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Full text of "Biochemische Zeitschrift 122.1921"

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Biochemische Zeitschrift 


Beiträge 
zur chemischen Physiologie und Pathologie 


Herausgegeben von 
F. Hofmeister -Würzburg, C. von Noorden-Frankfurt a. M, 
B. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin, 


unter Mitwirkung von 
Mi. Assell-Catanis, L. Asher-Bern, M. Bergmann-Berlin-Dahlem, G. Bertrand-Paris, 
A. Bickel-Berlin, F. Blumenthal- Pen A. Bonanni-Rom, F. Betsazzi-Neoapel, G. ar 
Karlsruhe i. B., F. Czapek-Leipzig, A. Durig-Wien, F. Ehriioh-Breslau, H, v. Euler-3 - 
holm, J. Hamburg, 8. Fiexner-New York, J. Forssman-Lund, 8. Fränkel-Wien, 
E. Fround-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem, E. Fried berger-Greifswald, E. Friedmann- 
Berlin, 0. v. Fürth-Wien, F. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Hári- 
Budapest, E. Häggiund-Abo, A. Helftter - Berlin, v Henri -Paria V. Henriques-Kopen- 
bagen, R. O. Herzog-Berlin-Dahlem, W. ee ee R. Höber-Kiel, M. Jacoby- 
Berlin, A. Koch-Göttingen, F. Landoll-Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, E. Laqueur- 
Amsterdam, P. A. Loveae-New York, L. v. Liebermann-Budapest, J. Loeb-New York, 
T Leewe-Dorpat, å. Leewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, 7 A. Mandel-Neow York, 
T MATSRUWINI DEE P. Mayor-Karisbad, J. Meisenheimer-Greifswald, L. Michaelis- 
Berlin, Moliseh-Wien, J. M nroth- Berlin, E. Münszer-Prag, W. Nernst-Berlin, 
W. re y k ent W.Palladin-St. Petersburg, J. K. Parnas-Lemberg, W. Pauli-Wien, 
BR. Pfeifter-Breslau, E. P, Piek-Wien, J. Pohl-Breslau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona- 
Berlin, H. Sachs-Heidelberg, 8. Salaskin-St. Petersburg, T. Sesal TORO, A. Schounert- 
A. Schleßmar=-Düsseldor!, 8. P. L. Börensen-Kopenhagen, K. Spire-Liestal, 
en Tag . Je Stoklasa Prag, W. Straub-Freiburg i. B, A. Stutzer-Königs- 
dancos Kanasawa, H. v. Tappeiner- München, K. Thomas-Leipzig, H. Thoms- 
Berlia. P. Trondelonburg-Rostock, O. anug gehn E. Widmark-Lund, 
W. Wiechowski-Prag, A. Wohl-Danzig, d. Wohigeomuth-Berlin. 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin 


Hundertzweiundzwanzigster Band 


Manulnachdruck 





Berlin 
Verlag von Julius Springer 
1921 


Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. 


Inhaltsverzeichnis. 


Stransky, Emil. Beiträge zur Kenntnis des Mineralstoffhaushaltes. 
V. Mitteilung. Über die Wirkung des Karlsbader Wassers auf 
den Anionenbestand des Kaninchens . . . . . 2. 2 22.0. 

Langecker, Hedwig. Beitrag zur Praxis der Bleifällung 


Kahho, Hugo. Ein Beitrag zur Giftwirkung der Schwermetall- 


salze auf das Pflanzenplasma. III. Mitteilung . .. ..... 
Karczag, L. Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der 
Biologie: I u a 4 2 aa 2 ne ae 
Karezag, L. und K. Hajós. Versuche über die Bedeutung der 
Reihenfolge in der Biologie. U . . . .. 2: 2 2 2 2 2 0. 
Fürth, Otto und Fritz Lieben. Colorimetrische Untersuchungen 
über das Tryptophan. VI. Über den Tryptophangehalt einiger 
Nahrungsmittel und den — des erwachsenen 
Menschen.. ee ed 
Walter, Heinrich. Ein Beitrag zur Frage der chemischen Konsti- 
tution des Protoplasmas . . .. 2 22: 2 2 2 2 ee nn na 
Jacoby, Martin und Käte Frankenthal. Die Bedeutung der Hämo- 
globin-Aminosäuren für die Züchtung der Influenzabacillen . . 
Starlinger, Wilhelm. Über Agglutination und Senkungsgeschwindig- 
keit der Erythocyten. II. Mitteilung ..... 2 2 200. 
Heubner, Wolfgang und Robert Meyer-Bisch. ÜberSulfat- und Ester- 
schwefelsäure in normalen und pathologischen Körperflüssig- 


Kei a a u re ae We ee 
Meyer-Bisch, Robert und Wolfgang Heubner. Über den Einfluß 
von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel . .. .... 


Strauß, Hermann und Gerhard Rammelt. Untersuchungen über‘ 


die Blutkatalase bei Blutkrankheiten . . . . . . 2 2. 22 .. 
Pighini, Giacomo. Chemische und biochemische Untersuchungen 
über das Nervensystem unter normalen und pathologischen Be- 
dingungen. IX. Mitteilung. Die pathologische Chemie des Ge- 
hirns bei einigen Krankheiten mit dementiellem Ausgang . . . 
Constabel, Fr. Über den Kreatingehalt des menschlichen Herz- 
muskels bei verschiedenen Krankheitszuständen . . . .... 
Asher, Leon. Beiträge zur Physiologie der Drüsen. XLVII. Mit- 
teilung. Untersuchungen tiber den respiratorischen Stoffwechsel 
des milzlosen Hundes. Von Chu Koda . ....2....% 


IV Inhaltsverzeichnis. 


Seite 


Asher Leon. Beiträge zur Physiologie der Drüsen. XLIX. Mit- 
teilung. Der respiratorische Umsatz des milzlosen und eisenarm 
ernährten Hundes. Von Francis H. Doubler .. ...... 

Yamada, Motoi. Vergleichende Untersuchungen über den Erfolg 
von Infusionen in eine Vene des großen Kreislaufes und in die 
Pfortader eue wre we See Be ee 

Wester, D. H. I. Kulturversuche mit Soja-Bohnen. IL Vorkommen 
von Urease in anderen Pflanzenteilen als im Samen .. ... 

Heß, W. R. und N. Takahashi. Nachweis eines stofflichen Defizites 
im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere . . . ..... 

Neuberg, Carl und Clara Cohen. Über die Bildung von Acetal- 
dehyd und die Verwirklichung der zweiten Vergärungsform bei 


verschiedenen Pilzen . . 2.2 22 0 0 re ren. 
Meyer, Kurt. Zur Kenntnis des heterogenetischen Hammelblut- 
Angon u 


Schaeppi, Hans. Fortgesetzte Untersuchungen über die Permea- 
bilität der Zellen und Gewebe. VIII. Mitteilung. Beiträge zur 
Frage der Verteilung von Hormonen und pharmakologischen 
Stoffen im Blute . . . 2 2 222 2 2 2 2 ee 00. E dog 

Arai, Minoru. Über den bakteriellen Abbau des l-Leucins . . . 

Bönniger, M. Über den Gehalt der roten Blutkörperchen an Trauben- 


zucker und. Chlor ;...% 2... zu ha 5 a ae 
Biberfeld, Johannes. Zur Kenntnis der Gewöhnung. V. Ent- 
wöhnungsversuche . . . 2 2 2 0 2 2 re 220 .. i 
Hornemann, Curt. Über die Wirkung des Pilodarpins auf den Gily- 
kogengehalt der Organe . 2... 2. 2: ee e a ll 


Bornstein, A. und R. Vogel. Pärassmpathicnsgifte und Blutzucker 
Schnabel, Alfred. Die Verteilung der Chinaalkaloide im Orga- 
nismus. II. Mitteilung . . . 
Schnabel, Alfred. Über die Bestimmung zell- und keimschädigender 
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. II. Mit- 
teilung . . 2.2... re ee er a 
Issekutz, B. v. Temperatur und Capillaraktivität. (Erwiderung) 
Bau, A. Bemerkungen zu der Abhandlung von Emil Baur und Eugen 
Herzfeld: „Über Gärung ohne Hefe" . . . 2. 2 2 2 nr 2 re. 
Kerb, Johannes und Kurt Zeckendorf. Weiteres über den Verlauf 
der alkoholischen Gärung bei Gegenwart von kohlensaurem Kalk 
Zerner, Ernst und Robert Hamburger. Über die Einwirkung von 
Silberverbindungen auf Hefe . . . . 2... 2 2: 2 2 2 2 2 0 2. 
Autorenverzeichnis. 2. 2. 2 oo Iren 


269 
274 


Beiträge zur Kenntnis des Mineralstoffhaushaltes. 
V. Mitteilung*). 


Über die Wirkung des Karlsbader Wassers auf den Anionenbestand 
des Kaninchens. 


Von 
Emil Stransky. 


(Aus dem Pharmakologisch-pharmakognostischen Institute der deutschen 
Universität in Prag.) 


(Eingegangen am 30. Mai 1921.) 


In früheren Arbeiten zu diesem Gegenstande konnte gezeigt 
werden, daß durch, hinsichtlich des Kationengehaltes, verschiedene 
Kostordnungen beim Kaninchen wesentliche Änderungen im Be- 
stande des Organismus an Kationen herbeigeführt werden können, 
(Luithlen) und daß eine derartige Änderung auch bei gleicher 
Kostordnung durch den Ersatz des gewöhnlichen Tränk wassers 
durch Mineralwasser herbeigeführt werden kann (Sgalitzer). 
Diese Veränderungen betreffen einerseits die absolute Kationen- 
menge des Organismus und andererseits das Verhältnis der ein- 
zelnen Kationen des Organismus zueinander. Da gleichzeitig mit 
ihnen auch Änderungen im Verhalten der Tiere sowie in ihrer Be- 
einflußbarkeit durch verschiedene Eingriffe (Temperatur, Gerin- 
nungszeit des Blutes, bezw. Fieber [Freund], Entzündung 
[Luithlen], Magnesium-Narkose[Stransk y]) einhergehen, wurde 
der Schluß auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der 
analytisch festgestellten Veränderung im Mineralstoffhaushalte 
und diesen Veränderungen im Verhalten und der Beeinflußbarkeit 
gezogen und die Wirkung von Mineralwassertrinkkuren durch die 


*) I. Mitteilung: Wiechowski, Zeitschr. f. Balneol,, Klimatol. u. 
Kurorthyg. 5, 433. 1912. — II. Mitteilung: Sgalitzer, Zeitschr. f. Balneol., 
Klimatol. u. Kurothyg. 7, 1. 1914. — III. Mitteilung: Wiechowski, 
Prager med. Wochenschr. 39, Nr. 24. 1914. — IV. Mitteilung: Han- 
dovsky, Jahrb. f. Kinderheilk. 91, 432. 1920. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 1 


2 E. Stransky: 


möglicherweise auch beim Menschen hierbei eintretenden Ver- 
änderungen des Mineralstoffhaushaltes erklärt. | 

Die bisherigen Untersuchungen und Ergebnisse beziehen sich 
ausschließlich auf das Verhalten der Kationen Ca, Mg, K, Na. 
Hierbei wurde vorausgesetzt, daß diese Kationen im Organismus 
zur Gänze in einem, Gleichgewichtsreaktionen ermöglichenden, Zu- 
stande vorhanden sind. Andererseits wurde angenommen, daß 
sich an den als maßgebend erkannten Gleichgewichten der Kat- 
ionen im Organismus keine anderen, als die genannten Kationen 
in erheblicherem Maße beteiligen. Denn von dem einzig noch in 
Betracht gezogenen Eisen wurde angenommen, daß es nicht ioni- 
siert, sondern ausschließlich als Bestandteil eines organischen 
Molekels (Hämoglobin und seine Derivate) im Organismus vor- 
handen ist. 

Mittlerweile ist allerdings durch den Nachweis des regel- 
mäßigen Vorhandensein von Aluminium (Gonnermann) und 
Zink (Rost) in den Säugetierorganen, welche Kationen sich viel- 
leicht auch in einem Gleichgewichtsreaktionen ermöglichenden Zu- 
stande im Organismus vorfinden, die eine dieser Voraussetzungen 
unsicher geworden, wodurch jedoch die Gültigkeit der gezogenen 
Schlüsse insofern nicht beeinflußt wird, als diese nicht auf einer 
bestimmten Änderung der Gleichgewichtsverhältnisse, sondern 
nur auf der Tatsache der Änderung der Kationengleichgewichts- 
verhältnisse fußen. Immerhin ist es notwendig, über den Zustand 
namentlich des Aluminiums in den Säugetierorganen Aufklärung 
zu suchen, welches nach den bisherigen Erfahrungen in weit 
größeren Mengen als das Zink in den Organen gefunden worden 
ist. Derartige Untersuchungen sind am hiesigen Institute im 
Gange. 

Mit dieser Einschränkung kann jener Teil der Untersuchungen 
über den Mineralstoffwechsel bis zu einem gewissen Grade als ab- 
geschlossen angesehen werden. 

Um aber ein vollständigeres Bild über die im Organismus als 
Folge einer Ernährungsänderung oder Mineralwasserzufuhr vor 
sich gehenden Veränderungen der mineralischen Zusammen- 
setzung zu gewinnen, war es notwendig, außer dem Verhalten 
der Kationen auch das der eingeführten Anionen zu kennen. 

Der Gewinnung erster Anhaltspunkte auf diesem Gebiete 
sollten die in folgendem mitzuteilenden Versuche dienen. 


Mineralstoffhanshalt. V. 3 


Die hierbei in Betracht kommenden Anionen sind vorzugs- 
weise: Chlorid, Sulfat, Phosphat und Hydrokarbonat. 

Methodisch müssen Versuche, welche das Verhalten der An- 
ionen betreffen, insofern anders angelegt werden, als man nicht 
schlechtweg wie bei den Kationen von der Analyse der Asche 
ausgehen kann. Denn während man von den gemeinten Kat- 
ionen, wie erwähnt, annehmen darf, daß sie im Leben nicht 
als Bestandteile organischer Molekel (an C gebunden) vorkom- 
men, ist diese Annahme bei den Anionen nicht durchgehends 
gestattet, da zumindest Sulfat bei der Veraschung organischer 
Substanzen, insbesondere von Eiweiß aus dessen S entsteht 
und daher der Sulfatgehalt der Asche nichts aussagt über den 
Sulfatgehalt des in Arbeit genommenen Organs, Nahrungsmittels 
oder Kotes. 

Beiläufig sei hier eine schon vor mehreren Jahren im hiesigen 
Institute gemachte Beobachtung*) erwähnt, daß tierische Organe 
(Leber) bei der antiseptischen Autolyse nicht unerhebliche Mengen 
Sulfat entstehen lassen, woraus auf das Vorhandensein von hydro- 
lytisch abspaltbarer Schwefelsäure in den Organen geschlossen 
werden kann, so daß als Quelle der ausgeschiedenen Sulfate nicht 
nur die Oxydation namentlich des Eiweißes, sondern, wie bei der 
gleich zu besprechenden Phosphorsäure ausschließlich, auch die 
hydrolytische Abspaltung präformierter Schwefelsäure in Betracht 
gezogen werden muß. 

Die geringen in den Organen (Blut) auffindbaren Mengen 
präformierten Sulfats haben wie das Harnsulfat wohl nur die 
Bedeutung einer der vollständigen Ausscheidung unterliegenden 
Stoffwechselschlacke und sind kein für die Organfunktion physio- 
logisch notwendiger Bestandteil. Das Sulfat greift also in den 
Mineralstoffwechsel, wie er hier als Grundlage für die Reaktions- 
weise der Organe aufgefaßt wird, nicht ein, es kann in diesem 
Sinne geradezu als organfremd bezeichnet werden. 

Auch die Aufnahme von anorganischem Sulfat in der normalen 
Nahrung ist so geringfügig, daß sie geradezu vernachlässigt wer- 


*) Unveröffentlicht. Wie aus den nach Friedensschluß wieder zugäng- 
lioh gewordenen Veröffentlichungen der Société de Biologie in Paris hervor- 
gebt, wurde dieses Auftreten von Sulfat bei der Autolyse auch von Robin 
und Bournigault beobachtet. Cpt. rend. des séances de la soc. de biol. 
75, 187. 1919. 


1* 


4 E. Stransky: 


den kann. Im Hafer ist nur 0,1%, mit Salzsäure ausziehbares Sul- 
fat enthalten. 

Über den Sulfatgehalt des Blutes wurden im Jahre 1914 von - 
Professor Wiechowski eine Reihe orientierender Versuche an- 
gestellt, über die hier vorläufig Folgendes berichtet sein möge: Es 
war angestrebt, eine Methode auszuarbeiten, welche die freien Ionen 
bezw. an Gleichgewichtsreaktionen sich beteiligenden Mineralstoffe 
zu bestimmen gestatten sollte. Es wurde angenommen, daß diese 
identisch seien mit dem dialysablen Anteile der Mineralstoffe der 
Organe. Die zu untersuchenden Substanzen, Serum, Blut, Organ- 
brei wurden nach Bestimmung des Trockengehaltes in einer Dialy- 
sierhülse von Schleicher-Schüll aus Pergamentpapier einge- 
messen und, mit Toluol bedeckt, gegen eine gemessene Menge de- 
stillierten Wassers, welches gleichfalls mit Toluol bedeckt war, 
sechs Tage lang dialysieren gelassen. Besondere Versuche mit 
Magnesiumsulfat, also einem schwer dialysablen Salze hatten er- 
geben, daß nach dieser Zeit innerhalb und außerhalb des Schlauches 
Gleichgewicht eingetreten war. Nach beendigter Dialyse, während 
welcher durch die Toluolüberschichtung eine Volumsänderung 
durch Wasserverdampfung vermieden worden war, wurde ein ali- 
quoter, gemessener Teil der eiweißfreien Außenflüssigkeit analy- 
siert. Das Ergebnis, auf das Volumen Außenflüssigkeit mehr Innen- 
flüssigkeit (aus dem Trockengehalt ermittelt) umgerechnet, ergab 
die in der untersuchten Probe vorhanden gewesenen freien Mineral- 
substanzen. Auf diese Weise ließen sich Calcium, Magnesium. 
‚Chlor, Phosphorsäure und Schwefelsäure bestimmen. 

Beim Sulfat wurden von dem Serum zugesetztem 100%, ge- 
wonnen, desgleichen bei Calcium und Chlorid. 


In 2 verschiedenen Proben von Schweineserum wurden auf diese 
Weise ermittelt: 


0,63 g und 0,62 g NaCl pro 100 ccm Serum 


0,0158 g Ca „ 100 „ j 
In geschlagenem Kaninchenblut wurden gefunden 0,65 g NaCl pro 100 cem. 
im Kaninchenserunm Mr Pr 0,67 „ »  „» 100ccm. 


Die nach der beschriebenen Methode gefundenen Sulfatwerte betrugen: 

0,0457 g SO, = 0,9525 mg-Äquivalente in 100 cem Schweineserum (Schlacht- 
hausblut), 

0,0375 g SO, = 0,78 mg-Äquivalente in 100 ccm Kaninchenserum (Hafer- 
Heufütterung). 


Mineralstoffhaushalt. V. 5 


In diesen beiden Versuchen war das Verhältnis Cl: OS, 
= 100: 7 bei Kaninchenserum, C1:SC, = 100:8,8 beim Schweine- 
serum. 

Bei zwei weiteren Kaninchen wurde ermittelt: 


0,0375 g SO, = 0,78 mg-Äquivalente pro 100ccm Serum und CI: SO, 
= 100 : 9,0, 

0,0427 g SO, = 0,89 mg-Äquivalente pro 100ccm Serum und Cl: SO, 
= 100 : 9,8. 

Im Mittel fanden sich also 0,0401 g SO, pro 100 ccm Kaninchenserum und 

0,0458 g SO, pro 100 ccm Scohweineserum, also einander nahestehende 

und sehr kleine Zahlen. 


Im Serum von mit Hafer gefütterten Kaninchen verhielten 
sich die Äquivalente Cl: SO, = 100: 8, das Sulfat entsprach also 
nur ca. l/a der vorhandenen Cl’-Äquivalente. Anders stellt sich 
das Verhältnis im Harn dieser Tiere, wo sich Cl : SO, verhält wie 
100 : 770, 100 : 616, 100 : 493 und 100 : 901 und im Karlsbader 
Wasser, in welchem das Verhältnis Cl: SO, = 100 : 200 ist. 

Vom Chloridion kann wohl mit der gleichen Sicherheit, 
wie von den genannten Kationen vorausgesetzt werden, daß es im 
Lebenden bereits als solches zur Gänze präformiert ist. Chlor ist 
bisher als Bestandteil eines im Organismus vorkommenden orga- 
nischen Molekels nicht gefunden worden, wenn von den unsicheren 
Angaben über organische Chlorverbindungen im Harn abgesehen 
wird. 

Der Phosphor kommt in den Verbindungen des tierischen 
und pflanzlichen Organismus soweit bekannt ist, nicht direkt an 
C gebunden, sondern nur als substituierte, durch Hydrolyse glatt 
abspaltbare Orthophosphorsäure H,PO, vor: Phosphatide, 
Nucleoproteide, Hexosediphosphorsäure (Lactacidogen), Phosphor- 
proteide (Casein). Organischer Phosphor im eigentlichen Sinne 
des Wortes fehlt nach den heutigen Kenntnissen der tierischen 
und pflanzlichen Zelle. Wir betrachten daher das Phosphation 
der Asche von Kot und Nahrung als in diesen zur Gänze präformiert. 
Wenn es das auch in einem anderen Sinne als das Chloridion ist, so 
resultiert für den intermediären Stoffwechsel doch allemal nur 
Phosphorsäure, da die gepaarten Phosphorsäuren, welche die ein- 
zige Bindungsform des Phosphors in Nahrung und Körperzellen 
sind, schon in den Verdauungswegen der restlosen Hydrolyse unter- 
liegen und infolgedessen wohl vorzugsweise bereits ionisiertes Phos- 
phat resorbiert wird. Es scheint dementsprechend für den Phos- 


6 E. Stransky: 


phatbedarf des tierischen Organismus gleichgültig zu sein, ob er 
anorganisches oder organisch gebundenes Phosphat aufnimmt 
(Durlach, Osborne und Mendel) und es kann daher auch das 
im Zellverschleiß anfallende Phosphat wieder verwendet werden 
(Mcll bei Säuglingen, Embden und seine Schüler bei’ der Muskel- 
tätigkeit). Es vollführt demnach das Phosphat z. T. wenigstens 
einen Kreislauf im Stoffwechsel im Sinne von Wendt. Das Phos- 
phat von Harn und Kot ist zur Gänze frei. Jedenfalls sind die An- 
gaben über organisch gebundene Phosphorsäure im Harn ganz un- 
sicher (vgl. Neubauer-Huppert, der Harn). Der Hafer enthält 
ca. 13%, der gesamten Phosphorsäure in durch kalte Säure extra- 
hierbarer Form. 

Gemäß diesen Überlegungen wurde zur Ermittelung des auf- 
genommenen Chlorids und Phosphats deren Gehalt in der Asche 
herangezogen, zur Ermittelung des aufgenommenen anorganischen 
Sulfats dagegen bloß der Säureauszug der Nahrung; die Aus- 
scheidung anorganischen Sulfates in Kot wurde auch an dem 
Säureauszug bestimmt. Über die Abgrenzung des anorganischeh 
Teiles des Sulfatstoffwechsels vom organsichen (Oxydation) wird 
weiter unten berichtet. 

Mit dem Verhältnisse dieser 3 Anionen unter dem Einfluß der 
Zufuhr von Karlsbader Mineralwasser und einem Gemenge von 
Kalium- und Natriumsulfat in dem Verhältnisse wie es dem zwi- 
schen Kalium und Natrium in der Ringerlösung entspricht, befaßt 
sich meine Untersuchung. 

Von der Mitheranziehung des HCO,’-ions und des von 
Gonnermann neuestens als regelmäßigen Bestandteil des Or- 
ganismus festgestellten Kieselsäureions, von denen dem ersteren 
die überwiegende Bedeutung zukommt, wurde abgesehen. Das 
HCO,'-ion verdankt zum allergrößten Teile seine Entstehung der 
Oxydation der Kohlenstoffverbindungen im Organismus und 
seine hauptsächliche Bedeutung liegt daher zunächst nicht auf 
dem Gebiete des Mineralstoffwechsels. Über das Kieselsäureion 
und seine Bedeutung am Aufbau der lebenden Substanz wissen 
wir derzeit trotz der eingehenden Untersuchungen Gonnermanns 
noch so wenig, daß wir es nicht als einen wesentlich in Betracht 
kommenden Bestandteil des Anionenhaushaltes im tierischen Or- 
ganismus bezeichnen können. Durch die Vernachlässigung des 
HCO,-ions ev. auch des SiO,-ions wird natürlich die Feststellung 


Mineralstoffhaushalt. V. 7 


eines Anionengleichgewichtes unmöglich. Es kommen aber beim 
Studium des Anionenhaushaltes im tierischen Organismus Gleich- 
gewichteverhältnisse zwischen den einzelnen Anionen schon aus’ 
dem Grunde weniger in Betracht als bei den Kationen, weil zu- 
nächst ein Teil der frei im Organismus zirkulierenden anorgani- 
schen Anionen erst beim Stoffwechsel entstanden ist, also als Stoff- 
wechselschlacken (Sulfat, Hydrokarbonat) eine wesentlich andere 
Bedeutung für den Organismus haben, als z. B. das lebenswichtige 
Chloridion, wobei das Phosphation eine Mittelstellung einnimmt. 
Dazu kommt, daß ein physiologischer Antagonismus der einzelnen 
Anionen, wie er hinsichtlich der Kationen Ca, Mg, K, Na durch 
Loeb bekannt geworden und seither vielfach studiert worden ist, 
nicht zu bestehen scheint. Ich glaube daher nicht, daß das gegen- 
seitige Verhältnis der Äquivalente aller vorkommenden Anionen, 
so wie dies bei den Kationen der Fall ist, für die Reaktionsfähig- 
keit des Organismus maßgebend ist. Im Säugetierorganismus tritt 
bei allen Untersuchungen die dominierende Rolle von Phosphat 
und Chlorid deutlich zu Tage, sie sind die einzig in Betracht Kom- 
menden ‚physiologischen‘ Anionen des Organismus und hinsicht- 
lich ihrer Bedeutung mit den Kationen K, Na, Ca, Mg auf eine 
Stufe zu stellen. 

Meine Untersuchungen gingen zunächst darauf aus, festzu- 
stellen, ob sich das Chlorid des Organismus nicht teilweise durch 
Sulfat ersetzen ließe, ob die bekannte Vertretbarkeit des Chlorid- 
ions durch das Bromidion nicht etwa nur ein Spezialfall einer all- 
gemeinen Vertretbarkeit des Chloridions durch andere Anionen 
wäre. Dabei wurde in erster Linie deshalb an das Sulfation ge- 
dacht, weil es in vielen Mineralwässern in reichlicher Menge vor- 
kommt und ihm möglicherweise außer der lokalen abführenden 
Wirkung auch eine Beteiligung an der resorptiven Wirkung, welche 
diesen Wässern zugeschrieben wird, zukommt. 

Die Versuche wurden an vier ausschließlich mit Hafer ge- 
fütterten Kaninchen angestellt: Die Tiere machten zunächst eine 
mehrtägige Angewöhnungsperiode im Stoffwechselkäfig bei Hafer 
und Leitungswasser durch. Hierauf folgte eine 8- resp. Stägige 
Vorperiode bei gleichem Regime, dann kamen zwei 8- resp. Stägige 
Hauptperioden, in welchem das Tränkwasser durch Karlsbader 
Wasser oder durch das oben gekennzeichnete künstliche Sulfat- 
wasser ersetzt war, worauf dann wieder eine 8- resp. Stägige Nach- 


8 E. Stransky: 


periode bei Leitungswasser folgte. Täglich wurden Harn und Kot 
gesammelt und ihre Menge bestimmt, ebenso wurde (unter Be- 
rücksichtigung der Wasserverdampfung) die Wasseraufnahme aus 
den Tränknäpfen und die gefressene Hafermenge durch Wägung 
der Futternäpfe und schließlich auch das Körpergewicht der Tiere 
nach dem Harnabdrücken festgestellt. Die zu den einzelnen Ver- 
suchsperioden zugehörigen Harn- und Kotmengen wurden, jede 
für sich vereinigt und gründlich gemischt zur Analyse gebracht. 
Der Kot wurde lufttrocken werden gelassen, dann in der Reib- 
schale vollkommen gleichmäßig zerkleinert und schließlich noch- 
mals im ganzen gewogen. 

Der Chlorid- und Sulfatgehalt des Leitungswassers und der 
Sulfatgehalt des erwähnten Sulfatwassers wurden analytisch fest- 
gestellt, für das Karlsbader Wasser wurden die Analysen von 
Ludwig und Mautner benützt. Im Hafer und Kot wurden die 
Chloride, Sulfate und Phosphate einerseits nach Zerstörung der 
organischen Substanz bestimmt, andererseits der Gehalt an prä- 
formierten Anionen in Auszügen festgestellt, welche mit verdünnter 
Salpetersäure hergestellt worden waren. Dabei zeigte sich, daß das 
gesamte Chlorid, ca. 13%, der Gesamtphosphorsäure und nur 1,5% 
des Gesamtsulfates (in 100 g Hafer 11 mg SO,) in den Haferauszug 
übergehen. Der Kot enthält, abgesehen von geringen Mengen Chlo- 
rid und Spuren Sulfat, als einziges Anion Phosphat und dieses zur 
Gänze durch Säure extrahierbar. Im Harn wurden die anorgani- 
schen Sulfate und nach Kochen mit Salzsäure die Gesamtsulfate 
bestimmt. Für die Bilanzierung des Chlorids und Phosphats ergab 
sich nach dem oben Ausgeführten weiter kein Bedenken, den ge- 
samten Chlor- und Phosphatgehalt der Einfuhr und Ausfuhr als 
anorganisch zu buchen, wenn auch von der Gesamtphosphorsäure 
des Hafers nur 13%, tatsächlich präformiert sind. 

Ein andercs Vorgehen war bei der Bilanzierung des Sulfats 
notwendig. Der Hafer enthält, wie erwähnt, nur Spuren von anor- 
ganischem, mit Säure extrahierbarem Sulfat, der große Sulfat- 
gehalt der Asche ist auf das Eiweiß zu beziehen. Der Kot verhält 
sich ganz gleich, auch hier nur Spuren von extrahierbarem Sulfat, 
dagegen reichlich Sulfat in der Asche. Beiläufig sei hier bemerkt, 
daß der Schwefelgehalt des Hafers zum N-gehalt im Verhältnis 
S : N = 1 : 6,6 steht. Das Verhältnis S : N beim Haferprotein ist 
mit 1:8 angegeben (Osborne in Abderhaldens Bioche- 


Mineralstoffhaushalt. V. 9 


mischem Handlexikon), so daß schwer oder gar nicht extrahier- 
bare Sulfate kaum angenommen werden können. — Ähnliches gilt 
für den Kot; das gefundene Verhältnis S : N in der Asche weist 
auf das Vorhandensein von Eiweiß hin und läßt erhebliche Mengen 
unlöslicher Sulfate ausschließen. 

Ich machte die Annahme, daß im Hafer und Kot nur das mit 
Salzsäure extrahierbare Sulfat als solches vorhanden ist. Diese 
Menge ist so klein, daß sie für die Ergebnisse vernachlässigt werden 
kann. Die Bilanzierung des als solches in den Hauptperioden ein- 
geführten Sulfates war unter diesen Umständen vollkommen un- 
sicher, da das Normalsulfat im Harn so gut wie vollständig den 
im Hafer zugeführten organischen Schwefelverbindungen neben 
der Oxydation des Organismuseiweißes seine Entstehung verdankt 
und seine Menge von dem Verhalten des Tieres und der Nahrungs- 
aufnahme abhängig ist. Ich suchte auf folgende Weise zu einem 
wenigstens annähernden Schlusse auf die Sulfatbilanz zu gelangen. 
Aus der Vorperiode wurde errechnet, wieviel Sulfat jedes Tier 
für 100 g gefressenen Hafers im Harne ausgeschieden hat. Aus 
dieser Zahl wurden für die nachfolgenden Perioden die aus Nahrungs- 
hafer und Zellverschleiß anfallenden Sulfatmengen berechnet, von 
den im Harn zur Ausscheidung gelangten Sulfatmengen abge- 
zogen und erst der verbleibende Rest als Sulfatausgabe in Rech- 
nung gestellt. Die für 100 g gefressenen Hafers von den 4 Tieren in 
den Vorperioden im Harn ausgeschiedenen Sulfatmengen betrugen 
in Milligramm-Äquivalenten: Kaninchen A: 3,94, Kaninchen B: 
4,00, Kaninchen C: 5,06, Kaninchen D: 5,21. Dazu ist zu bemer- 
ken, daß die Tiere C und D während der Vorperiode einen Ge- 
wichtssturz erlitten haben, der bei D auch von einem Negativ- 
werden der N-Bilanz begleitet war, woraus sich die höheren Werte 
bei diesen Tieren erklären lassen. 

Neben der täglichen Wägung der Tiere, welche an sich ein 
gutes Maß für das Allgemeinbefinden bietet, suchte ich durch Be- 
stimmung der N-Bilanz in den für die S-Bilanz wichtigen Eiweiß- 
stoffwechsel der Tiere Einblick zu gewinnen. Damit war gleich- 
zeitig die Wirkung der in Untersuchung stehenden Salzgemenge 
auf den N-Haushalt festgestellt. 

Es sei hier übrigens darauf aufmerksam gemacht, daß alle 
Stoffwechseluntersuchungen bei Kaninchen von vornherein mit 
einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, da wegen des langen 


10 E. Stransky: 


Aufenthaltes der Ingesta im Blinddarm, wo sich die neuen mit den 
alten Massen mischen, ohne daß es wie überhaupt im Kaninchen- 
darm jemals zu einer völligen Entleerung käme, die abgesetzte 
Kotmenge zeitlich dem gleichzeitig ausgeschiedenen Harn nicht 
entspricht, sondern von vorhergehenden Verdauungsperioden 
stammt. 

Dieser Fehler läßt sich kaum ausschalten, da eine Kotabgren- 
zung wie beim Fleichfresser infolge der erwähnten, im Blinddarm 
erfolgenden Mischung von alten und neuen Ingestis nicht möglich 
ist. In der Tat erscheint z. B. per os gereichte Kohle in allmählich 
steigendem Ausmaße zuerst etwa am dritten Tage merkbar im 
Kote und wird weiter zunächst anscheinend in gleichbleibender, 
später in abnehmender Menge ausgeschieden, bis sie allmählich 
in 8—10 Tagen verschwindet. Die Bedeutung dieses Fehlers läßt 
sich nur durch möglichste Länge der Versuchsperioden und Ein- 
schaltung langer Zwischenperioden herabdrücken. 

Die Analysenergebnisse wurden in Anionengewichten und 
Anionen-Milligrammäquivalenten ausgedrückt. Das Chloridion 


Cl’ = 35,46 bezw. 2 = 35,46 und Sulfation SO,” = 96,06 bezw. 


= = 48,03. Die entsprechenden Zahlen für die Phosphorsäure- 
analysen wurden wie folgt gewonnen. Da bei der aktuellen Reak- 
tion des Organismus weder ein Ion PO,” noch ein Ion HPO,” 
noch auch H,PO,’ möglich ist, wählte ich für die Darstellung der 
Phosphorsäureanalysen in Ionenform ein kombiniertes Ion, welches 
sich ergibt aus dem Verhalten der Phosphate bei der aktuellen 
Reaktion des Blutes, in welchem entsprechend dessen H-lonen- 
konzentration auf 2 Mole Na,HPO, annähernd 1 Mol NaH,PO, 
kommt, Daraus ergibt sich, ein fünfwertiges Ion H,(PO,),' mit 
289,15 
5 
= 57,83, das einer Säure H,P,O,. mit dem Molekulargewicht 294,19 
entspricht. Das Äquivalent des Anions dieser Säure unterscheidet 
sich folgendermaßen von den Äquivalenten der 3 möglichen An- 
ionen der Orthophosphorsäure H,PO;: 


einem Gewichte von 289,15 und einem Äquivalent von 





Äquivalentgewicht des lwertigen Anions H,PO,’ : 97,066 
„ "E : „ H (PO ””” : 57,83 
„ E- „ s» HPO,” ° 48,024 


Mineralstoffhaushalt. V. 11 


An 2 Tieren wurde der Einfluß des Karlsbader Wassers stu- 
diert, an 2 anderen Tieren der des erwähnten Sulfatgemisches. 
Dieses Sulfatgemisch hatte die molare Konzentration des Karls- 
bader Wassers (ca. 0,160 g-Mole im Liter) und enthielt die Kat- 
ionen K, Na, Ca, Mg in denselben Verhältnissen, wie sie in der 
Tyrodeschen Nährlösung enthalten sind, von Anionen ausschließ- 
lich Sulfat. Um auch eine geringfügige Chloridbeimengung zu ver- 
meiden, wurde das Calcium als Acetat der fertigen Lösung zu- 
gesetzt, was sich ohne jegliche Trübung bewerkstelligen ließ. Dieser 
Vergleichsversuch bezweckte, den reinen Einfluß des Sulfations 
festzustellen, unabhängig von anderen Anionen und auch unab- 
hängig von einer Änderung des physiol®gischen Kationenverhält- 
nisses, einerseits mit Rücksicht auf die beobachtete Wirkung 
des Karlsbader Wassers, welche zunächst als Komplexwirkung 
von Kationen und Anionen anzusehen war; andererseite konnte 
sich in diesem Kontrollversuche ein Ersatz des Chlorids im Orga- 
nismus durch Sulfat ohne die Hemmung der bei den Mineralwasser- 
versuchen gleichzeitig erfolgenden nicht unerheblichen Chlorid- 
zufuhr deutlicher äußern. Ich hoffte also, durch diesen Kontröll- 
versuch festzustellen, ob die beobachtete Mineralwasserwirkung 
unabhängig von Kationen, Chlorid- und Hydrokarbonation, vor- 
wiegend durch das Sulfation hervorgerufen wird. 

Mit diesem Sulfatgemisch wurde außerdem eine Reihe von 
physiologischen Versuchen hinsichtlich seiner Eignung als Nähr- 
lösung ausgeführt. Diese erwiesen eine völlige Gleichheit des Sul- 
fatgemisches mit Frosch-Ringerlösung am Froschherzen und der 
- Tyrodeschen Lösung am Kaninchendarm, während am Meer- 
schweinchenuterus eine geringe Tonuszunahme beobachtet wurde. 
Im Vergleiche dazu wurde die Wirkung von Karlsbader Wasser 
an den gleichen Versuchsobjekten untersucht: Auch das Karls- 
bader Wasser erwies sich am Froschherzen ganz gleichwertig der 
Ringerlösung, während am Darm und Uterus Tonuszunahme und 
eine positiv inotrope Wirkung beobachtet wurden. Diese Wirkung 
ist entweder der Hypotonie des Karlsbader Wassers oder dem 
Verhältnisse seiner Kationen zuzuschreiben. Der Gleichgültigkeit 
des Karlsbader Mineralwassere für das Froschherz entsprach die 
Wirkungslosigkeit auf Atmung und Blutdruck von Kaninchen bei 
intravenöser Injektion, selbst bis zu einem Betrage von 100 ccm 
innerhalb einer halben Stunde an einem ca. 1000 g schweren Tiere, 


12 E. Stransky: 


dem also in dieser Zeit nahezu das gleiche Flüssigkeitsvolumen 
eingeführt wurde, als seine Blutmenge beträgt. Auch wiederholte 
Injektionen haben keinen nachteiligen Einfluß gehabt. Es wurden 
innerhalb 8 Tagen täglich 10 ccm Mühlbrunn körperwarm einem 
Kaninchen in eine Ohrvene injiziert, das Tier zeigte weder Gc- 
wichtsänderung, noch verminderte Freßlust, noch auch eine ver- 
änderte Diurese oder Kotentleerung*). 

Auf die Wiedergabe der bei den Experimenten aufgenomme- 
nen Kurven verzichte ich wegen Raummangels und verweise be- 
züglich der Methodik auf den letzten Teil dieser Arbeit. 

In den beiden Versuchsreihen verhielten sich die Paralleltiere 
nicht ganz gleich. Von def Wirkung des Karlsbader Wassers auf 
ausschließlich mit Hafer ernährte Kaninchen wissen wir aus zahl- 
reichen Versuchen, daß es l. von den Tieren begierig getrunken 
wird, sie trinken meist erheblich mehr davon als von Süßwasser 
und 2. daß die Ausnutzung der Nahrung wesentlich gefördert wird, 
was in der Beschaffenheit des Kotes und der Kalkbilanz zum 
Ausdrucke kommt. Der Kot ist, wie schon Bgalitzer berichtet 
hat, meist fester und lichter und enthält weniger Kationen. In 
dieser Beziehung zeigte nur je ein Tier der beiden Reihen eine 
positive Reaktion. Tier B trank im Tagesdurchschnitte der Vor- 
und Nachperiode 84 ccm Süßwasser gegenüber 154 ccm Karlsbader 
Wasser in den beiden Hauptperioden, Tier A trank im Tages- 
durchschnitt 61 ccm Süßwasser, dagegen nur 76 ccm Karlsbader 
Wasser. Tier D trank im Tagesdurchschnitt 250 ccm Süßwasser, 
aber 388 ccm Sulfatwasser, Tier C trank im Tagesdurchschnitt 
233 ccm Süßwasser, dagegen nur 263 ccm Sulfatwasser. Die 
größere Flüssigkeitsaufnahme in den Vorperioden bei den Tieren 
C und D erklärt sich aus dem Umstande, daß diese Tiere im 
heißen Juli im Versuche waren, während A und B in dem damals 
kühlen April im Versuche standen. 


*) Auch beim Menschen erwies sich die intravenöse Infusion von Karls- 
bader Wasser als unschädlich. Es wurden innerhalb etwa 10 Minuten 450 ccm 
steril an der Quelle aufgefangenen Sprudels nach Abkühlung auf Körper- 
temperatur injiziert, ohne daß abnorme Empfindungen oder Erscheinungen 
von seiten des Blutdruckes, der Pulszahl, der Atmung, Diurese und Tem- 
peratur weder unmittelbar nachher noch auch in den nächsten Stunden 
beobachtet werden konnten. Für die Ausführung der intravenösen Injektion 
sei auch an dieser Stelle Herrn Dr. Otto Löw in Karlsbad bester Dank 
ausgesprochen. 


Mineralstoffhaushalt. V. 13 


Was die Körpergewichtskurve anbelangt, so blieb Tier A an- 
nähernd gleichgewichtig. Tier B erlitt in der Nachperiode einen 
Gewichtssturz von ca. 50 g, gleichzeitig wurde die Stickstoffbilanz 
vie] weniger positiv. Kaninchen D erlitt in der Vorperiode aus un- 
bekannten Gründen einen Gewichtssturz von fast 100 g in 5 Tagen, 
der mit negativer N-Bilanz einherging; in den 3 nachfolgenden 
Versuchsperioden blieb das Körpergewicht konstant. Kaninchen 
C erlitt ebenfalls aus unbekannten Gründen in der zweiten Haupt- 
neriode einen plötzlichen Gewichtssturz von 90 g innerhalb cines 
Tages mit stark negativer N-Bilanz und Vermehrung der Äther- 
schwefelsäure im Harn, dem im weiteren Verlaufe zwar kein 
Wiederansatz folgte, der aber auch nicht fortschritt. Trotz dieser 
Unterschiede ergab sich in allen Versuchen hinsichtlich des An- 
ionenhaushaltes ein qualitativ gleiches Resultat, welches aber 
bei je einem der beiden zusammengehörigen Tiere viel deutlicher 
zum Ausdrucke kam, als bei dem anderen gleichzeitig im Parallel- 
versuche gehaltenen Tiere. 


I. Tränkung mit Karlsbader Mineralwasser. 


Die folgenden Tabellen zeigen die Bilanzen der 3 untersuchten 
Anionen CI’, SO,” und H,(PO,)," in den 4 Versuchsperioden. 


Tabelle I. Kaninchen A. 











Anionenbilanzen in Milligramm-. 


Tränk- Äquivalenten 










Ende der 
Perlode 


Tabelle II. Kaninchen B. 





I 5 Leitungswasser| 2010-1980 +3,45 |+0 — 19,42 |—15,97 175,9 | 24,1 
I |, 2 |Mühlbrunn 2005 — 2005 I+5,77 |+2,65 | — 3,86 |+ 4,56185,3 | 14,7 
IH = 1970—1970|-+6,10 |+4,19| + 1,02 !+11,31 [86,6 | 13,4 
IV ©, |Leitungswasser| 1945—1920|+1,80 |—6,84 | — 14,98 |—20,02|87,6 | 12,4 


Was die Sulfatbilanz anlangt, sei zunächst das oben über 
die Berechnung Gesagte wiederholt: Als Nettoeinnahmen des Sul- 
fats wurden blöß die mit dem Tränkwasser zugeführten Sulfat- 
mengen gebucht, da der Hafer keine in Betracht kommenden an- 


14 E. Stransky: 


organischen Sulfatmengen enthält, als Nettoausgaben das Gesamt- 
sulfat des Harnes abzüglich jenes Wertes, welcher sich für Nahrung 
und Zellverschleiß aus den Werten der Vorperioden ergibt. Infolge- 
dessen ist die Sulfatbilanz der Vorperiode allemal +0 (da das 
Leitungswasser nur sehr geringe Sulfatmengen enthält). Die 
Werte für die Bilanzen der 3 Anionen sind in Milligramm-Äquiva- 
lenten ausgedrückt, um eine Gesamtanionenbilanz aufstellen zu 
können. 

Bezüglich der Chloridbilanz haben sich die beiden Tiere in- 
sofern nicht ganz gleich verhalten, als die bei beiden Tieren in der 
Vorperiode positive Bilanz bei A in den Versuchsperioden unter 
Wahrung des Ansatzes weniger positiv wurde, bei B dagegen wäh- 
rend des Mineralwasserregimes noch mehr Chlor angesetzt wurde, 
als in der Norm. 

Von Sulfat hat Tier B während der Versuchsperiode deut- 
liche Mengen angesetzt, in der Nachperiode aber alles Sulfat wieder 
abgegeben. Tier A dagegen verhielt sich anders, es schließt auch 
nach der Nachperiode mit einem kleinen Gewinn von Sulfat ab. 
Die Tatsache, daß in der dritten Periode bei diesem Tiere die 
Sulfatbilanz negativ ist, dagegen in der Nachperiode stark positiv 
wird, ist nicht deutbar, hängt vielleicht mit der willkürlichen Be- 
rechnung der Sulfatbilanz zusammen, die aber durch eine andere 
Berechnungsweise nicht ersetzt werden konnte. Bei beiden Tieren 
ist aber deutlich zu sehen, daß von einem Ansatze von Sulfat auf 
Kosten des Chlorids keinesfalls die Rede sein kann, so daß ein 
Ersatz von Chlorid durch Sulfat im Organismus sicherlich nicht 
stattfindet. Hierbei ist zu bedenken, daß sich im Karlsbader 
Wasser die Äquivalente Cl: SO, wie 1: 2,03 verhalten. Im An- 
satze ist selbst von einem derartigen Verhältnisse keine Rede. 
Bemerkenswert ist jedenfalls, daß bei beiden Tieren das aufge- 
nommene Sulfat vollkommen resorbiert wurde. Im Kot wurde 
so gut wie gar nichts ausgeschieden. Dies steht im Einklang mit 
den Befunden von Kionka, Weise und F. Best, welche die Re- 
sorbierbarkeit von Sulfaten durch den Darm experimentell ge- 
prüft haben. 

Hinsichtlich dieser beiden Anionen sind die Versuche also 
vollkommen negativ verlaufen. Man kann nur zusammenfassend 
aussagen: Das Sulfat des Mineralwassers wird vom Kaninchen voll- 
kommen resorbiert, wird nur während der Dauer der Darreichung 


Mineralstoffhaushalt. V. 15 


im Organismus gespeichert und verläßt ihn nach Aufhören der 
Zufuhr wieder vollständig. Während der Dauer der Mineral- 
wasserzufuhr verliert der Organismus kein Chlor. 

Anders und einheitlicher sind die Ergebnisse der Phosphor- 
säurebilanz. Die gesamte Phosphorsäure von Hafer und Kot 
ist nach den obigen Ausführungen als anorganisches Phosphat an- 
gesehen. In den Normalperioden sind die Phosphorsäurebilanzen 
stark negativ, ein Hinweis auf die unzweckmäßige, einseitige Er- 
nährung. Das um so mehr, als die Tiere in den engen Stoff- 
wechselkäfigen kaum nennenswerte Bewegungen ausführen können 
und daher die bei der Muskelaktion freiwerdende Phosphorsäure 
(Engelmann) hier nur eine untergeordnete Rolle spielen kann. 
Das im Stoffwechsel bei der Tätigkeit wahrscheinlich aller Zellen, 
nicht nur der Muskelzellen, sondern auch der Nerven- und Drüsen- 
zellen freiwerdende Phosphat stellt eigentlich keine Stoffwechsel- 
schlacke dar, insofern es als solches glatt wieder zum Aufbau der 

. organischen Phosphorsäureverbindungen des Zelleibes Verwen 
dung finden kann und zum Teil auch findet (Embden und seine 
Schüler). Über die Ursachen, warum dies nicht vollständig geschieht 
und beim Erwachsenen eine negative Phosphatbilanz schon in der 
Norm (wie hier), bei bestimmter Ernährung eintreten kann, sind 
nur Vermutungen möglich. Die Phosphorsäure verläßt den Kanin- 
chenorganismus durch Harn und Kot und zwar bei Hafernahrung 
etwa zu ?/, der Gesamtausscheidung im Harn und zu !/, im Kot. 
Die im Harn ausgeschiedene Phosphorsäuremenge ist nach O. 
Loewi im Gegensatz zu Harnstoff und Chlorid unabhängig von 
der Diurese, er schließt daher auf eine echte Sekretion in den Tu- 
bulis, läßt aber auch eine Glomerulusfiltration für überschüssige 
(d. i. intravenös injizierte) Phosphorsäure zu, deren Ausfuhr mit 
steigender Wasserausscheidung ansteigt. Aus dem Umstande, 
daß gesunde Säuglinge bei Brustnahrung so gut wie keine Phosphor- 
säure ausscheiden (Moll) läßt sich nicht etwa der Schluß ziehen, 
daß die Ausscheidung lediglich durch aktive, vom Bedarf des Orga- 
nismus abhängige Sekretion erfolge, da auch das passiv in den 
Glomerulis abfiltrierte Kochsalz bei Koehsalzmangel durch Rück- 
resorption nahezu vollständig zurückbehalten wird. Zu einem 
Teile verliert der Organismus also wohl rein passiv Phosphorsäure 
im Harn, ob eine Rückresorption stattfinden kann, ist nicht unter- 
sucht. Zu einem anderen Teile kann er aber, wenigstens beim 


16 E. Stransky: 


Herbivoren die Phosphorsäureausscheidung im Harn zur Regu- 
lation der aktuellen H-Ionenkonzentration des Organismus ver- 
wenden. Der Herbivore. welcher bei Acidose kaum nennenswerte 
Ammoniakmengen zur Neutralisation aufbringt, kann sich in der 
Tat irgendwelcher überschüssiger H-Ionen, ohne die lebenswich- 
tigen Hydrokarbonate heranzuziehen, auf dem Wege der Phosphor- 
säureausscheidung entledigen, wenn angenommen wird, daß er in 
einer, allerdings noch nicht bekannten Weise das im Glomerulus 
abfiltrierte physiologische Ion H,(PO,), beim Passieren des pro- 
visorischen Harnes durch die Harnkanälchen unter Ausscheidung 
des Ions H,PO, in das Ion HPO, verwandelt und dieses zurück- 
behält, welches Ion bei der Rückkehr in den Kreislauf neue H- 
Ionen unter Restitution zum Ion H,(PO,), binden kann. Wenn 
diese auf der Ludwigschen Filtrationstheorie der Harnsekretion 
fußende Anschauung richtig ist, wird eine Acidose beim Kaninchen 
von erheblichen Phosphatverlusten begleitet sein müssen. Würtz 
fand in der Tat bei der experimentellen chronischen Säurevergif- 
tung des Kaninchens vermehrte Phosphorsäureausscheidung, und 
Noorden führt einige Analysen an, aus denen hervorgeht, daß 
bei diabetischer Acidose das Verhältnis N : P zugunsten der Phos- 
phorsäure verschoben ist, und daß diese vermehrte Phosphorsäure- 
ausscheidung durch Natriumhydrokarbonat dem Normalwerte 
wieder genähert werden kann. Ausschließlich mit Hafer ernährte 
Kaninchen entleeren stets lakmussauren Harn. 

Der zweite Ausscheidungsweg der Phosphorsäure, der Darm, 
ist hinsichtlich seiner Einzelheiten auch noch nicht genügend ge- 
kannt. Man nimmt an, daß ein um so größerer Teil der Phosphor- 
säure im Kote erscheint, je mehr Erdalkalien, insbesondere Kalk, 
ausgeschieden werden, für welche der Darmder Hauptausscheidungs- 
ort sein soll, daß also die Phosphorsäure sozusagen passiv mit dem 
Ca im Kot mitausgeschieden wird. Aber der Kaninchenkot ent- 
hält nicht nur Erdalkalien, sondern auch reichlich, wenn auch 
weniger als der Harn, Kalium und Natrium, welche, da er neutral 
reagiert, und so gut wie keine anderen Anionen als Phosphorsäure 
enthält, auch an Phosphorsäure gebunden sein müssen. Dieser 
Teil der Phosphorsäureausscheidung muß also von einem anderen 
Gesichtspunkte betrachtet werden. Er ist unabhängig vom 
Calcium, also nicht passiv, sondern aktiv. Denn daß es sich um 
die Ausscheidung unresorbierter Phosphorsäurereste der Nahrung 


Mineralstoffhaushalt. V. 17 


handeln sollte, ist höchst unwahrscheinlich, namentlich mit Rück- 
sicht auf die glatte Resorbierbarkeit der Chloride und Sulfate. 
Es wird daher damit zu rechnen sein, daß der Herbivorenorganis- 
mus das im Stoffwechsel entstehende Phosphat nicht nur deshalb 
nicht wieder vollständig verwendet, 'weil er sich seiner überschüssi- 
gen H-Ionen auf dem Wege der Phosphatausscheidung im Harn 
entledigt, sondern daß auch noch aus anderen bisher unbe- 
kannten Gründen Phosphorsäure zu Verlust geht. 

Wie sich die Phosphorsäurebilanz des Erwachsenen bei nor- 
maler Ernährung verhält, ist nicht hinreichend bekannt. Beim 
gesunden Erwachsenen und bei zureichender Nahrung sollte 
a priori Phosphorsäuregleichgewicht bestehen und auch bei stark 
wechselndem Phosphorsäuregehalt der Nahrung brauchte das 
Gleichgewicht in Anbetracht der möglichen Wiederverwendung 
des im Stoffwechsel anfallenden freien Phosphates nicht gestört 
zu werden. In der Tat werden aber bei positiver N-Bilanz wech- 
selnde P-Bilanzen (positive und negative) beobachtet, wenn auch 
ein Parallelgehen beider Bilanzen der häufigere Fall zu sein scheint 
(Noorden). Die näheren Einblicke sind auch hier noch versagt. 
Eine Zeit lang wird wohl der Organismus aus den großen Phos- 
phorsäuredepotse in den Knochen eine Unterbilanz decken können, 
aber auf die Dauer wird eine negative Phorphorsäurebilanz bei 
der Lebenswichtigkeit dieses Anions zu schweren Störungen der 
Organfunktionen führen müssen. 

Es sei gleich hier auf einen Parallelismus zwischen Calcium- 
bilanz und Phosphorsäurebilanz hingewiesen, der schon von an- 
derer Seite beobachtet wurde und auch bei den Versuchen mit 
Karlsbader Wasser zu Tage tritt. 

Die bei allen Hafertieren beobachtete, stark negative Phos- 
phorsäurebilanz der Vorperiode ist durch die Mineralwasserzufuhr 
wesentlich beeinflußt worden und zwar in dem Sinne, daß zwar nur 
in einer der 4 Versuchsperioden beider Tiere ein geringfügiger 
Phosphatansatz zu verzeichnen war, aber doch durchgehend die 
Phosphorsäureverluste während des Karlsbader Regimes auf 
einen Bruchteil der Verluste in der Vor- und Nachperiode herab- 
gedrückt wurden. In den Nachperioden stellte sich sofort wieder 
der auf die unzweckmäßige Ernährung zurückgeführte starke 
Phosphorsäureverlust wieder ein. Ganz so verhielt sich die Be- 
einflussung der Kalkbilanzen durch Karlsbader Wasser bei den 


Biochemische Zeitschrift Band 12. l 2 


18 E. Stransky: 


Tieren Sgalitzere. Auch hier wurde die in der Vorperiode stark 
negative Bilanz beträchtlich weniger negativ. Die Verteilung der 
Phosphorsäure auf Harn und Kot hat sich bei Tier A unter dem 
Einflusse des Karlsbader Wassers nicht wesentlich geändert, wäh- 
rend bei Tier B eine Verminderung der Ausscheidung im Kot zu- 
gunsten der Harnausscheidung eintrat. 

Betrachtet man die Gesamtanionenbilanz, so findet 
man bei Tier B in der Vor- und Nachperiode eine negative, in beiden 
Hauptperioden eine positive Bilanz, wobei jedoch die angesetzten 
Anionen den Organismus in der Nachperiode wieder vollkommen 
verlassen. Bei Tier A ist die Gesamtbilanz der Anionen während 
des ganzen Versuches positiv, in der ersten Hauptperiode deutlich 
positiv, in den 3 übrigen Versuchsperioden nahe dem Gleich- 
gewichte, so daß der ganze Versuch mit einem Gewinn an Anionen 
abschließt. Aber auch dieser ist mit 6 Milligrammäquivalenten 
sehr geringfügig und steht in gar keinem Verhältnis zu den hohen 
Werten für Kationenansatz (55—56 Milligr.- Äquiv.) die Sgalitzer 
bei Verabreichung desselben Mineralwassers in annähernd gleichen 
Zeiten bei seinen Kaninchen gefunden hatte. Da ich nicht an- 
nehmen kann, daß sich meine Tiere in dieser Hinsicht ganz anders 
verhielten, so muß ich daraus schließen, daß der weitaus größere 
Teil der unter dem Einflusse des Mineralwassers angesetzten Kat- 
ionen entweder dem Hydrokarbonation verbunden, oder aber an 
Eiweiß gebunden retiniert worden ist. Jedenfalls wird man über 
diese interessante Erscheinung in besonderen, Anionen und Kat- 
ionen berücksichtigenden Versuchen Aufschluß suchen müssen. 


Il. Tränkung mit Sulfatgemisch. 


Der Vergleichsversuch mit dem Sulfatgemisch wurde in der- 
selben Versuchsanordnung an den Kaninchen C und D angestellt, bei 
welchen in den beiden Hauptperioden statt des Karlsbader Wassers 
das oben gekennzeichnete Gemenge von Sulfaten gereicht wurde. 

Für die folgenden Tabellen gilt das gleiche, wie das oben sub I 
Ausgeführte. 

Auch bei diesen Tieren waren die Chloridbilanzen während 
der ganzen Versuchsdauern positiv. Der Ansatz ging während des 
Sulfatregimes nur unbedeutend zurück. Die Tiere hielten also 
während der Versuchsperioden etwas weniger Chlor zurück, als in 
der Vor- und Nachperiode. 


Mineralstoffhaushalt. V. 19 


Tabelle III. Kaninchen C. 















Bo Körpergewicht| Anionenbilanzen in Milligramm- HPO)” 
33 am Anfang u. Äquivalenten Außscheldg. 
$ Ende der % 

SÀ 


Periode cr | 80,” EPO)” 






I || o |Leitungswasser| 2500—2420 |+ 4,121 +0 — 8,78 — 4,66163,2 | 36,8 
IT! %¥ [Sulfat 2450-2450 44.0514 6,511 + 1.45 +1201 69.5 | 30.6 
mE 2450—2370 |+3,74| +0 — 8,22 |— 4,48[69.8 | 30,2 
IV itungswasser | 2370—2330 |+5,82|= 5,0 | + 0,82 + 1641670 |330 
Tabelle IV. Kaninchen D. 

I| o |Leitungswasser| 2550—2440|+2,66|+0 | —20,36 |—17,701 46,7 | 53,3 
IT| & |Sufat 2450 —2430 |+ 1.921 415,47] — 4,16 |-+12,50 X 483 
mie| , 2415—2460 |-+3.08|413,65| +? +17® ? 
IVi © [Leitungswasser | 2440—2470|+4.94|— 3.88! +13,23 |+14,25 698 302 


Hinsichtlich der Sulfatbilanzen verhielten sich die beiden 
Tiere nicht ganz gleich : Tier C setzte während der Sulfatdarreichung 
wenig, Tier D beträchtliche Mengen Sulfat an, C gab diesen Ansatz 
in der Nachperiode fast ganz wieder ab, bei D dagegen schloß der 
Versuch mit einem nicht unerheblichen Gewinn an Sulfat ab. Aber 
gerade bei diesem Tiere ist die Chloridbilanz während der Haupt- 
perioden gegen die Vor- und Nachperiode nahezu unverändert ge- 
blieben. so daß man auch beireiner Sulfattränkung eine 
Verdrängung resp. einen Ersatz von Chlorid durch 
Sulfat nicht feststellen kann. Auch hier zeigte sich durch 
Untersuchung des Kotes, daß das Sulfat vollständig resorbiert 
worden war. Auch hier wird das Sulfat während der Zeit der 
Tränkung bis zu einem gewissen Grade zurückgehalten und nachher 
mehr minder rasch wieder abgegeben. 

Die Phosphatbilanzen sind nur scheinbar etwas anders aus- 
gefallen, als bei den Mühlbrunntieren. Auch hier stark negative 
Phosphorsäurebilanzen in den Vorperioden als Ausdruck der un- 
zweckmäßigen Ernährung. Bei beiden Tieren zeigte sich in der 
Hauptperiode eine auffällige Verbesserung der negativen Phos- 
phorsäurebilanz, bei D weit deutlicher und ungefähr in der Größen- 
ordnung der Mühlbrunntiere, bei C unbedeutender, bei D wird die 
negative Phosphorsäurebilanz in der Nachperiode in eine deutlich 
positive Bilanz umgewandelt. Das Tier C möchte ich hier über- 
haupt ausschließen, weil es in der zweiten Hauptperiode einen un- 
motiviert gebliebenen Gewichtssturz von 80 g erlitten hat, welcher 
mit einer gegen die erste Hauptperiode stark negativen P-Bilanz, 

2* 


20 E. Stransky: 


negativen N-Bilanz, Vermehrung des Kot-N und der Ätherschwefel- 
säuren im Harne einhergegangen ist. Lassen wir diese Periode aus, 
so sehen wir die negative Phosphorsäurebilanz unter dem Ein- 
flusse des Sulfatgemisches nicht nur weniger negativ, sondern sogar 
positiv werden, so daß Übereinstimmung bei beiden Tieren und 
mit den Ergebnissen bei den Mineralwassertieren festgestellt 
werden kann. Ein Unterschied besteht aber in den Nachperioden 
beider Tiere gegen jene der mit Mineralwasser Getränkten: wäbrend 
bei diesen die Verbesserung der Phosphorsäurebilanz in der Nach- 
periode wieder vollständig verschwindet, macht sie bei den Sulfat- 
tieren in der Nachperiode noch erhebliche Fortschritte. Ob daraus 
auf eine besondere, im Karlsbader Wasser durch das Chloridion 
gehemmte Sulfatwirkung geschlossen werden kann, müssen weitere 
Untersuchungen entscheiden. Die Phosphorsäureverteilung auf 
Harn und Kot ist bei diesen Tieren schon in der Norm anders als 
bei den Mühlbrunntieren, beide scheiden in der Norm verhältnis- 
mäßig viel mehr Phosphorsäure im Kot aus. Während der Sulfat- 
tränkung verbessert sich zwar das Verhältnis zugunsten des 
Harnes, aber nun unbedeutend. 

Die Gesamtbilanz der Anionen ist auch bei diesen Tieren in 
der Vorperiode negativ, wird (mit Außerachtlassung der 3. Periode 
bei C) in den Hauptperioden positiv und bleibt auch positiv in den 
Nachperioden. Es werden also zweifellos während der 
Sulfatdarreichung Anionen angesetzt und zwar auf- 
fallenderweise das Phosphation, welches ja gar nicht 
zugeführt wurde, in erheblicherem Maße, als das dar- 
gebotene Sulfat. Diese Wirkung des Sulfats ist höchst be- 
merkenswert, zumal bei dem Mangel an Hydrocarbonat in der 
Tränkungsflüssigkeit nicht daran gedacht werden kann, daß etwa 
die Zurückhaltung der Phosphate hier bedingt wäre durch Ein- 
führung eines Anions, welches zur Regelung der aktuellen Reaktion 
verwendet wird und daher die Ausscheidung des Phosphations 
überflüssig macht, woran beim Kaninchen (siehe oben) auch zu 
denken wäre. Es scheint hier tatsächlich eine besondere Wirkung 
des Sulfations vorzuliegen, die nicht leicht zu beurteilen ist, inso- 
fern wir zunächst nicht wissen können, ob unter dem Einflusse des 
Sulfats weniger Phosphat frei wird, oder aber die Wiederverwen- 
dung des im Organismus im gleichen Ausmaße entstandenen 
Phosphates gefördert wird. 


Mineralstoffhaushalt. V. 21 


Hält man beide Versuchsreihen zusammen, so kann man im 
allgemeinen sagen: 

1. Das Sulfat des Karlsbader Wassers wird vollkom- 
menresorbiert. Es wird nur während der Dauer der Zu- 
führung teilweise zurückgehalten und ist dabei ohne 
Einfluß auf den Chloridwechsel des Organismus. 


2. Die Hauptwirkung liegt auf dem Gebiete der Phosphate. 
Unter dem Einflusse des Karlabader Wassers werden die 
Phosphate in höherem Maße im Organismus zurückbe- 
halten. 


3. Dabei werden gegenüber der Norm Anionen an- 
gesetzt, allerdings in viel geringerem Ausmaße, als 
Kationen angesetzt werden. 


4. Diegleiche Wirkunghabenreine, hinsichtlich der 
Kationen physiologisch gemengte Sulfate, so daß die 
Wirkung,dieunterdemEinflußdes Karlsbader Wassers 
an Tieren beobachtet wird, nicht nur als eine Wirkung 
der spezifischen Kationenmischung, sondern auch als 
eine Wirkung des Überwiegens des Sulfations im Karls- 
bader Wasser angesehen werden kann. 

Weitere Versuche sollen dartun, ob diese Wirkung eine für 
das Sulfation spezifische ist, oder ob auch das Chloridion analoge 
Wirkungen herbeiführen kann. Die direkten Wirkungen auf den 
Ansatz der Aniohen sind jedenfalls viel geringfügiger als auf den 
der Kationen. Dagegen tritt die indirekte Wirkung auf das 
Phosphation sehr deutlich hervor. Daß unter Umständen einc 
Wirkung auf die Ausscheidung der Phosphate der Ausdruck von 
sehr wesentlichen Wirkungen auf den Stoffwechsel sein kann, be- 
weisen u. a. die Beobachtungen Molls über die Phosphataus- 
scheidungen bei gesunden und ernährungsgestörten Säuglingen. 

Auf einen Punkt sei zum Schluß noch hingewiesen: Sowohl 
unter dem Einflusse des Karlsbader Wassers, als auch der reinen 
Sulfate sank die S-Ausscheidung im Kot (wenn wir vom Kanin- 
chen A hierbei absehen). 

Hinsichtlich der N- Ausscheidung im Kote sehen wir bei beiden 
MMühlbrunntieren eine schon in den Hauptperioden einsetzende, in 
der Nachperiode besonders deutliche Herabsetzung und das gleiche 
beim Sulfattier D, während sich beim Sulfattier C, auch abgesehen 


22 E. Stransky: 
Tabelle V. Kaninchen A. 









$s; in den Kot 
Q in Grammen 
gs 






© | Leitungswasser 
= Ej Mühlbrunn 
IV | © Leitungswasser 
Tabelle VI. Kaninchen B. 
[U | o | Leitungswasser | +1,0442 179,4 | 20,6] 77 1 0,2695 | 0,0655 
I ı % Mühlbrunn +1,0519 |85,3 | 14,7| 97 I 0,1932 | 0,0576 
Im | & 5 +1,5964 186,6 | 13,4] 95 | 0,1889 | 0,0461 
IV || © | Leitungswasser | +0,1082|87,7|12,3| 74 | 0,0933 | 0,0654 
Tabelle VII. Kaninchen C. 
I o | Leitungswasser | +0,9975 [81,31 18,71 79 1 0,2431 | 0,0643 
u | % Sulfat +0,7117 180,1 | 19,9] 94 | 0,2690 | 0,0496 
II) E n — 1,4133 183,7 | 16,3] 89 | 0,3282 | 0,0431 
IV | © | Leitungswasser | —0,4641 184,9 | 15,1] 91 |] 0,2531 | 0,0469 
Tabelle VIII. Kaninchen D. 
I | o | Leitungswasser | —0,8906 [68,8 | 31,2] 67 | 0,5596 | 0,0687 
a | $ Sulfat 0,4034 [70,3 |29,7| 64 I 0,4963 | 0,0541 
in a R + 3 |? | ? | 84 | 0,2509 | 0,0462 
IV || 2 | Leitungswasser | +0,7010 | 79,9 | 20,11 84 I 0,2677 | 0,0619 


von der wiederholt erwähnten Störung des Allgemeinbefindens in 
der zweiten Hauptperiode, keine Verbesserung in der Ausnutzung 
der N-haltigen Nahrungsstoffe nachweisen ließ. 

Im großen und ganzen zeigte sich aber doch unter dem Ein- 
flusse des Karlsbader Wassers und des reinen Sulfatwassers eine 
bessere Ausnutzung der gereichten Nahrung, die denn auch in 
einer analogen Besserung der Gesamt-N-Bilanz zum Ausdrucke 
kommt. 

Methodik der Versuche. 

De die Methodik der Fütterung, Tränkung und Haltung der Tiere, 
sowie die der Gewinnung des Analysenmaterials bereite S. 7 besprochen 
ist, erübrigt sich nur noch die Anführung der angewendeten analytischen 
Verfahren. 

Harn: Die zu jeder Periode gehörigen vereinigten Tagesportionen 
-+ Spülwasser wurden auf ein rundes Volumen mit Wasser aufgefüllt und 
mit Toluol versetzt. Die Chloride wurden nach Morsozewski bestimmt: 
Feuchte Veraschung durch konz. HNO, bei Anwesenheit von gemessenen 


Mineralstoffhaushalt. V. 23 


Mengen ®/,.-AgNO,, deren unverbrauchter Überschuß nach Volhardt 
zurücktitriert wurde. Zum Teil wurde auch direkt nach Volhardt analy- 
siert, nach vorhergegangener Klärung des Harnes mit chlorfreiem Kieselgur, 
was vollkommen identische Werte ergab. Nebenbei sei bemerkt, daß 
hieraus auf eine Abwesenheit von organischen Chlorverbindungen im Ka- 
ninchenharn bei Haferfütterung geschlossen werden kann. Die anorgani- 
schen Sulfate wurden nach vorheriger Klärung mit kolloidalem Eisen- 
hydroxyd nach der Folinschen Methode durch Fällung mit BaCl, und 
Wägung als BaSO, bestimmt. Vorversuche hatten ergeben, daß diese 
Methode der Klärung des sonst sehr schlecht filtrierbaren Kaninchenharnes 
für Sulfatbestimmungen einwandfrei ist. Zur Bestimmung der Gesamt- 
sulfate wurde der geklärte Harn vor der Fällung ?!/, Stunde mit Salzsäure 
gekocht. Bei einigen Harnen wurde auch der Gesamtschwefel in der Soda- 
Salpeterschmelze bestimmt, was sehr kleine Werte für den Neutralschwefel 
ergab. Zur Phosphatanalyse wurde der Harn nach der modifizierten 
Neumannschen Methode feucht verascht, sodann nach Woy (Treadwell, 
Bd. 2, 9. Aufl., S. 373) vorgegangen und schließlich Mg,P,O, zur Wägung 
gebracht. Eine direkte Fällung ohne vorherige feuchte Veraschung ergab 
unregelmäßige Werte (bis 5%, Differenzen bei Parallelbestimmungen), aber 
keinen Anhaltspunkt für das Vorhandensein von organischen Phosphor- 
oder Phosphorsäureverbindungen. Die Uranyltitration bewährte sich 
für den Kaninchenharn nicht.- Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl 
bestimmt. 

Kot: Im lufttrockenen, sorgfältigst gemischten in der Reibschale her- 
gestellten Kotpulver wurden die Chloride nach Moraczewski bestimmt und 
die Phosphate nach Neumann - Woy, wobei die in nicht unbeträchtliohen 
Mengen vorhandene Kieselsäure vor der Molybdatfällung entfernt werden 
mußte. Zur Sulfatbestimmung wurde das Kotpulver mit konz. HNO, in 
einer Porzellanschale erst bei Zimmertemperatur stehengelassen, wobei 
sehr bald Verflüssigung eintrat, dann am Wasserbade mit konz. HNO, 
zur Trockene eingedampft, dann in eine Platinschale übergeführt, mit 
reichlichem Soda- und Salpeterzusatz eingedampft und nach völligem Trook- 
nen geschmolzen (Spiritusflamme). Die Schmelze wurde mit verdünnter 
Salzsäure aufgenommen und zur Entfernung der Silicate nach der Vorschrift 
von Treadwell, Bd. 2, 9. Aufl, S. 415 vorgegangen. Im Filtrate wurde 
schließlich das Sulfat nach Folin bestimmt. Der Stickstoff wurde nach 
Kjeldahl bestimmt. 

Hafer: Den Tieren wurde als Futter gesiebter Hafer gereicht, aus 
dem die sichtbaren Verunreinigungen wie Holz, Sand usw. ausgelesen 
worden waren. Zur Analyse wurde der Hafer in einer kleinen Stahlmühle 
gemahlen und das Gesamtmehl sorgfältig gemischt. Die einzelnen Anionen 
und der Stickstoff wurden wie im Kot bestimmt. Parallelanalysen in Hafer 
und Kot gaben für alle untersuchten Anionen Differenzen von durohschnitt- 
lich 2—3% . Die gleiohmäßige Mischung des Analysenmaterials spielt eine 
große Rolle, 

Zur Feststellung der präformierten anorganischen Anionen CI’, SO,” 
und H,(PO,),’’ wurden Hafermehl und Kotpulver mit der etwa 10faohon 


24 E. Stransky: 


Menge 2,5 proz. Salpetersäure 24 Stunden bei Zimmertemperatur geschüttelt, 
die Auszüge scharf abzentrifugiert und in aliquoten Filtratsteilen nach 
vorheriger Klärung (für Cl Kieselgur, für SO, Eisenhydroxyd) die betreffen- 
den Anionen analysiert. 

Die Versuche an tüberlebenden Organen wurden nach 
der üblichen Methode von Magnus am Kaninchendünndarm und Meer- 
schweinchenuterus angestellt und beim Wechsel der Tyrodelösung einer- 
seits durch Sulfattyrode, andererseits durch Mühlbrunn gründlich aus- 
gewaschen. Zu den Froschherzversuchen wurden etwa 30 g schwere männliche 
Temporarien verwendet und die Straubsche Versuchsanordnung gewählt. 


Tabellarische Darstellung der Versuchsergebnisse. 
1000 ccm Prager Leitungswasser enthalten: 
0,0599 g SO,” = 1,21 mg-Äquivalente; 0,01039 g Cl’ = 0,29 mg-Äquivalente. 
1000 ccm Karlsbader Mühlbrunn (Flaschenversand) enthalten nach 
den Angaben des „Österr. Bäderbuches‘‘ 1914, S. 289: 
1,6946 g SO,” = 35,278 mg- Äquivalente; 0,61417 g Cl’ = 17,32 mg-Äquival. 
1000 cem des gereichten Sulfatwassers enthielten: 
4,2800 g SO,” = 89,11 mg-Äquivalente. 
100 g verfütterten Hafers enthi lten: 


Gesamtgehalt: 

0,08352 g CI’ = 2,35 mg-Äquivalente 

0,6987 g S0,” = 14,55 re 

0,8960 g H. (PO,), = 15,49 > 

1,5454g N 

durch Säure extrahierbar: 

0,0817 g CI’ = 2,30 mg-Äquivalente, d. i. 100%, des Gesamtgeh. 
0,0110g SO,” = 0,33 p d. i. 1,59% » 5 
Q 1651 g H (PO): ”” == 2,85 „ d. i. 13,525 „ „ 


In den folgenden Tabellen IX—XVI sind die Versuchsergebnisse 
für jedes Tier in 2 Tabellen niedergelegt, die eine enthält die während der 
4 Versuchsperioden gewonnenen Daten, in der anderen sind die Ergebnisse 
der Analysen zusammengestellt. Als Beispiel der Rechnungsart bei den 
Sulfatbilanzen führe ich hier die der Sulfatbilanz für die erste Hauptperiode 
bei Tier A aus: in der Normalperiode I wurden bei Aufnahme von 495g 
Hafer 0,9695 g SO, im Harn ausgeschieden, daher lieferten 100g Hafer 
0,1895 g SO,. In der Hauptperiode II wurden 453 g Hafer aufgenommen, 
was daher einem Haferwert von 0,8584 g SO, entspräche. 


Im Harne wurden ausgeschieden . . 1,8880 g SO,” 
davon abzuziehen der Haferwert . . 0,8584 „ 
bleiben ... 2 2-0 4 1,0296 g SO,” 


in 643 ccm Mühlbrunn aufgenommen 1,0896 g „ 
daher retiniert . . ........ + 0,0600 g SO,” = 1,25 mg-Äquiv. 


Mineralstoffhaushalt. V. 25 


Tabelle IX. Kaninchen A, g', 2010g schwer, 3 Tage zuvor bei 
Hafer und Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten. 


I. Vorperiode 18, III.—25. III.; II. 1. Hauptperiode 26. III.—2. IV.; 
III. 2. Hauptperiode 3. IV.—10. IV.; IV. Nachperiode 11. IV.—18. IV. 











RN | Kot 5 Tagesdurch - 
Í t © 
© || & |Körper- Kot schnitt der & 
2 | $ |gewicht Harn| feucht A > Hafer ? Wasser- |S 3 Anmerkungen 
A A er aufnahme A 5 
g lucem g- g Lccm ccm a 























8 
2 
he] 
2 z 
Ep 
=. RR 
= iS 
64 
— F Kot weich 
— = Kot weich 
— = | Kot wieder geformt 
99| 157 | 148 14531643] 80 | 
3| 2015 | ® | 10 | 97| — | |\mamanzmme, 
i 4.| 2035 ? 19 60| 98 — vorgelegt. Schale früh 
| 5.! 1990 40 37 43| 36 — = | eingetrocknet gefund. 
m| 6| 2025 | 40| 4 601 9%; — |E 
| 7.| 2020 | 38| 10 aj) — | 
| 8.| 2020 | 48| 10 55/1 66] — 1 
| 9| 2015 | 40| 25 49| 42| — 
|10.| 2020 45 s | — 501 es] — 
Summe: | ? 118 | 915/412 |568| 71 | 
111.) 2000 | 48| 3 | — 49 60 — 
112. 40| 10 | — | 44| 54| — i 
|13. K awT — 1% 
ry||14. w I T e o 0 — 
|15. i oo a= d l o) — z 
|16. i 6| = 1 æla — 13 
a. 34| 15 50| 6| — |- 
18. 30 14 48| 54| — 






| Summe: 1296| 117 | 85.51389 456) 


'26 E. Stransky: 


Tabelle X. 
Analysenergebnisse bei Kaninchen A. 


Milligr.- 

| s17 com Wasser] 0,0054 0,0315| 0,66 — — 
| © !495g Hafer |0,4133 3,4586) 72,01 76,69 | 7,6498 
Einnahmen |0,4187| 11,81 |3,4901| 72,67 |4,4353| 76,69 | 7,6498 


251 ccm Harn |0,0794| 2,24 I10,9695| 20,18 13,8948| 67,35 1 5,4758 
115 g Kot 0,0516| 1,45 I10,8578| 17,83 I0,9650| 16,68 | 1,1456 


Ausgaben [0,1310| 3,69 |1,8273| 38,01 [4,8598] 84,03 [6,6214 
643 ccmMühlbr.|0,8949! 11,14 [1,0896 2,68] — | — I — 
453 ccm Hafer |0,3786| 10,67 |3,1651| 65,90 |4,0589| 70,18 | 7,0007 
Einnahmen [0,7735| 21,81 4,2547| 88,58 4.0589| 70,18 | 7,0007 


399 ccm Harn 0,5311| 14,98 | 1,3880| 39,35 | 3,2284) 55,83 | 4,6636 
0,8817| 18,36 |0,9309| 16,10 | 1.0282 











e 80,” H,(PO) N 


Milligr.- Milligr.- 
Äquiv. £ Äquiv. € 





Nüssigkeit 


—.. 














Leitungswasser 


— 
—z 










= 
Mühlbrunn 





2,36 


0,6148| 17,34 | 2,7697| 57,71 |4,1598| 71,93 | 5,6918 
568ccmMühlbr.|0,3488| 9,84 [0,9625 20,04] — | — I — 

412g Hafer |0,3443| 9,70 |2,8787| 59,93 [3,6916| 63,83 |6,3672 
0,6931| 19,54 [3,8412] 79,97 [3,6916] 63,83 [6,3672 
?ccm Harn [0,4468| 12,59 | 1,8618! 38,74 |2,9082! 50,29 |4,9930 
91,58 Kot [0,0739] 2,08 [0,9193] 19,14 [0,8908] 15,40 |0,9288 
| Ausgaben |0,5207| 14,67 2,7811| 57,88 [3,7990] 65,69 |5,9218 


456 ccımWasser| 0,0047| 0,13 [0,0273] 057] — | — | — 
389 g Hafer |0,3245| 9,16 |2,7180| 56,59 [3,4855| 60,27 |6,0116 


Einnahmen |0,3292| 9,29 |2,7453| 57,16 3,4855| 60,27 {6,0116 


296 cem Harn [0,1191] 3,36 [0,9865 20,54 |3,3582| 58,07 | 4 9186 
85,5 g Kot 0,0677) 1,9010,5268| 11,0 10,5909| 10,22 | 0,4554 


Ausgaben [0,1868 5,26 [1,5133] 31,54 | 3,9491] 68,29 | 5,3740 





— 


Bil 


Mühlbrunn 





Leitungswasser 


Mineralstoffhaushalt. V. 27 


Tabelle XI. 


Kaninchen B, & 2020 g schwer, 3 Tage zuvor bei Hafer und 
Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten. 


I. Vorperiode 18. III.—25. IV.; II. 1. Hauptperiode 26. IIL—2. IV.; 
IN. 2. Hauptperiode 3. IV.—10. IV.; IV. Nachperiode 11. IV.—18. IV. 





7 
| 





Anmerkungen 


Tagesdurch- 
schnitt der 
Wasseraufn. 


Tränkflüssigke 


Leitungswasser 


Harn in der Schale eingetrocknet 


Mühlbrunn Mühlbrunn 


Leitungswasser 


| Summe: 506 124 | 92,41373| 699| 87 


28 E. Stransky: 


Tabelle XII. 
Analysenergebnisse bei Kaninchen B. 















— 


Leitungswasser 


648 ccm Wasser 0,0067] 0,19 0,0388] 0,81] — — — 
405 g Hafer 0,3382] 9,54 12,8297| 58,92 | 3,6292] 62,75 [6,2590 
Einnahmen |0,3449! 9,73 12,8685| 59,73 | 3,6292| 62,75 | 6,25% 


402 ccm Harn 3,43 |0,8126| 16,92] 3,6092) 62,41 [4,1234 
85g Kot 0,1011! 2,85 [0,7953| 16,56] 1,1426] 19,76 | 1,0914 


i 
| Ausgaben [0,2229 6,28 | 1,6079] 33,48] 4,7518! 82,17 |5,2148 


| 11199 Mühlbr. |0,7364| 20,77 |2,0320' 42,31 = 
514g Hafer [0,4292] 12,10 |3,5913| 74,77 7,9434 












— 








1,1656] 32,87 | 5,6233|117,08 | 4,6055] 79,64 | 7,9434 
? Harn 0,8908 25,12 [2,8932, 60,24 |4,1199| 71,24 | 5,8954 
164,5 g Kot [0,0702] 1,98 |0,8883| 18,49|0,7093| 12,26 [0,9931 

Ausgaben [0,9610] 27,10 |3,7815| 78,73 4,8292] 83,50 [6,8915 


| [1268 Mühlbr. 10,7788| 21,97 [2,1488 44,741 — | — | — 
506g Hafer 0,4225! 11,92 |3,5354| 73,61 |4,5338! 78,40 | 7,8197 





II 


Mühlbrunn 





























= 

= | Einnahmen [1,2013] 33,89 |5,6842/118,35 [4,6338] 78,40 [7,8197 
Pa) — —— 
5 |1185 ccm Harn] 0,9078) 25,60 [2,9205| 60. 80 3, 8732 66,98 | 5,3696 
= 0,0778! 2,19 |0,7167| 14,91|0,6014| 10,40 | 0,8547 
Ausgaben |0,9856| 27,79 |3,6372| 75,71 [4,4746| 77,38 | 6,2243 

| |699cem Wasser|0,0073] 0,20610,0419] 087] — | — | — 
| & [373g Hafer [0,3115] 8,78 |2,6062| 54,26 [3,3420 57,79 | 5,7644 
1 | Einnahmen. [0,9188 2,6481 3,3420] 57,79 [5,7644 
IV — 1 
5 |566ccm Ham |0,1655| 4,66 [1,0460] 21,78 |3,8602| 66,75 | 6,1404 
F |92,4g Kot 2,52 [0,7317] 15,24[0,3481| 6,02 [0,5138 


| Ausgaben [0,2548! 7,18 [1,7777 37,02|4,2083| 72,77 |5,6542 


Mineralstoffhaushalt. V. 29 


Tabelle XIII. 
Kaninchen C, œ 2500 g schwer; 3 Tage zuvor bei Hafer und 
Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten. 


I. Vorperiode 7. VIL.—11. VIL; II. 1. Hauptperiode 12. VIL—16. VIL.; 
IIL II. Hauptperiode 17. VIL—21. VII.; IV. Nachperiode 22. VII.—26. VII. 





Tagesdurch- 


Kot schnitt der | Tränk- 


K 

feucht — Hater | Wasser | Wasser- 
OOKEn aufnahme 
g 





Sulfat Sulfat Leitungswasse 


Leitungswasser 


30 = E. Stransky: 


Tabelle XIV. 
Analysenergebnisse bei Kaninchen C. 





495 ccm Wasser o, 0051 0,14 10, 0288| 
405 g Hafer 10,3383| 9,54 | 2,8297 * 3.6292 6,2590 


| Einnahmen |0,3434 9,68 |2,8585| 59,52 3,6292] 62,75 [6,2590 
332 ccm Ham [0,1211] 3,42 1,0120) 21,07 12.6572] 45,95 l4, 
112,9 g Kot |0,0759| 2,14 [0,6585| 13,71 | 1,4796] 25,58 |0,9846 
Ausgaben |0,1970| 5,56 [1,6705| 34,78] 4,1868] 71,53 [5,2615 
695 ccm Sulfat — [2,9743 6192| — | —- | — 
375 g Hafer 8,83 |2,6201| 54,55 |3,3600, 58,10 |5,7953 
K 3 | Einnahmen [0,3132 8,83 5,59441 16,47 | 3,3600] 68,10 [5,7963 
Ú |528cem Ham [0,1156| 3,26 [3,5719] 74,97 — 39,36 14.0747 
106,5g Kot 10,0540| 1,52 [0,5582| 11,62 — 17,29 1,0089 


6% ccm Sulfat 2.6534 5524| — | — | — 
301 g Hafer 2,1031) 43,79 | 2,6970| 46,64 | 4,6517 
4 | 7,09 [4,7565] 99 ‚03 2,6970| 46, 2,6970] 46,64 | 4,6517 
458ccm Harn |0, pan KEA 11 
0,0441] 1,24 
















HMI 





Sulfat 






3,3814| 70,4012, —— 5,0770 
100,5 g Kot 0,3893| 8,11 [0,9569 0,9880 
Ausgaben [1190| 3,35 [3,7707 78,51 [3,1726] 54,86 |6,0650 


470 ccemWasserļ 0, 0049 0,14 10,0274) 0,57 
350 g Hafer 0,2923| 8,24 12,4454| 50,92 3.1360 5, 4089 


Einnahmen 
0,0454| 1,28 | 1,0899| 22,69 [2.0686 35,77 14,9873 
0,0456| 1,28 10,4915| 10,23 | 1,0203| 17,64 | 0,8857 


390 ccm Harn 
Ausgaben I0,0910| 2,56 1,5814] 32,92 | 3,0889) 53,41 | 5,8730 
















pd 
< 


— 
— — — — — 





110,5 g Kot 





Leitungswasser 


— —— 


Mineralstoffhaushalt. V. 31 


Tabelle XV. 


Kaninchen D, & 2580g schwer; 4 Tage zuvor bei Hafer und 
Leitungswasser im Stoffwechsel gehalten. 


I. Vorperiode 8. VIL.—12. VII.; II. 1. Hauptperiode 13. VIL—17. VIL; 
IH. 2. Hauptperiode 18. VII.—22. VII. IV. Nachperiode 23. VIL—27. VIL 


Leitungswasser | 


Sulfat 


* 
© 
A 
B 
8 

E 
D 

4 





32 E. Stransky: 


Tabelle XVI. 
Analysenergebnisse bei Kaninchen D*). 

















Periode | 
Tränk- 
Nlüssigkeit 


| 695 cem Wasser| 0,0072) 0,20 |0.0406| 0,84 
315g Hafer |0,2631| 7,42 |2,2010| 45,82 2.8224 48.80 17572 
ji 9 9 1 1 * 4 


104,4 g Kot 


Ausgaben 






— 
Leitungswasser 


36. ‚69 1,7628 


— an [rear na ma 





Einnahmen 0,2756 777 6,71381139,79[2,9568| 51,13 6,0998 
685 cem Harn 10,1514 = 4,4903| 93,49 | 1,6531] 28,58 3,8655 
0,5356) 11,15|1,5448| 26,71 | 1,6377 


910 cem Sulfat | — —  13,8945| 81,09 — 
0,2477| 6,90 |2,0472| 42,62 4,5280 


293 g Hafer 


Einnahmen [0,2477| 6,90 94174128, 7112,6253| 45,40 | 4,5280 


532 cem Harn [0,1004| 2,83 3,9716] 82,69 
— — — — ana nu N — 








— 
= 
Sulfat 






550ccm Wasser pm Ea 16 ham ECOEREN 
322g Hafer E 7,58 = 46,8212, 8851 49.8 89 14, 9877 


Leitungswasser 





Ausgaben |0,0995| 2,80 [1,1204| 23,34 [2,1205! 36,66 | 4,2867 


*) Der Harn der III. Periode ging leider durch eine Unachtsamkeit 
verloren, ehe noch die Phosphat- und Stickstoffanalysen angestellt waren. 
Die bezüglichen Bilanzzahlen sind geschätzt und ergaben in Hinsicht auf 
die Kotausscheidung und im Vergleiche zu den sonstigen Harn- und Kot- 


werten dieses Tieres den berechtigten Schluß, daß beide Bilanzen positiv 


sein müssen. 


1030 ccm Sulfat 4,4081| 91,78 
330g Hafer 0,2756 7 q 2,3057] 48,0112, 9568 5 0998 


Mineralstoffhaushalt. V. 33 


Literatur. 


Best, Arch. f. Verdauungskrankh. 19, 121. 1913. — Durlach, 
Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 71, 120. — Embden, Med. Klin. 
1919, Nr. 30. — Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1871, S. 114. — 
Freund, H., Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 65, 225; 74, 311. — 
Gonnermann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 99, 255; diese Zeitschr. 88, 401; 
94, 163. — Kionka, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 17, 98. — 
Laqueur, Zeitschr. f. phys. Chem. 93, 161. - Loewi, O., Arch. f. exp. 
Pathol. u. Pharmakol. 48, 400. — Luithlen, Arch. .f. exp. Pathol. u. 
Pharmakol. 68, 209; 69, 365. — Ludwig und Mautner, Österr. Bäderbuch 
1914, S. 289. — Moll, Jahrb. f. Kinderheilk. 69, 129 u. ff. — Moraczewski, 
Zeitschr. f. physiol. Chem. 23, 487. — Noorden, Handb. d. Pathol. d. 
Stoffw. Bd. II, 2. Aufl., S. 458. — Osborne und Mendel, Journ. of biol. 
chem. 34, 131. — Rost und. Weitz, Arb. a. d. Reichs-Gesundheitsamte 
51, 494. — Stransky, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 78, 122. — 
Weise, Arch. internat. de pharmaco-dyn. et de thérap. 21, 77. — Wendt, 
Handb. d. Biochemie (Oppenheimer) Bd. IV. — Würtz, diese Zeitschr. 
46. 103. 


Biochemische Zeitschrift Band 122, 3 


Beitrag zur Praxis der Bleifällung. 


Von 
Hedwig Langecker. 


(Aus dem Pharmakologisch-pharmakognostischen Institute der deutschen 
Universität in Prag.) 


(Eingegangen am 30. Mai 1921.) 


In Anbetracht der universellenVerwendung des Bleiacetates 
zu Reinigungs- und Fällungszwecken bei biologisch-chemischen 
Arbeiten ist es bemerkenswert, daß die verwendeten Lösungen 
vom basischen Bleiacetat gewöhnlich nicht definiert sind. Auch 
über die Bedingungen der Wirksamkeit von Bleifällungen ist in der 
Literatur keine Zusammenfassung niedergelegt. 

Es erscheint daher nicht unberechtigt, die Erfahrungen unseres 
Laboratoriums in dieser Richtung mitzuteilen, wenn vielleicht auch 
die eine oder andere darunter bekannt sein sollte. 

Es ist bekannt, daß sich ein großer Teil der mit Bleiacetat er- 
zeugten Fällungen in Essigsäure löst. Davon kann man durch 
Verwendung von essigsauren Bleizuckerlösungen mit Vorteil Ge- 
brauch machen!). Weniger allgemein beachtet dürfte es sein, daß 
auch durch Anwesenheit von Ammonacetat und -tartrat Bleinieder- 
schläge gelöst werden. Die Tatsache, daß Bleisulfat in Ammon- 
acetat und -tartrat löslich ist, wird in der analytischen Chemie zur 
Trennung von Blei- und Bariumsulfat verwendet?). Die Löslich- 
keit der Bleifällungen wird erst bei einem Salzüberschuß deutlich 
wahrnehmbar. Die Salzlösungen müssen zum Bleiacetat etwa im 
Verhältnis 15 : 1 stehen. In der präparativen Biochemie kann von 
dieser Eigenschaft der Bleiniederschläge auch mit Vorteil Ge- 
brauch gemacht werden, wenn es sich darum handelt, bei Ver- 
meidung von überschüssiger Säure fraktionierte Fällungen durch- 
zuführen, z. B. eine Reinigung von Flüssigkeiten durch Blei vor- 


1) Stransky, Arch. d. Pharmazie 258, H. 1, 8. 67. 
2) Treadwell, Analyt. Chem. 1, S. 184. 


1l. Langecker: Praxis der Bleifällung. 35 


zunehmen, deren darzustellende Bestandteile ebenfalls mit Blei 
fällbar sind. 

Die fällende Wirksamkeit von Bleiessiglösungen hängt natur- 
gemäß von dem Verhältnis von PbO zu Bleiacetat ab und es 
ist daher nötig, über Bleiessiglösungen zu verfügen, die in dieser 
Richtung genau definiert sind. 

Zunächst sei darauf hingewiesen, daß auch Schütteln mit Blei- 
oxyd in der Kälte allein weitgehende Reinigung bzw. Klärung her- 
beiführt (z. B. in den Mazerationen von Digitalisblättern). Wenn 
diese Fällung durchführbar ist, stellt sie den Idealfall dar, da mit 
dem leicht wieder zu entfernenden in Lösung gegangenen Blei keine 
schwer oder gar nicht zu entfernenden Anionen in das Untersuch- 
ungsmaterial eingebracht wurden. Dieses Vorgehen ist jedoch nur 
möglich, wenn in dem Untersuchungsmaterial Stoffe saurer Natur 
zugegen sind, die intermediär gelöste Bleisalze bilden oder 
wenn die Bedingungen für eine Adsorption nach Art der Bolus- 
adsorption gegeben sind. 

Vom basischen Bleiacetat sind in der Literatur!) folgende 
Salze bekannt: Halb-basisch-Bleiacetat 2[(C.H,O,)Pb] + PbO, 


einfach-basisch-Bleiacetat, a n, zweifach-basisch Blei- 


Pbx OCM.O Pb OH 
acetat, Pb< 0 ‚fünffach-basisch Bleiacetat, Pb< O 
Pb/_O0C,H,0O Pb/_0O x C:H,0. 


Das fünffach-basisch-Bleiacetat ist in kaltem Wasser unlöslich. 

Was die Lösungen vom basischen Bleiacetat, sog. Bleiessig 
anlangt, so wird er nach dem Arzneibuch (öst. Pharmakop. VIII) 
folgendermaßen hergestellt: 30 T Bleiacetat, 10 T. Bleioxyd, 100 T. 
kaltes Wasser werden geschüttelt und filtriert. Der Berechnung 
nach handelt es sich um ein Gemisch von einfach- und halbbasischem 
Bleiacetat. 

Da man sich für verschiedene Zwecke mit Vorteil verschiedener 
Verhältnisse zwischen Bleioxyd und Bleiacetat wird bedienen 
können, habe ich die Konzentration, die Alkalität und den Blei- 
gehalt von Bleiessiglösungen festgestellt, die durch Vermischen 
bestimmter Mengen der beiden Stoffe im lufttrockenen Zustand und 
Behandeln des Gemenges in heißem Wasser hergestellt waren. 
Wird lufttrockenes Bleiacetat und Bleioxyd gemengt, so beobachtet 


1) Schmidt, Pharmac. Chemie Bd. II, S. 471; Abegg, Anorg. Chemie 
Bd. 3, 2. Abt., S. 733. 


3% 


36 H. Langecker: 















































Tabelle I. 
= Bleiacetat Bleioxyd 
Molen- nn Pb als | ingewog S * 
Zahl | verhältnis acetat | Acetat Bleioxyd Pb als 5 k 2| 
der k; ber. in |! gel. ad ber. PbO |3 p “| gef. 
| Einwage — Norm.| 5 ccm | Norm. 100 ccm | Norm. E E Norm. 
En ee ELA p Pes 
| | | 
I | I Mol Pba | 18,96 | In | 05408 |1,01n] 559 | ',n | 0,2520 | 24,5 | 0,49 
RR 
Ta —* PbO| 56,88 8n | 1,6181 |3,18n| 1677 | »,n | 0,7449 | 722 | 1% 
| 1 Mol PbA 
+ 18,96 in | 0.4822 |0,8n| 11,17 n | 0,4985 | 47,7 | 095 
| 1 Mol PbO | 
| 1 Mol PbA | 
Im | + 18,96 in | 0,4185 |0,809 | 16,77 | *4m | 0,5759 | 556 | 1,11 
3/, Mol PbO | | 
| 
| 1 Mol PbA | 
4 8.96 J 0,21 42 22 í 7 
Wheat onah a n | 2181 |0,42n 35 2n | 04780 | 464 | 0,98 
| | 
| | 
| 1 Mol PbA | 
+ 18,96 in | 0,159 |0,308 | 33,52 8n | 0,4360 | 421 | 08 
| 3 Mol PbO - 
| 
I} j f 
|| 1 Mol PbA | 
VI | + 18,96 In | 0,1669 [0,82n| 55,85 ön | 0,4525 | 48,7 | 08 
|| 5 Mol PbO | | | | 


man einen Übergang des Farbentones von Orange über Hellgelb 
zu fast Weiß. Die Bildung der basischen Salze geschieht scheinbar 
im trockenen Zustand, wohl unter Vermittlung des Acetatkrystall- 
wassers. Dabei gelangt man zu einer Grenze. Mehr als 3 Mol Blei- 
oxyd auf 1.Mol Bleiacetat treten nicht in Reaktion. 

Die Methoden waren folgende: Die Konzentration wurde 
durch Trocknen bei 105° bis zur Gewichtskonstanz bestimmt. 
Dabei war mit steigendem Bleioxydgehalt der Fehler infolge des 
sich bildenden Bleikarbonats immer größer. Die Alkalität wurde 
durch Titration mit n-Essigsäure gegen Methylrot bestimmt. 
Phenolphthalein ließ sich nicht verwenden, da bei geringem Indi- 
katorzusatz kein Umschlag zu beobachten war und bei größerem 
Zusatz störende Niederschläge auftraten. Da es sich um die Ti- 
tration eines Salzes einer schwachen Säure und einer schwachen 
Base handelt, ist die Titration mit Methylrot nicht fehlerfrei. Das 
Blei wurde als Bleisulfat bestimmt. 


m AU u u ne A En — 


Praxis der Bleifällung. 37 


Tabelle I. 














— 









Alkalitäts- 
äquivalent 


Baslcitäts- 
quotient 


gef. 














— = 
1.1616 loss 1,68 | 0,32 | 1,138 — xe 
3,4696 , 2968 | 4,57 | 0,82 [8,4200 ) Mol.-Gew.: 872,78 — 
| { EN an 





Mol.-Gew.: 547,82 


1881| I+IV 
Mol.-Gew.: 1818,55 


Pb-0-C,H,0 








1,4561 * 1,92 | 0,58 


a 
[ 





1.0207 į 0,8071 | 1,35 | 0,60 


5 





En E 0,78 | 


0,9070 | 0,619! 1,2 | 0,78 


’ 


6 5,66 


Aus den beiden Tabellen ist zu ersehen, daß das halb-, ein-, 
einundeinhalb-, zwei- und dreibasische Bleiacetat in Lösung er- 
halten wurden. Das von Sch midt!) angegebene fünfbasische Blei- 


Tabelle II. 





— — — — 


Salz nach Trockenrlickstand 





= e = | _. 
353 © - Pr Sa © 5 Io 3 5 
3| A— HE EREE 
S= 5358|: 3818: FEFELE 
Seg 5 AFISE IEEE 
I 1 1, | 3a | 1,53 | 0,49 [0,321 1,53 | 156 | — | — 
Ial 3 3a | % | 457 | 144 1032| 457] a71 | — | — 
ml ı 1 189 | 095 i05 | 189| 1.96 | 0,11 | 1.89 
mi ı 15 | 25 |192 |111 1058| 1.92 | 1,94 | 058 | 192 
Ivi ı 2 3 | 135 | 0.93 069| 1.35 | 1.41 | 1,65 | 1,85 
vi 1 3 4 | 115 ! 084 0.31 1.16 | 122 | 285 | 115 
vil ı 5 6 |12 |087 iozalıa |123|48 |12 


⸗ 





98 H. Langecker: Praxis der Bleifällung. 


acetat wurde nicht erhalten. Es blieb Bleioxyd ungelöst. Während 
bei der Herstellung des halb- und einbasischen Bleiacetats alles in 
Lösung ging, blieb bei allen übrigen ein Teil ungelöst. Die Lös- 
lichkeit der basischen Bleiacetate nimmt mit steigendem Gehalt 
an Bleioxyd ab. Die Basizität ist wegen der abnehmenden Lös- 
lichkeit durch Lösungen von mehrbasischem Bleiscetat nicht über 
In zu steigern. Dagegen ist für die fällende Kraft das Verhältnis 
von Basizität zu Bleigehalt maßgebend. Dieses Verhältnis (Basi- 
zitätequotient) nähert sich 1, so daß die am stärksten basischen 
Bleiessige wie gelöstes Bleioxyd wirksam sind. 

Für die Praxis der Bleifällung ergibt sich, daß hoch kon- 
zentrierte Lösungen nur bei niedrigem Basizitätsquotienten her- 
stellbar sind. Man wird aber trotzdem mit Bieiessigen von 
hohem Basizitätsquotienten arbeiten können, wenn man nicht 
klare Lösungen, sondern milchige Suspensionen verwendet, welche 
bei der Herstellung des Bleiessigs Nr. IV und V erhalten werden. 

Die empfehlenswerteste Herstellung des Bleiessigs ist folgende: 
Verreiben äquivalenter Mengen von lufttrockenem Bleioxyd und 
-acetat bis zu einer fast weißen Masse, die hierauf mit wenig heißem 
Wasser zu einem gleichmäßigen Brei angemacht, hernach auf das 
entsprechende Volumen aufgefüllt und filtriert wird. 

Auch von den festen Verbindungen, welche durch Verreiben 
in der Reibschale hergestellt werden, kann man in allen Fällen, in 
denen eine Flüssigkeitsvermehrung vermieden oder in alkoholischen 
Lösungen gearbeitet werden soll, in der gleichen Weise Gebrauch 
machen wie vom festen Bleiacetat. Denn es liegt hier tatsächlich 
fester Bleiessig vor, dessen Zusammensetzung, wie die Analysen 
der Lösungen zeigen, vollkommen den Mengen der gemischten 
Stoffen entspricht. 

Die Wirksamkeit der. Bleifällungen steigt von den sauren, 
über die salzhaltigen, neutralen bis zu den basischen Bleiacetat- 
lösungen mit zunehmendem Basizitätsquotienten an. — Es dürfte 
daher stets gelingen, für fraktionierte Bleifällungen die gewünsch- 
ten Bedingungen zu erreichen. 


Ein Beitrag zur Giftwirkung der Schwermetallsalze auf 
das Pflanzenplasma. 


III. Mitteilung. 


Von 


Hugo Kahho (Dorpat, Estland). 
(Eingegangen am 13. Juni 1921.) 


Bekanntlich besitzen die Schwermetallsalze, die gleiche 
Wertigkeit der Kationen vorausgesetzt, eine verschiedene Kolloid- 
aktivität ) und demgemäß dem Plasma gegenüber eine ungleiche 
Giftigkeit?). Man hat hier einen Zusammenhang mit der Größe. 
des elektrolytischen Lösungsdruckes der zweiwertigen Schwer- 
metallkationen gefunden. 

Um diesen Zusammenhang in bezug auf das Pflanzenplasma 
zu prüfen, habe ich im Anschluß zur vorhergehenden Mitteilung?) 
einige Versuche mit den Epidermisschnitten von Rotkohl und 
Tradescantia zebrina ausgeführt. 

Bei den Rotkrautschnitten (Blattoberseite) für die meisten 
Salze eignete sich die Konzentration von 0,175 Mol, außer den 
heftigen Giften HgCl, und CuCl,. 

In der Lösung von Sublimat, wie es zu erwarten war, ko- 
agulierte das Plasma bei dieser Konzentration fast momentan. 
Nachdem die Schnitte sich 5 Min. in Kupferchloridlösung be- 
fanden und danach mit destilliertem Wasser ausgewaschen waren, 
plasmolysierten in Zuckerlösung ungefähr 68% der Gesamtfläche 
von 10 Schnitten, nach 10 Minuten 55%, nach 20 Min. 20% 
und nach 30 Min. waren alle Zellen tot. 

Die mit den anderen Schwermetallsalzen erhaltenen Ergeb- 
nisse sind in der Tabelle I angeführt, wo iede Zahl das Prozent 


1) Höber, Physikalische Chemie der Zelle usw., 1914, S. 284. 
2) ]. c. S. 485. 
3) Diese Zeitschr. 118. 1921. Daselbet auch die Methodik. 


40 IH. Kahho: 


Tabelle I. | 
Rotkohl. Konzentration der Lösungen 0,175 Mol. Temp. 17— 19° C. 






Die Zeit des 












































| 2 

Aufenthalts der || ZnSO, {Pb (CEO FeSO, | CoCl, | MnCl, | CaCl; | NiSO, PR 

Schnitte in Lös. | | | | 

-Stunden | % % | % SE ah | r E M %o 
0,5 | 100 | 100 | 100 |100 | 100 | 100 | 100 100 
1 100 100 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100 
2 | 95 85 85 | 95 | 97 | 100 | 100 | 100 
3 67 65 80 80 95 97 | 100 | 100 
5 | 20 60 60 | 56 | 95 ! 95 | 100 | 100 
7 | 0 t7 | 37| 45| 9 | 95| 9 !100 

Bei den abgestorbenen Zellen tritt eine mehr oder weniger tiefe Blau- 

färbung ein. 


der in Zuckerlösung plasmolysierten Gesamtfläche in je 10 Schnit- 
ten bedeutet!). 

Die Daten der Tabelle I zeigen uns, daß in den Lösungen von 
Zn und Pb die noch plasmolysierbaren Zellen in den Schnitten 
verhältnismäßig schnell abnehmen und nach 5 Stunden in Zink- 
sulfatlösung alle Zellen koaguliert, in Bleiazetat noch ein geringer 
Teil plasmolysierbaren Zellen vorhanden ist. Bei Mn, Cd und Ni 
dagegen bleiben die Zellen in weit überwiegender Zahl lebend, 
d.h. sie sind imstande, eine Deplasmolyse in Wasser und nach- 
her eine neue Plasmolyse in Zuckerlösung durchzumachen. 

Co und Fe nehmen eine Zwischenstellung zwischen den beiden 
erwähnten Gruppen ein. 

Ordnet man die Kationen der untersuchten Schwermetall- 
salze, um CaCl, nach abnehmender Fähigkeit das Pflanzenplasma 
zu koagulieren, so erhält man die Reihenfolge 

Hg > Cu > Zn > Pb > Fe, Co>Mn,€d, Ni>Ca. 
Ein Vergleich mit der Reihenfolge der elektrolytischen Lösungs- 
drucke zeigt uns Folgendes: 

Reihenfolge der Lösungsdrucke. 

Hg Cu Pb Ni Co Fe Cd Zn Mn Ca. 
Abweichend verhalten sich hauptsächlich Zn und Ni, das erste 
durch ein abnornı große, das letztere durch zu kleine Aktivität. 

Für das exceptionelle Verhalten des Zn haben wir ein Ana- 
logon in den Versuchen von Mathews und Lillie?). Höber 


1) Die Zahlen in den Tabellen I und II haben nur einen qualitativen 
Wert; s. meine II. Mitteilung |. c. 
2) Höber, l. c. S. 485, 532ff. 


Giftwirkung der Schwermetallsalze auf das Pflanzenplasma. 41 


erklärt die ausschließlich hohe Toxizität des ZnCl, in den erwähnten 
Versuchen, durch die starke Hydrolyse seiner Lösungen (l. c). 
Für die allzu schwache Wirkung des NiSo, haben wir keine Er- 
klärung. Der Unterschied zwischen den Wirkungen von Fe und 
Co einerseits, Mn und Cd anderseits liegt im Bereich des Ver- 
suchsfehlers. 

Eine etwas bessere Übereinstimmung der Giftwirkung von 
Schwermetallsalzen mit der Größe des elektrolytischen Lösungs- 
druckes erhielt ich bei den Epidermisschnitten (Blattunterseite) 
von Tradescantia zebrina, mit viel schwächeren Lösungen. 

Eine jede Zahl in der Tabelle II bedeutet das Prozent der in 
Zuckerlösung plasmolysierten Zellen in 10 Schnitten, nach der 
Behandlung mit Schwermetallsalzlösungen. 


Tabelle II. 


Tradescantia. Konzentration der Lösungen 0,025 Mol. Temp. 20° C. 


Die Zeit des | CuCl, | CußO, | ZnSO, |Pb (C,H,0,),| NiSO, | FeSO, | CdCl, | CoCi, | MuCl, | CaCl, 
Aufenthalts der 







































Schnitte in Lös. Jede Zahl ist das Mittelprozent der plasmolysierten Zellen in 10 Schnitten 
20 Min. || 100,0 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 
30 y 100,0 | 100,0 | 100,0 100,0 
1 Stde. 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 
2 Stdn. 67| 531] 12,1] 100,0 | 100,0 ‚0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 
3: 74| 72| 109 78,7 69,0 | 88,2 | 100,0 | 100,0 100,0 
45 22| 38| 77 37,5 53,3! 58.0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 
B 0 0 63| 143 41,4 | 53,2 | 100,0 | 100,0 | 100,0 
6 „ — — 0 81 31,1 | 36,4 | 100,0 | 97,2 | 100,0 
1-5 — — — 0 3,61 28,9! 80,9 | 66,0 | 100,0 
8 „ = = — — 9 13,7| 43,3 | 70,2 | 100,0 
10 „ — = — — | — i 65] 41,1) 75,5 | 100,0 
12 4 — — — — — | O | 30,0| 54,3 | 100,0 
2 „ — — | — —— = 0 10,6 | 62,8 
24 „ een. e — — | — | — | 134l 555 





In der Lösung von HgCl, 0,005 Mol. waren die Tradescantia- 
zellen nach 15 Min. bereits alle tot. 

Nach abnehmender Giftigkeit geordnet, bilden die Kationen 
nach den Daten der Tabelle II diese Reihenfolge 


Hg > Cu, Zn > Pb, Ni > Fe>Cd>Co>Mn>Ca. 


Wie man sieht, hat das Ni hier seine richtige Stellung nach 
Pb eingenommen, während das Zn nach seiner Wirkung, wie 
vorher, dem Cu bzw. Pb nahe kommt. Eine weitere Ausnahme 
durch etwas zu schwache Aktivität bildet das Co. 


42 H. Kahho: Giftwirkung der Schwermetallsalze auf das Pflanzenplasma. 


Im allgemeinen ist die Übereinstimmung mit der Reihen- 
folge der Lösungsdrucke bei relativ schwächeren Konzentrationen 
der zu untersuchenden Lösungen besser, als bei höheren. 

Das Anion scheint, so weit man das aus einem einzigen 
Beispiel CuCl, — CuSO, schließen kann, keine Rolle zu spielen!). 
Dabei müssen wir aber in Betracht ziehen, daß die Kupfersalz& 
nach ihrer Toxizität auf der zweiten Stelle stehen, was wohl der 
großen Kolloidfällungskraft des Cu-Ions zuzuschreiben ist, welche 
die Wirkung des Anions völlig zudeckt. Es läßt sich aber nicht 
voraussagen, ob dasselbe bei den weniger wirksamen Salzen, 
wie Mn, Cd und anderen zutrifft. Es könnte ja möglich sein, daß 
in einigen Fällen auch die Beschaffenheit des Anions eine Rolle 
spielt, wie z. B. bei den organischen Anionen?). Auf diese Frage 
kommen wir noch bei einer anderen Gelegenheit zurück. 

Zusammenfassend können wir sagen, daß die Giftwirkung 
der zweiwertigen Schwermetallkationen auf das Pflanzenplasma, 
bei relativ hoher Konzentration der Lösungen, in Hauptzügen 
mit der Größe der elektrolytischen Lösungsdrucke parallel geht. 
Daß aber hier noch ‚‚spezifische Einflüsse‘ mitwirken können?), 
darauf weist deutlich das abweichende Verhalten einiger Kat- 
ionen hin. 


1) Vgl. Kahlenberg und True, Zeitschr. f. plıysikal. Chem. 22, 475. 
1897; Heald, ebenda S. 476. 

2) Höber, l. c. S. 282. 

3) Bechhold, Die Kolloide in Biologie und Medizin, 1912, S. 356. 


Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der 
Biologie. I. 


Von 
L. Karczag. 


(Aus der III. Med. Klinik der kgl. ung. Universität Budapest.) 
(Eingegangen am 15. Juni 1921.) 


Bei den verschiedensten physikalisch-chemischen und bio- 
logischen Prozessen konnte ich konsequent auftretende Erschei- 
nungen beobachten, welche auf gemeinsame Ursache, auf die 
Änderung der Reihenfolge der aufeinander wirkenden Kom- ° 
ponenten des Systems zurückgeführt werden konnten. Durch 
die einfache Kommutation der beteiligten Glieder konnte die 
Dauer und Vollständigkeit der Reaktion, sowie der biologische 
Effekt des ablaufenden Prozesses auffallenderweise beeinflußt 
werden. Je nach der Systemzusammenstellung besitzen die 
untersuchten Prozesse ein Optimum und ein Pessimum, es konnte 
mit anderen Worten für diese ein bestimmtes Reihenfolgen- 
optimum und Reihenfolgenpessimum festgestellt werden. 

Diese Erscheinungen machen sich bei drei und mehrgliedrigen 
Systemen geltend, bei denen nach aller Wahrscheinlichkeit, die 
eine der Komponenten das Sättigungsbestreben der andern mit 
verschiedener chemischer Affinität ausgleicht, oder wo im gleichen 
Sinne physikalisch-chemische Eigenschaften, wie elektive Lös- 
lichkeit, Adsorption usw. die bestimmende Rolle spielen. 

Besteht z. B. ein System aus drei Komponenten A, B, C 
und stellt B das Bindeglied zwischen den gegeneinander in- 
differenten Glieder A und C dar, wobei A mit geringerer, C mit 
größerer chemischer Affinität an B geheftet wird, so ist es nicht 
gleichgültig, in welcher Reihenfolge das System zusammengestellt 
wird, d.h. ob (A + B)+ C, oder (B+C)+ A miteinander, 
der Reihe nach zusammengebracht werden. 


44 L. Karczag : 


Mischt man nämlich das System in der Reihenfolge B + C 
und komplettiert schließlich mit A, so ist bereits das große 
Sättigungsbestreben von B und C durch Belag der Haupt- und 
der Mehrzahl der Nebenvalenzen ausgeglichen, wodurch A und B 
lockerer gebunden wurden, als wenn man in umgekehrter Reihen- 
folge verfährt, d.h. zuerst A mit B mischt und schließlich C 
zufügt. 

lch werde im folgenden experimentelle Belege dafür liefern, 
daß in den weitesten Gebieten solche Prozesse ablaufen, welche 
durch Änderung der Reihenfolge, gemäß obiger Erklärung, günstig 
und ungünstig beeinflußt werden können und somit ein Optimum 
und ein Pessimum aufweisen. Auch werde ich aus der Literatur 
vereinzelt stehende Beobachtungen anführen, welche ebenfalls 
als Reihenfolgenphänomene aufzufassen sind, und welche mich 
in meiner Annahme, daß in allen diesen Prozessen eine neue 
naturwissenschaftliche Regel zur Geltung kommt, welche ich als 
„Reihenfolgenregel‘ bezeichnen möchte, unterstützen. Diese 
Regel würde besagen, daß gewisse Naturprozesse eine 
bestimmte Reihenfolge der aufeinanderwirkenden 
Komponenten besitzen, bei welcher sieam günstigsten 
und amungünstigsten ablaufen und somit diese durch 
ein Reihenfolgenoptimum und Reihenfolgenpessimum 
charakterisiert sind. Die Bedingungen, welche die Regel 
bestimmen, sowie die Grenzen ihrer Gültigkeit müssen noch ein- 
gehend erforscht werden. 

I. l 

Ich habe bereits in meinen Mitteilungen über Oxydations- 
katalyse die katalytische Oxydation vieler Farbstoffe, durch 
Metallsalze und H,O, beschrieben und festgestellt, daß hierbei 
die Natur des zugesetzten Katalysators eine hervorragende Rolle 
spielt. So wurden eine große Anzahl von Farbstoffen, die Haupt- 
repräsentanten der chemisch, biologisch und histologisch wichtigen 
Farbstoffklassen durch Ferri-, Cu-. Co-, Mn-, Pt-, Ni-Salze in Gegen- 
wart von H,O, unter vollständiger Entfärbung oxydiert. Die 
Oxydation erforderte je nach der chemischen Natur des ver- 
werteten Farbstoffes und Katalysators bei gleicher Konzentration 
verschiedene Zeitdauer. Das System bestand also aus drei 
Glieder: Farbstoff — Katalysator — Wasserstoffsuperoxyd. 
Vertauscht man beim Zusammenbringen der einzelnen Kompo- 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 45 


nenten die Reihenfolge, indem man das System (Farbstoff + 
Wasserstoffsuperoxyd); + Katalysator bzw. (Wasserstoffsuper- 
oxyd + Katalysator) + Farbstoff zusammenstellt, so ist bezüg- 
lich Oxydationsdauer des Vorgangs — welche mehrere Minuten 
in Anspruch nimmt — kein nennenswerter Unterschied zu 
beobachten. 

Ganz anders gestalten sich aber die Verhältnisse, sobald 
man als Katalysator ein Ferrosalz verwendet. Bringt man 
nämlich die Farbstofflösung zuerst mit Wasserstoffsuperoxyd 
zusammen und komplettiert das System zum Schluß mit dem 
Ferrokatalysator, so geht die Entfärbung des Farbstoffes, ähnlich 
wie bei Verwendung von Ferri und anderer Katalysatoren, meist 
langsam und nach Minuten vor sich. Das gleiche geschieht, 
falls man zuerst Katalysator und Wasserstoffsuperoxyd unter- 
einander mischt und schließlich mit der Farbstofflösung kom- 
plettiert. Bringt man aber den Farbstoff vorher mit der Ferro- 
salzlösung in Berührung und fügt nachher Wasserstoffsuperoxyd 
hinzu, so erfolgt die Entfärbung des Farbstoffes momentan. 

Wir haben durch Kommutation einer Systemzusammen- 
stellung von Farbstoff (als Substrat), Katalysator, Wasserstoff- 
superoxyd zunächst also folgende Eigentümlichkeiten und Er- 
scheinungen beobachten können: 

l. Die Ferrooxydsalze besitzen gegenüber der Ferrosalze, 
sowie Mn-, Co-, Ni-, Pt-Salze als Katalysatoren, die Fähigkeit durch 
Reihenfolgenänderung der Systemzusammenstellung eine er- 
hebliche Beschleunigung der Oxydationsgeschwindigkeit zu be- 
wirken. Reaktionen, welche in einer Systemzusammenstellung 
(Farbstoff + H,O,) + Fe(So,) oder (H,O, + FeSo,) + Farb- 
stoff oft mehrere Minuten in Anspruch nehmen, laufen in einer 
Zusammenstellung von (Farbstoff + Fe SO,) + H,O, fast augen- 
blicklich ab. Wir bezeichneten dieses charakteristische Phänomen 
als ‚‚Momentreaktion‘“. 

2. Die Momentreaktionen sind nicht etwa auf Sensi- 
bilierungsvorgänge zurückzuführen, sie sind eher als Wir- 
kung des unveränderten Ferroions anzusehen, welche zum Vor- 
schein kommt, falls Bedingungen vorhanden sind, welche seine 
Oxydation zu Ferroion in den Hintergrund drängen. Falls 
dieser Valenzwechsel des zweiwertigen Eisens zum mehrwertigen 
in der Reaktion den primären Vorgang darstellt, so dominiert 


46 L. Karczag: 


die Wirkung des Ferrioxydators, welche durch die Eigenschaft 
eine erheblich langsamere Oxydationsgeschwindigkeit zu be- 
wirken charakterisiert ist. Das Wesen der Momentreaktion 
besteht also in einer günstigen Systemzusammenstellung, bei 
welcher die Bedingungen einer dominierenden Oxydation des 
Ferriions in den Hintergrund gedrängt werden, wodurch die 
Wirkung des zweiwertigen Eisens zum Vorschein kommen kann. 

Auf dem Gebiete der Fermentchemie wurden vereinzelt 
Beobachtungen gemacht, welche nach unserer Auffassung eben- 
falls unter der Reihenfolgenregel zu fallen scheinen. Man fand, 
daß die Peroxydase neben Katalase durch Bläuung der Guajac- 
tinktur nur nachgewiesen werden kann, falls (Peroxydase + Ka- 
talase) zuerst mit Guajactinktur zusammengebracht und erst 
dann mit Wasserstoffsuperoxyd versetzt wird, da bei nachträg- 
lichem Zusatz von Peroxydase zu einem Gemisch von (Guajac- 
tinktur + Wasserstoffsuperoxyd + Katalase) die Peroxydase- 
wirkung ausbleibt. Auch diejenigen Fermentvorgänge, welche 
sich im allgemeinen auf die Einwirkung von hemmenden und 
aktivierenden Körper beziehen, scheinen dem Reihenfolgenregel 
unterworfen zu sein. Wohlgemuth äußert sich über den Zeit- 
punkt der Zugabe der Aktivatoren und Paralysatoren auf Grund 
zahlreicher Erfahrungen wie folgt: „Es ist ratsam, ihn zu dem 
Ferment zuzugeben, bevor man das Substrat zufügt, auf welches 
das Ferment einwirken soll. Denn verfährt man umgekehrt 
und gibt erst das Substrat zum Ferment, so kann bereits ein Teil 
des Fermentes vom Substrat mit Beschlag belegt sein, und ist 
dann in seiner ganzen Größe nicht mehr für die Beeinflussung 
durch die fremde Substanz zugänglich“ (Wohlgemuth, Ferment- 
methoden). 

Die von Bredig beobachteten „Vergiftungsphänomene“ 
der Platin-Wasserstoffsuperoxydkatalyse wären auch hierher 
einzuordnen. Bredig beobachtete, daß Platin geradeso wie 
Fermente durch HCN eine vorübergehende Lähmung bzw. 
Vergiftung erfährt, indem die Zersetzung von H,O, vorüber- 
gehend gehemmt wird und nur nach einer allmählichen Erholung 
wieder langsam in Gang gesetzt wird. Gibt man zuerst H,O, 
zu Platin und dann HCN, so ist die Giftwirkung eine viel geringere, 
gibt man jedoch zuerst HCN hinzu und erst dann H,O,, so ist 
die Giftwirkung eine viel stärkere. 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 47 


Andere Beobachtungen über Katalysatoren und Fermente, 
welche den Reihenfolgenphänpmenen zuzurechnen wären, sind 
mir aus der Literatur nicht bekannt. Ich bin ihnen, wie erwähnt, 
gelegentlich meiner Versuche über Oxydationskatalysen begegnet, 
und diese veranlaßte mich auf verschiedenen Gebieten nach ähn- 
lichen Erscheinungen zu suchen, um so mehr, da ich zwischen 
katalytischen, Ferment- und Immunitätsvorgängen noch nicht 
erforschte Beziehungen aufzufinden hoffte. 


TI. 

Ich ging nun zu einer anderen Systemzusammenstellung auf 
biologischem Gebiete über und hoffte durch Kommutationen 
ebenfalls auf Erscheinungen zu stoßen, welche den oben beschrie- 
benen analog zu setzen sind. Die Bakteriengärungen 
schienen nur zum Studium dieser Erscheinungen als besonders 
geeignet und wählte ich als System die Vergärung des Trauben- 
zuckers (Bouillon) durch Colibacillen — einen der wichtigsten 
Lebenserscheinungen der Bakterien im allgemeinen — in Gegenwart 
von Toluol und Chloroform als Antiseptikum. Auf die technischen 
Einzelheiten möchte ich eingehend später zurückkommen. 

Das System bestand also aus folgenden Komponenten: 
1. Bacterium Coli; 2. Traubenzuckerbouillon; 3. Antisepticum, 
welche folgendermaßen kommutiert wurden: 


(Coli + Traubenzuckerbouillon) + Antisepticum, 
(Traubenzuckerbouillon + Antisepticum) + Coli. 


Bevor die hierhergehörigen Versuche mitgeteilt werden, möchte 
ich dem Resultat meiner Untersuchungen vorausgreifen und er- 
wähnen, daß es uns tatsächlich geglückt ist, durch den ein- 
fachen Reihenfolgenwechsel tiefgehende Veränderun- 
gen zu beobachten, welche in einer Herabsetzung 
der Inkubationsfrist, der Gärungsgeschwindigkeit 
und in einer Wachstumshemmung der Bakterien be- 
standen. Meine Versuche wurden zuerst mit Toluol als Anti- 
septicum vorgenommen, und später mit Chloroform aus dem 
Grunde, weil ich dadurch einen Versuchsfeh.er auszuschalten 
hoffte Toluol ist spezifisch leichter als Traubenzuckerbouillon 
und breitet sich trotz guter Mischung und Überführung in den 
geschlossenen Schenkel des Gärungsröhrchens, in einer dünnen 
Schicht auf die Oberfläche des offenen Schenkels aus, wo die 


48 L. Karczag: 


Infektion mit der Bacillenemulsion erfolgt. Chloroform ist 
spezifisch schwerer wie Traubenzuckerbouillon und setzt sich 
im Gärungsröhrchen zum Boden, wodurch die Bacillen nach 
Infektion der vorbehandelten Nährsubstraten nicht mit einer 
Antisepticumschicht in Berührung kommen. Es war nun einerlei, 
ob Toluol oder Chloroform zu den Versuchen verwendet wurde, 
es ergab sich regelmäßig und eindeutig, daß die mit diesen Anti- 
septicis vorher versetzten Proben, die Inkubation Gärung und 
Wachstumshemmung erkennen lassen, gegenüber den Proben, 
denen das Antisepticum nachträglich zugefügt wurde. 

Über die Einzelheiten der angestellten Versuche soll folgendes 
berichtet werden. 

Zur Verwendung kam als Substrat eine 1 proz. Traubenzucker- 
bouillon, welche sterilisiert und unter den üblicher aseptischen 
Kautelen in die Schröterschen kalibrierten Gärungsröhrchen 
gebracht wurde. Die zur Infektion benutzten Colibakterien 
kamen in 24stündigen Kulturen. welche auf Agarröhrchen ge- 
züchtet wurden, zur Verwendung. Wir bereiteten uns aus 
einer Kultur mit 5—6 cm Kochsalzlösung eine gleichmäßige 
Suspension, welche nötigenfalls noch durch ein steriles Filter 
filtriert wurde. Toluol und Chloroform (chemisch rein) wurden 
mit Hilfe einer kalibrierten Glascapillare zugegeben. Sowohl 
für die gleichmäßige Verteilung der Bakterien, wie für die des 
antiseptischen Mittels, wurde durch fünfmaliges, vorsichtiges 
Hin- und Herneigen des Gärungsröhrchens mit Hilfe einer 
Luftblase gesorgt. Die Gärungsröhrchen kamen mit den ent- 
sprechenden Kontrollen in den Thermostaten, und die Besichtigung 
der Proben bzw. die Ablesung der entwickelten Gasmengen 
geschah dann in bestimmten Zeitabständen. 

Bei diesen Versuchen haben die Herren Dr. Daniel und 
Dr. Hetenyi gütigst mitgewirkt, wofür ich ihnen meinen 
wärmsten Dank aussprechen möchte. 


Versuche mit Toluol. 


In mehreren Versuchsreihen habe ich mich nach der gewöhnlichen 
Systemzusammenstellung (Traubenzuckerbouillon + Coli) + Toluol über 
den Einfluß der Toluolkonzentration auf die Gärung im allgemeinen orien- 
tiert, habe sodann Versuche über den Einfluß der Bakterienmenge angestellt 
und schließlich die Komponenten des Systems kommutiert und Versuche 
in gleicher Richtung wie oben vorgenommen. 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 49 


Versuche mit dem System (Traubenzuckerbouillon + Coli) + Toluol. 
Einfluß der Toluolkonzentration. 
Diese Versuche ergeben eindeutig, daß die Gärungsgeschwindigkeit 


mit zunehmender Toluolkonzentration sinkt. Als Beispiel möchte ich 
folgende Versuchsreihe anführen: 


Versuch II/15. 9è 30°. Zu jeder Probe 0,2 cm Bacillenemulsion. 


Toluol in Probe 1 1 Tr. = 0,01 ccm a 
» 2 3 „ =0,03 „ 
”» 3 5 „ =0,05 „ 
„ 4 10 9 = 0,10 9 


1 | 2|s | 4 | Kontrollen 
| 


4a} 0,510,4]0,1 | — [0,4 | 0,6 10,8 
5h [0,9 0,6|0,3|0,1f1,511,5]1,1 
qh E 0,6 | 0,112.2 | 2,2 | 2,0 
10 | 2,2 | 2,0 | 1,8 | 0,313.6 | 3,4 | 2,9 


Die Gärung ist im allgemeinen um so intensiver, je mehr die zugesetzte 
Bakterienmenge beträgt, jedoch besteht nicht immer eine direkte Proportio- 
nalität, insbesondere bei Infektionen mit kleinen Mengen. 


Versuche mit dem System (Traubenzuckerbouillon + Toluol) + Coli. 


Folgender Versuch zeigt, gegenüber den Kontrollen, eine verlängerte 
Inkubationszeit, geringere Gasentwicklung. Die Unterschiede sind beson- 
ders in den ersten Stunden ausgeprägt, später bei fortschreitender Gärung 
verwischen sich die Differenzen. System (Bouillon + Toluol) + Coli 
wird mit „A“, System (Bouillon + Coli) + Toluol mit „T“, Kontrollen 
(ohne Toluolzusatz) mit „K“ bezeichnet. 

Versuch II/10. 9b 30°. Coli, eine Öse auf 3 ccm !/,, dazu, 2 Tropfen 
auf jede Probe. Toluol 1 Tropfen auf jede Probe. 





Folgender Versuch wurde mit einer weit größeren Bakterienmenge 
angestellt. Zu jeder Probe kam 1 cm Suspension einer Vollkultur und 
Tropfen Toluol. 


Versuch I/15. 9b 30. 





























4a | o6 |06] 0,6 | 0,8 [0,7 |07 07l|07ļ|12]13/16/16 
eh {1514|14 —63P867 6612328 31 31 
I/16. 81 1338335 |36 341338 :35|30|3,41 37 |35|5,0 | 52 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 4 


50 L. Karczag: a 


Dieser Versuch ergibt, daß die Hemmungen auch bei großen Bakterien- 
mengen angedeutet sind, aber keinesfalls so scharf ausgeprägt, als bei An- 
wendung von geringeren Bakterienmengen. 

Mit Zunahme der Toluolkonzentration bei konstant gehaltener Bak- 
terienmenge ist die Hemmung ebenfalls stärker, wie dies aus folgendem Ver: 
suche hervorgeht. 

Versuch I/10. 9% 30. N.1 cm Bacillensuspension zu jeder Probe. 
Zu den Serien 


A, und T, 2 Tropfen Toluol, zu den Serien 
A, und T, 3 Tropfen Toluol zugesetzt. 



















K 

2 |] 8 
| o |o | o |oi 0,1 02 | 02 | 02 
aaj o 02103063 03 | O1] 12 | 10 | 12 
bh | 0,2 | 0,6 | 1,0 | 1,0 06 | 06 f 18 | 1,5 | 19 
6h | 0,7 | 0,7 | 1,5 | 17 1,2 | 10 | 22 | 19 | 26 
q| 1,0! 14|18 |24 1,7 | 16 | 29 | 2,4°| 30 
8h | 1,3 | 1,8 | 2.2 | 2,5 2,2 | 22 | 36 | 29 | 35 
gha | 18 | 2,2 | 2.8 | 30 25,29 | #7 | 37 | 43 
10è | 2,1 ! 2,5 | 2,8 | 3,3 26 i 34 f 51 | 40 | 50 





Versuche mit Chloroform. 


Älın)ich wie die Versuche mit Toluol, wurden diejenige mit Chloroform 
angestellt. Chloroform hatte ebenfalls eine intensivere antiseptische Wirkung 
entfaltet — und zwar relativ stärker, als der Toluol — falls es zum Trauben. 
zuckerbouillon vor der Impfung mit Colibacillen zugesetzt wurde. 

Folgender Versuch verlief mit 5 Tropfen filtrierter Bacillenemulsion 
und 2 Tropfen (0,02 cm) Chloroform zu jeder Probe. 

Versuch II/22. -9t 30”. 





und zeigte eindeutig, daß die Inkubation, die Gärungsintensität und die 
Wachstumgeschwindigkeit der Bakterien (welche durch Stärke der Trübung 
und Sedimentierung der Bakterien in den Gärungsröhrchen zu beurteilen 
war) eine starke Verspätung und Hemmung zeigt. 

Ich glaube, daß die Verstärkung der antiseptischen Wirkung 
durch die vorherige Zugabe des Antisepticums mit einer größeren 
Bindung der Bakterienmenge zusammenhängt; dies würde die 
Proportionalität zwischen Verstärkung der Hemmungsphänomene 
durch Erhöhung der Toluolkonzentration und Schwächung 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 51 


derselben durch die Erhöhung der Bakterienmenge beweisen. 
Auch dürfte hierbei das primäre Lösungsvermögen von Toluol 
und Chloroform auf die Bakterienlipoide eine Rolle spielun, welche 
bei vorheriger Zugabe viel stärker zur Geltung kommt, als wenn 
die Lipoide mit den Nährsubstraten des Bouillons bereits in 
Verbindung getreten sind. Es wäre auch daran zu denken, daß 
die Antiseptica proportionell ihrer Konzentration die Nutri- 
ceptoren der Bakterien viel stärker schädigen oder besetzen, 
als wenn diese bereits mit den Nährsubstraten des Nährbouillons 
abgesättigt sind. 

Durch das Prinzip des Reihenfolgenoptimums haben wir 
somit Beziehungen zwischen der Reihenfolge der Zugabe und der 
Desinfektionskraft von Antiseptic« auffinden können, welche 
auf dem Gebiete der Hygiene und Bakteriolpgie einen frucht- 
baren Boden für künftige Forschungen geben dürfte. Die Ent- 
wioklungshemmung von Mikroorganismen durch ein Antisepticum 
müßte also nicht nur bei nachträglicher Zugabe des Mittels be- 
stimmt werden, sondern auch in umgekehrter Reihenfolge, um 
dadurch die richtige Desinfektionsbreite des Mittels kennenzu- 
lernen. 


4* 


Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der 
Biologie. II. 


Von 


L. Karczag und K. Hajós. 
(Aus der III. Med. Klinik der Kgl. Ung. Universität Budapest.) 
(Eingegangen am 15. Jnni 1921.) 


In weiterer experimenteller Prüfung der von Karczag auf- 
gestellten Reihenfolgenregel haben wir folgende Systeme einer 
Prüfung unterworfen. 

1. Versuche tiber die antitryptische Kraft des Blutserums 
mit dem System (Trypsin + Casein + Blutserum). 

2. Versuche mit dem hämolytischen System (rote Blut- 
körperchen + Komplement + Hämolysin). 

3. Tierversuche über die bakteriolytische Wirkung des 
Immunserums auf Paratyphus B Bacillen im Pfeifferschen 
Versuch: (mit Immunserum + Paratyphus B + Meerschweinchen) 
als System. 


1. Versuche über die antitryptische Kraft des Blutserums. 


Das Blutserum wurde in einer Verdünnung !/,., die Caseinlösung in 
2%/,0, Irypein in 1°/,. Lösung verwendet. Es kamen von dem Blutserum 





Trypsinmenge 


Beihen | Systeme 
| 0,1 | 0,2 | 0.8 | 0,4 | 0% | 0,8 | 0,7 | o8 


| 1. i 
2. -|-i-|-|-|+|+ 
a | 
2. -|-j|-!-|-l|+|+ 
m Ir | 
2. rel a 
3. a | 
"z HERRA 
. u et A a a ee 
3. wo = 





+ bedeutet vollständige Verdauung. 
+ bedeutet Übergang zwischen Verdauung und Hemmung. 
— bedeutet vollständige Hemmung. 


L. Karczag und K. Hajós : Bedeutung d. Reihenfolge in d. Biologie. I. 53 


0,5 cm, von der Caseinlösung 2 ccm zu jeder Probe und Trypsin in auf- 
steigenden Mengen von 0,1 ccm bis 0,8 com. — Die Proben kamen auf 
1/, Stunde in Thermostaten, wonach die Ablesung des Resultates erfolgte. 
Die Systeme wurden in vier Reihen gleichzeitig eingestellt. Im folgenden 
ist ein Versuch wiedergegeben, aus dem zu ersehen ist, daß die Änderung 
der Reihenfolge eine Änderung der antitryptischen Kraft hervorrief und so- 
mit die Reihenfolgenregel auch auf dieses System ihre Gültigkeit besitzt. 
Die schwächste Hemmung zeigte die vierte Reihe, die stärkste die Reihen I 
und II. 


2. Versuche mit dem hämolytischen System. 


Im folgenden ist ein Versuch mit dem hämolytischen System wieder- 
gegeben, aus dem die bereite bekannte Tatsache klar hervorgeht, daß die 
nachträgliche Zugabe von Komplement zu einem Gemisch von Hämolysin 
und Erythrocyten eine schnellere Hämolyse bewirkt, die vorherige Zugabe 
des Komplementes zu den roten Blutkörperchen, und die nachträgliche 
Zugabe von Hämolysin eine auffallende zeitliche Verzögerung des Eintretens 
der Hämolyse bewirkt. 


Die Reihen der mitgeteilten Versuchen wurden gleichzeitig eingestellt. 


Reihe I. 1. 0,5 com Hämolysinverdünnung 
2. 0,5 com einer 5proz. Blutkörperchen- 1 Stunde 
aufschwemmung Thermostat. 
3. 1 ccm phys. NaCl-Lösung 


nachher 0,5 ccm Komplement (als Komplement wurde ein 1 : 10 verdünntes 
Meerschweinchenserum benutzt). 


Reihe II. 1. 0,5 ccm Komplement 
2. 0,5 ccm Blutkörperchen | 1 Stunde Thermostat. 
3. 1 ccm phys. NaCl-Lösung 


nachher 0,5 ocm der Hämolysinverdünnung. 


Reihe HL 1. 0,5 ccm Komplement 
2. 0,5 ccm Hämolysinverdünnung | 1 Stunde Thermostat. 
3. 1 com phys. NaCl-Lösung 

nachher 0,5 cem Blutkörperchenaufschwemmung. 

Das komplettierte System wurde noch eine Zeitlang im Thermostat 
belassen und nach verschiedenen Zeiten abgelesen. Solch ein Versuch wird 
in der folgenden Zusammenstellung wiedergegeben: ` 

Versuch 1. Abgelesen nach 25 Minuten: 





Verdünnung des Hämolysins 











1/3600 1 s1200 








re | 1/1000 | 1/2209 | Lasoe | 1/32200 


| | 





54 L. Karczag und K. Hajós: 


Derselbe Versuch nach 45 Minuten abgelesen: 










Reihe 











Verdünnung des Hämolysins 
Y 22086 | 


aane | Yon | Hasen | "ramme |" 
Mi + 


TORE — - 
IT TE PERPE S 


-+ bedeutet komplette Hämolyse. — bedeutet keine Hämolyse. 


| "/mee 








Feier: 
| 








Wir folgerten nun auf Grund der großen Analogie der be- 
schriebenen Erscheinungen mit denjenigen der Katalysatoren, 
der Fermente und Bakteriengärungen, daß sich auch hier 
„Momentreaktionen‘ einstellen müssen, daß sich somit die sog. 
Sensibilisierung sofort nach dem Mischen der einzelnen Kompo- 
nenten erfolgen muß und daß infolgedessen ein längeres vor- 
heriges Stehenlassen der roten Blutkörperchen mit Hämolysin 
in Thermostaten nicht erforderlich ist. — Wir hapen also das 
System schnell nacheinander zusammengestellt und die Proben 
erst dann ohne vorangehende Sensibilisierung der Erythrocyten 
in Thermostaten gebracht. — Es zeigte sich in der Tat, daß die 
Wirkung des im voraus zugesetzten Hämolysins momentan 
erfolgte — wodurch die große Analogie zwischen Hämolyse und 
Fermentvorgängen eine noch weitere auffallende Stütze erfuhr. — 
Die Erscheinungen am hämolytischen System fallen auch unter 
die Reihenfolgenregel, deren Erkenntnis sich auch auf diesem 
Gebiete als fruchtbar erweisen muß, da dadurch der Begriff der 
Sensibilisierung eine ganz andere Bedeutung wie bisher gewinnt. — 
Nach unserer Auffassung ist nämlich die Sensibilisierung in diesem 
Falle nichts anderes, wie das Reaktionsoptimum eines Systems, 
dessen Glieder in optimaler Reihenfolge zusammengestellt wurden. 

Als ein weiteres Beispiel für die Prüfung der Reihenfolgen- 
regel auf serologischem Gebiete, möchten wir den Versuch von 
Kiss anführen, den wir aus der kürzlich erschienenen Monographie 
dieses Forschers entnehmen. (Kiss, Alexin und Antialexin. 
Verlag Fischer, 1921. S. 101.) 

Kiss beweist in seinem Experiment, daß das Antialexin seine antı 
hämolytische Wirkung nur dann entfaltet, falls das hämolytische System 
in einer bestimmten Reihenfolge der aufeinanderwirkenden Komponenten 
zusammengestellt wird. 

Folgende Systemzusammenstellung (Versuch 1) zeigt eine starke 
antihämolytische Wirkung: 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 55 


100 Antialexineinheiten + 100 Einheiten frischen Serums + (un- 
mittelbar hinterher) 1,0 ccm sensibilisierte rote Blutkörperchenemulsion 

In folgender Systemzusammenstellung (Versuch 2) bleibt die anti- 
hämolytische Wirkung aus und die Hämolyse stellt sich ein: 

100 Antialexineinheiten + 1,0 ccm sensibilisierte rote Blutkörperchen 
+ (nach ]—2 Minuten) 100 Einheit frischen Serums. 


Die erwähnten Versuche auf serologischem Gebiete beweisen 
also ebenfalls, daß gewisse Veränderungen eines Systems auf die 
Änderung der Reihenfolge der aufeinander wirkenden Glieder 
zurückgeführt werden müssen, und daß die ablaufenden Prozesse 
ein bestimmtes Reihenfolgenoptimum und Reihenfolgenpessimum 
besitzen. Das Reihenfolgenoptimum im hämolytischen System 
macht den Begriff der Sensibilisierung und das Reihenfolgen- 
pessimum den Begriff der Hemmung überflüssig und erklären 
uns einfach die beiden Vorgänge, welche auf eine gemeinsame 
Grundursache: auf die Änderung der Reihenfolge zurückgeführt 
werden müssen. 

Um auch auf komplizierten Gebieten die Gültigkeit der 
Reihenfolgenregel zu erforschen, haben wir im folgenden die 
Bakteriolyse von Paratyphus B durch das entsprechenden Immun- 
serum an Meerschweinchen, mittels des Pfeifferschen Versuches, 
geprüft, indem wir Reihenfolgenänderungen der Komponenten 
vorgenommen haben. Der Pfeiffersche Versuch besteht im 
wesentlichen darin, daß man ein bakteriologisches Immunserum 
mit den lebenden Bakterien in die Peritonealhöhle von Meer- 
schweinchen bringt und sodann mit Hilfe von Capillarpipetten 
zeitweise Peritonealexsudat entnimmt und dann den bakterio- 
lytischen Vorgang unter dem Mikroskop verfolgt. 

Auch diese Tierversuche konnten mit Erfolg abgeschlossen 
werden, da sie uns darüber belehrten, daß auch in Tierversuchen 
durch Reihenfolgenänderung eine für das Tier günstige und un- 
günstige Systemzusammenstellung erzielt werden kann, wobei 
das Reihenfolgenoptimum für das Tier das Überwinden der In- 
fektion, das Reihenfolgenpessimum dagegen schwere Erkrankung 
und Tod bedeutete. Im folgenden sollen die 


3. Versuche über die bakteriolytische Wirkung von Immunserum 
auf Paratyphus B-Bazillen-Pfeifferscher Versuch 
mitgeteilt werden. 
Wir bereiten uns aus einer 24stündlichen Pararatyphus B-Kultur mit 
l ccm Nährbouillon eine Emulsion und machen uns vom Immunserum mit 


56 L. Karczag und K. Hajós: 


Bouillon eine Verdünnung in einem Verhăltnis von 1 : 100. Wir nehmen 
dann zu den Tierversuchen vier gleich große Meerschweinchen vom gleichen 
Körpergewicht und stellen den Versuch unter Beibehaltung folgender Rei- 
henfolge an: 

Versuchstier Nr. 1 erhielt auf einmal intraperitoneal (1 Öse Bacillen- 
emulsion + 1 ocom Immunserum). 

Versuchstier Nr. 2 erhielt intraperitoneal zuerst 1 Öse Bacillenemulsion 
und nach 5 Minuten 1 ccm !/,.. Immunserum. 

Versuchstier Nr. 3 erhielt intraperitoneal zuerst 1 om 1/100 Immun- 
serum und nach 5 Minuten 1 Öse Bacillenemulsion. 

Versuchstier Nr. 4 erhielt 1 Öse Bacillenemulsion in 1 com Bouillon. 

Der Ausgang des Versuches ist: aus folgender Zusammenstellung er- 
sichtlich: 


Versuch angestellt am 5. III. vorm. 10 Uhr: 


Versuchstier i Beobachtung | Endresultat 


— — — — — —— — 


Nr.1 Nach 10 Minuten beginnt die Bak- | Am 7. III. lebt. 
teriolyse. Nach 20 Minuten 1—2 
bewegliche Bacillen, reichliche 
Granulabildung ; Peritonealflüssig- 
keit nach 1 Stunde steril. 

Nr. 2 Nach 20 Minuten gut bewegliche] Am 6. III. tot vorge- 
und nur einige gelähmte Bacillen,| funden. 
nach 1 Stunde unzählbare Bacillen 
mit guter Bewegung. 

Nr. 3 Nach 30 Minuten beginnende Bak-| Am 7. III. lebt. 
teriolyse. Nach 1 Stunde 40 Minu- 
ten einige Granula sichtbar. 

Nr. 4 Ständig ungeheure Mengen von gut| Am 5. III. nachmittag 
beweglichen Bacillen. 6 Uhr gestorben. 














Dieser Versuch wurde wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede, 
daß hierbei die zeitliche Differenz zwischen Verabfolgen des Immunserums 
und der Bacillenemulsion nicht 5 Minuten, sondern 5 Sekunden betrug. 
Unsere Resultate haben wir auch durch diesen Versuch bestätigt ge- 
funden, indem sich die Versuchstiere 2 und 3 ganz im selben Sinne, wie 
im ersten Versuche, verhielten. 


Die Reihenfolgenregel besitzt nach den angeführten Bei- 
spielen nicht nur auf dem komplizierten Gebiete der Infektion 
und Immunität ihre Gültigkeit. In den Versuchen von J. Loeb 
über die künstliche Parthenogenese sind Beobachtungen 
gemacht worden, welche den Einfluß der Reihenfolge auf wichtige 
biologische Prozesse, wie Entwicklung und Wachstum der Eier, 
erkennen lassen. J. Loeb untersuchte die Toleranz befruchteter 
und unbefruchteter Eier gegen Sauerstoffmangel. Befruchtete 
Eier entwickeln sich im Sauerstoffvakuum, oder durch Hin- 
derung der Oxydation durch Cyankalium nicht, sie entwickeln 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 57 


sich aber, wenn man sie hinterher in lufthaltiges, normales See- 
wasser zurückbringt. Nach 24stündigem Sauerstoffmangel ist 
zwar an den Eiern noch eine Furchung zu erzielen, sie entwickeln 
sich aber über das Blastulastadium nicht hinaus. Brachte man 
aber die Eier desselben Weibchens unbefruchtet 24 Stunden 
lang in sauerstofffreies Seewasser und setzte man nach ihrer 
Übertragung in normales Seewasser Samen zu, so entwickelten 
sich diese Eier zu vollkommen normalen Pluteen. J. Loeb 
untersuchte ferner die Einwirkung von zwei verschiedenen Agen- 
zien: Fettsäure und hypertonischem Seewasser auf die Befruchtung 
der Eier von Strongylocentrotus purpuratus. Behandelt man die 
Eier nur mit einem der beiden Agenzien, so entwickelt sich kein 
Ei. Behandelt man die Eier zuerst mit einer einbasischen Fett- 
säure, oder irgendeiner anderen Säure nur mit einer Carboxyl- 
gruppe und setzt dieselben nachher in hypertonisches Seewasser, 
so entwickeln sich bei richtiger Expositionsdauer so gut, wie alle 
Eier zu Larven. Stellt man den Versuch in umgekehrter Ordnung 
an und behandelt zuerst mit hypertonischem Seewasser und erst 
dann mit der Fettsäure, so muß man bei dieser Reihenfolge die 
Eier viel länger, nämlich 1!/, bis 2 Stunden mit dem hypertoni- 
schen Meerwasser in Berührung lassen, um ihre Entwicklung zu 
ermöglichen. 

Weitere Versuche von J. Loeb mit Alkalien ergaben einen 
völligen Parallelismus mit den Versuchen mit Fettsäuren, da das 
Alkali, wie in den obigen Versuchen die Fettsäure, wirkte. Auch 
hier zeigte sich die Reihenfolge der Eingriffe von maßgebendem 
Einfluß auf die Entwicklung und das Wachstum der Eier, als 
ein klassischer Beweis für die Gültigkeit der Reihenfolgenregel. 

Die Versuche werden in verschiedenster Richtung fort- 
gesetzt. Da jedoch zum Ausbau der gestellten Probleme die 
Arbeit eines einzelnen nicht ausreicht, so würde ihm die Mit- 
betätigung von andrer Seite, sowie die Mitteilung bereits gemachter 
Erfahrungen, welche die Reihenfolgenregel betreffen, eine Freude 
gewähren. 


56 L. Karczag und K. Hajós: 


Bouillon eine Verdünnung in einem Verhăltnis von 1 : 100. Wir nehmen 
dann zu den Tierversuchen vier gleich große Meerschweinchen vom gleichen 
Körpergewicht und stellen den Versuch unter Beibehaltung folgender Rei- 
henfolge an: 

Versuchstier Nr. 1 erhielt auf einmal intraperitoneal (1 Öse Bacillen- 
emulsion + 1 ccm Immunserum). 

Versuchstier Nr. 2 erhielt intraperitoneal zuerst 1 Öse Bacillenemulsion 
und nach 5 Minuten 1 ccm !/,.o Immunserum. 

Versuchstier Nr. 3 erhielt intraperitoneal zuerst 1 om !/,.. Immun- 
serum und nach 5 Minuten l Öse Bacillenemulsion. 

Versuchstier Nr. 4 erhielt 1 Öse Bacillenemulsion in 1 com Bouillon. 

Der Ausgang des Versuches ist. aus folgender Zusammenstellung er- 
sichtlich: 


Versuch angestellt am 5. III. vorm. 10 Uhr: 


Versuchstier ] Beobachtung 


i Endresultat = 











Nr.1 | Nach 10 Minuten beginnt die Bak- | Am 7. JTI. lebt. 
teriolyse. Nach 20 Minuten 1—2 
bewegliche Bacillen, reichliche 
Granulabildung; Poritoncalflüssig- 
keit nach 1 Stunde steril. 

Nr. 2 Nach 20 Minuten gut bewegliche] Am 6. II. tot vorge- 
und nur einige gelähmte Bacillen,| funden. 
pach 1 Stunde unzählbare Bacillen 
mit guter Bewegung. 

Nr. 3 Nach 30 Minuten beginnende Bak-| Am 7. III. lebt. 
teriolyse. Nach 1 Stunde 40 Minu- 
ten einige Granula sichtbar. 

Nr. 4 Ständig ungeheure Mengen von gut Am 5. III. nachmittag 

| beweglichen Bacillen. 6 Uhr gestorben. 


Dieser. Versuch wurde wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede, 
daß hierbei die zeitliche Differenz zwischen Verabfolgen des Immunserums 
und der Bacillenemulsion nicht 5 Minuten, sondern 5 Sekunden betrug. 
Unsere Resultate haben wir auch durch diesen Versuch bestätigt ge- 
funden, indem sich die Versuchstiere 2 und 3 ganz im selben Sinne, wie 
im ersten Versuche, verhielten. 

Die Reihenfolgenregel besitzt nach den angeführten Bei- 
spielen nicht nur auf dem komplizierten Gebiete der Infektion 
und Immunität ihre Gültigkeit. In den Versuchen von J. Loeb 
über die künstliche Parthenogenese sind Beobachtungen 
gemacht worden, welche den Einfluß der Reihenfolge auf wichtige 
biologische Prozesse, wie Entwicklung und Wachstum der Eier, 
erkennen lassen. J. Loeb untersuchte die Toleranz befruchteter 
und unbefruchteter Eier gegen Sauerstoffmangel. Befruchtete 
Eier entwickeln sich im Sauerstoffvakuun, oder durch Hin- 
derung der Oxydation durch Cyankalium nicht, sie entwickeln 


Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 57 


sich aber, wenn man sie hinterher in lufthaltiges, normales See- 
wasser zurückbringt. Nach 24stündigem Sauerstoffmangel ist 
zwar an den Eiern noch eine Furchung zu erzielen, sie entwickeln 
sich aber über das Blastulastadium nicht hinaus. Brachte man 
aber die Eier desselben Weibchens unbefruchtet 24 Stunden 
lang in sauerstofffreies Seewasser und setzte man nach ihrer 
Übertragung in normales Seewasser Samen zu, so entwickelten 
sich diese Eier zu vollkommen normalen Pluteen. J. Loeb 
untersuchte ferner die Einwirkung von zwei verschiedenen Agen- 
zien: Fettsäure und hypertonischem Seewasser auf die Befruchtung 
der Eier von Strongylocentrotus purpuratus. Behandelt man die 
Eier nur mit einem der beiden Agenzien, so entwickelt sich kein 
Ei. Behandelt man die Eier zuerst mit einer einbasischen Fett- 
säure, oder irgendeiner anderen Säure nur mit einer Carboxyl- 
gruppe und setzt dieselben nachher in hypertonisches Seewasser, 
so entwickeln sich bei richtiger Expositionsdauer so gut, wie alle 
Eier zu Lerven. Stellt man den Versuch in umgekehrter Ordnung 
an und behandelt zuerst mit hypertonischem Seewasser und erst 
dann mit der Fettsäure, so muß man bei dieser Reihenfolge die 
Eier viel länger, nämlich 1!/, bis 2 Stunden mit dem hypertoni- 
schen Meerwasser in Berührung lassen, um ihre Entwicklung zu 
ermöglichen. 

Weitere Versuche von J. Loeb mit Alkalien ergaben einen 
völligen Parallelismus mit den Versuchen mit Fettsäuren, da das 
Alkali, wie in den obigen Versuchen die Fettsäure, wirkte. Auch 
hier zeigte sich die Reihenfolge der Eingriffe von maßgebendem 
Einfluß auf die Entwicklung und das Wachstum der Eier, als 
ein klassischer Beweis für die Gültigkeit der Reihenfolgenregel. 

Die Versuche werden in verschiedenster Richtung fort- 
gesetzt. Da jedoch zum Ausbau der gestellten Probleme die 
Arbeit eines einzelnen nicht ausreicht, so würde ihm die Mit- 
betätigung von andrer Seite, sowie die Mitteilung bereits gemachter 
Erfahrungen, welche die Reihenfolgenregel betreffen, eine Freude 
gewähren. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 


Über den Tryptophangehalt einiger Nahrungsmittel und den Trypto- 
phanbedarf des erwachsenen Menschen. 


Von 
Otto Fürth und Fritz Lieben. 


(Ausgeführt mit Unterstützung der Bernhard Wetzler- 
Stiftung für Volksernährung.) 


(Aus der chemischen Abteilung des Wiener Physiologischen Univ.-Inst.) 
(Eingegangen am 15. Juns: 1921.) 


Zu den wichtigsten Problemen, welche durch Ausarbeitung 
einer brauchbaren Methode der colorimetrischen Tryptophan- 
bestimmung!) einer Beantwortung zugänglich geworden sind, 
gehört zweifellos der Tryptophanbedarf sowohl des wachsenden 
als auch derjenige des ausgewachsenen Menschen und die Frage, 
in welchem Umfange und in welcher Art dieser Bedarf durch 
verschiedene Ernährungsformen gedeckt wird. 

Jener Fragenkomplex, welcher die Rolledes Tryptophans 
im kindlichen Organismus betrifft, ist von Toshio Ide 
unter der Leitung Edmund Nobels an der Klinik für Kinder- 
krankheiten der Wiener Universität (Prof. Pirquet) einer ein- 
gehenden Bearbeitung unterzogen und sind die Resultate dieser 
Untersuchungen kürzlich veröffentlicht worden?). 

Unsere Untersuchungen beschränken sich daher auf die 
Frage des Tryptophanbedarfes des erwachsenen Men- 
schen und der Deckungdieses Bedarfes bei verschiedenen 
Ernährungstypen. 

Als Vorarbeit für die Beantwortung der Frage, wieviel 
Tryptophan der Erwachsene bei normaler, reichlicher und knapper 

1) Vgl. O. Fürth und E. Nobel, diese Zeitschr. 109, 103. 1920. — 


O. Fürth und F. Lieben, ebenda 109, 125, 153. 1920. 
2) Zeitschr. f. experim. Med. 15, 1921. 








O. Fürth u. F.Lieben: Colorimetr. Untersuchungen über Tryptophan. VI. 59 


Ernährung tatsächlich aufnimmt und mit welchem Tryptophan- 
minimum er noch eben, ohne Schaden zu leiden, sein Auskommen 
zu bestreiten vermag, war eine möglichst exakte Feststellung 
des Tryptophangehaltes einer größeren Anzahl der 
wichtigsten Nährstoffe unerläßlich. Der Ermittlung des- 
selben bildet den Gegenstand des ersten Teiles dieser Unter- 
suchung; die so ermittelten Daten finden im zweiten Teile 
ihre Nutzanwendung und wird eine Beantwortung der uns in 
erster Linie interessierenden physiologischen Fragen unter Ver- 
wertung einer sorgfältigen Auswahl aus dem in der Literatur 
des Stoffwechsels vorliegenden umfangreichen Materiale versucht. 


A. Tryptophangehalt einiger Nahrungsmittel. 


Mit Rücksicht auf die geradezu unbegrenzte Mannigfaltig- 
keit von Nahrungsmitteln mußten wir uns selbstverständlich 
auf eine sorgfältige Auswahl einiger für unsere speziellen Zwecke 
unentbehrlicher Nahrungsmitteltypen beschränken. So haben 
wir uns denn mit Stichproben folgender Arten von tryptophan 
haltigen Nahrungsmitteln befaßt: 


a) Mehle: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais; 

b) Leguminosen: Bohnen, Linsen, Erbsen, Sojabohnen ; 

c) Kartoffeln; 

d) Reis; 

e) Nüsse: Walnüsse, Haselnüsse; 

f) Gemüse: Sauerkraut, Kohlrüben, weiße Rüben, Spinat; 

g) Kuhmiilch; 

h) Fleisch: Rind-, Kalb-, Schweine-, Hammelfleisch, Schin- 
ken, Wurst, Corned beef; 

i) Fische: Schellfisch, Hering gesalzen und getrocknet; 

k) Hühnereier; 

1) Käse: Verschiedene Sorten. 


a) Mehle. 


1. Weizenmehl. Bei der Tryptophanbestimmung in Mehl- 
proben waren nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. 
Eine einfache direkte Bestimmung nach Lösung in konzentrierter 
Alkalilauge, etwa in der Art, wie sie bei reinen Proteinen und 
auch bei tierischen Organen zur Anwendung gelangen konnte, 
erwies sich hier als gänzlich untunlich, da der bei Alkalieinwirkung 


60 O. Fürth und F. Lieben: 


aus der Stärke entstehende zähe Kleister einer colorimetrischen 
Bestimmung unüberwindliche Hindernisse bereitet. Man muß 
unbedingt die Proteine als solche extrahieren und für sich 
untersuchen. Dabei genügt es nun wiederum keineswegs etwa, 
das Mehl mit einer verdünnten Salzlösung zu extrahieren und 
das so erhaltene Eiweiß zu untersuchen; denn dabei bleibt das 
in den Cerealiensamen in reichlichen Mengen vorhandene eigen- 
artige alkohollösliche Eiweiß (,,Prolamin“) ungelöst zurück 
und dieses kann nur durch Alkoholextraktion gewonnen werden. 

Nach mannigfachen Versuchen erwies sich uns nachstehender 
Vorgang als zweckentsprechend: 

100 g Weizenmehl (niederösterreichischer Herkunft) wurden mit dem 
mehrfachen Volumen einer 10 proz. Kochsalzlösung mehrere Stunden lang 
geschüttelt, sodann filtriert und das Filtrat mit Essigsäure gefällt. Der 
Niederschlag wurde abfiltriert, gewaschen, sodann durch kurzdauerndes 


Erwärmen mit starker Natronlauge gelöst. Die so erhaltene klare Lösung 
enthielt (nach Voisenet-Bestimmung) 0,049%, Tryptophan. Nach Kjel- 


dahl fand sich in 5 ccm one) e N in 100 ccm sonach 0,252 g N, was 


0,252 - 6,25 = 1,58%, Roheiweiß entspricht. Das in verdünnter Salz- 
lösung lösliche Weizenmehleiweiß (Globulinfraktion!) enthält 
sonach (x : 0,049 — 100 : 1,58) 3,1% Tryptophan. 

Weiterhin wurden 100 g desselben Mehles mit 400 ccm Alkohol 
70% einige Stunden lang unter Rückflußkühlung ausgekocht, abfiltriert, 
neuerlich mit einer neuen Alkoholportion ausgekocht und noch ein drittesmal 
der gleichen Behandlung unterworfen. Die vereinigten alkoholischen Ex- 
trakte wurden durch Zusatz eines mehrfachen Volumens Wasser gefällt. Der 
nach längerem Stehen geballte Niederschlag wurde abfiltriert, durch kurz- 
dauerndes Erwärmen mit starker Lauge in Lösung gebracht. Die Lösung 


enthielt (nach Voisenet) 0,076% Tryptophan. Kjeldahl in 5 ccm ergab 


00308) 0,0303 g N, daher in 100 ccm 0,606 g N, entsprechend 3,79%, Eiweil 


mit einem Tryptophangehalte von 2,0%. Dasalkohollösliche Prolamin 
des Weizensa mens, dasGliadin, enthält sonach 2% Tryptophan. 
Nun enthält Weizenmehl nach den Königschen Tabelen?) im Mittel 
10,68% Rohprotein (N-Substanz). Vom Rohprotein des Weizenmebles 
utfallen auf Reinprotein nach J.Cosack?®) 74,9, 79,0, nach S. Wein- 
wurm?) 71,4, 72,6 73,7, im Mittel 74,3%. Von den 10,88%, Rohprotein 
würden sonach 7,93%, auf Reinprotein entfallen. 
Diese 7,93%, mußten nun, um eine richtige Berechnung zu ermöglichen, 
auf die Globulin- und Gliadinfraktion aufgeteilt werden. Zu diesem Zwecke 
wurde in einer weiteren Mehlprobe derGliadingehalt quantitativ bestimmt. 


1) König, Chemie der Nahrungsmittel. 5. Aufl. 
2) König, 1, 627. 
3) König, 1, 657. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 61 


10 g Weizenmehl wurden durch dreimaliges Auskochen mit 70 proz. 
Alkohol soweit erschöpft, daß der Alkohol keine durch Wasser fällbare Sub- 
stanz mehr aufnahm. Die vereinigten Filtrate wurden mit viel Wasser unter 
starkem Ansäuern mit Salzsäure gefällt. Der nach Stehen in der Kälte abge- 
setzte Niederschlag wurde auf einem Filter gesammelt, mit wenig Wasser 
ausgewaschen und samt dem Filter kjeldahlisiert. Es fand sich 0,0669 g N, 
was 0,669 - 6,25 = 4,18%, Gliadin entspricht. (Es steht dies in sehr 
guter Übereinstimmung mit einer Angabe von Clifford Richardson ?), 
derzufolge Weizen im Mittel 4,20 in 80 proz. Alkohol lösliches Eiweiß ent- 
halten soll.) 

Die Eiweißverteilung in unserer Weizenprobe wäre demnach 


Gliadin . . . . 2 2 2 2 0. 4,18% Reinprotein 
Globulinfraktion . . . . . . 3,75%, Reinprotein 
| 7,93% Reinprotein. 
Der Tryptophangehalt berechnet sich dementsprechend: 
4,18%, Gliadin mit 2%, Tryptophan = 0,084% Trypt. 
3,75% Globulin mit 3,1%, Tryptophan == 0,116% Trypt. 
0,200% Trypt. 
Unser Weizenmehlenthielt sonach 0,20% Tryptophan. 
2. Roggenmehl. Verarbeitung wie beim Weizenmehl. 


Nach Königs Tabellen enthält deutscher Roggen im Mittel 11,19% 
Rohprotein. Nach M. Fischer?) entfallen im deutschen Roggen auf 
100 Teile Rohprotein im Mittel 86,4 Teile Reinprotein, somit entnält 
der Roggen 9,67%, Reinprotein. 

Die Prolaminbestimmung durch Alkoholextraktion ergab 1,62%. Somit 
verteilt sich dieses Reinprotein: 


Prolaminfrektion. . . . . 2... 1,62%, 
Globulinfraktion . . : . . 2 2.2. 8,05% 
9,67% 


Die Tryptophanbestimmung für das Roggenprolamin ergab nur 
0,7% (vermutlich ist das eigentliche Prolamin, geradeso wie das Zein, 
tryptophanfrei und ist der geringe Tryptophangehalt auf die Beimengung 
anderer Proteine zurückzuführen). l 

In der durch Kochsalzlösung extrahierten Globulinfraktion fand 
sich 2,7%, Tryptophan. 

Die Rechnung stellt sich also folgendermaßen: 

100 g Roggenmehl enthalten: 

In der Prolaminfraktion 1,62 g Eiweiß m. 0,7% i. e. 0,01 g Trypt. 
In der Globulinfraktion 8,05 g Eiweiß m. 2,7% i. e. 0,22 g Trypt. 
9,67 g Summe 0,23 g Trypt. 

Unsere Roggenmehlprobe hat.sonach 0,23% Trypto- 
phan enthalten. 

2) König, 1, 422. 

2) König, 1, 470. 


62 O. Fürth und F. Lieben: 


3. Gerstenmehl. Verarbeitung wie oben! 


Geschälte Gerste enthält (nach den Tabellen von Schall und Heis- 
ler 2. Aufl., S. 18, 1910) im Mittel 7,6% Roh protein. Vom Rohprotein-N 
sind nach F. Farsky?!) 88,5%, Reinprotein’N. Den 7,6% Rohprotein 
entsprechen onach 6,7%, Reinprotein. 

Das Gerstenmehl enthält reichliche Mengen alkphollöslichen Prola- 
mins (Hordein). In unserer. Probe fanden sich davon 4,44%. Die Trypto- 
phanbestimmung im Hordein ergab 1,8%. Die durch Kochsalz extrabier- 
bare Globulinfraktion erwies sich wesentlich tryptophanreicher (3,4%). 

Die Rechnung stellt sich also folgendermaßen: 

Dieses Gerstenmehl enthält: 


Prolaminfrektion (Hordein) . , . . 44% 
Globulinfraktion . . . . 2... 2,3% 
6,7% 


4,4% Hordein mit 1,8% Tryptophan = 0,07 g Tryptophan 
2,3%, Globulin mit 3,4%, Tryptophan = 0,078 g Tryptophan 


Summe 0,158 g Tryptophan 
Das Gerstenmehl enthielt sonach 0,16% Tryptophan. 


4. Hafermehl. Hafermehl enthält nach A.Stutzer?) 
19,5% Reinprotein. 

Die Prolaminbestimmung ergab 1,7% eines Prolamins, das Tryptophan 
nur in Spuren enthielt, wohingegen sich im salzlöslichen Hafermehleiweiß 


2,9% Tryptophan fanden. 
Das Hafermehl enthielt sonach: 


9,12 
9,87 


Prolaminfraktion. . . . .». .... 1,7% 
Globulimfraktion . . . . . .. 7,8% 
9,5%. 


100 g Hafermehl enthalten also: 
in der Globulinfraktion 7,8 g Eiweiß mit 0,23 g Tryptophan 
in der Prolaminfraktion 1,7 g Eiweiß mit — g Tryptophan 
Summe 0,23 g Tryptophan. 
Das Hafermehl enthielt sonach 0,23% Tryptophan. 
5. Maismehl. Die Eiweißverteilung im Maismehl stellt sich: 
Mittel aus 20 Analysen von P. Collier?) (Dept. Agric. Washington) 
Alkohollösliches Eiweiß. . . . . . 8,57% 
In Alkohol unlösliches Eiweiß. . . 5,12%, 
10,69%. 
- Das im Maismehl enthaltene Prolamin, das Zein ist bekanntlich 
anderen Eiweißkörpern gegenüber durch das Fehlen des Tryptophankom- 
1) König, 1, 518. 
2) König, I, 642. 
3) König, I, 551, 653, 556. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 63 


plexes ausgezeichnet. In der durch 10 proz. Kochsalzlösung extrahierbaren 
Eiweißfraktion fand sich dagegen reichlich Tryptophan. 
Eine Probe ergab... ... 2.2: 2 222202. 3,3%, Tryptophan 
Eine andere Probe (Maisgries) . . . . .... .- 3,7% Tryptophan 
Mittel 3,5%, Tryptophan. 
Die Rechnung für den Tryptophangehalt des Mehles stellt sich also 
folgendermaßen: 
In 100 g Maismebl 5,27 g Zein mit . . . 2.2... 0 g Trypt. 
6,12 g alkoholunlösliches Eiweiß mit 0,179 g Trypt. 
0,179 g Trypt. 
Das Maismehl wäre demnach mit 0,18% Tryptophan zu be- 
werten. 
Berechnet man nun, auf Grund der angegebenen Daten den 
mittleren Tryptophangehult der gesamten Reinproteine 
für die einzelnen Mehlsorten, so ergibt sich für 


Weizenmehl... . 2.2 202.2 .0.. 2,52%, 
Roggenmehl. . . . . 2.2.2.2... 2,37% 
Gerstenmehl. . . . . 2. 2 2.2.0. 2,34% 
Hafermehl. ... 2... 222020 2,42%, 
Maismehl . .. . 2.2.2 2 220% 1,67% 


Das Roggen-, Gersten- und Hafermehl erweist sich also hin- 
sichtlich des mittleren Tryptophangehaltes seiner Gesamtproteine 
alə dem Weizenmehl durchaus gleichwertig, während der Trypto- 
phangehalt des Maismehles nur etwa */, der vorgenannten Stoffe 
entspricht. Jedenfalls ist es aber eine durchaus irrige, in der 
Vitamin- und Pellagraliteratur aber immer wieder auftauchende 
Meinung, das Maismehl sei eine tryptophanfreie oder doch zum 
mindesten ganz besonders tryptophanarme Nahrung. 


b) Leguminosen. 


1. Bohnen. &) 5g gepulverter Bohnen wurden durch Erwärmen mit 
25 oom 30proz. Natronlauge in Lösung gebracht. Die direkte Voisenet- 
Bestimmung in der durch Glaswolle filtrierten Lösung ergab 0,088% Trypto- 
phan. Die 35 com der Lösung (5 g Bohnen entsprechend) enthielten sonach 
0,022 g Tryptophan, ergo 100 g Bohnen 0,44 g Tryptophan. 
Der Rohproteingehalt von Bohnen ist mit 25% zu bewerten. Das 
93,80 
Rohprotein der Bohnen enthält nach W. A. Gwallig') Eu 94,7% 
95,48 
Reinprotein. Die Bohnen enthalten sonach 23,7%, Reinprotein mit 
einem Tryptophangehalte von 1,86%. 


1) König, 1, 583. 


64 - O. Fürth und F. Lieben: 


$) Ein weiterer analoger direkter Versuch ergab für 100 g Bohnen 
0,41%, Tryptophan. 

y) 100 g feingepulverter Bohnen wurden mehrere Stunden lang mit 
0,2 proz. Natronlauge geschüttelt; die opalescente Flüssigkeit filtriert, mit 
Essigsäure gefällt und der abgetrennte Niederschlag mit verdünnter Na- 
tronlauge in der Kälte in Lösung gebracht. Die Lösung enthielt (nach 


colorimetrischer Bestimmung) 0,044%, Tryptophan, nach Kjeldahl in 


5 com 0'139} Mittel 0,0135 g N, i. e. 0,27% N, was 0,27 - 6,25 = 1,69% 


Rohprotein entspricht. Das Bohneneiweiß würde dementsprechend 
2,60%, Tryptophan enthalten und, wenn Bohnen (s. 0.) 35,7% Reinprotein 
enthalten, wäre ihr Tryptophangehalt mit 0,61% zu bewerten. 

ô) Ein weiterer Versuch analoger Art ergab, daß im Bohnen- 
eiweiß 2,16%, in den Bohnen als solchen 0,51% Tryptophan 
enthalten war. 

Es hat sich sonach ergeben: 

1,86 
für das Boh noneiweiß2,0012,21% Tryptophan und fürdieBohnen 
0,44 2,16 
als solche Yon Tryptophan. 
0,51 
In analoger Weise durchgeführte Versuche — ergeben für: 


2. * nsen: Tryptophangehalt der Proteine s 230) 2,36% 
m „ Samen als solcher 0 56,058 % 


3. Erbsen: j „ Proteine 1,79% 
r „ Samen als solcher 0,34% 
4. Sojabohnen: ,, „ Proteine 2,20% 


„ „ Samen als solcher 0,55%. 


c) Kartoffeln. 


a) !/, kg Kipfelkartoffeln wurden fein zerhackt und mit der Fleisch- 
saftpresse ausgepreßt. Der Preßsaft wurde unter Zusatz von einigen Tropfen 
Essigsäure durch Aufkochen auskoaguliert, das abfiltrierte Koagulum mit 
Alkohol ausgekocht, wieder auf das Filter gebracht, mit heißem Wasser 
ausgewaschen, sodann durch kurzdauerndes Erwärmen mit 30 proz. Na- 
tronlauge in Lösung gebracht. Die Lösung enthielt (colorimetrisch) 0,028% 
Tryptophan und (Kjeldahl) 0,134% N, sonach 0,134 - 6,25 = 0,838% 
Protein mit 3,3%, Tryptophan. 

Da nun Kartoffel (nach den Tabellen von Schall und Heisler) im 
Mittel 1,5% Eiweiß enthalten, wäre der Tryptophangehalt der- 
selben mit 0,050% zu bewerten. 

$) Kipfelkartoffeln wurden haschiert und im Faustschen Abdampf- 
apparat bei einer 40° nicht übersteigenden Temperatur im Luftstrome ge- 
trocknet. Für 100 g trockener Kartoffeln (entsprechend 417 g feuchter Kar- 
toffeln) ergab sich ein Gesamt-N-Gehalt von 1,50 g N, entsprechend 9,38% 
Rohprotein. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 65 


Der Nichtprotein- N wurde nach Barnstein!) durch Fällung 
mit Alkohol und Kupfersulfat und Kjeldahlisieren des Filtrates mit 0,46%, 
ermittelt. Es ergibt sich sonach 1,50 — 0,46 = 1,04%, Reinprotein-N mit 
6,50%, Reinprotein. Dieses (s. 0.) mit 3,3%, Tryptophan in Rechnung ge- 
bracht, ergibt für die getrockneten Kartoffeln einen Gehalt von 0,2059, 
für die frischen Kartoffeln einen Tryptophangehalt von 0,051%. 


Es fand sich sonach: 


im Kartoffeleiweiß 3,3% ,in denfrischen Kartoffeln 0, oe 0,050% 
Tryptophan. 


d) Reis. 


1/, kg Reis wurde fein gepulvert mit 1 Liter NaOH 0,2% 
4 Stunden geschüttelt, dekantiert, die trübe Flüssigkeit mit 
Essigsäure gefällt, der reichliche Niederschlag filtriert, mit essig- 
säurehaltigem Wasser gewaschen, bei niederer Temperatur im 
Luftstrome getrocknet, fein gepulvert. Von diesem Präparate?) 


(„Oryzenin‘) wurden 5 g abgewogen und in 50 ccm NaOH 
30%, unter Erwärmen gelöst. 


Die Lösung enthielt (colorim.) 0,061% Trypt. und 035) 0,352g N. 


mithin 0,352 . 6,25 = 2,20%, Eiweiß. Sonach enthält das Reiseiweiß 
2,77% Tryptophan. 
1,40 
Nach O. Kellner?) enthält Reis 1'507 146% N, demnach enthält 


1,51 
Reis etwa 1 46. 6,25 = 9,13%, Protein und 0,25%, Tryptophan. 


e) Nüsse. 


Tryptophanbestimmung nach Extraktion durch Schütteln mit NaCl 
10°%%, Fällung mit Essigsäure, Lösung des Niederschlages in Lauge. 
Es ergaben sich 
1. für Walnüsse: Tryptophangehbalt der ‚Proteine 1,7%, der Samen als 
solcher 0,22%, 
2 für Haselnüsse: Tryptophangehalt der Proteine 2,5%, der Samen als 
solcher 0,40%. 
1) Gemüse. 


l. Sauerkraut. Frischer Krautkopf wurde zerkleinert, mit Presse 
ausgepreßt, Preßsaft durch Zusatz von Essigsäure gefällt, Niederschlag 
abfiltriert und in Lauge gelöst. 


1) König, 3, 2. Teil, S. 818. 1914. 

2) Vgl. O. Rosenheim und S. Kajiura, Journ. of Physiol. 36; 
Proc. Physiol. Soc. 1908, Nr. 6. — U. Suzuki, K. Yoshimura u. S. Fuji, 
Journ. Coll Agricult. Tokjo 1, 77; Chem Zentralbl. 1909, 2, 633. 

3) König, 1, 557. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 5 


66 O. Fürth und F. Lieben: 


Es ergab sich: 

Tryptophangehalt der Proteine = 4,2%, des Sauerkrautes 
= 0,038% . 

2. Kohlrüben. Zwei große Kohlrüben fein gehackt, im Luftstrom 
bei niederer Temperatur getrocknet, gepulvert, mit NaCl 10% anhaltend 
geschüttelt, filtriert, klares Filtrat durch Aufkochen und Zusatz von Essig- 
säure auskoaguliert, Koagulum abfiltriert, in NaC] 30%, in der Wärme ge- 
löst. Es ergab sich so (Voisenet, Kjeldahl), daß Kohlrübeneiweiß 
3,3%, Tryptophan enthält. 

Nun enthalten Kohlrüben!) im Mittel 1,39% N-Substanz in der 
feuchten Substanz. Nach E. Massute?) ist in trockenen Kohlrüben die 
Relation a enparen 

2,85% Rohprotein-N 
1,39%, Rohprotein 1,03%, Reinprotein in der feuchten Substanz. 

Frische Kohlrübenenthalten demnach etwa 0,033% Trypto- 
phan. 

3. Weiße Rüben. Ähnlicher Vorgang wie beim Sauerkraut. 

Tryptophangehalt der Proteine wurde mit 2,0%, derjenige 
der Rüben mit 0,014% bewertet. 

4. Spinat. ?/, kg frischen Spinates wurde zerkleinert, ausgepreßt, 
der tiefgrüne Preßsaft mit Essigsäure in der Kälte gefällt, der Niederschlag 
abfiltriert, mit essigsäurehaltigem Wasser gewaschen; das Filtrat enthält 
kein koagulables Eiweiß mehr. Der grüngefärbte Niederschlag wurde 
nunmehr unter Rückflußkühlung 1 Stunde lang mit !/,1 Alkohol ausgekocht 
und filtriert: tiefgrünes Filtrat; fast farbloser Niederschlag, mit Alkohol 
ausgewaschen; sodann in starker Natronlauge durch kurzdauerndes Erwär- 
men gelöst. Der Alkohol vertrieben, spärliche ungelöste Flocken wurden 
abfiltriert. In üblicher Weise ergab sich, daß Spinateiweiß 4,3%, Tryp- 
tophan enthielt. 

Nach C. Böhmer und A. Stift?) enthält Spinat 4,16% 
N-Substanz, aber nur 3,18%, Protein (Schall und Heisler: 
2,7%, Eiweiß). Dementsprechend wäre der Tryptophangehalt 


des Spinates mit 0,138% zu bewerten. 


g) Kuhmlich. 

Aus den Analysen von O. Fürth und E. Nobelt) wurde 
unter Ausscheidung der höchsten gefundenen Zahlen) als Durch- 
schnittswert angesetzt: 
fürd. mittlerenTryptophangehaltd.Milchproteine 2,5%, 
fürd.mittlerenTryptophangehalt der Kuhmilch 0,065%. 

1) König, 1, 770. 

2) König, 1, 779. 

3) König, 1, 790. 

4) Diese Zeitschr. 109, 117. 1920. 

5) Vgl. diesbezügl. l. c. S. 118. 





gefunden worden. Demnach entsprechend 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan, VI. 67 


h) Fleisch und I) Fische, 

Bei derartigen Nahrungsmitteln konnte die einfache direkte 
Bestimmung, wie sie von uns seinerzeit für Proteine und tierische 
Organe angegeben worden ist, i.e. Lösen in starker Alkalilauge 
und colorimetrischo Auswertung der Lösung, stets unschwer zur 


Durchführung gelangen. . se 
Unsere Resultate finden sich in der Tabelle am Schlusse 
dieses Kapitels zusammengestellt. 


k) Hühnereler. 
Die direkte Bestimmung ergab: 


Mittl. Tryptophan- Tryptophangehalt d. 
gehalt d. Proteine - Nahrungsmittele. 


| L8 1o a0 0,22 | ogu 
Eierklar. . 23 120% 0.23 | 023% 
20 oo 030 ano 
Eidotter . 5", 12,1% — 10,32 A 


Ein Hühnerei, das etwa zu 


12% aus Schale 
65°, aus Eierklar 
33% aus Eidotter 
100% 
besteht?) und im Mittel 51 g wiegt, enthält 0,23% (das einzelne Ei im Mittel 
nn I) Käse. 
Die direkte Bestimmung durch Lösen in Alkali erwies sich für Käse 
wegen seines hohen Fettgehaltes im allgemeinen als untunlich. 
Für verschiedene Käsesorten wurde dagegen unter Verwertung der 
im Königschen Handbuche enthaltenen Angaben über ihren Gehalt an 
Reinprotein-N und Nichteiweiß-N und unter der Annahme, daß das Käse- 
eiweiß weitaus seiner Hauptmenge aus Casein bestehe, die Pe Dane 
durchgeführt. 
Z.B. im Emmenthaler Käse haben E. Sehul and Barbieri? ) 
gefunden: Eiweißstoffe 18,6 
21,7 
21,8 ? 22,2%, Eiweißzersetzungsprodukte 6,2°9,. 
24,9 | | 
23,8 


Einem Reinproteingehalte von 22,29% (als Casein BeReenneN) entspricht 
ein Tryptophangehalt von 0,44. 


1) Vgl. die Tabelle von Schall und — IL. auti; S. 16. kos 
2) König, 1, 318. ; 


5* 


68 O. Fürth und F. Lieben: 


Es ergab sich so auf Grund der Analysenzahlen ein Gehalt an 
Casein und seinen Speltungsprodukten Tryptophan 


Stutzer!) im Gervaiskäse.. ... . 8,3%, 0,17% 
aa © „ Schweizerkäse. ... 24,2 „ 0,48 „, 
Muzzo u. M.?) „ Gruyödrekäse .... 22,1 „ 0,44 ,, 
Duclaux?) „ Holländerkäse ... 34,1 , 0,68 ,, 
G. Sartorit) ,‚„ Schafkäse ...... 28,2 „ 0,56 ,, 

J. Klein®) » Limburger Backstein- 
këso.. 2. 2 2 20%. 25,7 „ 0,51 „ 


Es erübrigt nunmehr, unsere Resultate übersichtlich zu- 
sammenzustellen, wobei ausdrücklich hervorgehoben werden soll, 
daß es sich um nichts anderes handelt und handeln kann, als um 
Orientierungszahlen, die auf Grund einiger Stichproben 
zum Zwecke der Beantwortung der uns speziell interessierenden 
physiologischen Fragen ermittelt worden sind. Daß z. B: der 
Tryptophangehalt der einzelnen Arten von Getreidesamen sicher- 
lich erheblichen Schwankungen unterworfen ist, unterliegt keinem 
Zweifel. Die Auswertung und Deutung derselben an der Hand 
eines umfangreichen Analysenmateriales muß jedoch den Nahrungs- 
mittel- und Agrikulturchemikern überlassen bleiben. 

Wir lassen eine tabellarische Zusammenstellung unserer 
Orientierungszahlen folgen: 


Tabelle I. 



















Tryptophan- Tryptophan- 
gehalt der darin gehalt des 
Nahrungsmittel enthaltenen Nahrungsmittels 
als solchem 


Weizenmehl . . ...... 2,62 0,20 
Roggenmell . . . ..... 2,37 0,23 
Gerstenmehl . . . . .... i 0,16 
Hafermehl . . . . . 2... 2,42 0,23 
Maismehl . . .. 22 2.. 1,67 0,18 
Bohnen . . . . 2 2 2 2.0. 2,21 0,50 
Linsen . 2... 2 2 2 20. 2,36 0,58 
Erbsen . 2. 2 2 2 2 2 20. 1,79 0,34 
Sojabohnen . . . 2.2 .2.. | 2,20 0,55 
Kartoffeln » 222.2... F 8,30 0,05 
Reis a a a ee a er er 2,77 0,25 

ı) König, I, 321. 

2) König, I, 331. 

2) König, 1, 332. 

4) König, 1, 343. 

8) König, 1, 345. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 69 


Tabelle I (Fortsetzung). 


m nn. 








m [1 —— 


Tryptophan- 











Wallnüse . 2.2 2 2 20. | 

Haselnüsse ... 222. 2,50 
Sauerkraut . . . 2 2 20. 4,20 
Kohlrüben . . . . 2 22... 3,80 
Weiße Rüben . . . 2... 2,00 
Spinat Ei denm an we et De 4,30 
Kuhmilh . . . 2.22 2.. 2,50 
Rindfleisch te, ee ren | 1,77 
Kalbfleisch Bet a a ac ech 1 ‚93 
Hammelfleisch . . ..... 1,66 
Schweinefleisch (fettarm) . . 1,93 
Schinken . ..... Basta 1,87 
Corned Beef ..... 2... — 
Wurst (fettreich.... | == 
Schellfisch . ....... | 1,55 
Hering gesalsen .. .... | 1,80 
Hering geräuchert . . .. . | 2,50 
Eierklar Eana wuda l a a a a 2,00 
Eidotter . . 2. 2 2 2 20. 2,10 
Das Hühnerei als Ganzes . . 2,05 
Emmenthaler Käse . . . . . 2,00 
Gervais Käse ....... | 2,00 
Gruyère Käse . ...... l 2,00 
Holländer Käse ...... | 2,00 
Schafkäse By 2,00 
Limburger Backsteinkäse . . 2,00 


B. Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen. 


Die Ermittlung der im ersten Abschnitte dieser Arbeit 
mitgeteilten Daten betreffend den Tryptophangehalt der wich- 
tigsten Nährstoffe hat uns nun in die Lage versetzt, an der Hand 
einer Auswahl von Beispielen aus der Stoffwechselliteratur den 
Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen auf rechnerischem 
Wege mit ziemlicher Schärfe festzustellen. 

Unsere Berechnungen betreffen 33 Beispiele, von denen viele 
wiederum sich nicht auf Einzelindividuen beziehen, vielmehr eine 
große Zahl von Personen mit einem Durchschnitte erfassen. 
Die Art unserer Berechnungen ist aus den Tabellen ohne weiteres 
ersichtlich, derart, daß wir es uns an dieser Stelle ersparen können, 
darüber viel Worte zu verlieren. Unsere Auswahl geeigneten 


70 O. Fürth und F. Lieben: 


Materiales aus der Stoffwechselliteratur hat vor allem durch den 
Umstand eine sehr erhebliche Einschränkung erfahren, daß wir 
nur solche Versuche benützen konnten, wo nicht etwa summarisch 
die Menge an aufgeno,nmenem Eiweiß, Fett und Kohlenhydrat 
angeführt, vielmehr die Nahrung vollkommen detailliert war 
Da es uns hier nm den physiologischen Tryptophanbedarf 
zu tun war,. haben wir alle Versuche von pathologischem 
Gepräge ausgeschaltet. So insbesondere alle Hungerver- 
suche; jedoch auch bei den Versuchen mit eiweißarmer 
Ernährung alle diejenigen, bei denen das N-Gleichgewicht 
nioht erreicht worden ist, der Organismus sonach von seinem 
eigenem Bestande gezehrt hat. 

Unsere Beispiele lassen sich in 4 Gruppen einteilen: a) nor- 
male, ausgiebige Ernährung, b) atypische Ernährungs- 
formen, c) rein vegetarische Ernährung, d) Eiweiß- 
minimumversucheohneStörungdesN-Gleichgewichtes. 


a) Normale ausgiebige Ernährung. 


Wir haben, um unsere Berechnungen auf eine möglichst 
breite Grundlage zu stellen, möglichst heterogene Typen einer 
normalen, reichlichen Ernährung herangezogen. So figuriert 
unter unseren Beispielen: 

Nr.1. Die Kost finnländischer Arbeiter (nach Tiger- 
stedt) mit einer Tagesaufnahme von 116 g Rohprotein und mehr 
als 3000 Calorien. 

Nr.2. Die überreichliche Kost im Studentenklub in 
Helsingfors (nach Syndström) mit 150g Eiweiß und fast 
4000 Calorien. 

Nr. 3. Die Ernährung eines Kopenhagener Arztes (nach 
Jürgensen) mit 126g Eiweiß. 

Nr.5. Die sehr reichliche Kriegsverpflegung (1870) 
einrückender preußischer Soldaten (nach C. Voit) mit 
157 g Eiweiß. 

Nr.6. Die kaum minder ausgiebige Garnisonsverpfle- 
gung des bayerischen Heeres (nach C. Voit) mit 126g. 
Eiweiß. 

Nr. 7. Die sehr reichliche, wenn auch monotone Kost 
russischer Landarbeiter (nach Erismann) mit 132 g Rein- 
protein. 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 71i 


Nr. 8. Die Kost von Bergarbeitern aus dem Rhein- 
lange (nach Steinheil) mit 133 g Rohprotein. 

Nr. 12. Jedoch auch die gemischte japanische Kost 
(Selbstversuch von Kumagawa) muß als reichlich bezeichnet 
werden, trotzdem sie mit 86g Reinprotein auskommt; denn 
dabei ist zu beachten, daß es sich um ein Individuum von nur 48 kg 
Körpergewicht gehandelt hat. 

Auch die scheinbar frugale Ernährung der Nesapolitaner 
(Nr. 9—11) gehört wohl mit Rücksicht auf das geringe Normal- 
gewicht der Versuchspersonen hierher. 

In allen diesen Fällen hat die auf 1 kg Körpergewicht 
umgerechnete Tryptophanmenge sich zwischen 0,032 und 
0,046 g bewegt. Scheidet man die in bezug auf ihren Ernährungs- 
zustand nicht über jeden Zweifel erhabenen Fälle Nr.4 (Vor- 
steherin eines Kopenhagener Mädcheninstituts) und Nr. 10 
(neapolitanischer Schuhflicker) aus, so engen sich diese Grenzen 
auf den immerhin engen Bereich von 0,036—0,046 g Trypto- 
phan pro kg Körpergewicht ein (bei einem mittleren Trypto- 
phangehalte der Nahrungsproteine von 2,0—2,4%). Es ent- 
spricht dies für einen Menschen von 70 kg einem Tagesbedarfe 
von 2,5—3,2g Tryptophan. 


b) Atypische Ernährungsformen. 


Bei dem Beispiele Nr. 13 handelt es sich um ein zum Skelette 
abgemagertes 20jähriges Mädchen vom Gewichte von 
35 (!) kg, dem infolge dyspeptischer Beschwerden nur flüssige 
Nahrung (bestehend aus Milch, Eiern, Butter und Zucker) 
beigebracht werden konnte. Die Tagesaufnahme an Eiweiß 
(ca. 100 g) und an Tryptophan (2 g) war eine normale. Die Trypto- 
phanaufnahme pro kg Körpergewicht war jedoch (infolge der ganz 
abnormen Kleinheit des letzteren) größer, als in irgend einem ande- 
ren der von uns studierten Fälle, nämlich 0,057 g. 
~ Auch bei dem Beispiele Nr. 14 handelt es sich um aus- 
schließliche Ernährung mit flüssiger Nahrung; dasselbe 
betrifft einen Fall von Oesophagusstriktur nach Salzsäurever- 
ätzung. Die Tagesaufnahme an Roheiweiß betrug in diesem 
Falle 82 g; diejenige an Tryptophan (pro Kilo Körpergewicht) 
lag mit 0,037 g innerhalb der normalen Breite. 

Als Beispiele chronisch unterernährter, anscheinend 


72 O. Fürth und F. Lieben: 


auf einen niedrigen Nahrungsbedarf eingestellter In- 
dividuen von geringem Körpergewicht mögen die beiden 
Neapolitanerinnen (Fall 15 und 16) dienen. Die Tryptophan- 
aufnahme pro Tag liegt hier (mit 0,032 bzw. 0,028 g pro Kilo 
Körpergewicht) wohl schon unter der Grenze des Normalen. 


c) Rein vegetarische Ernährung. 


Die Beispiele 17 bis 22 betreffen rein vegetarische Ernährung. 
Auch bei der Beurteilung derselben ist auf den Umstand wohl 
zu achten, daß es sich größtenteils um Individuen von recht 
geringem Körpergewicht gehandelt hat. 

Ein besonderes Interesse bietet wohl der von Yukawa 
sorgfältig studierte Fall Nr. 18. Er ist aus einer großen Reihe 
von Beobachtungen über die rein vegetarische Diät der Insassen 
japanischer Klöster herausgegriffen. Es handelt sich um einen 
jüngeren, schon seit 2 Dezennien im Kloster ansässigen Mann von 
nur 43 Kilo Körpergewicht, der mit 35 (!) g Rohprotein und 
0,020 g Tryptophan pro Kilo und Tag offenbar sein Aus- 
langen gefunden hat. 

Ein Seitenstück dazu bildet das (von Cas pariund Glässner) 
beobachtete seit vielen Jahren streng vegetarisch lebende Ber- 
liner Ehepaar. Die früh gealterte Frau hat bei einem Körper- 
gewicht von 58 kg sich mit 35 g Rohprotein in toto und mit 
0,017 g Tryptophan pro Tag und Kilo begnügt. Der 70 kg 
schwere Mann hat mit seiner Tagesnahrung in 52 g Rohprotein 
auch nur 0,019 g Tryptophan pro Kilo aufgenommen. 

Bei den anderen in unseren Tabellen figurierenden Vegeta- 
riern (Nr. 17 19, 20) finden wir bei einer Tagesaufnahme von 
50—74 g Eiweiß einen Tagesbedarf von immerhin 0,027 bis 
0,030 g Tryptophan pro Kilo, Zahlen, die von der unteren 
Grenze des Normalen noch nicht allzuweit entfernt sind. 


d) Versuche über minimale Eiweiß- und Tryptophan- 
aufnahme. 


Wie schon erwähnt, kamen für uns nur Versuche mit posi- 
tiver Stickstoffbilanz in Betracht. 

Von besonderem Werte für die uns interessierende Frage 
erscheint (Beispiel Nr. 23) ein über 10 Monate ausgedehnter 
sorgfältiger Selbstversuch von R.O. Neumann, bei dem sıch 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 73 


(bei einer nicht allzureichlichen aber genügenden Ernährung von 
durchschnittlich 2400 Calorien und 57g Reinprotein pro Tag) 
der tägliche Tryptophanbedarf pro Kilo Körpergewicht 
auf 0,018 g eingestellt hatte. 

Diesem reiht sich (Beispiel Nr. 25) ein allerdings nur 6tägiger 
Selbstversuch von V. O. Siven an mit einer Tagesaufnahme von 
54 g Rohprotein und 0,017 g Tryptophan pro Kilo. 

Ein ähnliches Resultat ergaben auch die Selbstversuche von 
M. Hindhede und F. Madsen (Nr. 27—29) bei einer zwar 
calorienreichen, jedoch fast ausschließlich aus Kartoffeln, bzw. 
Schwarzbrot und Margarine bestehenden Nahrung mit täglich 
51—67 g Rohprotein und 0,017 —0,020 g Tryptophan pro Kilo. 

Der Selbstversuch von K. Thomas (Nr. 31) mit ausschließ- 
licher Weizenbroternährung fällt aus der Reihe, da mit diesem 
tryptophanreichen Nahrungsmittel im Tage 0,026 g Tryptophan 
pro Kilo eingeführt worden sind. 

Es verbleiben noch einige Versuche von allerdings sehr 
kurzer Dauer, bei denen es unter besonders günstigen Verhält- 
nissen ohne Störung des N-Gleichgewichtes gelungen ist, die 
Eiweiß- und Tryptophanaufnahme noch wesentlich tiefer herunter- 
zudrücken. 

Beachtenswert erscheint mit Rücksicht auf seine immerhin 
mehrwöchentliche Dauer ein Selbstversuch von F. Hirschfeld 
(Nr. 24), bei dem die tägliche Reinproteinaufnahme auf 37g, 
das Tryptophan pro Kilo auf 0,013 g abgesunken ist, 

Noch etwas tiefer kam V. O. Siven (Nr. 26) mit täglich nur 
39 g Rohprotein und 0,012 g Tryptophan pro Kilo. 

Sehr niedrige Werte hat K. Thomas bei Versuchen von 
allerdings nur sehr kurzer Dauer erreicht: Bei ausschließlicher 
Ernährung mit Kartoffeln und Fett 28 g Reinprotein und 0,013 g 
Tryptophan pro Kilo und Tag. Ferner bei sehr kohlenhydrat- 
und calorienreicher, aber eiweißarmer Ernährung: Im Tage 4l g 
Reinprotein und 0,014 g Tryptophan pro Kilo bzw. 39 g Rein- 
protein und gar nur 0,010g Tryptophan pro Kilo. 

Einzig in ihrer Art dastehend sind endlich die Resultate von 
E. Abderhalden, G. Ewald, A. Fodor und C. Rösel). Die 
Versuchsperson (Röse) ernährte sich durch 54 Tage ausschließlich 

1) Pflügers Arch. f. Physiol. 160, 511. 1915. Vgl. auch: Abder- 
haldens Lehrbuch. 3. Aufl., 2. Bd., S. 1379. Ä 

Fortsetzung auf S. 84. 























74 O. PAM und F. Lieben: 
Ta belle N. 
| e á 
| Cherakterisierung | 
g Autor | angabs des Versuches $ Art der Tagesnahrung 
Z © B 
a $ 
| kg 
| | Trypt. Boheiweiß 
| € 8 
1 |C. Tiger- Skandin. | Kost der körper-! 70 |Fleisch....... Ag OM 68 
stedt. Arch. 1. lich arbeitenden (Durch- | Speck!) ...... ME 0,06 24 
| l . Physiol. Klasse in einem schnitt)! Fisch ....... 4g 010 45 
i 24, 150 fianländischen Miich....... 1ll&cem 0,72 885 
| (1915). Kirchspiel Kise ........ tg 0% 12 
Butter — 16g — _ 
| Eier ........ 5g 008 08 
. Weiches Roggenbrot ) Ig 0,2 
| Roggenbrot, hart’) . 78g 09| 218 
j Boggenmehl .. .. Æg 0,06 
f Weißbrot + Haferbrot 85 g‘) 0,19 115 
| Weizenmehl .. Wg 0,06 
Gerstengrieß und an- 
dere Grützen . . . 48g 0,08 55 
Erbsen ....... Wg 00 44 
| Kartoffeln . . . 1480g 078 189 
Früchte u. Fruchtsäfte 5g — — 
Zucker ....... 2g — * 
2,52 116,1 
| Eiweiß Tryptoph 
g g g 
2 || 3.Sund- | Skandin. | Kost im Studenten- 70 Brot ........ 191 18,5 0,8 
ström. | Arch. f. kiub von Hel- (Durch-| Butter ....... 71,1 051 0,01 
Physiol. singfors. schnitt) Käse ....... 21,6 5,18 0,10 
19, 78 Mich ....... 109483 87,16 08 
(1907). Fisch . ...... %40 348 0,08 
| | Gemüse ...... 108 1.08 09 
Fleischaufschuitt 750 14,78 N 11 
$ warn . ? 49,05 
| Kartoffeln ... . .. N 660 02 
| | Grütze ....... 657,8 78 019 
| Bouillon ...... 128,2 8,05 00 
| | Tee, Kaffee m. Brot. — 5,58 0,18 
i | 150,86 32 
| Eiweiß Tryptopth. 
| g g g 
3 i| Ch. Jür- |Zeitschr.f.| Normale Ernährung: 78: Milch ....... 1018 BR 0,95 
| gensen. | Biolog. eines Kopenhage- | | Fleisch u. Fisch 297 53 0.26 
| 22, 488. ner Arztes (85 Jhr. ' | Weizenbrot .. . . . 208 21 0,80 
| 1886. | alt). 'Käse .. 2.2220. 39 1 02 
| m Butter ....... 62 — 
| l : Bayr. Bier ..... 12 = — 
| 126 2,72 
| Eiweiß Tryptoph 
| | g g g 
4 || Ch.J ür- jZeitsehr.f.| NormaleEmährung: ö8 ‘Milch ....... 134 84 08 
gensen. | Biolog. der Vorsteherin | Fleisch u. Fisch 126 2 0,47 
29, 488. eines Mädchen- i Weizenbrot..... 208 19 0,4 
1886, instituts (85 Jahre ıKäse . . 2.2 .22.. 20 6 0,12 
alt). | Butter . 2.2... 4 — _ 
| | Bier . 2: 2.20% 106 — = 
| 85 1,91 


— 


Colorimetzische Untersuchungen über das Tryptophan. VE. 75 








Tabelle II. 
mer —— 
Aufnahme 
gesamte 
à gesamte | prokg | mitior | gesamtero 
Tages- Körper- Gehalt Anmerkungen 
aufnahme | gewicht ahrungs- 
Roheiweiß | Reineiweiß und Tag 
g g g g % 

116 — 252 0,036 Ä 2,18 8070 ”) Speek enthält ca. 10% Ei- 
weiß (Fleisch = 29%). 

3) 124 g weiches Roggenbrot 

.  =98g Roggemurehä. 

3) 78 g hartes Roggenbrot 

= 85 g Roggenmehl. 
| A $ g Weißbrötchen = 50 g 
| Weizenmehl. 

Die Tryptophanmengen wur- 
den aus den Gewichts- 
zahlen der Nahrungsstoffe 
auf Grund der Tabelle I 
berechnet. 

151 — 824 0,046 2,14 3084 Die Tryptophanmengen wus- 
den auf dom Wege der Ei- 
weißzellen auf Grund der 
Tabelle I berechnet. 


128 — 272 0,087 216 — Berechnung wie 2. 


& — 1,91 0,0338 2,24 = Desgl. 


76 


O. Fürth und F. Lieben: 









2 =] 
3 £ 
: Literatur- | Charakterisierung E F 
g Autor angabe des Versuches s 5 v 9 Art der Tagesnahrung 
Z © E 
M — 
kg 
Eiweiß Tryptoph. 
g g e 
Über die | Kriegsverpflegung 70 |Brot .....2...70 02 1,48 
Kost in einrückender (Durch-| Fleisch . .. ... » = 95 ın 
öffentl. preußischer Sol- 'schnitt)| Speck . . . -. ... . 250 ’ 
Anstalten.| daten 1870. Wein .... 2... 500 — — 
Munchen. 157 8,14 
Eiweiß Tryptoph. 
g g g 
6 || C. Voit. |Üb.d. Kost: Garnisonsverpfie- 0 |Fleisch ....... 150 zı 0,49 
in Ööffentl.| gung des bayri- ,(Durch-| Reis. . . . ..... 90 7 0,20 
Anstalten.| schen Heeres. schnitt) | Kartoffeln... . . 1500 30 0.90 
München Brot .. wu... 750 2 1,48 
1876. 128 Bil 
7F. Eris- | Arch. f. |Kost der Arbeiter- 70 Schwarzbrot 862 g, Buchweizen, Graupen ?) 287 g, 
mann. |Hygiene9, bevölkerung in (Durch-| Sauerkohl *) 208 g, Rindfleisch 85 g, Kartoffeln 
28 (1889). | Zentrairußland. schnitt): 87g, Öl und Schmalz 60 g, Weizenmehl 20 g, 
getrocknete Erbsen 18 g, Schweinefleisch 12g, 
Weißbrot 9 g, -gesalzene Fische 8 g, frische 
Fische 6 g, ferner Graupen, Butter, Schwämme, 
Eingeweide, Makkaroni, Eier, Würste, Speck 
im Gesamtgewicht von 10 g °). 
8HE.Stein-| Z. f. Bio- | Kost deutscher 70 Gebrannter Kaffee 12 g, Zichorie 2 g, reines 
heil og. 13, 41 Bergleute b. Ems. |(Durch-| Fleisch 68 g, Fett 12 g, geräucherter Speck 
(1877). ischnitt)| 48 g, Kochsalz 18 g, Schwarzbrot (Roggen) 
782 g, Butter 45 g, Kartoffeln roh 274 g, desgi. 
gedämpft 240 g, weiße Bohnen 63 g, Erbsen 
42 g, Gries (Gerste) 81 g, Linsen 58 g, Weizen- 
mehi 8g, Essig 9g, Reis 81 g, Rüböl 2g. (S. 421.) 
9| L Man- | Arch. f. | Kost eines Neapoli- 68 Tabelle IV, 8. 581. ; 
fredi. Hygiene taners (40 jähri- Mittags: Fisolensuppe u. Makkaroni u. Brot. 
17, 552 ger Tischler). Abends: Getrockn. Schweinefleisch u. Brot. 
(1888). Eiweiß Tryptoph. 
8 g 
Bröt ecr na 812 172 0,43 
Fisolensuppe u. Makkaroni ? 29,5 0,74 
Brot a e un se 888 188 0,47 
Schweinefleisch getr. . .1560 46,0 0,87 
111,8 2,61 
10 L. Man- | Arch. f. | Kost eines Neapoli- 55 Tabelle I, 8. 576. 
fredi. Hygiene taners (34 Jähri- Mittags: Karfiolsuppe m. Fleisch u. Brot, 
17, 552 ger Schuhflicker). Abends: Käse u. Brot, 
(1898). Eiweiß Tryptoph. 
| g 8 g 
Brot 5%. 2 0503 468 3,7 0,64 
R Käse (Parmesan) . . .. 564 94 0,19 
Fleisch (Eingeweide) ? 14 0,92 
| 86,5 1,78 


Colorimetzisehe Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 77 





0,044 


0,043 


0,048 


0,040 


0,082 


Berechnung wie 2. 


Desgl. 


Desgl. 

1) Schätzungsweise wurde 
Trypt.-Gehalt mit 25 als 
Mittelwert für vegetabl. 
Eiweiß angesetzt. 

1) Sauerkohl = Sauerkraut, 
angenommen mit 4% 
Tryptophan. 

s) Wurde vernachlässigt. A 

Die Daten sind genau be- 
rechnete Mittelwerte der 
Kost einer Kostgemein- 
schaft (Artele). 


Berechnung wie 2. 


Desgl. 


Desagl. 


18 O. Fürth und F. Lieben: 


























| e d 
| 4 £ 
— j = 2 
T Literatar-| Charakterisierung | % © $ 
5 l Autor angabe das. Versuches > s | Art der Tagesnalırung 
| | 2 © 
| » 
| | kg 
Bir — —— Me Sn ner engen gg — ge ee u een orten Fee — — or —— — 
11 | L.Men- | Arch. Kost eines Neapoli- | 50 Tabelle VII, 8. 688. 
fredi Hygiene taners (25jähri-' Mittags: Makkaroni mit Tomatensauce, Brot. 
17, 562 ger Lazzarone). ! Abends: Gebackener Fisch u. Brot. 
(1898). Eiweiß Tryptoph 
| g 8 g 
Brot .....:.. ‚482 25 068 





Makkaroni mit Sauce 689 413 1.U8 
Gebackener Fisch . .100 112 9. 


| 79,0 1,59 
12 |M.Kumsa- Virchows | Gemischte japani- 45 8. 398. 
gawa. |Arch. I16,| sche Kost (Selbst- Roher Reis 485 g, Rindfleisch mager IR g. 
876. 1880. versuch). Hechtfleisch 48 g, Kier 95 g, Kohlrüben 36 g. 


Zwiebel’) 148g, Miso ®) 40 g, Rohrzucker 65. 
Schoju®) 57 oem, Bier 849 ccm, Teeinfu— 
1157 ocm, Wasser 458 ccm. 


d 














13 | G.K lem- | Zeitschr. {| Ernährung eines 85 15.50. Roheiweiß Trmt 
perer. |klin. Med.| hochgradig abge- g g 
16, 550. magerten 20 Jähri- Milch) ..... 21 Cñ 1.9 
ı 188. gen Mädchens Klier 152%.“ .- 8 8Stck. 38,6 8.70 
,  (dyspeptischen | Butter 2.20% 60 g 0.4 0al 
| | Beschwerden)mit Zucker . 2.2.2... 90 g = = 
| | flüssigerNahrung. 5 201 
14 |G. Klem- | Zeitschr. f. Ernährung eines 46 S. 600. Boheiweiß Trypt 
perer. |klin.Med.| 24jährigen Man- g 8 
16, 50. nes mit Oesopha- Mileh aaae.’ 21 62,5 18 
18830. gusstriktur nach Eier... 22.2. 2 Stck. 122 03 
Salzaäurever- Butter . ..... 40g — _ 
| ätzung. Brot........ 100 g 7.0 0,18 
81,7 1,71 
18 | L.Man- | Arch. f. | Schwer unter- 381 ‚8.578, Tabelle IIL 
fredi. Hygiene ernährte 70 jähri- Mittags: Pastasuppe u. Brot. 
17, 552. ge Tagelöhnerin Abends: Ralımkäse u. Brot. 
1593. aus Neapel. Eiweiß Tryptoph 
8 g g 
. Brottj e ara a 8% 807 16,9 0.42 
Pastasuppe $) .... 25,0 0.9 
Rahmkase . . 2... 50 98 0,2% 
| 
) 


L.Man- Arch. f. | Unterernährte 40j. 48 S. 570. , 
fredi. Hygiene Arbeiterin aus — Schellfischsuppe u. Brot. 
| 
| 





17. 502. Neapel. Abends: Sardinen mit Öl u. Brot. 





| 1883. Eiweiß Tryptopl- 
g [4 
| I Brot 8 ya ae wis 430g 37 059 
| Schellfisch u. Sardin. 41,4 0,0 
5 
N 
l 


48, Reis 600 g, Miso?) 100 g, Kohlrüben 300 g, Roh 
zucker 28 g, Schoju!) 10 ccm, Bier 59 eem, 
Teeinfus 583 ccm, Wasser 978 ccm. 


17 !IM.Kuma-' Virchows | Vegetabil. japan. 
| gawa. Arch. 116, Kost. (Mittel von 





| 





1376. 1859. 9 Tg.. Selbstvers.) 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 79 











Anmerkungen 
79 — 180 0,088 240° — Berechnung wie 2 
— 3 1,80 0,089 2.00 — Tryptophan aus Reinprotein 
berechnet. 


2) Zwiebel. Veget. Eiweiß mit 
2% Trypt. angesetzt. 
2) Halbweiche Masse, durch 
Gärung aus Sojabohnen 
l erhalten. 
3) Sauce aus Sojabohnen und 
Weizenmehl durch Gärung 


erhalten. 

100 — 2,01 0,057 2,02 — 1) 100 cem Milch angesetzt 
mit 0,065% Tryptoph. 

82 — 1,71 0,087 2,08 — 

52 — 1,22 0,082 2.85 — 1) Weizenbrot. 

k 1) Mittelzahl aus Zerealien- 

mehl 24% Trypt. ange- 
nommen. l 

65 — 1,84 0,083 2,06 — 


50 1,82 0,027 2,60 — 1) S. Anmerkung bei Nr. 12. 








Archiv 41, 


versuch. 


(Mehr- 


I feld. 
| 


! 
N 


533. 1887. 


wöchiger Selbst- 


versuch eines 24- 
jährigen Mannes.) 








80 O. Fürth und F. Lieben: 
| a El 
ie © 
| — 
Pl $ el 
5 |l Literstur-| Charakterisierung | 8 ® 
5 Auto angabe des Versuches | 253. Art der Tagesnahrung 
z Io E 
mo $i 
i kg | 
ee ge en a — — 
18 | G. Yu- Arch. f. | Rein vegetarische | 483 S. 600, 497. 
| kawa Verdau- Kost japanischer Gerstenreis 488 g, Reisbrei 822 g. gekochtes Th 
| ungrkrank-- Bonzen in eineın kuhan ') 72 g, Misosuppe ®) 418 g, Anmochi' 
heiten 15, | Kloster. (34 jähri- 210 g. Tee 510 g. 
| 471. 1900.) Mann bereits seit 
! 18 Jahren im Klo- 
| ster.) 
18: G. Yu- Arch. f. | Deagl. 50 S. 517, 498. 
| kawa Verdau- | (70 jähriger Mann, Gerstenreis 1906 g, Reisbrei 675 g, gekochter 
ungakrank- seit 6O Jahren im Rettich 274 g, Takuhan R2 g, Spinat IS € 
| heiten 15,| Kloster.) Tee 680 g, Jake!) 270 g. 
il 471. 1909. 
il 
20 Th. Rum pfii Zeitschr. f.| Kost eines 19 jähri- 68 S. 155. 
| und Biol. 39, gen Vegetariers. Grahambrot 884 g, Äpfel!) 1161 g, Datteln’ 
O.S c hu m mi 153 (1%00).| (Mittel aus Btägi- 200 g, Oats (Hafermehl) 141 g, Reis IW 3. 
gem Versuch.) Zucker 75 g, Wallnüsse 28 g. 
21 | W. Cas- |Zeitschrift! Kost eines Ehe- 70 8. 474. 
| pari u. |f.physikal] paares in Berlin, Kaffee 20 g, Zucker 46 g, Datteln 890 g’), Hasel- 
| K. G1AB-' u. diätet. | seit vielen Jahren nisse 118g, Leinðl 154g, Kartoffeln 100% 6. 
ner. Therapie 7,| Vegetarier. (49- Karotten 80g ?). 
| 475 (10904). jähriger Mann.) | 
2 | W. Cas- :Zeitschrift | Desgl. 58 S. 478, 
| pariu. {L.physikal.| (4Sjähriee Frau, Kaffee 20 g, Leinöl 95 g, Kartoffeln 1081 ç, 
| K. Gläß-| u. diätet. früh gealtert.) Karotten 80 g, Kakos 100 g'). 
ni ner. herapie 7. 
| 475 (1904). 
28 R. O. N e u 4 Archiv für | Eiweißminimum- 66—67 | Tagrsnahrung im Mittel Eiweiß 66 g, Fett 83 ç. 
mann. | Hygiene versuch. (Mittel- Kohlenhydrat 280 g, Alkohol 44 ç. 
45, 1 wert aus Selbst- 8. 32. Beinprot. Trypt. 
| (1902). versuch von 10- g 8 g 
| monatl. Dauer). Rindfeisch . ... . 4 788°) 0,18 
| Schinken . ..... 4 0,89 0,02 
j! ! Hering .......2 2,88 0,16 
I Cervelatwurst ... 7 1,12 0,02 
? Blutwurst ..... 87 881 0,07 
| Dr Be 37 450 0,08 
| Milch .. 120 4199 0.10 
| Butter sassa’. 24 0,17 0,91 
ji Käse . . 2.2222. 86 58:1) Oll 
i Quark . . 2.22... 18 57) Otli 
! Schweinefett .... 21 — — 
| Poba aeeai Sl 1849 08 
Kartoffeln ..... 68 02%) 0,8 
N Zucker sse’. 10 — = 
| J . 9 = _ 
| Bler........ 1223 7549 0,17 
| 67,24 1,22 
A — h-| Pflügers | Eiwelßminimum- 13 8. 542 


Kartoffeln 500 g'\, Butter 150 g, Reis 150 g, 
1 Ei, Milch 100 g, Bier 1'/, 1, Wein !/,1, Kaffee 
20 g, Zucker 600 g. 


Colorimetxische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 81 





5 — 1,48 


86 — 0,97 0,017 
[ 57 1,22 0,018 
42 3 0,97 0,013 


Biochemische Zeitschsift Band 122. 


3,78 


218 


1700 


> 





Anmerkungen 


1) Takuhan = großer Wasser- 
rettieh. Trypt. = 2% an- 
genommen. 

f) Speise aus Reis und Erb- 


sen. 
5) Speise aus Reis und Boh- 
nen. 


Siehe oben. 
3) Alkoholisches Getränk aus 
vergorenem Reis. 


1) Tryptophan im Eiweiß 
schätzungsweise mit 2% 
angesetzt. 


t) Schätzungswert im Eiweiß 
mit 2% Tryptophan. 


3) Als Weizenmehl berechnet. 


1) Beim Fleisch werden 100 
Roheiweiß=:88 Reineiweiß 
angesetzt. 

2) Kuhmilch enthält nach 
König (8. Aufl.) im Mittel 
0,55%, Beinprotein (i. e. 
Kasein + Albumin). 

») Im Käse nach Schulze u. 
Barbiei (König I, 828) Re- 
lation Beinprotein: Roh- 
piotein = 2: 38, 

*) Im Roggenmehl nach 
M. Fischer (König I, 470) 
Rohprotein; Reinprotein = 
11,2: 9,7. 

+) Nach eigenen Analysen in 
Kartoffeln Rohprotein : 
Reinprotein = 94:06. 

°) Als Gersteneiwelß gerech- 
net nach Farsky (König I, 
518) Rohprotein: Reinpro- 
tein = 7,6: 6,7. 


Zwei Versuchsreihen ergaben 
positive N-Bilanz bei Aut- 
nahme v. 40—45 g Rohpro- 
tcin resp. 85—410 g Reinprot. 

1) Siehe Nr. 28 Anns. 6. 


6 


82 O. Fürth und F. Lieben: 








l = g | 
8l 
3 Literat Charakterisierung ' F a 
ratur- À E 
E Autor Angabe des Versuches | A ə g Art der Tagesnahrung 
z | j :> £ 
| M 
i kg 
25 | V. 8Siven. Bkandin. Eiweißminimum- S. 111, Serie IIL 
i Archiv fü versuch, (Selbst- Roggenbrot 140 g, Butter 100 ge, Zucker © g. 
| Physiol. versuch, 6tägig.) Tee 600 g, Milch u. Sahne 430 g, Katice Ang. 
10, 9 Bier 8830 g, Kartoffeipüree 200 g. Reisgrütze 
(1900). 200 g. 
2 !V.O.8iven| Skandin. | Deagl. Serie IV. 
Archiv fü Roggenbrot 140 g, Butter 116 g, Tee 00 g. 
Physiol.10 Zucker 100 g, Kaffee 300 g, Sahne 45 g, Äpfel" 
91 (1900). 20 u, Kartoflelpüree 300 g, Bier 39 g. 


70 Periode III, 8. 112 u. 118. 
dhede. [Archiv für selbstversuch. (8- Kartoffeln 2857 g, Margarine 157 g. 
tägig, ausschließl. 
Ermmähr. m.Kartof- 


feln u. Margarine.) 






| 
I 
7 | M. Hin- | Skandin. | Eiweißminimum- 
| 
| 


| 
| 
| M. Hin- | Skand. 


e e 
2 2 


Schwarsbrot und 
Margar.; 6 Tage). 


i 1914. 


| 


W Desgl. 72 S. 162 (10 Tage). 
' dhede. |Archiv fü (Versuch von Fre- Kartoffeln 3950 g, Margarine 225 g. 
| Physiol deric Madsen, hat 
30, 7 August b. Novem- 
(1918). ber 1012 ausschl. 
| von Kartoffeln u. 
Margarine gelebt.) 
%»' M. Hin- | Skandin. | Eiweißminımum- 66 S. 381. 
| dhede. :Archiv fü versuch v. Holger Tägliche Kost: Schwarzbrot 816 g, Margarine 
Physiol. Madsen. (Ausschl. 127 g. 
| 81, 259. Ernährung mit 
| 
| 


| 





1909, Bilanz.) | | 
S. 219. ! | 


80 | K.. Tho- hiv Eiweißminimum- co S. 29 u. 381. 
mas, (An. u.) selbstversuch bei Tägliche Kost: Kartoffeln 2700 g, Butter 182g 
| Physiol ausschließl. Er- (vernachlässigt). Öl 21 g, NaCl 32 g. 
| 1909, nährung mit Kar- 
! 8. 219. toffeln und Fett. 
i! (1 tagiger Versuch 
| m. pos. N-Bilanz, 
| sonst Bilanz neg.) ` 
31 | K. Tho- |Archiv für| Desgl. 4 S. 283, 29%. 
| ma s8. (An. u.) (bei ausachl. Er- Tägliche Kost: Weizenbrot 1200 g. 
| Physiol. nähr. mit Weizen- 
| 1909, brot. (1 täg. Yers. 
| | 8.219. | m. pos. N-Bilanz.) 
32 | K. Tho- [Archiv für Desgl. 72 ' S. 295. ` 
| mans. (An. u.) (bei kohlehydrat- Weizenmehl 500 g. Stärke 100 g, Milchzurker 
| Physiol reicher Nahrung. ! | 20 g, Rohrzucker ZU g, Butter %0 g. 
! 1909, ltägiger Versuch | 
| 8. 219. | m.por. N-Bilanz.) ı | 
30 | K. Tho- !Archiv für, Desgl. | 72 B. 29. 
| mas. (An. u.) (Ltägig. Versuch i Fleisch 200 g, Milchzucker 600 g, Stärke %0 g 
| Physiol. mit. positiver N- | Rohrzucker 50 g, 2 Zitronen (vernachlässigt). 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VL 83 





Anmerkungen 


Rohelweiß | Beineiweiß 
g 8 





> = Für Roggenbrot u. Kartoffeln 
Bohprotein in Reinprotein 
umgerechnet und der Be- 
rechnung zugrunde gelegt. 

Milch mit 0,065 % Tryptoph. 
angesetzt. 


1,82 2477 1) Für Äpfel im Eiweiß 
Schätzung 2% Tryptophan. 


n = 0,71 0,012 


5I ca. 86!) 1,16 0,017 8,8 8500 1) Umrechnung nach Belatio.i 
von M. Kreusler (König I, 

710), Mittel f. Kartofl. 2,88% 

Rohprot., 180% Beinpro- 

tein m. 8,8% Tryptophan. 


i ca. 4!) 1,44 0,020 88 6086 1) Siehe Nr. 27. 


[l 

23 ca. 8000° | 816 Roggenmehl m. 10,688 N, 
entspr. 688 g Roheiweis. 
Im Roggenmehl entspre- 
chen nach M. Fischer 
(König I, 470) 100 g Roh» 
protein 86,4 g Reinprotein. 
Daher 66,8 g Boheiweiß 
entsprechen 57,7 g Rein- 
protein. Roggenprotein 
enthält 28% Tryptophan. 

883 3200 | 2700 g Kartoffeln m. 7,158g N 
entsprachen 44,7 g Rohpro- 
tein. Vom N der Kartoffeln 
sind (8. 288) 68% Eiweiß-N. 
Demnach sind von 7,158 g 
N nur 4,51 g Reinprotein N, 
i. e. 28,1 g Reinprotein mit. 

% Tryptophan. 

25 8020 1200 g Brot enthielten 17,47 g 
N (entsprechend 109 g Roh- 
protein mit 714% Rein- 
protein i. e. 78 g Reinprot. 
mit 25% Tryptophan. 

25 6100 Berechnung analog Nr. 81. 
(Eiweißgehalt der Butter 
vernachlässigt.) 


45 28 0,98 0,018 


a 1,01 0,014 


44 8 0,89 | 0,010 18 8687 200 g Fleisch mit 7,04 g N, 
davon 6,16g Reinprotein-N 

| (87,5% nach 8.288) L e.88,5g 
Reinprotein. Rindfleisch 

enthält 1,8% Tryptophan. 


6* 


84 O. Fürth und F. Lieben: 


mit Kartoffeln, Brot, Fett und Zucker, ohne wesentlich an 
Körpergewicht einzubüßen. „Während der Zeit, in der der Stick- 
stoff nur in Form von Kartoffeln zugeführt wurde, kam Röse 
mit 4,0 g N aus. 4,0-6,25 = 25 g Eiweiß Roheiweiß). Bei 
Brotnahrung waren zur Wahrung des N-Gleichgewichtes 7,0 bis 
7,5 g N erforderlich.“ 

25 g Rohprotein aus Kartoffeln entepricht (s. o. Barnstein) 
17,3 g Reinprotein, mithin auf Grund unserer Bestimmungen 
0,57 g Tryptophan pro Tag resp. 0,009 g Tryptophan pro 
Kilo und Tag. 

Für Weizenbrotnahrung ergibt sich (8.0.): 7 g N ent- 
spricht 44 g Rohprotein, resp. 33 g Reinprotein, d. i. 

0,83 g Tryptophan pro Tag oder 
0,013 g Tryptophan pro Tag und Kilo. 

čs sei bezüglich derartiger und ähnlicher Versuche von kurzer 
Dauer nachdrücklich hervorgehoben, daß der Beweis, daß der- 
artige Minimalwerte der andauernden Ernährung eines Indivi- 
duums, geschweige denn weiterer Volkskreise genügen könnten, 
weder erbracht, noch aber auch beabsichtigt worden ist. 

Unsere Schlußfolgerungen sind in der Zusammenfassung 
(s. u.) wiedergegeben. 


Zusammenfassung. 


l. In bezug auf die Tryptophanbestimmung in Nah- 
rungsmitteln hat sich für Fleischwaren, Eier u. dgl. die ein- 
fache colorimetrische Bestimmung nach Lösung einer abgewogenen 
Probe in starker Alkalilauge in der Wärme als brauchbar erwiesen 
Dieselbe versagt jedoch bei stärkereichen Stoffen (wie Cerealien. 
samen), fettreichen Materialien (wıe Käse) und bei tryptophan. 
armen vegetabilischen Produkten. 

2. Der Tryptophanbestimmung in Cerealiensamen 
und Mehlen muß die Abtrennung der Eiweißkörper vorangehen 
und zwar einerseits der globulinartigen Proteine (durch 
Extraktion mit einer verdünnten Salzlösung in der Kälte) und 
andererseits der alkohollöslichen Protamine (durch Alkohol- 
extraktion in der Wärme). Die Globuline werden durch Essig- 
säure, die Protamine aus alkoholischer Lösung durch Wasser- 
zusatz niedergeschlagen und in bezug auf ihren prozentischen 
Tryptophangehalt untersucht. Nach Feststellung der in geson- 


Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 85 


derten Proben des Ausgangsmaterials enthaltenen Globulin- und 
Protaminmengen kann sodann der Tryptophangehalt des ersteren 
berechnet werden. 

3. Auch im Leguminosensamen, imReis u.dgl. werden 
zweckmäßigerweise die Proteine vor der Tryptophanbestimmung 
durch Schütteln mit verdünnter Salzlösung extrahiert und man 
ermittelt nach Fällung mit Essigsäure in einer Probe derselben 
den prozentischen Tryptophangebalt. Der Berechnung des 
Tryptophungehaltes des Materiales muß die Ermittlung des Rein- 
proteingehaltes vorangehen. 

4. Aus tryptophanarmen Vegetabilien, wie grünen 
Gemüsen, Kartoffeln u. dgl. bereitet man zweckmäßigerweise 
einen Preßsaft, fällt die Proteine aus demselben durch Essigsäure 
und Wärmekoagulation und bestimmt sodann in der Fällung 
den prozentischen Tryptophangehalt. Auch hier ist für die Um- 
rechnung die Reinproteinbestimmung im Ausgangsmateriale 
unerläßlich. 

5. Bei gemischter Ernährung des Erwachsenen ist der mitt- 
lere Tryptophangehalt der Nahrungsproteine mit 2.0 
bis 2,4%, zu bewerten. 

6. An der Hand einer größeren Anzahl von Beispielen aus 
der Stoffwechselliteratur, die verschiedene in allen ihren Einzel- 
heiten bekannte Ernährungstypen betrafen, konnte der tägliche 
Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen rech- 
nerisch ermittelt werden. Derselbe kann für ein Individuum 
von 70 Kilo Körpergewicht bei freigewählter, ausgiebiger Ernäh- 
rung mit 2,5—3,2 g (i. e. mit 0,036—0,046 g Tryptophan pro Kilo 
Körpergewicht und Tag) veranschlagt werden. 

7. Die Tryptophanzufuhr kann aber sicherlich bei sonst aus- 
reichender Ernährung und unter günstigen Bedingungen sehr 
erheblich, etwa bis auf 0,017 —0,020 g pro Kilo und Tag (also auf 
die Hälfte) herabgedrückt werden, ohne daß das Individuum 
Schaden zu leiden brauchte. Kurze Zeit hindurch vermag der 
Organismus anscheinend sogar mit einer Tageszufuhr von 0,015 
bis 0,009 g Tryptophan pro Kilo auszukommen, ohne daß das Stick- 
stoffgleichgewicht sogleich einen Umsturz erleiden müßte. Wie 
lange der Organismus mit einer derartigen geringen Tryptophan- 
aufnahme auszukommen vermag, erscheint aber noch nicht 
klargestellt. 


Ein Beitrag zur Frage der chemischen Konstitution des 
Protoplasmas. 


Von 
Heinrich Walter. 


(Aus dem Botanischen Institut der Universität Marburg a. L.) 
(Eingegangen am 16. Juni 1921.) 
Mit 3 Abbildungen im Text. 


Eine genaue Gesamtanalyse des Protoplasmas läßt sich bei 
höheren Pflanzen nur sehr schwer durchführen, denn das Proto- 
plasma enthält zu viele nebensächliche Bestandteile, und die 
einzelnen Zellen sind außerdem von einer Zellulosemembran 
umgeben, wodurch es schwierig ist, größere Mengen von Plasma 
zu erhalten. Man muß sich aus diesem Grunde auf die mikro- 
chemischen Methoden beschränken. 

Eine verhältnismäßig genaue Gesamtanalyse ist dagegen 
1881 von Reinke für das Protoplasma von Äthalien der Loh- 
blüte (Fuligo varians) gemacht worden, und diese Analyse wird 
auch in den meisten Learbüchern bei Besprechung der Chemie 
des Protoplasmas angeführt in der Annahme, daß ein wesentlicher 
Unterschied zwischen höheren und niederen Pflanzen nicht be- 
steht. Es war nun interessant, einen Vergleich zwischen den 
Ergebnissen der mikrochemischen Untersuchungen und der 
makrochemischen Analyse durchzuführen. Zu diesem Zwecke 
mußte aber vor allen Dingen gezeigt werden, daß tatsächlich die 
chemische Konstitution des Protoplasmas bei höheren Pflanzen 
und Myxomyceten nicht wesentlich verschieden ist. Ich be- 
diente mich dabei der künstlichen Verdauung mit Pepsin-HCl 
und Trypsin. Beide Enzyme haben keine besonders spezifische 
Wirkung, greifen aber doch nur bestimmte Gruppen von Eiweiß- 
stoffen an. Biedermann!) hat nun gezeigt, daß das Plasma der 


1) W. Biedermann, Beitrag zur vergleichenden Physiologie der 
Verdauung VII (Pflügers Arch. 194). 


H. Walter: Chemische Konstitution des Protoplasmas. 87 


höheren Pflanzen bei künstlicher Verdauung sich sehr eigentümlich 
verhält, indem nicht vorher extrahiertes Plasma überhaupt nicht 
angegriffen wird, nach der Extraktion mit Alkohol, Äther und 
Chloroform aber Pepsin nur unvollständig verdaut, bei Behand- 
lung mit Trypsin dagegen rasch vollständige Auflösung eintritt. 
Unter den niederen Pflanzen verhielten sich Pilze, Diatomeen 
und einige Grünalgen ebenso. Spirogyra und die von mir 
untersuchte Hefe!) dagegen zeigte ein ganz anderes Verhalten. 
Wenn also, wie es die folgenden Versuche auch zeigen, Myxo- 
mycetenplasma sich ebenso, wie das der höheren Pflanzen ver- 
hält, so kann man mit einiger Sicherheit behaupten, daß die 
chemische Konstitution derjenigen der höheren Pflanzen wenig- 
stens nahe steht. 

Die Versuche wurden mit der gewöhnlichen Lohblüte (Fuligo 
varians), welche aus dem Lohehaufen einer Gerberei stammte, 
ausgeführt, und zwar sowohl mit Sklerotien wie auch mit Plas- 
modien. Als Verdauungsenzyme dienten die Präparate von 
Grübler & Co.-Trypsin sicc. und Pepsin purissimum. Das Trypsin- 
präparat wurde in 0,5%, Na,CO,-Lösung, das Pepsin in 0,3%,HCl 
aufgelöst und die Wirksamkeit mit Fibrin geprüft. Verdaut 
wurde in einem Thermostaten bei 40°C. 


Versuchsserie I. 


Plasmodien und Sklerotien, lebende oder nur durch Kochen 
getötete wurden mit Pepsin und Trypsin 24 Stunden behandelt. 
Es ist keine deutliche Veränderung wahrzunehmen, nur der 
gelbe Farbstoff ist zum Teil herausgelöst und in alkalischer Flüssig- 
keit schwach bräunlich geworden. Die makrochemische Unter- 
suchung der Verdauungsflüssigkeit ließ auf keine wesentliche 
Verdauung schließen. Auch die mikroskopische Untersuchung 
zeigt keine deutliche Veränderung, — die Zellen der Sklerotien 
sind mit Plasma gefüllt, die Umrisse der Plasmodien scharf 
erhalten geblieben. $ 

Die Sklerotien und Plasmodien wurden nun 1 Stunde in 
kochendem Alkohol absolutus, dann 2 Tage mit Äther extrahiert 
und schließlich in Chloroform aufbewahrt. Vor den Versuchen 
wurden sie erst mit Alkohol abs., dann mit Wasser ausgewaschen. 


1) H. Walter, Das Verhalten der Hefezellen gegen Proteasen 
(Pflügers Arch. 181). 


88 H. Walter: 


Zerdrückt man solche extrahierte Sklerotien, so zerfallen sie 
leicht in die einzelnen Zellen, aus denen sie bestehen. Diese 
haben eine mehr oder weniger rundliche Form und einen fein- 
körnigen plasmatischen Inhalt. In vielen Zellen befindet sich eine 





Abb. 1. Abb. 2. 


große Vakuole, wobei das Plasma oft sichelförmig 3 Wänden 
anliegt, wie es Abh. 1 zeigt. Außerdem fallen noch andere Zellen 
auf, die bei der Extraktion ihren Farbstoff nicht ganz abgegeben 
haben und deshalb gelblich erscheinen. Sie sind weniger durch- 
sichtig und haben eine derbere Membran (Abb. 2). 


Versuchsserie II. 


Solche isolierte Zellen von extrahierten Sklerotien werden 
unter dem Mikroskop mit Trypsin bei 40° verdaut. Der Inhalt 
wird allmählich immer durchsichtiger und nach 2 Stunden sind 
die meisten Zellen entleert. Es verbleiben nur die leeren Mem- 
branen. Die derbwandigen Zellen sind auch jetzt resistenter und 
werden fast gar nicht angegriffen. Behandelt man ganze extra- 
hierte Sklerotien im Reagensrohre längere Zeit mit Trypsin, 
so werden sie auch immer durchsichtiger und zerfallen in einzelne 
Flocken. Bei Betrachtung dieser Flocken unter dem Mikroskope 
hat man ein aus polyädrischen Zellen bestehendes Gewebe vor 
sich. Die meisten Zellen sind vollkommen leer. Bei den verblie- 
benen Membranen konnte ich im Gegensatz zu de Bary und 
Zopf nicht nur mit Chlor-Zink-Jod, sondern auch mit Jod- 
Jodkalium deutliche Violettfärbung beobachten. Von den Skle- 
rotien wurden die bei der Extraktion fast vollkommen entfärbten 
am leichtesten verdaut, braune dagegen schwerer angegriffen. 


Chemische Konstitution des Protoplasmas. 89 


Bei der Entstehung von Plasmödien aus Sklerotien scheinen 
sich ebenfalls nicht alle Zellen gleich zu verhalten, denn nach 
de Bary ‚führen die aus den Sklerotien frisch entstandenen 
Plasmodien eine sehr große Menge unveränderter oder deutlich 
(unter Bräunung des Pigmentes) abgestorbener Zellen in ihrem 
Körnerstrome hin und her‘!). 


Versuchsserie III. 


Auf dieselbe Weise wurden Sklerotienzellen und Sklerotien 
nach vorheriger Extraktion der Verdauung mit Pepsin-HCl 
unterworfen. Die Zellen behalten dabei immer noch Zellinhalt, 
aber das Plasma nimmt nicht mehr das 
ganze Zellumen ein, sondern nur einen Teil, 
so daß auch die Zellen mit sichelförmigem 
Inhalt die Form, wie sie auf Abb. 3 darge- 
stellt ist, annehmen. Der Zellinhalt wird 
dabei etwas blasser. Die derbwandigen Zellen 
werden nicht angegriffen. Dieses Verhalten 
stimmt ganz mit demjenigen bei höheren 
Pflanzen überein, denn bei plasmolysierten 
und extrahierten Elodeablättern, die zur 
Kontrolle genommen wurden, zeigte der Plasmaballen nach 
Pepsin-HCl-Verdauung eine gleiche Volumabnahme. Die ganzen 
Sklerotien wurden ebenfalls nicht so stark angegriffen wie nach 
Trypsin-Verdauung. Sie zerfielen nicht in einzelne Flocken, 
wurden aber so brüchig, daß sie beim Auflegen eines Deckglases 
zerdrückt wurden. 

Zum Vergleich wurden dieselben Versuche mit Plasmodien 
ausgeführt. Zu diesem Zwecke wurde mit Plasmodien durch- 
setzte Lohe in eine feucht gehaltene Glasschale gelegt. Die Plas- 
modien krochen dann meist auf den Glasboden, konnten mit 
einem Spatel abgehoben und sofort in Alkohol übertragen werden. 
In einem solchen Plasmahaufen fließen die Pseudopodien nicht 
zusammen, sondern durch das rasche Fixieren bleiben ihre Kon- 
turen auch nach der Extraktion zum Teil scharf umgrenzt. An 
ihnen konnte dann die Einwirkung der Enzyme am besten be- 
obachtet werden. 





Abb. 3. 


1) de Bary, Die Mycetozoen (Schleimpilze) 1864. S. 103. 


90 H. Walter: 


Versuchsserie IV. 


Extrahierte Plasmodien wurden von Trypsin vollkommen 
verdaut. Es verblieben nur einzelne Verunreinigungen, die zum 
größten Teile aus Lohestückchen bestanden, und eine schleimige 
Grundmasse mit einzelnen kleinen, nicht näher definierbaren 
Körnchen und zahlreichen Kalkkonkrementen (mit H,SO, 
gaben sie schöne Gipsnadeln).. Die schleimige Masse wird 
wohl mit der, von de Bary als Hülle bezeichneten identisch 
sein; sie umgibt die Plasmodien und ist von der Randschicht 
deutlich zu unterscheiden. Es handelt sich hier jedenfalls 
um keinen Eiweißkörper. Die Verdauung war schon nach 
2 Stunden zum größten Teil beendet. 


Versuchsserie V. 

Mit Pepsin-HCl blieb die Verdauung unvollständig. Zwar 
wurden die Plasmodien sehr brüchig und zerfielen meist in ein- 
zelne Stücke, doch waren die Konturen der Pseudopodien meist 
noch scharf zu sehen. 

Bei der Extraktion wurde für gewöhnlich auch der gelbe 
Farbstoff fast vollkommen entfernt, doch blieben oft einzelne 
Plasmodien mehr oder weniger braun gefärbt. Diese Braun- 
färbung ist wohl auf Vorgänge zurückzuführen, die nach dem 
Tode eintreten, denn tote Plasmodien zeigen immer eine deutliche 
Verfärbung. Reinke macht gleichfalls darauf aufmerksam, 
daß das Plastin schwer unzersetzt zu bekommen ist, und es sich 
leicht bräunlich verfärbt, wobei diese Färbung nach Auswaschen 
mit Wasser, Alkohol und Äther nicht verloren geht. Er führt 
diese Vorgänge auf Oxydation zurück; tatsächlich konnte ich 
beobachten, daß, wenn man ein Plasmahäufchen an der Luft 
liegen läßt, die äußeren Schichten sich braun färben, während 
die inneren noch gelb bleiben. Es fragt sich, ob es sich hier nur 
um eine Veränderung des Farbstoffes handelt. Jedenfalls zeigten 
solche Plasmodien, die wahrscheinlich schon vor der Behandlung 
mit Alkohol abgestorben waren, eine viel größere Widerstands- 
fähigkeit gegen die Enzyme, und wurden auch von Trypsin 
nach Extraktion nur schwer verdaut. Nach der Behandlung mit 
Alkohol ging die Verfärbung nicht weiter. Wahrscheinlicher 
ist es, daß es sich um eine nach dem Tode eintretende Zer- 
setzung der Phospho-Lipoide handelt, die nach Czapek an der 


Chemische Konstitution des Protoplasmas. 91 


Luft dunkeln. Durch diese Zersetzung könnte die Extraktion 
unvollkommen sein, und dadurch wäre dann die schwere Ver- 
daulichkeit verständlich. Zum Vergleich des verschiedenen Ver- 
haltens will ich noch eine kurze Tabelle anführen: 

Extrahierte (helle und braune) Plasmodien werden in 0,5%, 
Na,CO,, 0,3%, HCl, Trypsin und Pepsinlösung gelegt und bei 
40°C im Thermostaten gehalten: 

Nach 24 Stunden: 

l. Probe in Na,CO, und HCl nicht merklich verändert. 

2. In Trypsin: die hellen Plasmodien gänzlich verdaut, die 
dunklen teilweise angegriffen. 

3. In Pepsin: helle Plasmodien deutlich angegriffen, die 
dunklen fast unverändert. 

Nach 48 Stunden: 

1. In Na,CO, und HCl nicht merklich verändert. 

2. In Trypsin: auch die braunen Plasmodien zum größten 
Teil zerfallen und verdaut. 

3. In Pepsin: helle Plasmodien in einzelne Stücke zer- 
fallen, Verdauung geht nicht weiter, die dunklen merklich an- 
gegriffen. 

Stücke aus Na,CO, und die Reste aus dem Pepsin in Trypsin 
übertragen — vollständige Verdauung. Aus HCl in Pepsin über- 
tragen — teilweise Verdauung. 

Wir sehen also, daß sich das Protoplasma der Myxomyceten 
vollkommen analog dem Plasma der höheren Pflanzen verhält: 
vor der Extraktion wird es weder von Trypsin noch von Pepsin 
merklich angegriffen, nach der Extraktion tritt bei Trypsin- 
behandlung vollkommene Verdauung, bei Pepsin nur teilweise 
Verdauung ein. 

Was für Schlußfolgerungen über die chemische Zusammen- 
setzung des Plasmas lassen sich nun aus diesem Verhalten ziehen: 

Da das Myxomycetenplasma sich den Verdauungsenzymen 
gegenüber ebenso wie das der höheren Pflanzen verhält, was 
lange nicht für alle Pflanzen zutrifft, so ist die Verallgemeinerung 
der Resultate, die Reinke bei der Untersuchung des Plasmas 
von Äthalien des Fuligo varians gewonnen hat, berechtigt. 

Reinkes Ergebnisse waren nun folgende: 

Das lebende Protoplasma besteht zu ?/, aus einer abpreß- 
baren Flüssigkeit, dem Enchylemma von spezifischem Gewicht 


92 H. Walter: 


1,209 mit einem Eiweißgehalt von 7—8% und zu 1/, aus fester 
Gerüstsubstanz. Der größere Teil der letzteren ‚besteht aus 
einem der chemischen Zusammensetzung den Eiweißstoffen nahe- 
stehender, aber unlöslichen Körper“ — dem Plastin. 

Die lufttrockene Substanz macht 28,4%, des frischen Proto- 
plasmas aus. Der Ätherextrakt beträgt 5,36—8,13%, der luft- 
trockenen Substanz und besteht aus viel Paracholesterin und 
wenig Cholesterin (zusammen 21%), Lezithin, flüssigen Fett- 
säuren (Propionsäure, Buttersäure, Capronsäure, Caprinsäure) 
und nicht flüchtigen (Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure). 
Aus dem mit Äther erschöpften Plasma konnten mit Alkohol 
noch Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure, ein terpenähnlicher 
Stoff und ein Weichharz extrahiert werden. 

Die Cholesterine, das Lecithin und das Harz scheinen haupt- 
sächlich an die Gerüstsubtanz gebunden zu sein, denn die Ex- 
traktion der letzteren allein ergab ebensoviel von diesen Stoffen, 
wie die entsprechende Menge der lufttrockenen Substanz. 

Die meisten Fettsäuren waren nicht als Glyoeride sondern 
frei im Plasma enthalten. 

6,13%, der lufttrockenen Substanz bestanden außerdem 
aus fettsauren Calciumsalzen, die nur zum Teil in den Alkohol- 
extrakt übergingen. 

Ich habe diese äther- und alkohollöslichen Lipoide so genau 
angeführt, weil die Verdauungsversuche zeigen, daß ihnen eine 
große Bedeutung zukommt, indem vor ihrer Entfernung die 
Eiweißstoffe überhaupt nicht von den proteolytischen Enzymen 
angegriffen werden. 

Wodurch kommt nun diese schützende Wirkung der Lipoide 
zustande ? 

Eine einfache. Durchtränkung mit Lipoiden kann die Ein- 
wirkung der Verdauungsenzyme noch nicht verhindern, wie man 
aus folgenden Versuchen sieht: 

Mit Rüböl, Lecithin und Cholesterinlösungen durchtränktes 
Fibrin wurde getrocknet, 24 Stunden bei 40° mit Trypsin verdaut 
und mit entsprechenden nicht vorbehandelten Fibrinproben 
verglichen. Es zeigte sich kein wesentlicher Unterschied. Alle 
Proben zeigten die Adamkewicz-Hopkinsche Reaktion, starke 
Tryptophanreaktion mit Bromwasser, starke Biuretreaktion und 
nach Einengen Leuzinkugeln und Tyrosindrusen, 


Chemische Konstitution des Protoplasmas. 93 


Für eine chemische Verbindung der Eiweißstoffe mit Lipoiden 
trat Lepeschkin ein!): | 

Das Plasma ist gewöhnlich schwerer zum Koagulieren zu 
bringen als Hühnereiweiß; bei Zusatz von gut wasserlöslichen 
organischen Stoffen ist die Wirkung auf die Koagulation von 
Plasma und Hühnereiweiß die gleiche. Ein ganz anderes Ver- 
halten aber beobachten wir bei Zusatz von lipoidlöslichen Stoffen. 
Es zeigt sich. daß je mehr ein Stoff in Lipoiden und je weniger er 
in Wasser löslich ist, in desto geringerer Konzentration bringt er 
das Plasma im Vergleich zum Hühnereiweiß zum Koagulieren. 
Z. B. für Tradescantia discolor Äther in 3mal, Chloroform in 
7mal, Benzol in 10mal und Thymol in 21 mal geringerer Kon- 
zentration; für Spirogyra werden die entsprechenden Verhältnisse 
3, 10, 17 und 41 sein. Dieses abweichende Verhalten des Plasmas 
den lipoidlöslichen Stoffen gegenüber erklärt Lepeschkin 
dadurch, daß er annimmt, daß die Eiweißkomponente des Plas- 
mas mit den Lipoiden in lockerer Verbindung steht. Die lipoid- 
löslichen Stoffe werden sich nach den Verteilungskoeffizienten 
in den Lipoiden ansammeln, so daß sie tatsächlich in viel höherer 
Konzentration auf die Eiweißstoffe einwirken werden und dadurch 
deren Koagulation hervorrufen können. 


Mir scheint es, daß diese Versuche ebenso verständlich sind, 
wenn man keine chemische, sondern eine Adsorptionsverbindung 
annimmt. Sowohl Eiweißkörper als auch Lipoide sind Kolloide, 
also Stoffe, die ein starkes Adsorptionsvermögen zeigen. Eine 
chemische Verbindung zwischen Eiweißstoffen und Lipoiden ist 
bis jetzt nicht bekannt. Die aus verschiedenen Geweben gewon- 
nenen Lecithalbumine zeigen eine äußerst stark wechselnde 
Zusammensetzung und wie A. Mayer gezeigt hat, kann man 
durch Mischen einer kolloidalen Lecithinlösung mit einer schwach 
sauren Lösung von Eier- oder Serumalbumin einen Niederschlag 
erhalten, der in allen Eigenschaften den natürlichen Lecith- 
albuminen sehr ähnlich ist und als eine komplexe Adsorptions- 
verbindung aufgefaßt werden muß. 

Jedenfalls sind Lipoide im Plasma stets in größeren oder 
kleineren Mengen vorhanden. Wir können sie deshalb nicht zu 


1) Lepeschkin, Zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung 
des Plasmamembran (Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 29, H. 5). 


94 H. Walter: 


den Reservestoffen rechnen, sondern müssen sie als zur Kon- 
stitution des Plasma gehörig ansehen. 

In den meisten Arbeiten wird in der Hauptsache immer nur 
der Gehalt der Plasmahaut an Lipoiden betont. Um das Zustandc- 
kommen einer solchen Lipoidhaut .zu erklären, hat Czapek in 
neuerer Zeit das Gibbs-Thomsonsche Theoren herangezogen, indem 
er ausführt, daß die oberflächenaktiven Stoffe, zu denen vor allen 
Dingen die Lipoide gehören, sich in den äußersten Schichten des 
Plasmas in relativ hoher Konzentration ansammeln müssen. Ohne 
näher auf die weiteren Schlußfolgerungen, die Oberflächenspannung 
der Plasmahaut betreffend, einzugehen, will ich nur erwähnen. 
daß Czapek zu dem Schluß kommt, daß ‚die Plasmahaut eine 
konzentrierte Fettemulsion darstellt, welche gleichzeitig für Wasser 
und hydrophile Stoffe gut durchlässig sein kann“‘!). 

Diese Anschauung von Czapek kann uns aber nicht die 
Schutzwirkung der Lipoide gegenüber den Verdauungsenzymen 
erklären. Angenommen, die Verdauungsenzyme könnten nicht 
durch die äußere lipoidreiche Haut in das Innere des Plasmas ' 
eindringen, wodurch dieses vor deren Einwirkung geschützt wäre. 
šo ist es doch ausgeschlossen, daß beim Absterben, das immer 
mit einer Koagulation des Plasmas verbunden ist, diese äußere 
Haut unversehrt bleibt. Ein Riß in der Haut müßte aber die 
Schutzwirkung aufheben, und wenigstens einzelne Zellen müßten 
ihren Inhalt bei der Verdauung verlieren. Daß tatsächlich solche 
Risse in gewissen Fällen entstehen, davon kann man sich leicht 
überzeugen. Legt man Elodeablätter in eine ziemlich starke Salz- 
lösung, die Plasmolyse hervorruft, so bleibt die Kontur des 
Plasmaballens glatt und scharf abgegrenzt. Nach einiger Zeit 
aber tritt Koagulation ein, wobei sich im Inneren des Plasma- 
ballens zuerst cin farbloser Teil absondert, bis schließlich die 
Plasmahaut gesprengt und die Flüssigkeit aus der Vakuole 
herausgestoßen wird. Der Plasmaballen sinkt dabei zusammen 
und seine Konturen werden weniger scharf und unregelmäßig. 
Trotzdem werden auch solche Zellen nicht merklich verdaut. 
Noch einleuchtender sind die Versuche mit Myxomyceten-Plas- 
modien. Die großen Plasmodien könner bei den Versuchen natür- 
lich niemals unversehrt bleiben, dessen ungeachtet tritt keine 





1) Czapek, Über eine Methode zur direkten Bestinnmung der Ober- 
flächenspannung der Plasnıahaut von Pflanzenzellen 1911. 


Cheinische Konstitution des Protoplasmas. 95 


merkliohe Verdauung vor der Extraktion ein. Wir müssen somit 
annehmen, daß die Lipoide nicht nur in der Plasmahaut vor- 
handen sind, sondern daß das ganze Plasma innig von 
ihnen durchdrungen ist. Dieses muß man schon allein 
aus dem Umstande schließen, daß die lipoide Plasmahaut 
eine mikroskopisch nicht nachweisbare Dicke hat, während 
doch in einer Zelle oft erhebliche Mengen vor Lipoiden vor- 
kommen. 

Ich glaube deshalb Czapeks Anschauung folgendermaßen 
erweitern zu müssen. Das Plasma ist nach der jetzigen all- 
gemein angenommenen Anschauung ein Emulsionskolloid. Ein 
solches Kolloid hat aber nicht nur eine äußere Oberfläche, mit 
der es ans Außenmedium grenzt, sondern eine viel größere innere 
Oberfläche, die sich aus den Oberflächen zwischen dem Dispersions- 
mittel und den einzelnen dispersen Teilchen zusammensetzt. Schon 
Quincke hat darauf aufmerksam gemacht, daß wässerige Kolloid- 
lösungen die Eigenschaft haben, gleichzeitig zwei Lösungen zu 
bilden, eine kolloidreiche Lösung A und eine kolloidarme Lösung 
B, die nebeneinander bestehen und an ihrer gemeinsamen Grenz- 
fläche eine Oberflächenspannung zeigen!).“ Haben wir also im 
Plasma oberflächenaktive Stoffe, so werden sie sich nicht nur 
in der äußeren Plasmahaut ansammeln, sondern um jedes Eiweiß- 
teilchen wird sich eine ähnliche lipoide Membran bilden, die es 
vor dem Einwirken der Verdauungsenzyme schützen wird. Da 
nun die Eiweißkolloide an und für sich auch oberflächenaktiv sind, 
so können sıe sich an der Periphefie des Plasmas ebenfalls in 
etwas größerer Konzentration ansammeln, da jedoch die Lipoide 
in viel höherem Grade oberflächenaktiv sind, so werden sie immer- 
hin überwiegen. Wir kommen somit zu der Ansicht, daß, wenn 
auch die Lipoide sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren 
des Plasmas vorhanden sind, doch eine gewisse Differenzierung 
der Plasmahaut, wie sie Pfeffer in seiner Arbeit ‚Untersuchung 
der Plasmahaut und der Vakuolen’ annehmen zu müssen glaubt, 
bestehen kann. Der Unterschied wird nicht so viel ein qualita- 
tiver als ein quantitativer sein, ebenso wird auch der Unterschied 
in den Permeabilitätsverhältnissen der Plasmahaut und des Innen- 
plasmas sein. Es sei aber gleich bemerkt, daß zwingende Beweise 


1) Rhumbler, Das Protoplasma als phys. System (Ergebnisse der 
Physiologie 1914, S. 516). 


96 H. Waiter: 


für die Annahme einer die Permeabilität bestimmenden Plasma- 
haut kaum vorzubringen sind. 

Wir haben uns also die Konstitution des Plasmas schematisch 
als eine kolloidale Lösung mit mikroskopischen oder ultramikro- 
skopischen Eiweißteilchen vorzustellen. Die Eiweißteilchen, be- 
sonders die kleineren (da mit abnehmender Teilchengröße die 
Oberflächenaktivität zunimmt), werden an der äußeren Ober. 
fläche (Plasmahaut, Vakuolenhäute) dichter liegen, wodurch ein 
Gelatinieren mit teilweiser Verfestigung (Plasmameınbran) statt- 
finden kann. Außerdem werden um jedes Eiweißteilchen regel- 
mäßig Lipoidteilchen angeordnet sein, wodurch vielleicht eine 
den chemischen Verbindungen nahestehende Adsorptionsverbin- 
dung zustande kommen kann. Eine Ansammlung von Lipoid- 
teilchen muß auch an der äußeren Oberfläche stattfinden. Da die 
Eigenschaften der äußeren Oberfläche sowohl vom Zustande des 
Plasmas als auch von dem des Außenmediums abhängen, so wird 
bei Änderung des ersteren oder des letzteren die Plasmahaut 
sich gleichfalls verändern. Ebenso muß die Plasmahaut sofort 
verschwinden, wenn sie ins Innere des Plasmas gelangt und wird 
sich sofort neu bilden, wenn Teile des Innenplasmas ans Außen- 
medium grenzen werden. Durch diese äußerst feine Verteilung 
der Lipoide im Plasma wird es verständlich, daß sie selbst in fett- 
reichen Samen im normalen Zustande mikroskopisch nicht nach- 
weisbar sind (Ölplasma von Tschirch). Setzt man dagegen 
äußerst stark oberflächenaktive Stoffe hinzu wie Alkohol abs., 
Chloralhydrat, Amylenhydrat-Pyridin Reagens (nach Czapek), 
so werden die Lipoide aus den Oberflächen verdrängt und sammeln 
sich in Form von großen Tropfen im Inneren der Zelle an — es 
tritt tropfige Entmischung ein. Biedermann und Czapek!) 
zeigten, daß man auf diese Weise bei den verschiedensten Pflanzen 
und in den verschiedensten Pflanzenteilen Lipoide nachweisen 
kann. Eine tropfige Entnmischung muß ebenfalls eintreten, wenn 
durch Degeneration des Plasmas die Oberflächen zerstört werden. 
Auf diese Weise läßt sich das überaus häufige Auftreten der Fett- 
tropfen in Zellen von Gallen, Intumeszenzen, Perldrüsen usw. 


1) W. Biedermann, Mikroskop. Beobacht. an den Blattzellen 
von Elodea (Flora 1913). Derselbe, Der Lipoidgehalt des Plasmas bei 
Nonotropa hyp. und Orobanche (Flora 113). Czapek, Zum Nachweis 
von Lipoiden in Pflanzenzellen (Ber. d. deuisch. bot. Ges., 37, S. 207). 


Chemische Konstitution des Protoplasmas. 97 


erklären, oft bei Pflanzen, bei denen sie sonst nicht vorkommen, 
wie auch das häufige Auftreten von Fettropfen in alten Glycerin- 
Gelatinepräparaten. 

Ein wesentlich anderes Verhalten den Verdauungsenzymen 
gegenüber zeigt, wie ich in einer früheren Arbeit nachwies!), die 
Hefe, indem sie bereits in unextrahiertem Zustande verdaut wird. 
Es ist interessant, daß nach Kisch die Oberflächenspannung der 
Plasmahaut gerade bei den Hefen um vieles. geringer ist als bei den 
anderen Pflanzen. Czapek folgert daraus, daß bei der Hefe 
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Neutralfette die äußere 
Plasmahaut bilden, sondern Lecithine und Cholesterine, deren 
maximale Oberflächenspannungserniedrigung bedeutend größer ist. 
Vielleicht stehen diese beiden Beobachtungen in ursächlichem 
Zusammenhang. Das Neutralfett müßte sich in diesem Falle, 
wie es auch tatsächlich zutrifft, in Form von Fettropfen im 
Inneren des Plasmas ansammeln. Es zeigt sich nun, daß diese 
Fettropfen vor der Verdauung nicht extrahierbar sind und diese 
wie auch andere Beobachtungen machen es wahrscheinlich, daß 
ein Eiweißhäutchen um die Fettropfen vorhanden zu sein scheint. 
Die Bildung von solchen Schutzhäutchen um suspendierte Teil- 
chen ist bei den Kolloiden eine sehr häufige Erscheinung. Man 
kann solche Häutchen um emulgierte Fettröpfchen künstlich her- 
stellen, indem man zu einer Fettemulsion etwas Seifenlösung 
(Seifenhäutchen) oder auch Eiweißlösung zusetzt. 


Wenden wir uns nun der anderen Komponente des Plasmas, 
den Eiweißstoffen zu. Wie bereits erwähnt, hat Reinke gefunden, 
daß der größere Teil des Protoplasmas aus einem den Eiweiß- 
stoffen nahestehenden Körper, dem Plastin besteht. Von den ge- 
wöhnlichen Eiweißstoffen weicht es durch seinen geringen Stick- 
stoffgehalt (12%,) und den Gehalt an Phosphor (2,15%) ab. Der 
Schwefelgehalt wurde zu 0,33%, bestimmt. Reinke nimmt an, 
daß es sich um einen an eine organische Verbindung gebundenen 
Eiweißstoff handelt. 

Der Begriff des Plastins ist in letzter Zeit stark angegriffen 
worden. Man wies darauf hin, daß es kein einheitlicher Körper sei, 
ja man bezweifelte selbst seine Eiweißnatur. So sagt z. B. Arthur 
Meyer in seiner kürzlich erschienenen Analyse der Zelle: ‚Das 


1) H.Walter).c. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 7 


e 


98 11. Waiter: 


Wort Plastin sagt also gar nichts über die chemische Zusammen- 
setzung der betreffenden Gebilde aus, ist ganz gleichwertig mit 
Verdauungsrest und der Schluß, daß die Verdauungsreste Nucleo- 
- oder Phosphorproteide sind, ist gewagt i).“ Ich glaube, daß, nach- 
dem gezeigt worden ist. daß mit Trypsin eine vollkommene Ver- 
dauung stattfindet, an der Eiweißnatur des Plastins nicht mehr 
gezweifelt werden kann. Dagegen läßt sich bei der überaus großen 
Unsicherheit, die heutzutage leider noch immer auf dem Gebiete 
der Eiweißchemie herrscht, nicht viel Genaueres sagen. Interessant 
ist es, daß das Plastin nur vom Trypsin restlos verdaut wird, 
bei Pepsin-HCl-Einwirkung dagegen immer ein deutlicher Rest 
nachbleibt. 

Vergleicht man die bekannten Eiweißstoffe in bezug auf 
ihr Verhalten dem Pepsin und Trypsin gegenüber, so sind es 
gerade die Nucleo- und Phosphorproteide, die ein gleiches Ver- 
halten zeigen wie das Plastin. Durch Trypsin werden beide voll- 
kommen abgebaut, bei Pepsin-HCl-Einwirkung dagegen wird 
bei ersterem ein Teil der Eiweißstoffe abgespalten, der Rest, das 
sog. Nuclein, scheidet sich aber aus. Auch bei den Phosphor- 
proteiden bleibt ein unlöslicher phosphorhaltiger Komplex 
zurück. Vergleicht man auch die anderen Reaktionen und den 
Gehalt an P und S, so kann man sagen, daß von den bisher be- 
kannten Eiweißstoffen, das Plastin den Nucleoproteiden und ins- 
besondere den Phosphorproteiden am nächsten steht. wenn es 
auch kein einheitlicher Körper zu sein braucht. 

Die einfachen Eiweißkörper oder die Eiweißkörper im engeren 
Sinne dagegen kann man nicht als zur Konstitution des Plasmas 
gehörig ansehen, denn sie fehlen dem lebenden Plasma meist 
vollkommen. Nur nach Behandlung mit starken Säuren oder 
Alkalien oder durch hohe Temperaturen kann man eiweißartige 
Substanzen abscheiden. Näheres findet man in den Arbeiten von 
Winterstein und Ruppel, sowie in den Zusammenstellungen 
bei Zacharias und Arthur Meyer?). Auch in den Fällen, wo 

1) A. Meyer, Morphol. u. physiol. Analyse der Zelle I. 1920. S. 500. 

2) A. Meyer l. c. Zacharias, Die chem. Beschaffenh. von Proto- 
plasma und Zellkern (Progressus rei bot. 3). Ruppel. Zur Chemie der 
Tuberkelbazillen (Zeitschr. f. phys. Chemie 1898/99). Winterstein, 
Über N-haltige Bestandteile grüner Blätter (Ber. d. deutsch. bot. Ges. 
1901). Derselbe, Über N-haltige Stoffe der Pilze (Zeitschr. f. phys. 
Chemie 26. 1898/99). 


Ohemische Konstitution des Protoplasmas. 99 


einfache Eivweißkörper im Plasma vorhanden sind, hat man sie 
als Reservestoffe oder wenigstens als Plasmaprodukte aufzufassen. 


Wir kommen somit zu folgenden Ergebnissen: 

1. Das Plasma von Myxomyceten verhält sich den Verdauungr- 
enzymen gegenüber nicht anders als das der höheren Pflanzen: 
vor der Extraktion bleiben sowohl Pepsin als auch Trypsin un- 
wirksam, nach Extraktion mit Alkohol abs., Äther und Chloro- 
form tritt bei Pepsin-HCl-Behandlung nur teilweise, mit Trypsin 
dagegen völlige Verdauung ein. 

2. Aus dem gleichen Verhalten den Verdauurngrenzynıen 
gegenüber, kann man auf eine ähnliche chemische Konstitution 
schließen. 

3. Das Plasma besteht aus einer durch Trypsin verdaubaren 
Eiweißkomponente, dem Plastin, das den Phosphorproteiden nahe 
zu stehen scheint, und einer die Einwirkung der Verdauungs- 
enzyme verhindernden Lipoidkomponente. 

4. Die Lipoide befinden sich im ganzen Plasma in äußerst 
fein verteiltem Zustande, nur nach tropfiger Entmischung werden 
sie sichtbar. Da es kein Plasma zu geben scheint, dem sie voll- 
kommen fehlen, so wird man sie als zur Konstitution des Plasmas 
gehörig ansehen müssen. 

5. Einfache Eiweißkörper fehlen dem Plasma oder sind als 
Reservestoffe aufzufassen. 


Die Bedeutung der Hämoglobin-Aminosäuren für die 
Züchtung der Influenzabaecillen. 


Von 
Martin Jacoby und Käte Frankenthal. 


(Aus dem Biochemischen Laboratorium des Krankenhauses Moabit in Berlin.) 
(Eingegangen am 17. Juni 1921.) 


Die Lehre von den Vitaminen hat sich immer mehr in der 
Richtung entwickelt, daß die Nahrung der Organismen außer 
den Hauptbestandteilen von calorischem Wert noch besondere 
Steffe enthalten muß, die für die Bildung von Zellbestandteilen 
mit Sonderfunktion notwendig sind. 

Zu Vitaminstudien sind Bakterien sehr geeignet, weil bei 
ihnen durch die Möglichkeit, zahlreiche, gleichmäßige Versuche 
anzustellen, und durch die schnelle Entscheidung des einzelnen 
Experimehtes eine vereinfachte Methodik gegeben ist. Dieses 
Vorgehen hat sich beim Studium der Rolle des Leucins für die 
Ureasebildung durch Proteusbacillen bewährt!). Durch v. Eisler?) 
wurde die Wirksamkeit des Leucins auch für die Toxinbildung 
von Bakterien festgestellt. Diese interessante Bestätigung spricht 
dafür, daß hier ein Prinzip von allgemeiner Geltung aufgedeckt 
worden ist. 

Es war also der Untersuchung wert, ob vielleicht einzelne 
Aminosäuren entscheidend für die Entwicklung von bestimmten 
Bakterien sind. Der Influenzabacillus konnte bedeutsam für diese 
Frage sein, da er ganz besondere Ansprüche an den Nährboden 
stellt, indem er nur auf hämoglobinhaltigem Nährboden wächst. 
Das Hämoglobin ist in seiner Konstitution soweit bekannt, daß 
man prüfen kann, auf welcher seiner Komponenten seine Wirk- 


1) Jacoby, Über Fermentbildung, III. Diese Zeitschr. 81, 332. 1917. 
2) Zentralbl. f. Bakteriol. 83, 353. 1919. 


M. Jacoby u. K. Frankenthal: Bedeut. d. Hämoglobin-Anıinosäuren usw. 101 


samkeit beruht. Es lag nahe, sein Hauptaugenmerk auf die Stoffe 
zu richten, die vorwiegend im Hämoglobin vorkommen. Ein 
solcher Stoff ist im Histidin gegeben. Abderhalden!) fand den 
Histidingehalt des Pferdehämoglobins zu 10,96%, während in 
den anderen Eiweißkörpern der höheren Tiere das Histidin fehlt 
oder nur in geringer Menge vorhanden ist. 


Daß der Influenzeabacillus nur auf bluthaltigem Nährboden gedeiht, 
ist zuerst von dem Entdecker des Bacillus Pfeiffer?) festgestellt worden. 
Pfeiffer untersuchte auch bereits, welcher Teil des Blutes dabei das wirk- 
same Prinzip darstellt. Als allein wirksam fand er das Hämoglobin, während 
auf reinem Serum kein Wachstum zu erzielen war. Eine Zerlegung des 
Hämoglobins nahm Pfeiffer nicht vor, sondern er untersuchte nur, ob 
die Wirksamkeit auf der sauerstoffübertragenden Eigenschaft beruht. Die 
Untersuchung zeigte, daß das Kohlenoxyd-Hämoglobin ebenso wirksam 
‚ist wie das Sauerstoff-Hämoglobin. Pfeiffer schloß daraus, daß das Eisen 
wahrscheinlich der für den Influenzabacillus lebenswichtige Faktor ist. 
Auf Eisenalbuminat konnte er jedoch kein Wachstum von Influenza- 
bacillen erzielen. 

Grassberger?) fand zuerst, daß das Wachstum der Influenzabacillen 
durch andere Bakterien besonders durch den Staphylococcus pyogenes 
aureus gefördert: werden kann. 

Ghon und Preyss*) beobachteten Influenzawachstum sowohl 
auf Nährboden, der Hämatin enthielt, als auch auf solchem, dem frisch 
gefälltes Eisenhydroxyd, in Blausäure gelöst, zugesetzt war; in beiden 
Fällen jedoch nur in der Umgebung von gleichzeitig ausgesäten Hilfs- 
bakterien. Sie schließen, daß der lebenswichtige Faktor der Teil des 
Blutes ist, der Eisen in leicht abspaltbarer Form enthält. Fine Zer- 
legung des Hämoglobins nahmen auch sie nicht vor. 

In neuerer Zeit haben sich die französischen Forscher Legouse 
und Menard’) mit der Biologie des Influenzabacillus beschäftigt. Es 
gelang ihnen sowohl aus frischen Erythrocyten wie aus solchen, die mit 
Alkohol gefällt und getrocknet waren, bei 80° eine Fraktion zu extra- 
hieren, die anstatt Hämoglobin geeignet ist, Peptonbouillon zu einem 
guten Influenzanährboden zu gestalten. 

Ferner ist die Arbeit von Wolf®) zu erwähnen, der ohne Hämo- 
globinzusatz, nur durch die fördernde Wirkung bei 60° abgetöteter Hilfs- 
bakterien Influenzawachstum auf Agar bekam. ° 

1) Zeitschr. f. physiol. Chemie 37, 484. 1903. 

s) Pfeiffer, Die Ätiologie der Influenza. Zeitschr. f. Hyg. u. Infek- 
tionskrankh. 13, 356. 

2) Zentralbl. f. Bakteriol. 23. 

4) Zentralbl. f. Bakteriol. 35. 

8) Cpt. rend. hebdom. des séances de l’acad. des sciences 190, 901. 1920. 

%) Zentralbl. f. Bakteriol. 84. 


102 M. Jacoby und K. Frankenthal: Bedeutung der Hämoglobü:- 


Olsen!) fand einen Parallelismus zwischen der Benzidinreaktion. von 
Blutderivaten, die nur bei eisenhaltigen Derivaten vorhanden und ihrer 
Eignung für das Influenzawachstum. Spektroskopisch wies er nach, daß 
Influenzabacillen Oxyhämoglobin zu Hämoglobin reduzieren. Im Gegen- 
satz zu Pfeiffer nimmt er an, daß die katalytische Wirkung des Hämo- 
globins das Wesentliche für das Influenzawachstum ist. 

Schließlich erschien naoh, während unsere Versuche im Gange waren, 
eine Mitteilung von Tocunaga®), der Influenzawachstum auf eisenfreiem 
Globinagar fand. 

Für unsere Versuche benutzten wir einen Influenzastamm, 
den uns Herr Dr. Lewinthal zur Verfügung gestellt hatte. Für 
seine Freundlichkeit sagen wir ihm auch an dieser Stelle besten. 
Dank. Die Fortzüchtung geschah auf dem Lewinthalschen 
Nährboden, auf dem der Influenzabacillus stets üppig wächst. 
Um die Reinheit unserer Kulturen fortlaufend zu kontrollieren, 
wurde bei jeder Überimpfung auf ein Lewinthalröhrchen auch 
ein Agarröhrchen geimpft. Auf diesen Röhrchen wurde niemals 
Wachstum beobachtet. Frau Professor Rabinowitsch hatte 
auf unsere Bitte die Liebenswürdigkeit, unsere Kulturen fortlaufend 
zu besichtigen. Sie hat uns die Reinheit unserer Kulturen be- 
stätigt. Auch ihr danken wir bestens für ihre Bemühung: 

In den ersten orientierenden Versuchen überzeugten wir uns 
davon, daß auf Agar mit Zusatz von reinem Serum kein Influenza- 
wachstum nachweisbar war, während auf Hämoglobin- und Blut- 
agar stets üppiges Wachstum stattfand. Dabei war es eine große. 
technische Erleichterung, daß sich das käufliche, Mercksche Hämo- 
globin in gleicher Weise wirksam erwies wie das aus frischem Blut 
dargestellte. | 

Wir wandten uns nun der Frage zu, welcher Bestandteil 
des Hämoglobins als wirksames Prinzip anzusprechen ist. In 
Bestätigung der Angaben vonLegouse und Menard fanden wir, 
daß auf dem bei 80° erhaltenen Kochsalzextrakt von Erythro- 
cyten mit Bouillon ein Wachstum zu erzielen ist, wenn auch weit 
schwächer als auf Blutnährboden. : 

Alsdann gingen wir zu Spaltungsversuchen des Hämoglobins 
über und prüften zunächst im Hinblick auf die Angaben Tocu- 
nagas die Wirksamkeit des Globins, also des eisenfreien Eiweiß- 
bestandteiles des Blutfarbstoffes. Bei der Herstellung des Globin« 


1) Zentralbl. f. Bakteriol. 85. 
23) Dtsch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 49. 


Aminosäuren für die Züchtung der Influenzabacillen. 103 


folgten wir möglichst genau den Angaben Tocunggas, konnten 
aber mit dem erhaltenen Präparat in wiederholten Versuchen 
niemals Influenzawachstum erzielen. Auch ein Globinpräparat, 
das wir nach der Methode von Schulz!) darstellten, erwies sich 
als durchaus unwirksam. Dagegen erfolgte auf dem von Tocu- 
naga für praktische Zwecke angegebenen Nährhoden, der das 
gesamte Blut in aufgespaltener Form enthält, gutes Influenza- 
wachstum. 

Schließlich untersuchten wir noch die eisenhaltige Kompo- 
nente des Hämoglobins, das Hämatin, das wir nach der Methode 
von Zeynek?) darstellten. Auf dem mit diesem Hämatin be- 
schickten Agar konnten wir in Übereinstimmung mit zahlreichen 
früheren Autoren ohne Hilfsbakterien kein Influenzawachstum 
erzielen. 

Obwohl das Globin in unseren Versuchen versagt hatte, 
waren wir uns doch darüber klar, daß trotzdem die Spaltprodukte 
wirksam sein könnten, weil ja die Angreifbarkeit durch Bakterien 
oft von scheinbar unbedeutenden Momenten abhängt. Zunächst 
richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Histidin, das, wie 
erwähnt, im Hämoglobin in erheblicher Menge vorkommt, während 
es sonst im Organismus der höheren Tiere nur spärlich vertreten 
ist. Wir. verzichteten darauf, es selbst aus dem Hämoglobin zu 
isolieren, da uns ein reines, käufliches Präparat zur Verfügung 
stand. Wir verwendeten Histidinhydrochlorid in 1 proz. wässeriger 
Lösung in der Menge von 1—2 ccm auf 10 ccm Agar. Das Histidin- 
Agargemisch wurde kurz aufgekocht und die Röhrchen dann 
schräg erstarrt. Auf diesem Nährboden konnte in zahlreichen 
Versuchen ein deutliches Wachstum vor Influenzabacillen erzielt 
werden und zwar wurden die Kulturen durch 3 Generationen 
fortgezüchtet. Dann wurden die Versuche abgebrochen. Bei 
jeder Überimpfung von Histidinagar auf Histidinagar wurde 
gleichzeitig auf Lewinthalnährboden und auf gewöhnlichen Agar 
überimpft. Jedesmal ergab sich Wachstum auf Lewinthalnähr- 
boden und zwar erheblich üppiger als auf Histidin, während das 
Agarröhrchen vollkommen steril blieb. Das mikroskopische Bild 
zeigte das typische Bild des Influenzabacillus. 

Ein zweiter, interessierender Baustein ist das Leucin, das 


1) Zeitschr. f. physiol. Chemie %. 1898. 
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie 30. 1900. 


104 M.Jacoby u. K. Frankenthal: Bedeut. d. Hämoglobin-Aminosäuren usw. 


zu 30%, im Hämoglobin vertreten ist. Wir benutzten eine 3 proz. 
Lösung von Leucin, das aus Eiweiß dargestellt war (Kahlbaum). 
Es löste sich in der Wärme klar. Wir nahmen, wie beim Histidin, 
1—2ccm auf 10 ccm Agar. Auch auf diesem Leucinagar erfolgte 
typisches Influenzawachstum, wenn auch spärlicher als auf 
‘Histidin. Die Kulturen wurden ebenfalls durch 3 Generationen 
fortgezüchtet, waren auf Lewinthalagar, aber nicht auf Agar 
übertragbar. 

Auf einem Gemisch von Histidin und Leucin im Verhältnis 
1:3, das also den Mengenverhältnissen im Hämoglobin angenähert 
‚ ist, gelang die Züchtung in gleicher Weise wie auf Histidin allein. 
Ein verstärktes Wachstum gegenüber den Histidinkulturen trat 
nicht auf. Ebenso war weder auf dem Histidin — noch auf dem 
Leucinnährboden eine Wachstumsbegünstigung bei Zusatz von 
Hämatin oder von kolloidem Eisen vorhanden. 

Unsere Untersuchungen ergeben also, daß im Influenza- 
nährboden das Hämoglobin durch die Aminosäuren, 
welche in seinem Eiweißanteil quantitativ in erster 
Linie vorkommen, vertretbar ist. Keineswegs soll aber 
behauptet werden, daß damit nun alle das Influenzawachstum 
begünstigenden Eigenschaften des Hämoglobins erschöpft sind. 
Wichtig ist aber, daß wir jedenfalls im Histidin und im Eiweiß- 
leucin Aminosäuren besitzen, welche ausreichen, um den Agar- 
nährboden zu einem Influenzanährboden auszugestalten. 

Diese Feststellung hat aber ein Interesse, welches weit über 
das begrenzte Gebiet des Bakterienwachstums hinausgeht. Wir 
sehen den Fortschritt auf dem Vitamingebiet in Befunden, welche 
in eine Reihe mit der grundlegenden Entdeckung von Hopkins 
über die Bedeutung des Tryptophans für die tierische Ernährung 
gestellt werden können. Einen ersten Schritt bedeutete die 
Aufklärung der Rolle des Leucins für die Ureasebildung der Pro- 
teusbakterien, einen weiteren die Wichtigkeit der Anwesenheit 
des Histidins oder des Leucins für die Entwicklung der Influenza- 
bacillen. Geht man auf diesen Wegen weıter, so wird das noch 
unbekannte Gebiet allmählich so eingeengt werden, daß die 
verschiedenen Forschungsrichtungen sich bald auf gemeinsamen 
Treffpunkte werden vereinigen können. 


Über Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit 
der Erythrocyten. 
II. Mitteilung. 


Von 
Wilhelm Starlinger. 


(Aus der II. Medizinischen Universitätsklinik in Wien.) 
(Eingegangen am 18. Juni 1921.) 


In einer vorausgehenden Mitteilung!) konnte ich zeigen, daß 
das Phänomen der Autoagglutination der Erythrocyten, gemessen durch 
die Geschwindigkeit ihrer Senkung, hauptsächlich von den Eiweißkörpern 
des Blutplasmas abzuhängen scheint, indem einerseits ein hoher Gehalt 
an Fibrinogen, der gröbstdispersen Fraktion desselben, durch Förderung 
der Agglutination die Senkung beschleunigt, während andererseits eiweiß- 
spaltende Vorgänge, die eine Anreicherung der Eiweißabbauprodukte be- 
wirken, durch Hemmung der Agglutination eine Verlangsamung der Sen- 
kung zur Folge haben. Zur Deutung dieser Versuche wurde in Anlehnung 
an die Herzfeld - Klingersche Theorie?), derzufolge eine Agglutination 
erst eintreten kann, wenn die „Wasserbenetzbarkeit‘‘ der suspendierten 
Teilohen, die durch Adsorption von wasserlöslichen Polypeptiden und 
Lipoidspaltstüoken geschaffen wird, eine Störung erleidet, die Ansicht 
vertreten, daß ein hoher Gehalt des Plasmas an Fibrinogen zur eigenen 
Stebilisierung einen großen Teil der vorhandenen wasserlöslichen Abbau- 
produkte an sich reißt, wodurch eine Verarmung der Erythrooytenober- 
flächen mit konsekutiver Steigerung der Agglutinationstendenz und Sen- 
kungsgeschwindigkeit eintritt, während eine Vermehrung der Abbaupro- 
dukte durch Adsorption an die Erythrocyten eine Erhöhung der Wasser- 
benetzbarkeit und damit der Suspensionsfähigkeit mit sich bringt. 

Damit waren, nachdem Fahräus?) und Linzenmeiert) bis dahin 
vorwiegend die elektro-physikalische Komponente des Vorganges experi- 
mentell berücksichtigt hatten, nun auch Anhaltspunkte für die Beurteilung 
der chemischen Komponente gegeben und dadurch neuerlich Beweise für 


21) W. Starlinger, diese Zeitschr. 114. 1921. 

2) Herzfeld und Klinger, diese Zeitschr. 83. 1917; 87. 1918. 
s) Fahräus, diese Zeitschr. 89. 1918. 

*) Linzen meier, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181. 1920. 


106 W. Starlinger: 


die kolloid-ohemische Natur des Agglutinationsphänomens erbracht, 
worauf als erster schon Landsteiner!) hingewiesen hatte, als er auf die 
wahrscheinliohe Analogie der Vorgänge, die sich bei der Ausflockung 
anorganischer Kolloide und bei der Hämagglutination abspielen, aufmerksam 
gemacht hatte. Inzwischen sind auch Fahräus?) und Linzenmeier?) 
noch vor Kenntnis unserer Versuche zu ähnlichen experimentellen Resul- 
taten gekommen, denen sie allerdings eine andere Deutung zugrunde legen, 
worauf im weiteren noch zurückzukommen sein wird. 


Im folgenden seien nun Versuche mitgeteilt, die geeignet 
erscheinen, das Wesen des Einflusses der Eiweißkörper weiter 
zu klären. Auf die Wirkungsweise der Lipoide kann in dieser 
Mitteilung noch nicht eingegangen werden und sollen diesbezüg- 
liche Untersuchungen einer späteren Veröffentlichung vorbehalten 
bleiben. 

Nachdem einerseits sowohl Fahrä.us (I. c.) als auch Linzen- 
meier (l. c.) den Einfluß des Fibrinogens auf die Verklumpung 
und Senkung der roten Blutkörperchen erkannt :haben, welches 
Ergebnis durch Untersuchungen von Sachs und Öttingen‘) 
weitere Bescätigung fand, andererseits aber Linzenmeier und 
Sachs und Öttingen die quantitative Bedeutung der Fibrinogen- 
fraktion gegenüber ihrer qualitativen vernachlässigen zu können 
glauben, während ich den primären Einfluß der Menge des Fibri- 
nogens nachweisen konnte, erscheint vor allem eine Klarstellung 
nach der Hinsicht wichtig, ob die Menge oder der Stabilitäts- 
zustand desFibrinogens von ausschlaggebender Bedeutung ist. 

Fahräus fand, daß die Größe der Globulinfraktion des Plasmas, 
die als wichtigsten Bestandteil das Fibrinogen enthält, mit Agglutination 
und Senkung parallel geht, ein Ergebnis, das wohl mehr im Sinne der quan- 
titativen Auffassung verwertbar zu scin scheint. Linzenmeier dagegen 
konnte durch verschiedene Einwirkungen physikalischer Natur erliobliche 
Änderungen der Agglutination durch die veränderte Senkung der roten 
Blutkörperoben nachweisen, wofür er in Anlehnung an die bekannten 
chemisch-physikalischen serologischen Arbeiten von Sachs und seiner 
Schule’) eine Änderung im Dispersitätszustande des Fibrinogens verant- 
wortlich machte. Sachs und Öttingen schließlich konnten feststellen, 
daß bei Schwangeren-, Normal- und Nabelschnurplasma merkwürdige 


1) Landsteiner, Münch. med. Wochenschr. 1903. 1904. 

2) Fahräus, Vortrag auf der Tagung der deutschen phvsiologischen 
Gesellschaft in Hamburg 1920; zit. Ber. d. ges. Physiol. 2. 1920. 

3) Linzenmeier, Pflügers Arch. f. d: ges. Physiol. 186. 1921. 

4) Sachs und Öttingen, Münch. med. Wochenschr. 12. 1921: 

5) Sachs. Kolloid-Zeitschr. 24. 1919. 


Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 107 


Differenzen im Ausfall verschiedener Flockungsreaktionen des Fibrinogens 
auftreten, die zur Senkung der Erythrocyten in dem Sinne koordiniert 
sind, daß das Plasma des schnell sedimentierenden Schwangerenblutes 
starke Flockung zeigt, das Plasma des langsam sedimentierenden Nabel- 
schnurblutes höchstens eine feinste Trübung erkennen läßt, während die 
im Plasma des hinsichtlich seiner Senkungstendenz die Mitte haltenden 
Normalblutes auftretende Reaktion den Übergang bildet. Die Ursache 
sollte ausschließlich im differenten Stabilitätszustande des Fibrinogens 
liegen. 

Obwohl nun kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der 
chemisch-physikalische Zustand des Fibrinogens für den Ablauf 
von Reaktionen, die es mittel- oder unmittelbar beeinflußt, von 
nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, so darf man doch keines- 
falls seine Quantität darüber vernachlässigen. Darauf weist ja 
schon die einfache Erwägung hin, daß in«inem Plasma, in dem 
Fibrinogen nur in kleinsten Mengen vorhanden ist, kaum jene 
Zahl und Größe der Flocken zu beobachten sein wird, wie in einem 
anderen, fibrinogenreichen, eine Erwägung, die ihre experimentelle 
Stütze ja schon in den geschilderten Versuchen von Sachs und 
Öttingen selbst findet, da das Schwangerenplasma einen hohen, 
das Normalplasma einen niedrigen Gehalt an Fibrinogen besitzt, 
während das Nabelschnurplasma dieses fast vollkommen entbehrt. 
Ich selbst konnte in zahlreichen Versuchen, über die demnächst. 
berichtet werden soll, einenausgesprochenen Parallelism us 
zwischen Menge des Fibrinogens und Intensität der 
Flockungsreaktionen beobachten und ebenso auch ein ent- 
sprechendes Schwächerwerden der Ausflockung bei 
künstlicher stufenweiser Verringerung des Fibrinogens 
nachweisen. Es scheint also danach wohl angängig zu sein, die 
Ansicht von der ausschlaggebenden Bedeutung der Menge des 
Fibrinogens für Reaktionen, die durch dasselbe in hohem Maße 
beeinflußt werden, in unserem Falle für das Hämagglutinations- 
und Flockungsphänomen, ausdrücklich zu vertreten. Daß daneben 
der physikalisch-chemische Zustand eine große Rolle spielt, gerade 
was die hier zu behandelten Stabilisationsvorgänge anlangt, ist 
auch vom Standpunkte der hier vertretenen Theorie ohne weiteres 
verständlich, wenn man bedenkt, daß das Fibrinogen, je weniger 
stabilisiert es ist, um so mehr Abbauprodukte an sich ziehen wird. 


Nachdem sich also die übereinstimmenden Befunde aller 
Autoren ungezwungen für die Auffassung verwerten lassen, daß 


108 W. Starlinger: 


das Fibrinogen als der im Blute ausschlaggebenste Faktor für die 
Autoagglutination der Erythrocyten anzusehen ist, schien es 
naheliegend, zu untersuchen, auf welche Weise Stoffe, die beim 
Zusatz zum Blut Agglutination und Senkung ändern, den normalen 
Ablauf des Vorganges zu beeinträchtigen vermögen. 


Schon Linzenmeier (l. c.) hat zu dieser Frage Stellung genommen 
und eine Reihe von Stoffen ausfindig gemacht, die Agglutinstion und 
Senkung teils fördern teils hemmen; die Deutung, die anfangs rein elektrisch- 
physikalisch im Sinne einer Entladung der negativ elektrischen Erythro- 
cyten bei der Förderung und einer Aufladung bei der Hemmung gegeben 
wurde, erlitt später eine Modifikation in der Richtung, daß neben der 
direkten Ent- oder Aufladung auch eine Art „Sensibilisierung“ der Ery- 
throoyten im Sinne eines erleichterten Angreifens anderer senkungsbeein- 
flussender Faktoren ohne unmittelbare Ladungsänderung bewirkt würde, 
‘während schließlich eine weitere Gruppe von Substanzen weder eine Ladungs- 
änderung herbeiführen, noch eine sensibilisierende Wirkung erkennen 
lassen, trotzdem aber deutlichen Einfluß auf Agglutination und Senkung 
nehmen. 

Die elektrisch-physikalische Auffassung kann demnach nicht 
mehr als Grundlage eines einheitlichen Erklärungsversuches 
anerkannt werden, was auch nicht wundernimmt, wenn man 
bedenkt, daß nicht alle Flockungsreaktionen von nachweisbaren 
elektrischen Umladungen begleitet sein müssen. 

Ich ging daher daran, verschiedene agglutinationsändernde 
Stoffe gemäß den eingangs gegebenen Ausführungen in der 
Richtung einer experimentellen Prüfung zu unterziehen, ob etwa 
die der Senkungsänderung entsprechende Störung im Mechanismus 
des Ablaufes durch Änderungen im Verhalten der une 
des Blutes nachzuweisen wäre. 

Vorausgeschickt sei, daB sich meine Beobachtungen hinsichtlich des 
Einflusses der erwähnten Stoffe mit denen Linzenmeiers fast voll- 
kommen decken: Ich konnte auf Zusatz von Kaolin, Bolus alba, Tierkoble 
zum Blut stets eine Hemmung der Agglutination durch die Verlangsamung 
der Senkung, auf Zusatz von Agar-Agar, Gummi acaciae, Gelatine eine 
gesteigerte Agglutination durch die Beschleunigung der Senkung ebenso 
wie auch im Mikroskop nachweisen. Nur hinsichtlich der Wirkung der 
Stärke kam ich insofern zu einem anderen Ergebnis, als ich sie als fast 
indifferentes Agens erkennen mußte, während Linzenmeier eine Sen- 
kungsbeschleunigung beobachtete. 

Zur Methodik im allgemeinen möchte ich nur kurz bemerken, daß 
der Zusatz erst vor der zweiten Sedimentierung des wieder aufgeschüttelten 
Blutes vorgenommen wurde, nachdem die erste einen gleichmäßigen Ablauf 
‘der Senkung in allen Proben hatte erkennen lassen, eine Vorsichtsmaßregel, 


Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 109 


die meines Erachtens nie außer acht gelassen werden sollte, da es nicht 
selten vorkommt, daß trotz Einhaltung gleicher Kautelen sich das Blut in 
einem Gläschen ganz verschieden verhält wie in dem anderen, was man 
dann als durch den Zusatz bedingt anzusehen geneigt sein könnte. Nach 
Beendigung der zweiten Sedimentierung kamen dann die Untersuchungen 
des abzentrifugierten und abpipettierten Plasmas zur Durchführung. 
Betonen möchte ich ferner noch in diesem Zusammenhange, daß bei Not- 
wendigkeit exakter Vergleichsuntersuchungen, wie zum Beispiel in vor- 
liegender Arbeit, es erforderlich erscheint, die Ablesung nach fixen Senkungs- 
strecken und nicht nach fixen Senkungszeiten vorzunehmen, mag auch 
das letztere Prinzip, das wegen seiner größeren Bequemlichkeit vorzuziehen 
ist, für grob klinische Zwecke genügen. Unter Senkungsmittelwert (SMW), 
der aus vergleichstechnischen Gründen eingeführt sei, verstehe ich das 
arithmetische Mittel aus den 3 Senkungswerten für 6, 12, 18 mm. 

Haben nun Kaolin, Bolus alba oder Tierkohle bei Zusatz zum 
Blut eine Hemmung der Agglutination zur Folge, so war es ent- 
sprechend der geschilderten Einflußnahme des Fibrinogens zu 
erwarten, daß diese Stoffe letzteres durch Adsorption teilweise 
entfernen. Bei Richtigkeit der Annahme mußte sich diese Ver- 
ringerung des Fibrinogens sowohl in einer Herabsetzung des 
Brechungsindex als auch in einer verminderten Flockung des 
Plasmas nach der zweiten Sedimentierung ausdrücken. Das ist 
auch ‚tatsächlich der Fall, wofür folgender Versuch als Beleg die- 
nen soll. : u 

Methodik: Vor der zweiten Sedimentierung werden 0,02 com Plasma 
durch die gleiche Menge pulverisierten Kaolins, Bolus alba, Tierkohle 
ersetzt, nun die Röhrchen durch 20 maliges Wenden wieder aufgeschüttelt 
und das nach erfolgter zweiter Sedimentierung abzentrifugierte und ab- 
pipettierte Plasma teils zur Bestimmung des Brechungsvermögens (Pulff- 
richsches Eintauchrefraktometer), teils zur Anstellung der Flockungs- 
reaktionen verwendet (0,2 Plasma + 0,2 ges. NaCl-Lösung oder 0,35 Plasma 
+ 0,15 halbges. (NH,),SO,- Lösung oder Erwärmen auf 55° C für 
5 Minuten). 

Was die sonstigen Einzelheiten der Technik und ferner das Verhältnis 


der zweiten zur ersten Sedimentierung betrifft, muß auf die erste Mitteilung 
(i. œ.) verwiesen werden. 


Wir sehen also, daß Kaolin, Bolus alba, Tierkohle nicht nur 
bei einem der Sedimentierung vorausgehenden Ausschütteln des 
Plasmas, wie in den Versuchen Linzenmeiers, sondern auch bei 
unmittelbarem Zusatz zum Blut einen ausgesprochen .hemmenden 
Einfluß erkennen lassen. Untersucht man das Plasma nach der 
2. Senkung auf sein Brechungsvermögen, so erweist sich dieses 
um so mehr herabgesetzt, je größer die Senkungsverzögerung in 


110 W. Starlinger: 


Tabelle 1. 









£ | Versuchs- Versuchs- | Sed. Zeit in Min. — reg 
E | inne werte (omaınamiünn| 8 [Pannag Marta 
| | 
1] 025%, | 18| 33 | 53 |35|wie bei der| 22 | 44 74 147| 68,5 | +- + 
a-citr. I. Sediment. 
J 0,8 Blut Zu | 
2 | desgl. 18 | 33 | 54 [350,02 Piasma| 33 | 68 | 125 |75| 67,1 + 
i ersetzt durch 
0,02 pulver. 
| aolin 
3 desgl. 18 | 33 | 58 |3510,02 Plasma| 32 | 65 | 120 |721 67,3 -L 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Bolus 
4 || desgl. 18 | 31 | 52 |34]0,02 Plasma| 28 | 53 | 97 |59] 67,7 L 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Kohle 


Erscheinung getreten war. Es müssen also Bestandteile des Plas- 
mas durch Adsorption an die erwähnten Stoffe beim Auszentri- 
fugieren derselben mitentfernt worden sein. Daß es sich dabei um 
Eiweißkörper handeln muß, erscheint durch die Tatsache erwiesen, 
daß der Brechungsindex des Blutplasmas fast nur durch seinen 
Gehalt an Eiweiß bedingt wird, daß es sich um das Fibrinogen 
im besonderen handeln muß, geht aus dem Ausfall der Flockungs- 
reaktion hervor, die wieder eine der Senkungshemmung parallel- 
gehende Abschwächung erfährt. Man muß also wohl annehmen, 
daß Kaolin, Bolus alba und Tierkohle ihre Agglutinations- und 
senkungshemmende Wirksamkeit. dadurch entfalten, daß sie 
einen großen Teil des Fibrinogens adsorbieren. Den weiteren Ab- 
lauf des Mechanismus müßte man sich der hier vertretenen Auf- 
fassung gemäß dann in der Weise vorstellen, daß durch die Ad- 
sorption des Fibrinogens wasserlösliche Eiweißabbauprodukte 
in großer Zahl frei werden, die dann der Stabilisierung der roten 
Blutkörperchen zugute kommen. 

Daß die Einflußnahme der zur Prüfung stehenden Substanzen 
auf den Agglutinationsvorgang mittelbar über das Fibrinogen 
erfolgt, geht auch daraus hervor, daß diese Stoffe im defibri- 
nierten Blut eine ungleich schwächere Wirkung entfalten; daß 


Agglutination und. Senkungsgeschwindigkeit. der Erythrocyten. II. 111 


sie überhaupt noch eine erkennbare Hemmung zur Folge haben, 
ist wohl dadurch zu erklären, daß sie durch Adsorption der hoch- 
molekularen Eiweißkörper des Serums, also vorwiegend der 
Globuline, einen dem durch die Fibrinogenadsorption bedingten 
analogen, nur entsprechend verminderten Erfolg erzielen können. 

Methodik: Vom entnonımenen Blut wurde ein Teil in der üblioben Weise 
sofort, der andere erst nach Defibrinieren mittels Glasstabes zum Natrium- 
citrat in die Röhrchen gefüllt; vor der zweiten Sedimentierung wurden die 


Zusatzsubstanzen in der oben geschilderten Weise zum Citratplasma und 
Citratserum zugefügt. 


Tabelle Il. 


| 
| 
| 




























= I. Sedimentieruug 
& | Verstichs- | Sed. Zeit in Min. Sed. Zeit in Min. an 
& — — 12mm; 18mm| & 8mm 12mm | 18mm SMW: 
11 0,2 5% | 17| 27| 46; 30jwie bei der| 18 37 | 68 | 41 1,37 
Na citr. I. Sediment. i 
0,8 Blut | 
21 desgi. | 16| 26] 45 | 2910,02 Plasma| 30! 85 | 141 | 85| 2,93 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Kaolin 
3 desgl. 17| 26| 46 | 3010,02 Plasma] 28! 80 | 135 | 81 2,70 
ersetzt durch | 
b 0,02 pulver. | 
Bolus 
4| desgl. | 17| 27 | 46 | 30 0,02 Plasma] 20| 60 | 127 | 69 2,30 
ersetzt durch 
| 0,02 pulver. | 
Kohle | 
5 I 0,2 5°, 1210| 380 | 670 |420lwie bei der|210| 390 | 680 |427 1,06 
Na ecitr. I. Sediment. 
08 defibr 
Blut 2 
6 | desgl. |210| 380 : 670 14201002 Serum! 215 | 450 | 800 |488| 1.16 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
| Kaolin 3 
7 i| desgl. |210| 380 | 680 ‚423[0,02 Serum) 215 | 440 780 1478 1,13 
ersetzt. durch | 
~ 0,02 pulver. | 
Bolus 
8 


ersetzt durch 
0,02 pulver. ! 
Kohle | 


desgl. |210| 380 | 680 |42310,02 Serum|210| 420 | 740 1457 1,07 


112 W. Starlinger: 


Bei Betrachtung des Versuchsergebnisses ist klar ersichtlich, 
daß die hemmenden Agentia im Citratblut eine mehr als doppelt 
verlangsamte Senkung gegenüber dem Kontrollcitratblut be- 
dingen, während im defibrinierten Citratblut die Hemmung gegen- 
über der Kontrolle nicht einmal ein Fünftel beträgt: Es tritt also 
die Hemmung im defibrinierten Blut um das 10fache schwächer 
in Erscheinung als im nichtdefibrinierten Blut, so daß es wohl 
berechtigt sein dürfte, in diesem Versuche eine weitere volle 
Bestätigung der früher gezogenen Schlüsse zu erblicken. 

Nachdem auf diese Weise bewiesen war, daß die angeführten 
agglutinationshemmenden Substanzen durch Beeinflussung des 
Fibrinogens ihre Wirksamkeit entfalten, war es naheliegend zu 
untersuchen, ob die agglutinationsfördernden Stoffe ihren An- 
griffspunkt in den Abbauprodukten fänden, indem sie diese durch 
Adsorption an sich reißen; dadurch würde unserer Vorstellung 
gemäß eine Verarmung der Erythrocytenoberflächen an lösenden 
Abbauprodukten mit konsekutiver Verminderung ihrer Wasser- 
benetzbarkeit eintreten. Diese Annahme verlangte zu ihrer Sicher- 
stellung experimentelle Ergebnisse, die bei gleicher Versuchs- 
anordnung ein den früheren Resultaten entgegengesetztes er- 
kennen ließen. Die refraktometrischen Untersuchungen waren 
leider nicht durchführbar, weil die in Anwendung gebrachten 
Substanzen, Agar-Agar, Gelatine, Gummi und Stärke im Plasma 
teilweise gelöst werden, beim Auszentrifugieren also nicht mehr 
vollständig zu entfernen sind und auf solche Weise den Brechungs- 
index unberechenbar erhöhen. Dagegen ergaben die Flockungs- 
proben ein ausgesprochen schnelleres und deutlicheres Auftreten 
der Reaktion, mit Ausnahme bei Einwirkung der Stärke, die, 
ebenso wie sie sich der Agglutination und Senkung gegenüber 
indifferent verhält, auch den Flockungsvorgang nicht beeinflußt. 
Da das Fihrinogen durch diese Zusätze nicht vermehrt werden 
kann, andererseits aber doch die Flocken sowohl größer als auch 
schneller ausfallen, kann die Erklärung wohl nur in einer chemisch- 
physikalischen Zustandsänderung des Fibrinogens, bewirkt durch 
die Zusatzsubstanzen, liegen. Nach der hier zur Diskussion ge- 
stellten Theorie würde diese Zustandsänderung in einer Adsorption 
von lösenden Eiweißspaltstücken an die zugefügten Stoffe seine 
Ursache finden, was einerseits in der verminderten Stabilisierung 
der Erythrocyten, andererseits des Fibrinogens zum Ausdruck käme. 


Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 113 


Tabelle II. 


——— —— — — — ——— m —— — 


I. Sedimentierung II. Sedimetierung nach 35 


Versuchs- Sed. Zeit in Min. 
anordnung 











Sed. Zeit in Min. 














— 

z| 

E 

3 | Versuchs- 
Z anordnung 
È | 

| 








mm h2 mm 18 mm 














1 | 02 5%, | 22 | 35 | 57 |38|wie bei der 2 36 
Na citr. I. Sediment. 
0,8 Blut | 
2 desgl. 23 | 36 | 59 |3910,02 Plasma | 22 | 
ersetzt durch | 
| | 0,02 pulver. 
| Stärke 





3 desgl. 22 | 35 | 57 |38]0,02 Plasma| 12 
| ersetzt durch 
| 0,02 pulver. 
Gelatine 


gl desgl. 22 | 34 | 57 |3810,02 Plasma| 11 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 

| Agar 

23 | 35 | 58 |39]0,02 Plasma| 9 


ersetzt durch 
| 0,02 pulver. 
| 





| 


5 desgl. 





Gummi 


Hatten die agglutinationshemmenden Stoffe im defibrinierten 
Blut ihren Einfluß verloren, weil sie durch die Entfernung des 
Fibrinogens keinen Angriffspunkt für die Entfaltung ihrer Wirk- 
samkeit mehr vorfanden, so mußte der Einfluß agglutinations- 
fördernder Substanzen auch im defibrinierten Blut unbehindert 
in Erscheinung treten, wenn sie sich, wie oben ausgeführt, der 
niederen Eiweißkörper und -spaltstücke, die ja durch das De- 
fibrinieren nicht entfernt werden, im Rahmen ihres Wirkungs- 
mechanismus bedienen. Und in der Tat verläuft die beschleunigte 
Senkung auf Zusatz der erwähnten Stoffe im defibrinierten Blut 
fast ebenso schnell wie im nicht defibrinierten, wofür folgendes 
Versuchsprotokoll als Beispiel angeführt sei (s. Tabelle IV) 

Daß Linzenmeier (l. o.) durch Histone und Protamine, Abder- 
halden?) durch Organpepton eine ausgesprochene Steigerung der Agglu- 
tinations- und Senkungstendenz bewirken konnten, ist bei der grobdispersen 
hochmolekularen Natur dieser Eiweißkörper auch nach unserer Auffassung 
‘wohl verständlich. _ 


1) Abderhalden, Fermentforschung, 4. 3. 1921. 
Biochemische Zeitschrift Band 122. 8 


114 W. Starlinger: 


Tabelle IV. 


II. Sedimentierung nach 12h 





L Sedimentierung 















Versuchs- Bed. : Zeit in Min. Versuchs- Bed. Zeit in Min. | & 
anordnung |6 mm 12 mm 18 mm anordnung 6 mm |12 mm|I8 mm > 
100 | 240129 
Na citr. I. Sediment. 
0,8 Blut 
2| desgl. 46 | 84 | 220|11710,02 Plasma| 52 | 105 | 2501136 
ersetzt durch 
| 0,02 pulver. 


| Stärke 
215'11410,02 Plasma| 25 | 48 97| 57 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 

Gelat. 


215 114 0,02 Plasma| 22; 


ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Agar 
215:11510,02 Plasma! 10 | 15 20| 15 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 


3: desgl. 45 82 





i desg!. 45 | 82 


sl desgl. | 45 | 83 


| | 


11 026% | 45 | 82 | 215|114|wie bei der| 48 





Gummi 


0,2 5%, | 225 | 540 ao 622įwie bei der| 230 : 600 | 1300/710 
| Na citr. | I. Sediment. 
10,8 defibr. 


6 





Blut 


7i desgl. 230 , 558 |1100|62710,02 Serum | 240 | 620 | 1350 | 737 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Stärke | 


3 desgl. 225 | 540 |1100162210,02 Serum! 35 | 60 | 820| 72 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Gelat. 


11001622}0,02 Serum| 22 | 33 48| 35 
ersetzt durch 
0,02 pulver- 
Agar 


10) desgl. 225 | 540 I11100/622|0,02 Serum| 12 | 18 24| 18 
ersetzt durch 
0,02 pulver. 
Gummi 


Neben dieser hier geschilderten Möglichkeit des Wirkungs- 
modus ist eine andere so wichtig, daß auf sie kurz eingegangen 
werden muß; es darf nämlich nicht übersehen werden, daß es sich 
bei den hier geprüften senkungsfördernden Substanzen um Stoffe 
handelt, deren erhebliches Quellungsvermögen sie befähigt, große 





91 desgl. 225 | 540 





Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. Il. 115 


Mengen Wasser zu binden, das auf diese Weise anderen in Lösung 
zu erhaltenden Bestandteilen des Plasmas entzogen wird. Die 
Folge wird dann eben die Ausflockung der instabileren Elemente, 
in unserem Falle der Erythrocyten und Fibrinogenfraktion sein, 
genau so wie bei der Ausfällung von Eiweißlösungen durch gewisse 
Salze die wirksame Ursache der Wasserentzug ist. 

Wie sehr Eiweißabbauprodukte stabilisierend auf labile 
disperse Phasen Einfluß nehmen, kann man unmittelbar durch 
Zusatz solcher Stoffe zur Beobachtung bringen. Zu diesem Zwecke 
wählte ich einerseits Tuberkuline verschiedener Herstellungsart, 
andererseits ihre sie zusammensetzenden Bestandteile gesondert, 
so daß bei vergleichender Betrachtung die Teilwirkung der ein- 
zelnen Komponenten erkennbar wurde. 


Deas gewöhnliche Alttuberkulin Koch stellt bekanntlich das Filtrat 
des auf ein Zehntel des Volumens eingedampften 4 proz. Glyoerinextraktes 
einer Bouillonkultur dar; es enthält also außer 40%, Glyoerin vorwiegend 
niedrigmolekulare Eiweißkörper und -spaltstücke einerseits des Fleisch.. 
andererseits des Bacillenextraktes. 

Nun wirkt schon das Glycerin an sich als Lipoidspaltstück 
erheblich agglutinationshemmend, auf !/,, ihres Volumens ein- 
gedampfte 4proz. Glycerinbouillon hat schon eine stärkere 
Agglutinationsverminderung zur Folge, die schließlich durch 
Tuberkulin selbst, das außerdem noch die Extraktivstoffe des 
Tuberkelbacillus enthält, eine weitere Zunahme erfährt. Prüft 
man so wie in den vorhergehenden Versuchen nach Ablauf der 
zweiten Sedimentierung das Plasma auf sein Flockungsvermögen, 
so ist ein adäquates Ergebnis zu verzeichnen: Fast aufgehoben 
ist die Flockung im Tuberkulinplasma, schon deutlich stärker 
im Gilycerinbouillonplasma und wieder deutlich verstärkt im 
Glycerinplasma, das seinerseits eine erhebliche Verminderung 
der Flockung gegenüber der Kontrolle aufweist. 

Vergleicht man andererseits die Wirkung von Alttuberkulin 
mit albumosenfreiem Tuberkulin, das bekanntlich aus Kulturen. 
die auf eiweißfreiem Nährboden wuchsen, hergestellt wird, so 
ergibt sich auch hinsichtlich Hämagglutination und Plasma- 
flockung das erwartete Ergebnis in dem Sinne, daß das mit Alt- 
tuberkulin versetzte Blut beide Phänomene in ungleich vermin- 
dertem Ausmaß erkennen läßt gegenüber der Blutprobe, der 
AF zugefügt wurde, wie die folgenden Versuchsprotokolle zeigen. 


8* 


116 W. Starlinger: 


Tabelle V. 








— — — — 


I. Sedimentierung IL Sedimentierung nach 1% rn 


Z ockung 

E | versuchs. | Sed. Zeit in Min. = Versuchs. | Sed. Zeit in Min. z — 
© T 

& || anordnung je —R mm is mm| © anordnung mm1 mm|18 mm D | NaCl-Lös. 

1 





— — 


0,2 6%, |18| 28 | 46 wie bei der 22| 36 | 60 | 39] +++ 
0,8 Blut I. Sediment. 


2 | desgl. 19 | 29 | 47 0,05 Plasma| 83| 270 | 420 |258 + 
ersetzt durch 





0,05 ATK 

3 desgl. |17| 27 | 45 0,05 Plasma| 65) 1; + 
ersetzt durch 

4 | desgl. r 27 | 45 ++ 


40°) 


Glycerin 





11 0,2 6%, | 30 | 57 | 87 |58 wie bei der) 34| 67 | 128 | 76| +++ 
Na citr. I. Sediment. 
:0,8 Blut 


\ 


2| desgl. | 30 | 58 | 89 |5910,06 Plasma! 170| 360 | 530 |353 + 
| ersetzt durch 
0,05 ATK 


3| desgi. |29| 57 | 87 |68 0,05 Plasma! 67| 138 | 258 |154] +- 
ersetzt durch 
| | d d 0,05 AF o 
Es bleibt nun noch der Einfluß der Temperatur auf die 
Hämagglutination zu untersuchen, bei dem, wie schon aus Lin- 
zenmeiers Versuchen hervorgeht, scharf zwischen der während 
des Senkungsvorganges zur Geltung kommenden Temperatur- 
einwirkung und der diesem vorausgehenden zu unterscheiden ist. 
Verfolgt man die Agglutination in gleichen Blutproben bei ver- 
schiedener Temperatur durch die Beobachtung der Senkungs- 
geschwindigkeit, so nimmt diese mit steigender Temperatur zu. 
Die Wärme beeinflußt also das Agglutinationsphänomen wie jede 
andere chemische und chemisch-physikalische Reaktion nach 
der RGT-Regel. Bringt man aber nun gleiche Blutproben nach 
der bei gleicher Temperatur erfolgten ersten Sedimentierung für 
die Zeit bis zur zweiten Sedimentierung in verschiedene Tem- 
peratur, so tritt bei der zweiten Senkung das entgegengesetzte 
Ergebnis in Erscheinung: Das in der niedersten Temperatur 
belassene Blut agglutiniert und sedimentiert am schnellsten, das 


Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 117 


in der höchsten Temperatur verbliebene am langsamsten, was 
Linzenmeier zuerst auf eine Art „Inaktivierung‘‘ des Plasmas, 
später konkreter auf eine chemisch-physikalische Zustands- 
änderung des Fibrinogens zurückführte. Bestimmt man nun nach 
Ablauf der zweiten Sedimentierung das Brechungsvermögen des 
Plasmas, so findet man zumeist eine beträchtliche Verminderung 
desselben und zwar um so stärker, je höher die einwirkende 
Temperatur gewesen war und je länger sie angedauert hatte. Zu- 
gleich ist auch eine entsprechende Abschwächung der Flockung 
nachweisbar, was auch schon Linzenmeier auf Zusatz von 
destilliertem Wasser beobachtet hatte. 


Tabelle VI. 





z I. Sedimentierung I. Sedimentierung nach 12h 
Ell Versuchs- | Sed- Zeit in Min. | 3 — Sed. Zeit in Min. | > 
£ anorduung |6 mm |12 mmn 18 mm 2 anordnung |6 mm I2mmllsmm| & 


14 0,2 5°% | 25 | 44 | 83 | 50 I Temperatur 32 | 60 | 110 | 67 
N 20° C | 
ESE 
| 


24 desgl. 25 | 43 | 82 | 50 Teatan 39 | 94 | 210 |114 
59 


21 | 33 | 52| 35 





3 desgl. 26 | 44 | 84 | 51 | Temperatur 
| | 37°C 


Tabelle VII. 








II. Sedimentierung nach 12h Brech. | Flockung 


Versuche- Sed. Zeit in Min. | ; 
anordnung 6 mm 12 mm !18 mm 


0,2 5%, | 11 | 18 | 27 |19jZwischen I.u.| 14 | 25 | 46 | 28] 67,2 Tr 






















| anordnung 6 mm |12 mm!i8 mm -> 





Na citr. U. Sed. hei 
0,8 Blut 20° C 
2 desgl. 11 | 18 | 27 ]191Zwischen I. u.| 11 18 | 28119] 682 | +++ 
II. Sed. bei 
1 b°C 
| desgl. 11 | 18 | 27 |19jZwischen I. u.| 80 | 158 | 290 11761 66,0 + 
II. Sed. bei 
37°C 


Wenn wir nun aus diesen Befunden den Schluß ziehen, der 
nach den früheren Ausführungen wohl ohne weiteres statthaft 
ist, daß es sich nur um einen Abbau der Eiweißkörper im Citrat- 
plasma handeln kann, worauf ich schon in der ersten Mitteilung 


118 W. Starlinger: 


hingewiesen habe, so erscheint die Deutung dieser Resultate 
von selbst gegeben: Bei dem Abbau werden Fibrinogen und andere 
hochmolekulare Eiweißkörper des Blutes gespalten und dadurch 
die früher zur Löslicherhaltung benötigten Eiweißabbauprodukte 
teilweise freigegeben, wodurch schon an sich Agglutination und 
Senkung gehemmt werden; dazu kommt noch als weiterer und 
wahrscheinlich ausschlaggebenderer Faktor die große Vermehrung 
der hochdispersen Spaltstücke, die bei dem Abbau der großen 
Moleküle zu fortschreitend kleineren neu entstehen, beides Vor- 
gänge, die in gleicher Richtung wirken, indem sie die Agglutina- 
tionstendenz und damit die Senkungsgeschwindigkeit herabsetzen. 

Dadurch finden die Befunde Abderhaldens (L c.), der auf Dialyse 
von Schwangeren- und Normalplasına eine verzögerte Senkung beobachtete, 
auch von unserem Standpunkte eine befriedigende Erklärung, da in der 
Zeit, die die Dialyse in Anspruch nimmt, reichlich Gelegenheit zum Abbau 
von Eiweißkörpern gegeben ist, weloher außerdem noch in hervorragendem 


Maße dadurch gefördert wird, daß durch die Dialyse ständig Abbeuprodukte 
entfernt werden, was den Ablauf der Reaktion erheblich beschleunigen muß. 


Zusammenfassend läßt sich also sagen: 

l. Nachdem einerseits der ausschlaggebende Einfluß des 
Fibrinogens auf Agglutination und Senkung der Erythrocyten 
im Sinne der Förderung sichergestellt ist, andererseits bei Zusatz 
hemmender Stoffe, wie Kaolin, Bolus alba, Tierkohle eine Ver- 
ringerung des Fibrinogens durch Herabsetzung des Brechungs- 
und Flockungsvermögens des Plasmas nachgewiesen werden 
konnte, erscheint der Wirkungsmechanismus dieser Substanzen 
in dem Vermögen, Fibrinogen zu adsorbieren, begründet; eine 
Auffassung, die eine weitere Stütze darin findet, daß die Hemmung 
im defibrinierten Blute fast nicht in Erscheinung tritt. Auf der 
anderen Seite konnte die agglutinations- und senkungsfördernde 
Wirksamkeit von Gelatine, Agar, Gummi durch die gleichzeitige 
Stabilisationsverminderung des Fibrinogens im Sinne einer deut- 
lich verstärkten Flockung desselben versinnbildlicht werden, 
während der Zusatz von hochdispersen Eiweißabbauprodukten 
in Form von Tuberkulinen verschiedener Herstellung und ihrer 
Bestandteile die Suspensionsstabilität der roten Blutkörperchen 
und gleichzeitig des Fibrinogens hervorragend erhöhte. Auf 
Beeinflussung durch Wärme schließlich wurde einerseits, falls 
die Einwirkung der erhöhten Temperatur den Agglutinations- 
und Senkungsvorgang zeitlich begleitete, eine Förderung, 


Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. U. 119 


andererseits bei vorhergehender Einwirkung eine Hemmung der 
Hamagglutination parallel zur Höhe der Temperatur beobachtet, 
gleichzeitig aber auch eine entsprechende Herabsetzung des Bre- 
chungs- und Flockungsvermögens des Plasmas festgestellt und 
daraus auf einen Abbau der grobdispersen Eiweißmoleküle zu 
hochdispersen geschlossen. 

2.. Die theoretische Verknüpfung dieser experimentellen 
Ergebnisse erscheint im Rahmen der früher vertretenen Auf- 
fassung dadurch gegeben, daß einerseits die Erhöhung der Sus- 
pensionsstabilität der roten Blutkörperchen, gekennzeichnet 
durch die Hemmung der Agglutination und Senkung, auf Zusatz 
von Kaolin, Bolus alba, Tierkohle durch das Freiwerden der bis 
dahin an das Fibrinogen gebundenen wasserlöslichen Eiweiß- 
abbauprodukte bedingt wird, welcher Wirkungsmodus in ver- 
stärktem Maße bei unmittelbarer Vermehrung dieser Elemente 
durch Zufügung von Tuberkulinen und ihren Bestandteilen oder 
durch den wärmebegünstigten Eiweißabbau im Citratplasma 
in Erscheinung tritt, während andererseits die Verminderüng der 
Suspensionsstabilität mit konsekutiv gesteigerter Agglutinations- 
tendenz und Senkungsgeschwindigkeit durch Gelatine, Agar, 
Gummi teils in der Verarmung der Erythrocyten an ihren Abbau- 
produkten durch Adsorption an die genannten Substanzen teils 
in dem Wasserentzug durch deren Quellung begründet erscheint. 


Über Sulfat- und Esterschwefelsäure in normalen und 
pathologischen Körperflüssigkeiten. 
Von 
Wolfgang Heubner und Robert Meyer-Bisch. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut und der Medizinischen Klinik in 
Göttingen.) 


(Eingegangen am 18. Juni 1921.) 


In weiterer Verfolgung der in 2 früheren Arbeiten!) über die 
Folgen der parenteralen Schwefelverabreichung bei Gelenkerkran- 
kungen aufgetauchten Probleme wurden Körperflüssigkeiten von 
verschiedenen Kranken auf das Vorhandensein von Sulfat- und 
Esterschwefelsäuren untersucht. Die Ergebnisse folgen unten. 
Im Laufe der Arbeit ergab sich aber die Notwendigkeit, auch die 
Verhältnisse beim Normalen zu überprüfen. 


A. Untersuchungen an normalen Menschen. 
1. Sulfatschwefel. 

Soweit wir die Literatur übersehen, scheint von den meisten 
Autoren angenommen zu werden, daß sich im Blutplasma keine 
nachweisbaren Mengen Sulfationen finden und daß die in der 
Asche gefundene Schwefelsäure ausschließlich von organischen 
Schwefelverbindungen, natürlich in erster Linie vom Eiweiß, 
abstammt. Mit dieser Annahme stimmt es durchaus überein, 
daß man nach Enteiweißung menschlichen Serums durch gewöhn- 
liche Hitzekoagulation beim Versetzen des sauren Filtrats mit 
BaCl, niemals die Spur eines Niederschlags erhält. Demgegenüber 
hat jedoch bereits Gürber?) diaJysables Sulfat im Pferdeserum 
nachgewiesen und durch seinen Schüler Rosenschein zu 18—25 
(im Mittel 22) mg H,SO, auf 100 ccm bestimmen lassen. Merk- 


1) Meyer - Bisch, Münch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 17; Robert 
Meyer-Bisch und E. Basch, diese Zeitschr. 118. 

2) Gürber, Verhandl. d. phys.-med. Ges. zu Würzburg 1893/%; 
Habilitationsschrift Würzburg 1904, Salze des Blutes. 


W. Heubner u. R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure usw. 191 


würdigerweise scheint diese Feststellung in der Literatur wieder 
verlorengegangen zu sein. Jedoch hat vor einigen Jahren S. de 
Boer!) das Ultrafiltrat von Rinderserum analysiert und 21,6 mg% 
H,SO, gefunden. Um selbst ein Urteil zu gewinnen und diese 
Angaben für menschliches Serum nachzuprüfen, analysierten 
wir das Dialysat von solchem auf Sulfat. 

Einer 37jährigen Frau, die in unserer Klinik wegen sekun- 
därer Schrumpfniere mit Retinitis albuminurica behandelt wurde, 
wurden am 22. IV. 1921 300 ccm Blut aus der Vene entnommen. 
Von dem gewonnenen Serum wurden 75 ccm in Dialysierschläuchen 
von Schleicher & Schüll gegen destilliertes Wasser unter häufiger 
Erneuerung bis zur Chlorfreiheit dialysiert, was etwa 14 Tage 
in Anspruch nahm. Fäulnis trat nicht ein. auch sonst keine sicht- 
liche Veränderung des Serums. Das Dialysat wurde auf dem 
Wasserbade eingetrocknet, der Rückstand mit salzsaurem Wasser 
aufgenommen, filtriert und mit BaCl, gefällt, der reichliche 
Niederschlag auf einem kleinen Barytfilter gesammelt, in einem 
sehr kleinen Porzellantiegel geglüht und auf einer Pregl - K uhl- 
mannschen Mikrowage gewogen. Er betrug 0,04284 g, was 
24,0 mg H,SO, in 100 ccm Serum entspricht. Der Versuch bildet 
daher eine unerwartet gute Bestätigung der Angaben von Gürber 
sowohl wie von de Boer. Die nunmehr 3mal unabhängig von- 
einander gewonnenen Befunde zwingen zu dem Schlusse, daß 
Sulfationen in beträchtlicher Menge in der Blutflüssigkeit vor- 
kommen, daß sie jedoch bei der gewöhnlichen Enteiweißung 
vollständig durch das Coagulum adsorbiert und festgehalten 
werden. 

In genau gleicher Weise wurden daraufhin 2 Exsudate seröser 
Höhlen auf Sulfat untersucht, mit dem Ergebnis, daß sie 15 bis 
16 mg H,SO, auf 100 ccm enthielten. 


1. Pleuraexsudat. 24jähriges Mädchen, das wegen Pleuritis exsudat. 
sin. in die Klinik aufgenommen wurde. Punktion am 1{. IV. 1921 ergab 
hellseröses, reichlich Lymphocyten enthaltendes Exsudat. 

75ccm der Punktionsflüssigkeit wurden bis zur Cl-Freiheit dialysiert. 
Im Dialysat, das nach der oben angegebenen Methodik behandelt wurde, 
fanden sich 0,0266 g BaSO,, das sind 14,9 mg H,SO, auf 100 ccm berechnet. 

2. Ascitesflüssigkeit. 48jährige Frau. Diagnose Polyserositis, reich- 
licher Ascites. Am 19. II. wurde deshalb Bauchpunktion nötig. Punktat 
enthielt reichlich Lymphocyten. 


1) Journ. of physiol. 51, 211. 1917, zit. nach Malys Jahresber. 1917. 


122 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure 


60 ccm der Punktionsflüssigkeit wurden bis zur Chlorfreiheit dialy- 
siert. Im Dialysat fanden sich 0,02298 BaSO,, das sind 16,1 mg H,SO, 
auf 100 ccm berechnet. 

Diese Befunde bestätigen dieam Blutegewonnenen 
Ergebnisse in erwünschtester Weise. 


2. Esterschwefel; 


Im Gegensatz zu der bisherigen, zweifellos irrigen Lehrmeinung 
über das anorganische Sulfat der Körperflüssigkeiten ist seit den 
Arbeiten von Zanetti!) in den Lehrbüchern allgemein angenom- 
men, daß im Blutplasma sich Schwefelsäureester finden, die unter 
der Bezeichnung ‚Serummukoid“ gehen und deren organischer 
Paarling zu den Eiweißabkömmlingen gehört und nähere Be- 
ziehungen zur Chondroitinschwefelsäure erkennen läßt, insofern 
er wie diese einen Kohlenhydratkomplex enthält. Bei Gelegenheit 
der obenerwähnten klinischen Untersuchungen wurde ermittelt, 
daß solche Schwefelsäureester in beträchtlicher Menge im Blute 
von Menschen auftreten, die mit pärenteralen Schwefelinjektionen 
behandelt waren (vgl. unten S. 123), während in gleichen Mengen 
Serum vom Normalen keine Spur davon nachzuweisen war, was 
übrigens mit den Angaben mehrerer früherer Untersucher durchaus 
übereinstimmt [Langstein, Bywaters?)]. 


Im Hinblick auf diesen Befund schien es von Interesse, die 
obenerwähnten pathologischen Exsudate auch auf derartige 
Esterschwefelsäuren zu untersuchen. Dies geschah in der Weise, 
daß der in den Dialysierschläuchen hinterbliebene Rückstand mit 
etwa 5% HCl einige Stunden?) im Rückflußkühler gekocht, 
danach filtriert und im Filtrat BaSO, bestimmt wurde. Es ergab 
sich für das Pleuraexsudat 3,4 und für die Ascitesflüssigkeit 5,9 mg 
H,SO, auf 100 ccm berechnet. 


Die Menge veresterter Schwefelsäure ist also geringer als die 
Menge anorganischen Schwefels in den gleichen Exsudaten. Von 
dem Pleuraexsudat wurde außerdem noch der Gesamtschwefel- 
gehalt zu 0,093% und der Stickstoff zu 0,890% bestimmt. Das 
Exsudat charakterisiert sich dadurch als ein stark entzündliches. 


1 Zanetti, Malys Jahresber. der Tierchemie 27, 31. 1897. 
2) Bywaters, diese Zeitschr. 15, 322 und 344. 
3) Pleuraexsudat 8 Stunden, das andere 4 Stunden. 


in normalen und pathologischen Körperflüssigkeiten. 123 


B. Untersuchungen an schwefelbehandelten Patienten mit Gelenk- 
alfektionen. 
I. Blut. 


Wie oben bereits gestreift, wurde eine wichtige Abweichung 
vom Normalen im Biutserum von Gelenkkranken gefunden, die 
zu therapeutischen Zwecken mit intramuskulären Injektionen von 
5—10ccm lproz. Aufschwemmung (+ Lösung) von elementaren 
Schwefel in Olivenöl behandelt worden waren. Wurde das hydro- 
lysierte Filtrat des enteiweißten Blutserums mit BaCl, versetzt. 
so trat zuweilen sofort eine deutliche Trübung ein oder es setzte 
sich wenigstens im Laufe einiger Zeit ein Niederschlag ab. Die 
Reaktion war in 5 von 7 untersuchten Fällen positiv, in 4 nicht- 
behandelten absolut negativ. In 2 behandelten Fällen blieb die 
Reaktion ebenfalls aus. Es zeigte sich aber ein Zusammenhang 
zwischen der Reaktion und dem Eintritt der klinischen Allgemein- 
erscheinungen, die früher genauer geschildert wurden!): und zwar 
lagen die 2 negativen Fälle am Anfang und Ende der Reaktions- 
periode. während die übrigen näher ihrem Kulminationspunkte 
lagen, der gewöhnlich gegen Ende des ersten Tages erreicht zu 
werden pflegt. 

In 2 Fällen wurde das ausgefallene BaSO, gewogen. 

Das Verfahren war folgendes: Nach reichlichem Aderlaß wurde nach 
spontaner Gerinnung das ausgepreßte Serum in einer Menge von 200 oom 
mit dem 3fachen Vol. Wasser verdünnt und mit NaCl und Essigsäure 
versetzt, zum Kochen erhitzt und unter Nachwaschen mit Wasser filtriert. 
Das Filtrat wurde mit !/, Vol. 10 proz. HCl versetzt, auf kleiner Flamme 
in Verlauf von einigen Stunden stark eingeengt und mit BaCl, versetzt. 

Fall 2. Christine S.?2) Aderlaß 22 Stunden nach der ersten Schwefel- 
injektion. Gefunden 16 mg BaSO, entsprechend 3,4 mg H,SO, in 100 oom. 

Fall 5. Stanislawa G. Aderlaß einen Tag nach der Injektion. Ge- 
funden in 200 com Serum 0,001 BaSO, = 0,2 mg H,SO,. 


2. Gelenkpunktat., 


In einem Fall trat unerwarteterweise kurze Zeit nach der 
3. Schwefelinjektion ein frischer Erguß in einem Gelenk auf, das 
zwar bei Beginn der Erkrankung mäßige Schmerzhaftigkeit gezeigt 
hatte, aber schon seit 6 Wochen völlig schmerzfrei gewesen war. 


1) Meyer- Bisch I. c. 
3) Die beiden Fälle entsprechen den in der klinischen Arbeit (Me yer- 
Biach l. c.) unter der gleichen Nummer angeführten Patienten. 


124 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure 


Die Punktion ergab 30 ccm eines trübserösen, reichlich polymorph- 
kernige Leukocyten enthaltenden Exsudates, von dem 22 ccm 
für eine analytische Untersuchung verwertet werden konnten. 
Das Material erschien im Hinblick auf die Art der untersuchten 
Erkranküngen, wie auch auf die bekannten chemischen Eigentüm- 
lichkeiten des Knorpels (Chondroitinschwefelsäure) besonders 
wertvoll und wurde daher sorgfältig auf Sulfat- und Esterschwefel- 
säure analysiert. 
Der Verlauf des Falles war folgendermaßen: 


Nikolaus M., 22 Jahre. Diagnose: Polyarthritis rheumat. chron. 
Bei der Aufnahme am 25. XI. 1920 starker Druck- und Bewegungsschmerz 
im rechten Ellenbogengelenk und in beiden Fußgelenken, geringer Druck- 
schmerz in beiden Kniegelenken. Am 4. XII. sind nach Atophan- und 
Lichtbogenbehandlung die Kniegelenke frei beweglich und schmerzfrei, die 
Beschwerden in den anderen Gelenken sind unverändert. Am 7. I. 1921 
Schwefelinjektion; danach wesentliche, aber nur mehrere Tage anhaltende 
Besserung. Am 18. I. 2. Schwefelinjektion. Am 19. abends Temperatur 
38,5°, am 20. abends 38,2°. Vom 21. I. ab ist die Temperatur völlig normal. 
Am 24. zeigt sich eine Schwellung des rechten Kniegelenkes, „Tanzen“ 
der Patella. Am 25. I. Gelenkpunktion. Das Punktat erweist sich bak- 
teriologisch als steril (Hygienisches Institut Göttingen). 


Bei der Aufarbeitung verfuhren wir wie folgt: 


22 ccm wurden mit !/, Vol. 96 proz. Alkohol versetzt; dabei schieden 
sich stark gelbliche Flocken ab. Versuch zur Filtration blieb vergeblich: 
dickes, schleimiges, stark fadenziehendes Material. Reaktion gegen Lackmus 
deutlich alkalisch. 


Deshalb wurde es mit 3fachen Vol. Wasser verdünnt, mit Essigsäure 
eben angesäuert, worauf sich feste Flocken eines weißen, klebrigen Körpers 
abschieden, z. T. am Glasstab ansetzten und zusammenballen ließen. Der 
Rest wurde zentrifugiert, der Niederschlag einmal mit schwach essigeaurem 
Wasser gewaschen. 


Zentrifugat + Waschwasser = 94 ocm. 


A. Niederschlag (Mucin). 


Der Niederschlag wurde in Schälchen gebracht, auf dem Wasserbad 
getrocknet: Gewicht = 0,469 g. Der Trockenrückstand darauf zerrieben 
und gepulvert (unter Verlust), danach Gewicht = 0,383. Bei 105° bis zur 
Gewichtskonstanz getrocknet = 0,360 g. Davon zur Hydrolyse: 0,356 g 
= 81% der Gesamtmenge. 

Nach 3stündiger Hydrolyse wurde filtriert, das Filtrat mit BaCl, 
gefällt. Der Niederschlag wog 0,00169, das ergibt umgerechnet auf die 
ursprüngliche Menge getrockneten Mucins: 0,00209 BaSO, = 0,00088 H,SO, 
(= 0,2% ). 


in normalen und pathologischen Körperflüssigkeiten. 125 


B. Zentrifugat (94 com). 


Das Zentrifugat, das beim Erhitzen ausflookte, bei Zusatz von !/, Vol. 
Alkohol sich trübte, wurde gegen oft erneuertes destillierves Wasser bis zur 
Chlorfreiheit dialyaiert. 

I. Dialysat wurde auf dem Wasserbad eingetrocknet. Dabei schied 
sich etwas Eiweißkoagulat ab. Der Rückstand wurde in salzsaurem Wasser 
aufgenommen, filtriert. Das Filtrat wurde auf ca. 15 ccm eingeengt, mit 
5 Tropfen 10 proz. HCl und BaCl, versetzt. Der reichliche Niederschlag wog: 
0,01373 BaSO, = 0,00578 H,SO,. 

II. Der Dialysierrückstand wurde filtriert. Das Filtrat war fast 
klar, nur mit der Lupe waren noch kleine Flocken sichtbar. Von der 
Gesamtmenge — 122 ccm — wurde ein aliquoter Teil — 10 ccm — 
zur Trockne gebracht: Rückstand -= 0,058 g = 0,7076 g Gesamttrocken- 
rückstand. 


Zu den übrigen 112 ccm wurden NaCl und Essigsäure zugesetzt, das 
Ganze dann gekocht, der Niederschlag auf der Zentrifuge von der über- 
stehenden Flüssigkeit getrennt und mehrfach mit essigsaurem Wasser 
gewaschen. Die Waschwässer wurden getrennt aufgehoben. 


Von der ursprünglichen Flüssigkeit (,Mutterlauge‘‘) wurden nach 
Trennung vom Koagulum 73 ccm gewonnen. Davon wurden 10 com in 
einer Glasschale zur Gewichtskonstanz eingetrocknet. Der Rückstand 
(0,0704 g) wurde danach mit Wasser aufgenommen und die Menge des 
zugesetzten NaCl titrimetrisch bestimmt (= 0,05800 g). Der organische 
Trockenrückstand des Zentrifugats betrug also 0,124%.. 


Das gesamte Waschwasser wurde auf einer Schale zur Gewichtskonstanz 
eingedampft = 0,1174. Der NaCl-Gehalt, in derselben Weise wie vorher 
bestimmt, betrug 0,083, der organische Trockenrückstand des Waschwassers 
also insgesamt: 0,0344. 

Der Gesamttrockenrückstand des nichtkoagulierten Teils des Dialysier- 
rüokstandes betrug demnach: 0,1249 g, woraus sich als Trockenrückstand 
des Koagulums berechnet 0,5251. 

Das Zentrifugat vom Koagulum, von dem nach Abzug der 10 ccm 
noch 63 ccm übrig waren, wurde mit 25 ccm 10 proz. HCI versetzt und 3 Stun- 
den hydrolysiert. Das klare Filtrat wurde mit BaCl, versetzt. Gewicht 
des Niederschlags 0,00210 BaSO, in 63 ccm. Das ergibt auf 73 ccm 0,00243 
BaSO, = 1,03 mg H,SO, (1,1% der Trockensubstanz). 

Hieraus ergibt sich durch Berechnung aus dem Trockenrückstand 
für das Waschwasser an durch Hydrolyse abspaltbarer Schwefelsäure 
0,39 mg, also für 112 ccm Zentrifugat vom Koagulum an Esterschwefel- 
säure 1,41 mg. Auf 122ccm umgerechnet 1,54 mg. Das Koagulum wurde 
mit 55ccm 10 proz. HC] aufgelöst und 3 Stunden hydrolysiert, nach der 
Hydrolyse filtriert, zum Filtrat BaCl, zugesetzt und der sich bildende 
Niederschlag gewogen = 0,00227 BaSO, = 0,96 mg H,SO, (0,18%, der 
Trockensubstanz). Die Umrechnung auf die ursprünglich vorhandene 
Gesamtmenge ergibt 1,05 mg H,SO,. 


126 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure 


Däs Gelenkexsudat enthielt demnach: 


Freie HSO . ...... 0,00578 g = 26,3 mg/% 
durch Hydrolyse abspaltbare 
H,SO, im Mucin. ... . 0,0088 „ = 40 „ 
„ Kosgulum . . 0,00105,— 48 „ 


„ Filtrat davon . 0,00154, 70 „ 
davon 15,8 , Esterschwefelsäure. 

Das Endergebnis dieser Untersuchung ist also dahin zusam- 
menzufassen, daß das Gelenkexsudat etwas mehr Sulfat enthält, 
als in den bisher vorliegenden, freilich epärlichen Analysen des 
Blutplasmas gefunden wurde, und erheblich mehr als in 2 anderen 
pathologischen Exsudaten, und daß weiterhin die Menge dor 
Esterschwefelsäure das Mehrfache der Esterschwefelsäure in 
diesen Exsudaten seröser Höhlen beträgt. Diese Tatsache weist 
mit Eindringlichkeit darauf hin, daß die im Gelenkexsudat gefun- 
denen Schwefelsäureverbindungen nur zum Teil dem allgemeinen 
Kreislauf entstammen, zum Teil aus den Gelenkwandungen her- 
rühren müssen. Unsere Kenntnis von dem chemischen Aufbau 
des Knorpels macht ja diesen Schluß auch äußerst glaubwürdig. 

Wie der Knorpel sich von anderen. Gewebearten durch eine 
charakteristische organische Schwefelsäureverbindung auszeichnet, 
so auch das pethologische Sekret einer Gelenkhöhle; in diesem 
Zusammenhang verdient es Beachtung, daß fast die Hälfte der 
Esterschwefelsäure noch im Filtrat nach Abscheidung des Mucins 
und der koagulablen Eiweißkörper zu finden war und dann einen 
wesentlich höheren Anteil der Trockensubstanz ausmachte. 

Es ist wahrscheinlich, daß jedes Gelenkexsudat im Priuzip 
die gleiche Eigentümlichkeit aufweisen wird, unabhängig davon, 
welches die Ursache seiner Entstehung ist. Stets aber wird man 
zu der Schlußfolgerung gelangen müssen, daß während eines 
exsudativen Vorgangs im Gelenk Schwefelsäureester und wohl 
auch ein wenig Sulfat in löslicher Form aus dem Gewebe ent- 
bunden wird, daß also der Gelenkknorpel eine Stätte gesteigerter 
Bildung dieser Schwefelsäureverbindungen darstellt. Wir glau- 
ben also durch unsere Befunde eine Verbindung zwischen ana- 
tomisch klinischen und leicht faßbaren chemischen Vorgängen 
hergestellt zu haben. 

Unter diesem Gesichtspunkt darf man die oben geschilderte 
qualitative Feststellung über die Schwefelsäureester des Blut- 


in normalen und pathologischen Körpertlüssigkeiten. 127 


serums nach Schwefelbehandlung wohl schon zu deuten ver- 
suchen, obwohl die quantitative Durcharbeitung dieses Befundes 
auf Grund der inzwischen gewonnenen Erfahrungen noch aussteht. 
Wenn unter den Erscheinungen einer gewaltigen klinischen 
Reaktion, die nach ihrem Abklingen zu einer auffälligen Änderung 
des krankhaften Zustandes von Gelenken führt, im Blute abnorm 
reichlich Schwefelsäureester auftreten, so können diese kaum 
von anderer Seite stammen, als aus den erkrankten Gelenken. 
Wenigstens ist hier die einzige bisher nachgewiesene Stätte, an 
der Schwefelsäureester in höherer Konzentration als in anderen 
Körpersäften vorkommen. 

Gibt man dies zu, so wäre in dem genannten Befunde der 
Nachweis eines stofflichen Umsatzes in den Gelenken gegeben, 
der auf einen therapeutischen Eingriff hin erfolgt. Es bereitet 
keinerlei Schwierigkeiten, sich vorzustellen, daß sowohl bei ent- 
zündlich exsudativen Prozessen, wie auch bei Heilungsvorgängen 
ein stofflicher Umbau im Gewebe der Gelenkflächen erfolgt 
und daß jede Art dieses stofflichen Umbaus mit dem Freiwerden 
löslicher Spaltprodukte der Knorpelsubstanz einhergeht. 

Das Eine glauben wir zum mindesten aussprechen zu dürfen: 
Der nach Schwefelbehandlung beobachtete Heilerfolg hat eine 
chemische Unterlage erhalten. Er bringt nicht nur eine funktionelle 
Änderung in Nerven oder lokaler Zirkulation mit sich, sondern 
auch eine stoffliche Umwandlung im erkrankten Gewebe, also 
nutritive und vermutlich auch formative Vorgänge. 


Zusammenfassung. 


l. In normalem menschlichen Blutserum wurde über 0,02%, 
Sulfation nachgewiesen; bei Enteiweißung scheint es vollständig 
vom Coagulum adsorbiert zu werden. 

2. In entzündlichen Exsudaten seröser Höhlen fand sich etwa 
2/, des Serumwertes an Sulfation, daneben Esterschwefelsäure in 
geringerer Menge. 

3. Nach parenteraler Schwefelinjektion bei Gelenkkranken 
war im Stadium der fieberhaften Reaktion die Esterschwefelsäure 
des Blutserums vermehrt, so daß sie auch nach Enteiweißung 
nachgewiesen werden konnte. 

4. In einem Gelenkerguß wurde erheblich mehr Estersch wefel- 
säure gefunden als in den Exsudaten seröser Höhlen. 


Über den Einfluß von Schwefelinjektionen auf den 
Gelenkknorpel. 


Von 


Robert Meyer-Bisch und Wolfgang Heubner. 


(Aus der Medizinischen Klinik und dem Pharmakologischen Institut 
Göttingen.) 


(Eingegangen am 18. Juni 1921.) 


Die in der vorstehenden Mitteilung wiedergegebenen Befunde 
führten zu dem Schlusse, daß intramuskuläre Schwefelinjektionen 
bei gelenkkrauken Menschen stoffliche Veränderungen des Knor- 
pels herbeiführen. Um die Berechtigung dieses Schlusses weiter 
zu prüfen, wurden Versuche an Hunden vorgenommen, von denen 
der Knorpel selbst entnommen werden konnte. 

Die Versuche wurden in der Weise angelegt, daß größeren 
und älteren, doch gesunden Tieren zunächst ein hinterer Ober- 
schenkel amputiert wurde, von dem dann der Knorpel des Knie- 
und Fußgelenks verarbeitet wurde. Nach Verheilung der Wunde 
wurde eine Schwefelsuspension in Olivenöl in die Lendenmuskulatur 
injiziert und einige Tage darauf das zweite Hinterbein abgenommen, 
ehe das Tier getötet wurde. Die Gelenkknorpel wurden in gleicher 
Weise wie die des ersten Beines in Arbeit genommen (vgl. unten). 
Die Reaktion der Tiere war analog der der Menschen, indem sich 
Fieber einstellte. Bei dem zweiten Tier wurden überdies im Stoff- 
wechselversuch gleichsinnige Schwankungen festgestellt, wie sie 
beim Menschen beschrieben wurden!) (Vermehrung des Stick- 
stoffs, der Harnreduktion, des Urobilins, Verminderung des 
Chlorids und des Verhältnisses Neutralschwefel zu Gesamt- 
sch wefel). 

Der Knorpel wurde mit scharfem Messer von den Gelenk- 
flächen abgetragen, wobei relativ große Lamellen gewonnen 


ı) Me yer - Bisch und Basch, diese Zeitschr. 118. 


R. Meyer-Bisch u. W. Heubner: Einfluß von Schwefelinjektionen usw. 129 


werden konnten. Einzelne dieser Lamellen wurden benutzt, um 
die Quellbarkeit des Materials in größeren Mengen destillierten 
Wassers zu prüfen. Es stellte sich heraus, daß der Knorpel in 
wenigen Stunden ein genau fixiertes Quellungsmaximum erreicht, 
das sich zahlenmäßig exakt in bezug auf das Trockengewicht aus- 
drücken läßt. Das Trockengewicht erhielten wir durch Liegen- 
lassen an der Luft bei Zimmertemperatur. 

Von dem getrockneten Knorpel, der sich ohne Gewichts- 
änderung beliebig lange aufbewahren ließ, wurden Gesamt- 
schwefelbestimmungen vorgenommen. Bei einem Tiere wurde 
auch ein Teil davon dazu verwendet, um nach der Methode von 
Schmiedeberg’) durch Verdauung das Chondrin abzutrennen 
und somit auch seinen Anteil am Gesamtschwefel zu bestimmen. 
Unsere Absicht, dies auch bei dem zweiten Tier durchzuführen, 
wurde durch den Verlust zweier Analysen infolge Mißgeschicks 
vereitelt. 

Die Veraschung der Materialien zur Analyse erfolgte nach 
Mischung mit Natriumsuperoxyd, die Ausfällung des Baryum- 
sulfats im allgemeinen in einem Volumen von höchstens 20 ccm, 
die Filtration durch kleine Barytfilter unter Beachtung der von 
Pregl angegebenen Vorsichtsmaßregeln?), die Wägung in kleinem 
Porzellantiegel auf einer Pregl- Kuhlmannschen Mikrowage. 
(Bei Benutzung des von Pregl angegebenen Mikro-Neubauer- 
tiegels stießen wir in Vorversuchen auf erhebliche Schwierig- 
keiten. Der Nied®rschlag ließ sich ohne Verluste nicht auswaschen 
trotz vielfacher Bemühungen und genauer Befolgung der von 
Pregl angegebenen Vorschriften.) 

Die Einzelheiten der Versuche waren folgende: 


Versuch ]: 


Am 2. XII. 1920 wurde in Morphin-Äthernarkose das linke 
Hinterbein. oberhalb des Kniegelenks amputiert. Bei der Nachbehand- 
lung bildete sich eine ausgedehnte Fasciennekrose nach der Leistenbeuge 
zu. Die Eiterung ging jedoch allmählich zurück. Am 29. XII. war die 
Wunde gereinigt, granulierte gut. Hund fraß mit gutem Appetit. 

Temperatur 38,0—38,2°. Gewicht post amp. 17!/,kg. Am 2. I. 1921 
6% 45’ abends Injektion von 10 ccm einer l proz. öligen Schwefelmisohung 
in die Lendenmuskeln. Die Temperatur stieg am 3.1. 1921 auf 39,4°. 
Am 4. I. Amputation des anderen Hinterbeins; danach Tötung. 

1) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 28. 

2) Vgl. Mikroanalyse S. 124ff. 

Biochemische Zeitschrift Band 122. ` 9 


130 R. Meyer-Bisch und W. Heubner: 


Außer sämtlichen Gelenkflächen des Knie- und Fersengelenks wurden 
auch die Gelenkscheiben des Kniegelenks verwertet. Sie wurden nach Zer- 
kleinerung mit den übrigen ebenfalls zerkleinerten Knorpelstüokchen 
gleichmäßig vermischt. . 

Ein Teil des Mischknorpels wurde mit dem salzsauren Extrakt frischer 
Magenschleimhaut vom Schwein mehrere Tage im Brutschrank verdaut, 
mit Wasser verdünnt und filtriert, im Filtrat und im Rückstand Gesamt- 
schwefel getrennt bestimmt. Mit diesem Verfahren erreicht man nach 
Scohmiedeberg eine Abtrennung der Ghondroitinschwefelsäure vom Eiweiß, 
und zwar bleibt sie im unverdauten Rückstand. 

Mit mehreren offizinellen und Handelspräparaten von Pepsin konnten 
wir keinerlei Verdauung erzielen. 


I. Untersuchung des Knorpels vor der Injektion. 
A. Quellungsversuch, 

6% 50° p. m. wurde eine frische Knorpellamelle von 0,0662 g mit Platin- 
draht an einer Wage aufgehängt und in destill. Wasser eingetaucht. Tem- 
perstur der Luft 5,2° C. 

Verlauf der Quellung: 
20. XII. 6% 50’ p. m. 0,0662 g 
72 35° „ „ 0,1068 „ 
108 20° „ „ 0,1076 
21. XII. 10è 45 a. m. 0,1076 „ 
Trookengewicht derselben Lamelle 0,0209. Das Gewicht des gequollenen 
Knorpels beträgt also — mehr als sein Trockengewicht. 


B._@esamtschwefel- Analysen. 
‚| Angewandt Trocken) Trockenknorpel | Gefunden Baso, — 
1 0,200 o gw 0,0160 1,10 
2 0. ‚09266 0,00930 ı 1,38 
3, 0.10366 0,00890 | 1,18 








Mittelwert: 1,22°/, 
C. Analyse des verdauten Knorpels. 

Angewandt 0,430 g Trookenknorpel. Dauer der Verdauung 10 Tage 
bei 37—40°. Der teigartige unverdaute Rückstand wurde auf aschefreies 
Filter gebracht, mehrfach gewaschen und zur Schwefelbestimmung verascht. 

Gefunden: 0,01432 BaSO, = 0,456% S. 


II. Untersuchung des Knorpels nach der Injektion. 
A. Quellungsversuch. 
Gewicht der frischen Knorpellamelle: 0,0583. 
Verlauf der Quellung: 
4. L Ih p. m. 0,0583 g 
5b » » 0,0868 „ 
6 30° „ „ 0,0855 „ 
7h 30° „» , 0,0863 „ 
5.1. 1b » » 0,0859 


Einfluß von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel. 131 


Gewicht derselben Lamelle nach Lufttrooknung: 
Am 6.1. 0,0184 g 
» 6L 0,0188 „ 
Das Gewicht des gequollenen Knorpels beträgt also 361% 
mehr als sein Trockengewicht. 


B. Gesamtschwelel-Analysen. 


— —— —h ———— —— r C T — — — — 


Nr. | Angewandt Trockenknorpel | Gefunden BaSO, | Schwefel 
8 % 





















1 0,11241 0,00952 | 1,16 
2 0.15648 0.01010 0'884 
3 0.17382 0,01338 | 1,05 


Mittelwert: 1,03%, 


C. Analyse des verdauten Knorpels. 


Angewandt 0,32102 g Trockenknorpel. Menge des zugesetzten Schleim- 
hautauszugs 100 ccm. Dauer der Verdauung 10 Tage bei 37—40°. Der teig- 
artige Rückstand wurde nach Abschluß der Verdauung filtriert und mehr- 
mals gewaschen. Von Rückstand und Filtrat wurde Gesamtschwefel 
getrennt bestimmt. Von der im letzteren gefundenen Schwefelmenge war 
der Sohwefelgehalt der Extraktflüssigkeit abzuziehen. 


l. Gefunden im Rückstand 0,00843 BaSO, = 0,36% 8. 
2. Gefunden im Filtrat: 0,1302 BaSO, = 0,0178 g S. 


Gefunden in 75 ccm des Extrakts der Magenschleimhaut 0,0869 BaSO, 
— 0,0119 8. 


Danach enthielt der verdaute Teil des Knorpels 0,00196 g S 
(= 0,61%). 


Die Summe der Analysen von verdautem und unverdautem Knorpel 
gibt 0,00312 g S, das entspricht einem Schwefelgehalt von 0,97%, S, wäh- 
rend die direkte Analyse 0,88—1,169,, ergab. 


Zusammenfassung. 


Vor an Nach Injektion = Mittel 





ee — — 


Gesamtschwefel 1, 10—1,38 I FR 0, 88—1,18 | 108 16 i ‚03 
Chondrinschwefel — 36 
Quellungszunahme — 3 6] 


Das Ergebnis spricht also für eine Verminderung des Gesamt- 
schwefels, vor allem durch Verminderung der Chondroitinschwefel- 
aure, und eine mit dieser stofflichen Veränderung einhergehende 
kolloid-chemische Zustandsänderung im Sinne einer verminderten 
Quellbarkeit. 


9* 


132 R. Meyer-Bisch und W. Heubner: 


Versuch 2: 


35 kg schwerer Hund. Am 10. III. 1921 Amputation des linken 
Hinterbeins!). Die Amputationswunde heilte per primam ohne jegliche 
Eiterung; das Tier kratzte sich schon nach 4 Tagen mit dem Stumpf. 
Vom 14. III. ab waren Allgemeinzustand und Appetit gut. Von diesem Tage 
ab bis zum Ende des Versuchs bestand die tägliche Nahrung lediglich aus 
600 g Fleisch. Die für die lOtägige Versuchsperiode nötige Fleischmenge 
wurde vorher in Würfel geschnitten und gemischt. Am 21. IIL Injektion 
von 10 ccm einer 4proz. Schwefelsuspension in die rechtsseitige Lenden- 
muskulatur. Am 26. III. Amputation des rechten Hinterbeins; danach 
Tötung. 

Vom 18. bis 25. III. wurde der Harn des Tieres in 24stündigen Perioden 
quantitativ gesammelt und auf Gesamtstiokstoff, Chlorid, Gesamtachwefel, 
Gesamtschwefelsäure und Ätherschwefelsäure untersucht. Außerdem 
wurde täglich die Reduktionsprobe mit Fehlingscher Lösung und die 
Urobilinprobe mit Fischlers Reagens ausgeführt. Die erhaltenen und 
daraus berechneten Zahlen und Reaktionsbefunde finden sich auf der 
nachstehenden Tabelle zusammengestellt. 













| Neutral zu 
Neutral; Ges.-Schwefel 
als SO,| als SO, 

% 


Äther- 
schwefel | Reduktion 
8 


Gesamt- | Sul- 
N |NaCl |schweiel| fat 
als 50, | SO, 


Uro- 

















18. III. | 740 10.9 5, 251 1,54 1,11 0,42 27 ++ |e 
19. II. ! 10801 12.76.91) 173 |132| 041 24 8 0 
20. III. |1360|15.315.98| 1.89 |139| 051 27 ð 6 
Injekt. | 

21.101. 660 11.4 3. 121 1,60 1.28 031 20 +44 (4) 
22. IT. |1340 163|255| 1,94 |148| 0.46 24 (+) 6 
23. III. \1160|14.3:3.22| 2.06 |171| 0.35 17 8 ð 
24. III. | 510 11171530 154 |129| 0,25 16 + ð 
95. IIT. | 800/1751696] 222 |190] 031 14 o 18 





Täglicher Durchschnitt: 


N vor der Injektion 13,0 g NaCl vor der Injektion 6,05 g 
N nach der Injektion 14,2g NaCl naph der Injektion 4,24 g 


Die Verarbeitung des Knorpels war insofern anders als beim ersten 
Hund, als der abgeschabte Knorpel der Gelenkflächen und die Gelenkscheiben 
getrennt behandelt wurden. Zum Quellungsversuch wurde jedoch nur der 
hyaline Knorpel der Gelenkflächen, und zwar in mehreren Proben, ver- 
wandt. 


: I. Untersuchung des Knorpels vor der Injektion. 


Gewonnene Knorpelmenge (Trockengewicht): 


Hyaliner Knorpel. .... . 0,9021 g 
Gelenkscheiben . . .... . 0,8330 g 


1) Sie wurde in der Chirurg. Klinik durch Herrn Privatdozenten 
Dr. Leh mann ausgeführt, dem wir auch hier für seine Hilfe herzlich danken. 


Einfluß von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel. 


A. Quellungsversuche. 
1. Gewicht der frischen Knorpellamelle 0,1888 g. 


Verlauf der Quellung: 


10. III. 7245’ p. m. Beginn 
10h 30° „ „ 0,2508 g 
11.D0I. 8h a. m. 0,2730 „ 


Trockengewicht: 
18. DIT. u %- won 0,0591 g 
28. II. o 2..%.% 0,0632 ,„ 
29: I1l. 4-44 5% % 0.0616 „ 


Mittelwert . . . . 0,0613 g 
demnach Quellungszunahme 345% des Trockengewichts. 
2. Gewicht der frischen Lamelle am 10. III. 0,1589 g. 


Verlauf der Quellung: 


11. III. 6è p. m. Beginn 
830° „ . 0,2598 g 
9h 30’ „ „ 0,2593 „ 
11h 30° „ „ 0,2618 „ 


Trockengewicht: 
18. UIL o 25 5% 0,0490 g 
26. III -- 0,0517 „ 
29. IL o 2 0.000 % 0,0508 „, 


Mittelwert . . . . 0,0505 8 
demnach Quellungszunahme 418% des Trockengewichtes. 


3. Gewicht der frischen Lamelle am 10. III. 0,1496 g. 
Quellungsverlauf: 
12.11. 6% p. m. Beginn 
7230’ „ „ 0,2299 g 
12 „ ,„ 0,2319, 
13. III. 9b a. m. 0,2344 „ 


Trockengewicht: 
18: Il... 3% 0,0520 g 
2.DE 2% %% 0,0550 „ 
29. 0,0540 „ 


Mittelwert . . . . 0,0537 g 


demnach Quellungszunahme 337% des Trookengewichtes. 
Mittelwert der 3 Quellungsversuche 365%. 


133 


134 R. Meyer-Bisch und W. Heubner: 


B. Gesamtschwelel- Analysen. 
a) Hyaliner Knorpel. 















1 

2 0,01741 

3 12946 0,01814 1 
4 0,12435 0,02525 


zusammen ergeben 0,50729 g Trockenkn.: 0,07897 g BaSO,; 
danach Mittelwert für Sohwefel 2,133% . 


b) Gelenkscheiben. 


Nr. Angewandt Trockenknorpel Gefunden BaSO. Schwefel 
8 8 





% 
1 | 0,12889 0,00863 0,918 
2 | 0,13285 0,01138 1.173 
31 0,12295 0,00987 1,100 


zusammen ergeben 0,38469 g Trockenkn.: 0,02988g BaSO,; 
demnach Mittelwert für Schwefel 1,06%. 


II. Untersuehung des Knorpels nach der Injektion. 
Gewonnene Knorpelmenge (Trookengewicht): 
Hyaliner Knorpel... . . . 0,8923 g 
Gelenkscheiben . . . . . . . 1,1037 „ 
A. Quellungsversuche. 
1. Gewicht der frischen Knorpellamelle 0,2011 g. 


Verlauf der Quellung: 


26. III. 6% p. m. 0,2011 g 
10h 15° „ „ 0,3181 „ 
27. I. 9% 30’ a. m. 0,3119 „ 


Trockengewicht: 
LIV 20.04. 0% 0,0822 g 
4.IV. 2... 0% 0,0830 „ 
Mittelwert 0,0826 g 


demnach Quellungszunahme 281% des Trockengewichts. 
2. Gewicht der frischen Lamelle am 26. III. 0,0719 g. 


Verlauf der Quellung: 


27. III. 9t a. m. Beginn 
28. III. 9 „ „ 0,1744 g 


Einfluß von Schwefelinjektionen auf den (relenkknorpel. 135 


Trockengewicht: 
LIV 2 2 0,0350 g 
4. IV. .... 0,0351 „ 


demnach Quellungszunahme 397% des Trockengewichts. 
3. Gewioht der frischen Lamelle am 26. III. 0,0784 g. 


Verlauf der Quellung: 

28. III. 9h a. m. Beginn 

7245’ p. m. 0,1510 g 

29. III. 540° ,„ ,„ 0,1479. 

- Trockengewicht: 
LIV etaa 0,0411 g 
4 IV. .... . . 0,0416, 
demnach Quellungszunahme 263% des Trockengewichtn. 
Mittelwert der 3 Quellungsversuche 3020. 


B. Gesanhtschwefel-Analysen. 
a) Hyaliner Knorpel. 













$ Angewandt Trockengewicht | (Gefunden BaSO, 








Schwefel 
% 








g 
1 0,12396 0,01522 1,68 
2 | 0,12200 0,01750 1,98 
3 | 0,12587 0,01627 | 1,76 
4| 0,12226 0,01984 | 2,22 


zusammen ergeben 0,49409 g Knorpel: 0,06883 g BaSO,: 
demnach Mittelwert für Schwefel 1.919%. 


b) Gelenkscheiben. 


— | Angewandt Trockenknorpel | Gefunden Ba80, | Schwefel 
g g % 








zusammen ergeben 0,59928 g, Knorpel: 0,04895 g BaS0.: 
zusammen ergeben 0,59928 g Knorpel 0,04895 BaS0,; 
demnach Mittelwert für Schwefel 1,12%. 


Zusammenfassung. 
Vor Injektion 













Nach Injektion 


Niedrig- | Höchster 
ster Wert Wert 
[+72 













Gesamt. [Knorpel .| 187 | 278 | 219 | 168 | 222 | 1,91 

schwefel Gelenk- 
scheiben . | 0,92 | 1,17 | 1,06 | 0,83 | 1,32 | 1,12 

Quellungszunahme . |; 3.37 4,18 3.65 | 2.63 | 3.97 ‚02 


136 R. Meyer-Bisch u. W. Heubner: Einfluß von Schwefelinjektionen usw. 


Die Ergebnisse des zweiten Versuches stützen sich auf eine 
größere Zahl von Einzelbestimmungen als die des ersten. Diese 
mehrfache Kontrolle deckt noch in größerem Maße als die am 
ersten Hund gewonnenen Resultate die Tatsache auf, daß Material 
ein und derselben Herkunft doch wesentliche Verschiedenheiten 
sowohl im Schwefelgehalt als auch im Quellungsvermögen auf- 
weisen kann. Man wird also das Vertrauen zu Einzelbestinnmungen 
nicht zu hoch spannen dürfen und wird aus dem Vergleich zweier 
Zahlen allein nur mit äußerstem Vorbehalt Schlüsse ziehen. In 
dieser Hinsicht wird also das nur durch je einen Versuch gestützte 
Ergebnis des Quellungsversuchs am Knorpel des ersten Hundes 
in seiner Bedeutung stark eingeschränkt. 

Für die Beurteilung der Schwefelanalysen ist zu bedenken, 
daß immerhin die Hälfte des gesamten Knorpels zweier großer 
Gelenke jeweils in der Summe der Analysen verbraucht wurde 
(die andere Hälfte fand im Verdauungsversuch Verwendung). 
Der Zufall müßte also in besonderem Maße gespielt haben. wenn 
er die 2mal gefundenen Differenzen durch die getroffene Auswahl 
der Knorpelstückchen verschuldet haben sollte. 

Man muß also bis zu weiterer Ausdehnung des Ver- 
suchsmaterials doch wohl der Tatsache Beachtung 
schenken, daß die Mittelwerte in beiden Versuchen 
unerwartet gut zusammenstimmen, insofern beide 
Verminderung des Schwefelgehalts und der Quellbar- 
keit des Knorpels anzeigen. 

Eine Ausnahme bilden die Zahlen für die isoliert untersuchten 
Gelenkscheiben in Versuch B; freilich ist ja die Struktur dieser 
Gelenkscheiben deutlich verschieden von dem des echten Gelenk- 
knorpels, und zwar nicht nur histologisch, sondern auch chemisch, 
wie der wesentlich geringere Schwefelgehalt aufweist. 

Obwohl wir uns klar bewußt sind, daß die erhobenen Befunde 
kein zwingendes Beweismaterial darstellen, möchten wir sie bis 
auf weiteres doch als Stütze für die aus der Analyse des Gelenk- 
punktats in der vorhergehenden Abhandlung gezogenen Schlusses 
ansehen, daß nach Schwefelinjektionen eino Art Abbau in den 
spezifischen Materialien des Gelenkknorpels erfolgt, der sich 
kolloid-chemisch in einer verminderten Quellbarkeit des Knorpel- 
gewebes äußert. E 





Untersuchungen über die Blutkatalase bei Blut- 
krankheiten. 


Von 


Hermann Strauß und Gerhard Rammelt. 
(Aus der Medizinischen Klinik Halle a. S.) 
(Eingegangen am 19. Juni 1921.) 


Van Thienen?) hat 1920 Mitteilungen über ein besonderes 
Verhalten der Katalase im. Blut von Kranken mit perniziöser 
Anämie gemacht. Hierdurch angeregt und zum Zwecke der Nach- 
prüfung dieser wichtigen Angaben haben wir Untersuchungen über 
die Bilutkatalase angestellt, über die im folgenden berichtet 
werden soll. 

Die große Verbreitung der Katalase im Tierkörper ist be- 
kannt?). Auch im menschlichen Blut ist sie in sehr wirksamer 
Form vorhanden. Sie ist offenbar an das Stroma der roten Blut- 
körperchen gebunden. Im Serum ist sie nicht nachweisbar, vom 
Hämoglobin läßt sie sich abtrennen. Ihre chemische Natur hat 
Waentig?) weitgehend aufgeklärt. Es gelang ihm, das Ferment 
durch fraktionierte Extraktion, wiederholte Alkoholfällung, Dia- 
lyse und Adsorption an feinverteilte Substanzen aus Leber so rein 
darzustellen, daß es als ein von Purinbasen freier Eiweißkörper 
charakterisiert werden konnte. Die. Katalase ist also kein Nucleo- 
proteid, wie man früber glaubte, und sie irrtümlich in Beziehung 
zu den weißen Blutkörperchen brachte. Sie enthält aber eine 
Zuckerart und wahrscheinlich etwas Eisen und Phosphorsäure. 

Nach dem Vorgehen von van Thienen haben wir uns an 
die von Jolles*) angegebene Methodik gehalten, da es uns auf 
2 Punkte ankam: 1. auf die Katalasezahl, das ist die Menge 

1) Dtsch. Arch. f. klin. Med. 131, 113; siehe auch ders. Inaug.-Diss. 
1917, Groningen (Holländisch), mit sehr umfangreicher Literatur. 

2) Vgl. Oppenheimer, Die Fermente; Abderhalden, Lehrbuch 
der phys. Chemie, 4. Aufl, Bd. 2, S. 421. 

2) Waentig und Gierisch, Fermentforschung, Bd. 1, S. 165. 

+) Münch. med. Wochenschr. 1904, Nr. 47. 


138 H. Strauß und G. Rammelt: 


Wasserstöffsuperoxyd in Gramm, die l ccm einer l promill. Blut- 
lösung aus 30 ccm 1lproz. Wasserstoffsuperoxydlösung zu zer- 
setzen imstande ist. 2. Auf den Katalaseindex, das ist die 
Katalasezahl bezogen auf 1 000 000 roter Blutkörperchen. 

Die Methode gestaltet sich demnach folgendermaßen: 
1lOccm einer lpromill. Blutlösung werden mit 30 ccm einer 
l proz. H,O,-Lösung in sterilen Gefäßen zusammengebracht. Für 
das Krankenbett ist es am besten, 0,05 ccm Blut mit geeichter 
Pipette zu entnehmen und mit physiologischer Kochsalzlösung 
auf 50 ccm aufzufüllen. Hierbei ist auf neutrale Reaktion des 
Wasserstoffsuperoxyds zu achten, da die Katalase schon gegen 
Spuren von Säure sehr empfindlich ist. Das Perhydrol Merck ist 
hierfür sehr geeignet, während dasselbe Präparat mit der Auf- 
schrift ‚„‚Tropensorte‘‘, das nach dem Kriege vielfach im Umlauf 
war, eine deutliche Hemmung der Reaktion zeigte. Daneben 
stellten wir stets Kontrollen der gleichen Menge H,O,-Lösung 
mit 10ccm steriler Kochsalzlösung auf. Wegen der geringen 
Empfindlichkeit des Fermentse gegen Temperaturen zwischen 0° 
und 50° kann man bei Zimmertemperatur arbeiten. Nach genau 
2 Stunden wird die lebhafte Gasentwicklung durch Zugabe 
einiger com 50 proz. Schwefelsäure unterbrochen und sofort mit 
einer genau gegen Oxalsäure eingestellten Kaliumpermanganat- 
lösung, von der 1l ccm 2 mg H,O, entspricht, titriertt. Wird die 
durch Abzug der verbrauchten ccm von 150 ccm Permanganat 
(bzw. der durch die Kontrolle korrigierten Zahl) erhaltene Anzahl 
ccm auf lccm der Blutlösung bezogen, so erhält man die Kata- 
lasezahl. Wir sind uns wohl bewußt, daß es sich hier um einen 
rein empirischen Wert und nicht um die wahre Fermentmenge 
handelt. Untersuchungen, die die Reaktionsgeschwindigkeit ver- 
folgen sollen, sind im Gange. 

Gleichzeitig mit der Blutentnahme, die am nüchternen 
Patienten vorgenommen werden soll, werden die roten Blut- 
körperchen gezählt. Es empfiehlt sich nach Bürker zu zählen 
oder wenigstens die gebräuchlichste Methode von Thomas- 
Zeiss damit zu kontrollieren. Es läuft hier eine Fehlerquelle 
unter, da ja bekanntlich die Zählmethoden für die roten Blut- 
körperchen sich mit der Exaktheit chemischer und physikalischer 
Messungen nicht vergleichen lassen. Immerhin ergaben Übung 
und Genauigkeit vergleichbare Resultate. Wird die so ermittelte 


Bintkatalase bei Blutkrankheiten. | 139 


Zahl der Million roter Blutkörperchen in die Katalasezahl hmein- 
dividiert, so erhält man den Katalaseindex. 

Um nun diese Methode nicht ohne Kontrolle einseitig zu 
benutzen, haben wir noch einen zweiten Weg eingeschlagen, und 
die entwickelte Gasmenge direkt gemessen. Wir haben uns dazu 
der Einfachheit halber eines groben aber handlichen Apparates 
bedient, nämlich des Azotometers nach Hüffner- Ambard- 
Hallion zur Bestimmung des Bromlaugen-N!). Es wurden 
5ccm der 1promill. Blutlösung in den Apparat gefüllt und so 
viel Wasser zugegeben, wie zur Verdrängung der Luft nötig ist. 
sowie einige Glasperlen. Ist die Luft aus dem Apparat verdrängt, 
so werden 10 com der l proz. H,O,-Lösung zugelassen und unter . 
häufigem Schütteln nach genau !/, Stunde die entwickelte Gas- 
menge abgelesen, wobei Druck und Temperatur beobachtet 
werden. Die groben Ausschläge dieser Methode bestätigten uns 
ım Prinzip die unten mitzuteilenden Versuchsergebnisse mit der 
Permanganattitration. Für diese Methode hat Stehle?) einen 
besonderen Apparat konstruiert. 

Wir wollen nun unsere Versuchsresultate mitteilen und mit 
den Ergebnissen von van Thienen vergleichen. Bemerkt sei 
noch, daß Krumbhaar und Musser?) mit der eben erwähnten 
Methode von Stehle den Katalasegehalt des Blutes bei ver- 
schiedenen Formen der Anämien bestimmt haben. Sie bezeich- 
neten als Katalaseindex den Quotient aus den in 15 Minuten 
freigewordenen ccm Sauerstoff zu der Millionenzahl der Ery- 
throcyten. Sie fanden diesen Index bei anämischem Blut stets 
kleiner als beim normalen, unabhängig von der Art der 
Anämie. Milzexstirpation war ohne Einfluß darauf. Diese Re- 
sultate stehen im Gegensatz zu van Thienens Ergebnissen. 

Wir geben zunächst unsere eigenen Versuchsergebnisse in 
4 Tabellen wieder. 

In Tabelle I geben wir eine Übersicht über 20 Fälle von Patienten 


ınit normalem Blutbefund. Als Mittelwert ergibt sich hier für die Kata- 
lasezahl 19, nach van Thienen 27,5, nach Jolles 23%). Gemeinsam hat 


2) Umber. Zentralbl. f. inn. Med. 38. 1917. 

23) Stehle, Journ. of biol. chem. 39. 1919. 

3) Journ. of the Americ. chem. soc. 75, 1920; Kongreß-Zentralbl. 14, 
H. 3, S. 198. 1920. 

t) Jolles und Oppenheim, Beiträge zur Kenntnis der Blutfermente. 
Virchows Archiv 180, S. 185. 


140 H. Strauß und G. Rammelt: 


Tabelle I. Blut normal. 


= Rote Blut- | _ Katalase- 
iagnose körperchen Zahl | Index 


















Name | 

1. Herr In. | Polyneuritis 4 700 000 4,8 
2. Knabe Kurp. Diabetes 3 500 4,6 
3. Frau K. | Hysterie | 4 900 000 4,7 
4. n En. Z 3 900 000 4,3 
5. r E — | 4 600 000 4,7 
6. ‚ Schi | Neurasthenie | 4100000 | 17,7 4.3 
T. .. Sk Cystitis 3 500000 {17,7 5,0 
8. a TER | Mediastinaltumor | 3 900 000 4,1 
9. Herr Eb. Vol. pulmon. auct. | 4800 000 3,0 
10. — Polyneuritis | 4 690 000 4.0 
11. Fraù E. Akute Glomerulonephr. 3 980 000 4,6 
12. a E Facialisparese 4 600 000 4,3 
13. OE : F | Vitium cordis 4 500 000 4.8 
14. „ So. Diffuse Glomerulonephr. 4 000 000 4.9 
15. ER | Salpingitis 4 090 000 4,7 
16. Herr Bl. | Malaria (?) 4 500 000 5,0 
17. Frau Vil. | Co-Vergiftung ı 4320 000 6,0 
8. „ R. | Laryngitis 3 920 000 49 
19. Herr Pa. | Ulcus ventriculi (?) 4 000 000 4,5 
20. 4. +BL | Verdacht auf Ca ventric. | 4800 000 4,7 
Mittelwert: 19,0 | 4.6 


Tabelle II. Sekundäre Anämie. Blutbild normal. 


R Pr Rote Biut-| Katalase _ 
Name agnose körperchen| Zahl | Index 




















1. Herr K. Ca. ventriculi 8,5 2,6 
2. „ Sch. 23 P 7,0 2,0 
S; > -> Endocarditis lenta 9,1 2,6 
4. „ Adl. Ulcus ventriculi 13,3 4,3 
5. Frau K. Anämie post partum 12,3 5,5 
Dieselbe, später Br iA ú 18,6 5,3 
6. Herr M. Ulcus ventriculi 1141| 5,2 
2 u H Ca. ventriculi (?) 20,0 5,7 
8. N = N 18,1 5,8 
9. Frau Kr. Ca. (9) 16,5 5,1 
10. Herr Gr. Ulcus ventriculi ; 3,9 
Mittelwert: 4,8 
Tabelle III. Blutkrankheiten. 

Rote Blut- Katalase- 
Name | Diagnose körperchen | Zahl | Index 

1. Frau B. Chlorose 3600000 | 1725| 4,8 
2. Herr H. Lymphatische Leukämie 2 700 000 4,9 1,8 
3. Se 5 N Myeloische Leukämie 2800000 112,86] 4,5 
4. „ Sch Polycythämie 8 600 000 4,8 2,9 
5. —— N 6 500 000 ‚0 3,1 
6. B — 13 000 000 | 27,4 2,1 
7. Frau Kr En 7 200 000 ; 4,6 





Blutkatalase bei Blutkrankheiten. 141 


Tabelle IV. Perniciöse Anämie. 


— Rote Blut- Katala-· 
körperchen | Zahl | Index 


— m 








1. Herr Bl. 10,3 8 
Derselbe, später 26,3 9,4 
2. Frau W. 86 | 78 
3). u: 11,5 8,2 
4. Herr M. 00 000 I 8,9 6,9 
5. „ Matsch. | 1500000 | 15,5 | 10,3 
Derselbe, später 00 000 I 13,5 8,9 
6. err Se. 000 000 | 21,1 | 10,6 
7. „ Se. 600 000 į 16,0 | 10,0 
8. „ Hag. 780 000 | 7,0 9,0 
9. „ He. 800 000 | 6,4 80 
10. Raos. 530 000 | 16,5 6,6 
11. „ Sch. 600 000 | 14,7 5,7 
12. Frau No. 220 000 | 14,1 5,4 
13. „ Ju 800 8,5 4,7 
14. „ Jo. 500 000 | 8,09| 6,0 
15. „ KI. 600 000 | 8,08 | 5,0 
16. Herr Wi. 100 000 | 4,8 4.0 
‚Mittelwert: 14 8,5 


unser Resultat also nur die Konstanz der Werte, freilich liegt diese zwischen 
etwas weiteren Grenzen als bei dem holländischen Autor. Durchgehends 
lagen unsere Werte niedriger. Trotz liebenswürdigster Unterstützung durch 
Herrn van Thienen war eine Erklärung für diese Tatsachen nicht zu 
ermitteln. Als normalen Katalaseindex sehen wir 4,5—5 im Durch- 
schnitt an, während van Thienen 6 angibt. 


Tabelle II führt uns in das Gebiet der sekundären Anämien infolge 
Krebs oder Magengeschwür, darunter auch eine frische Blutung bei der 
Entbindung (Fall 5). Wie bei van Thienen ist hier die Katalasezahl 
durchschnittlich gegen die Norm herabgesetzt, eine Tatsache, die auch 
schon Jolles angibt. Sie erklärt sioh zwanglos aus der geringen Zahl der 
roten Blutkörperchen, aber auch hier liegt der Katalaseindex in normalen 
Grenzen. 


Tabelle III zeigt uns seltenere Blutkrankheiten. Leukämien geben 
im allgemeinen normale Werte, nur Fall 2 liegt ungewöhnlich tief. Als 
wertvolles Gegenstück zu den Anämien standen uns 4 Fälle von patholo- 
gischer Vermehrung der roten Blutkörperchen, sog. Polycythämien, zur 
Verfügung. Es ist nun sehr auffallend, und wohl sicher nicht ohne Bedeu- 
tung, daß diese Fälle einen niedrigen Katalaseindex aufweisen. Wir kommen 
darauf noch zurück. 

Tabelle IV gibt 16 Fälle von perniziöser Anämie, die zur Unter- 
suchung gelangten. Hier sehen wir in Bestätigung der Resultate von 
van Thienen in 9 Fällen, also über 60%, bei niedriger Katalasezahl einen 
hohen, etwa das Doppelte der Norm erreichenden Katalaseindex. 2 Fälle 
zeigen normale Werte, die übrigen nur ganz leichte Erhöhung. 


142 H. Strauß und G. Rammelt: 


Suchen wir nun für die vorstehenden Befunde, die auf der 
einen Seite erhöhte Werte bei der perniziösen Anämie, auf der 
anderen unter der Norm liegende für die Polycythämien ergeben, 
eine Erklärung aus der Bedeutung der Katalase für den Organis- 
mus abzuleiten, so scheitern unsere Versuche an der Unkenntnis 
auf diesem Gebiete. Wir kennen noch einen Fall aus der Patho- 
logie, wo der Katalasegehalt des Blutes erhöht ist. Es ist dies die 
Phosphorvergiftung. Hier ist die Katalase in der Leber vermin- 
dert, in den anderen Geweben und im Blute vermehrt. von Fürth’) 
ist der Ansicht, daß es viel näher liegt, hierbei an eine Ausschwem- 
mung des Ferments aus dem nekrotischen Gewebe zu denken. 
als eine kompensatorische Vermehrung im Blut, wie man ge- 
schlossen hat, anzunehmen. Seitdem es zum mindesten sehr 
fraglich geworden ist, ob das Ferment mit den Oxydasen etwas 
zu tun hat, sondern wahrscheinlich nichtaktiver, molekularer 
Sauerstoff entwickelt wird, und solange seine Eigenschaft tat- 
sächlich im Tierkörper vorkommende Peroxyde zu spalten, nicht 
sicher steht, können wir über die Bedeutung der Katalase im 
Tierkörper nichts aussagen. Immerhin ist es ja wohl nicht 
wahrscheinlich, daß das so allgemein verbreitete Ferment 
nur als zufälliger Bestandteil im Organismus vorhanden ist. 
Jedenfalls können wir aus dieser Betrachtungsweise noch keine 
Schlüsse für die vorliegenden merkwürdigen Befunde ziehen. Man 
könnte nun an Beeinflussung der Aktivität des Ferments durch 
irgendwelche abweichenden chemischen Bedingungen des vor- 
liegenden Blutes denken. Es könnte ja ein Einfluß auf die Anti- 
bzw. Philokatalase oder deren Aktivator, soweit man diese an- 
erkennen will, bestehen. Ferner wissen wir, daß die Katalase 
gegen Salze, Alkalien und Säuren empfindlich ist. Alkalien in 
schwacher Konzentration wirken aktivierend. Mit steigender 
H-Ionenkonzentration wird das Ferment stark gehemmt, Dem- 
gegenüber ist der stets normale Katalaseindex bei verschiedenen 
Krankheiten auffallend, bei denen die H-Ionenkonzentration 
gegen die Norm verändert ist, so bei Diabetes und Nephritis 
(siehe Tabelle I, Fall 2 mit starker Acidosis, ferner Fall 11 und 14). 
Auch hier ist ohne weiteres eine Deutung nicht möglich. Es bleibt 
noch als die naheliegendste. Erklärung, daß die Änderung der 


1). Probleme der physiologischen und pathologischen Chemie, 2, 548. 
Leipzig 1913. | 


Biutkatalase bei Blutkrankheiten. 143 


Funktion der roten Blutzellen bei der perniziösen Anämie 
einerseits und der Polycythämie andererseits diesen Tatsachen 
zugrunde liegt. Man könnte daran denken (Volhard), daß die 
roten Blutkörperchen der Perniziosa in ihrer kleinen Zahl Riesen 
in ihrer Funktion und hier wie auch beim Hämoglobin Träger 
höherer Wirksamkeit sind, während bei der Polycythämie das 
Gegenteil der Fal) ist, so daß man hier die Vermehrung der Blut- 
zellen als gewissermaßen kompensatorisch für minderwertige 
Einzelexistenzen ansehen müßte. Eine exakte Beweisführung 
aber fehlt auch hierfür noch, denn der Färbeindex geht zahlen- 
mäßig nicht mit dem Katalaseindex parallel, wie auch van Thie- 
nen beobachtet hat. Weitere Forschungen müssen hier noch 
klärend wirken. 
Zusammenfassung. 


1. Bei normalen Blutkörperchen sowie bei sekundären 
Anämien ist der Katalaseindex innerhalb gewisser Grenzen kon- 
stant. 

2. Bei der perniziösen Anämie, und offenbar nur bei dieser, 
erreicht der Katalaseindex oft das Doppelte des Normalwerte, 
wenn auch ein normaler Katalaseindex nicht unbedingt gegen 
perniziöse Anämie spricht. 

3. Bei pathologischer Vermehrung der roten Blutkörperchen 
ist der Katalaseindex in den untersuchten Fällen auffallend niedrig. 

4. Die Erklärung dieser Befunde muß noch Gegenstand 
weiterer Forschung sein. 


Chemische und biochemische Untersuchungen über das 
Nervensystem unter normalen und pathologischen Be- 


dingungen. 


IX. Mitteilung. 
Die pathologische Chemie des Gehirns bei einigen Krankheiten 
mit dementiellem Ausgang. 


Von 
Giacomo Pighini. 


(Aus dem wissenschaftlichen Laboratorium des Psychistrischen Instituts 
in Reggio Emilia.) 


(Eingegangen am 20. Juni 1921.) 


Die beiden zur Analyse und zur fraktionierten Extraktion 
der Bestandteile des Nervengewebes von S. A. Mann und 
W. Koch und von S. Fränkel verwendeten Methoden, gaben in 
diesen letzten Jahren: Anstoß zu vielen und fruchtbaren Anwen- 
dungen im Gebiet der pathologischen Klinik des zentralen Nerven- 
systems. 


Mit der ersten Methode haben die beiden englischen Autoren ungefähr 
20 Gehirne bearbeitet, welche Normalen, solchen an Dementia praecox 
und solchen an progressiver Paralyse Leidenden angehörten; Mott und 
Mann wendeten sie in einem Falle von Dementia amaurotica an; 
Koch und Voegtlin bei menschlicher und experimenteller Pellagra an 
Mäusen und Affen; Koch und Rirdpl& an normalen und durch experi- 
mentelle Beriberi ätaktisch gewordenen Tauben. 

Die Fränkelsche Methode wurde von Allers an Gehirnen von 
Senilen, von mir und Carbone an solchen von progressiver Paralyse 
und Dem. praecox, von Pellresni an Gehirnen von mit Alkohol ver- 
gifteten Hunden angewendet. Im pathologischen Gebiet gibt es dann 
weiter mit verschiedenen Methoden geführte Untersuchungen, so diejenigen 
von Barratt für die progressive Paralyse, die von Udransky für Hunde- 
tollwut, die von Smyth und Mair für die progressive Paralyse und Hemi- 
plegie, die von Mott und Barratt für die Hemiplegie, die von Cianio 
an Tauben, welche mit glasiertem Reis gefüttert wurden, 


G. Pigshmi: Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 145 


Diese Untersuchungen haben ans Licht gebracht, daß das Nerven- 
gewebe im pathologischen Zustande merkliche Veränderungen in seiner 
chemischen Zusammensetzung erleidet, welche mit der Intensität des 
Krankheitsprozesses und der histologischen Veränderung in Beziehung 
zu stehen scheinen. Aber zu verstümmelt und unvollständig sind noch 
immer diese Befunde, um uns für jede bearbeitete Krankheit die relativen 
qualitativen chemischen Veränderungen zu ergeben. Auch ist die allgemeine 
Chemie des Gewebes noch nicht so weit, daß sie uns eine derartige Unter- 
suchung gestattet. 

Es wird vorerst mötig sein, auf solider experimenteller Basis die be- 
sondere chemische Zusammensetzung eines jeden Segments, eines jeden 
Elements und jeder einzelnen Zone des Neuraxis festzustellen; eine solohe 
Arbeit hat Fränkel bereits begonnen, und derartige Untersuchungen 
versprechen in Zukunft uns eine wahre chemische Anatomie des Neuraxis 
zu verschaffen. Aus diesen ersten Studien ist jedoch eine wichtige Tatsache 
hervorgetreten, die wir bei der Bewertung der ersten Daten der patholo- 
gischen Chemie des Gehirnes werden im Auge behalten müssen: Nämlich, 
daß die wichtigsten und bekanntesten Lipoidbestandteile des Nervensystems, 
das sind Cholesterin, Kephalin, Sphingomyelin, die Cerebroside, Sulfatide, 
Sphingogalaktoside, in jeder Region des Neuraxis gegenwärtig sind, aber 
daß sie in demselben in verschiedenen Prozenten und Verhältnissen je 
nach der Zone und der Schicht verteilt sind. Zugleich sind der Wasser- 
und Proteingehalt und der der einzelnen Proteine (wie Globulin, Amino- 
säure) bei der weißen wie der grauen Substanz, bei Gehirn und Kleinhirn, 
bei Bulbus und Mark, verschieden; während man noch nicht hat feststellen 
können, ob gewisse chemische, organische und anorganische Komponenten 
gewissen Teilen oder Regionen eigen seien oder nicht. Die Untersuchungen 
schreiten indessen fort, und auf Grund derselben wird man in Zukunft 
sich auf qualitative differentiative Untersuchungen auf pathologischem 
Gebiet einlassen. Heute müssen wir uns mit den gröberen, aber sichereren 
Ergebnissen, die uns der Vergleich zwischen den verschiedenen fraktionierten 
Extraktionen nach den beiden obengenannten Methoden bietet, begnügen: 
Extıakte, welche normal bei gleichentwickelten Organen uns genügend 
konstante Werte liefern. Ein jeder derselben schon enthält bestimmte und 
in ihrer Molekularzusammensetzung wie in ihren chemischen, physischen 
und biologischen Eigenschaften bekannte Körper. 


Zweck dieses Aufsatzes ist es, eine kritische Betrachtung 
über die ersten Ergebnisse der chemischen Analyse an degenerativ 
erkrankten, dem endlichen klinischen Bild von Dementia sich 
zuwendenden Gehirnen, zu stellen. 

Die bisher unter diesen Krankheiten am besten erforschten, 
wie ich oben andeutete, sind die Dementia paralytica, die Dem. 
praecox, die Dem. pellagrosa. Obwohl diese Krankheiten in der 
Ätiologie wie in der Pathogenesis wohl unterschieden sind, kon- 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 10 = 


146 G. Pighini: 


vergieren sie mit ihrem klinischen Zyklus gegen die letzte demen- 
tiale Form hin und bieten bei der histologischen Untersuchung 
in ähnlichen Intensitätsphasen ähnliche Bilder: Lipoide Abbau- 
produkte im Gewebe und in seinen Elementen, Bildung von 
Amöboid-, Granulose- und Perivasolzellen, lipoidische, fort- 
schreitende Entartung der Nervenzellen. Das nervöse Zentral- 
organ (bei Pellagra auch das Mark) erleidet bei diesen eine fort- 
schreitende Entartung, welche den einzelnen klinischen Formen 
je nach der topographischen Festsetzung im Gewebe, nach ihrer 
Intensität und Qualität ein eigenes Gepräge verleiht. 

Die Bedeutung der topographischen Verteilung der Ver- 
letzung tritt immer mehr hervor, je mehr die Cytoarchitektonik 
des Gehirns allmählich durch die histologischen Untersuchungen 
dieser Krankheiten bekannter und besser studiert wird. Eine 
bemerkenswerte Arbeit von Southard z. B. bringt das Verhältnis 
zwischen den Verletzungen gewisser Schichten (Supra- und 
Intracorticalen) und bestimmten Lappen in den an Dementia 
praecox erkrankten Gehirnen cinerseits und ihren klinischen 
Äußerungen andererseits ins richtige Licht. 

In betreff der Eigenschaft des entartenden Prozesses ist 
uns sehr weniges bekannt, da die histologische Untersuchung 
charakteristischer Befunde für jede einzelne dieser Krankheiten 
bisher nicht gelungen ist sowie auch ihre Krankheitserreger 
(abgesehen von Spirochäten in der progressiven Paralyse) und 
ihre Wirkungsart unbekannt sind. Weil man aber in der pro- 
gressiven Paralyse auf jeden Fall einen an die syphilitische In- 
fektion gebundenen Krankheitserreger anerkennen muß, wird es 
uns erlaubt sein, anzunehmen, daß andere ebenfalls spezifische 
Agentien (direkte oder indirekte Vergifter) bei den beiden weiteren 
Gehirukrankheiten tätig seien, wobei ein jeder gewisse Teile oder 
histologische Elemente oder aber gewisse chemische Gewebs- 
bildungen für seine Wirkung auswählt. Nur so erklärt sich 
die klinische Physiognomie dieser wohl unterschiedenen Krank- 
heiten. . 

Wie wir oben andeuteten, wird es die Aufgabe der zukünftigen 
Pathologie sein, die qualitativen Unterschiede der einzelnen 
histologischen wie histochemischen Veränderungen zu unter- 
suchen. Das bisher Bekannte scheint zu ergeben, daß der Reak- 
tionsmodus des Nervengewebes diesen verschiedenen Erregern 


Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 147 


gegenüber sich in einem in großen Linien gleichförmigen Verlauf 
vollzieht; was zu beweisen scheint, daß der Neuraxis, wenn er 
einen fortschreitenden degenerativen Prozeß erleidet, gegenüber 
unter sich verschiedenen Krankheitserregern sehr ähnliche histo- 
logische wie chemische Veränderungen zeigt; daß also der Prozeß 
immer der nämliche sei, auch wenn er durch verschiedene Ursachen 
hervorgerufen wird. Die spezifische Wirkung der krankheits- 
erregenden Ursache, welche die Qualität der Verletzung bestimmt, 
würde sich hingegen vorwiegend in der topographischen Ver- 
teilung des Nervenorgans, in der Auswahl der Gebiete, für welche 
sie biochemische und physikalisch-chemische Affinität zeigt, und in 
der Intensität sich offenbaren. Es ist z. B. bekannt, welche zahl. 
reichen Heilmittel und Gifte es sind, die primäre Entartung der 
Markseitenstränge bewirken; und doch zeigt sich die Verletzung 
durch alle diese verschiedenen Ursachen sowohl vom histologischen 
als vom histochemischen Standpunkt identisch. Es ist somit 
vernünftig, eine elektive Wirkung jener Gifte für ihre beson- 
deren Nervenfasern (welche die Untersuchungen von Buglia 
und Maestrini von verschiedener chemischer Zusammensetzung 
als die übrigen Markstränge vermuten lassen) anzunehmen, 
wie es vernünftig ist, analoge Wirkung und selektive Fixierung 
auf die Corpus-callosumfasern seitens des Alkohols, auf die 
hinteren Wurzeln und Stränge seitens des luetischen Giftes, auf 
die hinteren Hörner seitens des Cocains und Stovains, auf die 
vorderen seitens des Strychnins, auf die sympathischen Endfäden 
seitens des Adrenalins usw. usw. anzunehmen. 


Die ersten Resultate der chemischen Gehirnanalyse beweisen 
das oben Aufgeführte. Ich werde hier die bloßen Schlußfolgerungen 
der verschiedenen Untersuchungen zusammenfassen, wobei ich 
den Leser, der die hier gemachten Angaben gründlicher betrachten 
will, auf die Originalschriften verweise. 

Bei der progressiven Paralyse (12 Fälle von Pighini und 
Carbone, 5 Fälle von Koch und Mann, verschiedene von 
Smith und Mair) hat man gefunden — am Gehirn — prozentige 
Zunahme von Wasser, Cholesterin, Proteinsubstanzen; sehr starke 
Abnahme der ungesättigten Phosphatiden, merkliche Abnahme 
der gesättigten Phosphatiden, der Cerebroide, Sulfatide und 
Sphingogalaktoside. 

10* 


148 G. Pighini: 


Bei der Dementia praecox (8 Fälle von Pighini, 9 von Koch 
und Mann) findet man (am Gehirn): Mäßige prozentige Zunahme 
an Wasser, Cholesterin und Proteinsubstanzen; leichte Abnahme 
der ungesättigten Phosphatide; merkliche Abnahme der ge- 
sättigten Phosphatide sowie der Cerebroside, Sulfatide, Sphingo- 
galaktoside, sehr akzentuierte Abnahme von neutralem Schwefel 
(Koch und Mann). 

Bei der Dementia pellagrosa (5 Fälle vonKoch und Vögtlin), 
wobei Gehirn, Kleinhirn und Mark beobachtet wurden, sind die 
Veränderungen in den 3 Segmenten des Neuraxis etwas ver- 
schieden: 

a) Im Gehirn: Das Quantum von Wasser und Proteinsub- 
stanzen ist normal, während das Cholesterin etwas abgenommen 
hat, und ziemlich abgenommen haben die Phosphatide, die Cere- 
broside, der neutrale Schwefel. 

b) Im Kleinhirn und im Mark Zunahme an Wasser, und im 
letzteren Zunahme an Proteinsubstanzen im Trockengewebe, 
Zunahme an Cholesterin und Abnahme der Phosphatide, Cere- 
broside, Sulfatide wie im Gehirn. 

Man muß aber nicht vergessen, daß in allen diesen Fällen 
ein niedriges Gehirngewicht gefunden wurde, weshalb man mit 
aller Wahrscheinlichkeit annehmen darf, daß das Organ während 
der Krankheit eine Verminderung seines ÖOriginalgewichtes 
erlitten habe. Die Prozente an Wasser, Cholesterin, Protein- 
substanzen, die wir im frischen Gewebe vorfinden, könnten daher 
auch das Verbleiben dieser Bestandteile an Ort bedeuten, während 
ein Teil des Lipoidmaterials entfernt wird. 

Wenn wir diese Resultate summarisch betrachten, sehen wir, 
daß sie in großen Linien sich entsprechen und daß sie uns einen 
gleichförmigen Prozeß in der Erkrankungsart des Neuraxis in 
den 3 betrachteten Krankheiten offenbaren. Wenn wir die Be- 
sonderheit der Abnahme an neutralem Schwefel bei Dem. 
praecox und pellagrosa, welche wahrscheinlich in Zusammen- 
hang mit der topographischen Verteilung der. histochemischen 
Veränderung steht, außer acht lassen wollen, so können wir in 
dem Gewebe, das degenerativen Vorgängen mehr ausgesetzt wurde 
(i. e.: die Gehirnhemisphären in der progressivon Paralyse und 
Dem. praecox, Rückenmark in der Pellagra), folgende Tat- 
sachen wahrnehmen: Abnahme von Phosphatidert, Cerebrosiden, 


Pathologische Chemie des Gehirns. 1X. 149 


Sulfatiden und Sphingogalaktosiden; Verbleiben im normalen 
Zustand oder Zunahme an Cholesterin, Wasser und Protein- 
substanzen. 

Die Abnahme der Lipoide der ersten Gruppe scheint, je nach 
der Krankheit, merklicher zu sein in dem einen als in dem anderen 
der fraktionierten Extrakte, und es ist nicht ausgeschlossen, 
daß man ansehnlichen qualitativen Verschiedenheiten bei der 
analytischen Betrachtung der verschiedenen Extrakte begegnen 
könne (was schon Allers im Acetonextrakt von Senilgehirnen 
fand). Aufgabe der Zukunftsforschung ist es, das Problem von 
dieser Seite zu untersuchen, um immer besser die chemische Basis 
der psychischen und Nervenveränderungen in Beziehung mit den 
histologischen Verletzungen und der histochemischen Topographie 
des Neuraxis zu erkennen. Diese ersten Resultate der globalen 
fraktionierten Extraktion werden aber ihren Wert nicht verlieren, 
da sie uns über den Modus, wie das Nervenzentralorgan unter der 
Wirkung von bestimmten Krankheitserregern entartet, orien- 
tieren, welcher Modus — der dann zum klinischen Bild der 
Dementia oder, wenn auf dielokomotorischen Fasern und am Marke 
ausgedehnt, zum Bild der Paralyse führt — auch in anderen 
Nervenkrankheiten entsprechende Befunde zeigt. Im frischen 
Gehirn und Mark vom Hemiplegikern hat man Zunahme an 
Wasser und Abnahme an Lipoiden, ausgenommen das Cholesterin, 
das in normälen Verhältnissen verbleibt, gefunden (Smith und 
Mair, Mott und Barratt). Wir treffen Abnahme von Phospha- 
tiden und Cerebrosiden auch in der wallerianischen Entartung 
der Nerven; im Gehirn der an experimenteller Beriberi und 
mit glasiertem Reis gefütterten Tauben finden wir entsprechend 
M. Koch und Rirdole einerseits und Ciaccio andererseits Ab- 
nahme von Phosphatiden; Udonsky begegnet bei Tollwut Lipoid- 
entartung und relative Zunahme an Wasser im Gehirn. 

Alle diese auf die Entartung des Neuraxis sich beziehenden 
Angaben sind mit denjenigen der 3 oben besprochenen degenera- 
tiven Geisteskrankheiten im Einklang. 

Gestatten uns unsere Kenntnisse über die biochemischen 
und physikalisch-chemischen Eigenschaften der Nervengewebs- 
bestandteile eine pathogenetische Erklärung dieses Entartungs- 
vorganges zu wagen? Ein kleiner Versuch ist wohl erlaubt, 
selbstverständlich ist er allen späteren infolge der weiteren Unter- 


150 G. Pighini: 


suchungen und Entdeckungen in diesem dunklen Gebiet sich 
ergebenden Veränderungen unterworfen. 

Halten wir indessen folgende Tatsache fest: Die Gehirn- 
lipoide haben nicht alle dasselbe physikalisch-chemische Verhalten 
gegenüber organischen und anorganischen Lösungsmitteln. Grund- 
verschieden zeigt sich das Cholesterin gegenüber den anderen 
Lipoiden. Während diese — z. B. das Kephalin, die Cerebroside, 
die Sphingomyeline — sich gegenüber den organischen Lösungs- 
mitteln wie Kolloide verhalten, bildet hingegen das Cholesterin 
förmliche Lösungen (es erhöht deren oberflächliche Spannung 
und den Siedepunkt, wirkt auf die Dampfspannung im Verhältnis 
zu seinem Molekulargewicht); und während die anderen Lipoide 
in den wässerigen Emulsionen (wie in den kreisenden Plasmen) 
die oberflächliche Spannung der dispergierenden Mittel erniedrigen, 
erhöht sie das Cholesterin. 

Ferner folgt ein jedes Lipoid in bezug auf die Substanz, die 
es adsorbiert, einer eigenen Adsorptionsisotherme; und auch bei 
dieser Erscheinung verhält sich das Cholesterin in entgegengesetz- 
ter Weise und wurde daher zu den „Halblipoiden‘‘ gezählt. 
Siehe z. B. die Experimente von Loewe über das Verhalten der 
verschiedenen Lipoide im biphasischen Lipoid-Chloroform-Me- 
thylenblauwasser-System. Der Krankheitserreger (dessen Wir- 
kung auf die Diastasen wir beiseite lassen wollen) wird wegen 
seiner physikalisch-chemischen Verwandtschaft mit den Lipoid- 
bestandteilen zwischen den beiden Phasen — wässerige Lösung 
und lipoproteidische Emulsion — verteilt, von bestimmten Lipoid- 
bestandteilen dieser letzteren adsorbiert, wobei dadurch eine Zer- 
telung der physikalisch-chemischen endocellulären Gebäude be- 
wirkt wird. 

Da nun jede disperse Phase in bezug auf die adsorbierte 
Substanz in bestimmter Weise reagiert, wird es das Bestreben 
haben, in homogenen Tropfen sich zu sammeln und in dem Mittel 
sich zu differenzieren, wodurch es bei der histochemischen 
"Prüfung ersichtlich wird. Je nach der Fähigkeit, sich in den 
wässerigen Plasmen, welche das Gewebe durchnässen, zu emul- 
sionieren, werden diese befreiten Lipoide mit mehr oder weniger 
Leichtigkeit in jene diffundieren. | | 

Die Untersuchungen von Novi sind in dieser Beziehung 
interessant. Er konstatierte, daß die Einspritzung von destillier- 


Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 151 


tem Wasser an der Carotis das Gehirn von seinen Phosphatiden 
entblößt (bis zur Hälfte), während das Cholesterin in situ 
unverändert bleibt. Das erweist wiederum die verschiedenen 
kolloidalen Eigenschaften der beiden Lipoidgruppen, denn das 
Cholesterin verhält sich in den wässerigen Mitteln wie die hydro- 
phoben Kolloide (Suspensoide), während die Phosphatide wie die 
Hydrophilen (Emulsoiden) sich verhalten, wobei die Leichtigkeit, 
mit der diese letzteren die optischen Eigenschaften ihres kry- 
stallinischen Zustandes verlieren, wenn man zu ihrem Krystall- 
wasser noch weiteres Wasser beifügt, bekannt ist (Göthlin). 

Wir haben oben gesehen, wie die chemisch-pathologische 
Veränderung der Gehirne im Dementiazustand, in den 3 bis jetzt 
unter diesem Gesichtspunkt untersuchten Krankheiten in der 
Hauptsache zu einer Verarmung der eigentlichen Lipoide (Phos- 
phatide, Cerebroside usw.) der Gewebe führen, während das Cho- 
lesterin, das Wasser und die Proteinmasse in situ bleiben. 

Es ist zur Zeit noch zweifelhaft, ob der Wassergehalt dieser 
kranken Gehirne absolut oder bloß im Verhältnis zum Gewicht 
der festen Masse, die gegenüber dem normalen Zustande ab- 
genommen hat, sich vermehrt hat. Die Wasseraufnahme seitens 
des Nervengewebes erfolgt, nach Hocker und Fischer, wie beim 
Fibrin und dem Muskelgewebe, d. h. hauptsächlich mittelst 
Albuminoiden. Da nun die Albuminmasse vollständig gleich 
geblieben ist und ein Teil derselben den lipoproteidischen Trennungs- 
prozeß erlitten hat, darf man annehmen, daß die neuen Protein- 
moleküle ein größeres Quantum Wasser zu sich genommen haben, 
was den Verlust an Lipoiden wettmachen würde. 

Ein jeder dieser pathogenetischen Erklärungsversuche bedarf 
eigener systematischer Untersuchungen; ich habe sie bloß an- 
geben wollen, um darzutun, daß die wenigen Tatsachen, die uns 
bisher bekannt sind, mit dem chemisch-pathologischen Vorgang 
der 3 betrachteten Krankheiten im Einklang stehen. Es möge 
uns daher gestattet sein, für heute auf die Resultate dieser ersten 
Untersuchungen, welche die allgemeinen Regeln, die der Neu- 
raxis bei seinem Erkranken unter der Wirkung von degenerativen 
Erregern befolgt, und welche ferner die klinische Tatsache der 
Umwandlung dieser Krankheiten in eine gleichartige Endphase 
der Dementia zu beweisen scheinen, aufmerksanı zu machen. 


Über den Kreatingehalt des menschlichen Herzmuskels 
bei verschiedenen Krankheitszuständen. 
-Von 
Fr. Constabel. 
(Aus der Medizinischen Poliklinik der Universität Halle a. S.) 
(Eingegungen am 30. Juni 1921.) 


Die Frage, ob der Dehnungszustand des menschlichen Herz- 
muskels ausschließlich von der Kontraktionskraft und den Arbeits- 
bedingungen abhängt, oder ob außerdem ein von der Kontraktions- 
kraft unabhängiger Tonus des Herzens besteht, hat neuerdings 
wieder vermehrtes klinisches Interesse gefunden. Klinische Beob- 
achtungen weisen auf die Möglichkeit einer Dilatation hin. 
die in keinem direkten Verhältnis steht zu dem während der 
Diastole in dem betreffenden Herzabschnitt herrschenden Drucke. 
Auch am quergestreiften Skelettmuskel wird neuerdings wieder 
von manchen Autoren der Tonus von der Eigenschaft der Kon- 
traktion getrennt und ersterer von dem autonomen, letzterer 
von dem willkürlichen motorischen Nervensystem : abhängig 
gedacht. Pekelharing!) und Frank?) teilen Beobachtungen 
mit, die darauf hinweisen, daß in Muskeln mit erhöhtem Tonus 
der Gehalt an Kreatin vermehrt ist. Dem widersprechen freilich 
die Beobachtungen von Kahn?), der an den Muskeln der vorderen 
Extremitäten des Frosches während des tonischen Umklammerungs- 
reflexes einen niedrigeren Kreatingehalt fand als an den nicht 
tonisierten Muskeln der Hinterextremitäten. 

Wenn demnach die Frage nach der Beziehung des Kreatin- 
gehaltes zum Tonus des Muskels noch nicht geklärt ist, so erscheint 
es erwünscht, weitere Tatsachen als Beitrag zu dieser wichtigen 
Frage des Muskelstoffwechsels zu sammeln. Aus diesen Über- 
legungen heraus habe ich bei Leichen, die an verschiedenen Krank- 
heiten gestorben waren, den Kreatingehalt des Herzmuskels, 
z. T. an Proben, die beiden Kammern entnommen waren, bestimmt. 

1) Pekelharing, Zeitschr. f. physiol. Chemie 78, 207. 


2) E. Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1919, Nr. 45. 
3) R. H. Kahn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 177, 294. 1919. 


‚Fr. Constabel: Kreatingehalt des menschlichen Herzmuskels usw. 153 


Das Material stamınte aus den Pathologischen Instituten der Uni- 
versitäten Halle und Hamburg. Die Kreatinbestimmungen wurden nach 
den Vorschriften von Kahn ausgeführt. Doppelbestimmungen ergaben 
gut übereinstimmende Ergebnisse. Im ganzen wurden die Herzen von 
38 Leichen auf ihren Kreatingehalt untersucht. 

Dabei wurden folgende Ergebnisse erzielt: 

In dem Herzmuskel menschlicher Leichen wurde bei normaler 
Muskelbeschaffenheit (Tod durch Suicid, im Status epilepticus) 
ein Kreatingehalt von 1,7—1,8 mg pro Gramm Muskelsubstanz 
gefunden. Ähnliche Werte fanden sich bei Nierenkranken mit 
straffen bzw. leicht hypertrophischem Herzmuskel (4 Fälle). 

Niedrige Kreatinwerte zwischen 0,6 und 1,2 mg fanden sich 
bei 6 Fallen von fettiger Herzmuskelentartung mit, weicher brüchi- 
ger Muskelbeschaffenheit und bei einem Fall von Diphtherieherztod. 
Der Kreatingehalt des rechten und linken Ventrikels wies bei diesen 
Fällen keinen deutlichen Unterschied auf. Auch bei 2 Fällen von 
eitriger Peritonitis wurden niedrige Werte von 1,2 mg gefunden. 

Bei 3 Fällen von Kachexie durch Rückenmarkstumor, 
Carcinoma recti und Katatonie wurden schr niedrige Werte von 
0,7—1,0 mg ermittelt, bei einem Falle von Tetanus nur 0,8 mg. 

2 Fälle von Typhus abdominalis ergaben 1,40—1,46 mg, 
4 Fälle von Lungentuberkulose 1,4—1,5 mg Kreatin. Eine tuber- 
kulöse gelatinöse Pneumonie mit akutem Verlauf dagegen ergab 
den hohen Krcatinwert von 1,88 mg. 

Bei Furunculose, Decubitus mit Weichtellabscessen und bei 
Osteomyelitis fanden sich 1,5—1,7 mg, bei einem Fall von Hirn- 
absceß 1,6 mg, bei 2 Fällen von Puerperalsepsis 1,88 mg Kreatin 
im Gramm Muskelsubstanz. 

Während im allgemeinen die im linken und rechten Ventrikel 
bestimmten Werte bis auf weniger als 10%, des Wertes überein- 
stimmten, fand sich bei einer Aorteninsuffizienz mit Hypertrophie 
des linken Ventrikels links 1,60, rechts 1,28 mg, bei einem zweiten 
ähnlichen Falle links 1,75, rechts 1,30 mg Kreatin. 

Ein deutlicher Einfluß des Alters und Geschlechts auf den 
Kreatingehalt des Herzens wurde nicht beobachtet. 

Im großen und ganzen wurde also bei guter straffer Be- 
schaffenheit des Herzmuskels ein hoher Kreatinwert, bei schlaffer 
Beschaffenheit, besonders bei fettiger Entartung des Herzmuskels, 
niedriger Kreatinwert beobachtet. 


Beiträge zur Physiologie der Drüsen. 
XLVIII. Mitteilung. 


Von 


Leon Asher. 
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.) 


Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel des milz- 
losen Hundes. 
Von 
Chu Koda (Tokio). 
(Eingegangen am 21. Juni 1921.) 


Der respiratorische Stoffwechsel in seinem Zusammenhang 
mit der Milz wurde von Nicola Danoff an der Ratte untersucht. 
Es ergab sich, daß die Wegnahme der Milz eine Steigerung des 
respiratotischen Stoffwechsels bewirkte (Nicola Danoff, diese 
Zeitschr. 93, Heft1/2. 1919). Daraus konnte der Schluß gezogen wer- 
den, daß mit Rücksicht auf den respiratorischen Umsatz Milz und 
Schilddrüse antagonistisch wirken, indem ja die Wegnahme der 
letzteren den respiratorischen Umsatz herabsetzt. Dieser Schluß 
stand auch im Einklang mit den Beobachtungen von Streuli 
(H. Streuli, diese Zeitschr. 98, 359. 1918), welcher gefunden 
hatte, daß Ratten ohne Milz empfindlicher, ohne Schilddrüse 
unempfindlicher gegen Sauerstoffmangel werden. Nun liegen die 
Verhältnisse bei der Ratte etwas eigenartig, indem die Ratte die 
Wegnahme der Milz nur 10 Tage lang überlebt, wie sowohl aus 
den Beobachtungen von Danoff wie auch denen vor Lepehne 
hervorgeht. Hauri dehnte die Untersuchung auf das Kaninchen 
aus (Otto Hauri, diese Zeitschr. 98, 1. 1919) und fand bei diesen, 
daß nach Entfernung der Milz die Wasser und Kohlensäure- 
abgabe steigt; auch fand er, daß die nachträgliche Entfernung 
der Milz beim schilddrüsenlosen Tier die auf die erste Operation 
hin verminderte Kohlensäure und Wasserausscheidung wieder 
zum Ansteigen bringt. Die letztgenannte Tatsache kann aber 
nicht so hoch bewertet werden, weil Ruchti (E. Ruchti, diese 


L. Asher: Drüsen. XLVIII. 155 


Zeitschr. 105, H. 1—3. 1920) seitdem im Berner Physiologischen 
Institut fand, daß beim Kaninchen 8—10 Tage nach Wegnahme 
der Schilddrüse der respiratorische Umsatz sich wiederum der 
Norm zu nähern beginnt und erst durch hinzugefügte Wegnahme 
der Thymus längere Zeit, wenn nicht dauernd, auf seinem niedrigen 
Stande verbleibt. | 

Da der Hund dasjenige Tier war, an dem früher Asher mit 
seinen Mitarbeitern Grossenbacher und Zimmermann die 
Rolle der Milz am Eisenstoffwechsel klargelegt hatte, war es 
geboten, die Beziehung zwischen Milz und respiratorischem Stoff- 
wechsel an diesem Tiere zu untersuchen. Ich folgte daher der 
Aufforderung von Professor Asher, den respiratorischen Umsatz 
des Hundes vor und nach der Milzexstirpation zu untersuchen. 


Die Methode, deren ich mich bediente, ist die im Berner Institut 
übliche, wie sie zuletzt von Jose M. de Corral (José M. de Corral, diese 
Zeitschr. 86, 176. 1918) genau beschrieben wurde. Wie er, gebrauchte ich 
die Hundekammer des J aq uetschen Respirstionsapparates und analysierte 
die gewonnenen Luftproben mit einem Haldaneschen Gasanalysenapparat. 
Alle Versuche wurden an einem 14!/, kg sohweren Foxterrier, der sioh zu 
Respirationsversuchen gut eignete, weil er in der Respirationskammer 
während der Versuchsdauer ruhig liegen blieb, angestellt. Vor Beginn 
der länger andauernden Versuchsperiode, die sioh vom 1. V. 1919 bis zum 
12. VIL 1919 erstreckte, wurde er auf die Versuche in der Kammer ein- 
dressiertt. Der Hund erhielt als Nahrung einen gleichmäßig zusammen- 
gesetzten Hundekuchen. 20 Stunden vor Beginn eines Versuches wurde 
ihm die Nahrung entzogen, so daß er in dem geeigneten Zustand für die 
Untersuchung des Grundumsatzes in die Respirationakammer kam. 


In der Zeit vom 1. bis 13. V. wurden 5 Respirationsversuche 
angestellt, die zur Beurteilung des Grundumsatzes des normalen 
Hundes während einer Periode gewöhnlicher Nahrung dienten. 


Die Ergebnisse dieser Reihe, wie die aller nachfolgenden Versuche, 
sind in einer Generaltabelle zusammengefaßt, die alle nötigen Angaben 
enthält. Als Durchschnittswert ergab sioh eine Kohlensäureproduktion 
pro Kilo und Minute von 7,23 com, ein Sauerstoffverbrauch pro Kilo und 
Minute von 8,76 com und ein respiratorischer Quotient von 0,76. Vergleiohe 
ioh meine Werte mit den sonst bekannten aus der Literatur, so stimmen 
dieselben mit ihnen ziemlich überein. Die Durchschnittswerte von Corral 
waren ein klein wenig höher, was wohl mit der Individualität seines Ver - 
suchshundes zusammenhängen mag. Der Respirationsquotient entspricht 
einem Stoffwechsel, an dem Fette und Eiweiß neben Kohlenhydraten in 
der normalen Weise beteiligt sind. Untereinander stimmten die Werte 
des Respirationsquotient aus 2 Versuchsperioden, wie die Tabelle zeigt, 
hinreichend tiberein. | 


156 L. Asher: 


Tabelle I. 
(Hund Nr. III. Foxterrier.) 














— m m — nn nn a 






































— p Z5 z| Luftanalyse |CO,-Produktionf O,- Verbrauch 
= DE Be- 
— 3 A — Sande Ci R--Q- | merkungen 
* | Se i. Liter|in cem li Liter|in ccm E 
l 1. V. 1919| 668 6.99 | 8,02 | 9,22 | 0,76 | Normaler 
| 591 6,83 | 7,66 | 8,81 10,78 | Hund, ge- 
2! 3. v. 1919| 791 6,42 | 7,51 | 9,10 |o,7ı [wöhnliche 
| 1098 | 5.85 | 7,68 | 9,30 [0,63 e- 
3) 7. V. 1919| 791 6.57 | 7,59 | 8,76 [0,75 
| 803 6.30 | 7,47 | 8,61 [0,73 
i 815 6.67 | 7,58 | 8,74 [0,76 
4 9. V. 1919| 784 6.00 | 7,13 | 8,28 | 0,73 
| 802 5,40 | 5,78 | 6,71 |0,81 
| 807 6,85 | 7,67 | 8,90 | 0,77 
5 18. V. 1919| 1004 7,44 | 8.18 | 9,56 | 0,78 
| 736 5.37 | 6.03 | 7,10 | 0,77 
Mittelwerte: 0,78 |20,06 | 5,47 | 7,28 | 7,86 | 8,76 [0,75 
Tabelle I. 
sio = |E} E E “Loitinniyse CO,-Produktion 
2 | “es i Be- 
5 | Datum = 2 S Stunda; u. Min. merkungen 
á j = J i. Liter in cem 
— ö—⸗⸗ 
6 14. V. 1019| 758 | 0,84 09 16 
| 743 | 0,80 ! 20.01 66 
719. V. 1919| 771 | 0,79 | 20,00 81 
726 | 0,81 | 19,99 58 
| 748 | 0,74 | 20,03 17 
8| 21. V. 1919| 874 | 0,80 | 20,02 66 
| 871 | 0,73 | 20,08 94 
| 860 | 0,74 | 20,07 95 
926. V. 1919| 669 | 0,88 19,94 42 
| 630 | 1,11 | 19,70 69 
636 | 0,98 s 83 
10/28. V. 1919| 764 | 0,66 | 20,15 50 
| I 767 | 0,68 : 20,15 c9 
| 132 | 0,71 |20,10 68 
3. VI. 1919| 856 | 0,60 | 20,23 ; 
760 | 0,66 | 20,15 
792 | 0,72 120,11 








Mittelwerte: 





Drüsen. XLVIII. 157 


Tabelle III. 











































s ER: g| Luftanalyse CO,-Produktion @,-Verbrauch 
g “38 Be- 
p| Dem 15mm de |A Mi | atana a m| E O [merkungen 
á | ERS in Liter | in ccm | in Liter | in cem 
11 | 13. VI. 1919 4,18 | 5,20 0,78 | 4. Juni 
4,54 | 5,65 0,71) Ent- 
| 4,23 | 5,26 mne 
12 | 16. VI. 1919 | 864 4,06 | 5,09 Hund. 
| 19. VI. 1919 | 857 4,28 | 5,33 Gewöhr- 
| 732 4,25 | 5,28 liche 
| 752 421 | 5,24 Nahrung. 
14! 23. VI. 1919 | 746 4,74 | 5,99 
709 5,46 | 6,74 
733 4,18 | 5,15 
| 26. VI. 1919 | 789 5,29 | 6,48 
| 790 4,85 |. 5,61 
| 767 5,83 | 7,15 
16! 28. VI. 1919 | 806 5,89 | 7,24 
| 791 4.67 | 5.74 
| 752 4,96 | 6,11 
17 2.v11.1919 | 800 4,08 | 5,02 
| 805 6,04 | 7,43 
| 808 5,01 | 6,16 
Mittelwerte: | 4,78 | 5,89 | 6,08 | 7,68 |0,78 
Tabelle IV. 
A 38* Luftanalyse | | CO,-Produktion _O,-Verbrauch J 
E 33 kg kg 3 
“ >A % % |inLiter|in cem | inLiter|in ccm 











| 


18} 4. VII. 1919| 781 — 19,99 0,83 | Milzloser 


849 | 0,71 | 20,14 0,82] Hund. 
840 | 0,66 | 20,19 Pepton 
19| 8. VII. 1919] 768 | 0,77 | 20,05 0.80 | gegeben. 


818 | 0,76 | 20.03 


2010. VIL.1919| 831 | 0,71 | 20,15 
825 | 0,66 | 20.06 
816 | 0,77 | 20.06 
21 |19. VII. 1919| 820 | 0,51 | 20,33 
809 | 0,75 | 20,10 
850 | 0,63 | 20,22 


Mittelwerte: 


77 

845 | .0,82 | 19,99 
| 16 
71 


5,68 | 6,94 


158 L. Asher: 


In der nächsten Versuchsreihe erhielt der im übrigen gleich be- 
handelte Hund anderthalb Stunden, ehe er in die Respirationskam- 
mer gebracht wurde, 30 g Witte-Pepton in 200 ccm Wasser gelöst. 

Das Präparat wurde dem Hunde durch die Schlundsonde eingegeben. 
Ich gab das Pepton in der Absicht, den Hund während der Zeit. in welcher 
er sich in der Respirationskammer befand, in einen Zustand erhöhter 
Lebertätigkeit versetzt zu wissen. Daß die Eingabe von Pepton die Tätig- 
keit der Leber erhöht, wurde zum ersten Male von Asher und Barbera 
duroh den Nachweis gezeigt, daß nach intravenöser Injektion von Pepton 
vermehrte Gallenbildung neben gesteigerter Lymphbildung zu beobachten 
ist. In mannigfacher Weise wurde seither die Steigerung der Lebertätigkeit 
unter dem Einflusse von Pepton von Asher und seinen Mitarbeitern 
erwiesen. Vom Standpunkte der Stoffwechselphysiologie ist besonders die 
von Tschannen gefundene Tatsache beachtenswert, daß orale Eingabe 
von Pepton bei der Ratte die Leber glykogenfrei machen kann. Am Hund 
hatte Loeb (Physiologisches Institut) gezeigt, daß Fütterung mit Pepton 
den GallenflußB aus einer Dauerfistel merklich steigert eine Steigerung, 
die mindestens zum Teil auf vermehrte Bildung der Galle zurückzuführen ist. 

Ich habe im ganzen 6 Versuche mit Peptonfütterung ausgeführt. 
Die Dauer des Aufenthaltes des Hundes in der Respirationskammer 
in den einzelnen Versüchen erstreckte sich über mehrere Stunden. 

Wie meine Gencraltabelle zeigt, war die Kohlensäurebildung und der 
Sauerstoffverbrauch eher in dieser ganzen Reihe etwas kleiner als vorher, 
nämlich pro Kilogramm und Minute 6,53ccm CO, und 8,3200m O,. Die kleine 
Abnahme führe ich auf die größere Gewöhnung des Hundes an das ruhige 
Liegen im Respirationskasten zurück. Der respiratorische Quotient war 
der gleiche wie in der Reihe vorher. 

Das Ergebnis dieser Versuchsreihe liefert keinen Anhaltspunkt 
dafür, daß der respiratorische Stoffwechsel dem durch andere Metho- 
den nachgewiesenen veränderten Verhalten der Leber Ausdruck 
verleiht. Man wird vielleicht geneigt sein, auf Grund der Respira- 
tionsversuche in Zweifel zu ziehen, daß überhaupt unter dem 
Einfluß des Peptonr eine gesteigerte Iebertätigkeit zustande 
kommt. Ich glaube aber nicht, daß das negative Ergebnis irgend- 
wie zwingend die besondere Art gesteigerter Lebertätigkeit, wie 
sie unter dem Einflusse des Peptons entsteht, abzulehnen nötigt. 
Es gibt Drüsenaktivität, welche mit einer sehr merklichen Steige- 
rung des Umsatzes einhergeht, es gibt wiederum andere Drüsen- 
tätigkeiten, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Streitfrage der 
Bewertung der sogenannten Verdauungsarbeit wäre nicht so 
schwer zu lösen, wenn die Beziehungen zwischen Gaswechsel und 
sämtlichen Drüsentätigkeiten einfacher Natur wären. 


Drüsen. XLVII. | 159 


Am 4. VI. 1919 schritt ich zur Entmilzung des Hundes. Die- 
selbe geschah unter Anwendung von Morphium und Äthernarkose. 


Der Bauchschnitt wurde entlang der Linea alba geführt. Die aseptisch 
bewerkstelligte Operation dauerte 18 Minuten. Nach Exstirpation der 
Milz, welche 37 g wog, untersuchte ich die weitere Umgegend auf das etwaige 
Vorhandensein von Nebenmilz. Am 13. VI. war die Operationswunde völlig 
geheilt, so daß der Hund zum ersten Male wieder in die Respirationskammer 
kommen konnte. Das Körpergewicht hatte am 3. VI. vor der Operation 
14!/, kg betragen, am 13. VI., 9 Tage nach der Entmilzung, betrug es 
13!/, kg. Auf diesem um 1kg verminderten Körpergewicht hielt sich der 
Hund bis zum Schlusse sämtlicher Versuchsreihen am 12. VII. Der Hund 
erhielt in der Periode vom 13. VI. bis 2. VII. eine gewöhnliche gemischte 
Nahrung und kam behufs Untersuchung des Grundumsatzes nach 18- bis 
20stündigem Fasten in die Respirationskammer. Im ganzen habe ich in 
dieser Reihe 7 Versuche angestellt. 


Aus der Übersicht in meiner Generaltabelle ergibt sich, daß 
als Mittelwerte der 7 Versuche pro Kilogramm und Minute 
5,89 ccm CO, gebildet und 7,53 ccm O, verbraucht wurden. Der 
Respirationsquotient blieb auf dem konstanten Wert von 0,78. 
Diese Versuchsreihe läßt sich nicht anders deuten, als daß die 
Entfernung der Milz beim Hunde nicht zu einer Steigerung des 
Grundumsatzes, beurteilt nach dem Gaswechsel, führt. Unerwartet 
ist dieses Ergebnis insofern, als Richet auf Grund der Unter- 
suchung der Stickstoffausscheidung am Hund von einem gesteiger- 
ten Stoffwechsel infolge Fehlens der Milz spricht. Mein Ergebnis 
steht auch im Gegensatz zu dem Befund von Danoff an der 
Ratte. Es könnte bezweifelt werden, ob vielleicht die Milzexstir- 
pation eine vollständige gewesen sei. Wir besitzen aber ein Kri- 
terium, um die Vollständigkeit der Milzexstirpation zu beurteilen, 
das ist das Vorhandensein von Jollykörpern im Blute. Ich habe 
nach der Milzexstirpation bis zum Schlusse der Arbeit die Jolly- 
körper im Blute nachweisen können. Es könnte ferner der Ein- 
wand erhoben werden, daß der negative Ausfall der Versuche eine 
individuelle Erscheinung an meinem Versuchshund gewesen sei. 
Ich habe mir diesen Einwand selbst gemacht und auch an einem 
zweiten Hunde gearbeitet, konnte aber aus äußeren Gründen 
die an diesem Hunde begonnene Versuchsreihe nicht zu Ende 
führen. Daß der genannte Einwand aber hinfällig sei, wird in der 
nachfolgenden Arbeit von Dr. Doubler gezeigt, der unter neuen 
Bedingungen das Verhalten des milzlosen Hundes prüfte. 

Ich schloß an die soeben dargelegte Versuchsreihe eine weitere 


160 L. Asher: Drüsen. XLVIII. 


an, in welcher dem milzlosen Hunde in der früher beschriebenen 
Weise Pepton gegeben wurde. Ich habe 4 derartige Versuche 
angestellt. Wie aus meiner Übersichtstabelle hervorgeht, beträgt 
der durchschnittliche Wert pro Kilogramm Körpergewicht und 
Minute 6,94 ccm CO,-Bildung und, 8,67 ccm O,-Verbrauch.. Diese 
Werte sind größer als diejenigen, die den Gaswechsel des milzlosen 
Hundes bei gewöhnlicher Nahrung betreffen, und sie sind auch 
größer als die Werte beim normalen Hunde während der Periode 
der Zufuhr von Pepton. Es ist noch zu bemerken, daß alle sonstigen 
Bedingungen während der Versuchsreihe genau die gleichen waren 
wie vorher, namentlich war die Temperatur des Versuchsraumes 
nicht verschieden. Nach dem, was ich früher ausgeführt habe, 
war eigentlich unter der Einwirkung von Pepton eine Erhöhung 
des Gaswechsels zu erwarten; sowohl deshalb, weil die spezifisch 
dynamische Wirkung hätte eintreten können, wie auch wegen 
der durch anderweitige Methoden nachgewiesenen Erhöhung der 
Lebertätigkeit. In der Normalreihe war aber eine derartige 
Steigerung nicht eingetreten. Daß sie in der Versuchsreihe am 
milzlosen Hunde zum Ausdruck gelangt ist, ist nicht ganz leicht 
zu erklären. Das Wenige, was wir über den Zusammenhang von 
Milz und Lebertätigkeit wissen, besteht in Grundlagen über die 
Vorstellung, daß die Milz die Tätigkeit der Leber zu aktivieren 
vermag. Abgesehen von Puglieses Beweis, daß bei fehlender 
Milz die Gallenfarbstoffbildung vermindert ist, sind es namentlich 
die von Ebnöther im Berner Laboratorium aufgefundenen Ver- 
stärkungen der Hämolyse und des Hämoglobinabbaus in der Leber 
durch Milzextrakt, die in diesem Sinne sprechen. Ich hatte sogar 
ursprünglich die ganze Versuchsreihe mit Pepton deshalb geplant, 
um einen Einblick in die Größe der Lebertätigkeit beim normalen 
und milzlosen Tier zu erhalten. Bei dem Ausfall des Versuches 
beim Normaltier bleibt aber der Versuchsplan auf diesem Wege 
vorläufig nicht durchführbar und deshalb muß auch auf einen 
Erklärungsversuch der anscheinenden Erhöhung des Gaswechsels 
im letzten Versuch verzichtet werden. 

Als wesentliches Ergebnis der vorstehenden Arbeit ist der 
Nachweis zu bezeichnen, daß beim Hunde, der auf gewöhnliche 
Weise ernährt wird, die Milzexstirpation keinen erkennbaren 
Einfluß auf die Größe des Gaswechsels hat, daß demnach die 
Verhältnisse anders liegen als bei der Ratte und dem Kaninchen. 


Beiträge zur Physiologie der Drüsen. 
XLIX. Mitteilung. 


Von 
Leon Asher. 


(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.) 


Der respiratorische Umsatz des milziosen und eisenarm ernährten 
Hundes. 


Von 
Franeis H. Doubler. 


(Eingegangen am 21, Juni 1921.) 


In einer aus dem Berner Institut hervorgegangenen Arbeit 
fand Streuli, daß entmilzte Ratten auf Luftverdünnung viel 
intensiver als normale Ratten reagierten, diese wiederum mehr 
als schilddrüsenlose Tiere. Vorher konnte Rippstein in einer 
gleichfalls aus dem Berner Institut hervorgegangenen Arbeit 
zeigen, daß die Symptome, welche er bei Ratten in der Unter- 
druckkammer beobachtete, auf Sauerstoffmangel beruhten. Im 
Anschluß hieran verglich Danoff den respiratorischen Stoff- 
wechsel von normalen und milzlosen Ratten miteinander und fand 
dabei, daß nach Entfernung der Milz der Grundumsatz, beurteilt 
an Kohlensäurebildung und Sauerstoffverbrauch, von Tag zu Tag 
zunahm, während die respiratorischen Quotienten unverändert 
blieben. Sodann konnte Duran zeigen, daß die Empfindlichkeit 
gegen Sauerstoffmangel bei mit Schilddrüsensubstanz gefütterten 
Ratten viel größer ist als bei normalen Ratten und noch größer 
als bei schilddrüsenlosen Tieren. Aus all diesen Untersuchungen 
an Ratten ergab sich eine antagonistische Beziehung zwischen 
der Milz und der Schilddrüse — die eine hemmt, die andere fördert 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 11 


162 L. Asher: 


Dubois, der an Kaninchen arbeitete, wies auf eine antagonisti- , 
sche Beziehung zwischen Milz und Schilddrüse in bezug auf die 
Blutbildung hin. Messerli konnte dadurch, daß er den Vorgang der 
Blutbildung bei experimentell erzeugtem Sauerstoffmangel weiter 
verfolgte, neue Stützen für die behauptete Beziehung gewinnen. 
Auch für die Faktoren, die an der Blutgerinnung beteiligt sind, 
konnte Yamada ein ähnliches Verhältnis wahrscheinlich machen. 

Am Hund konnte zuerst der Nachweis geliefert werden, daß 
die Milz ein Organ des Eisenstoffwechsels sei, in dem Asher und 
seine Mitarbeiter Grossenbacher und Zimmermann bewiesen, 
daß, wenn die Milz fehlt, abnorm große Mengen von Eisen aus- 
geschieden wurden. Diese Tatsache gilt auch für den Menschen, 
wie aus den Untersuchungen von Bayer in der Carr&schen und 
von Roth in der Eichhorstschen Klinik hervorging. Die neue 
Lehre wurde dann durch die späteren histologischen Untersuchungen 
von Aschoff und M. B. Schmidt bestätigt. 

Etwas abseits von der Reihe der genannten Tatsachen steht 
die von Ebnöther in seinen Untersuchungen im Berner Institut 
erkannte neue Funktion der Milz, die Tätigkeit der Leber bei der 
Hämolyse roter Blutkörpercheh und dem Abbau von Hämoglobin 
zu aktivieren. 

Was nun die Untersuchungen des respiratorischen Stoff- 
wechsels anlangt, so lagen bisher nur Versuche an der Ratte vor, 
während am Hund nur der Eisenstoffwechsel in seiner Beziehung 
zur Milz geprüft wurde. Deshalb hat Koda in der meiner Arbeit 
voraufgehenden Untersuchung den respiratorischen Umsatz des 
normalen und milzlosen Hundes miteinander verglichen. Das 
Ergebnis dieser Untersuchung war, daß ein Unterschied im 
Gaswechsel nicht zutage trat. Nun hatte Koda seine Unter- 
suchungen an Hunden angestellt, welche mit gewöhnlicher Nah- 
rung, also einer, welche erfahrungsgemäß die auch für den milz- 
losen Hund hinreichende Eisenmenge enthielt, ernährt waren. 
Daß dieser Umstand bei Prüfung der Milzfunktion nicht gleich- 
gültig ist, hatte Sollberger bei seinen Untersuchungen an 
Kaninchen gezeigt. Normale und milzlose Kaninchen regenerieren 
gleichgut ihre roten Blutkörperchen, wenn sie mit der Nahrung 
die nötigen Eisenmengen erhalten. Sobald aber das Eisen in der 
Nahrung fortgelassen wird, tritt die Minderbefähigung des milz- 
losen Kaninchens zur Blutregeneration zutage. 


Drüsen. XLIX. 163. 


Weglassung von Eisen bedeutet nun an sich schon einen Stoff- 
wechseleingriff und daher mußten zuerst die von Koda mit- 
geteilten Versüchsreihen angestellt werden, die von dieser Ände- 
rung absahen. Ich folgte der Anregung von Professor Asher, 
um erst den Grundumsatz des normalen anfänglich mit gewöhn- 
licher, sodann mit eisenarmer Nahrung ernährten Hundes zu 
vergleichen, um dann nach Entfernung der Milz bei andauernd 
eisenarmer Ernährung die gleichen Untersuchungen fortzusetzen. 
Das zum Versuch dienende Tier war eine zu Gaswechselunter- 
suchungen sehr geeignete Hündin, etwa 10 Monate alt und von 
24 kg Körpergewicht. Der respiratorische Gaswechsel wurde 
während einer ersten Periode, während welcher der Hund mit 
Hundekuchen ernährt wurde, untersucht. Daran schloß sich die 
Periode mit eisenarmer Nahrung, hierauf die Entmilzung und die 
letzte Periode bei Andauer der eisenarmen Ernährung. Der Hämo- 
globingehalt des Blutes wurde fortlaufend bestimmt und vor und 
nach Entfernung der Milz auf das Vorhandensein von Jollykörpern 
untersucht. Gleich hier sei bemerkt, daß diese Körper erst nach 
der Entmilzung zur Beobachtung gelangten. Die eisenarme Nah- 
rung hatte folgende Zusammensetzung: 


Stärkekleister . . . . 200 g 
Schmalz. ...... 100 g 
Zucker . .. 2... 100 g 
Milh. .. 2.2... 1000 g 


Die tägliche Zubereitung der Nahrung geschah in einem Aluminium- 
topf. Auf-die Dauer empfand der Hund Widerwillen gegen die Nahrung, 
konnte aber dooh zur Aufnahme derselben bewogen werden. Er behielt 
sein Körpergewicht bei, blieb gesund, war von normaler Lebhaftigkeit 
und bei guter Stimmung. Die Untersuchungen geschahen wie diejenigen 
von Corral und Koda in dem Jaquetschen Stoffwechselapparat des 
Berner Physiologisohen Instituts; zur Gasanalyse diente ein Haldanescher 
Gesenalysenapparat. Die Einzelheiten der Methodik wurden in den Ar- 
beiten der genannten Autoren beschrieben. Alle Versuche wurden zur glei- 
chen Tageszeit von 9—12h morgens am nüchternen Hund ausgeführt. 
Die Vorventilation dauerte immer eine Stunde. 

Die Operation, Entfernung der Milz, wurde unter Morpbium-Äther- 
anästhesie ausgeführt. Bei der Operation wurde die Umgebung der Milz 
auf etwaige akzessorische Milzen abgesucht, ohne daß eine solche gefunden 
wurde. Das Tier erholte sioh rasch nach der Operation. 

Die Ergebnisse meiner Versuche lege ich in einer Generaltabelle nieder, 


die aus 3 Tabellen besteht. 
Tabelle I, die wichtigste meiner Arbeit, enthält eine Zusammenstellung 


11* 


Tabelle I. 


164 L. Asher: 













































S 
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Drüsen. XLIX. 165 


sämtlicher Gaswechselversuche in üblicher Weise. In der Vorperiode 
betrug der Grundumsatz pro Kilogramm Körpergewicht und in der Minute 
4,41 com CO,-Bildung und 5,45 oom Sauerstoffverbrauch, der R. Q. dieser 
ersten Periode betrug 0,811. 

Vom 9. VI. bis 1. VII, erhielt der Hund die oben beschriebene eisen- 
arme Nahrung. In dieser Versuchsperiode wurde an 6 Tagen ein Respirstions- 
versuch angestellt. Die Mittelwerte den Grundumsatzes betrugen pro 
Kilogramm Körpergewicht und in der Minute 4,88 oom CO,-Bildung und 
6,2 ocom O,-Verbrauch., Der Mittelwert des R.Q. belief sich auf 0,790. In 
dieser Periode mit eisenarmer Ernährung hat sich demnach eine Erhöhung 
des Grundumsatzes von etwa 14° herausgestellt, ein Wert, der weit über 
der Scohwankungsbreite normaler Versuche liegt. Es muß aber erwähnt 
werden, daß in dieser Periode 3 sehr warme Tage sich ereigneten. Während 
der Versuche an diesen Tagen blieb der Hund zwar ruhig liegen, aber er 
schlief nicht wie gewöhnlich, hielt vielmehr den Kopf erhoben und atmote 
sehr beschleunigt. Die hiermit verbundene Muskelarbeit könnte schon 
gentigen, die beobachtete Erhöhung des Grundunnsatzes zu erklären. Es 
liegt daher keine Nötigung vor, dem Eisenmangel in der Nahrung die Schuld 
hieran zuzuschreiben. Die Exstirpation der Milz fand am 2. VII. statt. 
In der Zeit vom ®. VII. bis 1. IX. wurden die weiteren Gasweobselversuche 
an dem milzlosen, eisenarm ernährten Hund angestellt. Der Grundunnsatz 
in dieser Periode belief sioh durchschnittlich pro Kilogramm und Minute 
4,20 com CO,-Bildung und 5,388 com O,- Verbrauch. Der durohschnittliche 
Wert des-R.Q. betrug 0,799. 

Es ergibt sich fast Übereinstimmung mit den Werten der 
normalen Vorperiode. Ich möchte besonders darauf hinweisen, 
daß an 2 zeitlich weit auseinanderliegenden Tagen, nämlich dem 
31, VII. und dem 1. IX. die erhaltenen Werte fast vollständig 
übereinstimmen. Wir sehen aus diesen Versuchen, daß die Kom- 
bination zweier Eingriffe, Exstirpation der Milz und eisenarme 
Ernährung, innerhalb der Zeiten meiner Versuchsdauer keine 
Veränderung des respiratorischen Grundumsatzes erfordern. Diese 
Feststellung ist um so beachtenswerter, als wir aus den früheren 
Arbeiten des Berner Institutes wissen, daß gerade unter diesen 
Bedingungen das Hauptausfallssymptom des Fehlens der Milz 
am klarsten zutage tritt, nämlich die sehr gesteigerte Eisenaus- 
scheidung. Aber auch das andere Symptom ist allmählich zum 
Ausdruck gelangt, nämlich die Herabsetzung des Hämoglobin- 
gehaltes, wie meine Tabelle zeigt, in dem der anfänglich 97% 
betragende Hämoglobingehalt im Laufe der Zeit auf 80%, herunter- 
ging. In dieser Beziehung verhält sich der Hund wie das Kanin- 
chen, an dem Sollberger zeigte, daB die Milzexstirpation im 
Blutbild dann zum Ausdruck gelangt, wenn die Nahrung eisenfrei 


166 L. Asher: 


ist In meiner Tabelle II finden sich auch die Angaben über die 
Jollykörper. Die vorher nicht vorhandenen Jollykörper waren 
dauernd nach der Milzexstirpation nachweisbar. Ich betrachte 
dies als ein sicheres Kriterium dafür, daß die Milz total exstirpiert 
war und keine Nebenmilzen übriggeblieben oder neu gebildet 
worden waren. Angesichte aller dieser Tatsachen bleibt nichts 
anderes übrig als zu dem Schlusse zu kommen, daß der Hund 
gegenüber der Milzexstirpation, was den Grundumsatz anlangt, viel 
resistenter ist als die Ratte. Wie resistent Tiere gegen lang- 
dauernden Eisenmangel sein können, haben ja auch die Versuche 
von Martin Benno Schmidt an Mäusen gezeigt, in denen erst 
in der 3. Generation die Folgen der eisenarmen Nahrung sich 
geltend machten. 








Tabelle II. 
Datum | Hämoglobin (Bahli) | Jollykörper 
% 

2. VI. 1919 99 | abwesend 
7. VI. 1919 97 | Š 
9. VI. 1919 | Eisenarme Nahrung angefangen 
19. VI. 1919 96 — 
29. VI. 1919 97 abwesend 
2. VII. 1919 | Entmilzung 
13. VII. 1919 97 ++ 
20. VII. 1919 96 
24. VII. 1919 95 ++ 
4. IX. 1919 85 
6. IX. 1919 80 
15. IX. 1919 80 ++ 


Tabelle III. 


— 
Datum | Gerinnungszeit des Blutes 


19. VI. 1919 | Begann nach 1a Min. — fertig nach : Min. 


4. IX. 1919 





— 








X “n «m Pays “n n * 


In Tabelle III finden sich Angaben über die Gerinnungszeit des 
Blutes. Die Entmilzung bringt keine Veränderung hervor. 


Schlußfolgerungen. 
1. Die Weglassung von Eisen und die Entmilzung haben 
keinen bedeutenden Einfluß auf den respiratorischen Gaswechsel 
eines Hundes. 


Drüsen. XLIX. 167 


2. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist gegen diese Eingriffe 
sehr resistent und wird nur langsam herabgesetzt. 

‚3. Das Fehlen der Milz und die eisenfreie Ernährung haben 
auf die Gerinnungszeit des Blutes keinen Einfluß. 


Literatur. 


Dubois, Über das Zusammenwirken von Milz, Schilddrüse und 
Knochenmark. Diese Zeitschr. 31, 141. 1917. — Danoff, Der Einfluß 
der Milz auf den respiratorischen Stoffwechsel. Diese Zeitschr. 93, H. 1 u. 2 
— Duran, Das Verbalten von normalen, mit Schilddrüsensybstanz ge- 
fütterten und schilddrüsenlosen Ratten gegen reinen Sauerstoffmangel. 
Diese Zeitschr. 106, 254. 1920. — Ebnöther, Fortgesetzte Beiträge zur 
Lehre von der Funktion der Milz. Das Zusammenwirken von Leber und 
Milz. Diese Zeitschr. 72, 416. — Grossenbacher, Untersuchungen über 
die Funktion der Milz. Diese Zeitschr. 17, 78. 1909. — Messerli, Das 
Verhalten‘ des weißen Blutbildes beim normalen, schilddrüsenlosen und 
milzlosen Tier unter Einwirkung von Sauerstoffmangel. Diese Zeitschr. 
9%, 40. 1919. — Streuli, Das Verhalten von schilddrüsenlosen, milzlosen, 
schilddrüsen- und 'milzlosen Tieren bei Sauerstoffmangel. Diese Zeitschr. 
87, 359., 1919. — Zimmermann, Fortgesetzte Beiträge zur Funktion 
der Milz als Organ des Eisenstoffwechsels. Diese Zeitschr. 17, 297. 1902. 
— Yamada, Studien über die Blutgerinnung und über die Beziehungen 
wwischen Schilddrüse und Knochenmark, sowie * und Knochenmark. 
Diese Zeitschr. 87, 273. 1918. 


Vergleichende Untersuchungen über den Erfolg von In- 
fusionen in eine Vene des großen Kreislaufes und in die 
Pfortader. 


Von 
Motoi Yamada. 
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.) 
(Eingegangen qm 21. Juni 1921.) 
Mit 8 Abbildungen im Text. 

Ganz allgemein wird der Leber eine wichtige Rolle bei der 
Regelung der mechanischen Verhältnisse des Kreislaufes zu- 
geschrieben und man nimmt an, daß die mechanische Leistung 
der Leber als ein dem Herzen vorgeschaltetes Organ, unter physio- 
logischen und pathologischen Bedingungen nicht zu den unwesent- 
lichsten Funktionen der Leber gehört. Bei physiologischen Ver- 
suchen tritt vor allem bei der Infusion von Salzlösungen die Be- 
teiligung der Leber zutage, indem man beobachtet, daß bei der 
Infusion größerer Flüssigkeitsmengen die Leber bretthart wird. 
Das Verhalten der Leber bei Infusionen spielt auch eine gewisse 
Rolle in der Deutung der Vorgänge hinsichtlich der Lymph- 
bildung, welche im Anschluß an die Infusionen beobachtet werden. 
Wenn auch nicht der mindeste Grund vorliegt, die große Bedeu- 
tung der Leber als eines dem Herzen vorgeschalteten Stauwehrs 
gegen zu große Überschwemmung mit Flüssigkeitemengen zu 
bezweifeln, so liegt doch noch Veranlassung vor, die Verhältnisse 
näher zu untersuchen, weil die Art und Weise, wie die Leber 

Ich folgte daher der Anregung von Prof. Asher, eine Unter- 
suchung darüber anzustellen, wie sich gewisse Verhältnisse des 
Kreislaufes gestalten, wenn man einmal eine Infusion in die Vena 
jugularis und das andere Mal eine solche unmittelbar in die Vena 
portae oder an einem Seitenzweig derselben ausführt. Im ersteren 
Falle verteilt sich die injizierte Flüssigkeit nach dem Durchtritt 


M. Yamada: Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes usw. 169 


durch das Herz und die Lunge sofort in den gesamten Kreislauf, 
im anderen Falle muß die ganze Flüssigkeit, ehe sie in den Kreis- 
lauf gelangt, erst die Leber passieren. Auf diese Weise konnte 
man hoffen, dasjenige, was die Leber hierbei leistet, etwas genauer 
beobachten zu können. Mein Hauptaugenmerk richtete ich auf 
das Verhalten des Hämoglobingehaltes. bei den verschiedenen 
Infusionen. Der jeweilige Hämoglobingehalt liefert unter den 


Bedingungen, wie ich meine Versuche anstellte, einen zuverlässigen 
Maßstab über die Verdünnung, welche das Blut bei dem einen 


und anderen Verfahren erleidet. Somit würde man darüber 
Aufschluß erhalten, ob die Leber Flüssigkeit zurückhält oder 
nicht. Zweitens habe ich den mittleren Blutdruck bei meinen 
Versuchen registriert. Mit dieser einfacheren Beobachtungsart 
habe ich mich in meinen ersten Versuchen begnügt. In meinen 
späteren Versuchen bin ich dazu übergegangen, gleichzeitig die 
Harnmengen zu messen, welche während und nach der Infusion 
von Kochsalzlösung in den großen Kreislauf oder in den Pfort- 
aderkreislauf abflossen. Welche Gesichtspunkte mich hierbei 
geleitet haben, will ich später erörtern. 

In der ersten Hälfte meiner Versuche verwendete ich 3 Kanin- 
chen und eine Katze. Das Verfahren war im allgemeinen folgendes: 


Die Tiere warden während der ganzen Versuchsdauer in Urethan 
bzw. Morphium-Äthernarkose gehalten. Eine Kanüle wurde in die Arteria 
carotis eingebunden und diente zur Blutdruckmessung. In die Vena jugu- 
laris kam eine Kanüle, welche zur Infusion diente. Beide Vagi wurden am 
Halse durchschnitten, um bei der späteren Operation in der Bauchhöhle 
jeden Schock zu vermeiden. In die Trachea wurde eine Trachealkanüle 
gebunden. Hierauf wurde die Bauchhöhle geöffnet und es wurden die 
Arteria coelisca, mesenterica sup. und die Aorta descendens dicht unterhalb 
der Arteria renalis sinistra abgebunden. Hierauf kam eine Kanüle in den 
Hauptstamm der Vena portae. Durch die Abbindung der genannten 
Arterien der Peritonealhöhle wurde erreicht, daß ein hoher Blutdruck mit 
guter Herztätigkeit erhalten blieb, trotzdem die Vena portae abgebunden 
werden mußte, aus Gründen, die bekannt sind, weil man sich ja auch zu 
anderen Zwecken dieses Verfahrens bedient. Die in beiden Venen befind- 
lichen Kanülen wurden mit Mariotteschen Flaschen verbunden. Bei dem 
Einlauf achtete ich darauf, daß der Druck und die Einlaufszeit bei jedem 
einzelnen Versuche möglichst wenig variiert. Durch Bestrahlung mittelst 
Glühlampen wurden die Tiere während der Versuchsdauer auf Körper- 
temperatur erhalten. Vor und nach jedem Eingriff wurde aus einem Ohr- 
gefäße Blut entnommen, um mit Hilfe von Sahlis Hämometer den Hämo- 
globingehalt des Blutes zu bestimmen. 


170 M. Yamada: 


Tabelle I. 


1. Versuch vom 6. Februar 1917. 
Kaninchen Nr. 1 S, Körpergewicht 2000 g. 





— ARI E — {785 == — ~> 1} VorInfusion 
I. Infusion 
in Vena port. 
I. Infusion 
in Vena jug. 


4a 20’ 

PE ETEN 11-12 1721 21 = Ir 

ji 4 19—22 3 26 — 17201 —-6,5 -90 | 120 

* 2 ‚N 27-28, | 11 | — | 30 | 680 | —40:.| -6,0 | 126 

ss. z: rc IE R e — — | 138 | Pause 
5h y 42 — I — — | — — — 137 | Pause 
ns 6 1-1 | — [675 | -05 | -0,7| — [Pause 

ba | 52—54: | 2 | 26 — [610 | —65 | -11,0 | 140 

aa oe al = BE Ba E a ia Ai 
: GR 661/687 /, 2 — 30» 60,0 —1,0 1,7 135 II. u 
Bh 30 w base ee a > 

En 2? |-I-ı -|-|I- | -|m | Panse 
5» 49 3 keda aN e o 


Bei dem soeben geschilderten Verfahren sind natürlich die 
Einlaufsverhältnisse in die Leber durchaus keine normalen. 


Zeem cn! 2m’ cm? Denn durch den Ein- 
vp v griff ist die Leber vom 


| T Blutstrom abgesperrt, wo- 
EE 






durch sioh in zunächst 
nicht absehbarer Weise 


$ sowohl die mechanischen 
$ Verhăltnisse in der Leber 
> als auch die physiologi- 
X schen Eigenschaften der 


Leberzellen verändern 
müssen. Die Resultate, 
E I die mit diesem Verfahren 

gewonnen werden können, 
TA een 
30' w' 50° 60° 70° 80' %' darüber einen Aufschluß 
Zei m Minuten ~ erwachsen, wie sich die 
Abb. 1. mehr oder weniger leere 
Strombahn in der Leber gegenüber einer sie passierenden Flüssigkeitsmenge 
verhält. Die Resultate der in ihrer Methode soeben beschriebenen ersten 
4 Versuche habe ich in den Protokollen 1—4 niedergelegt und jedem 





GIOBTELSOLSELTLLEGSL SUB TEE 


SS 


AA on we G KU CUAL HRG 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 171 


Tabelle II. 


2. Versuch vom 9. Februar 1917. 
Kaninchen Nr. 2 g, Körpergewicht 2250 g. 










0,9% NaCl- 
Lösung in ccm 
infundiert 







Abge- 
laufene Dauer 
Zeit 












Bl 
zw Bemerkungen 





Zeit 









in Vena |in Vena 
port. 








Minuten 


Vor Infusion 
I. Infusion in 
Vena port. 


Pause 


I. Infusion in 
Vena jug. 


Pause 


II.Infusion in 
Vena port. 
Il.Infusion in 
Vena jug. 


Pause 


Versuche eine kurvenmäßige Darstellung des Verhaltens von Hämoglobin- | 
menge und von Blutdruck beigegeben. Es bedarf daher nur einer kurzen 
Schilderung des Wesentlichen an den Ergebnissen. Vergleicht man die 






—————————— ——— UGAR GAIA 


\ 
J 


N 
T m B-A 25° A- 007 e 
Zeit ın Minuten 
Abb. 2. 
Verdünnung des Blutes nach der Infusion auf dem Wege der Vena portae 
und auf dem Wege der Vena jugularis, so ergibt sich, daß in den 3 am 
Kaninchen angestellten Versuchen in jedem Falle die Verdünnung nach 


Infusion unmittelbar in die Vena portae größer war. Zwar ist der Unter- 
schied kein sehr. großer, aber immerhin so, daß er merklich ist. 


Zeit 


172 M. Yamada: 


Tabelle III. 
3. Versuch vom 16. Februar 1917. 
Katze ©, Körpergewicht 2000 e 


0, Fall 
Abge- —— in ccm 
laufen» tige pn en 
Zeit 
— 


— Pe 


3» 41 — — — — — — 184 | Vor Infusion 
AA, | a ka d la o o j1% 5 
s dal lalala a aa 

— Zu We n 
© A l —— é B’/, | 4) 13.0 2 2,7 ar Vena jug. 
any DR ER PR i IL.Infusionin 
Ana, 33—37, | enl 410 | — I:sol o o |169 {Fena port 
2 = 45 — — — = — 1 Pause i 
4 / á zI / j 77 — - II Infusion 
4* 311,7 J45 50t - p] 40 13.0 0 0 154 (Fen jug 
4h 38/ 57 ~ea 1-1 = — |162 |P 


Selbst wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollen, daß 
er 





N 
257 30” 35’ 
Zet in Minuten 

Abb, 3, 


wollen, sondern die Dinge so betrachten, als ob in gleichen Fällen 
die Verdünnung eine gleich große wäre, bleibt der Sachverhalt 
hinreichend interessant. Denn es geht daraus. hervor, daß 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 173 


Tabelle IV. 


4. Versuch vom 26. Februar 1917. 
Kaninchen Nr. 4 9, Körpergewicht 1700 g. 








— — — 








Veränderung des 
Lösung in com | H4mo- | Hämoglobingehalts 

Infundiert Jmlobin- | infolge der Infusion 
gehalt | 












0,9% Naci- 








Abge- 
laufene 
Zeit 





Zeit Bemerkungen 







in Vena In Vena 
port. | jug. | % _ 





Minuten 














zu — 70,0 Vor Infusion 

L Infusion 
40 — |650 inVena port. 
> — — Pause 


I. Infusion 
in Vena jug. 
Pause 


II. Infusion 
in Vena port. 
Pause 

II. Infusion 
in Vena jug. 


~- 40 | 64,0 


40 — 1620 









Blutent- 
* für 
Hämo- 
—— 
estimmung 
verzögert. 


4 869/,/ 





#37 


keinesfalls in der Leber ein Teil der Flüssigkeit zurückbehalten 
worden sei, sondern die Flüssigkeit hat einfach die Leber durch- 
strömt, ohne daß die Leber eine Wirkung als Reservoir ausgeübt 
hätte. Nun fragt es 
sich, ob Momente 
vorhanden sind, die 
außer der Infusion auf 
dieKonzentrationdes 
Blutes einen Einfluß 
gewinnen könnten 
und die etwa der- 
gestalt beschaffen 
sein könnten, daß sie 
anderweitig einwir- 
kende Einflüsse ver- 
wischen können. In 


y0cm! voen? cm? 40cm! 
V p. Ki Vp. ES 





20 25" 30 
Zet ın Minuten 
Abb, 4. 


174 M. Yamada: 


erster Linie wäre hier an den Blutdruck zu denken, und zwar 
deshalb, weil die Ansicht vertreten worden ist, daß Blutdruck- 
erhöhung eine Konzentrierung, Blutdruckerniedrigung eine Blut- 
verdünnung herbeiführen. Diese vielfach vertretene Ansicht 
ist zwar durch die Arbeiten von Asher und seinem Mitarbeiter 
Böhm widerlegt worden, was aber nicht hindert, daß dieselbe 
neuerdings wieder ohne hinreichende Experimentalkritik von 
F. H. Scott!) vertreten wird, der beispielsweise die Injektion 
von Adrenalin als eine einfache mechanische Blutdrucksteigerung 
behandelt, ohne zu bedenken, daß die 'Adrenalininjektion recht 
intensive Stoffwechselprozesse im Gefolge hat, die notwendiger- 
weise zu einer Bluteindickung führen müssen. In meinen Versuchen 
nun ergibt die Berücksichtigung des Blutdruckes keine Erklärung 
für die durch die Hämoglobinbestimmung ermittelten Konzen- 
trationsverhältnisse des Blutes, denn eine nähere Prüfung der 
Beziehung zwischen dem Blutdruck und den beiden verschiedenen 
Arten der Infusion ergibt, daß am ehesten von einer jedesmaligen 
kleinen Steigerung des Blutdruckes nach Infusion in die Vena 
portae gesprochen werden kann, eine Steigerung, welche gerade 
entgegengesetzt wirken müßte, als wie es tatsächlich der Fall ist. 
Wie wenig das mechanische Moment der reinen Blutdrucksteige- 
rung oder Blutdruckerhöhung auf die Konzentration des Blutes 
wirkt, läßt sich selbst aus meinen Versuchen erkennen, beispiels- 
weise aus dem Versuch Nr. 3 vom 16. II. 1917 an einer Katze. 
In diesem Versuch waren im Anfange die Höhen des Blutdruckes 
sehr groß, indem sie nicht weniger als 180—190 mm Hg betrugen, 
während am Ende des Versuches der Blutdruck auf 154mm Hg 
gesunken war. Trotz dieser Tatsache und trotzdem 160 ccm 
Flüssigkeit im ganzen infundiert worden waren, hatte die Hämo- 
globinmenge nur um 2% im ganzen abgenommen. Aus allem 
diesen geht hervor, daß die Verhältnisse des Blutdruckes keinen 
Einfluß auf die Konzentration des Blutes ausgeübt haben können. 

Es kann noch an eine andere Möglichkeit gedacht werden, 
die Verdünnung zu erklären, welche nach der Infusion auf dem 
Wege durch die Leber stattfindet. Es ist ja klar, daß die Ver- 
dünnung in der Vena jugularis keiner weiteren Erklärung bedarf. 
Man könnte nämlich annehmen, daß die Absperrung des Kreis- 
laufes von der Leber eine Stagnation von Gewebsflüssigkeit in 
) F. R. Scott, Americ. Journ. of physiol. 44, 298. 1917. 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 175 


derselben herbeigeführt hätte; wenn dies der Fall wäre, könnte 
die Infusion nicht allein die Blutmenge um die infundierte Flüssig- 
keit vermehrt haben, sondern es könnte gleichzeitig ein Transport 
von Gewebsflüssigkeit aus der Leber stattgefunden haben. Diese 
Erklärung ist rein hypothetisch. Einfacher scheint es mir zu 
sein, anzunehmen, daß die Flüssigkeit einfach die Leber passiert 
habe und die Leber nicht als Flüssigkeitereservoir zum Zurück- 
halten eines Teiles der Flüssigkeit gedient habe. Natürlich gilt 
diese Behauptung nur für die Bedingungen meiner Versuche und 
würde bedeuten, daß die Leber die Fähigkeit verloren habe, 
Flüssigkeitsmengen von der Größenordnung meiner Versuche 
aufzustapeln, wenn sie eine Zeitlang aus dem Kreislaufe aus- 
geschaltet worden ist. In dieser Fassung würden wir somit zu 
dem Schlusse gelangen, daß die Leber nicht auf einem rein mecha- 
nischen Wege als Stapelort oder Reservoir für in dieselbe ein- 
tretende Flüssigkeitsmengen dient. 

In jedem Versuche wurden je 2 Infusionen in die Vena portae 
und je 2 in die Vena jugularis gemacht. :. Immer waren die Ver- 
dünnungen im Anfang größer als bei den späteren Infusionen. 
Dies erklärt sich wohl daraus, daß nach der ersten Infusion sehr 
bald ein Übertritt der injizierten Flüssigkeit in die Gewebsräume 
stattfindet. Der einmal geweckte Vorgang bleibt während der 
weiteren Versuchsdauer im Gange und seine Folgen interferieren 
mit denjenigen der Infusion. 

Außerordentlich geringfügig ist der Einfluß der Infusion 
in Versuch Nr. 3, der an der Katze angestellt wurde. Von 4 In- 
fusionen bewirkte nur eine einzige eine an der Verminderung 
des Hämoglobingehaltes merkliche Verdünnung des Blutes. Da 
gerade in diesem Versuche der Blutdruck ein sehr hoher war, 
könnten die Anhänger der Auffassung, daß bei hohem Blutdruck 
eine starke Filtration stattfindet, diese hier geltend machen. 
Wir wissen, daß diese Auffassung nicht zu Recht besteht. Man 
hat aber bei solchen Infusionen, wie ich sie in meinen Versuchen 
ausgeführt habe, die durchaus nicht gewaltsamer Natur waren, 
an einen Vorgang zu denken, auf den Asher!) zuerst hingewiesen 
hat. Er konnte nämlich durch Untersuchung der Lymphbildung 
zeigen, daß die Injektion von kleinen Flüssigkeitsmengen Tätigkeit 
der Organe weckt. Diese Tätigkeit der Organe geht aber Hand in 

1) L. Asher, Zeitschr. f. Biol. 18 (N. F.), 261. 1898. 


176 M. Yamada: 


Hand mit einem vermehrten Flüssigkeitstransport aus den Blut- 
capillaren. Dergestalt kann es auf diese Weise wiederum zu einer 
Interferenz zwischen der blutverdünnenden Wirkung einer nicht 
zu großen Infusion und der bluteindickenden Wirkung der durch 
diese Injektion geweckten Organtätigkeit kommen. Gerade bei 
dem guten Zustande, in dem sich das Tier bei dem besagten Ver- 
suche befindet, dürfte der Einfluß der Organtätigkeit nicht zu 
unterschätzen sein. | 

Es schien jedenfalls notwendig, die bisher gemachten Er- 
fahrungen dadurch zu erweitern, daß die Versuchsbedingungen 
mehr physiologisch gestaltet wurden. Hierzu war es erforderlich, 
das Versuchsverfahren so umzuändern, daß die Kreislaufs- 
verhältnisse in der Leber möglichst wenig gestört wurden, d. h. 
daß die Infusionen in eine Leber stattfinden, welche in normaler 
Weise ihre arterielle und ihre venöse Versorgung erhielt. Hierzu 
war es erforderlich, Hunde zu benutzen, weil an diesen Tieren 
mit Leichtigkeit die genannten Bedingungen sich erfüllen ließen. 
Die Versuchsanordnung war im wesentlichen die gleiche wie am 
Kaninchen, nur mit dem Unterschiede, daß die ganze große 
Operation in der Bauchhöhle wegfiel und anstatt dessen nach 
Anbringung einer kleinen Öffnung in der Lines alba, die Milz 


hervorgezogen wurde. Nach Abbindung der arteriellen Gefäße 


zur Milz wurde in die Hauptvena linealis eine Kanüle eingebunden. 
Diese Kanüle diente nach ihrer Verbindung mit einer Mariotte- 
schen Flasche zur Infusion in die Pfortader. Außerdem wurden, 
wie ich schon oben erwähnt habe, in die beiden Ureteren Kanülen 
eingebunden, durch ein Gabelrohr miteinander vereinigt und es 
wurde der Harn in graduierten Meßzylindern aufgefangen. Durch 
die gleichzeitige Bestimmung des gebildeten Harnes wollte ich ein 
weiteres Urteil darüber gewinnen, ob unter den mehr physiolo- 
gischen Bedingungen der neuen Versuchsreihe ein Unterschied der 
Wirkungen der beiden Infusionsarten stattfände. Würde das Blut 
etwa bei dem einen Verfahren der Infusion mehr verdünnt als 
bei dem anderen, so könnte sich das in dem Grade der Harnbildung 
kundtun, da die Harnabsonderung ein sehr feines Reagens auf 
Blutverdünnung ist. Aber nicht dieser Umstand allein veranlaßte 
die Berücksichtigung der Harnabsonderung, sondern noch der 
weitere, daß daran zu denken war, daß die unmittelbare Infusion 
in die Leber zu einer vermehrten Harnbildung deshalb führen 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 177 


könne, weil eine engere Verknüpfung zwischen Leber und Niere 
als zwischen der Niere und vielen anderen Organen stattfinde. 
Sollte etwa die direkte Infusion in die Leber eine Ausschwemmung 
harnfähiger Stoffe mit sich bringen, so wäre das ein Moment, 
welches fördernden Einfluß auf die Absonderung des Harnes 
besitzen würde. 

Die von mir in den 4 Versuchen erhaltenen Ergebnisse teile 
ich in den Versuchsprotokollen 5—8 mit. 

Wir haben zunächst die Verhältnisse der Blutverdünnung 
in den 3 Versuchen zu betrachten. Dieser Betrachtung haben wir 
die Versuche 5, 6 und 7 zugrunde zu legen, weil nur in diesen 
3 Versuchen fortlaufend der Hämoglobingehalt bestimmt wurde. 
Ganz eindeutig sind die Ergebnisse in Versuch 6 und in Versuch 7, 
denn in beiden Versuchen, wo je eine doppelte Infusion in die 
Vena lienalis und in die Vena jugularis gemacht wurde, ergab sich 
eine sehr viel größere Verdünnung bei der Infusion auf dem Wege 
durch die Vena jugularis. In Versuch 6 betrugen die Verdünnungen 
bei Infusion in die Vena jugularis im Maximum 12 bzw. 15%. 
Dem stehen die geringen Verdünnungen bei Infusion in die Vena 
lienalis von 1,9 und 2,2%, gegenüber. In Versuch 7 betragen die 
Verdünnungen bei Infusion in die Vena jugularis 26 und 31%, 
während bei Infusion in die Vena lienalis gar keine Verdünnung bei 
der ersten Infusion und nur 1,7%, bei der zweiten Infusion fest- 
stellbar ist. Die injizierten Flüssigkeitsmengen sind in beiden 
genannten Versuchen durchaus nicht unerheblich, nämlich 150 ccm. 
Dabei ist die Zeit der Infusion eine sehr kurze. Um so entschie- 
dener geht aus den mitgeteilten Zahlen hervor, daß unter den 
neuen Versuchsbedingungen tatsächlich ein sehr großer Unter- 
schied besteht, je nach dem Wege, auf welchem die Flüssigkeit 
in den Kreislauf gelangt. Bei diesen, unter physiologischen 
Bedingungen angestellten Versuchen, verhindert die Leber eine 
momentan eintretende Verdünnung des Blutes. 

Im Versuch 5 verlaufen die Dinge insofern etwas anders, als 
zwar bei der ersten Infusion auf dem Wege der Vena lienalis gar 
keine Verdünnung des Blutes eintritt, (während bei der nachfol- 
genden Infusion auf dem Wege der Vena jugularis eine Verdünnung 
von über 5% eintritt. Aber bei der zweiten Infusion in die 
Vena lienalis tritt eine Blutverdünnung von 14,5% ein, der bei 
der darauffolgenden Infusion in die Vena jugularis nur eine 


Biochemische Zeitschrift Band -122. 12 





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M. Yamada: 





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178 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 179 


Verdünnung von 7,3%, gegenübersteht. Ich glaube, daß es 
sich hier nur um eine Annahme handelt, die verschiedene 
Ursachen haben kann. Es wird meines Erachtens kein Fehler 
begangen, wenn diese einzige Ausnahme nicht mit in Betracht 
‚gezogen wird. 

Was die Blutdruckverhältnisse anbelangt, so stehen sie in 
keinerlei erkennbaren Beziehung zu dem Verhalten der jeweiligen 
Verdünnung des Blutes. Beispielsweise beträgt in Versuch 6 die 
Höhe des Blutdruckes während der ersten Infusion in die Vena 
jugularis und während der zweiten Infusion in die Vena lienalis 
144 bzw. 140 mm Hg. Praktisch ist also der Blutdruck in beiden 
Fällen gleich. In Versuch Nr. 5 beträgt der Blutdruck während 
der Infusion in die Vena lienalis 94 mm Hg, ohne daß es zur Blut- 


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0 20 30° 40° 50° 60' 70° 80° 90° 100° 110' 120 
Zeit ın Minuten 
Abb. 5. 


verdünnung kommt. Hingegen 10l mm Hg und 121mm Hg, 
wo es zu Blutverdünnungen von 5,3%, bzw. 14,5%, kommt. Bei 
derartig regellosen Beziehungen wird man sich nicht dazu ver- 
stehen können, wo zufällig ein gewisser Parallelismus zwischen 
größerer Höhe des Blutdruckes und geringerer Blutverdünnung 
besteht, dieser Beziehung eine Bedeutung einzuräumen. Es muß 
daher bei der Annahme bleiben, daß in der Leber Geschehnisse 
stattfinden, welche verhindern, daß die Infusion auf dem Wege 
durch die Leber zu einer ebenso großen Blutverdünnung 
führt wie die gleiche Infusion in eine Körpervene. Die zunächst- 
liegende Annahme ist dabei die, daß die normal versorgten Leber- 
zellen in der Lage sind, einen Teil der Flüssigkeit aufzunehmen. 
Eine Schwierigkeit ist bei dieser Annahme vorhanden. Aus 


12* 


M. Yamada: 


180 


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192 





Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 181 


Versuchen von De moor?) wissen wir, daß die Durchströmung der 
Leber mit isotonischen Lösungen zu keiner plethysmographisch 
erkennbaren Volumvergrößerung der Leber führt. Dieses negative 
Ergebnis wird ja von Demoor benutzt, um die Isotonie der be- 
treffenden Lösung festzustellen. Das Nichteintreten der Volumen- 
vergrößerung der Leber bei Durchströmung von isotonischen 
Lösungen schafft auch eine Schwierigkeit für die Annahme, daß 
in den Gewebe- und Lymphspalten der Leber eine größere Flüssig- 
keitsmenge sich anstaut. Natürlich gelten diese Betrachtungen 


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Zeit ın Minuten 
Abb. 6. 


nur, wenn nicht übermäßige Mengen sehr rasch. infundiert werden, 
wobei die Regulationsmittel, über welche der Organismus verfügt, 
versagen. 

Die geschilderten Schwierigkeiten waren eine wesentliche 
Veranlassung, um, wie ich schon oben erwähnte, den Einfluß 
der beiden Infusionsarten auf die Harnabsonderung mit zu unter- 
suchen. Denn wenn man eine Beziehung zwischen Leber und Niere 
aus guten Gründen für möglich erachtet, muß man daran denken, 
daß die Harnabsonderung je nach der Infusionsart verschieden 


1) Demoor, Travaux de Laborat. de Physiol. de l'Institut solvay, 
7, 1905. 





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182 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 183 


sein könnte. Das ist nun in der Tat der Fall. Wir haben gesehen, 
daß nach Infusion in die Vena jugularis die Blutverdünnung 
größer war als nach Infusion in die Vena portae. Wegen dieser 
größeren Verdünnung müßte nach allem, was wir wissen, die Harn- 
absonderung im ersteren Falle größer sein. Und selbst wenn sie 
gleich wäre, würde es eben wegen des Unterschiedes in der Ver- 
dünnung einen Unterschied bedeuten. Nun lehren die Ergebnisse 
meiner Versuche, daß entweder die Harnabsonderung nach In- 
fusion in die Vena lienalis gleichgroß oder sogar größer war als 
nach Infusion in die Vena jugularis. Beispielsweise beträgt die 
Vergrößerung der Harnab- 
sonderung in Versuch 8 nach 
der ersten Infusion in dieVena 
lienalis 56,5%, während sie 
nach der ersten Infusion in 
die Vena jugularis, die im 
übrigen die nachfolgende war, 
nur 38,8% betrug. Nach der Si 
zweiten Infusion in die Vena Ši A 
lienalis beläuft sich die pro- «40 80 mo 
zentische Vermehrung der 
Harnabsonderungauf 67,5%, 
demgegenüber nach der zwei- 
ten Infusion in die Vena 70 50 809 
jugularis nur eine solche von 9,0 7 Ne- N 
32,5%, steht. Genau das á Fy = er 
gleiche zeigt‘ der Versuch Abb. 7. 

Nr. 7, wo jedesmal die prozentische Steigerung der. Harn- 
absonderung wesentlich größer nach Infusion in die Vena lienalis 
war. Auch in Versuch 5 überwiegt die harnvermehrende Wir- 
kung der Infusion in die Vena lienalis. In Versuch 6 liegen 
die Verhältnisse nicht so absolut eindeutig wie in den anderen 
Versuchen. Aber wenn man nur die zweite Hälfte des Ver- 
suches heranzieht, so hat wiederum die Infusion in die Vena 
lienalis die entschieden stärkere harntreibende Wirkung. Das 
Ergebnis des ersten Teiles des Versuches ist aber jedenfalls 
so, daß es der bisher aufgestellten Regel nicht widerspricht. 
Hier haben wir nun ein Moment, welches sehr gut erklären könnte, 
weshalb die unter normalen Bedingungen stattfindende nicht 


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M. Yamada: 


184 


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992 





Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 185 


übermäßige Infusion in die Vena lienalis eine geringere Blut- 
verdünnung herbeiführt als die Infusion in die Vena jugularis. 
Dieses Moment ist die größere Harnabsonderung. Da nun bei 
der Infusion in die Vena lienalis die Blutverdünnung, die an 
und für sich schon harntreibend wirkt, größer ist, muß die direkte 
Infusion in die Leber in derselben Prozesse anregen, die dann 
besonders auf die Niere zu wirken mögen. Es liegt nahe anzuneh- 
men, daß durch die unmittelbare Infusion in die Leber mehr harn- 





50' 60° 70° 80' 90’ 
Zei ın Minuten 


Abb. 8. 


fähige Stoffe in das Blut gelangen, sei es, daß dieselben nur aus- 
geschwemmt werden, sei es, daß eine größere Anregung zur 
Bildung derselben in der Leber stattfindet. 

Die Erklärung, die ich soeben gegeben habe, würde voll- 
ständig, von der Annahme abzusehen gestatten, daß die Leber 
irgendwie erhebliche Anteile der infundierten Flüssigkeit zurück- 
hält. Auf diese Weise wäre eine Übereinstimmung mit den 
früheren Versuchen erzielt, die ich als weniger physiologisch habe 
ansprechen müssen, und wo unzweifelhaft keine Zurückhaltung 
der infundierten Flüssigkeit in. der Leber zu bemerken war. Bei 


. dieser Erklärung der Verhältnisse entsteht eine neue Schwierig- 


186 M. Yamada: 


keit, nämlich die, daß erklärt werden muß, weshalb man bei 
Infusion nicht bloß unmittelbar in die Leber, sondern sogar in 
den großen Kreislauf eine Schwellung und Härte der Leber be- 
obachtet, die beweist, daß eine größere Flüssigkeitsansammlung 
nicht durchaus darauf beruht, daß die infundierte Flüssigkeit 
zum Teile in der Leber deponiert wird. Sie könnte ebensogut 
darauf beruhen, daß die Infusionen eine erhöhte Lebertätigkeit 
herbeiführen, die ihrerseits stark gesteigerte Lymphbildung im 
Gefolge hat. Der Sachverhalt wäre hier ähnlich wie beispielsweise 
bei der Speicheldrüse, wo bei erhöhter Tätigkeit auch ohne jede 
Infusion eine pralle Schwellung der Drüse sich ausbildet. Es 
könnte aber auch sein, daß in meinen Versuchen, die von relativ 
kurzer Dauer waren, zunächst einmal das Moment der größeren: 
Harnabsonderung bewirkt hätte, daB anfänglich nach einer 
unmittelbaren Infusion in die Leber die Blutverdünnung geringer 
ist als nach einer Infusion in eine Vene des großen Kreislaufes. 
Hätten aber meine Versuche länger gedauert, so wäre es mög- 
licherweise zu einer Aufstapelung von Flüssigkeit in der Leber 
gekommen. Es wird Aufgabe neuer Arbeiten sein müssen, die 
Verhältnisse, die doch verwickelter liegen als dem ersten Anscheine 
nach gedacht werden könnte, weiter aufzuklären. Vorläufig 
scheint mir für die Bedingungen meiner Versuche die Schluß- 
folgerung nicht ungerechtfertigt, daß nicht notwendigerweise die 
Leber primär Flüssigkeit, die innerhalb physiologischer Grenzen 
in den Kreislauf gelangt, aufstapeln müsse. 

Die wesentlichen Ergebnisse ‚meiner Arbeit sind die nach- 
folgenden: 

l. Vergleicht man die Ergebnisse der Infusion von physio- 
logischer Kochsalzlösung in eine Vena jugularis mit derjenigen 
einer Infusion in die Leber, wobei die Leber aus versuchstech- 
nischen Gründen aus dem Kreislauf ausgeschaltet ist, und die 
Infusion direkt in die Pfortader stattfindet, so zeigen sich, beurteilt 
nach dem Grade der Blutverdünnung, keine Unterschiede. Die 
Leber hält demnach auf Grund ihrer strukturellen Verhältnisse 
nicht notwendigerweise Flüssigkeit zurück. 

2. Vergleicht man mit der Infusion in eine Vena jugularis 
diejenige in einen Seitenzweig der Pfortader, z. B. in eine Vena 
lienalis bei einem Hund, wobei im übrigen die normalen Verhält- 
nisse erhalten blieben, so zeigt sich eine merklich geringere Ver- 


Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 187 


dünnung des Blutes nach der Infusion unter sonst gleichen Be- 
dingungen in einen Seitenzweig der Pfortader. 

3. Bei der letzteren Versuchsanordnung gibt es, trotz größerer 
Blutverdünnung nach Infusion in die Vena jugularis eine stärkere 
Harnabsonderung nach Infusion in einen Zweig der Pfortader. 
Die physiologische Tatsache, welche ihre Ursache entweder in 
einer stärkeren Ausschwemmung oder einer vermehrten Bildung 
harnfähiger Stoffe in der Leber haben könnte, würde den Unter- 
schied in dem Umfange der Blutverdünnung bei den beiden In- 
fusionsarten erklären. Dazu könnte noch eine vermehrte Lymph- 
bildung infolge der gesteigerten Lebertätigkeit kommen. 

4. Die Verhältnisse des Blutdruckes tragen nichts zur Er- 
klärung der beobachteten Unterschiede bei. 


I. Kultur-Versuche mit Soja-Bohnen. IH. Vorkommen 
von Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen. 


Von 
D. H. Wester, den Haag (Holland). 


(Eingegangen am 23. Juni 1921.) 


I. Zusammen mit Herrn Cunaeus habe ich im Versuchs- 
garten des Niederländischen Vereins für Heilkräuterkultur in 
Delft (Laboratorium des Herrn Prof. Dr. G. van Itterson) in 
kleinem Maßstabe einige Versuche über die Kulturmöglichkeit- 
von Sojabohnen in Holland vorgenommen. 

Das erstemal (1917) wurden die Bohnen spät gesät, nämlich 
im Juni. Die Pflanzen entwickelten sich sehr gut, trugen viele 
Blüten und Früchte, waren aber im Herbste noch nicht reif. 
Zum Nachreifen wurden die Pflanzen aus der Erde genommen 
und an einem trockenen Orte aufgehängt. Dadurch wurden Samen 
von normalem Aussehen und normaler Zusammensetzung erzielt. 
Im Jahre 1918 wurde viel früher gesät. Die Ernte war schwächer 
als 1917 und auch in diesem Falle waren die Samen im Herbst 
noch nicht ganz reif. 

Das Durchschnittsgewicht der Bohnen eigener Ernte war 
im Jahre 1917 142 mg, im Jahre 1918 175 mg. 











Kohlen- Harnstoff- | 
Zusanımensetzung |" h dnk Eiweiß®) Fett | Asche zahl**) 
o % | % % % | % % 
Ausgangsmaterial . . .| 10,1 |31,6 | 314 lize | 52 | 322 
Eigene Ernte 1917 . .ı 9,7 | 32,06 | 31,2 | 18,07] 6,1 30,9 
Eigene Ernte 1918 . | 10,1 |314 | 352 |[ıs 6,7 31,6 














*) Roheiweiß nach Kjeldahl, Codex alimentarius (Holland). 

**) Man sehe über die Bedeutung dieser Zahlen meine früheren Mit- 
teilungen über Soja und Urease: Pharm. Centralhalle 1916. (Hier wird irr- 
tüınlicherwaise von Harnsäure statt Harnstoff gesprochen!) Ber. d. d. pharm. 
Ges. 1920. 163—175 ; Pharm. Centralh. 1920, 293-—295 und Pharm. Central- 
halle 1920. 377—385. 


Im Jahre 1918 lieferte eine große Sojapflanze 66 Samen 
mit einem Totalgewicht von 11,65 g. Eine Pflanze von mittlerer 
Größe ergab 48 Samen = 9,1 g und die 37 Samen einer kleinen 


D. H. Wester: Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja). 189 


Pflanze wogen zusammen 6,04g. Diese Ausbeuten sind also 
nicht sehr befriedigend. Wohl ist auffallend und hervorzuheben, 
daß die quantitative Zusammensetzung der auf holländischem 
Boden gezüchteten Bohnen beider Jahrgänge mit derjenigen des 
asiatischen Ausgangsmaterials fast gleich ist. 

Im Jahre 1919 wurden von Herrn Cunaeus folgende Varie- 
täten gesät. | 


1. Soja hispida Delft (eigene Ernte 1917 — 1918 —) 
2. » » nigra » 

— ji Java 

4. „ F nigra u 

5. p sà Madrid 

6. „ i lutea É 

Te: p » nigra Hohenheim 
8. „ F Sangora F 
9., Br brunea Wageningen 
10.:. „, N lutescens F 
II. „ ” nigra ” 
12. ,, en Sangora Bern. 


Am 19. IV. wurde in Glaskästen ausgesät. Am 2. VI. wurden 
die jungen Pflanzen ins Freie verpflanzt. Sie blühten in folgender 
chronologischer Reihenfolge: | 

Nr.8 am 4. VIII; 9 am 7. VIII.; 11 am 9. VIII; 10 am 
15. VIII.; 5 am 16. VIH.; 7 am 23. VIII.; 3 am 23. VIII.; 1 am 
25. VIII.; 2 am 25. VIII.; 4 am 25. VIII.; 6 am 30. VIII. und 
12 am 30. VIII. — -Genau dieselbe Reihenfolge, also 8, 9, 11, 10, 
5, 7, 3, 1, 2, 4, 6, 12 wurde erzielt, wenn wir sie nach dem Ernte- 
ertrag!) ordnen. 

Im Jahre 1920 wurden dieselben und außerdem .noch die 
folgenden Varietäten gezüchtet: 


13. Soja hispida Bonn 
14. „ F Kassel 
15. y 5 . Zagrab 
16. ,„ er nigra Bern 


17... 7 Sangora Bazel 

18. „ š schwarze 100tägige, Bazel 

19. ,„ ochroleuca Bazel. 

In diesem Jahre wurde am 16. IV. gesät, am 4. VI. in die Erde 
verpflanzt. Sofort danach hatten die jungen Pflanzen durch 
Stürme gelitten, wodurch die ganze Kultur ungünstig beeinflußt 


1) Mittlere Anzahl Bohnen pro Pflanze. 


190 D. H. Wester: 


. wurde. Auch jetzt blühte wieder Nr. 8, Soja hispida Sangora, 
Hohenheim zuerst — 18. VII. — und gab schließlich noch eine 
ziemlicb befriedigende Ausbeute. 

Mit dieser Art werden die Versuche fortgesetzt. Es soll 
versucht werden, die am frühesten blühenden Exemplare aus- 
zuwählen und zu züchten. 

Das Ergebnis unserer Beobachtung kann dahingehend zu- 
sarmmengefaßt werden, daß die bisherigen Resultate nicht sehr 
ermutigend sind. Der Ernteertrag ist in unserem Klima so sehr 
von den Witterungsverhältnissen abhängig, daß eine Kultur 
immer riskant bleibt. Die meisten Arten liefern bei uns keine 
reifen Samen. ImVerhältnis zum Ernteertrag anderer Leguminosen 
Arten ist derjenige unserer Sojabohnenkulturen sehr ungünstig 
zu nennen. 

Im Zusammenhang mit diesen Resultaten kann auf 2 in den 
Kriegsjahren erschienene Broschüren von Fürstenberg!) ver- 
wiesen werden, in welchen erwähnt wird, daß schon in den Jahren 
1870—1880 auf Veranlassung von Prof. Fr. Haberlandt erfolg- 
reiche Kulturversuche mit Sojabohnen gemacht wurden. Auch 
in Holland sollten sie damals angepflanzt sein. Ich habe darüber 
leider nichts Näheres erfahren können. Jedenfalls ist der damalige 
Versuch, die Sojabohnenkultur in Europa einzubürgern, erfolglos 
geblieben. Es ist zu befürchten, daß Fürstenberg nicht mehr 
Erfolg haben wird. Zwar bilden die Sojabohnen ynzweifelhaft 
ein wertvolles Nahrungsmittel, wie aus untenstehender Tabelle 
hervorgeht: 


BE: Eiweiß — — Fett iS Asche 


Sojabohnen . . ..... 
Canavaliabohnen 
Erbsen . . 2. 2 2 2 2 2 2 va. 
Bohnen . . 2.222 2 2 2 02. 
Gelbe Lupinen 








aber: 

l. ist vorläufig die Kultur von Sojabohnen in unserem Klima 
mit vielen Schwierigkeiten verknüpft und bringt geringen Ertrag; 
2. steht der Meinung Fürstenbergs, der die Einführung der 

1) Fürstenberg, Die Einführung der Soja, eine Umwälzung in der 


Volksernährung. Berlin 1916 und: Die Soja eine Kulturpflanze der Zukunft 
usw. Berlin 1917. 


Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja). 191 


Sojabohnen tendenziös als eine Umwälzung in der Volksernährung 
bezeichnet, die von Prinsen Geerligs u. a. gegenüber, der die 
Bohnen als unschmackhaft und schwer verdaulich verwirft!). 
Jedenfalls bleibt aber der Wert dieser Bohne als Ölsamen, ihres 
Preßkuchens als Viehfutter und ihrer vielen wertvollen Präparate 
unbestritten?). 


ll. Im Jahre 1918 wurden Samen der „Ernte 1917 Delft“ 
auf einem Teller mit dünner Watteschicht gelegt. Die Watte 
wurde fortdauernd mit Wasser feucht gehalten. Als die jungen 
Pflanzen 10—13 cm hoch waren — die ersten 2 Blättchen hatten 
sich schon gut entwickelt — wurden sie in 4 Teile geschnitten: 

a) Die Wurzel, b) der Stengelteil von Wurzel bis zu den 
Samenlappen, c) die Samenlappen, d) der darüber hinausragende 
Stempelteil mit den zwei Blättchen. 

Von b) und c) wurde 1 g des getrockneten Materials mit 50 ccm 
Wasser maceriert. 40 ccm des Filtrats wurden mit 5 ccm 2 proz. 
Harnstofflösung gemischt, bis auf 50 ccm aufgefüllt und bei 20° 
belassen. Von a) und d) war nicht genügend Material vorhanden, 
um dieses Verhältnis innezuhalten. Nach einer gewissen Anzahl 
Stunden wurde titrimetrisch festgestellt, wieviel des zugesetzten 
Harnstuffs sich in Ammoncarbonat umgebildet hatte?) (= Harn- 

Harnstoffzahl berechnet für 25 ccm nach 24 Stunden | 48 Stunden | 68 Stunden 


a) 0,4 g Wurzel mit 20 cem Wasser, Fil- 
trat mit 2 ccm Harnstoff | 





b) Stengelteile . . . 2.2. 2 2 222.0. | 32,6 
c) Samenlappen 48,6 
d) 0,340 g obere Teile mit 20 ccın Wasser, 

Filtrat mit 2 ccm Harnstoff . . . .| 9,6 


Es kommt also nicht nur in den — sondern auch in allen 
anderen Teilen der jungen Keimpflanzen Urcase vor*). Schon 


1) Chem. Weekbl. 1917, S. 6. 

2) Vgl. bez. Einzelheiten die 2. Broschüre Fürstenbergs und den 
Artikel von Prinsen Geerligs. 

2) Vgl. u. a. Wester, Pharmaz. Centralhalle 1916 (wo irrtümlich 
Harnsäure statt Harnstoff steht) und Ber. d. dtsch. phermazeut. Ges. 
1920, S. 163—175. 

4) Beyerinck hat übrigens schon im Jahre 1916 mit Hilfe seiner 
„mikrochemischen‘‘ Irisreaktion in einigen Pflanzenorganen Urease nach- 
gewiesen, u. a. auch in den von mir makrochemisch und quantitativ unter- 
suchten Fruchthülsen des Goldregens. 


192 D.H. Wester: Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja). 


früher habe ich bewiesen, daß wir in der Harnstoffzahl ein gewisses 
Maß für die Ureasemenge besitzen. Der Ureasegehalt der oben- 
bezeichneten Teile nimmt also in folgender Reihe ab: c >b >a >d. 

Im Jahre 1920 wurden die Versuche mit größeren Material- 
mengen wiederholt. Zwar waren die Harnstoffzahlen nicht genau 
dieselben — wie auch nicht zu erwarten war — aber im großen 
ganzen wurden dieselben Resultate erzielt wie im Jahre 1918. 

Auch die Hülsen von jungen Früchten des Goldregens wurden 
&uf Urease untersucht, wie oben unter b) und c) angegeben. 

Harnstoffzahl nach 24 Stunden 48 Stunden 68 Stunden 

9,6 14,4 24 
Auch hier findet sich also ziemlich viel Urease vor. Schon früher 
habe ich Urease in den Samen dieser Pflanze nachgewiesen’). 

Schließlich wurden am 17. VII. frische Blätter und Stengel 
von am 7. IV. ausgesäten Canavaliabohnen (Cultuurtuin voor 
technische gewassen, Delft, Holland) quantitativ auf Urease 
untersucht. 

Es wurde jedesmal eine Menge des Reaktionsgemisches 
titriert, welche 3,55 g des frischen Blattes, resp. 0,82 der frischen 
Stengel entsprach., Die Bestimmungen wurden ausgeführt bei 35°. 

Harnstoffzahl berechnet für 10 g frisches Material 
nach 2 Stunden 4 Stunden 10 Stunden 
Blatt. .... 39,8 49,9 124,8 
Stengel . ... 72 8,6 
Die Blätter enthalten folglich eine sehr bedeutende Menge Urease. 

Es bleibt zu untersuchen, welche biochemische Rolle dieses 

Enzym spielt. | 


1) D. H. Wester, Pharmaz. Centralhalle 1920, S. 377—385. 


Nachweis eines stofflichen Defizites im Gewebe an Avita- 
minose erkrankter Tiere; 


Von 
W. R. Heß und N. Takahashi. 


(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.) 
(Eingegangen am 24. Juni 1921.) 


Die Untersuchungen, über welche nachstehend berichtet 
wird, wurden ausgeführt, um Orientierung darüber zu erhalten, 
ob Aussichten bestehen, im Gewebe an Avitaminose erkrankter 
Tiere ein substanzielles Defizit nachzuweisen, welches als die 
oder eine der Ursachen der Avitaminosesymptome anzusehen ist. 

Bereits sind Beobachtungen bekannt, welche eine stoffliche 
Unterwertigkeit im Gewebe beriberikranker Tauben erweisen. 
Ciaccio!) fand die Lipoid-Phosphorsäure im Muskelgewebe 
solcher gegenüber Gesundtieren reduziert. Der Gegensatz zeigt 
sich auch beim Vergleich mit Hungertieren. Dieser — bei Bestäti- 
gung — zweifellos wichtige Befund läßt die Frage offen, ob es 
sich hierbei um Ursache oder Wirkung handelt. Eine Differen- 
zierung in dieser Hinsicht ist nur dadurch möglich, daß zur stoff- 
lichen Bewertung des zu untersuchenden Gewebes ein biologischer 
Indicator herangezogen wird, d. h. Testtiere, welche im Ernäh- 
rungsversuch die Analyse nach Vorhandensein oder Fehlen von 
Stoffen mit Vitaminfunktionen vollziehen. Man könnte daran 
denken, für diese Zwecke auf Hefekulturen zurückzugreifen. 
Nach den Untersuchungen von R. J. Williams?) und einigen 
anderen englischen Autoren bewähren sich diese als Indicator 
für den Nachweis von Vitaminen. Wenigstens sah Williams 


l 1) Ciaccio, @., Contributo allo studio delle alimentazioni incomplete. 
Ann. di clin. med. 10, 60. 1920. 
3) Roger J. Williams, Vitamines and Yeast Groth. Journ. of biol.. 
chem. 46, 113. 1921. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 13 


194 W.R. Heß und N. Takahashi: 


bei der Durchprüfung einer Reihe pflanzlicher Nahrungsmittel, 
abgesehen von einzelnen Divergenzen, einen deutlichen Par- 
allelismus im Einfluß von Extrakten dieser Stoffe einerseits auf 
das Wachstum vitaminfrei ernährter Ratten, andererseits auf 
das Wachstum der Hefe. Dennoch scheinen uns Resultate von 
höherem Wert zu sein, wenn sie von einem Testobjekt stammen, 
welches, abgesehen vom Wachstum, noch mit anderen Merkmalen 
auf Ausfall von Vitaminen reagiert. So verfolgten wir den Plan, 
einseitig ernährten Mäusen und Ratten Zulagen in Form von Ge- 
webebestandteilen zu verabreichen, sowohl von an Avitaminose 
erkrankten Tieren als auch von gesunden Individuen derselben 
Art. Das Resultat suchten wir in einem eventuellen Unter- 
schied in der Wertigkeit der Zulagen, die sich darin kundgibt, 
daß die vom Avitaminosetier stammenden Gewebepräparate 
die Testtiere in geringerem Maße vor Folgen der einseitigen 
Ernährung schützen als die von gesunden Tieren auf gleicheWeise 
gewonnenen Präparate. 

Für die konkrete Versuchsanordnung waren folgende Über- 
legungen maßgebend: Als Grunddiät wurde ausschließlich 
gekochter Reis gewählt; denn eine voraussetzungslos arbei- 
tende Methode mußte auch die Möglichkeit vorsehen, daß eine 
allfällige Differenz in der Qualität des Zelleiweißes besteht. Ein 
Eiweißgehalt der Grunddiät könnte in diesem Falle die qualitative 
Insuffizienz der Zelleiweiße durch deren Ergänzung verdecken. 
Auf eine Fettration in der Grunddiät konnten wir aus dem Grunde 
verzichten, weil nach den Untersuchungen von J. C. Drum- 
mond?) Ratten Fettfreiheit der Nahrung für lange Zeit — d. h. 
nahezu 6 Monate — bei guter Entwicklung ertragen. Eine 
Erklärung scheint hierfür durch die Konstatierungen von 
T.C. Taylor und J. M. Nelson?) gegeben, indem aus Stärke ver- 
schiedener Herkunft bei der Hydrolyse auch dann noch Fett 
extrahierbar wird, wenn der Hydrolyse eine erschöpfende Fett- 
extraktion vorausgeschickt worden ist. 

Auch in bezug auf einen eventuellen qualitativen oder quan- 
titatiren Mangel einer anorganischen Komponente wollten wir 


1) I. C. Drummond, Nutrition on diets practically devoid of fat. 
Proc. of the physiol. soc. 1920; Journ. of physiol. 54. 

2) Taylor, T. C., and J. M. Nelson, Fat associatet with stark. 
Journ. of the Americ. chem. soc. 42, 1726. 1920. 





Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 195 


keine Voraussetzungen machen, so daß, abgesehen von der Salz- 
zufuhr im Trinkwasser, im zugeführten Reis und in den Zulagen 
keine Salze verabreicht wurden. 

Selbstverständlich ist bei einer solchen Versuchsanordnung 
volles Gedeihen der Testtiere ausgeschlossen. Ungeachtet 
dessen aber bieten Gewichtsveränderungen, Lebensdauer, Zeit- 
punkt spezieller Symptome Anhaltspunkte genug, eine Differenz 
in bezug auf die Ernährungswertigkeit verschiedener Zulagen 
wahrzunehmen. Für eine volle Deckungsmöglichkeit des ener- 
getischen Bedarfes und Ersatz des Wasserabganges war selbst- 
verständlich Sorge getragen. 

Bei der Beschaffung des als Zulage verabreichten 
Gewebemateriales griffen wir auf Tauben. Es geschah dies, 
weil hier die Symptome der Avitaminose charakteristisch sind. 
Davon hängt die Zuverlässigkeit der Beobachtung wesentlich 
ab, daß man es bei der Gewinnung des zu kontrollierenden Gewebes 
wirklich mit Avitaminose zu tun hat. Es ist nicht überflüssig, 
dies zu betonen: Muß man doch immer damit rechnen, daß In- 
anition oder durch diese sekundär bedingte Erscheinungen 
Anlaß zu Irrtum geben. Wir verarbeiteten nur solche Tiere, 
die typische, sich motorisch äußernde Reiz- oder Lähmungs- 
symptome aufwiesen. Tauben mit allgemeiner Schwäche wurden 
ausgeschaltet, ebenso die spontan zugrunde gegangenen. Bei den 
14 verarbeiteten Tauben fiel das Auftreten der Reizsymptome 
zwischen den 17. und 33. Tag, die Lähmungssymptome zwischen 
den 12. und 32. Tag. Betreffend die Art des Gewebes, dessen 
Ernährungswertigkeit wir kontrollieren wollten, wählten wir 
Muskel und Pankreas, letzteres im Gedanken an die Möglichkeit, 
daß die Vitamine vielleicht mit den Fermenten in stoff- 
licher Beziehung stehen. In einem Organ, welches, wie die 
Bauchspeicheldrüse, große Fermentmengen produziert, könnte 
man bei einem solchen Zusammenhang größere Reserven 
an Vitaminen vermuten. Bei der Verfütterung würde dieses 
Gewebe aus diesem Grunde eine besondere Rolle spielen. 

Die Art der Darreichung der Gewebe wurde haupteäch- 
lich durch praktische Momente gegeben. Wir wählten die 
Form von Trockensubstanz, da es nicht ohne sehr großen Tier- 
aufwand möglich ist, auf bestimmte Fütterungstermine Schlacht- 
tiere mit ausgesprochenen Symptomen der Avitaminose bereit 


13* 


196 W.R. Heß und N. Takahashi: 


zu haben. Dic Verabreichung von Trockensubstanz gestattet 
nicht nur die exakte Einhaltung der Termine für die Verabreichung 
der Zulagen, sondern auch eine vollständige Ausnützung des 
Matcriales. Bei der Präparation wurden die frisch geschlachteten 
Tiere zerlegt,. das Pankreas möglichst sauber. herauspräpariert, 
die Muskelsubstanz von makroskopisch erkennbarem Fett befreit. 
Die in feine scheibenförmige Schnitzel geschnittenen Gewebs- 
stücke wurden auf elektrisch erwärmter Unterlage unter Ver- 
meidung einer 40° übersteigenden Temperatur lufttrocken ge- 
macht. Die Aufbewahrung geschah in einer mit Korkstöpsel 
verschlossenen Flasche. In gleicher Weise war für Vergleichs- 
versuche Trockenhefe zubereitet worden. Wir waren uns wohl 
bewußt, durch die Wahl der Trockenverfütterung die Aussichten 
auf ein positives Ausfallen der Versuche etwas herabzumindern, 
weil die Trocknung eine im frischen Zustand eventuell vorhandene 
Differenz zwischen Gewebe von gesunden und kranken Tieren 
auslöschen kann. Wir mußten uns aber trotz dieser Einsicht 
nach den oben gegebenen praktischen Argumenten richten. 

Als sehr wichtig erachteten wir die Dosierung der aus den 
getrockneten Geweben gebildeten Nahrungszulagen. Damit ein- 
deutige Ernährungseffekte im Gedeihen der Tiere zum Ausdruck 
kommen können, muß die Zulage in einer ein bestimmtes Minimum 
nicht unterschreitenden Quantität zugemessen werden. Dabei 
besteht aber auch die Gefahr, daß die für eine Differenzierung 
günstige Dosierung überschritten wird. Wenn im Gewebe der 
Avitaminosetiere das substantielle Defizit nur ein relatives ist, 
so könnte sich das Testtier doch ausreichend: eindecken, wenn die 
Zulage groß genug bemessen wird. Mit Rücksicht hierauf hielten 
wir es für geraten, mit sehr kleinen Zulagedosen zu arbeiten. 
Wir hatten damit auch von vornherein die Gewißheit, daß die 
Lebensdauer aller Testtiere auf eine nicht allzulange Spanne Zeit 
begrenzt war und diese somit für jedes Ernährungsregim als ein 
zahlenmäßig faßbarer Indicator ausgenützt werden konnte. Die 
verabreichten Dosen finden sich in Tabelle I und II notiert, und 
zwar pro Tier und Tag berechnet. Tatsächlich wurde die Zulage 
nur jeden 5. Tag in der öfachen Tagesdosis verabreicht. An 
diesen Zulagetagen war jeweils die Reismenge soweit reduziert, 
daß sie restlos verzehrt wurde und mit ihr auch das beigemischte 
Präparat. 





197 


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Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 199 


Die Wahl der Testtiere richtete sich u. a. nach möglichst 
kleinem Verbrauch an Zulagematerial. Danach waren Mäuse 
das Gegebene, ergänzt durch Rattenserien mit kleinerer Indivi- 
duenzahl. Die Unsicherheit in der Dosierung ließ uns für beide 
Tierarten die Zulageration in der gleichen Höhe fixieren, war sie 
für die Mäuse zu hoch, fiel sie vielleicht für die Ratten richtig aus. 
Für Mäuse und Ratten als Testtiere sprach ferner der Umstand, 
daß sie Fleischpräparate willig aufnehmen und gut verdauen. 

In bezug auf die für die Einschätzung der Versuchsresultate 
nicht irrelevanten Nebenumstände ist folgendes zu bemerken: 
Der Aufenthaltsraum war auf 8—15° temperiert. Die Tiere waren 
in Gläsern untergebracht, die Ratten zu zweien, die Mäuse zu 
dreien. Die Fütterung erfolgte jeden Tag morgens. Wasser stand 
den Tieren immer ausreichend zur Verfügung, ebenso Reis. Mit 
der Fütterung war eine Reinigung des Glases verbunden; die den 
Boden bedeckende Cellulosewatte wurde jeweils durch frische 
ersetzt. Jede Woche wurden die Tiere einzeln vor dem Füttern 
gewogen. l | 

Die Resultate der Versuche finden sich in Tabelle I und II 
zusammengestellt. In bezug auf Gewicht und Lebensdauer sind 
die Durchschnittszahlen, für letztere noch die Extremwerte 
notiert. 

Durch die in Tabelle I (Mäuse) aufgeführten Daten sehen wir 
folgende Feststellungen belegt: 

1. In der Verlängerung der Lebensdauer, welche durch die 
verschiedenen Zulagen erreicht wird, zeigen sich je nach der Art 
der Zulage wesentliche Unterschiede. Den Höchstwert erreicht 
die Verlängerung mit 67 Tagen durch Muskelsubstanz gesunder 
Tiere. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß der alkoholische 
Hefeextrakt, der mit 49 Tagen am zweithöchsten kommt, nur in 
kleinerer Dosis verabreicht wurde, dies mit Rücksicht auf Wegfall 
von Ballastsubstanzen. Das Minimum von Zulageeffekt finden 
wir bei Trockenhefe mit 26 Tagen gegenüber 23 Tagen bei reiner 
Reisnahrung. — Von speziellem Interesse ist, gemäß unserem 
Versuchsplan, die Gegenüberstellung der gleichartigen Gewebe 
einerseits von gesunden, andererseits von den an Avitaminose 
erkrankten Tieren. Mäuse, welche Muskel von Beriberi-Tauben 
als Zulage erhielten, erlangen eine Lebensdauer von 39,8 Tagen 
gegenüber 67,6 Tagen bei Verfütterung von Muskel gesunder 


200 W. R. Heß und N. Takahashi: 


Tiere. Die Differenz ist zu groß, als daß sie als Zufall erklärt 
werden dürfte. Wir erkennen somit, daB in dem Muskelgewebe 
der an Avitaminose erkrankten Tiere tatsächlich ein stoffliches 
Defizit besteht. Es kommt dadurch zum Ausdruck, daß es sich 
im Schutz gegen die Folgen einseitiger Ernährung minder- 
wertig erweist. Die Feststellung mit Muskelgewebe wird gestützt 
durch diejenige m.t Pankreas, wobei aber der Effekt, besche- 
dener ist. 

Dabei muß berücksichtigt werden, daß hier die Zulagedosis nur 
ein Drittel derjenigen an Muskelsubstanz beträgt. Die Erwartung 
der höheren Vitaminwertigkeit dieser Gewebeart, dann haupt- 
sächlich auch die kleinen Mengen Gewebematerial, die vom ein- 
zelnen Schlachttier gewonnen werden konnten, hatten uns 
veranlaßt, die Pankreasration niedriger zu halten. 

Fast noch deutlicher als die Mittelwerte sprechen die Höchst- 
werte der Lebensdauer, welche bei reinem Reis 33 Tage beträgt. 

Bei Muskelsubstanz als Zulage stehen sich die Zahlen 94 Tage 
für Gesund- und 75 Tage für Krankpräparat, bei Pankreasgewebe 
80 für Gesund- und 65 für Krankpräparat gegenüber. 

Die Resultate der Wägungen unterstreichen die aus der 
Lebensdauer gezogenen Schlüsse insofern, als wir bei Muskel- 
Gesundpräparat eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme er- 
kennen gegenüber einem Schwanken der Werte um annähernd 
konstante Mittellage bei Muskel von Beriberi-Tieren. Bei Pankreas 
als Zulage fehlt dieser typische Unterschied. Ein Vergleichsmaß 
zur Bewertung der Gewichtskurve ist in der Serie mit alkoholischem 
Hefeextrakt als Zulage gegeben. Eine Beeinträchtigung der 
Deutung erfährt die Kontrolle der Gewichtsveränderung dadurch, 
daß im Verlaufe der Zeit einzelne Versuchstiere durch Tod ab- 
gehen, weshalb den folgenden Berechnungen des Mittelwertes eine 
andere Tierzahl zugrunde liegt. Dabei kann es zu Verschiebungen 
des Mittelwertes kommen, welche die Stetigkeit der Kurve stören. 
Aus diesem Grunde sind die sich auf eine reduzierte Tierzahl 
beziehenden Mittelwerte in Klammer gesetzt und die Tierzahl 
angeführt. 

Die Interpretation der Werte, die in Tabelle II (Ratten) 
niedergelegt sind, ergänzen die mit Mäusen gemachten Erfah- 
rungen. Hier treffen wir im allgemeinen eine bedeutend höhere 
Lebensdauer. Die Ratten sind gegenüber reiner Reisnahrung 


Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 201 


bekanntlich sehr resistent. Die Wertigkeit der Zulagen bemessen 
nach der Lebensverlängerung zeichnet sich dabei weniger prägnant 
ab. Die Differenz zwischen Gesund- und Avitaminosepräparat 
ist aber auch hier unverkennbar besonders prägnant für 
Muskel. | 

Die Höchstwerte der Lebensdauer entsprechen der an den 
Mäusen konstatierten Regel. 

Die Gewichtskurven der Ratten bieten der Interpretation 
geringere Schwierigkeiten als die der Mäuse, weil in den ersten 
6 Wochen in keiner Serie Tiere durch den Tod ausschieden. Bei 
allen Zulageserien sehen wir das Körpergewicht sich verändern, 
wie es für vitaminfreie aber die Hauptnahrungsstoffe führende 
Basaldiät bekannt ist. Es ist dies ein anfängliches Emporsteigen 
des Körpergewichtes, welchem später eine Senkung folgt, wobei 
man den Umschlag mit dem Verbrauch des Eigenvorrates an 
Vitaminen in Zusammenhang bringt. 

Zu erwähnen sind schließlich noch die Beobachtungen, 
welche an Ratten betreffend Auftreten von Xerophthalmie 
gemacht worden sind. Dieses Symptom der Avitaminose trat 
unter den 6 auf reiner Reisnahrung stehenden Tieren bei 3 Indi- 
viduen mit dem 34. Versuchstag auf, bei einem vierten war aus- 
gesprochene Mattheit der Cornea als Zeichen der beginnenden 
Erkrankung am 45. Tage zu beobachten. 2 Tiere waren an ihrem 
Todestag, am 53. bzw. 62. Tage, noch ohne Augensymptome. 
Bei den Ratten, welche die verschiedenartigen Zulagen erhielten, 
Stellte sich die Augenerkrankung wie folgt ein: 

Muskelpräp. v. gesunder Taube. . keine Xerosis, 
» -© V. Beriberi-Taube . . Xerosis am 42. bzw. 50. Tage be- 


i ginnend, . 
Pankresspräp. v. gesunder Taubė . Xerosis in einem Fall ausbleibend, im 
anderen am 42. Tage beginnend, 


PR v. Beriberi-Taube . Xerosis bei beiden Tieren am 42. Tag, 

Trookenhefe. .. ... . 2. . Xerosis am 36. bzw. 45. Tage be- 
ginnend, 

Alkohol. Hefeextrakt ...... Xerosis bei beiden Testtieren am 


36. Tage beginnend. 

Das Bemerkenswerte dieser Angaben beschränkt sich auf 
die Festlegungen der Präventivwirkung des Muskel- Ge- 
sundpräparates, das wir beim ‚Muskelpräparat von 
Avitaminosetieren nicht oder nicht entsprechend finden. 


202 W.R. Heß und N. Takahashi: 


Es ist zu beachten, daß in diesem Punkt ebensowenig wie in bezug 
auf Lebensdauer und Gewichtsveränderung die Pankreaspräparate 
eine besondere Rolle spielen. Die entsprechenden Serien ver- 
halten sich wie die Muskelzulageserie, wobei die durch die 
Zulage bedingten Ausschläge ungefähr der niedrigeren Dosierung 
dieses Präparates entsprechen. 

Leider bringen die Mäuseversuche in bezug auf Xerophthalmie 
keine Ergänzungen, da bei diesen das Xerosissymptom fehlt. 
Ein anderes Symptom, das mit dem Zustand der Avitaminose 
in Zusammenhang gebracht werden muß, kam zu isoliert zur 
Beobachtung, als daß es zu einer Deutung verwertet werden 
könnte; es ist dies blutiger Harn, bei den 36 Mäusen der refe- 
rierten Serien 3mal beobachtet, nämlich bei 2 Individuen mit 
Muskeln von Beriberi-Tauben und bei 1 Individuum mit 
Pankreas von Avitaminosetierpräparat. In jedem Falle handelt 
es sich um die Tiere mit der längsten Lebensdauer der entsprechen- 
den Serie von je 6 Tieren. 

Die referierten Versuchsergebnisse führen zur Frage nach 
der Ursache der Differenz in der Ernährungswertigkeit der von 
gesunden einerseits, von Beriberi-Tauben andererseits stammenden 
Gewebepräparate. Das nächstliegende ist, im Vitamingehalt die 
entsprechende Differenz zu suchen. In diesem Sinne möchten 
wir denn auch unsere Resultate interpretieren. Wir betonen 
aber dabei, daß zur Sicherung dieser Deutung Kontrollen an größe- 
ren Serien mit verschiedenartigen Basaldiäten wünschens- 
wert sind. Die Vorsicht gebietet ferner, dem positiven Ausfall 
unserer Versuche die Resultate gegenüberzustellen, die sich bei 
Verwendung von Präparaten ergeben, die von Tieren mit 
Hungerinanition stammen. 

Auf zwei Schlußfolgerungen dürfen wir aber jetzt schon hin- 
weisen: Die ausgesprochene Gegensätzlichkeit zwischen Muskel- 
Gesund- und -Avitaminosepräparat zeigt an, daß die Ursache der 
Avitaminosesymptome u. a. auch im Muskelgewebe zu suchen ist. 
Ferner sprechen die Resultate gegen die Möglichkeit, daß die 
Beriberisymptome durch im abnormen Stoffwechsel entstehende 
toxische Produkte hervorgerufen werden. Denn von einer Schä- 
digung der mit Avitaminosepräparaten gefütterten Testtiere 
ist im Vergleich mit den Testtieren ohne Zulage in keiner Serie 
etwas zu beobachten. 


Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 203 


Zusammenfassung. 


Auf einseitige Nahrung gesetzte Mäuse und Ratten erhalten 
Nahrungszulagen in Form von Gewebepräparaten, die einerseite 
von Tauben mit experimenteller Beriberi, andererseits von gesunden 
Tauben stammen. In der Beobachtung der Lebensdauer, der 
Gewichtskurven und bei Ratten des zeitlichen Auftretens der 
Xerophthalmie dienen sie als Testtiere zum biologischen Nachweis 
eines stofflichen Defizites im Gewebe der Tiere mit Beriberi. 

Die Versuche erweisen das Bestehen eines solchen Defizites. 
Die von den Avitaminosetieren stammenden Präparate (Muskel; 
Pankreas) vermögen die Testtiere nicht in dem Maße vor der Kon- 
sequenz der einseitigen Nahrung zu schützen, wie die in gleichen 
Dosen verabreichten Zulagen, die von gesunden Tieren geliefert 
sind. Es ist wahrscheinlich, daß dieser Unterschied der Wirkung 
auf den Vıtamingehalt zu beziehen ist. Die Ursache der Avita- 
minosesymptome ist somit u. a. im Chemismus des Muskelgewebes 
zu suchen. Die Resultate sprechen dagegen, daß es sich dabei 
um das Entstehen toxischer Produkte handelt. 


Über die Bildung von Acetaldehyd und die Verwirk- 
lichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen 
Pilzen. 


Von 


Carl Neuberg und Clara Cohen. 


(Aus der Chemischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für experi- 
mentelle Therapie in Berlin-Dahlem.) 


Durchblickt man die verschiedenen Lehrbücher der Gärungs- 
chemie, die im vergangenen Jahrhundert und im ersten Dezennium 
des gegenwärtigen erschienen sind, so findet man unter den eigent- 
lichen Produkten der alkoholischen Zuckerspaltung und ver- 
wandter Umsetzungen den Acetaldehyd nicht aufgezählt. 


In den seinerzeit besonders verbreiteten Werken von P.Schützen- 
borger?!) und Adolf Mayer?) geschieht des Aldehyds auch unter den sog. 
Beiprodukten der Gärung keinerlei Erwähnung. In den „Diastasen‘“‘ von 
J. Effront?) sowie in der „Zymasegärung‘‘ von E. und H. Buchner und 
M. Hahn‘) wird der Acetaldehyd dem Stande des damaligen Wissens 
entsprechend nicht angeführt, ebensowenig in A. Baus®) Abhandlung über 
die Bierbrauerei. W. Kruse®) streift in der „allgemeinen Mikrobiologie“ 
die Möglichkeit einer Entstehung höherer Aldehyde aus Eiweiß im Zu- 
sammenhange mit der Frage der Bouquetbildung, nicht aber den Übergang 
von Zucker in den einfachen Acetaldehyd. 


Die einschlägigen Zusammenfassungen, die von Aoetaldehyd überhaupt 
Notiz nahmen, stellten sich in unzweideutiger Weise auf den Standpunkt, 
daß es sich bei diesem Körper um ein sekundäres Erzeugnis 
handele, das durch eine nachfolgende Oxydation des im normalen 


1) P. Schützenberger, Die Gärungserscheinungen. Deutsche Aus- 
gabe, Leipzig 1876. 

3) Ad. Mayer, Die Gärungschemie. Heidelberg 1895. 

3) Jean Effront, Die Diastasen. Deutsche Übersetzung von 
Bücheler. Leipzig 1900. 

1) E. und H. Buchner und M. Hahn, Zymasegärung. München 1903. 

5) A. Bau, Bierbrauerei. Leipzig 1911. 

€) W. Kruse, Allgemeine Mikrobiologie. Leipzig 1910, S. 537. 


C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd usw. 205 


Gärakt primär. gebildeten Alkohols entsteht. So sind auch in der neuesten 
Auflage von Beilsteins Handbuch der organischen Chemie, die ant 1.1. 1910 
abgeschlossen ist, die letzten Ergebnisse der verschiedenen französischen 
Autoren mit den Worten zusammengefaßt: „Die kleinen Mengen Acetalde- 
hyd, die bei der Alkoholgärung des Zuckers auftreten können, sind kein 
normales Gärungsprodukt, sondern entstehen durch nachträgliche Oxy- 
dation des Alkohols an der Luft in Gegenwart von Hefe‘). Eine ähnliche 
Anschauung kommt zum Ausdrucke in Karl Windischs?) „Abhandlungen. 
über die chemischen Vorgänge beim Werden des Weins“ mit den Worten: 

„Der bis jetzt am meisten anerkannten Ansicht gemäß entsteht die 
Hauptmenge des Aldehydes im Wein durch Oxydation des Alkohols durch 
den Sauerstoff der Luft. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß schon bei der 
Gärung der Moste Aldehyde entstehen, dann aber wahrscheinlich durch 
Reduktion von Fettsäuren und nicht durch Oxydation von Alkoholen.“ 

Ersichtlioh zieht dieser Autor vornehmlich eine sekundäre Entstehung 
des Aocetaldehyds (sowie seiner Homologen) in Betracht. Dieselbe Auf- 
fassung scheint auch K. Kroemer in F. Lafars Handbuch der technischen 
Mykologie zu vertreten?). Die Winzigkeit der beobachteten Aldehydmengen 
führte den Verfasser zur Theorie ihrer sekundären .oxydativen Bildung. 
Er sagt für den Wein: „Für gewöhnlich wird hierdurch (d. h. die Aldelıyd- 
bildung) die Güte des Weins kaum beeinflußt werden, weil den Hefen der 
Sauerstoff, der zur Bildung dieser Verbindungen notwendig ist, in weitaus 
den meisten Fällen nioht zur Verfügung stehen dürfte.“ Ähnlich hatte sich 
A. Baut) für die Gärung ganz allgemein geäußert: „Der Aldehyd hat mithin 
(sc., wenn die Luft reichlich Zutritt hat) seinen Ursprung in der Oxydation 
des Alkohols in statu nascendi. Nach Ilges bildet er sich nicht bei der 
Gärung, sondern erst in den Destillierapparaten durch Berührung der 
Spiritusdämpfe mit Luft.“ 

Alle tatsächlichen Befunde von Acetaldehyd betrafen freilich 
nur äußerst geringe Spuren dieser Substanz. Für das Gärungs- 
problem mußten sie ohne alle Bedeutüng bleiben. Der Stand 
der Frage wird klar in Maercker - Delbrücks bekanntem 
Handbuch der Spiritusfabrikation vom Jahre 1903 präzi- 
siert, wo es heißt5): ‚Der Acetaldehyd entsteht durch die 
Oxydation von Äthylalkohol während der höchsten Temperatur 
der Gärung.... Die Essigsäure ist ebensowenig wie der Aldehyd 
ein normales Produkt der Gärung, sondern ein Zersetzungsprodukt 
von bereits gebildetem Alkohol.“ 

1) Beilstein, 4. Aufl., Bd. I, S. 595. 1918. 

2) K. Windisch, Die chemischen Vorgänge beim Werden des Weines. 
Stuttgart 1906, S. 45. 

s) F. Lafar, Bd. V, S. 484. 1905—1914. 


t) F. Lafar, Bd. IV, S. 386. 1905—1907. 
&) Maercker - Delbrück, S. 79. 


206 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


Eine gründliche Umgestaltung erfuhr die Sachlage, als im 
Jahre 1910 C. Neuberg und H. Wastenson!) zunächst in der 
Hefe ein besonderes Ferment auffanden, dessen Tätig- 
keit gerade auf die Erzeugung von Acetaldehyd ge- 
richtet ist, nämlich die Carboxylase. Wie in einer längeren 
Reihe von Arbeiten seit dem Jahre 1911 dann gezeigt worden 
ist, zerlegt das genannte Enzym die Brenztraubensäure in Kohlen- 
dioxyd und Acetaldehyd. Da die Carboxylase in allen eigentlichen 
Gärungserregern angetroffen ist und auch bei höher organisierten 
Lebewesen, die eine der geistigen Gärung ähnliche Zuckerspaltung 
zuwege bringen, so hat sich auf Grund dieser Tatsachen die 
„Acetaldehyd - Brenztraubensäuretheorie der Gärung“ 
befestigt. Sie besagt, daß sowohl Brenztraubensäure als Acet- 
aldehydein Zwischenprodukt bei der alkoholischen Zucker- 
spaltung darstellen. Gewichtige Beweise für diese Theorie sind 
dann im Jahre 1916 und 1918 von C. Neuberg mit E. Färber 
und E. Reinfurth.dadurch beigebracht worden, daß sie tat- 
sächlich bedeutende Quantitäten Acetaldehyd, bis zu 75%, der 
theoretisch möglichen Menge, durch modifizierte Gärführung des 
Traubenzuckers und anderer Hexosen zu isolieren imstande waren. 
Daß dabei die Brenztraubensäure als unmittelbare Vorstufe des 
Acetaldehyds zu gelten hat, zeigten des weiteren C. Neuberg 
und E. Reinfurth, indem unter den Bedingungen der verschie- 
denen Aldehyd-Abfangverfahren — Sulfit- und Dimedonmethode — 
die Brenztraubensäure gleichfalls Acetaldehyd liefert; und vor 
nicht allzulanger Zeit hat M. von Grab?) auch die Brenztrauben- 
säure selbst abzufangen vermocht. 

Für die eigentliche alkoholische Gärung steht die ‚‚Aoet- 
aldehyd-Brenztraubensäuretheorie‘‘ auf verläßlicher Grundlage. 
Nun gibt es auch noch andere Gärungsvorgänge, die der 
alkoholischen Zuckerspaltung mehr oder minder nahe verwandt 
sind, und es scheint im Hinblick auf die Möglichkeit, zu einer 
einheitlichen Auffassung vom Chemismus dieser Prozesse zu ge- 
langen, als eine Aufgabe von nicht untergeordnetem Interesse, 


1) Betreffs der Arbeiten Neubergs und seiner Mitarbeiter sei auf die 
zusammenfassende Darstellung Neubergs: „Über den Zusammenhang 
der Gärungserscheinungen in der Natur‘, Festschrift d. Kaiser Wilhelm-Ges. 
zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1921, S. 162, verwiesen. 

2) M. v. Grab, 1921. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 207 


ebenfalls für die von diesen Erregern bewirkten und im Haus- 
halte der Natur häufig noch wichtigeren Umsetzungen der 
Kohlenhydrate einen entsprechenden Verlauf zu erweisen. 

Zunächst hatte C. Neuberg mit F. Nord, E. Färber und 
E. Wolff dargetan, daß der Abbau der Zuckerarten und ihm nahe- 
stehender Substanzen, wie Mannit und Glycerin, durch eine Reihe 
über die ganze Erde verbreiteter Bakterien grundsätzlich in gleicher 
Weise erfolgt. Bei den Erregern der Ruhr, beim Bacillus lactis 
aerogenes, beim Bacterium coli gelingt es, mittels geeigneter Ver- 
suchsanordnungen die sonst flüchtig durcheilte Stufe des Acet- 
aldehyds in beträchtlichem Umfange zu fixieren. Dasselbe trifft 
für die ubiquitäre Klasse der Buttersäurebildner!) zu. Damit 
enthüllt sich bereits eine weitgehende Gleichmäßigkeit bei den 
verschiedenen natürlichen Umsetzungsformen des Zuckers?). 

Wenn bei einem Gärungsvorgange Acetaldehyd in wirklich 
reichlichen Mengen zutage gefördert wird und sein Auftreten, wie 
nunmehr erwiesen ist, sich auf primärer Grundlage vollzieht, so ist 
es klar, daß diese offenbar ohne jede Mitwirkung atmosphärischen 
Sauerstoffs erreichte biologische Oxydationsphase in irgendeinem 
entsprechenden Reduktionsprozeß ihr Gegenstück haben muß. 

Bei der einfachen alkoholischen Zuckerspaltung 
entziehen sich diese Zusammenhänge deshalb der unmittelbaren 

“Wahrnehmung, weil bei dem glatten Zerfall des Zuckers gemäß 
der gewöhnlichen Gärungsgleichung der zwischendurch entstehende 
Acetaldehyd durch den ‚„mobilisierten Gärungswasserstoff‘“ sofort 
zu Äthylalkohol hydriert wird. 

Schlägt man jedoch künstlich den Acetaldehyd in Fesseln, 
bewahrt ihn also vor der normalen Reduktion zum Weingeist, 
so muß in einem anderen Reduktionserzeugnis der Ausgleich 
gegeben sein. Bei der zweiten Vergärungsform, bei der 
man durch Zugabe sekundärer schwefligsaurer Salze den Acet- 
aldehyd aus der Bahn der üblichen Umwandlungen ausschaltet, 
besteht die korrelative Reduktion in der Erzeugung von äqui- 
molekularen Mengen Glycerin. 

Bei derdritten Vergärungsform, bei der das intermediäre 
Gebilde des Acetaldehyds nicht durch Fesselung, sondern durch 


1) C. Neuberg und B. Arinstein, diese Zeitschr. 117, 269. 1821. 
3) Näheres siehe darüber in der erwähnten Mitteilung von Neuberg 
„Über den Zusammenhang der Gärungserscheinungen in der Natur.“ 


208 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- . 


Dismutation — durch Umlagerung zu Äthylalkohol und Essig- 
säure — entfernt wird, findet man gleichfalls im Glycerin das 
Reduktionsäquivalent. 

Bei der Buttersäuregärung, die als eine vierte Vergärungs- 
form betrachtet werden kann, wird der Acetaldehyd bzw. seine 
Vorstufe, die Brenztraubensäure, aldolisiert und das Reaktions- 
produkt durch eine „Saccharinumlagerung‘ in Buttersäure über- 
geführt. Da diese keinen funktionstüchtigen Wasserstoffacceptor 
mehr darstellt, und aus Gründen, die wir bislang nicht kennen, 
Glycerin ebenfalls nicht gebildet, ja sogar ähnlich wie Zucker 
selbst von den Buttersäureerregern angegriffen wird, kommt es 
dabei zu der bekannten Wasserstoffgärung, d. h. zu einer Ent- 
bindung freien Wasserstoffgases. 

In bezug auf die Aldehydstufe liegen ähnliche Verhältnisse 
bei der Umsetzung von Kohlenhydraten durch die Bakterien 
' der Coli- und Dysentheriegruppe vor. Der Acetaldehyd wird hier 
— in der Norm — dismutiert wie bei der dritten Vergärungsform, 
kann jedoch in erheblichem Umfange mittels der Abfangmethode 


festgelegt werden. Dagegen erfolgt keine entsprechende Speiche- _ 


rung von Glycerin, wohl deshalb nicht, weil der betreffende 
Kohlenhydratanteil, ehe er hydriert werden kann (wahrscheinlich 
über eine Modifikation des Methylglyoxals), zu Milchsäure um- 
gelagert wird. Hinzu kommt, daß Glycerin selbst gegenüber den 
Erregern nicht beständig ist. Da somit der „Gärungswasserstoff“ 
sich nicht als Reduktionsmittel betätigen kann, weder am Acet- 
aldehyd noch an einem Zuckerhalbmolekül, entweicht er in mole- 
kularem Zustande. Diese Art des Zuckerzerfalls stellt eine fünfte 
Vergärungsart dar. 

Unter günstigen Umständen kann man bei allen diesen 
Umsetzungsformen auf Spuren von Acetaldehyd stoßen; diese 
sind als Überbleibsel aufzufassen, die daher rühren, daß der 
entsprechende reduktive Ausgleich sich nicht in der Bildung 
einfacher Produkte auswirkt, sondern daß die Reduktionsvorgänge 
bei irgendwelchen synthetischen Leistungen der Organismen 
oder der Zellsäfte beteiligt sind. 

Neuerdings haben C. Neuberg und J. Hirsch!) einen Vor- 
gang beschrieben, den man als eine sechste Vergärungsform 


1) C. Neuberg und J. Hirsch, diese Zeitschr. 115, 282. 1921. 


— — mn o 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 209 


bezeichnen kann; er verknüpft die Zuckerspaltung in durchsich- 
tiger Weise mit aufbauenden Prozessen. Neuberg und Hirsch 
haben nämlich gefunden, daß bei der sogenannten, übrigens auch 
auf rein fermentative Art durchführbaren phytochemischen 
Reduktion von Aldehyden zu den zugehörigen Alkoholen der 
Aoetaldehyd sich ansammelt, zwar nicht in freiem Zustande, 
sondern in Form einer benzoinartigen Kondensationsverbindung 
mit einem Teile des zugesetzten fremden Aldehyds. Schon früher 
hatten C. Neuberg und Mitarbeiter dargetan, daß die phyto- 
chemische Reduktion wahrscheinlich auf Kosten des Zuckers 
vollzogen wird und auch kleine Mengen freien Acetaldehyds, 
offenbar Überreste, dabei zum Vorschein kommen können!). 

Somit ist die primäre Entstehung von Acetaldehyd 
unddiedamit andin Hand gehende Bildung bestimm- 
ter Reduktions- bzw. Anlagerungsprodukte bei ver- 
schiedenen Typen der biologischen Zuckerspaltung 
erwiesen. Ä 

Zum weiteren Ausbau dieser Zusammenhänge ist 
nunmehr eine Reihe von Mikroorganismen untersucht 
worden, die teils hinsichtlich ihres Chemismus den 
Erregern der alkoholischen Gärung verwandt er- 
scheinen, zum Teil andere Zerlegungen der Kohlen- 
hydrate zuwege bringen. | 

Es handelt sich zunächst um die Mucoraceen. Es sind 
dieses Pilze, die morphologisch der Hefe ferner stehen, zwar wie 
diese Alkohol hervorbringen, aber langsamer und nicht im selben 
Umfange?). (Es liegt dies daran, daß sowohl die absolute Menge 
umgesetzten Zuckers geringer ist, als auch reichlich Säuren, neben 
Kohlensäure Oxalsäure, Bernsteinsäure und Milchsäure aus dem 
Zucker gebildet werden. Das Verhältnis C,H/OH :CO, wird 
z. B. wie 4:5 angegeben, während es bei der Hefengärung be- 
kanntlich 1 ; 1 ist.) 

Herangezogen wurden: 

Mucor javanicus, Mucor mucedo, Mucor plumbeus, 


1) C. Neuberg und A. Lewite, diese Zeitschr 91, 257. 1918. — 
F. F. Nord, Ber. 5%, 1210. 1919. — C. Neuberg und F. F. Nord, Ber. 5%, 
2242 u. 2251. 1919. 

2) Vgl. O. Emmerling, Ber. 30, 454. 1897 und C. Wehmer in 
Lafars Handbuch IV, 455. 1907. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 14 


210 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


Mucor racemosus, Mucor rouxii, Mucor silvaticus, 
Mucor stolonifer sowie anschließend: 

Endomyces fibuliger und Rhizopus tritici. 

Ferner dienten zu dieser Prüfung Vertreter der Gruppen 
Monilia, Oidium und Torula, und zwar im einzelnen: 

Monilia candida, Oidium lactis, Torula &, Torula 
colliculosa und Torula rubra. 

Des weiteren wurden die Untersuchungen ausgedehnt auf: 

Aspergillus cellulosae?), Aspergillus citricus, Asper- 
gillus fumaricus, Aspergillus niger, Aspergillus niger 
mutante, Penicillium variabile und Merulius lacrimans 
sowie schließlich auf: 

Pilsner Kahmhefe, Weinkahmhefe III, Kahmhefe 
vergärend sowie Kahmhefe nicht vergärend. 

Mit dieser nicht unerheblichen Zahl von Mikro- 
organismen ist in allen Fällen die Bildung von Acet- 
aldehyd festgestellt und, soweit sie einigermaßen beträchtlich 
war, auch der Menge nach verfolgt worden. 

Quantitative Bestimmungen sind mit Mucor javanicus, Mucor 
mucedo, Mucor plumbeus, Mucor racemosus, Mucor rouxü, Mucor 
stolonifer, Monilia candida, Oidium lactis, Torula &, Torula colli- 
culosa, Endomyces fibuliger sowie Aspergillus niger mutante 
durchgeführt. 

Um den Acetaldehyd ans Tageslicht zu fördern, 
diente das „Abfangverfahren“ von Neuberg, Färber und 
Reinfurth, d. h. die Zugabe sekundären schwefligsauren Na- 
triums bzw. Calciumsulfits. 

In den Fällen, wo eine nennenswerte Aldehyd- 
ausbeute erreicht worden war, haben wir geprüft, ob 
eine korrelative Glycerinbildung nach Art der zweiten 
Vergärungsform eintrat. Solche Gäransätze wurden mit 
Mucor javanicus, Mucor plumbeus und Mucor racemosus, Monilia 
candida und Torula colliculosa angestellt. Mit voller Schärfe 
ergab sich in diesen Fällen, daß die von den genannten 
Erregern erzeugten Zuckerumsetzungsprodukte, Acet- 
aldehyd und Glycerin, in molekularer Proportion vor- 


1) Nach einer Mitteilung, die uns United States Departement 
of Agriculture, Washington, gemacht hat, soll der Pilz identisch mit 
Aspergillus fumigatus sein. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 211 


handen sind, gemäß der Formulierung: C,H, ,0, = CH, - CHO 
+ CO, + C,H,0,, während die erzeugte Spritmenge 
gleichzeitig abnimmt, d:h.daß die Verhältnisse genau 
wie bei der mit gleichen Mitteln abgeänderten Ver- 
gärung des Zuokers durch Kulturhefen liegen. l 

Man kann also auch bei diesen Pilzgärungen von 
einer typischen Acetaldehyd-Glycerinspaltung des 
Kohlenhydrats sprechen. Übrigens sei erwähnt, daß mehr 
oder minder deutliche Spuren Aldehyd auch ohne Zugabe eines 
Abfangmittels bei einzelnen Mucoraceen- und Torulagärungen 
gefunden sind. Für diese Spuren gilt das vorher S. 205 und 208 
Gesagte; die Verhältnisse liegen ähnlich wie bei der Hefengärung 
und wie für das jüngst von J. Hirsch beschriebene Auftreten 
von Acetaldehyd beim Kohlenhydratumsatz in der atmenden 
Kaltblütermuskulatur!). 

Bei den anderen Pilzen, die mehr einen oxydativen Stoff- 
wechsel besitzen und nicht ‚anaerob“ arbeiten, bestehen natürlich 
diese Zusammenhänge nicht. Entweder kommt es gar nicht zu 
einer Glyoerinerzeugung, indem entsprechende Anteile des Zuckers 
für den Zellaufbau sowie für Dissimilationsvorgänge herangezogen, 
werden, oder es findet, wie bei Oidium lactis, zwar eine mäßige 
Glycerinbildung statt, aber nicht im Gegenwertsverhältnis zur 
Acetaldehydmenge; die Gründe dafür sind offenbar analoger Art. 
Die Sachlage ähnelt in mancher Beziehung auch den Zuständen, 
die bei den von Coli- und Buttersäurebacillen bewirkten Um- 
setzungen herrschen. 

Erwähnenswert erscheint, daß die auf Holzsubstanz ge- 
deihenden Pilze, zu denen der Aspergillus cellulosae und Merulius 
lacrimans gezählt wird, ebenfalls Acetaldehyd hervorzubringen 
befähigt sind. 

Der Abbauweg über den Acetaldehyd wird nun nicht allein 
bei Zersetzung des Zuckers eingeschlagen, sondern auch bei der 
Spaltung von niedriger molekularen Verbindungen, z. B. bei der 
Verarbeitung des Alkohols selbst. Die Umstände sind denen 
bei der Essiggärung verwandt, wo C. Neuberg und F. F. Nord 
als Durchgangsstufe zwischen Weingeist und Essigsäure den 
Acetaldehyd ebenfalls mit Hilfe des Abfangverfahrens nach- 
gewiesen hatten. Den Erregern der Essiggärung reihen sich 


1) J. Hirsch, diese Zeitschr. 117, 113. 1921. 
14* 


212 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


die verschiedenen Kahmhefen an, mit denen wir, wenn 
auch in kleinerem Umfange, aus Äthylalkohol Acetaldehyd ge- 
wonnen haben. Daß von diesen „Omnivoren‘“ der Acetaldehyd 
wieder verzehrt wird, selbst in Gegenwart des Bindemittels 
Sulfit, steht mit früheren Feststellungen!) über einen solchen 
Verbrauch der Aldehyd-Sulfitkomplexe seitens anderer Organis- 
men im Einklange und ist gewissermaßen zu vergleichen der von 
Bokorny?) gemachten Angabe, daß formaldehydschwefligsaures 
Natrium von gewissen Algen auf Stärke verarbeitet werden kann. 
Soweit Zuckerarten zu den verschiedenartigen Versuchen gedient 
haben, darf als Vorstufe des Acetaldehyds wohl die Brenztrauben- 
säure betrachtet’ werden, nachdem jüngst T. Nagayama?) über 
die Zerlegbarkeit der Brenztraubensäure, der Pyruvinate und 
ihrer Sulfitadditionsverbindungen durch diverse Pilze berichtet hat. 

Ein hauptsächliches Ergebnis der vorliegenden Untersuchung 
ist, daß bei zahlreichen Organismen nun der Acetaldehyd als ein 
wesentliches Produkt des Stoffwechsels festgestellt worden ist. 
Von neuem enthüllt sich so die wichtige Rolle des Acetaldehyds 
im Haushalte der Lebewesen; damit wird diesem so umsetzungs- 
fähigen Körper, der durch Reduktion, Oxydation und Conden- 
sationen mannigfache Wandlungen eingehen kann, ein biochemisch 
immer bedeutungsvollerer Platz angewiesen. 


Experimentelle Belege. 


Wie in den vorausgehenden einleitenden Bemerkungen an- 
gegeben ist, diente zur Fixierung reichlicher und beweisender 
Mengen Acetaldehyds das „Abfangverfahren‘“, das auf der Addi- 
tion intermediär gebildeten Acetaldehyds an zugefügte sekundäre 
schwefligsaure Salze beruht. Neuberg hat mit Reinfurth und 
Nord vor mehreren Jahren dargetan, daß im allgemeinen hin- 
sichtlich des Umfanges, in dem die Fixation des Aldehyds gelingt, 
das leichtlösliche Dinatriumsulfit vorzuziehen ist. Wo aber dieses 
Salz wegen seiner alkalischen Reaktion oder ausgesprochener 
Schädigungen, die es an den Zelloberflächen herbeiführt, von den 


1) C. Neuberg und E. Reinfurth, diese Zeitschr. 89, 384. 1948; 
Ber. 52, 1682. 1919. — C. Neuberg und F. F. Nord, diese Zeitschr. 96, 
166. 1919. — C. Neuberg und B. Arinstein, diese Zeitschr. 117, 273. 1921. 

2) Th. Bokorny, Chem. Centralblatt 1903. I. 1035. 

3) T. Nagayama, diese Zeitschr. 116, 303. 1921. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 213 


Organismen nicht vertragen wird, kann man sich des unlöslichen 
neutralen Calciumsulfits bedienen, das weit indifferenter, aber 
auch in verringertem Grade für die Abfangzwecke geeignet ist. 

Die verwendeten Pilze verdanken wir, soweit sie nicht im 
hiesigen Institute vorrätig waren, der Freundlichkeit der Herren 
Professoren F. Ehrlich in Breslau, P. Lindner in Berlin und 
C. Wehmer in Hannover, denen wir auch an dieser Stelle für 
die bereitwillige Abgabe von Kulturen unseren verbindlichsten 
Dank aussprechen; ferner fühlen wir uns Fräulein Hedwig 
Köster für die Weiterzüchtung und Reinheitekontrollen sehr 
verpflichtet. | 

Die Versuchsanordnung schloß sich an die ehemals von Neu- 
berg und Reinfurth ausgearbeitete an. Da jedoch im Gegensatze 
zur Hefe die hier in Betracht kommenden Pilze nicht ohne weiteres 
in Massen zur Verfügung standen, wurden sie fast ausnahmslos 
in den Gärgefäßen selbst und zwar zumeist direkt auf den sulfit- 
haltigen Zuckerlösungen herangezüchtet. 

Im einzelnen verfuhren wir folgendermaßen: 


I. Versuche mit Mucor javanicus. 


a) Verwendet wurde eine Lösung, die in 100 com 6 g Traubenzuckert), 
lg Monokaliumphosphat, 0,6 g Magnesiumsulfat und 0,6 g Pepton Witte 
enthielt. Dieses Gemisch wurde 3 Tage nacheinander jeweils eine halbe 
Stunde sterilisiert; hierzu kamen 100 com einer 6proz. Lösung von sekun- 
därem schwefligsauren Natrium, die durch zweimaliges Aufkochen 
unter Luftabschluß entkeimt war. Das in einem konischen Kolben befind- 
liche Gemenge war außerdem mit l g gesondert bei 180° sterilisiertem 
Calciumcarbonat versetzt, mit einer Platinöse der frischen Kultur von Mucor 
javanicus beimpft und in einen Brutschrank von 28° gestellt. Der gegen 
das Milieu wenig empfindliche Erreger war nach 24 Stunden angewachsen, 
und bereits nach dieser Frist war mit der Nitroprussidnatriumprobe das 
Auftreten von Acetaldehyd nachweisbar. Gleichzeitig zeigte das Auf- 
steigen von Kohlendioxydblasen die einsetzende Vergärung an. Die Menge 
des produzierten Aldehyds nahm in den nächsten Tagen deutlich zu. Nach 
18 Tagen wurde eine quantitative Bestimmung vorgenommen. Zu dieser 
dienten 185ccm der Urlösung. Sie wurden nach der Destillations- 
Titrationsmethode?) verarbeitet, indem zunächst (zwecks Ausfällung 
unverbrauchten Sulfits) 50 ccm m-Bariumchloridlösung zugesetzt wurden; 
dadurch wurde ein Volumen von 235ccm erreicht. Ein aliquoter Teil, 


1) Auch in allen nachstehenden Versuchen ist reinste Glucose benutzt 
worden. 
2) C. Neuberg und E. Reinfurth, 1918. 


214 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


und zwar 187 com, wurde dann unter Zugabe von 10 g kohlensaurem Kalk 
im Wasserdampfstrom destilliert und der übergehende Aldehyd unter den 
üblichen Vorsichtsmaßregeln aufgefangen. 

Als Resultat von Doppelanalysen, die hier und im folgenden stets 
ausgeführt worden sind, ermittelten wir 0,584 g Aldehyd, das sind 15,08% 
des angewandten Zuckers, der praktisch vollkommen verschwunden ge- 
wesen ist. Wie man sieht, bleibt die Aldehydausbeute kaum 
hinter derjenigen bei der Hefegärung zurück, bei der Neuberg 
und Reinfurth früher bis zu 18,13%, vom Gewichte des angewandten 
Zuckers gelangt sind. 

Der hohe Ertrag an Acetaldehyd war Veranlassung, den Destillations- 
rückstand auf die Anwesenheit von Glycerin zu prüfen. Nach Eindampfen 
im Faust - Heimschen Verdunstungskasten, gründlicher Extraktion mit 
Alkohol sowie Behandlung mit Alkoholäther wurde eine Flüssigkeit er- 
halten, in der reichliche Mengen Glycerin vorhanden und mit der einfachen 
Reaktion von Neuberg und Mandel!) leicht nachzuweisen wären. 

b) Wir gaben 100 ccm 6proz. Zuckerlösung mit den erforderlichen 
Nährsalzen in einen konischen Kolben, in dem 100 oom Wasser nebst 8g 
Calciumsulfit (mit einem Gehalt von 50% an wasserfreiem CaSO,) sowie 
1l g Caloiumcarbonat durch zweimaliges Aufkochen unter Luftabechluß steri- 
lisiert waren, und bewahrten das Gemisch in einem Brutschrank bei 28° 
auf. Schon nach 24 Stunden war der Pilz gut angewachsen, und die Ent- 
wicklung von gasförmiger Kohlensäure zeigte auch hier den Beginn des 
Zuckerzerfalls an. Aoetaldehyd war gleichfalls deutlich zugegen. In den 
folgenden Tagen nahm der Aldehydgehalt zu. Am 21. Tage schritten wir 
zur quantitativen Bestimmung. Eine Ausfällung der Sulfitionen erübrigte 
sich in diesem Falle wegen Anwendung des schwerlöslichen, schwefligsauren 
Kalks; der Aldehyd kann direkt durch Wasserdampfdestillation in Gegen- 
wart von kohlensaurem Kalk in Freiheit gesetzt und in gewohnter Weise 
jodometrisch bestimmt werden. 

Gefunden wurden 0,109 g Aldehyd, entsprechend 2,23%, des angewen- 
deten Zuckers. 

Die Vermutung, daß die geringe Ausbeute an Aldehyd auf unvoll- 
ständigen Umsatz des Zuckers zurückzuführen sei, bestätigte sioh nicht, 
da nur Spuren unzerlegten Kohlenhydrats nachweisbar waren. Es zeigte 
sich vielmehr wieder, daß in bezug auf die Ausbeute an Aldehyd das lösliche 
schwefligsaure Natrium dem unlöslichen schwefligsauren Kalk überlegen ist. 

c) Das günstige Ergebnis des Ansatzes a) veranlaßte die Anstellung 
größerer Versuche. In einem 2 Liter-Stehkolben wurden zu 500 com der 
beim ersten Versuch beschriebenen, 6%, Glucose enthaltenden Nährflüssig- 
keit 500 ccm der dort gleichfalls verwendeten 6proz. Natriumsulfitlösung 
sowie 5g Calciumcarbonat gegeben; mittels einer Platinöse geschah die 
Pilzaussast. Das Gemisch verblieb nunmehr 27 Tage im Brutschrank (28°). 
Es wurden dann in je 250 com der Acetaldehyd und das Glyoerin und 
in weiteren 475 ocm der entstandene Äthylalkohol quantitativ ermittelt. 


1) C. Neuberg und J. A. Mandel, diese Zeitschr. 71, 214. 1915. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 215 


Aus den zur Aldehyddestillation dienenden 250 ccm wurde zunächst 
mit 65 com m-BaCl,-Lösung überschüssiges freies Sulfit ausgefällt. . Die 
315 ccm Reaktionsgemisch wurden in der Kälte filtriert und vom Filtrat 
250 ccm der Wasserdampfdestillation unter Zusatz von 10 g CaCO, unter- 
worfen. Dieses Destillat enthielt 0,521 g Acetaldehyd, welche bei einem 
ursprünglichen Gehalte von 5,95 g Zucker in den 250 com Filtrat einer 
Ausbeute von 8,76%, Acetaldehyd, bezogen auf den angewendeten oder 
12,19%, auf den verbrauchten!) Zucker, entsprechen. 

Der Rückstand von der Aldehyddestillation wurde auf einen Gebalt 
an nichtumgesetzten Zucker untersucht, Die Flüssigkeitsmenge betrug 
340 com; nach dem Filtrieren gelangten 310 oom zur Analyse. Sie wurden 
mit Eisessig schwach angesäuert, unter vermindertem Druck auf ca. 50 com 
eingedampft und dann von vorhandenen Ba-Ionen mittels Natriumsulfat 
befreit; nach Filtration und quantitativem Auswaschen wurde ein Volumen 
von 100 com hergestellt. Diese wurden nunmehr nach der Methode von 
Pavy-Kumagawa-Suto titriert. Gefunden wurden darin 1,52g 
Zucker, was für den gesamten Destillationsrückstand 1,67 g ausmacht, 
entsprechend 28,07%, des angewendeten Zuckers. 

Zur Glycerinanalyse?) mußte das Gärgut zunächst vom Sulfit 
befreit werden; zu diesem Zweck wurden 250 ccm Urlösung mit 65 ocm 
m-BaCl,-Lösung und 150 ccm 4proz. Barytwassers !/, Stunde gekocht, 
sodann wurde zur Fällung des überschüssigen Baryts CO, bis zur neutralen 
Reaktion auf Lackmus eingeleitet und das Reaktionsgemisch, dessen Volu- 
men sich auf 730 ccm belief, filtriert. Vom Filtrat wurden 647 oom im 
Faust- Heimschen Verdunstungskasten eingetrocknet, in der üblichen 
Weise mit Alkohol und Äther behandelt und so gereinigt. Nach quanti- 
tativer Entfernung des Alkohols wurde darauf der glycerinhaltige Rück- 
stand auf 25com gebracht; mit dieser Lösung ist die Glycerinanalyse 
ausgeführt. 

Es resultierten 1,162 g Glycerin, entsprechend 6,65 g Zuoker, die 
in den verarbeiteten 647 ccm Filtrat enthalten waren; somit belief sich die 
Ausbeute auf 17,48%, des angewendeten oder 24,30%, des umgesetzten 
Zuckers. 

Der Alkohol wurde in 475 com Urlösung bestimmt; hierfür wurde das 
Gärgut zuförderst durch anreichernde Destillation auf ein Volumen von 
110 com gebracht und dann der mit übergegangene Acetaldehyd durch 
Behandlung mit m-Phenylendiamin entfernt?). Zur Anwendung gelangte 
4 g m-Phenylendiaminchlorhydrat, entsprechend der etwa 3fachen Menge 
des oben ermittelten Acetaldehydgehaltes. Dann wurden 75 com und nun- 
mehr über Knochenkohle genau 50,0 ccm abdestilliert. Das spezifische 
Gewicht dieser Flüssigkeit (im Pyknometer bestimmt) zeigte einen Alkohol- 
gehalt von 2,39 g an, der bei den zugrunde liegenden 14,25 g Zucker einer 
Ausbeute von 16,77% Alkohol entspricht. 


1) S. später. 
2) Vgl. Neuberg und Reinfurth, 1918. 
2) C. Neuberg und J. Hirsch, 1919. 


216 0. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


Erhalten wurden 
an Acetaldehyd . . ..... 8,76 % 
„ Glyverin. .. 2.2.2... 17,48 „ 
„ Alkohol . . ». 222.2. 16,77 „ 


An unvergorenem Zucker, der im Rückstande der Aldehyd- 
bestimmung ermittelt werden kann!), waren 28,07% zugegen. 
Bezogen auf den tatsächlich umgesetzten Zucker gewannen wir mithin: 


12,19%, Aldehyd, 
24,30 „ Glycerin und 
23,32 „ Weingeist. 


Gleichzeitig mit diesem Versuche wurde eine Kontrollbestimmung 
(Versuch ohne Abfangmittel) ebenfalls in einem 2 Liter-Kolben vorgenom- 
men, und zwar wurden 500 ccm der Nährlösung mit 500. com sterilem Wasser 
gemischt und mit dem Pilz beimpft. Dieser sulfitfreie Ansatz wurde ebeh- 
falls 27 Tage im Brutschrank bei 28° digeriert. Dann wurde in 500 com 
der Alkohol ermittelt, und zwar zu 43,77%. Besonders beachtenswert 
erscheint diese große Ausbeute an Äthylalkohol, die der Mucor 
javanicus in Reinkultur lieferte. Die Menge blieb nur unwesentlich 
hinter dem Ertrag mit Hefe zurück. Deutlich sieht man, daß ganz ent- 
sprechend den Erfahrungen für die Hefegärung im Abfangversuch die 
Ausbeute an Sprit vermindert ist, indem dabei, wie erwähnt, nur 23,32%, 
vom wirklich umgesetzten Zucker auftraten. 

Das Verhältnis,indemim Abfangversuch durch den Mucor 
javanicus Acetaldehyd und Glycerin hervorgebracht werden, 
ist das molekulare. 

Berüoksichtigt man die umgesetzte Zuckermenge, so findet man bei 
Anwendung der von Neuberg, Hirsch und Reinfurth (l. c.) aufgestellten 
Formeln 94,3%, des verbrauchten Zuckers in Form bekannter Stoffe wieder. 

d) Um die Bedingungen den Verhältnissen bei der Hefegärung auch 
hinsichtlich der Aussaatmengen anzunähern, haben wir einen größeren 
Ansatz mit einem reichlichen Quantum des Erregers angestellt. Hierzu 
diente die Pilzernte, die im Kontrollversuch c) herangewachsen war. Die 
gesamte Pilzdecke wurde unter Schutz vor Infektion in ein Gemisch ein- 
getragen, dessen Zusammensetzung im übrigen vollkommen dem Ansatz 0) 
gleich war. Bei dieser erheblichen Aussaat wurden in der Tat größere 
absolute Mengen Aoetaldehyd, Glycerin und Alkohol gefunden, d. h. es 
trat eine fast vollkommene Ausnutzung des Zuckers ein. Nur Spuren 
davon blieben unvergoren. Gefunden wurden 13,65%, Aldehyd, 27,12% 
Glycerin und 21,35% Alkohol. 

In einem entsprechenden besonderen Kontrollversuche wurde 
43,30% Weingeist ermittelt, d. h. rund doppelt soviel wie im zugehörigen 
Abfangversuch. 


1) C. Neuberg, J. Hirsch und E. Reinfurth diese Zeitschr. 165, 
317. 1920. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 217 


II. Ansätze mit Mucor mucedo. 

a) Die experimentelle Anordnung war dieselbe!) wie beim Mucor 
javanicus unter a). Nach 24 Stunden war jedoch weder Wachstum noch 
Aldehydbildung nachzuweisen. Erst nach 25 Tagen traten Spuren von 
Aldehyd auf. Der benutzte Stamm von Mucor mucedo war also viel emp- 
findlicher gegen alkalisches Sulfit als Mucor javanicus. 

b) Versuchsanordnung wie in Ib), d. h. mit CaSO,. Nach 24 Stunden 
ließ sich bereits eine geringe Menge Acetaldehyd wahrnehmen. Im Laufe der 
Zeit wurde die Reaktion deutlicher. Die nach 14 Tagen ausgeführte quan- 
titative Bestimmung ergab 0,063 g Aldehyd aus 5,25g angewandtem 
Zucker, also 1,20%. 


III. Versuche mit Mucor plumbeus. 

a) Benutzte Lösungen wie in Ia), Brutschranktemperatur 25°. 
Schon 24 Stunden nach der Beimpfung waren Wachstum und Aldehyd- 
bildung deutlich festzustellen. Nach 27 Tagen wurde der Aldehyd quanti- 
tativ bestimmt. Gefunden wurden 0,158 g Aldehyd für 4,27 g angewandten 
Zuoker, gleich 3,70%. In dem Rückstande der Aldehyddestillation wurde 
der unangegriffene Zucker zu 2,80 g ermittelt. Es entsprach also der ent- 
standene Acetaldehyd 10,75% der tatsächlich verbrauchten Glucose. 

b) Der Ansatz glich dem unter Ib) angeführten. Die Brutschrank- 
temperatur war 25°. 24 Stunden nach der Beimpfung war Wachstum, 
Aufsteigen von Kohlensäurebläschen und Aldehydgegenwart erkennbar. 
Die Probe auf Acetaldehyd wurde im Laufe der folgenden 10 Tage stärker, 
schwächte sich dann allmählich wieder ab und war nach 26 Tagen völlig 
negativ. 

c) Mit denselben Mengen, die unter Ic) verzeichnet sind, wurde auch ein 
größerer Versuch mit Mucor plumbeus vorgenommen und bei 27° im Brut- 
schrank belassen. Selbst nach 33 Tagen war die Entwicklung des Pilzes 
augenscheinlich wegen der starken Sulfitkonzentration noch geringfügig. 
Es wurden deswegen 125 ccm der oben erwähnten Nährlösung und 125 ccm 
Wasser unter Wahrung der Keimfreiheit hinzugesetzt. Nach weiteren 
38 Tagen wurde dann der Acetaldehyd und das Glycerin in je 250 ccm sowie 
der Alkohol in 500 ccm des Gärguts bestimmt. 36,150% des Zuckers waren 
unangegriffen. Gefunden wurden an Acetaldeh yd 6,22%, des angewandten, 
das sind 9,75% des verbrauchten Zuckers, an Glycerin 12,38%, der zu- 
gegebenen oder 19,399, der umgesetzten Glucose, an Alkohol 17,33%, des 
eingemaischten, das sind 27,14%, des aufgezehrten Kohlenhydrats. 

Die Spaltung durch den Mucor plumbeus geschicht also nach der 
Gleichung der 2. Vergärungsform. 


IV. Versuche mit Mucor racemosus. 
&) Mucor racemosus begann sich auf 3 proz. Dinatriumsulfit-Nährlösung 
erst nach 3 Wochen zu entwickeln. Das Wachstum erfolgte auch weiterhin 


1) Zwecks Vermeidung von Wiederholungen ist jedesmal nur ein 
Ansatz genauer beschrieben; das gleiche gilt für die Ausführung und Be- 
rechnung der Analysen. 


218 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


außerordentlich langsam, so daß der Ansatz 47 Tage im Brutschrank bei 
25° stehen bleiben mußte, ehe zur quantitativen Bestimmung geschritten 
werden konnte. Es wurden dann 3,09%, des angewandten Zuckers an Acet- 
aldehyd festgestellt; 1,92 g Glucose waren unzerlegt geblieben. 

b) Im Abfangversuche mit Calciumsulfit wurde hier in kürzerer Frist 
eine bessere Ausbeute erreicht. Nach l4tägigem Stehen bei 25° waren an 
Acetaldehyd 3,66%, des verbrauchten Zuckers entstanden. 

o) Der Versuch wurde angestellt, wie unter Ic) beschrieben ist, und, 
wie bei Mucor plumbeus im analogen Ansatz c) angegeben, nach 33 Tagen 
wegen ungenügenden Wachstums mit 250 ccm halbverdünnter Nährlösung 
versetzt. Nach weiteren 42 Tagen wurde in je 250 ccm die Aldehyd- und 
Glycerinbestimmung sowie in 500 ccm die Alkoholbestimmung vorgenom- 
men. Es ergab sich ferner, daß 40,45%, des eingemaischten Zuckers nicht 
angegriffen worden waren. 

Die Ausbeuten betrugen 


an Aldehyd Glyzerin Alkohol 
bezogen auf | y | % | 4 
LT — — 


verbrauchten Zucker | 2,79 | 5,77 39,63 
angewandten Zucker 1,66 3,45 23,60 


Auch beim Muoor raoemosus läßt sich also die typische Acetal- 
dehyd-Glycerinspaltung des Zuckers durchführen. 


V. Versuche mit Mucor rouxii. 

a) Unser Stamm war augenscheinlich gegen Dinatriumsulfit in 3 proz. 
Konzentration noch empfindlicher als die bisher verwendeten Muooraceen. 
Ein Wachstum ist während zweier Monate nicht zu konstatieren gewesen, 
naoh nochmaliger Beimpfung trat eine ganz schwache Entwicklung ein, 
und es ließ sich dann etwa 2 Wochen später das Auftreten von Acetaldehyd 
nachweisen. 

b) Auf Calciumsulfit enthaltender Lösung gedieh dagegen der Pilz 
bei einer Temperatur von 25° gut. Nach 24 Stunden waren bereits alle 
Merkmale der beginnenden Umsetzung vorhanden. Nach 14 Tagen ergab 
die quantitative Bestimmung 3,28%, des verbrauchten Zuokers an Acet- 
aldehyd. 





VL Versuche mit Mucor sylvaticus. 

&) Brutschranktemperatur 25°. Die Entwicklung des Pilzes ging in 
der Na,SO,-Lösung nur langsam vonstatten. Erst nach 16 Tagen ließ sich 
Aldehyd feststellen; nach einer weiteren Woche war die zunächst schwache 
Reaktion deutlich geworden. 

b) In Gegenwart von Calciumsulfit entwickelte sioh der Erreger 
schnell, und schon nach einem Tage war Acetaldehyd zu erkennen, der 
allerdings nach einiger Zeit wieder verschwand. 


VII. Versuche mit Mucor stolonifer. 
a) Temperatur 27°. Wiederum erwies sich die Dinatriumsulfitkonzen- 
tration als wachstumshindernd; im Verlaufe eines Monats vermochte der 
Erreger die Schädigung nicht zu überwinden. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 219 


b) Im Calciumsulfitansatze war der Pilz nach 24 Stunden gewachsen 
und es ließen sich bereits Spuren von Acetaldehyd nachweisen. Nach genau 
2 Wochen wurde die quantitative Bestimmung ausgeführt. Es ergab sich 
eine Ausbeute von 1,47%, des angewandten Zuckers an Acetaldehyd. 


VIII. Versuche mit Endomyces fibuliger. 


a) Dinatriumsulfitansatz; Temperatur 22°. Erst sehr allmählich 
begann der Pilz sich zu vermehren. Nach 3 Woohen waren Spuren von 
Aldehyd aufzufinden, nach 55 Tagen war die Reaktion deutlich geworden. 

b) Calciumsulfitansatz; Temperatur 22°. Am Tage nach der 
beimpfung machten sioh bereits Wachstum des Erregers und Kohlensäure- 
abgabe bemerkbar; Acetaldehyd war jedoch nooh nicht nachzuweisen. 
Am 4. Tage stellten sich Spuren ein. Nach 32 Tagen ergab die quantitative 
Bestimmung 1,02%, des Ausgangsmaterials an Aoetaldehyd. 


IX. Versuche mit Rhizopus tritici. 


a) Temperatur 25°. Auf Natriumsulfitlösung entwickelte sich der 
Erreger nicht. 

b) Auf dem Calciumsulfit-Nährboden fand kräftiges Wachstum statt. 
CO, wurde bald abgegeben, Aldehydreaktion trat aber erst am 4. Tage auf; 
sie wurde bis zum 44. Tage allmählich stärker, um dann rasch wieder ab- 


X. Versuche mit Monilia candida. 


a) Temperatur 25°. a) Die Versuchsanordnung war die unter Ia) 
beschriebene. Der Pilz verhielt sich wie Kulturhefen, wurde also in seiner 
Wirksamkeit durch das Natriumsulfit nicht gestört. Nach 15 Tagen ergab 
die quantitative Bestimmung 8,47%, des verbrauchten Zuokers an Aldehyd. 

Ein Calciumsulfitansatz wurde dieses guten Resultates wegen nicht 
gemacht. 

ß) Verwendet wurden 300 com der oben erwähnten Nährflüssigkeit 
und 300 com der 6proz. Dinatriumsulfitlösung nebst 3 g steriler Kreide. 
Das Gemenge blieb 40 Tage bei 37° stehen und wurde dann auf entstandenen 
Acetaldehyd und Alkohol untersucht. 

Bezogen auf die Quantität des eingemaischten Zuckers waren 12,75%, 
an Aldehyd und 10,40%, an Alkohol gebildet. 

y) Der Ansatz war so, wie unter f) angegeben. Der Versuch blieb 41 Tage 
bei 37° stehen. Gefunden wurden 11,48%, an Aldehyd, 9,93%, an Alkohol 
und 19,96%, an Glycerin, bezogen auf den benutzten Zucker. 

Die Alkoholausbeute in einem Kontrollversuch belief sich auf 18,88% 
vom angewandten Zucker. 

ô) Wir gingen wiederum von 300 ccm Nährmischung und 300 ccm 
6proz. Na,SO,-Lösung aus, jedoch ohne Zugabe von Calciumcarbonat; 
die Digestion geschah 34 Tage lang bei 36°. In 275ccm wurde Aldehyd 
und Glycerin und in 300 ccm Alkohol und Zucker bestimmt. 37,54%, des 
angewandten Zuckers waren nicht angegriffen worden. [Da Monophosphat 
(s. S. 213) sich in der Nährlösung befand, so entstand durch doppelte Um- 
setzung Bisulfit, das — hier niobt durch CaCO, neutralisiert — wegen 
seiner Giftigkeit die Quote des umgesetzten Kohlenhydrats herabdrückte.] 


230 C. Neuberg und O. Cohen. Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


Die gefundenen Mengen waren 




















\ — — = 
—— | an pi — | es 
verbrauchten Zucker | 11,65 | 2305 | 24,77 
angewandten Zucker 7,28 14,37 | 15,48 








Ersichtlich waltet bei der Vergärung durch diese Moniliaart das mole- 
kulare Verhältnis von Aldehyd zu Glycerin (= 44 : 92) ob. 


XI. Versuche mit Oidium lactis. 

a) Temperatur 25°. æ) Auch dieser Pilz entwickelte sich,ohne anscheineud 
durch 3proz. Natriumsulfitlösung geschädigt zu werden. 5 Tage nach der 
Beimpfung war bereits eine starke Aldehydreaktion vorhanden. Nach 
15 Tagen wurden 5,33% des verbrauchten Zuckers an Acetaldehyd gefunden. 

f) Verwendet wurden 250 com der üblichen Nährmischung und 250 ocm 
der Dinatriumsulfitlösung, dazu 2,5 g CaCO,. Der Ansatz wurde 12 Tage 
bei einer Temperatur von ca. 20° belassen. Die quantitativen Bestimmungen 
ergaben an Aocetaldehyd 2,42%, und an Glycerin 1,71%, bezogen auf den 
angewandten Zucker. 

y) Dieser Versuch ist eine Wiederholung von f): er wurde deshalb 
vorgenommen, weil scheinbar eine Unstimmigkeit in der Ausbeute an 
Aldehyd und Glycerin bestand und ein Analysenfehler vermutet wurde. 
Der Ansatz blieb diesmal 23 Tage bei 20° stehen. Gefunden wurden 2,34%, 
Acetaldehyd und 1,98%, Glycerin unter Zugrundelegung der angewendeten 
Zuckermenge. Es sind wiederum nahezu dieselben Zahlen gefunden. 
Man muß daraus schließen, daß die Korrelation wegen Verbrauch des 
Glyoerins gestört ist. 

.b) Mit Calciumsulfit entwickelte sich Oidium lactis, den sonstigen 
Erfahrungen entsprechend, gut. Die Stärke der Aldehydreaktion blieb 
jedoch hinter der auf Na,SO,-Zuckerlösung erzielten zurück, und eine 
quantitative Bestimmung lieferte daher kein nennenswertes Ergebnis. 


XII. Versuche mit Torula «. 

a) Die Bedingungen entsprachen den unter Ia) angeführten. Tem- 
peratur 27°. Es fand ein langsames Wachstum des Pilzes auf dem Natrium- 
sulfit-Nährboden statt. Nach 2 Tagen ließen sich Spuren von Aldehyd 
nachweisen. Die quantitative Ermittlung nach 14 Tagen zeitigte ein Resul- 
tat von 2,97% des angewandten Zuckers an Acetaldehyd. 

b) Temperatur 27°. Torula & entwickelte sich im Caleciumsulfitgemisch 
besser. Die Aldehydbestimmung konnte daher bereits nach 7 Tagen vor- 
genommen werden; erhalten wurden 2,68% Acetaldehyd vom Gewichte 
des angewendeten Zuckers. Es ließen sich im Rückstand nur kleine Mengen 
unverbrauchter Glucose nachweisen. 


XIII. Versuche mit Torula colliculosa. 
a) Temperatur 25°. Wie bei Kulturhefen war auch bei diesem Erreger 
die Schädigung durch Natriumsulfit eine geringe. Nach 24 Stunden war 
bereits der Beginn des Zuckerzerfalls festzustellen. Nach 14 Tagen wurde 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 221 


die quantitative Bestimmung vorgenommen, laut der 5,49% Aoetaldehyd, 
berechnet auf die Menge des angewandten Zuckers, aufgetteten waren. 

' b) Temperatur 25°. In Gegenwart von Calciumsulfit ging die Ent- 
wicklung von Torula oolliculoss schneller vor sich. Bereits nach 7 Tagen 
ließen sich 2,56%, Aoetaldehyd vom angewendeten . Zucker feststellen. 
Die im Rückstande aufgefundene' unzersetzt gebliebene Gluoosemenge 
reichte für eine genaue Analyse nicht aus. 

c) Ansatz analog Ic) mit einem Gemenge von 500 com Nährgemisch 
und 500 ccm 6proz. Dinatriumsulfitlösung nebst 5g CaCO,. Versuchs- 
dauer 31 Tage, Temperatur 26°. Die Entwicklung des Erregers war schwächer 
als es unter a) für die geringeren dort benutzten Mengen von 200 com 
beobachtet worden ist. Dementsprechend blieben 65,84%, des ursprünglichen 
Zuckers unangegriffen. 

Die — Mengen waren 





verbrauchten Zucker 
angewandten Zucker 3,94 7,65 7,67 
Im Kontrollversuch ergab die Bestimmung 47,13%, Alkohol. 
Die Torula bewirkte jedenfalls einen regelrechten Zerfall des Zuokers nach 
der 2. Vergärungsform. | 
XIV. Versuche mit Torula rubra, 
a) Temperatur 25°. Dieser Erreger wurde durch das Dinatriumsulfit 
im Wachstum stark behindert; es fand keine nennenswerte Entwicklung 
statt. Aldehyd war nur spurenhaft und vorübergehend nachzuweisen. 
b) Temperatur 25°. Auf Calciumsulfit enthaltender Nährlösung wuchs 
Torula rubra zwar bald, gab allerdings auch erst nach 4 Tagen eine schwache 
Aldehydreaktion, die nach 20’ Tagen deutlich geworden war. 


XV, Versuche mit Aspergillus cellulosae. 

a) Der Pilz entwickelte sich auf dem Na,SO,-Nährboden langsam bei 
25°, bereits nach 2 Tagen waren jedoch Spuren von Acetaldehyd vorhanden. 
Nach 34 Tagen ließen sich größere Mengen wahrnehmen, die sich im Laufe 
eines weiteren Monats wieder verloren. 

b) Der Erreger gedieh auf Calciumsulfit bedeutend schnellen, gab nach 
2 Tagen eine schwache, nach 5 Tagen eine deutliche Reaktion, die während 
ı1/, Monaten allmählich abnahm. 


XVI. Versuche mit Aspergillus eitricus. 

a) Bei einer Temperatur von 25° fand in der Natriumsulfit-Nährlösung 
ein äußerst langsames, bei 36° dagegen ein stärkeres Wachstum statt. 
Erst nach 28 Tagen wurde Aoetaldehyd nachgewiesen, ebenso noch nach 
einer weiteren Woche. 

b) Aspergillus citricus wuchs auf der Calciumsulfit-Kulturflüssigkeit 
auch bei 25° gut und brachte innerhalb 10 Tagen geringe Mengen 
Aldehyd hervor. Bei einer Temperatur von 36° wurde die Reaktion nach 
einem Monat deutlicher und schwächte sioh dann allmählich wieder ab. 





11,50 | 22,39 22,15 


222 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- 


XVII. Versuche mit Aspergillus fumarious. 
a) Der Erreger entwickelte sich bei 24° langsam in dem Dinatrium- 
sulfitansatz. Aoetaldehyd ließ sich erst nach 49 Tagen spärlich nachweisen. 
b) Zwar wuchs der Pilz auf Calciumsulfit sehr gut, aber ein Auftreten 
von Acetaldehyd war nicht feststellbar. 


XVIII. Versuche mit Aspergillus niger. 

a) Bei 36° fand eine rasche Entwicklung der Pilzdecke auf der Na,SO,- 
Nährlösung statt. Allerdings ließen sich erst nach 28 Tagen Spuren von 
Acetaldehyd feststellen, die nach kurzer Zeit wieder verschwunden waren. 

b) Auf Calciumsulfit wuchs der Pilz ebenfalls bei 36° schnell heran. 
Auch Kohlensäureabgabe fand statt; trotzdem ließ sich kein Acetaldehyd 
nachweisen. 

XIX. Versuche mit Aspergillus niger mutante. 

a) Der Erreger gedieh bei 36° in dem Natriumsulfit-Ansatz nur langsam. 
Nach 25 Tagen war das Auftreten von Acetaldehyd deutlich wahrnehmbar. 
Die nach 35 Tagen vorgenommene quantitative Bestimmung ergab freilich 
nur 0,25%, Aldehyd vom angewandten Zucker, obwohl im Rüokstande 
Glucose kaum mehr vorhanden war. 

b) Auf dem Calciumsulfit-Nährboden ging die Entwicklung der Pilz- 
deoke bei 36° schneller vor sich, es waren jedoch nur Spuren von Acetaldehyd 
zugegen. 

XX. Versuche mit Penicillium variabile. 

a) Temperatur 25°. Es war ein deutliches Wachstum des Pilzes auf 
der Dinatriumsulfitlösung, aber kein Auftreten von Acetaldehyd zu be- 
merken. 

b) Nach 25 Tagen stellten sich bei 25° im Ansatz mit Caloiumsulfit 
geringe Mengen an Aldehyd ein, die nach 33 Tagen wieder verschwunden 
waren. 

XXI. Versuche mit Merulius lacrimans. 

a) Bei 24° vollzog sich auf der Natriumsulfit enthaltenden Nährlösung 
eine langsame Ausbreitung der Pilzdeoke; Acetaldehyd ließ sich aber nicht 
feststellen. 

b) Auf Calciumsulfit wuchs der Erreger bei 24°, und es zeigte sich nach 
1 Woche ein deutliches Auftreten von Aldehyd. Auch nach weiteren 
14 Tagen war die Reaktion noch merklich, um dann während der folgenden 
17 Tage völlig zu verschwinden. 


XXII. Versuche mit Kahmhefen. 


1. Pilsner Kahmbhefe. 


a) 1. Versuchsanordnung entsprechend Ia); Brutschranktemperatur 
25°. Der Pilz wuchs auf der Dinatriumsulfit-Zuckerlösung, trotzdem ließ 
sich kein Acetaldehyd feststellen. Nach Ablauf von 6 Tagen wurden 2 oom 
absoluten Alkohols unter Wahrung der Keimfreiheit hinzugefügt. Bereits 
nach 24 Stunden traten nunmehr Spuren von Acetaldehyd auf. Nach 
19 Tagen war die Reaktion ganz stark geworden und wurde dann im Laufe 
eines Monats wieder schwächer. 


wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 223 


2. Der Versuch wurde mit 100 oom einer Nährlösung, die unter Fort- 
lassung des Zuckers im übrigen völlig der zuvor beschriebenen glich, und 
mit 100 ccm der 6 proz. Dinatriumsulfitlösung unter Zugabe von 1 g CaCO, 
und an Stelle der Glucose mit 2ccm absolutem Alkohol als kohlenstoff- 
haltigem Nährsubstrat angesetzt; Temperatur 25°. Nach 3 Tagen ließ sich 
schwache Aldehydbildung feststellen. Nach weiteren 6 Tagen hatte sioh 
die Menge des gebildeten Aoetaldehyds vergrößert, nach nochmals 4 Tagen 
war die Nitroprussidreaktion bereits wieder schwächer geworden, um im 
Laufe von 5 Tagen völlig zu verschwinden. 

b) 1. Wurde entsprechend Ib) angestellt. Temperatur 25°. Trotz 
deutlichen Wachstums der Pilsner Kahmhefe auf dem Zuoker-Calcium- 
sulfit-Nährboden setzte keine Aldehydbildung ein. Erst nach Zugabe von 
2ccm absolutem Alkohol am 6. Tage war dann am 7. deutlich Aldehyd 
zu verzeichnen; nach 3 Wochen war er allerdings nicht mehr vorhanden. 

2. Die Versuchsanordnung entsprach der von b) 1., nur daß in der 
Calciumsulfit-Nährlösung die Glucose sofort durch 2 com absoluten Alkohols 
ersetzt war. Bereits innerhalb 24 Stunden hatte sich Acetaldehyd ange- 
sammelt. Die Menge des entstandenen Aldehyds wurde im Laufe von 
12 Tagen größer und verschwand allmählich wieder. 


2. Weinkahmbhefe III. 


a) 1. Versuchsanordnung analog Ia). Gleich der Pilsner Kahmhefe 
bildete auch die Weinkahmhefe bei 25° in der Dinatriumsulfit-Zucker-Lösung 
keinen Aldehyd, erst nach Zugabe 2 com absoluten Alkohols war Acetaldehyd 
in der Reihenfolge deutlich, stark und abklingend wahrzunehmen. 

2. Es wurde wie bei der Pilsner Kahmbefe [siehe a) 2] ein Versuch mit 
Dinatriumsulfit unter Ersatz des Zuckers durch Alkohol angestellt. Nach 
3 Tagen war die Aldehydreaktion deutlich, nach weiteren 6 Tagen kräftig, 
4 Tage später wiederum schwach und nach abermals 5 Tagen verschwunden. 

b) 1. Auch bei der Weinkahmhefe fand auf dem Calciumsulfit-Zucker- 
Nährboden wohl eine gute Entwicklung des Erregers, aber keine Aldehyd- 
bildung statt. Nach Zugabe von 2 ccm Alkohol ließen sich anfangs geringe, 
dann größere und schließlich wieder abnehmende Mengen von Acetaldehyd 
nachweisen. 

2. Versuch auf Calciumsulfit mit Alkohol an Stelle von Zucker. Nach 
24 Stunden war eine schwache, nach 3 Tagen deutliche, 6 Tage darauf 
kräftige und während weiterer 9 Tage eine allmählich zurückgehende 
Aldehydbildung zu konstatieren. 


3. Kahmhefe vergärend. 


a) 1. Versuchsanordnung wie Ia). Nach 3 Tagen ließen sich bei 25° 
auf der Na,SO, enthaltenden gezuokerten Nährlösung Wachstum und Spuren 
von Aoetaldehyd feststellen. Erst nach 9 Tagen begann die Reaktion 
kräftiger auszufallen. 2 Wochen nach Ansatz des Versuches war die 
Nitroprussidprobe stark geworden und büßte dann langsam wieder an 
Intensität ein. 


224 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd usw. 


2 Der Versuch wurde mit Natriumsulfit unter Zugabe von Weingeist 
anstatt Glucose bei 25° angesetzt. Nach 3 Tagen waren Spuren von Acet- 
aldehyd aufgetreten, im Laufe der folgenden 20 Tage wurde die Menge des 
Aldehyds dauernd größer. 

b) 1. In dem Zucker-Calciumsulfit-Ansatz erfolgte bereite in 24 Stun- 
den eine schwache Aldehydentwicklung. Sie nahm bis zum 20. Tage nach 
Versuchsbeginn zu, um dann allmählich wieder schwächer zu werden. 

2. Ein entsprechender Versuch mit alkoholhaltiger, aber zuckerfreier 
Nährlösung und Calciumsulfit lieferte bei 25° schon nach 24 Stunden 
Spuren und im Laufe mehrerer Tage allmählich anwachsende Mengen von 
Acetaldehyd. 


4. Kahmbhefe nicht vergärend. 


a) 1. Auf dem Dinatriumsulfit und Zucker enthaltenden Nährboden 
wuchs der Erreger langsam. Es trat aber erst am 11. Tage nach der Be- 
impfung eine ganz minimale Aldehydbildung ein. 

2. In dem alkoholischen Dinstriumsulfitansatz waren bei einer Tem- 
peratur von 25° 4 Tage nach der Beimpfung Spuren von Acetaldehyd, im 
Laufe der darauffolgenden Woche größere Mengen bemerkbar, die dann 
während weiterer 10 Tage völlig verschwanden. 

b) 1. Nach 24 Stunden ließ sich in dem Calciumsulfit-Zuoker-Gemisch 
eine geringe Aldehydbildung feststellen, die bei weiterer Digestion nicht 
zunahm. 

2. Nach 24 Stunden waren in dem Weingeist statt Glucose enthaltenden 
Caloiumsulfitansatz geringe Mengen von Aldehyd angesammelt. Nach 4 Ta- 
gen war die Nitroprussidreaktion unverkennbar; sie wurde im Verlaufe 
zweier Wochen allmählich wieder undeutlich. 





Somit zeigt sich folgendes: 

Pilze mit ausgeprägt oxydativem Stoffwechsel können Aoet- 
aldehyd hervorbringen, verbrauchen ihn aber offenbar wieder. 

Erreger, die gleich Hefe anaerob zu leben vermögen, sind 
befähigt, gebildeten Aldehyd anzureichern. Selbst bei minimaler 
Aussaat der einzelnen Pilze, die also erst in den Maischen heran- 
wachsen müssen, kommt es unter dem Einflusse der „Abfang- 
mittel“ zu einer korrelativen Bildung beträchtlicher Mengen 
von Acetaldehyd und Glycerin; die Verhältnisse liegen genau 
wie bei der Zuckerspaltung durch erhebliche Quantitäten von 
Kulturhefen. Diese zweite Vergärungsform haben wir mit einer 
Anzahl neuer Mikroorganismen, wie mit Mucor javanious, Mucor 
plumbeus, Mucor racemosus, Monilia candida und Torula colli- 
oulosa, verwirklicht. 


Zur Kenntnis des heterogenetischen Hammelblutantigens. 


Von 
Kurt Meyer. 


(Aus der Bakteriologischen Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses 
in Berlin.) 


(Eingegangen am 25. Juni. 1921.) 


Einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis des von 
Forssman in den Meerschweinchenorganen entdeckten, Hammel- 
bluthämolysinbildung hervorrufenden und solche Hämolysine 
bindenden Antigens bildete die Beobachtung von Sordelli und 
Fischer!), daß dieses Antigen alkohollöslich ist. 


Die Autoren fanden, daB bei der Alkoholextraktion das Bindungs- 
vermögen der das Antigen enthaltenden Organe für die heterogenetischen 
Hammelbluthämolysine verschwindet und daß andererseits der alkoholische 
Extrakt die Hämolyse durch diese Hämolysine hemmt, also anscheinend 
die Hämolysine bindet. Gleichzeitig führten sie den zwar nicht überraschen- 
den, aber von keinem der zahlreichen bisherigen Bearbeiter dieses Gebiets 
erbrachten Nachweis, daß die mit dem heterogenetischen Antigen erzeugten 
Antisera auch komplementbindende Antikörper für dieses Antigen enthalten. 
Dieser Befund ist deshalb von Bedeutung, weil sich nunmehr bei allen 
Hämolysinbindungsreaktionen die Frage erhebt, ob es sich tatsächlich um 
ein Ausbleiben der Hämolyse durch Bindung der hämolytischen Ambocep- . 
toren und nicht vielmehr durch Komplementbindung handelt. Sieht man 
die in der Literatur niedergelegten Versuche daraufhin durch, so kann es 
keinem Zweifel unterliegen, daß in vielen Fällen jene Frage offen bleiben 
muß oder sogar im zweiten Sinne zu beantworten ist. So ist offenbar auch 
die Beobachtung von Sordelli und Fischer selbst, daß die alkoholischen 
Organextrakte die Hämolyse durch heterogenetisches Hammelblutbämolysin 
hemmen, nicht als Amboceptor-, sondern als Komplementbindung zu 
deuten, was die Autoren selbst übersehen haben. 

Wenn auch angesichts des Parallelgehens der beiden Antikörperarten 
das vorliegende Tatsachenmaterial über die heterogenetischen Hämolysine 


1) A. Sordelli und G. Fischer, Rev. del Instit. Bacteriol. di Buenos 
Aires 1. 229. 1918. — A. Sordelli, G. Fischer, H. Wernicke und 
C. Pico, Cpt. rend. des séances de la soc. de biol. 84, 173. 1921. 


Biochemische Zeitschrift Band 192. _ 15 


226 K. Meyer: 


durch Berücksichtigung jener Fehlerquelle kaum eine Abänderung erfahren 
dürfte, so wird es sich doch empfehlen, falls man die Hämolyaine allein zu 
untersuchen wünscht, daß man zunächst das Serum vor dem Komplement- 
zusatz auf die Hammıelblutkörperchen einwirken läßt, diese abzentrifugiert, 
wäscht und nun erst mit Komplement versetzt. 

Wohl unabhängig von Sordelli und Fischer stellte auch W. Georgi!) 
die Alkohollöslichkeit der „Hammelblutreceptoren“ in den Organen fest, 
während H. Sachs und F. Guth?) sowie H. Schmidt?) Fällungsreaktionen 
der heterogenetischen Sera mit alkoholischen Organextrakten beschrieben- 
und näher untersuchten. Endlich fanden Friedberger und Suto®), daß 
das beim Kaninchen Hammelhämolysinbildung hervorrufende Prinzip des 
Pferdeurins in den Alkoholextrakt übergeht. 

Diese Befunde machten es wahrscheinlich, daß das heterogenetische 
Antigen lipoider Natur ist. Da ich in früheren Untersuchungen Lipoide von 
antigener Wirkung nur in der Leibessubstanz von Bandwürmern?) sowie 
bei säurefesten Bacillen®) nachweisen konnte, während mir dies bei anderen 
Bakterienarten sowie in den Organen anderer Tierarten — ich untersuchte 
seinerzeit Organe von Mensch, Rind, Schwein und Hammel — nicht gelang, 
so schien es mir wünschenswert, die Versuche der genannten Autoren 
weiterzuführen mit dem Ziel, auch hier die antigenen Lipoide in möglichst 
reiner Form darzustellen. Schien doch damit die Möglichkeit gegeben, da 
es sich um ein in beliebiger Menge zur Verfügung stehendes Ausgangsmaterial 
handelt, die Lipoide in größeren Quantitäten zu gewinnen und einer ge- 
naueren Untersuchung zu unterziehen. 


In der vorliegenden Mitteilung soll nur kurz über das Isolie- 
rungsverfahren, das sich an das früher beschriebene anlehnte, 
und über einige an den reinen Lipoiden bezüglich ihres Verhaltens 
bei der Komplementbindungsreaktion gemachte Beobachtungen 
berichtet werden. 

Als Ausgangsmaterial dienten sowohl Pferde- wie Meer- 
schweinchenniere, aus denen zunächst in der üblichen Weise 
alkoholische Extrakte (1: 10) hergestellt wurden, mit denen sich 
die Angaben von Sordelli und Fischer bezüglich der mit hetero- 


1) W. Georgi, Arb. a. d. Inst. f. exp. Therap. Frankfurt a. M. 1919, 
H.9, S. 33. 

+) H. Sachs und F. Guth, Med. Klin. 12, 157. 1920. 

2) Hans Schmidt, Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 9%, 433. 1921. 

t) Friedberger und Suto, Zeitschr. f. Immunitäteforsch. u. exp. 
Therap. 28, 237. 1919. 

6) Kurt Meyer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therap. 7, 
732. 1910; 9, 330. 1911; 11, 211. 1911; 14, 355. 1912; 19, 313. 1913; 
20, 367. 1913; 21, 654. 1914. 
| ¢) Kurt Meyer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therap. 

14, 359. 1912; 15, 245. 1912. 


Heterogenetisches Hammelblutantigen. 227 


genetischen Seren eintretenden Komplementbindung ohne weiteres 
bestätigen ließen. 

Die alkoholischen Extrakte wurden nunmehr im Vakuum 
zur Trockne eingedampft. Der Rückstand wurde mit Benzol 
aufgenommen, der Benzolextrakt wieder im Vakuum eingeengt 
und der Rückstand mit Aceton extrahiert, solange dieses noch 
Substanz aufnahm. Dann wurde er mit niedrig siedendem Petrol- 
äther behandelt, wobei eine geringe Menge ungelöst zurückblieb, 
und die Lösung mit Alkohol gefällt. Der Niederschlag wurde 
abzentrifugiert und mit Alkohol gewaschen. Die vereinigten al- 
koholischen Lösungen wurden im Vakuum eingeengt. 

Es ergaben sich somit 4 Fraktionen, 1 acetonlösliche 
(Fraktion I) und 3 acetonunlösliche, von denen die eine in Petrol- 
äther unlöslich (Fraktion II), die beiden anderen löslich, aber nur 
die eine von ihnen (Fraktion III) in Alkohol löslich war, während 
die andere (Fraktion IV) durch Alkohol gefällt wurde. 

Um ein Bild von dem übrigens schwankenden relativen 
Mengenverhältnis der einzelnen Fraktionen zu geben, sei angeführt, 
daß aus einem 4,09 g betragenden alkoholischen Extraktrückstand 
von Fraktion I 0,74 g, von Fraktion II 0,18 g, von Fraktion III 
1,42 g, von Fraktion IV 0,73g gewonnen wurden, während der 
Rest in Benzol unlöslich war, also wohl hauptsächlich aus Salzen 
und Eiweißkörpern bestand. 

i Was die chemische Natur der einzelnen Fraktionen betrifft, 
so lassen sich auf Grund der Löslichkeitseigenschaften nur recht 
unsichere Angaben machen. Fraktion I muß Fette, Fettsäuren, 
Cholesterin und dessen Ester enthalten, während die Fraktionen II, 
III und IV wohl als Lipoide im engeren Sinne anzusehen sind. 
In Fraktion III und IV sind wohl haupteächlich Phosphatide 
zu suchen, und zwar in jener solche vom Charakter des Lecithins, 
in dieser Verbindungen wie Kephalin, Cuorin u. a. 

Die verschiedenen Fraktionen wurden zunächst auf ihre 
antigene Wirksamkeit im Komplementbindungsversuch unter- 
sucht. Als Antisera dienten Meerschweinchen- und Pferdenieren- 
sera vom Kaninchen. 

Nachstehend soll nur ein Versuch mit Meerschweinchennieren- 
lipoiden und Meerschweinchennierenserum wiedergegeben werden. 

Zunächst wurden die einzelnen Fraktionen auf Eigenhemmung 
geprüft. Sie wurden zu diesem Zweck in der 10fachen Menge 


15* 


228 K. Meyer: 


Alkohol gelöst und die Lösung mit NaCl-Lösung verdünnt. Nur 
die alkoholunlösliche Fraktion IV wurde direkt in NaCl-Lösung 
verrieben. 

Als hämolytisches System diente sensibilisiertes Rinderblut, 
worauf ich besonderes Gewicht legen möchte. Das von Sordellli 
und Fischer benutzte sensibilisierte Hammelblut scheint mir 
wegen der Mitwirkung der heterogenetischen Hammelblut- 
hämolysine und der dadurch bedingten unkontrollierbaren Ver- 
schiebung der Sensibilisierung besser nicht verwendet zu werden. 


Tabelle I. 
0,5 ccm Komplement 1 : 10 Fraktion: 
+ Verdünnung 1 : 500 I II DI IV 
0,2 com 0 0 k. H. 0 
01 „ 0 f.k H. k H. 0 
0,05 „ i. H. k.H kH. 0 
0,02 „ kH. kH. kH i EB 


0 = keine, f. k. H. = fast komplette, i. H. = inkonıplette, k. H. = 
komplette Hämolyse. 

Aus der Tabelle ergibt sich, daß Fraktion I und besonders Fraktion IV 
starke Eigenhemmung zeigten. Der eigentliche Komplementbindungs 
versuch wurde mit unterhemmenden Dosen angesetzt. Das Meerschwein- 
chennierenserum wurde in einer Menge von 0,5ccm der Verdünnung 1 : 10, 
die an sich keine Hemmung ausübte, verwendet (Tabelle II). 


Tabelle II. 


0,5 ccm Meerschweinchennierenserum. . 


+ 0,5ccm Komplement 1:10 I e iy 
+ Verdünnung 1 : 5000 
0,5 ccm i. H. 0 0 
02 „ k.H. i H. 0 0 
01 „ kH. kH. iH fk H 
0,05 „ kH. k H. £kH k H. 


Im Komplementbindungsversuch erwies sich somit die 
acetonlösliche Fettfraktion als völlig unwirksam, während die 
acetonunlöslichen Lipoide mehr oder weniger stark reagierten. 
bei Fraktion II war die Reaktionsfähigkeit etwas schwächer als 
bei den anderen Lipoiden, während Fraktion III und IV gleiche 
Wirksamkeit zeigten, wobei allerdings die Reaktion mit FraktionIV 
wegen ihres starken Eigenhemmungsvermögens mit Vorsicht zu 


beurteilen ist. Der Befund entspricht völlig dem früher bei den 


Heterogenetisches Haummelblutantigen. 229 . 


Bandwurm- und Tuberkelbacillenlipoiden erhobenen. Auch hier 
sind es die Phosphatide vom Charakter des Lecithins und Kepha- 
lins, die als Träger der antigenen Wirksamkeit der alkoholischen 
Extrakte anzusehen sind. Nach der Art der Darstellung und aus 
den früher erörterten Gründen ist es in hohem Maße unwahr- 
scheinlich, daß die Wirksamkeit durch beigemengte Eiweiß- 
spuren bedingt wird. 

Ob das Reaktionsvermögen der Mestsöhweinalen; und 
Pferdeorgane im Komplementbindungsversuch ausschließlich auf 
die Lipoide zurückzuführen ist, möchte ich zunächst dahingestellt 
sein lassen. Zwar konnte auch ich mich von der Beobachtung 
Sordellis und Fischers überzeugen, daß es durch Alkohol- 
extraktion der Organe aufgehoben wird, doch wäre es immerhin 
möglich, daß der Wirksamkeitsverlust durch Koagulation der 
Eiweißkörper bedingt ist. 

Meerschweinchen- und Pferdenierenlipoide verhalten sich 
völlig identisch, d. h. das relative Verhältnis der Reaktionsstärke 
der Meerschweinchen- und Pferdenierenantisera ist bei Prüfung 
mit den homologen und heterologen Lipoiden das gleiche. Da- 
gegen geben die Sera mit den aus Menschenniere in analoger Weise 
hergestellten Lipoiden keine Komplementbindung und diese 
reagieren auch nicht mit Menschennierenantiserum, das seiner- 
seits mit wässerigem Menschennierenextrakt starke Komplement- 
bindung gibt. Die charakteristischen Lipoide sind also auf die 
Organe beschränkt, bei denen das Vorhandensein des hetero- 
genetischen Antigens bekannt ist. 

Was das Verhältnis der mit den Lipoiden unter Komplement- 
bindung reagierenden Antikörper zu den heterogenetischen 
Hammelhämolysinen betrifft, so scheint jedenfalls ein enger Par- 
allelismus in ihrer Menge zu bestehen. So betrug bei zwei Pferde- 
und einem Meerschweinchennierenantiserum der hämolytische 
Titer für 0,5 ccm 5proz. Hammelblut 0,2, 0,1 und 0,05 ccm einer 
Verdünnung 1 : 100, während die geringste Serummenge, die 
mit O0,lccm einer Verdünnung 1 : 500 von Fraktion III völlige 
Komplementbindung gab, sich aut 0,1, 0,05 und 0,02 ccm einer 
Verdünnung 1 : 10 belief. 

Daß auch die Hämolysine mit den Lipoiden in Reaktion 
treten, läßt sich durch den Absättigungsversuch, den schon Sor- 
delli und Fischer, allerdings, wie oben erörtert, in nicht be- 


230 K. Meyer: 


weisender Anordnung angestellt haben, nachweisen. Ich führte 
den Versuch in der Weise aus, daß je 2 hämolytische Dosen eines 
Pferdenierenantiserums 2 Stunden mit fallenden Mengen Pferde- 
nierenlipoid (Fraktion III) digeriert und dann mit einer Dosis 
Blutkörperchen 1 Stunde bei 37° gehalten wurden.. Hiernach 
wurden die Blutkörperchen abzentrifugiert, gewaschen und 
mit Komplement versetzt. Die Röhrchen, bei denen das Hämo- 
lysin mit Lipoidmengen bis zu 0,05 ccm einer Verdünnung 1 : 500 
herab versetzt waren, blieben ungelöst, die nächsten zeigten par- 
tielle Hämolyse, und erst eine Lipoidmenge von 0,05 ccm einer Ver- 
dünnung 1 : 5000 hatte keinen Einfluß auf die Sensibilisierung 
ausgeübt. 

Kontrollversuche ergaben, daß Menschennierenlipoide diese 
Wirkung nicht ausübten und daß andererseits die Pferdenieren- 
lipoide die isogenetischen Hammelbluthämolysine des Rinderblut- 
antiserums unbeeinflußt ließen. 

Das Lipoid war also mit den heterogenetischen Hämoly- 
sinen eine so feste Bindung eingegangen, daß diese durch die 
später zugesetzten Blutkörperchen nicht mehr gelöst wurde. 

Die bisher beschriebenen Versuche betreffen die antigene 
Wirkung der Lipoide nur insofern, als es sich um ihr Reaktions- 
vermögen gegenüber spezifischen Antikörpern handelt. Die zweite 
Seite der Antigenwirkung, ihre Fähigkeit, im Tierkörper Anti- 
körperbildung hervorzurufen, konnte an den Nierenlipoiden 
bisher nicht nachgewiesen werden. Allerdings ist die Zahl meiner 
Versuche bisher nur gering. Je 2 Kaninchen erhielten in Ab- 
ständen von 5 Tagen je 1cg Fraktion III und Fraktion IV intra- 
venös injiziert; bei keinem der 4 Tiere traten komplementbindende 
Antikörper im Serum auf. 

Daß die Antikörperbildung hervorrufende Wirkung der reinen 
Lipoide nur mäßig stark ist, haben die Erfahrungen mit den Band- 
wurm- und Tuberkelbacillenlipoiden gezeigt, bei denen ihr Nach- 
weis auch erst nach vergeblichen Versuchen gelang, so daß ich 
meine negativen Ergebnisse noch nicht als endgültig ansehen 
möchte. Zu erwähnen ist, daß auch Sordelli und Fischer mit 
den alkoholischen Extrakten keine Antikörperbildung hervor- 
zurufen vermochten, wohl aber bei gleichzeitiger Injektion der 
an sich ebenfalls unwirksamen, mit Alkohol extrahierten 
Organe. | 


Heterogenetisches Hammelblutantigen. 231 


Zusammenfassung. 


Alkoholische Extrakte aus Meerschweinchen- und Pferde- 
niere reagieren mit Meerschweinchen- und Pferdenierenantiseren 
unter Komplementbindung. 

Die Wirksamkeit der Extrakte ist gebunden an die aceton- 
unlöslichen Lipoide, während die acetonlöslichen Fette und Lipoide 
unwirksam sind. Menschennierenlipoide reagieren weder mit den 
Meerschweinchen- und Pferdenieren- noch mit Menschennieren- 
seren. Das Vorkommen der antigen wirkenden Lipoide fällt also 
mit dem des heterogenetischen Antigens zusammen. 

Die mit Alkohol extrahierten Organe geben mit den Antiseren 
keine Komplementbindung mehr, doch könnte die Unwirksamkeit 
der extrahierten Eiweißkörper durch Koagulation bedingt sein. 

Komplementbindungsvermögen und Hammelhämolysingehalt 
der heterogenetischen Sera gehen einander parallel. Die Hämo- 
lysine werden durch die Lipoide gebunden. 

Mit den reinen Lipoiden konnte Antikörperbildung beim 
Kaninchen bisher nicht erzielt werden. 


Fortgesetzte Untersuchungen über die Permeabilität der 
Zellen und Gewebe. 


VIII. Mitteilung. 


Beiträge zur Frage der Verteilung von Hormonen und pharmako- 
logischen Stoffen im Blute. 


Von 
Hans Schaeppi. 


(Aus dem Physiologischen Institut der Universität‘ Bern.) 
(Eingegangen am 20. Mai 1921.) 
Mit 1 Abbildung im Text. 


Die nachfolgende Arbeit will untersuchen, wie körperfremde, 
künstlich in das Blut eingeführte Substanzen sich auf ihre einzel- 
nen Komponenten, d. h. auf die corpusculären und auf die flüssigen 
Bestandteile des Blutes verteilen. Dieses Problem stellt gleich- 
zeitig eine Frage der Permeabilität der Blutkörperchen dar, wobei 
es sich um die Entscheidung der wichtigen Tatsache handelt, ob 
die zu prüfenden Stoffe in die Blutkörperchen einzudringen ver- 
mögen oder ob sie, sich bloß in der Blutflüssigkeit lösend, sich ver- 
teilen. Die praktische Bedeutung dieser Untersuchung liegt in der 
Aufklärung des Problems, auf welche Art und Weise intravenös 
einverleibte oder subcutan, intramuskulär oder vom Darmkanale 
aus ins Blut resorbierte Pharmaka und resorptiv wirkende Gifte im 
Blute transportiert werden und zu den Organen gelangen, die für 
sie Receptoren tragen. Zugleich vermag sie vielleicht durch Analogie- 
schlüsse Auskunft zu geben, wie der Körper in dem Blute seine 
normalen Funktionsmittel, die Hormone, an ihren Angriffsort be- 
fördert. 

Entsprechend der Aufgabestellung war diese Verteilungs- 
frage vermittels einer biologischen Reaktion zu prüfen. Die mikro- 
chemische Seite dieser Untersuchung habe ich deshalb beiscite ge- 


H. Schaeppi: Permeabilität der Zellen und Gewebe. VII. 233 


lassen und dürfte, wenn praktisch überhaupt durchführbar, einer 
späteren Arbeit vorbehalten sein. 

Das Prinzip für die Untersuchungsmethodik dieses Verteilungs- 
problemes baut sich auf folgendem Gedankengange auf. Wir 
setzen einer abgemessenen Blutmenge ein bestimmtes Quantum 
einer pharmakologisch wirksamen Substanz zu. Mit Hilfe eines 
biologischen Reagens registrieren wir graphisch die Größe der Wir- 
kungen von gleichen Mengen dieses Blutgemisches und des daraus 
durch Sedimentierung gewonnenen Blutplasmas resp. Serums. 
Aus dem Vergleiche der Wirksamkeit der beiden Flüssigkeiten 
auf das Reagens ist die Konzentration resp. der Gehalt des Blut- 
plasmas an wirksamer Substanz leicht rechnerisch zu ermitteln. 
Vergegenwärtigen wir uns a priori die Möglichkeiten der durch die 
Untersuchung zu gewinnenden Resultate: 

Finden wir, daß gleiche Mengen des Gesamtbluütes aen gleichen 
quantitativen Effekt hervorrufen wie gleiche Mengen Blutplasma 
resp. Blutserum desselben Mischblutes, so müssen wir annehmen, 
daß beide Vergleichsflüssigkeiten den wirksamen Stoff in gleicher 
Konzentration enthalten, d. h. daß gleiche Quanten Gesamtblut 
gleichviel Milligramm wirksame Substanz enthalten wie die glei- 
chen Mengen Blutplasma resp. Blutserum. Dieses Ergebnis bedeu- 
tet mit anderen Worten, daß der zugesetzte wirksame Stoff sich 
: gleichmäßig auf die flüssigen und die körperlichen Bestandteile 
des Blutes verteilt hat und daß die Blutkörperchen für diese Sub- 
stanz permeabel sind. Sollte dagegen die Untersuchung bei Ver- 
wendung von gleichen Mengen Gesamtblut und Blutplasma eine 
quantitative Verschiedenheit in der Wirksamkeit ergeben, so läßt 
dieses Resultat keine andere Deutung zu, als daß die Verteilung 
der wirksamen Substanz auf die einzelnen Komponenten des Blutes 
eine verschiedene sein muß. Dabei ergeben sich folgende 3 Mög- 
lichkeiten: 

Der zugesetzte, pharmakologisch wirksame Stoff vermag nicht 
in die geformten Blutelemente einzudringen, da die Blutkörper- 
chen für diesen impermeabel sind, sondern er verteilt sich nur im 
Blutplasma resp. Blutserum. In diesem Falle müßten wir finden, 
daß gleiche Mengen Blutplasma stärker wirken als gleiche Mengen 
nicht sedimentiertes Gesamtblut. Und zwar ist die Wirksamkeit 
des Blutplasmas pro Maßeinheit gegenüber der gleichen Menge 
Gesamtblut um so größer, je kleiner die volumprozentische Plasma- 


234 H. Schaeppi: 


menge im Verhältnis zum Gesamtblut ist. Diese volumprozen- 
tische Plasmamenge läßt sich mit Hilfe des Hämokritverfahrens 
leicht berechnen. 

Es wäre aber auch denkbar, daß die corpusculären Bestand- 
teile des Blutes die gesamte zugefügte Substanzmenge an sich 
reißen und in sich aufnehmen, so daß das Blutplasma resp. das 
Blutserum völlig frei von dieser bliebe. In diesem Falle müßte uns 
die Untersuchung ergeben, daß gewisse Mengen von Gesamtblut am 
biologischen Reagens eine bestimmte Wirkung hervorrufen, wäh- 
rend die entsprechenden Mengen von Blutplasma resp. Blutserum 
derselben Blutmischung dagegen gar keinen Effekt auslösen. 

Als 3. Möglichkeit kommt in Betracht, daß die zugesetzte 
Substanz sich auf beide Komponenten des Blutes verteilt, aber in 
ungleichem und eventuell für jeden wirksamen Stoffen in ver- 
schiedenem Verhältnis. In diesem Falle würde das oben angege- 
bene Prinzip der Untersuchungsmethodik für sich allein nicht ge- 
nügen. Man wäre genötigt, die Blutkörperchen durch Zentrifu- 
gierung und durch mehrfaches Auswaschen mit isotonischer phy- 
siologischer Ringerlösung vom Blutplasma völlig zu trennen. 
Dann müßte man in einer zweiten Versuchsreihe auch die Wir- 
kungen gleicher Mengen von Gesamtblut und von auf obige Weise 
reingewonnenen Blütkörperchen nach der gewöhnlichen Methodik 
miteinander vergleichen und könnte darauf die Proportionen der 
Verteilung berechnen. Wie wir aber später sehen werden, ist die 
Durchführung dieser Isolierung und der gesonderten Untersuchung 
der Blutkörperchen nicht notwendig geworden. | 
l Als biologisches Reagens wählte ich das Präparat eines glatten 
' Muskels, indem sich der zeitliche Eintritt und die Größe seiner 
Kontraktion als ein sehr gutes Maß für die quantitative Beurteilung 
der Wirksamkeit von Stoffmischungen erwiesen. Wie viele Vor- 
versuche ergaben, ist das nervenhaltige Präparat für diese Zwecke 
viel zu unsicher. Bei diesem beeinflußten exo- und endogene 
Ursachen, die weil unbekannt nicht auszuschalten waren, so sehr 
den Ablauf der Kontraktionen und erschwerten so stark die quan- 
titative Beurteilung der Wirkung, daß ich im Interesse der Ge- 
nauigkeit glaubte, dieses Präparat nicht verwenden zu dürfen. So 
benutzte ich den entnervten glatten Muskel, und zwar in Form des 
von Fühner angegebenen nervenfreien Blutegelpräparates. Dieses 
erwies sioh mir im Laufe der Versuche für meine Untersuchung als 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VID. 235 


sehr praktisch. Ich will daher an dieser Stelle die Herstellung des 
Fühnerschen Präparates in Kürze besprechen. 


Durch glatten Scherensohlag werden der Kopf- und der Bauchsaugnapf 
eines Blut- oder .eines Pferdeegels entfernt. Der übrige Körper wird durch 
quere Schnitte in mehrere Einzelstücke zerlegt, so daß ein solches Teilstück 
eine Länge von 10—12 Ringel bekommt. Ein Blutegel mittlerer Größe 
liefert so 4 solcher Einzelstücke, die sofort in Ringerlösung gebracht werden. 
Das eine dieser Teilstücke wird der Länge nach von der Bauchseite her 
mit einer Schere aufgeschnitten, so daß man die beiden Hälften der Bauch- 
fläche auseinanderklappen kann. Dann wird der Darmtraktus sorgfältig 
abpräpariert und durch Scherenschnitte zuletzt die Bauchstücke abgetrennt. 
So entsteht ein rechteokiges Präparat, das bloß aus Haut und Muskelschicht 
der Rückfläche besteht und völlig nervenfrei ist. Der.so gewonnene Muskel 
wird dann in die später zu beschreibende Apparatur eingefügt. Die übrigen 





Abb. 1. a tabakpfeifenförmiges Glasyefäß mit Badeflüssigkeit. 5 Muskelpräparat. 
e Bförmig gebogemes luftdurchführendes Glastohr. d Schreibhebel. e Schreibtzommel. 
] Luftpumpe am Wasserhahn. g Absaugrohr. 


3 Teilstücke werden, in Ringerlösung getauoht, in den Kühlschrank gebracht 
und bleiben bei dieser Aufbewahrung etwa 4—5 Tage verwendungsfähig. 
Das ebenfalls von Fühner angegebene Froschmagenpräparat erwies 
sich mir als für meine Versuchsanordnung zu kurzlebig, weshalb ich auf 
Kontrollversuche mit diesem Präparate verzichten mußte. 

Die Versuchsanordnung habe ich ebenfalls, außer einigen Modifika- 
tionen, von Fühner übernommen. wıe er sie für seine Untersuchung über 
die potenzierende Wirkung des Physostigmins in Kombination mit anderen 
erregenden Stoffen verwendete. 

Die Aufhängung des rechteckigen Muskelpräparates erfolgt vermittels 
einer durchgestochenen Fadenschlinge nach unten stabil an das eine Ende 
einer Sförmig gekrümmten Glasröhre nach oben frei beweglich an den 
einen Arm des Schreibhebels. Durch dieses Hebelsystem werden die Kon- 
traktionen des Muskelpräparates nach den üblichen Prinzipien auf ein 
Kymographion übertragen und auf einem berußten Papierstreifen graphisch 
festgehalten. Das so fixierte Präparat hängt in einem tabakpfeifenartig 
geformten Glasgefäß von ca. 150 ccm Inhalt in Ringerlösung. Bei dieser 
Versuchsanordnung läßt sich die Badeflüssigkeit des Muskels durch Ab- 
saugen und durch sorgfältiges Zugießen von neuer Flüssigkeit leicht er- 
neuern, ohne die Stabilität des Aufhänge- und Übertragungssystemes 


236 H. Schaeppi: 


merklich zu stören. Die bei der langen Versuchsdauer notwendige O,-Ver- 
sorgung des Präparates erfolgt einerseits durch den bei den Versuchen 
häufig nötigen Wechsel der Badeflüssigkeit und durch direktes Durchleiten 
von Luft, andererseits durch die Sförmig gebogene Aufhängeröhre. Bei 
vorsichtiger Regulierung einer duroh Leitungswasser betriebenen Luft- 
pumpe läßt sich das Tempo der in der Badeflüssigkeit aufsteigenden Luft- 
blasen so ausprobieren, daß diese keinen störenden Einfluß auf die Aufhänge- 
vorrichtung auszuüben vermögen. 


Mit der Wahl des oben beschriebenen biologischen Reagens 
schränkt sich die Zahl der zur Untersuchung verwendbaren Sub- 
stanzen auf die den glatten Muskel erregenden Stoffe ein. Durch 
die Ausschaltung des nervenhaltigen Muskelpräparates gehen für 
mein Problem auch die vom Nerven aus erregend wirkenden Sub- 
stanzen, speziell Pilocarpin verloren. Eine weitere Einschränkung 
der verwendungsmöglichen Stoffe wird gegeben durch ihr Verhal- 
ten zum Blute. So mußte ich wegen der beim Zusetzen eintretenden 
Hämolyse auf Phenyläthylamin verzichten, das sich mir in den 
Vorversuchen als eine äußerst wirksame Substanz erwies. Ich 
wählte daher als Indikatoren Bariumchlorid als Vertreter eines 
anorganischen Salzes, Nicotinum hydrochloricum als Typus eines 
Alkaloides und Cholinbromhydrat als Repräsentant eines Hor- 
mones. 

Bevor ich zur Besprechung der Methodik der Hauptversuche 
übergehe, muß ich kurz die Vorversuche streifen. Das frisch 
‚zubereitete Muskelpräparat wird nach der oben beschriebenen 
Weise in einer konstanten Menge Ringerlösung (100 ccm) auf- 
gehängt und in Ruhe sich selbst überlassen, bis es die durch die 
Präparation und Fixierung hervorgerufene Erregung verloren hat, 
und der Schreibhebel auf dem Kymographion eine gerade Linie 
registriert. Als für meine Versuche am besten geeignet hat sich 
eine Umdrehunggeschwindigkeit der Schreibtrommel von ca. 60 cm 
pro Stunde erwiesen. Dann wird der Badeflüssigkeit des Muskels 
eine genau abgemessene Menge von wirksamer Substanz in Lösung 
zugesetzt. Die sofortige und gründliche Mischung erfolgt durch 
vorsichtiges Umrühren mit einem Glasstab und außerdem durch 
die Flüssigkeitsbewegung, die durch die zum Zwecke der Lüftung 
durchgeleiteten Luftblasen hervorgerufen wird. Je nach der Art 
und der Konzentration des zugesetzten Stoffes tritt nach kürzerer 
oder längerer Einwirkung eine Kontraktion der Muskelfasern ein, 
die sich graphisch in Form eines langsameren oder rascheren An- 


Permeabilität. der Zellen und Gewebe. VII. 237 


stieges der Kurve registriert. Oft manifestiert sich die Muskel- 
reizung außer diesem Tonusanstieg noch durch einzelne kleine, 
evtl. sogar rhythmische Einzelzuckungen. Darauf folgt die Ent- 
leerung der Badeflüssigkeit durch Absaugen und ein mehrmaliges 
Auswaschen des Muskels durch reine Ringerlösung. Dieses Aus- 
spülen des Präparates dauert je nach der Art und der Konzentra- 
tion der verwendeten erregenden Substanz verschieden lang und 
nimmt schr viel Zeit in Anspruch, da kein neuer Versuch ange- 
stellt werden kann, bevor der Schreibhebel wieder zur Grundlinie 
zurückgekehrt ist. Durchschnittlich nimmt ein so durchgeführter 
Versuch ca. 30 Minuten Zeit in Anspruch. 

In diesen Vorversuchen habe ich einerseits die Wirksamkeit 
des zugesetzten Stoffes geprüft und anderseits die minimalste 
Substanzmenge, d. h. ihre minimale Konzentration ermittelt, die 
während einer bestimmten Einwirkungsdauer (10 Minuten) eben 
noch eine deutliche erkennbare Kontraktion hervorzurufen ver- 
mag. Diese minimale Konzentration zu ermitteln, ist deshalb 
wichtig, weil sich daraus die Basis für das Mischungsverhältnis 
von Blut und erregend wirkender Substanz ergibt. Es hat sich 
nämlich gezeigt, daß das Muskelpräparat nach mehrfachen Rei- 
zungen mit denselben oder sogar mit kleineren Konzentrationen 
stärker reagiert als bei der ersten Reizung. In Berücksichtigung 
dieser zunehmenden Sensibilisierung des Muskels durch vielfache 
Reizversuche, wie ich diese Erscheinung bezeichnen möchte, muß 
man auf Grund der durch die Vorversuche gefundenen Minimal- 
konzentration das Mischungsverhältnis so berechnen, daß diese 
minimale Wirkungsmenge der herzustellenden Blutmischung noch 
in den Bereich der mit Pipetten leicht abmeßbaren Größenordnung 
zu liegen kommt. Die Zahlenwerte für die Mischung werde ich 
bei der Besprechung der Hauptversuche mit den betreffenden 
Substanzen erwähnen. | 

Für die Untersuchungen wurde durchgehend Kalbsblut aus 
dem hiesigen städtischen Schlachthofe verwendet. Versuche mit 
dem Blute von anderen Schlachttieren konnte ich deshalb nicht 
durchführen, weil diese Blutsorten wegen der Schlachtungen von 
maul- und klauenseuchekranken Tieren nicht regelmäßig erhält- 
lich waren. Das Blut wurde frisch von der Ader weg in einem Glas- 
zylinder aufgefangen und sofort für die Versuche verwendet. Daß 
das Blut jeweilen in frischem Zustande zur Untersuchung kam, er- 


238 H. Schaeppi: 


kamnte ich jedesmal daran, daß das zentrifugierte Blut absolut 
keine Hämolyse zeisste. Zeigte aich eine solche, so wurde das Blut 
als unbrauchbar weggegossen. Die Untersuchung des Verteilungs- 
problems führte ich in Parallelversuchen am defibrinierten und am 
nicht defibrinierten Blute durch. Die Defibrinierung geschah 
wie üblich durch Schlagen des frischgewonnenen Blutes mit einem 
Glasstab. Die Gerinnungshemmung für die Versuche mit nicht 
defibriniertem Blute wurde durch Zusatz von Natrium fluorat. 
(1,5 g auf 500,0g Blut = 3° œ) erreicht. Wie die Vorversuche er- 
gaben, hat Fluornatrium auf das Muskelpräparat keinen hemmen- 
den oder erregenden Einfluß. 

Die Zubereitung der Blutmischung geschieht folgendermaßen: 
Die wirksame Substanz wird in einem genau tarierten Erlenmeyer- 
kölbchen so berechnet abgewogen, daß 1 ccm des herzustellenden 
Mischblutes die in den Vorversuchen ermittelte minimale Wirkungs- 
menge Stoff enthält. Dann wird ad 100 g Blut zugegossen und 
sorgfältig durch Schütteln gemischt. Von diesem Mischblut und vom 
Normalblut werden je 70 g zentrifugiert. Die übrigen 30 g Misch- 
blut und eine gewisse Menge Normalblut werden je in einem 
Erlenmeyerkölbchen in den Kühlschrank gebracht. Zur Sedi- 
mentierung des Blutes stand mir eine elektrische Zentrifuge mit 
einer Tourenzahl von 3000 pro Minute zur Verfügung. Die durch- 
schnittliche Dauer der Zentrifugierung bis zur völligen Sedimen- 
tierung der Blutkörperchen beträgt ca 3—3!/, Stunden. Nach 
eingetretener vollständiger Trennung des Blutes in Blutkörperchen 
und Blutflüssigkeit wird das Plasma resp. das Serum abpipettiert 
und je in ein besonderes Erlenmeyerkölbchen gebracht. Auf diese 
Weise haben wir 4 verschiedene Vergleichsflüssigkeiten gewonnen: 


Lösung I: Normalblut. 

Lösung II: Normalplasma resp. Serum. 
Lösung III: Unzentrifugiertes Mischblut. 
Lösung IV: Mischplasma resp. Serum. 


Jetzt sind die Vorarbeiten so weit gediehen, daß man zu den 
Hauptversuchen übergehen kann. Zuerst prüfe ich immer mit 
einer wässerigen Lösung der wirksamen Substanz die Erregbarkeit 
und die Größe der Kontraktion des Präparates. Dabei zeigte sich 
auch mir die schon von Fühner erwähnte Tatsache, daß das 
Kopfstück des Egels die größte Kontraktionsgröße von allen Teil- 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 239 


stücken zeigt, was auch leicht begreiflich ist, wenn man die Be- 
wegungen und die Art der Lokomotion des lebenden Egels auf- 
merksam verfolgt. Nun prüfe ich mit der gleichen Versuchsanord- 
nung wie bci den Vorversuchen der Reihe nach gleiche Mengen 
Normalblut, Normalplasma resp. Serum, Mischblut und Misch- 
plasma resp. Mischserum nach jeweiliger gründlicher Auswaschung 
auf ihre Wirkung durch und vergleiche die graphisch registrierten 
Effekte miteinander. Zu einer kleineren Zusatzmenge absteigend 
werden wieder alle 4 Vergleichflüssigkeiten auf ihre Wirksamkeit 
auf das biologische Reagens durchuntersucht. Im Interesse der 
Zeitersparnis kann man in den folgenden Versuchen die Prüfung 
von Normalblut und Normalplasma resp. Serum unterlassen, da es 
sich schon in der ersten Versuchsreihe zeigt, daß dem Normalblut. 
und dem Normalplasma resp. Serum in frischem Zustande keine 
erregende Wirkung auf das Muskelpräparat zukommt. Wie ich 
eingangs dargetan habe, kann man nun durch Vergleich der Wir- - 
kungen von gleichen Mengen von Mischblut und Mischplasma 
resp. Serum auf die Verteilung der wirksamen Substanz auf die 
einzelnen Komponenten des Blutes schließen. Bei der praktischen 
Ausführung dieser Methodik der quantitativen Beurteilung zeigt 
sich nun aber eine sehr störende Schwierigkeit. Die früher 
schon erwähnte Sensibilisierung des Muskels durch wiederholte 
Reizungen verunmöglicht den direkten quantitativen Vergleich, 
indem: oft Reizversuche mit kleineren Konzentrationen größere 
Kontraktionen geben als solche mit größeren Verdünnungen. Um 
diese Unsicherheit bei der quantitativen Beurteilung der Effekte 
bei äquidosalen Reizungen zu beseitigen, war ich gezwungen, die 
Untersuchungsmethodik in eine Grenzwertmethode umzuwandeln. 
Mit dieser vermag ich die störenden Folgen der Sensibilisierung des 
Muskels auszuschalten, indem sich diese Steigerung der Erregbar- 
keit eben doch nicht ad infinitum treiben läßt. Bei der Ausfüh- 
rung dieser Grenzwertmethode, die mir sichere und leicht quanti- 
tativ vergleichbare Resultate gibt, braucht die Versuchsanordnung 
nicht geändert zu werden. Der Unterschied liegt einfach darin, 
daß 2—3 Vergleichsversuche mit den beiden Untersuchungsflüssig- 
keiten für die Bewertung nicht genügen, sondern daß man beide 
Flüssigkeiten mit absteigenden Dosen so lange prüft, bis die Wir- 
kung der einen oder beider gleich Null wird. Aus dem gleich- 
zeitigen oder aus der Reihenfolge des Ausbleibens der Kontrak- 


240 H. Schaeppi : 


tion kann man analoge quantitative Schlüsse auf die Verteilung 
ziehen wie aus dem direkten Vergleich der Effekte bei äquidosalen 
Reizungen. A priori können wir folgende Resultate erwarten. 

Nehmen wir an, daß bei der Prüfung mit absteigenden Dosen 
von Zusatzflüssigkeit zur Badeflüssigkeit gewisse Mengen von 
Mischblut und Mischplasma resp. Serum noch eine deutliche +- 
Reaktion geben, daß aber die nächstfolgenden niedrigeren Men- 
gen keine Wirkung mehr haben. In diesem Falle müssen wir 
schließen, daß beide Vergleichsflüssigkeiten den wirksamen Stoff 
in gleicher Konzentration enthalten, d. h. daß die Substanz sich 
gleichmäßig auf Blutflüssigkeit und auf Blutkörperchen verteilt 
hat. Die Blutkörperchen müssen also für den zugesetzten Stoff 
permeabel sein. , 

Würden wir dagegen finden, daß Blutplasma resp. Blutserum 
ın keiner Dosierung wirksam ist, daß das Mischblut dagegen in ver- 
schiedenen. Mengen gut erregend sich erweist, so würde uns dies 
beweisen, daß die corpusculären Bestandteile des Blutes alle wirk- 
same Substanz an sich gerissen und in sich aufgenommen haben, 
so daß das Plasma resp. Serum frei davon bleibt. 

Es ist aber auch denkbar, daß das Mischblut bei der Prüfung 
mit absteigenden Mengen bis zu einer gewissen Konzentration 
wirksam ist, mit der nächstfolgenden kleineren dagegen keinen 
Effekt mehr gibt. Das Blutplasma dagegen erweist sich noch in 
Mengen wirksam, in denen Mischblut nicht mehr wirksam ist. 
Hier müssen wir annehmen, daß das Blutplasma den wirksamen 
Stoff in größerer Konzentration als das Mischblut enthält, weil 
die Blutkörperchen für diesen nur teilweise oder gar nicht per- 
meabel sind. Der zugesetzte Stoff hat sich also speziell oder ganz 
ausschließlich auf die Blutflüssigkeit verteilt. 

Nach dieser theoretischen Erörterung der Deutung der Unter- 
suchungsresultate kann ich zur Besprechung der in den Vor- und 
Hauptversuchen gewonnenen Ergebnisse übergehen. 

l. Versuche mit Pilocarpinum hydrochloricum am 
nervenhaltigen Egelpräparat und am Froschmagen- 
ring. Pilocarpin erwies sich an den obigen biologischen Rea- 
genzien in Konzentrationen von 1 :2000 minimal, in höheren 
stärker wirksam, wie dies schon von Fühner gefunden wurde. 
In der Verdünnung erzeugt Pilocarpin in den einen Versuchen 
leichte Einzelzuckungen, in denjenigen mit vorhandener Automatie 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 241 


Verstärkung dieser. Wegen der schon besprochenen Unsicherheit 
in der quantitativen Beurteilung der Effekte bei Untersuchungen 
am nervenhaltigen Präparate gab ich die Versuche mit Pilocarpin 
auf. Am nervenfreien Egelmuskel ist dieser Stoff aus begreiflichen 
Gründen unwirksam. 

2. Versuche mit Pituglandolund Thyreoglandol am 
nervenhaltigen Egelpräparate brach ich aus gleichen Grün- 
den wie diejenigen mit Pilocarpin ab. Am nervenfreien Muskel er- 
wiesen sich beide in den Vorversuchen als unwirksam. 

3. Versuche mit Pituitrin am nervenfreien Egel- 
präparat. Am nervenfreien Egelmuskel war Pituitrin (Marke 
Parke, Davis und Cie., London, in Ampullen) erst in sehr großen 
Mengen erregend wirksam. Eine deutliche Kontraktion war erst 
bei Zusatz von 0,25 ccm Pituitrin zu 100 ccm Badeflüssigkeit zu 
erhalten, was einer Konzentration von 1 :400 entspricht. Aber 
auch in diesen und in höheren Konzentrationen waren die Wirkun- 
gen auf das nervenfreie Egelpräparat so ungleichmäßige und un- 
regelmäßige, daß ich auf die Verwendung von Pituitrin für meine 
Untersuchungen verzichten mußte. Es ist dies sehr bedauerlich, 
weil damit die Versuche mit einem Stoffe vom Typus der Hormone 
für mein Problem der Verteilung verlorengingen. 

4. Versuche mit Phenyläthylamin am nervenfreien 
Egelpräparat. Phenyläthylamin als Vertreter eines proteogenen 
Amines erwies sich in den Vorversuchen als eine sehr stark er- 
regende Substanz. Die minimale Wirkung erhielt ich bei Zusatz 
von l ccm !/,, Normallösung auf 100 ccm Badeflüssigkeit. Mit 
dem Blute zusammen gebracht gab dieser Stoff aber Hämolyse 
und war deshalb für meine Arbeit ebenfalls nicht zu gebrauchen. 

5. Versuche mit Muscarin am nervenhaltigen Egel- 
präparat. In den Vorversuchen erwies sich das Dialysate de 
Muscarin Golaz in Zusatzmengen von 0,5 ccm 1°/,, Lösung als 
gut wirksam. Zur Zeit meiner Untersuchung war es jedoch in 
den für die Hauptversuche nötigen Quantitäten nicht erhältlich. 

6. Versuche mit Nicotinum hydrochloricum am 
nervenfreien Egelpräparat. Nicotin übt auf das nervenfreie 
Egelpräparat, wie schon Fühner gefunden hat, eine äußerst stark 
erregende Wirkung aus und hat noch den Vorteil, daß es mit Blut 
zusammengebracht, keine Hämolyse desselben hervorruft. Nico- 
tin vermag noch in Konzentrationen von 1 : 2 Millionen eine mini- 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 16 


242 H. Schaeppi: 


male Kontraktion auszulösen. Im Laufe der Hauptversuche zeigte 
es sich sehr bald, daß ich im Nicotin einen für meine Untersuchung 
sehr geeigneten Stoff gefunden hatte. Der einzige Nachteil des 
Nicotins liegt in seiner langsamen und schweren Auswaschbarkeit 
aus dem Muskelpräparat. Zuerst muß man-3—4 mal in Abständen 
von 5 zu 5 Minuten mit Ringerlösung auswaschen, dann einmal 
mit einer 3proz. alkoholischen Ringerlösung und zuletzt noch 
einmal mit einer reinen Ringerlösung nachspülen. Diese zeit- 
raubende Behandlung des Muskelpräparates zu seiner Wieder- 
herstellung wird aber reichlich aufgewogen durch die schönen und 
leicht beurteilbaren Kontraktionen, die man durch Reizungen 
mit Nicotin erreicht. Graphisch registriert sich die Erregung des 
Egelmuskels in Form eines allmählicheren oder rascheren An- 
sticges der Kurve, d. h. in einer Zunahme des Muskelstroms. Das 
Mischungsverhältnis von Nicotin und Blut wurde so berechnet, 
daß 1 ccm Mischblut 0,00005 g Nicotin enthält. Setzt man 1 ccm 
von dieser Blutmischung zu 100 ccm Badeflüssigkeit zu, so enthält 
letztere den wirksamen Stoff in einer Konzentration von 1 : 2 Mil- 
lionen. Die Untersuchungen mit Nicotin habe ich in Parallelver- 
suchen am defibrinierten und am nicht defibrinierten Blute durch- 
geführt. Die in diesen Hauptversuchen nach der Grenzwertmethode 
gewonnenen Resultate sind in den folgenden Tabellen (I—IV) 
zusammengestellt. 


Tabelle I.. | 
Frisches defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydro- 


chloricum 0,5 g einer l proz. Lösung auf 100 g Blut. 


ES 
Zusatz- | absolute Ni- 
- menge | cotiumenge won Normalblut Normalserum rer Nicotin- 
ccm | g on u serum 


— — — — — 











1,0 10,00005 1: 2000000| 0(17) XXXI |0 (21) + (89) «— + (34) 
0,75 | 0,0000375 !1: 2666666 | 0 (25) 0 (40) XXXII | + (23) — + (37) 
0,5 10,000025 |1: 4000000] 0 (30) 0 (45) + (27) «> + (42) 
0,4 |0,00002 11: 5000000) — — -| + (46) «— + (49) 
0,3 | 0,000015 |1: 6666666) — = + (52) «— + (55) 
0,2 10,00001 11:10000000| — — 0 (60) 0 (57) 


+ = die in der gleichen Querkolonne angeführte Menge Flüssigkeit 
(Nicotinblut oder Niootinserum) gab beim Zusatz zu 100 com Badeflüssig- 
keit im Versuch Kontraktion des Egelmuskels. 

0 = fehlende Kontraktion. | 

Die arabische Ziffer bedeutet die Nummer der grapbisch fixierten 
Kurve der Kontraktion. 


—r — — —__ 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 243 


Die römische Ziffer bezeichnet die Nummer des Blattes mit den ent- 
sprechenden Kurven. 

Die Zahlen in der ersten senkrechten Kolonne geben die Menge des im 
betreffenden Versuche der Badeflüssigkeit (konstant = 100 ccm) zugesetzten 
Vergleichsflüssigkeit (Normalblut, Normlaserum, Nicotinblut, Nicotinserum) 
in Kubikzentimetern an. 

Tabelle II, 


Frisches defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydro- 
chloricum 0,5 g einer l1proz. Lösung auf 100 g Blut. (Wieder- 
holung des 1. — 


u Te En EEG a En TEEN Sr STEREO EEE ENGER) 

Zusatz- | absolute Ni- K 

menge , cotinmenge irre Normalblut Nicotinblut Nicotinserum 
an 





oem € 

2,0 | 0,0001 1 : 1 000000 | 0 (67) X XXXII |O (12) -+ (64) «— + (69) 
1,0 |0,00005 11:2000000 + (73) XXXII 4— + es 
0,75 | 0,0000375 | 1: 2 666 666 — — (79) — + (82) 
0,5 10,000025 1: 4000000 — — | + (85) +— + (88) 
0,3 {0,000015 |1:6666666 — — | 001) 0 (94) 


Die Richtung der in der Tabelle beigefügten Pfeile zeigt die- 


. jenige Flüssigkeit (Nicotinblut oder Nicotinserum) an, die in dem 


Versuche mit äquidosalen Mengen die stärkere Kontraktion aus- 
löst, von den beiden Vergleichsflüssigkeiten. Beidseite gerichtete 
Pfeile bedeuten gleich starken Tonusanstieg bei Reizung mit 
gleichen Dosen von beiden Flüssigkeiten. Wir sehen aus dem Ver- 
halten der Pfeilstellungen, wie unsicher die quantitative Beur- 
teilung der Effekte durch direkten Vergleich ausfällt und müssen 
erkennen, daß erst die Grenzwertmethode uns sichere quantitative 
Schlüsse auf die Verteilung gestattet. 


Tabelle III. 


Undefibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydrochlori- 
cum 0,5 ccm einer 1 proz. Lösung auf 100 g Blut. (Gerinnungshem- 
mung erzielt durch Zusatz von 1,5g Fluornatrium auf 100 g Blut.) 







Nicotinblut Nicotinplasma 


eg — 


-+ (42) -——+(44) 
+ (46) —> + (48) 
+(54)———> + (56) 
+ (60) <——--— +4- (58) 
+(62)—————— + (64) 
minimal + (66) — minimal + (68) 
0(70) 0(72) 


16* 





244 H. Schaeppi: 


Tabelle IV. 
Undefibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nikotinum hydrochlori- 
cum 0,5ccm einer l proz. Lösung auf 100g Blut. (Wiederholung 
des Versuches in Tabelle III.) i 


Zu- | absolute ; Nor- 
satz- | Nicotin- Konzen- Normalblut mal- | Nicotinblut Nicotinplasma 
menge tration pias- 
ccm g 





menge las 

ma 
2,0 | 0,0001 |1: 1000000/0(110) XXXIX |0(112) + (122)  —— + (120) 
1,0 | 0,00005 |1: 2000000 = — +(124) III — +(126) 
0,5 | 0,000025 |1: 4000. 000 = z +(128)  —— +(130) 
0,4 | 0.00002 |1: 5000000 = — + (132) + —— + (134) 
0,3 | 0,000015 |1: 6666666 — — +(138) —— +(140) 
0,2 | 0,00001 |1: 10000000 — — Iminim.+(142) min.+— +(144) 
0,1 | 0,000005 |1 : 20000000 — — 0 (146) 0 (148) 


Sowohl beim defibrinierten Blute wie bei dem mit Fluornatrium 
versetzten Blute sind Nicotinblut und Nicotinplasma resp. Serum 
bis zu einer gewissen Zusatzmenge wirksam. Bei Versuchen mit 
den nächstniedrigeren zugesetzten Dosen werden beide Vergleichs- 
flüssigkeiten unwirksam. Dieser Untersuchungsbefund spricht 
dafür, daß gleiche Volumina Nicotinblut und Nicotinserum resp. 
-plasma, trotzdem sie beim direkten Vergleiche oft verschieden 
stark wirken, gleiche Mengen wirksamer Substanz enthalten. In 
der konstanten Menge Badeflüssigkeit ist Nicotin in gleicher Kon- 
zentration enthalten, ob wir gleiche Mengen Nicotinblut oder 
gleiche Volumina Nicotinserum resp. -plasma zusetzen. Dieses 
Verhalten auf die Fragestellung des Verteilungsproblems über- 
setzt, bedeutet, daß zugesetztes Nicotin sich gleichmäßig auf 
Blutflüssigkeit und auf Blutkörperchen verteilt. Die Blutkörper- 
chen müssen also für Nicotinum hydrochloricum permeabel sein. 
An diesem Verhalten ändert die Defibrinierung des Blutes nichts. 

7. VersuchemitCholinbromhydratamnervenfreien 
Egelpräparat. Da neuestens Cholin zu den Hormonen gerechnet 
wird, dürfen wir wohl sein Derivat, das Cholinbromhydrat, als ein 
den Hormonen sehr ähnliches oder wenigstens sehr nahestehendes 
Präparat auffassen. Die Untersuchungen mit dieser Substanz sind 
deshalb wichtig, weil sie uns vielleicht durch Analogieschlüsse etwas 
über die Verteilung der natürlichen Funktionsmittel des Körpers 
im Blute auszusagen vermögen. In den Vorversuchen hat sich das 
Cholinbromhydrat am nervenfreien Egelpräparat als gut wirksam 
erwiesen, wenn auch bedeutend schwächer als das von Fühner 


"ne — 
— —— — o | 


8 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 245 


in seiner oben zitierten Arbeit verwendete Acetylcholin. Die Vor- 
versuche ergaben als minimal wirksame Konzentration die Ver- 
dünnung von 1:12,500. Die Cholinbromhydratblutmischung 
stellte ich daher in dem Mengenverhältnis her, daß 1 ccm Cholin- 
blut 0,01 g dieses Stoffes enthielt, was bei einer Verdünnung durch 
100 ccm Badeflüssigkeit einer Konzentration von 1 : 10000 ent- 
spricht. Die Hauptversuche mit dieser Blutmischung ergaben 
mir folgende tabellarisch zusammengestellte Resultate (Tabelle 
V—VIII). 
Tabelle V. 
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Cholinbromhydrat, 
1,0 g auf 100 g Blut. 


Zu- | Cholin- Nor- 
satz menge | Konzentration Normalblut mal- 
menge : serum 


Cholinblut Cholinserum 














5 | 0,015] 1: 6666 |0(30) XXXIV |0(41) + (37) *4 (39) 
2 |0,012| 1: 8333 |0(32) 0 (45) + (43) ———— > + (47) 
‚0 | 0,01 1 :10000 — — + (49) XXXV+— + (51) 
‚10,008! 1:12500 — — + (53) ———— + (55) 
5 10,005 | 1:20000 — — + (57) ⸗4 (59) 
4 | 0,004 | 1:25000 — — + (63) ⸗46h 
‚3 10,003 | 1:33333 — — minim. + (65) minim. e—> + (67) 
‚2 | 0,002 | 1:50000 — — 0 (69) 0 (71) 


SOOO2O9O9—mmm_ 





Tabelle VI. 


Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Cholinbromhydrat, 1,0 g 
auf 100 g Blut. (Wiederholung des Versuches in Tabelle V.) 


Cholin- Nor- 
Konzentration Normalblut mal- Cholinblut Cholinserum 
* menge 
serum 
1 


10 [0 0, 7 1: 20000: 0 0000 [014 XXXVI 0 (16) + (78) =k (80) 
‚5 0,005 1: + (82) ⸗ > + (84) 
#|0,0C4| 1: 25 000 == = + (87) — ——> + (89) 
‚3 | 0,003 | 1:33333 — — |minim. + (93) minim. +— + (91) 
‚2 | 0,002 | 1:50000 — > 0 (95 0 (97) 


Der positive Ausfall eines Reizversuches stellt sich graphisch 
in Form einer mehr oder weniger rasch ansteigenden Kurve dar 
und wird in den Tabellen durch ein +-Zeichen markiert. Quanti- 
tativ lassen sich diese durch Tonusanstieg des Präparates bei 
Reizung bedingten Kurven leicht beurteilen, und zwar finden wir 
beim Vergleich analoge Resultate wie bei den Versuchen mit 
Nicotin. Normalblut und Normalplasma resp. -serum sind immer 


216 H. Schaeppi : 


Tabelle VII. Undefibriniertes Kalbsblut mit Cholinzusatz 
1,0 g/100 g (Kopfstück). (Gerinnungshemmung erzielt durch 
Zusatz von Natr. fluor. 1,5 auf 500,0 g Blut.) 


C —— —— ————— ——— — 
Zu- Cholin- Nor- 

— menge Normalblut — Cholinblut Cholinplasma 
ccm R 
1,5 10,015 |1: 6666 ;0(2) XXXVII |O (4) + (6) —— +110 
1,01; 0,01 |1: 10000 | 0 (8) 0 (12) + (14) —— + (16) 
0,5 | 0,005 | 1: 20000 + (18) —— + (20) 
0,3 0,003 1: 33 333 + (22) —— + (24) 
0,2 !0,002 |1 minimal + (26) minimal — + (28) 


: 50000 = = 
— — | minimal + (30) minimal — + (32) 
— — (XXXVII 

0,1 | 0,001 | 1:100000 — — 0 (34) 0 (36) 

Tabelle VIII. Undefibriniertes Kalbeblut mit Cholinzusatz 

1,0 g/100 g. (Wiederholung des Versuches in Tabelle VII.) 













Cholinblut 


+ (80) 





+ (78) 








0,7 10,007 + (84) —— + (86) 
0,5 10,005 + (88) —— + (W) 
0,4 :0,004 minim. + (94) minim.<— + (92) 
0,35 0,0035 minim. + (102) minim. +— + (100) 
0,3 [0,003 0 (106) 0 (104) 


unwirksam. Cholinblut und Cholinplasma resp. -serum geben bis 
zu einer gewissen Zusatzmenge deutliche Wirkung, bei Verwendung 
der nächstfolgenden geringeren Zusatzmenge werden beide Ver- 
gleichsflüssigkeiten gleichzeitig unwirksam. Dieses Verhalten be- 
weist uns sicher die gleichmäßige Verteilung des zugesetzten Cholin- 
bromhydrates auf beiden Komponenten des Blutes. Die Blutkörper- 
chen müssen also für diesen Stoff permeabel sein. Wie bei den Ver- 
suchen mit Nicotin hat die Ausfällung des Fibrins auf die Verteilung 
keinen Einfluß. Die auffallenden Unterschiede in der Größe der 
wirksamen Grenzkonzentrationensind die FolgederVerwendung ver- 
schiedener Teilstücke des Egels. Bei den Versuchen in Tabelle VII 
wurde ein Kopfstück verwendet, in den übrigen 3 Versuchen dienten 
die weniger empfindlichen Rumpfstücke als Reagenzien. 

8. Versuche mit Bariumchlorid am nervenfreien 
Egelpräparat. In meinen bisherigen Versuchen habe ich das 
Nikotin als Typus eines Alkaloides, das Cholinbromhydrat als eine 
den Hormonen sehr nahestehende Substanz auf ihre Verteilung 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 247 


im Blute geprüft. Durch die Verwendung des Bariumchlorides 
gewinne ich noch den Vertreter eines anorganischen Salzes von 
sehr stark erregender Wirkung auf die glatte Muskulatur für meine 
Untersuchung. Es fragt sich nun, ob die Verteilung dieses Salzes 
im Blute sich gleich verhält wie die des Alkaloides Nicotin und die 
des den Hormonen verwandten Cholinbromhydrates. 

In den Vorversuchen erwies sich Bariumchlorid in einer Kon- 
zentration von 1 : 40000 minimal wirksam. . Auf der Basis dieser 
Verdünnung berechnete ich das Mischungsverhältnis von Blut 
und Bariumchlorid so, daß 1 ccm Mischblut 0,00025 g Barium- 
chlorid enthält, welche Menge bei Zusatz zu 100 ccm Badeflüssig- 
keit obige Konzentration ergibt. Bariumchlorid löst sich im Blute 
sehr leicht und erzeugt keine Hämolyse. Wie beim Nicotin zeigt 
sich in den Hauptversuchen mit BaCl, eine sehr weitgehende 
Sensibilisierung des Muskelpräparates gegen den wirksamen Stoff 
durch häufige Reizversuche, so daß sich in den Hauptversuchen 
oft sogar Konzentrationen von 1 : 200000—400000 noch erregend 
wirksam erweisen. Die Wirkung des Bariumchlorides auf den 
glatten Muskel weicht graphisch von der des Nicotins und des 
Cholinbromhydrates ab, indem Bariumchlorid neben dem all- 
mählichen Tonusanstieg noch kleine rhythmische Einzelzuckungen 
auszulösen vermag. Höhere Konzentrationen vermögen sogar 
- maximale Kontraktion des Präparates hervorzurufen. Bei der Be- 
urteilungdes Effektes habe ich alle3 Formen von Erregungsäußerung 
berücksichtigt. In den nächstfolgenden tabellarischen Zusammen- 
stellungen der Versuchsergebnisse bedeutet das erste + - Zeichen 
das Vorhandensein einer maximalen Kontraktion des Muskels, das 
zweite +-Zeichen die rhythmischen kleinen Einzelzuckungen, 
das dritte + -Zeichen das Vorhandensein eines Tonusanstieges. 


Tabelle IX: Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Barium- 
chlorid 0,25 g BaCl, auf 100 g Blut. 












Konzentration 
im Blut BaCl,Serum 


: 40000 - +++ (9) 


( 1 
0,7 0++(12) | 1: 57141 «— 0++ (14 
0,5 0++(16) | 1: 80000 —— 0++ (18 
0,3 0+0(20) | 1:133000— 0+ + (22) 
0,2 000 (26a) | 1:200000—> 0+ + (26) 
0,15 — — 0++ 8 
D,1 000 (30) | 1:400000<«—» 000(28 


248 H. Schaeppi: 


Tabelle X. 
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Bariumchlorid 0,25 g 


BaCi, auf 100 g Blut. 
(Wiederholung des Versuches in Tabelle IX.) 


Zusatz- — en = = —— —— 
Normal- Konzentration 
= Normalblut ie- | BaC1,-Blut | ne * BaC1,-Serum 

















1,0 |000 (32) XLI | 000 (34) | — (38) |1: 40000— 0++ (40) 
0,7 — | O+- (42) XLII; 1: 57141 — 0++ (44) 
0,5 | — — J+ +5- (46) 1: 80000 «-— + + + (48) 
0,3 — — [+++ 60) 1 : 133 333 — + + + (52) 
0,25 = — 000 (72) 1: 160000 «—> 0+ + (70) 
0,2 — — 000 (58) 1: 200000 — + + + (64) 
0,15 — — — 0+0 (68) 
0,1 — — 000 (54) |1:4000004—> 000 (56) 
Tabelle XI. 


Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Bariumchlorid 0,25 g 
BaCl, auf 100 g Blut. 
(Wiederholung des Versuches in Tabelle IX.) 

















Zusatz- 

menge | "det | serum IE BaCl„Blut | bel Blutausata  BeChSerum 
1,0 Co loom | | 0+@ 6) | 1: 4000 —0+@ m 
0,5 | | 049 (9| 1: 80000 — 0+ (11) 
o4 — | = | 0+@(13) | 1:100000— 0+0) 21) 
03 — — | | @AD| 1:1830 — 0+6 09 
02 — 000 (29) | 1 : 200 000 — 0+0 (27) 

05: | — | 000 (33) | 1 : 266666 — 0+0 (31) 

ol 0 - | — 000 (23) | 1: 400000 «— 000 (25) 


Tabelle XII. 


Nicht defibriniertes Kalbsblut mit Bariumchloridzusatz (Kopf- 
stück), 0,25 g auf 100 g. (Gerinnungshemmung durch Zusatz von 
Fluornatrium 1,5 g auf 500,0 Blut.) 


Zusatz- | 
menge | Normalblut | Normal. BaCı,-Blut | Konzentration BaCı,-Flasma 




















— | plasma | bei Blutzusatz 
40° (00043) XLIV Voas ++44) |: 10000—> 444 (49) 
20 — |+++61) 1: 20000 — + + + (53) 
1,2 — — |++4+(55) 1: 33333 «— + + + (57) 
0,4 — — (H++1(59) l: 100000 — ++ + (61) 
02 | — — | 04+@X63) XLVIL: 200000 — + +@X65) 
ol — — | 0+&67) 1: 400000 — + + + (69) 
0,05 | — = 00071) 1: 800000 —> + +-0 (73) 
0,025! — —— 00077) 1: 1600000 000 (79) 


Permeabilität der Zellen und Gewebe. VII. 249 


Tabelle XIII. Nicht defibriniertes Kalbsblut mit Bariumchlorid- 

zusatz (Kopfstück), 0,25 g auf 100g. (Gerinnungshemmung durch 

Zusatz von Fluornatrium 1,5 g auf 500,0 Blut.) (Wiederholung 
des Versuches in Tabelle XII.) 





























Normal- Konzentration 

a Normalblut plasma BaCl,-Blut bei Blutzusatz BaC1,-Plasma 
1,0 000 (1) XLIII 000(3) | O++ 6) | 1: 40000 -— 0++ (7) 
0,7 — — 0++ (9) | 1: 57141 — +++ (11) 
0,5 — — | +++(13)| 1: 80000 — +++ (17) 
0,4 = — 0++(23) | 1:100000 — +++ (21) 
0,3 — = 0+ + (25) | 1:133333 — 0+ + (31) 
0,2 = = 000 (27) | 1:200000 — 

0,15 = | u 000 (37) | 1:266666 —> 0+ + (33) 
0,1 — _ — — — 000(39) 


Die Richtung der Pfeile zeigt diejenige Flüssigkeit an, die, in 
gleicher Menge zur Badeflüssigkeit zugesetzt, stärker wirkt als 
ihre Vergleichsflüssigkeit. 

Die Betrachtung der Tabellen IX— XIII ergibt uns ein ab- 
weichendes Resultat von demjenigen, das wir bei den Versuchen mit 
Nicotinum hydrochloricum und mit Cholinbromhydrat gefunden 
haben. Schon der bloße direkte quantitative Vergleich der Wir- 
kungen gleicher Mengen Mischblut und Mischserum resp. -plasma 
zeigt, daß in den meisten Fällen, wenn auch nicht durchgehend, 
das letztere stärker wirkt als das erstere. Bei der Prüfung mit der 
Grenzwertmethode tritt dieser Wirkungsunterschied unzweifel- 
haft zutage. Mischserum resp. -plasma ist noch in Mengen erre- 
gend wirksam, in denen das Mischblut keinen Effekt mehr gibt. 
Der Befund beweist, daß im Bariumchloridserum resp. -plasma 
die Konzentration von BaCl, größer ist als im Bariumchloridblut. 
Die wirksame Substanz muß sich also ungleich auf die Blutflüssig- 
keit und die corpusculären Elemente verteilt haben. Wenn wir 
bedenken, daß die Blutkörperchen 50%, des Gesamtvolumens des 
Blutes ausmachen, was wir leicht vermittels der Hämokritmethode 
feststellen können, können wir aus der Größe der Grenzwerte der 
minimal wirksamen Mengen beider Vergleichsflüssigkeiten das ge- 
naue Verteilungsverhältnis leicht berechnen. Bei den Versuchen in 
TabellenIX,X,XI, XII beträgt die minimal wirksame Zusatzmenge 
des Mischserums, resp. des -plasmas 0,15 ccm, diejenige des BaCl,- 
blutes 0,3ccm, in dem Versuche auf Tabelle XII (Kopfstück des 
Egels) 0,05 ccm Bariumchloridplasma und 0,1 ccm Bariumchlorid 


250 H. Schaeppi: Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 


blut. Das Mischblut ist also immer erst in doppelt so großer Menge 
minimal erregend wirksam als das Mischserum resp. -plasma. Das 
letztere enthält also das BaCl, in doppelt so großer Konzentration 
wie das erstere. Unter der Voraussetzung, daß die Blutkörperchen 
50%, des Gesamtvolumens des Blutes ausmachen, beweist uns dieses 
Untersuchungsergebnis, daßdasdem BlutezugesetzteBariumchlorid 
sich bloß auf die Blutflüssigkeit verteilt. Die Blutkörperchenver- 
halten sich in diesem Falle im Gegensatze zu Nicotinund Cholinbrom- 
hydrat für dieses Salz impermeabel. Auch in den Bariumchloridver- 
suchen hat die Defibrinierung des Blutes keinen Einfluß auf die Ver- 
teilung im Blute. 

Zusammenfassung. 

l. Die vorliegende Arbeit hat eine einfache und brauchbare 
biologische Untersuchungsmethode für die Frage der Verteilung 
von Hormonen und pharmakologischen Stoffen im Blutplasma 
resp. Blutserum und in den Blutkörperchen ergeben. 

2. Die Art der Verteilung von Bariumchlorid, Nicotinum 
hydrochloricum und von Cholinbromhydrat im Blute ist unab- 
hängig davon, ob diese Stoffe dem durch Schlagen defibrinierten 
oder dem durch Zusatz von Fluornatrium vor Fibringerinnung 
geschützten Blutes zugesetzt werden. 

3. Für Bariumchlorid als Vertreter eines anorganischen Salzes 
sind die Blutkörperchen impermeabel; das dem Blute zugesetzte 
Bariumchlorid verteilt sich nur auf das Blutplasma resp. Blutserum. 

4. Im Gegensatz dazu verteilen sich Nicotinum hydrochlo- 
ricum als Typus eines Alkaloides und Cholinbromhydrat als Re- 
präsentant eines Hormones gleichmäßig auf die Blutflüssigkeit und 
auf die corpusculären Blutbestandteile. Die Blutkörperchen sind 
also für diese 2 Stoffe permeabel. 

5. Das Verhalten des Cholinbromhydrates in bezug auf seine 
Verteilung im Blute läßt darauf schließen, daß die Hormone im 
Organismus auch in die Blutkörperchen eintreten können. 





Literatur. 


Fühner, Die chemische Erregbarkeitssteigerung glatter Muskulatur. 
Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 82, 51. — Fühner, Ein Vorlesungs- 
versuch zur Demonstration der erregbarkeitssteigernden Wirkung des 
Physostigmins. — Hedin, Grundzüge der physikalischen Chemie in ihrer 
Beziehung zur Biologie. Wiesbaden 1915. — Höber, Physikalische Chemie 
der Zellen und Gewebe. Leipzig 1914, S. 349. 


Über den bakteriellen Abbau des 1-Leucins. 


Von 


Minoru Aral. 
(Aus dem Sasaki-Laboratorium im Kyoundo-Hospital zu Tokio.) 
(Eingegangen am 27. Juni 1921.) 


Die exakte Erforschung des bakteriellen Abbaus von Eiweiß- 
körpern ist dank neueren Ergebnissen wiederbelebt worden. 
Besonders erweckten physiologisch wirksame Abbauprodukte, 
namentlich die sogenannten proteinogenen Amine, ein regeres 
Interesse, so daß in neuerer Zeit einige Monographien hierüber 
erschienen sind!). | 

Nachdem man früher Bakteriengemische auf die Eiweiß- 
körper hatte einwirken lassen und nach den verschiedenen Ab- 
bauprodukten mühevoll gesucht hatte, ging man später dazu 
über, einzelne reingezüchtete Bakterien und reine Aminosäuren 
in eiweißfreien Nährlösungen zu verwenden und so nach erwar- 
teten Abbauprodukten konsequent zu fahnden. Dabei hat sich 
nun herausgestellt, daß nicht nur die Arten der Bakterien, sondern 
auch andere Bedingungen auf die Bildung verschiedentlicher 
Abbauprodukte einen großen Einfluß haben?). Durch solche 
Untersuchung könnte man auf das dunkle Gebiet des Chemismus 
der Darmflora ein Licht werfen und weiterhin zur Frage der 
intestinalen Autointoxikationen einen exakten Beitrag liefern?). 


1) Vgl. Barger, Simpler Natural Bases. London 1914; Hirsch, 
Die Einwirkung von Mikroorganismen auf die Eiweißkörper. Berlin 1918; 
Guggenheim, Biogene Amine. Berlin 1920. 

2) T. Sasaki, Journ. of biol. chem. 32, 527. 1917; vgl. auch K. Hirai, 
` diese Zeitschr. 114, 71. 1921. 

3) Vgl. T. Iwao, diese Zeitschr. 39, 436. 1914; Acta schol. med. 
univers. Kioto 1, 263. 1916. — C. Asayama, ebenda 1, 115. 1916. — 
M. Kageyama, ebenda I, 215. 1916. — Derselbe, ebenda 1, 229. 1916. 


252 M. Arai: 


Über die bakterielle Zersetzung des Leucins hat Nawiask y!) 
einige Versuche mit Proteusbacillen ausgeführt. Er hat dabei 
Capronsäure, Valeriansäure und Buttersäure gewonnen. Es geht 
aus dieser Arbeit aber nicht hervor, ob er mit synthetischem 
Leucin oder mit einem durch Isoleucin gemischten Hydrolysen- 
produkt gearbeitet hat. Frühere Angaben über bakterielle Zer- 
setzungsprodukte des Leucins beziehen sich auf Untersuchungen 
mit Bakteriengemischen. So hatten Bopp?) und Nencki’) aus 
Fäulnisgemischen von Fibrin bzw. Pankreas mit Leucin Valerian- 
säure isoliert und sie als ein Zersetzungsprodukt des Leucins 
angesprochen. Neubergt) hat aus reinem synthetischen d-Iso- 
leucin durch Fäulnis optisch aktive d-Valeriansäure und d-Capron- 
säure dargestellt. Außerdem wurde aus Eiweißfäulnisprodukten 
Isoamylamin isoliert, dessen Bildung aus Leucin in Anbetracht 
der chemischen Verwandtheit theoretisch angenommen wurde?). 
Dieses Amin kommt auch in der Natur als ein Pflanzenprodukt 
vor?) Eigentümlicherweise wurde das Amylamin noch nicht 
experimentell direkt aus Leucin mittelst eines Mikroorganismus 
gewonnen. Auf Veranlassung von Prof. Takaoki Sasaki habe 
ich nach der neueren Methode, die in unserem Laboratorium 
üblich ist, die bakteriellen Abbauprodukte des Leucins näher zu 
erforschen versucht. 

Zuerst wurden die Versuche unter der Bedingung der &-Oxy- 
säurenbildung, d. h. unter Verwendung eines Puffers und von 
Aluminiumphosphat angestellt. Solche Umwandlungen alipha- 
tischer Aminosäuren waren bis jetzt noch nicht geglückt. Dabei 
war in Betracht zu ziehen, daß die dabei entstehenden Zersetzungs- 
produkte labil sein und einer weiteren Zersetzung anheimfallen 
konnten. 

Eine dem Leucin entsprechende Oxysäure, nämlich Leucin- 
säure, ist bis jetzt weder als ein Spaltprodukt des Leucins bei der 
Bakterieneinwirkung, noch bei der Eiweißfäulnis aufgefunden 
J 1) Nawiasky, Arch. f. Hyg. 66, 209. 1908. 

2) Bopp, Liebigs Ann. d. Chem. 69, 16. 1849. 

3) Nencki, Opera Omnia 1, 204. Braunschweig 1904. 

t) Neuberg, diese Zeitschr. 3%, 501. 1911. 

5) Literatur siehe bei G. Barger, Ł c., S. 13 und P. Hirsch, l. c., S. 34. 

¢) G. Barger und H. H. Dale, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 


61, 113. 1909. — Cia mician und C. Ravenna, Atti R. Accad. dei Lincei, 
Roma 20 (5), 1, 614; Ref. Chem. Centralbl. 2, 293. 1911. 


Bakterieller Abbau des l-Leucins. 253 


Die Entstehung von Isoamylalkohol aus Leucin hatte Ehrlich!) 
folgendermaßen zu erklären versucht; es sollte zuerst aus dem 
Leucin Ammoniak abgespalten werden und intermediär Leucin- 
säure auftreten. Diese sollte aber sofort bei ihrer Entstehung 
nach dem Schema 


CH;\ 


CH’SCH - CH,CH (OR) - COOH + CH’SCH - CH, - CHO 
3 


CH,/ 

H-COOH 
in Valeraldehyd und Ameisensäure zerfallen und der Valeraldehyd 
dann in Amylalkohol und vielleicht zum Teil durch Oxydation 
in Valeriansäure übergeführt werden. Leucinsäure konnte er als 
Zwischenprodukt jedenfalls nicht isolieren. Der Weg bei der 
Gärung führt aber überhaupt nicht über die Oxysäure, sondern 
über die Ketosäure, die unter Carboxylaseeinwirkung Valeralde- 
hyd und weiter das Fuselöl liefert [Neuberg und Mitarbeiter?)]. 

Ich konnte jene Oxysäure aus Leucin durch die Einwirkung 
von Proteus- und Subtilisbacillen isolieren. Es stellte sich dabei 
auch interessanterweise ein optisch differenter Abbau heraus; 
es wird nämlich d - Leucinsäure bei der Einwirkung von Proteus 
und l- Leucinsäure bei der Einwirkung von Subtilis gebildet. 

Auf chemischem Wege läßt sich l- Leucinsäure mittels 
salpetriger Säure aus l-Leucin darstellen?). Da Leucin in der 
Natur als l-Form auftritt, so ist auch Leucinsäure begreif- 
licherweise in l-Form leicht zugänglich. d-Leucinsäure läßt 
sich dagegen nur schwer gewinnen, da d-Leucin in der Natur nicht 
vorkommt und auf umständlichen Wegen hergestellt werden muß. 
d-Leucinsäure kann man auch durch Waldensche Umkehrung 
aus l-Leucinsäure erhalten) ®. Wenn man dagegen Bakterien 
zu Hilfe nimmt, so kann man d-Leucinsäure bequemer mittels 
der Proteusbacillen aus dem natürlich vorkommenden Il-Leucin 
darstellen. In Anbetracht der einfachen Technik und der guten 
Ausbeute darf man wohl diese Methode auch zur Darstellung 
empfehlen. 


1) Ber. 40, 1027. ‚1907. 

2) Diese Zeitschr. 52, 494. 1913; 59, 188. 1914; 67, 32. 1914; 71, 
122. 1915. 

3) F. Röhmann, Ber. 30, 1981. 1897. 

4) H. Scheibler und A. S. Wheeler, Ber. 44, 2684. 1911. 

5) S. Kodama, Journ. Tokyo chem. soc. 40, 825. 1919. 


254 M. Arai: 


Nach Sasakis Untersuchung werden verschiedene cyclische 
Aminosäuren durch die Einwirkung von Proteusbacillen decarb- 
oxyliert, und es entsteht dabei ein um ein Kohlenstoffatom ärmeres 
Amin, wenn durch Zusatz von Milchzucker eine Anhäufung von 
Wasserstoffionen in der Nährlösung begünstigt wird!). Ich arbei- 
tete unter denselben Bedingungen und konnte dabei Isoamyl- 
amin isolieren. 


Experimenteller Teil. 
I. Die Entstehung von Leueinsäure ans l-Leucin. 


A. Versuch mit Proteus vulgaris. 


Die Nährlösung war (nach Sasaki) folgendermaßen zu- 
sammengesetzt: 


Kaliumchlorid . . . . 2. 222220220 1,0g 
Ammoniumchlorid . . .. 2 2 2 2 20. 1,0, 
Magnesiumsulfat . . . . 2 2 2 2 2 0220 0,1, 
Glycerin 2, 2 WE a a t a a T a 25,0 com 


Hendersonsche Phosphatmischung®) . . 170 „ 
Mit Wasser auf 1000 oom aufgefüllt. 

Das rohe l-Leucin (aus Eiweiß des Weizenmehls) befreite ich 
möglichst von Isoleucin als Kupfersalz durch die Extraktion 
mit heißem Methylalkohol. 

In einem vorher trocken sterilisierten, kurzhalsigen Kolben 
von 1 Liter Inhalt trug ich 800 ccm Nährlösung mit 2,0 g l-Leucin 
und 0,5 g Aluminiumphosphat ein und versetzte nach der Sterili- 
sation im Dampftopf mit 20 Agarkulturen von Proteus. 5 Kolben, 
d. i. 10,0 g l-Leucin wurden zunächst aufgearbeitet; die Verweil- 
dauer im Brutschrank (37°) war 22 Tage. Nach Feststellung der 
bakteriologischen Reinheit wurden sämtliche Flüssigkeiten unter 
vermindertem Druck abdestilliert. Der sirupöse Rückstand mit 
heißem Alkohol mehrmals erschöpfend extrahiert. Der Alkohol 
wurde von neuem unter vermindertem Druck abgetrieben. Die 
wässerige Lösung des letzten Rückstandes wurde nach Ansäuern 
mit verdünnter Schwefelsäure erschöpfend mit Äther extrahiert. 
Die ätherische Lösung, welche stark nach Isovaleriansäure roch, 
wurde abgedampft, der Rückstand in wenig Wasser gelöst, mit 
verdünnter Natronlauge neutralisiert und mit einer basischen 


1) T. Sasaki, Journ. of biol. chem. 32, 527. 1917. 
2) I. Otsuka, diese Zeitschr. 114, 84. 1921. 


Bakterieller Abbau des 1-Leucins. 255 


Kupferacetatlösung gefällt!). Nach Entfernung des Kupfers 
mittelst des Schwefelwasserstoffes wurde das klare Filtrat wieder- 
um mit verdünnter Schwefelsäure stark angesäuert und von 
neuem mit Äther extrahiert. Nach Abdampfen des Äthers schieden 
sich federartig angeordnete schöne nadelförmige Krystalle aus. 
Sie wogen 3,95 g (ca. 40%, der Theorie). Die rohe Substanz schmolz 
bei 66° (unkorr.). Nach der Umkrystallisation aus Benzol schmolz 
sie bei 74° (unkorr.). Die wässerige Lösung, welche in 10,0 ccm 
0,4665 g aus Wasser umkrystallisierter Substanz enthielt, drehte 
bei 12,5° und im 1 dm-Rohr um 0,5° nach rechts. Mithin 
[a] 3 = +10,72°. 


0,1818 g Substanz : 0,2682 g CO, und 0,1138 g H,O. 
CeHı203: Ber. C 54,51, H 9,16%. 
Gef. 54,30, 9,45%. 


Der Rückstand der sauren Extraktion wurde mit verdünnter 
Natronlauge vorsichtig bis zu fast neutraler Reaktion neutralisiert 
und dann unter Zusatz von gesättigter Natriumcarbonatlösung 
stark alkalisch gemacht. Die alkalische Lösung von neuem mit 
Äther extrahiert. Nach der Extraktion mit Äther wurde der 
Auszug mit trockenem Natriumsulfat getrocknet, dann auf ein 
kleines Quantum eingeengt und mit ätherischer Oxalsäurelösung 
gefällt. Der Niederschlag wog 0,15g, schmolz bei 145—155° 
(unkorr.) in einem zugeschmolzenen Capillarrohr und war stick- 
stoffhaltig lch konnte ihn aber wegen der geringen Menge weiter 
nicht charakterisieren. 

Der ganze Versuch wurde noch einmal mit 8,0g l-Leucin 
wiederholt und zwar mit beinahe demselben Resultate. 


B. Versuch mit Bac. subtilis. 

Unter ganz denselben Versuchsbedingungen wie beim vorigen 
Versuche ließ ich die Kultur von Bac. subtilis auf 10,0 g l-Leucin 
30 Tage lang einwirken. Durch dieselbe Art der Bearbcitung 
konnte ich 2,3g rohe Leucinsäure in Krystallform gewinnen. 
Diese schmolz unscharf zwischen 76—78° (unkorr.). Nach mehr- 
maliger. Umkrystallisation aus Wasser schmolz sie scharf bei 
77° (unkorr.). 1,2418g der reinen, im Vakuumexsiccator ge- 


1) Vgl. T. Sasaki und I. Otzuka, Über den Abbau des l-Tryptophans 
durch Proteusbakterien. Diese Zeitschr. 121, 167. 1921. 


256 M. Arai: 


trockneten Substanz drehte bei 12° und im 1 dm-Rohr um 1,25° 
nach links. Mithin [a]5 = — 10,30°. 
0,1306 g Substanz: 0,2607 g CO, und 0,1082 g H,O. 

C,H,.03: Ber. C 54,51, H 9,16°%. 

Gef. 54,44, 9,27%. 

Beim zweiten Versuch wurde aus 10,0g l-Leucin 1,05g 
rohe l-Leucinsäure gewonnen. Der Aufenthalt im Brutschrank 
war dabei 23 Tage. 


II. Die Isolierung von Isoamylamin aus l-Leucin durch Proteus. 
Die dabei gebrauchte Nährlösung hatte folgende Zusammen- 
setzung: 


Natriumchlorid . . . 222 22220. 5,0 8 
Kaliumbiphosphat . . . .. 2.22 2.0. 2,0 „ 
Ammoniumcarbonät . . . . 2 2 e à 1,0 „ 
Magnesiumsulfat . . . . 2. 2 2 2 220. 0,1, 
Glyoerinn. 25,0 ccm 
Milchzucker w a s 2 2.22% = 37% 1,0 g 


Mit Wasser auf 1000 ccm gefüllt. 


In einem 1 Liter fassenden Kolben trug ich 800 ccm Nähr- 
lösung mit 0,5 g frisch gefälltem, feuchtem Uranylphosphat und 
2,0 g l-Leucin ein. Ich arbeitete auf einmal mit 5 Kolben resp. 
10,0 g l-Leucin. Nach der Sterilisierung im Dampftopf versetzte 
ich jeden Kolben mit je 20 Agarkulturen von Proteus vulgaris 
und ließ 18 Tage im Brutschrank stehen. Nach Konstatierung 
unveränderter bakteriologischer Reinheit wurde der vereinigte 
Inhalt aller Kolben unter vermindertem Druck abdestilliert. 
Nach der erschöpfenden Extraktion des Rückstandes mit Aceton 
wurde Aceton abgedanıpft. Die wässerige Lösung des letzten 
sirupösen Rückstandes wurde sodann nach Ansäuerung im 
Kumagawa-Sutoschen Flüssigkertsextraktor mit Äther aus- 
gezogen. Der wässerige Extraktionsrückstand wurde mit ver- 
dünnter Natronlauge vorsichtig bis zur schwach sauren Reaktion 
neutralisiert, dann mit einer gesättigten Sodalösung stark alka- 
lisch gemacht und weiter mit Äther extrahiert. Ich konnte dabei 
nur 0,2 g l-Leucin zurückgewinnen. 

Aus dem sauren Extrakte konnte keine definierbare Substanz 
außer Bernsteinsäure (sehr reichlich: 4,8 g) isoliert werden. 

Die ätherische Lösung der bei alkalischer Reaktion extra- 
hierten Substanzen wurde mit wasserfreiem Natriumsulfat ge- 


Bakterieller Abbau des }-Leucins. 257 


trocknet, stark eingeengt und hierauf mit einer gesättigten 
ätherischen Oxalsäurelösung gefällt. Isoamylamin wurde dabei 
als Oxalat niedergeschlagen. Es wog 0,6g und schmolz bei 145 
bis 155° (unkorr.). Das Oxalat wurde in verdünnter Salzsäure 
aufgelöst und mit Äther behandelt. Isoamylamin wurde sodann 
als Piatindoppelsalz in goldgelben Blättchen niedergeschlagen. 
Sie verfärbten sich bei 210° und zersetzten bei ca. 247° (unkorr.). 
Zur Analyse wurde die Substanz aus verdünntem Alkohol um- 
krystallisiert. 

Substanz 0,1023 g: 0,0342 g Pt. 

Substanz 0,1090 g: 4,8ccm N (19,5°, 748,6 mm). 
(C,H „N : HC1),PtCl,: Ber. Pt 33,41. N 4,80%. 

Gef. 33,43, 5,06%. 

Die Wiederholung des Versuchs ergab dasselbe Resultat. 


Biochemischs Zeitschriit Band 122. 


Über den Gehalt der roten Blutkörperchen an Trauben- 
zucker und Chlor. 


Von 
M. Bönniger. 


(Aus der Inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses 
in Berlin-Pankow.) 


(Eingegangen am 27. Juni 1921.) 


Falta und Quittner!) haben in sehr zahlreichen Versuchen 
den Nachweis zu führen gesucht, daß Traubenzucker, Kochsalz und 
verschiedene andere Substanzen nicht in die normalen Blutkörper 
eindringen. Erst Schädigung derselben in vitro sollen die Permea- 
bilität ändern. Diese Ergebnisse konnten bisher von keinem Autor 
bestätigt werden[Ege,Hagedorn,Andresen,E.J.Warburg?)). 

Was zunächst den Traubenzucker betrifft, müßte im normalen 
menschlichen Blut der Zuckergehalt des Plasmas, das Volumen 
der Blutkörperchen von 45°, als normal angesehen, fast doppelt 
so hoch sein, wie im Gesamtblut. Ich?) habe im Jahre 1908 als 
erster auf die große Bedeutung der Frage der Verteilung des 
Zuckers auf Plasma und Blutkörperchen für die klinische Unter- 
suchung hingewiesen und zum erstenmal die Forderung auf- 
gestellt, daß man das’ Serum untersuchen müsse. Indessen hat 
sich herausgestellt, daß diese Differenzen des Zuckergehalts von 
Blutkörperchen und Scrum nicht so erheblich sind, daß im 
allgemeinen die Untersuchung des Gesamtblutes zu falschen 
Ergebnissen führte. Viel tausendfache Untersuchungen haben 
gezeigt, daß der Gesamtblutzucker des Menschen recht konstant 
ist. Wären im strömenden Blut die Blutkörperchen zückerfrei, 
so würde diese Konstanz nur möglich sein, wenn der Plasma- 
zuckergehalt dem Plasmavolumen annähernd proportional wäre. 

Ich habe in vielen hundert Serumuntersuchungen (spontan 
geronnenes und möglichst schnell zentrifugiertes Blut) beim 


i) Diese Zeitschr. 100 u. 114. 
23) Diese Zeitschr. 107. 
3) Berl. klin. Wochenschr. 1908. Die Arbeit Hollingers ist eine 


Abwehr der meinigen. 


M. Bönniger: Gehalt d. roten Blutkörperch. an Traubenzucker u. Chlor. 259 


normalen Menschen kaum höhere Werte gefunden, als sie für das 
Gesamtblut angegeben werden. | 

Endlich habe ich in zahlreichen vergleichenden Untersuchungen 
unter den verschiedensten Bedingungen: Hirudinplasma, Fluor- 
natriumplasma, spontan abgeschiedenes oder auch durch Defibri- 
nieren mittels Glasstab gewonnenes Serum nur ganz unerhebliche 
Differenzen des Zuckergehalts gefunden. 

Ein paar Versuche bei diabetischem Blut führe ich an (Mikro- 
methode Michaelis): 


Titrationswerte 
I II 

Hirudin 2,2 1,75ccm ?!/,00-Kaliumpermanganatlösung 

99 2,1 1,87 2] 29 
Defibrin. 2,2 1,85 „ rn 

29 2,3 1,9 2 „ 
Spontan 2,1 1,80 „ j 

n 22 1,85 „ F 

1,83 „ F 


Was nun das Chlor betrifft, so wäre ja hier der Fehler nicht 
so erheblich, da auch nach meinen Untersuchungen der Chlor- 
gehalt der Blutkörperchen nur gering ist. Er schwankt etwa 
zwischen 0,21 und 0,121). Auch hier habe ich wiederholt ver- 
gleichende Untersuchungen an Hirudinplasma und verschieden 
gewonnenem Serum gemacht. Mein Mitarbeiter Meyer - Bisch 
hat solche veröffentlicht?). Es konnten nur unbedeutende und 
nicht konstante Unterschiede gefunden werden. Hätten Falta 
und Quittner recht, so müßte bei einem Blutkörperchen- 
Cl-Wert von 0,17%, und einem Serum-Cl-Wert von 0,38, wie es nach 
meinen Untersuchungen dem Mittel entspricht, und einem Blut- 
körjerchenvolumen von 50%, der Cl-Wert des Plasmas 0,55 sein 
statt 0,38. Es müßte ferner auch hier eine Abhängigkeit des 
Serum-Cl-Wertes vom Volumen erkennbar sein?). Von alledem ist 
keine Rede und für die Lehre Faltas und Quittners findet sich 
nicht der geringste Anhalt. 


1) Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 1912 u. 1919. Entgegen den 
Angaben von Snapper (diese Zeitschr. 51) und Siebeck (Arch. f. exp. 
Pathol. u. Pharmakol. 85) fand ich kein konstantes Verhältnis zwischen 
Blutkörperchen- und Serum-Cl. 

2) Ebenda 1919. 

3) cf. die Cl-Kurve (Abb. 4), l. c. 1919. 


177 


Zur Kenntnis der Gewöhnung. V. 


Entwöhnungsversuche. 


Von 
Johannes Biberfckd. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Breslau.) 
(Eingegangen am 30. Juni 1921.) 


Die Versuche, über die hier berichtet werden soll, sind bereits 
im Jahre 1915 begonnen worden; infolge der Ungunst der Zeit 
mußten sie, die schon ihrer Natur nach längere Zeit erforderten, 
oft unterbrochen werden. Und auch jetzt kann ich noch keine 
in jeder Richtung abschließenden Ergebnisse bringen, möchte aber 
doch mit der Veröffentlichung nicht länger warten, da ich einige 
positive, auch theoretisch interessante Resultate erhalten habe. 

In der Literatur habe ich keine Angaben über Versuche gefun- 
den, die auf eine experimentelle Unterbrechung experimen- 
tell erzeugter Gewöhnung abzielten; in gewissem Sinne ge- 
hört ja z. T. die gesamte Arzneibehandlung hierher, die man bei der 
medizinalen Bekämpfung der Morphinsucht angewendet hat, 
vor allem wohl haben die ersten Befürworter des Cocains als 
eines Entwöhnungsmittels von seiner scheinbar erregenden Wir- 
kung einen antagonistischen Einfluß auf die Morphindepression 
erwartet. Wie falsch die theoretischen Voraussetzungen waren, 
die zu dieser Empfehlung führten, zeigt am besten der traurige 
Erfolg, den sie bei der Krankenbehandlung gehabt hat. Und 
noch weniger experimentell begründet war die Anwendung 
der Belladonna und ihrer Alkaloide als Antidot bei Morphinis- 
mus!). — Theoretisch vielleicht besser gestützt, wenn auch allzu 
schematisch, waren die Versuche, mit Hilfe eines von gewöhnten 


1) Vgl. diese Beiträge II, Über dio Spezifität der Morphingewöhnung. 
Diese Zeitschr. 77, 283. 


Joh. Biberfeld: Gewöhnung. V. 261 


Tieren gewonnenen Serums die Gewöhnung aufzuheben; zu siche- 
ren Ergebnissen haben ja diese Bestrebungen nicht geführt. 
In neuester Zeit, als meine Versuche größtenteils schon ab- 
geschlossen waren, ist bezüglich der Frage der sog. Chinin- 
gewöhnung einiges hierher Gehörige veröffentlicht worden. Unter 
Chiningewöhnung versteht man bekanntlich die Erscheinung, 
daß das Chinin bei vielen Malariakranken nach längerer Zufuhr 
seine spezifische Wirkung auf die Malariaplasmodion einbüßt, und 
das wird darauf zurückgeführt, daß die Parasiten infolge der Ent- 
wicklung der aufeinanderfolgenden Generationen im chininbelade- 
nen Medium eine gewisse Festigkeit gegen das Alkaloid erwerben. 
Bilfinger (s. b.Neuschlosz) hat nun schon 1911 festgestellt, 
daß es gelingt, durch Salvarsan die Chininfestigkeit eines Malaria- 
stammes zu unterbrechen. 1919 hat Neuschlosz!) versucht, ob 
auch mit Arsenik dasselbe Resultat zu erzielen ist: Er stellte die 
Giftigkeit von Na. arsenicos. für normale Paramäcien, die in Heu- 
jauche kultiviert waren, fest; in dieser Weise als unwirksam be- 
fundene As-Konzentrationen der Kulturflüssigkeit waren nun in 
seinen Versuchen imstande, die Chininfestigkeit zu brechen, d.h. in 
dünnen Chininlösungen gezüchtete Paramäcien wieder annähernd 
so empfindlich gegen Chinin zu machen wie normale. Er glaubt 
auch analytisch feststellen zu können, daß gewöhnte Paramäcien 
Chinin in höherem Masse zerstören als normale. Auffallend ist, 
daß Neuschlosz keine Angaben darüber macht, wie die Kom- 
bination von Arsenik und Chinin auf normale Paramäcien 
wirkt; wenn man hierbei, was ja nicht unwahrscheinlich ist, 
fände, daß auch hier eine für sich allein unwirksame As-Konzen- 
tration eine für sich ebenfalls unwirksame Chininlösung giftig 
macht, dann würde es sich natürlich in seinen Versuchen an 
gewöhnten Paramäcien um eine einfache Summierung der toxi- 
schen Wirkung, nicht um ein ‚„Brechen‘‘ der Gewöhnung handeln. 
Der Grundgedanke, von dem ich in allen meinen Versuchen 
ausging, war folgender. Die Morphinfestigkeit gewöhnter Tiere 
wird, nachdem die Hypothese der Mehrzerstörung jetzt an- 
scheinend wenigstens von Pharmakologen endgültig aufgegeben 
ist, wohl allgemein als eine veränderte Reaktionsfähigkeit der 
für das Alkaloid empfindlichen Organe angesehen. Demgemäß 
war, wenn man die Gewöhnung unterbrechen wollte, ein Erfolg 


1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 176, 223. 


262 Joh. Biberfeld: 


nur von Maßnahmen zu erwarten, die gerade eben die Reaktions- 
fähigkeit beeinflussen könnten. Und hier war von vornherein 
von der Zufuhr anderer Nervengifte kaum etwas zu erwarten, 
zumal dann durch die Kombinationswirkung die Deutung eines 
etwaigen Effekts wohl unmöglich gemacht worden wäre. Es mußte 
vielmehr versucht werden, den Organismus im ganzen und 
damit selbstverständlich auch die nervösen Zentren 
umzustimmen. Pharmakologisch kamen deshalb nur solche 
Substanzen in Frage, von denen man keine spezifischen, wohl aber 
gewisse Allgemeinwirkungen erwarten konnte. 

Am geeignetsten hierfür ist sicherlich die Zufuhr indiffe- 
renter Säuren und Alkalien, deren Beeinflussung des Gesamt- 
organismus wir aus den bekannten Stoffwechselwirkungen kennen; 
als Beispiele hierfür seien folgende Versuche angeführt. 


Junger Hund von 3000 g Gewicht wird vom 29. X. 1915 ab an steigende 
Mengen Morphin gewöhnt; wirksame Anfangsdosis 0,01. Am 6.1 1916 
Gewicht 4200 g; 5h 22° 15 Atemzüge in 30”, 5 38° 15 Atemzüge in 30”, 
0,12 Morph. mur. suboutan. 56h 55’ 15 Atemzüge in 30”, 6h ebenso. Dann 
wird mit den Dosen schneller gestiegen. 18. I. Gewicht 4300 g; 4? 55 
14 Atemzüge in 30”, 5b 05’ 12 Atemzüge, 0,3 Morph. mur. suboutan; 5b 27’ 
11 Atemzüge, liegt ruhig, schläft aber nioht, 5b 42’ läßt manchmal den 
Kopf sinken, 14 Atemzüge in 30°. 6h 04’ 13 Atemzüge in 30°. 20. I. Gewicht 
4200 g; 4^ 58° 10 Atemzüge in 30”, 0,3 Morph. hydr. subcutan; 5è 31’ 
12 Atemzüge in 30”, 66 02’ 18 (!) Atemzüge in 30”. 21. I. 11 bis 11h 15’ 
40ccm?®/,0-H,SO,ineineHalsvene, keine Wirkung der Infusion erkenn- 
bar; 12h 15’ 16 Atemzügei in 60” (2 mal gezählt), 0,1 Morph. subcoutan, 12h 15’ 
15 Atemzüge, 1h 45’ 13 Atemzüge. 22. I. 0,2 Morph.; keinerlei Wirkung 
zu sehen. Auoh in den nächsten Tagen war mit 0,2 und 0,3 Morph. keine 
Wirkung zu erzielen. 


Säure hatte sich demnach als unwirksam erwiesen; scheinbar 
besser war der Erfolg einer Alkaliinfusion in folgendem Versuche: 


Junger Hund, 3400 g; vom 29. X. 1915 an Morphin, anfangs 0,02. 
27. I. 1916 Gewicht 6000; 0,4 subcutan. 28. I. 6300 g; 4 15’ 15—17 Atem- 
züge in 30” (mehrmals gezählt, 0,4 Morph. subcutan. 4h 42’ 23 Atemzüge 
in 30°, 4h 55’ Defäkation, 5h 30’ 20 Atemzüge. 29. I. 9h 30’ 40 oom Injektion 
von R/,o-Na0OH in eine Halsvene; nach Injektion von 32ocm wird die 
Atmung etwas unruhig, Injektion abgebrochen; nach dem Abbinden normales 
Verhalten. Gewicht 5700 g; 10h 35’ 14 Atemzüge in 30”, 10% 45’ 12 Atem- 
züge in 30”, 0,2 Morph. subcutan, 11h 20° 12 Atemzüge, 12h 05° 14 Atem- 
züge. 31. I. 4h 15’ 0,4 suboutan; nach kurzer Zeit Defäkation, Er- 
brechen, leichter Schlaf. 5h noch ebenso; beim Anrufen oder bei 
Geräuschen hebt er den Kopf, schläft aber bald wieder ein; 12 Atemzüge 
in 60”. Um !/,7 Uhr noch ungefähr derselbe Zustand. 


Gewöhnung. V. 263 


Bei Wiederholung des Versuches an einem anderen Tiere 
bekam ich aber ein ganz negatives Resultat: 

Hund, 9000 g; vom 10. VII. 1916 an steigende Dosen von Morphin; 
anfangs 0,04. 21. VIII. Gewicht 6300 g, 9% 7 Atemzüge in 30°, 0,32 Morphin 
subcutan, 10% 7 Atemzüge in 30°, etwas müde, knickt mit den Hinterbeinen 
ein. 22. VIII. 6300 g; 9% 30’ 7 Atemzüge in 30”; 10 bis 10% 30° 35 oom 
a/o-NaOH (Herzaktion wird unregelmäßig) in eine Hals- 
vene; nach der Infusion etwas Zittern, sonst niohte, 7 Atemzüge in 30. 
10% 40’ 0,2 Morphin. 11h 10° 6—7 Atemzüge in 30”, 12% ebenso. Keinerläi 
Symptome. 23. VIII. 6700 g, 8h 50’ 7 Atemzüge in 30”, 9% 45’ 6 Atemzüge 
in 30” (2 mal gezählt), 0,3 Morph. suboutan. Keinerlei allgemeine Symptome, 
10h 30’ 6 Atemzüge in 30” (2 mal gezählt), Tier ungewöhnlich munter. 11» 30’ 
7 Atemzüge in 30”. 

Entgegen der Vermutung hatte also die durch Säure- bzw. 
Alkalizufuhr bewirkte Änderung der allgemeinen Zelltätigkeit 
nicht konstant ausgereicht, um die Reaktionsfähigkeit der 
nervösen Zentren zur Norm zurückzuführen. Es darf dies schließ- 
lich auch nicht befremden, da wir ja wissen, daß gerade diese 
Zentren ihren chemischen (und damit wohl auch physikalisch- 
chemischen) Aufbau auch andersartigen, selbst energischen Ein- 
griffen gegenüber, z. B. bei andauerndem Hungern, im Gegensatze 
zu anderen Organen recht konstant erhalten. — Mitbeteiligt an 
der Einflußlosigkeit unserer Maßnahmen dürfte auch die schnelle 
Entfernung des körperfremden bzw. überschüssigen Salzes, das 
sich aus den infundierten Substanzen bildet, durch die Nieren 
sein; alle fremden Salze werden ja schon in Stunden so gut wie 
quantitativ aus dem Organismus entfernt. 

Die Ergebnislosigkeit der bisher angeführten Versuche ließ 
es auch als nutzlos erscheinen, die Wirkung von Infusionen 
indifferenter Salze zu erproben. 

Um weiterzukommen, mußte versucht werden, tiefer als 
es mit den Infusionen möglich ist, in das Getriebe des Organismus 
an einer bedeutsameren Stelle einzugreifen, d. h. es mußte ver- 
sucht werden, besonders auf denjenigen Zellbestandteil einzu- 
wirken, mit dem die Zellfunktion unmittelbar verknüpft ist, also 
auf das Protoplasma, und zwar war wiederum nicht daran zu 
denken, etwa das Protoplasma speziell der nervösen Zentren 
beeinflussen zu wollen, sondern durch Eingriffe in den Gesamt- 
bestand des Örganismus an lebendem Eiweiß war indirekt eine 
Umstimmung der nervösen Elemente zu erstreben. 


264 Joh. Biberfeld: 


Als erstes Mittel hierfür wurde ein mittelstarker Aderlaß 
gewählt; alle 3 angestellten Versuche gaben ein positives 
Resultat: 


1. Junger Hund, Gewicht 3400 g; vom 29. X. 1915 an Morph., Anfangs- 
dosis 0,02. 20. I. 1916 Gewioht 6000 g, 4h 55’ 9—10 Atemzüge in 30” (mehr- 
mals gezählt), 0,4 subcutan; 5" 30° 11 Atemzüge in 30”, 6% 12 Atemzüge 
in 30’. 21.1. 5600 g; 100 com Blut aus der Carotis entnommen; keine 
Morphininjektion. 22.1 Gewicht 5800 g, 0,2 Morphin subcutan; Er- 
brechen. Nach ca. 20’ deutliche Zeichen von Stupor, läßt den Kopf sinken; 
Atmung unregelmäßig. Ca. 1 Stunde post injectionem tiefer Schlaf; At- 
mung 11 in 30°. Die Narkose hält mehrere Stunden an; noch 8 Stunden 
nach der Injektion vermag das Tier sich nicht auf den Beinen zu halten. — 
Während also am Tage vor dem Aderlasse 0,4 Morphin gar keine 
Wirkung hatten, brachten am Tage nach diesem Q,2 eine lang- 
dauernde, tiefe Betäubung hervor. 

2. Hund, Gewicht 9000 g; vom 10. VII. 1916 an Morphin (s. o.); 
25. VIII. 6000 g; 0,4 subcutan, keine Wirkung. 26. VIII. 5800 g, ebenso. 
27. VIIL keine Injektion. 28. VIII. 5700 g, 0,32 Morphin, keine Wirkung, 
nur etwas müde. 29. VIII. 5700 g; Aderlaß (ca. 100 ocom). 30. VIII. 5900 g; 
9a 8—9 Atemzüge in 30”. 9b 05 0,32 Morph., 9% 35’ vielleicht etwas müde, 
7 Atemzüge in 30”, 10h 10° 7 Atemzüge in 30”; 112 10’ 4 Atemzüge in 
30”, knickt beim Stehen ein. — 12h 6 Atemzüge in 30”, die Müdigkeit ist 
anscheinend vorbei, kniokt nicht mehr. — Also eine schwache zentrale, 
aber eine sehr deutliche Wirkung auf das Atmungszentrum, die vor dem 
Aderlaß auf diese Morphindosis nicht eintrat. 

3. Hund, Gewicht 12 700 g; vom 11. VI. 1920 an Morphininjektionen; 
zu mehreren Versuchefl benutzt (s. w. u.). 17. VIII. 10 700 g, 9 0,72 sub- 
cutan, keine deutliche Allgemeinwirkung. 18. VIII. 10 700g; Aderlaß 
(150 oom). 19. VIII. 11 100g; Tier ganz munter und normal, 9è 0,72; 
sehr bald keuchende Atmung, 9% 25’ deutlicher Stupor, kämpft 
mit dem Schlaf; 9h 35’ senkt den Kopf, schließt die Augen, 9% 45’ 
leichter Schlaf. — Der Zustand bleibt bis gegen 11è derselbe; 
aufeinstärkeres Geräusch stehtdannder Hundauf. Die Müdig- 
keit und der Stupor sind noch nachmittags erkennbar. 20. VII. 
10 400 g; Tier noch müde, 9! 0,72 suboutan, 9b 20° leichter Schlaf, 10è steht, 
aber noch sehr müde. 21. VIII. 10 200 g, 9% 0,72, starke Müdigkeit, kein 
Schlaf. 23. VIII. 9500 g; 9% 15’ 0,72, keine Wirkung. — Die Atmung war 
bei diesem Tiere, ebenso wie bei mehreren anderen Hunden, auch vor den 
Injektionen so unregelmäßig, daß sie nicht als Maßstab für eine etwaige 
Morphinwirkung dienen konnte!). | 

Gegen die Verwertung dieser Versuche könnte man ein- 
wenden, das Neuauftreten der Reaktion auf Morphin sei auf die 


nach dem Blutverluste zu erwartende allgemeine Schwäche und 


1) Vgl. auch bez. des Verhaltens der Atmung gewöhnter Hunde 
diese Beiträge II, diese Zeitschr. 77, 285 Anmerk. 


Gewöhnung. V. 265 


verminderte Resistenzfähigkeit zu beziehen. Das ist sicher nicht 
stichhaltig; denn selbst kurz nach der ja nicht übergroßen Blut- 
entziehung bot das Tier ein ganz normales Aussehen und Betragen 
und vollends am nächsten Tage war es vor der Morphininjektion 
in nichts von einem normalen Tiere zu unterscheiden. — 'Theoretisch 
möglich wäre die Annahme (vgl. diese Beiträge II, diese Zeitschr. 
77, 284), daß die Gewöhnung auf dem Entstehen einer Art 
von „Antikörpern“ beruhe, die im gewöhnten Tiere die Wir- 
kung des Narkoticums aufheben, und daß der Aderlaß dann einfach 
durch Entfernung dieser Substanzen aus dem kreisenden Blute die 
Empfindlichkeit gegen Morphin wiederherstelle. Es ist aber bis 
jetzt bekanntlich nicht gelungen, auf anderem Wege irgendwelche 
Beweise für das Vorhandensein solcher Körper aufzufinden und 
es erscheint daher wahrscheinlicher die wiedergewonnene Reak- 
tionsfähigkeit der nervösen Zentren auf eine durch den Blutverlust 
hervorgerufene Änderung des inneren Zellbetriebes zu be- 
ziehen. Durch den Blutverlust kommt es zweifellos zu einem 
umfangreichen Abströmen eiweißhaltiger Gewebsflüssigkeit in 
das Blut und dies dürfte dann als in gewissem Sinne ‚„parenteral‘ 
zugeführtes Eiweiß angesehen werden, von dem wir ja bereits eine 
Reihe von allgemeinen Wirkungen in den letzten Jahren kennen- 
gelernt haben (Protoplasmaaktivierung Weichardts). — 
Warum nun diese so supponierte Umstimmung des Gesamt- 
organismus in der Richtung verläuft, daß sie die Empfindlichkeit 
für Morphin vergrößcrt, ist natürlich nicht zu sagen. Von vorn- 
herein hätte man vielleicht eher das Umgekehrte erwartet, daß 
nämlich der Organismus durch die Auffrischung resistenter 
gegen äußere Einwirkungen wird, wie wir es bei den therapeutischen 
Erfolgen der ‚„Proteinkörpertherapie‘‘ bacillärer Erkrankungen 
sehen. 

Die Protoplasmaaktivierung zu therapeutischen Zwecken 
geschieht wie bekannt meist in der Form intramuskulärer oder 
subcutaner Injektion von Eiweißlösungen; auf Grund der genann- 
ten Erwägungen habe ich versucht, ob sich auch auf diesem Wege 
die Gewöhnung unterbrechen lasse; wegen der Schwierigkeit der 
Beurteilung führe ich auch hier die Aufzeichnungen sämtlicher 
Versuche abgekürzt an. 


1. Hund, Gewicht 12 700 g; vom 11. VI. 1920 an Morphin, gut wirk- 
same Anfangedosis 0,12. Am 19. VII. 11 000 g, 0,7 suboutan, nur Müdigkeit. 


266 Joh. Biberfeld: 


20. VIL 0,72; Müdigkeit. 21. VII. 10 100g (frißt schlecht), 0,72; keine 
Wirkung. 22. VII. 10 500 g; 20com abgekochte Ziegenmilch sub- 
cutan,keine Erscheinungen. 23. VIL 11 100 g, 0,72subcutan 9è 15’; 
9h 30° Schlaf, aber leicht zu erwecken, hechelnde Atmung, 
108 leichter Schlaf, Atmung selten: 8 in 30”, 106 40’ Schlaf, At- 
mung 5—6 in 30”. 1230’ ebenso. — Der Schlaf hält bis gegen 
an an, dann nur noch Müdigkeit. 24. VII. 10 500 g, 8% 50° 0,72 sub- 
cutan. Müdigkeit, die deutlich etwas stärker ist als vor der Milchinjektion, 
zeitweise ganz leichter Schlaf. 26. VII. 11 000 g, 0,72 9h 25°; 9% 35’ kämpft 
mit dem Schlaf, 10% leichter Schlaf. 27. VII. 11 400 g; 0,72 subcutan, nur 
Müdigkeit, kein Schlaf. — In den folgenden Tagen ebenfalls je 0,72 ohne 
Änderung. Am 10. VIII. 11 000 g; 9% 30° 20 ccm Kuhmilch (zur Ver- 
meidung etwaiger anaphylaktischer Symptome) und 0,72 Mor- 
phin. Nur Müdigkeit. 11. VIII. 9% 0,72 Morphin, keine Wirkung. 
— Ebensowenig Wirkung hatte am 16. VIII. eingespritztes 
Kaninchenserum, während der am 18. VIII. vorgenommene Aderlaß 
die Empfindlichkeit wiederherstellte (s8. o.). 


2. Hund, Gewicht 11 500 g; vom 2. VIII. 1920 an gewöhnt, Anfangs- 
dosis 0,1 Morphin. 30. VIII. Gewicht 10 200 g, 0,4 Morphin, nur Müdigkeit; 
ebenso am: 31. VIII. und 1. IX. Am 2. IX. Gewicht 9000 g; 98 20 ccm 
Ziegenmilch und 0,4 Morphin subcutan; nur Müdigkeit. 3. IX. 
8800 g; 8» 50’0,4 Morphinsuboutan. 9è 10’starker Tremor, Müdig- 
keit, läßt den Kopf sinken, 9 30°’ schließt, wenn ungestört, die 
Augen. 10625’ leichter Schlaf. 11h ebenso, aber schon durch 
ganz leise Geräusche erweckbar, dann sinkt der Kopf bald 
wieder und die Augen werden geschlossen. 4. IX. 9000 g; 9b 0,4, 
9% 10° kämpft mit dem Schlaf, schließt zeitweise die Augen, 
9h 25’ liegt auf der Seite, schläft. 10 schläft ziemlich fest. 12h 
ebenso. 5.1X. 8900 g; 0,4 Morphin, nicht weiter beobachtet. 
6. IX. 8900 g; 9h 0,4, 9630’ starke Müdigkeit, kämpft mit dem 
Schlaf. 1Ofschließtzeitweisedie Augen. 10h 30’ Betäubungschon 
schwächer. 115 30° normal. 7. IX. 8900 g; 9% 10’ 0,4 Morphin; nur 
Müdigkeit. 


3. Hund, Gewicht 8000 g; 26. I. 1921 Anfang der Morphingewöhnung 
(0,12); vom 16. II. ab je 0,4, vom 26. II. ab auf diese Dosis nur Müdigkeit. 
Am 8. III. 30ccm Ziegenmilch und 0,4 Morphin. 9.IIL Gewicht 
6100 g, 94.05’ 0,4 Morphin, 9h 12’ legt sich nieder. 9è 15’ Schlaf, 
ziemlich fest, reagiertauf Berührung; Dauer bis gegen 11, auch 
dannaber.noch starke Benommenheit, zeitweiseleichter Schlaf. 
Gegen 12h annähernd normal. 10. III. 9h 12° 0,4, 9 20° leichter 
Schlaf. Gegen 11 normal. 11. III. Gewicht 6200 g; 9h 14’ 0,4. 9r 20° 
Müdigkeit, Benommenheit. 10% 30° normal. 12. IIL. 5900 g; 96 20° 0,4; 
nur Müdigkeit, kein Schlaf. 

In allen 3 Versuchen war demnach eine deutliche 
Wirkung der parenteralen Behandlung mit Milch er- 


kennbar; am Tage nach der Injektion brachte eine 


Gewöhnung. V. 267 


vorher infolge der Gewöhnung ganz unwirksam ge- 
wordene Morphinmenge wieder allgemeine Betäubung 
hervor. Auf die Beobachtung dieser habe ich mich meist be- 
schränkt, da wie erwähnt, das Verhalten der Atmung beim Hunde 
häufig nicht charakteristisch genug ist. Dadurch war natürlich 
ein gewisses subjektives Moment nicht vermeidbar, ich glaube 
aber die hierin liegende Gefahr vermieden zu haben, besonders 
da ich alle Versuche von Mitbeobachtern kontrollieren ließ; in 
den Protokollen habe ich nur verzeichnet, was die unmittelbare 
Beobachtung ohne weiteres ergab. 

Die Versuche sind insofern nicht abgeschlossen, als ich sowohl 
die Auswahl des anzuwendenden Eiweißes als auch die Frage 
der Dosierung nicht eingehender untersucht habe. Auch das ist 
fraglich, ob, wie im ersten Versuche, eine zweite Injektion unwirk- 
sam bleibt. — Weitere Versuche müssen hier Aufklärung bringen. 

Einen Versuch habe ich mit subcutaner Injektion von Jod- 
kalium angestellt, und zwar aus folgendem Grunde. Gottlieb!) 
hat gefunden, daß Thyreoideaextrakt in 2 Versuchen die Morphin- 
zerstörung hemmt. Wenn nun auch die Zerstörung des Morphins 
sicherlich keine wesentliche Rolle bei der Gewöhnung spielt, 
so war doch eine Einwirkung möglich, und deshalb habe ich als 
Vorversuch Jodkalium eingespritzt. Scheinbar war der Ausfall 
positiv, doch bedarf das noch durchaus weiterer Versuche. 

Wie beschrieben, war die Wirkung unserer Eingriffe auch 
in den positiv verlaufenden Versuchen nicht von Dauer; in ein- 
zelnen Versuchen ist sie zwar noch am 2. und ganz schwach 
vielleicht noch am 3. Tage erkennbar, das Wesentliche ist aber 
mit dem 1. Nachtage erschöpft, die Unempfindlichkeit gegen das 
Alkaloid ist wieder die alte. Dies ist natürlich von besonderer 
Bedeutung für eine Verwertung des Ergebnisses beim Morphinis- 
mus des Menschen, der allerdings nicht mit der Unempfindlichkeit 
identisch ist, mit dieser aber wohl doch parallel geht. Trotzdem 
glaube ich aber, daß ein Versuch auch hier gemacht werden soll, 
da ja beide als wirksam gefundenen Maßnahmen — Aderlaß und 
Eiweißinjektion — ganz ungefährlich sind. Es läßt sich erhoffen, 
daß sie wenigstens dazu helfen können, dem Patienten die ersten 
Tage der Entwöhnung mit ihren schweren Abstinenzerscheinungen 
zu erleichtern. 


ID. m. W. 1911, 23. Nov. 


268 Joh. Biberfeld: Gewöhnung. V. 


Im vorhergehenden haben wir den Einfluß parenteraler 
Eiweißzufuhr auf einen, wenn man so sagen darf, chronisch- 
pharmakologischen Vorgang kennengelernt; es lag nun nahe, 
nachzusehen, wie die Eiweißzufuhr die akute pharmakologische 
Wirkung beeinflußt. Hier war am ehesten etwas bei einer phar- 
makologischen Wirkung zu erwarten, von der wir wissen, daß 
sie unmittelbar von dem normalen Fungieren des Blutes, als des 
Trägers der bei der Protoplasmaktivierung in Tätigkeit tretenden 
Kräfte, abhängt. Als eine solche pharmakodynamische Wirkung 
habe ich die Zerstörung des Atropins durch Kaninchen- 
blut gewählt; diese Versuche sind begonnen. 


Zusammenfassung. 


Es wird über Versuche berichtet, die Gewöhnung an Morphin 
bei Hunden zu unterbrechen. Unwirksam waren u.a. intra- 
nenöse Injektionen von Säuren und Alkalien, wirksam 
dagegen Aderlaß und parenterale Eiweißzufuhr. Hier- 
durch war stets eine teilweise Wiederherstellung der Empfindlich- 
keit gegen Morphin zu erzielen. Die Dauer dieser war nur kurz, 
spätestens nach einigen Tagen war die alte Unempfindlichkeit 
wieder vorhanden. 


Über die Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogen- 
gehalt der Organe. 


Von 
Curt Hornemann. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg 
[Allgem. Krankenhaus St. Georg).) 


(Eingegangen am 2. Juli 1921.) 


Aus der Arbeit von Bornstein und Vogell)'war zu ersehen, 
daß bei Hunden und Kaninchen nach subcutaner Pilocarpin- 
injektion eine Hyperglykämie auftritt. Ich habe diesen Befund 
in einigen Versuchen nachgeprüft und bestätigt gefunden (siehe 
Tabelle II); er diente mir zur Grundlage für die Beobachtungen, 
über die ich hier berichten möchte. 

Bornstein und Vogel hatten gefunden, daß die Pilocarpinglykämie 
sich antagonistisch durch Atropin beeinflussen läßt. Ein Eingriff, der sonst 
häufig toxische Glykämien zu verhindern imstande ist, ist die Sauerstoff- 
zufuhr. So gibt Seelig?) an, daß sich die Ätherglykosurie durch O, ver- 
hindern läßt. Franz Müller?) gibt das gleiche für die Acetonglykosurie, 
Bauert) für die Curaregiykosurie an. Jedoch lassen sich nach Seelig 
Adrenalin- und Pankreasdiabetes nicht durch O,-Zufuhr beeinflussen. 

Um die Wirkung der O,-Zufuhr auf die Pilocarpinglykämie 
zu untersuchen, wurde im wesentlichen die Anordnung von Seelig 
benutzt. Sauerstoff wurde durch die Vena femoralis in Mengen 
von etwa 50 ccm pro kg Tier und Stunde zugeleitet. Nachdem 
die O,-Zufuhr eine halbe Stunde im Gange war, wurde eine Blut- 
probe entnommen, in der Blutzucker nach Bang sowie der 
Hämoglobingebalt bestimmt wurde. Sofort nach der Blutent- 
nahme wurde Pilocarpin. hydrochlor. 2—3 mg pro kg Tier sub- 
cutan gegeben. Schon nach wenigen Minuten zeigten Speichel- 
sekretion, Erbrechen und Durchfälle die Wirkung des Pilocarpins 
an. Eine halbe Stunde nach der Injektion wurde wieder eine 
Blutprobe entnommen. Es zeigte sich jedesmal eine Eindickung 


270 C. Hornemann: 


des Blutes nach Pilocarpin, gemessen am Hämoglobingehalt 
(Autenriethsche Methode) von der Größenordnung, wie sie 
Bornstein und Vogel beschrieben. 

Über die Blutzuckerwerte gibt Tabelle I Auskunft. 


Tabelle I. 


Wirkung des Pilocarpins auf den Blutzucker bei Hunden 
bei Sauerstoffzufuhr. 

















— Blutzuckerwerte 
> a) vor Pilocarpin-Injektion. | b) !/,h nach Pilocarpin-Injektion 
1 | 0,196 | 0,372 
2 0,103 0,162 
3 0,103 0,145 





Aus dieser Tabelle geht hervor, daß auch nach Sauerstoff- 
zufuhr eine starke Hyperglykämie durch Pilocarpin bewirkt wird, 
daß also O,-Zuleitung die Erhöhung des Blutzuckers zu verhindern 
nicht imstande ist. 

Es erschien mir nun weiter von besonderer Wichtigkeit, 
zu untersuchen, ob der Zucker aus dem Leberglykogen stammte. 
Diese Versuche wurden auch an Hunden ausgeführt. Es kam 
dabei vor allen Dingen darauf an, Tiere von gleicher Körper- 
konstitution zu verwenden. Ich nahm deshalb 2 mal je 2 Hunde 
vom gleichen Wurf, die im Institut geboren, 4 Wochen lang 
Muttermilch erhalten, dann mit gleicher Kost gefüttert, annähernd. 
ein gleiches Körpergewicht hatten. Beim 3. Versuch verwandte 
ich 2 ganz junge im Institut geborene Tiere vom gleichen Wurf, 
die gerade soweit waren, daß sie von der Mutter weggenommen 
werden konnten. Je ein zusammengehöriges Paar dieser Hunde 
wurde zu jedem Versuch benutzt. Der eine von ihnen bekam 
Pilocarpin injiziert, während der zweite als Kontrolltier diente. 
Um möglichst einwandfreie Resultate zu erzielen, tötete ich einmal 
zuerst das Pilocarpintier und dann das Normaltier, das andere Mal’ 
verfuhr ich in umgekehrter Reihenfolge. Zwischen dem Tod der 
beiden Tiere lag immer eine Zeit von !/,—1 Stunde. Die Tiere 
hatten tags zuvor 5g Traubenzucker pro kg mit Schlundsonde 
bekommen, was einer starken Zuckerbelastungsprobe beim Men. 
schen entspräche, und hungerten dann bis zum Versuch etwa 20 


Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogengehalt der Organe. 271 


Stunden. Dem Normaltiere wurde zur Bestimmung des Hämo- 
globin- und Blutzuckergehaltes aus der Ohrvene Blut abgenommen. 
Hierauf wurde das Tier durch Schlag auf den Kopf getötet, 
dann wurden sofort Leber, Muskel sowie bei einem der 3 Tierpaare 
Milz und Niere herausgenommen. Die Organe wurden gleich 
durch eine Fleischhackmaschine getrieben und in heiße bereit- 
gestellte Kalilauge getan, um eine weitere Fermentation zu ver- 
hindern. Die Fällung des Glykogens geschah nach Pflüger), 
die Bestimmung des aus dem Glykogen durch Hydrolyse gewon- 
nenen Zuckers nach .der Bertrandschen®) Methode. Bei einigen 
Versuchen bestimmte ich das Glykogen gleichzeitig nach Ma- 
quenne-Lehmann. Die Resultate beider letzten Methoden 
stimmten völlig miteinander überein. Die polarimetrischen Be- 
stimmungen des Glykogens selbst sowie titrimetrischen Bestim- 
mungen des aus Glykogen gewonnenen Zuckers zeigten genügende 
Übereinstimmung. Zur Berechnung der Glykogenmengen legte 
ich die durch Titration gewonnenen Zahlen zugrunde, da sie eine 
größere Sicherheit boten. 

Bei den Pilocarpinhunden wurde nach Traubenzuckergabe 
am Vortage, Hunger usw. wie bei den Kontrolltieren aus der 
Ohrvene Blut zur Hämoglobin- und Blutzuckerbestimmung ent- 
nommen, dann subcutan 3 mg Pilocarbin pro kg eingespritzt, 
um nach 40—50 Minuten die Blutuntersuchung zu wiederholen. 
Sofort nach zweiter Blutentnahme wurde das Tier getötet und 
wie das Kontrolltier weiter verarbeitet. 

Die Resultate sind in Tabelle II (S. 272) wiedergegeben. 

Es zeigt sich in diesen Versuchen zunächst, was das Blut 
anlangt, die gleiche Eindickung und Hyperglykämie, wie sie 
„früher schon beobachtet war. Ich brauche darauf hier nicht weiter 
einzugehen. 

Bei allen Tieren zeigt sich ferner eine starke Verminderung 
des Leberglykogens nach Pilocarpininjektionen und zwar sowohl 
prozentual wie absolut. Der Glykogengehalt ging regelmäßig 
auf ?/,—!/, des Normaltieres zurück; der Glykogenschwund ist 
also so groß, wie bei den meisten glykosurisch wirkenden Giften, 
z. B. dem Adrenalin. Weniger, aber auch deutlich, nimmt der 
prozentuelle Glykogengehalt der Muskeln ab; immerhin ist bei 
der großen Masse der Muskulatur die absolute Abnahme des 
Glykogens nicht unbeträchtlich. Auch in Milz und Niere scheint 





uonxgofug-updresorig 30p YV 


C. Hornemann: 





272 








pung-uıdısoogtg (q 





pung-[[0:13uoy (% 


a uogope? woa uopung !0q AuuaFusdor4ig 


"I POLL 


OOTI | 1761 "TA ‘Z 


mn mm > ae o ae e mann nn man -a mm mn mm — 


uonzofur-updiesonfg ‘P I0A 























Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogengehalt der Organe. 273 


eine Abnahme des Glykogengehaltes durch Pilocarpin bewirkt zu 
werden. 


Zusammenfassung. 
1. Die Pilocarpinhyperglykämie wird durch O,-Zufuhr nicht 
verhindert. 
2. Bei der Pilocarpinhyperglykämie verschwindet der größte 
Teil des Glykogens aus der Leber; weniger stark scheint der 
Glykogenschwund der Muskulatur ausgesprochen zu sein. 





Literatur. 


1) Bornstein und Vogel diese Zeitschr. 118, 1. — ®) Seelig, Arch. 

f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 5%, 481. — °®) Müller, Arch. f. exp. Pathol. 

u. Pharmakol. 46, 61. — *) Sauer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 423, 

— 5) Pflüger, Abderhalden Bd. II, S. 1070. — ®) Bertrand und Neu- 
berg, Der Harn, Bd, I, S. 396. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 18 


Parasympathicusgifte und Blutzucker. 


Von 


A. Bornstein und R. Vogel. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg [( Kranken- 
haus St. Georg].) 


(Eingegangen am 2. Juli 1921.) 


Vor einiger Zeit hatten wir die Beobachtung gemacht, daß 
durch Pilocarpin bei verschiedenen Versuchstieren der Zucker- 
gehalt des Blutes beträchtlich erhöht wird!). Kurze Zeit nach der 
Pilocarpininjektion stieg der Blutzucker an, um nach einigen 
Stunden wieder auf die Norm, meist sogar unter die Norm zu 
fallen. Wir haben diesen Befund mit großer Regelmäßigkeit 
immer wieder erhoben, er ist neuerdings durch Beobachtungen von 
Hornemann?), ferner durch Versuche von Bornstein und 
Müller?) bestätigt worden, so daß an seiner Richtigkeit nicht 
gezweifelt werden kann. 

Pilocarpin ist ein Parasympathicusgift, es reizt die Endigungen 
aller vegetativen Nerven, die nicht dem sympathischen System 
angehören, und ist in seiner Wirkung sehr spezifisch. Die Mut- 
maßung liegt nahe, daß es sich bei der Pilocarpinglykämie eben- 
falls um eine Parasympathicusreizung handelt, wenngleich natür- 
lich auch eine zufällige Nebenwirkung des Giftes vorliegen könnte, 
die mit dem Parasympathicus nichts zu tun hat. Atropin, das 
ebenso typisch den Parasympathicus lähmt wie Pilocarpin ihn 
reizt, zeigte sich deutlich als Antagonist des Pilocarpins in seiner 
Wirkung auf den Blutzucker. Das spricht im Sinne unserer Ver- 
mutung. | 

Immerhin sind Gründe vorhanden, die gegen diese Theorie 


1) Diese Zeitschr. 1921. 
2) Im gleichen Heft dieser Zeitschr. 
3) Werden demnächst publiziert. 


A. Bornstein und R. Vogel: Parasympathicusgifte und Blutzucker. 275 


sprechen, und sie sind so gewichtiger Natur, daß wir glaubten, 
bei der Beschreibung der Pilocarpinglykämie zunächst von jeder 
Deutung absehen zu müssen. 

Seit den Versuchen von Claude Bernard und von Eckhard tber 
den Zuckerstich weiß man nämlich, daß ein enger Zusammenhang zwischen 
vegetativem Nervensystem und Zuckerstoffwechsel besteht, aber man weiß 
such, daß beim Zucokerstioh der Impuls zur Zuckerbildung in der Leber 
über den Splanchnicus, also über den sympathischen Nerven geht. Auch 
von den Glykämien, die bisher nach Giften beobachtet wurden, wissen wir, 
daß sie durch Sympathicusreizung entstehen, wenn überhaupt Nerven- 
einfluß bei ihrer Entstehung im Spiele ist. So wirkt bekanntlich auch Adre- 
nalin durch Sympathicusreizung. Daher zieht auch Pollack, der die 
bekannten toxischen Glykämien und Glykosurien klassifiziert, die Möglich- 
keit einer Entstehung durch Parasympathicusreizung kaum in Betracht. 
Von späteren Autoren erwägt sie, soweit uns bekannt:ist, nur Mc Guigan, 
um sie aber auf Grund seiner Pilocarpinversuche abzulehnen. Wir haben 
schon in unserer ersten Arbeit ausgeführt, daß seine Versuche nicht be- 
weisend sind. 

Um die Frage zu klären haben wir zunächst noch eine Reihe 
weiterer Beobachtungen mit Parasympathicusgiften angestellt. 
Die Technik war im wesentlichen die gleiche wie bei unseren frühe- 
ren Versuchen; die Bestimmungen wurden nach der Bangschen 
Mikromethode ausgeführt, die Blutprobe immer morgens nüchtern 
nach 10—20stündigem Hungern aus der Ohrvene entnommen. 


I. Versuche an Hunden. 
a) Physostigmin. 

In allen Versuchen findet sich !/,—1 Stunde nach Verabfol- 
gung des Physostigmin eine Erhöhung des Blutzuckers, die nach 
2 Stunden wieder abfällt (siehe Tabelle I). Sie ist in einigen Ver- 
suchen stark ausgesprochen, in anderen nicht so stark, aber immer- 
hin noch deutlich die Fehlergrenzen überschreitend. Wir hatten 
den Eindruck, daß gerade beim Physostigmin durch die starke, 
psychomotorische Unruhe und namentlich durch den Tremor 
und die Krämpfe der Anstieg des Blutzuckers etwas hintangehalten 
wurde. Aus den Hämoglobinwerten der Tabelle I geht hervor, 
daß das Physostigmin genau wie das Pilocarpin eine Blutein- 
diokung bewirkt. Dadurch wird, wie schon in der früheren Arbeit 
auseinandergesetzt, der Blutzucker eher erniedrigt. Im ganzen 
wirkt Physostigmin in der gleichen Weise wie Pilocarpin auf den 
Blutzucker ein. 

18* . 


276 A. Bornstein und R. Vogel: 











Tabelle I. 
Physostigmin. 
Blutzucker 
Versuch VOT- | ih h | 
her lx : a 
in % |in % |in % |in % 
16. IIL 1921. 0,071 | 0,159 | 0,157 | 0,100 
Graues Q 7,9kg, 
8 mg Physostig- 
min salicyl-sub- 
outan. 
6. ITI. 1921. 0,075 | 0,109 | 0,140 | 0,118 | Salivation. 71 89,75 | 102,5 | 99,5 
Q 11,08 kg, 


17 mg Physo- 
stiemin salicyl- 


subcoutan. 
21. IIL 1921. 0,078 | 0.101 | 0,104 | 0,084 68 189,75 | 101 104 
(Ders. Hund wie 
6.IIL) 11,5 mg 
Physostigmin 
salicyl-subcut. 
11. III. 1921. 0.084 | 0,100 |20" n. | 1n 20| 18° nach | 825 |785 |20 n. {1h20 
g 15,5 kg, 7,5 mg Atro- | nach Inj. I: starke Atro- | nach 
Physostigmin pin | Atro-| Salivation, pin | Atro- 
salicyl, nach 0,112| pin Tremor, 655 | pin 
jà 17°: 6 mg 0,067| Tracheal- 58,25 
Atropin sulf. rasseln usw. 
subeutan. 8’ n. Atropin 
Erschei- ) 
nungen im 
Abklingen. 


b) Cholln und Acetylcholin. 


Nach Cholinchlorid, subceutan gegeben, fand sich ebenfalls eine 
deutliche Erhöhung des Blutzuckers, die schon sehr schnell nach 
10—20 Minuten auftrat, und in 2 Versuchen sehr bald, in einem 
langsamer wieder zurückging. Die gleiche Erhöhung des Blut- 
zuckers fand sich nach entsprechend geringen Mengen von Ace- 
tylcholin (siehe Tabelle II). 

Cholin ist ein Stoffwechselprodukt des Körpers, von dem man 
annimmt, daß es in ähnlicher Weise wie das Adrenalin für das 
Zusammenarbeiten der verschiedenen Organe von Wichtigkeit 
ist. Wie Adrenalin den Sympathicus reizt, so reizt Cholin den 
Parasympathicus. Daß dieses physiologische Stoffwechselprodukt 
von Einfluß auf den Zuckerstoffwechsel ist, erscheint uns daher 
besonders bemerkenswert. In der Literatur findet sich eine 
Angabe von Frank und Isaac!), daß durch Cholin der Blut- 


1) Frank und Isaac, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 7, 335. 





- — —— — — 


277 


Parasympathicusgifte und Blutzucker. 


P z9 19 09 gg 
‘TOYO "U ‚09 | "100 "u OF | "TOUD "U ‚08 


16 98 LL LL 06 
"Ir furu ‚og | "II Furu ,0g | "TI PU 0g | TUT U A 


— 89 8L S8 64 
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uroujo (qooy pun woo "II MOLL 


278 A. Bornstein und R. Vogel: 


zucker beim Hunde nicht erhöht wird. Die Blutentnahme war 
1?/, Stunden nach der subcutanen Injektion des Cholins aus- 
geführt worden. Nach dieser Zeit kann, wie aus unseren Ver- 
suchen hervorgeht, die Wirkung des Cholins schon längst wieder 
abgeklungen sein; auch die übrigen Erscheinungen nach Cholin 
(Salivation, Erbrechen) sind meist recht flüchtig. Ein tatsäch- 
licher Widerspruch zwischen unseren Versuchen und denen der 
obengenannten Autoren besteht demnach nicht. — Cholin hat 
nach Dale!) eine muscarinartige Wirkung, d. h. eine Wirkung 
auf den Parasympathicus und eine nicotinartige Wirkung. Beide 
Wirkungen können nach Dale dadurch voneinander getrennt 
werden, daß nur die erstere durch Atropin sich aufheben läßt. 
Es zeigt sich, wie aus Tabelle II hervorgeht, daß am atropinisierten 
Hunde eine Steigerung des Blutzuckers nach Cholin nicht eintritt. 
Die Cholinhyperglykämie läßt sich, wie, die analoge Erscheinung 
nach Pilocarpin, durch Atropin verhindern. 

Wir haben somit die wesentlichsten Parasympathiouareizgifte 
untersucht, mit Ausnahme des Muscarins, das wir uns nicht ver- 
schaffen konnten. Alle zeigten eine gleichartige Beeinflussung 
des Blutzuckerspiegels. Sie wirken also insgesamt so, als ob durch 
Parasympathicusreizung eine Vermehrung des Blutzuokers hervor- 
gerufen würde. Hiermit stimmt überein, daß durch Atzopin 
diese Hyperglykämie sich antagonistisch beeinflussen läßt. Wir 
haben infolgedessen unseren folgenden Versuchen die Arbeits- 
hypothese zugrunde gelegt, daß nicht nur durch Reizung des 
Sympathicus, sondern auch des Parasympathicus eine Erhöhung 
des Blutzuckerspiegels hervorgerufen werden könnte®). Wie aus 
den Versuchen von Hornemann?) hervorgeht, wird diese Er- 

1) Journ. of pharmaool. a. exp. therap. 6, 147 (zit. nach Zentralbl 
f. Physiol. 1915). 

2) Daß durch das übliche Schema „Sympathicus- resp. Parasympathi- 
cusgift‘‘ auf dem Gebiete des Zuckerstoffwechsels ebensowenig eine voll- 
ständige Beschreibung sämtlicher Tatsachen möglich ist, wie auf dem Gebiete 
der Darminnervation, scheint uns selbstverständlich. Gerade Versuche 
über Antagonismen, denen die nächste Mitteilung gewidmet sein soll, 
sprechen in diesem Sinne. Dennoch schien es uns zweckmäßig, von der 
Hypothese einer Parasympathicusglykämie auszugehen, da sie jedenfalls 
die einfachste Interpretation unserer hier gegebenen Befunde bilden würde 
und wir bisher über keine Beobachtungen verfügen, die unbedingt gegen 
diese Hypothese sprechen. 

2) Siehe die folgende Arbeit. 


Parasympathicusgifte und Blutzucker. 279 


höhung des Blutzuckers genau so durch Ausschüttung des Glyko- 
gens, besonders aus der Leber, hervorgerufen, wie wir es auch für 
die Sympathicusgifte wissen. Dennoch ist die Glykämie nach 
Parasympathicusreizung, wie in einer späteren Arbeit wahrschein- 
lich gemacht werden soll, von der durch Sympathicusreizung 
erzeugten verschieden. — Gehen wir von dieser Hypothese aus, 
so erscheint es uns für weitere Fragestellungen wichtig, ob nor- 
malerweise ein Tonus im Parasympathicus besteht, der für das 
Niveau des Blutzuckers von Bedeutung ist. Wir haben daher 
mit kleinen und mit großen Dosen von Atropin Versuche angestellt. 
Die Versuche mit kleinen Dosen haben wir schon früher!) erwähnt; 
die mit großen Dosen sind in Tabelle III wiedergegeben. Sie 


Tabelle III. Atropin. 






Hämoglobin Blutzucker 


Versuch 


— — — 


17. XII. 1920. 
Hündin Q 16,63 kg. 6 mg 
Atropin sulf. subcutan. 


28. IV. 1921. 59,5 | 66,75 | — 
Pintscher Q 15,97 kg. 12,3 mg 
Atropin sulf. subcutan. 


29. IV. 1921. 85,5 1825 | 82,5 
Gelbe milzlose © 12,44 kg. 
9,5 mg Atropin sulf. subcutan. 


0,113 | 0,120 | 0,110 





0,058 } 0,068 | — 


0.088 | 0,074 | 0,08f 


zeigen, daßdurch Atropin beim normalen Hunde keine Veränderung 
des Blutzuckers gesetzt wird. Die Veränderungen, die sich in den 
Zahlen finden, zeigen teils eine ganz geringe Zunahme, teils eine 
geringe Abnahme nach Atropin. Diese Schwankungen liegen 
durchaus innerhalb der Fehlergrenzen. Der Blutzucker scheint 
also durch den normalen Tonus des Parasympathicus nicht be- 
einflußt zu werden. 


I. Beobachtungen an Diabetikern. 


Außer am Tier haben wir aüch am normalen Menschen 
Beobachtungen angestellt, ob durch Atropin bis zur doppelten 
Maximaldosis (2 mg) eine Beeinflussung des Blutzuckers zu 


1) L c. 


è 
280 A. Bornstein und R. Vogel: 


erreichen wäre. Der Blutzucker blieb von Atropin unbeeinflußt. 
Wir hatten jedoch, wie schon besprochen, festgestellt, da8 die 
Hyperglykämie nach Pilocarpin und auch nach Cholin im Tier- 
versuch sehr wohl durch Atropin verhindert werden kann. Wir 
legten uns daher die Frage vor, ob nicht auch der Blutzucker 
bei glykämischen Menschen einer solchen Beeinflussung durch 
Atropin unterläge. 

Es war uns von früheren. Beobachtungen her bekannt, daB 
die Wirksamkeit des Atropins, das unter verschiedenen Bedin- 
gungen dem menschlichen Körper einverleibt wurde, sehr wohl 
aus der Pulsfrequenz beurteilt werden kann!). Wir bemerkten 
schon bei unseren ersten Diabetikern, daß die Pulsfrequenz nicht 
in dem Maße anstieg, wie wir es nach unseren sonstigen Erfah- 
rungen erwarten durften, z. B.: 

Auguste B. (Ulcus ventriculi), nach l mg Atropin subcuten 
Anstieg der Pulsfrequenz von 52 auf 80 Schläge. 

Pat. Börst (Diabetiker), 6% Zucker im Urin. Nach 1 mg 
Atropin suboutan: Sinken der Pulsfrequenz von 66 auf 56 Schläge, dann 
wieder Anstieg auf 68 Schläge ?/, Stunde nach der Injektion. 

Worauf diese geringe Reaktion der Diabetiker dem Atropin 
gegenüber beruht, vermögen wir nicht zu sagen. Es könnte sich 
entweder um eine Veränderung der Reaktion des Vagus auf 
Atropin oder um eine leichtere Zerstörung des Atropins im dia- 
betischen Organismus handeln. Jedenfalls sahen wir uns ver- 
anlaßt, nicht zu kleine Dosen Atropin zu benutzen, wenn über- 
haupt ein Erfolg des Atropins eintreten sollte. 

Wir verwendeten zunächst das Atropin subcutan und stellten 
in einigen besonderen Kontrollversuchen fest, daß in der Be- 
obachtungszeit von 1—1!/, Stunden der Zuckergehalt des Blutes 
bei Diabetikern meist keine Veränderung zeigt, die über die 
Fehlergrenzen der Untersuchungsmethode hinausgeht. Später 
stellten wir auch Versuche mit intravenöser Injektion von 
Atropin an, die den Vorteil hatten, daß auf diesem Wege das 
Atropin schneller zur Wirksamkeit gelangt. Wir konnten dann 
den Versuch gleich an den Kontrollversuch anschließen, indem 
wir nach der ersten Blutentnahme einfach eine halbe Stunde 
warteten, dann eine zweite Blutentnahme vornahmen, darauf 
sofort Atropin intravenös injizierten und schließlich den Ver- 


1) S. Brune, Inaug.-Diss, Hamburg 1920. 


Parasympathicusgifte und Blutzucker. 


281 


Tabelle IV. Atropin bei Diabetikern. 





16. IV. 1921. 
Pat. Börst*) $ Diabetes. 


Körpergew. 53 kg; 6%, Í 


Zucker im Urin. 1 mg 
Atropin sulf. subcutan. 


22. IV. 1921. 
Pat. Börst. 2 mg Atropin 
sulf. subcutan. 


20. IV. 1921. 
Pat. Börst. 1 mg Atropin 
sulf. subcutan. 


13. V. 1921. 
Pat. Börst, in den letzten 
Tagen zuckerfrei, teils 
0,1—0,4%, Zucker im 
Urin. 2 mg Atropin sulf. 
subcutan. 


18. IV. 1921. 
Pat. Franzen Q 45 kg. 
65 Jahre Diabetes. 1 mg 
Atropin sulf. subcutan. 


23. IV. 1921. 
Pat. Franzen. 2 mg Atro- 
pin sulf. subcutan. 


80. IV. 1921. 
Pat. Hinsch 3 20 Jahre. 
43 kg. Diabetes grav. 
1,3 mg Atropin sulf. sub- 
cutan. 


11. V. 1921. 
Pat. Steinborn 3 49 J. 
Diabetes Aceton. 1,5 mg 
Atropin sulf. subcutan. 


nahme I 
(vorher) 


0,363 


0,256 


0,316 


0,211 


0,293 


0,420 


Eor Ent- Ent- 
nahme II | nahme III 
% in % in % 
30 


nach Inj. 
0,879 


20 
nach Inj. 
0,230 
1ħ 
nach Inj. 
0,297 


35 
nach Inj. 
0,223 


nach Inj. 
0,346, 


0,284 


Blutzucker 


nahme IV InahmeV 


12 10 
nach Inj. | nach Inj. 
0,384 0,378 


55 12 30 2h 
nach Inj. | nach In). |n. Inj. 
0,230 | 0,22 


1R 20° 
nach Inj. 
0,210 


12 16 
nach Inj. 
0,276 


12 20 
nach Inj. 
0,277 


1b 20 


nach Inj. 
0,295 


1b 10° 
nach Inj. 
0,359 


*) Patient Börst reagierte auf die erste Atropininjektion mit der 
Pulsfrequenz nicht in der üblichen Weise; er zeigte dabei kein Sinken, 


sondern einen leichten Anstieg des Blutzuckers. 


Ein solcher Anstieg 


findet sich gelegentlich auch sonst nach Hungern allein (siehe Patient 
Hardwig). — Später reagierte Börst sowohl mit der Pulsfrequenz wie 
mit dem Blutzucker auf Atropin. Als der Blutzucker zuletzt so weit 
sank, daß der Urin zuckerfrei wurde, trat eine Reaktion des Blutzuckers 
auf Atropin nicht mehr auf. 


282 A. Bornstein und R. Vogel: 





ae a ne 


Blutzucker 


Ent ſ 
nahme Í| 
—— 


14. V. 1921. n 
Pat. Steinborn 3 1 mg rer. 


Atropin sulf. intravenös. | 0,494 
Vorher 1P nach Entn. I 
bis Entn. Il gehungert! 


| 

21. V. 1921. | 
Pat. Hardwig 3 69 Jahre. 

5l,5kg. Urinzucker 1,9°%/,. | 0.190 | 

1b Hunger zwischen Ent- | 

nahme I u. Entnahme HI. 

Wie beim vorigen Ver- | 

t 

| 

| 

| 








such. Dann 1,5 mug Atro- 
pin subcutan und nach 20 
nochmals 1 mg Atropin 
subcutan. 





Zwischen Entnahme I u. 
Entnahme II 1b Hunger. 
1,5 mg Atropin sulf. intra- 
venös. 


19. V. 1921. ' nach 45’ | n. 16207 | nach | 
Pat. Jesper Q Diabetes. | 40’ 1 35’. 
2,7 mg Atropin Bub- n. Inj. I. 
cutan. oem 0.193 0,196 0.194 

20. V. 1921. I nach IR 40 
Pat. Noth J 47 Jahre. : Hunger. |u. Inj. IL 
59,0 kg. Diabetes, coma- | 0,370 0,378 + 0355 
töse Atmung, Pericarditis. | 
Zwischen Entnahme I u. | 
Entnahme II Ih Hunger. j 
l mg Atropin intravenös. | | 

27. V. 1921. nach 1e | 25° | 
Pat. Dammann g Dia- ' Hunger. 
betes. 6,1%, Zucker. 0,274 | 0,269 0,235 

| 
| 


n. Inj. IT. | 


nn mn mn 


such nach einer weiteren halben Stunde mit einer dritten Blut- 
entnahme beendigten. 

Die Versuche wurden stets nüchtern 12—13 Stunden nach 
der letzten Mahlzeit angestellt. Das Blut wurde aus den Ohr- 
läppchen durch einen nicht zu kleinen Schnitt entnommen. Da 
gerade beim Diabetiker die Blutzuckerwerte durch ein Schwanken 
der Blutkonzentration vielleicht stärker beeinflußt werden können 
als beim normalen Menschen, legten wir besonderen Wert auf 
fortlaufende Bestimmungen des Hämoglobingehaltes. Es zeigte 


Parasympathicusgifte und Blutzucker. 283 


sich fast immer keine Veränderung. Die Blutprobe nach Atropin- 
injektion entnahmen wir fast immer erst nachdem die Puls- 
frequenz ihre maximale Höhe erreicht hatte. 

Wir haben bisher 8 Diabetiker beobachtet, von denen 4 
deutlich mit einem Abfall des Blutzuckers reagierten, der 
die Fehlergrenze wohl sicher überschritt. (Patienten Hinsch, 
Steinborn, Dammann, Börst.) In 3 weiteren Fällen war eben- 
falls ein Absinken des Blutzuckers zu finden, das aber wohl 
noch als innerhalb der Fehlergrenzen liegend beurteilt werden 
muß (Patienten Noth, Franzen, Jesper). 2 weitere Patienten 
reagierten nicht mit einer Veränderung des Blutzuakers auf 
Atropin. 

Es geht u. E. aus diesen Beobachtungen die über- 
raschende Tatsache hervor, daß im Krankheitsbild 
mancher Diabetiker eine Komponente enthalten ist, 
die sich durch das den Parasympathicus lähmende 
Gift Atropin ausschalten läßt. 

Von unseren Fällen sind es nicht wenige, die zu dieser 
Gruppe gehören. Es scheint sich demnach nicht um einen Aus- 
nahmezustand zu handeln. Man könnte sogar die Frage auf- 
werfen, ob nicht vielleicht bei allen Diabetikern eine solche 
Komponente enthalten ist und ob bei der geringen Empfindlich- 
keit der Diabetiker dem Atropin gegenüber nicht vielleicht in 
den negativ verlaufenden Fällen unsere Atropindosis zu gering 
gewesen ist. Auf diese Frage geben unsere Versuche keine 
Antwort. 

Auch über die sonstigen Bedingungen, unter denen die Sen- 
kung der Glykämie durch Atropin auftrat, können wir wenig aus- 
sagen. Auffallend ist der Befund bei Patient Börst, der bei hohen 
Blutzuckerwerten deutlich auf Atropin reagiert, während sich 
später, als der Blutzucker niedriger wurde (er sank auf 0,21%) 
keine Beeinflussung durch Atropin zeigte. Während dieses 
letzten Versuches war im Urin des Patienten kein Zucker mehr 
enthalten. 

Diese Tatsachen scheinen uns für die Theorie des Diabetes 
nicht unwichtig zu sein. Wir berichten nur kurz über sie, ohne 
uns an dieser Stelle vorläufig über ihre theoretische und thera- 
peutische Bedeutung weiter auslassen zu wollen. 


984 A. Bornstein und R. Vogel: Parasyınpathicusgifte und Blutzucker. 


Zusammenfassung. 


l. Sämtliche bisher untersuchten Reizgifte des parasympathi- 
schen Nervensystems erhöhen den Blutzucker normaler Hunde. 
Es wurden bisher untersucht: Pilocarpin, Physostigmin, Cholin 
und Acetylcholin. 

2. Wie alle parasympathischen Funktionen wurde das 
Zustandekommen dieser Glykämien durch Atropin verhindert 
bzw. verlangsamt. 

3. Bei einer Anzahl von Diabetikern wurde der Blutzucker 
durch Atropin herabgesetzt. 


Die Verteilung der Chinaalkaloide im Organismus. 
II. Mitteilung. 


Von 
Alfred Schnabel. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität in Basel.) 
(Eingegangen am 4. Juli 1921.) 


Über den eigentümlichen Verlauf des Alkaloidspiegels im 
Serum von Tieren, denen Optochinlösungen intravenös ein- 
gespritzt wurden, wurde an anderer Stelle!) berichtet. Auf Grund 
von Versuchen wurde dort gezeigt, daß der Optochinspiegel 
im Serum der Tiere wenige Minuten nach der intravenösen In- 
jektion nur wenige Bruchteile (3—6%,) der eingespritzten Alkaloid- 
menge anzeigt, um dann wieder anzusteigen und allmählich 
abzusinken. Zur Erklärung dieser Erscheinung wurden Reagens- 
glasversuche mit Optochin und Blutkörperchenaufschwemmungen 
verschiedener Tierarten und des Menschen herangezogen, aus 
denen hervorging, daß der Alkaloidspiegel in der Suspensions- 
flüssigkeit (Serum) auch im Reagensglas nicht konstant bleibt, 
sondern daß der Optochingehalt des Serums nach der anfänglich 
durch Adsorption bedingten Abnahme allmählich zunimmt, ohne 
daß in den Milieuverhältnissen irgendeine Änderung vorgenommen 
worden wäre. Es wurde ferner vermutungsweise ausgesprochen, 
daß dasselbe Verhalten wie die roten Blutkörperchen, d. h. nach 
anfänglicher Aufnahme des Alkaloids darauffolgende Abgabe 
desselben — auch die anderen Körperzellen zeigen dürften und 
daß dieser Erscheinung eine besondere Bedeutung für den Verlauf 
des Alkaloidspiegels im Tierexperiment zukommt. 

In demselben Aufsatz wurden auch einige andere Fragen 
andeutungsweise angeschnitten, so diejenige hinsichtlich der 


1) Diese Zeitschr. 112. 1920. 


286 A. Schnabel: 


Natur des Vorganges der Alkaloidaufnahme durch die Erythro- 
cyten, ob es der rein physikalische Vorgang der Adsorption oder 
eine chemische Bindung des Alkaloids sei, u. a. m. Der Zweck 
dieser Mitteilung ist es, über Versuche, die sich auf die Ent- 
scheidung der betreffenden Fragen beziehen, zu berichten. 

Die Technik des Optochinnachweises war dieselbe, wie die 
in der erwähnten Arbeit angewendete, jedoch unter Berück- 
sichtigung der späteren Modifikation. 

Zur Feststellung des Verhaltens von Organzellen den China- 
alkaloiden gegenüber wurden die Organe von menschlichen Leichen, 
von Kaninchen und Meerschweinchen verwendet. Da sich zwischen 
den Organzellen dieser Arten keine wesentlichen Differenzen er- 
geben haben, seien nur die mit Meerschweinchenorganen aus- 
geführten Versuche angeführt. 


Ein 430 g schweres ungebrauchtes Meerschweinchen wird vollkommen 
entblutet, das Gehirn und beide Nieren werden im Mörser getrennt ver- 
rieben, in 0,85 proz. Kochsalzlösung aufgeschwemmt, durch Gaze filtriert 
und zentrifugiert; die nach dem Zentrifugieren über dem Sediment stehende 
milohige Flüssigkeit wird abpipettiert und das Gehirn bzw. Nierensediment 
in frischer, steriler NaCl-Lösung gut verteilt. Mehrere Röhrchen mit je 
1,9ocm der Gehirn- bzw. Nierenaufschwemmung werden mit je 0,l ccm 
einer l promill. Optochinlösung gemischt und in die Brutkammer (37° C) 
gestellt. Nach 2, 30, 60 und 90 Minuten wird je ein Röhrchen mit der 
Gehirn- bzw. Nierenaufschwemmung zentrifugiert und die darüberstehende 
zelfreie Flüssigkeit auf ihren Optochingehalt geprüft. Die gefundenen 
Optochinkonzentrationen waren: 


Für die Gehirnaufschwemmung: 


1. Probe, nach 2 Min. zentrifugiert 1 : 60 000 

> j » 30 » »  1:70000 (anstatt d. rechnungsgemäß 
3 y „»„ 680 ,„ j 1 : 50000 erwarteten 1 : 20 000). 

: „ » 290 „ e 1 : 40 000 


Für die Nierenaufschwemmung: 
l. Probe nach 2 Min. zentrifugiert 1 : 40 000 (anstatt d. rechnungsgemäß 


2. „ „ 30 „ T 1 : 60 000 erwarteten 1: 20 000). 
3. 39 e9 60 29 „ l: 40 000 
4. „ » 90 ,„ n 1 : 30 000 


Aus obigen Versuchen ist zu ersehen, daß sich Organzellen 
im wesentlichen ähnlich verhalten wie die Erythrocyten, indem 
sie das Alkaloid aus der Lösung zuerst aufnehmen, um es dann 
allmählich an die Umgebung abzugeben, und zwar vollzieht sich 
dieser Vorgang erst nach einer gewissen Zeit, im erwähnten Bei- 


Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. lI. 287 


spiel nach ca. 1 Stunde. Denn anstatt der Optochinkonzentration 
1 : 20 000 findet sich schon nach 2 Minuten in der Flüssigkeit, 
in der die Gehirnzellen suspendiert sind, nur eine solche von 
1 : 60 000, also fast 70%, weniger. Nach 30 Minuten tritt diese 
Abnahme noch stärker in Erscheinung, offenbar verstreicht erst 
einige Zeit, bis sich das Gleichgewicht hergestellt hat. Nach wei- 
teren 30 Minuten aber und noch mehr nach insgesamt 90 Minuten 
tritt eine deutliche Zunahme des Optochingehaltes in der Sus- 
pensionsflüssigkeit ein. 

Bei der Nierenaufschwemmung spielt sich der Vorgang in 
analoger Weise ab; wohl bestehen quantitative Unterschiede in 
der Art, daß die Gehirnaufschwemmung mehr vom Alkaloid 
aufgenommen hat. Denn nach 2 Minuten findet sich in der. 
Suspensionsflüssigkeit der Nierenaufschwemmung eine Konzen- 
tration von 1 :40000, also 50% weniger als rechnungsgemäß 
erwartet werden konnte. Auch hier erfolgt zuerst eine weitere 
Abnahme der Optochinkonzentration in der Außenflüssigkeit, 
die jedoch bei weiterem Stehen bei 37° einer Zunahme Platz 
macht. Aus diesen quantitativen Unterschieden zwischen der 
Gehirn- und Nierenaufschwemmung lassen sich aber keine Schluß- 
folgerungen ableiten, etwa im Sinne einer ausgesprocheneren 
Aufnahmefähigkeit der Gehirnsubstanz, da ja die Versuchs- 
bedingungen sonst nicht vollkommen identisch sind. Die Größe 
und Zahl der adsorbierenden Oberflächen sind in beiden Fällen 
nicht gleich und dadurch können in erster Linie quantitative 
Differenzen verursacht werden. 

Im Anschluß an diesen letzten Versuch sei auf neuere Arbeiten von 
Ramsden, Lipkin und Whitley, ferner von Lipkin hingewiesen, 
welche die Speicherung des Chinins durch verschiedene Organe unter- 
suchten und dabei wesentliche Unterschiede zwischen einzelnen Organen 
feststellen konnten. So erwiesen sich in erster Linie die Nebennieren, ferner 
die Milz und die Nieren als in hohem Grade befähigt, Chinin zu speichern. 
Auch fanden diese Autoren, daß einzelne Organe, wie Leber, Nieren, Muskeln, 
Darm und vielleicht auch Pankreas das Chinin weitgehend zu zerstören 
vermögen, wobei sich ein noch wirksames Produkt, das Chitenin, bildet. 

Die Annahme, daß der eigentümliche Verlauf des Optochin- 
spiegels im Serum der intravenös gespritzten Tiere durch das 
erwähnte Verhalten der Blutkörperchen und Organzellen bedingt 
sei, erscheint also durch obige Versuchsergebnisse weitgehend 
gestützt. Denn wenn im Reagensglas ein Anstieg ohne Schaffung 


288 A. Schnabel: 


eines anderen Gefälles — wie es z. B. durch Wechsel der Suspen- 
sionsflüssigkeit entstehen könnte — möglich ist, dann sind die 
Bedingungen im tierischen Organismus hierfür noch günstiger, 
da durch die definitive Ausscheidung des Alkaloids aus dem Kreis- 
lauf ein geändertes Gefälle zwischen den Zellen und der Blut- 
und Gewebsflüssigkeit tatsächlich entsteht. 

Im Zusammenhang damit sei noch auf eine Möglichkeit hin- 
gewiesen, die, wenn auch indirekt, für den Verlauf des Alkaloid- 
spiegels mitverantwortlich sein kann. Es ist die innige Beziehung 
zwischen dem Blut- und Lymphkreislauf. Das in die Blutbahn 
gebrachte, kristalloid gelöste Alkaloid verläßt, sofern es nicht 
adsorbiert wurde, prompt die Blutbahn und gelangt in die peri- 
vasculären Lymphräume. Von hier kann es, wenn es nicht voll- 
ständig adsorbiert wird, auf dem Wege des Ductus thoracicus 
in die Blutbahn gelangen. Es ist ohne weiteres verständlich, 
daB auch dieser Umstand von Einfluß sein kann. Allerdings 
kommt auch hier die Abgabe des Alkaloids durch die Zellen 
an die Umgebung und die dadurch bedingte Erhöhung des Opto- 
chinspiegels in erster Linie in Betracht, so daß sich dieser regu- 
latorische Einfluß der Lymphwege als ein indirekter darstellen 
würde. 

Auf die wichtigen Beziehungen des Ductus thoracicus zum Blutkreislauf 
haben zuletzt Teale und Embleton in einer Studie über die Verbreitungs- 
wege der bakteriellen Exotoxine aufmerksam gemacht. Diese Autoren 
injizierten u. a. auch Tetanustoxin Katzen intravenös und konnten bereits 
nach 5—10 Minuten das Toxin im Ductus thoracicus nachweisen. Sie 
weisen darauf hin, daß dieser niedrig molekulare Körper aus den Capillaren 
sofort in die Spalträume des Bindegewebes, von dort in den Ductus thora- 
cicus und mit dem Chylus wieder ins Blut gelangt. 

Ein wichtiger Beleg für die Bedeutung der Abgabe des 
Alkaloids durch die Zellen konnte von Versuchen erwartet werden, 
bei denen es nachzuweisen gelänge, daß in einer durch Defibrinieren 
gewonnenen Blutprobe, die einem kurz vorher mit Optochin 
intravenös gespritzten Tier entnommen worden war, der Optochin- 
gehalt im Serum dieser Probe nach einiger Zeit ansteigt. Ein 
derartiger Versuch sei hier angeführt. 

Ein 2 kg schweres Kaninchen erhält 10 ccm einer Optochinverdünnung 
1 : 500 in eine Ohrvene eingespritzt. Nach 3 und nach 20 Minuten wird 
je ein Aderlaß gemacht, jedesmal ein Teil des Blutes sofort zentrifugiert, 
der andere zuerst defibriniert, 2 Stunden bei 37° C stehengelassen und dann 
erst zentrifugiert. Von sämtlichen 4 Blutproben wird das Serum auf seinen 


Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus, IT. 289 


Gehalt an Optochin untersucht. Berechnet man die Blutmenge des Kanin- 
chens mit !/,, des Körpergewichtes, also mit ca. 140 com, dann sollte die 
Optochinkonzentration im Blute nach Injektion der obengenannten Opto- 
chinmenge 1: 7500 betragen, wenn keine Adsorption und Diffusion ein- 
treten würde. Im Serum der nach 2 Minuten entnommenen und olıne 
Defibrinieren sofort zentrifugierten Blutprobe ist aber nur eine Optochin- 
verdünnung von kaum 1 : 200 000, also weniger als 4%, nachweisbar; in 
der zu gleicher Zeit entnommenen, jedoch vorher defibrinierten und 2 Stun- 
den bei 37° C stehengelassenen Probe beträgt die nachweisbare Optochin- 
konzentration im Serum 1 : 100 000, also ca. 8%. Der Vollständigkeit 
halber sei angeführt, daß die Optochinkonzentration des Serums der ohne 
2stündiges Stehen untersuchten, defibrinierten Blutprobe ebenfalls nur 
1 : 200 000 betrug. Das Serum der 20 Minuten nach der intravenösen 
Injektion entnommenen und sofort zentrifugierten Blutprobe enthält das 
Optochin in einer Verdünnung 1 : 800 000, also kaum 0,5%, der Ausgangs- 
menge; das zur gleichen Zeit entnommene, jedoch defibrinierte und 2 Stun- 
den bei 37° stehengelassene Blut zeigt einen Optochingehalt im Serum 
von 1: 200.000, also 4%. 

Aus diesem Versuch ist zu ersehen, daß der tatsächliche Gehalt 
des Vollblutes an Alkaloid ein höherer ist als der im Serum nach- 
weisbare und daß sich das Alkaloid ungleichmäßig zwischen Ery- 
throcyten und Suspensionsflüssigkeit verteilt; dieser Unterschied 
im Optochingehalt verwischt sich aber allmählich zugunsten des 
Serums, wenn man das Blut vorher defibriniert und stehen läßt. 
Es tritt dann das ein, was in früheren Reagensglasversuchen 
gezeigt wurde und als wahrscheinlicher Vorgang im Kreislauf 
angenommen wird, nämlich eine Abgabe des Alkaloids durch die 
Erythrocyten an das umgebende Medium. Dieser Anstieg doku- 
mentiert sich also auch hier hauptsächlich als Funktion der Zeit. 

Im Anschluß an den letzten Versuch sei jedoch auf einen 
Einwand aufmerksam gemacht, der mit Recht sowohl hier als 
auch gegen die schon früher (l. c.) mitgeteilten Versuche erhoben 
werden könnte; es ist dies der Einwand, daß das Defibrinieren 
des Blutes für den Ausfall der Versuche nicht ganz belanglos sei, 
daß vielleicht sowohl die Aufnahme als auch die beobachtete Ab- 
gabe des Alkaloids durch die Erythrocyten eine Folge. der durch 
das Defibrinieren bedingten Schädigung der Erythrocyten- 
membran sein könnte. Diese Frage hat gerade in der letzten Zeit 
im Zusammenhang mit Untersuchungen über die Permeahbilität 
der roten Blutkörperchen für verschiedene Ionen, Zucker usw. 
zu einer lebhaften Diskussion geführt. So behaupten Falta und 
Richter- Quittner, daß die Angaben über die Verteilung von 

Biochemische Zeitschrift Band 122. 19 


290 A, Schnabel: 


Stcffen zwischen Blutkörperchen und Plasma für das zirkulierende 
Blut nicht zutreffen; sie finden, daß die Blutkörperchen vom Hiru- 
dinblut weder Chlorionen, noch sonstige Elektrolyte, noch Glykose 
enthalten und daß derartige Befunde nur dann möglich seien, 
wenn die Erythrocyten durch Zusatz von Kalium oxalatum, 
Natriumfluorid oder durch Defibrinieren geschädigt wurden; 
in die Blutkörperchen gelangte Substanzen dieser Art würden 
sofort wieder austreten oder zerstört werden. Auch Brinkmann 
und van Dam geben an, daß d.e roten Blutkörperchen unter 
physiologischen Umständen völlig impermeabel seien, solange 
kein Gerinnungsanfang eingetreten sei. Diese Angaben konnten 
von Ege, Hagedorn, Gad Andresen, Warburg u. a. nicht 
bestätigt werden; diese Autoren fanden auch die durch Zentri- 
fugieren oder Hirudinzusatz gewonnenen Erythrocyten für Ionen 
und Glucose durchgängig. | 

Bei diesem Sachverhalt lag es nahe, auch für die China- 
alkaloide die Bedeutung des Defibrinierens im Vergleich mit 
einem anderen Verfahren der Blutkörperchengewinnung fest- 
zustellen. Ein diesbezüglicher Versuch sei angeführt. 

Einem großen Kaninchen werden durch Herzpunktion 30 com Blut 
entnommen; 15 ocm davon werden sofort zentrifugiert, die zweite Hälfte 
mittels Glasperlen defibriniert und durch sterile Gaze filtriert. In 2 parallelen 
Reihen werden in mehreren Röhrohen je 1,9 com der durch Zentrifugieren 
bzw. durch Defibrinieren gewonnenen Blutkörperchenaufschwemmungen 
mit je 0,1l oom einer l promill Optochinlösung gemischt und in die Brut- 
kammer (37°C) gestellt. Nach 5, 30, 60, 90 und 120 Minuten wird je 
1 Röhrchen des durch Zentrifugieren bzw. Defibrinieren gewonnenen 
optochinhaltigen Blutes zentrifugiert und das darüberstehende Serum auf 
seinen Gehalt an Optochin untersucht. Sohon die äußere Betrachtung 
beider Serumproben belehrt darüber, daß das durch Defibrinieren mittels 
Glasperlen gewonnene Blut relativ stark geschädigt wurde. Das Serum dieser 
Probe ist deutlich hämolytisch im Vergleich mit dem klaren Serum der 
zweiten, durch Zentrifugieren gewonnenen Blutprobe. Daß nicht etwa das 
zugesetzte Optochin diesen Unterschied verursacht hat, beweist ein Ver- 
gleich der Blutproben ohne Optochin. Die Bestimmung des Optochin- 
gehaltes ergibt Folgendes: 

Für das durch Zentrifugieren gewonnene Blut: 

1. Probe, 5 Min. bei 37°, Optochinkonzentration 1 ; 40 000 (anstatt der 


2. ” 30 99 99 5 1 : 40 000 rechnungs- 
3. ” 60 „ „ „ „ 1 : 35 000 gemäß erw. 
4. 9 90 „ „ ” „ 1 : 30 000 1 : 20 000). 
K. pe 120 99 ”„ „ IR) 1 : 30 000 


Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II. 291 


Für das durch Defibrinieren gewonnene Blut: 


Probe, 5 Min. bei 37°, Optochinkonzentration ì : 50 000 (anstatt der 
30 


: 50 000 rechnungs- 
: 40 000 gemäß erw. 
: 30 000 1 : 20 000). 

w D20 e a e 2 1 : 30 000 

Aus obigen Versuchen folgt, daß sich durch Defibrinieren 
gewonnene Erythrocyten im Prinzip nicht anders verhalten ala 
defibriniertes Blut. Bei beiden erfolgt zuerst eine Aufnahme des 
zugesetzten Alkaloids, auf die allmählich beim Stehen der Proben 
bei 3 °C eine Zunahme in der Suspensionsflüssigkeit erfolgt. 
Ein gradueller Unterschied zwischen beiden Blutarten ist wohl 
unverkennbar, indem das durch Defibrinieren gewonnene Blut 
bei Einhaltung möglichst gleicher Versuchsbedingungen aus der 
zugesetzten Optochinlösung verhältnismäßig mehr aufnimmt als 
das durch Zentrifugieren gewonnene. Diese Erscheinung könnte 
man eventuell im Sinne einer die Alkaloidaufnahme begünsti- 
genden Wirkung des Defibrinierens auf die roten Blutkörperchen 
deuten. 

Es bedarf keiner näheren Erklärung dafür, daß sich dieser 
Beweis der relativen Unabhängigkeit des Verhaltens der Zellen 
den Chinaalkaloiden gegenüber von der Gewinnungsart für die 
Organzellen, die sich nur auf eine wenig schonende Weise gewinnen 
lassen, in Reagensglasversuchen nicht erbringen läßt. Darüber 
könnten nur Durchspülungsversuche an herausgeschnittenen, 
blutfreien Organen Aufschluß geben. 

Die nächste zu entscheidende Frage war die nach der Natur 
des Vorgangs der Aufnahme des Optochins durch die Erythro- 
cyten. Schon in dem ersten, auf die Verteilung der Chinaalkaloide 
bezüglichen Aufsatz (l. c.) wurde auf Grund orientierender Ver- 
suche der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Aufnahme des 
Optochins primär nach den Gesetzen der Adsorption und nicht 
durch chemische Bindung erfolgt. Diese Annahme konnte durch 
entsprechende, vielfach variierte Versuchsanordnungen bestätigt 
werden. Es möge dies aus Folgendem ersehen werden: 


Durch Aderlaß beim Kaninchen frisch gewonnenes Blut wird defibri- 
niert und durch Gaze filtriert, je 0,9 ccm desselben in 7 Röhrchen mit je 
0,1 ccm einer Optochinlösung in physiologischer Kochsalzlösung 1 : 1000, 
1 : 2000, 1 : 3000, 1 : 4000, 1 : 5000, 1 : 6000 und 1 : 7000 gemischt. Nach 
5 Minuten langem Stehen bei 37° werden sämtliche Proben zentrifugiert 
und das darüberstehende Serum auf seinen Optochingehalt untersucht. 

19* 


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l. 
2. 
3. „ 60 ” „ 9 
4. 
5 


292 A. Schnabel: 


Die Bestimmung ergibt: 


t. Probe, gefundene Optochinkonzentration 1: 15000 anstatt 1 : 10 000 
2 „ „ „ 1: 30 000 „ 1:20 000 
I. 5 r Ar 1: 60000 „1:30 000 
4. „ 3 ss l: 70000  „ 1:40 000 
5 „ 5 n l: 120000 „ 1: 50000 
6 , „ — l : 130000 „ 160 000 
Te = * i l :180 000  „ 1:70000 


Bei Zusatz von 0.l ccm einer beliebigen Optochinlösung zu 0,9 ccm 
defibrinierten Blutes sollte eine lOfache Verdünnung der betreffenden 
Optochinlösung erfolgen. Wenn man das Erythrocytenvolum unberück- 
sichtigt läßt: Für die Proben 1—7 sollte also eine Optochiukonzentration 
1:10000, 1:20000, 1:30000, 1:40000, 1:50000, 1:60000 und 
1:70 000 resultieren. Die tatsächlich nachweisbaren Konzentrationen in 
den einzelnen Serumproben sind aber schwächer und zwar betragen sie 
in derselben Reihenfolge aufgezählt 1:15000, 1:30000, 1:60 000, 
1:70000, 1 : 120 000, 1 : 130 000 und 1 : 180 000. Berechnet man die 
rechnungsgemäß erwartete Konzentration für jede Probe mit 10025, dann 
bedeutet die tatsächlich nachweisbare eine Abnahme um 25% für die 
l. und 2. Probe, um 50%, für die 3., 43% für die 4., 58%, für die 5., 54%, 
für die 6. und 61°, für die 7. Probe. 

Aus obigen Versuch ist ohne Zweifel zu ersehen, daß die Auf- 
nahme des Optochins durch die Erythrocyten primär nach den 
Gesetzen der Adsorption erfolgt. Denn in den Proben mit den 
stärksten Optochinkonzentrationen wurde relativ am wenigsten 
von den Blutkörperchen aufgenommen (25%); mit der weiteren 
Verdünnung des Alkaloids nimmt die Menge des adsorbierten 
Anteils zu und dementsprechend die in der Suspensionsflüssigkeit 
nachweisbare Konzentration des Optochins ab, und zwar von 
25% bis 50% bzw. 61%. Die graphische Darstellung dieser Be- 
ziehungen würde eine Adsorptionsisotherme ergeben; die geringen 
Senkungen bei den Proben 4 und 6 liegen im Bereiche der Fehler- 
grenzen des Bestimmungsverfahrens. 

Zum Schluß sei noch kurz auf die Frage eingegangen, inwieweit 
die mit dem Optochin erzielten Versuchsergebnisse auch für die 
anderen Chinaalkaloide, insbesondere für das Chinin, Geltung 
haben. Die diesbezüglichen Versuche sind noch nicht abgeschlos- 
sen. Doch ergaben die bisher ausgeführten Reagensglasversuche 
eine prinzipielle Übereinstimmung im Verhalten den Blutzellen 
gegenüber. Ein derartiger Versuch sei hier angeführt: 

Je 0,9 ccm frisch defibrinierten Kaninchenblutes werden in 8 Röhrchen 
mit je 0,1 ccm einer 1 proz. Lösung von Chininum hydrochloricum in physio- 


Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II. 293 


logischer Kochsalzlösung gemischt und in die Brutkammer gestellt. Nach 
5, 30, 45, 60, 75, 90, 105 und 120 Minuten wird je 1 Röhrchen zentrifugiert 
und das darüberstehende Serum auf seinen Gehalt an Chinin untersucht: 
Die Bestimmung des Chinins erfolgte in derselben Weise wie beim Optochin, 
d. h. durch Prüfung der Hemmungseigenschaft des Chinins dem Reduktions- 
vermögen der Pneumokokken gegenüber. Bei Anwendung geeigneter 
Pneumokokkenstämme waren auch Chininkonzentrationen von 1 : 1 000 000 
noch imstande, die Entfärbung des Methylenblaus zu beeinträchtigen; bei 
gleichzeitig angestellten Versuchen mit Optochin erwiesen sich noch Ver- 
dünnungen des letzteren bis 1 : 20 000 000 als wirksam. 


Die Bestimmung ergibt: 


1. Probe, 5 Min. bei 37°, Chininkonzentration 1 : 2500 anstatt 1 : 1000 
2% » | a er Pa 1 : 2000 * 1 : 1000 
3. „ 45 ” „ „ „ l: 2000 „ 1 2 1000 
4. „ 60 „ „ „ 29 l: 2000 „ l: 1000 
5. „ 75 „ „ „ 9 1 : 2000 „ 1 : 1000 
6. „ 90 „ „ „ 9 1 : 1500 „ 1 : 1000 
7. „ 105 „ „ „ ” 1 : 1500 „ 1 ‘ 1000 
8. „ 120 „ „ „ „ 1 : 1500 „ 1 : 1000 


Aus diesem Versuch ist zu ersehen, daß auch das Chinin 
zuerst von den Erythrocyten aufgenommen wird, um dann an 
die Umgebung abgegeben zu werden, daß also auch hier im wesent- 
lichen die gleichen Beziehungen bestehen wie zwischen dem Opto- 
chin und den Erythrocyten. Es ist wahrscheinlich, daß auch die 
Aufnahme des Chinins primär nach den Gesetzen der Adsorption 
erfolgt. 

Zusammenfassung. 


Die bei früheren Versuchen mit roten Blutkörperchen ver- 
schiedener Tierarten beobachtete Erscheinung der Aufnahme von 
Optochin und der darauffolgenden allmählichen Abgabe desselben 
an die Umgebung konnte auch bei Experimenten mit Organzellen 
gesehen werden: Nieren- und Gehirnaufschwemmungen zeigten 
das gleiche Verhalten. Diese Tatsache wird in erster Linie zur 
Erklärung des sonderbaren Verlaufs des Optochinspiegels im 
Serum intravenös gespritzter Tiere herangezogen, wo nach an. 
fänglichem, steilem Abfall des Optochingehaltes ein späteres 
Ansteigen und darauf allmähliches Absinken zu sehen ist. 

Proben defibrinierten Blutes, die man einem kurz vorher mit 
Optochin intravenös gespritzten Kaninchen entnommen hatte, 
zeigen nach einigem Verweilen bei 37°C einen höheren Gehalt 
an Optochin im Serum als bei der sofortigen Untersuchung nach 


294 A. Schnabel: Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II. 


der Entnahme, was dem Anstieg des Optochingehaltes bei Reagens- 
glasversuchen entspricht. Die Gewinnungsart der Erythrocyten 
besitzt für die Erscheinung der Aufnahme der Chinaalkaloide 
und deren Abgabe an die Umgebung keine besondere Bedeutung. 

Die Aufnahme des Optochins durch die Blutkörperchen 
erfolgt primär nach den Gesetzen der Adsorption, denn aus 
konzentrierten Alkaloidlösungen nehmen die Erythröcyten relativ 
wenig (25%) auf, während sie aus verdünnten Lösungen über 
60%, aufzunehmen vermögen. 

Auch das Chinin wird zuerst von den Blutkörperchen auf- 
genommen und dann allmählich an die Umgebung abgegeben, 
ohne daß in den Milieuverhältnissen irgendeine Änderung, wie 
Flüssigkeitswechsel oder dergleichen vorgenommen worden wäre. 





Literatur. 


Bönniger, M., diese Zeitschr. 103. 1920. — Brinkman, E. und 
E. v. Dam, ebenda 405. 1920. — Ege, R., ebenda 107. 1920. — Falta, W. 
und M. Richter, ebenda 100. 1919 und 114. 1921. — Gad, K. L., ebends 
107. 1920. — Lipkin, J. J., Ann. of trop. med. a. parasitol. 13. — 
Ramsden, W., I. J. Lipkin und E. Whitley, ebenda 12. — Schnabel, 
A., diese Zeitschr. 108 u. 112. 1920. — Teale, F. H. und D. Embleton, 
Journ. of the roy. army med. corps 35, Nr. 2. 1920. — Warburg, E. I., 
diese Zeitechr. 107. 1920. 


— —— — — — 


Über die Bestimmung zell- und keimschädigender Sub- 
stanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. 


II. Mitteilung. 


Von 
Alfred Schnabel. 


(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Basel.) 
(Eingegangen am 4. Juli 1921.) 


Mit 4 Abbildungen im Text. 


In einem früher erschienenen Aufsatz!) wurde ein Verfahren 
beschrieben, welches gestattet, relativ hohe Verdünnungen zell- 
schädigender, chemisch definierter Substanzen quantitativ zu 
bestimmen. Das Verfahren beruht auf der Fähigkeit verschiedener 
Zellen (Bakterien), Methylenblau durch Reduktion in eine farblose 
Verbindung umzuwandeln und auf der Eigenschaft gewisser 
Substanzen, dıesen Vorgang zu verzögern oder zu hepmen. Die 
Bestimmung erfolgte in der Weise, daß jene Verdünnung der zu 
untersuchenden Lösung unbekannter Konzentration festgestellt 
wurde, die die Reduktion des Methylenblaus durch Bakterien 
z. B., zu einem Zeitpunkt noch zu verhindern vermochte, in dem 
Kontrollen ohne die zu bestimmende Substanz bereits entfärbt 
waren. Durch Vergleich mit Lösungen bekannter Konzentration 
von derselben Substanz ließ sich die unbekannte Konzentration 
annähernd bestimmen. 

Zur Erzielung genauerer Ergebnisse hat es sich aber als 
zweckmäßig erwiesen, nicht allein aus dem Stand der Entfärbung 
des Methylenblaus in einer Versuchsreihe zu einem bestimmten 
Zeitpunkt, und zwar in jenem, in dem die Kontrollen entfärbt 
waren, Schlüsse zu ziehen, sondern den Ablauf der Entfärbungs- 


1) Dieso Zeitschr. 108. 1920. 


296 A. Schnabel: 


reaktion in einem bestimmten Zeitintervall durch zu ver- 
schiedenen kurz aufeinanderfolgenden Zeiten vorgenommene Ab- 
lesungen zu beobachten und zu notieren. Wie an erwähnter 
Stelle (l. c.) näher ausgeführt wurde, fallen die hier in Betracht 
kommenden Erscheinungen in das Gebiet der Entwicklungshem- 
mung und sind dementsprechend dadurch gekennzeichnet, daß 
sie in erster Linie Funktionen der Konzentration der wirksamen 
Substanzen, der Zeit und der Zellzahl sind. Sehr dünne Lösungen 
zellschädigender Substanzen vermögen den Reduktionsvorgang 
nur zu verzögern, während erst Konzentrationen, die das Leben 
der Zellen dauernd schädigen una bei Bakterien das Wachstum 
verhindern, die Entfärbung des Methylenblaus gänzlich unmöglich 
machen. Diese Tatsache tritt bei den Versuchen in der Art in 
Erscheinung, daß sich in einer Versuchsreihe mit fallenden Mengen 
der wirksamen Substanz die Reduktion des Methylenblaus all- 
mählich von den Proben mit schwachen Konzentrationen auf 
diejenigen: mit stärkeren erstreckt. 

Unter sonst gleichen Versuchsbedingungen ist der Ablauf 
dieser Entfärbungsreaktion in einer Versuchsreihe nur von der 
Art, in der die fortlaufende Verdünnung der Lösung einer wirk- 
samen Substanz erfolgt, abhängig. Werden z. B. die Verdünnungen 
so ausgeführt, daß sie eine geometrische Progression mit dem 
Quotienten 2 bilden, dann wird der Entfärbungsvorgang in einem 
gewissen Zeitabschnitt anders verlaufen, als wenn der Quotient 
mehr oder weniger beträgt, wie man sich durch entsprechende 
Reihenversuche überzeugen kann. In jedem Falle aber, d. h. 
beı der Wahl eines bestimmten Quotienten, bietet der durch ein 
bestimmtes Zeitintervall beobachtete Entfärbungsvorgang ein 
recht charakteristisches Gepräge. 

Als besonders praktisch erwies sich die graphische Darstellung 
des Reaktionsablaufes in einer Versuchsreihe im Ordinatensystem. 
Trägt man nämlich auf die Ordinate des Systems die im Versuche 
verwendeten Verdünnungen einer Lösung unbekannter Konzen- 
tration und auf die Abszisse die Zeit ein, zu der die jeweilige 
Ablesung des Standes der Entfärbung erfolgt, dann erhält man 
Kurven, die ein sehr charakteristisches Aussehen darbieten. 
Bei gleichbleibendem Verdünnungsmodus ist die Form dieser: 
Kurve nur von der Konzentration der Ausgangslösung abhängig. 
Es bedarf keiner näheren Erläuterung dafür, daß man die Form 


Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw. auf biolog. Wege. JI. 297 


dieser Kurve durch willkürliche Wahl des Verdünnungsmodus 
willkürlich gestalten kann. 

Folgender Versuch möge die Anwendungsart des Verfahrens 
näher erläutern: 


0,9ccm defibrinierten Kaninchenblutes werden mit 0,1 ccm einer Lösung 
- von Optochinum hydrochloricum 1 : 3000 in physiologischer Kochsalz- 
lösung gemischt und zentrifugiert. Es sci nun die im Serum vorhandene 
Optoclinkonzentration zu bestimmen. Zu diesem Zwecke wird das Serum 
auf seine Fähigkeit, die Reduktion des Methylenblaus durch optochin- 
empfindliche Pneumokokken zu beeinträchtigen, untersucht. 

Von einer geeigneten 24stündigen Blutbouillonkultur von Pneumo- 
kokken werden 0,2 ccm als Dosis minima reducens, d. h. als jene kleinste 
Keimmenge festgestellt, die einen Tropfen einer bestimmten Methylenblau- 
lösung nach 1 Stunde 50 Minuten bei einem Gesamtvolumen von 1l com 
(Nährbouillon als Ergänzungsflüssigkeit) zu reduzieren vermag. Dement- 
sprechend witd die Kultur 5fach mit steriler Nährbouillon verdünnt. Das 
zu untersuchende Serum wird hierauf mittels der Kulturverdünnung fort- 
laufend 20-, 40-, 80-, 160-, 320-, 640-, 1280- und 2560fach verdünnt, der 
1 com betragende Inhalt eines jeden Röhrchens mit einem Tropfen Methylen- 
blaulösung vermischt, mit Paraffinöl überschichtet und in die Brutkammer 
(37°C) gestellt. 3 Röhrchen ohne das optochinhaltige Serum dienen als 
Kontrollen (siehe Tabelle I). 


Tabelle I. 
1. Röhrchen: 1 ccm Kulturverd. 1 : 5, Serumverd. 1 : 20 
2. Br l ,„ j 1:5, m 1:40 
3 an 1: 33 ss 1:5, 5 1:80 je 1 Tropfen 
4. = l, — 1:5, j 1 : 160 | Methylenblau- 
5. j l: 5; i 1:5, si 1l : 320 lösung, 
6. " t * 1:5, as I : 640 Paraffinöl, 
T; kA i 5 1:5, PA l : 1280 37°C 
8. „ 1 „ „ l: 5, „ 1 : 2560 
Kontrollen: 1 ,, i 1:5. 


Nach 1 Stunde 50 Minuten sind die Kontrollen und dio Röhrchen 5 bis 
8 mehr oder weniger entfärbt, während die Proben 1—4 noch voll- 
kommen blau sind; nach 1 Stunde 55 Minuten ändert sich dieser Zustand 
nioht. Nach weiteren 5 Minuten zeigt das 4. Röhrchen beginnende Ent- 
färbung, nach 2 Stunden 5 Minuten das 3. Erst nach 2 Stunden 40 Minuten 
beginnt sich das 2. Röhrchen zu entfärben, während das 1. Versuchsröhrchen 
auch nach 3 Stunden noch blau bleibt. 


Diesem Ablauf der Entfärbung in der Rährchenreihe ent- 
spricht die beigefügte Kurve (Abb. 1). 

Der Einfachheit halber sind auf die Ordinate die Röhrchen- 
nummern und nicht die dazugehörigen Verdünnungen des zu 


298 A. Schnabel: 


untersuchenden Serums eingetragen, und zwar entspricht das 
1. Röhrchen der 20fachen, das 2. der 40fachen, das 3. der 80fachen 
Verdünnung des Serums usw. Der Anfang der Kurve ist durch 
den Zeitpunkt, in welchem die Kontrollen ohne Serum entfärbt 


8R 
7A. 


6. A. 





Abb. 2. 





1h50 ah Zhang‘ 27120' 2h30' 2040” 
Abb. 8. 

sind, und durch die Nummer jenes Röhrchens mit der schwächsten 
Konzentration, weiches zur selben Zeit noch nicht entfärbt ist, 
markiert; jeder weitere Punkt der Kurve entspricht derjenigen 
Probe, die zu der betreffenden Ablesungszeit noch nicht entfärbt 
ist. Um nun auf Grund dieser Kurve die gesuchte Optochin- 
konzentration feststellen zu können, werden mehrere Optochin- 
lösungen bekannter Konzentration auf ihre hemmende Kraft 





Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw. aufbiolog. Wege. II. 299 


geprüft und für dieselben in der oben angegebenen Weise Ent- 
färbungskurven angelegt, und zwar kommen beliebige Optochin- 
konzentrationen zur Anwendung, wie 1:10000, 1:60 000, 
1 : 120 000 usw., im ganzen z. B. 10 verschiedene Konzentrationen. 
Die einzelnen Optochinlösungen werden fortlaufend 20-, 40-, 
80fach usw. verdünnt und auch im übrigen wird dieselbe Versuchs- 
technik wie im obigen Beispiel angewendet. Es seien hier 3 ver- 
schiedenen Optochinlösungen entsprechende Entfärbungskurven 
angeführt (Abb. 2, 3 u. 4); die Abb. 2 entspricht der Optochin- 
lösung 1 : 10 000, die Abb. 3 der Lösung 1 : 60 000 und die Abb. 4 
der Optochinlösung 1 :120 000. Vergleicht man die Abb. 1, 
welche die Entfärbungskurve der gesuchten Optochinkonzentra- 
tion im Serum darstellt, mit den 3 anderen, dann erkennt man 
sofort ihre fast vollkommene Identität mit der Abb. 3, welche die 
Entfärbungskurve der Optochinlösung 1 :60000 ist. Diese 
Identität der Kurven gestattet den Schluß, daß die ihnen ent- 
sprechenden Ausgangslösungen von Optochin, d. h. die unbekannte 
im Serum und die bekannte, einander gleich sind, daß also die 
Optochinkonzentration im untersuchten Serum 1 : 60 000 beträgt. 

Nebenbei sei auf die aus diesem Versuch ersichtliche Tatsache der weit- 
gehenden Absorption des Optochins durch die Erythrocyten hingewiesen. 
Denn bei einem Zusatz von 0,1 ccm einer Optochinlösung 1 : 3000 zu 0,9 com 
defibrinierten Blutes sollte rechnungsgemäß eine Konzentration von min- 
destens 1 : 30 000 (bei Vernachlässigung des Erythrocytenvolumens) resul- 


tieren; tatsächlich beträgt aber die Optochinkonzentration 1 : 60 000, also 
nur 50% der erwarteten; soviel wurde von den Blutkörperchen aus der 


Lösung aufgenommen. 

Aus den beigefügten Abbildungen ist ferner das Verhältnis 
der Wirkung zweier Optochinkonzentrationen zu ersehen, die 
zueinander im Verhältnis 1 : 2 stehen. Die den Optochinlösungen 
l : 60000 und 1:120000 entsprechenden Entfärbungskurven 
(Abb. 3 u. 4) zeigen ebenfalls eine weitgehende Ähnlichkeit; der 
wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß die 
Kurve in der Abb. 3 um ‚‚ein Röhrchen“ nach oben verschoben 
erscheint; es kommt darin die Tatsache zum Ausdruck, daß der 
Entfärbungsvorgang in der Versuchsreihe mit der 2 mal stärkeren 
Ausgangskonzentration 1 : 60000 jeweils — zur gleichen Ablesungs- 
zeit —- um ein Röhrchen hinter der Versuchsreihe mit der Ausgangs- 
lösung 1 : 120 000 zurückLbleibt. Wäre also z. B. die Entfärbungs- 
kurve in der Abb. 4 die einer zu bestimmenden, unbekannten 


300 A. Schnabel Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw. 


Optochinlösung, dann würde aus dem Vergleich mit der Abb. 3 
folgen, daß die gesuchte Optochinkonzentration halb so. stark 
ist als die der Abb. 3 entsprechende, also 1 : 120 000 beträgt. 


Zusammenfassung. 


Das früher beschriebene Verfahren zur Bestimmung zell- 
schädigender Substanzen mittels der Reduktion des Methylen- 
blaus und der Beeinträchtigung dieses Vorganges durch wirksame 
Stoffe wird dahin ergänzt, daß nicht aus dem Stand der Ent- 
färbung zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern aus dem 
Reaktionsablauf während eines gewissen Zeitintervalls Schlüsse 
über die zu bestimmende Konzentration gezogen werden. Die den 
Ablauf des Entfärbungsvorganges versinnbildlichenden Kurven 
gestatten durch Vergleich mit bekannten Lösungen die gesuchte 
Konzentration bequem zu ermitteln. 


Temperatur und Capillaraktivität. 
(Erwiderung.) 


Von 
B. v. Issekutz. 


(Aus dem Pharmakologischen Institut der kgl. ung. Universität Kolozsvár, 
geflüchtet nach Budapest.) 


(Eingegangen am 5. Juli 1921.) 


Vor 3 Jahren habe ich in dieser Zeitschrift!) eine Arbeit „Über den 
Einfluß der Temperatur auf die Capillaraktivität der Narkotica‘“ veröffent- 
licht, gegen die, wie ich es aus äußeren Gründen?) erst jetzt erfahre, H. Win- 
terstein?) mehrere Einwände erhoben hat. Winterstein meint (S. 235), 
ioh hätte bei Steigerung der Temperatur für Salicylamid, Benzamid und 
Monacetin eine Zunahme der stalagmometrisch bestimmten Oberflächen- 
spennung (gegen Luft) gefunden, obwohl ein solches Resultat mit der 
Theorie in .Widerspruch ist, da ‚die Oberflächenspannung beim kritischen 
Punkt schließlich den Wert Null erreicht, so daß sich bei allen Stoffen 
mit Erhöhung der Temperatur eine Abnahme derselben erwarten läßt‘“ 
(S. 246). 

Diese Ansicht beruht auf einer irrtümlichen Deutung meiner Versuchs- 
ergebnisse die allerdings in einer ungewohnten Form veröffentlicht wurden. 
Wie ich nämlich im folgenden zeigen werde, lag es mir durchaus fern, zu 
behaupten, daß die Oberflächenspannung der genannten Narkotica mit 
der Temperatur wächst; ich fand vielmehr, daß ihre Capillaraktivität 
(d. h. die Fähigkeit, die Oberflächenspannung des Wassers zu erniedrigen) 
bei 33—40° kleiner ist als bei 6°. 

Um die bei verschiedenen Temperaturen gefundenen Tropfenzahlen 
miteinander vergleichen zu können, rechnete ich dieselben auf folgende 
Weise um: ich setzte in jedem Falle die Tropfenzahl des reinen Wassers 
= 100 und bezog die Tropfenzahl der Lösung (bei derselben Temperatur) 
auf diese Basis. So erhielt ich vergleichbare Relativzahlen, die also nur 
angeben, wie groß die Tropfenzahl einer Lösung bei einer be- 
stimmten Temperatur wäre, wenn die Tropfenzahl des Wassers 


1) Diese Zeitschr. 88, 213. 1918. 

2) Die deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften wurden 1919 — 1920 
von den Rumänen nicht nach Siebenbürgen hineingelassen. 

s) H. Winterstein, Die Narkose. Berlin 1919. 


302 B. v. Issekutz: Temperatur und Capillaraktivität. 


bei derselben Temperatur 100 betragen würde. Beispiel: Die rela- 
tive Tropfenzahl einer Salicylamidlösung (1 : 600) beträgt bei 6° 101,9, 
bei 40° aber 100,61); dies bedeutet jedoch nicht, daß die Oberflächenspannung 
dieser Lösung mit der Temperatur zunimmt, sondern nur, daß duroh das 
Salicylamid die Oberflächenspannung des Wassers bei 6° mit 1,9%, bei 
40° dagegen nur mit 0,6%, verringert wird. 

Berechtigt und mit der Theorie vereinbar war demnach meine Folge- 
rung, daß dieCapillaraktivität desSalicylamids mit der Temperaturerhöhung 
abnimmt. 

Daß meine Messungen richtig sind, geht übrigens auch aus einer Arbeit 
von H. Winterstein?) hervor. Die von Hirschberg (unter Leitung von 
A. Winterstein) ermittelten Werte stimmen nämlich mit meinen Resul- 
taten gut überein, wenn man die beiden Zahlenreihen auf gemeinschaftliche 
Basis bringt. 

E. Hirschberg ermittelte nämlich bei 15,5° die Tropfenzahl des 
Wassers zu 104,7, die der 2/,.0-Salicylamidlösung zu 106,7, die Abnahme der 
Oberflächenspannung des Wassers beträgt also 0,99%, ; bei 42,5° fand sie für 
die Tropfenzahl des Wassers 112,4, für die der Salicylamidlösung 113; die 
Erniedrigung der Oberflächenspannung beträgt hier nur 0,5°,, ist also 
wesentlich kleiner als bei 15,5°. 

Durch eine analoge Umrechnung erhält man aus den Zahlen von 
E. Hirschberg für Benzamid und Monacetin (%/,oo-Lösungen) folgende 
Resultate: 

Abnahme der Oberflächenspannung des Wassers: 

Benzamid: 2,3%, (15,5°) und 0,7%, (42,5°), 
Monacetin: 5,0%, (15,5°) und 1,4%, (42,5°). 

Übereinstimmend mit meinen Resultaten zeigen diese Zahlen, daß die 
Capillaraktivität der genannten Stoffe, welche für die Theorie der Narkose 
von Bedeutung sind, mit der Temperaturerhöhung abnimmt. Wenn dieses 
Ergebnis von H. Winterstein und mir den visoostagonometrischen Be- 
stimmungen von R. Unger?) zu widersprechen scheint, so möchte ich dazu 
bemerken, daß die mit Stalagmometer und Viscostagonometer bestimmten 
Werte nach I. Traube und R. Somogyi*) miteinander nicht immer 
übereinstimmen. „Die Angaben des Stalagmometers beziehen sich auf eine 
frisch gebildete Oberfläche und sind danach dynamischer Natur, 
während die Angaben des Viscostagonometers sich auf eine alte Oberfläche 
nach mehr oder weniger vollständigem Eintritt des Gleichgewichts beziehen 
und somit statischer Natur sind.“ Die Bildungszeit eines Wassertropfens 
ist nämlich bei dem Viscostagonometer nach I. Traube etwa 8—9 mal 
größer als beim Stalagmometer. 


1) I. c. S. 216, Tabelle I. (Nebenbei bemerkt, enthält dieselbe einen 
Druckfehler: bei Salicylamid ist statt „"/,,“ richtig „"/,s0‘“ zu setzen.) 

2) Nach Versuchen von E. Hirschberg, diese Zeitschr. 100, 81. 1919. 

?) Diese Zeitschr. 89, 283. 1918. 

t) Internat. Zeitschr. f. physik.-chem. Biologie 1, 485. 1914. 


Bemerkungen zu der Abhandlung von Emil Baur und 
Eugen Herzfeld: „Über Gärung ohne Hefe“ '). 


Von 


A. Bau (Bremen). 
(Eingegangen am 2. Juli 1921.) 


Emil Baur und Eugen Herzfeld verwandten zur Hefe- 
oder überhaupt zellenfreien Gärung und unter Ausschluß 
von Enzymen ein Gemisch von Lösungen chemischer, mehr 
oder weniger gut definierter Substanzen, und zwar von Pepton, 
Casein, Dextrin, Lipoid, gallensauren Alkalien, doppeltkohlen- 
saurem Natrium und Traubenzucker. 

Die Anzeichen für „Gärung‘‘ wurden darin gefunden, daß 
sich bei den Versuchen in Gegenwart von Traubenzucker bedeutend 
mehr Kohleusäure entwickelte als bei den blinden Versuchen 
ohne Traubenzucker, sowie, daß sich bei den Proben mit d-Glucose 
im Destillat Spuren bis faßbare Mengen eines die Jodoform- 
reaktion gebenden Körpers nachweisen ließen, dessen im besten 
Fall errechnete Menge auf Äthylalkohol bezogen nur einen ge- 
ringen Bruchteil an Alkohol gegenüber der entwickelten Kohlen- 
säure ergab und somit in einem argen Mißverhältnis zu dem als 
„Alkoholgärung‘“ bezeichneten Vorgang stand. 

Das Auffallendste bei den Versuchen von E. Baur und 
E. Herzfeld ist der Umstand, daß die von ihnen als Gärung 
bezeichnete Erscheinung nur dann eintritt, wenn die obengenann- 
ten Substanzen in der richtigen Reihenfolge gemischt werden. 
Hält man letztere nicht inne, so bleibt die „Gärung‘‘ aus. 

Wir sehen zunächst von diesem merkwürdigen Umstand ab. 

Wie die Verfasser selbst mitteilen (S. 105), waren ihre Lö- 
sungen nicht steril, sie enthielten vielmehr Bakterien. Letztere 
gaben nach der Kultivierung in Bouillon und dann in Trauben- 


1) Diese Zeitschr. 117, 96—112. 1921. 


304 A. Bau: 


zuckerlösung, ohne und mit Pepton und Lipoid, unter Toluol 
keine Entwicklung von Kohlensäure. Es ist dies ein Beweis, 
daß die Bakterien eine Alkoholgärung nicht erzeugten. Die 
Verfasser haben aber keinen Versuch ausgeführt, wie sich die 
Bakterien in Gegenwart von Bicarbonat verhalten. 

Da, wie man vermuten kann, säurebildende Bakterien vor- 
liegen, so wäre eine solche Probe angebracht gewesen. 

Toluol gilt natürlich als Konservierungsmittel, jedoch mit 
der Maßgabe, daß zwecks einer technischen Sterilisierung ein 
bestimmtes Verhältnis zwischen den vorhandenen Organismen, 
der Zusammensetzung des Nährsubstrates und dem Konservie- 
rungsmittel walten muß. Je mehr Einzelindividuen vorhanden 
sind, je besser die Nährlösung zur Erhaltung und Fortpflanzung 
derselben ist, desto größere Gaben des Konservierungsmittels 
sind nötig, um eine technische Sterilisation zu erzielen. 

Über die Menge des zugefügten Toluols fehlen leider alle 
Angaben. 

Die bicarbonathaltigen Proben ergaben ohne Zusatz von 
Traubenzucker eine gewisse Menge von Kohlensäure, welche 
bei Gegenwart dieses Zuckers bedeutend vermehrt wurde. 
Die Verfasser schließen aus diesem Umstand auf eine Vergärung 
des Zuckers, und zwar, wie aus ihrem Bestreben hervorgeht, 
Alkohol nachzuweisen, auf eine alkoholische Gärung. 

Machen wir die Annahme, daß säurebildende Bakterien 
(die Lösungen waren ja nicht steril!) gegenwärtig waren, so ist 
die vermehrte Erzeugung von Kohlensäure bei Zusatz von Zucker 
zwanglos auch ohne die Hypothese einer „künstlichen Zymase“ 
zu erklären. Erstens: Bei Gegenwart von Zucker fanden die 
Bakterien bessere Lebensbedingungen (Ernährung durch ein 
Kohlenhydrat), produzierten mehr Säure und machten deshalb 
auch mehr Kohlensäure aus dem Bicarbonat frei, zweitens — 
selbst hiervon abgesehen — rufen auch sogenannte ‚‚indifferente“ 
Stoffe eine erhöhte Abspaltung von Kohlensäure nicht nur aus 
dem Bicarbonat, sondern auch aus Natriumcarbonat hervor. 
Joh. Pinnow!) zeigte in seiner Abhandlung „Über den sauren 
Charakter des Mehles‘‘, daß der nach anderen Verfahren bereits 
festgestellte Säurecharakter des Zuckers sich auch durch Aus- 


1) Joh. Pinnow, Zeitschr. f. Unters. d. Nahrungs- u. Genußm. 40, 
243—246. 1920. 


„Gärung ohne Hefe.“ 305 


treiben von Kohlensäure aus Natriumcarbonat zu erkennen gibt. 
Wenn Joh. Pinnow bei dem stabileren Rohrzucker zu diesem 
Ergebnis kam, dürfte eine solche Säurewirkung bei dem leichter 
reaktionsfähigen Traubenzucker noch etwas energischer sein, 
zumal, wenn an Stelle von Monocarbonat Bicarbonat vorliegt. 

Auffallend erscheint noch der Umstand, daß bei dem ‚„enzym- 
freien“ Gemisch der Verfasser eine Gärung ausblieb, wenn die 
Lösungen ‚flockten“. Von einigen Milchsäurebakterien aber 
ist es bekannt, daß sie nur dann eine energischere Tätigkeit ent- 
falten können, wenn sie in der Flüssigkeit verteilt sind wie es 
beispielsweise in der trüben, mit festen Partikeln durchsetzten 
Brennereimaische der Fall ist. Liegen diese Bakterien fest zu 
Boden, z. B. in einem ruhig im Laboratorium stehenden Kolben, 
so säuern sie nur wenig, vermutlich deshalb, weil die nächste 
Umgebung der Einzelindividuen schnell mit Säure angereichert 
wird und somit die Spaltungstätigkeit der Organismen lähmt. 

Also auch dieser Einwand, daß bei Flockung der Flüssigkeit 
keine vermehrte Kohlensäureproduktion statthat, ließe sich 
zwanglos erklären. 

Es bleibt noch der Nachweis des Alkohols bei stattgefundener 
„Gärung‘ zu besprechen übrig. Einwandfrei ist der Alkohol nicht 
festgestellt worden, aber, selbst wenn dies der Fall wäre, so ist 
daran zu erinuern, daß es zahlreiche Bakterien gibt, welche 
Alkohol im ‚‚Nebenberuf‘‘ erzeugen!). Die von den Verfassern 
in einzelnen Fällen errechnete Menge an Alkohol steht in einem 
derartigen Mißverhältnis zu der gegenüber den blinden Versuchen 
erzeugten Menge an Kohlensäure, daß vor allen Dingen von einer 
alkoholischen Gärung nicht die Rede sein kann. | 

Die Ergebnisse, welche die Verfasser in mühevoller Arbeit 
erzielten, ließen sich also zwanglos auch ohne Annahme 
eines künstlich erzeugten Gärungsenzymes erklären, 
wenn nicht die schon eingangs erwähnte auffällige Erscheinung 
vorläge, daB die „Gärung‘ nur dann eintritt, wenn die einzelnen 
Bestandteile in genau bestimmter Reihenfolge "gemischt 
werden. 

„Nur wenn das feingepulverte Gemisch von Traubenzucker, 
Bicarbonat und Pepton in festem Zustand in der frischbereiteten, 
wässerigen Lösung von Lipoid und gallensauren Alkalien auf- 

1) Paul Lindner, Tageszeitung für Brauerei 19, 411. 1921. 


Biochemische Zeitschrift Band 122. 20 


306 A. Bau: „Gärung ohne Hefe.“ 


gelöst wird, entsteht die dem Eintritt der Gärung zuträgliche 
Dispersion, nicht aber, wenn die Bestandteile einzeln in Wasser 
gelöst und dann zusammengegeben werden‘ (8. 100). 

In welcher Art die Lösung des Traubenzuckers, des Bicarbo- 
nats und des Peptons bei dem negativen Ausfall der Proben 
erfolgte, geben die Verfasser leider nicht an. Geschah die Lösung 
in heißem Wasser? Dann könnten die im Pepton vorhandenen 
Bakterien abgetötet und somit an einer Säureproduktion sowie 
an der Erzeugung winziger Alkoholmengen behindert sein. Leider 
geben die Verfasser nicht an, ob sie auch bei ihren negativ ver- 
laufenden Versuchen nicht nur Bakterien, sondern auch dieselbe 
Art der Bakterien, die sie bei den positiv verlaufenden Proben 
fanden, nachweisen konnten. Die Art der Bakterien wurde über- 
haupt nicht festgestellt. 

Wenn ich gegen die Arbeit von Baur und Herzfeld, welche 
ihren Kernpunkt darin findet, ein Gärungsenzym künstlich 
erzeugt zu haben, schwerwiegende Bedenken von seiten eines alten 
Gärungschemikers vorbrachte, so verkenne ich durchaus nicht 
das Bestreben und die mühevollen Arbeiten der Verfasser, dem 
Begriff der Enzyme oder Fermente durch chemische Forschung 
näher zu rücken. 

Was wir heute als Enzyme betrachten, ist ein Sammelbegriff 
für sehr verschiedene Stoffe, ähnlich, wie man früher die Bitter- 
stoffe z. B. als Gruppe betrachtete, bis es der Forschung gelang, 
diese Stoffe verschiedenen Klassen des chemischen Systems ' 
großenteils einzuordnen. Es ist deshalb jede Arbeit zu begrüßen, 
welche uns Aufklärung über die chemische Natur der Enzyme 
verschaffen soll, allerdings sind die Studien von Baur und Herz. 
feld keineswegs überzeugend. 


Weiteres über den Verlauf der alkoholischen Gärung 
bei Gegenwart von kohlensaurem Kalk. 


Von 


Johannes Kerb und Kurt Zeckendortf. 


[Aus der physiologisch-chemischen und bakteriologischen Abteilung des 
allgemeinen Krankenhauses (St. Georg) Hamburg.) 


(Eingegangen am 2. Juli 1921.) 


Die Brenztraubensäure-Theorie der alkoholischen Gärung 
wurden von Neuberg und Kerb!) im Jahre 1912 näher be- 
gründet. Später konnten direkte experimentelle Beweise für diese 
Hypothese erbracht werden. So gelang es Neuberg und Rein- 
f urth?) das Vergärungsprodukt der Brenztraubensäure, den Acet- 
aldehyd, bei der Zuckergärung mit verschiedenen Methoden und 
in beträcht lichenMengen (zu ca. 75%) zu fixieren. Die Genannten 
zeigten zugleich, daß die Brenztraubensäure unter den Bedingun- 
gen dieser „Abfangverfahren‘‘ vergoren wira, so daß sie sich nicht 
anhäufen kann; aus früheren Arbeiten?) war ferner bekannt, daß 
auch die brenztraubensauren Salze durch Hefe zerlegt werden. 
Im Gegensatz zu dieser Tatsache stand nun eine Behauptung von 
FernbaohundSchoen®*). Diese Autoren haben an die zuerst von 
Neuberg und Wastenson (1910) gemachte Beobachtung ange- 
knüpft, daß Brenztraubensäure gärfähig ist, und haben die kurz dar- 
auf (1911) gleichzeitig und unabhängig vonNeubauerundFrom- 


1) Neuberg und Kerb, Zeitschr. f. Gärungspliysiol. 1, 114. 1912; 
B. 46, 2225. 1913. 

2) Diese Zeitschr. 89, 365. 1918. 

2) Neuberg und Mitarbeiter, diese Zeitschr. — Vgl. auch Naga- 
yama (Tokio), ebendaselbet. 

4) Fernbaoh und Schoen, Cpt. rend. 157, 1478. 1914; 158, 1719. 
1914. 

20* 


308 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf: 


herzsowie Neuberg und Hildesheimer geäußerten Ansichten!) 
über die Beziehung jener Substanz zur alkoholischen Gärung zu be- 
stätigen gesucht; sie gaben an, Brenztraubensäure in erheblicher 
Ausbeute durch ‚‚Vergärung‘ des Zuckers lediglich in Gegenwart 
von kohlensaurem Kalk erzielt zu haben. Nach beendigter Vergärung 
von Glucose oder Invertzucker unter Zusatz von Nährsalzen und 
überschüssigem Calciumcarbonat sollte eine Menge von 25% 
des angewandten Kohlenhydrats in Form durch Alkohol fällbarer 
Kalksalze zugegen sein und reichlich brenztraubensaures Cal- 
cium einschließen. In der ersten Abhandlung wurde Myko- und 
Champagnehefe angewendet, in der zweiten Mitteilung wird be- 
hauptet, daß auch andere Hefen ein gleiches Verhalten dokumen- 
tieren sollen. 

Aus diesem Grunde hatte sich der eine von uns?) in einer 
früheren Arbeit veranlaßt gesehen, die Versuche der französischen 
Autoren mit den üblichen deutschen Kulturhefen zu wiederholen. 
Denn nur ein positives Ergebnis mit typischen Hefen, nicht 
mit irgendwelchen Spezial-Spaltpilzen, konnte für das eigentliche 
Gärungsproblem von Bedeutung sein. Diese Versuche, zu denen 
die ober- und untergärigen Hefen Nr. XII und U des Berliner 
Institutes für Gärungsgewerbe benutzt worden waren, hatten ein 
völlig negatives Resultat gehabt. Es war nicht möglich gewesen, 
den qualitativen Nachweis von Brenztraubensäure durch die 
Nitroprussidnatriumreaktion mit Sicherheit zu führen, obgleich 
die Probe noch in Konzentrationen von 1 : 10 000 zu erkennen ist. 
Außerdem hatten die Gäransätze mit Calciumcarbonat fast genau 
die gleichen Alkohelausbeuten wie die Kontrollen geliefert, und 
das sehr kleine Defizit fand überdies seine Erklärung einmal in 
dem ungünstigen säurefreien Milieu, zweitens in dem etwas er- 
höhten Auftreten von Essigsäure, deren gesteigerte Bildung zuvor 
bereits von N euberg und Hirsch?) für alkalische Gäransätze 


1) Ein Unterschied in den Ansichten von Neuberg und Mitarbeitern 
einerseits, von Neubauer und Fromherz andererseits dürfte darin 
bestehen, daB erstere von vornherein die Vergärbarkeit der Brenztrauben- 
säure für sich als „zuckerfreie Gärung“ betont haben, letztere dagegen 
in Verfolg ihrer Untersuchungen über den Aminosäurenstoffwechsel die 
Umsetzung der Ketosäure bei einer gleichzeitig ablaufenden Vergärung 
von Kohlenhydrat in Betracht zogen. 

2) Kerb, B. 52, 1795. 1919. 

3) Neuberg u. Hirsch, diese Zeitschr. 96, 175. 1919. 


Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart vonCaCO,. 309 


festgestellt worden war. Essigsäure war auch die einzige organische 
Säure, die am Ende der Gärung als Kalksalz isoliert werden 
konnte. 

Nun veröffentlichten Fernbach und Schoen im vorigen 
Jahre eine ergänzende Arbeit!), die nach ihrer Meinung ihre ältere 
Behauptung bestätigen soll, daß Brenztraubensäure bei Ver- 
gärung in Anwesenheit von CaCO, entstehe und als ein Zwischen- 
produkt bei diesem Vorgange anzusehen sei. Betrachtet man aber 
die in dieser Mitteilung enthaltene Tabelle über den verbrauchten: 
Zucker und den erzeugten Alkohol, so sieht man sofort, daß hier 
nicht der vollkommen anaerob verlaufende alkoholische Gärungs- 
prozeß, sondern ein oxydativer Vorgang vorliegt. Ihre Gär- 
ansätze mit Mykolevure ohne CaCO,, bei welchen aus 
4,78g Zucker in 10 Tagen 1,08g Alkohol auftritt, in 
24 Tagen aber keine Spur Alkohol mehr vorhanden 
ist, können doch unmöglichals Beispieleeiner regel- 
rechten geistigen Gärung gelten! Und Champagne- 
hefe wird nunmehr als noch weniger geeignet bezeichnet. 
Offensichtlich findet sich damit die schon in der ersten Arbeit von 
Kerb?) geäußerte Ansicht bestätigt, daß Fernbach und Schoens 
Brenztraubensäure sekundär durch einen oxydativen Abbau, etwa 
aus vorher entstandener Milchsäure, hervorgegangen ist. Fern- 
bach und Schoen geben diese Möglichkeit jetzt auch selber am 
Schlusse ihrer letzten Veröffentlichung zu und bemerken aus- 
drücklich, daß überall, wo Brenztraubensäure gefunden wurde, 
zugleich die Anwesenheit beträchtlicher Mengen Milchsäure zu 
konstatieren gewesen sei. Trifft dieses zu, so verlieren die An- 
gaben der genannten Forscher die Beziehung zur eigentlichen 
alkoholischen Zuckerspaltung. Denn die Milchsäure ist so wenig 
Zwischenprodukt wie ein Enderzeugnis der Gärung mittels frischer 
lebender Hefenzellen?). Die Begünstigung der Milchsäuregärung 
durch bestimmte andere Mikroorganismen in Gegenwart von 
kohlensaurem Kalk ist jedoch eine durchaus bekannte Tatsache. 
Eine Oxydation der Milchsäure zur Brenztraubensäure durch ver- 
schiedene Kleinlebewesen -bei Anwesenheit von atmosphärischem 


1) Cpt. rend. 170, 764. 1920. 

2) ]. c. finden sich auch die näheren Literaturangaben über Brenz- 
traubensäurebildung aus Milchsäure usw. 

3) Vgl. Euler-Lindner, S. 155. 


310 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf: 


Sauerstoff hätte gewiß nichts mit dem alkoholischen Gärungs- 
prozeß zu tun und ist überdies bereits von mehreren Autoren 
beschrieben worden!). Wenn wir trotzdem nochmals auf Fern- 
bach-Schoens Angaben eingehen, so veranlaßt uns dazu ihre 
Bemerkung zu der Arbeit von Kerb: 


„M. Kerba récemment révoqué en doute la production par la levure 
d'acide pyruvique qu’il attribue a l’action de bactéries. Ainsi que nous 
l’avons signalé dans nos notes antérieures, nous avons toujours opéré avec 
de la levure pure se multipliant dans des milieux stériles, et non avec des 
doses massives de levure commereciale.““ 


Es bestand, wie wir schon früher betont haben, die nichi ab- 
zuweisende Möglichkeit und es ist nach den neuen Angaben der 
Autoren selbst (vgl. die komplette Wiederaufzehrung des 
Alkohols!) sogar fast gewiß, daß die von ihnen benutzten Mikro- 
organismen den eigentlichen Kulturhefen, den typischen Erregern 
der alkoholischen Gärung, ferner stehen und als Vermittler der 
obenerwähnten Oxydationserscheinungen zu betrachten sind. Er- 
innern wollen wir daran, daß Duclaux die Mykolevure ausdrück- 
lich zu den oxydierenden Agentien zählt. Daß ein von der ge- 
wöhnlichen alkoholischen Zuckerspaltung ganz verschiedener 
Vorgang sui generis vorliegen muß, erhellt auch aus der auf- 
fälligen, von Fernbach und Schoen selbst mitgeteilten Tat- 
sache, daß aus natürlichen (nicht rein mineralischen) Zucker- 
substraten, ja sogar aus normalen, glatt vergärbaren Würzen 
keine Brenztraubensäure erhalten werden kann®). Zu denken gibt 
auch die ganz ungewöhnliche Abhängigkeit von der Hefenmenge und 
die jetzt erwähnte Fähigkeit der Erreger, ebenfalls Nichtzucker- 
stoffe in Brenztraubensäure umzuwandeln. Die Bemerkung über 
„massive Dosen“ Handelshefe soll sich wohl auf die seinerzeitige 
Arbeitsweise von Kerb beziehen. Wie dort?) des näheren aus- 
geführt ist, wurde stets soviel Hefe zugetan, als zur vollständigen 
Vergärung der Zuckerlösung nötig war. Von den damals benutzten 
Hefeproben war, auf Trockensubstanz berechnet, 1%, vom an- 


1) Literatur siehe am oben angegebenen Ort bei Joh. Kerb. 

2) Das steht freilich mit ihrer ersten Angabe in Widerspruch, 
daß die Nährlösung Pepton enthalten hat, also damals nicht rein 
anorganische Zusammensetzung zu haben brauchte (siehe Cpt. rend. 157, 
1478. 1914). 

2) L c. 


Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart von CaCO,. 311 


gewandten Zucker erforderlich. Da aber Fernbachund Schoen 
jetzt ausdrücklich betonen, daß ihre Ergebnisse nur mit wachsen- 
den Kulturen erhalten werden können, so haben wir es unter- 
nommen, nun auch nach ihrer Arbeitsweise mit einer Anzahl von 
Reinzuchthefen derart Versuche anzustellen, daß die Erreger 
direkt im mineralischen Gärgut herangezüchtet wurden. Benutzt 
wurde hierfür eine unter- und eine obergärige Reinzuchthefe 
des Institutes für Gärungsgewerbe, ferner eine Weißbierhefe 
(obergärig) und Dortmund (untergärig), von denen in bekannter 
Weise garantierte Reinkulturen gezogen wurden. Da die unter- 
gärigen Hefen unter diesen pathologischen Ernährungsbedingungen 
(reine Minerallösung) keine Tendenz zum Wachstum und dem- 
entsprechend zur Zuckervergärung zeigten, beschränkten wir uns 
in der Folge auf die beiden obergärigen Sorten. Es wurden sorg- 
fältig sterilisierte Traubenzuckerlösungen und trocken sterilisiertes 
Calciumcarbonat angewandt, weil sich die mit Kreide versetzten 
Gäransätze besonders leicht durch Kahmhefen und Schimmelpilze 
infizieren. Der Zuckergehalt der Kulturen wurde polarimetrisch 
verfolgt. Als Reagens auf Brenztraubensäure diente die Nitro- 
prussidnatriumprobe, die aber natürlich auch noch bei anderen 
Oxoverbindungen positiv ausfällt. 


Unsere Ergebnisse waren die folgenden: 


l. Untergärige Kulturreinzuchthefen wuchsen unter Fern- 
bach und Schoens Bedingungen überhaupt nicht (vgl. die „Vit- 
amin- bzw. Biosfrage‘‘) oder ließen die Zuckerlösung unver- 
ändert, selbst bei Erhöhung der Impfmenge von I auf 10 Ösen 
für 100 ccm der Flüssigkeit. 


2. Die Nitroprussidnatriumreaktion war in allen Fällen 
äußerst schwach oder ganz negativ; die stärkste beobachtete 
Färbung entsprach etwa 1 : 4000 Pyruvinat. Immer blieb die 
Menge so minimal, daß jeder Versuch, Brenztraubensäure in 
Substanz zu fassen, scheitern mußte. 

3. Der Ausfall der Nitroprussidnatriumreaktion war völlig 
unregelmäßig. Sie konnte bei kalkhaltigen und kalkfreien Gär- 
ansätzen beobachtet werden, sogar bei letzteren vielleicht 
häufiger. 

4. Das gleiche gilt von der Zeitdauer bis zum Auftreten 
der Reaktion. Bei einigen Ansätzen war die Probe schon nach 


312 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf: 


ad 


wenigen Tagen zu erzielen, bei anderen erst nach wochenlangem 
Stehen. 

5. Ebensowenig konnte eine Beziehung gefunden werden 
zwischen vergorener Zuckermenge und SERRMODBRIITER: auch 
hierin herrschte völlige Regellosigkeit. 

6. Der positive Ausfall der Pyruvinatreaktion wurde nicht 
etwa durch einen Hemmungskörper verdeckt; denn sie trat auf 
Zugabe von kleinsten Mengen Pyruvinat deutlich ein. 

7. Als Eigentümlichkeit zweier herangezogener Oberhefen 
erwähnen wir, daß sie manchmal in Gegenwart von kohlen- 
saurem Calcium schneller als in dessen Abwesenheit goren. 

Zusammenfassend möchten wir folgendes hervorheben: Die 
Brenztraubensäure, aeren Auftreten als Durchgangsstufe bei der 
alkoholischen Gärung wohl begründet erscheint, konnte nicht in 
Form ihres Kalksalzes angesammelt werden, wenn typische, an- 
aerob tätige Kulturhefen den Zuckerumsatz herbeiführten. In 
eiweißfreiem, rein mineralischem Medium erzeugten die darin ge- 
züchteten Hefen bisweilen einen Körper, dessen Nitroprussidnatri- 
umreaktion jedoch nicht mit Sicherheit auf Brenztraubensäure zu 
beziehen war und außerdem einen so minimalen Gehalt anzeigen 
würde, daß es nicht erlaubt wäre, daraus auf ein Zwischen- 
produkt zu schließen. Brenztraubensäure konnte nach Fernbach 
und Schoens Arbeitsweise nicht mit typischen Hefen und nicht 
auf dem typisch anaeroben Wege erhalten werden. Aus diesem 
Grunde erscheinen die Untersuchungen der beiden Autoren für 
das Problem der wahren alkoholischen Gärung leider als nicht 
beweiskräftig. 


Gekürzter Auszug aus den Versuchsprotokollen. 


Bezüglich der Anstellung der Gäransätze bemerken wir, daß genau 
die von den französischen Autoren gewählte Anordnung befolgt worden ist. 
Wegen der negativen Ergebnisse haben wir die Temperatur bei der Digestion 
im Thermostaten variiert. 


Es bedeutet im folgenden: 


HW = Weißbierhefe, 
HD = Hefe Dortmund, 

H XII = Hefe des Institutes für Gärungsgewerbe, 
HU = Hefe des Institutes für Gärungsgewerbe. 


Versuchl: Ansatz mit 4,6 prozentiger Traubenzuckerlösung, genau wie 
bei Fernbach und Schoen, und mit der von ihnen angewendeten Mineral- 


Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart von CaCO,. 313 


stoffmischung. Temp. 26°. Impfung mit 1 Öse Oberhefe H XII pro 100 com. 
Kein merkliches Wachstum und keine Zuckerabnahme, selbst innerhalb 
mehrerer Wochen; zu keiner Zeit Brenztraubensäure. 

Versuch 2: Ansatz genau wie Nr. 1 aber mit HU. Weder Wachstum 
noch Verminderung des Zuckers noch Pyruvinatbildung. 

Versuch 3a. Ansatz wie bei Nr. 1: Impfung jedoch mit 10 Ösen 
Hefe HW pro 100 ccm. Temp. 35°, Nach 7 Tagen noch 1% Zucker 
vorhanden; während dieser Zeit stets negative Brenztraubensäure- 
reaktion. 

Versuch 3b. Desgleichen, aber ohne CaCO,. Zuckergehalt zum 
Schluß 1,2%. Keine Brenztraubensäure. 

Versuch 4a.: Ansatz wie bei Nr. 1; Aussaat von 10 Ösen HD für 
je 100 ccm. Temp. 35°. Dauer 6 Tage. Zuckerrückgang auf 4,2%; keine 
Brenztraubensäure. 

Versuch 4b: Ebenso, aber ohne Zugabe von Kreide. Der Glucose- 
, gehalt sinkt auf 4,4%,. Brenztraubensäure tritt nicht auf. 

Versuch 5a: Ansatz mit HW +CaCO,. 10 Ösen. Temp. 22°. 
Schwache Reaktion mit Nitroprussidnatrium nach 10 Tagen, Zucker ver- 
schwunden. 

Versuch 5b: Ansatz mit HW ohne CaCO,. 10 Ösen. Temp. 22°. 
Nach 10 Tagen 4,0% Zucker. Keine Brenztraubensäure. 

Versuch 6a: Angewendet HW + CaCO,. 10 Ösen pro 100 ccm. 
Temp. 22°. Nach 14 Tagen 2,7% Zucker, Nitroprussidnatriumreaktion 
vorhanden. 

Versuch 6b: Desgleichen, HW, aber ohne CaCO,. 10 Ösen auf 
100ccm. Temp. 22°. 3,4%, Zucker, ebenfalls positive Nitroprussidprobe nach 
2 Wochen. 

Versuch 7a: Entsprechender Ansatz mit HD + CaCO,. Nach 
18 Tagen 4,4% Zucker, ganz schwache Nitroprussidfärbung. 

Versuch 7b: Ebenso ohne CaCO,. Nach 18 Tagen 4,5%, Glucose, . 
ebenfalls minimale Farbprobe. 

Versuch 8a: Ansatz mit HW. Aussaat von 2 Ösen. Temp. 16°. 
Nach 5 Tagen trat Farbenreaktion auf, die schwächer als 1 : 10 000 Brenz- 
traubensäure war. Zuckerabnahme auf 3,7%. 

Versuch 8b: Desgleichen ohne Kreide. Temp. 16°. Zuckerrückgang 
auf 3,8%,. Nitroprussidprobe von gleicher Farbenstärke wie bei 8a. 

Versuch 9a: Gleicher Ansatz mit H XII. Temp. 36°. Nach 5 Tagen 
noch 3,9%, Zucker. Nitroprussidreaktion = 1 : 5000. 

Versuch 9b: Gleicher Ansatz, kalkfrei. Nach 5 Tagen ebenfalls 
3,9%, Zucker. Nitroprussidreaktion = 1 : 10 000. 

Versuch 10a: Ansatz mit H XII. 10 Ösen. Temp. 18°. Innerhalb 
18 Tagen keine Farbreaktion. 


314 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf: Verlauf der alkohol. Gärung usw. 


Versuch 10b: Desgleichen ohne CaCO,. Nach 10 Tagen schwach 
positive Farbenprobe. 

Versuch lla: Ansatz mit HW bei 18°. Nach 10 Tagen ergebnislos. 

Versuch 11b: Ansatz mit HW ohne Kreide bei 18°. Nach 10 Tagen 
geringe Brenztraubensäurereaktion. | 

Versuch 12a: Ansatz mit HW. Zimmertemperaturen. 10 Ösen. 
Im Verlaufe eines Monats Drehungsabfall auf 0; zu keiner Zeit positive 
Reaktion auf Pyruvinat. 

Versuch 12b: Entsprechend kreidefrei. Nach. 30 Tagen Drehung 
= +2,4%,. Nitroprussidreaktion zum Schluß angedeutet. 

Versuch 13a und b: Ansatz mit H XII. 10 Ösen. Zimmertempera- 
turen Nach 30 Tagen in kalkhaltiger und kalkfreier Lösung gleichmäßig 
schwache Nitröprussidnatriumprobe, etwa = 1 : 10 000. 


Über die Einwirkung von Silberverbindungen auf Hefe. 


Von 
Ernst Zerner und Robert Hamburger, Wien. 


(Eingegangen am 8. Juli 1921.) 


Gelegentlich anderer Versuche haben wir die höchst giftige 
Wirkung schwerlöslicher Silbersalze auf Hefe beobachtet und 
haben daher diese Erscheinung einer näheren Untersuchung 
unterzogen. 

Bekanntlich hat sich in der letzten Zeit auf Grund der An- 
nahme Saxels!), daß die sogenannte oligodynamische Wirkung 
des Silbers auf Bakterien durch eine Art Fernwirkung des Silbers 
zu erklären sei, eine lebhafte Diskussion über diesen Gegenstand 
entsponnen. Nach wie vor muß man, insbesondere auf Grund 
der Arbeiten von Dörr?), Acel’) und Bechhold*) die Oligo- 
dynamie in erster Linie auf die Wirkung gelösten Silbers zurück- 
führen. | 

Die bezüglichen Versuche sind durchwegs mit Bakterien 
ausgeführt worden. Es schien nun interessant, auch die Hefe 
: für diesen Zweck heranzuziehen, um so mehr, als man von diesem 
Mikroorganismus über beliebige und leicht durch Wägung fest- 
stellbare Quantitäten verfügen kann. 

Um den Grad der Giftigkeit gelösten Silbers für unsere Hefe 
kennenzulernen (wir verwendeten Preßhefe der Fabrik Wolfrum 
in Stadlau bei Wien), stellten wir zunächst Gärungen unter Zusatz 
von Silbernitrat an. Und zwar verfuhren wir so, daß wir das 
Silbernitrat resp. die später besprochenen Zusätze zu einer 
Lösung von 10 g Rohzucker in 125 ccm Wasser (mit etwas Nähr- 
salzen), dann das jeweilige Hefequantum zufügten und die Gärung 


1) Wien. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 23 u. 31; 1919, S. 975. 
2) Diese Zeitschr. 106, 110; 107, 207; 113, 58. 

3) Diese Zeitschr. 11%, 23. 

4) Kolloid-Zeitschr. 1919, S. 158. 


316 E. Zerner u. R. Hamburger : 


beobachteten. Wo von dieser Arbeitsweise abgewichen wurde, 
wird besonders vermerkt. 


Tabelle 1. 
Versuche mit Silbernitrat. 
Hefemenge in g AgNO, in g Gärt aus Hefe tot Anmerkung 

5 1,8. 10° — ja Gart nach Zusatz 
von 5g Hefe aus. 
5 1,8 - 10-2 — ja Gärt nach Zusatz 
, von 5g Hefe aus. 

5 1,8. 10-? ja — 

5 0,9 - 10 -° ja = 

15 1,8. 10-? ja X 
2,5 0,9 -10-? — ja Gärt nach Zusatz 


von l g Hefe aus. 


Durch diese Versuche ist die tödliche Dosis gelösten Silber- 
nitrates ziemlich scharf mit 0,9— 1,8:10-? g Silbernitrat 
(= 0,612 — 1,25 - 10°? g Silber) für 5g Hefe festgestellt. Bo- 
korny?) fand demgegenüber als letale Dosis 0,01—0,02 g Silber- 
nitrat für l0 g Hefe. Diese nicht schr erhebliche Differenz ist 
wohl durch individuelle Verschiedenheit der verwendeten Hefen 
zu erklären. Bokorny verwendete Hefe von der Spatenbrauerei 
München (mit einem Zusatze von 5—10% Kartoffelstärke). 

Metallisches Silber scheint auf Hefe ohne Einfluß zu sein. 
Wir hängten wiederholt ein großes Silberblech von 112 qem Ober- 
fläche in Gärlösungen, die nur mit 0,1 g Hefe angestellt waren, 
ein, ohne daß irgendwelche Abnormalität zu beobachten gewesen 
wäre. Damit stimmt überein, daß, wie uns cin bekannter Praktiker 
der österreichischen Hefeindustrie erzählte, er besonders penible 
Hefezüchtungsversuche in Silbergefäßen angestellt habe. 

Die Versuche mit Silbercarbonat könnten dadurch etwas 
beeinflußt sein, daß durch bei der Gärung entstehende Säure 
etwas Silbercarbonat aufgelöst werden kann. Jedoch kann das 
nur außerordentlich wenig sein, da man in der filtrierten Lösung 
mit HCl nur minimale Trübung von AgCl?) erhält. Auch tritt 
in den meisten Fällen die Abtötung äußerst rasch ein, ohne daß 
eine in Betracht kommende Gärung stattgefunden hätte. 

1) Zentralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. II 37. 1913. 

2) Eine Trübung gleicher Intensität erhält man, wenn man etwas 


Ag,CO, mit Wasser bei Brutschranktemperatur längere Zeit stehen läßt, 
wiederholt kräftig schüttelt, filtriert und mit Salzsäure versetzt. 


Hefemenge ing AgG ing 


5 
05 
0,5 


0,5 
0,5 
0,5 
0,2 


0,5 


10 
10 


‘Einwirkung von Silberverbindungen auf Hefe. 317 


5 
5 
5 


Tabelle II. 


Versuche mit Chlorsilber. 


5+1g NaCl 


5 


0,25 


0,25 
0,25 
0,25 
0,25 


Versuche mit Silbercarbonat. 
Hefemenge in g Ag,CO, in g Gärt aus Hefe tot 


Gärt aus Hefe tot 


J8 


ja 


ja 
ja 
Tabelle III. 


0,25 + 1,5 g Na,CO, ja 
0,25 + 1,5 g Na,CO, ja 


0,25 
0,25 
0,25 


0,25 


ja 


ja 
ja 


ja 


Ja 


ja 
ja 


Anmerkung 


Auch noch 2g in 
2 Portionen nach- 
träglich zugesetzte 
Hefe sterben noch 
ab. 


Nach Zusatz von 
1,5 gHefe und 2g 
NaCl ausgegoren. 


Anmerkung 
Weitere sukzessiv 


‚zugesetzte 8 g 


Hefe getötet. 


In diesen beiden 
Fällen wurde zu- 
erst mit 0,5 g 
Soda angegoren u. 
dann das Silber- 
carbonat und der 
Rest der Soda zu- 


gesetzt. 


Gärt langsam an, 


Hefe sehr ge- 
schwächt, 30 g 
Zucker, 200 ccm 
Wasser. 


Nach kräftiger An- 


gärung am 3. Tag 
alles tot, 30 g 
Zucker, 200 ccm 
Wasser. 


318 E. Zerner u. R. Hamburger: Einwirkung von Silberverbindungen usw. 


; 
Hefemenge in g Ag, CO, ing Gärt aus Hefe tot: Anmerkung 


15 0,25 — ja 15 g Zucker, 150ccm 
i Wasser. 
30 0,5 — ja Am 2. Tage alles 


tot, 30 g Zucker, 
200 com Wasser. 

30 1,0 — ja Am selben Tage 
alles tot. 30g 
Zucker, 200 ccm 
Wasser. 

50 1,0 — ja Am 2. Tage alles 
tot. 50 g Zucker, 
250 com Wasser. 

Aus Tabelle II und III ist zunächst zu ersehen, daß das 
gelöste Silber von wesentlichem Einfluß ist. Das weit leichter 
lösliche Silbercarbonat ist erheblich giftiger als das minderlösliche- 
Chlorsilber. Setzen wir Chlorionen zu der Lösung und vermindern 
wir dadurch die Löslichkeit des AgCl, so wird auch die Giftwirkung 
paralysiert. Analog steht es mit Sodazusatz bei Silbercarbonat. 

Andererseits fällt die merkwürdige Tatsache auf, daß z. B. 
5g AgCl imstande sind, 0,5g Hefe abzutöten, nicht aber 5g 
Hefe. Solange aber Bodenkörper, ungelöstes AgCl, da ist, muß die 
Konzentration des AgCl in der Lösung immer die gleiche sein, 
wenn Durchmischung erfolgt, wofür wir durch oftmaliges Um- 
schütteln gesorgt haben. Nehmen wir mit verschiedenen Autoren!) 
an, daß die Giftigkeit des Silbers auf der Bildung einer Silber- 
eiweißkomplexverbindung beruhe, so verschwindet ja durch 
das Entstehen dieser Verbindung Silber aus der Lösung, und es 
müßte neues AgCl in Lösung gehen. Die gleiche merkwürdige 
Erscheinung zeigt sich noch augenfälliger bei den Silbercarbonat- 
versuchen. 

Es ist also die Giftwirkung schwerlöslicher Silberverbindungen 
nicht nur eine Frage der Löslichkeit, sondern es scheint auch 
zwischen der Menge des zugesetzten ungelösten Salzes und der 
der Vergiftung anheimfallenden Hefemenge ein Zusammenhang 
zu bestehen. 


Wien, Juli 1921. 
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Zerner, Ernst und Robert 
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