es in den meisten Fällen geschah, so ist 
ihre Ionenpermesbilität abnorm geworden. 

Rohonyi?) z. B. schließt aus seinen zahlreichen Experimenten mit 
öfters in Salzlösung gewaschenen Blutkörperchen, daß die Kérperchenober- 
flache hauptsächlich aus Hämoglobin bestehen solle, und daß von einer 
differenzierten Membran gar nicht die Rede sein soll. Die Ionenaufnahme 
würde von demselben Typus sein wie die Elektrolytaufnahme von Suspen- 
soiden. е 

Es ist nun aber klar, daß diese und dergleichen Schluß- 
folgerungen nicht den physiologischen Zustand wiedergeben, 
weil durch das Waschen in Salzlösung die isolierende Blutkörper- 
chenoberfläche entfernt worden ist. 

Bei den neueren Untersuchungen Hamburgers?) mit Hilfe 
der Ultrafiltration sind die Blutkörperchen immer in ihrem 

eigenen Serum untersucht worden; die hier gefundenen Ionen- 
verschiebungen können also mit physiologisch vorkommenden 
analog sein. | | 

Im allgemeinen wird man bei Suspensionen von Zellen in 
Salzlösungen, oder bei Durchströmung von überlebenden Organen 
mit Salzlösung der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß die 
isolierenden Schichten der Zelloberflächen ausgespült werden 
können, und daß dadurch die Ionenpermeabilitatseinfliisse gänz- 
lich anders werden können. 


Zusammenfassung. 


Als Ursache der von Hamburger und später auch von an- 
deren beschriebenen Tatsache, daß rote Blutkörperchen in Salz- 
lösungen die Kugelform annehmen, haben wir eine elektrische 
Ladung der roten Blutkörperchen gefunden. 

Diese Ladung, die die schon bestehende schwach negative 
Ladung verstärkt, rührt von dem mittels Reibung geladenen 
Objektglas her. 


1) Rohonyi, Kolloidchem. Beihefte 8, 337. 1916. 

2) Hamburger, diese Zeitschr. 86, 309. S. auch S. de Boer, Journ. 
Physiol. 51, 211. — Hamburger, Wiener med. Wochenschr. 1916, Nr. 14/15 
(siehe die Literatur). 


60 R. Brinkman und E. van Dam: Phosphatide und Sterine. II. 


In der Salzlösung selber sind die Körperchen normal geformt; 
sobald sie aber mit einer elektrisch geladenen Oberfläche in der 
Zählkammer eines Tho ma - Zeiss- Apparates in Berührung kom- 
men, entstehen Formänderungen, die nach kurzer Zeit über Ro- 
setten-Stechapfelform zur Kugelform führen. | 

Im Serum erleidet das Blutkörperchen von dieser elektrischen 
Ladung keinen Einfluß. Die Ursache dieses Unterschiedes liegt 
darin, daß die Blutkörperchen im Plasma von einer isolieren- 
den Schicht umgeben sind, welche Schicht in einer Salzlösung 
verschwindet. , 

Die Substanz, die dieser absorbierten Schicht ihre Eigen- 
schaften gibt, ist das Cholesterin, das von dem an der Blut- 
körperchenoberfläche adsorbierten Lecithin in kolloidaler Lösung 
gehalten wird. 


Studien zur Biochemie der Phosphatide und Sterine. IH. 


Von 
K. Brinkman und Frl. Е. van Dam. 


(Ausdem Ph ysiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.) 
(Eingegangen am 11. Mas 1920.) 


Über die Bedeutung des funktionellen Antagonismus von Phos- 
phatiden und Cholesterin. 


Die Tatsache, daß chémisch so sehr verschiedene Körper 
wie Phosphatide und Cholesterin im tierischen Organismus im- 
mer nebeneinander vorkommen; muß eine biologische Bedeu- 
tung haben. 


In der Nahrung sind sie nicht in beständigem Verhältnis anwesend; 
der tierische Körper aber scheint bestrebt zu sein, das gegenseitige Konzen- 
trationsverhältnis physiologisch konstant zu erhalten!). Auch die Kon- 
zentration der totalen Fettsäuremenge, welche man nicht immer von der 
Lecithinkonzentration hat trennen können, steht in bestimmtem Verhältnis 
zur Cholesterinmenge, so daß der Quotient Cholesterin : totale Fettsäure 
eine konstante Größe darstellt, welche von Mayer und Schaeffer?) studiert 
worden ist (coöfficient lipotytique). 

Wacker und Hueck?) haben an Kaninchen gezeigt, daß die künst- 
liche Anreicherung des Cholesterins durch die Nahrung nicht nur. zu einer 
Cholesterinämie führt, sondern auch gleichzeitig einen Anstieg der fettsäure- 
haltigen Phosphatide bewirkt, so daß auch hier der Körper bestrebt ist, 
eine Erhöhung des Plasmacholesterins durch eine analoge Erhöhung der 
Phosphatide folgen zu lassen. Umgekehrt kann auch der Cholesterin- 
spiegel durch reichlich Fett und Phosphatide zu füttern, in die Höhe ge- 
trieben werden (). | 


1) Bloor, Journ. of Biolog. Chem. 25, 577. 1916. — Wacker und 
Hueck, diese Zeitschr. 100, 84. 1919. — Mayer et Schaeffer, Journ. 
de Physiol. et de Pathol. génér. 16, 1 et 23. 1914. — Terroine, ibid. 16, 386. 
— Lindemann, Zeitschr. f. Geburtshilfe u. Gyn. 74, 814. 1913. 

з) L. с. 

з) L. с. 

4) Reicher, Verband, а. 28. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1911, 
8. 327. — Röhl, Verband, а. 29. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1912, 
8. 607. 


62 R. Brinkman und E. van Dam: 


Die allgemeine Bedeutung der Konstanz dieses Quotienten finden wir 
in dem funktionellen Antagonismus, welcher zwischen „Lecithin“ und Chole- 
sterin von mehreren Autoren aufgedeckt worden ist. Besonders bei der 
serologischen Hämolyse gibt es zahlreiche Beispiele dieses Antagonismus?). 

Wir:) fanden eine erhebliche Resistenzerniedrigung durch physiologische 
Lecithinkonzentrationen; diese wird aufgehoben durch eine geringe Chole- 
sterinmenge. 

Auch sahen wir mikroskopisch, daß in einer 0,5 proz. Lecithinemulsion 
in physiologischer Salzlösung die Körperchen schnell ihren Farbstoff ver- 
loren und zu og. „Schatten“ wurden. Dieses Phänomen wird ebenfalle 
von Cholesterin aufgehoben. 

Die Widerstandsfähigkeit der Körperchen gegen Saponin geht par- 
allel mit dem Quotienten Cholesterin : Lecithin?), genau wie bei den 
bekannten Pascucci-Membranen (). 

Mehrere bakterielle und parasitäre Hämotoxine, welche von Lecithin 
aktiviert werden, werden von Cholesterin in ihrer Wirkung gehemmt, wie 
besonders bei der Kobragift-Hämolyse festgestellt wurde 5). Gegen die 
hämolytische Wirkung der hereditären Hämolysine verteidigt sich der 
Organismus durch eine Hypercholesterinämie®). Es ist bekannt, daß im 
allgemeinen die Hypercholesterinämie mehrerer Krankheiten eine Reristenz- 
erhöhung zur Folge hat’). 

Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß während Lecithin viele 
Eigenschaften mit dem sog. Komplementmittelstück gemein hat“), das 
Cholesterin gerade inaktivierende Eigenschaften zeigt. Auch die Verhält- 
nisse bei der Wassermannschen Reaktion sowie bei der Reaktion nach 
Sachs - Georgi sprechen für den funktionellen Antagonismus in hämo- 
lytischer Hinsicht“). 

Bei der Phagocytose ist der Antagonismus von Stuber 10), bei Wachs- 
tumserscheinungen von T. B. Robertson!) beobachtet worden. Uber den 
antagonistischen Einfluß dieser Substanzen auf Gewebe und Organe sehe 
man bei A. W. Robertson’), 


1) Siehe bei Landsteiner im Handb. а. Biochemie II, 1, 395. 

2) Brink manu. van Da m, diese Zeitschr., 108, 35. 1920. I. Mitteilung. 

3) K. Meyer, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 11, 357. 1908. 

4) Pascucci, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 8, 552. 1905. 

5) Siehe bei Landsteiner, Handb. d. Biochemie II, 1, S. 444 ff. 

6) Froisier et Hubert, Journ. de Physiol. et de Pathol. génér. 
16, 483. 1914. 

7) Zusammenfassend bei Byline et Khosroev, Le médecin russe 
13, 579, 681, 722. 1914. 

8) Brinkman und van Dan, Le, 1. Mitteilung. 

э) Zusammenfassend bei Sachs, Kolloid-Zeitschr. 24, 113. 1919. 

10) Stuber, diese Zeitschr. 51, 211. 

11) Robertson, Proc. Soc. exp. Biol. and Med. 10, 59. 

12) A. White Robertson, Studies in Electropathology. London, 
Rontledge and Sons, 1918. 


Phosphatide und Sterine. III. | 63 


Die allgemeine Bedeutung dieses Quotienten für Ionenpermeabilitäts- 
verhältnisse wollen wir neben die von Hamburger u. a. aufgestellte 
Theorie der Ionenpermeabilitätsregelung durch die Kohlensäure stellen’). 
Während man für die Regelung dieser Permeabilität in erster Linie stets 
an den elektrischen Einfluß von Wasserstoff- und anderen Ionen gedacht 
hat?), wollen wir hier die Aufmerksamkeit auf die Dielektrizitätskonstante 
der Zelloberfläche lenken. Wir haben in der zweiten Mitteilung dieser Serie?) 
angegeben, daß die normale elektrische Isolation der Körperchen von der 
Anwesenheit von Cholesterin in der Zelloberfläche herrührt. Wenn kein 
Cholesterin in dieser Oberfläche anwesend ist, verhält sich diese wie eine 
gutleitende Membran; mit Cholesterin aber ist der Inhalt der Körperchen 
elektrisch fast isoliert. Es genügen nun ganz geringe Lecithinkonzentratio- 
nen in der Suspensionsflüssigkeit, um die isolierende Wirkung des Chole- 
sterins gänzlich aufzuheben. Auch wenn man Lecithin zum Serum fügt, 
sieht man diese Erscheinung; in diesem Falle ist Zufügung einer Konzen- 
tration von -+ 0,03% Lecithin genügend, um die normale elektrische 
Isolation der Körperchen zu beseitigen. Nicht alle Körperchen ver- 
lieren zu gleicher Zeit ihre Isolation, sondern die Zahl der ihrer Isolation 
beraubten Körperchen wächst mit der Lecithinkonzentration und mit 
der Zeit. 


Wir sehen also, daß die normale elektrische Isolation der 
Körperchen eine Funktion des Quotienten Cholesterin: Lecithin 
ist; das quantitative Verhältnis muß noch festgestellt werden. 
Für die Ionenbewegung zwischen Zelle und Medium wird also 
dieser Quotient eine Bedeutung haben müssen, weil in einer Ober- 
fläche mit sehr geringer Leitfähigkeit nur wenig Ionenbewegung 
möglich sein wird. , 

Sehr intereesant sind in dieser Hinsicht die Untersuchungen von 
Mayer und Schaeffer‘) über die cellulären Konstanten. Nach diesen 
Autoren ist der Wassergehalt der Gewebe abhängig von dem sog. ,,Coéfficient 
lipocytique“‘, womit sie den Quotient Cholesterin: totale Fettsäuremenge 
bezeichnen. Die Koeffizienten verschiedener Gewebe ändern sich alle in 
gleicher Weise, so daß z. B. der Quotient im Blut einen Indicator darstellt 
für den gesamten Organismus. Ausgehend von diesen Versuchen haben 


1) Hamburger, diese Zeitschr. 86, 309. 1918; siehe auch S. de 
Boer, Journ. de Physiol. et de Pathol. génér. 51, 211. 1918 und Ha m- 
burger, Wien. med. Wochenschr. 1916, Nr. 14 u. 15. — van Slyke, 
Journ. of Biolog. Chem. 30. 

2) Zusammenfassend bei Loeb, Journ. general Physiol. 1, 717. 1919. 
— Höber, Physikalische Chemie der Zellen und Gewebe, Kap. 6, 8, 10, 
11, 12. — Bernstein, Elektrobiologie. Braunschweig 1912. — Bayliss, 
Principles of. Gen. Physiol., Ch. 5, 6, 7. 

з) Diese Zeitschr. 108, 52. 1920. 

4) Mayer und Schaeffer, 1. с. 


64 R. Brinkman und E. van Dam: 


dann Achard, Ribot et Leblanc’) zeigen können, daß bei ödematösen 
Zuständen durch Niereninsuffizienz der Koeffizient ausnahmslos erhöht ist. 
Sie sehen in dieser Prävalenz des Cholesterins die Ursache der Wasser- 
retention. 


Andererseits sind wir zu der Auffassung gelangt, daß ein Vor- 
herrschen des Cholesterins die Ionendiffusion hemmen muß, und 
eine Behinderung der Ionenbewegung wird eine Wasserretention 
zur Folge haben. Wir sehen also, daß durch diese Auffassung des 
lipocytischen Koeffizienten der Zusammenhang von Salzretention 
und Verschiebung des Quotienten Cholesterin: Lecithin deutlich 
wird. Die Wasserretention bei erhöhtem lipocytischen Koeffi- 
zienten muß die Folge einer Ionenretention sein; die Ursache der 
Ionenretention ist die verringerte Leitfähigkeit der Zelloberfläche. 

Bei urämischen und eklamptischen?) Zuständen ist eine ex- 
zessive Erhöhung des Cholesterinspiegels festgestellt worden; 
man könnte sich vorstellen, daß die Salzretention von der Er- 
höhung des lipocytischen Koeffizienten abhängig sein würde. 
Therapeutisch würde man dann solche Zustände mit Lecithin- 
` injektionen behandeln können. 

Wenn wir also sehen, daß der Körper auch in pathologischen 


Umständen immer bestrebt ist, das normale Verhältnis nn 
oder Ee aufrechtzuerhalten, so können wir 


totale Fettsäuremenge 
das begreifen, wenn wir an die oben beschriebenen allgemeinen 
cellulären Einflüsse dieser Quotienten denken. Es ist nun kli- 
nisch von großer Bedeutung, daß die Konzentrationen der be- 
treffenden Substanzen teilweise von ihren Konzentrationen in 
der Nahrung abhängig sind. Unsere Kenntnisse über den Zu- 
sammenhang von Nahrungslipoiden und Blutlipoiden sind noch 
sehr lückenhaft; allgemein erkannt wird die Fähigkeit des Säuge- 
tierorganismus zur Lecithinsynthese*), ob aber auch das Chole- 
sterin im Säugetierorganismus synthetisch aufgebaut werden kann, 
ist sehr fraglich. 

Jedenfalls sind normalerweise die Blutsterine, die überhaupt 
nur pflanzliche Produkte darstellen, von der Konzentration in 

1) Achard, Ribot et Leblanc, Compt. rend. de la soc. de biol. 
82, 339. 1919. 

з) Man sehe 2. В. Neumann und Hermann, Wien. klin. Wochen- 
schrift 1911, Nr. 12 

з) Kurze Zusammenfassung bei Lichtwitz, Klin. Chemie 1918, S. 172. 


Phosphatide und Sterine. III. 65 


der Nahrung abhängig: bei Cholesterinverfütterung entsteht 

eine Hypercholesterinämie, während auch die Lecithinkonzen- 
tration emporgeht zur Erhaltung des normalen Gleichgewichtes!). 
Bei reichlicher Fett- und Lecithinzufuhr versucht umgekehrt die 
Cholesterinkonzentration so hoch wie möglich zu kommen. Es 
ist aber ganz gut denkbar, daß, wenn das Cholesterin in der Nah- 
rung fehlt, ein Emporsteigen des Cholesterinspiegels auf die Dauer 
nicht möglich ist. Durch einseitige Ernährung wird somit ein ab- 
normer Quotient SS entstehen können. 

Da auch die Phosphatide chemisch viel leichter zersetzbar 
sind und viel mehr an intermediären Fettstoffwechselvorgängen 
teilnehmen als das Cholesterin, so ist es ebenfalls begreiflich, daß 
in der Inanition ein abnormes Verhältnis zwischen diesen Sub- 
stanzen entstehen wird, wie tatsächlich von Mayer und Schaeffer 
gezeigt wurde. Diese Autoren fanden, daß bei hungernden Tieren 
der Quotient 555 in allen untersuchten Organen an- 

totale Fettsäure 
stieg und damit auch der Wassergehalt dieser Organe größer 
wurde. 

Wir haben nun einen Anfang gemacht mit der Untersuchung 
des Einflusses lecithinreicher und cholesterinarmer Ernährung 
auf die Resistenz und die Regeneration roter Blutkörperchen 
beim Kaninchen. Obwohl wir noch nicht über eine Anzahl 
detaillierter Versuche verfügen, haben wir doch schon einige 
prinzipielle Resultate gewonnen, welche wir hier mitzuteilen 
wünschen. А 

Die Resistenz untersuchten wir nach der in dieser Zeitschrift 
mitgeteilten Methode?); es wurde also die sekundäre Resistenz 
(Körperchen unter dem Einfluß ihres Plasmas) und die primäre 
Resistenz (gewaschene Körperchen) bestimmt. 

Die Resistenz von normalen, mit Rüben und Hafer gefütter- 
ten Kaninchen kann im allgemeinen durch folgende Tabelle wie- 
dergegeben werden. 


1) Siehe bei Wacker und Hueck, 1. с. Vgl. auch Stepp, Zeitschr 
L Biol. 57, 136; 59, 366; 62, 405. — E. V. McCollum, Journ. of Biolog. 
Chem. 15, 167; 19, 245; 20, 641; 21, 179. — Bloor, l. с. 

2) R. Brinkman, diese Zeitschr 108, 37. 1920. I. Mitteilung; 
genaue Angaben werden in kurzer Zeit erscheinen. 


Blochemische Zeitschrift Band 108. 5 


66 R. Brinkman und E. van Dam: 


NaCl-Konzentration der hypo- 
tonischen Lösung, die konstant 
Hämolyse?), NaHCO, 0,18%, KCl 0,02%, 3 mal gewaschen, 
sekundär CaCl, · 6 aq. 0,02%, [H'] = 0,45 primäre Hämolyse 
- 10-7 und [Ca] = +30 mg pro 
Liter enthält 


20% 0,42% 0% 
40%, 0,40% 5% 
80% 0,38% 20% 
90% 0,36% 40% 
100% 0,34% 60% 
0,32% 70% 
0,30% 90% 
0,28%, 90% 
0,26% 90% 
0,24%, 95%, 


Wir sehen also einen erheblichen Unterschied in primärer 
und sekundärer Resistenz der Körperchen; auch ist die Anwesen- 
heit der „jungen“ (am meisten resistenten) Körperchen sehr deut- 
lich in der primären Resistenzkurve angegeben; das Knochenmark 
ist also funktionierend. 

Setzen wir das Kaninchen nun der Inanition aus, so daß es 
ausschließlich etwas Zuckerwasser bekommt, so sehen wir nach 
2 Tagen die folgenden Resistenzkurven. 


Hämolyse, NaCl-Konzentration der Бе- 3 mal gewaschen, 

sekundär kannten hypotonischen Lösung primäre Hämolyse 

0% 0,42% 0% | 
5% 0,40%, 2%, 
20% 0,38% 20% 
20% = 0,36% 30% 
50% 0,34% 50% 
80% 0,32% 70% 
98% 0,30% 90% 
100% 0,28% 95% 
0,26% 99% 


Es ist also die sekundäre Resistenz viel größer geworden?), 
die primäre Resistenz ist dieselbe geblieben. Primäre und sekun- 


1) Bestimmung des Hämolysegrades nach Arrhenius, Zeitschr. f. 
physikal. Chemie 1903. 

2) Acél (diese Zeitschr. 95, 211. 1919) berichtet ebenfalls, daß bei 
der Inanition die Resistenz der Körperchen steigt. 


Phosphatide und Sterine. III. 67 


dare Resistenz sind jetzt praktisch identisch, es hat also die Inanition 
denselben Effekt wie das Waschen der Körperchen. Es stimmen 
also diese Versuche mit der oben erwähnten Auffassung von Mayer 
und Schaeffer überein, daß der ,,Coéfficient lipocytique in 
der Inanition größer wird. 

Weiter ist es wichtig zu sehen, daß auch die Körperchenbil- 
dung jetzt fast ganz aufgehört hat. Diese Tatsache haben wir 
ausnahmslos in zahlreichen Versuchen beobachtet: Wenn die 
sekundäre Resistenz sich zu der primären erhöht hat, 
wenn also der normale Lecithineinfluß aufgehoben ist, 
so ist auch die Bildung deR orperehen nicht mehr zu 
erkennen. 

Es ist nun für die Steigerung der primären Resistenz durch- 
aus nicht nötig, die Tiere auf absolute Karenz zu stellen; wenn 
man nur fettfreie Nahrung gibt, z. B. Rüben, bekommt man auch 
dasselbe Resultat. 

Für die Komplettierung des Versuches haben wir nun dem 
Kaninchen nach der fett- und lipoidfreien Periode 1 g Lecithin 
pro Tag in Emulsion mit der Schlundsonde gegeben. Die Resi- 
stenzkurve nach 2 Tagen war jetzt wie folgt: 


Hämolyse, ` NaCl-Konzentration der be- 3 mal gewaschen, 

sekundär kannten hypotonischen Lösung primäre Hämolyse 
10% 0,42%, 0% 
40% 0,40% 0% 
70% 0,38% 20% 
90% 0,36% | 20% 
98% 0,34% 30% 
100% 0,32% 60% 
0,30% 80% 
\ 0,28%, | 80% 
0,26% 80% 


Man sieht also, daß schnell wieder die sekundäre Resistenz er- 
niedrigt wird. Bei fortgesetzter Lecithinfütterung wird sie noch 
geringer. 

Anstatt Lecithin kann man auch viel Hafer, der beträcht- 
liche Mengen Lecithin enthält, geben; auch dann bekommt man 
unmittelbar eine starke Resistenzerniedrigung. 

Man sieht aber noch eine zweite wichtige Tatsache. Es 
findet sich nämlich in allen Fällen, daß nach der Lecithineingabe 


5* 


68 RN. Brinkman und E. van Dam: 


eine sehr ausgesprochene Änderung der primären Resistenz- 
kurve auftritt: die Fraktion der am meisten resistenten 
Körperchen, also aller Anschein nach der „jüngsten“ Kör- 
perchen, wird beträchtlich vergrößert. 

Während also beim Verschwinden des Lecithineinflusses die 
Knochenmarkfunktion (bezüglich der roten Körperchenbildung) 
fast ganz aussetzt, wird ein neues Auftreten der Lecithin- 
wirkung unmittelbar von einer intensiven Körperchenbildung 
gefolgt. 

Bei fortgesetzter einseitiger Lecithinfütterung wird einer- 
seits die Resistenzerniedrigung durch das Plasma so intensiv, 
daß Hämolyse in vivo auftritt (Hämoglobinämie). Andererseits 
aber ist das Knochenmark so energisch funktionierend, daß z. B. 
bei NaCl 0,28%, usw. noch keine Hämolyse der gewaschenen 
Körperchen auftritt, und daß die Anzahl der Körperchen sich 
nicht verringert. 

Es ist verständlich, daB für die Genese der hämolytischen 
Anämien die oben erwähnten Versuche von Bedeutung werden 
können. Die Lipoidtheorien spielen seit den Untersuchungen 
Tallquists über die Bothriocephalus-Anämie eine große Rolle, 
haben aber trotz zahlreicher Untersuchungen noch kein defini- 
tives Ergebnis ergeben’). 

Wir sind der Meinung, daß bei der Erforschung dieser Zustände 
dem funktionellen Antagonismus von Lecithin und Fett gegen 
Cholesterin nicht genügend Rechnung getragen worden ist; nicht 
die Konzentration einzelner Lipoidfraktionen ist hier ausschlag- 
gebend, sondern der Quotient Cholesterin : Lecithin, oder Chole- 
sterinfettsäure. 

Wir haben nun mit der einseitigen Ernährung von Kanin- 
chen mit Rüben (welche nahezu fettfrei sind) und Lecithin ange- 
fangen. Die Versuche müssen viel längere Zeit fortgesetzt werden, 
als wir es bis jetzt machen konnten, aber der Einfluß der ein- 
seitigen Ernährung ist sofort unverkennbar. 

Das folgende Versuchsprotokoll gibt eine Übersicht der Ände- 
rung des roten Blutbildes in der ersten Woche der einseitigen 
Lecithinernährung. 

1) Zusammenfassend bei Türc k, Klin. Hämatologie II, 2, Vorl. 35. 
1912, 


Phosphatide und Sterine. III. 69 


16. II. 1920. Kaninchen, mit Hafer und Rüben gefüttert. 
Resistenzbestimmung 10% a. m. 


Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


30% 0,42% 0% 
60% 0,40% 20% 
90% 0,38% 30% 
90% 0,36% 50% 
100% 0,34% 70% 
0,32%, 90% 

0,30% 90% 

0,28% 90% 


17. П. Nach 16. П. ausschließlich mit Rüben gefüttert. 


0% 0,4208 0% 

10% 0,40% 0% 

50% 0,38% 300% 

50%, 0,36% 40% 

70% 0,34% 700% 

95% 0,32% 90%, 

100%, 0,30%, 90% 

0,28%, 100% 

18. II. Resistenzbestimmung 102 а. m. 

Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 

0% 0,42%, 0% 

10% 0,40% 0% 

20% 0,38% 10% 

50% 0,36% 30% 

80% 0,34% 70% 

90% 0,32% 90% 

100%, 0,30% 95% 

0,28% 100% 


Resitenzbestimmung 10h a. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


11è a. m., 1 g Lecithin in Emulsion mit der Schlundsonde eingeführt. 
Resistenzbestimmung 3" p. m. 


Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


0% 0,42% 0% 
10% 0,40% 0% 
20% 0,38% 0% 
50% 0,36% 0% 
70% 0,34% 40% 
80% 0,32% 80% 
98% 0,30% 90% 
00% 0,28% 90% 


Das Serum ist sehr leicht hämolytisch. 


70 R. Brinkman und E. van Dam: 


19. П. Resistenzbestimmung 10% a. m. 

Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 

5% 0,42%, 0% 

10% 0,40% 0% 

30% 0,38% 5% 

50% 0,36% 10% 

90% 0,34% 30% 

95% 0,32% 90%, 

100% 0,30% 98% 

0,28% 100% 


118 a m. 1g Lecithin. 
Resistenzbestimmung 125 30’ p. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


5% 0,42% 0% 

10% è 0,40% 0% 

30% 0,38% 0% 

0% 0,36% 0% 

| 80% 0,34% 50% 
90% 0,32% 70% 

95% 0,30% 0% 

100% 0,28% 90% 


Das Serum ist leicht hämolytisch. 


20. IT. Resistenzbestimmung 10% а. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 
0% 0,42% 0% 
0% 0,40% 0% 
20% 0,38% 0% 
80% 0,36%, 0% 
95% 0,34% 90% 
100% 0,32% 95% 
0,30% 98% 
0,28% 


Das Serum ist hämolytisch. 
12h. 2g Lecithin. 
| Resistenzbestimmung 3% p. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


0% 0,42% 0% 
0% 0,40% 0% 
0% 0,38% 0% 
5% 0,36% 0% 
80% 0,34% 90% 
90% 0,32% 90% 
98% 0,30% 90% 
98% 0,28% 90% 


Das Serum ist hämolytisch. 


Phosphatide und Sterine. III. 71 


21. IL Resistenzbestimmung 10% а. m, 

Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 

0% 0,42% 0% 

0% 0,40% 0% 

20% 0,38% 0% 

40% 0,36% 2% 

90% 0,34% 40% 

95% 0,30% 80% 

100% 0,30% 95% 

0,28% 100% 


120. 2 g Lecithin. 
Resistenzbestimmung 3h p. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


0% 0,42% 0% 
0% 0,40% 0% 

50% 0,38% 0% 
80% 0,36% 40% 
90°% ; 0,34% 80% 
95% 0,32%, 80% 
100% 0,30% 909 

` 0,28% | 


Das Serum ist hämolytisch. 


22. П. 115 a. m. 2g Lecithin. 
Resistenz bestimmung 2 p. m. 
Sekundäre Resistenz NaCl der hypotonischen Lösung Primäre Resistenz 


2% 0,42%, 0% 
40%, 0, 40% 0% 
50% 0,38% 0% 
10% 0,36% 0% 
90% 0,34% 0% 
95%, 0,32%, 0% 
95%, 0,30% 0% 
99% 0,28%, 0% 


Das Serum ist fast nicht hämolytisch. 


Wenn man diese Versuche übersieht, so ist der Einfluß ein- 
seitiger Lecithinernährung wohl sehr überzeugend. Während 
beiFütterung mitRüben und Hafersekundäre und pri- 
“mare Resistenz beträchtlichen Unterschied zeigen 
und die „Neubildungsfraktion“ deutlich markiert ist, 
wird bei fettfreier Ernährung die sekundäre Resistenz 
fast identisch mit der primären, und ist die „Neu- 
bildung“ so gut wie ausgesetzt. 


72 R. Brinkman und E. van Dam: 


Dieses Aufhören der Regeneration bei fett- und lecithin- 
freier Ernährung kann man auch konstatieren, wenn man ein in 
dieser Weise gefüttertes Kaninchen eine Menge Blut entzieht und 
die Regeneration durch Zählung der Körperchen verfolgt. Es 
findet bei dieser Ernährung fast keine Regeneration statt; gibt 
man aber Hafer, so ist die ursprüngliche Körperchenzahl in weni- 
gen Tagen wieder erreicht. 

Nach jeder täglichen Lecithineingabe sieht man 
eine Neubildungsfraktion in der primären Kurve, 
welche am folgenden Tage wieder aufgehört hat. 

Während die intravitale Hämolyse durch die einseitige 
Lecithinernährung so stark geworden ist, daß eine Hämoglobin- 
ämie entstanden ist, ist andererseits die Regeneration so erheblich, 
daß die Körperchenzahl nur sehr langsam abnimmt. 

Auch im nach Giemsa gefärbten Blutbilde kann man diese 
Regeneration sehr deutlich wahrnehmen: mehr als 50% der 
Körperchen sind erheblich größer wie normal und die Polychroma- 
tophilie der Erythrocyten ist excessiv geworden. Setzt man die 
Lecithinfiitterung wieder aus, so werden die Körperchen bald 
viel kleiner und regelmäßiger, und die Polychromasie ist auf ein- 
zelne Chromocyten beschränkt. 

Von einer pathologischen Regeneration war in dieser Zeit 
noch nicht die Rede; Megaloblasten oder Megalocyten haben wir 
nicht beobachtet und der Index war im Mittel eins. 

Die sekundäre Resistenzkurve zeigte auch nach der Lecithin- 
eingabe immer noch größere Resistenz wie die ursprüngliche se- 
kundäre Resistenz bei Haferfütterung. Die Ursache dieses Ver- 
haltens muß die intravitale Hämolyse sein, durch welche die am 
geringsten resistenten Körperchen schon vor der Resistenzbe- 
stimmung intravital hämolysiert wurden. Allerdings ist der Un- 
terschied von primärer und sekundärer Resistenzkurve durch 
Lecithineingabe deutlich wiederhergestellt, und wenn wir die 
Resistenzbestimmung bei sehr geringer vitaler Hämolyse aus- 
führten, zeigte sich die sekundäre Resistenz fast ebenso niedrig wie 
bei der ursprünglichen Haferfütterung, obwohl die primäre Resi- 
stenz außerordentlich hoch war (Versuch vom 22. Februar). 

Wir haben mit diesen Versuchen nur prinzipiell den Einfluß 
einseitiger Lecithinernährung demonstrieren wollen. Auf die 
systematische Anwendung dieser Prinzipien für die Untersuchung 


Phosphatide und Sterine. ПІ. 73 


der Genese und Therapie hämolytischer Anämien werden wir in 
einer ausführlichen Arbeit zurückkommen müssen. 


Zusammenfassung. 


Die Tatsache, daß Phosphatide und Sterine im tierischen Or- 
ganismus immer nebeneinander in einem bestimmten Verhältnis 
vorkommen, findet ihre Bedeutung im funktionellen Antagonismus | 
dieser Substanzen. 

Es wurden mehrere neue Beispiele dieses Antagonismus mit- 
geteilt und gezeigt, daß wir das Verhältnis Lecithin : Cholesterin 
als eine wichtige zelluläre Konstante auffassen müssen, von welcher 
die Resistenz der Körperchen, die elektrische Isolation der Zelle, 
фе Ionenpermeabilität der Zelloberfläche und der Wassergehalt 
der Gewebe direkt abhängig sind. Es wurde darauf hingewiesen, 
daß eine Änderung dieses Quotienten bei pathologischen Zu- 
ständen von Bedeutung werden kann; speziell aber wurde der Ein- 
fluß der Ernährung auf diesen Quotienten betont. Eine einseitige 
Lecithinfütterung während einer Woche hat beim Kaninchen 
eine intensive intravitale Hämolyse und Regeneration zu Folge, 
welche mittels unserer Resistenzbestimmungsmethode genau ana- 
lysiert werden konnte. Die intravitale Hämolyse wurde durch 
Lecithinämie sehr stark vergrößert, so daß sogar Hämoglobinämie 
entstand; zu gleicher Zeit aber wurde auch die Körperchenneu- 
bildung durch das Vorherrschen des Lecithins stark angeregt, so 
daß die Regeneration mit der Hämolyse im Gleichgewicht war. 

Für die Erhaltung der normalen Regeneration war Lecithin- 
fütterung unbedingt notwendig. 


Bemerkungen zu der Arbeit „Die Permeabilität der roten 
Blutkörperchen für den Traubenzucker“ von M. Bönniger. 


Von 
R. Brinkman und Frl. E. van Dam. 
(Ausdem Physiologischen Institut der Reichsuniversität Groningen, Holland.) 
(Eingegangen am 11. Mai 1920.) 


Die vielumstrittene Frage nach der Durchlässigkeit menschlicher roter 
Blutkörperchen für Glucose haben wir in einer im vorigen Jahre erschienenen 
Arbeit!) dahin entscheiden können, daß wir die Erythrocyten unter physio- 
logischen Umständen als völlig impermeabel bezeichnen müssen, solange 
kein Gerinnungsanfang eingetreten ist. Auch Falta und Richter - Quitt- 
пег?) sind in einer ausführlichen Arbeit zu demselben Schlusse gelangt. 

М. Bönniger?) berichtet nun in einer eben erschienenen Mitteilung, 
daß Blutkörperchen des Menschen bei der Suspension in isotonischer Glucose- 
lösung von 37° nach einigen Stunden Hämolyse zeigen, oder auch eine be- 
trächtliche Volumzunahme. Er schließt aus diesen, im übrigen schon lange 
bekannten Tatsachen auf eine physiologische Glucosepermeabilität der roten 
Körperchen. Daß diese Konklusion nicht richtig ist, meinen wir mittels 
folgender Überlegungen zeigen zu können. 

Erstens hat Bönniger nicht den Gerinnungsanfang verhindert; aus 
unserer vorigen Mitteilung®) wird man den Einfluß dieser Tatsachen ersehen 
können. | 

Zweitens hat Bönniger'das Blut in reiner isotonischer Glucoselösung 
suspendiert. Wir haben in einer ausführlichen Arbeit in dieser Zeitschrift) 
gezeigt, daß in solcher Lösung das hämolytische Verhalten der Körperchen 
ganz anders wird, weil das hämolytische, an der Körperchenoberfläche ad- 
sorbierte „Lecithin“ nicht ausgespült wird, das antagonistisch wirkende 
Cholesterin aber wohl. Der Einfluß des „physiologisch“ hämolytischen 
Komplexes wird dadurch so sehr gesteigert, daB Hämolyse erfolgen kann. 
Fügt man aber zu der Glucoselösung etwas cholesterinhaltiges Serum, so 
bleibt die Hämolyse aus. 

Daß Kaninchen- und Hammelblut keine Hämolyse zeigten, findet 
seine Erklärung in der Tatsache, daß diese Körperchen vorher mit iso- 
tonischer NaCl-Lösung gewaschen worden waren; durch dieses Waschen 
wird das „Lecithin“ von den Körperchen entfernt und das natürliche 
hämolytische Komplex hat jetzt keinen oder geringen Einfluß. 

Wir können also die Versuche Bönnigers nicht als Beweise für die 
Glucosepermeabilität der Blutkörperchen betrachten und müssen unsere 
Meinung, daß die Körperchen glucoseimpermeabel sind, aufrechterhalten. 

1) Arch. internat. de physiol. 15, 105. 1919. 

з) Diese Zeitschr. 100, 140. 1919. 

3) Diese Zeitachr. 103, 306. 1920. 

4) Arch. internat. de physiol. 15, 105. 1919. 

5) Diese Zeitschr. 108, 35. 1920. 


Uber die elektrosynthetische Darstellung der Tetradeka- 
methylendikarbonsäure. 


Von 


Karl Stosius und Karl Wiesler. 


(Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der Krankenanstalt 
Rudolfstiftung, Wien.) 


‚(Eingegangen am 10. Mai 1920.) 


Aus der Wurzel der Thapsia garganica hat Canzoneri?) 
eine zweibasische Säure C,,H,, (COOH), die Thapsiasäure, 
isoliert. Dieser Körper ist insofern von Interesse, weil hier einer 
der wenigen Fälle vorliegt, daB eine höhere Dicarbonsäure in 
freiem Zustande im Pflanzenorganismus aufgefunden wurde. 
Bougault?) hat dieselbe Säure durch Oxydation der Juniperin- 
säure, einer natürlich vorkommenden Oxysäure, erhalten. An- 
dererseits hat er die Juniperinsäure zu Palmitinsäure reduziert 
und somit bewiesen, daß die Juniperinsäure bei normaler Kohlen- 
stoffkette eine primär gebundene Hydroxylgruppe enthält, daB 
ihr also die Formel COOH (CH,) CH, OH zukommt. 

Daraus folgt aber auch, daß die Thapsiasäure eine normale 
Kohlenstoffkette und zwei endständige Carboxylgruppen ent- 
halten muß. Eine auf synthetischem Wege dargestellte n-Tetra- 
decan-1-14-dicarbonsäure muß also damit identisch sein. 

Crum Brown und James Walker?) haben folgende Dicarbon- 


säuren mit normaler Kohlenstoffkette und mit den beiden Carbox ylgruppen 
in &-w-Stellung auf elektrosynthetischem Wege dargestellt: 


Adipinsäure aus Bernsteinsäure; 

Korksäure aus Glutarsäure; 

Sebacinsäure aus Adipinsäure; 
Dekamethylendicarbonsäure aus Pimelinsäure; 
Dodekamethylendicarbonsäure aus Korksäure; 
Hexadekamethylendicarbonsäure aus Sebacinsäur>. 


1) Gazz. chim. ital. 13, 514. 


2) C. r. 150, 874. — С. 1910, I. 1890. 
3) Ann. 261, 107. 1891. 


76 K. Stosius und K. Wiesler: 


Ausgehend von der Azelainsäure muß man dementsprechend zu der 
gewünschten Dicarbonsäure COOH(CH,),,COOH gelangen. 

Der Reaktionsverlauf bei diesen Elektrosynthesen entspricht, wie 
C. Brown und J. Walker!) gezeigt haben, völlig der Bildung von ge- 
sättigten Kohlenwasserstoffen bei der Elektrolyse von fettsauren Salzen, 


7. В. 2CH,—COONa = 2 Na + 2 СО, + СН, — CH,, 


wenn in der Dicarbonsäure eine Carboxylgruppe durch Esterifizierung gegen 
die elektrolytische Spaltung geschützt wird. In diesem Falle verhält sich 
dann die Gruppe C,H,OCO - (CH,), wie eine einfache Alkylgruppe, und die 
Reaktion kann durch folgendes Schema ausgedrückt werden: 


I. 2C,H,O-CO-(CH,),— COO - K = 2K’ + 2CO, + C H, O- CO(CH,),(CH,)p 
CO. OC,H;. 

Die Reaktion verläuft aber nur unter gewissen Bedingungen in diesem 
Sinne. Das Anion kann nach Abgabe seiner Ladung an die Anode auch 
in anderer Weise reagieren und zwar ergeben sich folgende weitere Möglich- 
keiten des Reaktionsverlaufes im Anodenraum: 


П. R. COO + НОН R. СООН OH, 
III. 2 R. COO —> В. COOR + CO,, 
IV. 2C,H.,41 COO —> CaH n + CnHan+ı COOH + CO, 


Der unbeständige Säurerest reagiert also entweder mit einem Molekül 
des Lösungswassers oder mit einem zweiten gleichartigen Atomkomplex. 
Von den Versuchsbedingungen hängt es ab, welche dieser Reaktionen in 
den Vordergrund tritt. Die Bedingungen, welche einzuhalten sind, um die 
Reaktion in ersterem oder letzterem Sinne zu leiten, kann man sich folgen- 
dermaßen zurechtlegen. Wenn im Anodenraume wenige Anionen neben 
sehr vielen Molekülen des Lösungswassers vorhanden sind, mit anderen 
Worten, wenn die Konzentration der Anionen klein ist, so ist die Wahr- 
scheinlichkeit der Reaktion des entladenen Anions mit Wasser groß. Ist 
aber die Konzentration der Anionen groß, so findet ein Anion nach der 
Entladung relativ mehr gleichartige Atomkomplexe und weniger Wasser- 
moleküle, so daß die Reaktion der Anionen miteinander wahrscheinlicher 
ist. Diese Wahrscheinlichkeit wird noch erhöht durch die Unbeständigkeit 
der entladenen Anionen; denn wenn ein Anion bei seiner Entladung in 
seiner Umgebung einen gleichartigen unbeständigen Atomkomplex und 
ein Wassermolekül vorfindet, so wird es bei sonst gleichen Bedingungen 
mit der unbeständigen, d. h. reaktionsfähigeren Verbindung in Reaktion 
treten. 

Um eine Reaktion mit dem Lösungswasser zu vermeiden, ist es folg- 
lich wichtig, daß die Ionenkonzentration im Anodenraume möglichst groß 
sei. Dies erreicht man einerseits durch eine möglichst große Konzentration 
des Elektrolyten und andererseits durch große Stromdichte an der Anode. 
Die Konzentration des Elektrolyten ist aber nach oben begrenzt durch 
den Löslichkeitsgrad der betreffenden Verbindung und ferner dadurch, daß 


1) Ann. 261, 107. 1891. 


Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 77 


bei zu großer Konzentration die elektrische Leitfähigkeit zu klein wird 
und das Bad auch zu heftig schäumt. Die hohe Stromdichte an der Anode 
erreicht man durch hohe Stromstärke mit einer kleinen Anodenfläche. Mit 
der Stromstärke steigt aber auch die Temperatur; und eine zu hohe Tem- 
peratur begünstigt das Schäumen und bewirkt wahrscheinlich auch eine 
Verseifung des gebildeten Esters durch die an der Kathode entstehende 
Kalilauge. Um diese Wärme abzuleiten, ist daher eine wirksame Kühlung 
zumal des Anodenraumes notwendig. 

In der Malonsäurereihe verläuft die Reaktion, wenn man die ange- 
führten günstigen Versuchsbedingungen schafft, recht glatt nach dem 
Schema I. Dabei muß, wie erwähnt, eine der beiden Carboxylgruppen 
durch Umwandlung in die Carbäthoxylgruppe gegen elektrolytische Spaltung 
geschützt werden. Die hohe Löslichkeit der Kaliumsalze der Estersäuren 
dieser Reihe in Wasser ermöglicht eine hohe Konzentration des Elektrolyten. 
Bei großer Stromdichte tritt dann im wesentlichen folgende Reaktion ein: 


2С,Н,0 - CO- (CHa: COOK — 2K’+2C0, + C,H,O- СО(СН,), 
CO-. OCH,. 
Im folgenden soll nun gezeigt werden, daß — wie zu erwarten 
ist — bei der Elektrolyse des Estersalzes der Azelainsäure der 
Tetradekamethylendicarbonsäureester entsteht. 


C,H,O-CO-(CH,);-COOK  С,Н;0. CO- (CH,),- CO 
+ C,H;0 - CO. (CH,),- COOK .ОС,Н, + 2CO, + 2 K 


Wir haben uns bemüht, die auf Grund obiger Erwägungen 
günstigsten Versuchsbedingungen bei der Elektrolyse aufs ge- 
naueste einzuhalten. Dabei verlief die Reaktion, wie sich zeigte, 
im gewünschten Sinne und wir erhielten nach der Verseifung des 
gebildeten Esters die Tetradekamethylendicarbonsäure. Die 
gewonnene Menge dieser Säure war gering, weil schon das Aus- 
gangsmaterial nicht gerade leicht in größerer Menge rein zu er- 
halten ist und weil ferner die Ausbeute bei der Elektrolyse ziem- 
lich niedrig war. Die Ausbeute bei der Elektrosynthese selbst 
müßte sich jedenfalls noch bis zu einem gewissen Grade ver- 
bessern lassen, wenn man unter Variieren von Konzentration, 
Stromstärke, Spannung, Elektrodenoberfläche und Temperatur 
verschiedene Versuche anstellte, um so die günstigsten Versuchs- 
bedingungen empirisch zu ermitteln. Dies war uns aber nicht 
mehr möglich, da das Ausgangsmaterial nur in beschränkter 
Menge zur Verfügung stand, 

Die erhaltene Dicarbonsäure erwies sich als identisch mit 
der natürlich vorkommenden und der aus der Juniperinsäure 
dargestellten Thapsiasäure. 


78 | К. Stosius und К. Wiesler: 


Experimenteller Teil. 
Azelainsäure. 


Die als Ausgangsmaterial benötigte Azelainsäure wurde aus Ricinusöl 
dargestellt. Ricinusöl wurde verseift und die Ricinolsäure in alkalischer 
Lösung der Oxydation mit Kaliumpermanganat unterworfen. Dabei hatten 
wir Gelegenheit zu verschiedenen Beobachtungen über den Verlauf dieser 
Reaktion, über welche in der Literatur nur eine kurze Angabe!) vorhanden ist. 

Die Oxydation der Ricinolsäure in alkalischer Lösung mit Permanganat 
ergab einige beachtenswerte Beobachtungen, über welche wir in einer 
eigenen Abhandlung noch berichten werden. 


Azelainsäurediäthylester. 


Zur Veresterung wurden nach Miller?) 20 Gew. T. Azelainsäure (1Mol.) 
mit 10 Gew.-T. Äthylalkohol (1 Mol.) und 1 Gew.-T. konz. Schwefelsäure 
in einem Kölbchen am Rückflußkühler 20 Stunden lang mäßig gekocht. 
Auf dem Wasserbade wurde dann der überschüssige Alkohol entfernt. Nach 
Zusatz von 10 Gew.-T. Wasser und Mischen im Scheidetrichter wurde die 
wässerige Schichte abgetrennt, der ölige Ester wurde mit schwacher Soda- 
lösung bis zum Verschwinden der sauren Reaktion und dann rasch mit 
kaltem Wasser gewaschen und schließlich mit Chlorcalcium getrocknet. 
Wenn die Phasen sich zu langsam trennten, was besonders beim Waschen 
mit Sodalösung zu Verlusten führen kann, so gelang es durch Zusatz von 
etwas Äther und festem Kochsalz die Trennung sehr zu beschleunigen. Der 
Ester wurde dann rektifiziert; er siedet unter Atmosphärendruck bei 291°. 

Bei der Verbrennung gaben: 


5,074 mg Substanz 11,831 mg CO, und 4,365 mg H,O. 


In 100 Teilen: 
| Gefunden: Berechnet für (CH,),(COOC,H,), 
Co жө чыры ЛӘ Ла: 63,61 63,98 
НЕ 9,63 9,84 


20 g Azelainsäure gaben 18 р Diäthylester oder 90% vom Gewichte 
der Azelainsäure. Die wässerigen Lösungen enthielten unveränderte Azelain- 
säure, von der fast ?/, der ursprünglichen Menge zurückerhalten werden 


konnte. 


Halbverseifung des Azelainsäurediäthylesters. 


_ Der Ester wurde mit der berechneten Menge alkoholischer Kalilauge 
(1 Mol. KOH auf 1 Mol. Ester) auf einmal versetzt. Die Mischung erwärmte 
sich und bald fiel das weiße Estersalz aus. Nach mehrstündigem Stehen 
bei Zimmertemperatur wurde unter Durchleiten eines Kohlensäurestromes 
auf dem Wasserbade bei vermindertem Druck bis fast zur Trockene ein- 


1) Maquenne, Bl. (3) 21, 1061. 1899. 
2) Ann. 307, 384 


Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 79 


седат pft. Der Rückstand wurde in kaltem Wasser aufgenommen, mit 
Ather ausgeschüttelt und die wässerige Lösung dann unter Durchleiten 
von CO, ganz zur Trockene eingedampft. Die Ausbeute betrug 80% der 
Estermenge oder 72% des Gewichtes der Azelainsäure. Das Athylkalium- 
salz ist weiß und in Wasser sehr leicht löslich; 2 Gew.-T. des Salzes werden 
von 1 Gew.-T. Wasser auch in der Kälte noch leicht gelöst. Dieses rohe 
Estersalz enthält noch etwas Dikaliumsalz und K,CO,. Eine weitere Reini- 
gung ist aber nicht nötig, da diese beiden Salze nach Cr. Brown und 
J. Walker bei der Elektrolyse nicht schaden, da sie dort als Nebenprodukte 
auch entstehen. 

Der getrocknete ätherische Auszug lieferte nach dem Abdestillieren 
des Athers eine geringe Menge unverseiften Azelainsäurediäthylesters. 


Ele ktros ynthese. 


Die Apparatur zür Elektrolyse wurde auf Grund der diesbezüglichen 
Angaben bei Cr. Brown und J. Walker!) zusammengestellt. Als Strom- 
quelle diente StraBenstrom von 220 Volt Spannung. Mit Hilfe einer ein- 
fachen Schaltung durchfloB der Strom zwei als Regulierwiderstände die- 
nende Schieberwiderstände, ein Ampéremeter und die Zersetzungszelle, 
deren Klemmenspannung durch ein Voltmeter gemessen wurde. 

Als Zersetzungszelle verwendeten wir einen geräumigen Platintiegel mit 
4, 5 ст oberem Durchmesser und вст Höhe, der mit dem negativen Pol leitend 
verbunden war; ein spiralenförmig gewundener Platindraht bildete die Anode. 

Beim ersten Versuch wurde der Tiegel in einem geeigneten Apparat 
von flieBendem kalten Wasser umspült; dabei stieg die Temperatur im 
Bade jedoch über 50° С, und es wurde beobachtet, daß gerade im Anoden- 
raume die Temperatur am höchsten war. Um die gebildete Wärme von 
hier wirksam abzuleiten, brachten wir für die folgenden Elektrolysen eine 
besondere Kühlung der Anode an. 

Während der Elektrolyse stieg die Temperatur Ge gut flieBender 
Kühlung auch im Anodenraume nicht über 40°; im übrigen Tiegelraum 
war sie erheblich niedriger. Die Stromstärke wurde auf 4—5 Ampere, die 
Spannung auf 8—10 Volt gehalten. 

28 g rohes Estersalz, gelöst in 28ccm Wasser, wurden 2,5 Stunden 
lang elektrolysiert. Die Temperatur betrug 30—40° C. Zu Beginn der 
Elektrolyse trat ein ganz feinblasiger Schaum auf und das Bad neigte zum 
Überschäumen. Darum konnte anfangs nur eine Stromstärke von etwa 
4 Ampere angewendet werden. Bald aber wurde der Schaum grobblasiger 
und fiel leichter in sich zusammen; die Stromstärke konnte dann allmählich 
auf 5 Ampere gesteigert werden. Um die Temperatur, die Stromstärke und 
die Spannung innerhalb der gewünschten Grenzen zu halten, wurden deren 
Werte nach jeder Viertelstunde gemessen und notiert. 

An der Kathode entsteht KOH; es wird aber durch das an der Anode 
gebildete CO, als K,CO, gebunden, welches sich bereits während der Elektro- 
lyse in festem Zustande abscheidet. 


1) Ann. %61, 107. 1891. 


80 K. Stosius und K. Wiesler: 


Gegen Ende der Elektrolyse wurde der Schaum sehr grobblasig und 
nahm in der Mitte des Tiegels an Stärke ab, ohne aber ganz zu verschwinden. 


Diäthylester der Tetradekameth ylendicarbonsäure. 


Nach Unterbrechung des Stromes wurde der Tiegelinhalt in ein Becher- 
glas gegossen; es schied sich eine schwimmende Ölschichte ab. Diese wurde 
‚in Äther aufgenommen, die ätherische Lösung mit Chlorcalcium getrocknet 
und der Äther dann auf dem Wasserbade abdestilliert. Es blieben 10,5 g 
eines schwach gelblich gefärbten Öles zurück, das im Vakuum fraktioniert 
destilliert wurde. Die bei einem Drucke von 10 mm Hg oberhalb von 200° 
übergehende Fraktion erstarrte im Rohre und stellte den gewünschten Ester 
dar. Dieser wurde durch Umkrystallisieren aus Athylalkohol gereinigt: 
er siedet bei 230° bei 17 mm Hg. Bei Zimmertemperatur ist er fest, kry- 
stallinisch, aber ohne deutliche Krystallform, weiß und von fettähnlicher 
Konsistenz. | s 

Die Verbrennung lieferte folgende Werte: 


3,964 mg Substanz gaben 10,231 mg CO, und 3,901 mg H,O. 


In 100 Teilen: 
Gefunden: Berechnet für (CH,),,(COOC,H,),: 
Ста d eg E я 70,41 70,18 
H i oh Se Bd: Зе ws as 11,01 11,11 


Es lag also der Diäthylester der Tetradekamethylendicarbonsäure vor. 
Ausbeute 21% der Theorie. 


Tetradeka meth ylendicarbonsaure. 


Zur Verseifung des Esters wurde eine Lösung von 4 g Ester in wenig 
Alkohol langsam zu einer siedenden alkoholischen Kalilauge zufließen 
gelassen, die 2 g KOH enthielt, d. i. 3 Mol. KOH auf 1 Mol. Ester. Die 
Mischung wurde dann noch 2 Stunden lang am Rückflußkühler gekocht 
und hierauf zur Entfernung des Alkohols auf dem Wasserbade unter Wasser- 
zusatz erwärmt. Das Kaliumsalz bildete auch nach dem Filtrieren und 
Auskochen mit Tierkohle eine seifige Lösung. 

Mit verdünnter Schwefelsäure wurde die freie Säure ausgefällt. Sie 
wurde in Ather aufgenommen und nach dem Abdestillieren des Athers 
umkrystallisiert. Zu diesem Zwecke lösten wir die Säure in wenig warmem 
Alkohol und fügten auf dem Wasserbade vorsichtig Wasser hinzu, bis eine 
geringe Trübung entstand, die sich durch einige Tropfen Alkohol wieder 
löste. Beim Abkühlen fiel die Säure krystallinisch aus. Sie war aber noch 
etwas gelblich gefärbt und schmolz unscharf bei 115,5 C. 

Zur weiteren Reinigung behandelten wir die Säure im Extraktions- 
apparate mit Petroläther (Sdp. 25—40°) und erhielten aus dem Petrol- 
ätherextrakte eine rein weiße Substanz, die aber auch schon bei 118° 
schmolz. Durch wiederholtes Lösen in verdünnter Kalilauge und Wieder- 
ausfällen mit verdünnter Salzsäure, Filtrieren, Waschen mit Wasser und 
Trocknen über Schwefelsäure im Vakuum wurde eine Substanz erhalten, 


Elektrosynthetische Darstellung d. Tetradekamethylendikarbonsäure. 81 


die bei 123° schmolz. Die Säure war weiß, krystallinisch, aber ohne deut- 
lich ausgeprägte Krystallform. Sie war unlöslich in Wasser, schwer löslich 
in Petroläther, leicht löslich in Alkohol, Äther, Chloroform und Aceton. 
Die Verbrennung ergab folgende Werte: 


I. 3,29 mg Substanz gaben 8,101 mg CO, und 3,002 mg H,O. 
П. 5,23 mg Substanz gaben 12,88 mg CO, und 4,95 mg H,O. 


In 100 Teilen: 
Gefunden: Berechnet für (CH,),,(COOH),: 
I. П. 
FF 67,17 67,19 67,13 
Н. ss ee SH së a ж 10,21 10,59 10,49 


Zur Titration wurde eine gewogene Menge in Alkohol, der zuvor 
mit / - Natronlauge genau neutralisiert worden war, gelöst, und mit 
1% Natronlauge titriert (Phenolphthalein als Indicator): 


12,085 mg Substanz verbrauchten 5,84 ccm, berechnet: 5,92 ccm. 
Der vorliegende Körper entsprach also der Formel: 
COOH(CH,) „COOH. 


Die Ausbeute, berechnet auf das Estersalz, betrug 12%, der Theorie, 
Dieser Körper war, wie die oben angeführten Eigenschaften und die Analysen- 
resultate bewiesen, identisch mit der von Canzoneri und von Bougault 
beschriebenen Thapsiasäure. 

Alle Analysen wurden nach Pregls mikroanalytischer Methode aus- 
geführt, 


Biochemische Zeitschrift Band 108. | 6 


Die Fahigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit 
| Phenolaldehyden. 


Von 
Otto Gerngross. 


(Mitteilung aus dem techn.-chem. Institut der Technischen Hochschule, 
Berlin. ) 
(Eingegangen am 12. Mas 1920.) 
Mit 2 Abbildungen im Text. 


Die Frage, ob die Gerbung tierischer Haut auf vorwiegend 
chemischen oder rein physikalischen Vorgängen beruhe, ob das 
Leder eine chemische oder eine reine ,,Adsorptionsverbindung?)‘* 
zwischen dem Kollagen und dem Gerbmaterial sei, ob also die 
Haut überhaupt bei der Gerbung eine chemische Veränderung 
erleide, ist noch nicht entschieden. 

Als das ausschlaggebendste Argument für die rein physi- 
kalische Auffassung der Gerbvorgänge ist von den schärfsten 
Vertretern der physikalischen Richtung der Haut sowie allen 
ähnlichen hochmolekularen Geweben von kolloidalem Charakter 
überhaupt die Fähigkeit, chemisch zu reagieren, abgesprochen 
worden. 

Eine große Rolle spielt in diesem Widerstreit der Meinungen 
die Aldehydgerbung. Da festgestellt ist, daß die Haut durch 
Formaldehyd eine Verminderung ihres Säureaufnahmevermögens 

1) In engem Zusammenhang mit diesem Problem steht die Frage, 
ob die Adsorption eine im wesentlichen nur von der Oberfläche der dispersen 
Phase und nicht auch von ihren chemischen Eigenschaften abhängige 
Erscheinung ist. In guter Übereinstimmung mit den Ansichten, daß die 
Adsorption von Elektrolyten genau so verlaufe, wie sie nach der chemischen 
Natur von Adsorbens und Adsorbendum zu erwarten ist (vgl. L. Michaelis 
und Р. Rona, diese Zeitschr. 97, 57. 1919), stehen Versuche, die ich mit 
Formaldehydleder gemacht habe (Colleg. Nr. 597, S. 2. 1920). Formaldehyd- 
leder betätigt nämlich, da es infolge Ausschaltung basischer Gruppen im 
Kollagen saurer als nicht vorbehandelte Haut ist, eine verminderte Ad- 
sorption gegen Säuren und nach noch nicht veröffentlichten in Gemein- 
schaft mit Herrn cand. phil. Loewe angestellten Versuchen eine erhöhte 
Adsorption gegen Alkalien. 


O. Gerngross: Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion usw. 83 


erfährt!), wird von vielen Gerbereichemikern angenommen, daß 
es sich in diesem Falle der Gerbung um eine chemische Wechsel- 
wirkung handle, die ähnlich wie die Reaktion zwischen einer 
Aminosäure und Formaldehyd verlaufe. 


R-CH,—NH, R-. CH · N= СН, 
|- + CH, O = | + H,O А 
СООН COOH 


Das verminderte Säureaufnahmevermögen wird durch Aus- 
schaltung freier basischer Gruppen im Kollagen erklärt, und 
diese Deutung kann als die wichtigste Stütze für die chemische 
Theorie der Gerbung gewertet werden. Sie wird jedoch keines- 
wegs widerspruchslos anerkannt. Yon manchen Chemikern wird 
die Aldehydgerbung im wesentlichen mit einer Umhüllung der 
Hautfaser durch. reaktionsträge Formaldehydpolymere erklärt, 
welche auch die Ursache der verminderten Säureadsorption sein 
sollen“). 

In diesem Zusammenhang bietet das Studium der Einwirkung 
des o-Protocatechualdehyds auf die Haut ein besonderes In- 
teresse. | 


Н. Pauly und К. Lockemann?), welche diesen Körper zuerst, und 
zwar durch Verseifung des o-Vanillins®): 


OCH, 
-OH | 
$ -COH Aig COH 
o-Vanillin o-Protocatechualdehyd 


dargestellt haben, beobachteten, daß er die Haut und tierische Faser gelb 
färbt. Die Schiffschen Basen, welche er mit primären Aminen bildet, 
sind jedoch intensiv farbig, so z. B. das Anil blaustichig scharlachrot. 
Auf diese Tatsache macht Е. Stiasny°) aufmerksam. Er deutet an, 
daß die Beobachtungen Pa ul ys vielleicht zu dem Schluß berechtigen, daß 
der Aldehyd keine Verbindung vom Charakter einer Schiffschen Base 
mit der Haut bilden könne. Moeller’) verwendet das gleiche Argument 


1) Е. Stias ny, Colleg. 1908, S. 132; C. С. 1908, I, S. 2214. — О. Gern- 
gross, Colleg. 1920, S.2. W. Fahrion, Colleg. 1920, S. 128. 

2) Moeller, Colleg. 1918, S. 32. 

3) Ber. 43, 1813. 1910. 

4) Der Firma Haarmann & Reimer, Holzminden, und der Chem. 
Fabrik v. Heyden, Radebeul, bin ich für die Schenkung von einmal 40 
und einmal 100 g o-Vanillin, die mich in die Lage versetzte, diese Arbeit 
auszuführen, zu ganz besonderem Dank verpflichtet. 

5) Colleg. 1910, S. 301. 

6) Colleg. 1918, S. 66; С. С. 1918, II, S. 234. 


6* 


84 O. Gerngross: 


in einer späteren Arbeit und hält die von Pauly und Loc ke mann fest- 
gestellte Eigenschaft des o-Protocatechualdehyds, die Haut bloß gelb zu 
färben, mit Anilin jedoch eine scharlachrote Verbindung zu bilden, „für 
einen vollwertigen Beweis dafür, daß keine Reaktion nach Art der Schiff- 
schen Base stattgefunden hat und daB überhaupt keine chemische Reaktion 
der Aldehyde mit der Haut vor sich geht...“ 


Nun besitzen aber die Schiffschen Basen, weiche Pauly 
und seine Mitarbeiter dargestellt haben, als basische Komponente 
nur primäre Amine der aromatischen Reihe, während die Amino- 
säuren der Haut, Wolle usw. nur Amine aliphatischen Charakters 
als Bausteine haben. Wenn tatsächlich auch diese Eiweiß- 
spaltungsprodukte mit dem 2,3-Dioxybenzaldehyd Verbindungen 
geben würden, deren Farbe wesentlich von der der Haut erteilten 
abwichen, so wäre allerdings die Fähigkeit der Haut, mit Alde- 
hyden zu reagieren, stark in Frage gestellt. 

Zur Untersuchung dieser Frage stellte ich zunächst die 
Schiffsche Base aus o-Protocatechualdehyd und Glycylglycinester 
her, da das Kollagen der Haut ja als hauptsächlichsten Baustein 
Glykokoll aufweist. Die Umsetzung zu der gewünschten Ver- 
bindung geht bei leichtem Erwärmen in alkoholischer Lösung 
glatt vonstatten. 

Der neue Körper, eine schöne krystallinische Verbindung, 
zeigt eine leuchtende goldgelbe Farbe, die eine große Ähnlichkeit 
mit der o-Protocatechualdehyd - Hautfärbung, aber geringere 
Intensität besitzt. | 

Da ich festgestellt hatte, daß auch das o-Vanillin imstande 
ist, die Haut zu färben, allerdings viel weniger echt und intensiv 
als der o-Protocatechualdehyd — die Farbe ist grünstichig, 
gelb — bereitete ich auch in analoger Weise die o-Vanillin- 
Glycylglycinesterverbindung. Auch hier starke Ähnlichkeit mit 
der entsprechenden Hautfärbung. 

Ich wählte nun zu meinen weiteren Versuchen solche Ei- 
weißbausteine, welche neben der aliphatischen Aminogruppe 
auch eine aromatische Komponente enthielten, um von vorn- 
herein dem Zweifel zu begegnen, daß vielleicht der Benzolkern 
der Seitenkette einen wesentlichen Einfluß auf die Färbung der 
Schiffschen Base auszuüben vermége. Mit 4-1 Phenylalanin- 
ester entstanden sowohl mit o-Protocatechualdehyd als mit 
o-Vanillin ölige Kondensationsprodukte, die ich bisher nicht zur 
Krystallisation zu bringen vermochte. Dahingegen ergab der 


- 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 85 


Versuch mit o-Protocatechualdehyd und l-Tyrosinmethylester!) 
eine prächtige krystallinische eigelbe Schiffsche Base. Also selbst 
eine auxochrome Phenolgruppe in der Seitenkette ist nicht im- 
stande, die Farbe über Eigelb hinaus zu vertiefen und ich denke, 
daß damit die Einwände, welche unter Hinweis auf die Ver- 
schiedenheit der Hautfärbungen und der Farbe der von Pauly 
dargestellten Schiffschen Basen gegen die Reaktivität des Kol- 
lagens gemacht wurden, als erledigt zu betrachten sind. 

Da durch die Paulysche Reaktion nachgewiesen ist, daß 
in der Haut eine reaktive freie Imidogruppe, nämlich die des 
Histidins vorhanden ist?), versuchte ich, ob vielleicht diese mit 
dem Aldehyd zu reagieren vermag und also für die Hautfärbung 
mit den beiden Körpern verantwortlich zu machen wäre. Ver- 
schiedene Versuche, den o-Protocatechualdehyd mit freier Imid- 
azolbase oder dem &-Exo-benzoyl-Histidinester®) in Reaktion zu 
bringen, hatten jedoch keinen Erfolg. Falls also — was ich je- 
doch, wie weiter unten auseinandergesetzt wird, auch nach meinen 
bisherigen Untersuchungen nicht für erwiesen halte — die frag- 
liche Hautfärbung wirklich durch Bildung von Schiffschen Basen 
zu erklären wäre, müßte man mit einiger Bestimmtheit die An- 
wesenheit freier primärer Aminogruppen im Kollagen an- 
nehmen. 

Aber schon die bloße Beobachtung der Färbung, welche so- 
wohl der o-Protocatechualdehyd wie das o-Vanillin auf der Haut 
hervorrufen, sind geeignet, einigen Aufschluß für die Beant- 
wortung der Frage zu geben, ob die Haut zu chemischen Re- 
aktionen befähigt ist oder nicht. Während der o-Protocatechual- 
dehyd schwefel- also fahlgelb, seine Lösungen im Wasser und in 
Alkohol nur unbedeutend gelbgefärbt sind, zeigt Hautpulver“), 
das mit solehen Lösungen geschüttelt wird, eine leuchtend gold- 
gelbe Farbe. Papier und Baumwolle zeigen diese auffallenden. 
Färbungen nicht. Ähnliches, wenn auch in etwas geringerem 


1) Tyrosin ist im Kollagen nicht enthalten, was für die hier zu ent- 
scheidende Frage unwesentlich ist. 

2) О. Gerngross, Colleg. 1920, S. 2. 

3) O. Gerngross, Zeitschr. f. physiol. Chemie 108, 56. 1919. 

) Es wurde zu diesen und den folgenden Versuchen das für Gerbstoff- 
analysen gebräuchliche Hautpulver der deutschen Versuchsanstalt für Leder- 
industrie in Freiberg in Sachsen verwendet. 


86 O. Gerngross: 


Maße, gilt auch für o-Vanillin. Es handelt sich also hier offenbar 
um keine einfache Adsorptionserscheinung, sondern um eine 
chemische Reaktion, wie sie von R. Nietzki und E. Burck- 
hard!) und P. Pfeiffer und F. Wittka®) an Wolle und Seide 
mit ammoniakalischer Fuchsin- und essigsaurer Tetrabrom- 
phenolphthaleinesterlösung beobachtet wurde. 

Wenn nun tatsächlich im Formaldehydleder ein Teil der 
reaktiven basischen Gruppen der Haut besetzt und ausgeschaltet 
ist, so sollte dieses Leder nur in geringem Maße oder gar nicht 
mehr imstande sein, mit den Phenolaldehyden unter Farbstoff- 
bildung zu reagieren, wenn man annimmt, daß diese freien ba- 
sischen Gruppen die Vorbedingung für die Hautfärbungen mit den 
Aldehyden sind. | 

Eine Reihe von Versuchen ergab auch wirklich in ganz un- 
verkennbarer Weise, daß sich das mit Formaldehyd vorbehandelte 
Hautpulver nur ganz schwach im Vergleich zu gewöhnlichem 
Hautpulver mit den beiden Phenolaldehyden färbt. Die Färbung, 
die auch bei dem Formaldehydlederpulver auftritt, ist leicht 
auswaschbar und zeigt nur die unscheinbare Körperfarbe der 
Aldehyde und nicht den leuchtenden gelben Ton der normalen 
Hautfärbung. | 

Ich versuchte ferner, ob sich das Formaldehydleder auch 
durch geringere Farbstoffbildung mit diazobenzolsulfosaurem 
Natrium?) auszeichne. Das wäre im bejahenden Falle ein Be- 
weis dafür gewesen, daß in diesem Leder auch die basische Imido- 
gruppe des Imidazolringes substituiert und für die Farbstoff- 
bildung ausgeschaltet sei. Nach meinen oben mitgeteilten Ver- 
suchen mit Imidazol und o-Protocatechualdehyd war das von 
vornherein wenig wahrscheinlich. Es erwies sich auch tatsäch- 
lich, daß die formalinbehandelte und die nicht präparierte Haut 
in ganz gleicher Weise mit der Diazolösung kuppelte. Ich glaube, 
daß dies zugleich ein neuer Beweis gegen die Panzertheorie der 
Aldehydgerbung 186%), welche u.a. das verminderte Aufnahme- 
vermögen des Formalinleders in bezug auf Säuren durch eine 
schützende Hülle von Formaldehydpolymeren erklärt, welche im 


1) Ber. 30, 175. 1897. 

2) Chem.-Ztg. 40, 357. 1916. 

3) Colleg. 1920, S. 2. 

4) Moeller, Colleg. 1918, S. 32, 345. 


Fuhigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 87 


Formaldehydleder die Hautfaser umkleiden soll. Diese Hülle 
sollte, wenn sie wirklich bestände, doch in gleicher Weise wie 
gegen Säuren auch gegen die Diazolösung Schutz bieten. 

Interessant war es endlich zu untersuchen, ob der o-Proto- 
catechualdehyd auch gerbend wirken könne. Es zeigte sich, daß 
er in schwach sodaalkalischer Lösung!), welche für die Durch- 
führung der Aldehydgerbung unerläßlich ist, Hautpulver bis zu 
der allerdings nur geringen Wasserbestandigkeitszahl?) 20 gerbte. 
Mit einer Kaninblöße ergab sich ein verhältnismäßig gutes und 
nach dem Stollen schmiegsames, braungelbes Leder, das, seit 
einem Jahre aufbewahrt, sich nicht veränderte.. 

Es war jedoch von vornherein fraglich, ob die Aldehyd- 
gruppe oder die o-Dioxygruppe in dem Phenolaldehyd als Trägerin 
der Gerbwirkung anzusprechen sei, denn es ist bekannt, daß 
Benzaldehyd keinerlei Gerbwirkung entfaltet, und ich habe dies 
durch verschiedene Versuche bestätigt gefunden, während das 
Brenzcatechin®), das 1—2 Dioxybenzol, gerbende Eigenschaften 
besitzt. Da nun unser Aldehyd ein Dioxybenzaldehyd ist, war zu 
vermuten, daß auch in ihm die Dioxygruppe für die Gerbung 
verantwortlich zu machen sei. Ein vergleichender Gerbversuch 
mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd ergab die Richtigkeit 
dieser Schlüsse, denn o-Vanillin, das wohl die Aldehyd- aber 
keine Dioxygruppe besitzt, gerbt nicht und ein ähnlicher Versuch 
mit Guajacol und Brenzcatechin, die im selben Konstitutions- 
verhältnis zueinander stehen wie o-Vanillin und o-Protocatechu- 
aldehyd, brachte eine weitere Stütze für diese Anschauung. 

Es ist auch durchaus möglich, daß auch die Ursache für die 
Färbung der Haut durch die Phenolaldehyde nicht im Aldehyd- 
charakter, sondern im Phenolcharakter dieser Verbindungen zu 
suchen, daß also die Färbung durch Salzbildung und nicht durch 
die Entstehung einer Schiffschen Base veranlaßt ist, was von 
den Autoren, die sich bisher mit dieser Frage beschäftigten, nicht 
beachtet wurde. | 


1) J. und Е. Pul mann, D. R. P. 111 408. 1898; Chem. Centralblatt 
1900, II, S. 609; Colleg. 1920, S. 8. 

) W. Fahrion, Chem.-Ztg. 32, 888. 1908. 

3) В. О. Herzog, J. Adler, Kolloid-Zeitschr. 2, Suppl.-Heft II. 1908. 
— L. Meunier, A. Seyewetz, D. R. P. 206957; Chem. Centralblatt 
1909, I, S. 1212. 


88 O. Gerngross: 


Die Färbeversuche mit Formaldehydleder sind zwar ein neuer 
und sicherer Beweis dafür, daß reaktive basische Gruppen des 
Kollagens und zwar wahrscheinlich Aminogruppen durch Formal- 
dehyd ausgeschaltet werden — der Imidazolring bleibt intakt —, 
daß also die Haut mit ihren basischen Gruppen ähnlich wie eine 
Aminosäure reagiere. Aber diese Ausschaltung der basischen 
Gruppen verhindert in gleicher Weise die Salzbildung wie die 
Bildung Schiffscher Basen, so daß für die unmittelbare Ent- 
scheidung der Frage Salzbildung oder Schiffsche Basen- 
bildung nichts gewonnen ist. 

Ich habe daher, um vielleicht auf anderem Wege einer 
Lösung dieser Frage näherzukommen, Adsorptionsversuche mit 
Hautpulver und den beiden Phenolaldehyden gemacht. Diese Ver- 
suche mußten aus im experimentellen Teil angeführten Gründen 
auf ziemlich verdünnte Lösungen beschränkt bleiben und ergaben, 
daß in sehr niedrigen Konzentrationsgebieten sich die Phenol- 
aldehyde zwischen Haut und der wässerig-alkoholischen Lösung 


der Freundlichschen!) Adsorptionsisotherme = gc ent- 
sprechend verteilen. = | 

Aber schon bei Gleichgewichtskonzentrationen von etwa 
0,007 Milliäquivalenten im Kubikzentimeter angefangen, kriimmt 


sich die durch Logarithmen der Werte von c und = - erhaltene 


Gerade und zeigt die Tendenz, sich zur log. c-Achse parallel zu 
stellen — eine Erscheinung, wie wir sie auch bei der Aufnahme 
von Salzsäure aus wässeriger Lösung durch Haut, die als chemische 
Reaktion?) aufzufassen ist, sehen (vgl. die Abbildungen im ex- 
perimentellen Teil), während organische Säuren genau der Iso- 
therme folgen®). 

Interessant ist es aber, daß sich bei den größten Verdün- 
nungen, in denen sich das typische Bild der , Adsorption“ ergibt, 
die mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd behandelte Haut 
deutlich die wiederholt beschriebene durch bloße „Adsorption“ 
nicht erklärbare Änderung der Farbennuance zeigt. Ohne Frage 

1) H. Freundlich, Zeitschr. f. physikal. Chemie 57, 386. 1907. 

2) V. Kubelka, Kolloid-Zeitschr. 19, 172. 1916. — H. R. Procter, 
Kolloidchem. Beihefte 2, 250. 1911. Н. В. Procter, J. A. Wilson. 


Journ. Chem. Soc. 109, 307. 1916. 
3) V. Kubelka, Colleg. 1915, S. 389. 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 89 


ist dies so aufzufassen, daß trotz Adsorptionsisotherme auch in 
diesen niedrigsten Konzentrationsgebieten eine chemische Re- 
aktion zwischen Haut und den Phenolaldehyden stattfindet. 


Versuche. 
In Gemeinschaft mit Dr. A. Ritter. 


Zur Darstellung des o-Protocatechualdehyds aus dem o-Vanillin ver- 
wendeten wir die vorzügliche Entmethylierungsmethode mit 48 proz. Brom- 
wasserstoffsäure und heißem Eisessig, die Pauly, K. Schübel und K. 
Lockemann!) mitgeteilt haben. Bei genauer Einhaltung der beschrie- 
benen Versuchsbedingungen gelingt es leicht, die von den Autoren ange- 
gebene Ausbeute an Dioxybenzdaldehyd zu erreichen, doch stellte es sich 
heraus, daß man sie durch Verwendung von größeren Mengen Bromwasser- 
stoffsäure noch etwas steigern kann. Wir verwendeten auf 40 р o-Vanillin 
66 ccm Bromwasserstoffsäure (statt 45,6 ccm), d. i. etwa 2,2 Mol. und 
erhielten 22 g der reinen Verbindung vom Schmelzpunkt 107°, а. і. etwa 600 
Ausbeute?). 


2-Oxy-3-methoxy-benzyliden-glycylglycinath ylester. 
(ОН). (CH,0) - CH; CH N. CH,-CO-NH-CH,-COO-C,H;. 


l g o-Vanillin, (2/300 Mol.) werden in 3,5 cem absolutem 
Alkohol bei mäßiger Wärme gelöst und mit einer filtrierten 
Lösung von 1,07 g (2/300 Mol.) Glycylglycinäthylester in 8 ccm 
absolutem Alkohol versetzt. Beim Abkihlen erstarrt die Lésung 
zu einem Brei gelber Nadelchen. Sie werden mit einem Gemisch 
von Alkohol und Ather gewaschen und bei 90° getrocknet. Aus- 
beute 1,5 g. ` 

Die Substanz schmilzt bei 118°. Beim weiteren Umkrystalli- 
sieren, das bequem aus der 7,5fachen Menge heißen Alkohols 
durchführbar ist, ändert sie den Schmelzpunkt nicht mehr. 

0,1452 g Substanz, 11,6ccm N; 15° C; 763 mm. 
C,4H,,N.0,, ber.: N. 9, 52% 
gef.: N. 9,51%. 


Sie krystallisiert in Gestalt langer, hellgelber, seidenglänzen- 
der Nadeln, die sich beim Liegen an der Luft allmählich etwas 
dunkler färben. Sie ist auch in kaltem Wasser etwas löslich und 


1) Annalen d. Chemie 383, 312. 1911. 

2) In der Arbeit ist angegeben, daß auf 50g o-Vanillin die theo- 
retische Menge 40 proz. Bromwasserstoffsäure, d. i. 57 ccm, benötigt werde. 
Die berechnete Menge wäre aber bloß etwa 37 ccm, die sicher nicht aus- 
reichen würden, um die in der Arbeit angeführte Ausbeute zu erreichen. 


90 О. Gerngross: 


zwar mit grünlichgelber Färbung und schwach saurer Reaktion 
gegen Lackmus. Aus der etwa 60fachen Menge siedenden Wassers 
läßt sie sich ohne Zersetzung umkrystallisieren. Beim langen 
Kochen (über !/, Stunde) wird die Lösung jedoch zersetzt unter 
Bildung harziger Produkte. ` 


2,3-Dioxy-benzvliden-gl ycylglycinester. 
(ОН), · CH,. CH N. CH,. СО. NH. CH.. COO- C,H; . 


2,76 g o-Protocatechualdehyd und 3,2g Glycylglycinester 
werden, in je 10ccm warmen Alkohols gelöst, gemischt. Die 
Lösung färbt sich intensiv goldgelb und alsbald scheiden sich 
goldgelbe Krystallflitter ab. Sie schmelzen bei 125° und zeigen 
die merkwürdige Eigenschaft, bei weiterer Reinigung durch 
Umkrystallisieren einen niederen Schmelzpunkt nämlich von 
1201/,° anzunehmen. Ausbeute an reinem Produkt vom kon- 
stanten Schmelzpunkt nach einmaligem Umkrystallisieren aus 
der 6—7fachen Menge Alkohol 4,5 g. Für die Analyse wurde bei 
90° getrocknet. | 

0,1399 g Substanz, 0,2830 g CO,; 0,07488 H,O I 
0,1504 g Substanz, 0,3076 g CO,; 0,0829 g H,O II 
0,1386 р Substanz, ?1,8 cem N; 14°C; 761 mm. 
‚ Uys3H,.N,0;, gef.: I. 55,56% С; 5,98% Н; 10,14% N. 
gef.: II. 55,78% C; 6,16% Н. 
ber.: 55,68% C; 5,76% Н; 10,00% N. 

Die Substanz krystallisiert in Gestalt goldgelber Platten 
mit atlasartigem Glanz. Der Vergleich der Färbung ihrer Lösung 
in neutralen Mitteln mit der durch Protocatechualdehyd hervor- 
gerufenen Hautfärbung ergibt eine geradezu verblüffende Uber- 
einstimmung. Sie ist spielend leichtlöslich in Aceton, leicht- 
löslich in Essigester und in Eisessig, schwer löslich selbst ih 
kochendem Ather, unlöslich in Petroläther, der sie unverändert 
aus einem Ather-Eisessiggemisch auszufällen vermag. Auch aus 
kochendem Wasser, dem sie saure Reaktion gegen Lackmus- 
papier erteilt, läßt sie sich bei etwas rascherem Arbeiten unver- 
ändert umkrystallisieren, 5 Minuten langes Kochen bewirkt je- 
doch bereits nicht unwesentliche Verharzung. 

Gegen kalte Alkalien ist die Verbindung relativ beständig, 
sehr unbeständig gegen Säuren. Verreibt man z. B. 0, 84 g mit 
3 com n- Salzsäure, das ist die auf 1 Mol. berechnete Menge, so 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 91 


entsteht ein Brei gelber Nadeln, die sich als o-Protocatechualdehyd 
vom Schmelzpunkt 107° erweisen. | 
Schittelt man 0,56 der Schiffschen Basen mit !/, Liter 
15е n-Essigsäure, das ist die fünffache molare Menge, so entsteht 
nach kurzer Zeit eine fast farblose Lösung, aus der durch Aus- 
schütteln mit Äther 0,25 g, also fast die theoretisch zu erwartende 
Menge reinen o-Protocatechualdehyds gewonnen werden kann. 


2,3-Dioxy-benzyliden-1-tyrosinmethylester. 
(ОН), - C. H.. СН = №. СН. (CH.. C,H, OH). COO. CH,. 


2,76 р Aldehyd und 3,9 р Tyrosinester!) werden іп je 10 ccm 
40 proz. wässerigem Äthylalkohol miteinander gemischt. Beim 
Erkalten entsteht eine ölige und eine wässerige Schicht, die, wenn 
kein Impfmaterial zur Verfügung steht, erst nach längerem 
Stehen krystallisieren. Man wäscht mit 40 proz. Alkohol, trocknet 
auf Ton und krystallisiert aus 25 cem 50proz. Alkohol unter 
mäßigem Anwärmen um. Ausbeute 4g, Schmelzpunkt 143 bis 
144° zu klarem, orangeroten Öl. 

Für die Analyse wurde bei 100° getrocknet: 


0,1472 g Substanz, 0,3495 g CO,; 0,0741 g H,O. 

0,1897 g Substanz, 6,8 cem N; 10° С; 760 mm. 

CI: HzO, N, ber.: 64,73%, C; 5,44% Н; 4,45% N. 
gef.: 64,75% С; 5,63% Н; 4,32% N. 


Die Substanz krystallisiert in Form eigelber vierseitiger 
Prismen und Platten. Ihre Farbe ist etwas heller als z.B. die 
des o-Nitroanilins. 

In Wasser ist der Ester so gut wie unlöslich, leichtlöslich in 
Alkohol, Aceton und Chloroform, weniger in siedendem Benzol 
oder Äther, unlöslich in Petroläther. Ein Versuch mit Essig- 
säure, der analog dem bei dem Glycylglycinester mitgeteilten. 
jedoch mit 3 Mol. bloß "/ „Säure durchgeführt wurde, ergab, 
daß sogar diese geringe Konzentration einer so schwachen Säure, 
wie es die Essigsäure ist, genügt, um die Schiffsche Base voll- 
kommen in ihre Komponenten zu zerlegen. 


1) Die beiden Substanzen lagen 14 Tage nebeneinander im Exsiccator, 
wobei sich der ursprünglich farblose Ester dunkelgelb färbte. 


92 О. Gerngross: 


Farbeversuche mit o-Vanillin und o-Protocatechualdehyd. 


8 g nichtchromiertes Hautpulver der Freiberger Versuchs- 
anstalt werden / Stunde mit 120 cem Wasser gequollen und 
nach und nach mit 40 cem 35 proz. Formaldehyd, der mit Soda- 
lösung schwach alkalisch gegen Phenolphthalein gemacht worden 
war, versetzt. Nach 24stündigem Stehen wird abgesaugt, das 
Formaldehydlederpulver mehrere Tage an der Luft getrocknet. 


Je 0,5g dieses Lederpulvers und des nicht vorbehandelten Haut- 
pulvers werden in Reagensgläsern mit 8 cem destilliertem Wasser, das mit 
je 2 cem einer 7,5 proz. alkoholischen o- Vanillin- oder o- Protocatechualdehyd- 
lösung versetzt ist, unter zeitweisem Schütteln ½ Stunde stehen gelassen. 
Die Lösungen mit den Hautpulver- und Lederpulverproben zeigen zunächst 
keinen Unterschied, sie sind kaum merklich gelb gefärbt. Nach wenigen Se- 
kunden zeigt sich jedoch eine rasch zunehmende Vertiefung und Veränderung 
des Farbentones bei den nicht präparierten Haut pulvern, während die Leder- 
pulver unverändert bleiben. Nachdem man unter öfterem Umschütteln eire 
Stunde stehen gelassen, nutscht man die Proben auf Trichternutschen ab 
und kann dann bequem die Farben der zusammengepreBten Fasern ver- 
gleichen. Es ist bemerkenswert, daß die Filtrate der Haut proben mehr entfärbt 
sind als die der Lederproben, entsprechend der stark verminderten Aufnahme- 
fähigkeit der letzteren für die beiden Phenolaldehyde. 

Verschiedene dieser Pröbchen werden dann im Reagensglas mit je 
25 cem Wasser oder 25 ccm /ο⁰-Sodalösung oder 1/100 - Essigsäure ver- 
setzt und unter Schütteln 1 Stunde stehen gelassen, dann abgenutscht. 
Es zeigt sich, daß in allen Fällen die einfach durch Aufsaugen der Farbstoff- 
lösungen entstandenen schwachen Färbungen des Aldehydleders sich 
bereits durch die geringen Mengen des angewandten Waschmittels glatt 
auswaschen lassen, die Farbe der Haut jedoch nicht. Nur die o-Vanillin- 
hautfärbung, die überhaupt weniger bedeutend und echt ist als die mit 
o-Protocatechualdehyd, erweist sich als sehr wenig säurebeständig. 


Tabelle I. 


| | o-Protocate- 


o-Protocate- | o-Vanillin chualdehyd 


huadoh (be ee Fe ы 
с у | nach Waschen m. 25 ccm Wasser 


| 


= e me ee —— EH 


Hautpulver | grüngelb 
Formaldehyd- ` blaßgelb 
lederpulver | 


| ыы 
o Vanillin 
| 

a 


goldgelb grüngelb | goldgelb 
schwefelgelb farblos fast farblos 
| 


Farbeversuch mit Diazobenzolsulfosäure. 


Је 0,5 g des Formaldehydlederpulvers und des Hautpulvers 
werden in Reagensgläsern mit 8ccm Wasser gequollen, dann mit 
2 ест 2 n-Sodalésung und mit 2 cem einer fast farblosen Lösung 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 93 


von 0,19 р Diazobenzolsulfosäure in 20 ccm Wasser versetzt. 
Beim Umschütteln entstehen innerhalb einiger Sekunden in bei- 
den Proben das Maximum einer tiefen blutroten Färbung. Sie 
ist absolut wasserfest; beim Ansäuren schlägt sie in Orangegelb 
um und wird durch Alkalischmachen in alter Stärke wieder her- 
vorgerufen. Ein wesentlicher Unterschied des Azofarbstoffes des 
Formaldehydleders von dem der Haut kann nicht festgestellt 
werden. 


Gerbversuche mit o-Protocatechualdehyd und o-Vanillin. 


41 g einer mit Arsensulfid und Kalk geschwödeten und mit 
Oropon gebeizten Kaninblöße werden in 60 cem Wasser mit einer 
Lösung von 0,5 g o-Protocatechualdehyd in 20 cem Alkohol und 
mit ca. 7ccm n-Sodalösung allmählich versetzt und unter zeit- 
weiser Bewegung etwa 24 Stunden stehengelassen. 

Die Probe hat vollständig den blößenhaften Charakter: ein- 
gebüßt und läßt sich wie Formaldehydleder auspressen. Nach 
einigem Wässern wird sie getrocknet und erweist sich nach dem 
Stollen als ein nur wenig blechiges, braungelbes Leder von ver- 
hältnismäßig vollem Griff. Läßt man bei diesem Versuche die 
Sodalösung fort, so ist die Gerbwirkung beträchtlich geringer. 

Eine mit o-Vanillinlösung genau ebenso behandelte Blöße 
ergibt ein pergamentartiges, durchaus ungegerbtes Produkt. 


Zur Bestimmung der Wasserbeständigkeit nach Fahrion!) werden vier 
verschiedene Proben von je 10 g Hautpulver in 84ccm Wasser mit äqui- 
valenten Mengen von o-Protocatechualdehyd (0,548 g), o-Vanillin (0,608 g), 
Brenzcatechin (0,44 g) und Guajacol (0,496 g) in 36 ccm Alkohol versetzt 


Tabelle II. 
Hautpulver | Wasser | Asche | j GE W. B. Farbe der Haut- 
behandelt mit 9% о | оу, | pulverproben 
o-Protocatechual-! 15,7 2,7 ЖҮ: orangegelb 
dehyd (0,548 g) 
o- Vanillin 15,8 1,6 82,5 gelb 
(0,608 g) | „ 
o-Brenzcatechin ; 17,1 | 1,9 43,8 graubraun 
(0,44 g) i d 
e-Guajacol | 179 | 18 81,3 | e | farblos 
(0,496 р) | 


1) Chem.-Ztg. 32, 888. 1908. — Procter, Taschenbuch f. Gerberei- ` 
chemiker 1914, S. 210. 


94 O. Gerngross: 


und allmählich 35 ccm einer etwa /- Sodalösung zugegeben. Nach 
24stündigem Stehen wird abgesaugt und jedesmal mit rund 61 Wasser 
gewaschen, an der Luft konstant getrocknet, Asche und Wassergehalt 
bestimmt. Die o-Protocatechualdehyd- und Brenzcatechinproben sind durch 
den bloßen Augenschein durch größeres Volumen, Elastizität und wolle- 
artiges Aussehen als gegerbt von den ungegerbten bröseligen o-Vanilin- 
und Gusjacolproben zu unterscheiden. 


Adsorptionsversuche. 


Die Aufnahme der beiden Phenolaldehyde durch die Haut 
läßt sich quantitatv sehr bequem verfolgen, da beide in 20 proz. 
alkoholischer Lösung gegen Phenolphthalein mit Barythydrat wie 
einbasische Säuren titrierbar sind!). Diese Methode ist jedoch 
für konzentriertere Lösungen nicht anwendbar. Denn schon 
eine 0,12 Grammäquivalente im Liter enthaltende Lösung der 
beiden Phenolaldehyde verbraucht bei der Titration gegen 
Phenolphthalein nur etwa 90% der berechneten Menge an 2/,,- 
Barytlauge. Man muß daher vor dem Titrieren die Flüssigkeit 
stets auf etwa 0,025 п mit 20 proz. Alkohol verdünnen. Ich habe 
aus diesem Grunde diese Untersuchung nur in niedrigen Kon- 
zentrationsgebieten durchgeführt, da außerdem auch wegen der 
Kostbarkeit des Materials das Arbeiten mit starken Lösungen 
sich nicht gelohnt hätte, und die Resultate auch ohnedies ein 
genügend klares Bild ergeben. 


Die Versuche wurden so angestellt, daß die aus den Tabellen ersicht- 
liohen Hautpulvermengen mit 100 cem der Phenolaldehydlösungen in 20- 
bis 35proz. Alkohol eine bestimmte Zeit geschüttelt, dann die Lösungen 
— zwecks Ausschaltung der Adsorption von seiten des Filterpapiers unter 
Verwerfung der ersten 10ccm — über einer Wittschen Platte vorsichtig 
abgesaugt wurden. In aliquoten Teilen der vorher wie eben beschriebenen 
verdünnten Ausgangslösung und des Filtrates wurde nach Zusatz von 
2 Tropfen Phenolphthalein mit ®/,)-Barytlauge die Anfangskonzentration 
und die Gleichgewichtskonzentration nach dem Schütteln ermittelt. Dar- 
aus ließ sich die Adsorption x und aus der Trockensubstanz des angewendeten 


Hautpulvers die Werte von Z errechnen. Das unchromierte weiße Haut- 


pulver, das wir gleichmäßig für alle Versuche verwendeten, entstammte 
. der Versuchsanstalt in Freiberg in Sachsen und enthielt 13,45%, Wasser 
und 0,23% Asche. 


Es wurde zunächst die zur Einstellung der Gleichgewichte 
zwischen Hautpulver und Phenolaldehydlösung nötige Zeit er- 


1) Н. Pauly, K. Schübel, K. Lockemann, Annalen d. Chemie 
383, 289. 1911. 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 95 


mittelt. Dabei stellte sich heraus, daß unabhängig von den an- 
gewandten Konzentrationen die Gleichgewichte nach spätestens 
1 Stunde’) erreicht waren und sich alsdann nicht mehr änderten. 


Tabelle III. 


100 cem o-Vanillinlösung 
Anfangskonzentration 


| Anfangskonzentration 
a | у == 0,00945 п Fehler- 
Minuten | Hautpulver- | Gleichge- Hautpulver- | Gleichge- ЁТӨПТӨ 
trocken- wichtskonzen ] trocken- ichtekonzen- 
КЕ ‚substauz in g| tration e Fil substanz in g| tration c = 8 
15 4,3225 0,00825 а g 
30 4,3225 0,00734 183 8 
5 H 
120 43225 | 0,00730 |285 
240 41.3225 0,00384 4,3225 0,00730 на 
Tabelle IV. 


100 сеш o-Protocatechualdehydlésung 


Schüttel- Anfangskonzentration у = 0,006 п Fehl 
dauer in | Hautpulver- | Gleichgewichts- ` єп өг 
Minuten trookensubstanz | konzentration grenze 
ing с = 
5 | 4,3225 0,00399 8 8 
15 4,3225 0,00349 (LEE 
30 || 4,3295 0,00340 | sgp? 
DU 4.3225 000335 = 238 
120 4,3225 0,00335 HS 


Es wurde nun untersucht, ob die Reaktion zwischen Haut 
und den Phenolaldehyden in wässeriger alkoholischer Lösung 
reversibel ist. Dabei ergaben sich gut definierte, von beiden Sei- 
ten erreichbare Gleichgewichte, so daß wir sicher sein konnten, 
daß irgendwelche störende Zersetzungen oder Nebenreaktionen 
nicht eingetreten waren. (Tabelle V u. VI.) | 

Die Methodik war die von H. Freundlich?) für solche Zwecke an- 
gegebene. Eine bestimmte Menge Hautpulver wurde einmal mit 100 ccm 
einer bestimmten Anfangskonzentration 2 Stunden geschüttelt, alsdann die 
Gleichgewichtskonzentration I bestimmt. Eine zweite Probe wurde mit 
50 cem einer Lösung von genau der doppelten Konzentration 2 Stunden 


1) Mit Phenol stellt sich das Gleichgewicht viel rascher ein; mit einer 
0,01n-Phenollösung ist die Reaktion schon in 5 Minuten beendet. R. O. 
Herzog, J. Adler, Kolloid-Zeitschr. 2, Suppl. II, S. 3. 1908. 

2) Zeitschr. f. physikal. Chemie 57, 386. 1907. 


96 О. Gerngross: 


geschüttelt, diese Mischung alsdann mit 50 ccm Wasser verdünnt, und weiter 
geschüttelt. Die nach dieser Zeit ermittelte Gleichgewichtskonzentration II 
stimmte innerhalb der Fehlergrenze mit der Gleichgewichtskonzentration I 
überein. 


20 vol.-proz. Alkohol 
verdünnt, eine Stunde 
weitergeschütteit 


Tabelle V. 
| Е 
Ab- Haut- Bee Fehler- Bemerkungen und 
Gelöster | Kr үз Race Sege Anfangskonzentrationen 
Stoff „ Мааш. = у in Milldquivalenten 
| Hautpulver substanz Se 1 für pro ccm 
| in g in g pro cem e 
МУШТУУ ee E el 
o-Vanillin 5 0,00181 | Mit 100ccm Lösung von 
in 20 vo- у = 0,0025 zwei Stunden 
lumpro- 2 geschüttelt 
ti | 5 4,3225 | 0,001905 0,0009 Mit 50 cem Lösung von 
2епивег | Milliäqui- | »=0,0050 eine Stunde 
alkoholi- | valente geschilttelt, dann mit 
scher pro ccm 50 ccm 20 vol.-proz. 
Lösung | | Alkohol verdünnt und 
| | eine Stunde weiterge- 
| | schüttelt 
5 4.3295 0.00384 Mit 100 ccm Lösung von 
| : ‚00 y=0,006 zwei Stunden 
| geschiittelt 
| 5 4,3225 | 0,00381 | 0,00009 | ане 50 ccm Lösung von 
Milliäqui- | y=0,01 eine Stunde 
| valente geschüttelt, dann mit 
| ; 50 ccm 20 vol.-proz. 
ro ccm 
| H Alkohol verdünnt und 
i eine Stunde weiter- 
| | geschüttelt 
Tabelle VI. 
nn е Sg Gleich- ССЗ 
Ab- Haut- i 
i gewichts- Bemerkungen und 
Gelöster | меле: сет 1 Periler: 5 
Stoff daten Illis. grenze |= „in Milliäquivalenten 
GEESS substanz ERPI für c 5 
| in g in g pro ccm=c 
o- Proto- | | 0,00181 Mit 100 ccm Lösung von 
catechu- і У = 0,0025 2 Stunden 
aldehyd | + 0,0001 | geschüttelt 
in 20 vo. 5 4.3225 | 0,00172 | Milliäqui- | Mit 50 ccm Lösung von 
| h | | valente y = 0,005 eine Stunde 
umpro- | | | pro сет geschüttelt, mit 50ccm 
zentiger | 20 vol.-proz. Alkohol 
alkoholi- | | verdünnt, eine Stunde 
scher i | weitergeschüttelt 
Lösung 5 4,3225 0,00335 Mit 100 cem Lösung von 
! | y = 0,005 2 Stunden 
| А -+ 0,0001 | geschüttelt 
| 0,00335 | Milliäqui- | Mit 60 com Lösung von 
| valente у = 0,012 eine Stunde ge- 
| pro ccm schüttelt, mit 50 ccm 
| 


Fähigkeit der tierischen Haut zur Reaktion mit Phenolaldehyden. 97 


Nach diesen Vorarbeiten untersuchten wir die Beziehungen 
zwischen Gleichgewichtskonzentration und der durch 1 р Trocken- 
substanz adsorbierten Menge an Phenolaldehyden. Es ergab sich 
wie aus Tab. VII und VIII und Zeichnung 1 und 2 ersichtlich ist, 
nur in den niedrigsten Konzentrationsgebieten das Bild einer Ad- 
sorption. 

Tabelle VII (siehe Abb. 1). 
Mit 100ccm o-Vanillinlösung 2 Stunden geschüttelt. 


x 
с = Gleichge- = die durch 1 
Angewandte y = Anfangs- 5 в 


Мепре konzentration in raton їй Hautsubstanz ad- 
Hautpulver | Milliäquivalenten Milliäquivalenten sorbierte Menge in 
| Milliäquivalenten 


| 
| 0,0095 0,00181 0,01573 
| 


0,00332 0,00241 0,01874 
0,0050 0,00384 0,02633 
4,3225 g 0,00934 0,00730 0,04720 
Trockensubstanz 0,0100 0,00796 0,04558 
0,01306 0,01045 0,06016 

0.03819 | 0.03346 0,1078 


Abb. 1. Abb. 2 


Tabelle VIII (siehe Abb. 2). 
Mit 100 ccm o-Protocatechualdehydlösung 2 Stunden geschüttelt. 


Angewandte Anfangs c = Gleichge- * Z die durch 1 g 
u у ichtskonzen- 

aa ae konzentration in ш 5 Hautsubstanz ad- 

Trockensubstanz Milliäquivalenten Milliäquivalenten sorbierte Menge in 


Milliäquivalenten 


4,3225 g 0,0025 0,00172 0,001804 
4,3225 g 0,0050 0,00335 0,03679 
4,3225 g 0,009 75 0,00697 0,06409 
4,3225 g 0,01566 0,01252 0,07265 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 7 


Die Stalagmone des Harns. 


Von 
Н. Bechhold und L. Reiner. 


(Aus dem Institut für Kolloidforschung zu Frankfurt a. M. [Direktor: 
Prof. Dr. H. Bechhold].) 


(Eingegangen am 16. Mai 1920.) 


In Heft Nr.4—6, Bd. 105 der biochemischen Zeitschrift berich- 
tete Schemensky, daß bei gewissen Gruppen pathologischer 
Urine, (Infektionskrankheiten, insbes. Tuberkulose, Carcinom, 
Schwangerschaft, Icterus, Nephritiden, Pyelitiden) die Oberflächen- 
spannung des Urins weit unter der Norm ist. Wir haben uns be- 
müht, diejenigen Stoffe aufzufinden, welche diese Anderung bedingen. 

Aus Zweckmäßigkeitsgründen maß Sche mens ky nicht die 
Oberflächenspannung, sondern den „stalagmometrischen Quo- 
tienten“, der in enger Beziehung zur Oberflächenspannung steht. 
Die Messung erfolgte durch Bestimmung der Tropfenzahl eines 
aus dem Stalagmometer abtropfenden Urins. Der Quotient wird 
gebildet durch die Tropfenzahl des auf 1,010 spezifisches Gewicht 
verdünnten Urins, dividiert durch die Tropfenzahl derselben Füssig- 
keit nach dem Schütteln mit Tierkohle (durch die Tierkohle wer- 
den die adsorbierbaren Stoffe, welche hauptsächlich für die Er- 
niedrigung der Oberflächenspannung verantwortlich sind, ent- 
fernt). Während dieser Wert bei normalen Urinen, auch wenn sie 
stark sauer oder angesäuert sind!) 1,180 nicht überschreitet, 
fand Schemensky pathologische Urine mit einem stalagmo- 
metrischen Säurequotienten von 1,300 bis 1, 4002). Die gesuchten 
Stoffe bezeichnen wir als Stalag mone). 

1) Der nicht angesäuerte Urin hat einen tieferen Quotienten. 

2) Von Schemensky werden bloß die Dezimalen der eigentlichen 
Quotienten angegeben. Wir geben in den Tabellen der Einfachheit halber 
die Tropfenzahl an, die mit 50 (Volumen unseres Stalagmometers) dividiert, 
annähernd der Quotient ist. | 

3) Anfangs dachten wir, daß es ein bestimmter Stoff sei, der die 
Oberflächenspannung erniedrigt. Im Laufe der Untersuchungen (schon 
bei der Ultrafiltration) stellte es sich heraus, daß es offenbar mehrere 
Stoffe sind. 


Н. Bechhold und L. Reiner: Stalagmone des Harns. 99 
I. Analyse. 


Das Prinzip unserer Untersuchung auf Stalagmone war 
folgendes: Wir bemihten uns, durch irgendeine physikalische 
Methode die Stalagmone aus dem Urin zu isolieren, bestimmten 
vor- und nachher die Oberflichenspannung des Urins aus der. 
Tropfenzahl am Stalagmometer und schlossen aus der Änderung 
auf die mehr oder minder vollkommene Entfernung der Stalag- 
monet). Das Isolationsprodukt mußte dann die Stalagmone ent- 
halten, und, dem Urin beigefügt, wieder annähernd den ursprüng- 
lichen Quotienten geben. Zunächst suchten wir durch Destil- 
lation mit Wasserdampf nach flüchtigen Stalagmonen. 
Wie aus Tabelle I ersichtlich, ist zwar die Oberflächenspannung 
des Rückstandes verändert (das mag durch Hydrolyse, vielleicht 
durch Konzentration des Urins bedingt sein), jedoch war die 
Oberflächenspannung des Destillats gleich der des destil- 
lierten Wassers. 

Tabelle I. 


Tropfenzahlen (umgekehrt proportional der Oberflächenspannung). 
(Destilliertes Wasser gab 50,3 Tropfen). 


Destillationsrückstand Destillat 
ohne mit ohne mit ohne mit 


Son Säure Säure Säure Säure Säure Säure 
1. Normal . . 54,0 55,5 53,6 55,8 50,1 50,1 
2. Nephritis. 56,0 64,8 56,2 61,2 50,4 50,6 
3. Nephritis. 62,1 67,3 58,0 66,7 505 50,4 


1. Kolloide und Semikolloide. 


Die kolloiden und semikolloiden Stalagmone haben wir durch 
Ultrafiltration zu isolieren versucht. Die Orientierungsver- 
suche mit dem Ostwaldschen Spontan-Ultrafilter deuteten auf 
eine hohe Dispersität der Stalagmone, da sie von ihm nicht zurück- 
gehalten wurden. Wir setzten weitere Versuche mit dem Ultra- 
filtrationsapparat von Bechhold an und verwendeten das bezüg- 


1) Allerdings war darauf zu achten, daf das Verfahren selbst eine 
Oberflächenspannungsänderung bedingen konnte. So war das Ausschütteln 
mit organischen Lösungsmitteln nicht durchführbar, da diese selbst die 
Oberflächenspannung wässeriger Lösungen beeinflussen. Die Änderung der 
Oberflächenspannung des Urins nach dem Ausschütteln mit Äther oder 
Benzol konnte also kein Maß der Entfernung дег Stalagmone sein. Sie 
wird vielmehr durch die Aufnahme des Lösungsmittels hervorgerufen. 


Те 


100 H. Bechhold und L. Reiner: 


lich seiner Durchlässigkeit wohldefinierte 7,5 proz. Eisessigkolloi- 
diumfilter. Dieses Filter hält Hämoglobin quantitativ zurück. 

Es schien zweckmäßig, nach zwei verschiedenen Arten zu 
ultrafiltrieren : Einmal so, daß man den Urin vollständig, und ferner 
so, daB man nur einen Teil (z. B. die Hälfte oder ein Drittel) 
durch das Filter laufen ließ. Letzteres geschah, um bei starkem 
Einkonzentrieren auftretende irreversible Zustandsänderungen 
zu vermeiden!). Stets wurden Filtrat und Rückstand stalagmo- 
metrisch geprüft. Im ersten Falle — bei vollständiger Filtration — 
wurde der Rückstand in wenig physiologische Kochsalzlösung 
suspendiert. 

Die Ergebnisse gaben keine einfache Antwort. Bei Versuchs- 
anordnung I fanden wir zwar eine Vergrößerung der Oberflächen- 
spannung des Filtrates und eine geringe Verminderung der Ober- 
flächenspannung der zur Aufschwemmung des Rückstandes be- 
nützten Kochsalzlösung. Additivität waraber nicht vorhanden, d.h. 
die Summe der Oberflächenspannung von Filtrat und Rückstand 
ergab eine höhere Oberflächenspannung als der ursprüngliche Urin. 

Bei Versuchsanordnung II war die Oberflächenspannung 
des Filtrates wieder erhöht, und die des Rückstandes vermindert. 
Das Gemisch des Filtrates und des Rückstandes hatte auch dies- 
mal eine höhere Oberflächenspannung wie der Urin selbst-), indessen 
war die Differenz nicht so bedeutend wie bei Versuchsanordnung I. 


¢ 


Tabelle II. 
Tropfenzahl. 


Rückstand Ultrafiltrat Teilfiltrat 
ohne mit ohne mit ohne mit Vollst. 


Oma Säure Säure Säure Säure Säure Säure Filtrat 
1. Normal. . . 592 597 579 59,93) 57,1 576 ½ 
9. Normal 59,9 63,1 52 644 53,0 60,9 ½ 
10. Pyelitis . . . 52,7 58,2 54,1 62,1 52,6 59,5 ½ 
11. Nephritis. 551 66,5 59,8 66,8 55,4 56,8 ½ 


12. Tuberkulose. 53,9 65,2 56,2 68,7 54,3 67 1, 
13. Tuberkulose. 52,8 61,0 524 61,7 51,7 51,9 ½ 


1) Es wurden auch Ultrafiltrationen bei verschiedenem H- und OH 
Gehalt durchgeführt, diese gaben aber keine abweichenden Resultate. 

2) Zuweilen lag eine merkliche Fehlerquelle darin, daß sich bei der 
sehr langsamen Filtration Bakterien ansammelten. Wir mußten von der 
Sterilisation absehen, um den Urin möglichst nicht zu verändern. 

3) Die Suspension geschah in / des ursprünglichen Volums. 


Stalagmone des Harns. 101 


Es ist zwar noch hervorzuheben, daß die Oberflächenspan- 
nungsänderung des Filterrückstandes nicht nur nicht gleich der 
des Filtrates war, sondern auch das Verhältnis dieser beiden 
Änderungen bei verschiedenen Urinen nicht dasselbe ist. 
Man kann also nicht sagen, daß ein bestimmter Bruchteil der 
Stalagmone im Rückstande und ein bestimmter Bruchteil im 
Filtrate ist. Vielmehr ist die Verteilung der Stalagmone für 
die betreffenden Krankheitsfälle charakteristisch. Be- 
trachten wir einen Pyelitis- oder Nephritisurin — 10 und 11 der 
Tabelle II — dann finden wir eine beträchtliche Verminderung 
der Oberflächenspannung des Rückstandes gegenüber einer ge- 
ringen Vergrößerung der Oberflächenspannung des Filtrates. 
Bei Normalurin oder Tuberkulose — 9 und 13 — finden wir eine 
kleine Verminderung der Oberflächenspannung des Rückstandes 
gegenüber einer starken Vergrößerung der des Filtrates. Man 
darf daraus schließen, daß die überwiegend wirksamen Stalagmone 
in verschiedenen Fällen nicht identisch sind, d. h., daß die Stalag- 
mone kein einheitlicher Körper, sondern eine Mehrzahl von 
Stoffen sind. 

Die Ergebnisse der Ultrafiltration sind folgendermaßen zu 
erklären: 

a) Das Fehlen der Additivität der beiden Fraktionen Rückstand und 
Filtrat könnte durch die Adsorption in dem Filter bedingt sein. Es können 
aber auch Zustandsänderungen des Kolloids bzw. Semikolloids während 
der Ultrafiltration eintreten. Die unvollständige Löslichkeit des Ultra- 
filterrückstandes bei Versuchsanordnung I spricht für das letztere. 

b) Der Umstand, daß sowohl der Rückstand wie auch das Filtrat 
eine Änderung der Oberflächenspannung zeigen, beweist, daß es verschie- 
dene Stalagmone gibt, welche Körper von verschiedener Dispersität sind. 
Ein im allgemeinen geringer, nur bei eiweißhaltigen Urinen erheblicher Teil 
der Stalagmone (der vom Filter zurückgehaltene Teil) ist den Eiweißstoffen 
ähnlich dispergiert. Der Hauptteil ist feiner dispergiert (der vom Filter 
adsorbierte oder durchgelassene Teil). 

Nach diesen Versuchen ist es jedoch nicht auszuschließen, 
daß eine Dispersitätsänderung des Kolloids während der Filtra- 
tion auftritt. 


2. Das Verhalten bei höherer Temperatur und bei Konzentration des 
Urins. 


Normale und pathologische Urine wurden auf dem Wasser- 
bade eingedampft und im ursprünglichem Volumen Wasser wieder 


102 H. Bechhold und L. Reiner: 


aufgelöst. Damit wollten wir feststellen, ob die Konzentration 
des Kolloids bei höherer Temperatur eine irreversible Dispersitäts- 
änderung hervorruft. Wie zu erwarten, war dies nur bei eiweiß- 
haltigen Urinen in geringem Maße der Fall. In solchen Fällen war 
auch der Trockenrückstand nicht vollkommen löslich. 


8. Trennungsversuche durch Adsorption. 


Wie wir schon erwähnten, fand Schemensky eine Steige- 
rung der Oberflächenaktivität des Urins bei Erhöhung der H- 
Konzentration. Daher vermuteten wir eine auswählende Ad- 
sorptionsfähigkeit durch Adsorbenzien mit ausgesprochenem 
elektrochemischem Charakter. Wir verwendeten das elektro- 
negative Osmosil!) (kolloide Kieselsäure) und das elektro- 
positive Eisenoxydgel. Unsere Versuchsbedingungen waren solche, 
bei welchen Tierkohle die Stalagmone aus dem Urin entfernt 
(10—20 minutenlanges Schütteln mit 5— 10proz. Aufschwemmung). 


Tabelle III. 


Nach dem Schütteln mit 
Eisenoxydgel Osmosil- Kieselsäure 


Urin ohne mit ohne mit ohne mit 
Säure Säure Säure Säure Säure Säure 

1. Normal 55,1 61,8 54,2 62,9 54,6 63,2 
2. Normal . 55,0 69,2 55,1 68,6 54,9 69,9 


Tabelle III zeigt, daß nach diesem Verfahren keine merk- 
liche Änderung der Oberflächenspannung des Urins zu bemerken 
war. Man konnte daraus jedoch nicht auf die Elektroneutralität 
der Stalagmone schließen, da eine deutliche Schutzwirkung der- 
selben gegenüber Eisenoxydgel festzustellen war. Man konnte 
nämlich das mit Urin geschüttelte Eisenoxyd nach dem Schütteln 
nicht mehr durch ein gewöhnliches Filter — in diesem Falle war 
‘nur ein solches verwendbar — trennen. Eisenoxyd lief durch das 
Filter; das Filtrat war deutlich rot gefärbt. Dieser Umstand 
spricht für einen teilweise sauren Charakter der Stalagmone. 

Dasselbe ergibt sich aus Versuchen, die durch Tierkohle 
adsorbierten Stalagmone mit HCl oder NaOH wieder loszu- 
lösen. Mit HCl gelang es überhaupt nicht, mit NaOH nur teil- 
weise. 


1) Osmosil wurde uns von der Osmose-Gesellschaft (Berlin) zur Ver- 
fügung gestellt. 


Stalagmone des Harns. 103 


Zusammenfassung. 


1. Die Stalagmone sind nicht flüchtige oberflächenaktive 
Stoffe. 

2. Sie sind Kolloid e bzw. Se mikolloide, da sie von 7,5 proz. 
Eisessigkollodiumfilter teilweise zurückgehalten, teilweise durch- 
gelassen werden und gut adsorbierbar sind. 

3. Sie sind ziemlich stabile Kolloide (kochbeständig). 

4. Sie besitzen vermutlich amphoteren oder sa uren 
Charakter. . 
II. Synthese. 


Durch die oben angegebenen Methoden sind wir zu einer 
Isolierung derjenigen Stoffgruppen gelangt, welche uns Hinweise 
boten, in welcher Richtung die Stalagmone zu suchen sind. 

Die heutige Kolloidchemie bietet noch nicht die Möglichkeit, 
die einzelnen Substanzen zu isolieren, um sie, ähnlich wie die 
organische Chemie, nach ihrem chemischen Aufbau zu definieren. 
Wir waren also darauf angewiesen, bekannte Bestandteile der nor- 
malen und pathologischen Urine zu kombinieren und zu prüfen, 
ob auf diese Weise Lösungen zu erhalten sind, welche sich ähnlich 
wie die eingangs erwähnten pathologischen Urine verhalten. 


Schemensky fand bisher eine erhebliche Erhöhung des stalag- 
mometrischen Quotienten bei Nierenentzündungen, Schwangerschaft, Car- 
cinom, gewissen Stadien der Tuberkulose, auch bei akuten Infektions- 
krankheiten und mit Ikterus verlaufenden Krankheiten. 

Es ist naheliegend, daran zu denken, daß die in diesen Fällen auftre- 
tenden bekannten pathologischen Harnbestandteile die Oberflächenspan- 
nung erniedrigen. Unter diesen kämen insbesondere Eiweißstoffe und 
Gallenbestandteile in Betracht. In der Tat sind auf Grund der Ultra- 
filtrationsversuche Eiweißkörper im Urin (Cystitis, Pyelitis) als Stalagmone 
anzusprechen. Gleiches gilt für Gallenbestandteile (Ikterus). Die meisten 
Fälle, in welchen hohe stalagmometrische Quotienten gefunden wurden, 
enthalten aber kein Eiweiß und auch wahrscheinlich Gallenbestandteile 
nur in sehr geringem Maße. Das sind dieselben pathologisch nicht zusammen- 
gehörigen Krankheiten, bei welchen Salomon und Sali, Fall und 
Hesky?), Weiss?) hauptsächlich das vermehrte Auftreten unvoll- 
ständiger Eiweißabbauprodukte — insbesondere polypeptidartige 
Körper wie Oxyproteinsäuren — beobachten konnten. Auch erscheint oft 


1) Salomon und Saxl, Beiträge zur Krebsforschung 1910, Heft 2; 
Med. Klin. 1910, S. 510. 

2) Fall und Hesky, Zeitschr. f. klin. Med. 71, 971. 1910. 

3) Weiss, diese Zeitschr. 27, 201. 1910. 


104 H. Bechhold und L. Reiner: 


Urobilin — als Folge sekundärer Leberalteration nach Hesky — im 
Urin. Die physikalischen Eigenschaften dieser Substanzen stimmen, mit 
denen weitgehend überein, welche nach unseren Untersuchungen den 
Stalagmonen eigen sein müssen. 

Noch eine Erscheinung führte uns auf denselben Weg. Die patho- 
logischen Urine mit hohen stalagmometrischen Quotienten sind meistens 
(Ausnahmen: z. B. Pyelitis und Cystitis) mehr oder weniger dunkel- 
braun gefärbt. Diese Färbung wird von erhöhtem Urochromgehalt ver- 
ursacht. 

Um den Zusammenhang des Urochromgehalts mit der Ober- 
flächenspannung des Urins zu untersuchen, haben wir angestrebt, 
Urinverdünnungen von möglichst gleichem Urochromgehalt zu 
erhalten. Wir stellen die Verdünnungen colorimetrisch in gleich 
weiten Reagensgläsern fest. Wegen des Unterschiedes im Farben- 
ton waren die Einstellungen mit Fehlern behaftet. Trotzdem 
konnte man in den meisten Fällen Parallelismus, jedoch keine 
strenge Proportionalität zwischen Färbung und Oberflächen- 
spannungsänderung des Urins feststellen. Ausnahme bildeten 
auch hier Cystitis- und Pyelitisurine. 

Diese Ausnahme bedeutet wahrscheinlich auch in diesem 
Falle ein verhältnismäßiges Überwiegen gewisser Stalagmone ge- 
genüber solchen, die in anderen abnormen Zuständen wie Schwan- 
gerschaft, Carcinom und gewissen Stadien der Infektionskrank- 
heiten vorkommen. | 


Tabelle IV. 
Tropfenzahl 
Urin ohne Säure mit Säure Verdünnung 

І. Vergleich-Urin ..... 54,7 59,4 0 

Tuberkulose . ..... 56,7 64,0 1:4 

Tuberkulose...... 57,6 64,3 1:9 
II. Vergleich-Urin ..... 53,6 61,9 0 

Nephritis 52,4 62,9 1: 2,5 

Schwangerschaft 55,0 63,2 1:11 

Pyelo- Nephritis 33,0 57,7 1:5 


Es geht aus diesen Versuchen hervor, daß Urochrom keine 
wesentliche Komponente der Stalagmone sein kann. Jedoch scheint 
es, daß die Stalagmone in einer gewissen Beziehung zu 
Urochrom stehen. (Die zur Zeit herrschende Theorie der 
Urochrombildung führte uns wieder zu Eiweißabbauprodukten, 
insbesondere zur Oxyproteinsäure.) 


Stalagmone des Harns. 105 


Es war also angezeigt, solche Eiweißabbauprodukte, welche 
den Stalagmonen entsprechende physikalische Eigenschaften be- 
sitzen, auf ihre Oberflächenaktivität zu untersuchen. Schemen- 
sky fand eine starke Wirksamkeit derPeptone und Albu- 
mosen. Er untersuchte physiologische Kochsalzlösungen, in 
denen die Konzentration der Albumosen beziehungsweise Pep- 
tone gleich war der maximalen Konzentration dieser Stoffe in 
pathologischen Urinen. Die Oberflächenspannungen dieser Lö- 
sungen waren stark erniedrigt, erreichten aber nicht den 
dem pathologischen Urine entsprechenden tiefen Wert. 
Sie sind also nicht die einzigen Stalagmone. 

Wir untersuchten auf ähnliche Weise die Oxyproteinsäuren 
bzw. die von Ginsberg als Barytfraktion benannten Bestand- 
teile des Urins. Die Barytfraktion enthält außer sämtlichen 
Oxyproteinsä uren noch einen ‚‚peptidartigen Rest“. Sie besteht aus 
wasserlöslichen und alkoholunlöslichen Bariumsalzen gewisser 
polypeptidartiger Säuren, die aus dieser Barytfraktion durch 
Fällung mit Schwermetallsäure (Blei- Quecksilberacetat) zu trennen 
sind. Wir isolierten die Barytfraktion nach der von Ginsberg?) 
angegebenen Methode und berechneten die den pathologischen 
Urinen entsprechende Maximalkonzentration aus Analysen von 
Salo moni), Falk und Hes k yz) und Weiss). Sie beträgt ca. 
1%. Die Tropfenzahlen solcher Lösungen sowohl mit physio- 
logischer Kochsalzlösung wie auch mit Normalurin als Lösungs- 
mittel befinden sich in Tabelle V. 


Tabelle V. 
Tropfenzahl 
ohne Säure mit Säure Verdünnung 

І. In Wasser 66,5 4% 

58,5 2% 

54,0 1% 

51,6 0,5% 

П. In Wasser . . . 54,0 57,5 1% 
ПІ. In Wasser ... 54,6 60,0 1% 
IV. In Urin 72,6 4% 
62,7 2% 

56,5 1% 

53,0 0,5% 


1) Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 10. 1907. 
2) loc. cit. 


106 H. Becbhold und L. Reiner: 


Wir sehen, daß die Barytfraktion eine erhebliche Er- 
niedrigung der Oberflachenspannung hervorruft. Ba- 
rytfraktionlösungen haben aber auch keine so tiefen Oberflachen- 
spannungswerte wie einzelne pathologische Urine. 

Aus dem Bisherigen geht hervor, daß hauptsächlich Eiweiß- 
abbauprodukte, also Stalagmone zu betrachten sind. 
Es war jedoch noch zu entscheiden, ob sich die Wirkung der 
Stalagmone in Urinen mit sehr geringer Oberflächenspannung 
einfach summiert oder durch andere indifferente Stoffe 
verstärkt. | 

Um diese Frage zu entscheiden, setzten wir zu einer 1 proz. 
Peptonlösung und 1 proz. Barytfraktionslösung normale Harn- 
bestandteile, ungefähr in dem Verhältnis, in welchem sie im nor- 
malen Urin vorkommen. Wir fanden eine 10—15 proz. Ernied- 
rigung der Oberflächenspannung nach Zusatz von 4 ‚Salzen. 
Es wurde auch noch die gegenseitige Wirkung der Barytfraktion- 
und Peptonlösungen aufeinander untersucht. Bei einer Konzen- 
tration von 0, 5% ist die Oberflächenspannung additiv; bei der 
Verwendung 1 proz. Lösung entspricht sie der Additivität nicht 
mehr, sie liegt höher. 


Tabelle VI. 
1 proz. Peptonlösung 1 proz. Barytfraktionlösung 


еа ohne Säure mit Säure ohne Säure mit Säure 
TOL NaCl ошаса Bore 2.4 59,0 59,0 54.6 60.0 
2% Harnstoff 59,6 59,6 84,3 60,1 
0,5% Na HPO. 58,3 59,7 55, 8 61.4 
0,02% Cal. 58.9 61.6 57.7 61.3 


ohne Säure mit Säure 
0,5% Oxyproteinsäure und 


0,5% Pepton . 60,9 60,9 
1% Oxyproteinsäure und 
1% Pepton ..... 59,6 64,1 


Die Werte in Tabelle VI zeigen keine Quotienten, die den 
höchsten der pathologischen Urine entsprechen würden. Dies 
war aber bei Kombinationen zweier Stalagmone auch nicht zu 
erwarten. Es war jedoch nicht möglich, sämtliche Eiweißabbau- 
produkte zu untersuchen, da die in Betracht kommenden hoch- 
molekularen schwer oder gar nicht zu isolieren sind. Besonders 
trifft das bei der Polypeptidgruppe zu. Wir wollten mit diesen 


Stalagmone des Harns. 107 


Versuchen nur zeigen, daß durch Kombination der von uns 
als Stalagmone erkannten Stoffe miteinander und insbe- 
sondere bei Gegenwart von Salzen solche Lösungen herstell- 
bar sind, deren Oberflachenspannungen sich den nie- 
deren Werten der pathologischen Urine nähern!). 


Zusammenfassung. 


I. 

1. Als Stalag mone bezeichnen wir die für gewisse Krank- 
heitsgruppen (Tuberkulose, Schwangerschaft, Carcinom, Ne- 
phritis, Ikterus, Pyelitis, schwere Infektionen) charakteristischen 
Stoffe im Urin, welche dessen Oberflachenspannung er- 
niedrigen. l 

2. Ultrafiltrationsversuche zeigten, daß es Kolloide, be- 
sonders aber Semikolloide sind, und daß sie nicht einem 
bestimmten Dispersitätsgrade angehören. 

3. Sie sind bezüglich ihrer Dispersität sehr stabil. 


П. 

1. Веі verschiedenen Krankheiten sind verschiedene 
Stalagmone oder Stalagmongruppen wirksam. 

2. Bei EiweiBausscheidungen ist EiweiB ein wesentlicher 
Faktor. Bei ikterischen Urinen scheinen Gallenbestandteile 
wirksam zu sein!). 

3. In den meisten bis jetzt untersuchten Fälle geht die 
Oberflächenspannungserniedrigung einigermaßen parallel mit der 
Färbung des Urins. 

4. Die Erniedrigung der Oberflächenspannung wird jedoch 
nicht von Urochrom, sondern von anderen Eiweißschlacken 
wie Albumosen, Peptonen, Oxyproteinsäuren verursacht. 

5. Es zeigt sich, daß in allen den Fällen, welche durch den 
stalagmometrischen Quotienten als pathologische charakterisiert 
waren, Weiss, Salomon, Falk und Hesky das vermehrte 
Auftreten von Eiweißschlacken (insbesondere Oxyproteinsäure) 
nachgewiesen hatten. 

1) Es gelang uns neuerdings aus, stark eingeengten mit verd. HCI 
digerierten Urinen durch Ausschütteln mit Ather geringe Mengen (0,5 —29/,,) 
sehr stark oberflächenaktive Substanzen zu isolieren. Sie sind amphoter, 


lösen sich nicht im Wasser, jedoch leicht in NaOH. — Sie spielen in 
ikterischen Fällen eine große Rolle. 


108 H. Bechhold und L. Reiner: Stalagmone des Harns. 


5. Die Oberflächenaktivität dieser Stoffe wurde nachge- 
prüft. Es zeigt sich bei einer 1 proz. Lösung der sogen. Baryt- 
fraktion oder von Pepton je eine Tropfenzahl von 60—61, die 
einem Säurequotienten von 200 nach Schemensky ungefähr 
entspricht?). 

6. Normalurinbestandteile erhöhen die Wirksamkeit der Stalag- 
mone (um 10—15%). Es ist somit anzunehmen, daß die Stalag- 
mone als pathologische Eiweißabbauprodukte (Eiweißschlacken) 
anzusehen sind, deren oberflächenaktive Wirkung von Fall zu 
Fall durch akzessorische Bestandteile (Eiweiß, Gallenbestandteile 
und vielleicht noch andere nicht bekannte Stoffe) erhöht wird. 


1) Die von uns neuerdings gewonnene ,,Atherfraktion zeigt bereits 
in 0, 5% -Lösung einen Säurequotienten von 160—180. 


Über die Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung 
in der chlorophyllosen und chlorophylihaltigen Zelle. I. 


Von 


Julius Stoklasa. 


(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, E. Napravil und 
J. Hromädko.) 


(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm.-techn. Hochschule 
in Prag.) 


(Eingegangen am 15. April 1920.) 
Mit 1 Abbildung im Text. 


Die ersten Untersuchungen über pflanzliche Radioaktivität 
sind im Jahre 1904 von Tom masina!) und Paul Becquerel?) 
im Jahre 1905 ausgeführt worden. 


Tommasina konnte feststellen, daß frisch gepflückte Pflanzen, wie 
Gräser, Früchte, Blumen und Blätter schon eine ziemlich bedeutende Radio- 
aktivität besaßen; und fernerhin, daß die Objekte im Laboratorium, sowie 
dieselben Pflanzen, die ausgetrocknet waren, nur minimale Spuren davon 
zeigten. Es wäre also eine gewisse Radioaktivität vorhanden. Tomma- 
sina hat kein genaues Maß für diese Radioaktivität angegeben. 

Die Angaben Tommasinas wurden von Tarchanoff und Molden- 
hauer?) bestätigt. Becquerel, Camillo Acqua, Thomas und Lan- 
cien war es dagegen nicht möglich, mit der gehabten Apparatur zu beweisen, 
daß in dem Pflanzenorganismus tatsächlich eine Bioradioaktivität existiert. 

Thomas und Lancien erzielten dieselben Resultate wie Becquerel, 
welcher den Beweis geliefert hat, daß bei Tommasinas Untersuchungen 
unbedingt ein Versuchsfehler unterlaufen sein muß, welcher ihn zu der 
Anschauung brachte, daß die Pflanzen eine besondere Radioaktivität be- 
sitzen. 

1) Tommasina, Compt. rend. de ГАсаа. des Sc., Paris, 7. XI. 1904. 
Siehe auch Paul Becq uerels Arbeit: Die Radioaktivität und die Pflanzen- 
biologie, in dem Handbuch der Radium-Biologie und Therapie von Paul 
Lazarus. Verlag von J. F. Bergmann, Wiesbaden 1913. 

2) Paul Becquerel, Compt. rend. de l’Acad. des Sc., Paris, 2. I. 1905. 

3) Tarchanoff und Moldenhauer, Intern. akadem. Blatt 1905, 
8. 728—134. 


110 J. Stoklasa: 


Die Folgerungen, zu welchen die vorerwähnten Forscher 
gekommen sind, daß keine pflanzliche Bioradioaktivität existiert, 
kann ich nicht teilen, ebensowenig die Anschauungen, daß, wenn die 
Pflanzen eine äußerst schwache Radioaktivität zeigen, diesekeinerlei 
Beziehung zu ihrem Leben hat, und sie an Intensität nicht die 
gewöhnliche des Erdbodens und der Atmosphäre überschreiten muß. 

Seit der Entdeckung des Radiums und der energischen Wir- 
kung seiner Strahlen haben wir uns bemüht, die organischen 
und funktionellen Veränderungen der pflanzlichen und tierischen 
Organismen unter dem Einfluß der Radiumemanation zu stu- 
dieren. Die von uns gewonnenen Beobachtungsresultate habe 
ich schon in meiner Festrede auf dem VI. Internationalen Kon- 
greß für allg. u. ärztl. Elektrologie u. Radiologie in Prag im Jahre 
1912 im kurzen skizziert (siehe Berichte des Kongresses). 

Aus unseren Versuchen geht deutlich hervor, daß in gewissen 
Fällen eine Bioradioaktivität in dem Pflanzenorganismus vor- 
handen ist. Durch exakte Messungen wurde gefunden, daß die 
Pflanzen, welche mit radioaktivem Wasser begossen wurden, 
stets eine deutliche Radioaktivität aufwiesen. Aber auch die 
Pflanzen, welche im Freien wuchsen, waren radioaktiv. 

Wir haben namentlich während der Blutungsperiode im 
Monate März den Gehalt des Blutungssaftes an Mineralstoffen und 
die Radioaktivität der Betula alba und Acer platanoides studiert. 

Gemäß unserer Analysen befand sich in 11 des Blutungs- 
saftes von Betula alba: | 

durchschnittlich . ß 9,326 g Trockensubstanz 


Diese Substanz enthielt. 0,58 g Reinasche, 
was in Prozenten ausgedrückt . . . . 6,2 ergibt. 


In 11 des Blutungssaftes waren vorhanden: 


~ Soo; ra See ! 0,002 g 
W Ä ee Ss 0,028 g 
РО e ĩ A0 эш. $ 0,065 g 
GGG! олы ы ш a et 0,005 g 
Бес 28 205 0,001 g 
. ee E ae ee 0,015 g 
, Ee Sea жу ша Spuren 
“ A A 0,111 g 
// / Br Ле чё ee 0,016 g 
KO a ae en ой 0,249 g 
NGO ааа е ee 0,080 g 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 111 


In der Gesamtreinasche sind 43% Kaliumoxyd zu- 
gegen. Ä 

Was die Radioaktivität anbelangt, so wurde gefunden: Im 
Blutungssaft von Betula alba pro Liter 5,24. 10-12, ferner 
6,69 - 10-12, 9,36 - 10-12. 

Der Blutungssaft von Acer platanoides weist in 11 10, 84 g 
Trockensubstanz auf, welche Substanz 0,9793 g Reinasche ent- 
halt. 11 dieses Blutungssaftes besaß eine Radioaktivität von 
4,62 . 10-18, 4,37. 10-12, 5,75 - 10-12, 

Diese Zahlen wurden bei Betula alba und Acer platanoides 
während 5 jähriger Beobachtung gewonnen und zwar in den 
Jahren 1913—1918. Wie daraus erhellt, zeichnet sich der Blu- 
tungssaft durch eine deutliche Radioaktivität aus, welche davon 
abhängt, auf welchem Gestein sich die Bäume entwickelt haben. 

Wenn sich das Wurzelsystem der Bäume in Verwitterungs- 
produkten, evtl. in einem Gestein verbreitet, welches reich an 
Aktivität ist, und deren Aktivität auf ihre akzessorischen Bei- 
mengungen von gewissen radium- und thoriumhaltigen Minera- 
lien, oder Trümmern derselben beruht, so enthält auch der Blu- 
tungssaft eine reichliche Aktivität. | 

In der Natur kommen Eruptivgesteine vor, die sich durch 
einen hohen Radium- und Thoriumgehalt auszeichnen. Auf 
solchen Gesteinen entwickelt sich eine Vegetation, die stets 
radioaktiv ist. Auch die Pflanzen, welche mit radioaktiven 
Wassern in der Natur fortwährend in Berührung kommen, sind 
radioaktiv. Am deutlichsten ist das in der Brambacher Gegend 
zu finden, wo die Bachwässer 6—10 ME. enthalten. Wir 
konnten bei den in diesen Wässern sich entwickelnden Wasser- 
pflanzen stets eine Radioaktivität nachweisen. Bei den Pflanzen 
von der sich in der Nähe der Uran- und Radiumfabrik in St. 
Joachimsthal entwickelnden Vegetation konnte ebenfalls 
eine Bioradioaktivität konstatiert werden. Die an- 
gegriffenen Pflanzen, und zwar Brassica napus rapifera, Raphanus 
sativus, Apium graveolens, Daucus carota, Symphoricarpus race- 
mosus, Lonicera Caprifolium, Robinia pseudacacia, Caragana 
arborescens usw. in der Nähe der Radium- und Uranfabrik, waren 
alle radioaktiv. Nicht nur ich, sondern auch Herr Kollege Uni- 
versitätsprofessor Dr. Störba- Böhm, konnte in den Pflanzen, 
die während der ganzen Vegetation mit radioaktivem Wasser 


112 J. Stoklasa: 


begossen wurden, eine deutliche Radioaktivität nachweisen. Es 
war das namentlich bei Beta vulgaris, Solanum somniferum und 
Lupinus angustifolius der Fall. 


Uber die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums auf die Ent- 
wicklung des Pflanzenorganismus. 


Bei unseren Versuchen über den Einfluß der Radioaktivität!) 
auf die Mechanik des Stoff- und Gasaustausches, sowie über- 
haupt der ganze Bau- und Betriebsstoffwechsel der 
chlorophyllosen und chlorophyllhaltigen Pflanzen- 
zelle?) haben wir gefunden, daß bei den kalireichen Pflanzen die 
Radioaktivität einen speziell schädlichen Einfluß ausgeübt hat, 
den wir weiter verfolgen. Wenn man die kinetische Energie der 
ß-Strahlen des Kaliums mit der kinetischen Energie der $-Strahlen 
des Radiums und mit der der «-Strahlen des Urans vergleicht, findet 
man, daß das Durchdringungsvermögen der Strahlen des Kaliums 
viel größer ist als bei Radium. Interessant war weiter die Beob- 
achtung von Strutt, indem ereinen merklichen Heliumgehalt in 
den StaBfurter Kalisalzen gefunden hat und zwar in Sylvin KCI in 
100 р 0,55 ccm Helium, in Karnallit KMgCl, + 6 H, O in 100g 
0,151 ccm Helium. 


Uber die Bedeutung des Kaliums in der tierischen Zelle hat H. Zwaarde- 
maker in Utrecht mit seinen Mitarbeitern P. Feenstra, Ben- 
jamins, de Lind van Wyngaarden, Lely usw. Versuche ausge- 
führt, zuerst die Resultate derselben in holländischer Sprache publiziert 
und hierauf ein zusammenfassendes Referat in Pflügers Archiv f. d. ges. Phy- 
siologie im Jahre 1918 veröffentlicht. 

Zwaardemaker?) kommt bei seinen Untersuchungen, die er bloß an 
tierischem Organismus ausgeführt hat, zu ganz neuen Entdeckungen: 

In manchen Geweben ist Kalium, wie er gefunden hat, ein für die 
Funktion unentbehrliches Element. Es kann in diesen Fällen ersetzt werden 
durch alle anderen Elemente, die mit dem Kalium die Eigenschaft der 
Radioaktivität gemeinsam haben. Die Vertretung geschieht in nahezu 
äquiradioaktiven Mengen nach totaler Radioaktivität berechnet; statt eines 
radioaktiven Elementes kann eine von außen eingeführte Strahlung treten. 


1) J. Stoklasa, Compt. rend. hebd. des séances de l’Acad. des Sc. 
T. 155, No. 22; ferner l. c. 156, No. 2. 


2) J. Stoklasa, J. Šebor et V. Zdobnicky, Compt. rend. hebd. des 
séances de l’Acad. des Sc. 156. No. 8, S. 24. 1913. — Julius Stoklasa, 
Chem.-Ztg. Cöthen 1912, Nr. 142, S. 1382; 1914, Nr. 79, S. 841. Julius 
Stoklasa, Strahlentherapie Bd. IV, Heft 1. 1914. 

3) Zwaardemaker, Pflügers Arch. f. d. ges. Phys. 173. 1918. 


- er iii eee 


=i iin ꝑ—ꝛ— ia — к _ щы ы 


| 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. J. 113 


Es ist, was die jetzt vorliegenden Verhältnisse anbetrifft, gleichgültig, ob 
die Strahlung einen a- oder einen $-Charakter besitzt. Wenn gleichzeitig 
anwesend, sind die a- und die £-Strahlen, biologisch betrachtet, Antago- 
nisten. Sowohl bei vollständiger Abwesenheit der Radioelemente als bei 
genauer gegenseitiger Aufwägung derselben verschwindet die Funktion. 
Sie kehrt zurück, wenn eine der beiden Strahlungsarten neu hinzugesetzt 
wird; ob durch materielle Strahler, ob durch Strahlungen ist gleichgültig. 
Der Nullpunkt und die Reihe der Gleichgewichtspunkte bilden eine Kurve 
mit charakteristischer Gestalt. Der Sommer verringert das Bedürfnis 
mancher Gewebe an Radioelement in der Zirkulationsflüssigkeit. Es ist 
gleichgültig, ob das Radioelement, das zur Vertretung des Kaliums eingesetzt 
wird, in Ionenform anwesend ist, oder in einem kolloidalen Komplex. 
Die ersten Versuche, die wir ausgeführt haben, beziehen sich 


auf die Keimfähigkeit der Samen. 


A. Über den Einfluß der Radioaktivität des Kaliums auf die 
Keimfähigkeit der Samen. 

Es ist gewiß von großem Interesse zunächst zu erfahren, wie 
die natürliche und künstliche Radioaktivität, die aus Radium ent- 
standen ist, sowie die Radioaktivität des Kaliums auf die Wachs- 
tumsbeschleunigung der verschiedenartigen Pflanzen wirkt. Es 
wurden zuerst von uns Versuche über die Wirkung der natürlichen 
und künstlichen Radioaktivität auf den KeimungsprozeB der 
verschiedenen Pflanzensamen vorgenommen. Unsere Keimungs- 
versuche wurden mit Samen von Triticum vulgare, Hordeum 
distichum, Vicia faba, Pisum sativum, Lupinus angustifolius, 
Trifolium pratense und Pisum arvense mit natürlichem radio- 
aktivem Wasser an Ort und Stelle in St. Joachimsthal und mit 
Brambacher und Franzensbader Mineralwasser ausgeführt. Das 
Mineralwasser von Brambach wurde, weil sich Brambach ganz 
in der Nähe von Franzensbad befindet, stets an demselben Tage, 
wie es der Quelle entnommen wurde, nach Franzensbad transportiert 
und gleich nach Erhalt noch am selben Tage zum Versuche benützt. 

Weiter wurden Keimungsversuche ausgeführt mit demselben 
Grubenwasser von St. Joachimsthal, und Mineralwasser von 
Franzensbad und Brambach, jedoch wurden die Wässer radio- 
aktivfrei gemacht. Dies geschah auf diese Weise, daß das Wasser 
bis auf 37° C erwärmt und die Luft durch das Wasser stark durch- 
geleitet wurde, bis die Radioaktivität vollständig entwichen ist. 

Dann wurden Versuche mit künstlicher Radioaktivität vor- 
genommen, indem das Grubenwasser von St. Joachimsthal, so- 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 8 


114 | J. Stoklasa: 


wie das Mineralwasser von Franzensbad und Brambach von der 
natürlichen Radioaktivität befreit wurde und zu diesem Wasser 
künstliche Radioaktivität, welche aus Radiumchlorid erzeugt 
wurde, zugeleitet worden ist. 

Eine andere Serie der Versuche wurde in der Weise aus- 
geführt, daß die radioaktiven Grubenwässer von St. Joachims- 
thal und Mineralwässer von Franzensbad und Brambach 
radioaktivfrei gemacht wurden und pro 11 5g Kaliumchlorid 
zugesetzt wurden. 

Die von den vorerwähnten Pflanzen ganz frischen unver- 
letzten keimfähigen Samen wurden in großen Mengen gesammelt, 
ein Durchschnittsmuster davon genommen, die Keimfähigkeit 
genau bestimmt, sowie das Gewicht der Trockensubstanz er- 
mittelt. Ferner wurde das Gewicht von 100 Samen auf Trocken- 
substanz berechnet, festgestellt. Die Keimversuche wurden immer 
mit 100 Samen der gleichen Pflanzenart von fast gleichem Ge- 
wicht vorgenommen, und zwar entfielen auf 100 g Trockensub- 
stanz der Samen pro 12 Stunden, 30 Macheeinheiten = 12 030 - 10 -!? 
= 0,000 012 mg Ra der natürlichen oder künstlichen radioaktiven 
Emanation. Die Prozedur dauerte 144 Stunden, während welcher 
Zeit auf 100 g Trockensubstanz der Samen 360 ME = 144 360 
e 10-12 = 0,000 144 mg Ra wirkten. In einigen Fällen war der 
Keimungsprozeß entweder nach 48 oder 72 Stunden vollendet. 

Vor dem Studium des Einflusses der Radiumemanation auf 
den KeimungsprozeB wurden die Samen maceriert, 100 Samen 
wurden in sterilisierten cylindrischen Gefäßen, welche einen 
Durchmesser von 12cm und eine Höhe von 25cm besaßen, 
2 Stunden entweder in gewöhnlichem Wasser oder in natürlichen 
radioaktivem, oder künstlich radioaktivem Wasser, oder in kalium- 
chloridhaltigem Wasser maceriert. Das Wasser wurde nach 
12 Stunden stets erneuert. Die Gefäße wurden während der 
Macerierung mit sterilisierter Watte verstopft. 

Zur Ermittlung der Keimfähigkeit und der Keimungsenergie 
unter Einwirkung des gewöhnlichen Wassers, oder des natürlichen, 
oder künstlich radioaktiven Wassers wurden sterilisierte cylin- 
drische Gefäße benutzt von 7,5 cm Durchmesser und 22 cm Höhe. 
Es wurde so viel Wasser angewendet, daß die Samen bis zu ihrer 
Oberfläche im Wasser eingetaucht waren, und daß die Luft vollen 
Zutritt hatte. In jedem Gefäß befanden sich bloß so viele Samen, 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 115 


daß nur der Boden des Cylinders bedeckt war, so daß die Samen 
niemals aufeinander zu liegen kamen. Nach 12 Stunden wurde ent- 
weder das gewöhnliche Wasser oder das natürlich oder künstlich radio- 
aktive oder kaliumchloridhaltige Wasser erneuert. Die kleinen cylin- 
drischen Gefäße wurden ebenfalls mit sterilisierter Watte verstopft. 

Zum Studium des Einflusses der Radioaktivität auf die 
Keimfähigkeit und Keimungsenergie der Samen wurde folgendes 
Wasser benutzt. Vom Wernerschachte pro 11 mit 250—400 
Macheeinheiten, vom Danielistollen mit 460 — 640 Macheeinheiten 
und vom Barbarastollen mit 165—342 Macheeinheiten. In den 
Wässern wurden bevor sie zur Untersuchung benutzt wurden, 
die Emanation gemessen und die zum Versuche nötigen Quanti- 
täten Wasser abpipetiert. Das Wasser von Brambach hatte pro 
11 eine Radioaktivität von 860—1286 Macheeinheiten. 

Was die Radioaktivität und chemische Zusammensetzung 
der radioaktiven Grubenwässer von St. Joachimsthal und der 
Mineralquellen von Franzensbad und Brambach anbelangt, sei 
folgendes bemerkt. 


I. Radioaktives Wasser aus dem Danielistollen in 
St. Joachimsthal. 


Auf Grund unserer Untersuchungen an Ort und Stelle weisen 
diese Grubenwässer eine Radioaktivität von 460—640 Mache- 
einheiten bei einer Temperatur von 12°C auf. Die Restaktivitat 
beträgt 0,047 Macheeinheiten. Die hier ausgeführten Messungen 
der Radioaktivität, sowie Bestimmungen des Charakters der 
Emanation wurden nach den Angaben von J. Elster und H. 
Geitel!) und nach Н. Mache und St. Meyer?) vorgenommen. 


In 1000 g Wasser wurden gefunden: 


Kationen: Anionen: 
E oe eaaa 0,00316 g СЇ о еа вв 2з 0,008 g 
NN в alae жыз 0,00806 g So ³²˙ð¹¹1ů T 0,042 g 
FFP 0,00005 g SIO ve ee A 0,0286 g 
С... ee ar ЛГУ 0,02698 g 
МЕ ooie sae 0,00498 g 
РЕЧИСИ Е" 0,00021 р 
Mn ran u. 0,00058 g 


1) J. Elster und H Geitel, Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1904. 
2) J. Mache und St. Meyer, Sitzungsber. d. kaiserl Akademie d. 
Wissensch. Wien 1905. 


8* 


116 i J. Stoklasa: 


II. Radioaktives Wasser vom Barbarastollen. 


Dasselbe besitzt eine Radioaktivität von 165—342 Mache- 
einheiten bei einer Temperatur von 11° C. In 1000 g des Wassers 
befanden sick: 


Kationen: Anionen: 
RCC ee 0,00266 g F 0,0038 g 
Ne 0.0.4. 44, ЖЮ or 0,00584 g SW. У 0,0392 g 
CA 2k езе Se ws 0,0133 g POW ж wie шш Re 0,0036 g 
МӨ a see 0,0067 g 80 8 0,0302 g 
fe 0, 00452 g 
Me et oe a 0,0003 g 


III. Grubenwasser aus dem Wernerschachte. 


Dieses Wasser ist von einer Radioaktivität von 250—400 
Macheeinheiten bei einer Temperatur von 10,3°C. Die Rest- 
aktivität beträgt 0,06 Macheeinheiten. 

In Jonenform ausgedrückt gestaltet sich die Zusammen- 
setzung für 1000 g Wasser folgendermaßen: 


Kationen: Anionen: 
RR; ͤ Tc 0,0039 g . 0,0037 g 
Ма A EE 0,0167 g БО к A e 0,01326 g 
Са. res 0,00718 g S 0,0031 g 
Мое тәам 0,00558 g ІО ена н жов 0,0122 g 
ЕРЕ ОЧЕР 0,00432 р ү 
Mit ........ 0,00211 к 


Aus den vorstehenden Analysen ist ersichtlich, daB sich diese 
radioaktiven Wässer durch eine kleine Härte auszeichnen. Beim 
Danieli- und Barbarastollen beläuft sich die Härte des Wassers 
ungefähr auf 4°, beim Wernerschachte auf 2°. Bemerkenswert 
ist hier noch, daß diese Wässer Lithium, sowie Spuren von Stron- 
tium und Baryum enthalten. Die Grubenwässer sind verhältnis- 
mäßig arm an Kaliumion. Alle diese drei Wässer sind stark ra- 
dioaktiv. 

AuBerdem sind in St. Joachimsthal noch radioaktive Wässer 
vom Schweizergange in einer Aktivität von 80—70 Macheein- 
heiten. Die stärksten radioaktiven Wässer befinden sich in der 
unmittelbar an der Putzenwacke entspringenden Quelle (ein basal- 
tischer Brockentuff), welche gemäß unseren Untersuchungen 
900— 1300 Macheeinheiten aufweisen. 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 117 


Die Aktivität wird durch die gelöste Radiumemanation er- 
zeugt. Die Thoriumemanation ist nicht vorhanden. Es konnte 
bloß eine unbedeutende Restaktivität beobachtet werden. 

Unsere Untersuchungen bezüglich der Feststellung, ob Zer- 
setzungsprodukte, in erster Linie Radiothor, konstatierbar sind, 
führten zu negativen Resultaten. Auch in den Sedimenten 
konnten ganz geringe Mengen von Radiumsalzen nachgewiesen 
werden. 

Weitere Untersuchungen werden noch zeigen, ob Aktinium 
in den Grubenwässern zugegen ist. 


IV. Radioaktive Wässer von Franzensbad und Bram- 
bach. 


Die Franzensbader Grenzquelle, welche der Bohrung in 
Ober-Reuth entspringt, besitzt bei 8,5°C eine Radioaktivität 
von 138,6 Macheeinheiten. Die Restaktivität beträgt 0,073 Mache- 
einheiten. Die chemische Analyse hat folgendes Resultat ge- 
liefert: 

1000 g des Mineral wassers, auf Ionen berechnet, enthalten: 


Kationen: Anionen: 
Kos елж A 0,0497 g V 0,0789 g 
Ма оа ае е 0,225 g БО ша жуш а к 0,1941 g 
GF уй A 0,162 g РО Gio ле Ake 0,0002 g 
Me aes we rear 0,0293 g SIO е аа 0,067 g 
EE ee ie: de и 0,0148 g 


Von freiem Kohlendioxyd befanden sich in dem Wasser 
1,438 g. Auch Spuren von Schwefelwasserstoff waren daselbst 
zugegen. Dieses Wasser ist verhältnismäßig reicher an Kalium- 
Ion als die Grubenwässer von St. Joachimsthal. 


Radioaktives Wasser von Brambach. 


Die Wettinquelle (neue Quelle) von Brambach im Vogt- 
lande weist nachstehende Zusammensetzung auf: Das Wasser 
besitzt bei einer Temperatur von 9,2° С eine Radioaktivität von 
860— 1286 Macheeinheiten. 

Auch induzierte Aktivität, welche sich aus den vorhandenen 
aktiven Sedimenten entwickelt, war nachweisbar. Radiothor 
wer in ganz geringen Mengen vertreten. 


118 J. Stoklasa: 


Unsere chemische Untersuchung hat nachstehendes er- 
geben: 
In 1000 g des Mineralwassers waren zugegen: 


Kationen: Anionen: 
„ 0,0399 g . San oy ad жЕ 0,098 g 
Ма: ke 0,226 g бО A a 0,299 g 
Сас а ae ees ' А 0,204 g PO 55. er eras eS 0,0001 g 
МЕ ai ж ж-ш — 0,028 g o. a, ж з 0,088 g 
Беа, 0,0135 g 


Von freiem Kohlendioxyd befanden sich іп dem Wasser 2,438 р. Das 
Kaliumion war hier in derselben Weise vertreten wie im Franzensbader 
Wasser. 

In diesen beiden Wässern waren neben den vorerwähnten Ionen von 
den Kationen noch Strontium, Baryum- und Manganion, von den Anionen 
Brom-, Jod- und Arsenion vorhanden. 

Zieht man die chemische Zusammensetzung der Wasser in 
Betracht, so gelangt man zur Überzeugung, daß die Ionen von 
juvenilem Ursprung sind. Diese juvenilen Quellen treten neu- 
geboren aus der Tiefe der Erde hervor, um die Hydrosphäre zu 
vermehren und der Geosphäre neue Mineralstoffe zuzuführen. 

Die Versuche wurden in St. Joachimsthal in den Jahren 
1912 und 1915, im Stadtlaboratorium in Franzensbad im Jahre 
1913 und die weiteren Versuche in unserer Chem.-phys. Versuchs- 
station ausgeführt. Die Experimente wurden in einem Thermo- 
stat bei einer Temperatur von 23—25°C vorgenommen. Sie 
wurden in der Weise angestellt, daß 30 Macheeinheiten in 12 
Stunden auf 100 g Samen wirkten. Das Gewicht der Samen war 
auf Trockensubstanz berechnet. Der ganze Vorgang spielte sich in 
144 Stunden ab, während welcher Zeit auf 100 g Trockensubstanz 
der Samen ca. 360 ME = 144 360 - 10-1? = 0,000144 mg Ra ihre 
Wirkung ausübten. Der Keimungsprozeß war in einigen Fällen 
nach 48 oder 72 Stunden abgeschlossen. 

Eine Übersicht über die Einwirkung der natürlichen und 
künstlichen Radioaktivität, sowie des Kaliumchlorides auf das 
Erwachen des Embryos bilden folgende Tabellen, in welchen 
angegeben ist, was für Anzahl der Embryonen gekeimt haben. 
Die Tabellen enthalten die Resultate erstens der Versuche über 
den Einfluß der radioaktivfreien Wässer, zweitens der radio- 
aktiven Wässer und drittens der radioaktivfreien Wasser, zu 
welchen 5g Kaliumchlorid pro 11 zugesetzt wurde. 


119 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І. 


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120 


Aus den Tabellen 
ersieht man deutlich, 
wie der KeimungsprozeB 
bei radioaktivfreiem 
Grubenwasser, oder ra- 
dioaktivfreiem Mineral- 
wasser sowie unter dem 
Einflusse dernatürlichen 
und künstlichen Radio- 
aktivität in St. Joa- 
chimsthal, Franzensbad 
und Brambach vor sich 
geht. DieKeimungs- 
energie ist nament- 
lich unter Einwir- 
kungdernatürlichen 
Radioaktivitätüber- 
raschend gestiegen. 
Am deutlichsten 
tritt die Differenzin 
der Keimungsener- 
gie unter dem Ein- 
flusse der natür- 
lichen und künst- 
lichen Radioaktivi- 


tät gegenüber jener 


bei Verwendungvon 
bloB radioaktiv- 
freiem Grubenwas- 
ser oder ebensol- 
chen Mineralwas- 
ser nach 36 Stunden 
zutage, wenn man 
die erhaltenen Da- 
ten in Prozenten 
ausdrückt. 

In der Zusammen- 
stellung findet sich ein 
Parallelismus zwischen 


J. Stoklasa: 


Tabelle III. 


Versuche mit Brambacher Mineralwässern. 


En nn 


— — —— —— — 


Wasser ohne Radioaktivität 


Radioaktivfreies Wasser 


| 


ta б 1 


Natürliches radioaktives 


— — — —ä—Pmä . m ͤ ¶—ÆũDÄ— 
. 


mit Kallumchloridsusats 


Wasser 


Künstliches radioaktives 


| 


Wasser 
Es haben folgende Mengen von Samen gekeimt (in Prozenten ausgedrückt): 


| 


— 


In Stunden: 


Gesamtanzahl d. 


— ——— w— ve 


— EEE, 


Samen der Pflanzen 


nach 144 Std 
120 
144 
72 
08 
144 
144 „ 
144 
144 „ 
72 


Gesamtanzahl d. 


gekeimt. Samen 


ES S S S S S 
888228 


Sl 


7 | 27 | 51 100 nach 144 Std. 


— 81 71 | 887 100 


06 
144 

72 

48 
144 
144 „ 
144 
144 

72 


gekeimt. Samen 
” 
” 
" 


Gesamtanzahl d. 


td 
n 
0D 


| 


96 
144 
72 
48 
120 
» 144 
» 144 
„ 144 
72 


8 2 8 SS & 2 


888888883 


=ч 


8 5 5 
888828888 


оо; 25 22 28 


. 


gekeimt. Samen 
100 nach 1448 


E E 


24 | 86 


gekeimt. Samen | 


Gesamtanzahl d. |! 


| 


24 | 86 | 48 72 


& 
ERZEHNSER 
S 
2 

| 


o_o — ñ.—ã§kͥZ 2. 
— —u— Eo — 


Lupinus angustifollus 
Vicia faba Aa. 


Triticum vulgare A. 


Hordeum distichum B. 


Pisum arvense. . . . 
Trifolium pratense. . 
Hordeum distichum A. 
Triticum vulgare В. . 
Vicia faba В. .... 


Pisum sativum ... 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І. 121 


dem nichtradioaktiven Grubenwasser und der Einwirkung der 
Radioaktivität von 90 ME = 36 090 - 10 12 = 0,000036 mg Ra 
auf 100 g Trockensubstanz der Samen binnen 36Stunden. 

Ich lasse die diesbezüglichen Daten zunächst von St. Jo- 
achimsthal folgen. Die Versuche mit Grubenwässern von 
St. Joachimsthal dokumentieren, daß die Keimungsenergie 
bei verschiedenen Pflanzensamen wie folgt gestiegen ist: 


Natürliche Künstliche 
Radioaktivität Radioaktivität 
Pisum sativum ........ 400,0% 300,0% 
Pisum arvense ........ 125,0% 83,3% 
Lupinus angustifolius ..... 75,0% 25,0% 
Vicia faba A...... 96,7% 12,9% 
Trifolium pratense. ...... 34,30% —3-2% 
Hordeum distichum Aa. 520,0% 280,0% 
Triticum vulgare А. ...... 120,0% 60,0% 
Hordeum dustichum B. . . . 700,0% 500,0% 
Triticum vulgare В. ..... 225,0% 150,0% | 
Vicia faba 83. 62,5% 28,1% 


Bei den Versuchen mit Franzensbader Mineralwässern hat 
sich die Keimungsenergie in nachstehender Weise erhöht: 


Natürliche Künstliche 
Radioaktivität Radioaktivität 

Pisum sativum um 150,0% 100,0% 
Pisum arvense ........ 173,6% 100,0% 
Lupinus angustifolius ..... 85,7% 28,5% 
Vicia faba А. KA. 100,0% 71,4% 
Trifolium pratense. ...... 39,0% 20,3% 
Hordeum distichum A.. . . . . 900,0% 650,0% 
Triticum vulgare А....... 275,0% < 175,0% 
Hordeum distichum . 800,0% | 600,0% 
Triticum vulgare В. 388. 120,0% 80,0% 
Vicia faba . 53,8% 15,30% 


Bei den Versuchen mit Brambacher Mineralwässern war 
folgende Erhöhung der Keimungsenergie zu beobachten: 


Natürliche Künstliche 
Radioaktivität Radioaktivität. 
Pisum sativum mm 125,0% 75,0% 
Pisum arvense ....... 242,8% 142,8% 
Lupinus angustifolius . . . . 175,0% 150,0% 
Vicia faba Aa... 188,2% 176,4% 


Trifolium pratense. . . . . . 478,5% 364,2% 


122 J. Stoklasa: 


Natürliche Künstliche 
Radioaktivität Radioaktivitat 
Hordeum distichum ..... 650,0% 300,0% 
Triticum vulgare aK. 266,6% 266, 6% 
Hordeum distichum B.. . . . 555, 00% 550,0°% 
Triticum vulgare В. 838. 350,0% 350,0% 
Vicia faba В. gg. 66,6% 20,8% 


Die erzielten Daten geben uns eine tiefergehende 
Erklärung über die Wirkung der natürlichen und künst- 
lichen Radioaktivität auf den KeimungsprozeB und 
auf das Erwachen des Embryos. Dabei gelangten wir 
z ur interessanten Entdeckung, daß die natürliche 
Radioaktivität viel energischer wirkt als die künstliche 
Radioaktivität, welche aus der Emanation des Radiums 
ge wonnen wurde. 

Wie bekannt, ist die Emanation des Radiums noch stärker 
radioaktiv als das Radium selbst. Ihre Atome sind noch weniger 
fest, als die des Radiums, und zerfallen noch schneller (in 3,8 Tagen 
zur Hälfte) in a-Strahlen und ein neues Produkt, von kleinerem 
Atomgewicht als die Emanation. Dieses Produkt zerfällt seiner- 
seits noch weiter. Jedes der entstehenden Produkte ist charak- 
terisiert durch seine Zerfallsperiode. Dieser Prozeß wird dann 
zum Schluß kommen, wenn sich ein festes, nicht mehr zerfallendes 
Atom bildet; die Auffindung dieses Endproduktes wird sich als 
schwer erweisen, da sich minimale Quantitäten bilden werden, die 
sogar mittels der empfindlichsten elektrometrischen Methode 
nicht zu entdecken sind, weil die Radioaktivität eben fehlt. 

Im Gegensatz zu der konstanten Aktivität des Radiums 
verliert die Emanation allmählich ihre Radioaktivität, im An- 
fang schnell, dann immer langsamer nach einem Gesetze, das 


in der Formel 
1, == I,e-* 


ausgedrückt ist, wo I, die ursprüngliche Aktivität der gegebenen 
Quantität Emanation ist, I, die Aktivität zur Zeit t, e die Basis 
der natürlichen Logarithmen und 4 die für die Emanation charak- 
teristische Konstante, die „radioaktive“ Konstante genannt. 
Wie wir bei unseren Versuchen gesehen haben, 
wirkt die aus Radiumchlorid hergestellte Emanation 
nicht so günstig wie die Emanation, welche in den 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 123 


Gruben- undMineralwässern aufgelöst ist. Die E mana- 
tion, also das radioaktive Gas, das sich aus Radium 
entwickelthat,istnichtidentisch mitdenradioaktiven 
Gasen, die inden Wässern aufgelöst sind. Es ist nicht 
ausgeschlossen, daß neben Radiumemanation (Niton) 
auch die von Thorium und Aktinium abgegebenen 
Gase in ganz kleinen Quantitäten in diesen Mineral- 
wässern vorhanden sind. Daß die induzierte Aktivität, die 
sich aus der Radiumemanation entwickelt und einen aktiven 
Niederschlag bildet, eine gewisse Rolle spielt, ist selbstverständ- 
lich. Von diesen Erscheinungen wird in meiner großen 
Arbeit „Die Radioaktivitätin der Natur und ihre phy- 
siologische Bedeutung für die Pflanzen- und Tier- 
organismen“ ausführlich gesprochen. 

Nun treten wir zu den Resultaten unserer Versuche mit 
Kaliumchlorid. Wie aus den Tabellen ersichtlich ist, haben sich 
in dem Erwachen des Embryos keine großen Unterschiede er- 
geben. Nichtsdestoweniger ist bei Gegenwart von Kalium- 
chlorid der KeimungsprozeB und die Keimungsenergie viel 
schneller vor sich gegangen wie bei gewöhnlichem Grubenwasser, 
das radioaktivfrei gemacht wurde. Ausdrücklich betont sei hier, 
daß Parallelversuche mit Natriumchlorid angestellt wurden. Es 
wurden 5g Natriumchlorid zu 11 radioaktivfreien Wassers zu- 
gesetzt und studiert, wie das Natriumchlorid auf die Keim- 
fähigkeit und Keimungsenergie derselben Samen wirkte. Es 
wurde gefunden, daß das Kaliumchlorid die Wirkung des Natrium- 
chlorids weit übertrifft. Durch Natriumchlorid zeigte sich bei 
den Gramineen eine günstige Wirkung auf die Keimfähigkeit, 
doch ist das so unbedeutend, daß ich von diesen Versuchen nichts 
Näheres erwähne. Bei den Leguminosen war eine nachteilige 
Wirkung zu konstatieren. 

Ernst Lehmann hat eine keimfördernde Wirkung von Kaliumnitrat 
auf lichtgehemmte Samen von Veronica Tournefortii!) gefunden. Er hat 
nämlich beobachtet, daß die Keimung der Samen von Veronica durch das 
Licht gehemmt wird und das Kaliumnitrat dennoch in erheblichem Maße 
keimfördernd wirkt. Diese Eigenschaft ist nicht dem Nitration, sondern 


dem Kaliumion zuzuschreiben, weil die anderen Nitrate dieses Phänomen 
nicht hervorrufen. Es ist hervorzuheben, daß diese Eigenschaft nicht nur 


1) Ernst Lehmann, Zeitschr. f. Botanik, Jena 1919. 


124 J. Stoklasa: 


die Samen von Veronica, sondern auch viele Samen von Hydrophyten 
besitzen. 

Bei den Versuchen mit St. Joachimsthaler Grubenwassern 
war die Keimungsenergie unter Einwirkung von Kaliumchlorid 
im Vergleiche zu dort, wo nichtradioaktives Grubenwasser zur 
Verwendung gelangte, folgerdermaßen größer: 


Bei Pisum sativum .......... um 33,33% 
„ Pisum arvense . . . 2 2 2 2 20% „ 25, 00% 
„ Lupinus angustifolius ....... „ 12,5% 
„ Vicia faba a.. Ж —% 
„ Trifolium pratense ........ „ —8 · 2% 
„ Hordeum distichum А ...... „ 180,0% 
„ Triticum vulgare A... . . . .. „ 20,00% 
„ Triticum vulgare 888. „ 50, 00% 
„ Vicia faba . „ 18,7% 


Bei den Versuchen mit Franzensbader Mineral wässern ist 
die Keimungsenergie durch den Einfluß von Kaliumchlorid wie 
folgt gestiegen: 


Bei Pisum sativum .......... um 25,0% 
„ Lupinus angustifolius ....... „ 28,50% 
„ Vicia faba А. .......... = 7,1%, 
„ Trifolium pratense ........ „ 18,7% 
„ Hordeum distichum AKA. 2 300,09 
„ Triticum vulgare ....... „ 50, 00% 
„ Triticum vulgare 383. „ 20, 00% 
„ Vicia faba Bg.. sé 7,6% 


Bei den Versuchen mit Brambacher Mineralwässern hat 
infolge Einwirkung von Kaliumchlorid folgende Erhöhung der 
Keimungsenergie stattgefunden: 


Bei Pisum sativum .......... um 200,0% 
„ Pisum arvense . . » 2 2 2 2 202. „ 28,50% 
„ Lupinus angustifolius ....... „ 75,00% 
„ Vicia faba AKK. „ 11,19, 
„ Trifolium pratense ese „ 50,00% 
„ Hordeum distichum AA. „ 100, 00% 
„ Triticum vulgare ....... „ 66,6% 
„ Triticum vulgare 333. „ 300, 00% 
„ Vicia faba 8. „ 33,30% 


Das Kaliumchlorid hat sich in einer Konzentration von 
5g pro 11 keimfördernd erwiesen. 


Zë РТ Ce eg 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. 1. 125 


Über den Einfluß der natürlichen Radioaktivität der Mineralien 
. und Gesteine auf die Keimung und Entwickelung der Pflanzen. 


Die weiteren Versuche waren dem Studium des Einflusses 
der natürlichen Radioaktivität unserer Mineralien, Gesteine und 
Bodenarten auf die physiologischen Prozesse des Pflanzenor- 
ganismus, und zwar in erster Reihe auf die Keimung der Samen 
gewidmet. 

Die Versuche wurden einerseits in der Weise ausgeführt, daß 
die Samen direkt auf dem Gestein der Keimung überlassen wurden, 
anderseits in Emanatorien, in welchen die von dem Gestein frei 
entwickelte Emanation zur Wirkung gelangte. Die vergleichen- 
den Versuche wurden bei 15—18 С vorgenommen. 


Versuche mit der Keimung der Samen direkt auf dem 
Gestein. 


Es wurden 100 g des pulverisierten Gesteins abgewogen und auf eine 
Schale gebracht mit einer doppelten Schicht von Filtrierpapier bedeckt, 
und auf diesem je 50 Samen zur Keimung gebracht. Da die verschiedenen 
Gesteinsarten eine verschiedene Wasserkapazität aufwiesen, wurde diese 
für jeden Fall im voraus bestimmt und dann die entsprechende Wasser- 
menge zugeführt. Täglich wurden sodann weitere 25 ccm Wasser zugesetzt. 


Die angewendeten Gesteine besaßen nachstehende Radio- 
aktivitat : 


S/ ²˙ dee Ae Ж 0,50 
Basalt von Rip ca aie beh tr te fees о 3,90 
Basalt von Schluckenau. ....... 8,87 
Porphyr von Marienbad. ....... 5,01 
Granit von Sedlčany .........- 6,76 


Die Keimversuche wurden mit den Samen der Gerste und 
des Weizens ausgeführt, und die Versuchsresultate sind in der 
folgenden Tabelle enthalten: 


Versuch Gerste Weizen 


es keimten in % nach Stunden: 
24 48 72 96 24 48 72 96 


mit Sand ............ 6 38 52 94 4 28 42 88 


mit Basalt von Rip 8 42 60 96 6 32 44 90 
mit Basalt von Schluckenau . . . 12 50 74 98 10 40 56 94 
mit Porphyr von Marienbad. . . . 8 46 64 98 4 32 44 88 


mit Granit von Sedlčany . . . .. 8 44 62 96 4 30 42 86 


126 J. Stoklasa: 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daB insbesondere 
die Radioaktivitat des Basaltes, PorphyrsundGranits 
von günstigem Einflusse auf die Samenkeimung war. 


Keimversuche in den Emanatorien. 
A. Versuche in kleineren Glaszylindern von 20 Liter Gehalt. 


Zu diesen Versuchen wurden folgende Mineralien und Ge- 
steine angewendet: 

1. Calcit-Magnesit von St. Joachimsthal mit 67,04 - 10 12 g 
Ra in 1g’). 

2. Basalt von St. Joachimsthal mit 75,70 . 10 12 g Ra in 1 g. 

3. Uranpecherz 161. 105 Ra in 1 g. 

In die Glaszylinder, welche mit einem eingeschliffenen Glas- 
deckel versehen waren, wurde auf den Boden eine Schale mit 
100 g des Minerals oder des Gesteins gesetzt und darüber ein 
Ständer mit der Glasschale, die auf Filtrierpapier gebettet die 
Samen enthielt. Täglich wurden 25 cem Wasser mittels eines 
Tropftrichters zugeführt, welcher durch den Glasdeckel hindurch- 
ging. Zu gleicher Zeit wurden bei gleichartiger Versuchsanordnung 
Parallelversuche ausgeführt, wobei anstatt der Mineral- oder 
Gesteinsarten Quarzsand von Horni Briza Verwendung fand. 

Um den Einfluß der ungleichartigen Belichtung auszu- 
schlieBen, wurde vor die Apparate ein Leinwandschirm gesetzt. 
Der Keimverlauf, sowie die Entwicklung der Pflänzchen wurde 
nach vier Tagen und einige Zeit noch nachher an freier Luft 
beobachtet. 

Bei den ersten Versuchen war der Glasdeckel nicht mit 
Paraffin abgedichtet, so daß die Luft etwas Zutritt hatte. Die 
Versuche, die mit Gerstensamen ausgeführt wurden, ergaben 


folgende Resultate: 
100 Samen keimten Gewicht der Keimlinge in 


100 g іп % d. Trockensubstanz in mg 
) Nach 24 48 72 72 Stunden 
Sand ЖУРЕТ a, КО. 8 92 98 342,8 mg 
Calcit-Magnesit ..... 14 98 98 584,4 mg 


Die Emanation aus dem Calcit- Magnesit wirkte 
günstig auf die Keimung und Pflanzenentwicklung: 


1) Das Calciummagnesit hat akzessorische Beimengungen von radium- 
haltigen Mineralien. 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 127 


die Trockensubstanz der Keimlinge war unter Einwirkung der 
Emanation um 70, 4% größer, als beim Kontrollversuche. 
Eine andere Versuchsreihe hatte folgende Resultate: 


Radioaktivität der 


100 g Gestein Eg еш с n: u Luft von 
ME Curie • 1012 
San 0 8 15 — — 
Calcit-Magnesit .... . 3 15 45 0,41 164 
Basalt von St. Joachimsthal 8 30 63 3,30 1323 


Bei den weiteren Versuchen wurden die Samen vorher mit 
Wasser maceriert; die Versuchsresultate waren: 


Es keimten % von 


Radioaktivit. 
100 g Mineral oder Gestein мю SS Se SE der Luft 
2 

nach 24 St. nach 17 St. GE 
/ vw: He SS жою аз 39 50 — 
Caleit- Magnesit. 72 66 0,41 
Basalt ............. 18 88 3,30 
Uranpecherz .........-. — 56 341,0 


Eine schwache Radioaktivität wirkt sehr günstig auf den 
Keimverlauf. 

Bei den weiteren Versuchen wurden die Glasdeckel der 
Emanatorien mit Paraffin verschlossen, so daß die Luft keinen 
Zutritt von außen hatte. Die Samen wurden vor dem Versuche 
maceriert. 

Versuche mit Gerste: 


Radioaktivität der Luft Es keimten n. 30 Std. % 


100 g ME Curie. 10-: I. II. 
ü? ЕЕ z 36 39 
Calcit-Magnesit . . . . . . 0,61 244 22 22 
Basalt von St. Joachimsthal 3,30 1323 20 19 
Uranpecherz шз . 3500 140350 17 16 


Bei dem Versuche mit Uranpecherz und bei dem Kontroll- 
versuche mit Sand wurden die Pflänzchen 7 Tage lang weiter 
entwickeln gelassen und sodann das Gewicht der Trockensubstanz 
des oberirdischen Teiles bei 105° C bestimmt; es wurde gefunden: 

Versuch ohne Emanation 748,2 mg 
Versuch mit Emanation von Uranpecherz . . . 292,6 mg 

Diese Versuche dokumentieren wieder, daB die starke Ra- 

diumemanation toxische Wirkungen hervorgerufen hat. 


128 J. Stoklasa: 


Versuche mit Roggen. 
Radioaktivität der Luft Es keimten 


100 g ME Curie . 101 nach 48 Std. 
Sand’ жу уз жя es A Sie ж з — — 82% 
Calcit-Magnesit ....... 0,64 256 740% 
Basalt von St. Joachimsthal 3,30 1323 63% 
Uranpecherz ........ 350,0 140 350 56% 


Aus diesen Versuchen ist ersichtlich, daß bei ungenügendem 
Luftzutritt die Radiumemanation eine schädigende Wirkung auf 
die Entwicklung der Pflanzen ausübt und die Keimung hintanhält. 


B. Versuche in großen Emanatorien von 66 Liter Inhalt. 

Die Methodik dieser Versuche war die gleiche, wie in den 
vorhergehenden. Die Samen der Gerste wurden auf: mit Filtrier- 
papier ausgelegten Schalen gelegt und über die radioaktive 
Substanz gestellt. Als Emanationsproduzent wurde Basalt von 
Joachimsthal gewählt. Nach 28 Stunden wurde die Aktivität 
der Luft festgestellt und die ausgekeimten Samen gezählt. 

Sodann wurden die Samen in einem Glaskasten der weiteren 
Entwicklung überlassen, nach 12 Tagen die Länge des oberirdischen 
Teiles gemessen und das Trockengewicht der Pflänzchen bestimmt. 


i Versuch I Versuch II 

ИК ө R Ө R 
Gewicht desselben 300 g 400 g 
Oberfläche desselben . . . . . . . 530 ccm 1018 ccm 
Emanation nach 28 Std.. . .. . 0,8 ME 2,2 ME 
Gekeimt O .. 46 65 44 76 
Gewicht der Pflanzen im fri- . 

schen Zustande ...... 15,1 g 19,7 g 11.7 g 19,0 g 


Weiter wurden Versuche ausgeführt, um die Keimung der 
Samen in einem Emanation enthaltenden Luftstrom zu studieren. 
Aus den vorhergehenden Versuchen folgt nämlich, daß sich eine 
günstige Wirkung der Emanation nur in dem Falle bei den phy- 
siologischen Versuchen bemerkbar macht, wenn bei der Keimung 
eine genügende Sauerstoffmenge zur Verfügung ist, also für Luft- 
erneuerung gesorgt ist. Dies ist im Einklange mit den Erfahrungen, 
welche bei der Radiotherapie gewonnen wurden, welche dahin 
gehen, daß ein günstiger Einfluß auf die physiologischen Pro- 
zesse des menschlichen Organismus durch die Emanation nur 
dann zur Geltung kommt, wenn sich der Kranke während der 
Kur viel in der Luft bewegt, insbesondere in der Sommerszeit, 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. І. 129 


wo sich die Sonnenstrahlenenergie am längsten und am intensiv- 
sten geltend machen kann. 

Die Versuche, über welche im folgenden berichtet 
wird, bestätigen, daß ähnliche Verhältnisse auch bei 
dem Einflusse der Radioaktivität auf den Pflanzen- 
organismus zu finden sind. 

Die Versuche im radioaktiven Luftstrome wurden in Glas- 
zylindern von ca. 201 Inhalt ausgeführt, durch welche mittels 
eines Aspirators, der am Ende der Versuchseinrichtung geschaltet 
war, Luft gesaugt wurde, welche Radiumemanation in einem 
Gefäße, auf dessen Boden 50g Basalt von Schluckenau, bzw. 
Uranpecherz geschüttet war, aufnahm. Sonst war die Versuchs- 
einrichtung dieselbe, wie in den vorhergehenden Versuchen. Als 
Versuchsobjekt dienten die Samen von Hordeum distichon. 


Ohne Mit Mit 
Emanation Basalt Uranpecherz 
Luftstrom-Aktivität. ........ — — 1,38 ME 
Nach 24 Std. keimten O 71 77 81 
Gewicht der Pflanzen im frischen Zu- 

An lee 8,8 g 14,1 g 16,5 g 
Gewicht des oberirdischen Teiles, frisch 4, 6 g 9,5 g 13,4 g 
Gewicht des oberirdischen Teiles in der 8 

Trockensubstanz. ........ 727,0 mg 881,4 mg 952,2 mg 


Vergleichsversuche über den Einfluß des Sauerstoffes 
bei der Radiumwirkung auf die Pflanzen. 


Versuche bei verschiedenem Luftvolumen. Temp. 15—18° С. 
Zu den Versuchen wurden einerseits Glaszylinder von 201 
Inhalt, anderseits Emanatorien von 601 Inhalt benützt und als 
Versuchspflanze Gerste verwendet, deren Samen in Glasschalen 
auf Filtrierpapier über eine Sandschicht gelegt wurden. Sonst war 
die Versuchseinrichtung dieselbe, wie in den früheren Versuchen. 


Im Ben Im kleinen 
Ma 5 Emanatorium 
0 R 0 R 
Uranpecherz ...... — 75 g == 25 g 
dessen Oberfläche . . . . — 60 ccm — 187 ccm 
Radioaktivität der Luft — 13,1 ME — 7,05 ME 
Ausgekeimt % nach ] I. 49 62 53 46 
nach 28 Std. | II. 50 63 52 47 
Kohlendioxyd: Volum-% . 0,036 0,038 ‚ 0,048 0,047 
Sauerstoff: Volum-% . . 21,2 20,2 20,4 20,0 


Biochemische Zeitschrift Band 103. : d 


130 J. Stoklasa : 


Nach 28 Stunden wurden die Keimlinge aus den Glasschalen 
herausgenommen und an der Luft unter Glaskästen der weiteren 
Entwicklung überlassen. Sie wurden täglich mit 10 ccm destil- 
liertem Wasser begossen und sodann das Gewicht der Pflänzchen 
bestimmt: 

Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 


Gewicht der ganzen Pflanze Ө R Ө R 

im frischen Zustande . 18,8 g 21,7 g 18,0 g 20,0 g 
Gewicht des oberirdischen 

( EEN 5, 9 g 7,5 g 5, 7 g 7,4 g 
Gewicht des oberirdischen 
Teils in Trockensubstanz 557,2 mg 711,2 mg 544,9 mg 683,8 mg 


Versuche mit Vicia faba. 


Die Versuche wurden mit je 25 Samen ausgeführt, welche 
2 Stunden in destilliertem Wasser maceriert wurden. Die Glas- 
schalen mit Uranpecherz enthielten 150 g auf einer Fläche von 
1018 cem in den großen und 50 g auf einer Fläche von 187 ccm 
in den kleinen Emanatorien. Temperatur 15—18 C. 


Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 
Ө R Ө R 
Uranpecherz ..... — 150 g — 50 g 
dessen Oberfläche. — 1018 ccm — 187 cem 
Radioaktivität der Luft 
nach 86 Stud — 47,7 ME — 26,6 ME 
| © 46 Stunden. 5=20% 8 = 232% 5=20% 3=12% 
В| 52 „ . 10 400. 13 52% 10 40%  6= 249% 
Я] 7o „ . . 18 - 72% 21 84% 17 68% 12 = 48% 
276 „ . 20 = 80% 23 92% 21 = 84% 18 = 72% 
94 „ . 23 ⸗ 92% 25 100% 24 96% 23 = 92% 
& (100 „ . 24 ⸗ 96% 25 = 100% 25= 100% 24 = 96% 


Hierauf wurden die Glasschalen mit den Samen herausge- 
nommen und an der freien Luft der Weiterent wicklung überlassen. 
Nach 12 Tagen wurden die Pflänzchen gemessen, gewogen und 
die Trockensubstanz des oberirdischen Teiles bestimmt. 


Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 
Ө R Ө R 
Gewicht der frischen Pflanzen 38,49 55,1g 43,1 g 47,8 g 
Gewicht des frischen oberirdi- 
schen Teils 7, 1 g 17,1 g 9,4 g 12, 2 g 
Gewicht des oberirdischen Teils | 
in der Trockensubstanz. . 727,2 mg 1585,7 mg 868,8 mg 1122,3 mg 


% 
100 


Radioaktivitat des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 131 


Versuche mit Pisum sativum. 


Diese Versuche ergaben die gleichen Resultate. Temperatur 
16—18° С. 


GroBes Emanatorium Kleines Emanatorium. 


Ө R Ө R 
Uranpecherz ..... — 150 g — 50 g 
dessen Oberfläche — 1018 ccm — 187 ccm 
9 52 Stunden —=0% = 4% —= 0% 0=0% 
E 70 H =20% 8 = 232% 6 = 24% 5 = 209. 
g ) 76 35 8 = 32% 13 = 52% 10 = 40% 9 — 36% 
Ba „ 13 52% 18 72% 16 72% 12 480% 
P 100 5 . . 15 = 60% 21 = 84% 19=76% 17 = 68% 
2 1s „, . 19 = 76% 23 — 92% 91 = 840% 24 = 96% 


In dem folgenden Diagramm sieht man die Keimungs- 
kurven, und zwar den Verlauf im großen Emanatorium Eo und Er 
und im kleinen Emanatorium Ho und Er bei An- und Abwesen- 
heit von Sauerstoff. 


120 Stunden 


Versuche mit Phaseolus vulgaris. 


Diese Versuche ergaben folgende Resultate. Temperatur 
15—18° С. 


dh 


132 J. Stoklasa: 


Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 


Ө R 8 R 

Uranpecherz .. 0 Sand 150 g 0 Sand 50 g 
dessen Oberfläche 1018 ccm 187 ccm 

o ( 70 Stunden 2 = 8% 4=16% 3 = 12%, 2= 8% 

8 76 „ . . As 16% 6 = 24% 5 = 200% 4=16% 
8 94 „. . . 10 = 40% 12 = 48% 11 = 44% 8 = 32% 
5 {10 „ . . 18 = 52% 17 = 68% 15 = 60% 10 = 40% 
ч |118 „ . . 15 = 60% 20 = 800% 20 = 800% 17 = 68% 

D 124 „ 18 72% 23 92% 22 88% 20 80% 
1142 „ 21 = 84% 23 = 92% 23 = 92% 21 = 84% 


Versuche mit Gestein in Stücken. 


Um festzustellen, in welcher Weise sich das Gestein nicht 
in Pulverform, sondern in Stücken verhält, also in der Form, in 
welcher es in der Natur im Boden vorkommt, und wie in diesem 
Falle sich die Emanationsent wicklung zur Geltung bringt, wurde 
eine Reihe von Versuchen ausgeführt, in welchen sonst unter 
gleichen Bedingungen, wie früher anstatt gemahlenem Gestein 
dasselbe in Stückform angewendet wurde. Als radioaktive Sub- 
stanz fand der Basalt von Schluckenau Verwendung und 
wurden die Keim versuche mit Pisum sativum ausgeführt. 
Die Stückgröße vom Basalt war die einer WalnuB. 


Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 


Ө R Ө R 

Beschickung Sand 200g Basalt Sand 200g Basalt 
Radioaktivität der Luft — 0,21 ME = 0,53 ME 

а ( 52 Stunden — = 0% l= 4% —=0% — = 0% 
8 70 „ 4 = 16% 5 = 20% 5 = 20% 3= 12% 
DWI a 6 = 24% 6= 2% 17 = 28% 5 = 20% 
Eia „ 10=40% 12=48% 12=48% 10 = 40% 
$ 100 „ 14 = 56% 16 = 64% 15 = 60% 14 = 56% 
2 118 „ 19 = 76% 20=80% 20 = 800% 19 = 76% 
< (194 „ 21 = 84% 22 = 88% 23=92% 22 = 88% 


Versuche in Emanatorien von verschiedenem Volum, 
aber gleichem Sauerstoffgehalt. 


Die Keimversuche wurden in kleinen Glaszylindern von 201 
Inhalt und in großen Emanatorien, die 661 faßten, ausgeführt. 
Um die Sauerstoffmenge auf denselben Wert zu bringen, wurde 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 133 


die Konzentration des Sauerstoffes in den kleineren Zylindern 
auf 66% gebracht, wie das in den großen Emanatorien der Fall 
war. Dann war in beiden Versuchsgefäßen nahezu dieselbe 
Menge von Sauerstoff freilich in verschiedenen Volumen ent- 
halten. 

Die Versuche über die Wirkung der Radioaktivität wurden 
mit 25 Samen, die vordem 2 Stunden in Wasser maceriert worden 
waren, ausgeführt. Diese Samen wurden dann auf Keimschalen 
gelegt und in die Emanatorien gebracht, worauf der Sauerstoff- 
gehalt auf nahezu 66% in den kleineren Versuchszylindern er- 
höht wurde. Die Versuche wurden mit Pisum sativum, Vicia 
faba und Zea Mays ausgeführt und es wurde der Keimverlauf 
in bestimmten Intervallen festgestellt. 


Versuch mit Pisum sativum 


Großes Emanatorium 


Kleines Emanatorium 


Ө В d R 
Beschickung Байа OE ana en: 
pecherz pecherz 
Oberfläche 1018 ccm 187 ccm 
д 52 Stunden — = 0% l= 4% —= 0% —= 0% 
g 70 „ 3 = 12% 6 = 24% 228 % 5 = 200% 
> 76 „ d = 16% 8 = 32% 32 12% 6= 2% 
94 „ 9 = 36% 14 = 56% 8 = 32% 12 = 48% 
ý 100 — 12 = 48% 16 = 64% 10 = 40% 13 = 52% 
= 118 „ 18 = 72% 20 = 800% 17 = 68% 18 = 72% 
4 1124 „ 20 = 80% 22 = 88% 19 = 76% 21 = 84% 
Versuch mit Vicia faba. 
Großes Emanatorium Kleines Emanatorium 
8 R Ө R 
Beschickung 80% San ET con send "ЭОБ ren 
pecherz pecherz 

Oberfläche 1018 ccm 187 ccm 
a ( 46 Stunden 5=20% 9=36% 5=20% 9= 36% 
3 52 „ 8 = 32% 12 = 48% 8 = 320) 13 = 52% 
з 70 „ 15 = 600% 18 = 72% 15 = 60% 17 = 68% 
4476 „ 18 = 72% 20 = 809) 17 = 68% 19 = 76% 
p 94 „ 91 = 84% 23 = 92% 21 = 84% 22 = 88% 
= 100 „ 22 = 88% 93 = 92% 21 = 84% 22 = 88% 
1118s „ 94 = 96% 24 = 96% 23 = 92% 23 = 92% 


134 J. Stoklasa: 
Versuch mit Zea Mays. 
GroBes Emanatorium. Kleines Emanatorium. 
Ө R 8 R 

: 150 g Uran- 150 g Uran- 
Beschickung 150 g Sand ресе: 150 бапа e E 
Oberfläche . . 1018 ccm 187 ccm 
„а ( 46 Stunden = 16% 6 = 24% 3 = 12% = 240, 
8 52 „„ 6 = 24% 10 = 40% 5 = 200% 8 = 320, 
270 „ 11 = 44% 13 = 52% 11 = 44% 14 = 56% 
fiw „ 144=52% 16=64% 13=52% 16= 64% 
Sja „. 19 = 76% 20=80% 18=64% 20 = 800% 
= 100 „ 21 = 840% 22 = 88% 20 = 800% 21 = 84% 
4\18 „ 23 = 92% 23 = 92% 22 — 800% 21 = 84% 


Diese Versuche sprechen ganz deutlich dafür, daß ein be- 
stimmter Zusammenhang zwischen der Wirkung der Radium- 
emanation und der Sauerstoffkonzentration besteht. Wenn in 
den kleinen Emanatorien nicht genügende Zirkulation von Sauer- 
stoff vorhanden ist, so ruft die Radiumemanation schädliche 
Wirkungen auf den ganzen KeimprozeB hervor. Sind aber größere 
Mengen von Sauerstoff zugegen, wie in den großen Emana- 
torien, oder wo der reine Sauerstoff künstlich zu gesetzt wurde, 80 
verläuft der Keimungsprozeß ganz normal. Also bei großen Sauer- 
stoffkonzentrationen hat die Radiumemanation sogar die Keim- 
fähigkeit gefördert. Das Phänomen ist gewiß von großer Wichtig- 
keit und ist eine Richtschnur für alle Beobachtungen über die 
Wirkung der Radiumemanation auf den pflanzlichen und tieri- 
schen Organismus. Wenn nicht geeignete Verhältnisse zwischen 
der Radiumemanation und dem Sauerstoff herrschen, so kann 
eine verhältnismäßig schwache Emanation auch schon toxische 
Wirkungen nach sich ziehen. Bei reichlicherer Sauerstoffzufuhr 
kann sogar eine starke Radiumemanation ohne schädliche Wir- 
kung auf den gesamten Stoffwechsel in der chlorophyllhaltigen 
und chlorophyllosen Zelle einwirken. 

Unsere weiteren Beobachtungen haben aber ergeben, daß 
die Mechanik der Radiumwirkung nicht nur von der Sauerstoff- 
menge in der Atmosphäre abhängig ist, sondern auch von der 
Intensität der Insolation. Die Radiumwirkung übt im Sommer 
einen ganz anderen Einfluß aus als im Winter. 

Aus allen unseren Beobachtungen geht hervor, daß 
die Radioaktivität in der Natur ein wichtiger Vegeta- 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 135 


tionsfaktor ist und daß namentlich die Radioaktivität 
der Mineralien, Gesteine, Böden, sowie des Wassers 
auf den ganzen Bau- und Betriebsstoffwechsel der 
Pflanzen einen großen Einfluß ausübt. Das ist also 
ein Vegetationsfaktor, der bei der Entwicklung der 
Pflanzen in der Natur genau beobachtet werden muß 
und bei den physiologischen Forschungen keinesfalls 
übersehen werden darf. | 

Bei den Versuchen mit Gerste haben wir eine günstige Wirkung der 
Radiumemanation in den großen Emanatorien verzeichnen können, wo 
eine Radioaktivität der Luft von 13,1 ME = 5253,1 - 10-1? = 0,000005 mg 
Ra herrschte; in den kleinen Emanatorien, wo nicht genügende Mengen 
von Sauerstoff vorhanden waren, wirkten 7,05 ME = 2827. 10"? 
= 0,0000028 mg Ra schon schädlich und hemmten den ganzen Keimungs- 
prozeB. 

Dasselbe konnten wir bei anderen Versuchen mit Pisum sativum, 
Vicia faba und Phaseolus vulgaris in kleinen Emanatorien konstatieren, 
wo 26,6 ME = 10666,6 - 10-12 = 0,0000106 mg Ra eine hemmende Wir- 
kung auf den KeimungsprozeB hervorrief, während 41,7 ME = 16721 
- 10-12 = 0,0000167 mg Ra einen günstigen Einfluß auf den Keimungs- 
verlauf ausübten, nachdem wieder genügende Quantitäten von Sauerstoff 
in großen Emanatorien zugegen waren. А 

Wenn дег Sauerstoff dann іп den kleinen Emanatorien in gentigenden 
Mengen zugefiihrt wurde, wie bei den Versuchen mit Pisum sativum, Vicia 
faba und Zea mays, haben 26 ME = 10 426. 10 -'* = 0,0000104 mg Ra 
den Keimungsprozeß nicht beeinflußt, im Gegenteil begünstigt. 

Die Wirkung war fast dieselbe wie in großen Emanatorien, wo 41,7 ME 
= 16721 -10-1*g Ra = 0,0000167 mg Ra vorhanden waren. 

Diese Versuche dokumentieren, daß 26 ME bei Abwesen- 
heit von genügenden Mengen von Sauerstoff schädlich wirkten 
und 41,7 ME einen günstigen Verlauf des Keimungsprozesses 
hervorriefen, nachdem die Versuche in großen Emanatorien aus- 
geführt worden sind, in welchen 661 Luft vorhanden waren, wo- 
gegen in den kleinen Emanatorien bloß 201 Luft zugegen waren. 

Wie wir also sehen, wird die Radiumwirkung ungemein 
durch die Belichtung und die Sauerstoffmenge in der Atmosphäre 
beeinflußt. 


Über die Wirkung des Kaliums auf den Keimungsprozeß in den 
Emanatorien. 


Gewiß von großem Interesse ist, wie sich der Keimungs- 
prozeß der Samen verschiedenartiger Pflanzen verhält, wenn 


2 


136 J. Stoklasa: 


große Quantitäten Kalium in verschiedener Form in den Emana- 
torien vorhanden sind, wie da die Emanation des Radiums zur 
Geltung kommt. 

Daß das Kalium im Dunkeln Elektronen emittiert, wurde zuerst von 
J. J. Thomson im Jahre 1905 hervorgehoben. Die Kalisalze besitzen 
eine schwache $-Aktivität, die ungefähr }/, оо von der B- Akti- 
vität des Uraniums beträgt, worauf wir schon aufmerksam gemacht 
haben. Die Aktivität scheint eine spezifische Atomeigenschaft des Kaliums 
zu sein. Das Kalium sendet unter dem Einfluß des Lichtes £-Strahlen?*) 
aus, die den Kathodenstrahlen sehr ähnlich sind, d. h. sie besitzen eine 
photoelektrische Empfindlichkeit. 

Die photographische Wirkung der $-Strahlen sowie ihr Ionisierungs- 
vermögen wurde tatsächlich nachgewiesen. 

Nach den Angaben von E. Henriot unterhält eine Schicht von 1 ccm 
Oberfläche in Luft normaler Dichte als Folge der Ionisation ihrer 6-Strah- 
lung einen Sättigungsstrom von K.SO, ca. 9,10 stat. Einh. (ca. 3,10“ 
Amp.). 

Es ist also gewiß von großem Interesse zu erfahren, wie die 
Strahlen des Kaliums, welche sich in verschiedenartigen Ver- 
bindungen im Emanatorium befinden, auf den Keimungsprozeß 
der Samen einwirkten. Zu diesem Behufe haben wir kleine 
` Emanatorien von 20 1 Inhalt benutzt und für jedes Emanatorium 
1,75 kg Kalium in Form von Kaliumhydroxyd, oder 
Kaliumchlorid oder Kaliumsulfat zur Anwendung 
gebracht. Die Emanatorien waren so eingerichtet, daß über 
die einzelnen Kaliverbindungen die Glasschale, auf deren Boden 
Filterpapier sich befand, gelegt wurde. Auf jeder Glasschale 
waren 25 evtl. 50 Samen vorhanden. Zu den Glasschalen führte 
ein trichterförmiges Glasrohr, welches bis zu dem Boden der 
Glasschale reichte. Es wurde immer dasselbe Quantum Wasser 
zu jeder Glasschale zugesetzt, damit die Wassermenge überall 
konstant war. Der Rauminhalt der Schalen war überall gleich. 
Pro Glasschale wurden 20—30 ccm im Anfang benutzt. Es wurde 
streng darauf geachtet, daß sich in jeder Glasschale dieselben 
Quantitäten Wasser befanden und wurden sogar in der Nacht 
diesbezügliche Beobachtungen gemacht. 


1) Frederick Soddy vertritt in seinem bekannten Buche: Die 
Chemie der Radioelemente die Ansicht, daß das Kalium Kathodenstrahlen 
sendet. Siehe Frederick Soddy, La chimie des &lements radioactifs. 
Paris 1915. 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 137 


Der Keimungsprozeß der Samen ist unter dem Einfluß des 
diffusen Lichtes vor sich gegangen. Wir haben unsere Versuche 
mit nachstehenden Samen vorgenommen: 

Hordeum distichum, Triticum vulgare, Secale 
cereale, Avena sativa, Phaseolus vulgaris, Vicia faba. 

Die Resultate waren auf Prozente umgerechnet folgende: 


I. Versuche mit Hordeum distichum. Temperatur 23—25° С. 


Nach 47 Stunden keimten: I II 
Im Emanatorium mit reiner Luft. . 24% 26% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 38% 40% 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid. 40% 36% 
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 36% 36% 
II. Versuche mit Triticum vulgare. Temperatur 17—19°C. 
Nach 72 Stunden haben gekeimt: I II 
Im Emanatorium mit reiner Luft. 26% 24% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 42% 38% 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid. 36% 34%, 
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 38% 40% 
ПІ. Versuche mit Secale cereale. Temperatur 18—20° С. 
Nach 48 Stunden haben gekeimt: I. II 
Im Emanatorium mit reiner Luft . 62% 64% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 88% 86% 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 80% 82% 
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 92% 90% 
IV. Versuche mit Avena sativa. Temperatur 18—21° C. 
Nach 72 Stunden haben gekeimt: 1 II 
Im Emanatorium mit reiner Luft . 12% 14% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 24% 26% 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 22% 24% 
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 24% 26% 
V. Versuche mit Vicia faba. Temperatur 22—24° C. 
Nach 48 Stunden haben gekeimt: I II 
Im Emanatorium mit reiner Luft. . . 20% 20% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 33% 32%, 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid 28% 30% 
Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 30% 32% 
VI. Versuche mit Phaseolus vulgaris. Temperatur 30—34° С. 
Nach 68 Stunden haben gekeimt: I п 
Im Emanatorium mit reiner Luft. . . 16% 16% 
Im Emanatorium mit Kaliumhydroxyd 22% 24% 
Im Emanatorium mit Kaliumchlorid . 24% 26% 


Im Emanatorium mit Kaliumsulfat . . 38% 36% 


138 Е J. Stoklasa: 


Um die sich hier ergebenden Differenzen genauer ersichtlich zu machen, 
lasse ich sie in Prozenten ausgedrückt folgen. 

Bei Hordeum distichum haben durchschnittlich unter Einwirkung 
von Kaliumhydroxyd um 56%, unter Einfluß von Kaliumchlorid um 52% 
und bei Gegenwart von Kaliumsulfat im Emanatorium um 44%, mehr ge- 
keimt, als im Emanatorium mit reiner Luft. 

Bei Triticum vulgare war durchschnittlich bei Anwesenheit von 
Kaliumhydroxyd im Emanatorium die Keimung um 60%, unter Einwir- 
kung von Kaliumchlorid um 40%, und unter Einfluß von Kaliumsulfat um 
56%, gestiegen im Vergleich zu dort, wo bloß reine Luft im Emanatorium 
zugegen war. 

BeiSecalecerealewardurchschnittlich beiVorhandensein von Kalium- 
hydroxyd im Emanatorium eine um 38, 090%, bei Gegenwart von Kaliumchlorid 
eine um 28,5%, und unter Einwirkung von Kaliumsulfat eine um 44, 40% 
größere Keimung zu konstatieren, als im Emanatorium mit reiner Luft. 

Bei Avena sativa stieg durchschnittlich bei Gegenwart von Kalium- 
hydroxyd im Emanatorium die Anzahl der gekeimten Samen um 92,3%, 
unter Einwirkung von Kaliumchlorid um 76,9%, und bei Anwesenheit von 
Kaliumsulfat um 92,3%, gegenüber dort, wo nur reine Luft im Emanatorium 
sich befand. | 

Bei Vicia faba war die Keimung unter Einflu8 von Kaliumhydroxyd 
durchschnittlich um 62,5%, unter Einwirkung von Kaliumchlorid um 45% 
und bei Gegenwart von Kaliumsulfat im Emanatorium um 55% größer, 
als im Emanatorium mit reiner Luft. 

Bei Phaseolus vulgaris stieg durchschnittlich die Keimung bei 
Gegenwart von Kaliumhydroxyd um 43,75%, bei Einwirkung von Kalium- 
chlorid um 56,2% und unter EinfluB von Kaliumsulfat um 131,25% gegen- 
über dort, wo bloß reine Luft im Emanatorium zugegen war. 


Diese Zahlen dokumentieren, daß durch die emit- 
tierten Strahlen des Kaliums der Keimungsvorgang 
viel energischer .bei allen Samen, mit welchen wir die 
Versuche ausführten, vor sich gegangen ist. Drückt 
man diese Differenz in Prozenten aus, so merkt man 
genau, daß die Aktivität einen günstigen Einfluß auf 
das Erwachen desEmbryoshervorgerufenhat. Wir haben 
uns bemüht, die Aktivität der Luft, wo Kaliumhydroxyd vor- 
handen war, zu bestimmen und gefunden, daB die Aktivität in einem 
Falle 0,08 ME pro 11 Luft, in einem anderen Falle 0,0096 ME pro 
11 Luft beträgt. Ob diese Daten ganz exakt sind, werden die 
weiteren Untersuchungen erst lehren. Man könnte annehmen, 
daß möglicherweise eine gewisse Menge vom Kaliumhydroxyd 
oder Kaliumchlorid von dem Wasser absorbiert werden könnte 
und infolgedessen der Keimungsprozeß begünstigt wurde. 


Radioaktivität des Kaliums und ihre Bedeutung. I. 139 


Zum Nachweis des Kaliums haben wir alle Reaktionen, namentlich 
die Methode von De Koningh und die mikrochemische Methode von 
Macallum angewendet. 

Nach jedem Versuch überzeugten wir uns, konnten aber 
nicht einmal Spuren von Kalium nachweisen, so daß wir mit 
Bestimmtheit erklären können, daß der vorgeschrittene Keimungs- 
prozeB und überhaupt die Keimungsenergie nur der Aktivität 
des Kaliums und den emittierten ß-Strahlen zuzuschreiben ist. 
Diese Tatsache ist gewiß von hoher physiologischer Bedeutung 
und eröffnet uns eine neue Perspektive in der Beteiligung des 
Kaliums bei den Lebensvorgängen der Pflanze. 


Der Mechanismus der physiologischen Wirkung der 

Radiumemanation und der Radioaktivität des Kaliums 

auf die biochemischen Vorgänge bei dem Wachstums- 
prozeß der Pflanzen. II. 


Von 
Julius Stoklasa. 


(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, Е. Napravil und 
J. Hromádko.) 


(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm. techn. Hochschule 
in Prag.) 


(Eingegangen am 15. April 1920.) 


C. Neuberg hat im Jahre 1904 (für den Tierkörper) fest 
gestellt, daß die biochemische Wirkung der radioaktiven Stoffe 
zum wesentlichen Teil auf dem Wege über die Beeinflussung 
der Zellfermente eintritt!). 

Der Mechanismus der Radiumemanation auf den 
lebenden OrganismusderSamen ist vom physiologisch- 
chemischen Standpunkte sehrinteressant. Durch unsere 
Versuche wurde nachgewiesen, daß die Radiumemanation auf 
die enzymatischen Prozesse, und zwar namentlich die Erhöhung 
der Aktivität der Enzyme, äußerst günstig wirkt. Es gilt dies 
namentlich von den Carbohydrasen, Amylasen, Amidasen 
(Proteasen), Oxydasen und Gärungsenzymen, speziell 
glucolytischen Enzymen?). 

Nun schreiten wir zu unseren Versuchen über Einwirkung 
der Radiumemanation in den Emanatorien auf den Keimungs- 
prozeB der Samen. 

1) C. Neuberg, Zeitschr. f. Krebsforsch. 2, 171. 1904; s. ferner 
C. Neuberg, Chem. u. physik.-chem. Wirkungen radioaktiver Substanzen 
und deren Beziehungen zu biologischen Vorgängen. Monogr. Wiesbaden 1913° 


2) Über die Einwirkung der Radiumemanation auf die enzymatischen 
Prozesse wird in einer speziellen Arbeit eingehend gesprochen. 


J. Stoklasa: Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 141 


Wie ich schon hervorgehoben habe, wirkt die Radiumemana- 
tion äußerst günstig auf die Erhöhung der Aktivierungsprozesse 
der Enzyme. Um uns zu überzeugen, ob die biochemischen 
Prozesse bei dem Keimungsprozeß unter Einwirkung der Radium- 
emanation viel schneller vor sich gegangen sind, stellten wir zwei 
Versuche an. Diese Versuche mit Hordeum distichum wurden in 
zwei großen Glasglocken von 66 Liter Inhalt ausgeführt. In jede 
Glasglocke wurde ein Keimbeet mit 400 Samen gegeben. Die 
Samen wurden vorher mit Wasser 2 Stunden lang maceriert, 
und zu jeder Schale wurde täglich das gleiche Quantum Wasser 
durch ein im oberen Teile der Glasglocke befindliches trichter- 
formiges Rohr zugesetzt. In einer Glasglocke befanden sich 
50g Uranpecherz. Nach 5 Tagen wurden die Versuche abge- 
schlossen und in dem Emanatorium eine Radioaktivität von 
13,8 Macheeinheiten 5533,8 · 10 12 = 0,0000055 mg Ra, kon- 
statiert. Die Keimungsversuche wurden in gleicher Weise bei 
ein und derselben Wasserzugabe und stets gleicher Temperatur 
von 15—20°C angestellt, damit der Keimungsprozeß in gleicher 
Weise in den Glasglocken im Keimbeet verläuft. Nach 5 Tagen 
wurde die Analyse vorgenommen. Es wurde der Dextrin- und 
Stärkegehalt bestimmt und die stickstoffhaltigen Stoffe, sowie 
die Trockensubstanz ermittelt. 

Bei den Kontrollversuchen betrug das Gewicht von 400 Gerstensamen, 
bevor sie noch zum Keimungsprozeß herangezogen wurden, 16,2733 g, das 
Trockensubstanzgewicht 14,4503 д. Das Gewicht der 400 Samen, welche 
der Einwirkung der Radiumemanation ausgesetzt waren, belief sich auf 
16,0266 g, das Trockensubstanzgewicht auf 14,3958 g. 

Die Menge der Hexosen auf Glucose berechnet von 400 Samen war 
folgende: 

Bei dem Kontrollversuche ohne Radiumemanationswirkung nach 
5tagigem Keimungsprozeß betrug sie 0,406 g, oder 2,5%, bei dem Ver- 
suche im Emanatorium 0,897 g, oder 5, 600. 

Nun schreiten wir zum zweiten Versuche. 

Bei dem Kontrollversuche ohne Radiumemanationseinwir- 
kung bezifferte sich das Gewicht von 400 Samen vor dem Ver- 
suche auf 16,094 g, das Trockensubstanzgewicht auf 14,1194 g. 
Unter Einfluß der Radiumemanation betrug das Gewicht von 
400 Samen vor dem Versuche 16,0267 g, das Trockensubstanz- 
gewicht 13,997 g. Веі dem Kontrollversuche nach 5 tägigem 
Keimungsprozeß betrug die Menge der Hexosen auf Glucose 


A 


142 J. Stoklasa: 


berechnet 0,5 g, oder 3,1%, jene unter Einwirkung der Radium- 
emanation 0,837 g, oder 5,2%. 

Was die Bestimmung der Stärke betrifft, wurde diese nach der modifi- 
zierten Methode nach Lintner bestimmt. Die Gerstensamen wurden zer- 
mahlen, davon 2,5g abgewogen und in 100-ccm-Kolben gegeben. Dazu 
wurden 5 cem 96 proz. Alkohol, 10 ccm destilliertes Wasser und 20 ccm 
konz. Chlorwasserstoffsäure zugesetzt. Nach 30 Minuten wurden wieder 
50 ccm Chlorwasserstoffsäure vom spez. Gew. von 1,125 und 4 ccm 8 proz. 
Phosphorwolframsäure zugefügt und der Inhalt des Kolbens mit Chlor- 
wasserstoffsäure vom spez. Gew. von 1,125 bis zur Marke gefüllt. Das 
Filtrat wurde dann polarisiert. Die gefundenen Zahlen sind nachstehende: 

Vor dem Versuche wurde in den Gerstensamen 58,4% Stärke gefunden, 
was 59,07%, Trockensubstanz entspricht. Nach 5 tägiger Keimung wurden 
bei dem Kontrollversuche 58,2%, unter Einfluß der Radiumemanation 
49,2%, Stärke in der Trockensubstanz gefunden. Der Verlust an Stärke, 
in Prozenten ausgedrückt, beträgt 15,46%. In einem anderen speziellen 
Versuche wurde eine um 9% kleinere Menge Stärke gefunden als vor dem 
Versuche. Daraus erhellt, daß durch die Einwirkung der Polysaccharide 
spaltenden Enzyme eine Hydrolyse der Stärke stattgefunden hat. 

Durch die Amylase wurde die Stärke durch einen hydrolytischen Prozeß 
in ihre nächst niederen Spaltprodukte Dextrin, Maltose und Glucose zerlegt. 


Nun treten wir zum Studium der Wirkung der Radium- 
emanation auf den Abbau der Eiweißstoffe. Die Versuche wurden 
in derselben Weise ausgeführt, wie bereits früher angedeutet 
wurde, nur wurden anstatt 400 Samen 500 Samen im Gewichte 
von 20,843 g benutzt. ` 

Das Gewicht von 500 Samen vor dem Versuche betrug: 

Веі dem Kontrollyersuche ........... 20,843 р, 
der Gesamtstickstoffgehalt in der Trockensubstanz 1,89%. 


Das Gewicht von 500 Samen belief sich vor dem Versuche auf: 
In den Emanatorien . . . 2... 222020200. 20,516 а, 
der Gesamtstickstoffgehaltin derTrockensubstanz. . 1,89%. 


Vor dem Versuche befanden sich іп 100 g der Gerste: 


Amidstickstoff. . - . 2: 2 2 2 2 2 re we ne. 0,512 g 
Diaminostickstoff ............... 0,304 g 
Monoaminostickstoff .............. 0,914 g 
Gesamtstickstoff. . . . 2 2 2 ee 1,89% 


Nach 5tagiger Keimung waren in 100 g Gerste zugegen: 


Bei dem Kontrollversuche: 


Amidstickstoff ................ 0,608 g 
Diaminostickstoff . . . 2 2» 2 2 s 2 s 2 s s 0,354 g 
Monoaminostickstoff .............. 0,803 g 


Gesamtstickstoff ................ 1,89%. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 143 


In den Emanatorien: 


Amidstickstoff. . . 2 2 2 2 2 0 0 ee te es 0,908 g 
Diaminostickstoff ............... 0,261 g 
Monoaminostickstoff .............. 0,622 g 
Gesamtstickstoff. ........ Se GO e A 1,89%. 


Diese Zahlen dokumentieren, daß durch Einwirkung der 
Radiumemanation sich eine bedeutende Menge von Amidstick- 
stoff gebildet hat. | 

Vom Gesamtstickstoff 1,89 р waren in der ursprünglichen 
Gerste 0,512 g Amidstickstoff vorhanden, also in Prozenten aus- 
gedrückt 27,08. 

Bei dem Kontrollversuche haben sich nach 5tagiger Keimung 
0,608 g von Amidstickstoff gebildet, also vom Gesamtstickstoff 
32,16%. 

Unter Einwirkung von Radiumemanation wurden 0,908 g 
Amidstickstoff gefunden, also vom Gesamtstickstoff 48,04%. 
Es ergab sich also unter Einwirkung der Radiumemanation im 
Vergleiche zur ursprünglichen Gerste eine Differenz von 0,396 g 
Amidstickstoff oder 77,34%, im Vergleiche zum Kontrollversuche 
eine Differenz von 0,3 g oder 49, 34%. 

Man sieht hier einen bedeutenden Einfluß der Radium- 
emanation auf den AbbauprozeB der Proteinstoffe durch die 
eiweißspaltenden Enzyme. 

Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß die Reservestoffe 
der Frucht der Gerste, und zwar die Eiweißstoffe und die Stärke, 
welche in Form von Kolloiden in dem Embryon und Endosperm 
usw. vorhanden sind, bei Einwirkung der Radioaktivität durch 
die hydrolytischen Enzyme viel energischer abgebaut werden, als 
in den Kontrollversuchen, wo die Radioaktivität nicht zur Wir- 
kung gekommen ist. Die Dynamik der Enzymwirkung ist hier 
durch die Radioaktivität, namentlich bei den Eiweißstoffen zur 
vollen Geltung gelangt. Die Kinetik der Wirkung der 
proteolytischen Enzyme zeichnet sich namentlich 
durch große Quantitäten von Amidstickstoff aus. 
Vom Gesamtstickstoff wurde durch die Radiumemana- 
tion während 5tägiger Einwirkung 48, 04% Amidstick- 
stoff gebildet, bei dem Kontrollversuch bloß 32,16%. 
Interessant ist die spezifische Wirksamkeit der Amylase auf die 
Bildung von Hexosen, welche sich jedenfalls sehr günstig bei 


144 J. Stoklasa: 


Radiumemanation erwiesen hat. Die glucolytischen Enzyme 
kommen, wie wir gefunden haben, durch den Einfluß der Radium- 
emanation zur vollen Wirksamkeit. Die Dynamik der enzyma- 
tischen Prozesse, welche sich durch eine große Energie durch die 
Radiumwirkung auszeichnet, übt auf den gesamten Bau- und 
Betriebsstoffwechsel des Pflanzenorganismus bei weiterer Ent- 
wicklung einen großen Einfluß aus. 


Einfluß der Radioaktivität auf den Bau- und Betriebsstoffwechsel 
der Pflanzen. 


Über die Einwirkung der radioaktiven Wässer auf die Zell- 
vermehrung und das Wachstum der Pflanzen haben wir die ersten 
Versuche in St. Joachimsthal im Jahre 1912 ausgeführt. Wir 
benutzten damals Keimlinge, die sich in radioaktivem und nicht- 
radioaktivem Wasser entwickelt haben. Nach raschem Transport 
nach Prag wurde zu dem radioaktiven oder nichtradioaktiven 
Wasser pro Liter 1g Ca(NO,),, 0,30 g KH,PO,, 0,25 g KCl und 
0,25g MgSO, zugesetzt. Das radioaktive Wasser hatte 300 ME 
pro 1 Liter, wovon 320 ccm pro 1 Vegetationsgefäß verwendet 
wurden. Demgemäß befanden sich also in 1 Vegetationsgefäß 
96 ME 38 496 - 10 12 = 0,000038 mg Ra. Da die Radioaktivität 
stetig abnimmt, kann man rechnen, daß sich die Pflanzen während 
46 Vegetationstagen nur 20 Tage lang unter dem Einfluß der 
Radiumemanation entwickelten, die restlichen 26 Tage aber 
schon ohne derselben, denn die Aktivität sinkt binnen 20 Tagen 
auf 1% der ursprünglichen Höhe. Nachdem das radioaktive 
Wasser jeden 5. Tag neu zugeführt wurde, so übten während 
der ganzen Vegetationsdauer ca. 384 ME = 153 984 · 10-12 = 
0,0001539 mg Ra ihren Einfluß auf eine Pflanze aus. Pro 1 Pflanze 
und Tag ergibt das 19 ME = 7619 · 10-12 = 0,0000076 mg Ra. 
Nach 46 Vegetationstagen besaßen 10 Pflanzen folgendes Trocken- 


substanzgewicht: 
In radioakt. In nichtradioakt. 


Wasser: Wasser: 
Pisum arvense ......... 6,873 g 2,137 g 
Vicia faba а... 2 2 2 2 20. 12,887 g 6,009 g 
Lupinus angustifoliuus 3,793 g 1,845 g 
Hordeum distichum ....... 9,085 g 0,906 g. 


Die Differenzen in dem Gewicht der Trockensubstanz der 
Pflanzenmasse, die bei Gegenwart von radioaktivem Wasser 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II. 145 


im Vergleiche zu dort, wo nichtradioaktives Wasser zur Ver- 
wendung gelangte, erzielt wurden, sind in der Tat ins Auge fallend. 


Wir haben diese Versuche in Franzensbad, das ja nur !/, Stunde von 
Brambach entfernt ist, mit -Brambacher Wasser, welches 2100 ME 
pro 11 = 842,100 . 10 1 = 0,000842 mg Ra hat, wiederholt. Auch mit 
Franzensbader Wasser mit 100—150 ME pro 11= 40 100 - 10—12 
= 0,000040 mg Ra bis 60 150. 10-'* = 0,000060 mg Ra stellten wir 
Versuche an. Das Arrangement dieser Versuche war das gleiche wie 
jenes bei den schon erwähnten Versuchen mit Joachimsthaler Wässern, 
nur mit dem einzigen Unterschiede, daß die Keimpflanzen während der 
ganzen Vegetationszeit in radioaktivem Wasser zur Entwicklung gebracht 
wurden. Es befanden sich in 700ccm Nährlösung 70 ME = 28 070 
« 10-12 = 0,000028 mg Ra. Selbstredend entweicht ja die Radioaktivität 
des Wassers, und so fanden wir am 1. Tag 70 ME pro 11, nach 2 Tagen 
nur mehr 52 ME, den 3. Tag nur schon 36 ME, und nach 4 Tagen 19 ME; 
infolgedessen wurde jeden 5. Tag die Emanation erneuert. Es kann an- 
genommen werden, daß während der Versuchsdauer, und zwar in 25 Tagen, 
ca. 350 ME = 140 350 . 10 1 = 0,000140 mg Ra auf eine Pflanze wirkten. 
Pro eine Pflanze und pro Tag entfallen daher 14 ME = 5614-107"? 
= 0,0000056 mg Ra. | 

Wir haben diese Experimente mit Linse (Lens esculenta), 
Erbse (Pisum sativum) und mit Weizen (Triticum vulgare) bei 
einer Temperatur von 18—20°C ausgeführt. Nach 25 Tagen 
wurden pro 100 Pflanzen nachstehende Mengen Pflanzenmasse 
auf Trockensubstanz berechnet geerntet: | 

In radioaktivem In nichtradioak- 


Wasser: tivem Wasser: 
Bei Lens esculenta ....... 6 g 3,7 g 
„ Pisum sati vum 21 g 9,7 g 
„ Triticum vulgare 8 g ? 3,1 g. 


Aus diesen Resultaten ist ersichtlich, daß durch die An- 
wendung von radioaktivem Wasser von 70 МЕ = 28 070 · 10-12 
= 0,000028 mg Ra eine um 62—158% größere Menge an Pflanzen- 
masse geerntet wurde. 

Wir stellten weiter auch Wasserkulturversuche bei Gegen- 
wart aller Nährstoffe in unserem Glashause an mit 30, 60, 300 
und 600 ME pro 1 Liter Nährlösung. Jeden 5. Tag wurde die 
Emanation erneuert. Diese Versuche, die mit Buchweizen 
(Polygonum fago p yru m) ausgeführt wurden, dauerten 52 Таре. 
Pro eine Pflanze entfielen demgemäß während 52 Tagen bei Anwen- 
dung von 300 ME = 120300 · 10-12 = 0,00012 mg Ra, bei Be- 
nutzung von 600 ME = 240 600 · 10-12 = 0,00024 mg Ra. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 10 


146 J. Stoklasa: 


Pro 100 Pflanzen betrug das Gewicht der Pflanzenmasse 
in der Trockensubstanz: 


In radioaktivem Wasser mit 30ME....... 13,54 g 
er S j „ OOME....... 19,54 g 
in nichtradioaktivem Wasser 9,45 g. 


Durch den EinfluB des radioaktiven Wassers von 
600 ME pro 1 Pflanze während der ganzen Entwicklung 
wurde der Ertrag um 106,8% und durch Anwendung 
des Wassers mit 300 ME um 43,2% erhöht. 

‚Bei nicht intensiver Einwirkung der Radioaktivität, wo im 
ersten Falle pro Tag und Pflanze bloß 5,76 МЕ = 2309 - 10-12 
= 0,0000023 mg Ra, im zweiten Falle 11,53 ME = 4623 · 10-12 
= 0,0000046 mg Ra einwirkten, finden wir einen äußerst 
günstigen Einfluß auf die Bildung neuer lebender 
Pflanzen masse. 

Interessant ist ferner, daß eine Dosierung von 300 und 600 ME 
pro 1 Tag und 1 Pflanze schon nach 50 Vegetationstagen einen 
schädlichen Einfluß ausgeübt hatte!). Auf jede Pflanze wirkten 
in diesem Falle während 50 Vegetationstagen in der ersten Gruppe 
15 000 ME = 6 015 000 · 10 12 = 0,006 mg Ra und in der zweiten 
Gruppe bis 30000 ME = 12 030 000 - 10-12 = 0,012 mg Ra ein. 
Bei einer stärkeren Radioaktivität, wo pro Pflanze 
und Tag 300 ME 120 300 · 10-12 = 0,00012 mg Ка und im 
zweiten Falle 600 ME 240 600 - 10-12 = 0,00024 mg Ra ein- 
wirkten, wurde durch die Aktivität schon eine toxische 
Wirkung verursacht. 

Nach 50 Vegetationstagen wurde in der Nährlösung mit 
600 ME pro Tag und Pflanze die Entwicklung von Polygonum 
fagopyrum sistiert, und nach 64 Tagen ist in den Chlorophyll- 
apparaten schon ein Abbauprozeß beobachtet worden. Das Ge- 
wicht der Trockensubstanz von 100 Pflanzen betrug bei Anwen- 
dung von 300 ME pro Tag und Pflanze 5,34 g, bei Anwen- 
dung von 600 ME 2,06g. Wie wir also sehen, hat die ganze 
Bildung der Pflanzenmasse eine starke Depression durch die 
Einwirkung der Radioaktivität erfahren. In nichtradioaktivem 


1) Die Nährlösung wurde jeden Tag erneuert, und in der Nährlösung 
befanden sich 300 oder 600 ME. Bei den früheren Versuchen wurde jeden 
4. oder 5. Tag die Nährlösung erneuert, und die Intensität der Radioaktivität 
ist nur annähernd angedeutet. 


Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 147 


Wasser betrug das Trockensubstanzgewicht von 100 
Pflanzen 9,45 р. 

Eine neue Serie der Versuche wurde ausgeführt іп den Vege- 
tationsgefäßen. Bei diesen Versuchen hat es sich namentlich 
darum gehandelt, zu eruieren, wie die Radiumemanation auf den 
Pflanzenorganismus wirkt, wenn der Organismus reich an Kalium- 
‘ion ist, wie zum Beispiel die Zuckerrübe. Zu diesem Behufe 
stellten wir weitere Versuche in großen Vegetationsgefäßen mit 
Sand und Torf an, wo die Zuckerrübe bis zu ihrer vollen Ent- 
wicklung weiter beobachtet wurde. Das Gemisch von Sand und 
Torf, in welchem sich die Zuckerrübe entwickelte, hatte eine Akti- 
vität von 0 385 1012 pro Gramm. Die Zuckerrübe gedeiht be- 
kanntlich nicht gut im bloßen Sand, weshalb wir als Bodenma- 
terial ein Gemisch von Sand und Torf verwendeten. Es wurden 
80% von Sand mit 20% des Torfes untereinander gut vermengt 
und mit dem Gemisch die Vegetationsgefäße gefüllt. Jedes Ge- 
fäß erhielt 18 kg, und in jedem Gefäß befand sich eine Pflanze. 
Die VegetationsgefaBe waren glasierte zylindrische Behälter aus 
Ton, 35 cm hoch und 27cm im lichten Durchmesser. Diese 
Experimente wurden in einem Glashause durchgeführt, in wel- 
chem auf Schienen bewegliche kleine Rollwagen vorhanden waren, 
welche die Vegetationsgefäße trugen. 

Bei günstigem Wetter wurden diese lowryartigen Wagen 
mit den Vegetationsgefäßen in einen unmittelbar an das Glashaus 
sich anschließenden Raum, der zum Zwecke des Schutzes vor 
allerlei Schädlingen allseitig von Wänden aus dichtem Draht- 
geflecht abgeschlossen ist, herausgefahren. 

In der Nähe des Bodens war jedes dieser zylindrischen 
Gefäße mit einer seitlichen Öffnung versehen, die einen einmal 
gebohrten Stopfen trägt, in dessen Bohrung eine, im rechten 
Winkel gebogene Glasröhre steckt, um die Luftzirkulation zu 
ermöglichen. 40 Vegetationsgefäße wurden in 4 Gruppen geteilt. 
Die erste und zweite Gruppe, bestehend aus je 10 Vegetations- 
gefäßen, dienten zu Kontrollversuchen. Diese beiden Gruppen 
wurden mit allen Nährstoffen, nur nicht mit Kalium. gedüngt, 
und zwar erhielt jedes Vegetationsgefäß 1,6g Stickstoff in 
Form von Natriumnitrat, 0,8g Phosphorsäureanhydrid in 
Form von Monocalciumphosphat, Ig Magnesiumsulfat, 1,5g 
Natriumchlorid, 0,5 g Ferrophosphat, 0,1 g Aluminiumsulfat und 

10* 


148 J. Stoklasa: 


Tabelle I. 
Gewicht von 10 Zucker- Durchschn. Gewicht von | Zuckergehalt der 
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe 
in g in g in % 
I. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter 1051,6 | Blätter. 105,16 14.83 
Wurzeln 12936 F Wurzeln 129,36 
Trockensubstanz. 
Blätter 216,62 | Blätter 21,66 69,95 
Wurzeln . . 274,94 | Wureln ..... 27,42 
U. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter . 963,4 Blätter 96,34 13,18 
Wurzeln. . . . .1121,7 [Wurzeln 112,17 
Trockensubstanz. 
Blatter ..... 187,86 | Blätter. 18,78 56,56 
Wurzeln. . . 261,35 | Wurzeln 26,13 
Ш. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blatter 2988,4 Blätter. 298,84 17,25 
Wurzeln 56190 Wurzeln 567,20 
Trockensubstanz. 
Blätter. . . 519,98 | Blätter. . . . 51,99 84,97 
Wurzeln. . . . .1151,41 | Wurzeln 115,14 
IV. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blatter ..... 2110,7 Blätter 211,07 | 13,62 
Wurzeln 39916 [Wurzeln 329,16 
Trockensubstanz. 
Blätter 380,13 | Blätter. 38,01 69,84 
Wurzen 641,86 Wurzen 64,18 


0,1 g Mangansulfat. Diese angewandten Salze waren alle chemisch 
rein. Vor Anwendung dieser Nährstoffe wurden bei diesem 
Versuche pro Vegetationsgefäß 15 g Calciumcarbonat zugesetzt. 

Die dritte und vierte Gruppe, bestehend wiederum aus je 
10 Vegetationsgefä Den, wurde mit allen Nährstoffen gedüngt, 
und zwar erhielt jedes einzelne Vegetationsgefäß 1,6 g Stickstoff 
in Form von Natriumnitrat, 0,8 g Phosphorsäureanhydrid in 
Form von Monocalciumphosphat, l g Magnesiumsulfat, 1,58 
Natriumchlorid, 0,5 g Ferrophosphat, 0,1 g Aluminiumsulfat, 


Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 149 


0,1 g Mangansulfat und 2,4 g Kaliu mo x yd in Form von chemisch 
reinem Kaliumchlorid. Die benutzten Salze waren wieder alle 
chemisch rein. Die erste Gruppe diente zur Kontrolle und wurde 
täglich mit dem gleichen Quantum reinen Wasser begossen. 
Zur zweiten Gruppe wurde jeden Tag radiumemanationhaltiges 
Wasser von 30 ME = 12 030 · 10 12 = 0,000012 mg Ra zugesetzt. 
Zur dritten Gruppe wurde täglich bloß reines Wasser hinzugefügt, 
und zur vierten Gruppe wurden wieder dieselben Quantitäten 
Radiumemanation von 30 ME zugesetzt, wie bei der zweiten Gruppe. 
Das Radiumemanations wasser wurde seit der ersten Entwicklung 
der Pflanze zugesetzt, und zwar vom 10. V. bis zum 28. IX., 
also 172 Tage lang. 

Für jede Gruppe, und zwar für die zweite und vierte Gruppe, 
wurden auf 10 Zuckerrübenpflanzen pro Gruppe 49 917 ME = 
ca. 20 016 717 · 10-12 = 0,02 mg Ra angewendet, so daß auf 
1 Pflanze bzw. 1 Vegetationsgefäß 4991 ME = 2 001 671 - 10-13 = 
0,002 mg Ra entfielen. 

Wenn wir in Betracht ziehen, daß die Vegetationszeit 172 
Tage beträgt, so entfallen pro Tag und Pflanze ca. 29 ME = 
11 629 - 10-12 = 0,0000116 mg Ra. 

Aus diesen Versuchsresultaten ist ersichtlich, daB schon in 
der zweiten Gruppe, wo die Mechanik der Radiumemanation 
zur Wirkung gekommen ist, der Bau- und Betriebsstoffwechsel 
eine kleine Depression erfahren hat. Man sieht das ganz deutlich, 
nicht nur in dem Gewicht der Trockensubstanz der Blatter und 
Wurzeln, sondern auch im Zuckergehalt. Bei der Gruppe I und II 
wurde überhaupt das Kalium nicht verwendet und die Rübe lebte 
und entwickelte sich bloß aus dem kleinen Quantum Kalium, 
das im Nährmedium im Boden vorhanden war. In dem Nähr- 
medium, wo Kalium als Nährstoff nicht zugesetzt wurde, hat 
sich die Zuckerrübe nicht in dem Maße entwickelt, wie bei Gruppe 
II, wo Kalium in genügenden Mengen vorhanden war. Bei Gruppe 
П, wo auf 1 Pflanze 4991 ME = 2 001 671 · 10-12 = 0,002 mg 
Ra entfielen, war schon ein Rückgang in der Entwicklung kon- 
statierbar. Es ergab sich bei den Kontrollversuchen ein 
Trockensubstanzgewicht der Blätter pro 10 Pflanzen von 216,6 р, 
unter Einwirkung der Radiumemanation ein solches von 187,8 g, 
was eine Differenz von 28,8 gausmacht. Das Trockensubstanzge- 
wicht der Wurzeln betrug bei den Kontrollversuchen pro 


150 J. Stoklasa: 


10 Pflanzen 274,24 g, unter Radiumemanationseinwirkung 261,3 g, 
also im letzteren Fall um 12,94g mehr. Der Zuckergehalt in 
der Trockensubstanz belief sich bei den Kontrollversuchen 
auf 69,95%, durch den Mechanismus der Radiumemanation 
ist er auf 56,56%, gesunken, also um 13,39%. 

Noch deutlicher treten diese Differenzen bei Gruppe III 
und IV zutage, wo das Kalium im Boden reichlich vorhanden 
war. Bei Gruppe IV zeigte sich schon eine bedeutende Depression 
in dem Bau- und Betriebsstoffwechsel durch die Radiumemana- 
tion. Es stellte sich ein deutlicher Rückgang in der Trockensub- 
stanz der Blätter und der Wurzeln ein, auch der Zuckergehalt 
ist gesunken. Bei Gruppe III betrug das Trockensubstanzgewicht 
der Blätter pro 10 Pflanzen 519,98 g, jenes der Wurzeln 1151, 41 g. 
unter Einwirkung der Radiumemanation das der Blätter 380,13 g, 
der Wurzeln 641,86g. Durch die Radiumemanation wurde ein 
um 139,85 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Blätter und 
ein um 509,55 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Wurzeln 
geerntet. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz belief sich bei 
Gruppe III auf 84, 97%, unter Einwirkung der Radiumemanation 
auf 69,84%, ist also im letzteren Falle um 15,13%, gesunken 
gegenüber der dritten Gruppe, wo keine Radiumemanation zur 
Einwirkung gelangte. | 

Wir haben die Уегвисһе weiter fortgesetzt, um uns 
zu überzeugen, ob die Resultate richtig sind. Für diese 
Versuche haben wir aber bloB zwei Gruppen angestellt. 
Für die erste und zweite Gruppe wurden alle Nährstoffe ver- 
wendet, also auch das Kalium in genügendem Maße. Es wurden 
1,6 g Stickstoff in Form von Natriumnitrat, 0,8 р Phosphor- 
säureanhydrid in Form von Monocalciumphosphat, 1 g Magnesium- 
sulfat, 1,5 р Natriumchlorid, 0, 5 g Ferrophosphat, 0,1 g Alu- 
miniumsulfat, 0,1 g Mangansulfat und 2,4 g Kaliumoxyd in Form 
von Kaliumchlorid zugesetzt. Für 10 Vegetationsgefäße, in welchen 
sich 10 Pflanzen befanden, wurden während der ganzen Vege- 
tationszeit, die sich auf 175 Tage erstreckte, zusammen 
52 800 ME angewendet, also pro 1 Pflanze und Vegeta- 
tionsgefäß 5280 ME und prol Tag ca. 30 ME = 12 030 - 1012 
= 0,000012 mg Ra. 

Auch die Resultate dieser Versuche (Tab. II) haben gezeigt, 
daß durch die Radiumemanation eine deutliche Depression in 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 151 


Tabelle II. 
Gewicht von 10 Zucker- | Durchschn. Gewicht von | Zuckergehalt der 
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe 
in g in g in % 
I. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter . .26468 Blätter. 264,68 17,37 
Wurzeln 6323,3 | Wurzeln 632,33 
Trockensubstanz. 
Blättern 447,30 | Blätter. . . 44,73 77,1 
Wurzeln. 424 Wurzeln. .142,4 
Il. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter 1860 Blätter 186 | 14,19 
Wurzeln 4770 Wurzeln 477 
Trockensubstanz. 
Blätter 425,94 Blätter. ..... 42,59 | 58,3 
Wurzeln 1159,11 Wurzeln 115,91 


der ganzen Entwicklung stattgefunden hat, und zwar nicht nur 
in dem Trockensubstanzgewicht der Blätter und Wurzeln, sondern 
auch im Zuckergehalt. Es ergab sich bei der ersten Gruppe 
ein Trockensubstanzgewicht der Blätter von 10 Pflanzen von 
447,30 g, der Wurzeln von 1424 g, bei der zweiten Gruppe belief 
sich pro 10 Pflanzen das Trockensubstanzgewicht der Blätter 
auf 425,94 g, das der Wurzeln auf 1159,11 g, во daß unter Ein- 
wirkung der Radiumemanation bei der zweiten Gruppe ein um 
21,36 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Blätter und ein 
um 264,89 g kleineres Trockensubstanzgewicht der Wurzeln zu 
verzeichnen war. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz 
bezifferte sich bei der ersten Gruppe auf 77, 1%, bei der zweiten 
Gruppe auf 58,3%, also in letzterem Falle war er um 18,8% 
niedriger. Durch die Radiumemanation wurde der gesamte 
Bau- und Betriebsstoff wechsel beeinflußt. 

Wir haben aber noch eine dritte Reihe der Versuche 
ausgeführt, und zwar in einem gewöhnlichen ange- 
schwemmten Leh mboden, der eine Radioaktivität von 
0,46 - 10-12 aufwies. Jedes Vegetationsgefäß erhielt 1,6 g Stick- 
stoff in Form von Natriumnitrat, 0,8 g Phosphors ureanhydrid 
in Form von Superphosphat und 2,5 g Kaliumoxyd in Form von 
chemisch reinem Kaliumchlorid. Die Vegetationsperiode dauerte 


152 J. Stoklasa: 


168 Tage. Für die zweite Gruppe der Vegetationsgefäße wurden 
pro 10 Vegetationsgefäße 35 600 ME angewendet, во daß auf 
1 Vegetationsgefäß, oder 1 Pflanze 3560 ME und рго1 Tagca.21 ME 
= 842] . 10 1 = 0,0000084 mg Ra entfielen. Es wurden folgende 
Resultate erzielt (siehe Tab. III). 


Tabelle III. 


Gewicht von 10 Zucker- | Durchschn. Gewicht von 


Zuckergehalt der 
rübenexemplaren 1 Zuckerrübenexemplar Zuckerrübe 
in g in g іп % 
I. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter 2863,8 Blätter 286,38 18,63 
Wurzeln 5783,2 Wurzeln 578,32 
Trockensubstanz. 
Blatter ..... 524,07 Blätten. 52,40 80,3 
Wurzeln. . 346,7 Wurzeln 134,67 
П. Gruppe. 
Frische Substanz. 
Blätter 1654,2 Blätter 165,42 14,57 
Wurzeln. . .4030,8 | Wurzeln. .... 403,08 
| Trockensubstanz. 
Blätter 425,87 Blätter 42,58 64,7 
Wurzeln. . . . . 906,93 | Wurzeln 90,69 | 


Bei der ersten Gruppe wurde ein Trockensubstanzgewicht 
der Blätter von 10 Pflanzen von 524,07 g, der Wurzeln von 
1346,7 g geerntet. Bei der zweiten Gruppe betrug das Trocken- 
substanzgewicht der Blätter pro 10 Pflanzen 425,87 g, der Wurzeln 
906,93 g; demgemäß ist das Trockensubstanzgewicht der Blätter 
um 98,20 g, das der Wurzeln um 439,77 g bei der zweiten Gruppe 
gesunken. Der Zuckergehalt in der Trockensubstanz betrug bei 
der ersten Gruppe 80, 3%, bei der zweiten Gruppe 64, 7%, ist also 
in letzterem Falle ebenfalls um 15,6% kleiner. 

Aus allen diesen Versuchsresultaten geht hervor, daß der 
Mechanismus der Radiumwirkung den ganzen Bau- und Betriebs- 
stoffwechsel schädlich beeinflußt hat. Bei allen 3 Versuchen 
ergab sich eine deutliche Differenz in der produzierten Pflanzen- 
masse und auch im Zuckergehalt. Diese Versuche haben 
wir unter Einwirkung vonUran undThorium, und zwar 
0,3011—3,011 mg Uran in Form von Uranylnitrat, oder 


Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 153 


1,97—7,9mg Thorium in Form von Thoriumnitrat und 
Thoriumchlorid pro 1 kg Boden angestellt. Um das Uran 
und Thorium nicht in unlösliche Form zu überführen, wurden keine 
Nährstoffe angewendet, bloß Ammoniumnitrat, und zwar 2 g 
Stickstoff in Form von Ammoniumnitrat pro 1 VegetationsgefaB. 
Alle die von uns in einem Gemisch, bestehend aus Torf und Sand, 
ausgeführten Versuche dokumentierten, daß das Uran in stärkerer 
Dosis wie 2—3 mg pro 1 kg Boden auf die Entwicklung 
schädlich eingewirkt hat; bei einer schwachen Dosis waren gar 
keine Unterschiede in der Entwicklung der Rübe gegenüber 
jener bei dem Kontrollversuche zu bemerken. Dasselbe wurde 
auch bei Thorium gefunden. 

Bei einer Menge von 7,9 mg Thorium pro 1 kg Boden, ebenso 
bei 5,92 mg desselben war schon eine starke Depression in der 
Entwicklung der Zuckerrübe zu konstatieren. Das gleiche war 
auch im Zuckergehalt wahrzunehmen. Wir fanden, daß der 
Zuckergehalt in dem Kontrollversuche, wo kein Thorium zur 
Anwendung gelangte, in der Trockensubstanz 78,2%, betrug, 
während er bei Thoriumbenützung zwischen 58,4 62,5% schwankte. 
Die gleichen Beobachtungen machten wir auch bei Anwendung 
von Uranpecherz (in 1 kg sind 0,00013g Radium enthalten) 
und auch mit Erzlaugrückständen (die pro 1 kg O, 000396 g Ra- 
dium aufweisen). In dieser Beziehung haben wir bei der Zucker- 
rübe, Kartoffel und Weinrebe eine exklusive Stellung gefunden. 
Alle 3 Pflanzen assimilieren bekanntlich große Quantitäten von 
Kaliumion. 

Ganz andere Erscheinungen traten bei anderen Kulturpflanzen 
zutage. Wir haben diese Versuche mit Gerste (Hordeum disti- 
chum), Buchweizen (Polygonum fagopyrum), Mohn (Papaver 
somniferum), Lupine (Lupinus angustifolius), Pferdebohne (Vicia 
faba) ausgeführt und gefunden, daß die natürliche Radioaktivität, 
welche durch Joachimsthaler Uranpecherz, Erzlaugrückständen 
und durch die natürlichen radioaktiven Wässer entstanden ist, 
in schwacher Dosis einen äußerst günstigen Einfluß auf die Ent- 
wicklung ausgeübt hat. Auch die künstliche Radioaktivität, die 
durch Emanation des Radiumchlorids erzeugt wurde, hat auf die 
Bildung neuer lebender Pflanzenmasse vorteilhaft gewirkt. 

Ich führe hier einige Versuche an, die im Glashause in großen 
Vegetationsgefäßen angestellt wurden. 


154 J. Stoklasa: 


I. Versuche mit Mohn (Papaver somniferum). Zu diesem Zwecke 
wurden 20 Vegetationsgefäße gefüllt mit Lehmboden verwendet. In einem 
Vegetationsgefäß befanden sich 8 kg Boden. Zu jedem Vegetationsgefäß 
wurden 1 g Stickstoff in Form von Natriumnitrat, 0,8g Phosphorsäure 
in Form von Monocalciumphosphat und 1g Kaliumoxyd in Form von 
Kaliumchlorid für beide Gruppen angewendet. Der Boden besaß eine Radio- 
aktivität von 0,46 - 10- :*, 16 Vegetationsgefäße wurden mit radium- 
emanationhaltigem Wasser begossen, während die übrigen 10 Vegetations- 
gefäße zur Kontrolle dienten. Zu den Vegetationsgefäßen, in denen sich 
35 Pflanzen befanden, wurden während der ganzen Vegetationszeit, die 
sich auf 108 Tage erstreckte, 88 200 ME, also pro 1 Pflanze 2500 ME 
= 1 002 500 - 10 1 = 0,001 mg Ra und pro Tag ca. 23 ME = 9223 . 10- :* 
= 0,0000092 mg Ra benutzt. An Trockensubstanz wurde geerntet: 


| Samen Stroh Ganze Pflanzen 
Mit radioaktivem Wasser . | 36,33 g 83,58 g 118,91 g 
Ohne radioaktives Wasser . 16,25 g 63.08 g 79,33 g 
Differenz für Radium 19,08 g 20,50 g 39,58 g 
Differenz in % .... | 117,4% 32,4% 49,80% 


Es wurde ein Mehrertrag an Pflanzen masse erzielt, und 
zwar an Samen 19,08 g, an Stroh 20,50 g. Demnach ergibt sich 
also beim Samen ein Mehrertrag in Prozenten ausggdrückt 
von 117,4 und beim Stroh von 32,4%. 

II. Nun schreiten wir zu dem Versuch mit Lupinus angustifolius, der 
in derselben Weise ausgeführt wurde, wie der frühere. Die Versuchszeit 
dauerte hier 135 Tage. 10 Vegetationsgefäße, in denen sich 48 Pflanzen 
befanden, wurden 96000 ME, also einer Pflanze 2000 ME = 800 000 · 10 -'° 
= 0,0008 mg Ra, also pro 1 Pflanze und Tag 14 ME = 5614.10"! 
= 0,0000056 mg Ra zugeführt, während 10 Vegetationsgefäße zur Kontrolle 
dienten. — 

Der Ertrag an Pflanzenmasse in der Trockensubstanz ausgedrückt 
war nachstehender: 


| Samen | Stroh | Ganze Pflanzen 
Mit radioaktivem Wasser. 224,918 | 451,25 р 676,168 
Ohne radioaktives Wasser . 136,58 g 284,16 g 420,75 g 
Differenz für Radium + . 88,33 g 167,09 g 255,41 g 
Differenz іп „+ .... 64,6% 58,8% 60,7% 


Aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß wir einen Mehrertrag 
beim Samen von 88, 33 g, beim Stroh von 167,09 g zu verzeichnen 
haben. In Prozente umgerechnet ist das beim Samen 64, 6%, 
beim Stroh 58,8%. 

Es ergibt sich daher aus diesen beiden Versuchen, daß durch 
das BegieBen mit radioaktivem Wasser entschieden ein äußerst 
günstiger Effekt bei der Samenproduktion erzielt worden ist. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. | 155 


III. Ebenso günstige Resultate erzielten wir bei unserem Versuch mit 
Pferdebohne (Vicia faba), der genau so angestellt wurde, wie der I. Versuch. 
Diese Versuche wurden in 16 Vegetationsgefäßen ausgeführt. Eine Gruppe, 
bestehend aus 8 Vegetationsgefäßen, diente als Kontrollversuche, die andere 
Gruppe wurde mit radiumemanationhaltigem Wasser begossen. Als Nähr- 
stoffe wurden 5g Calciumsulfat und 5g Kaliumphosphat angewendet 
Die Vegetationszeit dauerte 140 Tage, und es wurden 74160 ME pro 
8 Vegetationsgefäße, also pro 1 Vegetationsgefäß 9270 ME benutzt. In 
jedem Vegetationsgefäß befanden sich 5 Pflanzen, also pro 1 Pflanze 
1854 ME = 743 454 - 10-1? = 0,00074 mg Ra, und pro Tag ca. 13 ME 
= 5213 . 10-!° = 0,0000052 mg Ra. Der Ertrag auf 10 Vegetationsgefäßen 
umgerechnet, war folgender: 


Samen Stroh Ganze Pflanzen 
Mit radioaktivem Wasser . | 223 g 351 g 574 g 
Ohne radioaktives Wasser . 167 g 305 g 472 g 
Differenz für Radium . 56 g 46 g 102 g 
Differenz in / + .... 33,53%, 15,08% 21.61% 


IV. Nun kommen wir zur Gerste (Hordeum distichum). Diese Ver- 
suche wurden ebenfalls in großen Vegetationsgefäßen mit 24 kg Lehmboden 
pro Topf ausgeführt. 10 Vegetationsgefäße dienten wieder zur Kontrolle 
und 10 Vegetationsgefäße wurden mit radiumemanationhaltigem Wasser 
begossen. Pro 1 Vegetationsgefäß wurden folgende Nährstoffe angewendet: 

0,4g N in Form von Natriumnitrat, 0,8g P,O, in Form von Mono- 
calciumphosphat und 1,2g K,O in Form von Kaliumchlorid. Die Vege- 
tationszeit dauerte 148 Tage und es wurden pro 10 Vegetationsgefäße 
165 200 ME benützt, so daß auf 1 Vegetationsgefäß, in welchem sich 
8 Pflanzen befanden, 16 520 ME entfielen. Auf eine Pflanze kamen 
2065 ME = 827 664 - 10 -!? = 0,000827 mg Ra, pro Tag са. 14 ME = 5614 
101 = 0,0000056 mg Ra. Der Ertrag an Pflanzenmasse in Trocken- 
substanz ausgedrückt, war folgender: 


| Frucht | Stroh | Ganze Pflanzen 
Mit radioaktivem Wasser . 152,4 g 320 g 472,4 g 
Ohne radioaktives Wasser 104,3 g 241 g 345, 3 g 
Differenz für Radium + . 48,1 g 79 g 127,1 g 
Differenz іп %% .... 46,1% 32,7%, 36,8% 


Ferner haben wir noch andere Versuche in der Art aus- 
geführt, daß wir verschiedene Kulturpflanzen nach 65 Vegetations- 
tagen in Vegetationsgefäben im Glashaus zur Entwicklung 
brachten und mit einem Wasser von verschiedener Aktivität 
begossen. Wir konnten konstatieren, daß, sobald ein Vegetations- 
gefäß, in welchem sich 6—8 kg Erde befanden, mit einem Radium- 
wasser von 600 ME pro 1 Pflanze täglich begossen wurde, 


156 J. Stoklasa: 


sich schon nach 50—80 Vegetationstagen ein schädlicher Einfluß 
einstellte. Namentlich die Blatter der Zuckerrübe, der Kartoffel, 
der Weinrebe und des Tabaks waren angegriffen, das Chlorophyll 
war abgebaut und die Blätter haben eine rotbraune Farbe an- 
genommen. Auch bei anderen Pflanzen konnte man nach 60 bis 
100 Tagen der Behandlung mit Radium wasser eine markant toxische 
Wirkung beobachten. Es waren dies die Gramineen, Leguminosen 
und Cruciferen, bei denen sich die Blätter rotbraun gefärbt 
haben, das Chlorophyll in dem Chlorenchym vollständig zersetzt 
wurde und man eine Plasmolyse beobachten konnte. Daraus 
ersieht man, daß es hauptsächlich darauf ankommt, die richtige 
Dosierung der Radiumemanation zu wählen, denn nur 
durch eine schwache Aktivität lassen sich überall mit 
Ausnahme bei gewissen Kalipflanzen gute Resultate 
erzielen. 

Die Radiumemanation, welche bekanntlich ein Gas ist, 
zerfällt unter Abgabe von a-Strahlen. Die sich bildenden Zer- 
fallsprodukte Radium A, B, C, D E und F sind bekanntlich 
feste Körper, die sich dann nacheinander umwandeln und hierbei 
ebenfalls Strahlen emittieren. Alle die von uns angestellten 
Versuche zeigen, daß eine Radiumemanation in schwacher 
Aktivität und bei richtiger Dosierung die Karyokinese in der 
Zelle und überhaupt die Mechanik.des ganzen Bau- und Betriebs- 
stoffwechsels äußerst günstig beeinflußt. Auf Grund unserer 
Beobachtungen können wirerklären, daß die Radium- 
emanation nicht immer in gleichem Maße auf die 
Entwicklung und Stoffwechselprozesse der einzelnen 
Pflanzen einwirkt; es ist das ein ganz individuelles 
Verhalten aller Pflanzengattungen. GewiB von großer 
physiologischer Bedeutung ist zu studieren, welche Dosis der 
Emanation, bzw. welches Optimum sich für den Organismus 
der Kulturpflanzen am besten eignet. Bestimmte Daten lassen 
sich freilich derzeit nicht anführen, da unsere Erfahrungen darin 
noch zu gering sind. Wir konnten ja die Beobachtung machen, 
daß bei gewissen Vegetationsfaktoren einige Pflanzen 
auf eine höhere Dosis, andere wieder auf eine schwache 
Dosierung reagieren. Aus unseren ganzen Studien ist ersicht- 
lich, daß die Zuckerrübe eine eigentümliche Stellung unter allen 
Kulturpflanzen gegen die Radiumwirkung einnimmt. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 157 


Bei unseren Versuchen, wo wir für ein Zuckerrübenexemplar 
pro Tag ca. 29 ME = 11 629- 10-12 = 0,0000116 mg Ra, bei einem 
anderen Versuch täglich 30 ME = 12 030 · 10 1 = 0,000012 mg 
Ra und bei einem nächsten Versuch 21 ME = 8421 - 10-1? 
= 0,0000084 mg Ra anwendeten, konnten wir beobachten, daß im 
Anfang, und zwar nach 30 Vegetationstagen keine Unterschiede 
zwischen den Kontrollpflanzen nachweisbar waren. Erst nach 
60 Vegetationstagen blieben die Pflanzen in der Entwicklung 
gegen den Kontrollpflanzen etwas zurück. Nach 95 Vegetations- 
tagen, also in der IV. Periode, konnte man schon eine Depression 
in der Entwicklung beobachten, welche sich in der V. Periode 
nach 118 Tagen und in der VI. Periode nach vollendeter Vege- 
tation, also nach 145 Vegetationstagen, deutlich kennzeichnet. 

Die De pression in der Bildung neuerlebender Masse 
ist tatsächlich für die Zuckerrübe und fiir alle anderen 
Kalipflanzen charakteristisch. 

Wenn wir unsere Versuchsergebnisse vergleichen, finden wir, daB auf 
100 g Trockensubstanz der gebildeten Pflanzenmasse während der ganzen 
Vegetationszeit bei der Zuckerrübe beim ersten Versuch 2672 ME 
= 1,070 472 . 10-12 = 0,00107 mg Ra, bei dem anderen Versuch 3330 ME 
= 1,335 731. 10-!* = 0,0013 mg Ra und beim letzten Versuch 4891 ME 
= 1,961 291 - 101 = 0,00196 mg Ra entfallen. 

Wenn wir hier mit der Radioaktivität anderer Kulturpflanzen einen 
Vergleich ziehen, so ergibt sich, daß auf 100g Trockensubstanz der pro- 
duzierten Pflanzenmasse von Vicia faba 12 890 ME = 5,169 291 - 10"? 
= 0,005169 mg Ra, von Papaver somniferum 74 173 ME =: 29,743 000 
«10731 = 0,0297 mg Ra, von Lupinus angustifolius 14200 ME 
= 5,694 200 . 10-1? = 0,005694 mg Ra, und von Hordeum distichum 
35 000 ME = 14,035 000 . 10 1 = 0,014 mg Ra entfielen. 

Daraus erhellt, daß auf 100 g Trockensubstanz der Zucker- 
rübe eine viel schwächere Dosierung zur Anwendung kam wie bei 
den anderen Kulturpflanzen, nachdem wir uns schon bei unseren 
früheren Versuchen überzeugt haben, daB die Radiumemanation 
schädlich auf die Entwicklung der Zuckerrübe wirkt. Es ist 
a uch genau ersichtlich, wie empfindlich die Zucker- 
rü be gegen andere Kulturpflanzen ist, wo auf 100g 
Trockensubstanz der gebildeten Pflanzen masse die 
dreifache, bei Gerste die zehnfache, bei Mohn sogar 
die fünf zehnfache Menge Radiumemanation ent- 
fiel, als bei der Zuckerrübe. Das sind gewiß äußerst lehr- 
reiche Beispiele, wie ungleich die Radioaktivität wirkt. Wir 


158 J. Stoklasa: 


konnten überhaupt beobachten, daß bei der Zuckerrübe, Kar- 
toffel, Weinrebe und Tabak durch Einfluß der Radiumemanation 
das Zellprotoplasma viel früher getötet wurde als bei anderen 
Kulturpflanzen. 

Die Zuckerrübe resorbiert, wie bekannt, bedeutende Quanti- 
täten von Kaliumion. Nach unseren Versuchen!) wurden in den 
einzelnen Perioden von 1 Rübenpflanze folgende verschiedene 
Mengen an Kaliumoxyd resorbiert: 


I. Ferie 0,00003 g 
II „ Ee E 0,0042 g 
ПІ. ae fel tas, ah Dee Heat Gs ately esa 1,5024 g 
IV. чо ët ee Фу Жз 2,1020 g 
Vo Ge. a Gee, Goes ee 2,3294 g 
VI 7 ̃ Жол: e SS 2,3377 g 


Also 1 Exemplar der Zuckerrübe bei einem Gewicht der 
Blätter und Stiele in der Trockensubstanz von 75,86 g und des 
Wurzelsystems von 138,55 g enthalt 2,3377 g Kaliumoxyd. Das 
Kalium ist, wie ich schon früher hervorgehoben habe, radioaktiv. 
Nach Campbell ist das Ionisationsvermögen des Kaliums 1/1000 
der В- und y-Aktivität des Urans. Die Beeinflussung der Radio- 
aktivität auf das Wachstum und die Zellvermehrung der Zucker- 
rübe ruft gewisse formative Erfolge hervor. Die Rhythmik der 
Vegetationsprozesse gestaltet sich ganz anders, wie bei den anderen 
Kulturpflanzen. Wir müssen die Ursache der spezifischen 
GestaltungdesgesamtenBau-undBetriebsstoffwechsels 
nur zum Teil ір der Radioaktivitätdes Kaliums suchen. 
Einen besonderen Einfluß auf die Wachstumstätigkeit unter 
Einfluß der Radioaktivität hat das Licht mit seinen photochemi- 
schen Wirkungen. 


Uber den Einfluß des Lichtes auf die Wirkung der Radium- 
emanation bei der Entwicklung der Pflanze. 


Die Versuche wurden mit Zuckerrübe (Beta vulgaris) im 
zweiten Vegetationsjahr ausgeführt. Es wurden 40 gleichmäßig 
entwickelte Rübenwurzeln bei der Ernte aus dem Versuchsfeld 
herausgenommen und die Blattrosetten ungefähr 5 ст über dem 


1) Siehe Stoklasa - Matoušek, Beitrag zur Kenntnis der Ernährung 
der Zuckerrübe. Physiologische Bedeutung des Kaliumions im Organism us 
der Zuckerrübe. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1916. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 159 


Rübenkopf abgeschnitten. Über den Winter wurden sie sorg- 
fältig aufbewahrt, damit sie weder erfrieren, noch vorzeitig aus- 
treiben. Sie wurden im Keller im Sand eingemietet. Im Frühjahr 
im Mai wurden sie in geräumige Vegetationsgefäße, die 35 cm 
hoch waren und 27 cm im Durchmesser hatten, eingesetzt, sodaß 
auf 1 Vegetationsgefäß eine Rübenwurzel entfiel. Die Vegetations- 
gefäße waren mit humosem Sandboden gefüllt, welchem alle 
wichtigen Pflanzennährstoffe, also Stickstoff, Phosphor und 
Kalium, zugesetzt waren. Eine Gruppe der Vegetationsgefäße, 
also 16, wurden in eine Dunkelkammer gebracht. Die I. Serie 
der Gruppe, aus 8 Vegetationsgefäßen bestehend, wurde mit 
radiumemanationhaltigem Wasser befeuchtet. Es wurden pro 
1 Vegetationsgefäß täglich 30 ME = 12 030 · 10-12 = 0,00001203 
mg Ra zugesetzt. Die anderen 8 Vegetationsgefäße wurden bloß 
mit destilliertem Wasser begossen. 

Die II. Serie bestand wieder aus 16 Vegetationsgefäßen. 
8 Vegetationsgefäße wurden im Vegetationshaus, wo die Sonne 
vollen Zutritt hatte, mit radiumemanationhaltigem Wasser be- 
gossen, während die anderen 8 bloß mit destilliertem Wasser 
befeuchtet wurden. In der Dunkelkammer entwickelten sich 
nach 51 Tagen die etiolierten Herzblätter in den Vegetations- 
gefäßen, die nicht mit radiumemanationhaltigem Wasser begossen 
wurden, ungemein langsam, wogegen sie sich in jenen Gefäßen, 
zu welchen täglich 30 ME pro 1 Exemplar zugesetzt wurden, 
üppig entwickelten und große stattliche Rosetten bildeten. 

Im Vegetationshaus unter Einfluß des Lichtes, wo die Rüben- 
pflanzen nicht mit radioaktivem Wasser begossen wurden, ent- 
wickelten sich neue schöne grüne Herzblätter in sehr reichlichem 
Masse und erreichten eine Länge von etwa 20—25 cm. Bei den 
Rübenexemplaren, welche hingegen mit radiumemanationhaltigem 
Wasser begossen wurden, entwickelten sich die Blätter sehr 
langsam. 

Nun treten wir zu den Resultaten unserer Untersuchungen. 
Nach 55 Vegetationstagen wurde beobachtet: 


I. Gruppe in der Dunkelkammer. 
Das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und des Samensprosses 


betrug pro 10 Exemplaren: 
Mit Radiumemanationbehandlung . . . . . 48,6 g 
Ohne Radiumemanationbehandlung . . . . 35,6g 


160 J. Stoklasa: 


Im Vegetationshaus: 
Ohne Radiumemanationbehandlung . . . . 57,2g 
Mit Radiumemanationbehandlung . . . . . 41,165 

Durch mikrochemische Beobachtungen wurde nachgewiesen, 
daB die etiolierte reine Blattsubstanz nicht viel Kalium aufge- 
wiesen hat. 

Diese Resultate sind sehr lehrreich! Wir sehen ganz deutlich, 
daß in der Dunkelkammer, also bei vollständigem Ausschluß des 
‚Lichtes, die Wirkung der Radiumemanation auf die etiolierten 
Pflanzen in günstiger Weise zur Wirkung gekommen ist. Das 
Gewicht der Trockensubstanz der etiolierten Blätter und des 
Samensprosses ist in der Dunkelkammer um 13g größer 
wie bei den Vegetationsgefäßen, wo die Pflanzen nicht mit 
Radiumwasser behandelt worden sind. Im Vegetationshaus 
war unter Einwirkung der Radiumemanation das Trockensubstanz- 
gewicht der Blätter und des Samensprosses um 16,1 g kleiner als 
ohne Radiumemanation. 

Im Vegetationshaus, übte also bei Einwirkung der Sonnen- 
strahlen durch die photochemischen Wirkungen die Radium- 
emanation einen schädlichen Einfluß aus. Die Entwicklung 
der Blätter und des Samensprosses blieb bei Einwirkung der 
Radiumemanation gegenüber den Kontrollpflanzen zurück. 

Wir haben wieder neue Versuche in Emanatorien mit einem 
Rauminhalte von 66 Liter angestellt. Diese Versuche wurden 
mit Mutterrüben «derart ausgeführt, daß wir ein Vegetations- 
gefäß mit den Mutterrüben in ein Emanatorium stellten. Die 
Emanation wurde durch Erzlaugrückstände hervorgerufen. Die 
Luft im Emanatorium wies im Liter 20 ME = 8020 · 10-1? = 
0,000008 mg Ra auf. Die Versuche wurden im Winter im Monate 
November und Dezember und im Frühjahr im Mai und Juni 
vorgenommen. Es wurde gefunden, daB im Monat November 
und Dezember unter Einfluß der Radiumemanation sich neue 
Blattorgane und der Samensproß früher entwickelten als ohne 
Radiumemanation. Nach 55 Tagen wurde das Trockensubstanz- 
gewicht der Blätter eines Exemplars aus dem Emana- 
torium von 4,97g, aus den Kontrollgefäßen, wo keine 
‚Radiumemanation vorhanden war, von 3,85 g konstatiert. Die 
mikroskopische Untersuchung hat ergeben, daß in der etiolierten 
reinen Blattsubstanz nicht viel Kalium enthalten war. 


Radiumemanation und WachstumsprozeB der Pflanzen. П. 161 


Im Frühjahr unter Einwirkung der Sonnenstrahlen war gerade 
das Gegenteil zu beobachten. Wir fanden, daß bei den Mutter- 
rüben ohne Radiumemanation neue Blätter und der Samensproß 
in üppigerer Weise entwickelt waren, als unter Einfluß der Radium- 
emanation. Es betrug das Trockensubstanzgewicht der neu 
entwickelten Blätter pro 1 Exemplar aus dem Emanatorium 
5,01 g, aus den Kontrollgefäßen 6,30 р. Es ergaben sich also 
wieder Differenzen. | 

Die photomorphotischen Wirkungen sind gewiß durch die 
Radiumemanation beeinflußt worden. Die formative Tätigkeit, 
welche durch die Radioaktivität im Dunkeln, also bei Ausschluß 
des Lichtes, sowie im Winter hervorgerufen wurde, zeigt uns, 
daB das ein Agens ist, welches auf die Bildung neuer lebender 
Pflanzenmasse einen Einfluß hat. Im Dunkeln fördert die Radio- 
aktivität das Wachstum neuer Organe, bei Gegenwart von Sonnen- 
strahlen hingegen wird dasselbe verlangsamt oder ganz sistiert. 
Namentlich im Dunkeln konnten wir bei Beta vulgaris konsta- 
tieren, daß durch die Radioaktivität etiolierende breite Blätter 
eine ziemliche Größe erreicht haben. Das Gewicht ist aber ein 
Beweis, daß wir es hier mit einem Phänomen zu tun haben, das 
von hoher physiologischer Bedeutung ist. 

Bei den neuen Forschungen über kosmische Radioaktivität 
kommen wir immer mehr und mehr zur Überzeugung, daß in 
der Sonne Radioelemente vorhanden sind und diese radioaktiven 
Strahlungen müssen in einem gewissen Zusammenhange stehen 
mit dem Einfluß der Radiumemanation auf den Pflanzenorganis- 
mus. Wir wissen ja, daß die physikalischen Eigenschaften des 
radioaktiven Atoms im Sommer und Winter gleich sind, aber die 
biologische Beeinflussung ist verschieden. Uran und Thorium 
senden reine «-Strahlen aus, während das Radium a- und B- 
Strahlen liefert. Das Kalium sendet größtenteils Pen und 
ganz geringe Mengen von y-Strahlen. 

Auf das lebende Protoplasma wirken die «-Strahlen am stärk- 
sten, dann folgen die weichen G Strahlen, Die y-Strahlen haben 
erst einen Effekt, wenn sie in großen Mengen längere Zeit ein- 
gewirkt haben. 

Unsere Experimente haben deutlich gezeigt, daß die Radium- 
_ emanation toxische Wirkungen in den Organen, welche reich an 
Kalium sind, hervorruft. Zum mikrochemischen Nachweis des 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 11 


162 J. Stoklasa: 


Kaliums in der Zuckerriibe haben wir die modifizierte Methode 
von Macallum angewendet. 

In der Zuckerrübenpflanze ist das Kaliumion ubiquitär!). 
Das meiste Kalium enthält die Blattspreite, weniger der Blatt- 
stiel und am wenigsten die Wurzel. In der Blattspreite tritt das 
Kaliumion am reichlichsten in den subepidermalen Schichten auf. 
Das Palisadengewebe unmittelbar unter der oberen Epidermis 
ist am kaliumreichsten. Die chlorophylihaltige Zelle enthält 
stets Kalium. In der Epidermis selbst ist, mit Ausnahme der 
Schließzellen, weniger Kalium enthalten. Der Xylemteil der. 
Gefäßbündel, und zwar sowohl des Blattstieles wie der Blatt- 
nervatur, enthält mehr Kalium als der Phloemteil. Auffallend 
große Mengen von Kalium sind in der sogenannten Zuckerscheide. 
In der Rübenwurzel steigt die Kaliummenge in der Richtung 
zum Kopfe. Die Gefäßbündel mit ihrem reichen Kaliumgehalt 
bilden konzentrische Ringe. Außerdem sind größere Kalium- 
mengen in den unmittelbar unter der Korkschichte liegenden 
Geweben enthalten. 

An verwundeten Stellen häuft sich das Kalium an. Die 
Wasserkulturen haben gezeigt, daß bei Abwesenheit des Kalium- 
ions in der Nährlösung, der im Samen vorhandene Vorrat an 
Kalium hauptsächlich in die beleuchteten Teile, meist in die 
Blattspreite, wandert. Die Wurzel enthält verhältnismäßig 
weniger Kalium. Etiolierte Blätter fallen durch die 
geringe, in ihnen enthaltene Kaliummenge auf. Die 
Gesamtverteilung des Kaliumions in den ohne Kalium gezüch- 
teten, resp. etiolierten Pflanzen, ist im allgemeinen eine ähnliche 
wie in normalen Pflanzen. 

Durch die mikrochemische Analyse wurde tatsächlich fest- 
gestellt, daß die Chlorophyllapparate von der Zuckerrübe von 
allen Organen am reichsten an Kaliumion sind. Wir haben auch 
an den Blättern anderer Kulturpflanzen, die wir zu unseren Ver- 
suchen herangezogen haben, mikrochemische Untersuchungen 
angestellt und gefunden, daß sich bei Hordeum distichum, Poly- 
gonum fagopyrum, Papaver somniferum, Lupinus angustifolius, 
Vicia faba und Pisum sativum mittels der von uns modifizierten 

1) Julius Stoklasa und Alois Matousek unter Mitwirkung von 


E. Senft, J. Sebor und W. Zdobnicky, Beiträge zur Kenntnis der Er- 
nährung der Zuckerrübe. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1916. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 163 


mikrochemischen Methode nach Macallum im Palisadengewebe 
der Chlorophyllapparate nicht so groBe Mengen von Kalium wie 
bei der Zuckerrübe nachweisen ließen. In den Blättern der Kar- 
toffel, der Weinrebe und des Tabaks wurden große Quantitäten 
von Kalium vorgefunden und diese Pflanzen sind, wie wir gefunden 
haben, gegen die radioaktiven Elemente ungemein empfindlich. 
Auch die chemische Analyse hat dokumentiert, daß die Blätter 
der Zuckerrübe tatsächlich die größten Mengen an Kaliumion 
aufweisen. Auf Grund unserer sorgfältigen Untersuchungen wur- 
den in den Blättern der Pflanzen, mit welchen wir Experimente- 
ausführten, folgende Quantitäten an Kalium in der Trockensub- 
stanz der Blätter gefunden: 


Beta vulgaris 1,73—2,86% 
Solanum tuberosum ........ 2,04% 
Nicotiana tabacum ........ 1,83% 
Vitis vinifera... ... ee 1,64% 
Pisum arvense . . 2... 2220. 0,88%, 
Pisum sativum .........-. 1,03% 
Hordeum distichum ........ 0,78—0,94% 
Polygonum fagopyrum....... 0,69% 
Papa ver somniferum . ...... . 0,96% 
Lupinus angustifolius ....... 0,84% 
Vicia faba ............ 0,92% 


Die analytischen Daten zeigen uns, daß die Blatter der 
Zuckerriibe, der Kartoffel und des Tabaks, sowie der Weinrebe 
sehr reich an Kalium und, wie wir schon erwähnt haben, gegen 
die Einwirkung der radioaktiven Strahlen von Uran, Radium, 
Radiumemanation und Thorium sehr empfindlich sind. Durch die 
Beobachtung der photomorphotischen Wirkungen bei Gegenwart 
von Radiumemanation haben wir gefunden, daß in der Dunkel- 
kammer, also im etiolierten Zustande, die Radiumemanation 
nicht toxisch, im Gegenteil vorteilhaft auf die formative Tätig- 
keit der Pflanzen einwirkte. Interessant ist, daß die etiolierten 
Blätter geringere Quantitäten von Kali enthalten. Bei Gegenwart 
von Licht wirkte die Radiumemanation auf das Zellprotoplasma 
nachteilig. Daraus muß geschlossen werden, daß die Toxidität 
jedenfalls mit der Dynamik der photosynthetischen Assimilation, 
also mit der Produktion der organischen Substanz durch die 
Assimilation von Kohlendioxyd zusammenhängt. Das natürliche 
Element Kalium sendet sehr durchdringende Strahlen aus, во 


11* 


164 J. Stoklasa: 


daß man annehmen muß, daß in der chlorophylihaltigen Zelle, 
welche ein bedeutendes Quantum von Kalium aufweist, ganz von 
Strahlen ausgefüllt ist. 

Die ausströmenden Strahlen des Kaliums müssen in einem 
gewissen biologischen Gegensatze durch die х-ЗітаШеп der Ra- 
diumemanation schädlich beeinflußt sein. Die Radiumemanation 
ist das unmittelbare Zerfallsprodukt des Radiums, d. h. ein 
Atom Radium spaltet sich in Heliumatom (a-Strahlen) und ein 
Atom Emanation. Aus der Radiumemanation entwickelt sich die 
induzierte Aktivität. 

Unter dem Name „aktiver Niederschlag‘ faßt man sämt- 
liche Umwandlungsprodukte, die nach der Emanation kommen, 
zusammen. Sie verhalten sich durchwegs wie feste Körper. 
Man unterscheidet gewöhnlich zwischen dem schnell zerfallenden 
und dem langsam zerfallenden aktiven Niederschlag. Dem schnell 
zerfallenden aktiven Niederschlag gehören die drei ersten Zer- 
fallsprodukte der Radiumemanation, nämlich Radium A, Radium 
B und Radium C an. 


Н. Zwaarde maker’) erwähnt in seiner Publikation „Die Bedeutung 
des Kaliums im Organismus‘, daß offenbar ein biologischer Gegensatz 
existiert, der sich mit dem physikalischen Unterschied deckt. Die a- und 
ß-Strahlen sind biologische Antagonisten, physikalisch verschieden. 

In der chlorophyllhaltigen Zelle spielen sich entschieden physikalisch- 
biologische Prozesse ab, wovon wir bis jetzt keine Ahnung gehabt haben. 

Ganz richtig betont Rudolf Keller?) in seiner Publikation „Die 
Elektrizität in der Zelle", daß die Kraftäußerung im engsten Raume in 
der organischen Welt nur noch übertroffen wird vom Chlorophyllkorn, das 
in seinem Punktraum Kohlensäure mit einem Aufwand von sicher über 
300 Joules zerlegt und auseinanderhält. 

Dieser Autor kommt in dieser Publikation, sowie in seiner jüngst er- 
schienenen „Neue Versuche über mikroskopischen Elektrizitätsnachweis‘‘?) 
zu einer Ansicht, die ich hier rekapituliere: 

„Wenn man einen lebenden Schnitt in eine beliebige Kobaltlösung 
bringt, nicht in Nitrit, sondern in Chlorür, Chlorid oder Nitrat, so fallen 
ebenfalls bräunliche Reduktionsprodukte an den Kathoden aus, die ihre 
Reduktionswirkung an Kobaltsalzen ebenso betätigen wie an Eisensalzen. 
Man kann diese Niederschläge unter dem Mikroskop auch als gelbbraun 

1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 173. 1918. 

8) Rudolf Keller, Die Elektrizität in der Zelle. Verlag von Wilhelm 
Braumüller, Wien-Leipzig 1918. 
| 3) Derselbe, Neue Versuche über mikroskopischen Elektrizitätsnach- 
weis. Verlag von Wilhelm Braumüller, Wien-Leipzig 1919. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. П. 165 


bezeichnen. Es hat also schon der erste Teil der Reaktion etwas Unsicheres 
in dem Punkt, ob bestimmt eine Kaliumverbindung niedergeschlagen wird, 
zumal auch die Ammoniakverbindung gelb und unlöslich ist. Beim zweiten 
` Teil, der Schwärzung durch Ammonsulfid, ist es aber ganz sicher, daß diese 
nur die Orte betrifft, an denen Kobaltkationen sich angesammelt haben, 
d. h. die Kathoden. Ich habe dies einfach dadurch festgestellt, daß ich 
mit beliebigen Kobaltsalzen, ohne das spezifische Kaliumreagens Nitrit, 
genau dieselben Bilder erhalte wie Macallum und wie Stoklasa - Ma- 
to u šek bei allen Geweben, bei denen ich es versuchte. Der richtige Vorgang 
ist also folgender: Die Kobaltlösung Macallums, die auf das lebende 
Gewebe einwirkt, geht keineswegs dem Kalium nach, sondern sie differenziert 
sich autonom nach ihrer elektrischen Natur und der des Gewebes, die 
Kathoden ziehen Kobalt an und halten es fest, die Anoden stoßen es ab. 
Pringt man darauf das Sulfid hinzu, so werden die Kathoden ausgefärbt, 
und zwar etwas stärker als bei meiner Eisenmethode, offenbar weil Kobalt 
giftiger ist und die Differenzierung durch rascheres Absterben des Gewebes 
verstärkt wird. 

Ich bleibe davon überzeugt, daß Macallums Kaliumorte wirklich 
Kalium enthalten, wenn auch nicht in solchen Massen, wie die Schwär- 
zungen sie anzeigen würden. Ein so stark positives Element wie Kalium 
kann im Ionenzustand sich an keinem anderen Ort aufhalten als an den 
stärksten Kathoden. Es ist nur möglich, daß geschlossene Kugeln von 
Chlorophyll oder Zellkerne, Aleuronkörner in ihrem Innern Kalium ent- 
halten, das durch eine äußere anodische Zwischenschicht oder Neutral- 
schicht am Reagieren verhindert ist; auch die Analysen der ganzen Pflanzen- 
teile zeigen eine grobe Übereinstimmung mit den Resultaten der mikro- 
chemischen Feststellungen, es ist aber sicher, daß Macallums Methode, 
zweiter Teil, absolut nicht eine spezifische Reaktion auf Kalium dar- 
stellt. 

Wie ich schon hervorgehoben habe, sendet das Kalium £- und y- Strah- 
len aus. Die € Strahlen sind identisch mit Kathodenstrahlen von hoher 
Geschwindigkeit, die 300 000 km pro Sekunde beträgt. Die Geschwindigkeit 
der £-Strahlen ist bedeutend größer als die der Kathodenstrahlen und 
besitzen daher auch ein viel größeres Durchdringungs vermögen. Nament- 
lich durch die Untersuchungen von F. Giesel!) wurde die magnetische 
Ablenkung eines Teiles der Strahlen nachgewiesen und durch St. Meyer 
und E. v. Schweidler?) gezeigt, daß der Sinn der Ablenkung derselbe 
sei, wie bei Kathodenstrahlen. Unabhängig gelangte bald darauf H. Bec- 
querel°) zum gleichen Resultate. 

Nach Becquerel kann man auf die Identität der Träger der $-Strahlen 
mit dem Träger der Kathodenstrahlen, den Elektronen, schließen. 


1) F. Giesel, Ann. de Chim. et de Phys. 69, 834. 1899. 

2) St. Meyer und Е. у. Schweidler, Phys. Z. F, 113. 1899; Wien. 
Ber. 119, 92. 1900. 

з) Н. Becquerel, С. К. 129, 996 u. 1205. 1899; Journ. de phys. 
(3) 9, 71. 1900. 


166 J. Stoklasa : 


Die Befunde von Rudolf Keller sind nur auf die Radioaktivität des 
Kaliums zurückzuführen, wo die -Strahlen mit den Kathodenstrahlen fast 
identisch sind und die gefundenen Kathodenstrahlen zum Teil auf die 
Wirkung der ausgesandten f̃- Strahlen zurückgeführt werden können. 

Die f- Strahlen sind Elektronen, die mit ihrer großen Geschwindigkeit 
(fast bis zur Lichtgeschwindigkeit) von dem Kalium ausgeschleudert werden. 
Sie rufen beim Auftreten auf fluorescenzfähige Substanzen ein gleichmäßiges 
Leuchten hervor. 

Die Radioaktivität des Kaliums kommt in den Chlorophyll- 
apparaten der Zuckerrübe zur vollen Geltung, sodaß man sie im 
Laufe ihrer Entwicklung genau verfolgen kann. Wenn man die 
kinetische Energie der B-Strahlen des Kaliums mit der kinetischen 
Energie der -Strahlen des Radiums und mit der der «-Strahlen 
des Urans vergleicht, findet man, daß das Durchdringungs ver- 
mögen der Strahlen bei dem Kalium größer ist, als bei Radium. 

Der energische Baustoffwechsel der Zuckerrübe kennzeichnet 
sich in einer progressiven Entwicklung der Chlorophyllapparate. 
Wir beobachteten, daß sich die Chlorophyllapparate in der ersten 
Phase der Entwicklung der Zuckerrübe sehr rasch entwickeln 
im Verhältnisse zum Wurzelsystem. So fanden wir, daß auf 1 g 
Wurzelsystem in der ersten Phase der Entwicklung der Zucker- 
rübe 5—6 g Chlorophyllapparate entfallen. Erst später, nament- 
lich in den Monaten August und September, wo sich das Wurzel- 
system schon stärker entwickelt hat, sinkt die Entwicklung der 
Chlorophyllapparate und die Assimilate zirkulieren dann in den 
Rübenkörper. 

Wie die Experimente zeigten, ist die Wirkung der radio- 
aktiven Strahlen in den Phasen, wo die Chlorophyllapparate 
sich üppig entwickelten und reich an Kaliumion sind, immer am 
toxischsten. Die Tendenz des Organismus der Zuckerrübe im 
ersten Stadium ist, so schnell wie möglich die Chlorophyllapparate 
zur Entwicklung zu bringen und viel Kaliumion zu resorbieren. 
Das Chlorenchym, welches reich an Chloroplasten ist, findet seine 
Hauptfunktion in der Zersetzung der Kohlensäure und der Assi- 
milation seines Kohlenstoffs zum Aufbau der Kohlenhydrate. 
Diese Funktion kann einen mikroskopisch sichtbaren Ausdruck 
in der Ablagerung kleiner Stärkekörner innerhalb der Chloro- 
plasten finden. Natürlich ist die Kohlensäurezersetzung nicht nur 
von dem Chlorophyll, sondern auch von dem Lichte abhängig. 
Berücksichtigt man nun, daß das Palisadenparenchym, da es 


Radiumemanation und Wachstumsproze8 der Pflanzen. II. 167 


an der Oberseite der Blätter liegt, viel besser beleuchtet ist, 
so ist es klar, daß der Löwenanteil der von den Blättern assi- 
milierten Kohlensäuremenge auf das Palisadenparenchym ent- 
fällt. Die Ausbildung dieses spezifischen Assimilationsgewebes 
ist in den Zuckerrübenblättern nicht überall gleich und hängt von 
verschiedenen Vegetationsfaktoren ab. Die Assimilationstätigkeit 
der Blattorgane unterliegt sehr vielen Einflüssen vegetativer, 
klimatischer und auch physikalischer Natur, daß jede direkte 
Folgerung in ansteigender Linie (etwa je mehr Blätter oder de- 
taillierter je mehr Blattoberfläche desto mehr Zucker, nach der 
gegebenen Definition) von vornherein ausgeschlossen erscheinen 
muß. Die Blattformen sind äußerst verschieden, sowohl in der 
Stellung, als auch in der Ausbildung und Zahl. 

Unseren Beobachtungen gemäß ist die Entwicklung des 
Gesamtorganismus der Zuckerrübe und überhaupt die Akku- 
mulation des Zuckers in der Wurzel nicht von dem Gewichte der 
Blätter, sondern von dem Chlorophyligehalte des Chlorenchyms 
abhängig. So z. B. fanden wir bei mangelhafter Ernährung der 
Zuckerrübe, daß die Blattrockensubstanz bloß 0,6—0,9% Chloro- 
phyll aufwies, während sie bei Vorhandensein aller Nährstoffe 
1,0—1,8% Chlorophyll enthielt. 

Bei Gegenwart aller Nährstoffe konstatierten wir nach 
60 Vegetationstagen, also bei der III. Periode, ein Gewicht der 
Trockensubstanz der Blätter und Stiele einer Rübenpflanze von 
30,83 р, der Wurzeln, von 9,85 g, also zusammen 40,68g. Der 
Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der Blätter und Stiele 
belief sich auf 1,65%, infolgedessen befanden sich in der Trocken- 
substanz der Blätter und Stiele 0,5087 g. Von der Gesamtkalium- 
oxydmenge, welche pro 1 Rübenpflanze 1,5024 g in diesem Sta- 
dium beträgt, wurden von den Blättern und Stielen 1,4305 g 
und bloß 0,0719g von den Wurzeln aus dem Boden resorbiert. 
Also in Prozenten ausgedrückt sind von der Gesamtkaliumoxyd- 
menge 95,21%, in den Blättern und 4,79% in den Wurzeln vor- 
handen. 

In der IV. Periode nach 95 Vegetationstagen bezifferte sich 
das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele auf 
70,86 g, des Wurzelsystems auf 46,52 g, daher zusammen auf 
117,38 g. Der Chlorophyllgehalt in der Trockensubstanz der 
Blätter und Stiele betrug 1,52%, so daß sich in der Trocken- 


168 , J. Stoklasa: 


substanz der Blätter und Stiele 1,0771 g befanden!). Von der 
Gesamtkaliumoxydmenge, die in dieser Periode 2,1020 g beträgt, 
wurden von den Blättern und Stielen 1,7857 g, von dem Wurzel- 
system 0,3163 g K,O aus dem Boden resorbiert. Eswarendaher 
vom Gesamtkaliumoxyd in den Blättern und Stielen 
84,95%, in den Wurzeln 15,05% zugegen. 

In der V. Periode, also nach 118 Vegetationstagen, belief 
sich das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele 
auf 80,42 g, der Wurzeln auf 130,72 g, zusammen auf 211,14 g.. 
Der Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der Blätter und. 
Stiele betrug in dieser Periode 1,43%,, so daß in der Trocken- 
substanz der Blätter und Stiele 1,1500 g Chlorophyll vorhanden 
waren. Von der Gesamtkaliumoxydmenge, die 2,3294 g betrug, 
wurden von den Blättern und Stielen 1,4797 g, von dem Wurzel- 
system 0,8497 g K,O aus dem Boden resorbiert. Demgemäß 
befanden sich vom Gesamtkaliumoxyd 63,52%, in den 
Blättern und Stielen und 36,48% in den Wurzeln. 

In der VI. Periode, also nach 145 Vegetationstagen, bezifferte 
sich das Gewicht der Trockensubstanz der Blätter und Stiele 
auf 75,86 g, des Wurzelsystems auf 138,55 g, also zusammen 
auf 214,41 g. Der Chlorophyligehalt in der Trockensubstanz der 
Blätter und Stiele betrug in diesem Stadium 0, 92%; es befanden 
sich daher in der Trockensubstanz der Blätter und Stiele 0,6979 g. 
Von der Gesamtkaliumoxydmenge, die 2,3377 g betrug, wurden 
1,3124 р von den Blättern und Stielen und 1,0253g von dem 
Wurzelsystem aus dem Boden resorbiert. Vom Gesamtkalium- 
oxyd waren also 56,14%, in den Blättern und Stielen 
und 43,86% in den Wurzeln konstatierbar. 

Diese Zahlen sind sehr lehrreich! Wir fanden, daß der Or- 
ganismus der Zuckerrübe bei der Entwicklung von Chlorophyll- 
apparaten, wo die Trockensubstanz der Blätter und Stiele die 
reichste Menge Chlorophyll enthält, bestrebt ist, die größte Menge 
von Kalium aus dem Boden zu resorbieren. So sehen wir, daß bis 
zur VI. Periode in den Blättern und Stielen immer der Kalium- 
gehalt, sowie Chlorophyligehalt steigt, um die größte Menge von 


1) Wir bestimmten das Chlorophyll nach jener Methode, welche in 
unserer Arbeit, betitelt: Beitrag zur Kenntnis der Zusammensetzung des 
Chlorophylis. Beihefte zum Botan. Centralbl. 30, Abt. I, Heft 2. 1913. 
genau beschrieben wurde. 


Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II. 169 


Zucker zu produzieren. Dann finden wir plötzlich einen Um- 
schwung. Der Chlorophyligehalt der Blätter sinkt, da sich schon 
die Assimilate in den Wurzeln abgelagert haben und auch der 
Kaliumgehalt ist ein kleinerer geworden und nähert sich dem 
Quantum, welches in dem Wurzelsystem vorhanden ist. 

Wenn wir all die von uns durch langjährige Experimente 
gewonnenen Zahlen überblicken, finden wir einen vollen Zu- 
sammenhang zwischen dem Mechanismus der endothermen Assi- 
milationsprozesse und der chemischen Aufspeicherung der Licht- 
energie und Umwandlung der kinetischen Energie in potentielle 
Energie. oa 

Wir wollen zunächst einmal versuchen, uns eine Vorstellung 
davon zu machen, wie groß die von der Rübenpflanze bei der 
Photosynthese gespeicherten Energiemengen, in Calorien aus- 
gedrückt, sind. Dies zu berechnen, ist nicht schwer, da uns ja 
die Verbrennungswärme der Assimilate bekannt ist; die zu ihrer 
Synthese erforderliche Energie hat natürlich denselben absoluten 
Wert. Angenommen, es liege Glucose vor, dann entspricht ein 
Molekül C,H,,0, 6 Molekülen CO,. Die entsprechenden Molekular- 
gewichte stehen im Verhältnis 180, 12: (44 · 6) = 0,682. Nun 
hat 1 g Glucose die Verbrennungswärme 3760. Wenn die Pflanze 
Leem СО, (auf 0° und 760 mm Druck bezogen) assimiliert, вог 
gewinnt sie damit, da 1 ccm CO, 0,001965 g wiegt, und 0,001965 
- 0,682 = 0,001340 g Glucose entspricht, 0,001340 - 3760 = 5,0384 g 
Calorien an Energie. 

Von großem Interesse war, zu erfahren, wie sich die Mechanik 
der photochemischen Assimilation in den Blättern der Zucker- 
rübe, in einem Nährmedium bei Gegenwart aller Nährstoffe im 
Vergleiche zu dem Falle, wo das Kalium fehlte, gestaltete. Studien 
über die Menge der assimilierten Kohlensäure wurden zuerst von 
U. Kreusler!) ausgeführt. 

Das Prinzip seiner Methode besteht darin, daß die Kohlensäure in 
dem zu den Blättern geleiteten und im abgeleiteten Gasstrom ermittelt 
wird. Der Vergleich zwischen dem Kohlensäuregehalt des Luftstroms, der 
über die Blätter im Dunkeln geleitet worden ist, und dem Strom, der über 


die belichteten Blätter geht, gibt ohne Einfluß der Atmung den Betrag 
des assimilierten Kohlendioxydes. Die Methode nach Kreusler hat auch 


1) U. Kreusler, Landwirtsch. Jahrb. 14, 913. 1885; 16, 711. 1887; 
- 17, 161. 1888; 19, 649. 1890. 


170 J. Stoklasa: 


Willstatter') bei seinen Untersuchungen über die Ermittlung der Menge 
der assimilierten Kohlensäure zur Anwendung gebracht. 

Unsere Versuche nahmen wir auch nach der modifizierten Me- 
thode von Blackman und Matthaei?), Brown und Escombe?) 
vor und fanden, daß bei Anwesenheit aller Nährstoffe im Nähr- 
medium 1 дй, bei einer Temperatur von 22—24° С, durchschnitt- 
lich aus 6 Versuchen während 1 Stunde im diffusen Tageslichte 
3,578 cem Kohlendioxyd assimilierte. Dies entspricht 18,0274 g- 
Calorien. Bei Annahme, daß pro Tag durchschnittlich 9 Stunden 
die Assimilation vor sich geht, so werden pro 1 айт 162,25 g- 
Calorien produziert. Bei den Rübenblättern, wo im Nährmedium 
Kaliumoxyd fehlte, wurden von 1 qdm bei diffusem Tageslicht 
während der gleichen Zeit bei 22—24°C durchschnittlich aus 
7 Versuchen 1,051 cem Kohlendioxyd assimiliert, was 5,2954 g- 
Calorien entspricht und in 9 Stunden 47,66 g-Calorien ausmacht. 

Hier ergeben sich gewiß in der ganzen Dynamik der Photo- 
synthese bedeutende Unterschiede, welche genau dokumentieren, 
daB dem Kalium bei den fundamentalen Prozessen der Photo- 
synthese eine hervorragende Rolle zukommt. Die autotrophe 
Assimilation des Kohlendioxyds scheint also von dem Kalium- 
gehalt des Chlorenchyms abhängig zu sein. 

Das Kalium, das in der chlorophyllhaltigen Zelle 
verhältnismäßig in großen Quantitäten vertreten ist, 
sendet durchdringende G und y -Strahlen in der Weise 
aus, daß die ganze chlorophyllhaltige Zelle mit Strah- 
len gefülltist, wasein Phänomen vongroßer Bedeutung 
ist. Der photochemische Effekt des Kaliums ist zwar 
nicht groß, verdient aber volle Beachtung, wenn man 
bedenkt, daß das Rubidium 90 Tage, das Kalium 50 Tage und 
das Uranium 1 Tag zur Schwärzung der photographischen Platte 
fordert. Die photochemische Wirkung, sowie die Bedeutung der 
Radioaktivität hat einen nennenswerten Einfluß auf die ganze 


1) R. Willstätter und A. Stoll, Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. 
d. Wissenschaften, Physikal.-mathem. Kl. XX, 15. IV. 1915. 

2) Е. F. Blackman und Gabrielle Matthaei, Proo. Roy. Soc. (В) 
46, 402—459. 1905. 

з) F. F. Blackman und A. М. Smith, Proc. Roy. Soc. (В) 83, 401. 


1911; F. Brown und Е. Escombe, Proc. Roy. Soc. (В) 76, 29, 44. 1905. 
Die Beschreibung unserer modifizierten Methode, sowie die diesbeziiglichen 


analytischen Daten erscheinen in einer speziellen Arbeit. 


Radiumemanation und Wachstumsprozen der Pflanzen. П. 171 


Dynamik der Photosynthese. Daß tatsächlich die toxische Wir- 
kung des Kaliumions unter starkem Einfluß der Radiumema- 
nation bei der Photosynthese zur Geltung kommt, geht daraus 
hervor, daß der Einfluß der Radioaktivität auf die Stoffwechsel- 
prozesse der Bakterien, namentlich der Bakterien, welche ele- 
mentaren Stickstoff assimilieren, wie z. B. der Azotobacter 
chroococcum deutlich zutage tritt. Acotobacter chroococcum ist 
reich an,Kaliumion. In der Trockensubstanz wurde gefunden: 


Р,О,............. 4,93—5,2% . 
EO ek ³·˙ð«·’wR Be е 2,41—2,65% 
Reinasche . .......... 8,2 —8,6%. 


Von den Ammonisationsbakterien, zu welchen Bac. mycoides 
zählt, ist in der Trockensubstanz zugegen: 


Oe Ss Es Er ᷣ Ä 4,07% 
KO ce i tee, & ож Gr et eee d 2,27% 
Җешаввһе........... 7,50%. 


Von den Denitrifikationsbakterien bei Bac. fluorescens lique- 
faciens war in der Trockensubstanz konstatierbar: 


PO: оао ee a 5,32%, 
КО ve, ж e ier бё Ок. A 0,83% 
Reinasche. e 6,48% 


Die Versuche, die ich mit Stranäk und Hromádko in 
großem Maßstabe ausgeführt habe, dokumentierten, daß die 
Radiumemanation von 80—150 ME = 32 080 · 10-13 = 60 150 
- 10-12 = 0,000 032 — 0,000 06 mg Ra pro 1 Liter auf die Ent- 
wicklung der Bakterien nicht schädlich gewirkt hat, im Gegenteil 
die Assimilationspotenz des elementaren Stickstoffs steigt bei 
Azotobacter chroococcum ungemein. Eine Wachstumsverzögerung 
der Bakterien konnte bei dieser Dosierung nicht beobachtet 
werden. 

Wir haben auch in den Emanatorien gefunden, daß die 
Radiumemanation selbst in schwacher Aktivität ungemein günstig 
auf die Bakterien, welche elementaren Stickstoff assimilieren, 
und auf die Stickstoffanreicherung des Bodens wirkt. 

AusdenVersuchsresultatenerhellt,daBdie Radium- 
emanation auf die chlorophyllose Zelle der Bakterien, 
trotzdem sie reich an Kaliumion ist, keine toxischen 
Wirkungen hervorruft. 


172 J. Stoklasa: Radiumemanation und Wachstumsprozeß der Pflanzen. II. 


Die toxische Wirkung wird in der chlorophylihalti- 
gen Zelle erzeugt bei der Produktion der organischen 
Substanz durch die Assimilation von Kohlendioxyd, 
also bei der photosynthetischen Assimilation. Durch 
Beeinträchtigung der Dynamik der Photosynthese leidet natür- 
lich auch der ganze Bau- und Betriebsstoffwechsel und die Bildung 
der formativen und plastischen Zellbestandteile. Die Assimilations- 
tätigkeit der grünen Zelle geht, wie wir sehen werden, bei Gegen- 
wart von Kalium vor sich. Bei Vorhandensein von Radium- 
emanation findet zwischen den a-Strahlen der Radiumemanation 
und den weichen ß-Strahlen des Kaliums eine Gegenwirkung statt. 
Die biologische Radioaktivität, welche sich durch fortwährende 
Herbeischaffung der elektrischen Ladung charakterisiert, verläuft 
nicht normal. Es existiert ein biologischer Gegensatz zwischen 
den a- und f-Strahlen. Es sind das biologische Antagonisten, 

die physikalisch verschieden sind. 


Die Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums 
bei der Photosynthese. III. 


Von 


Julius Stoklasa. 


(Unter Mitwirkung von J. Sebor, V. Zdobnicky, Е. Napravil und 
J. Hromädko.) 


(Aus der chem.-physiol. Versuchsstation an der böhm.-techn. Hochschule 
in Prag.) 


(Eingegangen am 15. April 1920.) 


Willstätter und Stoll schreiben bei ihren Untersuchungen 
über die Assimilation bekanntlich dem Magnesium eine besondere 
Aufgabe in der chlorophylihaltigen Zelle zu, was sich gemäß 
unseren Erfahrungen als nicht am Platze erweist. 

Durch unsere exakten Wasserkulturversuche!) wurde nach- 
gewiesen, daß, wenn im Nährmedium von den Aschen- 
bestandteilen Phosphor und Kalium fehlt, sich die 
Pflanzen überhaupt nicht entwickeln können. Ganz 
andere Verhältnisse herrschen bei der Vegetation, wosich 
in der Nährlösung kein Magnesium befand. Die Pflanzen 
blieben allerdings gegenüber den Nor mal pflanzen in 
ihrer Entwieklung zurück, jedoch ihre Blätter waren 
zie mlich gut entwickelt und sehr schön grün gefärbt. 
Auch die Palisadenzellen waren reich an Chlorophyll- 
körnern. Überhaupt ließ das Aussehen der Pflanzen darauf 
schließen, daß sie sich nicht, wie dies bei jenen in der Nährlösung 
ohne Phosphor und Kalium der Fall war, in einem pathologischen 
Zustande befinden. 

Berechnen wir nun auf Grund unserer Untersuchungen, 
wieviel Magnesium zur Bildung des Chlorophylis in den Blättern 


1) Julius Stoklasa, Johann Sebor und Em. Senft, Beihefte 
z. Botan. Centralbl. 30, Abt. I, Heft 2. 1913. 


174 | J. Stoklasa: 


beispielsweise von Zea Mais (die ein bestimmtes Gewicht auf- 
weisen) gebraucht wird. 

Wir haben eine Reihe von Versuchen mit Zea Mais in einer 
Nährlösung mit und ohne Magnesium angestellt, um genügend 
Material von Blättern zu erhalten. Unsere diesbezüglichen Versuche 
wurden in 48 Vegetationsgefäßen ausgeführt und die Resultate 
sind auf 100 Pflanzen berechnet. Das Gewicht von 100 ganzen 
Pflanzen, auf Trockensubstanz berechnet, betrug 137,9 р. 

In der Nährlösung mit Magnesium haben sich bei 100 Pflan- 
zen von Zea Mais 75,6 g reine Blatt-Trockensubstanz gebildet. 

Wir können auf Grund unserer Bestimmungen annehmen, 
daß in der Blatt-Trockensubstanz von Zea Mais durchschnittlich 
1,4% Chlorophyll vorhanden sind. Folgedessen befinden sich 
in 75,6 g Blatt-Trockensubstanz 1,058 g Chlorophyll. Nehmen wir 
nun an, daß das Chlorophyli 3,53%, Magnesium enthält, so ist 
für den Chlorophyllaufbau in der Zelle der Blätter 0,0373 g 
Magnesium erforderlich. Wir fanden in der reinen Blatt-Trocken- 
substanz 0,036% Magnesiumoxyd oder 0,0217% Magnesium. 

In der reinen Blatt-Trockensubstanz im Gewichte von 75,6 g 
sind also 0,0272g Magnesiumoxyd, oder 0,0164 g Magnesium 
vorhanden. 

Nach Willstätters Annahme wären 0,0373 g Magnesium 
für den Aufbau des Chlorophylis erforderlich. Wir fanden aber 
bloß 0,0164 g. 

Wenn das Gewicht der Blatt-Trockensubstanz 75,6 g beträgt, 
во muß die ganze Menge von Magnesium, die sich auf 0,0164 р 
beläuft, nicht ausschließlich im Chlorophyll vorhanden sein, 
vielmehr verteilt sich dieselbe auch auf andere Zellbausteine. 

Es sei noch erwähnt, daß Zea Maig eine Pflanze ist, welche 
nicht nur für die Entwicklung der Blätter, sondern auch der 
anderen Organe verhältnismäßig viel Magnesium braucht. 

Ähnliche Resultate haben wir nicht nur in der reinen Blatt- 
substanz von Zea Mais, sondern auch von Beta vulgaris, Vitis 

vinifera und Nicotiana tabacum gefunden. 


Die Hypothese, daß das Chlorophyll durch seinen Gehalt an Magnesium 
befähigt ist, eine bicarbonatähnliche dissoziierende Verbindung mit Kohlen- 
dioxyd zu bilden, welche Anschauung auch E. Reinaul) in seiner Ab- 
handlung „Kohlensäure und Pflanzen“ vertrat, ist nicht stichhaltig. 


1) E. Reinau, Chem.-Ztg. Nr. 88, 91, 94, 97, 98. Köthen 1919. 


Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 175 


Schon A. Lieben!) hat in seiner Arbeit „Über die Reduktion der 
Kohlensäure bei gewöhnlicher Temperatur“ im Jahre 1895 das Problem 
der Assimilation von Kohlendioxyd durch die chlorophylihaltige Zelle zu 
lösen versucht und hat zum erstenmal darauf hingewiesen, daß das Kalium- 
bicarbonat, das in Entstehung begriffen ist, sehr leicht und immer durch 
nascierenden Wasserstoff zu ameisensaurem Salz reduziert wird. Lieben 
konnte bei vielen seiner Versuche durch Reduktion des in Entstehung be- 
griffenen Magnesiumbicarbonats durch nascierenden Wasserstoff überhaupt 
keine oder nur Spuren von Ameisensäure nachweisen. Auch Wislicenus 
ist der Meinung, daß Kaliumbicarbonat sich am besten zur Bildung von 
Formiat eignet. 


Durch unsere Versuche wurde gefunden, daß durch 
Einwirkung der ultravioletten Strahlen auf Kohlen- 
dioxyd, Magnesiumhydroxyd und Wasserstoff, welch 
letzterer sichin statu nascendi befand, aus Magnesium- 
bicarbonat man nie Ameisensäure, Formaldehyd und 
überhaupt eine Zuckerbildung nachweisen kann. Das- 
selbe wurde bei Anwendung von Ferroverbindungen 
anstatt Wasserstoff beobachtet. Die Resultate unserer 
Forschungen befinden sich in dem von mir und Matousek bei 
Fischer, Jena, herausgegebenen Buch: Über die physiologische 
Bedeutung des Kalium-Ions im Organismus der Zuckerrübe. 

Fragen wir uns jetzt, was für eine physiologische Funktion 
das Magnesium im Chlorophyll hat? 

Nach den Untersuchungen von Luigi Bernardini und 
Giuseppe Morelli, О. Loew, L. Bernardini und G. Corso, 
L. Bernardini und A. Siniscalchi, Plato und J. Tribot?) 
ist anzunehmen, daß das Magnesium im Pflanzenorganismus 
vorwiegend dazu bestimmt ist, die Phosphorsäure in die Nucleo- 
proteide des Zellkerns, sowie in die Chlorophyllorgane einzu- 
führen, weil die Phosphorsäure am leichtesten aus Magnesium- 
phosphat abspaltbar ist. Das Magnesium muß man als 
treuen Begleiter des Phosphors bei dem Bau- und Be- 
triebsstoffwechsel der Pflanzen ansehen. 

Das Chlorophyli besteht aus drei verschiedenen Arten von 
Verbindungen: 


1) Adolf Lieben, Monatshefte f. Chemie. Wien 1895. 

2) Siehe Atti, R. Accad. dei Lincei 1912; Compt. rend. de l’Acad. 
des Sc. 148; Staz. sperim. agrar. ital. 41, 42 u. 43; Landw. Jahrbücher 1902: 
Landwirtschaftl. Versuchsstation 1892. 


176 J. Stoklasa: — 


a) Dem Phäophorbin und dessen Metallverbindungen, die von Will- 
stätter und seinen Mitarbeitern festgestellt wurden. Dieselben sind in 
Alkohol und Äther, nicht in Petroläther löslich. 

b) Dem Phäophytin und den Phäophytiden, die in Äther fast unlös- 
lich, in Alkohol und Petroläther löslich sind. 

c) Die Chlorolecithinen oder Phäophorbinphosphatide, das sind Ver- 
bindungen von Phäophorbin oder Phäophytin mit Phosphoglyceriden, wie 
Hoppe-Seyler, Gautier und Stoklasa angenommen haben!). Die- 
selben sind ebenso wie deren Metallverbindungen in allen drei Lösungs- 
mitteln löslich. Vielleicht kommen auch Phäophytin-Glyceridester, ohne 
Phosphorsäuregehalt, Chlorophyllane vor! 

Die Phosphorsäure ist an Glyceridreste von ungesättigten Säuren oder 
Oxysäuren gebunden. Im Frühjahr und Sommer bilden sich die ungesättig- 
ten Säuren, daneben verläuft eine Oxydation zu Oxysäuren, die auch am 
Präparate sowie an den aus demselben gewonnenen Säuren weiter fort- 
schreitet. Dabei spielt wahrscheinlich das Phäophorbin die Rolle eines 
Katalysators, und zwar im Sonnenlichte eines im Sinne der Reduktion, 
im Dunkeln im Sinne einer Oxydation. Die Metallverbindungen enthalten 
vorwiegend Magnesium, doch ist auch Kalium und Calcium zugegen. 


Wenn man die frisch zerschnittenen Blätter einem Druck von 
300 Atmosphären aussetzt, so enthalten die Säfte immer Phosphor 
und Kalium, aber nur kleine Quantitäten von Magnesium. Die 
gequollene Zellhaut des Wurzelsystems, die negativ elektrisch ist, 
zieht die Kationen der dissoziierten Salzlösungen an und verwandelt 
sich in Hydraten, die unter gleichzeitiger Reduktionswirkung an die 
Orte des Verbrauches weitergeleitet werden. Das Kalium-Ion 
wird in der chlorophyllhaltigen Zelle in Form von Carbonaten 
gebunden und das Kaliumcarbonat ist eigentlich dasjenige 
Agens, welches die Kohlensäure der Luft, die durch die Spalt- 
öffnungen zu den Chloroplasten dringt, absorbiert und in Bicar- 
bonat umwandelt. Auf diese Weise kann man sich auch erklären, 
daß bei starker Insolation und Wärme das Kohlendioxyd in der 
chlorophyllhaltigen Zelle zurückgehalten wird. 

Die Löslichkeit von Kohlendioxyd in Wasser bei 760 mm 
Kohlendioxyddruck beträgt in 1 Liter Wasser 0,2 Gewichtspro- 


1) Willstätter vertrat in seiner Publikation „Untersuchungen über 
das Chlorophyll“ die Ansicht, daß bei der Darstellung des Chlorophylls 
der Farbstoff durch die Pflanzensäure des Extraktes und das Erwärmen 
in alkoholischer Lösung gelitten hat und von Beimengungen nicht frei 
war. Diese Anschauung entspricht nicht den Tatsachen. Wir haben bei 
der Darstellung des Chlorophylis stets die Pflanzensäure neutralisiert; das 
Chlorophyll. wurde nicht abgebaut. | 


Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 177 


zent. Nun entspricht aber einem Befunde von 2/100 ooo CO, in 
der Luft nur ein Partialdruck derselben von 0,282 mm, also löst 
sich bei einem Gehalte von nur 24 CO, in der Luft auch nur 
760 : 0,282 = 2 x = 0,0074 g CO, in einem Liter Wasser, oder 
die Konzentration ist tatsächlich nur 0,00074 proz., bzw. 0,0017 
normal, also etwa 2 Tausendstel normal. | 

Daß in der grünen Blattzelle mit dem Chlorophyll eine 
Kohlensäure verbindung entsteht, wie sich Willstätter und Stoll 
das vorstellten, ist kaum anzunehmen. Bei dieser kleinen Aus- 
nützung der kinetischen Energie der Sonne, wo bekanntlich die 
zur Assimilationsarbeit benutzte Energie ca. 1%, der auffallenden 
Gesamtstrahlung der Sonne, die manchmal unter 1/, rückt, aber 
auch über den dreifachen Betrag steigen kann, wäre die chloro- 
phylihaltige Zelle auf diejenigen Quantitäten angewiesen, die von 
dem Zellsaft zurückgehalten werden, was für den ganzen Bau- 
und Betriebsstoffwechsel der Pflanzen nicht ausreichen würde. 
Bei den submersen Wasserpflanzen geht die Produktion der orga- 
nischen Substanz durch die Assimilation von Kohlensäure in 
Form von Bicarbonaten vor sich, wie sowohl unsere Versuche 
als auch jene von Raspail!), Draper?), Cohn’), Hanstein“) 
Hassac k5), Grafe“), Nathanson’), Angelstein®) usw. nach- 
gewiesen wurde. Die Pflanze hat die Fähigkeit, die Bicarbonate 
aktiv zu verwenden und erreicht dadurch eine reichere Zufuhr 
von Kohlendioxyd als in Wasser gleicher Kohlendioxydtension 
ohne Bicarbonate. Von anderen Autoren und auch von uns 
wurde festgestellt, daB alle Pflanzen, mit welchen man operierte, 
imstande sind, wenn 1,0 g Kaliumbicarbonat in 1 Liter kohlen- 
säurefreies Wasser aufgelöst sind, das Kaliumbicarbonat zu ver- 
werten und Sauerstoffblasen auszuscheiden. 


1) Raspail, Nouv. systéme de chim. org. 1833. 

з) Draper, Ann. de Chim. et de Phys. (3) 11, 223. 1844. 

3) Cohn, Abhandl. d. schles. Ges. 2, 52. 1862. 

) Hanstein, Botan. Ztg. 1873, S. 964. 

5) Hassack, Unters. a. d. bot. Inst. Tübingen 2, 472. 

6) Viktor Grafe, Biochem. Zeitschr. 32, Heft 2. 1911. 

7) Nathanson, Ber. über die Verhdlg. d. Kgl. sächs. Сев. d. W. math. - 
phys Kl. 59, 1907. — Stoffwechsel der Pflanzen, Verlag von Quelle u. 
Meyer in Leipzig 1910. 

8) Udo Angelstein, Untersuchungen über die Assimilation sub- 
merser Wasserpflanzen. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Breslau 1910. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 12 


178 E e J. Stoklasa: 


Die Versuche waren derart arrangiert, daß in hohen Glas- 
cylindern verschiedenartige Pflanzen vegetierten. Alle Pflanzen, 
welche für unsere Experimente zur Anwendung gelangten, wurden 
in einer Nährlösung, wo alle Nährstoffe, namentlich das Phos- 
phat-Ion reichlich vorhanden waren, zur Entwicklung gebracht 
und erst nach 40 Vegetationstagen zum Versuche herangezogen. 
Das hierzu nötige Nährmedium wurde auf diese Weise hergestellt, 
daß wir absolut kohlensäurefreies Wasser benutzten. In 1 Liter 
wurden 1,0g Kaliumbicarbonat oder 1 g Magnesiumbicarbonat 
aufgelöst, 0,5g Kaliumnitrat zu der Nährlösung zugesetzt und 
kohlendioxydfreie Luft zugeleitet. Die Nährlösung wurde jeden 
6. Tag erneuert. Die Vegetationsgefäße befanden sich bei zwei 
Gruppen der Versuche auf festem Kaliumhydroxyd, welches den 
Zweck hatte, das ausgeatmete Kohlendioxyd zu absorbieren. 
Zur ersten Gruppe wurde Kaliumbicarbonat, zur zweiten Gruppe 
Magnesiumbicarbonat und zur dritten Gruppe eine Nährlösung 
benützt, die frei von Bicarbonaten war. Für die vierte Gruppe 
wurde atmosphärische Luft mit Kohlendioxyd zugeführt. Nach 
53 Tagen konnten wir wahrnehmen, daß dort, wo Kaliumbicar- 
bonat vorhanden war, eine neue Produktion der Pflanzenmasse 
in demselben Maße stattgefunden hat, wie bei der vierten Gruppe. 
Weiter war von großem Interesse, zu konstatieren, daß dort, 
wo Magnesiumbicarbonat zugegen war, sich die Produktion an 
Pflanzenmasse nicht in der Weise gestaltete, als bei Gegenwart 
von Kaliumbicarbonat. Wenn wir anstatt Kaliumbicarbonat 
Magnesiumbicarbonat zusetzen, so wird Sauerstoff nicht aus- 
geschieden und es findet auch keine nennenswerte Erhöhung 
der Produktion an Pflanzenmasse statt. Das ist ein Beweis 
dafür, daß die Hypothese von Willstätter und Stoll 
betr. der Rolle von Magnesiumcarbonat nicht zutref- 
fend ist. | 


Über diese Versuche werde ich demnächst einen ausführ- 
lichen Bericht publizieren. 


Die photosynthetische Assimilation der Kohlensäure in der chloro- 
phyllhaltigen Zelle kann man sich in folgender Weise vorstellen: Die Kohlen- 
säure, die durch die Spaltöffnungen dringt, wird von der chlorophyllhaltigen 
Zelle sofort absorbiert und das vorhandene Kaliumcarbonat wird in Kalium- 
bicarbonat umgewandelt. Das Kaliumbicarbonat gelangt dann in das Proto- 
plasma der Gewebselemente. Die Reduktion des Kaliumbicarbonats, das 


Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. Ш. 179 | 


in seiner Entstehung begriffen ist, wird durch die Lichtenergie bewirkt. Der 
Mechanismus dieser photochemischen Reaktion geht wie folgt vor sich’): 
KHCO, = HCO,K + О —> 
HCO,K + H,CO, => НСО,Н + KHCO, 
HCO,H = НСОН + О —» 
п НСОН = (CH, O)n 
КНСО, = НСО,К + O —— usw. 


Wie wir gefunden haben, kann sich das Magnesium 
an der Photosynthese nicht beteiligen, sondern nur 
das Kalium. Wir müssen annehmen, daß das Chlorophyll bei 
der Zersetzung des Kaliumbicarbonats unter Einwirkung der 
Sonnenstrahlen intensiv mitwirkt und daß der Formaldehyd, 
der sich aus Ameisensäure bildet, sich sehr rasch zu Kohlen- 
hydraten kondensiert. Hier finden wir die Erklärung, warum keine 
großen Quantitäten von Formaldehyd in den frischen grünen 
Blättern konstatierbar sind. Die Bildung der Ameisen- 
säure aus Kaliumbicarbonat, sowie die weitere Zer- 
setzung der Ameisensäure zu Formaldehyd ist ein 
rein endothermischer Prozeß, wo die Sonnenenergie 
in potentielle Form aufgespeichert wird. 

In Berücksichtigung unserer bei den biologischen Vorgängen 
in der chlorophyllhaltigen Zelle erhaltenen Resultate wirft sich 
zuerst die Frage auf, ob dort genügende Mengen an Kalium 
vorhanden sind. Bei unseren mikrochemischen Studien über die 
Lokalisation des Kali-Ions in den Blättern verschiedener Kultur- 
pflanzen haben wir nicht nur stets das Kalium-Ion in den chloro- 
phyllhaltigen Zellen vorgefunden, sondern auch konstatieren 
können, daß die Lamina eine ganz charakteristische Verteilung 
desselben aufweist. Das unmittelbar unter der oberen Epidermis 
befindliche Palisadengewebe enthält das meiste Kalium; in den 
daruntergelegenen Geweben nimmt der Kaliumgehalt ab und 
steigt wieder im Schwammparenchym unter der unteren Blatt- 
epidermis. In den einzelnen Zellen kommt das meiste Kalium 
in der Umgebung der Chromatophoren vor. Auf quantitativem 
Wege konnten wir sogar in Chlorophylipräparaten 0,57% K,O 
vorfinden. 

1) Siehe Sitzungsber. а. Akad. а. Wiss. Wien. Biochem. Zeitschr: 
1910—1913. 


12* 


180 J. Stoklasa: 


Die Wirkung der Lichtstrahlen bei der Photosynthese ist 
im Palisadengewebe unterhalb der oberen Blattepidermis am 
stärksten und diese Zellen enthalten auch in der Tat am meisten 
Chromatophoren und das meiste Kalium!) als unentbehrliches 
Reagens bei der Photosynthese. Je tiefer in das Mesophyll hinein, 
um so schwächer wird die Wirkung der Lichtstrahlen und der 
Chromatophoren-, sowie der Kaliumgehalt der einzelnen Zellen 
nimmt ab. In der Zellschicht unterhalb der unteren Epidermis 
wird die Intensität des Lichtes, das hier von unten eindringen 
kann, stärker, der Kaliumgehalt nimmt zu, aber nicht in dem 
Maße, wie bei der oberen Epidermis. 

Gewiß ein großer Einfluß auf die Dynamik der photosynthe- 
tischen Assimilation wird durch die Radioaktivität des Kaliums 
hervorgerufen. Das Kalium ist radioaktiv und besitzt 
eine atomistische Eigenschaft, welche kein anderes 
biogenes Element aufweist. Diese hochwichtige Eigenschaft 
des Kaliums tritt stark in den Vordergrund. Obzwar die Radio- 
aktivität des Kaliums sehr schwach ist und ausschließlich auf 
ß- und y-Strahlung beruht, muß man das bei der Mechanik 
des Stoff- und Gasaustausches und bei der Produktion der orga- 
nischen Substanzen durch die Assimilation der Kohlensäure in 
Betracht ziehen. Namentlich die Radioaktivität des Kaliums 
spielt eine bedeutende Rolle bei der photosynthetischen Assi- 
milation der Kohlensäure in der chlorophyllhaltigen Zelle. Bei 
dem Kalium wurde auch eine geringe photochemische Reaktion 
nachgewiesen. Man braucht aber dazu eine längere Expositions- 
zeit. Wenn man bedenkt, wie die Zelle bei den biochemischen 
Prozessen mit ganz minimalen Quantitäten arbeitet, so kommt 
gewiß die geringe Radioaktivität des Kaliums zur vollen Geltung. 
Die Pflanzenzelle ist überhaupt für die Radioaktivität ungemein 
empfindlich. Wir haben auf Grund unserer Untersuchungen 
gefunden, daß auf 100g Trockensubstanz der Samen binnen 
36 Stunden 90 ME = 36 090 · 10-1? 0, 000036 mg Ra eine deut- 
liche Reaktion auf das Erwachen des Embryos und auf die Bil- 
dung der neuen lebenden Masse ausüben. 

Bei den Versuchen mit Gerste haben wir eine günstige Wir- 


1) Nach Haberlandt wirken die konvexen Zellen der Epidermis wie 
Sammellinsen, und es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, daß sich das 
Kalium gerade in ihren Brennpunkten häuft, 


Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 181 


kung der Radiumemanation in den groBen Emanatorien ver- 
zeichnen können, wo eine Radioaktivität der Luft von 13,1 ME = 
5253,1 - 10-1 = 0,000005 mg Ra herrschte; іп den kleinen 
Emanatorien, wo nicht genügende Mengen von Sauerstoff vor- 
handen waren, wirkten 7,05 ME = 2827 . 1012 = 0,0000028 mg Ка 
schon schädlich und hemmten den ganzen Keimungsprozeß und 
die Entwicklung der Pflänzen. Dasselbe konnten wir bei anderen 
Versuchen mit Pisum sativum, Vicia faba und Phaseolus vulgaris 
in kleinen Emanatorien konstatieren, wo 26,6 ME = 10 666,6 · 
101 = 0,0000106 mg Ra eine hemmende Wirkung auf den Kei- 
mungsprozeß hervorriefen, während 41,7 ME = 16 721,7 . 10-1? 
= 0,0000167 mg Ra einen günstigen Einfluß auf den Keimungs- 
verlauf ausübten, nachdem wieder genügende Quantitäten von 
Sauerstoff in großen Emanatorien zugegen waren. | 

Wenn der Sauerstoff dann den kleinen Emanatorien in 
genügenden Mengen zugeführt wird, wie bei den Versuchen mit 
Pisum sativum, Vicia faba und Zea mays haben 26 ME = 10 426 
10-12 = 0,0000104 mg Ra den Keimungsprozeß nicht beein- 
trächtigt, im Gegenteil begünstigt. Unsere Versuche sprechen 
ganz deutlich, daß ein bestimmter Zusammenhang zwischen 
der Wirkung der Radiumemanation und der Sauerstoffkonzen- 
tration besteht. | 

Auch die Radioaktivität des Kaliums hat auf den 
ganzen Keimungsprozeß günstig gewirkt; es haben 
28—92% bei verschiedenen Samen der Kulturpflanzen 
die Keimfähigkeit erhöht und auch das Wachstum 
der Pflanzen gefördert. Wenn die Radioaktivität einen so 
günstigen Einfluß auf die Wirkung der Enzyme bei dem Keimungs- 
prozeß der Samen ausgeübt hat, so ist auch die Möglichkeit nicht 
ausgeschlossen, daß die Radioaktivität des Kaliums auf die En- 
zyme, welche sich bei der assimilatorischen Leistung der Blätter 
beteiligt, ebenfalls zur Geltung kommt. 


Willstätter nimmt nämlich an, daß außer dem Chlorophyli ein 
zweiter innerer Faktor, dessen Natur enzymatisch sein soll, für den Assi- 
milationsvorgang bestimmend sei; er glaubt, daß es sich dabei um ein 
Enzym handelt, das den Zerfall eines aus Chlorophyll und Kohlensäure 
gebildeten Zwischenproduktes unter Abgabe von Sauerstoff bewirkt. Das 
Enzym ist aber bis jetzt weder isoliert noch nachgewiesen worden. 

Durch unsere Untersuchungen wurde gefunden, 


daß die photosynthetische Assimilation der Kohlen- 


182 J. Stoklasa: 


säure entschieden durch die Radiumemanation un- 
gemein unterstützt wird. Da in chemischer und physio- 
logischer Hinsicht die Radiumemanation der Wirkung der ultra- 
violetten Strahlen sehr ähnlich ist, warf sich die Frage auf, ob 
es nicht möglich wäre, auch durch Radiumemanation eine Zucker- 
synthese hervorzurufen!), um so mehr als ja schon nach den Ar- 
beiten von Thiele bekannt war, daß sich durch die Einwirkung 
der ultravioletten Strahlen aus Kohlensäureanhydrid Kohlen- 
oxyd bildet. Das gleiche konnten Ramsay und Cameron, 
sowie Herschfinkel auch ber Einwirkung der Radiumemanation 
beobachten. 

Um endgültig zu ermitteln, ob durch Einwirkung starker 
Radiumemanation dieselben Prozesse verlaufen wie unter Ein- 
wirkung der ultravioletten Strahlen auf das Kohlendioxyd, 
Kaliumhydroxyd bei Gegenwart von Wasserstoff oder Ferro- 
verbindungen stellten wir diesbezügliche Versuche an Ort und 
Stelle, also in der Radiumfabrik in St. Joachimsthal unter Mit- 
wirkung von Direktor Dr. Ulrich an, und benutzten hierzu 
0,466 g Radiumchlorid. Es ist mir nun unter Mithilfe meiner 
Mitarbeiter, Dozent Dr. Sebor und Dr. Zdobnicky, tatsächlich 
gelungen, nach S6stindiger Einwirkung der Radium- 
emanation bei Gegenwart von Kaliumhydroxyd aus 
Kohlensäureanhydrid und Ferrihydroxyd.oder Wasser- 
stoff, der in statu nascendi entstanden ist, Zucker 
herzustellen; es war dies eine Hexose. Dieser Befund 
eröffnet uns eine ganz neue Perspektive über die Be- 
deutung des Radiums in der Produktion der Zellb au- 
steine in den Chlorophyllapparaten. 

Schon Е. L. Usher und J. Н. Priestley?) sind zur Über- 
zeugung gekommen, daß durch Einwirkung von a- und ß-Stralhlen 
der Radiumemanation und durch ultraviolette Strahlen eine Zer- 
setzung von wässeriger Lösung von Kohlendioxyd hervorgerufen 
wird, was wir bei unseren Versuchen bei Gegenwart von Kaliwm- 
hydroxyd nicht konstatieren konnten. 

Diese Forscher haben ferner gefunden, daß durch Einwirkung 
von 0,001 cem Emanation auf 200 cem kohle nsä uregesätt ig- 


1) J. Stoklasa, J. Sebor und v. Zdob nic К у, Compt. rend. de Асай. 


des Sc. 156, Nr. 8. 1913. | 
. 2) F. L. Usherund q. H. Priestley, Proc. Roy. Soc. Ser. В. 84, 101. 1911. 


Bedeutung der Radioaktivität des Kaliums bei der Photosynthese. III. 183 


tes Wasser innerhalb 4 Wochen eine merkliche Menge 
Formaldehyd größtenteils in polymerer Form sich 
gebildet hat. Auch bei eintägiger Belichtung von kohlensäure- 
haltigem Wasser mit ultravioletten Strahlen trat neben Spuren 
von Wasserstoffsuperoxyd eine leicht nachweisbare Menge 
Formaldehyd auf, hauptsächlich als Polymeres. 

Interessant ist, daß auch B. Moore und T. A. Webster!) 
konstatiert haben, daß unter der sensibilisierenden Wirkung von 
kolloidem Uranhydroxyd und Eisenhydroxyd kleine Quanti- 
täten von Formaldehyd aus Kohlensäure entstehen 
können. | 

Bei den. ganzen photosynthetischen Prozessen treten die 
photodynamischen Eigenschaften des Chlorophylis in den Vorder-. 
grund. 

Es gelingt sehr leicht, nachzuweisen, daß die Chlorophyli- 
organe in Alkohol lösliche photodynamisch wirkende Substanzen 
enthalten, wobei wir das Chlorophyll nach den Untersuchungen 
von Hausmann?) zumindest als einen der in Betracht kommenden: 
Sensibilisatoren betrachten müssen. Der alkoholische Blatt- 
extrakt hat demnach eine photodynamische Wirkung. 

Die Möglichkeit, daß das Chlorophyll als photodynamisch 
wirkender Lichtüberträger in den Mechanismus der Kohlensäure- 
assimilation eingreife, ist zuerst von v. Tappeiner?) erwogen, 
durch die experimentellen Untersuchungen von W. Hausmann 
nachgewiesen worden. Die photodynamische Wirkung des Chloro- 
phylis wird sich in stark abgeschwächter Form in den Chloro- 
plasten der Pflanze abspalten. | 

Es ist nach den Untersuchungen von Becquerel, Ti mi- 
riazeff und Engelmann bekannt, daß die Chlorophyllösungen 
fähig sind, die photographische Platte zu sensibilisieren. 
Die strahlende Energie der Sonne, welche in der 
chlorophyllhaltigen Zelle die Synthese des organischen 
Materials aus anorganischer Substanz bewirkt, steht 
im Zusammenhange mit den f- und y - Strahlen, welche 
das Kalium aussendet. Das Kalium sendet Strahlen 
aus, welche die ganze chlorophyllhaltige Zelle durch- 


1) B. Moore und T. A. Webster, Proc. Roy. Soc. Ser. B. 87, 163. 1913. 
2) W. Hausmann, diese Zeitschr. 16, 294. 1909; 30, 276. 1910. 
3) H. v. Тарреіпег und А. Jodlbauer, Monogr. Leipzig 1907. 


184 J. Stoklasa: Bedeutung der Radioaktivität dee Kaliums usw. 


dringen und sich gewiß bei der ganzen Photosynthese 
und bei der Produktion der organischen Substanz 
durch die Assimilation von Kohlensäure beteiligen. 

Aus den grundlegenden Arbeiten von Neuberg!) ist auch zu 
ersehen, daß die katalytischen Lichtreaktionen, welche bei der 
photosynthetischen Assimilation eine hervorragende Rolle spielen, 
sehr in Betracht gezogen werden müssen. 

Wenn man berücksichtigt, daß die Radioaktivität des Ka- 
liums bei dem Aufbau neuer lebender Masse, bei dem Keimungs- 
vorgang der Samenpflanzen, so tief eingreift, so ist zu erwarten, 
daß die 8 und y-Strahlungen bei dem Mechanismus der photo- 
chemischen Reaktion, welche sich in der chlorophyllhaltigen 
Zelle bei Gegenwart von Kalium abspiilen, sich in vollem MaBe 
beteiligen. 

Auf Grund unserer Untersuchungen läßt sich an- 
nehmen, daß dieser fundamentale endothermische 
Vorgang und die photosynthetische Assimilation der 
Kohlensäure die Zersetzung des Kaliumbicarbonates 
unter Einwirkung des Lichtes zu Ameisensäure, Sauer- 
stoff und Kaliumcarbonat ist, sowie die weitere Zer- 
setzung der Ameisensäure zu Formaldehyd und Sauer- 
stoff. Bei diesem photosynthetischen Prozeß muß 
auch die Radioaktivität des Kaliums zur vollen Gel- 
tung kommen. 


1) С. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 305. 1908; 27, 271; 29, 279. 1910; 
61, 315; 67, 63. 1914; 71, 219. 1915. Siehe auch C. Neuberg, ,,Bezie- 
hungen des Lebens zum Lieht“. Monegr. Allgemeine mediz Verlagsanstalt, 
Berlin 1913. 


Biochemische Zeitschrift 


Beitrage 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von U. C. MEDICAL CENTER Шог: 
Е. Hofmeister -Wiirzburg, С. von Noorden-Frankfurt a. M., 
E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin JAN 2 1862 


unter Mitwirkung von 


М. Ascoll-Catania, L. Asher-Bern, G. Bertrand-Paris, A. Bickel-Berlin, F. Blumepthal- : 

Berlin, A. Bonanni-Rom, Е. Bottazzi-Neapel, G. Bredig-Karlsruhe і. B., A. Durig SQM. Ё rancisco, 22 
Е. Fhrlich-Breslau, H. у. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, S. Flexner-New York, i 
J. Forssman-Lund, S, Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem, 

E. Fried berger-Greifswald, E. Friedmann-Berlin, O. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel, 

F. Haber-Berlin-Dahlem, II. J. Hamburger-Groningen, P. Hári-Budapest, Е. Hägglund- 

Aabo, A. Heffter-Berlin, V. Henri-Paris, V. Henriques-Kopenhagen, W. Heubner- 

Göttingen, R. Héber- Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, М, Kumagawa-Tokio, 

F. Landolt- Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-New York, L. v. Liebermann- 

Budapest, J. Loeb- New York, A. Loewy- Berlin. A. Magnus-Levy-Berlin, J. A. Mandel- 

New York, L. Marchiewski-Krakau, P. Mayer-Karlsbad, J. Meisenheimer-Greifswald, 

L. Michaelis-Berlin, H. Molisch-Wien, J. Morgenroth-Berlin, E. Miinzer-Prug, W. Nernst- 

Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg, W. Paull-Wien, R. Pfeiffer» 

Breslau, Е. P. Pick- Wien, J. Pohl- Breslau, Ch. Porcher- Lyon, P. Копа - Berlin, 

Н. Sachs-Heidelberg, S. Salaskin-St. Petersburg, A. Scheunert-Berlin, N. Sleber-St. Peters- 

burg, S. P. L.Sérensen-Kopenhagen, К. Spiro- Liestal, Е. H. Starling-London, J, Stoklasa- 

Prag, W. Straub-Freiburg i. B., A. Stutzer- Königsberg i. Pr., H. v. Tappeiner-München, 

H. Thoms-Berlin, P. Trendelenburg-Rostock 0. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-Prag, 

A. Wobl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertundachter Band 
Viertes bis sechstes Heft 


Ausgegebenam 4. September 1920 


Berlin 


Verlag von Julius Springer 
1920 


bie Biochemische Zeitschrift 


erscheint in zwanglosen Heften, die in kurzer Folge zur Aus- 
gabe gelangen; je sechs Hefte bilden einen Band. Der Preis 
eines jeden Bandes beträgt M. 48.—. Die Biochemische Zeit- 
schrift ist durch jede Buchhandlung sowie durch die unter- 
zeichnete Verlagsbuchhandlung zu beziehen. 


In der Regel können Originalarbeiten nur Aufnahme finden, wenn eie 
nicht mehr ala 1\], Druckbogen umfassen. Sie werden mit dem Datum des 
Eingangs versehen und der Reihe nach veröffentlicht, sofern die Verfasser 
die Korrekturen rechtzeitig erledigen. — Mitteilungen polemischen Inhalts 
werden nur dann zugelassen, wenn sie eine tatsächliche Richtigstellung ent- 
halten und höchstens 2 Druckseiten einnehmen. 

Manuskriptserdungen sind an den Redakteur, 

Herrn Prof. Dr. С. Neuberg, Berlin-Dahlem, Hittorfstr. IS. 
zu richten. 

Die Verfasser erhalten 60 Sonderabdrücke ihrer Abhandlungen kosten- 
frei, weitere gegen Berechnung. Für den 16 seitigen Druckbogen wird ein 
Honorar von М. 40.— gezahlt, 

Verlagsbuchhandlung Julius Springer 
Berlin W 9, Linkstraße 23/24. 


ZE ЕЕ 


108. Band. Inhaltsverzeichnis. 4.,5. u. 6. Heft. 
Verzar, Fritz und Josef Bögel. Untersuchungen über die Wirkung ES 
von akzessorischen Nahrungssubstanzen .......... 185 
Verzär, Fritz und Josef Bögel. Weitere Untersuchungen über Stoff. 
wechsel regulierung bei Bakterien . . 2... 2 2 2 2 2 2 0. 207 
Rosenthal, Е. und P. Holzer. Beiträge zur Chemie des Blutes bei 
animischen Krankheitszuständen . nnn „ 220 
Köhler, Erich. Untersuchungen über den Gang der alkoholischen 
Gärung der Hefe EEEE EEEE e ont a me „ 249 


Salkowski, E. Uber die Konservierung von , Blut mit Allylalkohol 244 
Schnabel, Alfred. Über die Bestimmung zell- und keimschädigender 
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. (I. Mit- 
/ // a N 258 
Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer. Das line. 
chrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis, Hyper- 
lipochromiimie . . 2... Е 
Schuhbauer, Franz. Zur EW CC Wir der Kieselsäure. 
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus 304 
Breest, Fr. Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. Über die 


Resorption der Kieselsäure < — 5 4 33 „ ooo 
Holde, D. Uber Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutral- 
EEN deier te E E bie сал eee eee ee ee ee 317 


/ 6 > YES SERS DEN, m 


Untersuchungen über die Wirkung von akzessorischen 
Nahrungssubstanzen. 


Von 
Fritz Verz4r und Josef Bégel. 


(Aus dem Institut fiir allgem. Pathologie der Universitit in Debreczen.) 
(Eingegangen am 18. Mai 1920.) 
Mit 15 Abbildungen im Text. 


Die Stoffwechselphysiologie hat im Laufe der letzten Jahre 
tiefgreifende Anderungen erfahren. Außer den bisher bekannten 
und in ihrer Bedeutung in jeder Hinsicht, erforschten Nahrungs- 
stoffen, wie Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Salze und Wasser, 
wurden Substanzen bekannt, die in keiner Diät längere Zeit 
fehlen dürfen, wenn es nicht zu schweren Störungen kommen 
soll. Hopkins sprach zuerst von „akzessorischen Nahrungs- 
faktoren“ [Hofmeister!)]; spätere Autoren reden von „Er- 
gänzungsstoffen“ (Schlagenauer), „Ergänzungsnährstoffen“ 
(Boruttau), „Extraktstoffen“ (Aron) oder ,,protektiven Sub- 
stanzen [McCollum?)]. Der letzte Namen deckt wohl am besten 
die charakteristische Eigenschaft dieser unbekannten Stoffe: 
ihre Schutzwirkung vor verschiedenen Schädigungen. Bezüglich 
der Literatur dieser Substanzen sei auf das Referat von Hof- 
meister!), McCollum?) und Sjollema?) verwiesen. 

Man unterscheidet hauptsächlich zwei Gruppen von Substanzen, 
welche von den amerikanischen Autoren kurz als A- und B-Substanzen 


bezeichnet werden. Diese Bezeichnung präjudiziert nichts und ist des- 
halb, so lange wir nicht mehr über die Natur dieser Stoffe wissen, praktisch 


| 1) Hofmeister, Uber qualitativ unzureichende Ernährung. Ergebn. 
а. Physiol. у. Asher-Spiro 16, 520. 1918. 
2) McCollum, The newer knowledge of nutrition. New York 1919. 
3) Sjollema, Nieuwe gezichtspunten in de Voedingsleer. Utrecht, 
П. Aufl. 1918. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 13 


186 F. Verzär und J. Bögel: 


Als A-Substanz wird eine ihrer Natur nach bisher ganz unbekannte 
Substanz bezeichnet, welche besonders an die Fettfraktion der Milch, 
also an die Butter gebunden ist. Dieselbe Substanz oder wenigstens ebenso 
wirkende Substanzen kommen im Ei und in Vegetabilien in den grünen 
Blättern vor. Diese fettlöeliche A-Substanz ist zum Wachstum durchaus 
nötig. Ohne dieselbe bleibt die Entwicklung junger Tiere stehen; aber auch 
erwachsene Tiere erkranken bei längerdauerndem Mangel an dieser Sub- 
stanz (Xerophthalmie usw.). | 

Die B-Substanz ist identisch mit Funks Vitamin. An Stelle des 
letzteren Namen, der nach Hofmeister, McCollum u. a. die chemische 
Natur dieses Stoffes ebensowenig deckt, wie die Verallgemeinerung des 
Vitaminbegriffes bzw. der Avitaminosen gerechtfertigt ist, wird von Hof- 
meister der Name Antineuritin und für eine gegen Skorbut wirksame 
Substanz Antiscorbutin empfohlen. Während man in Amerika und Eng- 
land so neben B-Substanzen noch C-, usw. Substanzen unterschieden 
hat, glaubt speziell Mc Collum und Mitarbeiter, daß es nur eine B-Sub- 
stanz gibt, die zum Leben durchaus unentbehrlich ist. Diese ist überall 
dort vorhanden, wo unsere Nahrungsmittel reich an Zellen, besonders an 
jungen Zellen sind, während sie in den Reservestoffen fehlt. Deshalb findet 
man sie auch besonders in den Kleberzellen des Reiskorns, jedoch nicht 
im geschälten Reis; in den Kleberzellen des Weizens, Roggens usw., in 
den grünen Blättern und bei animalischen Nahrungsmitteln besonders in 
den zellreichen Drüsen (z. B. Leber). 

Von der A-Substanz ist — soweit uns bekannt — chemisch nur so 
viel geklärt, daß sie immer bei der Fettfraktion und deshalb wohl fettlöslich 
ist. Wie aus Stepps Versuchen hervorgeht, scheint die Substanz auch 
alkohol- bzw. alkohol-ätherlöslich zu sein. 

Von der Natur der B-Substanz wissen wir bedeutend mehr. Sie ist 
alkohol- und wasserlöslich. Seit Funks Forschungen ist man auch ihrer 
chemisch reinen Darstellung schon sehr nahegekommen. Funk glaubte 
sie krystallinisch rein hergestellt zu haben; auch Suzuki!) und Mitarbeiter 
haben eine als Oryzanin bezeichnete B-Substanz aus Weizenkleie her- 
gestellt und unlängst arbeitete Uhlmann?) mit einem Vitaminpräparat 
„Orypan“. Die Substanz scheint nahe verwandt mit den Pyridinen, speziell 
mit Nicotinsäure zu sein. 

Bezüglich der biologischen Wirkung dieser Substanzen wissen wir 
nichts Sicheres. Wodurch wirken sie, weshalb sind sie unentbehrlich? 
Sie scheinen bereits in so geringer Quantität wirksam zu sein, daß sie 
keinesfalls als Energiequellen in Betracht kommen. — Man dachte auch 
daran, daß sie nur die Rolle haben, gewisse im Stoffwechsel entstehende 
oder in der Nahrung befindliche Stoffe zu entgiften. Glaubhafter schien 
jedoch, daß sie — ähnlich wie viele Aminosäuren — als Bausteine gewisser 


1) Vgl. Hofmeister, Le 

2) Uhlmann, Beitrag zur Pharmakologie der Vitamine. Zeitschr. 
f. Biol. 68, 419. 1918; Zentralbl. f. Bioch. ux Bioph. 20, 105. Uhlmanns 
Versuche wurden uns erst nach Abschluß dieser Versuche bekannt. 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 187 


unentbehrlicher Körpersubstanzen gebraucht werden. Aber auch dem 
steht die auffallende Tatsache gegenüber, daß bekanntlich außerordentlich 
geringe Mengen schon genügen, um die pathologischen Erscheinungen fast 
momentan zu heilen. So heilen z. B. schon einige Milligramm B-Substanz 
beriberikranke Hühner und mangels A-Substanz im Wachstum stehen- 
gebliebene Ratten beginnen sogleich zu wachsen, wenn nur einige Gramm 
Butter verfüttert sind. 

Man muß da auf den Gedanken kommen, daß diese Sub- 
stanzen entweder selbst eine starke physiologische Reizwirkung 
haben müssen oder aber vielleicht Bausteine einer sehr wirksamen 
Substanz (Hormons oder Antikörpers?) sind. Diese zwei Mög- 
lichkeiten scheinen bisher kaum geprüft zu sein. Wir wollen im 
folgenden nur die erstere Möglichkeit untersuchen: enthalten 
die an diesen Körpern reichen Nahrungssubstanzen einen physio- 
logisch stark wirksamen Stoff? 

Man kann an diese Frage auf zweierlei Wegen herantreten. 
Entweder versucht man diese Substanzen rein darzustellen und 
untersucht dann die Wirkung dieser „reinen“ Substanzen, so wie 
es z.B. Uhlmann machte. Oder man geht von den Nahrungs- 
mitteln aus, die erfahrungsgemäß die Substanzen enthalten und 
untersucht, ob in den Extrakten stark wirksame Stoffe vorhanden 
sind. Beide Wege müssen begangen werden. Wir haben vorerst 
den letzteren versucht. 

Versuchsplan: Wir haben deshalb Extrakte aus je einer 
Substanz gemacht, die in besonders großer Quantität den A-, 
bzw. aus solcher die den B-Körper enthält und untersuchten, 
welche Wirkung diese Extrakte auf verschiedene physiologische 
Funktionen: haben. 

Verschiedene Möglichkeiten bestehen. Wenn sich keinerlei 
Substanzen nachweisen lassen, die irgendwelche Organfunktionen 
beeinflussen, so ist wohl die lebenswichtige Wirkung in anderer 
Richtung zu suchen. Ließe sich aber in den Extrakten ein sehr 
wirksamer Stoff nachweisen, so könnte vielleicht durch Fraktio- 
nieren der aktiven Substanz nähergekommen werden. 

Demnach wurde geprüft, welche Wirkung Extrakte von 
Nahrungsmitteln haben, die besonders reich an der Substanz A 
und von solchen, die reich an B sind. Der Hauptrepräsentant 
der Substanz A (fettlöslicher, Wachstum fördernder Faktor) ist 
Butter bzw. die Fettfraktion der Milch. An B-Substanz ist be- 
sonders Weizenkleie sehr reichhaltig, aus welcher sie mit Alkohol 


| 13* 


188 F. Verzär und J. Bögel: 


und Wasser extrahierbar ist. Suzuki, McCollum usw. be- 
nutzten Weizenkleie, während Funk von Reiskleie ausging. 
Auch wir benutzten Weizenkleie. Unsere Versuche teilen sich 
demnach in solche mit Butterextrakt (A) und Weizenkleien- 
extrakt (B). 

Wir untersuchten: 1. Die Wirkung auf die Vasomotoren im 
Laewen-Trendelenburgschen Froschpräparat; 2. dasselbe 
am Kaninchenohr; 3. auf das isolierte Froschherz; 4. auf den 
Blutdruck von Warmblütern; 5. die allgemeine Giftwirkung 
beim Frosch; 6. die Wirkung auf den isolierten Nerv- und Muskel; 
7. auf den isolierten Darm; 8. die Pupille; 9. auf Drüsensekretion 
(Pankreassaft, СаНе, Speichel) und 10. die Zuckerausscheidung 
des pankreas-diabetischen Tieres. Wir werden diese Versuchs- 
reihen nacheinander beschreiben und am Schluß summieren, 
welche Wirkung den einzelnen Extrakten zukommt. 

Herstellung der Extrakte: Wir haben insgesamt 30 
verschiedene Extrakte geprüft, wobei sowohl verschiedenes Ma- 
terial, als auch dasselbe Material auf verschiedene Weise extra- 
hiert, geprüft wurde. Es zeigte sich bald, daß für unsere Zwecke 
Ather- und Aceton-Extrakte aus Butter, alkoholische und wiisse- 
rige Extrakte aus Mehl — die zum Vergleich herangezogen 
wurden — keine Bedeutung haben. Wir übergehen deshalb alle 
mit diesen gemachten Versuche und beschreiben nur die alko- 
holischen und alkoholisch-wässerigen Butter- und Kleienextrakte. 
Die Extrakte wurden nach den folgenden Rezepten hergestellt 
und mit den folgenden Bezeichnungen versehen: 

Butte re xtrakte: А 1. 50 g frische, reine Butter wurden 
mit 50 cem 96 proz. Alkohol extrahiert, 2 Stunden geschüttelt, dann 
24 Stunden lang bei 15° oder 37° stehengelassen und abgesaugt. 

А 2. 200 g Butter wurden mit 200 g Alkohol extrahiert 
und auf dem Wasserbade bis zu 20—24 cem eingedampft. 

A 3. Extrakt Al wurde auf dem Wasserbad zu Sirupkonsi- 
stenz eingedampft und dann bis zur Ausgangsmenge in Ringer- 
lösung wieder gelöst. 

A 4. Extrakt A2 wurde auf dem Wasserbade ebenso ein- 
gedampft und dann in ebensoviel Ringerlösung wieder gelöst. 

Al wäre kurz als alkoholischer, A 2 als konz. alkoholischer, 
А 3 als alkoholisch-wässeriger, А 4 als konz. alkoholisch-wässe- 
riger Butter-Extrakt zu bezeichnen. 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 189 


Kleienextrakte. B 1. 10 g Weizenkleie werden mit 
50 ccm 70proz. Alkohol extrahiert. 2 Stunden geschiittelt, dann 
24 Stunden lang bei 15° bzw. 37° stehengelassen. 

B 2. 100 oder 200 g Weizenkleie wurden mit ebensoviel Al- 
kohol extrahiert und auf 40 ccm eingedampft. 

В 3. Extrakt В 1 wurde auf dem Wasserbad bis zu Sirup- 
konsistenz eingedampft und dann bis zur Ausgangsmenge in 
Ringerlösung gelöst. 

B4. Extrakt B2 wurde auf dem Wasserbade ebenso ein- 
gedampft und in ebensoviel Ringerlösung gelöst. 

Wir bezeichnen hier auch В 1 als alkoholischen, В 2 als konz. 
alkoholischen, B3 alkoholisch-wässerigen, B4 als konz. alko- 
holisch-wässerigen Kleienextrakt. | 

Die alkoholischen Extrakte gaben bereits in 0,5 proz. wässe- 
riger Lösung Opalescenz und nach längerem Stehen, besonders 
die konz. alkoholischen, auch Fällung. Die wässerigen Extrakte 
gaben das nicht. Die Wirkung an verschiedenen Präparaten wird 
an einzelnen Beispielen demonstriert. 


Versuche am Laewen-Trendelenburgschen Frosch-Präparat. 


Wir haben die Wirkung auf Vasomotoren sowohl am Kalt- als auch 
am Warmblüter untersucht. Wir machten unsere Versuche zuerst 
am Laewen -Trendelenburgschen Präparat, wobei wir der oft be- 
schriebenen Originalmethodik folgten. Zur Durchströmung wurde Ringer- 
lösung benutzt, zu welcher die Extrakte hinzugesetzt wurden. Umschalten 
eines T-Hahnes gestattete fast momentanen Wechsel der Flüssigkeit. Es 
wurden insgesamt 17 gut gelungene Versuche gemacht, wobei in jedem 
mehrere Extrakte geprüft wurden. 

Wie aus den als Beispiel angeführten Protokollen hervorgeht, zeigten 
die Extrakte charakteristische und konstante Eigenschaften. A-Extrakt 
(Butter) wirkt regelmäßig vasodilatatorisch; B-Extrakt (Kleie) dagegen 
vasoconstrictorisch. Aus dem A-Extrakt ließ sich der vasodilatatorische 
Körper auch mit Wasser extrahieren, dagegen aus dem B-Extrakt der 
Vasoconstrictorkörper nicht. Sowohl die Vasodilatator- als die Vasocon- 
strictorwirkung kann, wenn der Extrakt nicht zu lange durchgeflossen ist, 
rückgängig gemacht werden. Die Wirkung erscheint rasch und klingt, 
nach Wiedereinschalten der Ringerlösung, nur langsam ab. 

In Tabelle I sind 7 Versuche als Beispiel für die Wirkung der Extrakte 
wiedergegeben. 

Der A-Extrakt (Butterextrakt) hat eine recht bedeutende Vasodilatator- 
wirkung. Eine ½ proz. A 1-Lösung gab gelegentlich schon 150% Zunahme 
der Durchflußmenge. Die gute Wasserlöslichkeit der Vasodilatatorsubstanz 
wird demonstriert, indem eine 2proz. Lösung des eingedampften alko- 

Fortsetzung auf S. 192. 


190 


Zeit 


Versuch XVIII. 


F. Verzär und J. Bogel: , 


ond 
© 


8 
E 


A 
= 
Lösung 
| A 


GË 
Es merkung 


Tabelle I. 


An- 


28. XII. 1919. 


55 5’| Ringer 29019 
> 0 зы Alkoholisc 
— oho 
25 0.5% A 1 46 Butter. 
30 48| "Bingen 
35 | Ringer 54| lösung 
53 44 
6 0 
3 10,5%, Al — 
5 4 
10 70 
11 | Ringer — 
15 l 54 
40 36 
42 0,5% A 1 тү 
45 45 
53 66 
57 75 
59 | Ringer — 
7а 5 265 45 
10, 38 
15 36 
16 |0,5°9/, А 1 — 
20 5 
25 60 
| | È 
35 | 60 
Versuch XLIV. 11. П. 1920. 
10% 351 Ringer | 210 22 
45 22 a 
— H 
58 2% А 4 30 sikohollsch- 
56 35 Butter. 
57 Ringer —| extrakt 
11° 0 34 
15 30 
20 29 
22 2% A4 — 
25 34 
30 36 
32| Ringer — 
40 32 
45 30 
47| 6% A A — 
50 37 
55 50 
57| Ringer — 
125 0 36 
25 | [94 


4 eg 
Zeit | Lésung Ё | ei Am 
Cp merkung 
mm | — 
12527’ 0,5% A 2 — | Konz. 
wj 3| Butters 
40 35| extrakt 
42! Ringer — 
45 22 
55 „ 22) 
ma 0,5%, В 2 = en 


Versuch XL. 3. II. 1920. 


5b 10) Ringer | 175 |16 
20 o 15 5 
22 0,5% А 2 — Konz. 
255 gt 
35 35 | Ringerldeg. 
40 28 | Starkes 
45 22 Odem 
50 12 
52 Ringer — 
65 0 4 
10 255 | 30 
15 32 |. 
20 32 
22 0,5% A 2 — 
25 65 
30 67 
Versuch XIV. 19. XII. 1919. 
10% 391 Ringer | 330 н 
5 
115 0 § |Alkoholisch. 
9 0,5%, B 1 = eleextrakt 
5 5 
14 2 
15 Ringer — 
21 | 5 
Sé | e Alkoholisch. 
41/0,5°/, alk. — |Alko 
Mehlextr. Mohlextrakt 
45 15 
55 17 
12° 0 | 18 
5 0 e holisch. 
SH 
30 , | 3 
35 Ringer 3 
op 2 5% alk : Alkobolisch. 
55 10,59%, alk. — |Alkoho 
Mehlextr. eblextrakt 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 191 


Tabelle I (Fortsetzung). 


Ё 
п 
=] 

09 
"Tropfen 
pro Minute 

8 
5 
R 
N 
Ф. 
Las 
С" 
Сх 
@ 
= 
5 
09 
= Druck 
Tropfen 
pro Minute 
Б 
Sr 
09 


Versuch XXVIII. 19. I. 1920. 


2 
. 5 2h 3’| Ringer | 230 |13 
* 8 6 12 1% ВІ — |Alkoholisch. 
15 6 15 9 7 Kleieextrakt 
17 |0,5%, B1 — |Alkoholisch. 90 5 
99 5 Kleleextrakt 39 Ri — 
5» 0 2 KEN 
| 35 6 
3h 5 280 | 9 
Versuch XVI. 20. XII. 1919. 15 14 
125 47 Ringer | 275 |16 25 > 
27 10,1%, В 2 — | Konz. 
8 0% % в1 |— 30 1 
1323 14 35 7 
19 9 37 Ringer — 
20 Ringer — BS 11 
98 16 2 10,1%, B2 — 
29 0,01% Bl |— 2 S 
30 17 E 
11 2 | 16 A Ringer 7 
1 P 55 0 10 
a 19 Versuch XXV. 7. І. 1920 
7 0,5% alk РЕР ersuch XXV. 7. e 
Mehlextr Ringer | 145 |15 
10 10 14 
30 8 1% В З — 
33| Ringer — 15 
37 8 18 
45 8 Ringer = 
47 | 0,5°/, alk. — 20 
Mehlextr. | 14 
50 14 14 
55 14 |. 1% В 3 — 
57 Ringer — 15 
30 3 | 13 16 
2b 8 | 14 
30 8 Ringer — 
31 0,1% B1 = 14 
35 8 1% Bl — 
47 8 7 
48 0,5% В 1 — Ringer — 
50 8 4 
4% 9 4 7 
10; Ringer — 195 |16 
18 6 18 
38 4 19 
19 


5% ВЗ 


192 F. Verzär und J. Bögel: 


» Tabelle I (Fortsetzung). 


65 3 


40 10 
42; Ringer 12] Ringer 
45 15 | 
h 
21% A1 т | 
0 А 


holischen Extraktes (А 4) noch 50%, eine 6proz. 100% Zunahme der 
Tropfenzahl bewirkt. So ändert sich z. B. in Versuch XVIII nach 0,5% A 1 
die Tropfenzahl von 19 auf 48, 44 auf 70, 36 auf 75. Durch den konzen- 
trierteren A 2-Extrakt (Versuch XL) von 15—35, 32—67. Der wässerige 
Extrakt A4 (Versuch XLIV) gibt in 2proz. Lösung 22 auf 35 und in 
6 proz. 30 auf 50. 

Die Vasoconstrictorwirkung der В 1-Extrakte betrug in 0,5 prog. Lö- 
sung bis zu 200% (z. B. in Versuch XIV von 5—2, 8—3, 6—2) und bei 
dem konzentrierten alkoholischen Extrakt schon in 0,1 proz. Lésung 100% 
Abnahme (in Versuch XXVIII von 15—7, 11—6). Dampft man den 
letzteren Extrakt ein und löst wieder in Wasser (bzw. Ringerlösung), so 
erhält man nun keine Vasoconstriction, dagegen eine schwache Vasodilata- 
tion. In 5proz. Lösung beträgt sie etwa 25%, (z. B. in Versuch XXV von 
14—20, 14—16, 19—25). 

Einige Kontrollversuche zeigten, daß in feinstem Weizenmehl (das 
zur selben Kleie gehörte) mit Alkohol keine Vasoconstrictorsubstanz, 
dagegen eine alkohol- und wasserlösliche Dilatatorsubstanz extrahierbar ist. 
Demnach hat diese Vasodilatatorsubstanz sicher nichts mit den von uns 
gesuchten Körpern zu tun. (Versuch XIV 12—18 in alkoholischer, 3—6 in 


wässeriger Lösung.) : 
Versuche am Kaninchenohr. 


Einem eben getöteten Kaninchen wurden die Ohren abgeschnitten 
und in die zentrale Arterie eine Kanüle eingeführt. Die Methodik ist in 
letzter Zeit öfters beschrieben worden. Durchströmt wurde mit Ringer- 
lösung von Zimmertemperatur, durch welche Luft perlte. Die Zahl der 
abfließenden Tropfen wurde gezählt. Umschalten eines T-Hahnes gestattete 
auch hier rasche Änderung der Flüssigkeit. 

Die Wirkung der Extrakte stimmt vollständig mit jener am Laewen- 
Trendelenburg-Präparat überein. Der A-Extrakt hat auch hier Vaso- 
dilatatorwirkung, während B-Extrakt vasoconstrictorisch wirkt. 

Der A 1-Extrakt gab in den Versuchen XXXIV, XXXVII und XXX 
in 1 proz. Lösung Erhöhung der Tropfenzahl von 20—24, 30—37, und in 
2 proz. Lösung von 32—35, 57—72. Der B-1-Extrakt war wirkungslos, da 
gegen hatte der konzentrierte B-2-Extrakt deutliche Wirkung, und zwar 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 193 


gab ег in Versuchen XXXVII, XXX in 0,5 proz. Lösung eine Abnahme der 
Tropfenzahl von 24—8, 63—29, 17—3. 

Hier sei auch einer Kontrolle gedacht, die natürlich auch am Frosch- 
präparat gemacht wurde, indem die Wirkung von 2proz. Alkohol geprüft 
wurde. Dieser wirkt schwach vasoconstrictorisch. Das kann unsere Re- 
sultate nicht beeinflussen, denn die Vasoconstrictorwirkung der B-2-Extrakte 
ist schon in 0, 50% sehr deutlich, und A-Extrakte wirken gerade umgekehrt. 

Die am Frosch gefundenen Resultate gelten also ebenso auch für 
den Warmblüter. 


Tabelle II. 


= 3 

5 |83 

Zeit | Lösung | g ag Zeit | Lösung 
ee 


— 
Ф 
on 
a 
о 
ba 
E 


Versuch XXXVII. 27. I. 1920. 
106 45” Ringer 445 24 
55 | 24 
57 0,5% B2 | — 
11" O 


38 49/ 1% А1 | 
45 
50 | | 
Versuch XXX. 20. I. 1920. 


| | 8 Zu 25˙ Ringer | 440 |32 
2 Ringer — 30 32 
5 | 3 32 2% A! = 
35 5 35 | 35 
37 1% Al = 40 134 
40 | 5 45 35 
12h 33 | 12 50 33 
43 И 55 [81 
45; Ringer | — 56 Ringer — 
49 13 4 0 31 
59 | 13 үс = Зу тшеп 
2b 48 490 20 „unter 5 57 : 
50 90; топар 55 57 Deene 
52 1% Al — 57 2% Al — 
55 24 5һ 0 72 
versuch XXXIV. 28. I. 1920. 10 0 
35 О] Ringer 445 30 12! Ringer — 
10 | 30 15 57 
12 2°/,Alkoh. — Kontroll- 25 63 
15 d E 30 63 
20! | 8 32 0,5% В 2 = 
22 Ringer — 35 29 
25 | 9 36 Ringer = 
30 | 22 40 18 
35 | 30 6h 25 35 
40| 30 In 38 35 


Versuche am isolierten Froschherz. 


Wir benutzten zur Durchströmung die Methode von Symes’). 
Die Flüssigkeit flo8 in den Ventrikel durch eine Kanüle mit kurzem 
Gummiansatz, die an eine f=- Kanüle geschaltet wurde. Dadurch wird er- 


1) Symes, Journ. of physiol. XXV, 43. 1912. 


194 F. Verzär und J. Bögel: 


reicht, daß ein Überdruck nicht möglich ist, denn die Flüssigkeit entweicht 
dann nach oben. Der horizontale Ast stand mit Davyflaschen in Verbin- 
dung, in welchen Ringer- bzw. Extrakt-Ringerlösung war. An insgesamt 
19 Herzen wurden jedesmal verschiedene Extrakte geprüft. 

Sowohl die A- wie die B-Extrakte sind giftig, jedoch ist die Wirkung 
von beiden restituierbar. Die einfachen alkoholischen Lösungen sind fast 
ungiftig, konzentrierte alkoholische A-2- und B-2-Lösung ist dagegen von 
0,5% an giftig. Der wässerige Extrakt A 4 ist wirksam, dagegen ist — in 
Übereinstimmung mit den am Laewen-Trendelenburgschen Präparat 
gemachten Erfahrungen — der wässerige Kleieextrakt B4 unwirksam. 
Demnach geht die auch für das Herz giftige Substanz nicht in die wässerige 
Lösung über. Die folgenden Kurven erläutern das. 

Versuch XXXIX (Abb. 1) zeigt die Giftwirkung eines 1% A-2- 
Extraktes (konzentrierter alkoholischer Butterextrakt) und die fast momen- 
tane Restitution nach Ringerlösung. 

Daß es sich dabei nicht um Alkoholwirkung handelt, zeigt Ver- 
such X (Abb. 2), in welchem 1 und 2% Alkohol noch wirkungslos und 
erst 4% Alkohol giftig wirkt, aber selbst dann noch nicht so giftig wie 
0,5% Butterextrakt. 

Versuch XLII (Abb. 3) zeigt die Wirkung eines B-2-Extraktes in 
1 proz. Lösung. Die Wirkung zeigt sich erst nach 10 Minuten in einer Ver- 
kleinerung der Kontraktionen. 

In Versuch VII (Abb. 4) wird demonstriert, daß die wirksame Sub- 
stanz der Butter auch in Wasser löslich ist. Der A-4-Extrakt gibt in 
10 proz. Lösung rasche, aber ganz restituierbare Giftwirkung. 

Umgekehrt geht die Giftsubstanz der Kleie nicht in den wässerigen 
Extrakt über, wie das Versuch X (Abb. 5) zeigt, in welchem B 4 wir- 
kungslos ist. Gelegentlich wurde allerdings nach wiederholter Anwendung 
auch dieser Extrakt giftig (Versuch LII). 

Endlich ist in Versuch X (Abb. 6) ein Fall beschrieben, in welchem 
ein А l-Extrakt eine scheinbar restituierende Wirkung hatte. Das Herz 
schlug aus unbekannten Gründen unregelmäßig (Pulsus alternans). Der 
verdünnte alkoholische A-1-Extrakt änderte in 0,5 proz. Lösung sogleich den 
Rhythmus, welcher normal wurde, während er auf Ringerlösung wieder 
unregelmäßig wurde. 0,5%, Alkohol hatte diese Wirkung nicht. 


. Ein B-1-Extrakt gab gelegentlich Herzbeschleunigung. Dem- 
nach ist alkoholischer Butter- und Kleieextrakt, besonders ersterer 
giftig auf das isolierte Froschherz. Die giftige Substanz der Butter- 
extrakte geht auch in Wasser über, jene der Kleieextrakte jedoch 
nicht. 

Wirkung auf den Blutdruck. 
Es wurden 5 Versuche, und zwar 3 an Hunden und 2 an Kaninchen 
ausgeführt. Die Tiere waren mit Morphin bzw. Urethan und ACE narkoti- 


siert. Sie lagen während des Versuches auf einem erwärmten Operations- 
tisch. Die Tiere wurden gleichzeitig auch zur Beobachtung der Wirkung 


195 


Nahrungssubstanzen. 


von akzess. 


Untersuchungen über die Wirkung 


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196 F. Verzär und J. Bögel: 


der Extrakte auf die Sekretion verschiedener Drüsen benutzt (S. 202). 
Die Art. carotis der linken Seite war mit einem Hg-Manometer verbunden, 
das auf einem Kymographion registrierte. Die Extrakte wurden intravenös 
durch die rechte V. jugularis injiziert. 

Die A- Extrakte (Butter), und zwar sowohl alkoholische wie wässerige, 
gaben Blutdrucksteigerung, welcher meist eine kurze Blutdrucksenkung 
während der Injektion vorausging. Die B-Extrakte (Kleie) gaben auch 
Blutdrucksteigerung, jedoch nur in alkoholischer Lösung, und die wirk- 
same Substanz ging ebenso wie in den Versuchen am Froschpräparat und 
Herz nicht in die wässerige Lösung über. Die an isolierten Organen ge- 
wonnenen Erfahrungen erklären wohl die blutdrucksteigernde Wirkung 
der B-Extrakte, nachdem dort gezeigt war, daß es sich um Vasocon- 
strictorwirkung handelt. Dagegen läßt sich die Wirkung der A-Extrakte 
so nicht erklären. 

Als Beispiel seien die folgenden Kurven angeführt: 

Versuch IV (Abb. 7) an einem 5000 g schweren Hund zeigt die 
Wirkung eines A4 (konzentrierter alkoholisch-wässeriger Butterextrakt). 
Während der Injektion von 10 cem Extrakt sinkt der Blutdruck, dann 
steigt er, besonders nach der zweiten Injektion. Hierauf wurde eine Re- 
gistrierung bei schnellem Trommelumgang gemacht, in welcher auch die 
Pulsbeschleunigung zu sehen ist. Der alkoholische konzentrierte A-2- 
Extrakt hatte dieselbe Wirkung (Versuch X XVI). 

Versuch XXVI (Abb. 8) an einem 2500 g schweren Kaninchen zeigt 
die Blutdrucksteigerung während der Injektion von 10 ccm eines B-2-Extrak- 
tes (konzentrierte alkoholische Kleie) in 10 proz. Lösung. 

Versuch LI (Abb. 9) an einem Hund zeigt, daß die wirksame Sub- 
stanz des B-Extraktes in Wasser (Ringer) nicht übergeht. Dagegen gab 
kurz darauf der wässerige A-Extrakt, ebenso wie in Versuch IV, deutliche 
Blutdrucksteigerung. (1. Injektion 10 сет В 4, 2, und 3. Injektion je 
10 cem А 4 bei )). 


Die allgemeine Giftigkeit der Extrakte. 


Die im vorigen Abschnitt behandelte Wirkung auf den Blutdruck 
von Säugern zeigt auch, daß die Extrakte hier nur sehr vorübergehende 
Wirkung haben und so gut wie ungiftig sind. Wir haben auch Giftig- 
keitsprüfungen an Fröschen vorgenommen, welchen wir diese Extrakte 
subcutan injizierten (Versuche LIII, LIV, LVII). Dabei wurde das all- 
gemeine Verhalten, Reizbarkeit, Stellung, Atmung, Pupillen usw. beachtet. 
Die Versuche sind an Winterfröschen ausgeführt bei einer Zimmertemperatur 
von ca. 15° С, 

In Versuch LIII wurde drei Fröschen je 1, 5, 8 cem A-4-Extrakt 
injiziert. Das letzte Tier saß etwa eine Stunde lang mit abwärts gesenktem 
Kopf und geschlossenen Augen und reagierte träge. Nach 4 Stunden 
waren diese Erscheinungen verschwunden. Die Tiere blieben am Leben. 
Drei weitere Frösche erhielten je I, 5 und 10 ccm B-4-Extrakt. Das zweite 
und dritte Tier reagierte mehrere Stunden lang nur träge auf Reize. Das 
5-cem-Tier konnte während 1—2 Stunden auf den Rücken gelegt, sich nicht 


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Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 


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198 Е. Verzär und J. Bögel: 


umwenden. Die Tiere waren nach 24 Stunden ganz normal und blieben 
am Leben. 

In Versuch LXVII gaben zwei Tiere mit B-4-Extrakt (5 bzw. 10 ccm) 
dasselbe Resultat wie die vorigen. Dagegen hatte bei zwei anderen Fröschen 
1/, cem bzw. l cem B-2-Extrakt (konzentrierte alkoholische Kleie) schon 
nach 15 Minuten eine stark lähmende Wirkung. Sie ließen sich aus der 
Rückenlage nicht mehr zurückdrehen und reagierten kaum auf Reize. 
Der Cornealreflex blieb bestehen. Nach 48 Stunden waren die Tiere normal 
(Alkoholwirkung ?). 

Die Extrakte gefährden also das Leben selbst in sehr großen Quanti- 
täten nicht. Die konzentrierten alkoholischen B-2-Extrakte gaben starke 
Lähmungserscheinung, die den wässerigen Extrakten fehlen (Alkohol- 
wirkung?). Die wässerigen A- und B-Extrakte sind ganz ungiftig. 


Wirkung auf die Reizbarkeit von Nerv und Muskel. 


Die Wirkung auf die Reizbarkeit von Nerv und Muskel wurde am 
Gastrocnemius-Ischiadicus-Präparat und am Sartorius des Frosches unter- 
sucht. Die in bekannter Weise isolierten Präparate kamen in Ringerlösung, 
zu welcher die entsprechenden Extrakte hinzugesetzt wurden. Von Zeit zu 
Zeit wurde die Reizschwelle kontrolliert. (Edelmann-Induktorium, 1 Acc. 
im primären Kreis, Öffnungsschläge. Angabe der Reizschwelle in Milli- 
meter Rollenabstand.) 

Versuch XL mit A-Extrakt gab das folgende Resultat (Tabelle III). 
(Der Extrakt war aus 250 g Butter mit 250 g 90 proz. Alkohol extrahiert 
worden, dann auf 40 ccm eingedampft und enthielt nun nur Spuren von 
Alkohol. Er wurde zu Ringerlösung hinzugesetzt.) 


Tabelle III. 
Vers. XL. A-Extrakte. 


Я M. gastrocnem gastrocnemicus м, sartorius 


fn) oles xl : | Tele DE 
GE 2127 |94 АЕ ов |28 | 26 |80 
40 42.5 40,5 47,5 325 23,5 24 22 24 23.5 25, 16 21 | 28,5) 28 20 
87 |41588 26 19 23 |21 22 14 11 22 2 2 oli 
o Miess e a 28 17 18,6 11 122 28/22] o 
22.5 26,5 0 0 0 1855 21 9 0 0 0 5 6 18 0 
го O Oo 17 20 5 0 0 0 0 0 0 о 
10 0 0 о 0 | 0 0 0 о! o о o| 0 


Vers. XLVIII. B-Extrakte. 


— — H—ä—ä— ——4ʒ — EE EE ee 


Cé _B2 4 | B2 Ba B2 B4 | Extrakte 
ario 6 IT I o бь 1 | 1] 6] 10 0/05 1] 1 | 5 10 


0 28.5 — 62 245 35 — 16550135 14 16 15 15 155165 14 1° 185 16, 
0,45 40 425836140 40 | 41 19,5 19 |17 22.5 21 |17,5 27.5 22,5 20 27.5 30,5 29 
30 48 37,5 42.5 42.5 89 | — 117,5 17 |18 17.5 19,5 16 1855 15,5 17 16,5) 25,5 24 
18 43 |40 |42 0 85 0 17.5 16 19 17.517 13 „ 21,5 80 
от 39 41 |41 9 42.5 0 19 17 17,510 |13 19,5 19,5 22,5 19 22.5 28 
43 38 |85 260 245 0 19 |17 [17 |17 (1-5 6.5 15 20.5 1 2% 25 165 
67 31 0 0 0 olo 1s 0 0 %0 o оо [оо [о оо | 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 199 


Wie man sieht, behalten die Kontrollpräparate ihre direkte und in- 
direkte Reizbarkeit 3 Tage lang. 1%, Extrakt ist fast ungiftig und erst 
10% gibt bereits innerhalb 24 Stunden deutliche Giftwirkung, d.h. ein 
Verschwinden der Reizbarkeit. 

In Versuch XLVIII mit B-Extrakt hebt der konzentrierte alko- 
holische B-2-Extrakt in !/,— 1 proz. Lösung die Reizbarkeit selbst in 2 Tagen 
nicht auf, während der alkoholische wässerige B-4-Extrakt in 10 proz. Lösung 
rasch die Reizbarkeit des Nerven vernichtet. 

Die giftigen Konzentrationen sind so hoch (10% ), daß die Giftwir- 
kungen nicht als spezifisch gelten können, so daß also die Extrakte auch 
in ihrer Wirkung auf Nerv und Muskel als ungiftig betrachtet werden 
müssen. ; 
Wirkung auf den Darm. 


Die Versuche wurden an isolierten Kaninchen- und Katzendärmen 
ausgeführt, die nach der Methode von Magnus in Tyrodelösung suspen- 
diert waren. Die beständig durch die Flüssigkeit perlende Luft wurde 
durch Druckflaschen betrieben. Das Gefäß, in welchem das Darmstück 
war, hatte ein Volum von 150 cem. Das ganze stand in einem Wasserbad 
von 38° С. Von den zahlreichen Einzelversuchen an den Därmen von 
5 Kaninchen und 2 Katzen sind hier einige Kurven wiedergegeben. Nach- 
dem zuerst die normalen Kontraktionen registriert waren, wurden die 
Extrakte hinzugesetzt. ` | | 

Kontrollversuche mit Alkohol zeigten, daß 1—1'/,% Alkohol (Ver- 
suche IX, ХХХІ, Abb. 10) erregend wirkt, während 2—8%, rasche Hem- 
mung der Kontraktionen gibt. Höhere Konzentrationen der alkoholischen 
Extrakte sind also nicht anwendbar. 

A-Extrakte. In Versuch XXXV hat der konzentrierte alkoholische 
A-2-Extrakt in 0,2—0,3 proz. Lösung stark giftig gewirkt (Abb. 11). In 
Tyrodelösung wurde die Wirkung jedoch vollkommen restituiert. Der 
A-1-Extrakt wirkte erst in 1 proz. Lösung hemmend auf die Bewegungen 
(Versuch ХХХІ). 

B- Extrakte. Der B-l- (alkoholische Kleie-) Extrakt hatte wieder- 
holt — besonders bei schlecht arbeitenden Präparaten — eine ordnende 
Wirkung auf die Kontraktionen. 1½ — 2 proz. Lösungen wirken jedoch 
schon hemmend, was aber auch Alkoholwirkung sein kann (Versuch XXXI, 
L 2, 3 und Versuch XXXII, Abb. 12 und 13). 

Bei einem nach Weiland!) mit Darmextrakt behandelten Katzen- 
darm, der ganz regelmäßig arbeitete, hatte schon ½0% B-1-Extrakt hem - 
mende Wirkung (Versuch XVII, Abb. 14). Der konzentrierte B-2-Extrakt 
war bereits in 0,2 proz. Lösung stark giftig (Versuch XX XV, 3, Abb. 15). 
Aber auch hier ist die Wirkung restituierbar. 

Aus diesen Versuchen geht also hervor, daB die alkoholischen konzen- 
trierten Butter- und Kleieextrakte auf die Darmbewegung stark giftig 
sind. Nur bei den verdünnten B-1-Extrakten kam gelegentlich eine die 
Bewegung ordnende Wirkung zur Beobachtung. 


1) Arch. f. ges. Phys. 147, 171. 1912. 


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Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 201 


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Abb. 18. 
Abb. 14. 


Abb. 15. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 14 


202 F. Verzär und J. Bögel: 


Wirkung auf die Pupille. 


Wir haben die Wirkung sämtlicher Extrakte am Kaninchenauge ge- 
prüft, indem wir sie innerhalb einiger Stunden mehrmals einträufelten 
Als Kontrolle diente das andere Auge. Niemals zeigte sich irgendwelche 
Wirkung, abgesehen von einer conjunctivalen Hyperämie, die auf die Reiz- 
wirkung des Alkohols zurückführbar ist. 

Auch an isolierten Froschbulbi haben wir nach Ehrmanns Methode 
diese Wirkung untersucht. Zu den enucleirten, in Paraffinschälchen befind- 
lichen Bulbi kam der mit Ringerlösung gemischte Extrakt (Versuche LVII, 
LVI, LI, XLIX). Es wurden in jedem Versuch 6—8 Bulbi gleichzeitig 
beobachtet. Kontrollen wurden mit Ringerlösung und mit Alkohol auf- 
gestellt. i ; | 
Keinerlei charakteristische Wirkung war zu beobachten. Nach 
24 Stunden waren alle Pupillen stark dilatiert. Manchmal schien es, daß 
das bei den Vergifteten etwas früher eintrat. Irgendeine spezifische Wirkung 
ist jedoch nicht vorhanden. 


Wirkung auf Drüsensekretion. 


Bei den drei Hunden, an welchen wir auch die Wirkung dieser Extrakte 
auf den Blutdruck untersucht haben (S. 196), wurde gleichzeitig auch die 
Sekretion des Pankreassaftes, der Galle und des Speichels kontrolliert. Es 
wurde diesen in Morphin-ACE-Narkose befindlichen Tieren je eine Kanüle 
in den Ductus submaxillaris, Ductus pancreaticus und Ductus choledochus 
eingeführt und mittels einem mit Wasser gefülltem Schlauche mit einer 
in 1/,,ccm kalibrierten Pipette verbunden, wobei darauf geachtet wurde, 
daß das Sekret keinem Druck ausgesetzt sei. Die Injektion der Extrakte 
erfolgte in die V. jugularis. Vor der Injektion wurde 1/,—1/, Stunde lang 
die Sekretion gemessen, und nach der Injektion weiter genau bestimmt. 

‚In keinem Falle, weder durch die A- noch durch die B-Extrakte, 
konnte eine Änderung in der Gallen-, Speichel- oder Pankreassekretion 
bemerkt werden (Versuche IV, XX, LI), doch ist die Zahl unserer Ver- 
suche zu gering um, nach den schönen Untersuchungen von Uhlmann 
und Bickel (cit. bei Uhlmann), hieraus Schlüsse zu ziehen und es 
sollen diese Versuche noch ergänzt werden. 


Wirkung auf die Zuckerausscheidung des pankreasdiabetischen 
Hundes. 
(Versuche mit Dr. O. Weszeczky und stud. med. G. Martos.) 


Wir haben einleitend ausgeführt, daß die Wirkung der unbekannten 
A- und B-Substanzen vielleicht darin bestehen könnte, daß sie auf die 
innere Sekretion in irgendeiner Weise wirken. In dieser Hinsicht schien 
uns der Befund von Boruttau!) wichtig, nach welchem in der Rinden- 


1) Boruttau, Über das Verhalten von Ergänzungsnährstoffen II. 
Über spezifische antidiabetische Stoffe. Diese Zeitschr. 88, 420. 1918; 
vgl. Zentralbl. f. Bioch u. Bioph. 20, 23; 19, 2133. 


Untersuchungen über die Wirkung von akzess. Nahrungssubstanzen. 203 


schicht der Haferkörner ein Stoff enthalten sei, welcher bei innerlicher 
Darreichung sowohl beim pankreasdiabetischen Hund wie am diabetischen 
Menschen die Zuckerausscheidung beträchtlich herabsetze. Es liegt nahe, 
hier an diese akzessorischen Nahrungssubstanzen zu denken, besonders ап 
den B-Stoff, der ja auch in der Rindenschicht dieser Körner vorhanden ist. 
Wir prüften deshalb unsere Extrakte auch in dieser Richtung, indem wir 
sie Hunden injizierten, deren Pankreas entfernt worden war und die Wir- 
kung auf die Zuckerausscheidung beobachteten. Wie die folgenden Proto- 
kolle zeigen, war das Resultat negativ. 

1. Hund P. 5000 g. Am 15. I. totale Pankreasexstirpation. Erhält 
täglich 500 g Küchenabfall und Wasser nach Belieben. Der 24 stündige 
Urin wurde gesammelt und der Zucker mittels Polarisation und Titration 
nach Pav y bestimmt. Bauchwunde heilt per primam. 


Tabelle IV. 
Tag nach der Tagesmenge Tagesmenge огр" 
Operation Urin ccm Zucker g Injektion usw. 

4 310 17,6 

5 420 19,7 

6 460 23,5 

7 340 18,2 

8 370 18,5 

9 410 24,4 

10 720 46,3 Morgens 15 cem A-2-Extrakt in 
100 cem Ringer subcutan 

11 285 11,6 

12 610 31,3 

13 479 26,1 Morgens 20cem A-2-Extrakt in 
100 ccm Ringer subcutan 

14 595 11,8 

15 | Morgens tot aufgefunden 


Sektion: Pankreas fehlt vollkommen. Keine Wundeiterung. An der 
Stelle der subcutanen Injektion Nekrose. 

Epikrise: Die Abnahme des Zuckers am 11. Tag ist nur scheinbar. 
Nimmt man den Mittelwert des 10. und 11. Tages 29,0 р, so zeigt sich 


Tabelle V. 
Tag nach дег Tagesmenge | Tagesmenge EE 
Operation Urin ccm Zucker g Injektion usw. 

4 330 28,7 | 

5 290 15,5 

6 210 18,3 

7 320 22,3 Am Anfang des Tages Injektion 
von 10 cem В 2 in 100 ccm 
Ringer 

230 16,0 
9 160 10, 
10 Stirbt im Laufe des Tages 


14* 


204 F. Verzär und J. Bögel: 


kein Unterschied gegenüber der Vor- und Nachperiode. Die Abnahme am 
14. Tag ist eine prämortale Erscheinung. 

2. Hund Q. 4000 g. Am 15. І. totale keeten Erhält 
täglich 330 g Kiichenabfall und Wasser nach Belieben. Geringe Naht- 
eiterung der Wunde. Sonst wie bei Hund P. 

Epikrise: Keine wesentliche Abnahme der Zuckerausscheidung nach 
der Injektion. Die Abnahme am 9. Tag ist prä mortal. 


Diskussion der Versuchsresultate. 


Wir gingen von dem Gedanken aus, daß die Wirkung der 
akzessorischen Nahrungssubstanzen (protektiven Substanzen), 
die energetisch nicht zu erklären ist und bei denen es besonders 
auffallend ist, daß sie einesteils absolut unentbehrlich, ander- 
seits aber schon in kleinsten Dosen wirksam sind, vielleicht so 
zu erklären wäre, daß sie irgendwelche starke physiologische 
Wirkung haben. 

Man könnte sich diese Wirkung z. B. so vorstellen, daß sie 
direkt als Reiz auf gewisse Organe wirken, oder so, daß sie Reize 
für die Bildung lebenswichtiger Stoffe sind. 

Es gelang uns nicht, in den einfachen Extrakten aus Nahrungs- 
substanzen, welche als die typischen Vertreter des A- und 
B-Stoffes betrachtet werden, Körper nachzuweisen, welche solche 
charakteristische Wirkungen hätten, daß damit ein Anhaltspunkt 
zur Erklärung der Wirkung dieser Stoffe gewonnen werden könnte 

Ein Bedenken gegen diese Versuche ist, daß in den Ex- 
trakten evtl. die A- und B-Substanz gar nicht vorhanden war. 
Trotzdem wir derzeit über keine eigenen Versuchsreihen mit 
Ernährungsversuchen verfügen, muß auf Grund unserer bis- 
herigen Kenntnisse wohl angenommen werden, daß sowohl der 
A- wie der B-Stoff in die alkoholischen Extrakte überging, und 
der B-Stoff auch in die wasserigen. Wir hoffen durch „Er- 
nährungsversuche‘“ unsere Untersuchungen noch ergänzen zu 
können. 

Es ist ferner auch daran zu denken, daß evtl. zu wenig von 
den A- und B-Substanzen in den Extrakten vorhanden war. Dabei 
sei wieder daran erinnert, wie äußerst geringe Quantitäten des 
A-Stoffes schon das Wachstum möglich machen und wie wenig 
B-Substanz zum Heilen der Vogel-Beriberi schon genügt. Und 
andererseits wieder haben wir die Extrakte in so großen Kon- 
zentrationen angewandt, als es überhaupt nur möglich war, bis 


Untersuchungen tiber die Wirkung von akzess. Nehrungssubstanzen. 205 


starke Giftwirkungen eintraten. Besonders in den konzentrierten 
A-2- und B-2 Extrakten war wahrscheinlich viel von den Sub- 
stanzen vorhanden. 

Bei der Interpretation der Versuche stört es jedenfalls sehr, 
daß wir nichts darüber aussagen können, ob die Giftwirkung von 
den gesuchten Substanzen, oder irgendwelchen anderen in den 
Extrakten vorhandenen Körpern herstammt. Diese Schwierig- 
keit konnten wir natiirlich nicht umgehen, denn wir haben ja 
gerade nach stark wirksamen Extraktstoffen geforscht. 

Trotzdem die Untersuchung möglichst vieler Organfunktionen 
einigermaßen zur Hoffnung berechtigt, daß eine starke physio- 
logische Wirkung entdeckt worden wäre, kann es natürlich immer · 
noch sein, daß die Wirkung in irgendeiner anderen Reizwirkung 
liegt und uns somit entgangen ist. 

Uhlmann (1. с.) hat gezeigt, daß die von ihm benutzten 
Vitaminpräparate Pilocarpin ähnliche Wirkungen haben. In 
seiner Arbeit (S. 44) ist gelegentlich auch angeführt, daß in den 
Rohextrakten Substanzen vorhanden sind, die umgekehrt wirken 
oder die Wirkung verdecken, was unsere Resultate erklären 
könnte. Unsere Versuche sind durchaus in keinem Widerspruch 
mit seinen, denn während er nach der Wirkung der Reinsubstanz 
forschte, suchten wir nach einer auffallenden Wirkung, die' schon 
in den einfachen Extrakten zu finden wäre. 

Die Prüfung der Wirkung der verschiedenen Extrakte führte 
zu den folgenden Resultaten: 

Eine allgemeine Giftwirkung ist bei Fröschen, bei sub- 
cutaner Einverleibung fast nicht vorhanden; auch bei Säugern 
ist sie intravenös oder subcutan verabreicht nicht nachweisbar. 
Bei isolierten Organen, wie Herz und Darm äußert sich die 
Giftwirkung in einer Aufhebung der Kontraktionen, die aber 
wieder restituierbar ist. Am Nervmuskelpräparat heben die 
Extrakte die Reizbarkeit erst in sehr hohen Konzentrationen 
bzw. nach Tage langer Einwirkung auf. Eine Gift wirkung ist 
hier praktisch nicht vorhanden. 

Keine Wirkung hatten unsere Extrakte auf Drüsensekretion 
und Pupille sowie auf die Zuckerausscheidung des pankreas- 
diabetischen Hundes. 

Reiz wirkungen konnten besonders am Laewen-Tren- 
delenburg - Präparat sowie am Kaninchenohr beobachtet 


206 Е. Verzär u. J. Bögel: Untersuchungen über die Wirkung usw. 


werden. In ganz regelmäßiger Weise gaben die alkoholischen 
B-Extrakte (Kleie) eine starke Vasoconstriction sowohl am Frosch, 
wie am Warmblüterorgan. Die Wirkung, welche bereits in sehr 
schwachen Lösungen auffallend ist, geht in die wässerigen Ex- 
trakte nicht über. Das spricht dagegen, daß die Vasoconstrictor- 
substanz identisch wäre mit der alkohol- und wasserlöslichen 
B-Substanz. 

Die A-Extrakte (Butter) geben regelmäßig Vasodilatation. 
Die Wirkung geht auch in den wässerigen Extrakt über. Hier 
spricht jedoch gerade das dagegen, daß die Vasodilatatorsubstanz 
identisch wäre mit der fettlöslichen (Alkohol-Äther extrahierbaren) 
A-Substanz. 

Wir haben also in Kleieextrakten eine alkohollösliche und 
wasserunlösliche Vasoconstrictorsubstanz und in Butterextrak- 
ten eine alkohol- und wasserlösliche Vasodilatatorsubstanz ge- 
funden. Die Löslichkeitsverhältnisse sprechen jedoch nicht 
dafür, daß es sich dabei um die von uns gesuchten A- und B-Sub- 
stanzen handeln könnte. | 

Hier ist auch der Blutdruck steigernden Wirkung dieser 
Extrakte zu gedenken, ferner der Reizwirkung aufs Herz, die 
sich gelegentlich in einer Beschleunigung äußert, während im 
allgemeinen nur Hemmung, besonders durch die A-Extrakte 
beobachtet wird. Auch am Darm zeigte sich nur selten eine 
geringe Reizwirkung, gewöhnlich aber nur Hemmung. 

Wir hoffen diese Fragen noch weiter bearbeiten zu können. 


Weitere ie über Stoffwechselregulierung 
bei Bakterien. 


Von 
Fritz Verzär und Josef Bögel. 


(Aus dem Institut für allgem. Pathologie der Universität in Debreczen.) 
(Eingegangen am 18. Mai 1920.) 
Mit 9 Abbildungen im Text. 


In einer früheren Arbeit!) haben wir den Zusammenhang 
verschiedener Stoffwechselprozesse bei Bac. coli comm. unter- 
sucht. Im ersten Teil wurde die Beeinflussung verschiedener 
Stoffwechselprozesse durch Giftwirkung, im zweiten Teil die 
Beeinflussung der Indolbildung durch Säurebildung und im 
dritten Teil die Beeinflussung der Säure- und Alkalibildung be- 
handelt. Die vorliegende Untersuchung schließt sich an jene an. 
Es werden die in jener Arbeit bei B. coli comm. geprüften Säure- 
und Alkalibildungsprozesse nun auch bei anderen Bakterien 
untersucht (Teil IV), ferner der zeitliche Ablauf des Gaswechsels 
(Teil V) und endlich die in der früheren Arbeit bereits in Angriff 
genommene Analyse der Giftwirkungen weiter verfolgt (Teil VI). 


Teil IV. Säure- und Alkalibildung bei verschiedenen Bakterien. 


In unserer früheren Arbeit haben wir in Übereinstimmung 
mit früheren Autoren demonstrieren können, wie die titrierte Säure- 
bildung von B. coli comm. bis zu einem Maximum steigt. Ist 
viel Zucker vorhanden, so wird so viel Säure gebildet, daB dieses 
Säuremaximum konstant bleibt, bis die Bakterien absterben. 
Ist jedoch weniger als 0,6% Zucker vorhanden, so wird nach 
Vergärung des ganzen Zuckers Alkali gebildet. Wir haben gezeigt, 
daß die Säurebildung unabhängig ist von dem Grade der titrierten 


1) Untersuchungen über den Zusammenhang von verschiedenen Stoff- 
wechselprozessen bei В. coli comm. Diese Zeitschr. 91, 1—45. 1918. 


208 F. Verzér und J. Bögel 


Acidität bzw. Alkalität am Anfang des Versuchs, sowie von der 
Neutralisierung der gebildeten Säure; ferner, daß die Alkali- 
bildung immer durch eine gewisse Acidität des Milieus ausgelöst 
wird. Wir haben dieselben Verhältnisse nun auch bei Bac. para- 
typhi B, Streptococcus hämolyticus und Bac. proteus (Stamm X 19 
von Weil- Felix) geprüft. 

Unsere Resultate sind in Kurvenform wiedergegeben. 
Die Originalkurven wurden auf Millimeterpapier gezeichnet, 
wobei ein Millimeter der Abszisse die Zeit, eine Stunde, und die 
Ordinate die Reaktion der Kulturlösung ausgedrückt in ccm 
nio NaOH bzw. 2/,, HCl auf 10 cem Bouillon verbraucht, 
bedeutet; 1 mm = !/,,cem 1½10-Lösung. Die Versuche wurden im 
übrigen genau nach derselben Methodik ausgeführt wie in der 
früheren Arbeit (Teil III). 


1. Bac. paratyphi B. 


Versuch XVII und XXI (Abb. 1) zeigen die Änderung der Reaktion 
in einer Bouillonkultur von zwei verschiedenen Paratyphusstämmen, wenn 
der Bouillon verschiedene Konzentrationen an Traubenzucker enthielt. 


d 0496 
E 2 x quu 05% 
f ... о] 
A |. Тая 


@ 7 50 %0 
04 
Versuch ХҮП. Versuch XXI. Versuch ХХУ. 
Abb. 1. 


Die Ziichtung fand bei diesen Versuchen immer bei 37°C statt. Die Pro- 
zentzahlen tiber den Kurven geben die Zuckerkonzentration an. Beide 
Versuche geben in guter Ubereinstimmung das folgende Resultat: Bis zu 
einer Zuckerkonzentration von 0,2% folgt auf die anfängliche Säurebildung 
eine Alkalibildung, bzw. der Bouillon wird weniger sauer Bereits in einer 


— 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 209 


0,3 und 0,4 proz. Zuckerlösung wird ein Säuremaximum erreicht, welches 
zwischen 2,3 und 2,9ccm 2/,, NaOH liegt und dann konstant bleibt. 
Während in gewöhnlichem Bouillon die Bacillen lange am Leben bleiben, 
gehen sie nach Erreichung dieses Säuremaximums rasch zugrunde. Ebenso 
bleiben sie auch lange am Leben bei einer so geringen Zuckerkonzentration, 
die zu keiner konstanten Säuerung führt (Versuche XVI, XXIX). In 
1 proz. Traubenzuckerbouillon (was, wie aus der bakteriologischen Literatur 
ersichtlich, auch sonst schon oft untersucht wurde) starben ab Bac. para- 
typhi Bin 2 Tagen, Bac. coli comm. in 3 Tagen, Streptococcus haemol. in 
9 Tagen und Bac. proteus X 19 in 14 Tagen. 

Die Ausgangsreaktion ist in Versuch XVII etwas sauer, in Versuch XXI 
etwas alkalisch. Die Geschwindigkeit der Alkalibildung scheint bei Ver- 
such XXI etwas größer zu sein als bei dem anderen Stamm in Versuch XVII. 
Ein Parallelversuch (XVIII) gelang ebenso. 

Zum Vergleich fiigen wir die Kurven von einem Versuch mit Bac. coli 
hinzu. Es ist das ein Parallelversuch zu Versuch XXXI der friheren 
Arbeit. In diesem Versuch XXV wird im Gegensatz zu Bac. paratyphi, wie 
man sieht, auch noch in 0,4% Traubenzucker, nach anfänglicher Säure- 
bildung Alkali gebildet. Bei Bac. paratyphi B wird das Säuremaximum in 
0,3%, Zucker erreicht und beträgt im Mittel 2,6ccm 1/1 ⁰-NaO H. Bei 
B. coli geschieht dasselbe erst in 0, 5% Zucker, und es wird eine etwa gleich 
große, in vielen Fällen aber eine höhere Acidität erreicht. 


2. Säurebildung bei verschiedener Ausgangsreaktion. 


Wie Versuch XIX (Abb. 2) und XX zeigen, ist ebenso wie bei Bac. coli 
das Säuremaximum unabhängig von der Ausgangsreaktion, wenn genügend 
Zucker vorhanden ist. Aus Versuch XIX geht auch hervor, daß, wenn 
die Bouillon saurer ist als das Säuremaximum, überhaupt keine Säure- 
bildung stattfindet. Die Bacillen sterben dann ab. Michaelis und Mar- 
cora!) haben gezeigt, daß Bac. coli einen charakteristischen Aciditätsgrad 
in Milchzuckerlösungen verursacht. Dieser entspricht einer H-Ionenkon- 
zentration von 1. 10°5 und ist der höchste Aciditätsgrad, den das Bac- 
terium auf die Dauer ertragen kann. Jedoch stimmt dieses Resultat, 
welches ebenso in unseren Versuchen von 1918 zu sehen ist, nicht überein 
mit dem von Whyatt?), der in Versuchen, die sich mit ähnlichen Fragen 
befassen, unsere Versuche jedoch nicht kennt, zu finden glaubt, daß „eine 
Änderung in der Anfangsreaktion des Mediums auch eine Änderung der 
Endreaktion der Kultur zur Folge hat, welche in derselben Richtung 
liegt, aber von geringerer Größe ist“. Dabei dürfte es sich um Ver- 
schiedenheiten der Säurewirkung und der undissozierten Säuremoleküle 
handeln. Wir haben im Sinn, unsere Versuche noch mit Messungen der 
aktuellen Acidität zu ergänzen, um diese Frage zu klären. 


1) L. Michaelis und Е. Marcora, Zeitschr. f. Hyg. 14, 170. 1912. 
2) F. I. S. Whyatt, The effect of acids, alkalis and sugars on the 
growth and Indol production of В. coli. Biochemical Journ. 13, 1. 1919. 


210 F. Verzär und J. Bögel: 


Versuch XVII (Abb. 2) zeigt ferner, daß nach Neutralisierung der in 
1 proz. Traubenzuckerbouillon gebildeten Säure immer wieder dasselbe Säure- 
maximum erreicht wird, natürlich nur so lange, als gärfähiger Zucker in der 
Lösung vorhanden ist. Dasselbe haben wir auch für Bac. coli nachgewiesen. 


cm NaOH Acidıtät 


20 985 
cm pra Alkalıtat | 
Versuch XIX. Versuch ХХ. Versuch XVII b. 

Abb. 2 


Alle diese Versuche wurden in 1 proz. Traubenzuckerbouillon bei 37° С 
ausgeführt. Die Ausgangsreaktion und die Anderung der Reaktion im 
Laufe des Versuches ist aus den Kurven ohne weiteres ablesbar. In der 
dritten Kurve bedeuten die punktierten Linien, daß an jener Stelle der 
Bouillon mit 1/10 NaOH neutralisiert wurde. Die Reaktions bestimmungen 
geschahen immer in Proben von 10 cem 


3. Bac. proteus (Stamm X 19, Weil-Felix). 


Dieser zeigt in Versuch XXIII (Abb. 3) und ebenso in einem hier nicht 
wiedergegebenen Parallelversuch (XXV) sehr ähnliche Verhältnisse wie 
Bao. paratyphi. Das Säuremaximum wird in 0,3 proz. Traubenzucker erreicht. 
Unterhalb dieser Grenze wird nach Vergärung des ganzen zur Verfügung 
stehenden Zuckers, durch die saure Reaktion des Milieus ein Alkalibildungs- 
vorgang ausgelöst, welcher zur Neutralisierung der Säure führt, ebenso 
wie bei Bac. coli und Bac. paratyphi. Wir müssen bemerken, daß die Alkali- 
bildung nicht bei gleichen Reaktionen aufzuhören scheint. Dieser Teil der 
Kurven müßte aber noch den Gegenstand weiterer Untersuchung bilden, 
auch bezüglich der anderen Bakterien und soll mit Mes zung der H- Kon- 
zentration ergänzt werden. 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 211 


0, 
sech Versuch XXIIL Versuch XXII. 
стз FHC Abb. 8. 


4. Streptococcus hamolyticus. 


Das Säuremaximum wird hier [Versuch XXII (Abb. 3) und ebenso 
Parallelversuch XXIV] in 0,3proz Traubenzuckerlésung erreicht. Bei ge- 
ringerer Zuckerkonzentration wird natürlich eine geringere Acidität erreicht. 
Im Gegensatz jedoch zu den bisher untersuchten Bakterien löst 
hier die saure Reaktion keinen Alkalibildungs- bzw. Neutralisierungs- 
prozeB aus. Allerdings sieht man am Gipfel der Kurven eine geringe 
unbedeutende Senkung, dann aber geht die Kurve in gerader Linie weiter. 


5. Alkalibildung in zuckerfreiem sauerem Bouillon. 

Wie gezeigt wurde, löst die aus Zucker gebildete Säure sowohl bei 
Bac. coli wie bei Bac. paratyphi und Bac. proteus einen Neutralisierungsprozeß 
aus. Das geschieht aber auch dann, wenn der Bouillon durch Salzsäure 
angesäuert wird. Den Verlauf der Alkalibildung unter solchen Umständen 


0 

50 700 0 5 Stunden 

Versuch XXVI. Versuch XXVII. Versuch XXVIII. 
Abb. 4. 


zeigt Versuch XXVI bei Bac. coli, Versuch XXVII bei Bac. paratyphi und 
Versuch XXVIII bei Bac. proteus (Abb. 4). Wie man sieht, bildet Bac. coli 
noch in so saurem Bouillon Alkali, in welchem die beiden anderen das nicht 
mehr tun. Die geringe Zunahme der Acidität in fast neutraler Lösung 
stammt jedenfalls daher, daß der Bouillon nicht ganz kohlehydratfrei war. 
Die Unterschiede in der noch wirksamen höchsten Konzentration hängen 
damit zusammen, daß Bac. coli die höchsten Säuregrade verträgt. 


212 F. Verzär und J. Bögel: 


Teil V. Der zeitliche Ablauf des Gaswechsels bei Bac. coli und 
paratyphi. 


Es existieren bereits eine größere Anzahl Untersuchungen über den 
Gaswechsel von Bakterien. Bezüglich der Literatur sei auf den Artikel 
von Gottschlich im Handb. der pathog. Organismen!) verwiesen. Wir 
haben eine einfache Methode versucht, um einen Überblick über den zeit- 
lichen Ablauf des Gaswechsels in einer Bakterienkultur zu gewinnen. 

Wir benutzten das Barcroftsche Kompensationsmanometer. Auf 
die eine Seite des Apparates kamen 3 ccm Bouillon, welcher mit einer Öse 
Kultur beimpft wurde. In das Kompensationsgefäß kamen 3 ccm destil- 
liertes Wasser. Dann wurde der Apparat vorschriftsgemäß in ein Wasser 
bad gestellt. Die Temperatur des letzteren schwankte um 20°C. Kleine 
Temperaturschwankungen sind bei diesem Kompensationsapparat von 
keinem Einfluß auf das Resultat?). 

Die Züchtung wurde deshalb bei so niedriger Temperatur vorgenom- 
men, weil dabei der Stoffwechsel langsamer ist und Einzelheiten leichter 
zu beobachten sind. 


6. Gasbildung und Gasverbrauch von Bac. coli comm. 


In Versuch V und IV (Abb. 5) sind die Resultate von 6 Proben regi- 
striert. Die Kurven entstanden so, daß auf der Ordinate im Original 10 mm 
1 Stunde bedeuteten und auf der Abszisse 1 mm je 1 mm Skalendifferenz 
des Barcroftschen Kompensationsapparates entsprach. Die publizierten 
Kurven sind entsprechend verkleinert. Versuch V zeigt die Volumzunahme 
bei der Gärung, Versuch IV die Volumabnahme bei der Atmung. 

Bei der Gärung des Traubenzuckers wird bekanntlich mehr CO, ge- 
bildet, als dem aufgenommenen Sauerstoff entspricht. Der RQ ist viel 
größer als 1. Im Apparat findet dementsprechend eine Volumzunahme 
statt. Diese wurde 6 Tage lang stündlich und nachts etwa 8stündlich 
abgelesen. Hatte sich eine Druckdifferenz von mehreren Millimetern inner- 
halb einer gewissen Periode ausgebildet, so wurden die Hähne des Mano- 
meters geöffnet, um einen Druckausgleich zu erhalten. Dann wurde so- 
gleich wieder geschlossen und die neuere Änderung des Druckes beobachtet. 
Die Züchtung fand in 1 proz. Traubenzuckerbouillon statt. 

Züchtet man Bac. coli іп gewöhnlichem Bouillon, so findet man bekannt- 
lich, daß ebenso wie bei höheren Organismen der O,-Verbrauch größer ist 
als die CO,- Bildung, d. h. der RQ ist kleiner als 1. Es muß also im Ap- 
parat eine Volumabnahme zustande kommen. Die Kurve des Gasver- 
brauches muß also im Vergleich zur Gärungskurve unter der Abszisse liegen. 
Wir haben aber des besseren Vergleiches halber auch diese Kurven im 
selben System über die Abszisse gezeichnet. Es sei ausdrücklich hervor- 
gehoben, daß die Volumänderung sowohl bei den Gärungskurven als auch 
bei der Atmung nicht die absoluten Werte des O,-Verbrauches und der 


1) Kolle-Wassermann 1, 99. 
2) S. Münzer u. Neumann, diese Zeitschr. 81, 319. 1917 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 213 


CO,-Bildung wiedergibt, sondern nur die Differenz CO, — O,, welche bei 
der Gärung positiv, bei der Atmung negativ ist. Trotzdem also quanti- 
tative Angaben keine.Bedeutung haben, sei angegeben, daß 100 mm der 
Abezisse ca. 0,4ccm Gas entsprechen. Während der Gärung von 3 cem 
Bouillonkultur wurden also ca. 1,4 cem Gas gebildet und bei der Atmung 
wurde etwa ebensoviel Gas verbraucht. 

Alle diese Kurven zeigen innerhalb der ersten 24 Stunden einen lang- 
samen Anstieg; dann — vom Ende des ersten Tages an — steigen die 
Kurven steil an, um sich vom Ende des dritten Tages an wieder abzu- 
flachen, und am 5. Tage zeigt sich sowohl bei der Gärung als bei der Atmung 


70 20 30 4050 0020304050 100 Stunden 
Versuch V. Versuch IV. 
Atb. 5. | 


keine Volumänderung mehr. Wir können derzeit noch nicht darauf ein- 
gehen, inwiefern das Aufhören des Gaswechsels eine Folge des Absterbens 
der Kultur oder des Aufhörens der Vermehrung der Bakterien oder von 
anderen Gründen ist. Das Konstantbleiben des Volumens könnte natür- 
lich auch dadurch bedingt sein, daß der RQ gleich 1 wäre, d. h. CO, — O2 
Aus anderen Versuchen wissen wir aber, daß davon keine Rede sein kann. 
Die Kurve der Gasbildung verläuft in einer nach oben konkaven, jene des 
Gasverbrauches dagegen in konvexem Bogen. Nach anderen Versuchen, 
von welchen einige im nächsten Abschnitt erwähnt werden, findet am 
Anfang der Gärung eine charakteristische Volumabnahme statt, die jedoch 
in diesen Versuchen nicht registriert ist. Siehe Versuch XIII, XV, VII. 
Die Ursache ist, daß zuerst die Atmung über die Gärung überwiegt und 
erst gegen Ende des ersten Tages der Gärungstypus hervortritt. 


214 F. Verzär und J. Bögel: 


7. Vergleich der Gasbildung in verschiedenen konzentriertem Zucker- 
bouillon mit der Säure- und Alkalibildung. 


In Teil III der vorigen und Teil IV dieser Arbeit wurde gezeigt, daß 
in 1 proz. Traubenzuckerbouillon nur Säure gebildet wird, während in ver- 
dünnterem, z. B. 0,2%, Traubenzucker nach der Vergärung des Zuckers 
eine Alkalibildung stattfindet bzw. die produzierte Säure wieder neutrali- 
siert wird. Von dieser Alkalibildung wurde in Teil III nachgewiesen, daß 
sie nur bei Sauerstoffzutritt erfolgt. Es war von Interesse zu untersuchen, 
wie sich der Gaswechsel im Vergleich zum Alkali- und Säurebildungs- 
prozeB verhält. 

In Versuch VII (Abb. 6) und ebenso in einem Parallelversuch Nr. X 
ist das registriert. Die Gasbildung wurde ebenso wie in dem vorigen Ver- 


Had 300 == 
ик Т mo | 
270 Le — * e 
3 аы 
240 < 7 | 
40 Ire ILL 
210 
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10 
60 
06 
30 
02 
0 
-02 
TEE 
. Versuch VIL 
Abb. 6. ——— Bāurebildung. - - - Gasbildung. 


such gemessen. Die Kurven unterscheiden sich jedoch insofern von den 
vorigen, als hier die später einsetzende Volumabnahme in entgegengesetzter 
Richtung eingezeichnet ist wie die Volumzunahme, so daß die Kurven also 
ein korrektes Bild über die Volumänderung im Apparat geben. Die Prozent- 
zahlen geben die Traubenzuckerkonzentration des Bouillons an. In 1%, wird 
das Säuremaximum erreicht und die Acidität bleibt dann konstant. In 
0,2% wird nach der Säure Alkali gebildet. Diese Kurven entstanden auf 
dieselbe Weise, wie in Teil IV. Wie man sieht, findet in 1 proz. Zucker 
nur Gasbildung statt und das Maximum wird etwa zur selben Zeit erreicht, 
wenn das Säuremaximum erreicht ist. Diese Kurve zeigt nach dem Er- 
reichen des Maximums, beim Übergang in das Plateau, eine unbedeutende 
Senkung. Im 0,2proz. Zucker tritt gleichzeitig mit der Alkalibildung an 
Stelle der Volumzunahme eine Volumabnahme auf; es erscheint also an 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 215 


Stelle des Gärungstypus der Atmungstypus. Mit anderen Worten heißt 
das, daß während der Säurebildung viel mehr CO, als O, gebildet wird, 
während der Alkalibildung dagegen viel mehr O, verbraucht wird, als der 
CO, entspricht. Es ist hier also nachgewiesen, daß die Alkalibildung mit 
großem Sauerstoffverbrauch einhergeht. 


8. Gasverbrauch und Gasbildung von Bac. paratyphi B. 


In Versuch IXa (und ebenso in den Parallelversuchen IV und VI) 
ist die Gasbildung und der Gasverbrauch von Bac. paratyphi B untersucht 
(Abb. 7). Die Kurven sind sehr ähnlich mit jenen von Bac. coli comm. in 
Teil VI6. Auch die Methodik war dieselbe. 


9. Zusammenhang zwischen Gaswechsel und Bewegung bei Bac. 
paratyphi B. 


Вас. paratyphi В gehört bekanntlich zu den rasch beweglichen Bakterien. 
Bei höheren Organismen geht mit der Bewegung (Muskelarbeit) eine außer- 
ordentliche Steigerung des O,-Verbrauches und der CO,-Bildung Hand in 
Hand. Wir stellten uns nun die Frage, ob auch bei Bakterien die Be- 
wegung von deutlichem Einfluß auf den Gaswechsel ist. Es wurde sowohl 
der Zusammenhang mit der Gärung, als auch mit der Atmung untersucht. 


тт Skale 
300 


Versuch ІХ a. Versuch VI. 
Abb. 7. 


Wir besitzen eine Möglichkeit, die Bewegung der Bakterien aufzu- 
heben, ohne ihre Lebensfähigkeit sonst zu beeinträchtigen, so daß man sie mit 
spezifischem Serum agglutiniert. Dadurch werden sie sogleich unbeweglich, 
ballen sich zu Klümpchen zusammen und sinken zu Boden. Die Bewegung 
verschwindet aber sofort. Wir gingen so vor, daß der Gaswechsel im 
Barcroftschen Apparat beobachtet wurde. 


216 F. Verzär und J. Bögel: 


In Versuch VI (Abb. 7) ist der Zusammenhang mit der Gasbildung 
in Traubenzuckerbouillon wiedergegeben. Nachdem die Gasbildung eine 
gewisse Konstanz erreicht hatte, wurde bei +0,l ccm agglutinierendes 
Paratyphus-B-Serum (Titer 1: 10000) hinzugefügt. Das gab starke 
Agglutination der Kultur in einigen Minuten. Wie man aus der Kurve 
sieht, ändert sich die Gasbildung nicht und geht auch fernerhin parallel 
mit derjenigen in den zwei anderen Apparaten, in denen nicht agglutiniert 
wurde. (Ebenso zeigte sich auch kein Unterschied im Gasverbrauch bei 
Züchtung in gewöhnlichem Bouillon, wenn während der Züchtung aggluti- 
niert wurde, jedoch sind diese Versuche noch nicht abgeschlossen.) 


Teil VI. Die Wirkung von Alkoholen, Chloroform und Form- 
aldehyd auf Gaswechsel und Säurebildung von Bac. coli comm. 

In Teil I der früheren Arbeit haben wir untersucht, wie verschiedene 
Stoffwechselprozesse durch verschiedene Konzentrationen eines Giftes be- 


einflußt werden. Es wurde gezeigt, daß Gifte die einzelnen Stoffwechsel- 
prozesse von Bac. coli in sehr verschiedenen Konzentrationen hemmen. Es 


mm Skale 
| normal єт? Z NaOH 
300.ͤ̃ U— „ 12 : 4 0 — ˖ — 
Sp 7 #% [ — 129 
450 ——— р = ә — | ed 36 Б L ч ! = 
4% | | | ы 
400 — 12 L 8 ee Е З 
| | 6% 
е - 7 = | 4 
300 —— H — H Е 2 
6%| „ | 
ДС = - 0 — KZ = 
5% 3% 


— IH 08 H be 
50 — — — OY = = = | Wer. — 
| | 
| ER e L. I | | 
gt — J 100 50 200 4 S 50 SO Stunde? 
-50 L | 24 
Versuch XIII und XV. Versuch ХІІ. Versuch XLII. 
Abb. 8. 


war von Interesse, diese Verhältnisse auch quantitativ zu verfolgen. Wir 
haben deshalb vorerst für Äthyl- und Methylalkohol, Chloroform und 
Formaldehyd die Wirkung auf Gasbildung und Säurebildung quantitativ 
verfolgt. 

Versuch XIII und XV (Abb. 8) zeigen die Wirkung von Äthylalkohol 
auf die Gasbildung in 1 proz. Traubenzuckerbouillon. Aus den früheren 


| 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien. 217 


Versuchen ging hervor, daß diese erst bei 12% Alkohol vollständig ge- 
hemmt wird. Wie man aus den Kurven sieht, haben schon weit geringere 
Konzentrationen von 2%, 4%, 6% eine deutlich hemmende Wirkung. 
Diese äußert sich auf zweierlei Weise. Erstens dadurch, daß die Gasbildung 
verzögert wird, und zweitens darin, daß das Maximum der Gasbildung 
um so geringer wird, je mehr Alkohol vorhanden ist. Die Kurven liegen 
fast parallel untereinander, d. h. die Gasbildung verläuft um so langsamer, 
je größer die Alkoholkonzentration. 

Sehr schön zeigen sich dieselben Wirkungen von Äthylalkohol (Ver- 
such XLI) sowie von Methylalkohol (Versuch XLII) auf die Säurebildung 
aus Traubenzucker. Unsere Methode war dieselbe wie in den früheren 
Säurebildungsversuchen. Die Prozentzahlen bei den Kurven bedeuten die 
Alkoholkonzentrationen. Wie man sieht, hat der Alkohol auch auf die 
Säurebildung eine doppelte Wirkung. Erstens verzögert er den Säure- 
bildungsprozeB, und zwar um so mehr, je mehr Alkohol vorhanden ist. 
Zweitens ist das erreichte Säuremaximum um so niedriger, je mehr Alkohol 
vorhanden ist. Nachdem die Entwicklung eines Säuremaximums, oberhalb 
welchem keine Säure mehr gebildet werden kann, so zu erklären ist, daß 
das Stoffwechselprodukt, die Säure, als Gift die weitere Säurebildung hemmt, 
so wird man dieses Verhalten so deuten müssen, daß sich die Giftwirkung 
der Säure mit der Giftwirkung dieser Alkohole summiert. Während die 
gebildete Säure erst bei 3,9 ccm Dia NaOH Acidität weitere Säurebildung 
hemmt, tritt das z. В. bei 6% Äthylalkohol schon bei 1,7 ccm 2/10 NaOH 
und bei Methylalkohol bei 3ccm 1/10 NaOH ein. Sehr deutlich geht aus 
diesen Versuchen auch die geringere Giftigkeit des Methylalkohols hervor!). 

Die Wirkung von Chloroform ist in Abb. 9 wiedergegeben. Bouillon 
wurde durch Schütteln mit Chloroform gesättigt und dann in verschiedenen 
Konzentrationen zu gewöhnlichem Bouillon hinzugesetzt, so daß ver- 
schiedene Sättigungsgrade entstanden. Diese sind in Prozenten an den 
Kurven vermerkt. In Versuch XII ist die Wirkung von Chloroform auf 
die Gasbildung in 1 proz. Traubenzuckerbouillon registriert; man sieht, 
daß diese nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur äußerst verzögert wurde, 
dann aber im Gegensatz zur Alkoholwirkung dasselbe Maximum erreicht 
wurde, wie ohne Chloroform. 

In einer anderen Versuchsreihe (Versuch XXXV) wurde die Wirkung 
von Chloroform auf die Säurebildung aus 1 proz. Traubenzuckerbouillon 
geprüft. Es sei bemerkt, daß nicht alle Versuche hier wiedergegeben sind. 
Man sieht deutlich, daß das Chloroform die Säurebildung um so mehr ver- 
zögert, in je größerer Konzentration es vorhanden ist. Dagegen ist auch 
hier, ganz parallel zur Gasbildung, und im Gegensatz zu der Wirkung der 
Alkohole, das erreichte Säuremaximum ebenso groß wie normal. Die Gift- 
wirkung des Chloroforms summiert sich also nicht mit jener der Säure. 

| Das dritte Gift, welches untersucht wurde, ist Formaldehyd. [Nur 
die Wirkung auf die Säurebildung ist untersucht (Versuch XXXIX, Abb. 9).] 


1) Siehe z.B. Verzär, Über die Wirkung von Methyl- und Äthyl- 
alkohol auf die Muskelfaser. Archiv f. d. ges. Physiol. 128, 398. 1909. 


Biochemische Zeitschrift Band 108, 15 


218 Е. Verzär und J. Bagel: 


0,18% hemmt diese vollständig. Niedrigere Konzentrationen verlangsamen 
die Säurebildung in charakteristischer Weise, wobei aber dasselbe Säure- 
maximum erreicht wird, wie ohne Gift. Also auch dieses Gift zeigt einen 
charakteristischen Unterschied gegenüber den Alkoholen. 


Zusammenfassung. 


Die vorliegende Untersuchung schließt sich an unsere frühere 
an. In Teil IV wurde gezeigt, daß der bei Bac. coli comm. stu- 
dierte zeitliche Ablauf der Säure- und Alkalibildung in ganz ähn- 
licher Weise auch bei Bac. paratyphi B und bei Bac. proteus X 19 
abläuft. In 1% Traubenzucker wird ein Säuremaximum erreicht. 
Bei geringeren Zuckerkonzentrationen folgt auf die anfängliche 
Säurebildung eine Alkalibildung. Unterschiede zeigen sich jedoch 
1. іп dem titrierten Säuremaximum, 2. in der Zuckerkonzentration, 
welche bereits nach Säurebildung auch Alkalibildung gibt. Diese 
Grenzen liegen bei den beiden letzteren Bazillen niedriger als 
bei Bac. coli'). 

Streptococcus haemolyticus dagegen bildet aus Trauben- 
zucker nur Säure, jedoch niemals Alkali. 


1) Nach Roux und Yersin sowie Madsen wird auch bei Diphtherie- 
bacillen nach anfänglicher Säuerung eine Abnahme der Acidität und dann 
eine zunehmende Alkalität beobachtet. (Gottschlich, 1. с. S. 119.) 


Stoffwechselregulierung bei Bakterien’ 219 


Die bei Bac. coli comm. gefundene Unabhängigkeit der 
titrierten Säurebildung von der titrierten Ausgangsreaktion wurde 
auch für Bac. paratyphi B und Bac. proteus konstatiert. Der 
erreichte Säuregrad ist unabhängig davon, welche Acidität oder 
Alkalität am Anfang des Versuches herrscht. 

In Teil V ist die Gasbildung im Traubenzuckerbouillon und 
der Gasverbrauch in gewöhnlichem Bouillon mit Hilfe des Bar- 
croftschen Apparates registriert. Die Versuche sind mit Bac. 
coli comm. und Bac. paratyphyi ausgeführt, und zeigen einen 
charakteristischen Verlauf. 

Ein Vergleich des Gaswechsels mit der Säure und Alkali- 
bildung bei Bac. coli comm. zeigt, daß gleichzeitig mit der Säure- 
bildung Gas gebildet wird, während mit der Alkalibildung ein 
starker O- Verbrauch einsetzt. 

Es konnte ferner gezeigt werden, daß bei Paratyphus-Bacillen 
zwischen der Beweglichkeit und der Gasbildung kein nachweis- 
barer Zusammenhang besteht. 

In Teil VI wurde in Fortsetzung der in Teil I aufgeworfenen 
Fragen die Wirkung von einigen Giften auf den Gaswechsel 
von Bac. coli studiert. Es läßt sich sehr schön demonstrieren, 
daf Athyl- und Methylalkohol, Chloroform und Formaldehyd 
diese Stoffwechselprozesse schon in Konzentrationen auffallend 

verlangsamen, welche noch weit von der ganz hemmenden Dosis 
entfernt sind. 

Die Alkohole haben noch eine andere Wirkung i im Gegensatz 
zu den beiden anderen Giften. Ihre Giftwirkung summiert sich 
nämlich mit jener der aus Traubenzucker gebildeten Säure, wo- 
durch ein um so geringeres Säuremaximum erreicht wird, je 
mehr Alkohol vorhanden ist. Die geringere Giftigkeit des Methyl- 
alkohols ist auch dabei deutlich. Dieser Befund dürfte für die 
Analyse von Giftwirkungen von Bedeutung sein. 


15* 


Beiträge zur Chemie des Blutes bei anämischen Krank- 
heitszuständen. 


Von 
F. Rosenthal und P. Holzer. 


(Aus der Medizinischen Klinik der Universität Breslau.) 
(Eingegangen am 20. Mai 1920.) 


Die Untersuchungen von Tallquist und Faust über die 
lipoide hämolytische Substanz in den Proglottiden des breiten 
Bandwurms und die Auffindung der koktostabilen Hämolysine 
durch Korschun und Morgenroth haben die Anschauungen 
über die Genese der perniziösen Anämie und anderer schwerer 
anämischer Krankheitsprozesse lange Zeit hindurch weitgehend 
beeinflußt. Man kann die Forschungsrichtung, die von diesen 
Arbeiten ihren Ausgangspunkt nimmt, kurz dahin zusammen- 
fassen, daß die Fragestellung nach der Natur des einwirkenden 
Krankheitsprozesses bei den schweren Anämien verschiedenster 
Ätiologie sich auf den Nachweis stark hämolytisch wirksamer 
Lipoide vom Bau der kochbeständigen Hämolysine konzentriert, 
und daß in der Bildung dieser Lipoidsubstanzen vom Typus der 
Ölsäure die letzte einheitliche Ursache der in ihren Erscheinungs- 
formen noch so verschiedenen schweren Anämien erblickt wird. — 
Man kann bereits auf Grund der morphologisch-histologischen 
Charaktere der verschiedenen Blutkrankheiten ohne weiteres 
behaupten, daß nur eine einseitige serologische Gedankenführung 
zu solchen Anschauungen einer wesensgleichen Ätiologie der 
Anämien gelangen konnte. Das Blutbild der Perniciosa auf der 
einen Seite und die morphologischen Kriterien der gewöhnlichen 
Carcinomanämie oder Ankylostomumanämie noch so schweren 
Grades auf der anderen Seite tragen in so ausgesprochener Weise 
den Stempel verschiedenartiger Pathogenese, daß schon allein 
dieses histologische Moment gegen eine unitaristische Betrach- 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 221 


tungsweise der schweren menschlichen Anämien unter dem Ge- 
sichtswinkel der Ölsäuretheorie spricht. 


Geht man im einzelnen den experimentellen Grundlagen der Ölsäure- 
theorie, wie sie sich in den Arbeiten von Flury und Schminke über 
die chronische Ölsäurevergiftung am Hunde finden, nach, so wird man 
mit Recht gegen diese Untersuchungen einzuwenden haben, daß die mit 
chronischer Ölsäurefütterung experimentell erzeugten Anämien das typische 
Bild der echten perniziösen Anämie vermissen lassen. Was in diesen Ver- 
suchen an Blutveränderungen in die Erscheinung tritt, sind die Zeichen 
einer nicht erheblichen sekundären Anämie mit mäßiger Verringerung der 
Erythrocyten und herabgesetztem Färbeindex beim Fehlen jedes für die 
Perniciosa gharakteristischen Blutbefundes. Ist somit das Fundament der 
Ölsäuretheorie der Anämien nach dieser experimentellen Richtung an sich 
schon ein recht dürftiges, so sind noch überdies in jüngster Zeit diese Be- 
funde von Flury und Schminke durch Beumer in eingehenden Nach- 
prüfungen überhaupt in Frage gestellt. Weder ließen sich nach viermonat- 
licher Ölsäurefütterung Zeichen von einer hämolytischen Wirkung der 
Ölsäure im Serum oder Blutbild nachweisen, noch konnte die von 
Schminke und Flury beobachtete erworbene relative Ölsäurefestigkeit 
der Erythrocyten mit partieller Abartung der Lipoide infolge Substitution 
des freien Cholesterins durch Cholesterinester bestätigt werden. Ebenso- 
wenig konnten Bürger und Beumer bei Übertragung der Ölsäuretheorie 
auf die menschliche Pathologie in den Blutkörperchen bei perniziöser 
Anämie Cholesterinester feststellen. 

Was zur weiteren Begründung der Ölsäuretheorie bei menschlichen 
Anämien, insbesondere bei der Perniciosa an klinischem Material zusammen- 
getragen worden ist, entbehrt gleichfalls der Beweiskraft. Die von Berger 
und Tsuchiya in den Extrakten der Magendarmwandung von 2 Fällen 
perniziöser Anämie nachgewiesenen hämolytisch wirksamen Lipoide stellen 
keine spezifische Erscheinung dar, da nach Hirschfeld, Friedberger 
und Ewald auch das Macerat von Magendarmschleimhaut nichtanämischer 
Kranken Lipoide von gleicher Menge und gleicher hämolytischer Kraft ent- 
halten kann. Es läßt sich ferner gegen die Ölsäuretheorie der menschlichen 
Anämien ganz allgemein der sehr wesentliche Einwand erheben, daß die 
hämolytische Wirkung der Ölsäure und anderer ungesättigter Fettsäuren 
bereite durch kleine Mengen von Blutserum aufgehoben wird, und daß 
der Angriff der Ölsäure bei einer Resorption vom Darm aus auch durch 
die synthetischen Kräfte des Darmepithels (Munk, Minkowski) und 
durch die Leber (Bang) abgeschlagen wird, bevor er die Blutkörperchen 
trifft. Unter diesen Gesichtspunkten kann auch die Arbeit von Joanno- 
vios und Pick nicht als Stütze für die Ölsäuretheorie der hämolytischen 
Anämien herausgezogen werden. So wichtig auch ihre Feststellungen sind, 
daß bei der subakuten Toluylendiaminvergiftung der Hunde eine in der 
Leber vorkommende blutlösende Substanz, die ätherlöslich ist und zum 
wesentlichen Teile aus Ölsäure besteht, um das 40—50fache der Norm 
vermehrt ist, so läßt sich auch gegen die ätiologische Bedeutung dieser Be- 


222 F. Rosenthal und P. Holzer: 


funde einwenden, daß quantitative Bestimmungen der ungesattigten Fett- 
säuren im Blut fehlen, und daß exakte Beweise für eine Beteiligung der 
Glsäure verbindungen in der Leber am gesteigerten toxischen Blutzerfall 
während der Toluylendiaminvergiftung nicht erbracht sind. 

Die Таа uistsche Theorie — von den meisten Autoren aufgegeben — 
‚ ist durch die Untersuchungen von Eppinger, King und Medak in 
modifizierter Form erneut zur Diskussion gestellt worden. Sie gelangen zu 
dem Ergebnis, daß bei hämolytischen Prozessen in der überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle jodbindende Substanzen in gesteigerter Menge im Blut 
vorkommen, und daß die Blutzusammensetzung hinsichtlich Cholesterin. 
Cholesterinester und ungesättigten Fettsäuren, gemessen an der Hüblschen 
Jodzahl wohl ein Bild über den gegenwärtigen Stand des Krankheits- 
prozesses, soweit er den hämatopoetischen Apparat tangiert, zu bieten im- 
stande ist. Sie lassen hierbei freilich die Frage offen, ob die bei hämo- 
lytischen Prozessen gefundene hohe Jodzahl durch ungesättigte Fettsäuren, 
die von der Milz an die Blutbahn abgegeben werden oder durch gesteigerten 
Zerfall roter Blutkörperchen bedingt ist. Im einzelnen weisen die Unter- 
suchungen von King auf engere Beziehungen zwischen Milz und dem Ge- 
halt des Blutes an ungesättigten Fettsäuren hin. Bei gesunden Hunden 
fiel nach der Milzexstirpation die Menge der jodbindenden Substanzen auf 
sehr geringe Werte, und auch bei menschlichen perniziösen Anämien trat 
nach Splenektomie ein Absinken der ursprünglich hohen Jodzahlen zugleich 
mit fortschreitender objektiver Besserung ein. Die Befunde von Medak 
beim Menschen sind widerspruchsvoll, so daß die Frage offen bleiben muß, 
inwieweit die Milz der Ort ist, wo die jodbindenden Substanzen, die die 
hohe Jodzahl im Blut bedingen, an die Blutbahn abgegeben werden. 

Bei kritischer Durchsicht der von Eppinger und Medak angeführten 
Protokolle wird man allerdings den Beweis für die engen Beziehungen 
zwischen hohem Gehalt des Blutes an Cholesterin, an ungesättigten Fett- 
säuren und hämolytischen Prozessen nicht als zwingend geführt betrachten 
können. Weder ist der Cholesterinestergehalt bei den untersuchten Blut- 
krankheiten (perniziöse Anämie, hämolytischer Icterus) über die Norm 
und gegenüber nichtanämischen Krankheitszuständen wirklich prozentual 
und absolut vermehrt, noch zeigt sich bei den hämolytischen Prozessen 
ein wesentlich höherer Gehalt des Blutes an ungesättigten Fettsäuren gegen- 
über anderen Erkrankungen ohne gesteigerten Blutuntergang. So sind 
2. В. bei Medak in einem Falle von abklingendem Icterus die Jodzahlen 
höher als bei perniziöser Anämie, und auch Eppinger findet in manchen 
Fällen von atrophischer Lebercirrhose Jodzahlen, die den Werten bei 
hämolytischen Prozessen nicht nachstehen, bzw. sie sogar übertreffen. In 
methodischer Hinsicht haben die Untersuchungen von Eppinger, King 
und Medak den Nachteil, daß sie keinen Einblick in die Verteilung der 
ungesättigten Fettsäuren an die Einzelkomponenten des Blutes gestatten, 
und daß sie vor allem keinen Aufschluß über die Bindung ungesättigter 
Fettsäuren an die Erythrocyten gewähren, deren Zerstörung vom Stand- 


punkte der Glsäuretheorie eine gesteigerte Bindung ungesättigter Fett- 


säuren wohl vorangehen müßte. 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 223 


Die Befunde von Eppinger, King und Medak haben 
durch Feig! für das Serum bei perniziösen Anämien und beim 
hämolytischen Icterus keine Bestätigung erfahren. Weder waren 
die Jodzahlen im Serum über die Norm gesteigert, noch waren 
Veränderungen in der Bindungsweise des Cholesterins ent- 
sprechend den King - Medakschen Resultaten im Blut nach- 
zuweisen. Untersuchungen, die wir in ähnlicher Richtung bei 
einem klassischen Fall von hamolytischem Icterus Minkowski- 
Chauffard auf breiter Basis ausgeführt haben, führten uns dazu, 
die Frage des Vorkommens von ungesättigten Fettsäuren im Blut 
bei anämischen Krankheitszuständen ausführlich zu bearbeiten 
und auch die Beziehungen der Milz zur Jodzahl und Bindungs- 
form des Cholesterins in den einzelnen Blutkomponenten einer 
eingehenden Analyse zu unterziehen. Damit ergab sich zugleich 
die Notwendigkeit, die Untersuchungen auch auf die chemische 
Zusammensetzung der Milz unter normalen und krankhaften 
Verhältnissen unter der gleichen Fragestellung auszudehnen. 
Wir haben damit insgesamt ein experimentelles Material gewon- 
nen, das neben einer Kritik der Befunde Eppingers und seiner 
Schüler auch einen Beitrag zur Biochemie anämischer Krank- 
heitszustände und zur Frage der pathogenetischen Bedeutung 
der ungesättigten Fettsäuren bei schweren menschlichen Anämien 
liefert. Unsere eigenen Untersuchungen sind an roten Blutkörper- 
chen und Serum getrennt vorgenommen worden. 

Als Maß für den Gehalt des Blutes an ungesättigten Fett- 
säuren einschließlich der Ölsäure steht uns die Hiiblsche Jod- 
zahl zur Verfügung. Sie ist ein Maß für die Anzahl der Doppel- 
bindungen der ungesättigten Fettsäuren, und diese Doppel- 
bindungen gehen wiederum nach Joa nnovies und Pick der 
hämolytischen Kraft der ungesättigten Fettsäuren parallel. 


Unsere Versuchsmethodik gestaltete sich im einzelnen folgendermaBen: 
In der Regel wurden Gesamtfett und Jodzahl einerseits und Cholesterin und 
Cholesterinester andererseits in exakt abgewogenen Mengen des Ausgangs- 
materials für sich gesondert bestimmt. Die Bestimmung des Gesamtfettes ge- 
schah nach Peritz und Glikin in mindestens dreitägiger Extraktion mit 
Ather, Alkohol oder Chloroform im Soxhletapparat. Die beim Verdunsten 
zurückbleibenden Extrakte wurden in Äther aufgenommen, vereinigt und 
in Leuchtgasstrom bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. In dem so ge- 
trockneten Atherextrakt wurde die Jodzahl nach der Vorschrift von Hübl 
bestimmt. Wir berechnen die Jodzahl sowohl in der üblichen Weise auf 
100 g Fett, wie auf 1000 g des Untersuchungsmaterials und bringen hier- 


224 F. Rosenthal und P. Holzer: 


von die dem gefundenen Gesamtcholesterin entsprechende Jodzahl in 
Abzug. Wir erhalten so Jodzahlen, die als eigentliches Maß für die im 
Extrakt vorhandenen ungesättigten Fettsäuren angesehen werden dürfen. 

Die Bestimmung des freien und gebundenen Cholesterins geschah nach 
der Digitonin-Methode von Windaus nach vorangehender Extraktion 
des feuchten Materials mit siedendem 94 proz. Alkohol nach Röh man n?). 
Die Extraktion der Organe erfolgte nach sorgfältiger Faschierung der- 
selben. Die Bestimmung von Gesamtfett, Jodzahl und Cholesterin wurde 
in Blutkörperchen und Serum getrennt vorgenommen. Die für Gesamtfett 
und Cholesterin gewonnenen Werte wurden auf 1000 g feuchte Substanz 
entsprechend umgerechnet. 


Wir berichten zunächst über unsere Befunde bei Blut- 
körperchen und Serum gesunder Individuen, bzw. von Kranken, 
die nicht an anämischen Krankheitsprozessen litten. 


Tabelle I. 
1000 g Erythrocyten enthalten: 
A. Bei Gesunden: 
Gesamt- | Freies Chole- | Jodzahl | Jodzahl 
Fall Ges chole- | Chole- | sterin- für für 
sterin sterin ester 1000 g Е 100 g Fett 


1 | 7,6943 | 1,468 1,470 | = | 2,7102 | 35.223 
2 | 15981 | 14329 | 14314 = 3.1623 | 41.615 


B. Bei Kranken ohne Anämie: 


ГЕ | 


Gesamt- 
extrakt 


Gesamt-| Freies 
chole- 
sterin 


Krankheit 


== 2,2080 | 36,842 
0,2258 | 4,2929 | 35,126 
= 3,9623 | 48,623 


I. Aortensklerose | 5,984 | 0,6582 | 0,6578 
II. Lipoidnephrose | 12,224 | 1,2534 | 1,0276 

III. Magencarcinom | 8,1675 | 0,703 | 0,692 
mit Icterus 


Bei Gesunden und Kranken ohne gesteigerten Blutuntergang bewegt 
sich die Jodzahl, auf 1000 g Blutkörperchen bezogen, zwischen 2,2 und 4,2 
bzw. wenn wir sie auf 100 Teile Gesamtfett beziehen, zwischen 35—48. 
Die roten Blutkörperchen erweisen sich frei von gebundenem Cholesterin. 
Nur bei dem Fall von Lipoidnephrose finden sich wägbare Mengen von 
Cholesterinestern, wohl ein Ausdruck dafür, daß auch die roten Blut- 
körperchen an dem für die Lipoidnephrose charakteristischen infiltrativen 
Prozeß mit Cholesterinestern teilnehmen (Aschoff, Kawamura, Wind- 


1) Bezüglich Einzelheiten dieser Methode sei auf unsere Arbeit im 
Deutschen Archiv f. klin. Med. Bd. 13%, Heft 3/4. 1920 verwiesen. 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 225 


a us). Auch das Rohfett der Blutkörperchen bei der Lipoidnephrose ist 
ganz beträchtlich über die Normalwerte hinaus gesteigert. Zwischen 
Gesamtfett und ungesättigten Fettsäuren besteht ein gewisser Parallelis- 
mus, indem mit dem Anstieg des Gesamtextrakts auch der Gehalt an jod- 
bindenden Substanzen wächst. Bei BI und III macht sich außerdem 
eine Herabsetzung des Cholesteringehaltes der Erythrocyten bemerkbar 
(vgl. Rosenthal, Rosenthal und Patrzek). 

Die folgende Tabelle gibt die Jodzahl und die Bindungsverhältnisse 
des Cholesterins im Serum Gesunder und Kranker ohne Alteration des 
hämatopoetischen Apparates wieder: 


Tabelle II. 

1000 g Serum bei Gesunden und Kranken ohne Anämie enthalten: 
|. \,а| ala |238l88 35 

| +2 ke em — 5 E? — SS Ф 

кп fr 38 8 „ CREE? | Be 

| 2S S S ls |555). Зы 

15° 19217618 |21328 |38 
1. Gesund 7,203 1.438 | 0,516 Ä 0,922 | 1:1,8 |2,6734| 37,132 
I. Aortensklerose | 8,969 | 1,906 | 0,594 1.312 1:2,2 |4,2401| 47,269 
II. Lipoidnephrose || 28,950 i 5,234 | 1,843 | 3,391 | 1:1,8 |9,8661| 34,082 
Ш. Magencarcinom || 17,345 | 2,895 2,041 | 0,854 | 24:1 6,3154 36,401 


mit Icterus | 


Im Serum Gesunder und Kranker ohne wesentliche Alteration des 
hämatopoetischen Apparates schwankt nach unseren Befunden die Jod- 
zahl, auf 1000 р Serum bezogen, zwischen 2,6 und 9,8. Diese erheblichen 
Schwankungen hängen eng mit dem Gesamtfettgehalt des Serums zu- 
sammen, der bei der Lipoidnephrose und bei dem von uns untersuchten 
Magencarcinom mit Icterus mindestens das 4- bzw. 2fache der Norm 
beträgt. (Vgl. Bürger und Beumer, eigene Untersuchungen.) Auch hier 
tritt also wie bei den Erythrocyten ein engerer Zusammenhang zwischen 
der Menge des Gesamtfettes und der Menge der in ihm enthaltenen un- 
gesättigten Fettsäuren in die Erscheinung. Mit der Zunahme des Gesamt- 
fettes im Serum steigt auch anscheinend im allgemeinen entsprechend 
die Menge der jodbindenden Substanzen. So erklärt es sich, daß die 
Jodzahl, auf 100 Teile Fett bezogen, nur geringen Schwankungen zwischen 
34—37—47 unterliegt. 

Bemerkenswert ist der hohe Fettgehalt des ikterischen Serums, auf 
den schon von Becquerel und Rodier, in neuerer Zeit besonders von 
Bürger und Beumer hingewiesen worden ist. Es handelt sich hier um 
eine cholämische Lipämie, bei der das Serum klar und durchsichtig bleibt 
und nicht das milchige Aussehen der diabetischen und der nephrotischen 
Lipämie zeigt. Bezüglich der Genese dieser Lipämie beim Icterus, die 
angesichts der gestörten Fettresorption bei Gallenverschluß auffällig ist, 
sei im einzelnen auf die Ausführungen von Bürger und Beumer ver- 


226 F. Rosenthal and P. Holzer: 


wiesen. Der Quotient Cholesterin : Cholesterinester beträgt enteprechend 
auch anderen Erfahrungen durchschnittlich 1:2, beim Stauungsicterus 
verschiebt er sich zugunsten des freien Cholesterins, worauf auch von 
Bürger und Beumer, Bang, Grigaut u.a. hingewiesen worden ist. 

Nach Festlegung dieser Werte in Erythrocyten und im Serum geben 
wir in der folgenden Tabelle unsere Versuchsergebnisse bei schweren 
anämischen Krankheitszuständen wieder: 


Tabelle III. 
1000 g Erythrocyten enthalten bei: 


| Gesamt- Е Freies | Chole- | Jodzahl | Jodzahl 
Krankheit |Gesanit chole- ; Chole- | sterin- | für fur 110 f 
extrakt | sterin sterin | ester mn gE Fett E Fett 


1. 1. Perniziöse Anämie 0,5348 т 29438 40.827 
2. Perniziöse Anämie 0, 8065 — 1,4181 | 24,451 
3. Carcinomanämie 0.2658 — 11 45,619 


4. Hamolyt. Icterus 

5. Splenomegalie 
(Fibroadenie) 

6. Norma 
bzw. Kranke ohne 
Anämie 


0,7877 | Spuren 


Überblicken wir das Ergebnis dieser Analysen, so treffen 
wir zunächst in unseren beiden Fällen von schwerer perniziöser 
Anämie keine Steigerung der Jodzahl in den Erythrocyten an. 
Wir können hieraus den Schluß ziehen, daß im Widerspruch mit 
der experimentellen Begründung der Ölsäuretheorie (Schminke 
und Flury) die roten Blutkörperchen der Perniciosa sich in ihrem 
Gehalt an ungesättigten Fettsäuren nicht von normalen Blut- 
körperchen unterscheiden. Mit dieser Feststellung steht auch 
unser weiterer Befund, der mit gleichsinnigen Ergebnissen von 
Bürger und Beumer übereinstimmt, in gutem Einklang, daß 
in unseren beiden Perniciosa-Fällen Cholesterinester in den 
Erythrocyten, wie wir sie nach den experimentellen Beobach- 
tungen von Schminke und Flury — ihre Richtigkeit voraus- 
gesetzt — als Ausdruck der Bindung von Ölsäure an das Chole- 
sterin der Blutkörperchen eigentlich erwarten müßten, nicht 
vorhanden sind. 

Auch in den Blutkörperchen der von uns untersuchten 
Krebsanämie haben wir keine Cholesterinester gefunden, was im 
Hinblick auf die Befunde von Grafe und Böhmer über das 
Vorkommen hämolysierender Substanzen vom Typus unge- 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszustanden. 227 


sättigter Fettsäuren in zerfallenden Carcinomen von Interesse ist. 
Auch die Jodzahl war gegenüber den Zahlen der Tabelle I nicht 
erhöht. Wir haben also auch bei den Carcinomanämien keinen 
Anhaltspunkt dafür, daß der toxische Blutzerfall etwa in Ana- 
logie zu den Befunden von Schminke und Flury bei der ex- 
perimentellen Ölsäureanämie durch eine gesteigerte Aufnahme 
von Ölsäure in die Erythrocyten zustandekommt. 

Den Befunden bei den roten Blutkörperchen bei der Per: 
niciosa und der Carcinomanämie steht das Ergebnis gegenüber, 
daß wir bei dem von uns untersuchten hämolytischen Icterus 
und bei der Splenomegalie mit Anämie einen sehr hohen Grenz- 
wert, bzw. eine Vermehrung der jodbindenden Substanzen im Ge- 
samtextrakt von 1000 g Erythrocyten gegenüber nichtanämischen 
Krankheitsprozessen festgestellt haben. Es kreisen somit in diesen 
beiden Fällen rote Blutkörperchen in der Zirkulation, die durch 
einen beträchtlichen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren gegen- 
über normalen Erythrocyten ausgezeichnet sind, und die auch 
Cholesterinester teils in Spuren, teils in mäßigen Mengen ent- 
balten. 

Bevor wir in eine Diskussion der Frage eintreten, inwieweit 
die hier erhobenen Befunde doch im Sinne einer Beteiligung un- 
gesättigter Fettsäuren bei der Pathogenese mancher anämischer 
Krankheitsprozesse zu verwerten sind, seien noch unsere Resultate 
beim Serum der gleichen Krankheitsfälle besprochen. 


Tabelle IV. 
1000 g Serum enthalten bei: 


a L u _ 8 
AE e S 3883 ZE ЕЕ 
f ES | e 28 ©| 2 — 
Krankheit са са |р 1235| 2 |5 
Se Fels] sis Sp S 
S2 MS O8 355 58 88 
— A Фо 5 F- © | 
ОЕ BE ee мй 


1. Perniziöse Anämie 5,569 1,420 


2. Perniziöse Anämie 4,047 !0,771 44,664 
3. Carcinomanimie | 7,509 1, 415 37,016 
4, Hamolyt. Icterus 3, 151 0, 5686 | 0, 2680 | 0, 2041 48,122 
5. Splenomegalie 5, 162 81.934 


10171 


Fibroadenie) 


. Norm 
bzw. Kranke ohne 
Anämie | 


228 F. Rosenthal und P. Holzer: 


In keinem der hier untersuchten Fälle haben sich die Ver- 
teilungsverhältnisse des Cholesterins im Serum zugunsten der 
Cholesterinester verschoben; bei der Carcinomanämie hat sogar 
im Gegenteil eine starke absolute und prozentuale Abnahme 
der Cholesterinester stattgefunden. Auch die Jodzahl ist im Serum 
nirgends über die Werte hinaus gesteigert, wie wir sie bei Ge- 
sunden bzw. bei nicht anämischen Kranken kennen. Nur bei 
der Splenomegalie mit Banti-Symptomenkomplex erreicht die 
Jodzahl, auf 100 Teile Fett berechnet, einen Wert, der etark über 
die normalen Jodzahlen hinauswächst. DaB es sich aber hierbei 
offenbar nicht um eine absolute, sondern nur um eine prozentuale 
Vermehrung der Fettsäuren handelt, beweist die Jodzahl, auf 
1000 g Serum bezogen, die nicht über Werte hinausragt, wie 
wir sie auch in Tabelle II bei Kranken ohne besondere Alteration 
des hämatopoetischen Apparates beobachtet haben. 

Fassen wir unsere Ergebnisse über die Beziehungen zwischen 
anämischen Krankheitsprozessen und Jodzahl und Bindungsform 
des Cholesterins im Blute zusammen, so können wir die Angabe 
von Eppinger, King und Medak nicht bestätigen, daß ein 
Parallelismus zwischen hoher Jodzahl und hämolytischen Pro- 
zessen besteht, und daß die Blutzusammensetzung hinsichtlich 
der jodbindenden Substanzen, des Gehaltes an Cholesterinestern 
ein Bild über den momentanen Stand des Krankheitsprozesses, 
soweit er den hämatopoetischen Apparat tangiert, zu bieten im- 
stande ist. Sehen wir von unseren Befunden an den Erythro- 
cyten des hämolytischen Icterus und der Splenomegalie mit Banti- 
Komplex vorläufig ab, so konnten wir bei keiner der von uns 
untersuchten Bluterkrankungen weder in den Blutkörperchen noch 
im Serum charakteristische Veränderungen der Bindungsart des 
Cholesterins und des quantitativen Gehaltes an ungesättigten Fett- 
säuren im Sinne von Eppinger-King-Medak nachweisen. Es 
gilt dies nach unseren Untersuchungen ganz besonders von der 
perniziösen Anämie, die ja auch morphologisch zur Botriocephalus- 
anämie die weitgehendsten Ähnlichkeiten bietet, und bei der im 
Hinblick auf die Anschauungen von Tallquist und Faust am 
ehesten mit einem gesteigerten Auftreten von ungesättigten Fett- 
säuren in der Zirkulation und einer Vermehrung der Cholesterin- 
ester zu rechnen gewesen wäre. — 

Unsere Feststellung eines beträchtlichen Gehaltes an jod- 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 299 


bindenden Substanzen in den Erythrocyten des hämolytischen 
Icterus und der Splenomegalie mit Arämie stellt uns vor die Frage, 
inwieweit nicht wenigstens bei diesen Bluterkrankungen eine 
engere Beziehung zwischen Jodzahl und Krankheitsprozeß besteht. 

Eine experimentelle Beantwortung dieser Frage läßt sich 
unserer Ansicht nach mittels der therapeutischen Milzexstirpation 
bei diesen Fällen führen. Sofern nämlich ein enger Zusammen- 
hang zwischen Blutuntergang und Jodzahl des Blutes besteht, 
wird mit dem Einsetzen der manifesten klinischen Besserungen, 
wie sie im Gefolge der Splenektomie bei hämolytischen Anämien 
bekanntlich auftreten, ein deutliches Absinken der Jodzahl im 
Blute zu erwarten sein. Tritt eine wesentliche Besserung des 
Blutbildes ein, ohne daß wesentliche Veränderungen im Gehalt 
des Blutes an ungesättigten Fettsäuren vor sich gehen, so darf 
hieraus der Schluß gezogen werden, daß auch in diesen Fällen 
die hohe Jodzahl in den Erythrocyten nur ein akzidentelles Sym- 
ptom darstellt, das in keinem Parallelismus zu der Intensität des 
toxischen Blutzerfalls steht. 

Wir berichten zunächst über den Einfluß der Milzexstirpation 
auf die Blutkörperchen bei dem Falle von hämolytischem Icterus 
Minkowski-Chauffard. 


Tabelle V. 
1000 g Erythrocyten beim hämolytischen Icterus enthalten: 


= : 22 — чә 

2E 2 | 2 „ p3 38 38 

БУХ „„ „„ 55] 3 |= 

5 . 3325 S 35 BS 88 8 

S ое |mo | 8 = 38 зә 
© S 2 A | = Me S | ò 

be Q © Fa er Ba 


Vor der Splenek- 7,722 | 0,8020 0, 7877 Spuren | 2 720 000 | 4,1935 | 54,320 
tomie 

16 Tage nach der | 7,608 0, 7405 | 0,6746 | 0,0659 | 5 220 000 | 2,8758 | 37,785 
Splenektomie 

26 Tage nach der | 9,942 1, 1880 | 1,1523 | Spuren | 5 644 000 | 5,5724 | 56,062 
Splenektomie 


Wir sehen nach der Splenektomie zunächst in der Tat ein Absinken 
der Jodzahl im Blutkörperchenfett, 26 Tage post operationem sind aber 
bereits wieder ähnliche Jodzahlen wie vor der Operation erreicht, obwohl 
die manifeste klinische Besserung anhält, die Zahl der roten Blutkörperchen 
von 2 720 000 auf 5 644 000 angestiegen ist und die osmotische Resistenz 
sich erheblich gebessert hat. Es bestehen somit keinerlei gesetzmäßige 
Beziehungen zwischen Blutbefund und dem Gehalt der Erythrocyten an 


230 F. Rosenthal und P. Holzer: 


ungesättigten Fettsäuren, und die gleiche Unabhängigkeit des allgemeinen 
Blutstatus von der Menge der ungesättigten Fettsäuren tritt auch beim 
Serum dieses Falles deutlich in die Erscheinung. 


Tabelle VI. 
1000 g Serum beim hämolytischen Icterus enthalten: 


д ` L I u u B 
eel ak E |E =з& Se EE 
a| EL os | Sp ad 8 © | aa Ё 
8 2 = 8 њо 83838328 
2 5 5 £2 D Ф© E bo 4 to 
S Os | шо | 8 8.8 3 8 
S S 33 38 |38 
© © S EE 22 Fa e 


Vor See Splenek- || 3,757 | 0,5686 | 0,2680 | 0,2041 | 1:1,6 1,8091 | 48,122 

16 me nach der 4,508 | 0,9025 | 0,2550 0,6475 1:2,5 | 2,7891 | 61,984 
Spl enektomie | 

26 Tage nach der | 5,864 | 1,6575 | 0,4625 1,195 | 1:2,6 24782 42,291 
Splenektomie 


Hier sehen wir trotz der klinischen eklatanten Besserung 16 Tage 
nach der Splenektomie sogar einen Anstieg der Jodzahl im Serum; sie fällt 
zwar 26 Tage nach der Operation ab, hilt sich aber trotz der fortechreiten- 
den Genesung auf der Höhe der Werte vor der Splenektomie, obwohl die 
ursprüngliche Anämie nach der Milzexstirpation einer deutlichen Hyper- 
globulie gewichen ist. Es wird somit nach der Splenektomie beim hämo- 
lytischen Ikterus trotz erstaunlicher Besserung des Allgemeinbefindens, 
trotz Schwindens der Anämie und des Ikterus der Gehalt des Blutes an 
ungesättigten Fettsäuren nicht ostentativ im Sinne eines kritischen Ab- 
falles beeinflußt. 

Ein hiermit prinzipiell übereinstimmendes Ergebnis erhielten wir bei 
dem vor und nach der Milzexstirpation untersuchten Fall von Splenomegalie 
mit Fibroadenie. | 

Tabelle VII. 
1000 g Erythrocyten enthalten: 


Gesamt- Gesamt- Jodzahl für 
extrakt cholesterin 1000 g E 
vor derSplenektomie . . . . | 11,741 | 1,5494 | 6,0038 
16 Tage nach der Splenektomie 8,155 1,4329 6,9841 
1000 g Serum enthalten: 
Gesamt- Gesamt- | Jodzahl für 
extrakt cholesterin | 1000 g Serum 
Vor der Splenektomie . . . 5,162 | 0,577 | 5,2188 
16 Tage nach der Splenektomie 9,137 1,308 4,8753 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 231 


Wir können somit die von Eppinger und King im Tier- 
experiment erhobenen Befunde, daß nach Milzexstirpation die 
Menge der ungesättigten Fettsäuren im Blut auf ein Minimum 
reduziert wird, beim kranken Menschen nicht bestätigen. 

In beiden Fällen von Splenektomie steigt in Übereinstimmung 
mit den tierexperimentellen Befunden von King, Soper und 
den Ergebnissen von Medak der Gesamtfett- und Gesamtchole- 
steringehalt im Blute deutlich an. — 

Es bleibt noch die von Meyerstein, Lewin, Eppinger 
und Medak im Hinblick auf den therapeutischen Erfolg der 
Splenektomie aufgeworfene Frage zu diskutieren, ob nicht dem 
gesteigerten Blutuntergang eine krankhafte gesteigerte Bildung 
von ungesättigten Fettsäuren in der Milz zugrunde liegt, wobei 
theoretisch die Möglichkeit zuzugeben ist, daß es nicht immer 
zu einer Ausschwemmung dieser Substanzen in das periphere Blut 
zu kommen braucht. Auch diese Hypothese hält, wie die folgenden 
Milzanalysen beweisen, vor den Tatsachen nicht stand. 


Tabelle VIII. 
.1000 g Milz enthalten: 


Џ ka N 
ax 251.515, 93) =2 
Untersuchte Milzen ck 9 8 8 5 23 5 ы аы 
S SS S S 88 88 
© O10 е 2 


| 5,097 | 48,735 


1. Apoplexie...... — d 

ER д. Myodegen. cord. — 18,9854 49,667 
ЕЕЕ 3. Lipoidnephrose.. . — 20,836 | 44,462 
= °<| 4. Magencarcinom mit 

@ Ikterus........ 16,766 | 41,533 
5 | 1. Perniziöse Anämie 2,591 | 2,586 | — | 7,7301| 40,908 
8553| П. Perniziöse Anämie 1,954 1,949 — | 5,6144 46,397 
FE III. Himolytischer 

g 58 Ikterus...... 3,027 | 0,940 | 2,087 8,2360 35,473 
34 “| IV. Carcinomanänie . 3,255 | 3,250; — 111,4823| 57,646 


Der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren in der Milz bei schweren 
menschlichen Anämien ist nach unseren Befunden gegenüber normalen 
Milzen nicht nur nicht erhöht, sondern, bezogen auf gleiche Gewichte- 
mengen des Organs, sogar durchweg erheblich vermindert. Es dürfte sich 
hierbei, worauf auch die starke Herabsetzung des Gesamtfettes hinweist, 
um ein unspezifisches Inanitionssymptom handeln, wie es auch von Feigl 
bei der Ödemkrankheit beschrieben worden ist. Dem starken Fettschwund 


232 F. Rosenthal und P. Holzer: 


geht nicht eine entsprechende Verminderung des Cholesteringehaltes 
parallel. Wir finden hier ähnliche Verhältnisse vor, wie sie von Bürger 
und Beumer beim Knochenmark erhoben worden sind, das gleichfalls 
bei hochgradiger Fettverarmung des Körpers seine Cholesterinbestände als 
integrierenden Bestandteil nach Möglichkeit zu wahren sucht. 

Auf die in der Milz beim hämolytischen Ikterus in größeren Mengen 
vorhandenen Cholesterinester möchten wir kein großes Gewicht legen. 
Während sämtliche Milzen erst nach 16—20 Stunden post mortem ge- 
wonnen wurden, gelangte die Milz dieses Falles unmittelbar nach der Heraus- 
nahme ganz frisch zur Verarbeitung. Es besteht daher die Möglichkeit, 
daß eine Spaltung der ursprünglich vorhandenen Cholesterinester durch 
das von Röhmann entdeckte und von Schulz und Cytronberg näher 
studierte esterspaltende Ferment, die sog. Cholesterase, stattgefunden hat. 

Allgemein kann man auf Grund der oben geschilderten Er- 
gebnisse somit sagen, daß eine gesteigerte Bildung von ungesättig- 
ten Fettsäuren in der Milz bei anämischen Krankheitszuständen 
verschiedenartigster Ätiologie sich nicht nachweisen läßt. 

Wir kommen somit zu dem Gesamtergebnis, daß entgegen 
den Befunden von Eppinger- King -Medak und in Überein- 
stimmung mit den entgegengesetzten kurzen Angaben Feigls 
die chemische Struktur des Blutes bei schweren anämischen 
Krankheitsprozessen des Menschen hinsichtlich Jodzahl, hin- 
sichtlich Cholesterin und Cholesterinester keine charakte- 
ristischen Abweichungen gegenüber der Zusammensetzung des 
Blutes bei nichtanämischen Zuständen darbietet und daß ein 
ostentativer Einfluß der Splenektomie auf die Jodzahl im Blute 
beim Menschen vermißt wird. 

Es mag vielleicht nicht überflüssig sein, darauf hinzuweisen, 
daß eine Ablehnung der Befunde von Eppinger- King - Medak 
noch nicht ohne weiteres eine Ablehnung der pathogenetischen 
Bedeutung der ungesättigten Fettsäuren bei der Genese der 
schweren anämischen Krankheitszustände des Menschen in sich 
schließt. Es besteht die Möglichkeit, daß sich innerhalb des 
Komplexes der jodbindenden Substanzen im Blute nicht quanti- 
tative Veränderungen abspielen, wie sie Schminke und Flury 
auf Grund ihrer (von Beumer bezweifelten) experimentellen 
Beobachtungen am ölsäurevergifteten Hund postulieren, sondern 
daß der Entstehungsmechanismus der schweren Anämien mit 
qualitativen, spezifischen Abartungen der ungesättigten Fett- 
säuren zusammenhängt, die wir mit dem Kollektivbegriff der 
Jodzahl einzeln nicht erfassen. Es kommt dazu, daß diese Ver- 


Chemie des Blutes bei anämischen Krankheitszuständen. 233 


schiebungen sich nicht in der Zirkulation, sondern nur in den 
Organen und auch hier vielleicht nur in bestimmten Organen voll- 
ziehen können, und daß zur schweren Schädigung der Erythro- 
cyten vielleicht schon eine lockere, vorübergehende Bindung 
der hämolytischen Lipoidsubstanzen an die Blutkörperchen aus- 
reicht. Es ist schließlich zu berücksichtigen, daß mit der Eiweiß- 
und Cholesterinverarmung des Blutes, wie sie sich im Verlaufe 
schwerer Anämien einstellt, die Schutzkraft des Serums gegen die 
hämolytische Wirkung der ungesättigten Fettsäuren sinkt, und 
daß damit auch eine sekundäre Beteiligung jodbindender Fett- 
säuren am Zerstörungsprozeß der Blutkörperchen auch ohne 
quantitative und qualitative Verschiebung in den Bereich der 
Möglichkeit rückt. к | 


Ae 


Zusammenfassung. 


1. Entgegen den Befunden von Eppinger- King - Medak 
bietet die chemische Struktur des Blutes bei schweren anämischen 
Krankheitszuständen hinsichtlich Cholesterin, Cholesterinester 
and Jodzahl keine charakteristischen Abweichungen gegenüber 
der Zusammensetzung des Blutes bei nichtanämischen Zu- 
ständen. 

2. Nach der Splenektomie beim Menschen wird trotz wesent- 
licher Besserung des Blutbefundes der Gehalt der Blutkörperchen 
und des Serums an ungesättigten Fettsäuren nicht ostentativ 
im Sinne eines kritischen Abfalles beeinflußt. Die Jodzahl im 
Blute steht in keinem Parallelismus zu der Intensität des toxischen 
Blutzerfalles. { 

3. Nach der Splenektomie beim Menschen steigt ent- 
sprechend den Erfahrungen im Tierexperiment (Eppinger, 
Soper) der Gesamtfett- und Gesamtcholesteringehalt im Blute 
deutlich an. Diese Zunahme des Fett- und Cholesteringehaltes 
betrifft konstant das Serum, kann aber auch bei den Erythro- 
cyten in die Erscheinung treten. 

4. In der Milz bei schweren menschlichen Anämien sind 
jodbindende Fettsäuren nicht in vermehrter Menge vorhanden. 

5. Die roten Blutkörperchen bei perniziösen Anämien sind 
in Übereinstimmung mit Bürger und Beumer im Gegensatz 
zu den Befunden von Schminke und Flury bei der experimen- 
tellen Ölsäureanämie frei von Cholesterinestern. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 16 


934 F. Rosenthal und P. Holzer: Chemie des Blutes usw. 


6. Dem starken Fettschwunde in der Milz bei schweren 
Anämien geht nicht eine entsprechende Verminderung des 
Cholesteringehaltes parallel. 

7. Bei der Lipoidnephrose können die roten Blutkörperchen 
an dem charakteristischen infiltrativen Prozeß mit Cholesterin- 
estern teilnehmen. An der Cholesterinämie im Serum sind freies 
und gebundenes Cholesterin in normalem Verhältnis beteiligt. 


Literatur. 


Bang, diese Zeitschr. 91. — Becquerel und Rodier, zit. nach 
Bürger und Beumer. — Beumer, diese Zeitschr. 95, 237. 1919. — 
Berger und Tsuchiya, Dtsch. Archiv f. klin. Med. 96, 252. — Bürger 
und Beumer, Zeitschr. f. experim. Path. u. Tber. 13. 1913. — Eppinger, 
Berl. klin. Wochenschr. 1913, Nr. 33, S. 1509. — Feigl, diese Zeitschr. 
35. 1918. — Feigl, diese Zeitschr. 93, 257. 1919. — Fluryund Schminke, 
Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 64, 126. — Grafe und Böhmer, 
Dtsch. Archiv f. klin. Med. 93, Heft 1—2. — Grigaut, Le Cycle de la 
Cholestérinémie. Paris 1913. — Hirschfeld, zit. nach Klemperer, 
27. Dtsch. Kongr. f. inn. Med. 1910, S. 142. — Joannovics und Pick, 
Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 7. 1909. — Kawamura, Die 
Cholesterinesterverfettung. Fischer, Leipzig 1911. — King und Medak, 
diese Zeitschr. 59. 1914. — Korschun und Morgenroth, Berl. klin. 
Wochenschr. 1902, Nr. 37. — Lewin, Dtsch. med. Wochenschr. 1920. — 
Minkowski, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 21, 373. 1886. — 
Munk und Rosenstein, Archiv f. Phys. 1890, S. 376. — Peritz und 
Glikin, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 8, 255. 1910. — 
Rosenthal, Dtsch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 21. — Rosenthal, 
Dtsch. Archiv f. klin. Med., 132, Heft 3/4. 1920. — Rosenthal und 
Patrzek, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 34, S. 793. — Soper, Zieglers 
Beiträge z. allg. Path. u. pathol. Anat. 60, 232. 1915. — Tallquist und 
Faust, Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 57, Heft 5—6; Münch. 
med. Wochenschr. 1909, Nr. 1. 


a = „к==р © le —— 


Untersuchungen tiber den Gang der alkoholischen 
Garung der Hefe. 


Von 
Erich Köhler. 
(Aus dem botan. Laboratorium der Hochschule Weibenstephan ) 
(Vorläufige Mitteilung.) 


(Eingegangen am 27. Mas 1920.) 
Mit 6 Abbildungen im Text. 


Einleitung. 


In einer kürzlich erschienenen Abhandlung!) hat Verfasser 
über Versuche berichtet, die das Verhalten wachsender Hefe 
zum Gegenstand hatten. Es wurde u.a. gezeigt, daß die Pro- 
zesse des Wachstums und der Gärung nicht stetig verlaufen, 
sondern in Abhängigkeit von Konzentrationsveränderungen im 
Nährsubstrat weitgehenden Schwankungen unterliegen. Weiter 
wurde nachgewiesen, daß dem Äthylalkohol jedenfalls ein we- 
sentlicher Anteil am Auftreten und dem Verlauf der Schwan- 
kungen zugesprochen werden muß. Es wurde in jener Abhand- 
lung die Frage offengelassen, ob die bei der Gärung wachsender 
Hefe nachgewiesenen Schwankungen der CO,-Produktion ledig- 
lich eine Folge seien der Schwankungen des Wachstums, m. a. W., 
ob die CO,-Produktion mit dem Wachstum durchaus parallel 
gehe, oder ob die Gärung an und für sich schon unregelmäßig 
verlaufe. Die im folgenden mitgeteilten Versuche an nicht 
wachsender Hefe bringen die Antwort auf diese Frage. 


Zur Literatur. 


Buchner und Hahn?) beschreiben einen Gärungsver- 
such mit nicht wachsender Hefe und äußern sich über die 


1) Erich Köhler, Diese Zeitschr. 106, 194. 1920. 
2) Eduard Buchner, Hans Buchner u. Martin Hahn, Die 
Zymasegärung. München u. Berlin 1903, S. 152. 


16* 


236 E. Köhler: 


dabei in Erscheinung getretenen Unregelmäßigkeiten der CO,- 
Produktion bei verschiedener Zuckerkonzentration: „Die nach 
4 und nach 81/, Stunden erhaltenen Kohlendioxydzahlen 
schwanken ziemlich und lassen eine Gesetzmäßigkeit nicht er- 
kennen, da die Unterschiede wahrscheinlich innerhalb der Fehler- 
grenzen liegen. Es wurden deshalb noch genauere Versuche mit 
je 2 Parallelversuchen angestellt.“ In diesen ‚genaueren‘ Ver- 
suchen — eine besondere Methode wird nicht angegeben — sind 
nun merkwürdigerweise die Schwankungen verschwunden: ein 


— 22 — — — 


Abb. 1. 


mir ganz unerklärliches Ergebnis. Auch Rubner!) beschreibt 
einen Versuch, bei welchem dieselbe Hefemenge in Zucker- 
lösungen von verschiedener Konzentration ausgesät wurde. 
Er stellt in einer Tabelle die Mittelwerte einer „sehr großen An- 
zahl“ von Versuchen zusammen. Zum Verständnis des Folgen- 
den müssen wir darauf näher eingehen. Um gleich anschaulich 
zu machen, auf was es ankommt, übertrage ich die bei den Kon- 
zentrationen von 5,25, 2,6 und 1, 25% Zucker in den letzten Stunden 


1) Max Rubner, Die Ernährungsphysiologie der Hefezelle bei alko- 
holischer Gärung. Leipzig 1913, S. 105 u. ff. 


Gang der alkoholischen Gurung. | 237 


erhaltenen Werte der Rubnerschen Tabelle in ein Koordinaten- 
system. (Abb. 1.) Man ersieht daraus sofort, daß die Gärungs- 
energie großen Schwankungen unterworfen ist, daß sich in diesen 
Schwankungen Gesetzmäßigkeiten ausdrücken müssen, die uns 
bis jetzt unbekannt geblieben sind. Rubner geht den Schwan- 
kungen nicht weiter nach. Er findet enorme Unterschiede der 
Zerlegungskraft bei den verschiedenen Zuckerkonzentrationen 
und äußert sich hinsichtlich der Geschwindigkeit der Zerlegung, 
daß sich aus (den gefundenen) Zeiten offenbar bestimmte An- 
gaben über Gesetzmäßigkeiten des Verlaufs überhaupt nicht 
ableiten lassen. Daß letzteres doch . möglich ist, werden die fol- 
genden Versuche zeigen. 


Methodik. 


Der zeitliche Verlauf der Gärung ist, 80 eigentümlich das 
klingt, noch nicht einmal in seinen groBen Ziigen untersucht. 
Das liegt wohl mit an der Unvollkommenheit der Methoden. 
Es galt im folgenden, die bei der Gärung auftretenden, gering- 
sten Schwankungen zu erfassen. Dazu waren die bisher allein 
gebräuchlichen Methoden der Wägung, der CO,- Volumen-Messung 
und der calorimetrischen Methode (Rubner) nicht hinreichend. 
Denn durch diese Methoden wurden die Summen derjenigen 
Werte gewonnen, auf die es uns im einzelnen ankam. Zur Ver- 
folgung des zeitlichen Verlaufs wurde die aus dem Kulturgefäß 
entweichende Kohlensäure durch eine Flüssigkeit geleitet und 
die dabei auftretenden Gasblasen gezählt. Geringe Schwankungen 
in der Intensität der Gärung machen sich durch die Zahl der in 
der Zeiteinheit passierenden Gasblasen bemerkbar. Als geeignete 
Gefäße erwiesen sich 100-ccm-Pasteur-Kolben, deren Lüftungs- 
rohr nach unten umgebogen und in die Flüssigkeit — als beson- 
ders günstig erwies sich mit Berücksichtigung der Oberflächen- 
spannung der Alkohol — getaucht wurde. 


Versuch. 


Je 100 ccm einer 5, 10, 15 und 20 proz. wässerigen Dextrose- 
lösung wurde die gleiche Menge (Weihenstephaner Betriebs-) 
Hefe zugesetzt und diese Aufschlämmungen in 4 Pasteurkolben 
eingefüllt. Die Temperatur betrug 13°. Die Messungen, bei 
Kolben I beginnend, wurden alle 10 Minuten vorgenommen, 


238 | | E. Köhler: 


indem die Zahl der in 1 Minute auftretenden Blasen gezählt 
wurde. Die folgende Tabelle gibt die dabei gefundenen Werte 
(siehe Tabelle I). Über den weiteren Verlauf gibt Abb. 2 Auf- 
schluß. 

Tabelle І. 


Zahl der in 1 Minute gezählten Gasblasen. 


Zeit Oo | pT | Rete ЫЕ А I Kolben II | Kolben IH Kolben IV 
Oo | pT | Rete ЫЕ А 10% 15% ШЕ. 20% Dextrose 
8d 30’ 13 6 3 ЕЕ 0 
gb 40’ 17 11 8 0 
85 50’ 22 14 9 | 0 
95 00’ 22 18 13 3 
95 10’ 22 21 17 7 
9һ 20 18 21 | 20 9 
95 30’ 13 29 | 23 9 
ob 40’ 10 29 | 23 11 
9% 50’ 10 23 26 13 
102 00’ 9 23 | 26 14 
105 10’ 9 20 | 28 15 
102 20’ 9 17 30 17 
10» 30’ 10 17 30 17 
10% 40’ 11 17 31 19 
105 50’ 11 16 33 19 
1100’ 10 16 35 20 
118 10’ 12 16 | 31 22 
112 20’ 13 17 | 29 26 
11530’ 13 17 27 27 
11h 40’ 12 19 | 33 27 
115 50° 14 18 31 28 
1200’ 15 19 | 34 30 
12» 10’ 16 20 | 35 31 
125 20 16 21 33 32 
12h 30’ | 18 21 34 35 
12h 40’ 19 20 34 32 
12150 | 18 22 34 36 


Wir wollen zuerst den Kurvenverlauf im groBen ansehen 
und die kleinen Schwankungen vorerst auBer acht lassen. Die 
Gärungsintensität weist zu Beginn eine gleichmäßige Beschleuni- 
gung auf, wie aus der Geradlinigkeit der Kurvenanfänge hervor- 
geht. Dabei ist es interessant, daß letztere bei I bis III parallel 
gehen, daß also diese Beschleunigung denselben Wert hat, wo- 
gegen bei IV dieser Wert geringer ist. I bis IV unterscheiden sich 
aber sämtlich dadurch voneinander, daß die gleiche Intensität 
der Gärung in Abhängigkeit von der Zuckerkonzentration 
nicht gleichzeitig erreicht wird. Der Einsatz der Gärung 
ist verschieden. Dabei wirkt die stärkere Zuckerkonzentration 


Gang der alkoholischen Gärung. 239 


verzögernd. Kurve IV steigt nicht so steil an wie die an- 
deren. Die durchschnittliche Beschleunigung ist geringer. Dieser 
langsame Verlauf hat auch zur Folge, daß die kleinen Schwan- 
kungen, die sich bei I—III kaum in Andeutungen zeigen, hier 
deutlicher ins Auge fallen und das Bild der Gleichmäßigkeit stören, 
die hier offenbar ebenso vorhanden ist, wie bei den andern Kurven. 


AMohlensäure -blasen 


d 
HCE 
oo 


Bei I und II halt sich nach Erreichung einer bestimmten 
Höhe die Gärungsintensität annähernd auf dieser Höhe, um 
nach einer gewissen Zeit wieder stark nachzulassen. Nach Er- 
reichung eines Minimums folgt ein erneuter Anstieg, nicht mit 
derselben Geschwindigkeit wie der erste, so daB die ,,kleinen 
Schwankungen‘ deutlich hervortreten. Dieser erneute Anstieg 
führt auf eine den ersten übertreffende Höhe. Der nun folgende 
Abstieg wurde nicht mehr im einzelnen verfolgt. Unter Zuhilfe- 
nahme der oben nach den Ergebnissen Rubners konstruierten 
Kurven (Abb. 1) läßt sich ein unregelmäßiger Verlauf erkennen. 


240 E. Kohler: 


Bei den Kurven III und IV (Abb. 2) läßt sich, soweit das Beob- 
achtungsmaterial vorliegt, ein Absinken nach dem ersten An- 
stieg nicht deutlich erkennen. Es sieht so aus, als ob das Mini- 
mum des Abstiegs mit zunehmender Zuckerkonzentration immer 
höher rücke, um schließlich ganz zu verschwinden. 

Alles in allem zeigt der beschriebene Versuch zur Genüge, 
daß die Gärung unregelmäßig verläuft und von der 


=| | LA || 
N 
а AA аа 

ЗД rt — 


Konzentration des Zuckers abhängig ist. Es ist ohne 
weiteres klar, daß alle Versuche, die angestellt worden 
sind, um die Wirkung von irgendwelchen Stoffen auf 
die Kynetik der Gärung zu erforschen, einer Revision 
unterzogen werden müssen. Es geht nicht an, wie es 
häufig geschehen ist, daß man denGärungsversuchineinem 
beliebigen Zeitpunkt abbricht und dann feststellt, wie- 
vielZucker zerlegt wurde. Man erhält auf diese Weise keine 
brauchbaren Vergleichswerte, wie ein Blick auf unsere Abbildung 
lehrt. Die in der ersten Stunde entfaltete Intensität gibt keinen 


Gang der alkoholischen Gärung. 241 


MaBstab ab fiir den weiteren Verlauf. Leider enthalten die oben mit- 
geteilten Kurven groBe Lücken, da einem einzelnen Beobachter 
eine Verfolgung des Prozesses durch längere Zeiträume unmög- 
lich ist. Dem ließe sich durch automatische Registrierung leicht 
abhelfen. Es sind Versuche im Gang, die darauf abzielen, ein 
Diagramm unmittelbar auf eine sich 
drehende berußte Walze zu über- 
tragen, wodurch sich eine ununter- 
brochene Beobachtung ermöglichen 
ließe. 


Der Einfluß des Alkohols. 


Wir haben bisher die kleinen 
Schwingungen unberücksichtigt ge- 
lassen, obgleich sie ebenso sicher 
vorhanden sind, wie die großen. 
Das geht schon aus der Gestaltung 
hervor, in der sie sich auf der Kurve 
abzeichnen. Man vergleiche ihre 
Form bei steilem, geneigtem und 
horizontalem allgemeinem Kurven- 
verlauf. Es läßt sich vermuten, daß 
sie eine Folge sind von Konzen- 
trationsänderungen im Substrat und 
es liegt der Gedanke nahe, sie mit 
der Alkoholproduktion in Verbin- 
dung zu bringen. Es hat sich ja in 
der angegebenen Arbeit!) heraus- 
gestellt, daß durch ganz geringe 
Unterschiede im Alkoholgehalt des 
Kulturmediums ungeahnte Unterschiede im Wachstum hervor- 
gerufen werden können. Die Vermutung, daß der Alkohol auch 
die Gärung nicht wachsender Hefe weitgehend beeinflusse, hat sich 
als zutreffend erwiesen, Wie die folgenden Versuche zeigen werden. 

In 14 Erlenmeyerkolben (100 ccm) wurden je 45 ccm einer 
10 proz. Lösung (ungereinigter) Saccharose eingefüllt. Dazu 
wurden um 0,1 cem steigende Mengen von 1—2,3 ccm Alkohol 
(94 vol.-proz.) zugegeben. Jeder einzelne Kolben wurde sofort 

1) Köhler, Le. 


242 E. Kohler: 


nach Einfüllen von 25 cem einer Hefeaufschlimmung gewogen 
mit einer Wage, die zuverlässig Unterschiede von 0,01 g anzeigte. 
Genau nach Verlauf von drei Stunden wurde die Wagung wieder- 
holt. Die Gewichtsabnahmen (CO, Verlust) sind auf Abb. 3 in 
die Ordinaten, die Alkoholmengen in die Abszissen eingetragen. 
Nach drei Stunden (Kurve I) befinden sich Optima der Gärung 
bei 1, 1,9 und 2,3 ccm Alkohol; Minima bei 1,6 und 2,1 ccm. — 
Mit zunehmender Gärgeschwindigkeit rücken die Optima und 
Minima näher zusammen, wie aus Kurve II zu ersehen ist. Auf 
Kurve II ist die von der 6. bis zur 7. Stunde (seit Beginn 
des Versuchs) während der Hauptgärung erfolgte Gewichts- 
abnahme festgestellt. Hier beträgt die Gärungsintensität mehr 
als das Dreifache des Anfangs. Dabei treten die Optima und 


NYNA DUNST I TAI 


las Ce TOY ENE IW 
EE EE EE 
004 


07—17 1% 15 19 {5 16 17 18 19 20 17 11 28 
com Alkohol (24 Vol %) 


Abb. 8. 


Minima nicht mehr überall mit gleichmäßiger Deutlichkeit hervor. 
Diese Erscheinung hat ihren Grund offenbar darin, daß mit 
steigender Alkoholkonzentration ebenfalls Optima und Minima 
näher zusammenrücken, wieein Vergleich der beiden Kurven ergibt. 

Da durch die bei der Gärung erfolgende Alkoholproduktion 
die Alkoholkonzentration dauernd zunimmt, müssen in jeder 
Kultur nacheinander die Zeitmomente eintreten, wo sie vorüber- 
gehend die gleichen Konzentrationen passiert, die die Kulturen 
mit höherer Anfangskonzentration aufgewiesen haben, und dem- 
nach müssen auch in jeder Kultur die gleichen Höhen- und 
Tiefenpunkte der Gärungsintensität aufeinander folgen. Bei dem 
folgenden Versuch wird die Richtigkeit dieser Überlegung dar- 
getan. Voraussetzung für das Gelingen des Versuchs ist, daß 
man eine Zeitspanne zur Beobachtung auswählt, während welcher 
die Gärungsgeschwindigkeit sich annähernd gleichbleibt. Außer- 
dem darf die Gärung nicht zu stürmisch verlaufen, weil sonst 


Gang der alkoholischen Gärung. 243 


die Optima und Minima zu rasch aufeinanderfolgen und das 
Bild verzerren. — | 

In Abb. 4 sind die in einem Intervall von je einer Stunde 
durch Wägung gewonnenen Werte der CO,-Produktion als Kurven 
eingetragen. Die einander entsprechenden Höhen- und Tiefen- 
punkte sind mit gleichen Buchstaben bezeichnet. Man erkennt 
deutlich die mit derZeit vor sich gehende Verschiebung 
der ganzen Kurve nach links. (Die Unregelmäßigkeiten 
sind auf die schwer- 
lich zu vermeiden- 
den Fehlerquellen zu- 
rückzuführen.) Nach 
jeder Stunde ist 
die Kurve weiter 
nach links ver- 
legt. Dies ist eine 
direkte Folge der 
durch die Gärung 
erfolgenden Zu- 
nahme der Alko- 
holkonzentration. 
Jeder bestimm- 
ten Alkoholkon- 
zentration ent- 
spricht eine be- 
stimmte Gärungs- 
intensität. Im 
Verlauf der Gä- 
rung wechseln Hemmung und Förderung dauernd 
miteinander ab. | 

Wie fir den WachstumsprozeB ist nun also auch 
für den Gärungsprozeß der Nachweis erbracht, daß er 
unter dem Einfluß zunehmender Alkoholkonzen- 
tration rhythmisch verläuft. Diese Erscheinung ist von 
bedeutendem theoretischem Interesse, da sie sich für das Problem 
der Stoffaufnahme in die Zelle höchstwahrscheinlich in frucht- 
barer Weise wird verwerten lassen. Weiteres muß der Haupt- 
arbeit vorbehalten bleiben. 


Abb. 4. 


Uber die Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 


Von 


E. Salkowski. 


(Aus der chemischen Abteilung des pathologischen Instituts der Universitat 
Berlin.) 


(Eingegangen am 31. Mai 1920.) 


In einer kürzlich erschienenen Arbeit!) habe ich ausge- 
führt, daß eine Anzahl von Chlorderivaten des Methans, Äthans, 
Äthylens imstande ist, Schlachttierblut ohne es, abgesehen vom 
Lackfarbenwerden, merklich zu verändern, für längere oder 
kürzere Zeit in frischem Zustand zu erhalten, daß sie ferner 
bei der Herstellung von Trockenblut in Pulverform — haupt- 
sächlich auf diese ging ich bei meinen Versuchen aus — restlos 
aus dem Blut verschwinden. Die genannten Chlorderivate haben 
aber den großen Nachteil, daß sie äußerst schwer löslich sind 
und infolgedessen zur Konservierung anhaltendes und kräftiges 
Schütteln des Blutes mit denselben erforderlich ist. Für die 
praktische Anwendung ist das ein sehr großer Ubelstand. Glas- 
flaschen kommen dabei wohl kaum in Frage, verschlieBbare 
Blechgefäße bieten aber zu wenig Garantie für vollständige 
Reinigung (um so weniger, als sich doch Gerinnsel bilden können), 
die schon bei den üblichen Milchkannen schwierig, aber immerhin 
möglich ist, außerdem durch Aufstülpen auf einen AuslaB, aus 
dem Dampf ausströmt, vervollständigt zu werden pflegt. Nach 
dem, was ich davon gesehen habe, dauert diese Prozedur nur 
so kurze Zeit, daß man über ihre Wirksamkeit wohl in Zweifel 
sein könnte, wenn diese Zweifel nicht durch die tatsächliche Er- 
fahrung widerlegt würden. 

Was die Blutkonservierung betrifft, so ist es, abgesehen 
von der erwähnten technischen Schwierigkeit, sehr zweifelhaft, 
ob das Schütteln ohne einen Schüttelapparat, der bei der Auf- 

1) Diese Zeitschr. 107, 191, 1920. 


E. Salkowski: Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 945 


sammlung kleiner Blutmengen — nur diese kommen hier in Be- 
tracht, da das Blut aus Schlachthäusern natürlich frisch verarbeitet 
wird — wohl ganz ausgeschlossen erscheint, in ausreichendem Maße 
geschehen könnte bzw. würde. Es handelte sich also darum, 
eine Substanz zu finden, die folgende Eigenschaften in sich ver- 
einigt: 1. sie mußte mit Wasser mischbar, also unbegrenzt lös- 
lich sein; 2. in verhältnismäßig geringer Quantität hinreichend 
konservierend wirken; 3. das Blut nach keiner Richtung hin 
verändern; 4. bei der Herstellung des Blutpulvers vollständig 
entweichen; 5. keinen zu hohen Preis haben. Nach einigem 
Suchen habe ich eine solche Substanz in dem Allylal- 
kohol gefunden, einem ungesättigten Alkohol von der Formel 
CH,—CH = CH, O vom Siedepunkt 96,6° und 0,8573 D (bei 15°). 
Seine antiseptischen Eigenschaften sind allerdings nur mäßig, wie 
folgende Versuche zeigen: 


1. 100 ccm einer faulenden Fleischmaceration wurden am 23. VI. 
mit 0,5 cem Allylalkohol versetzt, nach 2 Stunden auf Nährgelatine 
tibergeimpft. Schon am 25. VI. war die Nährgelatine verflüssigt und 
augenscheinlich faulig. Als Desinfektionsmittel ist also Allylalkohol un- 
brauchbar. 

2. 20ccm Nährgelatine und 180 ccm Wasser wurden in zwei gleiche 
Teile geteilt: a und b. Die eine Hälfte wurde mit 0,5ccm Allylalkohol 
versetzt, beide Mischungen in offenen Gefäßen leicht bedeckt, der spon- 
tanen Infektion ausgesetzt. Schon nach 2 Tagen war a trüb und faulig, 
bei b dauerte es 3 Tage länger, jedenfalls aber war von einer dauernden 
Konservierung bei dieser Konzentration nicht die Rede. 

Für die Konservierung von Blut ergab sich folgendes: 100 ccm Rinder- 
blut, am 6. IX. mit 1 ccm = 0,8575 g Allylalkohol versetzt, in einer ver- 
korkten Flasche aufbewahrt, war am 15. IX. noch ganz frisch und unver- 
ändert. An Proben, die mit 0,7 und 8ccm versetzt waren, war noch nach 
5 Wochen keine Veränderung zu konstatieren. Dagegen reichte ein Zusatz 
von 0,5 cem auf 100 ccm Blut nur 5—6 Tage aus. Für die Praxis könnte 
ein Zusatz von 5—6ccm auf 11 Blut als ausreichend betrachtet werden, 
da es sich kaum um mehr als 5—6 Tage zwischen dem Auffangen des Blutes 
und der Verarbeitung handeln dürfte; der Anwendung einer etwas größeren 
Quantität stände zudem nichts im Wege. 


Veränderungen des Blutes traten in der kurzen Zeit der 
Aufbewahrung, an der ich Interesse hatte, nicht ein, Ausschei- 
dungen wie beim Chloroform wurden nicht beobachtet. Das Blut 
wurde lackfarben, allmählich bräunlich bis schwärzlich, der Oxy- 
hämoglobinstreifen war unverändert, daneben im Hämatinstreifen 
ein Rot sichtbar, jedoch auffallenderweise nicht immer deutlich. 


246 E. Salkowski: 


Der Allylalkohol ist nun keine ganz harmlose Substanz. 
Nach Miessner!) erkranken die mit der Darstellung des Allyl- 
alkohols beschäftigten Arbeiter und Chemiker nicht selten unter 
influenzaartigen Erscheinungen, selbst vorübergehende Akkom- 
modationslähmung ist beobachtet worden. Durch angemessene Vor- 
beugungsmaßregeln dürfte sich indessen dieser Übelstand wohl 
beseitigen lassen, so daß hieraus der Anwendung des Allylalkohols 
keine Schwierigkeit. erwachsen würde, dagegen muß unter diesen 
Umständen die Forderung erhoben werden, daß Blut pulver, 
welches aus mit Allylalkohol konserviertem Blut dargestellt ist, 
ganz oder bis auf bedeutungslose Spuren frei sein muß von 
Allylalkohol. 

Es handelte sich also darum, ein Verfahren zu finden, das 
den Nachweis minimalster Mengen von Allylalkohol ermöglicht. 
Zu dem Zweck erschien es mir am nächstliegenden, den Allyl- 
alkohol zu Akrolein?) zu oxydieren, für dessen Nachweis wir scharfe 
Reaktionen besitzen. Allerdings schließt das Oxydationsverfahren 
die Gefahr in sich, daß die Oxydation zu weit geht bis zur Akryl- 
säure oder noch darüber hinaus. Wie diese Gefahr zu vermeiden 
ist, mußte durch Versuche festgestellt werden, jedenfalls war es 
von vornherein klar, daß das Oxydationsmittel nur ein milde 
wirkendes sein dürfe. 

Eine Vorfrage ist dabei, welche Reaktion man zum Nach- 
weis des Akrolein anwenden soll. Als Aldehyd gibt dasselbe 
die allgemeinen Aldehydreaktionen namentlich die Reaktion 
mit fuchsinschwefliger Säure [Grosse - Bohlesche Lösung)] 
und die Reaktion mit ammoniakalischer Silberlösung. Eine sehr 
empfindliche und — abgesehen vom Acetaldehyd -- auch spezifische 
Reaktion hat L. Lewin?) aufgefunden. Lewin sagt darüber: 

„Mischt man auf einem Tiegeldeckel einen Tropfen Piperidin 
mit einem Tropfen Nitroprussidnatriumlösung und setzt auch nur 
eine Spur Akrolein oder einer Akroleinlösung hinzu, so entsteht je 
nach der Menge des Akroleins eine an Intensität verschiedene 
1) Miessner, Berl. klin. Wochenschr. 1918, S. 819, zitiert nach 
5. Fränkel, Arzneimittelsynthese, 4. Aufl., 8. 110 (1919). Vgl. auch 
Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen, 1. Aufl. S. 583 (1898), sowie 
L. Lewin, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 43, 366. 1900. 

2) Beim Ansäuern mit Salzsäure blau werdend, also nicht wie Acet- 


aldehyd, sondera wie Formaldehyd. 
3) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 43, 363. 1900. 


— 


K onservierung von Blut mit Allylalkohol. 247 


Blaufärbung von der Nuance des schönsten Enzianblaus, die 
durch Zusatz von Eisessig in Blaugrün, durch Ammoniak in Vio- 
lett übergeht.“ 

Eine etwas andere Form der Versuchsanstellung beschreibt Lewin 
in den Ber. d. Dtsch. Chem. Gesellsch. 42, 3388. (1900.) Hier heißt es: 
„Mischt man Piperidin mit einer Lösung von Nitroprussidnatrium, so ent- 
steht auf Zusatz von Akrolein in Substanz oder in Lösung eine enzian- 
blaue Färbung. In einer Verdünnung des Akrolein von 1: 100 ist die 
Färbung noch intensiv, von 1 : 1000 rein blau, 1 : 2000 deutlich erkenn- 
bar, 1: 2500 anfangs grünlich, dann allmählich grünlichblau und bei 
1: 3000 ist die Reaktionsgrenze erreicht, die Farbe ist hierbei nur grünlich.“ 

Es ist noch zu erwähnen, daß nach Lewin auch Acetaldehyd die Reak- 
tion gibt, und zwar auch in größerer Verdünnung, schwächer Paraldehyd 
und sehr viel schwächer Propionaldehyd; Formaldehyd nicht. 


Was die Art der Versuchsanstellung betrifft, so ziehe ich 
ein anderes Verfahren vor, indem ich nicht die zu prüfende Flüssig- 
keit in ein Gemisch von Nitroprussidnatrium und Piperidin ein- 
tropfe, sondern umgekehrt die zu prüfende Flüssigkeit mit Nitro- 
prussidnatrium versetze und dann Piperidin eintropfe. Ich ziehe 
dieses Verfahren vor, weil bei demselben augenscheinlich eine 
größere Quantität des Akroleins in Wirkung tritt. Zu meinen 
Versuchen benutzte ich anfangs wässerige Akroleinlösung, die 
durch Eintropfen von käuflicher alkoholischer 33 proz. Akrolein- 
lösung in das 100fache Wasser und Abfiltrieren von dem unlöslich 
Ausgeschiedenen erhalten war, später Oxydationsdestillate des 
Allylalkohols. 

Ich kann nun noch eine neue Reaktion hinzufügen, die ganz 
spezifisch zu sein scheint. Dieselbe schließt sich aufs engste an 
die früher von mir beschriebene Art der Reaktionsanstellung 
auf Formaldehyd mit Witte-Pepton, Ferrichlorid und Salz- 
säure an. Während beim Formaldehyd in etwa 50 000facher 
Verdünnung nur anfangs violette, dann tiefblaue Färbung ent- 
‚steht, die sich monatelang ohne jede Veränderung hält, gibt 
Akroleinlösung eine grasgrüne Färbung, die aber nicht beständig 
ist. Die eben erwähnte Akroleinlösung zeigte, 10fach verdünnt, 
die Reaktion noch deutlich. 

Ich gehe nun zur Mitteilung der Versuche über den Nachweis 
des Allylalkohols durch Oxydation über. 

Als Oxydationsmittel diente anfangs Salpetersäure und 
zum Nachweis des gebildeten Akroleins ammoniakalisch-alka- 


248 E. Salkowski: 


lische Silberlösung (40 ccm 3 proz. Lösung von Silbernitrat, 
10 cem 12,5 proz. Ammoniak, 10 cem Natronlauge 15—-16 proz.). 
Lösungen von Allylalkohol 1 proz. (Volumenprozent) verhalten 
sich dabei folgendermaßen. Nach Zusatz von etwa !/,, Volumen 
Salpetersäure von 1,5 D!) wurde zum Sieden erhitzt, gut abge- 
kühlt, mit starker Natronlauge alkalisiert, wieder abgekühlt und 
ungefähr das gleiche Volumen der angegebenen alkalischen Silber- 
lösung hinzugesetzt; es tritt fast momentan Schwärzung ein, beim 
Stehenlassen auch Silberspiegel. Bei Allylalkohollösungen von 0,1% 
tritt die Schwärzung allmählich ein. Erhitzen behufs Beförderung 
der Reaktion ist unzulässig, denn die angegebene Silberlösung 
gibt beim Erhitzen zum Sieden an sich einen Silberspiegel, zu- 
nächst an der direkt von der Flamme getroffenen Stelle, all- 
mihlich aber breitet sich der Spiegel über die ganze oder fast 
die ganze benetzte Fläche aus. Die Silberlösung ist auch bei 
Aufbewahrung in einer gelben Flasche nicht haltbar: es bildet 
sich allmählich ein Silberspiegel*). Das Verfahren der Oxydation 
mit Salpetersäure hat den Vorteil, daß man die Destillation 
zur Isolierung des Akroleins erspart, andererseits den Nachteil, 
daß man auf die Silberreaktion allein beschränkt ist: weitere 
Reaktionen sind in der mit Salpetersäure oxydierten Lösung 
nicht mit Sicherheit anzustellen. 

Später wurde allgemein die Oxydation mit einer dünnen 
Lösung von Kaliumchromat und Schwefelsäure in bestimmten 
Konzentrationsverhältnissen angewendet. Über die Brauchbar- 
keit dieses Verfahrens wurden folgende Versuche angestellt. 

1. 100 ccm Wasser, 1 cem 1 proz. Allylalkohollösung (dem Gewicht 
nach 0,857 proz.), 10ccm 5 proz. Dikaliumchromatlösung, 10 ccm ver- 


dünnte Schwefelsäure (20 proz.) werden destilliert. Die ersten Anteile 
zeigen stechenden Geruch. Es werden im ganzen 50 ccm abdestilliert. 


1) So starke Salpetersäure habe ich angewendet, damit die Akrolein- 
lösung durch den Zusatz möglichst wenig verdünnt wird. 

2) Die Ursache dieser langsam beim Aufbewahren, schnell beim 
Erhitzen eintretenden Reduktion muß einstweilen dahingestellt bleiben. 
Sie liegt vielleicht in einem geringen Gehalt der käuflichen Natronlauge 
an organischer Substanz. Dafür spricht folgendes. Setzt man zu ver- 
dünnter, durch ein wenig Kaliumpermanganatlösung rosa gefärbter, im 
Sieden befindlicher Schwefelsäure ein wenig Natronlauge, so entfärbt sich 
die Mischung sofort. Aus Natrium hergestellte Natronlauge wirkt aber 
auch entfärbend, wenn auch nicht so stark; es käme also auch das destil- 
lierte Wasser, Verunreinigung durch Staub usw. in Betracht. 


Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 249 


Das Destillat gibt die Lewinsche Reaktion, reduziert die Silberlösung 
fast momentan. 

2. 100 ccm Wasser, 0,15ccm Allylalkohol, alle Verhältnisse sonst 
ebenso. Das Destillat wurde in 3 Fraktionen aufgefangen zu 10, 25, 25 com. 
Das erste Destillat riecht stechend, die folgenden nicht. Alle Destillate geben 
die Lewinsche Reaktion und die Silberreduktion in abnehmender Stärke. 

Um die Grenzen des Verfahrens kennenzulernen, wurden sukzessiv 
verdünntere Allylalkohollösungen angewendet. Es ergab sich, daß bei 
Anwendung von 100 ccm einer Lösung von 1: 10000 in den ersten 10 ccm 
des Destillats sowohl die Lewinsche Reaktion, als auch die Silberreduktion 
noch deutlich vorhanden waren; in einer Verdünnung von 1: 20 000 
konnte die Lewinsche Reaktion noch erhalten werden, wenn man die auf 
Zusatz von Eisessig eintretende schnell verschwindende Grünfärbung als 
beweisend ansieht. 


Im weiteren Verlauf wandte ich auch die oben angegebene 
neue Reaktion, zum Teil im Vergleich mit der Lewinschen an. 
Diese Reaktion schließt sich, wie erwähnt, an die von mir modi- 
fizierte Reaktion mit Pepton - Witte, Ferrichlorid und Salzsäure 
an, ich habe sie nur insofern etwas abgeändert, als ich statt ½ Vol. 
das gleiche Volumen Salzsäure von 1,19 D anwende und meistens 
zuerst die Salzsäure, dann erst die Eisenchloridlösung hinzusetze. 
Die Quantität dieser muß, wie sich zeigte, der Konzentration des 
Akroleins angepaßt werden. In allen Fällen wurde die Reaktion 
mit 5 cem des Destillates angestellt 

Versetzt man 100 ccm Wasser mit 1 ccm einer 1 proz. Allyl- 
alkohollösung (1: 10 000), 10 ccm einer 5 proz. Dikaliumchromat- 
lösung und destilliert 50 ccm ab, so enthält das Destillat relativ 
reichlich Akrolein, die späteren Anteile des Destillates keine 
merkliche Menge mehr, auch nicht nach erneutem Zusatz von 
Kaliumchromat und Schwefelsäure. Versetzt man 5ccm dieses 
Destillates mit einer kleinen Messerspitze Pepton (etwa 0,8 g), 
dem gleichen Volumen Salzsäure von 1,19 D, 4—5 Tropfen der 
3proz. Ferrichloridlösung und erhitzt zum Sieden, so tritt nicht, 
wie beim Formaldehyd, Violett- und Blaufärbung ein, sondern 
intensiv grasgrüne Färbung, die allmählich verblaßt. Auch das 
5 fach verdünnte Destillat gibt die Reaktion noch ziemlich inten- 
aiv, jedoch nur wenn man die Quantität des Eisenchlorids auf 
einen Tropfen beschränkt, die Bemessung des Eisenchloridzu- 
satzes ist somit von maßgebender Bedeutung für das Gelingen 
der Reaktion. Hierin liegt zweifellos eine gewisse Unsicherheit 
der Reaktion, indessen ist diese durch Tast versuche leicht zu 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 17 


250 , Е. Salkowski: 


beseitigen. Die Lewinsche Reaktion ist bei dieser Verdünnung 
nicht mehr ganz sicher, immerhin tritt bei nachträglichem Zusatz 
von Eisessig eine allerdings schnell verschwindende Grünfärbung 
ein. Nimmt man an, daß der Allylalkohot vollständig oxydiert 
wird, und zwar ausschließlich zu Akrolein und daß dieses restlos 
in den 50 ccmDestillat enthalten ist, so entsprechen die 50 ccm 
Destillat 0,01 Allylalkohol, bei 5facher Verdünnung 0,002. Der 
Nachweis des Allylalkohols läßt sich noch dadurch verfeinern, daß 
man nur 10 cem abdestilliert. Als zu 100 ccm Wasser 1 ccm einer 
Lösung von 0,001%, hinzugesetzt und unter gleichen Bedingungen 
nun 10 cem abdestilliert wurden, gaben 5 cem des Destillates 
unter Anwendung von 1 Tropfen Eisenchloridlösung (aus einer 
etwas schräggehaltenen Pipette oder einem Tropfglas) noch 
eine deutliche grüne Färbung, mit 4—5 Tropfen war eine solche 
nicht zu bemerken. Vor der Lewinschen Reaktion hat die be- 
schriebene mit Pepton, Salzsäure auf Akrolein den Vorzug, daß 
sie mit Acetaldehyd nicht eintritt und von der Formaldehyd- 
Reaktion durch die Art der Färbung gänzlich verschieden ist. 
Jedenfalls sieht man, daß auch die geringsten Quantitäten Allyl- 
alkohol sich durch Oxydation zu Akrolein nachweisen lassen. 
Dieses Ergebnis steht nun in eınem auffallenden Widerspruch 
mit den Angaben in der Literatur, die ich glücklicherweise nicht 
gekannt habe. 

Bezüglich der Oxydation mit Salpetersäure heißt es im 
Beilstein, 3. Aufl., S. 250: „ .. mit verdünnter Salpetersäure 
entsteht Ameisensäure und Oxalsäure (Kekule, Rinne, 
Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 6, 387)“, von Akrolein ist nicht die 
Rede. Von der Oxydation mit Chromsäure heißt es: ,,Chrom- 
säurelösung oxydiert zu Akrolein und Ameisensäure (Rinne, 
Tolle as Annalen d. Chemie 159, 110)“. Die Bildung von Akrolein 
ist aber nicht einmal unbestritten. Wagner!) sagt in einer Ar- 
beit hierüber: „Der Allylalkohol wurde in dieser Richtung (näm- 
lich bezüglich der Oxydation) von mehreren Forschern untersucht 
und die Angaben fast aller stimmen darin überein, daß bei der 
Oxydation mit Chromsäuregemisch als einzig faBbares Produkt 
Ameisensäure entsteht, im Anfang der Reaktion jedoch noch 
der Geruch nach Akrolein wahrgenommen wird, welches aber auf 
keine andere Weise konstatiert wurde.“ 

1) Ber. d. Dtsch. Chem. Gesellsch. 21, 3351. 


Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 251 


Was die Oxydation mit Chromsäure betrifft, so haben die 
Autoren nicht mit so verdünnten Lösungen gearbeitet, hierin 
könnte die Erklärung des Widerspruches liegen. Bezüglich der 
Oxydation mit Salpetersäure war die ja allerdings wohl sehr ent- 
fernte Möglichkeit vorhanden, daß die beobachtete Silberreduktion 
gar nicht von Akrolein, sondern von Ameisensäure abhängt. Zur 
Prüfung dieser Möglichkeit — die eigentlich ausgeschlossen er- 
scheint, da Ameisensäure nach den. vorliegenden Angaben in 
alkalischer Lösung nicht reduziert — wurden kleine Quantitäten 
von Ameisensäure mit Natronlauge übersättigt und mit dem 
gleichen Volumen der ammoniakalisch-alkalischen Silberlösung 
versetzt. Auch bei längerer Beobachtung trat keine Schwärzung 
ein; nach 24 Stunden zeigte die Flüssigkeit eine kaum wahr- 
nehmbare gelbbräunliche Färbung, beim Erhitzen verhielt sie 
sich ebenso wie mit dem gleichen Volumen Wasser versetzte 
Silberlösung. 

Es fragte sich nun, ob in dem Blutpulver!), das aus mit 
Allylalkohol konserviertem Blut von mir dargestellt war, Allylalko- 
hol nachzuweisen ist. Die Untersuchung ergab die völlige Ab- 
wesenheit von Allylalkohol. 

Die Untersuchung stieß anfangs auf Schwierigkeiten in der Aus- 
führung. Das zuerst angewendete Verfahren des Auskoagulierens der 
verdünnten Lösung des Blutpulvers und Untersuchung des Filtrats erwies 
sich als unbrauchbar; denn als zu der Lösung von 5 g Blutpulver (Krause) 
0,1 ccm Allylalkohol hinzugesetzt wurde, war in dem Filtrat Allylalkohol 
nicht sicher nachweisbar. Bei der direkten Destillation von 5 g unter Zu- 
satz von Allylalkohol war zwar Allylalkohol im Destillat nachweisbar, 
die Destillation war aber wegen des starken Schäumens kaum ausführ- 
bar?) und meistens gingen die Destillierkolben durch Auskoagulieren 
von Eiweiß an einer Stelle und Überhitzung an dieser entzwei. Schließ- 
lich wurde folgendes Verfahren eingeschlagen. 5 g des Blutpulvers — aus 
mit Allylalkohol konserviertem Blut erhalten — wurden in 100—150 ccm 
lauwarmem Wasser gelöst, dazu 1 bzw. 1,5 ccm Salzsäure von 1,126 D und 
1 bzw. 1,5 g Pepsin hinzugesetzt, das vorher mit einem Teil der Lösung behufs 
guter Verteilung in der Reibschale angerieben war. Die so hergestellte 
Mischung kam in Glasstöpselgläsern in den Thermostaten. Am nächsten 
Tage läßt sich die Mischung — betrug das Volumen nicht schon 150 ccm, 


1) Bezüglich der Herstellung des Blutpulvers verweise ich auf meine 
Arbeit über die antiseptische Wirkung von Chlorderivaten des Methans, 
Äthans usw. Diese Ztschr. 107, 191. 1920. 

2) Die Destillation im Dampfstrom konnte nicht angewendet werden, 
weil dadurch etwa vorhandener Allylalkohol zu sehr verdünnt worden wäre. 


17* 


252 E. Salkowski: 


so wurden noch 50ccm Wasser hinzugefügt — auf dem Sandbad gut 
destillieren: sie schäumte zwar noch etwas, doch läßt sich das Schäumen 
durch Siedestäbchen und Kleinhalten der Flamme in Schranken halten. 
Es wurden regelmäßig 100 ccm abdestilliert. Eine kleine Probe wurde zur 
Oxydation mit Salpetersäure versetzt usw., später wurde diese Probe ganz 
weggelassen. 100 cem des Destillates wurden mit 10 ccm 5 proz. Dikalium- 
chromatlösung und 10 cem verdünnter Schwefelsäure versetzt und zuerst 
10, dann 25 ccm abdestilliert. Die Lewinsche Reaktion und die Silber- 
probe fielen negativ aus. 

Zu Kontrollversuchen wurde ohne Anwendung von Allylalkobol 
hergestelltes Krausesches Blutmehl benutzt. 

1. 5g Blutmehl gelöst in 150 com Wasser, dazu 0,5 ccm Allylalkohol 
(5ccm einer frisch hergestellten 1 proz. Lösung), 1,5 ccm Salzsäure, 1g 
Pepsin, etwa 24 Stunden verdaut, 100 com abdestilliert, dann mit K,Cr0, 
und H, SO. oxydiert. usw. | 

а) 10 cem abdestilliert: Enorme Reaktion nach Lewin. 

b) 25 ccm abdestilliert: Gleichfalls sehr starke Reaktion. 

2. Wiederholung unter Zusatz von 1 cem der 1 proz. Allylalkohol- 
lösung = 0,01 ccm Allylalkohol. 

a) 10ccm. Starke Reaktion nach Lewin, ebenso mit Pepton, Salz- 
säure und Eisenchlorid. 

b) 25cem. Lewinsche Reaktion deutlich nach Zusatz von Eis- 
essig, ebenso die zweite Reaktion. 

3. Wiederholung unter Zusatz von 0,5 ccm der 1 proz. Lösung (oder 
richtiger 0,87 proz., die Verdünnung war ja dem Volumen! nach her- 
gestellt). In den ersten 10 com war die Lewinsche Reaktion und die Silber- 
probe deutlich, in den folgenden 25 ccm Lewinsche Reaktion angedeutet, 
die Reaktion mit Pepton usw. deutlich. 


Die Kontroliversuche haben demnach die Nach- 
weisbarkeit auch der geringsten Mengen von Allyl- 
alkoholergeben und bestätigen, daßindemBlutpulver 
das ich aus mit Allylalkohol konserviertem Blut dar- 
gestellt hatte, kein Allylalkohol nachzuweisen war. 

Es war nun augenscheinlich von Interesse, festzustellen, 
ob dies auch für das Krausesche Verfahren gilt. Dank dem 
liebenswürdigen Entgegenkommen der Firma G. A. Krause in 
München, für das ich auch an dieser Stelle verbindlichst danke, 
war ich in der Lage, diese Frage zu untersuchen. 

Das Blutmehl sah genau so aus wie das aus frischem Blut 
hergestellte, verhielt sich gegen Wasser ebenso, zeigte keinen 
Geruch. Bei der Untersuchung von 5 g des Pulvers genau 
auf dem angegebenen Wege stellte sich- heraus, daß in 
dieser Quantität Spuren von Allylalkohol nachweisbar waren. 


- 


Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 253 


Diese sind indessen als bedeutungslos anzusehen. Nach den 
oben angeführten Kontrollversuchen sind 0,5cem der 1 proz. 
Lösung = 0,005 Allylalkohol in 5g Blutmehl mit Sicherheit 
nachweisbar. Nimmt man, hochgerechnet, an, daB eine solche 
Quantität in 5 g des Krauseschen zu Versuchszwecken für mich 
hergestellten Präparates vorhanden waren, so würde dieses für 
20 g auf einmal genossenes Blutmehl 0,02 Allylalkohol bedeuten, 
bzw. richtiger 0,0175g. Dabei kommt noch in Betracht, daß 
das Pulver ja nicht roh, sondern in üblicher Weise gekocht ge- 
nossen werden soll. Ез ist anzunehmen, daß der größte Teil dieses 
Gehaltes beim Kochen entweicht; daß diese Annahme begründet 
ist, dafür sprechen die oben angegebenen Versuche, die anfangs 
zum Nachweis des Allylalkohols gemacht wurden. Es hatte sich, 
um es zu wiederholen, gezeigt, daß selbst 0,1 cem Allylalkohol 
in 5g Blutpulver nicht nachzuweisen ist, wenn man die Lösung 
auskoaguliert und den Allylalkohol im Filtrat nachzuweisen sucht. 
Um Bedenken nach dieser Richtung hin auch durch Versuche 
zu beseitigen, habe ich wiederholt aus 10—20 g Blutpulver, das 
aus mit Allylalkohol konservierten Blut von Krause hergestellt 
war, in der üblichen Weise Suppe (,, Schwarzsauer“) zubereitet und 
gegessen, ohne das mindeste Unbehagen oder irgendwelche 
Symptome zu bemerken. Auch a priori ist es äußerst unwahr- 
scheinlich, daß so kleine Meugen Allylalkohol irgendwie gesund- 
heitsschädlich wirken könnten. Werden doch Schwefelverbin- 
dungen des Allyls, wie das Allylsenföl und andere vielfach in der 
Nahrung genossen! Außerdem wirken die Schwefelverbindungen 
der Fettkörper allgemein in weit höherem Grade toxisch, als 
die Sauerstoffverbindungen. So ist der Äthylalkohol!) doch relativ 
harmlos gegenüber dem Mercaptan. 

Damit könnte ich meinen Bericht über die Anwendbarkeit 
des Allylalkohols zur Konservierung von Blut schließen, wenn 
die Verfolgung der Angelegenheit zum Zweck der Erlangung 
eines Patents nicht zu Erörterungen und Schlüssen geführt hätte, 
die mir von allgemeinerem Interesse zu sein scheinen. 

Bei dem Suchen nach einem geeigneten Konservierungs- 
mittel stieß ich auf die in Flügges „Mikroorganismen“, 2. Auf. 
S. 580 (1886) abgedruckte Tabelle, in welcher die Einwirkung 
einer Reihe von Substanzen auf das Auswachsen von an Seiden- 


d Methylalkohol nimmt eine Ausnahmestellung ein. 


254 E. Salkowski: 


fäden angetrockneten Milzbrandsporen zu Fäden nach den Ver- 
suchen von R. Koch angegeben ist. Nach dieser Tabelle behindert 
Senföl in einer Konzentration von 1:333 000 das Auswachsen 
merklich, in einer Konzentration von 1:33 000 hebt es dasselbe 
völlig auf. Daß dieser Satz nicht verallgemeinert werden darf, 
hatten mich schon vor Anwendung des Allylalkohols Versuche mit 
Senföl gelehrt!). Ein Liter Rinderblut wurde mit einigen — etwa 
4—5 — Tropfen Senföl?) eine halbe Stunde lang auf der Schüttel- 
maschine in einer verschlossenen Flasche durchgeschüttelt: schon 
nach wenigen Tagen war das Blut stark faulig. Der Zusatz ist 
auf etwa 1: 10 000 zu schätzen:). Vom Allylalkohol wird in der 
Tabelle gesagt, daß er in einer Konzentration von 1: 167 000 das 
Wachstum der Milzbrandbacillen merklich behindert. Obwohl 
ich nach meinen am Senföl gemachten Erfahrungen große Zweifel 
hegte, daß diese Behinderung auch auf Blut und Fleisch Bezug 
haben würde, machte ich doch einen dahingehenden Versuch. 
Es zeigte sich, daß eine Allylalkohollösung, leicht alkalisiert, in 
einer Konzentration von 1:500 (!) auf in ihr aufbewahrtes ge- 
-hacktes Fleisch nicht den mindesten Einfluß ausübt: es fault 
in ihr ganz ebenso oder fast ganz ebenso, wie in Wasser allein. 
Immerhin war es doch denkbar, daß eine etwas höhere Konzen- 
tration bei der Anwendung auf Blut für kurze Zeit brauchbar 
sein würde Wie oben angegeben ist, ergab es sich in der Tat, 
daß 0,5 bie 0,6% Allylalkohol die Fäulnis desselben für 5 bis 6 
Tage, ein Plus auf längere Zeit verhinderte, also für den vor- 
liegenden Zweck brauchbar ist. Trotz dieser Sachlage wurde von 
einer einsprechenden Fabrik, anfangs auch vom Patentamte 
selbst entgegengehalten, daß nach den Angaben von Koch die 
konservierende Wirkung des Allylalkohols schon bekannt sei 
Wie lautet nun die Angabe von Koch? In den „Arbeiten des 
Reichsgesundheitsamtes“, Bd. І, S. 270 (1881) sagt Koch, 
nachdem er die Versuche mit Milzbrand beschrieben hat, wört- 
lich folgendes: 
„Weiter wurden die Versuche vorläufig nicht fortgesetzt, 
Man wird auch die Zahlen für die Entwicklungshinderung und 
Aufhebung bei vollständigem Ausschluß der Verdunstung ver- 
missen. Dieselben mußten, weil die Untersuchung immer prak- 


1) Diese Zeitschr. 71, 371. 1916. 
2) 1 g Senföl = 44 Tropfen, also 4 Tropfen rund 0,1 g auf 1000 Blut. 


Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 255 


tische Gesichtspunkte im Auge hatte, ein geringes Interesse 
beanspruchen; bei der praktischen Verwendung würde wohl nur 
in Ausnahmsfällen (vielleicht Konservierung von Nahrungsmitteln 
in geschlossenen Gefäßen) der Verlust durch Verdunstung!) zu 
vermeiden sein. Übrigens ist nicht zu zweifeln. daß unter dieser 
letzteren Bedingung der Grenzwert für die Aufhebung des Bak- 
terienwachstums bei einer noch viel größeren Verdünnung des 
Allylalkohols gesucht werden muß.“ 

Wie hieraus hervorgeht, hat Koch also nur vermutet, 
daß eine noch schwächere Konzentration als 1: 167 000 zur Kon- 
servierung von Nahrungsmitteln geeignet sein würde. Nun! 
auch ein Meister kann einmal irren, seine Vermutung war irrig! 
Hätte Koch statt zu „vermuten“ nur den einfachsten Versuch 
mit einem geeigneten fäulnisfähigen Material, wie gehacktes 
Fleisch, am besten in mit Na,CO, alkalisiertem Wasser, auf welches 
ich immer wieder als besonders geeignet hinweisen muß, hätte er 
einen solchen Versuch gemacht, so würde man damals schon zu 
der Erkenntnis gekommen sein, die noch immer nicht allgemein 
durchgedrungen zu sein scheint, daß die Wirkung antiseptischer 
Mittel eine spezifische ist, abhängig von den angewendeten 
Bakterien (und dem betreffenden Medium), daß jede Verallge- 
meinerung ausgeschlossen werden muß (abgesehen natürlich 
von solchen Chemikalien, welche die organische Substanz. voll- 
ständig zerstören) oder doch zum mindesten, daß der S:niuB, 
daß Substanzen, die sich pathogenen Mikroorganismen gegenüber 
als wirksam erwiesen haben, auch zur Fernhaltung von Fäulnis 
bzw. Konservierung überhaupt geeignet sein müssen, durchaus 
falsch ist. Bei der Wichtigkeit des Gegenstandes möchte ich 
zum Beleg noch einige Literaturquellen anführen. 

1. Das Eucupin (Isoamylhydrocuprein) tötet nach Morgenroth 
und Т ugendreich?) Streptokokken in einer Konzentration von 1: 20 000 
bis 40 000, Diphtheriebacillen dagegen nach Schaeffer?) erst bei 1: 2000. 

2. Bieling*) sagt zusammenfassend: „Diese Versuche beweisen, 
daß die Wirkung des Eucupins (Isoamylhydrocupreins) und des Isooctyl- 
hydrocupreins auf Diphtherie-, Gasbrand-, Milzbrand- und Tetanusbacillen 


1) Von einem Abdunsten des Allylalkohols aus der verdünnten Lösung 
kann bei seinem hohen Siedepunkt (97!) wohl nicht die Rede sein. E.S. 

2) Berl. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 29, S. 794. 

3) Berl. klin. Wochenschr. 1916, Nr. 38, S. 104. 

4) Diese Zeitschr. 85, 209. 1918. 


256 ö E. Salkowski: 


als eine spezifische Desinfektions wirkung anzusehen ist und nicht auf einer 
allgemeinen unspezifischen Giftwirkung auf lebende Organismen beruht. 
Diese Ansicht kann ich durch eigene Versuche mit Eucupin bestätigen: 
eine fäulniswidrige Wirkung kommt demselben, wenigstens nach Versuchen 
mit Fleisch, nicht zu. 

3. Die Wirkung des Antimonkaliumtartrat und anderer organischer 
Antimon verbindungen beschränkt sich nach Kolle!) und seinen Mit- 
arbeitern auf Trypanosomen. 

4. Chinin tötet die Malaria parasiten schon in der außerordentlichen 
Verdünnung, in der es im Blut kreist, während es das Wachstum von Milz- 
brandbacillen erst in einer Konzentration von 1: 625 hemmt, ja nach 
Tappei ner!) ein guter Nährboden für Schimmelpilze ist und nach meinen 
eigenen Versuchen die Fäulnis von Fleisch nicht verhindert, wenn auch 
et was hinausschiebt. 

Sicher würde man in der Literatur bei weiterem Nachforschen 
noch zahlreiche Belege für die Unzulässigkeit der Ubertragung 
der Beobachtung an bestimmten, namentlich pathogenen Mikro- 
organismen auf andere finden, die angeführten Beispiele dürften 
indessen genügen. 

Ob eine nicht giftige Substanz (bzw. auch eine nicht ganz 
ungiftige, wenn sie durch die nachfolgende Behandlung entfernt 
wird) zur Konservierung von Nahrungsmitteln geeignet ist oder 
nicht, kann auf keinem anderen Wege, als durch direkte Ver- 
suche mit dem betreffenden Nahrungsmittel festgestellt 
werden. Es läßt sich unmöglich verkennen, daß das durch 
spontane Aussaat in die Nahrungsmittel hineingelangende bzw. 
in ihnen befindliche Gemisch von Bakterien oder Keimen weit 
widerstandsfähiger ist, als isolierte Mikroorganismen, augenschein- 
lich wird die Resistenz durch die Symbiose nicht herabgesetzt, 
sondern gesteigert. 

In einem gewissen Sinne ist die Konservierung der Des- 
infektion geradezu entgegengesetzt. Bei der Beurteilung der 
Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels läßt man sich bekannt- 
lich außer der Konzentration des Mittels auch von der Zeit leiten, 
und zwar in dem Sinne, daß ceteris paribus dasjenige Des- 
infektionsmittel für besser gehalten wird, das nur kurze Zeit 
mit der zu desinfizierenden Flüssigkeit in Berührung zu bleiben 
braucht, um sie zu sterilisieren: je kürzer die Zeit, desto besser 
ist das Mittel. Bei der Konservierung ist es gewissermaßen umge- 


1) Malys Jahresber. d. Tierchemie 43, 1537. 1913. 
2) Lehrbuch der Arzneimittellehre. 10. Aufl. 1913, S. 137. 


Konservierung von Blut mit Allylalkohol. 257 


kehrt: je länger sich bei Abimpfungen die konservierte Flüssigkeit 
oder das konservierte Gemisch als keimfrei oder schwach keim- 
haltig erweist, desto besser ist das Mittel. Die Tatsache, daB manche 
Konservierungsmittel sich nur auf einige Tage, andere auf 
Wochen und Monate, ja vielleicht fiir immer wirksam erweisen, 
kann wohl nur so erklärt werden, daß durch die spontane Aus- 
saat entwicklungsfähige Keime von äußerst verschiedener Resi- 
stenz in das zu konservierende Medium gelangen; solche, welche in 
nicht zu langer Zeit abgetötet werden und solche, welche einer sehr 
langen Zeit der Einwirkung des konservierenden Mittels!) bedürfen. 
Der auf Grund der Vermutung vonKoch erhobene Einwand, 
daß meine Beobachtung nicht neu sei, konnte also widerlegt 
werden, da sich die Vermutung von Koch als irrig erwiesen 
hatte. Ein besser begründeter Einwand findet sich aber, wie sich 
später herausstellte, in einer Arbeit von H.Stadler?), die ich 
leider übersehen habe. Stadler hat gefunden, daß in Lösungen, 
die 0,2—0,3%, Allylalkohol enthalten, eine Entwicklung von 
Bacterium coli nicht eintritt. Da B. coli zu den Eiweiß unter 
Bildung von Indol und Phenol zersetzenden Bakterien gehört, 
so konnte sich hierauf ein Einwand gegen die Anwendung von 
Allylalkohol zur Konservierung von Blut als neues Verfahren 
wohl stützen, wenn ich auch nach den obigen Ausführungen über 
Konservierung denselben nicht als entscheidend ansehen kann. 
Zur Entschuldigung des Übersehens der Arbeit von Stadler 
kann ich folgendes anführen: Ich habe den ganzen Malyschen 
. Jahresbericht — soweit Generalregister existieren nur diese — 
auf das Stichwort ‚Allylalkohol‘‘ durchgesehen, aber außer der 
erwähnten Mitteilung von Miessner über die gesundheitsschäd- 
lichen Wirkungen von Allylalkohol das Wort überhaupt nicht 
gefunden. Ja, selbst in dem Referat über die Arbeit von Stad- 
ler?) kommt das Wort Allylalkohol nicht vor, obwohl sie u. a. 
auch von diesem handelt. Ich glaube kaum, daß ich in dieser 
Sache mehr hätte tun können, als den Malyschen Jahresbericht 
durchsehen, der ja auch die Antisepsis eingehend berücksichtigt. 
© ау Selbstverständlich schlieBt die Konservierung die Autolyse nicht 
aus, ев sei denn, daß die Konservierung durch Formaldehyd von etwa 
31.96 bewirkt ist, beim Blut ist aber die Autolyse nach meinen Erfahrungen 
fast Null. 


2) Arch. f. Hyg. 73, 207. 1911. 
3) Malys Jahresber. f. d. Tierchemie für 1911. 41, 764. 


Uber die Bestimmung zell- und keimschädigender Sub- 
stanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. 
(1. Mitteilung: Optochin.) 


Von 
Alfred Schnabel. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Basel.) 


(Eingegangen am 31. Mas 1920.) 


Wenn wir Substanzmengen ermitteln wollen, deren Bestim- 
mung die Leistungsfähigkeit der gewöhnlichen gewichts- oder 
maßanalytischen Verfahren übersteigt, so greifen wir zu Methoden, 
die uns zwar keine absoluten, sondern nur Annäherungswerte 
anzeigen, uns aber über Quantitäten Aufschluß geben, die um 
` ein Vielfaches kleiner sein dürfen als jene, die auf gravimetrischem 
Wege gefunden werden können. | 

Zu den empfindlichsten, wenn auch ungenauesten Methoden 
gehören die biologischen. Hier machen wir uns die Eigenschaft 
lebender Zellen höherer. und niederer Organismen zunutze, 
auf kleinste Substanzmengen auf diese oder jene Art zu reagieren. 
Als Indicator dienen uns die Lebensäußerungen der Zellen. So 
kënnen wir z. B. die Konzentration einer Chininlösung bestimmen, 
indem wir jene Grenzverdünnung feststellen, die die Kaninchen- 
cornea nach einer bestimmten Zeit gerade noch anästhetisch zu 
machen vermag. Es ist klar, daß bei der schwankenden Re- 
aktionsfähigkeit der Organzellen die erhaltenen Resultate sich 
innerhalb relativ großer Fehlergrenzen bewegen können. 

Man kann auch tierische Zellen, die außerhalb des Organis- 
mus in zusagenden Medien lebend erhalten werden, zu derartigen 
Versuchen heranziehen. In letzterem Falle ist aber die Versuchs- 
dauer wegen der rasch abnehmenden Lebensfähigkeit der Zellen 
eine beschränkte. 


A. Schnabel: Best. zell- u. keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 259 


Viel besser eignen sich für solche Zwecke lebende Bakterien. 
Keimschädigende Mittel physikalischer oder chemischer Natur 
wirken je nach der Art ihrer Anwendung entwicklungshemmend 
oder abtötend auf die Bakterien. Doch sind damit die schädlichen 
Einwirkungen nicht erschöpft. Es sind auch andere Beeinflus- 
sungsarten bekannt, die, ohne die Vermehrung der Keime zu 
beeinträchtigen, eine Schädigung oder gar den Verlust dieser 
oder jener Lebensfunktion bedingen. So kann durch Änderung 
des Nährsubstrates, durch Behinderung der Sauerstoffzufuhr, 
durch höhere oder tiefere Temperaturen ein Aufhören der zymo- 
genen Fähigkeit, der Farbstoffproduktion, der Sporenbildung 
usw. eintreten. Auch die Pathogenität kann auf diese Weise be- 
einflußt oder aufgehoben werden, ohne Änderung des übrigen 
Wachstums, der Vermehrung oder anderer Lebensäußerungen. 

Die Leichtigkeit, mit der das Bakteriensubstrat hergestellt 
werden kann, die bequeme Dosierungsmöglichkeit, die relativ 
größere Lebensfähigkeit und die leicht festzustellende Grenze 
zwischen Leben und Tod brachten es mit sich, daß man die 
Bakterien in den Dienst biologischer Messungen stellte. Beson- 
ders waren es die mittels bestimmter Affinitäten wirkenden 
Mittel, die auf diese Weise in stärkeren Verdünnungen noch be- 
stimmt werden konnten. Versuche, chemotherapeutisch wirk- 
same Mittel qualitativ auf biologischem Wege festzustellen, 
wurden von Gonder, Castelli, Swift und Ellis an Spirochäten, 
von Roos an Milzbrandbacillen, von Wright an Pneumokokken 
unternommen. Boecker konnte relativ dünne Lösungen von 
Salvarsan, Morgenroth solche von Optochin quantitativ 
annähernd bestimmen, und zwar betrug die schwächste bestimm- 
bare Konzentration für das u 1:150 000 (+), für das 
Optochin 1: 300 000. 

Die von uns hier mitgeteilten Versuche nahmen ihren Ur- 
sprung in der Erwägung, daß es möglich sein könnte, schwächere 
Konzentrationen zell- bzw. bakterienschädigender Substanzen 
zu bestimmen, wenn man nicht den Eintritt des Zelltodes, son- 
dern die Beeinträchtigung verschiedener Lebensfunktionen als 
Indicator nehmen würde. Als besonders geeignet hierzu schien 
uns die Fähigkeit lebender Zellen und Bakterien, auf gewisse 
Farbstoffe reduzierend einzuwirken. Die dabei eintretende Ent- 
färbung — der Ausdruck einer in einem viel kürzeren Zeitraum 


260 | A. Schnabel: 


sich abspielenden Lebenserscheinung als die Vermehrung — oder 
ihr Ausbleiben unter dem Einfluß schädigender Substanzen, 
würden einen leicht zu handhabenden und daher bequemen 
Indicator abgeben. 

Die Fähigkeit vieler lebender Bakterien und Organzellen, 
gewisse Farbstoffe wie Methylenblau, Lackmus, indigoschwefel- 
saures Natron, Neutralrot usw. zu reduzieren und sie in eine 
farblose Verbindung überzuführen, ist schon längst bekannt. 
Diese leicht reduzierbaren Farbstoffe sind an sich Oxydations- 
stufen, während ihre Reduktionsstufen, Küpen genannt, farblos 
erscheinen und die Eigenschaft haben, unter dem Einfluß oxy- 
dierender Mittel und auch schon durch Berührung mit dem Luft- 
Sauerstoff die ursprüngliche Farbe anzunehmen. Letzteren Vor- 
gang nennt man Verküpung. 

P. Ehrlich stellte dieses Reduktionsvermögen des tierischen 
und pflanzlichen Protoplasmas als fundamentale Eigenschaft 
desselben fest und führte es auf das Sauerstoffbedürfnis der 
lebenden Zelle zurück. Er brachte Farbstoffe in den lebenden 
Organismus ein und beobachtete die Veränderungen, die sie im 
Körper erfuhren. Die ersten Versuche über Reduktion von Farb- 
stoffen durch Bakterien stammen von Cahen, Spina, Rosza- 
hegyi. Sie ergaben, daß die Entfärbung an das Leben der 
Bakterien gebunden ist. Erhitzte oder sonstwie abgetötete Keime 
büßen die Fähigkeit ein. Daß es sich tatsächlich um einen Re- 
duktionsvorgang handle, konnte man auf einfache Weise zeigen: 
beim Schütteln, also bei inniger Berührung mit der Luft oder bei 
Zufuhr von Sauerstoff erlangten entfärbte Bakterienfarbstoff- 
gemische ihre ursprüngliche Farbe wieder. 

Bei Reduktionsversuchen darf nicht übersehen werden, daß 
auch manchen Nährmedien schon in sterilem Zustande das Re- 
duktionsvermögen in beschränktem Maße zukommt. Dies konnte 
Spina für Gelatine zeigen, die in sterilem Zustande bei Zusatz 
von Methylenblau oder Indigblau sich (sehr langsam) entfärbte. 
Auch Smith sah diese Erscheinung bei der gefärbten Bouillon. 
Jedoch kommt diesen Befunden praktisch keine besondere Be- 
deutung zu, da sich die Entfärbung steriler, gefärbter Nahrmedien 
in Tagen und Wochen vollzieht, während sich das Phänomen in 
Gegenwart lebender Zellen oder Bakterien in Minuten oder 
Stunden beobachten läßt. 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 261 


Schon vor etwa 20 Jahren haben Neisser und Wechsberg: 
das Reduktionsvermögen lebender Zellen zur quantitativen Be- 
stimmung herangezogen. Diese Autoren fanden, daß Leukocyten, 
die die Fähigkeit haben, Methylenblau zu einer farblosen Base 
zu reduzieren, diese Eigenschaft unter dem Einfluß verschiedener 
sie sohädigender Substanzen, wie Alkohol, leukocide Sera usw., 
einbüßten. Sie nannten das Verfahren Bioskopie und benützten 
es zum Nachweis des aus Staphylokokkenkulturen gewonnenen 
Leukocidins. Die kleinste Menge, die sie auf diese Weise be- 
stimmen konnten, betrug 0,025 cem Kulturfiltrat. 

Die von uns gestellte Frage lautete: Ist es möglich, bak- 
terien- und zellschädigende Substanzen in dünnen Lösungen, 
durch das bioskopisch-biologische Verfahren verhältnismäßig 
genau nachzuweisen? Vor Beantwortung dieser Frage waren wir 
uns von vorneherein darüber im klaren, daß auf die Feststellung 
absoluter Werte bei derartigen quantitativen Bestimmungen kein 
Anspruch erhoben werden darf. Die Erwägung, daß die Be- 
hinderung der Reduktion durch keim- und zellschädigende Sub- 
stanzen der Ausdruck einer Protoplasmaschädigung sei, ließ ja 
erwarten, daß zwischen den Wirkungseffekten einzelner, von- 
einander nur wenig verschiedener Konzentrationen, nur all- 
mähliche Übergänge bestehen können, von vollkommener, viel- 
leicht nur zeitweiliger Behinderung der Reduktion bis zum völligen 
Intaktbleiben der Zellen und somit auch des Entfärbungs- 
phänomens, so daß nur größere Konzentrationsdifferenzen deut- 
liche Aufschläge geben würden. | 

Nicht ohne Absicht wählten wir zu den ersten Versuchen 
Pneumokokken als entfärbendes Agens und das Optochin als 
einwirkende Substanz. Die praktische Bedeutung, welche die 
Möglichkeit der Feststellung dieses Alkaloids in stark verdiinnten 
Lösungen besitzt, die in der Literatur bereits mitgeteilten Er- 
gebnisse anderer Ermittlungsverfahren und hierdurch die Möglich- 
keit des Vergleiches der Resultate, ferner die bekannte Spezifität 
des Optochins waren dabei richtunggebend. 

In Vorversuchen suchten wir uns zuerst über die Reduk- 
tionsfähigkeit der Pneumokokken zu orientieren. Als Farbstoff 
nahmen wir zu den Versuchen das Methylenblau, und zwar wegen 
seiner leichten Reduzierbarkeit und ebenso leichten Verküpbar- 
keit (Reoxydation), was wir schon in Versuchen mit anderen 


262 A. Schnabel: 


Bakterien konstatiert hatten. Den Pneumokokkenstamm haben 
wir durch Uberimpfen eines geeigneten Sputums auf eine 
Maus und Ubertragung ihres Herzblutes auf Blutagar ge- 
wonnen. 24stündige Kulturen auf diesem Nährboden wurden mit 
steriler 0,85 proz. Kochsalzlösung abgeschwemmt und so ver- 
wendet. Wir kamen jedoch bald vom Blutagar wegen seiner 
großen Empfindlichkeit gegen Verunreinigung durch Luftkeime 
ab. Es bedarf ja keiner näheren Erklärung, daß fremde Keime 
den Versuch stören können, da sie dessen Spezifität und Emp- 
findlichkeit beeinträchtigen würden. Aus diesem Grunde wandten 
wir Nährbouillon an, welche mit ca. fünf Tropfen defibrinierten 
‚Menschen- oder anderen Blutes versetzt und vorher auf ihre 
Sterilität geprüft wurde. Daß wir auf andere feste Nährböden 
wie Glycerin- oder Traubenzuckeragar nicht reflektierten, rührt 
daher, weil auf diesen Nährböden das Wachstum nicht genug fippig 
ist; auch bietet der flüssige Nährboden den Vorteil der gleich- 
mäßigen Verteilung der Pneumokokken, gegenüber der sich oft 
umständlich gestaltenden Abschwemmung von festen Nährböden. 

Die traubenzuckerhaltige Bouillon erwies sich als ungeeignet, 
da in ihr gewachsene Pneumokokken nicht imstande sind, Me- 
thylenblau zu reduzieren. Diese Erfahrung erschien uns um во 
merkwürdiger, als ja, wie wir weiter unten sehen werden, Trauben- 
zucker, zu 24stündigen Kulturen zugesetzt, die Entfärbung in 
hohem Maße begünstigt und verstärkt. Anscheinend bilden sich bei 
Gegenwart von Traubenzucker oder aus ihm Stoffwechselprodukte, 
die eine Reduktion von Methylenblau unmöglich machen. 

Die 24stündige Pneumokokkenkultur wurde vom Blute, 
das in den Röhrchen einen Bodensatz bildete, abpipettiert und 
nun zum Versuch verwendet. Fallende Mengen von Bouillon- 
kultur wurden in Röhrchen von ca. 8-10 mm Durchmesser ge- 
bracht, die Kulturmenge mit steriler 0,85 proz. Kochsalzlösung 
auf lccm aufgefüllt; ein Tropfen einer nach dem beigegebenen 
Rezept !) von Neisser und Wechsberg hergestellten Methylen- 


1) Methylenblaulösung nach Neisser- Wechsberg: Methylenblau 
1 g, Alkohol absolut 20 р, Aq. dest. 29 р. Von dieser Stammlösung wurde 
Leem zu 49 cem 0,85 proz. NaCl-Lösung zugesetzt und so die Gebrauchs- 
lösung erhalten. Während die Stammlösung monatelang haltbar ist, muß 
die Gebrauchslösung wegen bakterieller Zersetzungen und Ausfallens des 
Methylenblaus jedesmal frisch zubereitet werden. 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 263 


blaulösung zugesetzt, das Gemisch mit flüssigem Paraffin zwecks 
Verhinderung des Luftzutrittes und der Reoxydation überschichtet 
und in die Brutkammer (37° C) gestellt. Nach verschiedenen 
Zeiten wurde der Entfärbungsvorgang beobachtet und notiert. 
Eine Tabelle (Tabelle I) möge dies näher erläutern. 


d 


Tabelle I. 
1. Röhrchen: 1,0 ccm Bouillonkultur + 0 com 0,85% NaCl- os 
2. „э 0, 9 ” ” + 0, 1 ээ 0 ‚85% 99 
3. » 0,8 „ ›э + 0,2 „ 0,85% » 
4. ” 0,7 ээ э + 0,3 55 0,85% 99 
5. 5 0,6 „ D +04 „ 0,85% 5 
6. 25 0,5 „ 2 +0,5 „ 0,85% 
1. 99 0,4 99 ээ + 0,6 99 0, 85% 99 
8. e 0,3 „ e + 0,7 „ 0,85% H 
9. 99 0,2 39 99 + 0,8 LE 0,85% 99 
10. LA 0,1 99 79 + 0,9 99 0,85% 99 


Zu jedem Röhrchen wurden je ein Tropfen Methylenblaulösung und 
eine gleiche Paraffinschicht zugesetzt. 

Nach einer halben Stunde bei 37° С zeigten die vorher blau gefärbten 
Kulturlösungen folgendes Verhalten: 1. Röhrchen entfärbt, die übrigen 
unverändert. 

Nach ?/, Stunden: 1. Röhrchen entfärbt, sonst unverändert. 

Nach 1 Stunde: 1. bis 2. Röhrchen entfärbt, sonst unverändert. 

Nach 1½ Stunden: I. bis 5. Röhrchen entfärbt; 6. fast vollständig 
entfärbt. 

Nach 2 Stunden: 1. bis 7. Röhrchen entfärbt.!) 


Aus Tabelle I ist zu ersehen, daß die Entfärbung eine Funk- 
tion der in verschiedenen Bouillonmengen enthaltenen Keimzahl 
und der Zeit ist, und zwar erfolgt sie um so rascher, je mehr Keime 


D Die von uns zur Angabe einzelner Entfärbungsstadien gebrauchte 
Nomenklatur umfaßt folgende Bezeichnungen: Als entfärbt bezeichnen 
wir das vollständige Verschwinden des blauen Tones in den Röhrchen 
oder seine Reduktion auf eine schmale Zone in dem an die Paraffinschicht 
angrenzenden Flüssigkeitsanteil; als schwach entfärbt, wenn die Ent- 
färbung am Boden des Röhrchens begonnen hat oder wenn der blaue Ton 
eine geringe diffuse Aufhellung zeigt. Ist die nicht entfärbte Zone etwas 
breiter als bei vollständiger Entfärbung, so sprechen wir von fast voll- 
ständiger Entfärbung. Hat die Entfärbung nur die halbe Flüssigkeits- 
menge betroffen, so nennen wir sie mäßig. Die Reduktion des Farbstoffes 
erfolgt in der Regel von unten nach oben. Die Ablesung erfolgte in der 
Brutkammer, zur Vermeidung der infolge geänderter Temperaturverhält- 
nisse sich zeigenden Störungen, 


264 A. Schnabel: 


im Gesamtreaktionsvolumen enthalten sind, ferner erstreckt sie 
sich auf um so kleinere Keimmengen, je länger wir die Röhrchen 
bei 87° С belassen. Die kleinste Keimmenge, die nach einer 
bestimmten, willkürlich gewählten Zeit, Entfärbung herbeiführt, 
nennen wir (wie Neisser und Wechsberg) Dosis minima re- 
ducens. 

Nun gingen wir daran, den Versuch zu variieren und den Ein- 
fluß einzelner Änderungen in der Versuchsanordnung zu studie- 
ren, also den Einfluß der Ergänzungsflüssigkeit, der Farbstoff- 
menge, der Breite der Reagensgläser, der Höhe der Paraffin- 
schicht, der Temperatur und evtl. Zusätze wie Serum usw. Zu- 
erst wurde anstatt der sog. physiologischen Kochsalzlösung sterile 
Nährbouillon als Ergänzungsflüssigkeit genommen. Tabelle II 
zeigt einen derartigen Versuch. 


| Tabelle II. 
1. Röhrchen: 1 cem Bouillonkultur + O ccm sterile Nährbouillon 
2. j 0,9 ,, 35 +01 „ „ 75 
3. ээ 0,8 ээ ээ + 0,2 „ ээ ээ 
4. 99 0,7 99 99 + 0,3 99 99 77 
5. 55 0, 6 „ 57 + 0,4 ээ „э э 
6. 99 0,5 99 99 + 0,5 99 99 97 
7. 99 0,4 ээ 99 + 0,6 ээ 99 ээ 
В. 3 0,3 „ o 107 „ „ РЄ 
9. РЕ 0,2 „ e +08 ,, is ji 
10. e 0,1 „ ve +09 „ ” 75 
11. В 0,05 ,, + 0,95 ,, 55 ” 


Kontrolle: 1 ccm sterile Nährbouillon. 

Zu jedem Röhrchen wurde je 1 Tropfen Methylenblaulösung und 
eine gleiche Paraffinschicht zugesetzt. Brutkammer (37° C). 

Nach 3/, Stunde: 1. und 2. Röhrchen entfärbt; sonst unverändert. 

Nach 1 Stunde: 1. bis 3. Röhrchen entfärbt; 4. Röhrchen schwach 
entfärbt. 


Nach 1½ Stunden: 1. bis 7. Röhrchen entfärbt, 8. Röhrchen schwach 
entfärbt. 


Nach 2 Stunden: 1. bis 8. Röhrchen entfärbt. 

Die Kontrolle (sterile Nährbouillon allein) war noch nach 
6 Stunden unverändert. Vergleichen wir Tabelle I und II mit- 
einander, dann sehen wir, daß der Einfluß der als Ergänzungs- 
flüssigkeit zugesetzten Nährbouillon (Tabelle II) sich in einer 
Steigerung der Intensität der Entfärbung und in einer Beschleuni- 
gung derselben kundgibt. Während bei Tabelle I nach einer 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 265 


Stunde nur die ersten zwei Röhrchen entfärbt sind, ist dies bei 
Tabelle II bei Röhrchen 1—3 der Fall (4. Röhrchen schwach). 
Die Dosis minima reducens (nach 2 Stunden) beträgt bei Tabelle I 
0,4ccm Kultur, bei Tabelle П 0,3 ccm. Eine Erklärung hierfür 
ist darin zu suchen, daß die 0,85 proz. Lösung von Kochsalz kein 
zusagendes Medium für Pneumokokken darstellt, ferner im Um- 
stande, daß der Nährbouillon eine wenn auch geringe Reduktions- 
kraft zukommt. Daß diese Reduktionsfähigkeit nicht allzu hoch 
anzuschlagen ist, ersieht man daraus, daß sie selbst unverdünnt 
auch nach vielen Stunden keine Spur einer Entfärbung zeigt. 
Wahrscheinlich spielt auch das sauerstoffabsorbierende Vermögen 
der Nährbouillon eine Rolle. | 

Auf eine Ablesung nach mehr als 2 Stunden haben wir ver- 
zichtet, in Erwägung dessen, daß eine stärkere Reduktion bei 
längerer Bebrütung durch eine evtl. Vermehrung der Keime oder 
eine hinzukommende Verunreinigung verursacht sein könnte. 

Der fördernde Einfluß von zugesetztem Serum ist bereits 
von anderen Autoren festgestellt worden. Wir konnten diese 
Erfahrung dahin erweitern, daß in unseren Versuchen von den 
angewendeten Seris besonders das Meerschweinchenserum in 
hohem Maße aktivierend auf die Reduktionsfähigkeit der Pneumo- 
kokken einwirkt. Diese Erscheinung tritt besonders deutlich zu- 
tage, wenn man in mehreren Parallelreihen zu fallenden Keim- 
mengen gleiche Mengen verschiedener Sera wie Menschen-, Rin- 
der-, Pferde-, Hammel-, Kaninchen- oder Meerschweinchenserum 
zusetzt und als Ergänzungsflüssigkeit 0,85 proz. Kochsalzlösung 
nimmt. Zwischen den erstgenannten 5 Seris besteht, wie wir 
finden konnten, keine nennenswerte Differenz in der Beeinflussung 
des Reduktionsvermögens, wenn auch jedes Serum für sich den 
Entfärbungsvorgang fördert. Dagegen zeigt das Meerschweinchen- 
serum ein deutlich differentes Verhalten, wie dies Tabelle III und 
IV zeigen. 

Die Kontrolle (1 ccm Meerschweinchenserum allein) zeigte 
auch nach 6 Stunden keine Entfärbung. 

Die Tabellen III und IV zeigen, daß das Meerschweinchen- 
serum in höherem Maße als das Kaninchenserum befähigt ist, 
das Entfärbungsvermögen der Pneumokokken hinsichtlich In- 
tensität und Schnelligkeit der Entfärbung zu steigern. Die Dosis 
minima reducens beträgt in diesem speziellen Falle bei Gegenwart 


Biochemische Zeitschrift Band 108. 18 


266 A. Schnabel: 


Tabelle ІП. 


Bouillonkultur Kan.-Serum 

1. Röhrchen: 1 ccm +0 cem 0,85 % NaCl-Löeung + 0,1 cem 
2 „ 0, „ +0 „ 0,85 % е +01 „ 
3. Е 08 „ +01 „ 085% 5 +01 „ 
4. e 0,7 , +02 , 085% Se +01 „ 
5. ʻi 0,6 „ +03 „ 085% „ +01 „ 
6. Е 0,5 „ +04 „ 0,85% nm +01 „ 
7. e 0,4 „ +05 „ 085% „ + O, 1 „ 
8. ge 03 „ +06 „ 085% ze +0,1 „ 
9, 2 0,2 „ +07 „ 085% 8 +0] „ 
10. ээ 0,1 „ +08 „ 0,85% A + O, 1 „, 
JI. E 0,05 ,, + 0, 85 , 0,85% „ e +01 „ 


Kontrolle: 1 ccm Kaninchenserum. 

Zu jedem Röhrchen wurde je 1 Tropfen Methylenblaulösung und eine 
gleiche Paraffinschicht zugesetzt. Brutkammer (37° С). 

Nach / Stunden: Röhrchen 1—4 entfärbt, sonst unverändert. 


„ 1 Stunde: 5 1—5 ge Е М 
„ 2 Stunden: = 1—9 S 8 d 
Tabelle IV. 
Boulllonkultur Meerschw.-Serum 

1. Röhrchen: 1 cem + O ccm 0,85°, NaCl-Lésung + 0,1 cem 
2. Se 09 „ +0 „ 0,85% к +01 „ 
3. » 0,8 „ +01 „ 085% „ + 0, 1 „ 
4. ” 0,7 ээ * 0,2 55 0,85 95 99 Se 0,1 ” 
5. ` 0,6 „ +0,3 „ 0,85 % е 01: 
6. ээ 0,5 99 + 0,4 99 0,85 o 99 = 0,1 ” 
7. as 04 , +05 „ 0,85% S +01 „ 
8. р 0,3 „ +06 „ 0,85% ы ASOT 5; 
8. 2 02 „ +07 „ 0,85% e +01 „ 
10. ээ 0,1 99 F 0,8 92 0,85 % 99 Ae 0,1 ээ 
11. Е 0,05 „ +0,85, 0,85 % © +01 „ 


Kontrolle: 1 com Meerschweinchenserum. 
Jedes Röhrchen erhält 1 Tropfen Methylenblaulösung, Paraffinöl, 
37°C. 
Nach 3/, Stunden: Röhrchen 1—6 entfärbt, sonst unverändert. 
ээ 1 Stunde: „э 1—8 99 39 ээ 
» 2 Standen: Т 1—10 „ ge Е 


von Kaninchenserum 0,2 ccm Kultur und bei Anwendung von 
Meerschweinchenserum 0,1 ccm). 


1) Diese Zahlen haben nur relativen, d. h. Vergleichswert, bezogen 
auf die Ergebnisse der mit der gleichen Kultur angestellten Versuche, 
da die Dosis minima reducens in erster Linie von der Zahl der Keime und 
deren Vitalität abhängt. 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 267 


Eine das Reduktionsvermögen der Pneumokokken und der 
Bakterien im allgemeinen verstärkende Fähigkeit besitzt auch 
der Traubenzucker, wenn derselbe der bereits ausgewachsenen 
Kultur zugesetzt wird. Dagegen bleibt die Reduktion überhaupt 
aus, wenn man die Bakterien in traubenzuckerhaltiger Bouillon 
wachsen läßt und diese Kultur zu den Versuchen heranzieht. 

Mit Rücksicht darauf, daß manche Bakterien in ihrem 
Wachstum durch Methylenblau ungünstig beeinflußt werden, 
wurde in einem besonderen Versuch die Farbstoffmenge, die pro 
Röhrchen zugesetzt wurde, auf die Hälfte herabgesetzt, also ein 
Tropfen einer zweimal mit 0,85 proz. NaCl-Lösung verdünnten 
Methylenblaulösung gebraucht. Es zeigte sich keine Differenz 
gegenüber der ursprünglichen Anordnung. Da außerdem die 
Entfärbung bei Gebrauch der unverdünnten Methylenblaulösung 
viel deutlicher zu erkennen war, wurde die Originallösung be- 
lassen. Zwei Tropfen Methylenblaulösung pro Röhrchen hemmten 
die Reduktion bis zu einem gewissen Grade. 

Die Verwendung breiterer Reagensgläser oder von weniger 
Paraffinöl machte sich in einer Verzögerung der Reaktion be- 
merkbar. Aus diesem Grunde achteten wir darauf, daß zum Ver- 
suche Röhrchen von gleichem Kaliber kamen und daß die Paraffin- 
schichte in allen gleich breit war. 

Den Einfluß der Temperatur auf den Reduktionsvorgang 
studierten wir in der Weise, daß wir die Entfärbung bei Zimmer- 
temperatur (18°C) vor sich gehen ließen. Tabelle V zeigt einen 
solchen Versuch. 


Tabelle V. | 

1. Röhrchen: 1 cem Bouillonkultur + O ccm sterile Nährbouillon 
2. ээ 0,9 99 LE) + 0,1 99 99 ээ 
3. ээ 0,8 EL 99 + 0,2 99 97 99 
4. 39 0,7 LE 99 + 0,3 ээ ээ 99 
5. 99 0,6 99 99 + 0,4 LA) 99 99 
6. 99 0,5 ээ 99 + 0,5 99 99 99 
1. 99 0,4 97 э? + 0,6 99 99 99 
8. 99 0,3 ээ 77 + 0,7 99 99 э 
9. 99 0,2 LE ” + 0,8 ээ „э 99 
10. ээ 0,1 99 ээ + 0,9 99 99 99 


1 Tropfen Methylenblau pro Röhrchen. Paraffinöl, 18° C. 

Nach 1 Stunde: 1. Röhrchen schwach entfärbt, sonst unverändert. 

Nach 2 Stunden: 1. bis 4. Röhrchen entfärbt, 5. Röhrchen schwach 
entfärbt. 


18* 


268 A. Schnabel: 


Wie zu erwarten war, erfolgt bei 18°C, einer dem Pneumo- 
kokkus nicht zusagenden Temperatur, die Reduktion sehr lang- 
sam und die Dosis minima reducens beträgt 0,7 cem Bouillon- 
kultur, also mehr als das Doppelte der unter sonst gleichen Be- 


dingungen bei 37°C erhaltenen Dosis. 

Auch bei dieser Temperatur wurden die Versuchsbedingungen 
variiert. Die Ergebnisse entsprechen im allgemeinen den bei 
37°C erzielten. 

Zusammenfassend läßt rich auf Grund der Ergebnisse 
der Vorversuche sagen: 1. Pneumokokken haben die Fähig- 
keit, Methylenblau zu reduzieren. 2. Dieser Reduk- 
tionsvorgang ist eine Funktion der Zeit und der Keim- 
zahl. 3. Er unterbleibt, wenn die Pneumokokken in 
einer traubenzuckerhaltigen Bouillon gewachsen sind. 
4. Die Entfarbungsfihigkeit der Pneumokokken wird 
durch Serum, besonders durch das vom Meerschwein- 
chen, ferner durch Traubenzucker gesteigert. 


Nach diesen orientierenden Vorversuchen gingen wir zu den 
Hauptversuchen über, Optochinlösungen verschiedener, beson- 
ders aber dünner Konzentrationen zu bestimmen. Wir 
ließen das Optochinum hydrochloricum unter verschiede- 
nen Bedingungen auf die Pneumokokken einwirken und beob- 
achteten den Grad der Beeinflussung ihres Reduktionsvermögens 
Methylenblau gegenüber. Die dabei angewendete Technik war 
folgende: Von einer 24stündigen Blutbouillonkultur von Pneumo- 
kokken wurde vorerst im Vorversuch die Dosis minima reducens 
bestimmt. Im Hauptversuch wurden dann zu gleichbleibenden 
Keimmengen (= Dosis minima reducens) fallende Mengen einer 
frisch bereiteten Lösung von Optochinum hydrochloricum in 
0,85 proz. NaCl-Lösung zugesetzt, ein Tropfen Methylenblau- 
lösung hinzugefügt, gut durchgeschüttelt, mit Paraffinöl über- 
schichtet und in die Brutkammer bei 37°C gestellt. Bei jedem 
Versuche wurden immer mehrere Kontrollen, in der Regel drei, 
angesetzt, und zwar ohne Optochin. Das Gesamtflüssigkeits- 
volumen betrug (ohne Paraffinöl) 1 ccm. In verschiedenen Zeit- 
abständen wurde die Entfärbung beobachtet und notiert. Tabelle VI 
demonstriert einen rolchen Versuch: 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 269 


Tabelle VI. 


a) Vorversuch: Fallende Dosen Kultur von 1 cem bis O, 1 com mit 
0,85 proz. NaCl-Lösung ergänzt. Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer 
(37°C). Nach 2 Stunden: Röhrchen 1—7 entfärbt, die Dosis minima 
reducens beträgt also @,4ccm Kultur. 

b) Hauptversuch: Verdünnung der Kultur mit 0,85 proz. NaCl- 
Lösung, во daß in 1 ccm 0,4 ccm Kultur enthalten waren, also 21/ fach. 
Mit dieser verdiinnten Kultur wurden dann die Optochinverdiinnungen 
hergestellt, indem z.B. zu 0,9ccm verdünnter Pneumokokkenkultur 
O, com einer 1 proz. Optochinlösung zugesetzt wurde. Durch weitere 
Verdünnungen wurden die Optochinkonzentrationen beliebig gewählt. 


1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000 


2. sg Ei РА 3 55 1: 1000000 
3. ўз E a 8 We 38 1: 2 000 000 
4. ээ 1 „э ээ 99 9 1 S 4 000 000 
5. э 1 „э 5 d d 1: 8000000 
6. „ 1 zm ” 9 99 1 : 16 000 000 


3 Kontrollen: je Leem verdünnte Kultur, kein Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C). 

Nach 1 Stunde 50 Minuten: 3 Kontrollen entfärbt, Röhrchen 3—6 
zeigen eine schwache Entfärbung, 1—2 blau. 

Nach 2 Stunden: 3 Kontrollen entfärbt, Röhrchen 3—6 mäßig ent- 
färbt, 1—2 blau. 

Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe. 

Nach 2 Stunden 20 Minuten: Dasselbe. 

Nach 2 Stunden 30 Minuten: 3 Kontrollen und Röhrchen 3—6 ent- 
färbt, 2. Röhrchen mäßig entfärbt, 1. Röhrchen blau. 


Aus Tabelle VI ist zu ersehen: Optochinlösungen vermögen 
die Reduktion durch Pneumokokken in relativ starken Verdün- 
nungen aufzuheben oder zu verzögern. Im speziellen Fall besteht 
zwischen den Kontrollen und den stärksten Optochinverdün- 
nungen (1:16 Millionen) ein Unterschied, der sich besonders 
scharf vom 2. Röhrchen (1:1 Million) ausprägt. Während die 
Kontrollen schon nach 1 Stunde 50 Minuten entfärbt sind, zeigen 
die Röhrchen 1 und 2 auch nach 2 Stunden 20 Minuten keine 
Veränderung; die übrigen Röhrchen (3—6) entfärbten sich, und 
zwar anfangs schwach, später vollständig. Bei weiterer Beob- 
achtung dehnt sich die Entfärbung auch auf stärkere Optochin- 
konzentrationen aus und erst Verdünnungen, die erfahrungs- 
gemäß auf Pneumokokken abtötend wirken, behalten dauernd 
den blauen Farbenton. Doch gestattet uns diese deutliche, sich 
scharf ansprägende Verzögerung der Reduktion, Optochinlösungen 


270 | A. Schnabel: 


in stärkeren Verdünnungen zu bestimmen. Erwähnt sei hier, 
daß die abtötende Wirkung des Optochinpräparates wiederholt 
geprüft wurde; die bakterizide Verdünnung betrug 1: 300 000 
bis 1: 500 000. 

Die weitere Versuchsrichtung war klar vorgezeichnet. In 
Berücksichtigung des Umstandes, daß die hier in Betracht kom- 
mende Protoplasmaschädigung nur eine partielle, eine einzelne 
Funktion der Zelle betreffende ist und somit in das Gebiet der 
Entwicklungsbehinderung und Entwicklungshemmung fällt, konn- 
ten wir erwarten, daß die auf dem bezüglichen Gebiete der Des- 
infektionslehre erzielten Ergebnisse, also besonders jene, die sich 
auf die wachstumshemmende Eigenschaft verschiedener Sub- 
stanzen beziehen, auch hier eine Bestätigung finden müßten. 

Als wichtigstes Moment betrachteten wir die Feststellung 
der Bedeutung der Zahl der Keime, der Dauer der Ein- 
wirkung des Mittels und der Temperatur, bei der die Ein- 
wirkung bzw. Entfärbung erfolgt. 

Über den Finfluß der Keimzahl auf die Abtötungsfähigkeit 
von Desinfizienten liegen zahlreiche Arbeiten vor. Schon Gruber, 
ferner Behring stellten die Tatsache fest, daß die Keimzahl für 
die Wirkungsdauer desinfizierender Mittel von wesentlicher Be- 
deutung ist. Exakte Untersuchungen darüber haben Chick und 
Martin angestellt, die z. В. in einem Versuch feststellten, daß 
8proz Phenollösung bei 21°C, bei einem Gehalt von 187 000 
Paratyphuskeimen pro Leem in 2,25 Minuten abtötend wirkt, 
bei einem Gehalt von 440 000 in 4,5 Minuten, von 56 Millionen 
in 32,75 Minuten und von 66 Millionen in 34 Miunten. Auch 
andere Autoren bestätigten dieses Verhalten. 

Sehr spärlich sind dagegen Arbeiten über die Beziehungen 
zwischen Zahl der Keime und Entwicklungshemmung durch 
keimschädigende Substanzen. Besonderes Interesse besaß für uns 
die Arbeit von Schiemann und Ishiwara, welche die ent- 
wioklungshemmende Wirkung des Optochins auf Pneumokokken 
untersuchten. Sie fanden, daß „der Einfluß der Bakterienmenge 
auf den Ablauf der antiseptischen Wirkung stets deutlich nach- 
weisbar sei. Nach den Ergebnissen unserer Vorversuche hatten 
wir es in der Hand, die Dosis minima reducens zu verringern, 
so z.B. durch Anwendung von steriler Nährbouillon an Stelle 
der Kochsalzlösung oder durch Zusatz von Serum oder Trauben- 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 271 


zucker, während die Möglichkeit, höhere Dosen zu gebrauchen, 
von vornherein gegeben war. Tabelle VII zeigt einen Versuch 
mit einer Keimmenge, die größer war als die im Vorversuch be- 
stimmte Dosis minima reducens. Die Pneumokokkenkultur 
wurde mit 0,85 proz. NaCl-Lösung so verdünnt, daß in Leem 
0,6 ccm Kultur enthalten waren. Die Dosis minima reducens 
betrug 0,4 cem. Die Optochinverdünnungen blieben die gleichen 
wie bei Tabelle VI. 


Tabelle VII. 


. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 500 000 
: 1000000 
: 2 000 000 


1 
1 
1 
= ER 2 75 1: 4 000 000 
1 
1 


ээ 1 LU 99 99 ээ 


1 
2. 
3. X 
4 
5 : 8000000 
: 16 000 000 


< 
Ki 
— p — — 
* 
* 
ә 
Ki 
KI 
Ki 
wë 
w 


6. 99 

3 Kontrollen: je 1 ccm verdünnte Kultur, kein Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C). 

Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Réhrchen 3—6 ganz entfarbt, 
das 2. Röhrchen zeigt schwache Entfärbung. 

Nach 2 Stunden 15 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 2—6 
entfärbt, Röhrchen 1 blau. 

Nach 2 Stunden 30 Minuten: Dasselbe. 

Nach 3 Stunden: Dasselbe. 


Wie aus dieser Tabelle (УП) zu ersehen ist, vermag das Op- 
tochin bei Anwendung einer größeren Keimzahl (0,6 ccm) nur 
in einer Verdünnung 1: 500 000 die Reduktion deutlich zu hem- 
men. Das Röhrchen 2 (Optochin 1:1 Million) zeigt zu einer 
Zeit, wo die Kontrollen und die übrigen Röhrchen entfärbt sind, 
zuerst eine wenn auch schwache, doch bald vollkommene Ent- 
färbung. 

In weiteren Versuchen verringerten wir die Dosis minima 
reducens durch Anwendung von steriler Nährbouillon als Ver- 
dünnungsflüssigkeit (Tabelle VIII) oder durch Zusatz von Meer- 
schweinchenserum (Tabelle IX). 

Der Ausfall dieser zwei Versuche (Tabelle VIII u. IX) zeigt, 
daß bei Verringerung der Dosis minima reducens die zu ermittelnde 
Optochinkonzentration eine schwächere sein darf als bei Gebrauch 
einer größeren Kulturmenge. Bei Tabelle VIII, wo die Dosis 
minima reducens 0,3 ccm beträgt, hemmt die Optochinverdün- 
nung 1:1,5 Millionen, bei Tabelle IX (Dosis minima reducens 


272 A. Schnabel: 


Tabelle VIII. 


Die im Vorversuch festgestellte Dosis minima reducens beträgt bei 
Anwendung von Nährbouillon als Verdünnungsflüssigkeit 0,3 cem Kultur. 


1. Röhrchen: 1 cem mit Bouillon verd. Kultur, Optochin 1: 500 000 


2. 99 1 ” L 99 sp ээ э 1 H 1 000 000 
3. „э l,„ 55 ” sp ep 55 1: 1 500 000 
4. 99 1 99 57 L ” ” TT 1: 2000 000 
5. ээ 1 sn „э 55 „э 99 IT 1 : 4000 000 
6. 99 1 ээ 99 ” 99 ээ 55 1 м 8 000 000 


3 Kontrollen je 1 ccm mit Bouillon verdiinnte Kultur, ohne Optochin. 
Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C). 

Nach 1 Stunde 45 Minuten: 3 Kontrollen und Röhrchen 4—6 entfarbt. 
Nach 2 Stunden: Dasselbe. 


Tabelle 1X. 


Zusatz von O, I cem Meerschweinchenserum pro Röhrchen; die im 
Vorversuch festgestellte Dosis minima reducens beträgt 0, 2 cem Kultur 
bei Anwendung von 0,85 proz. NaCl-Lösung als Verdünnungsflüssigkeit. 


1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000 


2. e L а e i 1: 1 000 000 
3. 55 1 „ nm „ „ 1:1 500 000 
4. 55 l 5; 55 ” э» 1: 2 000 000 
5. sn 1 „ ” 55 ” 1 : 2 500 000 
6. „ 1 „, э? „ 72 1: 4 000 000 


3 Kontrollen je 1 cem verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, Brutkammer (37° C). 

Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und das 6. Röhrchen 
entfärbt, 1—5 blau. 

Nach 2 Stunden: Dasselbe. 

Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe. 


= 0,2 ccm) übt auch die Verdünnung 1:2,5 Millionen eine deut- 
liche Wirkung aus. Es genügt also bei Anwendung einer kleineren 
Keimzahl ein kleineres Optochinquantum, um das Entfärbungs- 
vermögen der Pneumokokken zu hemmen oder zu verzögern. 

Bei den bisherigen Versuchen ließen wir das Reduktions- 
phänomen unmittelbar nach dem Zusatz des Optochins vor sich 
gehen. Es lag nun nahe, zu untersuchen, ob eine vorausgegangene 
längere oder kürzere Einwirkung des Optochins bei verschiedenen 
Temperaturen mit daran anschließender Reduktion eine Ände- 
rung der Ergebnisse herbeizuführen vermag. Die bezüglichen 
Versuche wurden in verschiedener Weise hinsichtlich Keimzahl, 
Temperatur, Wirkungsdauer usw. variiert. Eine Wiedergabe 


Bestimmung zell- und keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 273 


sämtlicher Versuchstabellen ist aus äußeren Gründen unmöglich. 
Es mögen 3 Tabellen von bei 37°, 18° und 4° C angestellten Ver- 
suchen genügen (Tabelle X, ХІ, ХП). 


Tabelle X. 


Die Dosis minima reducens beträgt 0,4 ccm Kultur bei Anwendung von 
O, 85 proz. NaCl-Lösung als Verdünnungsflüssigkeit. Nach Herstellung der 
Optochinverdünnnngen wurden die Röhrchen ohne Methylenblau 2 Stun- 
den bei37° С gehalten, nachher wurde Methylenblau hinzugefügt, geschüt- 
telt, mit Paraffinöl überschichtet und in die Brutkammer bei 37° C gestellt. 


1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000 


2. „э 1 ээ 5 ээ 9 1: 1 000 000 
3. ээ 1 „ 55 э? э 1: 2 000 000 
4. UI 1 2 39 БЫ * 1 4 000 000 
5. 99 1 5 „ „ 99 1 8 000 000 
6. » I» » » » 1: 16000 000 
7. „э 1 „э 29 ээ 99 1: 32000000 
8. DI 1 „э „э 99 9 1 64 000 000 
9. ээ 1 „э ээ sp 55 1 2 128 000 000 


3 Kontrollen je 1 ccm verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

2 Stunden bei 37°C, dann Methylenblau, Paraffinöl und wieder in 
die Brutkammer bei 37° С. А 

Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 4—9 entfärbt. 
1—3 blau. 

Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe. 

Nach 2 Stunden 20 Minuten: Dasselbe. 


Tabelle XI. 


Dosis minima reducens 0, 4 ccm Kultur, 0,85 proz. NaCl-Lösung als 
Verdünnungsflüssigkeit. Vor dem Zusatz des Methylenblaus wurden die 
Röhrchen 2 Stunden im Zimmer bei 18° С gehalten. 


1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000 


2. 99 1 nm ` 99 э 55 1: 1 000 000 
3. 99 1 99 ээ БЫ 99 1: 1500000 
4. „э 1 99 sp „э „ 1: 3 000 000 
5. 75 1 „ » 75 » 1: 4000 000 
6. ээ L y „ 55 22 1: 8 000 000 
7. „э 1 97 ” э 99 1 : 16 000 000 
8. ээ 1 ” ээ 99 „ 1 H 32 000 000 
9. E 1 IT „ээ IT 75 1 H 64 000 000 


3 Kontrollen: je 1 ccm verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

2 Stunden bei 18° C, dann Methylenblau, Paraffinöl und bei 37° C. 

Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 5—9 
entfärbt, 1—4 blau. 

Nach 2 Stunden: Dasselbe. 


274 A. Schnabel: 


Tabelle XII. 


Dosis minima reducens = @,4ccm Kultur, 0,85 proz. NaCl-Lésung 
als Verdünnungsflüssigkeit; vor dem Zusatz des Methylenblaus kamen 
die Röhrchen fiir 2 Stunden in den Eisschrank bei 4° C. 


1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 500 000 
2. ” 1 99 99 99 7 l: 1 000 000 
3. » l „ „ 5 e 1 2 000 000 
4. de E e з = 1 4 000 000 
5. es l, e 7 7 1: 8 000 000 
6. „ К» КА з e 1: 16000000 
7. Ar 1» „ ›„ > 1: 32 000 000 
8. nu SE e уз + 1: 64000000 
9. 99 l 55 э „ en 1: 128 000 000 


3 Kontrollen: је Leem verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

2 Stunden bei 4° C, dann Methylenblau, Paraffinöl und 37° C. 

Nach 2 Stunden 30 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 6—9 
entfärbt, 1—5 blau. 

Nach 2 Stunden 45 Minuten: Dasselbe. 

Diese drei Tabellen (X, XI, XII) gestatten den Schluß, daß 
durch Verlängerung der Wirkungsdauer des Optochins, letzteres 
imstande ist, in höheren Verdünnungen die Reduktion durch 
Pneumokokken zu hemmen oder zu verzögern, als wenn man den 
Reduktionsprozeß unmittelbar nach dem Optochinzusatz ein- 
setzen läßt. Doch hängt der Wirkungrgrad von der Temperatur 
ab, bei der das Optochin auf die Pneumokokken wirkt, und zwar 
erwiesen sich die tieferen Temperaturen geeigneter für die Er- 
zielung stärkerer Wirkungseffekte. So betrug die schwächste 
Optochinkonzentration, die nach zweistündiger Einwirkung 
bei 37°C die Entfärbung deutlich zu verzögern vermochte, 
1:2 Millionen (Tabelle X), bei gleich langer Wirkungsdauer 
bei 18°C 1:3 Millionen (Tabelle XI), während unter dem 
Einfluß der Eisschranktemperatur (4°C) die noch wirksame 
Optochinkonzentration 1:8 Millionen betrug (Tabelle XII). 

Diese Zunahme der Wirkung bei tieferen Temperaturen ent- 
spricht den beim Studium der entwicklungshemmenden Eigen- 
schaften anderer Substanzen erhobenen Befunden. So stellte 
schon Behring fest, daß die entwicklungshemmende Wirkung 
keimschädigender Substanzen durch tiefere Temperaturgrade 
gesteigert werden kann, während die Abtötungsfähigkeit durch 
höhere Temperaturen, also auch solche, die das Wachstums- 
optimum vieler Bakterien darstellen (ca. 37° C), begünstigt wird. 


Bestimmung zell- und keimschidigender Substanzen auf biol. Wege. 275 
é 


Er erklärte diese Erscheinung folgendermaßen: Durch höhere 
Temperaturen werde nicht nur die Aktivität des Desinficiens, 
sondern auch die des lebenden Protoplasmas erhöht; die Gift- 
wirkung eines Mittels werde, ceteris paribus, von allen Lebewesen 
um so leichter ertragen, je günstiger für dieselben die Lebens- 
bedingungen sind; bei tieferen Temperaturen kämen zu der 
Giftwirkung der schädigenden Substanz die ungünstigen Tempe- 
raturverhältnisso hinzu 

Außer der Temperatur, bei der das Optochin einwirkt, ist 
auch die Einwirkungsdauer von Bedeutung. Wirkte das Mittel 
niehr als 2 Stunden ein, dann erzielten wir noch höhere Wirkungs- 
effekte, besonders bei Anwendung der Eisschranktemperatur. 
Bei 37°C, weniger bei 18°C, waren die Resultate bei mehr- 
stündiger Einwirkungsdauer nicht immer eindeutig, insofern als 
häufig schon bei stärkeren Konzentrationen und früher Ent- 
färbung eintrat als bei kürzerer Wirkungsdauer. In derartigen 
Fällen handelte es sich oft um Sterilitätsfehler, auch dürfte die 
Vermehrung der Keime eine Rolle spielen. 

Es schien uns von Interesse, zu untersuchen, wie sich der 
ReduktionsprozeB bei Zimmertemperatur (18°C) in ver- 
schiedenen Optochinkonzentrationen abspielt. Keimzahl und 
Wirkungsdauer wurden auch hier variiert. Doch zeigten schon 
die ersten Versuche, daß die üblichen Optochinverdünnungen 
nicht ausreichten. Bei Anwendung der Dosis minima reducens 
zeigten auch die Röhrchen mit 100-millionenfachen, ja sogar 
in vielen Fällen bei milliardenfacher Optochinkonzentration 
keine Spur von Entfärbung, zu einer Zeit, wo die gleichzeitig an- 
gesetzten Kontrollen deutliche Entfärbungszeichen aufwiesen. 
Tabelle XIII zeigt einen eolchen Versuch. 

Aus dieser Tabelle (XIII) ersieht man, daß die Optochin- 
konzentrationen, die auf den Reduktionsprozeß der Pneumo- 
kokken verzögernd einwirken, wenn derselbe bei 18° C stattfindet, 
auch 100-millionenfache und milliardenfache sein kön- 
nen. Bei Anwendung größerer Kulturquantitäten, als es den Vor- 
versuchen entsprach, erfolgte die Entfärbung rascher und zeigte 
nur bei stärkeren Optochinkonzentrationen deutliche Hemmungen. 
Zwischen den Versuchen bei 37°C und denen bei 18°C besteht 
ferner der Unterschied daß bei Bruttemperatur die Grenz- 
konzentrationen sich deutlich von den unwirksamen Optochin- 


276 A. Schnabel: 
J 
Tabelle XIII. 


Dosis minima reducens bei 18°C und bei einem Zusatz von 0,1 ccm 
Meerschweinchenserum @,® ccm Kultur. 


1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 1 000 000 


2. js 1: 5 = j l: 2 000 000 
3. 2 l э e 95 m l: 4 000 000 
4. e I o H e Se (E 8 000 000 
5. Se l %&% sp e 5 1: 16000000 
6. e l „ e P 1 1: 32 000 000 
7. ‘3 e Se e e 1: 64 000 000 
8. 99 1 99 d „э ээ 1: 128000000 
9. МЫ 1 э ээ ээ ” 1: 256000 000 
10. „ l, E А „ 1: 512 000 000 
11. А eg ge ge # 1: 1 024 000 000 
12. Р 1 j Se e 1 : 2 048 000 000 


3 Kontrollen је Leem verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, 18° C. 

Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen fast entfärbt, sonst 
alles unverändert. - 

Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen entfärbt, 12. Röhrchen schwach 
entfärbt. 


verdünnungen abheben, während dies bei 18° C nicht der Fall ist. 
Infolgedessen kann sich nur die Reduktion bei 37° C für quanti- 
tative Bestimmungen eignen, während sie bei 18° C den Charakter 
einer hochempfindlichen qualitativen Reaktion aufweist. 
Die eigentliche Fragebeantwortung nach der praktischen 
Anwendbarkeit der Methode, blieb Schlußversuchen vorbehalten. 
Wir stellten uns drei verschiedene Verdünnungen des Optochins 
in Meerschweinchenserum her, und zwar 1: 25 000, 1: 50 000 und 
1: 100 000 und suchten nun die Hemmungsgrenzen für diese drei 
Konzentrationen festzustellen (Tabelle XIV, XV, XVI). 


Tabelle XIV. 

Die Dosis minima reducens bei 37° С und bei Zusatz von 0,1 ccm 
Meerschweinchenserum pro Röhrchen beträgt 0,2 cem Kultur. Die erste 
Optochinlösung im Serum wurde so verdünnt, daß im 1. Röhrchen eine 
Konzentration 1: 500 000 resultierte. 


1. Röhrchen: 1 cem verdünnte Kultur, Optochin i: 500 000 


2. sp 1 99 99 99 „э 1:1000000 
3. „э 1 ээ 99 99 э 1: 2 000 000 
4. 57 1 „э 99 „э 9 1: 4 000 000 
5. » l „ » » ” 1: 8 000 000 


Bestimmung zell- und keimschidigender Substanzen auf biol. Wege. 277 


3 Kontrollen је 1 com verdtinnte Kultur, ohne Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, 37° C. 

Nach 1 Stunde 55 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrcher 4—6 
entfärbt, 1—3 unverändert. 

Nach 2 Stunden: Dasselbe. 

Nach 2 Stunden 10 Minuten: Dasselbe. 


Tabelle XV. 


Dosis minima reducens = @,2 ccm Kultur, 0,1 com Meerscheinchenserum 
pro Röhrchen; die Optochinverdünnung 1 : 50 000 kam zur Anwendung. 
1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 1 000 000 


2. А I; ge PR 75 1: 2 000 000 
3. „ 1 „ э» 55 „ 1: 4000 000 
4. ” 1 „ 55 s 55 1: 8 000 000 
5. j E ës 15 er Se 1 : 16 000 000 


3 Kontrollen је l cem verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, 37° C. 

Nach 1 Stunde 50 Minuten: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 3—6 
entfärbt, 1—2 blau. 

Nach 2 Stunden: Dasselbe. 


Tabelle XVI. 


Dosis minima reducens = @,2 ccm Kultur, 0,1 ccm Meerscheinchenserum 
pro Röhrchen, die Optochinverdünnung 1 : 100000 wurde angewendet. 


1. Röhrchen: 1 ccm verdünnte Kultur, Optochin 1: 2 000 000 


2. ” 1 „, 2 55 IT 1: 4000000 
3. „ 1 „ э ” ГЫ 1: 8000000 
4. 9 1 „э э ээ „ 1 : 16 000 000 
5. э, 1 э 9 э ap 1 : 32 000 000 


3 Kontrollen je 1 com verdünnte Kultur, ohne Optochin. 

Methylenblau, Paraffinöl, 37° C. 

Nach 2 Stunden: Die 3 Kontrollen und Röhrchen 2—6 entfärbt, 
1. Röhrchen blau. 

Nach 2 Stunde 10 Minuten: Dasselbe. 


Vergleichen wir die drei Tabellen (XIV, XV, XVI) mit- 
einander: In der Tabelle XIV, wo die Ausgangslösung das Op- 
tochin in einer Verdünnung 1: 25 000 enthielt, konnte letztere, 
noch 80fach verdünnt, die Reduktion hemmen (3. Röhrchen 
1:2 Millionen), bei Tabelle XV traf dies nur noch in einer 
40fachen Verdünnung zu, da ja die Ausgangslösung 1: 50 000, 
also zweimal schwächer war als die erste; die Hemmung erstreckte 
sich dementsprechend nur auf die Röhrchen 1 und 2 (Optochin 
1:2 Millionen). Bei Tabelle XVI zeigte nur das 1. Röhrchen 


278 A. Schnabel: Best. zell- u. keimschädigender Substanzen auf biol. Wege. 


Hemmung, da bereits hier die Konzentration 1: 2 Millionen 
betrug (= 20fache Verdünnung der Ausgangslösung 1: 100 000). 
Das Verhältnis der Ausgangslösungen zueinander war 25 000 

50 000: 100 000 = 1: 2: 4, ihre noch feststellbaren Verdünnungen 
20: 40: 80, also ebenfalls 1: 2: 4. Ahnliche Versuche wurden 
mehrmals wiederholt und die erzielten Resultate entsprachen den 
hier mitgeteilten, — wenn auch nicht bezüglich der Konstanz der 
Grenz konzentrationen, so doch hinsichtlich des Verhältnisses der 
Ausgangs verdünnungen zueinander. 

Wir sind also auf diese Weise in der Lage, Optochinlösungen 
unbekannter Konzentrationen durch Vergleich mit bekannten 
Lösungen zu bestimmen, und zwar in Verdünnungen, die auf eine 
andere Art nicht ermittelt werden können. Es wird Gegenstand 
weiterer Untersuchungen sein, die hier erhaltenen Ergebnisse 
praktisch anzuwenden. Auch wollen wir in weiteren Versuchen 
die Ausdehnung des Verfahrens auf andere Substanzen erstreben. 

Zusammenfassung: 1. Durch Beeinflussung des 
Reduktions vermögens der Pneumokokken sind wir 
in der Lage, Optochinlösungen in millionenfachen 
und höheren Verdünnungen zu bestimmen. 2. Die auf 
diese Weise ermittelte Grenz konzentration hängt ab 
von der Keimzahl, der Dauer der Einwirkung des 
Mittels und der Temperatur, bei der es einwirkt. 
3. Die höchsten Verdünnungen (milliardenfache) kön- 
nen ermittelt werden, wenn der ReduktionsprozeB 
bei Zimmertemperatur stattfindet; doch eignet sich 
die Reduktion bei Zimmertemperatur nur für qualita- 
tive Bestimmungen. 4 Genauere quantitative Ermit- 
telungen lassen sich bei 37°C ausführen. 


Literatur“). 

1) P. Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Berlin 1885. 
— *) E. Behring, Zeitschr. f. Hyg. 9. — *) M. Neisser und F. Wechs- 
berg, Zeitschr. f. Hyg. 36. — ) R. Grass berger, Desinfektion. Leipzig 
1913. — 5) J. Morgenroth, Dtsch. med. Wochenschr. 36. 1918. — 
*) O. Schiemann und Т. Ishiwara, Zeitschr. f. Hyg. 7%. — 7) E. Fried - 
berger, Die allgemeinen Methoden der Bakteriologie (im Handbuch der 
pathogenen Mikroorganismen von Kolle-Wasser mann). 

*) Wegen Raummangels werden nur die wichtigsten von uns 
hier zitierten Publikationen angeführt, in е umfangreichere Literatur- 
nachweise zu finden sind. 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, 
Xanthosis, Hyperlipochromamie. 


Von 
Hymans van den Bergh und P. Muller. 
(Unter Mitwirkung von J. Broekmeyer.) 


(Aus der medizinischen Klinik der Universität Utrecht.) 
(Eingegangen am 31. Mai 1920.) 


Die Farbe der Haut und der Gewebe ist mehreren, in ver- 
schiedenartigen Verhältnissen miteinander vermischten Farb- 
stoffen zuzuschreiben, die noch keineswegs hinreichend unter- 
sucht worden sind. Sehen wir vom Blutfarbstoff selbst und seinen 
unmittelbaren Modifikationen, reduziertem Hämoglobin, Met- 
hämoglobin und Sulfhämoglobin ab, dann können wir schon 
jetzt verschiedene Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe 
bilden Zersetzungsprodukte von Eiweißkörpern, die wahrschein- 
lich aus dem Protoplasma an Ort und Stelle entstehen. Die 
zweite Gruppe wird von eisenhaltigen Derivaten des Blutfarb- 
stoffs gebildet, für welche als Beispiel das Hämatin genannt sei. 
Eisenfreie Hämoglobinderivate können zu einer dritten Gruppe 
gezählt werden, deren wichtigster Vertreter das Bilirubin ist, 
während zuweilen wohl auch das isomere Hämatoporphyrin eine 
Rolle spielt. Eine vierte Gruppe bilden schließlich diejenigen 
Pigmente, die unter verschiedenen Namen beschrieben werden, 
Luteine, Carotinoide, Lipochrome. Mit der zuletzt genannten 
Gruppe von Farbstoffen beschäftigt sich vorliegende Abhandlung. 

Gelbe Pigmente, die vorläufig am besten mit dem Namen Lipochrome 
bezeichnet werden, sind bis vorkurzem namentlich von Botanikern*), weniger 
von Chemikern und fast gar nicht von Klinikern untersucht worden. Be- 


reits Stokes!) und Sorb у?) hatten entdeckt, daß sich in grünen Pflanzen- 
teilen neben dem Chlorophyll gelbe Farbstoffe befinden. Nachdem das 


*) Vgl. Tine Tammes, Flora. 87, 205. 1900 und von Wisse- 
lingh, Flora. 107, 371. 1915. 


280 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


Carotin aus Daucus carota abgesondert worden war, wies Arnaud?) im 
Jahre 1885 in grünen Pflanzenteilen ein gelbes Pigment nach, das mit dem 
Carotin aus Daucus carota identisch ist. Seitdem sind zahlreiche Unter- 
suchungen dieser Pigmente vorgenommen worden. In den letzten Jahren 
hat Willstätter ‘), 5) sich namentlich damit beschäftigt. Diejenigen dieser 
Pigmente, welche am häufigsten vorkommen, können in die zwei Gruppen 
‚von Borodin®) eingeteilt werden. Die Pigmente der ersten Gruppe, welcher 
das Carotin angehört, lassen sich in Petroleumäther (Benzin) leicht, in Alko- 
hol schwer auflösen. Zur zweiten Gruppe gehört das Xanthophyll; die hier- 
her gehörigen Farbstoffe lassen sich verhältnismäßig leicht in Äthyl- und 
Methymlkohol, schwer in Petroleumäther auflösen. 

Auch in tierischen Produkten, namentlich im Eidotter, im Serum 
von Menschen und Tieren, haben bereits ältere Forscher lipochrome Pig- 
mente angetroffen (Krukenberg, Thudicum, Schunk u.a.); sie 
werden gewöhnlich Luteine genannt. Auch auf diesem Gebiet verdanken 
wir Willstätter und seinen Mitarbeitern wichtige Untersuchungen. 
Es stellte sich heraus, daß auch die tierischen Lipochrome oder Carotinoide, 
je nach ihrer Lösbarkeit in Petroleumäther oder Alkohol, in zwei Gruppen 
eingeteilt werden können. Willstätters Schüler Escher hat aus dem 
Corpus luteum der Kuh das Carotin in reinem Zustand abgesondert, 
während Willstätter und Escher zusammen aus dem Eidotter das 
Lutein in chemisch reinem Zustande gewannen, wobei sie fanden, daß es, 
vom Schmelzpunkt abgesehen, völlig mit dem Pflanzenxanthophyll über- 
einstimmt. 

In einer Abhandlung über die Farbstoffe des Blutserums 
haben wir’) im Jahre 1913 eine einfache Methode beschrieben, 
mittels welcher man das Lipochrom aus dem Blutserum von 
Mensch und Tier auszuscheiden vermag. Dabei fanden wir, daß 
dieses Pigment im Serum von Hühnern und Rindern in verhält- 
nismäßig großer Menge vorkommt. Bei Menschen trafen wir es 
in sehr verschiedener Menge an, das eine Mal fanden sich nur 
geringe Spuren, das andere Mal nicht unbeträchtliche Mengen. 
Ferner stellten wir fest, daß bei manchen Menschen. namentlich 
bei Zuckerkranken, aber auch wohl bei solchen, die nicht an 
dieser Krankheit litten, der Lipochromgehalt des Serums sehr 
stark erhöht war. Diese Personen mit abnormal hohem Lipo- 
chromgehalt des Blutserums zeichneten sich durch eine eigen- 
artige Hautfärbung aus, die ein wenig an einen leichten Ikterus 
erinnerte. Die Farbe war aber etwas anders, mehr orangegelb, 
und die Sclerae waren stets farblos, und, wie selbstverständlich, 
enthielt der Urin keinen Gallenfarbstoff. Es war uns entgangen, 
daß eine derartige eigentümliche gelbe Farbe bereits von v. Noor- 
dens) und Salomon?) unter dem Namen Xanthosis beschrieben 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 281 


worden war. Es wurde aber von v. Noorden die Art des Farb- 
stoffes, der diese Xanthosis veranlaBt, nicht festgestellt. 


Später sind in der deutschen Literatur verschiedene Mitteilungen, 
die sich auf diesen Gegenstand beziehen, erschienen. 

Raupen) lenkte die Aufmerksamkeit auf eine gelbe Hautfarbe, 
die während des Krieges bei kleinen Kindern, die viel Mohrrüben gegessen 
hatten, beobachtet wurde. Stöltzner!!) und Klose!2) führten derartige 
Beobachtungen an, während Moro!) eine eigentümliche Verfärbung der 
Haut bei Säuglingen, die mit sog. „Möhrensuppe‘‘ großgezogen worden 
waren, schon vorher beschrieben hatte. Schüssler!?) beschrieb die erwähnte 
Hautfärbung bei Erwachsenen, die viel Mohrrüben gegessen hatten. Um- 
ber!) bestätigte in der zweiten Auflage seines Lehrbuches von Noorden’s 
Xanthosebeobachtung und kam im Jahre 1916 noch einmal darauf zurück!“). 
Alle diese Mitteilungen machen die Wahrscheinlichkeit, daß die Lipochrom- 
zunahme im Blut bei der Xanthose mit der Ernährung zusammenhängt, 
sehr groß. Diese Annahme wird durch eine Untersuchung von Bürger 
und Reinhart!’), 18) verstärkt, die bei quantitativer Schätzung des 
Lipochroms im Blut bemerkten, daß der Gehalt entsprechend dem Lipo- 
chromgehalt der Nahrung wechselt. Eine kurze Mitteilung von Salo- 
mon!?) bestätigt, daß das Serumlipochrom bei Xanthosis in seinen 
spektroskopischen Eigenschaften mit dem Pflanzenlipochrom übereinstimmt. 

Sehr wichtige Untersuchungen, auf die wir noch wiederholt zurück- 
kommen werden, verdanken wir dem amerikanischen Ackerbauchemiker 
Palmer und seinen Mitarbeitern 22), 23), 24), 27), während Hess und 
Meyers“) eine Untersuchung vornahmen, die wir besser an späterer Stelle 
besprechen. Einen kurzen Artikel widmet diesem Gegenstand The Journal 
of the American medical Association in ihrem Editorial vom 3. Januar 1920. 


1. Einige chemische Eigenschaften der Carotinoide. 


Es ist nicht nötig, die Chemie dieser Pigmente hier ausführlich zu 
behandeln. Eine ausgezeichnete Darstellung geben Willstätter und 
Stoll). Nur müssen, um die nachfolgenden Ausführungen verständlich 
zu machen, einige Eigenschaften hervorgehoben werden. Das Pigment 
aus Mohrrüben (Daucus carota) war vermutlich das erste, welches in che- 
misch reinem Zustand abgesondert wurde. Arnaud hat es in einer vor- 
trefflichen Arbeit (unter Chevreuil) genau untersucht. Er wies nach, 
daß es ein ungesättigter Kohlenwasserstoff ist, welcher, dem Licht aus- 
gesetzt, leicht Sauerstoff aufnimmt. Auf Grund seiner Analyse des Stoffes 
selbst und seiner Additionsprodukte nahm er C, Hs, als empirische Formel 
an. Arnaud fand, daß das Carotin mit gelben Pigmenten, die in grünen 
Pflanzenteilen neben dem Chlorophyll vorkommen, jdentisch ist. Später 
hat man entdeckt, daß außer dem Carotin noch andere lipochrome gelbe 
Pigmente in der Natur vorkommen. Nach Tswett?!) nennt man sie alle 
zusammen Carotinoide. In dieser Abhandlung werden nur die beiden großen 
Gruppen, die durch das Carotin und das Xanthophyll vertreten sind, berück- 
sichtigt werden. Diese beiden Pigmente kommen einmal getrennt, ein 


Biochemische Zeitschrift Bd. 108. 19 


РА 


282 Hymans van den Bergh, Р. Muller und J. Broekmeyer: 


anderes Mal nebeneinander in der Natur vor. Sie lassen sich alle in Fetten, 
Äther, Petroleumäther, Aceton, Schwefelkohlenstoff auflösen. Ihre spektro- 
skopischen Eigenschaften lassen wir der Kürze halber und weil wir uns 
ihrer bei unseren jetzigen Untersuchungen nicht bedienten, unbesprochen. 
Dasselbe gilt für ihre adsorbtiven Eigenschaften hinsichtlich des Calcium- 
carbonats. Eine sehr wichtige Eigenschaft der Carotinoide ist diese, daß 
sie sich, sofern sie sich in trockenem Zustand befinden, mit einer dunkel- 
blauen Farbe in starker Schwefelsäure lösen. 

Willstätter hat die Ergebnisse, zu denen Arnaud bei seiner Unter- 
suchung des Carotins gelangte, so gut wie ganz bestätigen können. Es zeigte 
sich, daß die molekulare Zusammenstellung ein wenig von derjenigen 
abwich, die Arnaud gefunden hatte. Für Carotin stellte Willstätter 
Co Hz, für Xanthophyli C.o Hs eO, fest. | 

Xanthophyll und Carotin lassen sich quantitativ leicht voneinander 
trennen, weil sie sich in verschiedener Weise auf Petroleumäther und 90 proz. 
Methylalkohol verteilen. Hat man eine Mischung jener beiden Stoffe, dann 
bringt man sie in eine Mischung von starkem Methylalkohol und Petroleum- 
äther. Danach setzt man ein wenig Wasser zu, geradesoviel wie nötig ist, 
um die Konzentration des Alkohols auf ungefähr 90%, zu bringen. Es 
bilden sich dann zwei Schichten. Das Carotin, das sich in Methylalkohol 
schwer löst, lagert sich in die obere Petroleumätherschicht. Das Xantho- 
phyll geht in die untere Schicht, den Methylalkohol. 


2. Die Absonderung der Lipochrome aus Blutserum und aus 
pflanzlichen und tierischen Geweben. 


In unserer früheren, vorhin bereits erwähnten Abhandlung 


haben wir angegeben, auf welche Weise das Serum-Lipochrom 


auf einfache Art abgesondert werden kann. Ein Volumen Rinder- 
serum wird mit 2 Volumen Alkohol gemischt. Beim Menschen- 
serum nimmt man gleiche Volumina. Die Mischung wird zentri- 
fugiert, die oben liegende Flüssigkeit abgegossen. Das Eiweiß- 
präcipitat, welches das Lipochrom enthält, wird mit Äther extra- 
hiert. In der letzten Zeit machten wir es oft ein wenig anders: 
Kinem Volumen Serum setzten wir 1 Volumen 96proz. Alkohol 
und 1½ Volumen Äther zu, dann, ohne zu schütteln, soviel Wasser, 
wie zur Entmischung nötig ist. Gewöhnlich reichen hierzu 
1½ Volumen hin. Das Lipochrom geht dann quantitativ in 
die Ätherschicht. 

Palmer?!) schlug einen etwas anderen Weg ein. Er mischte das Serum 
mit wasserfreiem CaSO,, benetzte mit Alkohol und extrahierte mit Äther. 
Diese Methode bietet unserer Meinung nach keinen Vorteil vor der. von uns 


befolgten, welche auch von Reinhart und Bürger und von Salomon 
angewandt wird. 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 283 


Um die Lipochrome aus pflanzlichem und tierischem Gewebe 
abzusondern, werden sie entweder in frischem Zustand mit Alko- 
hol und Ather behandelt, worauf mittels Wasser getrennt wird, 
oder aber das Material wird zuerst bei mäßiger Erwärmung ge- 
trocknet und fein verteilt und dann mit Alkohol und Äther 
extrahiert. Gallenfarbstoff kann man durch Waschen mit sehr 
verdünnter Lauge entfernen. 

In den meisten Fällen, sei es auch nicht in allen Fällen, ist 
es nötig, der Extraktion mit Äther eine Behandlung mit Alkohol 
vorausgehen zu lassen. Aus manchen Pflanzenteilen kann man das 
Pigment direkt durch Extraktion mit Äther erhalten. Dasselbe 
ist beim Eidotter der Fall. Reibt man ibn mit Äther, dann geht 
das Pigment (Xanthophyll) in letzteren über. Wendet man je- 
doch Petroleumäther als Extraktionsmittel an, dann ist vorher- 
gehende Behandlung mit Alkohol nötig. Gekochter Eidotter tritt 
dagegen seinen Farbstoff wieder direkt an Petroleumäther ab. 
Aus Rinderserum, Menschenserum und zahlreichen 
tierischen Geweben gelingt es nicht, das Pigment mit 
Äther zu extrahieren, es sei denn, daß man sie zuvor 
mit Alkohol behandelt habe. 

Auch beim Hühnerserum stellte sich bei acht von den zehn 
von uns benutzten Proben dasselbe heraus. Dies widerspricht 
der Erfahrung Palmers, nach dessen Ansicht das Hühnerserum 
sein Pigment immer direkt an Äther abgibt. 

Nach demselben Forscher soll das Pigment des Rinderserums 
darin an Eiweiß gebunden, als sog. Carotoalbumin, vorkommen; 
die genannte Molekularverbindung müsse durch Alkohol zerlegt 
werden, ehe das Pigment sich in Äther lösen könne. Im Gegen- 
satz hierzu fanden wir aber, daß das Lipochrom aus Rinderserum 
nicht in Äther übertritt, wenn man das Eiweiß mittels gesättigter 
Ammoniumsulfatlösung oder durch Kochen gefällt hat, während 
doch, unserer Meinung nach, das Eiweiß durch Kochen stärker 
denaturiert wird, als durch Alkohol. Überraschend ist ferner 
die schnelle Wirkung des Alkohols. Unmittelbar nach dem Zu- 
setzen des Alkohols bemerkt man, daß der Äther eine gelbe Fär- 
bung annimmt. Die Wirkung scheint also bereits während der 
ersten Phase (der Ausflockung) einzutreten und vor der zweiten 
Phase (dem Denaturieren des Eiweißes). 

Die Lipochrome sind in Wasser nicht löslich. Dies erschwert 


19* 


284 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


ihre Untersuchung im Tierexperimente. Lésungen in Ather, 
Petroleumäther und dergleichen sind dazu nicht zu brauchen 
Man kann sich einigermaBen behelfen, indem man die Stoffe in 
farblosen Olen auflöst. Indessen lassen sich diese auch nicht 
bei allen Experimenten anwenden, z. B. nicht bei intravenöser 
Injektion für tierphysiologische Untersuchungen. Es ist also 
von Nutzen, daß die Lipochrome auf folgende Weise in wässerige 
(kolloidale) Lösung gebracht werden können. 


Man bereitet eine konzentrierte Carotinlösung, indem man getrocknete 
und fein geriebene Mohrrüben mit einer-Mischung von Alkohol und Äther 
extrahiert. Der Äther wird entfernt. Es bleibt dann eine schöne, gold- 
gelbe, völlig durchsichtige alkoholische Carotinlösung übrig. Auf ein- 
fachere Weise erhält man diese Lösung, wenn man Mohrrüben zuerst mit 
Alkohol kocht, wodurch sie Wasser, einen kleinen Teil ihres Carotins und 
ihre anderen Farbstoffe loslassen. Darauf werden sie in einem Rückfluß- 
kühler auf dem Wasserbad mit kochendem Alkohol extrahiert. Wenn man 
die alkoholische Lösung mehrmals mit Wasser verdünnt, so daß nur noch 
ein sehr geringer Alkoholgehalt in der Mischung übrigbleibt, dann bildet 
das Carotin keinen Niederschlag, sondern bleibt gelöst. Durch Eindampfen 
in vacuo (nötigenfalls bei leichter Erwärmung im Wasserbad) wurden die 
Alkoholreste, die noch übrig waren, so viel wie möglich entfernt. Auch 
dann bildet das Carotin keinen Niederschlag, sondern man behält eine 
kolloidale Lösung übrig. Konzentrierte kolloidale Lösungen dea Carotins 
opalescieren, weniger konzentrierte sind klar. 


Versucht man nun aber dieser kolloidalen Lösung das Carotin mittels 
Äther zu entziehen, so gelingt dies nicht. Man mag noch so stark schütteln, 
selbst nach 2 Stunden starken Schüttelns in einer Schüttelmaschine, es 
geht keine Spur des gelben Farbstoffs in den Äther oder das Benzin über. 
Sobald man aber der Mischung eine kleine Menge Alkohol zusetzt (z. B. 
auf 5ccm kolloidale Carotinlösung + 3 ccm Ather, einige Tropfen Alko- 
hol), tritt der Farbstoff sogleich und quantitativ in die obere Flüssigkeits- 
schicht über, während die untere Schicht ganz entfärbt wird und gewöhn- 
lich etwas stärker opalesciert. Das sicherste Resultat erzielt man, wenn 
man zuerst den Alkohol zusetzt und nachher den Äther. 


Ebenso wie das Mohrrübencarotin können das Carotin aus Rinder- 
und Menschenserum und das Xanthophyll aus Hühnerserum und Eidotter 
auf gleiche Weise in wässerige, kolloidale Lösung gebracht werden. Letztere 
opalescieren stärker als die Carotinlösung aus Mohrrüben, am stärksten 
die Eidotter-Xanthophyli-Lösung. Sie laufen nichtsdestoweniger alle un- 
verändert durch das Filter und die Opalescenz kann durch Entfernen der 
Fette (nach Verseifen) und des Cholesterins (Fällen mittels Digitonin) 
stark verringert werden. Schüttelt man diese wässerigen kolloidalen 
Lösungen mit Äther, so geht in diesen — genau wie bei dem Carotin aus 
Daucus carota — keine Spur Farbstoff über. Setzt man aber zuerst eine 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 285 


kleine Menge Alkohol zu und schiittelt, dann tritt der Farbstoff wieder 
sofort und quantitativ in die Atherschicht ein. 

Dieselbe Wirkung hat die Hinzufiigung von gewissen Salzen. Setzt 
man zur kolloidalen Lösung des Carotins einige Tropfen einer CaCl,-Lésung, 
oder noch besser eines Aluminiumsols zu, so kann man den Farbstoff so- 
fort mit Ather ausschiitteln. Die Wirkung dieser Salze beruht offenbar 
auf einer Ausflockung des Carotins, die nach längerem Stehen sichtbar 
wird. Aber schon die für das Auge nicht sichtbare Ausflockung der kleinsten 
Partikelchen macht dieselbe für den Äther erreichbar. 

Nachdem wir in der uns zur Verfügung stehenden Literatur vergeb- 
lich nach einem ähnlichen Verhalten gesucht haben, fanden wir, daß 
Willstätter dieselbe Erscheinung bei wässerigen kolloidalen Lösungen 
von Chlorophyll wahrgenommen hatte. Er bereitete diese — ebenso wie 
wir die entsprechenden Lipochromlösungen — indem er einer alkoholischen 
Chlorophyllösung eine große Menge Wasser zusetzte und darauf den Alko- 
hol in vacuo verdampfte. Mittels Äther gelang es ihm dann nicht, das 
Chlorophyll aus der wässerigen Lösung zu extrahieren. Wohl aber ging 
der grüne Farbstoff sofort in den Äther über, wenn er der wässerigen 
Lösung eine kleine Menge Lauge zugesetzt hatte. Willstätter hat nicht 
untersucht, ob auch einige Tropfen Alkohol „ befreiend“ wirken. Er erklärt 
die Wirkung, wie wir es vorher dargelegt haben. Die Wirkung des Alkohols 
muß aber eine andere sein. In diesem Falle ist ja von „Ausflockung“ keine 
Rede. Eher müßte der Alkohol, wenigstens bei Zusatz einer hinreichenden 
Menge, die kolloidale Lösung in eine echte Lösung verwandeln. 

Eine Erklärung der Erscheinung vermögen wir nicht zu 
geben. Wir glauben aber in ihr eine Analogie sehen zu dürfen zu 
einer anderen, früher von uns beobachteten Erscheinung. Beim 
Studium der Gallenfarbstoffe hatten wir wahrgenommen, daß 
das Bilirubin, sowie es sich in der Galle und im Blutserum von 
Personen, die an Stauungsikterus leiden, vorfindet, direkt ‘und 
vollkommen imstande ist, mit Diazoniumsalzen zu koppeln. 

Nimmt man aber dieselbe Reaktion im Blutserum solcher 
Patienten vor, die an jenem Zustand leiden, den man früher 
hämatogenen Ikterus nannte, dann kommt die Reaktion ver- 
spätet und unvollständig zustande. Die Koppelung findet jedoch 
auch hier sofort und vollkommen statt, sobald man eine kleine 
Menge Alkohol zusetzt. 

Man wird zu der Annahme geführt, daß das Bilirubin im 
Serum bei Stauungsikterus und in Gallenblasengalle sich in 
einem andern Zustand befindet als im Serum bei hämotogenem 
Ikterus. Im letzteren Fall scheint es, als ob die Bilirubinpartikel- 
chen nicht imstande seien, mit der Diazoniumlösung in Berührung 
zu kommen, hierzu jedoch durch die Einwirkung kleiner Mengen 


286 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


Alkohol in den Stand gesetzt werden. In dieser Hinsicht verhält 
sich also das Bilirubin im Serum bei hämatogenem Ikterus ebenso 
wie das Lipochrom im Rinderserum, oder in der wässerigen kol- 
loidalen Lösung. Das übereinstimmende Verhalten einer wässe- 
rigen, kolloidalen Carotinlösung mit jenem des nativen, Lipo- 
chrom enthaltenden Rinderserums ließ vermuten, daß das Carotin 
auch im Serum sich vielleicht in kolloidalem und gieichartigem 
Zustand befinde. Diese Vermutung erwies sich aber als unrichtig: 
Die wässerige, kolloidale Lösung wird ja durch die obengenannten 
Stoffe (NaOH, AL sol usw.) ausgeflockt, so daß das Lipochrom 
mit Äther ausgeschüttelt werden kann. Setzt man dagegen jene 
Reagenzien dem nativen Serum zu, dann tritt der Farbstoff 
nicht in den Äther ein. 

Ein anderer wichtiger Unterschied zwischen dem nativen, 
lipochromhaltigen Serum und der künstlichen kolloidalen Lösung 
ist ihre Empfindlichkeit gegen Licht. Ältere Untersuchungen 
haben gezeigt, daß das Carotin aus Daucus carota (nach späteren 
Untersuchungen gilt dasselbe für das Xanthophyll), wenn es dem 
Sonnenlicht ausgesetzt wird, unter Aufnahme von Sauerstoff 
verblaßt und nach einiger Zeit die Farbe ganz verliert. Die wässe- 
rigen Lösungen verloren, der Quarzlampe in kurzer Entfernung 
ausgesetzt, nach 15—90 Minuten die Farbe, je nachdem es Lipo- 
chromlösungen aus Eidotter oder solche aus Daucus carota 
betraf. Im Gegensatz hierzu wurden unter solchen Umständen 
die nativen Stoffe (Eidotter, Mohrrüben, Rinderserum) nicht 
entfärbt. In der Empfindlichkeit gegen Licht besteht also ein 
zweiter Unterschied zwischen der nativen Lipochromlösung und 
den kolloidalen, wässerigen Lösungen. 


3. Quantitative Schätzung des Lipochroms im.Serum und in 
tierischem und pflanzlichem Gewebe. 


Für die Untersuchung nach der Bedeutung der lipochromen 
Pigmente ist es nötig, diese quantitativ bestimmen zu können. 
Vorläufig war uns dies nur auf colorimetrischem Wege und nur 
annäherungsweise möglich. Im Blutserum geschieht diese quanti- 
tative Schätzung folgendermaßen: 1—2ccm Serum werden mit 
einer gleichen Menge 96proz. Alkohol gefällt. Die Flüssigkeit 
‚wird zentrifugiert, der Niederschlag mit 1—2ccm Äther extra- 
hiert. Man erhält auf solche Weise eine Lipochromlösung in Äther 


Das lipochrome Pigment in Blntserum und Organen, Xanthosis usw. 287 


von der gleichen Konzentration wie im urspriinglichen Serum. 
Bei hohem Gehalt wurde der Niederschlag noch einmal mit einer 
gleichen Menge Äther extrahiert, so daf der abgelesene Gehalt 
also mit 2 multipliziert werden mußte. 

Findet sich viel Bilirubin im Serum vor, so wird der 
ätherische Extrakt mit einigen Tropfen sehr verdünnter Natron- 
lauge gewaschen. Verglichen wurde mit ½ proz. Kaliumbichro- 
matlösung mit Hilfe des Colorimeters von Hellige. 

Den Lipochromgehalt von Pflanzenteilen und von tierischen 
Geweben bestimmten wir auf folgende Weise: 


Pflanzenteile wurden mit Alkohol gekocht, nachher in einem Mörser 
mit Alkohol und Ather zu farblosem Extrakt verrieben. Der Extrakt wurde 
filtriert, alsdann durch Hinzufügung von Wasser der Farbstoff in Ather 
übergeführt. Andere Farbstoffe als die Lipochrome blieben bei dieser Be- 
handlung in der unteren, verdünnt- alkoholischen Schicht. Die untere 
Schicht wird nötigenfalls noch einmal mit Äther extrahiert, die ätherischen 
Extrakte durch vorsichtiges Eindampfen auf eine hinreichende Farben- 
intensität gebracht. Durch einige Tropfen absoluten Alkohols erhält man 
einen klaren ätherischen Extrakt. Von diesem mißt man nun Volumen 
und Farbintensität. Hat man a Gramm Pflanzenteile, b Kubikzentimeter 
Extrakt mit einer Farbe von c Prozent der Normalfarbe, dann ist der 


cb ~ 
Gehalt: 100 а ` 


Die Farbe wird also berechnet, als ob man 1 g Stoff völlig extrahiert 
hätte zu lccm ätherischen Extrakt; der Gehalt gibt dann an, wievielmal 
diese Farbe stärker ist als unsere Normalfarbe. | 

Tierische Gewebe werden fein geschnitten und in zwei Teile geteilt. 
Von dem einen Teil wird eine Wasserbestimmung gemacht, indem man 
ihn mit getrocknetem Seesand auf dem Wasserbad oder im Trocken- 
schrank (105°) zu konstantem Gewicht trocknet. Der zweite Teil wird 
mit Alkohol und Äther verrieben und von dem so erhaltenen Material, 
ebenso wie bei den Pflanzen, der Gehalt bestimmt. Der Gehalt tierischer 
Gewebe wird gewöhnlich für 1 g trocknen Stoffes bestimmt. Bei Fett 
tritt eine Fettbestimmung an die Stelle der Wasserbestimmung. Dabei 
wird also der Gehalt auf 1 g reines Fett berechnet. 

Die bei diesen Bestimmungen angewandte Methode ist ziemlich wenig 
genau; wenn die Untersuchung von kleinen Mengen Rohstoff ausgeht, 
werden geringe Mengen Lipochrome vielleicht der Beobachtung entgehen. 
Finden wir von 10 cem Rinderserum ausgehend 3 Carotin und 0 Xantho- 
phyll, so ist demnach wohl möglich, daß beim Verarbeiten großer Mengen 
Serum noch Spuren Xanthophyll nachgewiesen werden könnten (Palmer). _ 

Es sei hier ferner ein für allemal darauf hingewiesen, daß in 
unsren Pigment-Lösungen die Lipochrome sich nicht in chemisch reinem 
Zustande vorfanden, sondern daß wir nur bestrebt waren, die Hauptmasse 
der Begleitstoffe (Eiweiß, Fette, Cholesterin) zu entfernen, 


288 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


Bei diesen Bestimmungen haben wir ferner vorausgesetzt, daB die 
beiden Gruppen Lipochrom (Carotin und Xanthophyll) in gleicher Kon- 
zentration eine gleiche Farbe und Farbenintensität haben, und daß diese 
bei Verdünnung regelmäßig abnimmt. Nach Willstätters Untersuchungen 
ist diese Voraussetzung nicht zutreffend. Bei den starken Verdinnungen, 
die wir gebrauchten, glaubten wir den gemachten Fehler außer acht lassen 
zu dürfen. Schließlich muß noch auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, 
bei derartigen Untersuchungen stets das gleiche Lösungsmittel anzuwenden, 
da die Farbe einer gleichen Menge eines bestimmten Lipochroms in ver- 
schiedenen Lösungsmitteln (z.B. Äther und Schwefelkohlenstoff) sehr 
verschieden ist. 

Nachstehende Tabelle gibt den Lipochromgehalt einiger Nahrungs- 
mittel an. Die gefundenen Werte sind Durchschnittewerte; bei mehreren 
Proben eines gleichen Stoffes weichen die Werte oft stark voneinander ab. 


Tabelle ]. 
Lipochromgehalt einiger Nahrungsmittel (Durchschnittswerte). 
Xanthophyll Carotin Total 


Salat: e ue ае 2,9 0,76 3,66 
Mohrrübben 0 2,5 2,5 
Spinat ............ 15,3 4,4 19,7 
Eidotter ........... 27,5 0 27,5 

Das Weiße des Eies . . . . . . 0 0 0 
Rinderserum. ......... 0 3 3 
Hühnerserum ......... 3 0 3 

e r e a aeaa ? ? Spur 
WeiBbrot........... Spur Spur 0,3 
Braunbrot .......... Spur Spur 0,27 
Il!!! E ас 0 0,9 0,9 
Buttermilch (selbst gebuttert) 0 Spur 0,01 —0,02 
Butter ... s.es esenea’ 0 2,1 2,1 
Rindfleisch (mager) ...... d 0,08 0,08 
Rindfleisch (fett). ....... d 0, 16 0,16 
Kartoffel 7 ? 0,2—0,5 
Blumenkohl ? ? 0,3 
Май A uge, te na tes ee 6,7 1,6 8,3 
Rüben 0 0 0 


4. Der Lipochromgehalt des Blutserums und seine Beeinflussung 
durch die Ernährung. 


Wir erwähnten bereits, daß verschiedene Beobachtungen aus neuerer 
Zeit den Einfluß nachgewiesen haben, den die Ernährung auf den Lipochrom- 
gehalt des Blutserums ausübt. Höchst wichtige Untersuchungen Pal mers 
haben dies, insofern es Tiere betrifft, mit Sicherheit bewiesen. Palmer 
wies nach, daß das Körperfett, das Milchfett und das Blutserum der Rinder 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 289 


ein Pigment enthalten, welches mit dem Carotin identisch ist. Das Körper- 
fett, das Blutserum und der Eidotter der Hühner enthalten ein Pigment, 
das völlig mit dem Xanthophyll übereinstimmt. Füttert man nun Rinder 
mit pigmentloser (oder äußerst pigmentarmer) Nahrung, so verringert 
sich der Carotingehalt des Serums und der Milch beträchtlich. Ebenso 
wird der Eidotter sehr blaß und verliert das Blutserum sein Pigment, 
wenn man Hühnern ein xanthophyllarmes Futter verabreicht. 

Gibt man ferner Rindern eine Nahrung, welche einen Überfluß an 
Xanthophyll, aber kein Carotin enthält, dann ist das Ergebnis das gleiche 
wie bei pigmentloser Fütterung. Dasselbe geschieht, wenn man Hühnern 
reichlich Carotin gibt, ihnen aber das Xanthophyll entzieht. Hieraus geht 
hervor, daß Rinder und Hühner, was die Resorption der lipochromen 
Pigmente betrifft, spezifisch eingestellt sind, die einen auf Carotin, die 
anderen auf Xanthophyli. Zudem geht aus diesen Versuchen der alimentäre 
Ursprung beider Pigmente im Organismus der Rinder und der Hühner 
hervor. Jedoch sei bereits hier bemerkt, daß es Palmer bei seinen Ver- 
suchen nicht gelang, Serum oder Eidotter ganz pigmentlos zu bekommen. 

Wir selbst haben ebenfalls den Einfluß des Nahrungslipo- 
chroms auf den Lipochromgehalt des Blutserums beim Menschen 
nachweisen können. Schon im Jahre 1913 hat Herr Berg im 
Laboratorium der Groninger Klinik unveröffentlichte Versuche 
angestellt, welche die nachstehenden Schlußfolgerungen ergaben: 

1. Der Lipochromgehalt des Blutserums ist bei Diabetes 
zuweilen, aber nicht immer, höher als normal. 

2. Es gibt keine Krankheit, bei welcher der Lipochromgehalt 
des Serums konstant auffallend hoch oder niedrig ist. 

3. Der Lipochromgehalt des Blutes hängt von dem der 
Nahrung ab. Er nimmt (Versuche an Herrn Berg selbst) stark 
ab nach einer 10 tägigen Ernährung mit abgerahmter Milch, 
farblosem Mehl und Reis. Nach einer Ernährung mit gemischter 
Kost und viel Eiern steigt der Lipochromgehalt bis zu einem 
Wert, der höher ist, als vor dem Versuch. 

4. Hühner haben einen hohen Serum-Lipochromgehalt. 
Setzt man sie einige Zeit auf lipochromarme Diät, dann verschwin- 
det das Lipochrom ganz aus dem Serum. 

5. Kühe, auf der Weide geben Milch, die viel reicher an 
Lipochrom ist, als bei Stallfütterung (Verwandtschaft der Farb- 
stoffe des Grases mit denen des Blutserums). Auch das Blut- 
serum dieser Rinder enthält mehr Lipochrom als das der Stallkühe. 

Diese vorläufigen, nicht veröffentlichten Versuche fanden in 
der großangelegten Arbeit Palmers an Tieren ihre Bestätigung. 


290 Hymans van den Bergh, P. Maller und J. Broekmeyer: 


Die Untersuchung des Herrn Berg war nur von vorläufiger 
Art. Wir haben sie fortgesetzt, indem wir bei etwa 12 Personen 
das Blutserumpigment bestimmten, und zwar zuerst bei Ver- 
abreichung gewöhnlicher, gemischter Krankenhausnahrung und 
dann zum zweitenmal nach l4tägigem Gebrauch einer Diät, die 
sehr reich an Gemüsen und Eiern war. Die folgende Tabelle ent- 
hält eine Übersicht der erhaltenen Resultate: 


Tabelle II. 
gewöhnliche Nahrung lipochromreiche Nahrung 
Nr. 1 0,25 1,08 
* 2 0,17 0,45 
„ 3 0,42 1.34 
„ 4 0,34 0,86 
w0 0,21 0,54 
» 6 0,16 ; 0,65 
A 0,21 0,42 
» 8 0,19 0,70 
» 9 0,41 0,92 
„ 10 0,8 1,24 
» 11 0,52 0,74 
„ 12 0,2 0,96 
„ 13 0,08 0,4 
derselbe — 0,56 (nach 


weiteren zwei Wochen) 


Aus dieser Tabelle geht hervor, daß eine lipochromreiche 
Nahrung das eine Mal eine beträchtliche, das andere Mal eine 
geringere Zunahme des Serum-Lipochroms veranlaßt. Früher 
hatten wir, wie schon erwähnt, bei Diabetes oft hohe Werte ge- 
funden. Vergleicht man nun die Ziffern der Tabelle II mit denen 
der Tabelle III, in welcher der Serumlipochromgehalt bei 15 Dia- 
betesleidenden angegeben ist, dann zeigt sich, daß die starke und 
eigenartige Ernährung, die bei Zuckerkrankheit häufig angewandt 
wird, namentlich der Genuß von viel Blattgemüsen, Eiern und 
Butter, zu einem guten Teil die hohen Werten und die Xanthose 


Tabelle III. 
Serum-Lipochrom bei 15 an Zuckerkrankheit Leidenden. 
1. 1,3 4. 0,82 7. 0,7 10. 0,72 13. 0,95 
2. 0,9 5. 0,95 8 1,9 11. 1,3 14. 0,75 


3. 0,54 6. 0,8 9. 0,85 12. 0,9 15. 0,45 


~ 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 291 


zu erklären imstande ist. (Vgl. die friher bereits genannten 
Untersuchungen von Birger und Reinhart, Salomon, Hess 
und Meyers.) 

Wir stellten ferner fest, daß sowohl beim Genuß von viel 
Mohrrüben (Carotin) als von viel Eiern (Xanthophyll) der Lipo- 
chromgehalt stieg. Der Mensch ist also, wie sich auch im folgen- 
den zeigen wird, imstande, beide Pigmente aus der Nahrung 
aufzunehmen, im Gegensatz zur Kuh und zum Huhn. 


5. Der Lipochromgehalt des Fettes, der Leber, der Milz und der 
Nebenniere beim Menschen. 


Fremde und eigene Untersuchungen hatten also bisher den 
Nachweis geliefert, daß die Ernährung großen Einfluß auf den 
Lipochromgehalt des Serums ausübt. Nunmehr wünschten wir 
auch den Lipochromgehalt der verschiedenen Organe oder Ge- 
webe miteinander zu vergleichen. Tabelle IV gibt eine Übersicht 
über einige zu diesem Zweck von uns vorgenommene Unter- 
suchungen. Infolge äußerer Umstände wurde diese Untersuchung 
nicht so vollständig, wie wir gewünscht hätten. Namentlich be- 
dauern wir, daß bei den meisten Fällen der Lipochromgehalt des 
Blutserums unbekannt ist. 

Trotz der Unvollständigkeit der Untersuchung gestattet die 
Tabelle IV doch einige Schlußfolgerungen. 

1. Der Lipochromgehalt der verschiedenen Gewebe ist sehr 
verschieden. Das Blut ist am ärmsten an diesem Pigment, auch 
wenn man seine Menge auf trockenen Stoff berechnet, wobei 
der Wassergehalt auf ungefähr 80% angenommen werden dürfte. 
Am reichsten an Lipochrom ist die Nebenniere; dann folgt ge- 
wöhnlich die Leber (in einzelnen Fällen enthielt das Fett mehr 
Pigment als die Leber), dann folgen Fett und Milz. Von den bei- 
den letzteren enthielt das eine Mal das Fett, das andere Mal die 
Milz mehr Farbstoff. 

Der große Lipochromreichtum der Nebenniere und der Leber 
beweist, daß diese Organe ihren Farbstoff nicht einfach der Ab- 
lagerung des gefärbten Körperfetts in ihre Gewebe verdanken. 
Es muß eine elektive Affinität dieser Gewebe für Lipochrom 
vorliegen. 

2. Von einer einzigen Ausnahme abgesehen (Nr. 6) wurden 
auch in den Fällen, bei welchen im Blut kein Lipochrom nach- 


292 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


Tabelle IV. 
£ Eeer in 
Nr. 3 Diagnose Blut- | Fett от 
E serum |(feucht) (rocken) EE, 
108 Appendicitis, BEE 0038 | 1,5 2 
Abszesse in d. Leber S 
22 Meningitis tuberculos.| 0 | 1,1 1,3 | 10 
38 Cirrhosis hepat. Laén-| C, O7 1,2 3,5 1,1 
nec, Insuff. mitral. 
4 1$ Akute Myeloblasten- | 0,11 | 1,3 1,9 | 19,5 
leukämie 
5 8 Endocarditis acuta 0,12 | 1,7 2,2 | 12,8 
6 2 Tuberculos. pulmon. 0 0 0 d 
786 Aortitis, stenosis ost.] 0,09 1,3 2,4 
aortae, Insuffic. mitr. 
8 | ch Peritonitis tuberculosa| 0 1,5 3,9 7,3 
912 ? 0,23 | 2,1 3,4 3,9 
10 Q Tuberculos. pulmon. 7 1.8 7 11,5 
1112 Myodegeneratio cordis] 0,14 | 2,7 4,3 | 22 
12 | Q Nephrolith., Spondylit.] 0,04 | 2,1 ? 11,6 
13 | Q Insufficientia аогќае, | 0,11 | 3,7 7 20 
| Tabes dorsalis 
14 ! Q Tuberculos. pulmon. 0,12 | 2,9 5,2 ? 3,5 8,7 
15 , Q Volvulus, Peritouitis ? 3,5 4,7 | 41 10 14 
16 | S Diabetes 0,18 09 | 48 | 83 | 8 | 5,4 
17 [© Carcinoma ventriculi | 0,14 | 10 13,6 | 29 86 1,1 
18 || ? Coma diab., Paranephr.| ? 2 2,2 | 28 13 | 9 
19 |$ Tuberculos. pulmon. ? 2 ? 18 ? 1,3 
20 8 Sepsis, Nephr. parench. 7 3 4,2 31 6 1,2 
21i Q Tuberculos. pulmon. ? 3 ? 7 ? 1,6 
22 | ? Atrophische Leber- ? 3,7 8 32 14,6 5 
cirrhose, Sepsis 
28 8 Diabetes, Nephritis ? 3,7 5,5 | 56 14,8 | 14 
24 8 Aleukim. Leukämie ? 2,6 3,6 | 52 12 2 
(Aleukia) | 
25 8 Nephrit. chron., Sepsis] ? 1.3 2 10,5 34 0,7 
26 ES Tuberculos. pulmon. 2 2,1 4 9,6 44° 11 
27 8 Pneumonia crouposa ? 10 42 34 8 13 
| Q Tuberculos. pulmon. ? 76 | 11,4 | 23 5 1,8 
29 © Diabetes 2 4,2 7,5 | 29 10,5 6,3 
30 || Q Diabetes ? 3 ? 14 4,4 ? 
31 1 Q Gangraena pulmonum| ? 1,3 ? 8 6,1 1.5 
328 Pleuritis tuberculos., ? ? ? 22,6 3,2 0 
! Arteriosclerosis 
338 Tuberculos. pulmon. ? 3,4 5,4 10 2,2 1,2 
344 Phthisis 0 22,9 7 20,6 9 | 2,3 
35 il S Tuberculos. peritonei | 0 1,5 18 | 27 8,4 1.9 
36 N Pneumonie 0,18 | 6,7 ? 27 10 3,1 
3718 Pneumonie 0,55 5,4 H 25 22 3,5 
38 18 Lungenabsceß 0,14 | 2,2 3,0 | 17 8 2,2 
39 | Q Uleus ventric. 0 ? 6,0 | 38 9,7 5,5 
40 |Q Phthisis 0 ? 13 14,5 | 10 4,1 
41 | © Carcinom. uteri 0 ? 3 17,5 7,5 2,7 
42 8 (Foetus) 2 ? ? Spur 0,9 0 
43 | (Foetus) ? 0 0 + + Spur 


er, gn ` N: nn zu — 


Das lipochrome Pigment in Blutseram und Organen, Хапіћовіз usw. 293 


gewiesen werden konnte, in den Organen immer noch beträcht- 
liche Mengen Pigment vorgefunden. Um ein einziges Beispiel 
zu nennen: Bei dem Patienten Nr. 40 war ein hoher Wert für 
die Nebenniere vorhanden, während das Blut fast pigmentfrei 
war. In anderen Fällen (z. B. Nr. 3) findet man in allen Geweben 
niedrige Werte, im Fall 6 sogar fast nichts. Es läßt sich keine 
Beziehung im Lipochromgehalt der verschiedenen Gewebe ent- 
decken. 

Soweit bis jetzt bekannt, muß ein geringer Lipochromwert 
des Blutes dem Genuß lipochromarmer Nahrung zugeschrieben 
werden. Aus dem Umstande, daß wir oft neben niedrigen Blut- 
pigmentwerten normale oder hohe Organwerte finden, geht her- 
vor, daß diese Organe (namentlich die Leber und die Nebenniere) 
beim Genuß lipochromreicher Nahrung den Farbstoff hartnäckig 
festhalten. 

3. Es ist nicht möglich, einen Zusammenhang zwischen der 
Art der Krankheiten und dem Lipochromreichtum des Blutes 
oder der Gewebe zu entdecken. Die hohen Werte bei Diabetes 
erklären sich jedenfalls großenteils aus der eigenartigen Er- 
nährung. 

4. Das Steigen des Pigmentspiegels im Blut bei lipochrom- 
reicher Nahrung, das Fallen bei pigmentarmer Nahrung gestattet 
den Schluß, daß der Organismus diese Farbstoffe dem Pflanzen- 
reich entnimmt (evtl. indirekt durch Genuß tierischer Nahrung, 
die das Vorhandensein dieser Lipochrome ebensowohl dem 
Pflanzenreich verdankt). Bei der Ernährung nimmt das Blut 
diese Pigmente auf und lagert sie in die Gewebe ab. Was diese 
damit machen, ist bisher noch völlig unbekannt. Man könnte 
sich denken, daß Fett, Leber, Nebenniere und Milz diese Pigmente 
bis ins Unendliche aufstapeln. Das ist aber sehr unwahrschein- 
lich, denn in diesem Fall müßten bei älteren Personen in Anbe- 
tracht der beträchtlichen Mengen, welche täglich aufgenommen 
werden, die Lipochrommassen in den Geweben zu unbegreiflich 
hohen Werten steigen. Da man bei älteren Personen aber gar 
keine exzessive Werte findet, ist man zu der Annahme gezwungen, 
daß das lipochrome Pigment den Körper auf irgendeine Weise 
verläßt oder in ein Derivat umgesetzt wird, das wir vorläufig 
noch nicht nachzuweisen imstande sind. Wir verfügen über eine 
Beobachtung, die diese Vermutung einigermaßen stützt. Bei 


294 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


einem Patienten, der an akuter, gelber Leberatrophie nach einer 
Krankheit von wenigen Tagen starb, und bei welchem die Autopsie 
eine akute Leberatrophie (rotes Stadium) nachwies, fanden wir 
in der Leber keine Spur Lipochrom. 

Wir haben bisher weder in der Galle noch im Urin normaler 
Menschen, auch solcher mit hohem Serum-Lipochromgehalt, 
Carotin oder Xanthophyll nachweisen können. Zwar ist Hess 
und Myers?) solches gelungen, im Experimente sowohl wie 
beim Menschen. Das Experiment ist nicht genau beschrieben: 
Nach subcutaner Einspritzung eines Extraktes aus einer Mohr- 
rübe (Daucus carota) in Olivenöl nahm der Urin eine dunklere 
Farbe an, und ein Petroläther-Extrakt war deutlich gefärbt 
(an extract of definite colour was thus obtained). Eine Identi- 
fizierung des Pigmentes scheint nicht vorgenommen zu sein. 
Ferner wurde einem Kind von 1!/, Jahr ein Extrakt von Mohr- 
rüben per os verabreicht in einer Menge, die dem Pigmentgehalt 
von 3 Pfund Mohrrüben entsprach. Ein anderes Kind gleichen 
Alters erhielt zweimal soviel. Der Urin dieser Kinder war 
nach dem Versuch gelb gefärbt. Es wird nicht erwähnt, ob 
Identifizierung des Pigmentes stattgefunden hat. Aber auch 
davon abgesehen, ist es einleuchtend, daß diese Experimente mit 
außerordentlich großen Pigmentmengen über die physiologische 
Ausscheidung der Lipochrome beim Menschen nichts aussagen. 


6. Der Lipochromgehalt des Blutes und der Gewebe bei einigen 
Tieren. | 


Palmer hat das Blutserum verschiedener Tiere auf Lipochrom- 
pigment untersucht. Wir haben außer dem Blut auch die Organe einiger 
Tiere untersucht, wobei wir die folgenden Resultate erhielten: 

Mensch. Das Blutserum enthält gewöhnlich nachweisbare Mengen 
Lipochrom; nur selten fehlt es ganz. Im Sommer ist der Gehalt durchschnitt- 
lich größer als im Winter (Einfluß der Ernährung mit grünen Pflanzen- 
teilen). Im vorhergehenden wurden einige Zahlen betreffs des Gehaltes 
an totalem Lipochrom (Xanthophyll und Carotin) mitgeteilt. Als Durch- 
schnitt darf bei gewöhnlicher Kost 0,2—0,3 nach unserem Maßstab ge- 
messen, angenommen werden. Auch wurde schon darauf hingewiesen, 
daß, im Gegensatz zur Kuh und zum Huhn, der menschliche Organis- 
mus sowohl Xanthophyll als Carotin resorbiert. Das Verhältnis der Mengen 
der beiden Pigmente im Blutserum ist bei verschiedenen Persönen ver- 
schieden. Fast immer überwiegt das Carotin, bald in größerem, bald in 
geringerem Maße. Oft ist das Verhältnis Carotin : Xanthophyll ungefähr 
3:1; einigemal fanden wir gleiche Mengen. 


e 
— — AA 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 295 


Auch in den Geweben überwiegt gewöhnlich das Carotin, zuweilen 
fehlt das Xanthophyll nahezu ganz. Manchmal findet man aber auch von 
beiden Pigmenten fast gleiche Mengen. 

Schwein. Das Blutserum, das Fett (Speck) enthalten kein Pigment. 
Auch in den Corpora lutea, (müßten also heißen: alba) konnte ich kein 
Pigment nachweisen. Leber und Milz enthielten kleine Mengen, die Leber 
mehr als die Milz. In der Leber fanden wir meistens gleiche Mengen Carotin 
und Xanthophyll. 

Die Nebennieren enthielten nur Spuren. 

Pferd. Das Pferdeserum zeichnet sich, wie allgemein bekannt, 
durch eine schöne, goldgelbe Farbe aus. Diese verdankt es größtenteils 
dem Bilirubin. Dennoch enthält das Serum auch Lipochrom in sehr ver- 
schiedener Menge; bald nur Spuren, ein andermal, wenn die Tiere auf 
Weide gewesen sind, beträchtliche Mengen. Wir fanden nur Carotin. 

Auch das Körperfett des Pferdes ist gewöhnlich stark gelb gefärbt. 
Wir untersuchten in drei Fällen den Farbstoff dieses Fettes und das Blut 
dieser selben Pferde. Während nun in allen diesen drei Fällen das Blut 
Bilirubin und nur äußerst wenig Lipochrom enthielt, war in dem Fett aus- 
schließlich Lipochrom und gar kein Biluribin vorhanden. Auch Leber, 
Milz und Nebenniere enthielten Carotin. 

Cavia. Das Blutserum enthält kein Pigment. Leber und Milz ent- 
halten ein wenig Xanthophyll. Die Nebenniere enthält viel Carotin. 

Kaninchen. Das Blutserum enthält keine oder nur geringe Spuren 
Pigment. Die Leber enthält ein wenig Pigment, fast ausschließlich Caro- 
tin. Milz und Fett enthalten kein oder nahezu kein Pigment, die Neben- 
niere zuweilen ein wenig Carotin. 

Hund. Das Blutserum enthält kein Pigment. Die Leber enthält 
Carotin, die Milz kem oder nahezu kein Pigment, die Nebenniere ein wenig. 

Aus dieser unvollständigen Untersuchung geht hervor, daß die Tiere 
sich hinsichtlich der Lipochrome sehr verschieden verhalten. Manche nehmen 
wenig Lipochrome aus der Nahrung auf, andere größere oder kleinere 
Mengen. Mit Ausnahme der Hühner, die ausschließlich Xanthophyll 
resorbieren, nehmen die meisten Tiere mit Vorliebe Carotin auf, das Xantho- 
phyll entweder nicht, oder in viel geringerem Maße. Wenn das Blut frei 
von Lipochrom ist, so beweist dies doch nicht, daß kein Pigment auf- 
genommen wird. Auch bei Tieren, deren Blutserum farblos ist, fanden wir 
immer Lipochrom, sei es auch in geringer Menge, in der Leber. Dies gilt 
auch für den menschlichen Foetus, bei dem sich zeigte, дав die Leber ge- 
ringe Mengen Pigment (Xanthophyll) enthielt. 


7. Resorption und Deposition des Lipochroms. 


Aus den bisherigen Untersuchungen kommt man zu dem 
Schluß, daß die resorptive Funktion des Darmkanals die Auf- 
nahme der Lipochrome beherrscht. Diese werden in die Leber 
geleitet und an erster Stelle dort abgelagert. Die Überführung 


296 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


in andere Organe und die Ablagerung in die verschiedenen Ge- 
webe erfolgt nach Regeln, die wir noch nicht übersehen können. 
Nur so viel ist sicher, daß es sehr spezielle Affinitäten gibt, welche 
die Ablagerung der Lipochrome in die verschiedenen Gewebe 
beherrschen, und die bei verschiedenen Tierarten, und einiger- 
maßen auch bei verschiedenen Rassen und Individuen verschieden 
sind. Es bestehen sogar bei verschiedenen Individuen Unter- 
schiede der Bevorzugung hinsichtlich des Carotins und des Xantho- 
phylls. So enthielt bei einem Patienten das Fett nur Carotin, 
die Leber und die Nebenniere enthielten jedoch nahezu gleiche 
Mengen Carotin und Xanthophyll. Ein andrer Fall zeigte gerade 
das entgegengesetzte Verhalten. Leber und Nebenniere ent- 
hielten keine Spur Xanthophyll, das Fett gleiche Mengen Xan- 
thophyll wie Carotin. Auch bei den verschiedenen Rinderrassen 
ist der Carotinreichtum des Blutserums, des Körperfetts und der 
Milch, auch unter gleichen Ernährungsumständen, verschieden 
(Palmer). 

Wie wir schon hervorhoben, hängt die Aufnahme der Lipo- 
chrome davon ab, ob sie im Darm resorbiert werden können 
oder nicht. Man könnte sich daher vorstellen, daß die Bindung 
des Pigments im Nahrungsmittel auf die Resorption Einfluß aus- 
übe; z.B. in der Weise, daß im Darm des Huhnes das Xantho- 
phyll wohl aus seiner Verbindung gelöst werden könne, das Carotin 
aber nicht, und daß beim Rind das Umgekehrte der Fall sei. 
Dieser Annahme widersprechen aber die folgenden Beobach- 
tungen: 

a) Bei Kaninchen, die gefastet haben, brachten wir 10 Tage lang 
täglich mittels der Sonde eine kolloidale, wässerige Lösung von Xantho- 
phyll (aus Eidotter bereitet) in den Magen. Alsdann wurden die Tiere 
getötet. Leber, Milz, Nebenniere, Fett und Blutserum wurden unter- 
sucht. Nur in der Leber und der Nebenniere wurde Pigment vorgefunden; 
dies war ausschließlich Carotin, und in der gleichen Menge, wie wir sie zu 
finden bei Tieren gewöhnt waren, die während der gleichen Zeit auf gleiche 
Weise gefüttert worden waren ohne Verabreichung der Xanthophyll- 
lösung. 

b) Derselbe Versuch wurde gemacht, diesmal jedoch unter Verab- 
reichung einer wässerigen, kolloidalen Carotinlösung mittels der Sonde. 
Leber, Milz und Nebenniere enthielten diesmal sehr viel Carotin. 

Hieraus geht hervor, daß der Darmkanal des Kaninchens sich hin- 


sichtlich der wässerigen Lösungen von Xanthophyll und Carotin genau so 
verhält wie den nativen Pigmenten gegenüber. 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 297 


Das regelmäßige Vorkommen der Lipochrome in der Leber, 
auch bei Tieren, deren andere Gewebe keine oder fast keine Caro- 
tinoide enthalten, kann aus der Funktion der Leber erklärt wer- 
den, die im Darmkanal aufgenommenen Stoffe zuerst festzu- 
halten, um sie später auf irgendeine Weise und in kleinen Mengen 
auszuscheiden oder abzubauen. Es wäre aber auch möglich, 
daß das Lebergewebe eine spezielle Affinität für diese Pigmente 
habe. In der Absicht, dies zu untersuchen, haben wir sechs 
Kaninchen während 1—2 Wochen auf lipochromarme Diät ge- 
setzt; darauf wurde intravenös (in die V. jugularis) eine wässerige 
kolloidale, roh gereinigte Lipochromlösung eingespritzt. Drei 
Kaninchen bekamen eine Xanthophyllösung (aus Eidotter be- 
reitet) drei andere bekamen Carotin (aus Mohrrüben). Zu ver- 
schiedenen Zeiten nach Beendigung der Einspritzung wurden die 
Tiere getötet und die Organe untersucht. 

a) Versuche mit intravenöser Einspritzung kolloidaler 
Carotinlösung. Die Leber enthielt in allen Fällen reichlich Pigment, 
viel mehr als bei normalen Kaninchen vorgefunden wird; in 2 Fällen 
enthielt auch die Milz ziemlich viel Lipochrom. Dies Lipochrom war in 
allen Fällen ausschließlich Carotin. 

b) Versuche mit intravenöser Einspritzung kolloidaler 
Xanthophyllösung. Die Leber dieser Kaninchen enthielt reichlich 
Pigment, viel mehr als bei normalen Kaninchen vorgefunden wurde. Bei 
der Bestimmung der Art dieses Lipochroms zeigte es sich, daß nur eine 
kleine Menge aus Carotin bestand, derjenigen Menge gleich, die auch bei 
normalen Kaninchen in der Leber vorkommt; während die große Masse 
des Pigments aus Xanthophyll bestand. 

Eins dieser Kaninchen wurde bereits eine halbe Stunde nach Be- 
endigung der Einspritzung getötet; im Blut war keine Spur Xanthophyll 
mehr zu finden. 

Aus diesen Versuchen geht hervor: 

1. daß Lipochrom, bei Kaninchen intravenös in die Vena 
jugularis eingespritzt, binnen sehr kurzer Zeit das Blut verläßt 
und so gut wie vollständig in der Leber (nur zu einem sehr kleinen 
Teil in der Milz, ein einzelnes Mal auch in der Nebenniere) ab- 
gelagert wird; | 

2. daß das Lebergewebe beim Kaninchen imstande ist, so- 
wohl Xanthophyll als Carotin in sich aufzunehmen; 

3. die Leber reißt also nicht nur das ihr mit dem Porta- 
strom zugeführte Lipochrom an sich, sondern auch das im großen 
Kreislauf zirkulierende Pigment. 


Biochemische Zeitschrift Band 108. ) 20 


298 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


8. Die Bedeutung der lipochromen Pigmente. 

Die Carotinoide kommen im Pflanzenreich in groBer Ver- 
breitung vor. Nach Arnaud beträgt die Menge dieser Lipo- 
chrome in grünen Blättern ein bis zwei Tausendstel des trocknen 
Gewichts. Diese verhältnismäßig großen Mengen legen die Ver- 
mutung nahe, daß die Carotinoide beim Stoffwechsel der Pflanze 
eine wichtige Rolle spielen. Diese Vermutung wird bestärkt 
durch die konstanten Gewichtsverhältnisse, die zwischen Caro- 
tinoiden und Chlorophyll und zwischen Carotin und Xanthophyli 
wechselseitig zu bestehen scheinen (Willstätter). Indessen ist 
über die physiologische Wirkung der Lipochrome noch nichts 
bekannt. Weder die zuerst von Arnaud aufgestellte Hypothese, 
nach der die Carotinoide bei der Atmung eine Rolle spielen sollen, 
noch die Annahme, daß sie an dem AssimilationsprozeB teil- 
nehmen, eine Vermutung, die Engelmann“) zuerst aussprach, 
werden von den neueren Forschern für wahrscheinlich gehalten. 
Vielleicht besteht im Pflanzenreich ihre Aufgabe darin, Zellen- 
zyme gegen die zerstörende Wirkung des Lichts zu schützen 
(Went) ). Bestimmtes wissen wir hierüber aber nicht. 

Über die physiologische Bedeutung der Lipochrome im tie- 
rischen Organismus, in dem sie erst seit sehr kurzer Zeit genauer 
untersucht wurden, ist ebensowenig etwas bekannt. 

Man könnte auch hier vermuten, daß die Lipochrome als 
Atmungspigment Dienste leisteten, so wie Arnaud sich das 
bei der Pflanze vorgestellt hatte. Bei näherer Betrachtung ver- 
liert diese Annahme jedoch ihre Wahrscheinlichkeit. Arnaud 
kam zu dieser Hypothese durch die Eigenschaft des Carotins 
(und spätere Untersuchungen lehrten dasselbe für dag Xantho- 
phyll), unter dem Einfluß des Lichts (langsamer im Dunkeln) sich 
zu entfarben unter Aufnahme von Sauerstoff. Durch Wiegen 
stellte er fest, daß das Carotin dabei die zweihundertfache Menge 
Sauerstoff aufnimmt. An dieser Beobachtung Ar na uds ist nicht 
zu zweifeln. Sehr schön kann man dieses Verhalten gasometrisch 
verfolgen. Nichtsdestoweniger besitzen die Carotinoide keines- 
wegs die Eigenschaften eines Atmungspigments, wie man sie beim 
Hämoglobin antrifft. Letztgenannter Farbstoff nimmt gierig 
Sauerstoff aus der Luft auf, gibt diesen aber ebenso leicht an 
reduzierende Körper (Ferro- oder Stannoverbindungen) wieder ab. 

Setzt man dem Oxyhämoglobin ein derartiges Salz zu, dann 


= — — 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 299 


wird es oxydiert, dank dem Sauerstoff, den es dem Oxyhämo- 
globin entzieht, das selbst in reduziertes Hämoglobin verwandelt 
wird. Schüttelt man die Mischung kräftig, dann nimmt das redu- 
zierte Hämoglobin wieder Sauerstoff auf, wobei es sich in Oxy- 
hämoglobin verwandelt. Nach ein paar Minuten hat das über- 
flüssige Ferro- oder Stannosalz jedoch den Sauerstoff wieder dem 
Oxyhämoglobin entzogen, das sich wieder in reduziertes Hämo- 
globin verwandelt hat. Dieses Spiel kann solange’ wiederholt 
werden, bis alles Ferro- oder Stannosalz oxydiert ist. Das Hämo- 
globin entzieht also den Sauerstoff viel gieriger der Luft als dem 
Ferro- oder Stannosalz; das Oxyhämoglobin läßt sich dagegen 
von demselben Salz seinen Sauerstoff entziehen. Von dieser 
merkwürdigen Eigenschaft der Sauerstoffübertragung, die wohl 
zuerst von Stokes!) erfaßt wurde, ist bei den Carotinoiden 
nichts zu verspüren. Es ist uns nicht gelungen, durch reduzierende 
Mittel (wie Schwefel-Ammonium oder Stokessche Flüssigkeit) 
das unter dem Einfluß des Lichts entfärbte, oxydierte Carotin 
oder Xanthophyll wieder zu einem farbigen Stoff zu reduzieren. 
Um zu untersuchen, ob etwa der tierische Organismus imstande 
sei, diese Reduktion herbeizuführen, haben wir bei einigen Ka- 
ninchen eine unter dem Einfluß des Lichts entfärbte (oxydierte) 
wässerige und isotonisch gemachte Xanthophyllösung intravenös 
injiziert; 1—3 Tage nach der Einspritzung wurden die Tiere 
getötet. In den Organen wurde kein Xanthophyll gefunden; 
die ‘Leber enthielt nicht mehr Carotin als normalerweise bei 
Kaninchen vorgefunden wird. Wir haben uns des weiteren davon 
überzeugt, daß wässerige Carotin- und Xanthophyllösungen auch 
nicht als Peroxydasen wirken (sie färben Guajac und Benzidin 
nicht blau beim Vorhandensein alten Terpentins oder Wasser- 
stoffsuperoxyds). Schließlich machen sie bei Zusatz von H,O, 
keinen Sauerstoff frei. 

Wir sind denn auch der Meinung, daß nicht ein einziger Grund 
vorhanden ist für die Annahme, daß die Carotinoide eine Rolle 
als Atmungspigmente spielen. 

Die Möglichkeit, daB ihnen auf Grund ihrer leichten Oxydier- 
barkeit die eine oder die andere Bedeutung für den Stoffwechsel, 
etwa von Fetten oder Kohlenhydraten, zukommt, bleibt bestehen. 

Die Untersuchungen der letzten Jahre über die sogenannten 
Vitamine legen die Annahme nahe, daß den Carotinoiden eine 


20* 


300 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


solche Bedeutung zukommen dürfte. Es ist nicht zu leugnen, 
daß ihr Vorkommen in gewissen Nahrungsmitteln (grünen 
Pflanzenteilen, Butter), ihr Fehlen in anderen (Speck) sehr an 
die ,,accessory substances, fat soluble А“ der amerikanischen 
Forscher erinnert. Eine Entscheidung haben die experimentellen 
Untersuchungen bis jetzt nicht gebracht. Eigene Experimente 
an Ratten mußten wir wegen äußerer Schwierigkeiten beenden. 
Drummond ) stellte einen Versuch an mit negativem Resultat. 
Diesem einzigen Versuche ist selbstverständlich kein großer 
Wert beizumessen. Von größter Bedeutung sind die breit ange- 
legten und wichtigen Experimente von Palmer). Nach Über- 
windung großer Schwierigkeiten gelang es diesem Forscher, eine 
gewisse Zahl Hühner zu züchten bei einer, von ihm lipochrom- 
frei genannter Nahrung. Unter Beobachtung gewisser Vorsorgen 
wuchsen die Tiere in normaler Weise heran und zeigten normale 
Fruchtbarkeit. 

Aus den Eiern, deren Dotter nur ganz schwach gefärbt waren, 
konnte durch künstliche Bebrütung ein zweites Geschlecht erzielt 
werden, das in jeder Hinsicht normal war, abgesehen von dem 
Fehlen der normalen Hautpigmentierung. Palmer schließt wei- 
ter, daß das natürliche, gelbe Pigment der Hühner, das von dem 
Xanthophyll der Nahrung herrührt, keine wichtige Beziehung 
zum Wachstum und zur Funktion der Fruchtbarkeit und Fort- 
pflanzung hat, wenigstens während einer Generation. So vor- 
trefflich diese Experimente Palmers auch durchgeführt sind, 
so glauben wir doch, unter Anerkennung der äußerst wichtigen 
Resultate, daß die Frage noch nicht ganz gelöst und daß Palmers 
Schlußfolgerung noch nicht ganz berechtigt ist. 

Erstens erwähnt Palmer, daß in dem Blutserum und 
dem Fettgewebe der Hühner, die mit carotinfreier Nahrung 
großgezogen worden waren, doch noch eine Spur Pigment sich 
nachweisen lieBe. Im Lichte unserer Untersuchungen ist es zu 
bedauern, daB die andern Gewebe (Leber, Milz, Nebenniere) 
nicht untersucht worden sind. Auch die Eier dieser Tiere ent- 
hielten noch ein wenig Farbstoff. Zwar ist Palmer der Ansicht, 
daB dieser Restfarbstoff kein Xanthophyll gewesen sei, aber 
dieser Ausspruch scheint uns nicht begriindet zu sein. Er beruht 
auf der Tatsache, daß eine Lösung dieses Farbstoffes nicht die 
von Palmer beschriebene Reaktion mit FeCl, gab; auf andere 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 301 


Eigenschaften (namentlich Blaufärbung mit konzentrierter 
H,SO,) wurde aber nicht untersucht. 

Zweitens bekamen bei weitem die meisten von Palmers 
Tieren Schweineleber als Futter. Während Palmer nun aber 
behauptet, daß Schweineleber keine Carotinoiden enthalte, haben 
wir in diesem Organ dieses Pigment stets nachweisen können. 
(Siehe S. 292.) | 

Falls Palmers Schlußfolgerungen sich in der Zukunft als 
vollkommen richtig herausstellen sollten, könnten sie möglicher- 
weise zu dem Schluß führen, daß die Carotinoide für den tierischen 
Organismus bedeutungslos seien. Einstweilen halten wir dies 
nicht für wahrscheinlich. Zahlreiche Beobachtungen deuten, 
wie uns scheint, darauf hin, daß die Lipochrome irgendeine Rolle 
spielen. Erstens die große Verbreitung der Lipochrome in der 
Natur und die spezifische, nahezu ausschließliche Aufnahme- 
fähigkeit mancher Tiere für Carotin, anderer für das so sehr 
verwandte Xanthophyll. Ferner die Tatsache, daß die Pigmente 
gerade an Stellen vorkommen, die als wichtig für den Stoffwechsel 
angesehen werden müssen: abgesehen von dem Fettgewebe, das 
wohl als ein Reservedepot angesehen werden kann, denken wir 
hier an die Leber, das Corpus luteum des Menschen, den Eidotter, 
das Colostrum, die Nebenniere. Wichtig scheint uns auch, daß 
der menschliche Foetus in der Leber zwar kleine, aber trotzdem 
beachtenswerte Mengen Lipochrome enthält. Bemerkenswert ist 
es ferner, wie bei lipochromarmer Nahrung das Pigment in den 
genannten Geweben festgehalten wird: es verschwindet dabei 
aus dem Blute, wahrscheinlich auch aus der Haut, aber Fett, 
Leber, Nebenniere und Milz halten es zurück. Diese Tatsache 
geht aus der Untersuchung der Organe solcher Patienten hervor, 
die geraume Zeit vor ihrem Tode sehr wenig Nahrung zu sich 
genommen hatten. Im Gegensatz hierzu sieht man, nach den 
Beobachtungen von amerikanischen Autoren, daß bei legenden 
Hühnern das lipochrome Pigment geradezu nach dem Eidotter 
hingezogen wird, während die sichtbaren Teile, Schnabel, Kamm 
und Pfoten blaß werden; gibt man legenden Hühnern eine 
pigmentreiche Nahrung, dann gelingt es nicht, diese Gewebe 
stärker zu färben, während die Dotter intensiv gelb werden: das 
Pigment strömt nach dem Dotter. Wir fanden in der Literatur 
erwähnt (können aber nicht wiederfinden, an welcher Stelle), 


302 Hymans van den Bergh, P. Muller und J. Broekmeyer: 


daß bei Eiern mit farblosem Dotter dennoch die Keimscheibe 
immer gelb gefärbt sei. Alle diese Tatsachen scheinen uns auf eine 
physiologische Bedeutung der lipochromen Pigmente hinzuweisen, 
obwohl über das Wesen derselben bisher noch nichts bekannt ist. 

Endlich ist es nicht überflüssig, sich zu fragen, ob den 
Lipochromen unter bestimmten Umständen eine pathologische 
Bedeutung zukommt. Obwohl beim Menschen der Lipochrom- 
gehalt des Blutserums ohne Zweifel größtenteils vom Nahrungs- 
lipochrom beherrscht wird, verfügen wir doch über Beobachtungen, 
die es wahrscheinlich machen, daß möglicherweise noch andere 
Faktoren einen Einfluß ausüben. So fanden wir bei zwei Dia- 
betesleidenden, die während geraumer Zeit soviel wie möglich 
gleiche Diät gebrauchten, und deren Blut eine gleiche Menge 
Zucker enthielt, einen sehr verschiedenen Lipochromgehalt. Wir 
möchten auch die Aufmerksamkeit auf die gelbe Farbe lenken, 
die man so oft an den Handflächen und Fußsohlen von Leuten 
sieht, die an akuten Krankheiten leiden, eine Erscheinung, die 
schon vor langer Zeit von französischen Ärzten unter dem Namen 
des ,,signe palmaire“ beschrieben worden ist. Die Farbe läßt ver- 
muten, daß wir es hier mit Lipochrom zu tun haben. Nur in einem 
einzigen Fall gelang es uns, Schuppen von der Haut eines Typhus- 
kranken zur Untersuchung zu erhalten: darin konnten wir 
Carotin nachweisen. Oft sieht man, daß namentlich die horn- 
artig gewordenen Teile der Haut in diesen Fällen die orangegelbe 
Farbe zeigen; aber auch bei Kindern und Frauen sahen wir diese 
Xanthosis palmaris und plantaris bei sehr zarter Haut, ohne daß 
irgend etwas von Verdickung oder hornartiger Verhärtung zu 
sehen war. Eine sehr intensive gelbe Farbe zeigte die Palmar- 
fläche bei einem jungen Kind mit septischer Endokarditis und 
bei zwei noch jungen Frauen, die an einer Anaemia gravis litten 
(nicht vom Typus Addison-Biermer). Nach dem Tode 
einer dieser Frauen, die in den letzten Wochen fast keine Nahrung 
zu sich genommen hatte, fiel uns die orange Farbe der Neben- 
niererinde auf. Eine Bestimmung der Lipochromwerte ergab 
die folgenden sehr hohen Zahlen: Leber 20,5; Milz 7,5; Fett 
4,5; die Nebenniere ergab den außerordentlich hohen Wert 
von 73. — 

Bereits seit langer Zeit ist es denen, die sich mit der mikro- 
skopischen Untersuchung des Nervensystems beschäftigen, auf- 


Das lipochrome Pigment in Blutserum und Organen, Xanthosis usw. 303 


gefallen, daß die Nervenzellen im höheren Alter und unter ge- 
wissen pathologischen Umständen pigmentiert werden. 

Es scheint nunmehr bewiesen, daß diese Pigmente zweierlei 
Art sind: das eine ist nichts anderes als Lipochrom und rührt 
von der Nahrung her: Dolley und Guthrie“) fanden es nur 
beim Menschen und bei jenen Tieren, deren Blutserum Carotinoide 
enthält (z.B. beim Rind), nicht bei Tieren mit pigmentlosem 
Serum (Schwein). Durch Verabreichung von carotinoidenarmer 
oder carotinoidenreicher Nahrung konnten sie erreichen, daß 
das Pigment in den Nervenzellen je nachdem verschwand oder 
zunahm. 

Das Tatsachenmaterial über das Vorkommen und die Be- 
deutung der Lipochrome bei Mensch und Tier, welches man bis- 
her zusanımengebracht hat, ist gering. Eine Fortsetzung solcher 
Untersuchungen scheint geboten. 


Literatur. 


1) Stokes, Proc. Roy. Soc. 13, 144. 1864. — ) Sorby, Proc. Roy. 
Soc. 31, 992. 1873. — ) Arnaud, Compt. rend. de l’Acad. des Sc. 100, 
751. 1885; 102, 1119 u. 1319. 1886; 104, 1293. 1887; 109, 911. 1889. — 
4) Willstätter und Stoll, Untersuchungen über Chlorophyll. Berlin 
1913. — 5) Willstätter und Stoll, Untersuchungen über die Assimi- 
lation der Kohlensäure. Berlin 1918. — *) Borodin, nach Willstätter. — 
7) Hijmans у. d. Bergh und Snapper, Die Farbstoffe dea Blutserums. 
Dtsch. Arch. f. klin. Med. 110, 540. 1913. — ®) у. Noorden (mit Salomon), 
Pathologie des Stoffwechsels II, 290. 1907. — *) v. Noorden, Internat. 
Dermatol. Kongreß, Berlin 1904. — 10) Ka u pe, Münch. med. Wochenschr 
1919, S. 330. — 11) Stoeltzner, ibidem 1919, S. 419. — 12) Klose, ibidem 
1919, S. 419. — 13) Moro, ibidem 29, 1562, 1908 und 1919, S. 674. — 
14) Schüssler, ibidem 1919, S. 596. — 15) Umber, Ernährung und Stoff- 
wechselkrankheiten. 2. Aufl. 8. 228. — 16) Umber, Berl. klin. Wochenschr. 
53, 829. 1916. — 17) Buerger und Reinhart, Dtsch. med. Wochenschr. 
1919. — 18) Buerger und Reinhart, Zeitschr. f. d. ges. experim. Med. 
1918, 8. 119. — 19) Salomon, Wiener klin. Wochenschr. 3%, 495. 1919. — 
20) Hess and M yers, Journ. of the Amer. med. assoc. 73, 1793. 1919. — 
21) Tswett, zit. nach Willstätter und Stoll (4). — 22) Palmer and 
Eekles, Journ. of Biolog. Chem. 17, 191. 1914. — **) Palmer, ibidem 23, 
261. 1915. — 3) Palmer, ibidem 27, 27. 1916. — 5) Engelmann, 
Botan. Ztg. 45, 393. 1887. — 60 Drummond, Biochem. Journ. 13, 81, 
1919. — 7) Palmer and Kempster, Journ. of Biolog. Chem. 39, 299 
u. f. 1919. — 28) Went, Бес. trac. botaniq. néerland. 1, 106. 1904. — 
20) Dolley and Guthrie, nach Editorial in Journ. of the Amer. med. 
assoc. 1920, Februar. 


Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. 
Die Einwirkung der Kieselsäure auf den tierischen Organismus. 


Von 


i Franz Schuhbauer. 
(Aus der Biologischen Versuchsanstalt München.) 
( Eingegangen am 2. Juni 1920.) 


Die weite Verbreitung der Kieselsiure im Reiche des An- 
organischen und die konstante Anwesenheit derselben in der 
organischen Welt sind durch zahlreiche chemische Analysen 
erwiesen. Verhältnismäßig gering ist jedoch die Literatur, die 
uns über ihre nähere Bestimmung im menschlichen und tierischen 
Organismus aufklärt. Äußerst spärlich sind vollends die An- 
gaben über den therapeutischen Wert der Kieselsäure und ihrer 
Salze. | | 


Die Anwendung des Natronwasserglases zu fixierenden Verbänden 
dürfte seit langem bekannt sein. Über die Verwendung der Kieselsäure bei 
Wunden, über innerliche Darreichung in Form von kieselsäurehaltigen 
Tees, Quellwässern und des reinen chemischen Präparates sind die Ver- 
suche noch nicht sehr zahlreich. Die ersten physiologischen Versuche 
über die Wirkung des Siliciums auf Tiere stammen von Papillon und 
Rabuteau. Beide Forscher konstatierten eine fäulniswidrige Wirkung 
des kieselsauren Natriums auf Blut, Galle, Eiter und Eiweiß. Durch Ein- 
spritzung von ½ proz. Lösungen des Salzes in die Blase beseitigten Du- 
breuil, Marc See und Goutier die Folgezustände von chronischer 
Blasenlahmung und Harnleiterentziindung. 

AuBerlich wurde das kieselsaure Natrium zur Wundbehandlung von 
Unna mit gutem Erfolge angewandt. Unna gebraucht speziell Kieselgur 
in Pulver-, Pasten- und Pillenform bei Ulcus cruris, tiberhaupt bei starken 
Hautdefekten mit mangelnder Tendenz zur Uberhornung; er bezeichnet 
die Kieselsäure als ein Härtungs- und Wundheilungsmittel ersten Ranges 
bei Krankheiten, welche mit Erweichung der Oberhautzellen einhergehen, 
wie Ekzem und Pemphigus. 

Die intravenöse Injektion von Natr. silicicum ist jedoch nach Tier- 
versuchen von Rabuteau und Papillon nicht angezeigt; schon bei 


F. Schuhbauer: Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 305 


geringen Dosen gehen die Tiere an Verfettung der Nieren mit Abstoßung 
des Epithels der Tubuli zugrunde. Picot bestätigte diese Angabe: Er sagt: 
„Auf welchem Wege man auch die Kieselsäure dem Organismus zuführen 
mag, immer ist sie eine energisch wirkende Substanz. Die Haupterscheinung, 
die sie hervorruft, ist die Neigung zu Asphyxie, als deren Ursache man die 
Zerstörung der roten Blutkörperchen ansehen darf. Sie erzeugt Fieber, 
und wenn sie auf dem Verdauungswege eindringt, Diarrhöe.‘ 

Der Rostocker Pharmakologe Kobert und seine Mitarbeiter M. Gon- 
nermann, Zickgraf und Siegfried haben sich mit der Frage der Wirkung 
der Kieselsäure auf den Organismus, speziell auf Blut und Lunge, ein- 
gehender beschäftigt. Kobert ist nun der Ansicht, daß die früheren 
Autoren mit dem käuflichen Natronwasserglas gearbeitet hätten; ihre Ver- 
suchsergebnisse seien daher nicht als ein Effekt der Kieselsäure, sondern 
als reine Laugenvergiftung aufzufassen. Er prüfte die Ergebnisse Picots 
nach. Dabei verwandte er ein Präparat, Natrium silic. puriss., welches 
die Firma Merck in Darmstadt eigens herstellte und seitdem in den Handel 
bringt. Es enthält nach Koberts Angaben 54% SiO, in Form von Poly- 
silicaten des Natriums. Es reagiert alkalisch und enthält keine 
Lauge. Die mit diesem Präparat längere Zeit gefütterten Tiere blieben 
nach Koberts Angaben vollkommen gesund; Kobert kommt daher zu 
dem Schluß, daß die Verträglichkeit innerlich verabreichter Mengen des 
kieselsauren Natriums, die die therapeutisch in Frage kommenden um das 
Vielfache überschreiten, erwiesen ist. 


Diese in kurzen Strichen gezeichnete pharmakologisch- 
therapeutische Übersicht zeigt, daß die Ansichten über die Wir- 
kung der Kieselsäure und ihrer Verbindungen noch sehr schwan- 
ken und keineswegs geklärt sind, besonders hinsichtlich der Frage: 
Sind etwa auftretende schädliche Wirkungen bei innerlicher 
Darreichung der Salze der Kieselsäure ein Effekt der reinen 
Kieselsäure oder ist vielleicht eine Laugenwirkung änzunehmen ? 

Speziell diese Frage suchte ich an einer Serie von Versuchs- 
tieren, weißen Mäuse, die mir durch die Liebenswürdigkeit von 
Herrn Prof. Dr. Demoll, Vorstand des zoologischen Instituts 
der Tierärztlichen Fakultät in München, freundlichst zur Ver- 
fügung gestellt wurden, zu klären. 

Für eine Versuchsreihe wurden stets möglichst aus einem 
Wurfe stammende, in Gewicht und Wachstumsenergie möglichst 
gleichförmige Tiere gewählt. 

Das zu den Versuchen verwendete Präparat war ein Poly- 
silicat der Kieselsäure, von der chemischen Fabrik Merck in 
Darmstadt als Natr. silicic. puriss. in den Handel gebracht. Die 
quantitative Untersuchung des Salzes durch Dr. Breest ergab 


306 F. Schuhbauer: 


fast dieselben Zahlen, wie die von Kobert gefundenen, nämlich 
54,69%, SiO, (wasserfrei) und 32,47%, Natriumoxyd. 

Als Grundnahrung fiir die Versuchs- und Kontrolltiere wurde 
feinstes Weizenmehl (dieses soll ganz kieselsäurefrei sein) und 
Kondensmilch gewählt. (Der Kieselsäuregehalt der Milch ist ein 
ganz geringer.) Die Versuchstiere erhielten meist 1,10 mg pro 
Gramm Körpergewicht von dem Merckschen Präparat täglich 
in der Grundnahrung. Meist schon nach 8—10 Tagen erkrankten 
die Versuchstiere unter folgenden klinischen Symptomen: Das 
Haarkleid war sehr stark gesträubt, die Tiere waren matt, teil- 
nahmlos für die Umgebung, bald stellte sich heftiger Durchfall 
ein, verbunden mit intensiven Blähungen, die Atmung war sehr 
frequent. Diese Erscheinungen, besonders auch von seiten der 
Atmungswege decken sich vollkommen mit den schon von Picot 
gemachten Beobachtungen. 

Nach 14 Tagen bis 3 Wochen gingen die Versuchstiere in der 
Regel ein. Die makroskopischen und mikroskopischen Befunde 
am Darm, speziell am Dünndarm, ergaben ein absolut konstantes 
Bild und ließen bald eine spezifische Wirkung des Merc kschen 
Salzes auf das Duodenum erkennen. 


Bei der Sektion zeigte sich nämlich der Dünndarm meist schon äußer- 
lich stark rot bis braun verfärbt; beim Aufschneiden trat ein schokolade- 
farbiger bis schwarzbrauner, mit Gasblasen vermischter Brei zutage, der 
sich in destilliertem Wasser mit Blutfarbe löste. Die Dünndarmschleimhaut 
selbst zeigte zahlreiche, unverwischbare Blutungspunkte, die Gefäße je- 
weils stark injiziert. Der histologische Befund war ein dem pathologisch- 
anatomischen entsprechender: Die Schleimhaut an den Kuppen der Darm- 
zotten aufgeschilfert und zerfetzt; die Epithelkerne großenteils körnig 
zerfallen, im Darmlumen zahlreiche Epithelien und Kerne in Auflösung; 
alles in allem eine typische Darmentzündung. Der weiter rückwärts ge- 
legene Darmabschnitt war meist ohne besonders auffallende Krankheits- 
erscheinungen. 


Um nun bei dem Merckschen Präparat eine evtl. sich er- 
gebende giftige Wirkung des Alkalis nach Möglichkeit auszu- 
schalten, wurde gleichzeitig ein von den Münchener „Desko“ 
Werken seit neuerer Zeit in den Handel gebrachtes Präparat, 
kieselsäurehaltige Pralines, verfüttert. Diese enthalten das 
Mercksche Natriumsilicat in genau dosierten Mengen, ,,neutrali- 
siert“, d.h. bis zur neutralen Reaktion der Lösung mit einer 
bestimmten physiologisch unwirksamen Säure versetzt. Sie 


Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 307 


schmecken wie richtige Pralines, da als Zusatz noch Schokolade 
verwendet ist. Sie haben daher vor allem den Vorzug, daß sie 
in der therapeutischen Verwendung für den Menschen in recht 
angenehmer Form der Applikation eine genauere Dosierung zu- 
lassen, als beispielsweise kieselsäurehaltige Quellwässer oder 
Tees. Um die für die vorliegenden Fragen äußerst wichtige 
Neutralisation selbst kontrollieren zu können, habe ich ferner 

‚nach einem von Dr. Sch midt, dem Direktor der „Desko“- Werke 
mir freundlichst mitgeteilten Verfahren selbst das Natrium- 
silicat Merck behandelt und so eine gegen Lackmus neutral rea- 
gierende Lösung erhalten, bei der durch starkes Zurückdrängen 
der hydrolytischen Spaltung im Körper eine Laugenwirkung 

nicht mehr zu erwarten ist. Blieben bei diesem „neutralisierten“ 
Präparat die schädlichen Wirkungen des Natriumsilicates aus, 
so kann als bewiesen gelten, daß die Giftigkeit der Kieselsäure 
eben auf dem Gehalt des Präparates an abspaltbarer Lauge 
beruht, vorausgesetzt, daß die Kieselsäure in dieser Form ebenso 
vom Körper aufgenommen wird, wie in dem nicht neutralisierten 
Merckschen Präparat. Über eine in dieser Richtung angesetzte 
Versuchsreihe, die die Frage der Resorption der Kieselsäure 
überhaupt der Lösung näherbringen sollte, wird an anderer Stelle 
berichtet werden. 

In dieser neutralisierten Form vertrugen nun die Tiere tat- 
sächlich Dosen des Merc kschen Salzes bis zu 1 mg pro Gramm 
Körpergewicht ohne jede Störung; auch die Gewichtszunahmen 
im Verhältnis zu den Kontrolltieren ließen keinen Unterschied 
erkennen. 

Die Resultate meiner Versuche sind daher folgender- 
maßen zu deuten: | 

Für die ausschließliche Erkrankung des Dünndarms scheint 
mir diese Erklärung plausibel: 

1.DasMercksche Präparat, Natrium silicicum puris- 
simum mag frei sein von Lauge, wieKobert behauptet. 
Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß sich bei Zutritt 
von Wasser durch hydrolytische Spaltung freie Natron- 
laugeimDarm bildet und dann ätzend auf dieSchleim- 
haut wirkt. Im Dünndarm kommt infolge der schon 
physiologisch vorhandenen alkalischen Reaktion des 
Darmsaftes diese freie Natronlauge erst recht zur 


308 Е. Schuhbauer: Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 


Geltung und ruft hier durch Verätzung der Schleim- 
haut eine Abstoßung des Epithels hervor. 

2. Diese schädlichen Wirkungen des Merckschen 
Präparates werden aufgehoben durch „Neutrali- 
sation“. 

3. Als eine glückliche Lösung in der Frage nach der Form 
der Applikation der Kieselsäure und ihrer Verbindungen ist die 
Darreichung des Siliciums in Pralinéform anzusehen, einerseits, 
weil durch die Neutralisation des Salzes dessen Laugenwirkung 
aufgehoben und anderseits eine genaue Dosierung des Siliciums 
ermöglicht wird. Auch der Geschmack, der beim Merc kschen 
Präparat ein ausgesprochen laugenhafter ist, wird dadurch völlig 
beseitigt. 


Zur physiologischen Wirkung der Kieselsäure. 
Über die Resorption der Kieselsäure. 


Von 
Fr. Breest. 


(Aus der biologischen Versuchsanstalt für Fischerei in München.) 
(Eingegangen am 2. Juni 1920.) 


In steigendem Maße wird in den letzten Dezennien der 
Kieselsäure Beachtung geschenkt, aber, wie in der vorstehenden 
Arbeit von Dr. Schuhbauer geschildert ist, in ihrer Wert- 
schätzung ist man sich durchaus nicht einig und Ansicht steht 
gegen Ansicht. Daß die Kieselsäure aus der normalen Nahrung 
vom Körper aufgenommen wird, ist zweifellos, denn zahlreiche 
Analysen verschiedener Gewebe und Organe zeigen einen regel- 
mäßigen Gehalt an Kieselsäure. Ob aber der Organismus fähig 
ist, bei gesteigerter Darreichung von Kieselsäure mehr von ihr 
aufzunehmen, ob es zu einer Art Durchschwemmung des Körpers 
mit SiO, kommen kann, oder auch zu einer Aufspeicherung auf- 
genommener SiO,, und ferner, in welcher Form die SiO, am 
besten resorbiert wird, darüber liegen noch fast keine chemisch- 
analytischen Untersuchungen vor. 

Zickgraf, Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 5, 402. 1906, fand den SiO,- 
Gehalt des Harnes nach Trinken von Lippepringer Kieselsäurewasser 
durchschnittlich um das Doppelte vermehrt, von 40 auf 85 mg im Tag. 

Schulz veröffentlichte in der Münch. Mediz. Wochenschr. 1920, S. 253, 
Vergleiche zwischen dem SiO, - Gehalt des Harns vor und nach dem Genuß 
von Silikoltabletten, die die Kieselsäure in kolloidaler Form enthalten, und 
fand eine Steigerung von 33 mg/l auf 53 und 60 mg/l; in einem anderen 
Falle auf 40 und 53,3 mg/l. In der gleichen Arbeit wird erwähnt, daß nach 
Zuckmayer-Lecinwerke, Hannover, von 0,2 g SiO, in flüssiger Form auf- 
genommen, binnen 15 Stunden 55% im Harn wieder ausgeschieden wurden, 
von 0,2 g in fester Form 31%. 

Gonnermann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 99, 272. 1917, erwähnt 
ein Patent von Knorr und Weyland über Ausscheidung von Ortho- 


310 Fr. Breest: 


kieselsäureestern durch den Harn, daß von dem unlöslichen tertiären Gly- 
cerinorthokieselsäureester 30% im Harn als SiO, wieder erscheinen. 

Auf einem anderen Wege beweist Gonnermann — nach Schulz, 
a. а. О. — die Resorption der Kieselsäure, indem er den SiO, - Gehalt der 
Blutasche vor und nach dem Genuß SiO, - haltigen Tees oder SiO, - Ta- 
bletten bestimmt. Er findet Steigerungen von 2, 26% auf 2,63%, und 
2, 650%, und von 2, 1290% auf 2,47%. 

Damit sind, soweit mir das Schrifttum bekannt wurde, die ana- 
‘lytischen Daten zu unserem Thema erschöpft. 

Um über die Giftigkeit des Merckschen Natriumsilicates 
Klarheit zu bekommen, ward von Schuhbauer, wie in vor- 
stehender Arbeit berichtet ist, das Mercksche Präparat an 
weiße Mäuse verfüttert, ferner das Mercksche Präparat, nach- 
dem es nach den Angaben von Dr. Sch midt — „Desko“-Werke — 
München „neutralisiert“ war (d.h. nachdem es bis zur neutralen 
Reaktion gegen Lackmus mit einer bestimmten physiologisch 
unwirksamen Säure versetzt war). Durch diese Behandlung 
ward das Gleichgewicht zwischen SiO, und Natronlauge stark 
verschoben und die Annahme war nicht von der Hand zu weisen, 
daß sich nun die SiO, in einer Form befand, in der sie nicht oder 
wenigstens schwächer als das Silicat resorbierbar war. Dafür 
sprach auch die Beobachtung, daß die SiO, aus der Lösung binnen 
einer Stunde nach der Neutralisation gelartig sich abschied. 
Durch Zusatz von gezuckerter Kondensmilch wurde die Gel- 
bildung verhindert. 

Andererseits konnte man aber auch annehmen, dag auch 
im nicht neutralisierten Merckschen Silicat die Kieselsäure von 
der Magensäure aus ihrer Natriumverbindung ausgefällt würde, 
und daß man also, bis die SiO, in den Darm kommt, in beiden 
Fällen die Form, in der die SiO, Gelegenheit zur Resorption 
findet, die gleiche geworden ist. Nur der Versuch und die Analyse 
können entscheiden, ob hier die Neutralisation bei der Resorption 
eine Rolle spielt. 

Konnte ferner festgestellt werden, daß auch das ,,neutrali- 
sierte Silicat, wie ich das nach den Angaben der ‚Desko“-Werke 
behandelte Mercksche Präparat kurz nennen will, vom Körper 
ebenso aufgenommen wird, wie das nicht neutralisierte, ohne 
dessen giftige Wirkung auszuüben, so war man berechtigt, die 
Giftwirkung der durch hydrolytische Spaltung freigewordenen 
Lauge zuzuerkennen, die SiO, als solche als ungiftig anzusehen. 


Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 311 


Ferner wurden noch Fiitterungsversuche mit frisch aus- 
gefalltem Kieselsäurehydrat gemacht, um weitere Anhalts- 
punkte zu gewinnen, wie die Kieselsäure den Aufenthalt in dem 
sauer reagierenden Mageninhalt verträgt, ob, wie oben erwogen 
ward, das kieselsaure Salz sowieso durch die Magensäure aus- 
gefällt würde und ob es somit gleichgültig sei, ob die Kieselsäure als 
Salz oder nicht besser als Säure ohne den bedenklichen Alkaligehalt 
verfüttert würde, oder ob nicht doch die ursprüngliche Darreichungs- 
form noch bis zur Resorption im Darm ihre Wirkung ausübe. 
Gleichzeitig mußten die Resorptionsversuche mit freier Kieselsäure 
auch geeignet sein, Licht auf die merkwürdigen Erkrankungser- 
scheinungen zu werfen, die Bootz, Dissert. Greifswald 1903, bei der 
Darreichung von freier Kieselsäure am Menschen beobachtet hat. 

Die Fütterungsversuche wurden an weißen Mäusen ausge- 
führt. Bei den sehr geringen Kieselsäuremengen, die zu erwarten 
waren, schien es mir ausgeschlossen, einzelne Organe für sich auf 
gesteigerten SiO,Gehalt zu untersuchen, auch interessierte es 
mich hier ja weniger wo, sondern vielmehr ob überhaupt mehr 
SiO, vom Körper aufgenommen und bei erhöhtem SiO,-Gehalt 
des Futters gespeichert wurde. Deshalb bestimmte ich den 
Kieselsäuregehalt des ganzen Tieres, indem ich jeweils die ganze 
Maus auf einmal veraschte, was durch anfänglich trocknes Er- 
hitzen, danach Abrauchen mit rauchender Salpetersäure in 
1—2 Stunden ohne Schwierigkeit erfolgte. Die untersuchten 
9 Mäuse stammen aus zwei untereinander engverwandten Würfen, 
Alter etwa 3 Monate. | Ä 

Die Fütterung der Tiere besorgte Dr. Schuhbauer, wofür 
ich ihm auch hier meinen besten Dank sage. Das Grundfutter 
bestand aus zu etwa 75% ausgemahlenem Weizenmehl und mit 
Rohrzucker gesüßter englischer Kondensmilch. Die Fütterungs- 
versuche dauerten 15 Tage, darauf 1 Tag Grundfutter ohne 
Zusätze. Bei dem regen Stoffumsatz der Mäuse kann man mit 
Sicherheit annehmen, daß in dieser Zeit (11/, Tage, denn getötet 
wurden die Tiere an dem auf den Grundfuttertag folgenden 
Morgen) der aus dem SiO,-Futter stammende Kot ausgeschieden 
ist. Da übrigens ein aus dieser Quelle stammender Fehler sich bei 
allen Versuchen gleichmäßig wiederholen würde, und da das 
Beweisende meiner Versuche nicht die absoluten, sondern die 
relativen Zahlen sind, wäre er auch ohne Belang. 


312 Fr. Breest: 


Die Menge der verfütterten SiO, betrug bei Versuch IV 
75 mg, berechnet auf reine SiO,, täglich 5 mg, bei den anderen 
Versuchen 90 mg, bei einer Tagesdosis von 6 mg. 

Das bei Versuch II benutzte Kieselsiurehydrat ward nach 
den Angaben von Bootz durch Ausfällen einer wässerigen Lösung 
des Merckschen Natriumsilicates mit Salzsäure gewonnen, 
tagelanges Auswaschen bis zum Verschwinden der Chlorreaktion 
und Trocknen bei Zimmertemperatur, bis der gallertige Nieder- 
schlag einen Gehalt von 9% SiO, hatte, während Bootz das 
Trocknen weiter fortsetzte, bis das Hydrat eine ,,trockne, krüme- 
lige Masse ward, die sich zu staubfeinem Pulver verreiben ließ. 
Über den SiO, Gehalt dieses Pulvers wurden keine Angaben ge- 
macht. Doch spricht er von der Gesamtmenge der gegebenen SiO,. 

Das für Versuch III und IV benutzte Natrium silicicum 
puriss. Merck hatte nach dem Trocknen bei 105°—110° einen 
Gehalt von 54,69 und 54,72%, SiO, und 31,97% und 32,47%, Na,O 
— als Chlorid gewogen. 


Versuchsergebnis. 


Gewichts- 


82 
5° Ё 810. der 
а & Asche 
ck 
E in % 
3.2 0,15 
und Kiesel- 3,2 0,24 
säurehydrat 
IIb S е 12,40 | +0,50 0,3745 | 3,0 0,19 
Пе 1 = 11,02 —1,83 |0,3673 | 3,3 0,70 
Ша М und Na-Sili-| 9,10 — 2,65 0,3369 3,7 0,56 
cat Merck 
IIIb e es 11,35 | -0,55 0,4076 | 3,6 0,63 
ше a Е 11,40 | —0,10 0, 3642 3,2 0,49 
IVa ay und neutra- 10,8 | +1,20 0, 3485 3,2 1,15 
lis. Silicat 
orl „ н 104 | —0,50 10,4189 | 40 1,99 


Aus der Tabelle geht mit großer Deutlichkeit hervor, daß 
die Darreichung von SiO, in größeren Quantitäten mit dem 
Futter sich im SiO,-Gehalt der Asche widerspiegelt. Zwanglos 
lassen sich die Aschen nach ihrem SiO, Gehalt in Gruppen zu- 
sammenfassen, je nach dem gereichten Futter, und zwar: 1. Nor- 
malfutter allein und mit Kieselsäurehydrat, mit einem SiO,- 


Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 313 


Gehalt von rund 0,2%; 2. Merc ksches Silicat mit Kieselsäure- 
gehalt von rund 0,6% , und 3. neutralisiertes Silicat mit SiO,- 
Gehalt von rund 1,2%. Nur ein Versuch, IIc, fällt aus dieser Reihe 
heraus mit 0,7% statt 0,291). — Damit ist die erste Frage nach 
der BeeinfluBbarkeit des SiO,- Haushaltes des Körpers bejaht 
und die Befunde früherer Untersucher sind bestätigt. 

Mit weniger Bestimmtheit kann man von einer Aufspeiche- 
rung der SiO, im normalen Körper sprechen, wohl aber von 
einer geringen Anreicherung. Es ist nur ein kleiner Bruchteil 
der dem Körper während der Versuchsdauer angebotenen SiO,, 
den wir bei der Analyse wiederfinden. Nehmen wir rund 1 mg 
als Normalgehalt unserer Mäuse an, so sind von den während 
der Versuchszeit dem Körper dargebotenen 75 mg und 90 mg 
im besten Falle (Versuch IV) nur rund 4,5 weniger 1,0 = 3,5 mg 
SiO, im Körper zurückgeblieben. Bei der Kleinheit der Zahlen, 
die durch unvermeidliche Analysenfehler schon stark beeinflußt 
werden, hat es keinen Zweck, rechnerisch Prozente festzustellen. 
Die Frage, ob ein kieselsäurehungriger, ein kranker Körper, 
nicht erheblich mehr SiO, zu binden vermag, bleibt durch dies 
Ergebnis natürlich unberührt. Immerhin ist es wahrscheinlich, 
daß das Mehr an gefundener SiO, keiner vorübergehenden Auf- 
nahme, sondern einer länger bestehen bleibenden Anreicherung 
im Körper zuzuschreiben ist, denn wie im nachfolgenden noch 
ausgeführt wird, spricht das Analysenergebnis des Me re kschen 
Präparates für ein längeres Verbleiben der einmal mn 
menen SiO im Körper. 

Positiv sind wiederum die Ergebnisse bezüglich der ver- 
schiedenen Resorptionsfähigkeit je nach der Form, in der die 
SiO, mit der Nahrung aufgenommen wird. 

Neutralisiertes Silicat wird gut aufgenommen. Die Be- 
denken, daß durch die Neutralisation die SiO, in schwer resorbier- 
bare Form übergeführt wird, sind nicht stichhaltig, zum min- 
desten nicht, wenn, wie bei unserem Versuch, die Gelbildung 
durch die gezuckerte Kondensmilch verhindert wird. 

Wie Schuhbauer gezeigt hat, entfällt bei dem neutrali- 
sierten Präparat die Giftwirkung des Merckschen Silicates; 


1) Aber wie die Tabelle zeigt, nahm dieses Tier im Gegensatz zu den 
anderen während des Versuchs stark ab, befand sich also vielleicht von 
vornherein in anormalem Zustand. 


Biochemische Zeitschrift Band 106. 21 


314 Fr. Breest: 


wie meine Versuche zeigen, wird das neutralisierte Silicat aber 
doch, sogar stärker resorbiert, als das nicht neutralisierte. 
Damit ist der Beweis geführt, daß die häufig 
giftige Wirkung des Merckschen Silicates bei 
starker Dosierung nicht der SiO, zukommt, son- 
dern der Natronlauge. 

Das Mercksche Silicat wird während der Versuchsdauer 
wesentlich schwächer, nur halb so gut wie das neutralisierte, 
aufgenommen. Die Befunde Schuhbauers bringen zwanglos 
die Erklärung: Zunächst wird SiO, aufgenommen; allmählich 
tritt dann die durch die hydrolytisch abgespaltene Natronlauge 
verursachte Schädigung der Darmschleimhaut, die zur völligen 
Verätzung führen kann, in Erscheinung, der kranke Darm kann 
nicht mehr oder nur noch schwach resorbieren, die Menge der 
aufgenommenen SiO, bleibt wesentlich zurück hinter der vom 
gesunden Darm aufgenommenen, und die gefundenen Zahlen sind 
wohl im wesentlichen der Aufnahme durch den anfangs noch 
unversehrten Darm zuzuschreiben. 

Kieselsäurehydrat wird gar nicht aufgenommen. Der Asche- 
gehalt ist bei Versuch I und II gleich groß, also übt die Magen- 
säure nicht die gleichmachende Wirkung aus und macht die 
Form der Darreichung der SiO, mit der Nahrung nicht gleich- 
gültig. Um so merkwürdiger bleiben die Beobachtungen von 
Bootz nach der Darreichung des Kieselsäurehydrats am Men- 
schen, die doch nur nach Resorption der SiO, von der SiO, aus- 
gehen können. Eine Nachprüfung dieser Befunde bleibt sehr 
wünschenswert. Daß das Bootzsche Hydrat infolge der weiter 
fortgesetzten Entwässerung leichter resorbiert werden kann 
als mein nur bis zu 9% SiO, getrocknetes, ist wohl ausgeschlossen. 

Wie notwendig es ist, bei der Bestimmung des Aschengehalts 
möglichst genau über Alter, Herkunft und Fütterung der Tiere 
unterrichtet zu sein und zu solchen vergleichenden Unter- 
suchungen nur Tiere gleicher Vorgeschichte zu benutzen, zeigen 
zwei Analysen von Tieren, die ich noch untersuchte, um über 
den SiO, Gehalt normal gehaltener Tiere ein besseres Bild zu 
bekommen. Sie wurden so, wie sie vom Händler kamen, abge- 
tötet; womit sie gefüttert worden sind, ist nicht festgestellt wor- 
den. Wenn die Angaben über ihr Alter (3 Monate) stimmen, so 
waren sie jedenfalls wesentlich anders beschaffen, als meine im 


Physiologische Wirkung der Kieselsäure. 315 


Institut in Inzucht gezogenen Mäuse, denn gegen durchschnittlich 
11g Körpergewicht hatten die beiden fremden Mäuse 19 u. 21 g 
Körpergewicht. Dementsprechend war auch der Aschengehalt 
verschieden. Während bei meinen Mäusen die Aschenmenge 
von 3 bis 4% um 3,2% des Körpergewichts schwankte, hatten 
die beiden anderen 2,7 und 2,8% des Körpergewichtes an Asche, 
und der SiO Gehalt der Asche zeigte die hohen und weit ver- 
schiedenen Zahlen 0,66 und 2,72%. Es wäre interessant fest- 
zustellen, ob solche enorme Schwankungen von 0,15 bis 2,72% 
zwischen Mäusen verschiedener Herkunft die Regel ist, oder ob 
es hier sich nur um Zufallsresultate handelt. Der ganz regel- 
- mäßige Gang in meinem Analysenergebnis kann, wenn das 
Material zahlenmäßig auch nur klein ist, jedenfalls nicht auf 
Zufall beruhen. 

Anhangsweise sei auf einen Zusammenhang noch hingewiesen, 
der zwar nicht zum Thema gehört, auf den aber meine Tabelle 
hinzuweisen scheint, auf die Beziehung des Aschengehaltes des 
Körpers zum Ernährungsgleichgewicht. Es scheint, als ob Ab- 
magerung, Gewichtsabnahme, mit einer Vergrößerung des Aschen- 
gehaltes des Körpers in Beziehung steht. Bei den Tieren, deren 
Gewicht sich während des Versuches kaum oder positiv ver- 
ändert hat, I, Па, b, IIIc, IVa ist der Aschengehalt auch am 
geringsten, 3,0 und 3,2%, des Gewichtes, während die Tiere, die 
stärker abgenommen haben, IIc, IIIa, b, IVb einen höheren 
Aschengehalt 3,3, 3,6, 3,7 und 4,0%, besitzen. Daraus wäre zu 
folgern, daß bei fehlenden Ernährungsgleichgewicht im nega- 
tiven Sinne, bei Abmagerung, die Einschmelzung der organischen 
Bestandteile in verhältnismäßig stärkerem Maße vor sich geht 
als die der anorganischen, was wohl damit zusammenhängt, daß 
ja auch beim Hungern zunächst das an den anorganischen Bestand- 
teilen sehr arme Fettgewebe verbraucht wird. 


Zusammenfassung. 


Aus meinen Analysen gleichalteriger, nahverwandter, mit 
dem gleichen Futter aufgezogener weißer Mäuse geht hervor, daB 

1. der SiO,-Gehalt des Körpers durch geeignete SiO Zufuhr 
mit dem Futter erhöht werden kann, 

2. nur ein kleiner Teil der dargebotenen SiO, im normalen 
Körper zurückbehalten wird, 
| 21* 


316 Fr. Breest: Physiologische Wirkung der Kiesels&ure. 


3. die „Neutralisation“ des Merc kschen Silicates nicht nur 
nicht die Resorption hinabsetzt, sondern im Gegenteil erhöht. 
Damit ist in Verbindung mit der Arbeit von Schuhbauer be- 
wiesen, daB 

4. die Giftigkeit des Na-Silicates Merck auf 
der abspaltbaren Natronlauge beruht, die SiO, an 
sich ungiftig ist. 

5. Die Passage durch den sauren Mageninhalt macht die 
Verfütterungsform der Kieselsäure nicht gleichgültig. 

6. Kieselsäurehydrat wird nicht resorbiert. 

7. Bei vergleichenden Analysen ist es nötig, gleichalterige 
Tiere gleicher Vorgeschichte und nächster Verwandtschaft zu - 
benutzen. 


Uber Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische 
Neutralfette. 


Von 
D. Holde. 


(Eingegangen am 30. Juni 1920.) 


Wie an anderer Stelle!) mitgeteilt wurde, betrifft die von 
Franz Fischer und W. Schneider vor kurzem?) gegebene 
Anregung, Anhydride höherer Fettsäuren, sofern sie wie Neutral- 
fette resorbierbar sein sollten, ein von mir vor 5 Jahren dem 
damaligen Vorsitzenden der Ernährungskommission A (Emil 
Fischer) des Kriegsausschusses für pflanzliche Ole und Fette 
unterbreitetes und nachher auch in seinen wichtigsten Grund- 
zügen chemisch und physiologisch verfolgtes Problems). Die 
während des Krieges in Rücksicht auf die Kriegsbestimmungen 
unterbliebene Publikation der gewonnenen Erkenntnisse wurde 
bislang noch aufgeschoben, um die Arbeiten noch weiter abzu- 
runden; sie soll aber nunmehr fortlaufend erfolgen. 

Die genannten Autoren erhielten bei der Oxydation von Paraf- 
fin mit Luft bei 135—145° Oxydations produkte, welche sich nicht 
in Soda, sondern nur in Atzalkalien zu Seifen lösten. Ihre SchluB- 
folgerung, daB es sich deshalb bei diesen Oxydationsprodukten 
möglicherweise um Anhydride handele, muß indessen insofern 
berichtigt werden, als nach A. Grün!) u. a. bei der Oxydation 
von Paraffin mit Luft neben höheren Alkoholen auch ester- 
artige Verbindungen der letztern mit Fettsäuren entstehen, 
welche ohne nähere Prüfung wohl das Vorhandensein von Anhy- 
driden vortäuschen können. 

Die nachstehend in ihrem organoleptischen und physiologi- 
schen Teil beschriebenen, im Jahre 1915 begonnenen und 1916 

1) Chem. -Ztg. 44, 78. 1920. 

2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 53, 924. 1920. 

2) Uber die bisherigen Ergebnisse habe ich am 12. Juli d. J. in der 


Deutschen chemischen Ges. vorgetragen. 
4) Ber. d. Deutsch. chem. Gesellsch 53, 987. 1920 


318 D. Holde: 


fortgesetzten Voruntersuchungen der im obigen Thema auf- 
geworfenen Frage erstrecken sich ebenso wie spätere, in Gemein- 
schaft mit Frl. Ida Tacke im Herbst 1919 wiederaufgenommene 
Arbeiten auf technische Fettsäuregemische wie z. B. durch Vakuum- 
destillation gereinigtes Olein, Leinölfettsäuren usw., weil die 
Einzelindividuen für die Beantwortung der aufgeworfenen che- 
mischen und physiologischen Fragen als Untersuchungsobjekte 
wegen ihres zu hohen Herstellungspreises und die höher 
schmelzenden krystallisierten Anhydride der Stearin-, Palmitin- 
und Erucasäure an und für sich als Speisefette nicht in Frage kamen. 
Zudem lassen sich die gewonnenen Ergebnisse — mutatis mutandis 
— ohne weiteres auch auf die Einzelindividuen übertragen. 

Über die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Problems 
berichte ich folgendes: 


Am 27. Nov. 1915 unterbreitete ich dem Vorsitzenden der Kom- 
mission A des Kriegsausschusses folgenden Vorschlag: „„. . Bei Erwägung 
der Möglichkeiten, die Fettsäuren (Ölsäure, Erucasäure, Linolsäure, Pal- 
mitinsäure usw.) ohne Einverleibung von Glycerin oder Glykol in eine 
leichtverdauliche, aber neutrale Form zu bringen, ist mir der Gedanke ge- 
kommen, ob nicht die Anwendung der Säuren in Form von Anhydriden, 
die ja neutral und hydrolisierbar sind, zu ermöglichen ist. Ich nehme an, 
daß diese Körper, mit denen ich mich in ihrem reinen Zustand noch nicht 
zu beschäftigen Gelegenheit hatte, da sie naturgemäß nicht wie z. B. Essig- 
säureanhydrid, auf der Zunge hydrolisiert werden, weniger einen störenden 
Geschmack haben könnten, als die flüssigen ungesättigten Säuren selbst... 
Falls nicht grundsätzliche chemische, physiologische oder technische Be 
denken entgegenstehen, würde ich an die Bearbeitung der Sache heran 
gehen 

Gegenüber Bedenken Emil Fischers, die sich auf die mögliche 
schwerere Resorbierbarkeit der ins Auge gefaßten Anhydride höherer 
Fettsäuren bezogen, antwortete ich unter dem 22. Dez. 1915, nachdem ich 
einige Vorversuche in Gemeinschaft mit H. S melk us im Staatlichen 
Materialprüfungsamt angestellt hatte, folgendes:. . „Ich habe die Pro- 
dukte (Anhydride) aus Ölsäure bei uns mittels Essigsäureanhydrid nach 
Н. Albitzky*) herstellen lassen und dabei festgestellt, daß der nicht in 
Reaktion getretene Betrag an freier Ölsäure darum nicht sehr genau durch 
Titration mit 2/,,-Гаџре?) zu ermitteln ist, weil der Farbenumschlag 


1) Journ. d Russ. chem. Ges. 31, 103. 1899; s. a. Michael Jemel 
jemof u. H. Albitzky, über Elaidinsäureanhydrid, ebenda S. 106. 

2) Es wurde alkoholische Lauge benutzt. Die Reaktion wurde später 
aufgeklärt, s. Vortrag, gehalten über obiges Thema am 12. Juli 1920 in der 
Deutsch. chem. Ges., dessen chemischer Teil voraussichtlich in Ber. d. 
Deutech. chem. Ges., Heft 8, abgedruckt wird. 


Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 319 


nach Rot immer wieder bald verschwindet, also die Anhydride offenbar 
sehr leicht spaltbar durch ganz verdünnte Lauge sind. Dies deutet wohl 
auf eine leichte Resorbierbarkeit hin, wenn als Maßstab für diese die leichte 
Spaltbarkeit durch sehr verdünnte Lauge gelten kann... Tatsächlich 
hat das Ölsäureanhydrid selbst in der dunkelfarbigen Beschaffenheit, in 
der ich es zunächst erhalten hatte, im Gegensatz zur Ölsäure keinen kratzen- 
den Geschmack... Der Vorzug solcher Anhydride gegenüber den reinen 
festen Fettsäuren würde auch in deren flüssiger bzw. im Gemisch mit festen 
Anhydriden in ihrer voraussichtlich vaselineartigen Konsistenz liegen!) 

Ferner heißt es in dem Protokoll der Sitzung der Fettsäuresynthese- 
kommission B des genannten Ausschusses vom 25. Februar 1916 (Vor- 
sitzender C. Engler, Karlsrube), in der Harries und Koetschau ihre 
ersten Mitteilungen über die Gewinnung von aliphatischen Fettsäuren durch 
Ozonisation von Braunkohlenteerölen machten, und an der u. a. noch 
E. Graefe, I. Marcusson, E. Albrecht, Hamburg und Welter, 
Crefeld, teilnahmen, wie folgt: 

Auf Anfrage von Holde teilt der Vortragende (Harries) mit, ... 
daß eine Verwendung der synthetischen Fettsäuren zu Speisefettprodukten 
bisher noch nicht erwogen sei. In dieser Hinsicht macht Holde darauf 
aufmerksam, daß eine Anhydrisierung der Fettsäuren diese nach den bei 
den natürlichen Fettsäuren gemachten Erfahrungen wahrscheinlich in 
neutrale Speisefette überführen lasse, wenn der Geschmack der neuen 
Fettsäureanhydride nicht störe.“ 


Da nun Paraffine bei der Oxydation mit Luft oder Sauer- 
stoff, wenn sie hierbei zu Fettsäuren oxydiert werden, wahrschein- 
lich vorher zu ungesättigten Kohlenwasserstoffen teilweise ab- 
gebaut werden, und sich ja die von mir gemachten Vorschläge 
generell auf Verwendung von Anhydriden höherer Fettsäuren 
bezogen, so dürfte auch an der Priorität der Vorschläge für das 
Gebiet der durch Oxydation von Kohlenwasserstoffen aus Teeren, 
Erdöl, bituminösem Schiefer usw. gewonnenen Fettsäuren kein 
Zweifel obwalten. 


Organoleptische Prüfungen. 


Nachdem sich gezeigt hatte, daß die nach Albitzky aus 
einer reinen, im Vakuum destillierten Ölsäure (Ausgangsmaterial 
Olein von Motard) hergestellten Anhydride, ebenso wie normale 
Fette bei der Behandlung mit alkoholischer 9½-Lauge leicht 
verseifbar waren, und hiernach an ihrer voraussichtlichen Resor- 


1) Emil Fischer hatte im Einklang mit den ebenfalls der Ernährungs- 
kommission angehörenden Herren Rubner, Zuntz usw. wiederholt auf 
die bessere Resorbierbarkeit weicher Fette im Vergleich zu härteren Fetten 
hingewiesen. 


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320 D. Holde: 


’ bierbarkeit im tierischen Körper Zweifel nicht angezeigt schienen, 
wurde ein derartiges, durch Filtration über Fullererde noch weiter- 
hin gereinigtes hellgelbes geruchloses Anhydrid 4 Wochen lang 
in meinem Haushalt als Salatöl genossen!). Vorher hatte ich durch 
zahlreiche Geschmacksproben festgestellt, daß bei den nicht 
anhydrisierten Fettsäuren, auch der reinen, durch dreimalige 
Vakuumdestillation bei 9—10 mm Druck aus Olein Motard 
erhaltenen blaßgelben Ölsäure, welche zur Gewinnung des zu den 
Geschmacksproben und den physiologischen Versuchen benutzten 
Anhydrids gedient hatte, zwar nicht auf der Zunge, wohl aber 
alsbald im Gaumen ein unangenehmer kratzender Geschmack 
entstand, welcher bei dem in Rede stehenden Anhydrid nicht be- 
merkt wurde. Wie schon in der vorläufigen Mitteilung?) erwähnt 
wurde, hat das Anhydrid, welches bei höherer Zimmerwärme 
völlig flüssig (wie Olein oder Olivenöl), an kühleren Tagen aber 
im Zimmer halbflüssig bis salbenartig war, als Salatöl bei häufigem 
Genuß vollauf genügt. Dagegen ergab sich, als ich durch diesen 
Erfolg ermutigt, die Probe zum Braten von Kartoffeln benutzen 
ließ, ein kratzender Geschmack der letzteren, dessen Ursachen 
und damit auch die Beseitigungsmöglichkeiten aufzuklären sind. 
Wenn man beispielsweise die weiterhin bei einem Leinölsäure- 
anhydrid festgestellte starke Zersetzlichkeit durch strömenden 
Wasserdampf zur Erklärung dieses ersten Mißerfolges heranzieht, 
so würde ja die hohe Temperatur beim Braten der Kartoffeln 
und der in letzteren enthaltene Wassergehalt den unangenehmeren 
Geschmack des Anhydrids genügend erklären. Es ist aber ferner 
auch möglich, daß das Anhydrid, das damals nur durch Aus- 
schütteln mit 85 vol.-proz. Alkohol von nicht anhydrisiert geblie- 
benen freien Fettsäuren befreit wurde, wegen der immerhin vor- 
handenen teilweisen Löslichkeit von Fettsäuren im Anhydrid 
und umgekehrt noch geringe Mengen freier Fettsäuren?) enthielt 
(im vorliegenden Fall Ölsäure), welche bei der höheren Temperatur 
des Bratens den schlechteren Geschmack veranlaßten. Da von 


1) Das Öl dürfte damals (Frühjahr 1916) durch Schütteln mit 85 vol. 
proz. Alkohol von nicht anhydrisierten Fettsäuren gereinigt worden sein. 
Leider fand sich keine Niederschrift hierüber mehr tor. 

2) J. c. 

9) Diese konnten nach den späteren Titrations versuchen mit alkoholi- 
scher 2/10- Natronlauge (alkoholisch) auf 4—5% geschätzt werden. 


Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 321 


dem damals den Versuchen zugrunde gelegten Anhydrid neuer- 
dings nur noch geringe Mengen vorhanden waren und diese auch 
nach Entfernung des Gehaltes an freien Fettsäuren bei so langem 
Lagern nicht mehr als genügend einwandfrei in organoleptischer 
Hinsicht angesehen werden könnten, so werden über diesen Punkt 
neue Untersuchungen an frischem Material anzustellen sein. Zu 
bemerken ist übrigens, daß die Technik selbst die Gewinnung von 
in bezug auf Geruch und Geschmack befriedigenden Fetten natur- 
gemäß besser beherrscht, als dies bei der geringeren Übung, der 
Anwendung flüchtiger Lösungsmittel usw. im kleinen Labora- 
toriumsstil im allgemeinen möglich ist. Schon aus diesem Grunde 
kann den organoleptischen Proben naturgemäß vorläufig keine 
maßgebende Bedeutung zugesprochen werden, soweit sie noch 
nicht befriedigten. 


Physiologische Ausnützungsversuche. 


Eindeutiger, und zwar in durchaus günstigem Sinne waren, 
den von mir aus der leichten Verseifbarkeit der Anhydride ge- 
schöpften Erwartungen entsprechend, die nachstehenden Ergeb- 
nisse der auf meinen Wunsch von Prof. M. Cremer freundlichst 
veranlaßten Ausnützungsversuche, welche im Physiologischen 
Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin von Dr.. 
Seuffert ausgeführt wurden: 


Methodik des Versuches: Nach Verfütterung von Knochen — 
zwecks Abgrenzung — erhielt der Versuchshund an zwei aufeinander 
folgenden Tagen je 20,0g Anhydridöl mit 75 g Reis, 2 g Fleischextrakt 
und 1 g Kochsalz, worauf wieder eine Knochenperiode folgte. 

Der zwischen den Knochenkoten anfallende Kot wurde gesammelt 
und auf Fettgehalt analysiert. 


Es ergab der Alkoholextrakt des gesamten Kotes . . . . 0,4025 g 
In Petroläther lösliche Substanz: der 1. Atherextrakt . . 1,3080 g 
der 2. Ätherextrakt . . 0,2660 g 

zusammen: 1,9765 g 


Da von dem Fett aus dem Futternapfe 0,86 g wieder gewonnen wur- 
den, ist die tatsächlich verfütterte Anhydridölmenge auf 39,14 g zu korri- 
gieren. 

Die Ausnützung beträgt also bei diesem Versuche rund 95%. 

Eine kleine Änderung dieser Zahlen ist durch die in den Rückständen 
möglicherweise noch enthaltenen Seifenmengen denkbar. Da aber die 
Untersuchung daraufhin noch einige Zeit in Anspruch nimmt, erlaube ich 
mir, diese vorläufigen Zahlen heute schon jetzt mitzuteilen. 


322 D. Holde: 


Die Zahlen ergeben die Rohausniitzung. Die wahre Ausniitzung ist 
besser, da bei demselben, aber anhydridölfreiem Futter ebenfalls Fett im 
Kote vorhanden ist. 


Den 5. Juni 1916. gen. Prof. M. Cremer. 


Das vorstehende sehr günstige Ergebnis der Ausnützungs- 
versuche veranlaßte mich, bei Herrn Prof. Cremer die Prüfung 
von noch 2 Proben Anhydrid, deren Herstellung aus den Natrium- 
salzen von sog. Olinit- und Knochenfettsäuren mittels Phosgen 
Herr A. Grün freundlichst veranlaßt hatte, auf ihre Aus- 
nützung nachzusuchen. 

Die Untersuchung ergab folgende Werte (Hund): 
Ausnützung des Olinitfettes: 93,29%,. Nettoausnutzung ist günstiger. 

des Knochenfettes: 94,4%. Verfüttert 40 g in 2 Tagen. 


Eine Analyse der mit dem Kote ausgeschiedenen freien Fettsäure 
bzw. Seifenmenge ist bisher noch nicht abgeschlossen. 

Die betreffenden Werte sollen seinerzeit mitgeteilt werden. 

Das Ergebnis der Ausnützungsversuche wird durch die noch aus- 
stehenden Zahlen höchstens ganz unwesentlich beeinflußt. 


Den 25. VII. 1916. gez. Cre mer. 


Zu den Versuchen an Olinit!)- und Knochenfettsäureanhy- 
driden ist zu bemerken, daß erstere nach den später angeführten 
Titrationsversuchen mit alkoholischer "/,,.-Lauge etwa 16%, letztere 
aber überwiegend, nämlich fast 80%, freie Säure enthielten, 
was möglicherweise auf eine Zersetzung dieser mißfarbigen salben- 
artigen Produkte beim Transport zurückzuführen war. Daher 
wären nur die beiden ersterwähnten Anhydride mit nur geringem 
bzw. mäßigem Gehalt an freier Säure zur Beurteilung der Aus- 
nützbarkeit im tierischen Organismus einstweilen heranzuziehen. 
Es ist aber bekannt, daß auch manche unreine Glyceridfette, 
selbst reines Palmfett oder Olivenöl, beim Transport, besonders 
zur-wärmeren Jahreszeit — und dieser Fall lag auch hier vor — 
leicht sehr starke Zersetzungen in freie Säure, z. B. Palmfett bis 
zu fast 100%, erleiden. Es wäre mithin verfrüht, wenn man etwa 
aus solchen vereinzelten Anomalien allgemeine ungünstige Schlüsse 
auf die Haltbarkeit von Anhydriden ziehen wollte. Systematische 
Versuche über diese Frage werden zur Zeit in Gemeinschaft mit 
Frl. Ida Tacke ausgeführt; es wird später hierüber berichtet 
werden. 


1) Die Olinitfettsäuren entstammten einem bis zur Schmalzkonsistenz 
gehärteten Tran (Waltran). 


Anhydride höherer Fettsäuren als synthetische Neutralfette. 323 


Die technische Herstellung der Anhydride der höheren Fett- 
säuren ist weder für Ernährungszwecke noch für sonstige tech- 
nische Benutzung an Stelle von Glyceridfetten meines Wissens 
bisher in Angriff genommen, weil es bislang sowohl an den nötigen 
Reagenzien wie auch an dem erforderlichen Rohmaterial (Fett- 
säuren) fehlte. Zudem mangelte es auch an den erforderlichen 
Physiologischen und sonstigen chemischen Kenntnissen, welche diese 
Körperklasse dem Interesse der Chemiker hätten näherbringen 
können. Hierzu kam, daß man während des Krieges an den phy- 
siologisch gut ausnützbaren Athylestern und an den nach Vor- 
schlag von Emil Fischer in mäßigen Mengen den Speisefetten 
zugesetzten freien festen Fettsäuren einen bis zu einem gewissen 
Grade brauchbaren und wesentlich einfacher als die Anhydride 
zu gewinnenden Neutralfettersatz hatte. Nach Beendigung des 
Krieges fielen natürlich die Gründe für die Benutzung auch dieser 
Notbehelfe fort, sobald genügende Mengen Neutralfette eingeführt 
wurden. | 

Immerhin scheint es aber auch fiir den wahrscheinlichen 
Fall, daB wir mit Auslandsfetten in nachster Zeit reichlicher als 
bisher versehen werden, nötig, den allgemeinen Eigenschaften 
auch der im Vergleich zu den Äthylestern bisher kaum beachteten 
Anhydride der höheren Fettsäuren um so mehr erhöhte Auf- 
merksamkeit zu widmen, als es sich hier im Gegensatz zu den 
Äthylestern dieser Säuren nicht um esterartig riechende, leichter 
flüchtige und, soweit sie nicht krystallinisch sind, sehr leicht- 
flüssige Produkte, sondern um Produkte handelt, welche in 
allen ihren physikalischen Eigenschaften durchaus 
fettartigen, d. h. viscosöligen oder salbenartigen Charakter 
haben. 

Natürlich ist hierbei nicht etwa an die hochschmelzenden 
oder mäßig hochschmelzenden Individuen wie Palmitinsäure-, 
Stearinsäure-, Erucasäureanhydrid usw. gedacht, welche, wie 
schon oben erwähnt, aus bloßen ökonomischen Gründen tech- 
nisch nicht als Fettersatz in Betracht kommen und ebenso wie 
die entsprechenden Glyceride krystallisiert sind, sondern an 
die Anhydride aus den natürlichen Fettsäuregemischen, welche 
auch die bei Zimmerwärme flüssigen bzw. salbenartigen An- 
hydride der flüssigen Fettsäuren neben denjenigen der genannten 
festen Säuren enthalten. | 


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Autorenverzeichnis. 


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Wiesler, Karl s. Stosius. 


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