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Biochemische Zeitschrift
Beiträge
zur chemischen Physiologie und Pathologie
Herausgegeben von
F. Hofmeister -Würzburg, C. von Noorden-Frankfurt a. M,
B. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin,
unter Mitwirkung von
Mi. Assell-Catanis, L. Asher-Bern, M. Bergmann-Berlin-Dahlem, G. Bertrand-Paris,
A. Bickel-Berlin, F. Blumenthal- Pen A. Bonanni-Rom, F. Betsazzi-Neoapel, G. ar
Karlsruhe i. B., F. Czapek-Leipzig, A. Durig-Wien, F. Ehriioh-Breslau, H, v. Euler-3 -
holm, J. Hamburg, 8. Fiexner-New York, J. Forssman-Lund, 8. Fränkel-Wien,
E. Fround-Wien, H. Freundlich-Berlin-Dahlem, E. Fried berger-Greifswald, E. Friedmann-
Berlin, 0. v. Fürth-Wien, F. Haber-Berlin-Dahlem, H. J. Hamburger-Groningen, P. Hári-
Budapest, E. Häggiund-Abo, A. Helftter - Berlin, v Henri -Paria V. Henriques-Kopen-
bagen, R. O. Herzog-Berlin-Dahlem, W. ee ee R. Höber-Kiel, M. Jacoby-
Berlin, A. Koch-Göttingen, F. Landoll-Buenos Aires, L. Langstein-Berlin, E. Laqueur-
Amsterdam, P. A. Loveae-New York, L. v. Liebermann-Budapest, J. Loeb-New York,
T Leewe-Dorpat, å. Leewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, 7 A. Mandel-Neow York,
T MATSRUWINI DEE P. Mayor-Karisbad, J. Meisenheimer-Greifswald, L. Michaelis-
Berlin, Moliseh-Wien, J. M nroth- Berlin, E. Münszer-Prag, W. Nernst-Berlin,
W. re y k ent W.Palladin-St. Petersburg, J. K. Parnas-Lemberg, W. Pauli-Wien,
BR. Pfeifter-Breslau, E. P, Piek-Wien, J. Pohl-Breslau, Ch. Porcher-Lyon, P. Rona-
Berlin, H. Sachs-Heidelberg, 8. Salaskin-St. Petersburg, T. Sesal TORO, A. Schounert-
A. Schleßmar=-Düsseldor!, 8. P. L. Börensen-Kopenhagen, K. Spire-Liestal,
en Tag . Je Stoklasa Prag, W. Straub-Freiburg i. B, A. Stutzer-Königs-
dancos Kanasawa, H. v. Tappeiner- München, K. Thomas-Leipzig, H. Thoms-
Berlia. P. Trondelonburg-Rostock, O. anug gehn E. Widmark-Lund,
W. Wiechowski-Prag, A. Wohl-Danzig, d. Wohigeomuth-Berlin.
Redigiert von
C. Neuberg-Berlin
Hundertzweiundzwanzigster Band
Manulnachdruck
Berlin
Verlag von Julius Springer
1921
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.
Inhaltsverzeichnis.
Stransky, Emil. Beiträge zur Kenntnis des Mineralstoffhaushaltes.
V. Mitteilung. Über die Wirkung des Karlsbader Wassers auf
den Anionenbestand des Kaninchens . . . . . 2. 2 22.0.
Langecker, Hedwig. Beitrag zur Praxis der Bleifällung
Kahho, Hugo. Ein Beitrag zur Giftwirkung der Schwermetall-
salze auf das Pflanzenplasma. III. Mitteilung . .. .....
Karczag, L. Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der
Biologie: I u a 4 2 aa 2 ne ae
Karezag, L. und K. Hajós. Versuche über die Bedeutung der
Reihenfolge in der Biologie. U . . . .. 2: 2 2 2 2 2 0.
Fürth, Otto und Fritz Lieben. Colorimetrische Untersuchungen
über das Tryptophan. VI. Über den Tryptophangehalt einiger
Nahrungsmittel und den — des erwachsenen
Menschen.. ee ed
Walter, Heinrich. Ein Beitrag zur Frage der chemischen Konsti-
tution des Protoplasmas . . .. 2 22: 2 2 2 2 ee nn na
Jacoby, Martin und Käte Frankenthal. Die Bedeutung der Hämo-
globin-Aminosäuren für die Züchtung der Influenzabacillen . .
Starlinger, Wilhelm. Über Agglutination und Senkungsgeschwindig-
keit der Erythocyten. II. Mitteilung ..... 2 2 200.
Heubner, Wolfgang und Robert Meyer-Bisch. ÜberSulfat- und Ester-
schwefelsäure in normalen und pathologischen Körperflüssig-
Kei a a u re ae We ee
Meyer-Bisch, Robert und Wolfgang Heubner. Über den Einfluß
von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel . .. ....
Strauß, Hermann und Gerhard Rammelt. Untersuchungen über‘
die Blutkatalase bei Blutkrankheiten . . . . . . 2 2. 22 ..
Pighini, Giacomo. Chemische und biochemische Untersuchungen
über das Nervensystem unter normalen und pathologischen Be-
dingungen. IX. Mitteilung. Die pathologische Chemie des Ge-
hirns bei einigen Krankheiten mit dementiellem Ausgang . . .
Constabel, Fr. Über den Kreatingehalt des menschlichen Herz-
muskels bei verschiedenen Krankheitszuständen . . . ....
Asher, Leon. Beiträge zur Physiologie der Drüsen. XLVII. Mit-
teilung. Untersuchungen tiber den respiratorischen Stoffwechsel
des milzlosen Hundes. Von Chu Koda . ....2....%
IV Inhaltsverzeichnis.
Seite
Asher Leon. Beiträge zur Physiologie der Drüsen. XLIX. Mit-
teilung. Der respiratorische Umsatz des milzlosen und eisenarm
ernährten Hundes. Von Francis H. Doubler .. ......
Yamada, Motoi. Vergleichende Untersuchungen über den Erfolg
von Infusionen in eine Vene des großen Kreislaufes und in die
Pfortader eue wre we See Be ee
Wester, D. H. I. Kulturversuche mit Soja-Bohnen. IL Vorkommen
von Urease in anderen Pflanzenteilen als im Samen .. ...
Heß, W. R. und N. Takahashi. Nachweis eines stofflichen Defizites
im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere . . . .....
Neuberg, Carl und Clara Cohen. Über die Bildung von Acetal-
dehyd und die Verwirklichung der zweiten Vergärungsform bei
verschiedenen Pilzen . . 2.2 22 0 0 re ren.
Meyer, Kurt. Zur Kenntnis des heterogenetischen Hammelblut-
Angon u
Schaeppi, Hans. Fortgesetzte Untersuchungen über die Permea-
bilität der Zellen und Gewebe. VIII. Mitteilung. Beiträge zur
Frage der Verteilung von Hormonen und pharmakologischen
Stoffen im Blute . . . 2 2 222 2 2 2 2 ee 00. E dog
Arai, Minoru. Über den bakteriellen Abbau des l-Leucins . . .
Bönniger, M. Über den Gehalt der roten Blutkörperchen an Trauben-
zucker und. Chlor ;...% 2... zu ha 5 a ae
Biberfeld, Johannes. Zur Kenntnis der Gewöhnung. V. Ent-
wöhnungsversuche . . . 2 2 2 0 2 2 re 220 .. i
Hornemann, Curt. Über die Wirkung des Pilodarpins auf den Gily-
kogengehalt der Organe . 2... 2. 2: ee e a ll
Bornstein, A. und R. Vogel. Pärassmpathicnsgifte und Blutzucker
Schnabel, Alfred. Die Verteilung der Chinaalkaloide im Orga-
nismus. II. Mitteilung . . .
Schnabel, Alfred. Über die Bestimmung zell- und keimschädigender
Substanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege. II. Mit-
teilung . . 2.2... re ee er a
Issekutz, B. v. Temperatur und Capillaraktivität. (Erwiderung)
Bau, A. Bemerkungen zu der Abhandlung von Emil Baur und Eugen
Herzfeld: „Über Gärung ohne Hefe" . . . 2. 2 2 2 nr 2 re.
Kerb, Johannes und Kurt Zeckendorf. Weiteres über den Verlauf
der alkoholischen Gärung bei Gegenwart von kohlensaurem Kalk
Zerner, Ernst und Robert Hamburger. Über die Einwirkung von
Silberverbindungen auf Hefe . . . . 2... 2 2: 2 2 2 2 2 0 2.
Autorenverzeichnis. 2. 2. 2 oo Iren
269
274
Beiträge zur Kenntnis des Mineralstoffhaushaltes.
V. Mitteilung*).
Über die Wirkung des Karlsbader Wassers auf den Anionenbestand
des Kaninchens.
Von
Emil Stransky.
(Aus dem Pharmakologisch-pharmakognostischen Institute der deutschen
Universität in Prag.)
(Eingegangen am 30. Mai 1921.)
In früheren Arbeiten zu diesem Gegenstande konnte gezeigt
werden, daß durch, hinsichtlich des Kationengehaltes, verschiedene
Kostordnungen beim Kaninchen wesentliche Änderungen im Be-
stande des Organismus an Kationen herbeigeführt werden können,
(Luithlen) und daß eine derartige Änderung auch bei gleicher
Kostordnung durch den Ersatz des gewöhnlichen Tränk wassers
durch Mineralwasser herbeigeführt werden kann (Sgalitzer).
Diese Veränderungen betreffen einerseits die absolute Kationen-
menge des Organismus und andererseits das Verhältnis der ein-
zelnen Kationen des Organismus zueinander. Da gleichzeitig mit
ihnen auch Änderungen im Verhalten der Tiere sowie in ihrer Be-
einflußbarkeit durch verschiedene Eingriffe (Temperatur, Gerin-
nungszeit des Blutes, bezw. Fieber [Freund], Entzündung
[Luithlen], Magnesium-Narkose[Stransk y]) einhergehen, wurde
der Schluß auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der
analytisch festgestellten Veränderung im Mineralstoffhaushalte
und diesen Veränderungen im Verhalten und der Beeinflußbarkeit
gezogen und die Wirkung von Mineralwassertrinkkuren durch die
*) I. Mitteilung: Wiechowski, Zeitschr. f. Balneol,, Klimatol. u.
Kurorthyg. 5, 433. 1912. — II. Mitteilung: Sgalitzer, Zeitschr. f. Balneol.,
Klimatol. u. Kurothyg. 7, 1. 1914. — III. Mitteilung: Wiechowski,
Prager med. Wochenschr. 39, Nr. 24. 1914. — IV. Mitteilung: Han-
dovsky, Jahrb. f. Kinderheilk. 91, 432. 1920.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 1
2 E. Stransky:
möglicherweise auch beim Menschen hierbei eintretenden Ver-
änderungen des Mineralstoffhaushaltes erklärt. |
Die bisherigen Untersuchungen und Ergebnisse beziehen sich
ausschließlich auf das Verhalten der Kationen Ca, Mg, K, Na.
Hierbei wurde vorausgesetzt, daß diese Kationen im Organismus
zur Gänze in einem, Gleichgewichtsreaktionen ermöglichenden, Zu-
stande vorhanden sind. Andererseits wurde angenommen, daß
sich an den als maßgebend erkannten Gleichgewichten der Kat-
ionen im Organismus keine anderen, als die genannten Kationen
in erheblicherem Maße beteiligen. Denn von dem einzig noch in
Betracht gezogenen Eisen wurde angenommen, daß es nicht ioni-
siert, sondern ausschließlich als Bestandteil eines organischen
Molekels (Hämoglobin und seine Derivate) im Organismus vor-
handen ist.
Mittlerweile ist allerdings durch den Nachweis des regel-
mäßigen Vorhandensein von Aluminium (Gonnermann) und
Zink (Rost) in den Säugetierorganen, welche Kationen sich viel-
leicht auch in einem Gleichgewichtsreaktionen ermöglichenden Zu-
stande im Organismus vorfinden, die eine dieser Voraussetzungen
unsicher geworden, wodurch jedoch die Gültigkeit der gezogenen
Schlüsse insofern nicht beeinflußt wird, als diese nicht auf einer
bestimmten Änderung der Gleichgewichtsverhältnisse, sondern
nur auf der Tatsache der Änderung der Kationengleichgewichts-
verhältnisse fußen. Immerhin ist es notwendig, über den Zustand
namentlich des Aluminiums in den Säugetierorganen Aufklärung
zu suchen, welches nach den bisherigen Erfahrungen in weit
größeren Mengen als das Zink in den Organen gefunden worden
ist. Derartige Untersuchungen sind am hiesigen Institute im
Gange.
Mit dieser Einschränkung kann jener Teil der Untersuchungen
über den Mineralstoffwechsel bis zu einem gewissen Grade als ab-
geschlossen angesehen werden.
Um aber ein vollständigeres Bild über die im Organismus als
Folge einer Ernährungsänderung oder Mineralwasserzufuhr vor
sich gehenden Veränderungen der mineralischen Zusammen-
setzung zu gewinnen, war es notwendig, außer dem Verhalten
der Kationen auch das der eingeführten Anionen zu kennen.
Der Gewinnung erster Anhaltspunkte auf diesem Gebiete
sollten die in folgendem mitzuteilenden Versuche dienen.
Mineralstoffhanshalt. V. 3
Die hierbei in Betracht kommenden Anionen sind vorzugs-
weise: Chlorid, Sulfat, Phosphat und Hydrokarbonat.
Methodisch müssen Versuche, welche das Verhalten der An-
ionen betreffen, insofern anders angelegt werden, als man nicht
schlechtweg wie bei den Kationen von der Analyse der Asche
ausgehen kann. Denn während man von den gemeinten Kat-
ionen, wie erwähnt, annehmen darf, daß sie im Leben nicht
als Bestandteile organischer Molekel (an C gebunden) vorkom-
men, ist diese Annahme bei den Anionen nicht durchgehends
gestattet, da zumindest Sulfat bei der Veraschung organischer
Substanzen, insbesondere von Eiweiß aus dessen S entsteht
und daher der Sulfatgehalt der Asche nichts aussagt über den
Sulfatgehalt des in Arbeit genommenen Organs, Nahrungsmittels
oder Kotes.
Beiläufig sei hier eine schon vor mehreren Jahren im hiesigen
Institute gemachte Beobachtung*) erwähnt, daß tierische Organe
(Leber) bei der antiseptischen Autolyse nicht unerhebliche Mengen
Sulfat entstehen lassen, woraus auf das Vorhandensein von hydro-
lytisch abspaltbarer Schwefelsäure in den Organen geschlossen
werden kann, so daß als Quelle der ausgeschiedenen Sulfate nicht
nur die Oxydation namentlich des Eiweißes, sondern, wie bei der
gleich zu besprechenden Phosphorsäure ausschließlich, auch die
hydrolytische Abspaltung präformierter Schwefelsäure in Betracht
gezogen werden muß.
Die geringen in den Organen (Blut) auffindbaren Mengen
präformierten Sulfats haben wie das Harnsulfat wohl nur die
Bedeutung einer der vollständigen Ausscheidung unterliegenden
Stoffwechselschlacke und sind kein für die Organfunktion physio-
logisch notwendiger Bestandteil. Das Sulfat greift also in den
Mineralstoffwechsel, wie er hier als Grundlage für die Reaktions-
weise der Organe aufgefaßt wird, nicht ein, es kann in diesem
Sinne geradezu als organfremd bezeichnet werden.
Auch die Aufnahme von anorganischem Sulfat in der normalen
Nahrung ist so geringfügig, daß sie geradezu vernachlässigt wer-
*) Unveröffentlicht. Wie aus den nach Friedensschluß wieder zugäng-
lioh gewordenen Veröffentlichungen der Société de Biologie in Paris hervor-
gebt, wurde dieses Auftreten von Sulfat bei der Autolyse auch von Robin
und Bournigault beobachtet. Cpt. rend. des séances de la soc. de biol.
75, 187. 1919.
1*
4 E. Stransky:
den kann. Im Hafer ist nur 0,1%, mit Salzsäure ausziehbares Sul-
fat enthalten.
Über den Sulfatgehalt des Blutes wurden im Jahre 1914 von -
Professor Wiechowski eine Reihe orientierender Versuche an-
gestellt, über die hier vorläufig Folgendes berichtet sein möge: Es
war angestrebt, eine Methode auszuarbeiten, welche die freien Ionen
bezw. an Gleichgewichtsreaktionen sich beteiligenden Mineralstoffe
zu bestimmen gestatten sollte. Es wurde angenommen, daß diese
identisch seien mit dem dialysablen Anteile der Mineralstoffe der
Organe. Die zu untersuchenden Substanzen, Serum, Blut, Organ-
brei wurden nach Bestimmung des Trockengehaltes in einer Dialy-
sierhülse von Schleicher-Schüll aus Pergamentpapier einge-
messen und, mit Toluol bedeckt, gegen eine gemessene Menge de-
stillierten Wassers, welches gleichfalls mit Toluol bedeckt war,
sechs Tage lang dialysieren gelassen. Besondere Versuche mit
Magnesiumsulfat, also einem schwer dialysablen Salze hatten er-
geben, daß nach dieser Zeit innerhalb und außerhalb des Schlauches
Gleichgewicht eingetreten war. Nach beendigter Dialyse, während
welcher durch die Toluolüberschichtung eine Volumsänderung
durch Wasserverdampfung vermieden worden war, wurde ein ali-
quoter, gemessener Teil der eiweißfreien Außenflüssigkeit analy-
siert. Das Ergebnis, auf das Volumen Außenflüssigkeit mehr Innen-
flüssigkeit (aus dem Trockengehalt ermittelt) umgerechnet, ergab
die in der untersuchten Probe vorhanden gewesenen freien Mineral-
substanzen. Auf diese Weise ließen sich Calcium, Magnesium.
‚Chlor, Phosphorsäure und Schwefelsäure bestimmen.
Beim Sulfat wurden von dem Serum zugesetztem 100%, ge-
wonnen, desgleichen bei Calcium und Chlorid.
In 2 verschiedenen Proben von Schweineserum wurden auf diese
Weise ermittelt:
0,63 g und 0,62 g NaCl pro 100 ccm Serum
0,0158 g Ca „ 100 „ j
In geschlagenem Kaninchenblut wurden gefunden 0,65 g NaCl pro 100 cem.
im Kaninchenserunm Mr Pr 0,67 „ » „» 100ccm.
Die nach der beschriebenen Methode gefundenen Sulfatwerte betrugen:
0,0457 g SO, = 0,9525 mg-Äquivalente in 100 cem Schweineserum (Schlacht-
hausblut),
0,0375 g SO, = 0,78 mg-Äquivalente in 100 ccm Kaninchenserum (Hafer-
Heufütterung).
Mineralstoffhaushalt. V. 5
In diesen beiden Versuchen war das Verhältnis Cl: OS,
= 100: 7 bei Kaninchenserum, C1:SC, = 100:8,8 beim Schweine-
serum.
Bei zwei weiteren Kaninchen wurde ermittelt:
0,0375 g SO, = 0,78 mg-Äquivalente pro 100ccm Serum und CI: SO,
= 100 : 9,0,
0,0427 g SO, = 0,89 mg-Äquivalente pro 100ccm Serum und Cl: SO,
= 100 : 9,8.
Im Mittel fanden sich also 0,0401 g SO, pro 100 ccm Kaninchenserum und
0,0458 g SO, pro 100 ccm Scohweineserum, also einander nahestehende
und sehr kleine Zahlen.
Im Serum von mit Hafer gefütterten Kaninchen verhielten
sich die Äquivalente Cl: SO, = 100: 8, das Sulfat entsprach also
nur ca. l/a der vorhandenen Cl’-Äquivalente. Anders stellt sich
das Verhältnis im Harn dieser Tiere, wo sich Cl : SO, verhält wie
100 : 770, 100 : 616, 100 : 493 und 100 : 901 und im Karlsbader
Wasser, in welchem das Verhältnis Cl: SO, = 100 : 200 ist.
Vom Chloridion kann wohl mit der gleichen Sicherheit,
wie von den genannten Kationen vorausgesetzt werden, daß es im
Lebenden bereits als solches zur Gänze präformiert ist. Chlor ist
bisher als Bestandteil eines im Organismus vorkommenden orga-
nischen Molekels nicht gefunden worden, wenn von den unsicheren
Angaben über organische Chlorverbindungen im Harn abgesehen
wird.
Der Phosphor kommt in den Verbindungen des tierischen
und pflanzlichen Organismus soweit bekannt ist, nicht direkt an
C gebunden, sondern nur als substituierte, durch Hydrolyse glatt
abspaltbare Orthophosphorsäure H,PO, vor: Phosphatide,
Nucleoproteide, Hexosediphosphorsäure (Lactacidogen), Phosphor-
proteide (Casein). Organischer Phosphor im eigentlichen Sinne
des Wortes fehlt nach den heutigen Kenntnissen der tierischen
und pflanzlichen Zelle. Wir betrachten daher das Phosphation
der Asche von Kot und Nahrung als in diesen zur Gänze präformiert.
Wenn es das auch in einem anderen Sinne als das Chloridion ist, so
resultiert für den intermediären Stoffwechsel doch allemal nur
Phosphorsäure, da die gepaarten Phosphorsäuren, welche die ein-
zige Bindungsform des Phosphors in Nahrung und Körperzellen
sind, schon in den Verdauungswegen der restlosen Hydrolyse unter-
liegen und infolgedessen wohl vorzugsweise bereits ionisiertes Phos-
phat resorbiert wird. Es scheint dementsprechend für den Phos-
6 E. Stransky:
phatbedarf des tierischen Organismus gleichgültig zu sein, ob er
anorganisches oder organisch gebundenes Phosphat aufnimmt
(Durlach, Osborne und Mendel) und es kann daher auch das
im Zellverschleiß anfallende Phosphat wieder verwendet werden
(Mcll bei Säuglingen, Embden und seine Schüler bei’ der Muskel-
tätigkeit). Es vollführt demnach das Phosphat z. T. wenigstens
einen Kreislauf im Stoffwechsel im Sinne von Wendt. Das Phos-
phat von Harn und Kot ist zur Gänze frei. Jedenfalls sind die An-
gaben über organisch gebundene Phosphorsäure im Harn ganz un-
sicher (vgl. Neubauer-Huppert, der Harn). Der Hafer enthält
ca. 13%, der gesamten Phosphorsäure in durch kalte Säure extra-
hierbarer Form.
Gemäß diesen Überlegungen wurde zur Ermittelung des auf-
genommenen Chlorids und Phosphats deren Gehalt in der Asche
herangezogen, zur Ermittelung des aufgenommenen anorganischen
Sulfats dagegen bloß der Säureauszug der Nahrung; die Aus-
scheidung anorganischen Sulfates in Kot wurde auch an dem
Säureauszug bestimmt. Über die Abgrenzung des anorganischeh
Teiles des Sulfatstoffwechsels vom organsichen (Oxydation) wird
weiter unten berichtet.
Mit dem Verhältnisse dieser 3 Anionen unter dem Einfluß der
Zufuhr von Karlsbader Mineralwasser und einem Gemenge von
Kalium- und Natriumsulfat in dem Verhältnisse wie es dem zwi-
schen Kalium und Natrium in der Ringerlösung entspricht, befaßt
sich meine Untersuchung.
Von der Mitheranziehung des HCO,’-ions und des von
Gonnermann neuestens als regelmäßigen Bestandteil des Or-
ganismus festgestellten Kieselsäureions, von denen dem ersteren
die überwiegende Bedeutung zukommt, wurde abgesehen. Das
HCO,'-ion verdankt zum allergrößten Teile seine Entstehung der
Oxydation der Kohlenstoffverbindungen im Organismus und
seine hauptsächliche Bedeutung liegt daher zunächst nicht auf
dem Gebiete des Mineralstoffwechsels. Über das Kieselsäureion
und seine Bedeutung am Aufbau der lebenden Substanz wissen
wir derzeit trotz der eingehenden Untersuchungen Gonnermanns
noch so wenig, daß wir es nicht als einen wesentlich in Betracht
kommenden Bestandteil des Anionenhaushaltes im tierischen Or-
ganismus bezeichnen können. Durch die Vernachlässigung des
HCO,-ions ev. auch des SiO,-ions wird natürlich die Feststellung
Mineralstoffhaushalt. V. 7
eines Anionengleichgewichtes unmöglich. Es kommen aber beim
Studium des Anionenhaushaltes im tierischen Organismus Gleich-
gewichteverhältnisse zwischen den einzelnen Anionen schon aus’
dem Grunde weniger in Betracht als bei den Kationen, weil zu-
nächst ein Teil der frei im Organismus zirkulierenden anorgani-
schen Anionen erst beim Stoffwechsel entstanden ist, also als Stoff-
wechselschlacken (Sulfat, Hydrokarbonat) eine wesentlich andere
Bedeutung für den Organismus haben, als z. B. das lebenswichtige
Chloridion, wobei das Phosphation eine Mittelstellung einnimmt.
Dazu kommt, daß ein physiologischer Antagonismus der einzelnen
Anionen, wie er hinsichtlich der Kationen Ca, Mg, K, Na durch
Loeb bekannt geworden und seither vielfach studiert worden ist,
nicht zu bestehen scheint. Ich glaube daher nicht, daß das gegen-
seitige Verhältnis der Äquivalente aller vorkommenden Anionen,
so wie dies bei den Kationen der Fall ist, für die Reaktionsfähig-
keit des Organismus maßgebend ist. Im Säugetierorganismus tritt
bei allen Untersuchungen die dominierende Rolle von Phosphat
und Chlorid deutlich zu Tage, sie sind die einzig in Betracht Kom-
menden ‚physiologischen‘ Anionen des Organismus und hinsicht-
lich ihrer Bedeutung mit den Kationen K, Na, Ca, Mg auf eine
Stufe zu stellen.
Meine Untersuchungen gingen zunächst darauf aus, festzu-
stellen, ob sich das Chlorid des Organismus nicht teilweise durch
Sulfat ersetzen ließe, ob die bekannte Vertretbarkeit des Chlorid-
ions durch das Bromidion nicht etwa nur ein Spezialfall einer all-
gemeinen Vertretbarkeit des Chloridions durch andere Anionen
wäre. Dabei wurde in erster Linie deshalb an das Sulfation ge-
dacht, weil es in vielen Mineralwässern in reichlicher Menge vor-
kommt und ihm möglicherweise außer der lokalen abführenden
Wirkung auch eine Beteiligung an der resorptiven Wirkung, welche
diesen Wässern zugeschrieben wird, zukommt.
Die Versuche wurden an vier ausschließlich mit Hafer ge-
fütterten Kaninchen angestellt: Die Tiere machten zunächst eine
mehrtägige Angewöhnungsperiode im Stoffwechselkäfig bei Hafer
und Leitungswasser durch. Hierauf folgte eine 8- resp. Stägige
Vorperiode bei gleichem Regime, dann kamen zwei 8- resp. Stägige
Hauptperioden, in welchem das Tränkwasser durch Karlsbader
Wasser oder durch das oben gekennzeichnete künstliche Sulfat-
wasser ersetzt war, worauf dann wieder eine 8- resp. Stägige Nach-
8 E. Stransky:
periode bei Leitungswasser folgte. Täglich wurden Harn und Kot
gesammelt und ihre Menge bestimmt, ebenso wurde (unter Be-
rücksichtigung der Wasserverdampfung) die Wasseraufnahme aus
den Tränknäpfen und die gefressene Hafermenge durch Wägung
der Futternäpfe und schließlich auch das Körpergewicht der Tiere
nach dem Harnabdrücken festgestellt. Die zu den einzelnen Ver-
suchsperioden zugehörigen Harn- und Kotmengen wurden, jede
für sich vereinigt und gründlich gemischt zur Analyse gebracht.
Der Kot wurde lufttrocken werden gelassen, dann in der Reib-
schale vollkommen gleichmäßig zerkleinert und schließlich noch-
mals im ganzen gewogen.
Der Chlorid- und Sulfatgehalt des Leitungswassers und der
Sulfatgehalt des erwähnten Sulfatwassers wurden analytisch fest-
gestellt, für das Karlsbader Wasser wurden die Analysen von
Ludwig und Mautner benützt. Im Hafer und Kot wurden die
Chloride, Sulfate und Phosphate einerseits nach Zerstörung der
organischen Substanz bestimmt, andererseits der Gehalt an prä-
formierten Anionen in Auszügen festgestellt, welche mit verdünnter
Salpetersäure hergestellt worden waren. Dabei zeigte sich, daß das
gesamte Chlorid, ca. 13%, der Gesamtphosphorsäure und nur 1,5%
des Gesamtsulfates (in 100 g Hafer 11 mg SO,) in den Haferauszug
übergehen. Der Kot enthält, abgesehen von geringen Mengen Chlo-
rid und Spuren Sulfat, als einziges Anion Phosphat und dieses zur
Gänze durch Säure extrahierbar. Im Harn wurden die anorgani-
schen Sulfate und nach Kochen mit Salzsäure die Gesamtsulfate
bestimmt. Für die Bilanzierung des Chlorids und Phosphats ergab
sich nach dem oben Ausgeführten weiter kein Bedenken, den ge-
samten Chlor- und Phosphatgehalt der Einfuhr und Ausfuhr als
anorganisch zu buchen, wenn auch von der Gesamtphosphorsäure
des Hafers nur 13%, tatsächlich präformiert sind.
Ein andercs Vorgehen war bei der Bilanzierung des Sulfats
notwendig. Der Hafer enthält, wie erwähnt, nur Spuren von anor-
ganischem, mit Säure extrahierbarem Sulfat, der große Sulfat-
gehalt der Asche ist auf das Eiweiß zu beziehen. Der Kot verhält
sich ganz gleich, auch hier nur Spuren von extrahierbarem Sulfat,
dagegen reichlich Sulfat in der Asche. Beiläufig sei hier bemerkt,
daß der Schwefelgehalt des Hafers zum N-gehalt im Verhältnis
S : N = 1 : 6,6 steht. Das Verhältnis S : N beim Haferprotein ist
mit 1:8 angegeben (Osborne in Abderhaldens Bioche-
Mineralstoffhaushalt. V. 9
mischem Handlexikon), so daß schwer oder gar nicht extrahier-
bare Sulfate kaum angenommen werden können. — Ähnliches gilt
für den Kot; das gefundene Verhältnis S : N in der Asche weist
auf das Vorhandensein von Eiweiß hin und läßt erhebliche Mengen
unlöslicher Sulfate ausschließen.
Ich machte die Annahme, daß im Hafer und Kot nur das mit
Salzsäure extrahierbare Sulfat als solches vorhanden ist. Diese
Menge ist so klein, daß sie für die Ergebnisse vernachlässigt werden
kann. Die Bilanzierung des als solches in den Hauptperioden ein-
geführten Sulfates war unter diesen Umständen vollkommen un-
sicher, da das Normalsulfat im Harn so gut wie vollständig den
im Hafer zugeführten organischen Schwefelverbindungen neben
der Oxydation des Organismuseiweißes seine Entstehung verdankt
und seine Menge von dem Verhalten des Tieres und der Nahrungs-
aufnahme abhängig ist. Ich suchte auf folgende Weise zu einem
wenigstens annähernden Schlusse auf die Sulfatbilanz zu gelangen.
Aus der Vorperiode wurde errechnet, wieviel Sulfat jedes Tier
für 100 g gefressenen Hafers im Harne ausgeschieden hat. Aus
dieser Zahl wurden für die nachfolgenden Perioden die aus Nahrungs-
hafer und Zellverschleiß anfallenden Sulfatmengen berechnet, von
den im Harn zur Ausscheidung gelangten Sulfatmengen abge-
zogen und erst der verbleibende Rest als Sulfatausgabe in Rech-
nung gestellt. Die für 100 g gefressenen Hafers von den 4 Tieren in
den Vorperioden im Harn ausgeschiedenen Sulfatmengen betrugen
in Milligramm-Äquivalenten: Kaninchen A: 3,94, Kaninchen B:
4,00, Kaninchen C: 5,06, Kaninchen D: 5,21. Dazu ist zu bemer-
ken, daß die Tiere C und D während der Vorperiode einen Ge-
wichtssturz erlitten haben, der bei D auch von einem Negativ-
werden der N-Bilanz begleitet war, woraus sich die höheren Werte
bei diesen Tieren erklären lassen.
Neben der täglichen Wägung der Tiere, welche an sich ein
gutes Maß für das Allgemeinbefinden bietet, suchte ich durch Be-
stimmung der N-Bilanz in den für die S-Bilanz wichtigen Eiweiß-
stoffwechsel der Tiere Einblick zu gewinnen. Damit war gleich-
zeitig die Wirkung der in Untersuchung stehenden Salzgemenge
auf den N-Haushalt festgestellt.
Es sei hier übrigens darauf aufmerksam gemacht, daß alle
Stoffwechseluntersuchungen bei Kaninchen von vornherein mit
einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, da wegen des langen
10 E. Stransky:
Aufenthaltes der Ingesta im Blinddarm, wo sich die neuen mit den
alten Massen mischen, ohne daß es wie überhaupt im Kaninchen-
darm jemals zu einer völligen Entleerung käme, die abgesetzte
Kotmenge zeitlich dem gleichzeitig ausgeschiedenen Harn nicht
entspricht, sondern von vorhergehenden Verdauungsperioden
stammt.
Dieser Fehler läßt sich kaum ausschalten, da eine Kotabgren-
zung wie beim Fleichfresser infolge der erwähnten, im Blinddarm
erfolgenden Mischung von alten und neuen Ingestis nicht möglich
ist. In der Tat erscheint z. B. per os gereichte Kohle in allmählich
steigendem Ausmaße zuerst etwa am dritten Tage merkbar im
Kote und wird weiter zunächst anscheinend in gleichbleibender,
später in abnehmender Menge ausgeschieden, bis sie allmählich
in 8—10 Tagen verschwindet. Die Bedeutung dieses Fehlers läßt
sich nur durch möglichste Länge der Versuchsperioden und Ein-
schaltung langer Zwischenperioden herabdrücken.
Die Analysenergebnisse wurden in Anionengewichten und
Anionen-Milligrammäquivalenten ausgedrückt. Das Chloridion
Cl’ = 35,46 bezw. 2 = 35,46 und Sulfation SO,” = 96,06 bezw.
= = 48,03. Die entsprechenden Zahlen für die Phosphorsäure-
analysen wurden wie folgt gewonnen. Da bei der aktuellen Reak-
tion des Organismus weder ein Ion PO,” noch ein Ion HPO,”
noch auch H,PO,’ möglich ist, wählte ich für die Darstellung der
Phosphorsäureanalysen in Ionenform ein kombiniertes Ion, welches
sich ergibt aus dem Verhalten der Phosphate bei der aktuellen
Reaktion des Blutes, in welchem entsprechend dessen H-lonen-
konzentration auf 2 Mole Na,HPO, annähernd 1 Mol NaH,PO,
kommt, Daraus ergibt sich, ein fünfwertiges Ion H,(PO,),' mit
289,15
5
= 57,83, das einer Säure H,P,O,. mit dem Molekulargewicht 294,19
entspricht. Das Äquivalent des Anions dieser Säure unterscheidet
sich folgendermaßen von den Äquivalenten der 3 möglichen An-
ionen der Orthophosphorsäure H,PO;:
einem Gewichte von 289,15 und einem Äquivalent von
Äquivalentgewicht des lwertigen Anions H,PO,’ : 97,066
„ "E : „ H (PO ””” : 57,83
„ E- „ s» HPO,” ° 48,024
Mineralstoffhaushalt. V. 11
An 2 Tieren wurde der Einfluß des Karlsbader Wassers stu-
diert, an 2 anderen Tieren der des erwähnten Sulfatgemisches.
Dieses Sulfatgemisch hatte die molare Konzentration des Karls-
bader Wassers (ca. 0,160 g-Mole im Liter) und enthielt die Kat-
ionen K, Na, Ca, Mg in denselben Verhältnissen, wie sie in der
Tyrodeschen Nährlösung enthalten sind, von Anionen ausschließ-
lich Sulfat. Um auch eine geringfügige Chloridbeimengung zu ver-
meiden, wurde das Calcium als Acetat der fertigen Lösung zu-
gesetzt, was sich ohne jegliche Trübung bewerkstelligen ließ. Dieser
Vergleichsversuch bezweckte, den reinen Einfluß des Sulfations
festzustellen, unabhängig von anderen Anionen und auch unab-
hängig von einer Änderung des physiol®gischen Kationenverhält-
nisses, einerseits mit Rücksicht auf die beobachtete Wirkung
des Karlsbader Wassers, welche zunächst als Komplexwirkung
von Kationen und Anionen anzusehen war; andererseite konnte
sich in diesem Kontrollversuche ein Ersatz des Chlorids im Orga-
nismus durch Sulfat ohne die Hemmung der bei den Mineralwasser-
versuchen gleichzeitig erfolgenden nicht unerheblichen Chlorid-
zufuhr deutlicher äußern. Ich hoffte also, durch diesen Kontröll-
versuch festzustellen, ob die beobachtete Mineralwasserwirkung
unabhängig von Kationen, Chlorid- und Hydrokarbonation, vor-
wiegend durch das Sulfation hervorgerufen wird.
Mit diesem Sulfatgemisch wurde außerdem eine Reihe von
physiologischen Versuchen hinsichtlich seiner Eignung als Nähr-
lösung ausgeführt. Diese erwiesen eine völlige Gleichheit des Sul-
fatgemisches mit Frosch-Ringerlösung am Froschherzen und der
- Tyrodeschen Lösung am Kaninchendarm, während am Meer-
schweinchenuterus eine geringe Tonuszunahme beobachtet wurde.
Im Vergleiche dazu wurde die Wirkung von Karlsbader Wasser
an den gleichen Versuchsobjekten untersucht: Auch das Karls-
bader Wasser erwies sich am Froschherzen ganz gleichwertig der
Ringerlösung, während am Darm und Uterus Tonuszunahme und
eine positiv inotrope Wirkung beobachtet wurden. Diese Wirkung
ist entweder der Hypotonie des Karlsbader Wassers oder dem
Verhältnisse seiner Kationen zuzuschreiben. Der Gleichgültigkeit
des Karlsbader Mineralwassere für das Froschherz entsprach die
Wirkungslosigkeit auf Atmung und Blutdruck von Kaninchen bei
intravenöser Injektion, selbst bis zu einem Betrage von 100 ccm
innerhalb einer halben Stunde an einem ca. 1000 g schweren Tiere,
12 E. Stransky:
dem also in dieser Zeit nahezu das gleiche Flüssigkeitsvolumen
eingeführt wurde, als seine Blutmenge beträgt. Auch wiederholte
Injektionen haben keinen nachteiligen Einfluß gehabt. Es wurden
innerhalb 8 Tagen täglich 10 ccm Mühlbrunn körperwarm einem
Kaninchen in eine Ohrvene injiziert, das Tier zeigte weder Gc-
wichtsänderung, noch verminderte Freßlust, noch auch eine ver-
änderte Diurese oder Kotentleerung*).
Auf die Wiedergabe der bei den Experimenten aufgenomme-
nen Kurven verzichte ich wegen Raummangels und verweise be-
züglich der Methodik auf den letzten Teil dieser Arbeit.
In den beiden Versuchsreihen verhielten sich die Paralleltiere
nicht ganz gleich. Von def Wirkung des Karlsbader Wassers auf
ausschließlich mit Hafer ernährte Kaninchen wissen wir aus zahl-
reichen Versuchen, daß es l. von den Tieren begierig getrunken
wird, sie trinken meist erheblich mehr davon als von Süßwasser
und 2. daß die Ausnutzung der Nahrung wesentlich gefördert wird,
was in der Beschaffenheit des Kotes und der Kalkbilanz zum
Ausdrucke kommt. Der Kot ist, wie schon Bgalitzer berichtet
hat, meist fester und lichter und enthält weniger Kationen. In
dieser Beziehung zeigte nur je ein Tier der beiden Reihen eine
positive Reaktion. Tier B trank im Tagesdurchschnitte der Vor-
und Nachperiode 84 ccm Süßwasser gegenüber 154 ccm Karlsbader
Wasser in den beiden Hauptperioden, Tier A trank im Tages-
durchschnitt 61 ccm Süßwasser, dagegen nur 76 ccm Karlsbader
Wasser. Tier D trank im Tagesdurchschnitt 250 ccm Süßwasser,
aber 388 ccm Sulfatwasser, Tier C trank im Tagesdurchschnitt
233 ccm Süßwasser, dagegen nur 263 ccm Sulfatwasser. Die
größere Flüssigkeitsaufnahme in den Vorperioden bei den Tieren
C und D erklärt sich aus dem Umstande, daß diese Tiere im
heißen Juli im Versuche waren, während A und B in dem damals
kühlen April im Versuche standen.
*) Auch beim Menschen erwies sich die intravenöse Infusion von Karls-
bader Wasser als unschädlich. Es wurden innerhalb etwa 10 Minuten 450 ccm
steril an der Quelle aufgefangenen Sprudels nach Abkühlung auf Körper-
temperatur injiziert, ohne daß abnorme Empfindungen oder Erscheinungen
von seiten des Blutdruckes, der Pulszahl, der Atmung, Diurese und Tem-
peratur weder unmittelbar nachher noch auch in den nächsten Stunden
beobachtet werden konnten. Für die Ausführung der intravenösen Injektion
sei auch an dieser Stelle Herrn Dr. Otto Löw in Karlsbad bester Dank
ausgesprochen.
Mineralstoffhaushalt. V. 13
Was die Körpergewichtskurve anbelangt, so blieb Tier A an-
nähernd gleichgewichtig. Tier B erlitt in der Nachperiode einen
Gewichtssturz von ca. 50 g, gleichzeitig wurde die Stickstoffbilanz
vie] weniger positiv. Kaninchen D erlitt in der Vorperiode aus un-
bekannten Gründen einen Gewichtssturz von fast 100 g in 5 Tagen,
der mit negativer N-Bilanz einherging; in den 3 nachfolgenden
Versuchsperioden blieb das Körpergewicht konstant. Kaninchen
C erlitt ebenfalls aus unbekannten Gründen in der zweiten Haupt-
neriode einen plötzlichen Gewichtssturz von 90 g innerhalb cines
Tages mit stark negativer N-Bilanz und Vermehrung der Äther-
schwefelsäure im Harn, dem im weiteren Verlaufe zwar kein
Wiederansatz folgte, der aber auch nicht fortschritt. Trotz dieser
Unterschiede ergab sich in allen Versuchen hinsichtlich des An-
ionenhaushaltes ein qualitativ gleiches Resultat, welches aber
bei je einem der beiden zusammengehörigen Tiere viel deutlicher
zum Ausdrucke kam, als bei dem anderen gleichzeitig im Parallel-
versuche gehaltenen Tiere.
I. Tränkung mit Karlsbader Mineralwasser.
Die folgenden Tabellen zeigen die Bilanzen der 3 untersuchten
Anionen CI’, SO,” und H,(PO,)," in den 4 Versuchsperioden.
Tabelle I. Kaninchen A.
Anionenbilanzen in Milligramm-.
Tränk- Äquivalenten
Ende der
Perlode
Tabelle II. Kaninchen B.
I 5 Leitungswasser| 2010-1980 +3,45 |+0 — 19,42 |—15,97 175,9 | 24,1
I |, 2 |Mühlbrunn 2005 — 2005 I+5,77 |+2,65 | — 3,86 |+ 4,56185,3 | 14,7
IH = 1970—1970|-+6,10 |+4,19| + 1,02 !+11,31 [86,6 | 13,4
IV ©, |Leitungswasser| 1945—1920|+1,80 |—6,84 | — 14,98 |—20,02|87,6 | 12,4
Was die Sulfatbilanz anlangt, sei zunächst das oben über
die Berechnung Gesagte wiederholt: Als Nettoeinnahmen des Sul-
fats wurden blöß die mit dem Tränkwasser zugeführten Sulfat-
mengen gebucht, da der Hafer keine in Betracht kommenden an-
14 E. Stransky:
organischen Sulfatmengen enthält, als Nettoausgaben das Gesamt-
sulfat des Harnes abzüglich jenes Wertes, welcher sich für Nahrung
und Zellverschleiß aus den Werten der Vorperioden ergibt. Infolge-
dessen ist die Sulfatbilanz der Vorperiode allemal +0 (da das
Leitungswasser nur sehr geringe Sulfatmengen enthält). Die
Werte für die Bilanzen der 3 Anionen sind in Milligramm-Äquiva-
lenten ausgedrückt, um eine Gesamtanionenbilanz aufstellen zu
können.
Bezüglich der Chloridbilanz haben sich die beiden Tiere in-
sofern nicht ganz gleich verhalten, als die bei beiden Tieren in der
Vorperiode positive Bilanz bei A in den Versuchsperioden unter
Wahrung des Ansatzes weniger positiv wurde, bei B dagegen wäh-
rend des Mineralwasserregimes noch mehr Chlor angesetzt wurde,
als in der Norm.
Von Sulfat hat Tier B während der Versuchsperiode deut-
liche Mengen angesetzt, in der Nachperiode aber alles Sulfat wieder
abgegeben. Tier A dagegen verhielt sich anders, es schließt auch
nach der Nachperiode mit einem kleinen Gewinn von Sulfat ab.
Die Tatsache, daß in der dritten Periode bei diesem Tiere die
Sulfatbilanz negativ ist, dagegen in der Nachperiode stark positiv
wird, ist nicht deutbar, hängt vielleicht mit der willkürlichen Be-
rechnung der Sulfatbilanz zusammen, die aber durch eine andere
Berechnungsweise nicht ersetzt werden konnte. Bei beiden Tieren
ist aber deutlich zu sehen, daß von einem Ansatze von Sulfat auf
Kosten des Chlorids keinesfalls die Rede sein kann, so daß ein
Ersatz von Chlorid durch Sulfat im Organismus sicherlich nicht
stattfindet. Hierbei ist zu bedenken, daß sich im Karlsbader
Wasser die Äquivalente Cl: SO, wie 1: 2,03 verhalten. Im An-
satze ist selbst von einem derartigen Verhältnisse keine Rede.
Bemerkenswert ist jedenfalls, daß bei beiden Tieren das aufge-
nommene Sulfat vollkommen resorbiert wurde. Im Kot wurde
so gut wie gar nichts ausgeschieden. Dies steht im Einklang mit
den Befunden von Kionka, Weise und F. Best, welche die Re-
sorbierbarkeit von Sulfaten durch den Darm experimentell ge-
prüft haben.
Hinsichtlich dieser beiden Anionen sind die Versuche also
vollkommen negativ verlaufen. Man kann nur zusammenfassend
aussagen: Das Sulfat des Mineralwassers wird vom Kaninchen voll-
kommen resorbiert, wird nur während der Dauer der Darreichung
Mineralstoffhaushalt. V. 15
im Organismus gespeichert und verläßt ihn nach Aufhören der
Zufuhr wieder vollständig. Während der Dauer der Mineral-
wasserzufuhr verliert der Organismus kein Chlor.
Anders und einheitlicher sind die Ergebnisse der Phosphor-
säurebilanz. Die gesamte Phosphorsäure von Hafer und Kot
ist nach den obigen Ausführungen als anorganisches Phosphat an-
gesehen. In den Normalperioden sind die Phosphorsäurebilanzen
stark negativ, ein Hinweis auf die unzweckmäßige, einseitige Er-
nährung. Das um so mehr, als die Tiere in den engen Stoff-
wechselkäfigen kaum nennenswerte Bewegungen ausführen können
und daher die bei der Muskelaktion freiwerdende Phosphorsäure
(Engelmann) hier nur eine untergeordnete Rolle spielen kann.
Das im Stoffwechsel bei der Tätigkeit wahrscheinlich aller Zellen,
nicht nur der Muskelzellen, sondern auch der Nerven- und Drüsen-
zellen freiwerdende Phosphat stellt eigentlich keine Stoffwechsel-
schlacke dar, insofern es als solches glatt wieder zum Aufbau der
. organischen Phosphorsäureverbindungen des Zelleibes Verwen
dung finden kann und zum Teil auch findet (Embden und seine
Schüler). Über die Ursachen, warum dies nicht vollständig geschieht
und beim Erwachsenen eine negative Phosphatbilanz schon in der
Norm (wie hier), bei bestimmter Ernährung eintreten kann, sind
nur Vermutungen möglich. Die Phosphorsäure verläßt den Kanin-
chenorganismus durch Harn und Kot und zwar bei Hafernahrung
etwa zu ?/, der Gesamtausscheidung im Harn und zu !/, im Kot.
Die im Harn ausgeschiedene Phosphorsäuremenge ist nach O.
Loewi im Gegensatz zu Harnstoff und Chlorid unabhängig von
der Diurese, er schließt daher auf eine echte Sekretion in den Tu-
bulis, läßt aber auch eine Glomerulusfiltration für überschüssige
(d. i. intravenös injizierte) Phosphorsäure zu, deren Ausfuhr mit
steigender Wasserausscheidung ansteigt. Aus dem Umstande,
daß gesunde Säuglinge bei Brustnahrung so gut wie keine Phosphor-
säure ausscheiden (Moll) läßt sich nicht etwa der Schluß ziehen,
daß die Ausscheidung lediglich durch aktive, vom Bedarf des Orga-
nismus abhängige Sekretion erfolge, da auch das passiv in den
Glomerulis abfiltrierte Kochsalz bei Koehsalzmangel durch Rück-
resorption nahezu vollständig zurückbehalten wird. Zu einem
Teile verliert der Organismus also wohl rein passiv Phosphorsäure
im Harn, ob eine Rückresorption stattfinden kann, ist nicht unter-
sucht. Zu einem anderen Teile kann er aber, wenigstens beim
16 E. Stransky:
Herbivoren die Phosphorsäureausscheidung im Harn zur Regu-
lation der aktuellen H-Ionenkonzentration des Organismus ver-
wenden. Der Herbivore. welcher bei Acidose kaum nennenswerte
Ammoniakmengen zur Neutralisation aufbringt, kann sich in der
Tat irgendwelcher überschüssiger H-Ionen, ohne die lebenswich-
tigen Hydrokarbonate heranzuziehen, auf dem Wege der Phosphor-
säureausscheidung entledigen, wenn angenommen wird, daß er in
einer, allerdings noch nicht bekannten Weise das im Glomerulus
abfiltrierte physiologische Ion H,(PO,), beim Passieren des pro-
visorischen Harnes durch die Harnkanälchen unter Ausscheidung
des Ions H,PO, in das Ion HPO, verwandelt und dieses zurück-
behält, welches Ion bei der Rückkehr in den Kreislauf neue H-
Ionen unter Restitution zum Ion H,(PO,), binden kann. Wenn
diese auf der Ludwigschen Filtrationstheorie der Harnsekretion
fußende Anschauung richtig ist, wird eine Acidose beim Kaninchen
von erheblichen Phosphatverlusten begleitet sein müssen. Würtz
fand in der Tat bei der experimentellen chronischen Säurevergif-
tung des Kaninchens vermehrte Phosphorsäureausscheidung, und
Noorden führt einige Analysen an, aus denen hervorgeht, daß
bei diabetischer Acidose das Verhältnis N : P zugunsten der Phos-
phorsäure verschoben ist, und daß diese vermehrte Phosphorsäure-
ausscheidung durch Natriumhydrokarbonat dem Normalwerte
wieder genähert werden kann. Ausschließlich mit Hafer ernährte
Kaninchen entleeren stets lakmussauren Harn.
Der zweite Ausscheidungsweg der Phosphorsäure, der Darm,
ist hinsichtlich seiner Einzelheiten auch noch nicht genügend ge-
kannt. Man nimmt an, daß ein um so größerer Teil der Phosphor-
säure im Kote erscheint, je mehr Erdalkalien, insbesondere Kalk,
ausgeschieden werden, für welche der Darmder Hauptausscheidungs-
ort sein soll, daß also die Phosphorsäure sozusagen passiv mit dem
Ca im Kot mitausgeschieden wird. Aber der Kaninchenkot ent-
hält nicht nur Erdalkalien, sondern auch reichlich, wenn auch
weniger als der Harn, Kalium und Natrium, welche, da er neutral
reagiert, und so gut wie keine anderen Anionen als Phosphorsäure
enthält, auch an Phosphorsäure gebunden sein müssen. Dieser
Teil der Phosphorsäureausscheidung muß also von einem anderen
Gesichtspunkte betrachtet werden. Er ist unabhängig vom
Calcium, also nicht passiv, sondern aktiv. Denn daß es sich um
die Ausscheidung unresorbierter Phosphorsäurereste der Nahrung
Mineralstoffhaushalt. V. 17
handeln sollte, ist höchst unwahrscheinlich, namentlich mit Rück-
sicht auf die glatte Resorbierbarkeit der Chloride und Sulfate.
Es wird daher damit zu rechnen sein, daß der Herbivorenorganis-
mus das im Stoffwechsel entstehende Phosphat nicht nur deshalb
nicht wieder vollständig verwendet, 'weil er sich seiner überschüssi-
gen H-Ionen auf dem Wege der Phosphatausscheidung im Harn
entledigt, sondern daß auch noch aus anderen bisher unbe-
kannten Gründen Phosphorsäure zu Verlust geht.
Wie sich die Phosphorsäurebilanz des Erwachsenen bei nor-
maler Ernährung verhält, ist nicht hinreichend bekannt. Beim
gesunden Erwachsenen und bei zureichender Nahrung sollte
a priori Phosphorsäuregleichgewicht bestehen und auch bei stark
wechselndem Phosphorsäuregehalt der Nahrung brauchte das
Gleichgewicht in Anbetracht der möglichen Wiederverwendung
des im Stoffwechsel anfallenden freien Phosphates nicht gestört
zu werden. In der Tat werden aber bei positiver N-Bilanz wech-
selnde P-Bilanzen (positive und negative) beobachtet, wenn auch
ein Parallelgehen beider Bilanzen der häufigere Fall zu sein scheint
(Noorden). Die näheren Einblicke sind auch hier noch versagt.
Eine Zeit lang wird wohl der Organismus aus den großen Phos-
phorsäuredepotse in den Knochen eine Unterbilanz decken können,
aber auf die Dauer wird eine negative Phorphorsäurebilanz bei
der Lebenswichtigkeit dieses Anions zu schweren Störungen der
Organfunktionen führen müssen.
Es sei gleich hier auf einen Parallelismus zwischen Calcium-
bilanz und Phosphorsäurebilanz hingewiesen, der schon von an-
derer Seite beobachtet wurde und auch bei den Versuchen mit
Karlsbader Wasser zu Tage tritt.
Die bei allen Hafertieren beobachtete, stark negative Phos-
phorsäurebilanz der Vorperiode ist durch die Mineralwasserzufuhr
wesentlich beeinflußt worden und zwar in dem Sinne, daß zwar nur
in einer der 4 Versuchsperioden beider Tiere ein geringfügiger
Phosphatansatz zu verzeichnen war, aber doch durchgehend die
Phosphorsäureverluste während des Karlsbader Regimes auf
einen Bruchteil der Verluste in der Vor- und Nachperiode herab-
gedrückt wurden. In den Nachperioden stellte sich sofort wieder
der auf die unzweckmäßige Ernährung zurückgeführte starke
Phosphorsäureverlust wieder ein. Ganz so verhielt sich die Be-
einflussung der Kalkbilanzen durch Karlsbader Wasser bei den
Biochemische Zeitschrift Band 12. l 2
18 E. Stransky:
Tieren Sgalitzere. Auch hier wurde die in der Vorperiode stark
negative Bilanz beträchtlich weniger negativ. Die Verteilung der
Phosphorsäure auf Harn und Kot hat sich bei Tier A unter dem
Einflusse des Karlsbader Wassers nicht wesentlich geändert, wäh-
rend bei Tier B eine Verminderung der Ausscheidung im Kot zu-
gunsten der Harnausscheidung eintrat.
Betrachtet man die Gesamtanionenbilanz, so findet
man bei Tier B in der Vor- und Nachperiode eine negative, in beiden
Hauptperioden eine positive Bilanz, wobei jedoch die angesetzten
Anionen den Organismus in der Nachperiode wieder vollkommen
verlassen. Bei Tier A ist die Gesamtbilanz der Anionen während
des ganzen Versuches positiv, in der ersten Hauptperiode deutlich
positiv, in den 3 übrigen Versuchsperioden nahe dem Gleich-
gewichte, so daß der ganze Versuch mit einem Gewinn an Anionen
abschließt. Aber auch dieser ist mit 6 Milligrammäquivalenten
sehr geringfügig und steht in gar keinem Verhältnis zu den hohen
Werten für Kationenansatz (55—56 Milligr.- Äquiv.) die Sgalitzer
bei Verabreichung desselben Mineralwassers in annähernd gleichen
Zeiten bei seinen Kaninchen gefunden hatte. Da ich nicht an-
nehmen kann, daß sich meine Tiere in dieser Hinsicht ganz anders
verhielten, so muß ich daraus schließen, daß der weitaus größere
Teil der unter dem Einflusse des Mineralwassers angesetzten Kat-
ionen entweder dem Hydrokarbonation verbunden, oder aber an
Eiweiß gebunden retiniert worden ist. Jedenfalls wird man über
diese interessante Erscheinung in besonderen, Anionen und Kat-
ionen berücksichtigenden Versuchen Aufschluß suchen müssen.
Il. Tränkung mit Sulfatgemisch.
Der Vergleichsversuch mit dem Sulfatgemisch wurde in der-
selben Versuchsanordnung an den Kaninchen C und D angestellt, bei
welchen in den beiden Hauptperioden statt des Karlsbader Wassers
das oben gekennzeichnete Gemenge von Sulfaten gereicht wurde.
Für die folgenden Tabellen gilt das gleiche, wie das oben sub I
Ausgeführte.
Auch bei diesen Tieren waren die Chloridbilanzen während
der ganzen Versuchsdauern positiv. Der Ansatz ging während des
Sulfatregimes nur unbedeutend zurück. Die Tiere hielten also
während der Versuchsperioden etwas weniger Chlor zurück, als in
der Vor- und Nachperiode.
Mineralstoffhaushalt. V. 19
Tabelle III. Kaninchen C.
Bo Körpergewicht| Anionenbilanzen in Milligramm- HPO)”
33 am Anfang u. Äquivalenten Außscheldg.
$ Ende der %
SÀ
Periode cr | 80,” EPO)”
I || o |Leitungswasser| 2500—2420 |+ 4,121 +0 — 8,78 — 4,66163,2 | 36,8
IT! %¥ [Sulfat 2450-2450 44.0514 6,511 + 1.45 +1201 69.5 | 30.6
mE 2450—2370 |+3,74| +0 — 8,22 |— 4,48[69.8 | 30,2
IV itungswasser | 2370—2330 |+5,82|= 5,0 | + 0,82 + 1641670 |330
Tabelle IV. Kaninchen D.
I| o |Leitungswasser| 2550—2440|+2,66|+0 | —20,36 |—17,701 46,7 | 53,3
IT| & |Sufat 2450 —2430 |+ 1.921 415,47] — 4,16 |-+12,50 X 483
mie| , 2415—2460 |-+3.08|413,65| +? +17® ?
IVi © [Leitungswasser | 2440—2470|+4.94|— 3.88! +13,23 |+14,25 698 302
Hinsichtlich der Sulfatbilanzen verhielten sich die beiden
Tiere nicht ganz gleich : Tier C setzte während der Sulfatdarreichung
wenig, Tier D beträchtliche Mengen Sulfat an, C gab diesen Ansatz
in der Nachperiode fast ganz wieder ab, bei D dagegen schloß der
Versuch mit einem nicht unerheblichen Gewinn an Sulfat ab. Aber
gerade bei diesem Tiere ist die Chloridbilanz während der Haupt-
perioden gegen die Vor- und Nachperiode nahezu unverändert ge-
blieben. so daß man auch beireiner Sulfattränkung eine
Verdrängung resp. einen Ersatz von Chlorid durch
Sulfat nicht feststellen kann. Auch hier zeigte sich durch
Untersuchung des Kotes, daß das Sulfat vollständig resorbiert
worden war. Auch hier wird das Sulfat während der Zeit der
Tränkung bis zu einem gewissen Grade zurückgehalten und nachher
mehr minder rasch wieder abgegeben.
Die Phosphatbilanzen sind nur scheinbar etwas anders aus-
gefallen, als bei den Mühlbrunntieren. Auch hier stark negative
Phosphorsäurebilanzen in den Vorperioden als Ausdruck der un-
zweckmäßigen Ernährung. Bei beiden Tieren zeigte sich in der
Hauptperiode eine auffällige Verbesserung der negativen Phos-
phorsäurebilanz, bei D weit deutlicher und ungefähr in der Größen-
ordnung der Mühlbrunntiere, bei C unbedeutender, bei D wird die
negative Phosphorsäurebilanz in der Nachperiode in eine deutlich
positive Bilanz umgewandelt. Das Tier C möchte ich hier über-
haupt ausschließen, weil es in der zweiten Hauptperiode einen un-
motiviert gebliebenen Gewichtssturz von 80 g erlitten hat, welcher
mit einer gegen die erste Hauptperiode stark negativen P-Bilanz,
2*
20 E. Stransky:
negativen N-Bilanz, Vermehrung des Kot-N und der Ätherschwefel-
säuren im Harne einhergegangen ist. Lassen wir diese Periode aus,
so sehen wir die negative Phosphorsäurebilanz unter dem Ein-
flusse des Sulfatgemisches nicht nur weniger negativ, sondern sogar
positiv werden, so daß Übereinstimmung bei beiden Tieren und
mit den Ergebnissen bei den Mineralwassertieren festgestellt
werden kann. Ein Unterschied besteht aber in den Nachperioden
beider Tiere gegen jene der mit Mineralwasser Getränkten: wäbrend
bei diesen die Verbesserung der Phosphorsäurebilanz in der Nach-
periode wieder vollständig verschwindet, macht sie bei den Sulfat-
tieren in der Nachperiode noch erhebliche Fortschritte. Ob daraus
auf eine besondere, im Karlsbader Wasser durch das Chloridion
gehemmte Sulfatwirkung geschlossen werden kann, müssen weitere
Untersuchungen entscheiden. Die Phosphorsäureverteilung auf
Harn und Kot ist bei diesen Tieren schon in der Norm anders als
bei den Mühlbrunntieren, beide scheiden in der Norm verhältnis-
mäßig viel mehr Phosphorsäure im Kot aus. Während der Sulfat-
tränkung verbessert sich zwar das Verhältnis zugunsten des
Harnes, aber nun unbedeutend.
Die Gesamtbilanz der Anionen ist auch bei diesen Tieren in
der Vorperiode negativ, wird (mit Außerachtlassung der 3. Periode
bei C) in den Hauptperioden positiv und bleibt auch positiv in den
Nachperioden. Es werden also zweifellos während der
Sulfatdarreichung Anionen angesetzt und zwar auf-
fallenderweise das Phosphation, welches ja gar nicht
zugeführt wurde, in erheblicherem Maße, als das dar-
gebotene Sulfat. Diese Wirkung des Sulfats ist höchst be-
merkenswert, zumal bei dem Mangel an Hydrocarbonat in der
Tränkungsflüssigkeit nicht daran gedacht werden kann, daß etwa
die Zurückhaltung der Phosphate hier bedingt wäre durch Ein-
führung eines Anions, welches zur Regelung der aktuellen Reaktion
verwendet wird und daher die Ausscheidung des Phosphations
überflüssig macht, woran beim Kaninchen (siehe oben) auch zu
denken wäre. Es scheint hier tatsächlich eine besondere Wirkung
des Sulfations vorzuliegen, die nicht leicht zu beurteilen ist, inso-
fern wir zunächst nicht wissen können, ob unter dem Einflusse des
Sulfats weniger Phosphat frei wird, oder aber die Wiederverwen-
dung des im Organismus im gleichen Ausmaße entstandenen
Phosphates gefördert wird.
Mineralstoffhaushalt. V. 21
Hält man beide Versuchsreihen zusammen, so kann man im
allgemeinen sagen:
1. Das Sulfat des Karlsbader Wassers wird vollkom-
menresorbiert. Es wird nur während der Dauer der Zu-
führung teilweise zurückgehalten und ist dabei ohne
Einfluß auf den Chloridwechsel des Organismus.
2. Die Hauptwirkung liegt auf dem Gebiete der Phosphate.
Unter dem Einflusse des Karlabader Wassers werden die
Phosphate in höherem Maße im Organismus zurückbe-
halten.
3. Dabei werden gegenüber der Norm Anionen an-
gesetzt, allerdings in viel geringerem Ausmaße, als
Kationen angesetzt werden.
4. Diegleiche Wirkunghabenreine, hinsichtlich der
Kationen physiologisch gemengte Sulfate, so daß die
Wirkung,dieunterdemEinflußdes Karlsbader Wassers
an Tieren beobachtet wird, nicht nur als eine Wirkung
der spezifischen Kationenmischung, sondern auch als
eine Wirkung des Überwiegens des Sulfations im Karls-
bader Wasser angesehen werden kann.
Weitere Versuche sollen dartun, ob diese Wirkung eine für
das Sulfation spezifische ist, oder ob auch das Chloridion analoge
Wirkungen herbeiführen kann. Die direkten Wirkungen auf den
Ansatz der Aniohen sind jedenfalls viel geringfügiger als auf den
der Kationen. Dagegen tritt die indirekte Wirkung auf das
Phosphation sehr deutlich hervor. Daß unter Umständen einc
Wirkung auf die Ausscheidung der Phosphate der Ausdruck von
sehr wesentlichen Wirkungen auf den Stoffwechsel sein kann, be-
weisen u. a. die Beobachtungen Molls über die Phosphataus-
scheidungen bei gesunden und ernährungsgestörten Säuglingen.
Auf einen Punkt sei zum Schluß noch hingewiesen: Sowohl
unter dem Einflusse des Karlsbader Wassers, als auch der reinen
Sulfate sank die S-Ausscheidung im Kot (wenn wir vom Kanin-
chen A hierbei absehen).
Hinsichtlich der N- Ausscheidung im Kote sehen wir bei beiden
MMühlbrunntieren eine schon in den Hauptperioden einsetzende, in
der Nachperiode besonders deutliche Herabsetzung und das gleiche
beim Sulfattier D, während sich beim Sulfattier C, auch abgesehen
22 E. Stransky:
Tabelle V. Kaninchen A.
$s; in den Kot
Q in Grammen
gs
© | Leitungswasser
= Ej Mühlbrunn
IV | © Leitungswasser
Tabelle VI. Kaninchen B.
[U | o | Leitungswasser | +1,0442 179,4 | 20,6] 77 1 0,2695 | 0,0655
I ı % Mühlbrunn +1,0519 |85,3 | 14,7| 97 I 0,1932 | 0,0576
Im | & 5 +1,5964 186,6 | 13,4] 95 | 0,1889 | 0,0461
IV || © | Leitungswasser | +0,1082|87,7|12,3| 74 | 0,0933 | 0,0654
Tabelle VII. Kaninchen C.
I o | Leitungswasser | +0,9975 [81,31 18,71 79 1 0,2431 | 0,0643
u | % Sulfat +0,7117 180,1 | 19,9] 94 | 0,2690 | 0,0496
II) E n — 1,4133 183,7 | 16,3] 89 | 0,3282 | 0,0431
IV | © | Leitungswasser | —0,4641 184,9 | 15,1] 91 |] 0,2531 | 0,0469
Tabelle VIII. Kaninchen D.
I | o | Leitungswasser | —0,8906 [68,8 | 31,2] 67 | 0,5596 | 0,0687
a | $ Sulfat 0,4034 [70,3 |29,7| 64 I 0,4963 | 0,0541
in a R + 3 |? | ? | 84 | 0,2509 | 0,0462
IV || 2 | Leitungswasser | +0,7010 | 79,9 | 20,11 84 I 0,2677 | 0,0619
von der wiederholt erwähnten Störung des Allgemeinbefindens in
der zweiten Hauptperiode, keine Verbesserung in der Ausnutzung
der N-haltigen Nahrungsstoffe nachweisen ließ.
Im großen und ganzen zeigte sich aber doch unter dem Ein-
flusse des Karlsbader Wassers und des reinen Sulfatwassers eine
bessere Ausnutzung der gereichten Nahrung, die denn auch in
einer analogen Besserung der Gesamt-N-Bilanz zum Ausdrucke
kommt.
Methodik der Versuche.
De die Methodik der Fütterung, Tränkung und Haltung der Tiere,
sowie die der Gewinnung des Analysenmaterials bereite S. 7 besprochen
ist, erübrigt sich nur noch die Anführung der angewendeten analytischen
Verfahren.
Harn: Die zu jeder Periode gehörigen vereinigten Tagesportionen
-+ Spülwasser wurden auf ein rundes Volumen mit Wasser aufgefüllt und
mit Toluol versetzt. Die Chloride wurden nach Morsozewski bestimmt:
Feuchte Veraschung durch konz. HNO, bei Anwesenheit von gemessenen
Mineralstoffhaushalt. V. 23
Mengen ®/,.-AgNO,, deren unverbrauchter Überschuß nach Volhardt
zurücktitriert wurde. Zum Teil wurde auch direkt nach Volhardt analy-
siert, nach vorhergegangener Klärung des Harnes mit chlorfreiem Kieselgur,
was vollkommen identische Werte ergab. Nebenbei sei bemerkt, daß
hieraus auf eine Abwesenheit von organischen Chlorverbindungen im Ka-
ninchenharn bei Haferfütterung geschlossen werden kann. Die anorgani-
schen Sulfate wurden nach vorheriger Klärung mit kolloidalem Eisen-
hydroxyd nach der Folinschen Methode durch Fällung mit BaCl, und
Wägung als BaSO, bestimmt. Vorversuche hatten ergeben, daß diese
Methode der Klärung des sonst sehr schlecht filtrierbaren Kaninchenharnes
für Sulfatbestimmungen einwandfrei ist. Zur Bestimmung der Gesamt-
sulfate wurde der geklärte Harn vor der Fällung ?!/, Stunde mit Salzsäure
gekocht. Bei einigen Harnen wurde auch der Gesamtschwefel in der Soda-
Salpeterschmelze bestimmt, was sehr kleine Werte für den Neutralschwefel
ergab. Zur Phosphatanalyse wurde der Harn nach der modifizierten
Neumannschen Methode feucht verascht, sodann nach Woy (Treadwell,
Bd. 2, 9. Aufl., S. 373) vorgegangen und schließlich Mg,P,O, zur Wägung
gebracht. Eine direkte Fällung ohne vorherige feuchte Veraschung ergab
unregelmäßige Werte (bis 5%, Differenzen bei Parallelbestimmungen), aber
keinen Anhaltspunkt für das Vorhandensein von organischen Phosphor-
oder Phosphorsäureverbindungen. Die Uranyltitration bewährte sich
für den Kaninchenharn nicht.- Der Stickstoff wurde nach Kjeldahl
bestimmt.
Kot: Im lufttrockenen, sorgfältigst gemischten in der Reibschale her-
gestellten Kotpulver wurden die Chloride nach Moraczewski bestimmt und
die Phosphate nach Neumann - Woy, wobei die in nicht unbeträchtliohen
Mengen vorhandene Kieselsäure vor der Molybdatfällung entfernt werden
mußte. Zur Sulfatbestimmung wurde das Kotpulver mit konz. HNO, in
einer Porzellanschale erst bei Zimmertemperatur stehengelassen, wobei
sehr bald Verflüssigung eintrat, dann am Wasserbade mit konz. HNO,
zur Trockene eingedampft, dann in eine Platinschale übergeführt, mit
reichlichem Soda- und Salpeterzusatz eingedampft und nach völligem Trook-
nen geschmolzen (Spiritusflamme). Die Schmelze wurde mit verdünnter
Salzsäure aufgenommen und zur Entfernung der Silicate nach der Vorschrift
von Treadwell, Bd. 2, 9. Aufl, S. 415 vorgegangen. Im Filtrate wurde
schließlich das Sulfat nach Folin bestimmt. Der Stickstoff wurde nach
Kjeldahl bestimmt.
Hafer: Den Tieren wurde als Futter gesiebter Hafer gereicht, aus
dem die sichtbaren Verunreinigungen wie Holz, Sand usw. ausgelesen
worden waren. Zur Analyse wurde der Hafer in einer kleinen Stahlmühle
gemahlen und das Gesamtmehl sorgfältig gemischt. Die einzelnen Anionen
und der Stickstoff wurden wie im Kot bestimmt. Parallelanalysen in Hafer
und Kot gaben für alle untersuchten Anionen Differenzen von durohschnitt-
lich 2—3% . Die gleiohmäßige Mischung des Analysenmaterials spielt eine
große Rolle,
Zur Feststellung der präformierten anorganischen Anionen CI’, SO,”
und H,(PO,),’’ wurden Hafermehl und Kotpulver mit der etwa 10faohon
24 E. Stransky:
Menge 2,5 proz. Salpetersäure 24 Stunden bei Zimmertemperatur geschüttelt,
die Auszüge scharf abzentrifugiert und in aliquoten Filtratsteilen nach
vorheriger Klärung (für Cl Kieselgur, für SO, Eisenhydroxyd) die betreffen-
den Anionen analysiert.
Die Versuche an tüberlebenden Organen wurden nach
der üblichen Methode von Magnus am Kaninchendünndarm und Meer-
schweinchenuterus angestellt und beim Wechsel der Tyrodelösung einer-
seits durch Sulfattyrode, andererseits durch Mühlbrunn gründlich aus-
gewaschen. Zu den Froschherzversuchen wurden etwa 30 g schwere männliche
Temporarien verwendet und die Straubsche Versuchsanordnung gewählt.
Tabellarische Darstellung der Versuchsergebnisse.
1000 ccm Prager Leitungswasser enthalten:
0,0599 g SO,” = 1,21 mg-Äquivalente; 0,01039 g Cl’ = 0,29 mg-Äquivalente.
1000 ccm Karlsbader Mühlbrunn (Flaschenversand) enthalten nach
den Angaben des „Österr. Bäderbuches‘‘ 1914, S. 289:
1,6946 g SO,” = 35,278 mg- Äquivalente; 0,61417 g Cl’ = 17,32 mg-Äquival.
1000 cem des gereichten Sulfatwassers enthielten:
4,2800 g SO,” = 89,11 mg-Äquivalente.
100 g verfütterten Hafers enthi lten:
Gesamtgehalt:
0,08352 g CI’ = 2,35 mg-Äquivalente
0,6987 g S0,” = 14,55 re
0,8960 g H. (PO,), = 15,49 >
1,5454g N
durch Säure extrahierbar:
0,0817 g CI’ = 2,30 mg-Äquivalente, d. i. 100%, des Gesamtgeh.
0,0110g SO,” = 0,33 p d. i. 1,59% » 5
Q 1651 g H (PO): ”” == 2,85 „ d. i. 13,525 „ „
In den folgenden Tabellen IX—XVI sind die Versuchsergebnisse
für jedes Tier in 2 Tabellen niedergelegt, die eine enthält die während der
4 Versuchsperioden gewonnenen Daten, in der anderen sind die Ergebnisse
der Analysen zusammengestellt. Als Beispiel der Rechnungsart bei den
Sulfatbilanzen führe ich hier die der Sulfatbilanz für die erste Hauptperiode
bei Tier A aus: in der Normalperiode I wurden bei Aufnahme von 495g
Hafer 0,9695 g SO, im Harn ausgeschieden, daher lieferten 100g Hafer
0,1895 g SO,. In der Hauptperiode II wurden 453 g Hafer aufgenommen,
was daher einem Haferwert von 0,8584 g SO, entspräche.
Im Harne wurden ausgeschieden . . 1,8880 g SO,”
davon abzuziehen der Haferwert . . 0,8584 „
bleiben ... 2 2-0 4 1,0296 g SO,”
in 643 ccm Mühlbrunn aufgenommen 1,0896 g „
daher retiniert . . ........ + 0,0600 g SO,” = 1,25 mg-Äquiv.
Mineralstoffhaushalt. V. 25
Tabelle IX. Kaninchen A, g', 2010g schwer, 3 Tage zuvor bei
Hafer und Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten.
I. Vorperiode 18, III.—25. III.; II. 1. Hauptperiode 26. III.—2. IV.;
III. 2. Hauptperiode 3. IV.—10. IV.; IV. Nachperiode 11. IV.—18. IV.
RN | Kot 5 Tagesdurch -
Í t ©
© || & |Körper- Kot schnitt der &
2 | $ |gewicht Harn| feucht A > Hafer ? Wasser- |S 3 Anmerkungen
A A er aufnahme A 5
g lucem g- g Lccm ccm a
8
2
he]
2 z
Ep
=. RR
= iS
64
— F Kot weich
— = Kot weich
— = | Kot wieder geformt
99| 157 | 148 14531643] 80 |
3| 2015 | ® | 10 | 97| — | |\mamanzmme,
i 4.| 2035 ? 19 60| 98 — vorgelegt. Schale früh
| 5.! 1990 40 37 43| 36 — = | eingetrocknet gefund.
m| 6| 2025 | 40| 4 601 9%; — |E
| 7.| 2020 | 38| 10 aj) — |
| 8.| 2020 | 48| 10 55/1 66] — 1
| 9| 2015 | 40| 25 49| 42| —
|10.| 2020 45 s | — 501 es] —
Summe: | ? 118 | 915/412 |568| 71 |
111.) 2000 | 48| 3 | — 49 60 —
112. 40| 10 | — | 44| 54| — i
|13. K awT — 1%
ry||14. w I T e o 0 —
|15. i oo a= d l o) — z
|16. i 6| = 1 æla — 13
a. 34| 15 50| 6| — |-
18. 30 14 48| 54| —
| Summe: 1296| 117 | 85.51389 456)
'26 E. Stransky:
Tabelle X.
Analysenergebnisse bei Kaninchen A.
Milligr.-
| s17 com Wasser] 0,0054 0,0315| 0,66 — —
| © !495g Hafer |0,4133 3,4586) 72,01 76,69 | 7,6498
Einnahmen |0,4187| 11,81 |3,4901| 72,67 |4,4353| 76,69 | 7,6498
251 ccm Harn |0,0794| 2,24 I10,9695| 20,18 13,8948| 67,35 1 5,4758
115 g Kot 0,0516| 1,45 I10,8578| 17,83 I0,9650| 16,68 | 1,1456
Ausgaben [0,1310| 3,69 |1,8273| 38,01 [4,8598] 84,03 [6,6214
643 ccmMühlbr.|0,8949! 11,14 [1,0896 2,68] — | — I —
453 ccm Hafer |0,3786| 10,67 |3,1651| 65,90 |4,0589| 70,18 | 7,0007
Einnahmen [0,7735| 21,81 4,2547| 88,58 4.0589| 70,18 | 7,0007
399 ccm Harn 0,5311| 14,98 | 1,3880| 39,35 | 3,2284) 55,83 | 4,6636
0,8817| 18,36 |0,9309| 16,10 | 1.0282
e 80,” H,(PO) N
Milligr.- Milligr.-
Äquiv. £ Äquiv. €
Nüssigkeit
—..
Leitungswasser
—
—z
=
Mühlbrunn
2,36
0,6148| 17,34 | 2,7697| 57,71 |4,1598| 71,93 | 5,6918
568ccmMühlbr.|0,3488| 9,84 [0,9625 20,04] — | — I —
412g Hafer |0,3443| 9,70 |2,8787| 59,93 [3,6916| 63,83 |6,3672
0,6931| 19,54 [3,8412] 79,97 [3,6916] 63,83 [6,3672
?ccm Harn [0,4468| 12,59 | 1,8618! 38,74 |2,9082! 50,29 |4,9930
91,58 Kot [0,0739] 2,08 [0,9193] 19,14 [0,8908] 15,40 |0,9288
| Ausgaben |0,5207| 14,67 2,7811| 57,88 [3,7990] 65,69 |5,9218
456 ccımWasser| 0,0047| 0,13 [0,0273] 057] — | — | —
389 g Hafer |0,3245| 9,16 |2,7180| 56,59 [3,4855| 60,27 |6,0116
Einnahmen |0,3292| 9,29 |2,7453| 57,16 3,4855| 60,27 {6,0116
296 cem Harn [0,1191] 3,36 [0,9865 20,54 |3,3582| 58,07 | 4 9186
85,5 g Kot 0,0677) 1,9010,5268| 11,0 10,5909| 10,22 | 0,4554
Ausgaben [0,1868 5,26 [1,5133] 31,54 | 3,9491] 68,29 | 5,3740
—
Bil
Mühlbrunn
Leitungswasser
Mineralstoffhaushalt. V. 27
Tabelle XI.
Kaninchen B, & 2020 g schwer, 3 Tage zuvor bei Hafer und
Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten.
I. Vorperiode 18. III.—25. IV.; II. 1. Hauptperiode 26. IIL—2. IV.;
IN. 2. Hauptperiode 3. IV.—10. IV.; IV. Nachperiode 11. IV.—18. IV.
7
|
Anmerkungen
Tagesdurch-
schnitt der
Wasseraufn.
Tränkflüssigke
Leitungswasser
Harn in der Schale eingetrocknet
Mühlbrunn Mühlbrunn
Leitungswasser
| Summe: 506 124 | 92,41373| 699| 87
28 E. Stransky:
Tabelle XII.
Analysenergebnisse bei Kaninchen B.
—
Leitungswasser
648 ccm Wasser 0,0067] 0,19 0,0388] 0,81] — — —
405 g Hafer 0,3382] 9,54 12,8297| 58,92 | 3,6292] 62,75 [6,2590
Einnahmen |0,3449! 9,73 12,8685| 59,73 | 3,6292| 62,75 | 6,25%
402 ccm Harn 3,43 |0,8126| 16,92] 3,6092) 62,41 [4,1234
85g Kot 0,1011! 2,85 [0,7953| 16,56] 1,1426] 19,76 | 1,0914
i
| Ausgaben [0,2229 6,28 | 1,6079] 33,48] 4,7518! 82,17 |5,2148
| 11199 Mühlbr. |0,7364| 20,77 |2,0320' 42,31 =
514g Hafer [0,4292] 12,10 |3,5913| 74,77 7,9434
—
1,1656] 32,87 | 5,6233|117,08 | 4,6055] 79,64 | 7,9434
? Harn 0,8908 25,12 [2,8932, 60,24 |4,1199| 71,24 | 5,8954
164,5 g Kot [0,0702] 1,98 |0,8883| 18,49|0,7093| 12,26 [0,9931
Ausgaben [0,9610] 27,10 |3,7815| 78,73 4,8292] 83,50 [6,8915
| [1268 Mühlbr. 10,7788| 21,97 [2,1488 44,741 — | — | —
506g Hafer 0,4225! 11,92 |3,5354| 73,61 |4,5338! 78,40 | 7,8197
II
Mühlbrunn
=
= | Einnahmen [1,2013] 33,89 |5,6842/118,35 [4,6338] 78,40 [7,8197
Pa) — ——
5 |1185 ccm Harn] 0,9078) 25,60 [2,9205| 60. 80 3, 8732 66,98 | 5,3696
= 0,0778! 2,19 |0,7167| 14,91|0,6014| 10,40 | 0,8547
Ausgaben |0,9856| 27,79 |3,6372| 75,71 [4,4746| 77,38 | 6,2243
| |699cem Wasser|0,0073] 0,20610,0419] 087] — | — | —
| & [373g Hafer [0,3115] 8,78 |2,6062| 54,26 [3,3420 57,79 | 5,7644
1 | Einnahmen. [0,9188 2,6481 3,3420] 57,79 [5,7644
IV — 1
5 |566ccm Ham |0,1655| 4,66 [1,0460] 21,78 |3,8602| 66,75 | 6,1404
F |92,4g Kot 2,52 [0,7317] 15,24[0,3481| 6,02 [0,5138
| Ausgaben [0,2548! 7,18 [1,7777 37,02|4,2083| 72,77 |5,6542
Mineralstoffhaushalt. V. 29
Tabelle XIII.
Kaninchen C, œ 2500 g schwer; 3 Tage zuvor bei Hafer und
Leitungswasser im Stoffwechselkäfig gehalten.
I. Vorperiode 7. VIL.—11. VIL; II. 1. Hauptperiode 12. VIL—16. VIL.;
IIL II. Hauptperiode 17. VIL—21. VII.; IV. Nachperiode 22. VII.—26. VII.
Tagesdurch-
Kot schnitt der | Tränk-
K
feucht — Hater | Wasser | Wasser-
OOKEn aufnahme
g
Sulfat Sulfat Leitungswasse
Leitungswasser
30 = E. Stransky:
Tabelle XIV.
Analysenergebnisse bei Kaninchen C.
495 ccm Wasser o, 0051 0,14 10, 0288|
405 g Hafer 10,3383| 9,54 | 2,8297 * 3.6292 6,2590
| Einnahmen |0,3434 9,68 |2,8585| 59,52 3,6292] 62,75 [6,2590
332 ccm Ham [0,1211] 3,42 1,0120) 21,07 12.6572] 45,95 l4,
112,9 g Kot |0,0759| 2,14 [0,6585| 13,71 | 1,4796] 25,58 |0,9846
Ausgaben |0,1970| 5,56 [1,6705| 34,78] 4,1868] 71,53 [5,2615
695 ccm Sulfat — [2,9743 6192| — | —- | —
375 g Hafer 8,83 |2,6201| 54,55 |3,3600, 58,10 |5,7953
K 3 | Einnahmen [0,3132 8,83 5,59441 16,47 | 3,3600] 68,10 [5,7963
Ú |528cem Ham [0,1156| 3,26 [3,5719] 74,97 — 39,36 14.0747
106,5g Kot 10,0540| 1,52 [0,5582| 11,62 — 17,29 1,0089
6% ccm Sulfat 2.6534 5524| — | — | —
301 g Hafer 2,1031) 43,79 | 2,6970| 46,64 | 4,6517
4 | 7,09 [4,7565] 99 ‚03 2,6970| 46, 2,6970] 46,64 | 4,6517
458ccm Harn |0, pan KEA 11
0,0441] 1,24
HMI
Sulfat
3,3814| 70,4012, —— 5,0770
100,5 g Kot 0,3893| 8,11 [0,9569 0,9880
Ausgaben [1190| 3,35 [3,7707 78,51 [3,1726] 54,86 |6,0650
470 ccemWasserļ 0, 0049 0,14 10,0274) 0,57
350 g Hafer 0,2923| 8,24 12,4454| 50,92 3.1360 5, 4089
Einnahmen
0,0454| 1,28 | 1,0899| 22,69 [2.0686 35,77 14,9873
0,0456| 1,28 10,4915| 10,23 | 1,0203| 17,64 | 0,8857
390 ccm Harn
Ausgaben I0,0910| 2,56 1,5814] 32,92 | 3,0889) 53,41 | 5,8730
pd
<
—
— — — — —
110,5 g Kot
Leitungswasser
— ——
Mineralstoffhaushalt. V. 31
Tabelle XV.
Kaninchen D, & 2580g schwer; 4 Tage zuvor bei Hafer und
Leitungswasser im Stoffwechsel gehalten.
I. Vorperiode 8. VIL.—12. VII.; II. 1. Hauptperiode 13. VIL—17. VIL;
IH. 2. Hauptperiode 18. VII.—22. VII. IV. Nachperiode 23. VIL—27. VIL
Leitungswasser |
Sulfat
*
©
A
B
8
E
D
4
32 E. Stransky:
Tabelle XVI.
Analysenergebnisse bei Kaninchen D*).
Periode |
Tränk-
Nlüssigkeit
| 695 cem Wasser| 0,0072) 0,20 |0.0406| 0,84
315g Hafer |0,2631| 7,42 |2,2010| 45,82 2.8224 48.80 17572
ji 9 9 1 1 * 4
104,4 g Kot
Ausgaben
—
Leitungswasser
36. ‚69 1,7628
— an [rear na ma
Einnahmen 0,2756 777 6,71381139,79[2,9568| 51,13 6,0998
685 cem Harn 10,1514 = 4,4903| 93,49 | 1,6531] 28,58 3,8655
0,5356) 11,15|1,5448| 26,71 | 1,6377
910 cem Sulfat | — — 13,8945| 81,09 —
0,2477| 6,90 |2,0472| 42,62 4,5280
293 g Hafer
Einnahmen [0,2477| 6,90 94174128, 7112,6253| 45,40 | 4,5280
532 cem Harn [0,1004| 2,83 3,9716] 82,69
— — — — ana nu N —
—
=
Sulfat
550ccm Wasser pm Ea 16 ham ECOEREN
322g Hafer E 7,58 = 46,8212, 8851 49.8 89 14, 9877
Leitungswasser
Ausgaben |0,0995| 2,80 [1,1204| 23,34 [2,1205! 36,66 | 4,2867
*) Der Harn der III. Periode ging leider durch eine Unachtsamkeit
verloren, ehe noch die Phosphat- und Stickstoffanalysen angestellt waren.
Die bezüglichen Bilanzzahlen sind geschätzt und ergaben in Hinsicht auf
die Kotausscheidung und im Vergleiche zu den sonstigen Harn- und Kot-
werten dieses Tieres den berechtigten Schluß, daß beide Bilanzen positiv
sein müssen.
1030 ccm Sulfat 4,4081| 91,78
330g Hafer 0,2756 7 q 2,3057] 48,0112, 9568 5 0998
Mineralstoffhaushalt. V. 33
Literatur.
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46. 103.
Biochemische Zeitschrift Band 122, 3
Beitrag zur Praxis der Bleifällung.
Von
Hedwig Langecker.
(Aus dem Pharmakologisch-pharmakognostischen Institute der deutschen
Universität in Prag.)
(Eingegangen am 30. Mai 1921.)
In Anbetracht der universellenVerwendung des Bleiacetates
zu Reinigungs- und Fällungszwecken bei biologisch-chemischen
Arbeiten ist es bemerkenswert, daß die verwendeten Lösungen
vom basischen Bleiacetat gewöhnlich nicht definiert sind. Auch
über die Bedingungen der Wirksamkeit von Bleifällungen ist in der
Literatur keine Zusammenfassung niedergelegt.
Es erscheint daher nicht unberechtigt, die Erfahrungen unseres
Laboratoriums in dieser Richtung mitzuteilen, wenn vielleicht auch
die eine oder andere darunter bekannt sein sollte.
Es ist bekannt, daß sich ein großer Teil der mit Bleiacetat er-
zeugten Fällungen in Essigsäure löst. Davon kann man durch
Verwendung von essigsauren Bleizuckerlösungen mit Vorteil Ge-
brauch machen!). Weniger allgemein beachtet dürfte es sein, daß
auch durch Anwesenheit von Ammonacetat und -tartrat Bleinieder-
schläge gelöst werden. Die Tatsache, daß Bleisulfat in Ammon-
acetat und -tartrat löslich ist, wird in der analytischen Chemie zur
Trennung von Blei- und Bariumsulfat verwendet?). Die Löslich-
keit der Bleifällungen wird erst bei einem Salzüberschuß deutlich
wahrnehmbar. Die Salzlösungen müssen zum Bleiacetat etwa im
Verhältnis 15 : 1 stehen. In der präparativen Biochemie kann von
dieser Eigenschaft der Bleiniederschläge auch mit Vorteil Ge-
brauch gemacht werden, wenn es sich darum handelt, bei Ver-
meidung von überschüssiger Säure fraktionierte Fällungen durch-
zuführen, z. B. eine Reinigung von Flüssigkeiten durch Blei vor-
1) Stransky, Arch. d. Pharmazie 258, H. 1, 8. 67.
2) Treadwell, Analyt. Chem. 1, S. 184.
1l. Langecker: Praxis der Bleifällung. 35
zunehmen, deren darzustellende Bestandteile ebenfalls mit Blei
fällbar sind.
Die fällende Wirksamkeit von Bleiessiglösungen hängt natur-
gemäß von dem Verhältnis von PbO zu Bleiacetat ab und es
ist daher nötig, über Bleiessiglösungen zu verfügen, die in dieser
Richtung genau definiert sind.
Zunächst sei darauf hingewiesen, daß auch Schütteln mit Blei-
oxyd in der Kälte allein weitgehende Reinigung bzw. Klärung her-
beiführt (z. B. in den Mazerationen von Digitalisblättern). Wenn
diese Fällung durchführbar ist, stellt sie den Idealfall dar, da mit
dem leicht wieder zu entfernenden in Lösung gegangenen Blei keine
schwer oder gar nicht zu entfernenden Anionen in das Untersuch-
ungsmaterial eingebracht wurden. Dieses Vorgehen ist jedoch nur
möglich, wenn in dem Untersuchungsmaterial Stoffe saurer Natur
zugegen sind, die intermediär gelöste Bleisalze bilden oder
wenn die Bedingungen für eine Adsorption nach Art der Bolus-
adsorption gegeben sind.
Vom basischen Bleiacetat sind in der Literatur!) folgende
Salze bekannt: Halb-basisch-Bleiacetat 2[(C.H,O,)Pb] + PbO,
einfach-basisch-Bleiacetat, a n, zweifach-basisch Blei-
Pbx OCM.O Pb OH
acetat, Pb< 0 ‚fünffach-basisch Bleiacetat, Pb< O
Pb/_O0C,H,0O Pb/_0O x C:H,0.
Das fünffach-basisch-Bleiacetat ist in kaltem Wasser unlöslich.
Was die Lösungen vom basischen Bleiacetat, sog. Bleiessig
anlangt, so wird er nach dem Arzneibuch (öst. Pharmakop. VIII)
folgendermaßen hergestellt: 30 T Bleiacetat, 10 T. Bleioxyd, 100 T.
kaltes Wasser werden geschüttelt und filtriert. Der Berechnung
nach handelt es sich um ein Gemisch von einfach- und halbbasischem
Bleiacetat.
Da man sich für verschiedene Zwecke mit Vorteil verschiedener
Verhältnisse zwischen Bleioxyd und Bleiacetat wird bedienen
können, habe ich die Konzentration, die Alkalität und den Blei-
gehalt von Bleiessiglösungen festgestellt, die durch Vermischen
bestimmter Mengen der beiden Stoffe im lufttrockenen Zustand und
Behandeln des Gemenges in heißem Wasser hergestellt waren.
Wird lufttrockenes Bleiacetat und Bleioxyd gemengt, so beobachtet
1) Schmidt, Pharmac. Chemie Bd. II, S. 471; Abegg, Anorg. Chemie
Bd. 3, 2. Abt., S. 733.
3%
36 H. Langecker:
Tabelle I.
= Bleiacetat Bleioxyd
Molen- nn Pb als | ingewog S *
Zahl | verhältnis acetat | Acetat Bleioxyd Pb als 5 k 2|
der k; ber. in |! gel. ad ber. PbO |3 p “| gef.
| Einwage — Norm.| 5 ccm | Norm. 100 ccm | Norm. E E Norm.
En ee ELA p Pes
| | |
I | I Mol Pba | 18,96 | In | 05408 |1,01n] 559 | ',n | 0,2520 | 24,5 | 0,49
RR
Ta —* PbO| 56,88 8n | 1,6181 |3,18n| 1677 | »,n | 0,7449 | 722 | 1%
| 1 Mol PbA
+ 18,96 in | 0.4822 |0,8n| 11,17 n | 0,4985 | 47,7 | 095
| 1 Mol PbO |
| 1 Mol PbA |
Im | + 18,96 in | 0,4185 |0,809 | 16,77 | *4m | 0,5759 | 556 | 1,11
3/, Mol PbO | |
|
| 1 Mol PbA |
4 8.96 J 0,21 42 22 í 7
Wheat onah a n | 2181 |0,42n 35 2n | 04780 | 464 | 0,98
| |
| |
| 1 Mol PbA |
+ 18,96 in | 0,159 |0,308 | 33,52 8n | 0,4360 | 421 | 08
| 3 Mol PbO -
|
I} j f
|| 1 Mol PbA |
VI | + 18,96 In | 0,1669 [0,82n| 55,85 ön | 0,4525 | 48,7 | 08
|| 5 Mol PbO | | | |
man einen Übergang des Farbentones von Orange über Hellgelb
zu fast Weiß. Die Bildung der basischen Salze geschieht scheinbar
im trockenen Zustand, wohl unter Vermittlung des Acetatkrystall-
wassers. Dabei gelangt man zu einer Grenze. Mehr als 3 Mol Blei-
oxyd auf 1.Mol Bleiacetat treten nicht in Reaktion.
Die Methoden waren folgende: Die Konzentration wurde
durch Trocknen bei 105° bis zur Gewichtskonstanz bestimmt.
Dabei war mit steigendem Bleioxydgehalt der Fehler infolge des
sich bildenden Bleikarbonats immer größer. Die Alkalität wurde
durch Titration mit n-Essigsäure gegen Methylrot bestimmt.
Phenolphthalein ließ sich nicht verwenden, da bei geringem Indi-
katorzusatz kein Umschlag zu beobachten war und bei größerem
Zusatz störende Niederschläge auftraten. Da es sich um die Ti-
tration eines Salzes einer schwachen Säure und einer schwachen
Base handelt, ist die Titration mit Methylrot nicht fehlerfrei. Das
Blei wurde als Bleisulfat bestimmt.
m AU u u ne A En —
Praxis der Bleifällung. 37
Tabelle I.
—
Alkalitäts-
äquivalent
Baslcitäts-
quotient
gef.
— =
1.1616 loss 1,68 | 0,32 | 1,138 — xe
3,4696 , 2968 | 4,57 | 0,82 [8,4200 ) Mol.-Gew.: 872,78 —
| { EN an
Mol.-Gew.: 547,82
1881| I+IV
Mol.-Gew.: 1818,55
Pb-0-C,H,0
1,4561 * 1,92 | 0,58
a
[
1.0207 į 0,8071 | 1,35 | 0,60
5
En E 0,78 |
0,9070 | 0,619! 1,2 | 0,78
’
6 5,66
Aus den beiden Tabellen ist zu ersehen, daß das halb-, ein-,
einundeinhalb-, zwei- und dreibasische Bleiacetat in Lösung er-
halten wurden. Das von Sch midt!) angegebene fünfbasische Blei-
Tabelle II.
— — — —
Salz nach Trockenrlickstand
= e = | _.
353 © - Pr Sa © 5 Io 3 5
3| A— HE EREE
S= 5358|: 3818: FEFELE
Seg 5 AFISE IEEE
I 1 1, | 3a | 1,53 | 0,49 [0,321 1,53 | 156 | — | —
Ial 3 3a | % | 457 | 144 1032| 457] a71 | — | —
ml ı 1 189 | 095 i05 | 189| 1.96 | 0,11 | 1.89
mi ı 15 | 25 |192 |111 1058| 1.92 | 1,94 | 058 | 192
Ivi ı 2 3 | 135 | 0.93 069| 1.35 | 1.41 | 1,65 | 1,85
vi 1 3 4 | 115 ! 084 0.31 1.16 | 122 | 285 | 115
vil ı 5 6 |12 |087 iozalıa |123|48 |12
⸗
98 H. Langecker: Praxis der Bleifällung.
acetat wurde nicht erhalten. Es blieb Bleioxyd ungelöst. Während
bei der Herstellung des halb- und einbasischen Bleiacetats alles in
Lösung ging, blieb bei allen übrigen ein Teil ungelöst. Die Lös-
lichkeit der basischen Bleiacetate nimmt mit steigendem Gehalt
an Bleioxyd ab. Die Basizität ist wegen der abnehmenden Lös-
lichkeit durch Lösungen von mehrbasischem Bleiscetat nicht über
In zu steigern. Dagegen ist für die fällende Kraft das Verhältnis
von Basizität zu Bleigehalt maßgebend. Dieses Verhältnis (Basi-
zitätequotient) nähert sich 1, so daß die am stärksten basischen
Bleiessige wie gelöstes Bleioxyd wirksam sind.
Für die Praxis der Bleifällung ergibt sich, daß hoch kon-
zentrierte Lösungen nur bei niedrigem Basizitätsquotienten her-
stellbar sind. Man wird aber trotzdem mit Bieiessigen von
hohem Basizitätsquotienten arbeiten können, wenn man nicht
klare Lösungen, sondern milchige Suspensionen verwendet, welche
bei der Herstellung des Bleiessigs Nr. IV und V erhalten werden.
Die empfehlenswerteste Herstellung des Bleiessigs ist folgende:
Verreiben äquivalenter Mengen von lufttrockenem Bleioxyd und
-acetat bis zu einer fast weißen Masse, die hierauf mit wenig heißem
Wasser zu einem gleichmäßigen Brei angemacht, hernach auf das
entsprechende Volumen aufgefüllt und filtriert wird.
Auch von den festen Verbindungen, welche durch Verreiben
in der Reibschale hergestellt werden, kann man in allen Fällen, in
denen eine Flüssigkeitsvermehrung vermieden oder in alkoholischen
Lösungen gearbeitet werden soll, in der gleichen Weise Gebrauch
machen wie vom festen Bleiacetat. Denn es liegt hier tatsächlich
fester Bleiessig vor, dessen Zusammensetzung, wie die Analysen
der Lösungen zeigen, vollkommen den Mengen der gemischten
Stoffen entspricht.
Die Wirksamkeit der. Bleifällungen steigt von den sauren,
über die salzhaltigen, neutralen bis zu den basischen Bleiacetat-
lösungen mit zunehmendem Basizitätsquotienten an. — Es dürfte
daher stets gelingen, für fraktionierte Bleifällungen die gewünsch-
ten Bedingungen zu erreichen.
Ein Beitrag zur Giftwirkung der Schwermetallsalze auf
das Pflanzenplasma.
III. Mitteilung.
Von
Hugo Kahho (Dorpat, Estland).
(Eingegangen am 13. Juni 1921.)
Bekanntlich besitzen die Schwermetallsalze, die gleiche
Wertigkeit der Kationen vorausgesetzt, eine verschiedene Kolloid-
aktivität ) und demgemäß dem Plasma gegenüber eine ungleiche
Giftigkeit?). Man hat hier einen Zusammenhang mit der Größe.
des elektrolytischen Lösungsdruckes der zweiwertigen Schwer-
metallkationen gefunden.
Um diesen Zusammenhang in bezug auf das Pflanzenplasma
zu prüfen, habe ich im Anschluß zur vorhergehenden Mitteilung?)
einige Versuche mit den Epidermisschnitten von Rotkohl und
Tradescantia zebrina ausgeführt.
Bei den Rotkrautschnitten (Blattoberseite) für die meisten
Salze eignete sich die Konzentration von 0,175 Mol, außer den
heftigen Giften HgCl, und CuCl,.
In der Lösung von Sublimat, wie es zu erwarten war, ko-
agulierte das Plasma bei dieser Konzentration fast momentan.
Nachdem die Schnitte sich 5 Min. in Kupferchloridlösung be-
fanden und danach mit destilliertem Wasser ausgewaschen waren,
plasmolysierten in Zuckerlösung ungefähr 68% der Gesamtfläche
von 10 Schnitten, nach 10 Minuten 55%, nach 20 Min. 20%
und nach 30 Min. waren alle Zellen tot.
Die mit den anderen Schwermetallsalzen erhaltenen Ergeb-
nisse sind in der Tabelle I angeführt, wo iede Zahl das Prozent
1) Höber, Physikalische Chemie der Zelle usw., 1914, S. 284.
2) ]. c. S. 485.
3) Diese Zeitschr. 118. 1921. Daselbet auch die Methodik.
40 IH. Kahho:
Tabelle I. |
Rotkohl. Konzentration der Lösungen 0,175 Mol. Temp. 17— 19° C.
Die Zeit des
| 2
Aufenthalts der || ZnSO, {Pb (CEO FeSO, | CoCl, | MnCl, | CaCl; | NiSO, PR
Schnitte in Lös. | | | |
-Stunden | % % | % SE ah | r E M %o
0,5 | 100 | 100 | 100 |100 | 100 | 100 | 100 100
1 100 100 100 | 100 | 100 | 100 | 100 | 100
2 | 95 85 85 | 95 | 97 | 100 | 100 | 100
3 67 65 80 80 95 97 | 100 | 100
5 | 20 60 60 | 56 | 95 ! 95 | 100 | 100
7 | 0 t7 | 37| 45| 9 | 95| 9 !100
Bei den abgestorbenen Zellen tritt eine mehr oder weniger tiefe Blau-
färbung ein.
der in Zuckerlösung plasmolysierten Gesamtfläche in je 10 Schnit-
ten bedeutet!).
Die Daten der Tabelle I zeigen uns, daß in den Lösungen von
Zn und Pb die noch plasmolysierbaren Zellen in den Schnitten
verhältnismäßig schnell abnehmen und nach 5 Stunden in Zink-
sulfatlösung alle Zellen koaguliert, in Bleiazetat noch ein geringer
Teil plasmolysierbaren Zellen vorhanden ist. Bei Mn, Cd und Ni
dagegen bleiben die Zellen in weit überwiegender Zahl lebend,
d.h. sie sind imstande, eine Deplasmolyse in Wasser und nach-
her eine neue Plasmolyse in Zuckerlösung durchzumachen.
Co und Fe nehmen eine Zwischenstellung zwischen den beiden
erwähnten Gruppen ein.
Ordnet man die Kationen der untersuchten Schwermetall-
salze, um CaCl, nach abnehmender Fähigkeit das Pflanzenplasma
zu koagulieren, so erhält man die Reihenfolge
Hg > Cu > Zn > Pb > Fe, Co>Mn,€d, Ni>Ca.
Ein Vergleich mit der Reihenfolge der elektrolytischen Lösungs-
drucke zeigt uns Folgendes:
Reihenfolge der Lösungsdrucke.
Hg Cu Pb Ni Co Fe Cd Zn Mn Ca.
Abweichend verhalten sich hauptsächlich Zn und Ni, das erste
durch ein abnornı große, das letztere durch zu kleine Aktivität.
Für das exceptionelle Verhalten des Zn haben wir ein Ana-
logon in den Versuchen von Mathews und Lillie?). Höber
1) Die Zahlen in den Tabellen I und II haben nur einen qualitativen
Wert; s. meine II. Mitteilung |. c.
2) Höber, l. c. S. 485, 532ff.
Giftwirkung der Schwermetallsalze auf das Pflanzenplasma. 41
erklärt die ausschließlich hohe Toxizität des ZnCl, in den erwähnten
Versuchen, durch die starke Hydrolyse seiner Lösungen (l. c).
Für die allzu schwache Wirkung des NiSo, haben wir keine Er-
klärung. Der Unterschied zwischen den Wirkungen von Fe und
Co einerseits, Mn und Cd anderseits liegt im Bereich des Ver-
suchsfehlers.
Eine etwas bessere Übereinstimmung der Giftwirkung von
Schwermetallsalzen mit der Größe des elektrolytischen Lösungs-
druckes erhielt ich bei den Epidermisschnitten (Blattunterseite)
von Tradescantia zebrina, mit viel schwächeren Lösungen.
Eine jede Zahl in der Tabelle II bedeutet das Prozent der in
Zuckerlösung plasmolysierten Zellen in 10 Schnitten, nach der
Behandlung mit Schwermetallsalzlösungen.
Tabelle II.
Tradescantia. Konzentration der Lösungen 0,025 Mol. Temp. 20° C.
Die Zeit des | CuCl, | CußO, | ZnSO, |Pb (C,H,0,),| NiSO, | FeSO, | CdCl, | CoCi, | MuCl, | CaCl,
Aufenthalts der
Schnitte in Lös. Jede Zahl ist das Mittelprozent der plasmolysierten Zellen in 10 Schnitten
20 Min. || 100,0 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0
30 y 100,0 | 100,0 | 100,0 100,0
1 Stde. 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0 | 100,0
2 Stdn. 67| 531] 12,1] 100,0 | 100,0 ‚0 | 100,0 | 100,0 | 100,0
3: 74| 72| 109 78,7 69,0 | 88,2 | 100,0 | 100,0 100,0
45 22| 38| 77 37,5 53,3! 58.0 | 100,0 | 100,0 | 100,0
B 0 0 63| 143 41,4 | 53,2 | 100,0 | 100,0 | 100,0
6 „ — — 0 81 31,1 | 36,4 | 100,0 | 97,2 | 100,0
1-5 — — — 0 3,61 28,9! 80,9 | 66,0 | 100,0
8 „ = = — — 9 13,7| 43,3 | 70,2 | 100,0
10 „ — = — — | — i 65] 41,1) 75,5 | 100,0
12 4 — — — — — | O | 30,0| 54,3 | 100,0
2 „ — — | — —— = 0 10,6 | 62,8
24 „ een. e — — | — | — | 134l 555
In der Lösung von HgCl, 0,005 Mol. waren die Tradescantia-
zellen nach 15 Min. bereits alle tot.
Nach abnehmender Giftigkeit geordnet, bilden die Kationen
nach den Daten der Tabelle II diese Reihenfolge
Hg > Cu, Zn > Pb, Ni > Fe>Cd>Co>Mn>Ca.
Wie man sieht, hat das Ni hier seine richtige Stellung nach
Pb eingenommen, während das Zn nach seiner Wirkung, wie
vorher, dem Cu bzw. Pb nahe kommt. Eine weitere Ausnahme
durch etwas zu schwache Aktivität bildet das Co.
42 H. Kahho: Giftwirkung der Schwermetallsalze auf das Pflanzenplasma.
Im allgemeinen ist die Übereinstimmung mit der Reihen-
folge der Lösungsdrucke bei relativ schwächeren Konzentrationen
der zu untersuchenden Lösungen besser, als bei höheren.
Das Anion scheint, so weit man das aus einem einzigen
Beispiel CuCl, — CuSO, schließen kann, keine Rolle zu spielen!).
Dabei müssen wir aber in Betracht ziehen, daß die Kupfersalz&
nach ihrer Toxizität auf der zweiten Stelle stehen, was wohl der
großen Kolloidfällungskraft des Cu-Ions zuzuschreiben ist, welche
die Wirkung des Anions völlig zudeckt. Es läßt sich aber nicht
voraussagen, ob dasselbe bei den weniger wirksamen Salzen,
wie Mn, Cd und anderen zutrifft. Es könnte ja möglich sein, daß
in einigen Fällen auch die Beschaffenheit des Anions eine Rolle
spielt, wie z. B. bei den organischen Anionen?). Auf diese Frage
kommen wir noch bei einer anderen Gelegenheit zurück.
Zusammenfassend können wir sagen, daß die Giftwirkung
der zweiwertigen Schwermetallkationen auf das Pflanzenplasma,
bei relativ hoher Konzentration der Lösungen, in Hauptzügen
mit der Größe der elektrolytischen Lösungsdrucke parallel geht.
Daß aber hier noch ‚‚spezifische Einflüsse‘ mitwirken können?),
darauf weist deutlich das abweichende Verhalten einiger Kat-
ionen hin.
1) Vgl. Kahlenberg und True, Zeitschr. f. plıysikal. Chem. 22, 475.
1897; Heald, ebenda S. 476.
2) Höber, l. c. S. 282.
3) Bechhold, Die Kolloide in Biologie und Medizin, 1912, S. 356.
Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der
Biologie. I.
Von
L. Karczag.
(Aus der III. Med. Klinik der kgl. ung. Universität Budapest.)
(Eingegangen am 15. Juni 1921.)
Bei den verschiedensten physikalisch-chemischen und bio-
logischen Prozessen konnte ich konsequent auftretende Erschei-
nungen beobachten, welche auf gemeinsame Ursache, auf die
Änderung der Reihenfolge der aufeinander wirkenden Kom- °
ponenten des Systems zurückgeführt werden konnten. Durch
die einfache Kommutation der beteiligten Glieder konnte die
Dauer und Vollständigkeit der Reaktion, sowie der biologische
Effekt des ablaufenden Prozesses auffallenderweise beeinflußt
werden. Je nach der Systemzusammenstellung besitzen die
untersuchten Prozesse ein Optimum und ein Pessimum, es konnte
mit anderen Worten für diese ein bestimmtes Reihenfolgen-
optimum und Reihenfolgenpessimum festgestellt werden.
Diese Erscheinungen machen sich bei drei und mehrgliedrigen
Systemen geltend, bei denen nach aller Wahrscheinlichkeit, die
eine der Komponenten das Sättigungsbestreben der andern mit
verschiedener chemischer Affinität ausgleicht, oder wo im gleichen
Sinne physikalisch-chemische Eigenschaften, wie elektive Lös-
lichkeit, Adsorption usw. die bestimmende Rolle spielen.
Besteht z. B. ein System aus drei Komponenten A, B, C
und stellt B das Bindeglied zwischen den gegeneinander in-
differenten Glieder A und C dar, wobei A mit geringerer, C mit
größerer chemischer Affinität an B geheftet wird, so ist es nicht
gleichgültig, in welcher Reihenfolge das System zusammengestellt
wird, d.h. ob (A + B)+ C, oder (B+C)+ A miteinander,
der Reihe nach zusammengebracht werden.
44 L. Karczag :
Mischt man nämlich das System in der Reihenfolge B + C
und komplettiert schließlich mit A, so ist bereits das große
Sättigungsbestreben von B und C durch Belag der Haupt- und
der Mehrzahl der Nebenvalenzen ausgeglichen, wodurch A und B
lockerer gebunden wurden, als wenn man in umgekehrter Reihen-
folge verfährt, d.h. zuerst A mit B mischt und schließlich C
zufügt.
lch werde im folgenden experimentelle Belege dafür liefern,
daß in den weitesten Gebieten solche Prozesse ablaufen, welche
durch Änderung der Reihenfolge, gemäß obiger Erklärung, günstig
und ungünstig beeinflußt werden können und somit ein Optimum
und ein Pessimum aufweisen. Auch werde ich aus der Literatur
vereinzelt stehende Beobachtungen anführen, welche ebenfalls
als Reihenfolgenphänomene aufzufassen sind, und welche mich
in meiner Annahme, daß in allen diesen Prozessen eine neue
naturwissenschaftliche Regel zur Geltung kommt, welche ich als
„Reihenfolgenregel‘ bezeichnen möchte, unterstützen. Diese
Regel würde besagen, daß gewisse Naturprozesse eine
bestimmte Reihenfolge der aufeinanderwirkenden
Komponenten besitzen, bei welcher sieam günstigsten
und amungünstigsten ablaufen und somit diese durch
ein Reihenfolgenoptimum und Reihenfolgenpessimum
charakterisiert sind. Die Bedingungen, welche die Regel
bestimmen, sowie die Grenzen ihrer Gültigkeit müssen noch ein-
gehend erforscht werden.
I. l
Ich habe bereits in meinen Mitteilungen über Oxydations-
katalyse die katalytische Oxydation vieler Farbstoffe, durch
Metallsalze und H,O, beschrieben und festgestellt, daß hierbei
die Natur des zugesetzten Katalysators eine hervorragende Rolle
spielt. So wurden eine große Anzahl von Farbstoffen, die Haupt-
repräsentanten der chemisch, biologisch und histologisch wichtigen
Farbstoffklassen durch Ferri-, Cu-. Co-, Mn-, Pt-, Ni-Salze in Gegen-
wart von H,O, unter vollständiger Entfärbung oxydiert. Die
Oxydation erforderte je nach der chemischen Natur des ver-
werteten Farbstoffes und Katalysators bei gleicher Konzentration
verschiedene Zeitdauer. Das System bestand also aus drei
Glieder: Farbstoff — Katalysator — Wasserstoffsuperoxyd.
Vertauscht man beim Zusammenbringen der einzelnen Kompo-
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 45
nenten die Reihenfolge, indem man das System (Farbstoff +
Wasserstoffsuperoxyd); + Katalysator bzw. (Wasserstoffsuper-
oxyd + Katalysator) + Farbstoff zusammenstellt, so ist bezüg-
lich Oxydationsdauer des Vorgangs — welche mehrere Minuten
in Anspruch nimmt — kein nennenswerter Unterschied zu
beobachten.
Ganz anders gestalten sich aber die Verhältnisse, sobald
man als Katalysator ein Ferrosalz verwendet. Bringt man
nämlich die Farbstofflösung zuerst mit Wasserstoffsuperoxyd
zusammen und komplettiert das System zum Schluß mit dem
Ferrokatalysator, so geht die Entfärbung des Farbstoffes, ähnlich
wie bei Verwendung von Ferri und anderer Katalysatoren, meist
langsam und nach Minuten vor sich. Das gleiche geschieht,
falls man zuerst Katalysator und Wasserstoffsuperoxyd unter-
einander mischt und schließlich mit der Farbstofflösung kom-
plettiert. Bringt man aber den Farbstoff vorher mit der Ferro-
salzlösung in Berührung und fügt nachher Wasserstoffsuperoxyd
hinzu, so erfolgt die Entfärbung des Farbstoffes momentan.
Wir haben durch Kommutation einer Systemzusammen-
stellung von Farbstoff (als Substrat), Katalysator, Wasserstoff-
superoxyd zunächst also folgende Eigentümlichkeiten und Er-
scheinungen beobachten können:
l. Die Ferrooxydsalze besitzen gegenüber der Ferrosalze,
sowie Mn-, Co-, Ni-, Pt-Salze als Katalysatoren, die Fähigkeit durch
Reihenfolgenänderung der Systemzusammenstellung eine er-
hebliche Beschleunigung der Oxydationsgeschwindigkeit zu be-
wirken. Reaktionen, welche in einer Systemzusammenstellung
(Farbstoff + H,O,) + Fe(So,) oder (H,O, + FeSo,) + Farb-
stoff oft mehrere Minuten in Anspruch nehmen, laufen in einer
Zusammenstellung von (Farbstoff + Fe SO,) + H,O, fast augen-
blicklich ab. Wir bezeichneten dieses charakteristische Phänomen
als ‚‚Momentreaktion‘“.
2. Die Momentreaktionen sind nicht etwa auf Sensi-
bilierungsvorgänge zurückzuführen, sie sind eher als Wir-
kung des unveränderten Ferroions anzusehen, welche zum Vor-
schein kommt, falls Bedingungen vorhanden sind, welche seine
Oxydation zu Ferroion in den Hintergrund drängen. Falls
dieser Valenzwechsel des zweiwertigen Eisens zum mehrwertigen
in der Reaktion den primären Vorgang darstellt, so dominiert
46 L. Karczag:
die Wirkung des Ferrioxydators, welche durch die Eigenschaft
eine erheblich langsamere Oxydationsgeschwindigkeit zu be-
wirken charakterisiert ist. Das Wesen der Momentreaktion
besteht also in einer günstigen Systemzusammenstellung, bei
welcher die Bedingungen einer dominierenden Oxydation des
Ferriions in den Hintergrund gedrängt werden, wodurch die
Wirkung des zweiwertigen Eisens zum Vorschein kommen kann.
Auf dem Gebiete der Fermentchemie wurden vereinzelt
Beobachtungen gemacht, welche nach unserer Auffassung eben-
falls unter der Reihenfolgenregel zu fallen scheinen. Man fand,
daß die Peroxydase neben Katalase durch Bläuung der Guajac-
tinktur nur nachgewiesen werden kann, falls (Peroxydase + Ka-
talase) zuerst mit Guajactinktur zusammengebracht und erst
dann mit Wasserstoffsuperoxyd versetzt wird, da bei nachträg-
lichem Zusatz von Peroxydase zu einem Gemisch von (Guajac-
tinktur + Wasserstoffsuperoxyd + Katalase) die Peroxydase-
wirkung ausbleibt. Auch diejenigen Fermentvorgänge, welche
sich im allgemeinen auf die Einwirkung von hemmenden und
aktivierenden Körper beziehen, scheinen dem Reihenfolgenregel
unterworfen zu sein. Wohlgemuth äußert sich über den Zeit-
punkt der Zugabe der Aktivatoren und Paralysatoren auf Grund
zahlreicher Erfahrungen wie folgt: „Es ist ratsam, ihn zu dem
Ferment zuzugeben, bevor man das Substrat zufügt, auf welches
das Ferment einwirken soll. Denn verfährt man umgekehrt
und gibt erst das Substrat zum Ferment, so kann bereits ein Teil
des Fermentes vom Substrat mit Beschlag belegt sein, und ist
dann in seiner ganzen Größe nicht mehr für die Beeinflussung
durch die fremde Substanz zugänglich“ (Wohlgemuth, Ferment-
methoden).
Die von Bredig beobachteten „Vergiftungsphänomene“
der Platin-Wasserstoffsuperoxydkatalyse wären auch hierher
einzuordnen. Bredig beobachtete, daß Platin geradeso wie
Fermente durch HCN eine vorübergehende Lähmung bzw.
Vergiftung erfährt, indem die Zersetzung von H,O, vorüber-
gehend gehemmt wird und nur nach einer allmählichen Erholung
wieder langsam in Gang gesetzt wird. Gibt man zuerst H,O,
zu Platin und dann HCN, so ist die Giftwirkung eine viel geringere,
gibt man jedoch zuerst HCN hinzu und erst dann H,O,, so ist
die Giftwirkung eine viel stärkere.
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 47
Andere Beobachtungen über Katalysatoren und Fermente,
welche den Reihenfolgenphänpmenen zuzurechnen wären, sind
mir aus der Literatur nicht bekannt. Ich bin ihnen, wie erwähnt,
gelegentlich meiner Versuche über Oxydationskatalysen begegnet,
und diese veranlaßte mich auf verschiedenen Gebieten nach ähn-
lichen Erscheinungen zu suchen, um so mehr, da ich zwischen
katalytischen, Ferment- und Immunitätsvorgängen noch nicht
erforschte Beziehungen aufzufinden hoffte.
TI.
Ich ging nun zu einer anderen Systemzusammenstellung auf
biologischem Gebiete über und hoffte durch Kommutationen
ebenfalls auf Erscheinungen zu stoßen, welche den oben beschrie-
benen analog zu setzen sind. Die Bakteriengärungen
schienen nur zum Studium dieser Erscheinungen als besonders
geeignet und wählte ich als System die Vergärung des Trauben-
zuckers (Bouillon) durch Colibacillen — einen der wichtigsten
Lebenserscheinungen der Bakterien im allgemeinen — in Gegenwart
von Toluol und Chloroform als Antiseptikum. Auf die technischen
Einzelheiten möchte ich eingehend später zurückkommen.
Das System bestand also aus folgenden Komponenten:
1. Bacterium Coli; 2. Traubenzuckerbouillon; 3. Antisepticum,
welche folgendermaßen kommutiert wurden:
(Coli + Traubenzuckerbouillon) + Antisepticum,
(Traubenzuckerbouillon + Antisepticum) + Coli.
Bevor die hierhergehörigen Versuche mitgeteilt werden, möchte
ich dem Resultat meiner Untersuchungen vorausgreifen und er-
wähnen, daß es uns tatsächlich geglückt ist, durch den ein-
fachen Reihenfolgenwechsel tiefgehende Veränderun-
gen zu beobachten, welche in einer Herabsetzung
der Inkubationsfrist, der Gärungsgeschwindigkeit
und in einer Wachstumshemmung der Bakterien be-
standen. Meine Versuche wurden zuerst mit Toluol als Anti-
septicum vorgenommen, und später mit Chloroform aus dem
Grunde, weil ich dadurch einen Versuchsfeh.er auszuschalten
hoffte Toluol ist spezifisch leichter als Traubenzuckerbouillon
und breitet sich trotz guter Mischung und Überführung in den
geschlossenen Schenkel des Gärungsröhrchens, in einer dünnen
Schicht auf die Oberfläche des offenen Schenkels aus, wo die
48 L. Karczag:
Infektion mit der Bacillenemulsion erfolgt. Chloroform ist
spezifisch schwerer wie Traubenzuckerbouillon und setzt sich
im Gärungsröhrchen zum Boden, wodurch die Bacillen nach
Infektion der vorbehandelten Nährsubstraten nicht mit einer
Antisepticumschicht in Berührung kommen. Es war nun einerlei,
ob Toluol oder Chloroform zu den Versuchen verwendet wurde,
es ergab sich regelmäßig und eindeutig, daß die mit diesen Anti-
septicis vorher versetzten Proben, die Inkubation Gärung und
Wachstumshemmung erkennen lassen, gegenüber den Proben,
denen das Antisepticum nachträglich zugefügt wurde.
Über die Einzelheiten der angestellten Versuche soll folgendes
berichtet werden.
Zur Verwendung kam als Substrat eine 1 proz. Traubenzucker-
bouillon, welche sterilisiert und unter den üblicher aseptischen
Kautelen in die Schröterschen kalibrierten Gärungsröhrchen
gebracht wurde. Die zur Infektion benutzten Colibakterien
kamen in 24stündigen Kulturen. welche auf Agarröhrchen ge-
züchtet wurden, zur Verwendung. Wir bereiteten uns aus
einer Kultur mit 5—6 cm Kochsalzlösung eine gleichmäßige
Suspension, welche nötigenfalls noch durch ein steriles Filter
filtriert wurde. Toluol und Chloroform (chemisch rein) wurden
mit Hilfe einer kalibrierten Glascapillare zugegeben. Sowohl
für die gleichmäßige Verteilung der Bakterien, wie für die des
antiseptischen Mittels, wurde durch fünfmaliges, vorsichtiges
Hin- und Herneigen des Gärungsröhrchens mit Hilfe einer
Luftblase gesorgt. Die Gärungsröhrchen kamen mit den ent-
sprechenden Kontrollen in den Thermostaten, und die Besichtigung
der Proben bzw. die Ablesung der entwickelten Gasmengen
geschah dann in bestimmten Zeitabständen.
Bei diesen Versuchen haben die Herren Dr. Daniel und
Dr. Hetenyi gütigst mitgewirkt, wofür ich ihnen meinen
wärmsten Dank aussprechen möchte.
Versuche mit Toluol.
In mehreren Versuchsreihen habe ich mich nach der gewöhnlichen
Systemzusammenstellung (Traubenzuckerbouillon + Coli) + Toluol über
den Einfluß der Toluolkonzentration auf die Gärung im allgemeinen orien-
tiert, habe sodann Versuche über den Einfluß der Bakterienmenge angestellt
und schließlich die Komponenten des Systems kommutiert und Versuche
in gleicher Richtung wie oben vorgenommen.
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 49
Versuche mit dem System (Traubenzuckerbouillon + Coli) + Toluol.
Einfluß der Toluolkonzentration.
Diese Versuche ergeben eindeutig, daß die Gärungsgeschwindigkeit
mit zunehmender Toluolkonzentration sinkt. Als Beispiel möchte ich
folgende Versuchsreihe anführen:
Versuch II/15. 9è 30°. Zu jeder Probe 0,2 cm Bacillenemulsion.
Toluol in Probe 1 1 Tr. = 0,01 ccm a
» 2 3 „ =0,03 „
”» 3 5 „ =0,05 „
„ 4 10 9 = 0,10 9
1 | 2|s | 4 | Kontrollen
|
4a} 0,510,4]0,1 | — [0,4 | 0,6 10,8
5h [0,9 0,6|0,3|0,1f1,511,5]1,1
qh E 0,6 | 0,112.2 | 2,2 | 2,0
10 | 2,2 | 2,0 | 1,8 | 0,313.6 | 3,4 | 2,9
Die Gärung ist im allgemeinen um so intensiver, je mehr die zugesetzte
Bakterienmenge beträgt, jedoch besteht nicht immer eine direkte Proportio-
nalität, insbesondere bei Infektionen mit kleinen Mengen.
Versuche mit dem System (Traubenzuckerbouillon + Toluol) + Coli.
Folgender Versuch zeigt, gegenüber den Kontrollen, eine verlängerte
Inkubationszeit, geringere Gasentwicklung. Die Unterschiede sind beson-
ders in den ersten Stunden ausgeprägt, später bei fortschreitender Gärung
verwischen sich die Differenzen. System (Bouillon + Toluol) + Coli
wird mit „A“, System (Bouillon + Coli) + Toluol mit „T“, Kontrollen
(ohne Toluolzusatz) mit „K“ bezeichnet.
Versuch II/10. 9b 30°. Coli, eine Öse auf 3 ccm !/,, dazu, 2 Tropfen
auf jede Probe. Toluol 1 Tropfen auf jede Probe.
Folgender Versuch wurde mit einer weit größeren Bakterienmenge
angestellt. Zu jeder Probe kam 1 cm Suspension einer Vollkultur und
Tropfen Toluol.
Versuch I/15. 9b 30.
4a | o6 |06] 0,6 | 0,8 [0,7 |07 07l|07ļ|12]13/16/16
eh {1514|14 —63P867 6612328 31 31
I/16. 81 1338335 |36 341338 :35|30|3,41 37 |35|5,0 | 52
Biochemische Zeitschrift Band 122. 4
50 L. Karczag: a
Dieser Versuch ergibt, daß die Hemmungen auch bei großen Bakterien-
mengen angedeutet sind, aber keinesfalls so scharf ausgeprägt, als bei An-
wendung von geringeren Bakterienmengen.
Mit Zunahme der Toluolkonzentration bei konstant gehaltener Bak-
terienmenge ist die Hemmung ebenfalls stärker, wie dies aus folgendem Ver:
suche hervorgeht.
Versuch I/10. 9% 30. N.1 cm Bacillensuspension zu jeder Probe.
Zu den Serien
A, und T, 2 Tropfen Toluol, zu den Serien
A, und T, 3 Tropfen Toluol zugesetzt.
K
2 |] 8
| o |o | o |oi 0,1 02 | 02 | 02
aaj o 02103063 03 | O1] 12 | 10 | 12
bh | 0,2 | 0,6 | 1,0 | 1,0 06 | 06 f 18 | 1,5 | 19
6h | 0,7 | 0,7 | 1,5 | 17 1,2 | 10 | 22 | 19 | 26
q| 1,0! 14|18 |24 1,7 | 16 | 29 | 2,4°| 30
8h | 1,3 | 1,8 | 2.2 | 2,5 2,2 | 22 | 36 | 29 | 35
gha | 18 | 2,2 | 2.8 | 30 25,29 | #7 | 37 | 43
10è | 2,1 ! 2,5 | 2,8 | 3,3 26 i 34 f 51 | 40 | 50
Versuche mit Chloroform.
Älın)ich wie die Versuche mit Toluol, wurden diejenige mit Chloroform
angestellt. Chloroform hatte ebenfalls eine intensivere antiseptische Wirkung
entfaltet — und zwar relativ stärker, als der Toluol — falls es zum Trauben.
zuckerbouillon vor der Impfung mit Colibacillen zugesetzt wurde.
Folgender Versuch verlief mit 5 Tropfen filtrierter Bacillenemulsion
und 2 Tropfen (0,02 cm) Chloroform zu jeder Probe.
Versuch II/22. -9t 30”.
und zeigte eindeutig, daß die Inkubation, die Gärungsintensität und die
Wachstumgeschwindigkeit der Bakterien (welche durch Stärke der Trübung
und Sedimentierung der Bakterien in den Gärungsröhrchen zu beurteilen
war) eine starke Verspätung und Hemmung zeigt.
Ich glaube, daß die Verstärkung der antiseptischen Wirkung
durch die vorherige Zugabe des Antisepticums mit einer größeren
Bindung der Bakterienmenge zusammenhängt; dies würde die
Proportionalität zwischen Verstärkung der Hemmungsphänomene
durch Erhöhung der Toluolkonzentration und Schwächung
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. I. 51
derselben durch die Erhöhung der Bakterienmenge beweisen.
Auch dürfte hierbei das primäre Lösungsvermögen von Toluol
und Chloroform auf die Bakterienlipoide eine Rolle spielun, welche
bei vorheriger Zugabe viel stärker zur Geltung kommt, als wenn
die Lipoide mit den Nährsubstraten des Bouillons bereits in
Verbindung getreten sind. Es wäre auch daran zu denken, daß
die Antiseptica proportionell ihrer Konzentration die Nutri-
ceptoren der Bakterien viel stärker schädigen oder besetzen,
als wenn diese bereits mit den Nährsubstraten des Nährbouillons
abgesättigt sind.
Durch das Prinzip des Reihenfolgenoptimums haben wir
somit Beziehungen zwischen der Reihenfolge der Zugabe und der
Desinfektionskraft von Antiseptic« auffinden können, welche
auf dem Gebiete der Hygiene und Bakteriolpgie einen frucht-
baren Boden für künftige Forschungen geben dürfte. Die Ent-
wioklungshemmung von Mikroorganismen durch ein Antisepticum
müßte also nicht nur bei nachträglicher Zugabe des Mittels be-
stimmt werden, sondern auch in umgekehrter Reihenfolge, um
dadurch die richtige Desinfektionsbreite des Mittels kennenzu-
lernen.
4*
Versuche über die Bedeutung der Reihenfolge in der
Biologie. II.
Von
L. Karczag und K. Hajós.
(Aus der III. Med. Klinik der Kgl. Ung. Universität Budapest.)
(Eingegangen am 15. Jnni 1921.)
In weiterer experimenteller Prüfung der von Karczag auf-
gestellten Reihenfolgenregel haben wir folgende Systeme einer
Prüfung unterworfen.
1. Versuche tiber die antitryptische Kraft des Blutserums
mit dem System (Trypsin + Casein + Blutserum).
2. Versuche mit dem hämolytischen System (rote Blut-
körperchen + Komplement + Hämolysin).
3. Tierversuche über die bakteriolytische Wirkung des
Immunserums auf Paratyphus B Bacillen im Pfeifferschen
Versuch: (mit Immunserum + Paratyphus B + Meerschweinchen)
als System.
1. Versuche über die antitryptische Kraft des Blutserums.
Das Blutserum wurde in einer Verdünnung !/,., die Caseinlösung in
2%/,0, Irypein in 1°/,. Lösung verwendet. Es kamen von dem Blutserum
Trypsinmenge
Beihen | Systeme
| 0,1 | 0,2 | 0.8 | 0,4 | 0% | 0,8 | 0,7 | o8
| 1. i
2. -|-i-|-|-|+|+
a |
2. -|-j|-!-|-l|+|+
m Ir |
2. rel a
3. a |
"z HERRA
. u et A a a ee
3. wo =
+ bedeutet vollständige Verdauung.
+ bedeutet Übergang zwischen Verdauung und Hemmung.
— bedeutet vollständige Hemmung.
L. Karczag und K. Hajós : Bedeutung d. Reihenfolge in d. Biologie. I. 53
0,5 cm, von der Caseinlösung 2 ccm zu jeder Probe und Trypsin in auf-
steigenden Mengen von 0,1 ccm bis 0,8 com. — Die Proben kamen auf
1/, Stunde in Thermostaten, wonach die Ablesung des Resultates erfolgte.
Die Systeme wurden in vier Reihen gleichzeitig eingestellt. Im folgenden
ist ein Versuch wiedergegeben, aus dem zu ersehen ist, daß die Änderung
der Reihenfolge eine Änderung der antitryptischen Kraft hervorrief und so-
mit die Reihenfolgenregel auch auf dieses System ihre Gültigkeit besitzt.
Die schwächste Hemmung zeigte die vierte Reihe, die stärkste die Reihen I
und II.
2. Versuche mit dem hämolytischen System.
Im folgenden ist ein Versuch mit dem hämolytischen System wieder-
gegeben, aus dem die bereite bekannte Tatsache klar hervorgeht, daß die
nachträgliche Zugabe von Komplement zu einem Gemisch von Hämolysin
und Erythrocyten eine schnellere Hämolyse bewirkt, die vorherige Zugabe
des Komplementes zu den roten Blutkörperchen, und die nachträgliche
Zugabe von Hämolysin eine auffallende zeitliche Verzögerung des Eintretens
der Hämolyse bewirkt.
Die Reihen der mitgeteilten Versuchen wurden gleichzeitig eingestellt.
Reihe I. 1. 0,5 com Hämolysinverdünnung
2. 0,5 com einer 5proz. Blutkörperchen- 1 Stunde
aufschwemmung Thermostat.
3. 1 ccm phys. NaCl-Lösung
nachher 0,5 ccm Komplement (als Komplement wurde ein 1 : 10 verdünntes
Meerschweinchenserum benutzt).
Reihe II. 1. 0,5 ccm Komplement
2. 0,5 ccm Blutkörperchen | 1 Stunde Thermostat.
3. 1 ccm phys. NaCl-Lösung
nachher 0,5 ocm der Hämolysinverdünnung.
Reihe HL 1. 0,5 ccm Komplement
2. 0,5 ccm Hämolysinverdünnung | 1 Stunde Thermostat.
3. 1 com phys. NaCl-Lösung
nachher 0,5 cem Blutkörperchenaufschwemmung.
Das komplettierte System wurde noch eine Zeitlang im Thermostat
belassen und nach verschiedenen Zeiten abgelesen. Solch ein Versuch wird
in der folgenden Zusammenstellung wiedergegeben: `
Versuch 1. Abgelesen nach 25 Minuten:
Verdünnung des Hämolysins
1/3600 1 s1200
re | 1/1000 | 1/2209 | Lasoe | 1/32200
| |
54 L. Karczag und K. Hajós:
Derselbe Versuch nach 45 Minuten abgelesen:
Reihe
Verdünnung des Hämolysins
Y 22086 |
aane | Yon | Hasen | "ramme |"
Mi +
TORE — -
IT TE PERPE S
-+ bedeutet komplette Hämolyse. — bedeutet keine Hämolyse.
| "/mee
Feier:
|
Wir folgerten nun auf Grund der großen Analogie der be-
schriebenen Erscheinungen mit denjenigen der Katalysatoren,
der Fermente und Bakteriengärungen, daß sich auch hier
„Momentreaktionen‘ einstellen müssen, daß sich somit die sog.
Sensibilisierung sofort nach dem Mischen der einzelnen Kompo-
nenten erfolgen muß und daß infolgedessen ein längeres vor-
heriges Stehenlassen der roten Blutkörperchen mit Hämolysin
in Thermostaten nicht erforderlich ist. — Wir hapen also das
System schnell nacheinander zusammengestellt und die Proben
erst dann ohne vorangehende Sensibilisierung der Erythrocyten
in Thermostaten gebracht. — Es zeigte sich in der Tat, daß die
Wirkung des im voraus zugesetzten Hämolysins momentan
erfolgte — wodurch die große Analogie zwischen Hämolyse und
Fermentvorgängen eine noch weitere auffallende Stütze erfuhr. —
Die Erscheinungen am hämolytischen System fallen auch unter
die Reihenfolgenregel, deren Erkenntnis sich auch auf diesem
Gebiete als fruchtbar erweisen muß, da dadurch der Begriff der
Sensibilisierung eine ganz andere Bedeutung wie bisher gewinnt. —
Nach unserer Auffassung ist nämlich die Sensibilisierung in diesem
Falle nichts anderes, wie das Reaktionsoptimum eines Systems,
dessen Glieder in optimaler Reihenfolge zusammengestellt wurden.
Als ein weiteres Beispiel für die Prüfung der Reihenfolgen-
regel auf serologischem Gebiete, möchten wir den Versuch von
Kiss anführen, den wir aus der kürzlich erschienenen Monographie
dieses Forschers entnehmen. (Kiss, Alexin und Antialexin.
Verlag Fischer, 1921. S. 101.)
Kiss beweist in seinem Experiment, daß das Antialexin seine antı
hämolytische Wirkung nur dann entfaltet, falls das hämolytische System
in einer bestimmten Reihenfolge der aufeinanderwirkenden Komponenten
zusammengestellt wird.
Folgende Systemzusammenstellung (Versuch 1) zeigt eine starke
antihämolytische Wirkung:
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 55
100 Antialexineinheiten + 100 Einheiten frischen Serums + (un-
mittelbar hinterher) 1,0 ccm sensibilisierte rote Blutkörperchenemulsion
In folgender Systemzusammenstellung (Versuch 2) bleibt die anti-
hämolytische Wirkung aus und die Hämolyse stellt sich ein:
100 Antialexineinheiten + 1,0 ccm sensibilisierte rote Blutkörperchen
+ (nach ]—2 Minuten) 100 Einheit frischen Serums.
Die erwähnten Versuche auf serologischem Gebiete beweisen
also ebenfalls, daß gewisse Veränderungen eines Systems auf die
Änderung der Reihenfolge der aufeinander wirkenden Glieder
zurückgeführt werden müssen, und daß die ablaufenden Prozesse
ein bestimmtes Reihenfolgenoptimum und Reihenfolgenpessimum
besitzen. Das Reihenfolgenoptimum im hämolytischen System
macht den Begriff der Sensibilisierung und das Reihenfolgen-
pessimum den Begriff der Hemmung überflüssig und erklären
uns einfach die beiden Vorgänge, welche auf eine gemeinsame
Grundursache: auf die Änderung der Reihenfolge zurückgeführt
werden müssen.
Um auch auf komplizierten Gebieten die Gültigkeit der
Reihenfolgenregel zu erforschen, haben wir im folgenden die
Bakteriolyse von Paratyphus B durch das entsprechenden Immun-
serum an Meerschweinchen, mittels des Pfeifferschen Versuches,
geprüft, indem wir Reihenfolgenänderungen der Komponenten
vorgenommen haben. Der Pfeiffersche Versuch besteht im
wesentlichen darin, daß man ein bakteriologisches Immunserum
mit den lebenden Bakterien in die Peritonealhöhle von Meer-
schweinchen bringt und sodann mit Hilfe von Capillarpipetten
zeitweise Peritonealexsudat entnimmt und dann den bakterio-
lytischen Vorgang unter dem Mikroskop verfolgt.
Auch diese Tierversuche konnten mit Erfolg abgeschlossen
werden, da sie uns darüber belehrten, daß auch in Tierversuchen
durch Reihenfolgenänderung eine für das Tier günstige und un-
günstige Systemzusammenstellung erzielt werden kann, wobei
das Reihenfolgenoptimum für das Tier das Überwinden der In-
fektion, das Reihenfolgenpessimum dagegen schwere Erkrankung
und Tod bedeutete. Im folgenden sollen die
3. Versuche über die bakteriolytische Wirkung von Immunserum
auf Paratyphus B-Bazillen-Pfeifferscher Versuch
mitgeteilt werden.
Wir bereiten uns aus einer 24stündlichen Pararatyphus B-Kultur mit
l ccm Nährbouillon eine Emulsion und machen uns vom Immunserum mit
56 L. Karczag und K. Hajós:
Bouillon eine Verdünnung in einem Verhăltnis von 1 : 100. Wir nehmen
dann zu den Tierversuchen vier gleich große Meerschweinchen vom gleichen
Körpergewicht und stellen den Versuch unter Beibehaltung folgender Rei-
henfolge an:
Versuchstier Nr. 1 erhielt auf einmal intraperitoneal (1 Öse Bacillen-
emulsion + 1 ocom Immunserum).
Versuchstier Nr. 2 erhielt intraperitoneal zuerst 1 Öse Bacillenemulsion
und nach 5 Minuten 1 ccm !/,.. Immunserum.
Versuchstier Nr. 3 erhielt intraperitoneal zuerst 1 om 1/100 Immun-
serum und nach 5 Minuten 1 Öse Bacillenemulsion.
Versuchstier Nr. 4 erhielt 1 Öse Bacillenemulsion in 1 com Bouillon.
Der Ausgang des Versuches ist: aus folgender Zusammenstellung er-
sichtlich:
Versuch angestellt am 5. III. vorm. 10 Uhr:
Versuchstier i Beobachtung | Endresultat
— — — — — —— —
Nr.1 Nach 10 Minuten beginnt die Bak- | Am 7. III. lebt.
teriolyse. Nach 20 Minuten 1—2
bewegliche Bacillen, reichliche
Granulabildung ; Peritonealflüssig-
keit nach 1 Stunde steril.
Nr. 2 Nach 20 Minuten gut bewegliche] Am 6. III. tot vorge-
und nur einige gelähmte Bacillen,| funden.
nach 1 Stunde unzählbare Bacillen
mit guter Bewegung.
Nr. 3 Nach 30 Minuten beginnende Bak-| Am 7. III. lebt.
teriolyse. Nach 1 Stunde 40 Minu-
ten einige Granula sichtbar.
Nr. 4 Ständig ungeheure Mengen von gut| Am 5. III. nachmittag
beweglichen Bacillen. 6 Uhr gestorben.
Dieser Versuch wurde wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede,
daß hierbei die zeitliche Differenz zwischen Verabfolgen des Immunserums
und der Bacillenemulsion nicht 5 Minuten, sondern 5 Sekunden betrug.
Unsere Resultate haben wir auch durch diesen Versuch bestätigt ge-
funden, indem sich die Versuchstiere 2 und 3 ganz im selben Sinne, wie
im ersten Versuche, verhielten.
Die Reihenfolgenregel besitzt nach den angeführten Bei-
spielen nicht nur auf dem komplizierten Gebiete der Infektion
und Immunität ihre Gültigkeit. In den Versuchen von J. Loeb
über die künstliche Parthenogenese sind Beobachtungen
gemacht worden, welche den Einfluß der Reihenfolge auf wichtige
biologische Prozesse, wie Entwicklung und Wachstum der Eier,
erkennen lassen. J. Loeb untersuchte die Toleranz befruchteter
und unbefruchteter Eier gegen Sauerstoffmangel. Befruchtete
Eier entwickeln sich im Sauerstoffvakuum, oder durch Hin-
derung der Oxydation durch Cyankalium nicht, sie entwickeln
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 57
sich aber, wenn man sie hinterher in lufthaltiges, normales See-
wasser zurückbringt. Nach 24stündigem Sauerstoffmangel ist
zwar an den Eiern noch eine Furchung zu erzielen, sie entwickeln
sich aber über das Blastulastadium nicht hinaus. Brachte man
aber die Eier desselben Weibchens unbefruchtet 24 Stunden
lang in sauerstofffreies Seewasser und setzte man nach ihrer
Übertragung in normales Seewasser Samen zu, so entwickelten
sich diese Eier zu vollkommen normalen Pluteen. J. Loeb
untersuchte ferner die Einwirkung von zwei verschiedenen Agen-
zien: Fettsäure und hypertonischem Seewasser auf die Befruchtung
der Eier von Strongylocentrotus purpuratus. Behandelt man die
Eier nur mit einem der beiden Agenzien, so entwickelt sich kein
Ei. Behandelt man die Eier zuerst mit einer einbasischen Fett-
säure, oder irgendeiner anderen Säure nur mit einer Carboxyl-
gruppe und setzt dieselben nachher in hypertonisches Seewasser,
so entwickeln sich bei richtiger Expositionsdauer so gut, wie alle
Eier zu Larven. Stellt man den Versuch in umgekehrter Ordnung
an und behandelt zuerst mit hypertonischem Seewasser und erst
dann mit der Fettsäure, so muß man bei dieser Reihenfolge die
Eier viel länger, nämlich 1!/, bis 2 Stunden mit dem hypertoni-
schen Meerwasser in Berührung lassen, um ihre Entwicklung zu
ermöglichen.
Weitere Versuche von J. Loeb mit Alkalien ergaben einen
völligen Parallelismus mit den Versuchen mit Fettsäuren, da das
Alkali, wie in den obigen Versuchen die Fettsäure, wirkte. Auch
hier zeigte sich die Reihenfolge der Eingriffe von maßgebendem
Einfluß auf die Entwicklung und das Wachstum der Eier, als
ein klassischer Beweis für die Gültigkeit der Reihenfolgenregel.
Die Versuche werden in verschiedenster Richtung fort-
gesetzt. Da jedoch zum Ausbau der gestellten Probleme die
Arbeit eines einzelnen nicht ausreicht, so würde ihm die Mit-
betätigung von andrer Seite, sowie die Mitteilung bereits gemachter
Erfahrungen, welche die Reihenfolgenregel betreffen, eine Freude
gewähren.
56 L. Karczag und K. Hajós:
Bouillon eine Verdünnung in einem Verhăltnis von 1 : 100. Wir nehmen
dann zu den Tierversuchen vier gleich große Meerschweinchen vom gleichen
Körpergewicht und stellen den Versuch unter Beibehaltung folgender Rei-
henfolge an:
Versuchstier Nr. 1 erhielt auf einmal intraperitoneal (1 Öse Bacillen-
emulsion + 1 ccm Immunserum).
Versuchstier Nr. 2 erhielt intraperitoneal zuerst 1 Öse Bacillenemulsion
und nach 5 Minuten 1 ccm !/,.o Immunserum.
Versuchstier Nr. 3 erhielt intraperitoneal zuerst 1 om !/,.. Immun-
serum und nach 5 Minuten l Öse Bacillenemulsion.
Versuchstier Nr. 4 erhielt 1 Öse Bacillenemulsion in 1 com Bouillon.
Der Ausgang des Versuches ist. aus folgender Zusammenstellung er-
sichtlich:
Versuch angestellt am 5. III. vorm. 10 Uhr:
Versuchstier ] Beobachtung
i Endresultat =
Nr.1 | Nach 10 Minuten beginnt die Bak- | Am 7. JTI. lebt.
teriolyse. Nach 20 Minuten 1—2
bewegliche Bacillen, reichliche
Granulabildung; Poritoncalflüssig-
keit nach 1 Stunde steril.
Nr. 2 Nach 20 Minuten gut bewegliche] Am 6. II. tot vorge-
und nur einige gelähmte Bacillen,| funden.
pach 1 Stunde unzählbare Bacillen
mit guter Bewegung.
Nr. 3 Nach 30 Minuten beginnende Bak-| Am 7. III. lebt.
teriolyse. Nach 1 Stunde 40 Minu-
ten einige Granula sichtbar.
Nr. 4 Ständig ungeheure Mengen von gut Am 5. III. nachmittag
| beweglichen Bacillen. 6 Uhr gestorben.
Dieser. Versuch wurde wiederholt, jedoch mit dem Unterschiede,
daß hierbei die zeitliche Differenz zwischen Verabfolgen des Immunserums
und der Bacillenemulsion nicht 5 Minuten, sondern 5 Sekunden betrug.
Unsere Resultate haben wir auch durch diesen Versuch bestätigt ge-
funden, indem sich die Versuchstiere 2 und 3 ganz im selben Sinne, wie
im ersten Versuche, verhielten.
Die Reihenfolgenregel besitzt nach den angeführten Bei-
spielen nicht nur auf dem komplizierten Gebiete der Infektion
und Immunität ihre Gültigkeit. In den Versuchen von J. Loeb
über die künstliche Parthenogenese sind Beobachtungen
gemacht worden, welche den Einfluß der Reihenfolge auf wichtige
biologische Prozesse, wie Entwicklung und Wachstum der Eier,
erkennen lassen. J. Loeb untersuchte die Toleranz befruchteter
und unbefruchteter Eier gegen Sauerstoffmangel. Befruchtete
Eier entwickeln sich im Sauerstoffvakuun, oder durch Hin-
derung der Oxydation durch Cyankalium nicht, sie entwickeln
Bedeutung der Reihenfolge in der Biologie. II. 57
sich aber, wenn man sie hinterher in lufthaltiges, normales See-
wasser zurückbringt. Nach 24stündigem Sauerstoffmangel ist
zwar an den Eiern noch eine Furchung zu erzielen, sie entwickeln
sich aber über das Blastulastadium nicht hinaus. Brachte man
aber die Eier desselben Weibchens unbefruchtet 24 Stunden
lang in sauerstofffreies Seewasser und setzte man nach ihrer
Übertragung in normales Seewasser Samen zu, so entwickelten
sich diese Eier zu vollkommen normalen Pluteen. J. Loeb
untersuchte ferner die Einwirkung von zwei verschiedenen Agen-
zien: Fettsäure und hypertonischem Seewasser auf die Befruchtung
der Eier von Strongylocentrotus purpuratus. Behandelt man die
Eier nur mit einem der beiden Agenzien, so entwickelt sich kein
Ei. Behandelt man die Eier zuerst mit einer einbasischen Fett-
säure, oder irgendeiner anderen Säure nur mit einer Carboxyl-
gruppe und setzt dieselben nachher in hypertonisches Seewasser,
so entwickeln sich bei richtiger Expositionsdauer so gut, wie alle
Eier zu Lerven. Stellt man den Versuch in umgekehrter Ordnung
an und behandelt zuerst mit hypertonischem Seewasser und erst
dann mit der Fettsäure, so muß man bei dieser Reihenfolge die
Eier viel länger, nämlich 1!/, bis 2 Stunden mit dem hypertoni-
schen Meerwasser in Berührung lassen, um ihre Entwicklung zu
ermöglichen.
Weitere Versuche von J. Loeb mit Alkalien ergaben einen
völligen Parallelismus mit den Versuchen mit Fettsäuren, da das
Alkali, wie in den obigen Versuchen die Fettsäure, wirkte. Auch
hier zeigte sich die Reihenfolge der Eingriffe von maßgebendem
Einfluß auf die Entwicklung und das Wachstum der Eier, als
ein klassischer Beweis für die Gültigkeit der Reihenfolgenregel.
Die Versuche werden in verschiedenster Richtung fort-
gesetzt. Da jedoch zum Ausbau der gestellten Probleme die
Arbeit eines einzelnen nicht ausreicht, so würde ihm die Mit-
betätigung von andrer Seite, sowie die Mitteilung bereits gemachter
Erfahrungen, welche die Reihenfolgenregel betreffen, eine Freude
gewähren.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI.
Über den Tryptophangehalt einiger Nahrungsmittel und den Trypto-
phanbedarf des erwachsenen Menschen.
Von
Otto Fürth und Fritz Lieben.
(Ausgeführt mit Unterstützung der Bernhard Wetzler-
Stiftung für Volksernährung.)
(Aus der chemischen Abteilung des Wiener Physiologischen Univ.-Inst.)
(Eingegangen am 15. Juns: 1921.)
Zu den wichtigsten Problemen, welche durch Ausarbeitung
einer brauchbaren Methode der colorimetrischen Tryptophan-
bestimmung!) einer Beantwortung zugänglich geworden sind,
gehört zweifellos der Tryptophanbedarf sowohl des wachsenden
als auch derjenige des ausgewachsenen Menschen und die Frage,
in welchem Umfange und in welcher Art dieser Bedarf durch
verschiedene Ernährungsformen gedeckt wird.
Jener Fragenkomplex, welcher die Rolledes Tryptophans
im kindlichen Organismus betrifft, ist von Toshio Ide
unter der Leitung Edmund Nobels an der Klinik für Kinder-
krankheiten der Wiener Universität (Prof. Pirquet) einer ein-
gehenden Bearbeitung unterzogen und sind die Resultate dieser
Untersuchungen kürzlich veröffentlicht worden?).
Unsere Untersuchungen beschränken sich daher auf die
Frage des Tryptophanbedarfes des erwachsenen Men-
schen und der Deckungdieses Bedarfes bei verschiedenen
Ernährungstypen.
Als Vorarbeit für die Beantwortung der Frage, wieviel
Tryptophan der Erwachsene bei normaler, reichlicher und knapper
1) Vgl. O. Fürth und E. Nobel, diese Zeitschr. 109, 103. 1920. —
O. Fürth und F. Lieben, ebenda 109, 125, 153. 1920.
2) Zeitschr. f. experim. Med. 15, 1921.
O. Fürth u. F.Lieben: Colorimetr. Untersuchungen über Tryptophan. VI. 59
Ernährung tatsächlich aufnimmt und mit welchem Tryptophan-
minimum er noch eben, ohne Schaden zu leiden, sein Auskommen
zu bestreiten vermag, war eine möglichst exakte Feststellung
des Tryptophangehaltes einer größeren Anzahl der
wichtigsten Nährstoffe unerläßlich. Der Ermittlung des-
selben bildet den Gegenstand des ersten Teiles dieser Unter-
suchung; die so ermittelten Daten finden im zweiten Teile
ihre Nutzanwendung und wird eine Beantwortung der uns in
erster Linie interessierenden physiologischen Fragen unter Ver-
wertung einer sorgfältigen Auswahl aus dem in der Literatur
des Stoffwechsels vorliegenden umfangreichen Materiale versucht.
A. Tryptophangehalt einiger Nahrungsmittel.
Mit Rücksicht auf die geradezu unbegrenzte Mannigfaltig-
keit von Nahrungsmitteln mußten wir uns selbstverständlich
auf eine sorgfältige Auswahl einiger für unsere speziellen Zwecke
unentbehrlicher Nahrungsmitteltypen beschränken. So haben
wir uns denn mit Stichproben folgender Arten von tryptophan
haltigen Nahrungsmitteln befaßt:
a) Mehle: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais;
b) Leguminosen: Bohnen, Linsen, Erbsen, Sojabohnen ;
c) Kartoffeln;
d) Reis;
e) Nüsse: Walnüsse, Haselnüsse;
f) Gemüse: Sauerkraut, Kohlrüben, weiße Rüben, Spinat;
g) Kuhmiilch;
h) Fleisch: Rind-, Kalb-, Schweine-, Hammelfleisch, Schin-
ken, Wurst, Corned beef;
i) Fische: Schellfisch, Hering gesalzen und getrocknet;
k) Hühnereier;
1) Käse: Verschiedene Sorten.
a) Mehle.
1. Weizenmehl. Bei der Tryptophanbestimmung in Mehl-
proben waren nicht unerhebliche Schwierigkeiten zu überwinden.
Eine einfache direkte Bestimmung nach Lösung in konzentrierter
Alkalilauge, etwa in der Art, wie sie bei reinen Proteinen und
auch bei tierischen Organen zur Anwendung gelangen konnte,
erwies sich hier als gänzlich untunlich, da der bei Alkalieinwirkung
60 O. Fürth und F. Lieben:
aus der Stärke entstehende zähe Kleister einer colorimetrischen
Bestimmung unüberwindliche Hindernisse bereitet. Man muß
unbedingt die Proteine als solche extrahieren und für sich
untersuchen. Dabei genügt es nun wiederum keineswegs etwa,
das Mehl mit einer verdünnten Salzlösung zu extrahieren und
das so erhaltene Eiweiß zu untersuchen; denn dabei bleibt das
in den Cerealiensamen in reichlichen Mengen vorhandene eigen-
artige alkohollösliche Eiweiß (,,Prolamin“) ungelöst zurück
und dieses kann nur durch Alkoholextraktion gewonnen werden.
Nach mannigfachen Versuchen erwies sich uns nachstehender
Vorgang als zweckentsprechend:
100 g Weizenmehl (niederösterreichischer Herkunft) wurden mit dem
mehrfachen Volumen einer 10 proz. Kochsalzlösung mehrere Stunden lang
geschüttelt, sodann filtriert und das Filtrat mit Essigsäure gefällt. Der
Niederschlag wurde abfiltriert, gewaschen, sodann durch kurzdauerndes
Erwärmen mit starker Natronlauge gelöst. Die so erhaltene klare Lösung
enthielt (nach Voisenet-Bestimmung) 0,049%, Tryptophan. Nach Kjel-
dahl fand sich in 5 ccm one) e N in 100 ccm sonach 0,252 g N, was
0,252 - 6,25 = 1,58%, Roheiweiß entspricht. Das in verdünnter Salz-
lösung lösliche Weizenmehleiweiß (Globulinfraktion!) enthält
sonach (x : 0,049 — 100 : 1,58) 3,1% Tryptophan.
Weiterhin wurden 100 g desselben Mehles mit 400 ccm Alkohol
70% einige Stunden lang unter Rückflußkühlung ausgekocht, abfiltriert,
neuerlich mit einer neuen Alkoholportion ausgekocht und noch ein drittesmal
der gleichen Behandlung unterworfen. Die vereinigten alkoholischen Ex-
trakte wurden durch Zusatz eines mehrfachen Volumens Wasser gefällt. Der
nach längerem Stehen geballte Niederschlag wurde abfiltriert, durch kurz-
dauerndes Erwärmen mit starker Lauge in Lösung gebracht. Die Lösung
enthielt (nach Voisenet) 0,076% Tryptophan. Kjeldahl in 5 ccm ergab
00308) 0,0303 g N, daher in 100 ccm 0,606 g N, entsprechend 3,79%, Eiweil
mit einem Tryptophangehalte von 2,0%. Dasalkohollösliche Prolamin
des Weizensa mens, dasGliadin, enthält sonach 2% Tryptophan.
Nun enthält Weizenmehl nach den Königschen Tabelen?) im Mittel
10,68% Rohprotein (N-Substanz). Vom Rohprotein des Weizenmebles
utfallen auf Reinprotein nach J.Cosack?®) 74,9, 79,0, nach S. Wein-
wurm?) 71,4, 72,6 73,7, im Mittel 74,3%. Von den 10,88%, Rohprotein
würden sonach 7,93%, auf Reinprotein entfallen.
Diese 7,93%, mußten nun, um eine richtige Berechnung zu ermöglichen,
auf die Globulin- und Gliadinfraktion aufgeteilt werden. Zu diesem Zwecke
wurde in einer weiteren Mehlprobe derGliadingehalt quantitativ bestimmt.
1) König, Chemie der Nahrungsmittel. 5. Aufl.
2) König, 1, 627.
3) König, 1, 657.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 61
10 g Weizenmehl wurden durch dreimaliges Auskochen mit 70 proz.
Alkohol soweit erschöpft, daß der Alkohol keine durch Wasser fällbare Sub-
stanz mehr aufnahm. Die vereinigten Filtrate wurden mit viel Wasser unter
starkem Ansäuern mit Salzsäure gefällt. Der nach Stehen in der Kälte abge-
setzte Niederschlag wurde auf einem Filter gesammelt, mit wenig Wasser
ausgewaschen und samt dem Filter kjeldahlisiert. Es fand sich 0,0669 g N,
was 0,669 - 6,25 = 4,18%, Gliadin entspricht. (Es steht dies in sehr
guter Übereinstimmung mit einer Angabe von Clifford Richardson ?),
derzufolge Weizen im Mittel 4,20 in 80 proz. Alkohol lösliches Eiweiß ent-
halten soll.)
Die Eiweißverteilung in unserer Weizenprobe wäre demnach
Gliadin . . . . 2 2 2 2 0. 4,18% Reinprotein
Globulinfraktion . . . . . . 3,75%, Reinprotein
| 7,93% Reinprotein.
Der Tryptophangehalt berechnet sich dementsprechend:
4,18%, Gliadin mit 2%, Tryptophan = 0,084% Trypt.
3,75% Globulin mit 3,1%, Tryptophan == 0,116% Trypt.
0,200% Trypt.
Unser Weizenmehlenthielt sonach 0,20% Tryptophan.
2. Roggenmehl. Verarbeitung wie beim Weizenmehl.
Nach Königs Tabellen enthält deutscher Roggen im Mittel 11,19%
Rohprotein. Nach M. Fischer?) entfallen im deutschen Roggen auf
100 Teile Rohprotein im Mittel 86,4 Teile Reinprotein, somit entnält
der Roggen 9,67%, Reinprotein.
Die Prolaminbestimmung durch Alkoholextraktion ergab 1,62%. Somit
verteilt sich dieses Reinprotein:
Prolaminfrektion. . . . . 2... 1,62%,
Globulinfraktion . . : . . 2 2.2. 8,05%
9,67%
Die Tryptophanbestimmung für das Roggenprolamin ergab nur
0,7% (vermutlich ist das eigentliche Prolamin, geradeso wie das Zein,
tryptophanfrei und ist der geringe Tryptophangehalt auf die Beimengung
anderer Proteine zurückzuführen). l
In der durch Kochsalzlösung extrahierten Globulinfraktion fand
sich 2,7%, Tryptophan.
Die Rechnung stellt sich also folgendermaßen:
100 g Roggenmehl enthalten:
In der Prolaminfraktion 1,62 g Eiweiß m. 0,7% i. e. 0,01 g Trypt.
In der Globulinfraktion 8,05 g Eiweiß m. 2,7% i. e. 0,22 g Trypt.
9,67 g Summe 0,23 g Trypt.
Unsere Roggenmehlprobe hat.sonach 0,23% Trypto-
phan enthalten.
2) König, 1, 422.
2) König, 1, 470.
62 O. Fürth und F. Lieben:
3. Gerstenmehl. Verarbeitung wie oben!
Geschälte Gerste enthält (nach den Tabellen von Schall und Heis-
ler 2. Aufl., S. 18, 1910) im Mittel 7,6% Roh protein. Vom Rohprotein-N
sind nach F. Farsky?!) 88,5%, Reinprotein’N. Den 7,6% Rohprotein
entsprechen onach 6,7%, Reinprotein.
Das Gerstenmehl enthält reichliche Mengen alkphollöslichen Prola-
mins (Hordein). In unserer. Probe fanden sich davon 4,44%. Die Trypto-
phanbestimmung im Hordein ergab 1,8%. Die durch Kochsalz extrabier-
bare Globulinfraktion erwies sich wesentlich tryptophanreicher (3,4%).
Die Rechnung stellt sich also folgendermaßen:
Dieses Gerstenmehl enthält:
Prolaminfrektion (Hordein) . , . . 44%
Globulinfraktion . . . . 2... 2,3%
6,7%
4,4% Hordein mit 1,8% Tryptophan = 0,07 g Tryptophan
2,3%, Globulin mit 3,4%, Tryptophan = 0,078 g Tryptophan
Summe 0,158 g Tryptophan
Das Gerstenmehl enthielt sonach 0,16% Tryptophan.
4. Hafermehl. Hafermehl enthält nach A.Stutzer?)
19,5% Reinprotein.
Die Prolaminbestimmung ergab 1,7% eines Prolamins, das Tryptophan
nur in Spuren enthielt, wohingegen sich im salzlöslichen Hafermehleiweiß
2,9% Tryptophan fanden.
Das Hafermehl enthielt sonach:
9,12
9,87
Prolaminfraktion. . . . .». .... 1,7%
Globulimfraktion . . . . . .. 7,8%
9,5%.
100 g Hafermehl enthalten also:
in der Globulinfraktion 7,8 g Eiweiß mit 0,23 g Tryptophan
in der Prolaminfraktion 1,7 g Eiweiß mit — g Tryptophan
Summe 0,23 g Tryptophan.
Das Hafermehl enthielt sonach 0,23% Tryptophan.
5. Maismehl. Die Eiweißverteilung im Maismehl stellt sich:
Mittel aus 20 Analysen von P. Collier?) (Dept. Agric. Washington)
Alkohollösliches Eiweiß. . . . . . 8,57%
In Alkohol unlösliches Eiweiß. . . 5,12%,
10,69%.
- Das im Maismehl enthaltene Prolamin, das Zein ist bekanntlich
anderen Eiweißkörpern gegenüber durch das Fehlen des Tryptophankom-
1) König, 1, 518.
2) König, I, 642.
3) König, I, 551, 653, 556.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 63
plexes ausgezeichnet. In der durch 10 proz. Kochsalzlösung extrahierbaren
Eiweißfraktion fand sich dagegen reichlich Tryptophan.
Eine Probe ergab... ... 2.2: 2 222202. 3,3%, Tryptophan
Eine andere Probe (Maisgries) . . . . .... .- 3,7% Tryptophan
Mittel 3,5%, Tryptophan.
Die Rechnung für den Tryptophangehalt des Mehles stellt sich also
folgendermaßen:
In 100 g Maismebl 5,27 g Zein mit . . . 2.2... 0 g Trypt.
6,12 g alkoholunlösliches Eiweiß mit 0,179 g Trypt.
0,179 g Trypt.
Das Maismehl wäre demnach mit 0,18% Tryptophan zu be-
werten.
Berechnet man nun, auf Grund der angegebenen Daten den
mittleren Tryptophangehult der gesamten Reinproteine
für die einzelnen Mehlsorten, so ergibt sich für
Weizenmehl... . 2.2 202.2 .0.. 2,52%,
Roggenmehl. . . . . 2.2.2.2... 2,37%
Gerstenmehl. . . . . 2. 2 2.2.0. 2,34%
Hafermehl. ... 2... 222020 2,42%,
Maismehl . .. . 2.2.2 2 220% 1,67%
Das Roggen-, Gersten- und Hafermehl erweist sich also hin-
sichtlich des mittleren Tryptophangehaltes seiner Gesamtproteine
alə dem Weizenmehl durchaus gleichwertig, während der Trypto-
phangehalt des Maismehles nur etwa */, der vorgenannten Stoffe
entspricht. Jedenfalls ist es aber eine durchaus irrige, in der
Vitamin- und Pellagraliteratur aber immer wieder auftauchende
Meinung, das Maismehl sei eine tryptophanfreie oder doch zum
mindesten ganz besonders tryptophanarme Nahrung.
b) Leguminosen.
1. Bohnen. &) 5g gepulverter Bohnen wurden durch Erwärmen mit
25 oom 30proz. Natronlauge in Lösung gebracht. Die direkte Voisenet-
Bestimmung in der durch Glaswolle filtrierten Lösung ergab 0,088% Trypto-
phan. Die 35 com der Lösung (5 g Bohnen entsprechend) enthielten sonach
0,022 g Tryptophan, ergo 100 g Bohnen 0,44 g Tryptophan.
Der Rohproteingehalt von Bohnen ist mit 25% zu bewerten. Das
93,80
Rohprotein der Bohnen enthält nach W. A. Gwallig') Eu 94,7%
95,48
Reinprotein. Die Bohnen enthalten sonach 23,7%, Reinprotein mit
einem Tryptophangehalte von 1,86%.
1) König, 1, 583.
64 - O. Fürth und F. Lieben:
$) Ein weiterer analoger direkter Versuch ergab für 100 g Bohnen
0,41%, Tryptophan.
y) 100 g feingepulverter Bohnen wurden mehrere Stunden lang mit
0,2 proz. Natronlauge geschüttelt; die opalescente Flüssigkeit filtriert, mit
Essigsäure gefällt und der abgetrennte Niederschlag mit verdünnter Na-
tronlauge in der Kälte in Lösung gebracht. Die Lösung enthielt (nach
colorimetrischer Bestimmung) 0,044%, Tryptophan, nach Kjeldahl in
5 com 0'139} Mittel 0,0135 g N, i. e. 0,27% N, was 0,27 - 6,25 = 1,69%
Rohprotein entspricht. Das Bohneneiweiß würde dementsprechend
2,60%, Tryptophan enthalten und, wenn Bohnen (s. 0.) 35,7% Reinprotein
enthalten, wäre ihr Tryptophangehalt mit 0,61% zu bewerten.
ô) Ein weiterer Versuch analoger Art ergab, daß im Bohnen-
eiweiß 2,16%, in den Bohnen als solchen 0,51% Tryptophan
enthalten war.
Es hat sich sonach ergeben:
1,86
für das Boh noneiweiß2,0012,21% Tryptophan und fürdieBohnen
0,44 2,16
als solche Yon Tryptophan.
0,51
In analoger Weise durchgeführte Versuche — ergeben für:
2. * nsen: Tryptophangehalt der Proteine s 230) 2,36%
m „ Samen als solcher 0 56,058 %
3. Erbsen: j „ Proteine 1,79%
r „ Samen als solcher 0,34%
4. Sojabohnen: ,, „ Proteine 2,20%
„ „ Samen als solcher 0,55%.
c) Kartoffeln.
a) !/, kg Kipfelkartoffeln wurden fein zerhackt und mit der Fleisch-
saftpresse ausgepreßt. Der Preßsaft wurde unter Zusatz von einigen Tropfen
Essigsäure durch Aufkochen auskoaguliert, das abfiltrierte Koagulum mit
Alkohol ausgekocht, wieder auf das Filter gebracht, mit heißem Wasser
ausgewaschen, sodann durch kurzdauerndes Erwärmen mit 30 proz. Na-
tronlauge in Lösung gebracht. Die Lösung enthielt (colorimetrisch) 0,028%
Tryptophan und (Kjeldahl) 0,134% N, sonach 0,134 - 6,25 = 0,838%
Protein mit 3,3%, Tryptophan.
Da nun Kartoffel (nach den Tabellen von Schall und Heisler) im
Mittel 1,5% Eiweiß enthalten, wäre der Tryptophangehalt der-
selben mit 0,050% zu bewerten.
$) Kipfelkartoffeln wurden haschiert und im Faustschen Abdampf-
apparat bei einer 40° nicht übersteigenden Temperatur im Luftstrome ge-
trocknet. Für 100 g trockener Kartoffeln (entsprechend 417 g feuchter Kar-
toffeln) ergab sich ein Gesamt-N-Gehalt von 1,50 g N, entsprechend 9,38%
Rohprotein.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 65
Der Nichtprotein- N wurde nach Barnstein!) durch Fällung
mit Alkohol und Kupfersulfat und Kjeldahlisieren des Filtrates mit 0,46%,
ermittelt. Es ergibt sich sonach 1,50 — 0,46 = 1,04%, Reinprotein-N mit
6,50%, Reinprotein. Dieses (s. 0.) mit 3,3%, Tryptophan in Rechnung ge-
bracht, ergibt für die getrockneten Kartoffeln einen Gehalt von 0,2059,
für die frischen Kartoffeln einen Tryptophangehalt von 0,051%.
Es fand sich sonach:
im Kartoffeleiweiß 3,3% ,in denfrischen Kartoffeln 0, oe 0,050%
Tryptophan.
d) Reis.
1/, kg Reis wurde fein gepulvert mit 1 Liter NaOH 0,2%
4 Stunden geschüttelt, dekantiert, die trübe Flüssigkeit mit
Essigsäure gefällt, der reichliche Niederschlag filtriert, mit essig-
säurehaltigem Wasser gewaschen, bei niederer Temperatur im
Luftstrome getrocknet, fein gepulvert. Von diesem Präparate?)
(„Oryzenin‘) wurden 5 g abgewogen und in 50 ccm NaOH
30%, unter Erwärmen gelöst.
Die Lösung enthielt (colorim.) 0,061% Trypt. und 035) 0,352g N.
mithin 0,352 . 6,25 = 2,20%, Eiweiß. Sonach enthält das Reiseiweiß
2,77% Tryptophan.
1,40
Nach O. Kellner?) enthält Reis 1'507 146% N, demnach enthält
1,51
Reis etwa 1 46. 6,25 = 9,13%, Protein und 0,25%, Tryptophan.
e) Nüsse.
Tryptophanbestimmung nach Extraktion durch Schütteln mit NaCl
10°%%, Fällung mit Essigsäure, Lösung des Niederschlages in Lauge.
Es ergaben sich
1. für Walnüsse: Tryptophangehbalt der ‚Proteine 1,7%, der Samen als
solcher 0,22%,
2 für Haselnüsse: Tryptophangehalt der Proteine 2,5%, der Samen als
solcher 0,40%.
1) Gemüse.
l. Sauerkraut. Frischer Krautkopf wurde zerkleinert, mit Presse
ausgepreßt, Preßsaft durch Zusatz von Essigsäure gefällt, Niederschlag
abfiltriert und in Lauge gelöst.
1) König, 3, 2. Teil, S. 818. 1914.
2) Vgl. O. Rosenheim und S. Kajiura, Journ. of Physiol. 36;
Proc. Physiol. Soc. 1908, Nr. 6. — U. Suzuki, K. Yoshimura u. S. Fuji,
Journ. Coll Agricult. Tokjo 1, 77; Chem Zentralbl. 1909, 2, 633.
3) König, 1, 557.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 5
66 O. Fürth und F. Lieben:
Es ergab sich:
Tryptophangehalt der Proteine = 4,2%, des Sauerkrautes
= 0,038% .
2. Kohlrüben. Zwei große Kohlrüben fein gehackt, im Luftstrom
bei niederer Temperatur getrocknet, gepulvert, mit NaCl 10% anhaltend
geschüttelt, filtriert, klares Filtrat durch Aufkochen und Zusatz von Essig-
säure auskoaguliert, Koagulum abfiltriert, in NaC] 30%, in der Wärme ge-
löst. Es ergab sich so (Voisenet, Kjeldahl), daß Kohlrübeneiweiß
3,3%, Tryptophan enthält.
Nun enthalten Kohlrüben!) im Mittel 1,39% N-Substanz in der
feuchten Substanz. Nach E. Massute?) ist in trockenen Kohlrüben die
Relation a enparen
2,85% Rohprotein-N
1,39%, Rohprotein 1,03%, Reinprotein in der feuchten Substanz.
Frische Kohlrübenenthalten demnach etwa 0,033% Trypto-
phan.
3. Weiße Rüben. Ähnlicher Vorgang wie beim Sauerkraut.
Tryptophangehalt der Proteine wurde mit 2,0%, derjenige
der Rüben mit 0,014% bewertet.
4. Spinat. ?/, kg frischen Spinates wurde zerkleinert, ausgepreßt,
der tiefgrüne Preßsaft mit Essigsäure in der Kälte gefällt, der Niederschlag
abfiltriert, mit essigsäurehaltigem Wasser gewaschen; das Filtrat enthält
kein koagulables Eiweiß mehr. Der grüngefärbte Niederschlag wurde
nunmehr unter Rückflußkühlung 1 Stunde lang mit !/,1 Alkohol ausgekocht
und filtriert: tiefgrünes Filtrat; fast farbloser Niederschlag, mit Alkohol
ausgewaschen; sodann in starker Natronlauge durch kurzdauerndes Erwär-
men gelöst. Der Alkohol vertrieben, spärliche ungelöste Flocken wurden
abfiltriert. In üblicher Weise ergab sich, daß Spinateiweiß 4,3%, Tryp-
tophan enthielt.
Nach C. Böhmer und A. Stift?) enthält Spinat 4,16%
N-Substanz, aber nur 3,18%, Protein (Schall und Heisler:
2,7%, Eiweiß). Dementsprechend wäre der Tryptophangehalt
des Spinates mit 0,138% zu bewerten.
g) Kuhmlich.
Aus den Analysen von O. Fürth und E. Nobelt) wurde
unter Ausscheidung der höchsten gefundenen Zahlen) als Durch-
schnittswert angesetzt:
fürd. mittlerenTryptophangehaltd.Milchproteine 2,5%,
fürd.mittlerenTryptophangehalt der Kuhmilch 0,065%.
1) König, 1, 770.
2) König, 1, 779.
3) König, 1, 790.
4) Diese Zeitschr. 109, 117. 1920.
5) Vgl. diesbezügl. l. c. S. 118.
gefunden worden. Demnach entsprechend
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan, VI. 67
h) Fleisch und I) Fische,
Bei derartigen Nahrungsmitteln konnte die einfache direkte
Bestimmung, wie sie von uns seinerzeit für Proteine und tierische
Organe angegeben worden ist, i.e. Lösen in starker Alkalilauge
und colorimetrischo Auswertung der Lösung, stets unschwer zur
Durchführung gelangen. . se
Unsere Resultate finden sich in der Tabelle am Schlusse
dieses Kapitels zusammengestellt.
k) Hühnereler.
Die direkte Bestimmung ergab:
Mittl. Tryptophan- Tryptophangehalt d.
gehalt d. Proteine - Nahrungsmittele.
| L8 1o a0 0,22 | ogu
Eierklar. . 23 120% 0.23 | 023%
20 oo 030 ano
Eidotter . 5", 12,1% — 10,32 A
Ein Hühnerei, das etwa zu
12% aus Schale
65°, aus Eierklar
33% aus Eidotter
100%
besteht?) und im Mittel 51 g wiegt, enthält 0,23% (das einzelne Ei im Mittel
nn I) Käse.
Die direkte Bestimmung durch Lösen in Alkali erwies sich für Käse
wegen seines hohen Fettgehaltes im allgemeinen als untunlich.
Für verschiedene Käsesorten wurde dagegen unter Verwertung der
im Königschen Handbuche enthaltenen Angaben über ihren Gehalt an
Reinprotein-N und Nichteiweiß-N und unter der Annahme, daß das Käse-
eiweiß weitaus seiner Hauptmenge aus Casein bestehe, die Pe Dane
durchgeführt.
Z.B. im Emmenthaler Käse haben E. Sehul and Barbieri? )
gefunden: Eiweißstoffe 18,6
21,7
21,8 ? 22,2%, Eiweißzersetzungsprodukte 6,2°9,.
24,9 | |
23,8
Einem Reinproteingehalte von 22,29% (als Casein BeReenneN) entspricht
ein Tryptophangehalt von 0,44.
1) Vgl. die Tabelle von Schall und — IL. auti; S. 16. kos
2) König, 1, 318. ;
5*
68 O. Fürth und F. Lieben:
Es ergab sich so auf Grund der Analysenzahlen ein Gehalt an
Casein und seinen Speltungsprodukten Tryptophan
Stutzer!) im Gervaiskäse.. ... . 8,3%, 0,17%
aa © „ Schweizerkäse. ... 24,2 „ 0,48 „,
Muzzo u. M.?) „ Gruyödrekäse .... 22,1 „ 0,44 ,,
Duclaux?) „ Holländerkäse ... 34,1 , 0,68 ,,
G. Sartorit) ,‚„ Schafkäse ...... 28,2 „ 0,56 ,,
J. Klein®) » Limburger Backstein-
këso.. 2. 2 2 20%. 25,7 „ 0,51 „
Es erübrigt nunmehr, unsere Resultate übersichtlich zu-
sammenzustellen, wobei ausdrücklich hervorgehoben werden soll,
daß es sich um nichts anderes handelt und handeln kann, als um
Orientierungszahlen, die auf Grund einiger Stichproben
zum Zwecke der Beantwortung der uns speziell interessierenden
physiologischen Fragen ermittelt worden sind. Daß z. B: der
Tryptophangehalt der einzelnen Arten von Getreidesamen sicher-
lich erheblichen Schwankungen unterworfen ist, unterliegt keinem
Zweifel. Die Auswertung und Deutung derselben an der Hand
eines umfangreichen Analysenmateriales muß jedoch den Nahrungs-
mittel- und Agrikulturchemikern überlassen bleiben.
Wir lassen eine tabellarische Zusammenstellung unserer
Orientierungszahlen folgen:
Tabelle I.
Tryptophan- Tryptophan-
gehalt der darin gehalt des
Nahrungsmittel enthaltenen Nahrungsmittels
als solchem
Weizenmehl . . ...... 2,62 0,20
Roggenmell . . . ..... 2,37 0,23
Gerstenmehl . . . . .... i 0,16
Hafermehl . . . . . 2... 2,42 0,23
Maismehl . . .. 22 2.. 1,67 0,18
Bohnen . . . . 2 2 2 2.0. 2,21 0,50
Linsen . 2... 2 2 2 20. 2,36 0,58
Erbsen . 2. 2 2 2 2 2 20. 1,79 0,34
Sojabohnen . . . 2.2 .2.. | 2,20 0,55
Kartoffeln » 222.2... F 8,30 0,05
Reis a a a ee a er er 2,77 0,25
ı) König, I, 321.
2) König, I, 331.
2) König, 1, 332.
4) König, 1, 343.
8) König, 1, 345.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 69
Tabelle I (Fortsetzung).
m nn.
m [1 ——
Tryptophan-
Wallnüse . 2.2 2 2 20. |
Haselnüsse ... 222. 2,50
Sauerkraut . . . 2 2 20. 4,20
Kohlrüben . . . . 2 22... 3,80
Weiße Rüben . . . 2... 2,00
Spinat Ei denm an we et De 4,30
Kuhmilh . . . 2.22 2.. 2,50
Rindfleisch te, ee ren | 1,77
Kalbfleisch Bet a a ac ech 1 ‚93
Hammelfleisch . . ..... 1,66
Schweinefleisch (fettarm) . . 1,93
Schinken . ..... Basta 1,87
Corned Beef ..... 2... —
Wurst (fettreich.... | ==
Schellfisch . ....... | 1,55
Hering gesalsen .. .... | 1,80
Hering geräuchert . . .. . | 2,50
Eierklar Eana wuda l a a a a 2,00
Eidotter . . 2. 2 2 2 20. 2,10
Das Hühnerei als Ganzes . . 2,05
Emmenthaler Käse . . . . . 2,00
Gervais Käse ....... | 2,00
Gruyère Käse . ...... l 2,00
Holländer Käse ...... | 2,00
Schafkäse By 2,00
Limburger Backsteinkäse . . 2,00
B. Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen.
Die Ermittlung der im ersten Abschnitte dieser Arbeit
mitgeteilten Daten betreffend den Tryptophangehalt der wich-
tigsten Nährstoffe hat uns nun in die Lage versetzt, an der Hand
einer Auswahl von Beispielen aus der Stoffwechselliteratur den
Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen auf rechnerischem
Wege mit ziemlicher Schärfe festzustellen.
Unsere Berechnungen betreffen 33 Beispiele, von denen viele
wiederum sich nicht auf Einzelindividuen beziehen, vielmehr eine
große Zahl von Personen mit einem Durchschnitte erfassen.
Die Art unserer Berechnungen ist aus den Tabellen ohne weiteres
ersichtlich, derart, daß wir es uns an dieser Stelle ersparen können,
darüber viel Worte zu verlieren. Unsere Auswahl geeigneten
70 O. Fürth und F. Lieben:
Materiales aus der Stoffwechselliteratur hat vor allem durch den
Umstand eine sehr erhebliche Einschränkung erfahren, daß wir
nur solche Versuche benützen konnten, wo nicht etwa summarisch
die Menge an aufgeno,nmenem Eiweiß, Fett und Kohlenhydrat
angeführt, vielmehr die Nahrung vollkommen detailliert war
Da es uns hier nm den physiologischen Tryptophanbedarf
zu tun war,. haben wir alle Versuche von pathologischem
Gepräge ausgeschaltet. So insbesondere alle Hungerver-
suche; jedoch auch bei den Versuchen mit eiweißarmer
Ernährung alle diejenigen, bei denen das N-Gleichgewicht
nioht erreicht worden ist, der Organismus sonach von seinem
eigenem Bestande gezehrt hat.
Unsere Beispiele lassen sich in 4 Gruppen einteilen: a) nor-
male, ausgiebige Ernährung, b) atypische Ernährungs-
formen, c) rein vegetarische Ernährung, d) Eiweiß-
minimumversucheohneStörungdesN-Gleichgewichtes.
a) Normale ausgiebige Ernährung.
Wir haben, um unsere Berechnungen auf eine möglichst
breite Grundlage zu stellen, möglichst heterogene Typen einer
normalen, reichlichen Ernährung herangezogen. So figuriert
unter unseren Beispielen:
Nr.1. Die Kost finnländischer Arbeiter (nach Tiger-
stedt) mit einer Tagesaufnahme von 116 g Rohprotein und mehr
als 3000 Calorien.
Nr.2. Die überreichliche Kost im Studentenklub in
Helsingfors (nach Syndström) mit 150g Eiweiß und fast
4000 Calorien.
Nr. 3. Die Ernährung eines Kopenhagener Arztes (nach
Jürgensen) mit 126g Eiweiß.
Nr.5. Die sehr reichliche Kriegsverpflegung (1870)
einrückender preußischer Soldaten (nach C. Voit) mit
157 g Eiweiß.
Nr.6. Die kaum minder ausgiebige Garnisonsverpfle-
gung des bayerischen Heeres (nach C. Voit) mit 126g.
Eiweiß.
Nr. 7. Die sehr reichliche, wenn auch monotone Kost
russischer Landarbeiter (nach Erismann) mit 132 g Rein-
protein.
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 71i
Nr. 8. Die Kost von Bergarbeitern aus dem Rhein-
lange (nach Steinheil) mit 133 g Rohprotein.
Nr. 12. Jedoch auch die gemischte japanische Kost
(Selbstversuch von Kumagawa) muß als reichlich bezeichnet
werden, trotzdem sie mit 86g Reinprotein auskommt; denn
dabei ist zu beachten, daß es sich um ein Individuum von nur 48 kg
Körpergewicht gehandelt hat.
Auch die scheinbar frugale Ernährung der Nesapolitaner
(Nr. 9—11) gehört wohl mit Rücksicht auf das geringe Normal-
gewicht der Versuchspersonen hierher.
In allen diesen Fällen hat die auf 1 kg Körpergewicht
umgerechnete Tryptophanmenge sich zwischen 0,032 und
0,046 g bewegt. Scheidet man die in bezug auf ihren Ernährungs-
zustand nicht über jeden Zweifel erhabenen Fälle Nr.4 (Vor-
steherin eines Kopenhagener Mädcheninstituts) und Nr. 10
(neapolitanischer Schuhflicker) aus, so engen sich diese Grenzen
auf den immerhin engen Bereich von 0,036—0,046 g Trypto-
phan pro kg Körpergewicht ein (bei einem mittleren Trypto-
phangehalte der Nahrungsproteine von 2,0—2,4%). Es ent-
spricht dies für einen Menschen von 70 kg einem Tagesbedarfe
von 2,5—3,2g Tryptophan.
b) Atypische Ernährungsformen.
Bei dem Beispiele Nr. 13 handelt es sich um ein zum Skelette
abgemagertes 20jähriges Mädchen vom Gewichte von
35 (!) kg, dem infolge dyspeptischer Beschwerden nur flüssige
Nahrung (bestehend aus Milch, Eiern, Butter und Zucker)
beigebracht werden konnte. Die Tagesaufnahme an Eiweiß
(ca. 100 g) und an Tryptophan (2 g) war eine normale. Die Trypto-
phanaufnahme pro kg Körpergewicht war jedoch (infolge der ganz
abnormen Kleinheit des letzteren) größer, als in irgend einem ande-
ren der von uns studierten Fälle, nämlich 0,057 g.
~ Auch bei dem Beispiele Nr. 14 handelt es sich um aus-
schließliche Ernährung mit flüssiger Nahrung; dasselbe
betrifft einen Fall von Oesophagusstriktur nach Salzsäurever-
ätzung. Die Tagesaufnahme an Roheiweiß betrug in diesem
Falle 82 g; diejenige an Tryptophan (pro Kilo Körpergewicht)
lag mit 0,037 g innerhalb der normalen Breite.
Als Beispiele chronisch unterernährter, anscheinend
72 O. Fürth und F. Lieben:
auf einen niedrigen Nahrungsbedarf eingestellter In-
dividuen von geringem Körpergewicht mögen die beiden
Neapolitanerinnen (Fall 15 und 16) dienen. Die Tryptophan-
aufnahme pro Tag liegt hier (mit 0,032 bzw. 0,028 g pro Kilo
Körpergewicht) wohl schon unter der Grenze des Normalen.
c) Rein vegetarische Ernährung.
Die Beispiele 17 bis 22 betreffen rein vegetarische Ernährung.
Auch bei der Beurteilung derselben ist auf den Umstand wohl
zu achten, daß es sich größtenteils um Individuen von recht
geringem Körpergewicht gehandelt hat.
Ein besonderes Interesse bietet wohl der von Yukawa
sorgfältig studierte Fall Nr. 18. Er ist aus einer großen Reihe
von Beobachtungen über die rein vegetarische Diät der Insassen
japanischer Klöster herausgegriffen. Es handelt sich um einen
jüngeren, schon seit 2 Dezennien im Kloster ansässigen Mann von
nur 43 Kilo Körpergewicht, der mit 35 (!) g Rohprotein und
0,020 g Tryptophan pro Kilo und Tag offenbar sein Aus-
langen gefunden hat.
Ein Seitenstück dazu bildet das (von Cas pariund Glässner)
beobachtete seit vielen Jahren streng vegetarisch lebende Ber-
liner Ehepaar. Die früh gealterte Frau hat bei einem Körper-
gewicht von 58 kg sich mit 35 g Rohprotein in toto und mit
0,017 g Tryptophan pro Tag und Kilo begnügt. Der 70 kg
schwere Mann hat mit seiner Tagesnahrung in 52 g Rohprotein
auch nur 0,019 g Tryptophan pro Kilo aufgenommen.
Bei den anderen in unseren Tabellen figurierenden Vegeta-
riern (Nr. 17 19, 20) finden wir bei einer Tagesaufnahme von
50—74 g Eiweiß einen Tagesbedarf von immerhin 0,027 bis
0,030 g Tryptophan pro Kilo, Zahlen, die von der unteren
Grenze des Normalen noch nicht allzuweit entfernt sind.
d) Versuche über minimale Eiweiß- und Tryptophan-
aufnahme.
Wie schon erwähnt, kamen für uns nur Versuche mit posi-
tiver Stickstoffbilanz in Betracht.
Von besonderem Werte für die uns interessierende Frage
erscheint (Beispiel Nr. 23) ein über 10 Monate ausgedehnter
sorgfältiger Selbstversuch von R.O. Neumann, bei dem sıch
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 73
(bei einer nicht allzureichlichen aber genügenden Ernährung von
durchschnittlich 2400 Calorien und 57g Reinprotein pro Tag)
der tägliche Tryptophanbedarf pro Kilo Körpergewicht
auf 0,018 g eingestellt hatte.
Diesem reiht sich (Beispiel Nr. 25) ein allerdings nur 6tägiger
Selbstversuch von V. O. Siven an mit einer Tagesaufnahme von
54 g Rohprotein und 0,017 g Tryptophan pro Kilo.
Ein ähnliches Resultat ergaben auch die Selbstversuche von
M. Hindhede und F. Madsen (Nr. 27—29) bei einer zwar
calorienreichen, jedoch fast ausschließlich aus Kartoffeln, bzw.
Schwarzbrot und Margarine bestehenden Nahrung mit täglich
51—67 g Rohprotein und 0,017 —0,020 g Tryptophan pro Kilo.
Der Selbstversuch von K. Thomas (Nr. 31) mit ausschließ-
licher Weizenbroternährung fällt aus der Reihe, da mit diesem
tryptophanreichen Nahrungsmittel im Tage 0,026 g Tryptophan
pro Kilo eingeführt worden sind.
Es verbleiben noch einige Versuche von allerdings sehr
kurzer Dauer, bei denen es unter besonders günstigen Verhält-
nissen ohne Störung des N-Gleichgewichtes gelungen ist, die
Eiweiß- und Tryptophanaufnahme noch wesentlich tiefer herunter-
zudrücken.
Beachtenswert erscheint mit Rücksicht auf seine immerhin
mehrwöchentliche Dauer ein Selbstversuch von F. Hirschfeld
(Nr. 24), bei dem die tägliche Reinproteinaufnahme auf 37g,
das Tryptophan pro Kilo auf 0,013 g abgesunken ist,
Noch etwas tiefer kam V. O. Siven (Nr. 26) mit täglich nur
39 g Rohprotein und 0,012 g Tryptophan pro Kilo.
Sehr niedrige Werte hat K. Thomas bei Versuchen von
allerdings nur sehr kurzer Dauer erreicht: Bei ausschließlicher
Ernährung mit Kartoffeln und Fett 28 g Reinprotein und 0,013 g
Tryptophan pro Kilo und Tag. Ferner bei sehr kohlenhydrat-
und calorienreicher, aber eiweißarmer Ernährung: Im Tage 4l g
Reinprotein und 0,014 g Tryptophan pro Kilo bzw. 39 g Rein-
protein und gar nur 0,010g Tryptophan pro Kilo.
Einzig in ihrer Art dastehend sind endlich die Resultate von
E. Abderhalden, G. Ewald, A. Fodor und C. Rösel). Die
Versuchsperson (Röse) ernährte sich durch 54 Tage ausschließlich
1) Pflügers Arch. f. Physiol. 160, 511. 1915. Vgl. auch: Abder-
haldens Lehrbuch. 3. Aufl., 2. Bd., S. 1379. Ä
Fortsetzung auf S. 84.
74 O. PAM und F. Lieben:
Ta belle N.
| e á
| Cherakterisierung |
g Autor | angabs des Versuches $ Art der Tagesnahrung
Z © B
a $
| kg
| | Trypt. Boheiweiß
| € 8
1 |C. Tiger- Skandin. | Kost der körper-! 70 |Fleisch....... Ag OM 68
stedt. Arch. 1. lich arbeitenden (Durch- | Speck!) ...... ME 0,06 24
| l . Physiol. Klasse in einem schnitt)! Fisch ....... 4g 010 45
i 24, 150 fianländischen Miich....... 1ll&cem 0,72 885
| (1915). Kirchspiel Kise ........ tg 0% 12
Butter — 16g — _
| Eier ........ 5g 008 08
. Weiches Roggenbrot ) Ig 0,2
| Roggenbrot, hart’) . 78g 09| 218
j Boggenmehl .. .. Æg 0,06
f Weißbrot + Haferbrot 85 g‘) 0,19 115
| Weizenmehl .. Wg 0,06
Gerstengrieß und an-
dere Grützen . . . 48g 0,08 55
Erbsen ....... Wg 00 44
| Kartoffeln . . . 1480g 078 189
Früchte u. Fruchtsäfte 5g — —
Zucker ....... 2g — *
2,52 116,1
| Eiweiß Tryptoph
g g g
2 || 3.Sund- | Skandin. | Kost im Studenten- 70 Brot ........ 191 18,5 0,8
ström. | Arch. f. kiub von Hel- (Durch-| Butter ....... 71,1 051 0,01
Physiol. singfors. schnitt) Käse ....... 21,6 5,18 0,10
19, 78 Mich ....... 109483 87,16 08
(1907). Fisch . ...... %40 348 0,08
| | Gemüse ...... 108 1.08 09
Fleischaufschuitt 750 14,78 N 11
$ warn . ? 49,05
| Kartoffeln ... . .. N 660 02
| | Grütze ....... 657,8 78 019
| Bouillon ...... 128,2 8,05 00
| | Tee, Kaffee m. Brot. — 5,58 0,18
i | 150,86 32
| Eiweiß Tryptopth.
| g g g
3 i| Ch. Jür- |Zeitschr.f.| Normale Ernährung: 78: Milch ....... 1018 BR 0,95
| gensen. | Biolog. eines Kopenhage- | | Fleisch u. Fisch 297 53 0.26
| 22, 488. ner Arztes (85 Jhr. ' | Weizenbrot .. . . . 208 21 0,80
| 1886. | alt). 'Käse .. 2.2220. 39 1 02
| m Butter ....... 62 —
| l : Bayr. Bier ..... 12 = —
| 126 2,72
| Eiweiß Tryptoph
| | g g g
4 || Ch.J ür- jZeitsehr.f.| NormaleEmährung: ö8 ‘Milch ....... 134 84 08
gensen. | Biolog. der Vorsteherin | Fleisch u. Fisch 126 2 0,47
29, 488. eines Mädchen- i Weizenbrot..... 208 19 0,4
1886, instituts (85 Jahre ıKäse . . 2.2 .22.. 20 6 0,12
alt). | Butter . 2.2... 4 — _
| | Bier . 2: 2.20% 106 — =
| 85 1,91
—
Colorimetzische Untersuchungen über das Tryptophan. VE. 75
Tabelle II.
mer ——
Aufnahme
gesamte
à gesamte | prokg | mitior | gesamtero
Tages- Körper- Gehalt Anmerkungen
aufnahme | gewicht ahrungs-
Roheiweiß | Reineiweiß und Tag
g g g g %
116 — 252 0,036 Ä 2,18 8070 ”) Speek enthält ca. 10% Ei-
weiß (Fleisch = 29%).
3) 124 g weiches Roggenbrot
. =98g Roggemurehä.
3) 78 g hartes Roggenbrot
= 85 g Roggenmehl.
| A $ g Weißbrötchen = 50 g
| Weizenmehl.
Die Tryptophanmengen wur-
den aus den Gewichts-
zahlen der Nahrungsstoffe
auf Grund der Tabelle I
berechnet.
151 — 824 0,046 2,14 3084 Die Tryptophanmengen wus-
den auf dom Wege der Ei-
weißzellen auf Grund der
Tabelle I berechnet.
128 — 272 0,087 216 — Berechnung wie 2.
& — 1,91 0,0338 2,24 = Desgl.
76
O. Fürth und F. Lieben:
2 =]
3 £
: Literatur- | Charakterisierung E F
g Autor angabe des Versuches s 5 v 9 Art der Tagesnahrung
Z © E
M —
kg
Eiweiß Tryptoph.
g g e
Über die | Kriegsverpflegung 70 |Brot .....2...70 02 1,48
Kost in einrückender (Durch-| Fleisch . .. ... » = 95 ın
öffentl. preußischer Sol- 'schnitt)| Speck . . . -. ... . 250 ’
Anstalten.| daten 1870. Wein .... 2... 500 — —
Munchen. 157 8,14
Eiweiß Tryptoph.
g g g
6 || C. Voit. |Üb.d. Kost: Garnisonsverpfie- 0 |Fleisch ....... 150 zı 0,49
in Ööffentl.| gung des bayri- ,(Durch-| Reis. . . . ..... 90 7 0,20
Anstalten.| schen Heeres. schnitt) | Kartoffeln... . . 1500 30 0.90
München Brot .. wu... 750 2 1,48
1876. 128 Bil
7F. Eris- | Arch. f. |Kost der Arbeiter- 70 Schwarzbrot 862 g, Buchweizen, Graupen ?) 287 g,
mann. |Hygiene9, bevölkerung in (Durch-| Sauerkohl *) 208 g, Rindfleisch 85 g, Kartoffeln
28 (1889). | Zentrairußland. schnitt): 87g, Öl und Schmalz 60 g, Weizenmehl 20 g,
getrocknete Erbsen 18 g, Schweinefleisch 12g,
Weißbrot 9 g, -gesalzene Fische 8 g, frische
Fische 6 g, ferner Graupen, Butter, Schwämme,
Eingeweide, Makkaroni, Eier, Würste, Speck
im Gesamtgewicht von 10 g °).
8HE.Stein-| Z. f. Bio- | Kost deutscher 70 Gebrannter Kaffee 12 g, Zichorie 2 g, reines
heil og. 13, 41 Bergleute b. Ems. |(Durch-| Fleisch 68 g, Fett 12 g, geräucherter Speck
(1877). ischnitt)| 48 g, Kochsalz 18 g, Schwarzbrot (Roggen)
782 g, Butter 45 g, Kartoffeln roh 274 g, desgi.
gedämpft 240 g, weiße Bohnen 63 g, Erbsen
42 g, Gries (Gerste) 81 g, Linsen 58 g, Weizen-
mehi 8g, Essig 9g, Reis 81 g, Rüböl 2g. (S. 421.)
9| L Man- | Arch. f. | Kost eines Neapoli- 68 Tabelle IV, 8. 581. ;
fredi. Hygiene taners (40 jähri- Mittags: Fisolensuppe u. Makkaroni u. Brot.
17, 552 ger Tischler). Abends: Getrockn. Schweinefleisch u. Brot.
(1888). Eiweiß Tryptoph.
8 g
Bröt ecr na 812 172 0,43
Fisolensuppe u. Makkaroni ? 29,5 0,74
Brot a e un se 888 188 0,47
Schweinefleisch getr. . .1560 46,0 0,87
111,8 2,61
10 L. Man- | Arch. f. | Kost eines Neapoli- 55 Tabelle I, 8. 576.
fredi. Hygiene taners (34 Jähri- Mittags: Karfiolsuppe m. Fleisch u. Brot,
17, 552 ger Schuhflicker). Abends: Käse u. Brot,
(1898). Eiweiß Tryptoph.
| g 8 g
Brot 5%. 2 0503 468 3,7 0,64
R Käse (Parmesan) . . .. 564 94 0,19
Fleisch (Eingeweide) ? 14 0,92
| 86,5 1,78
Colorimetzisehe Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 77
0,044
0,043
0,048
0,040
0,082
Berechnung wie 2.
Desgl.
Desgl.
1) Schätzungsweise wurde
Trypt.-Gehalt mit 25 als
Mittelwert für vegetabl.
Eiweiß angesetzt.
1) Sauerkohl = Sauerkraut,
angenommen mit 4%
Tryptophan.
s) Wurde vernachlässigt. A
Die Daten sind genau be-
rechnete Mittelwerte der
Kost einer Kostgemein-
schaft (Artele).
Berechnung wie 2.
Desgl.
Desagl.
18 O. Fürth und F. Lieben:
| e d
| 4 £
— j = 2
T Literatar-| Charakterisierung | % © $
5 l Autor angabe das. Versuches > s | Art der Tagesnalırung
| | 2 ©
| »
| | kg
Bir — —— Me Sn ner engen gg — ge ee u een orten Fee — — or —— —
11 | L.Men- | Arch. Kost eines Neapoli- | 50 Tabelle VII, 8. 688.
fredi Hygiene taners (25jähri-' Mittags: Makkaroni mit Tomatensauce, Brot.
17, 562 ger Lazzarone). ! Abends: Gebackener Fisch u. Brot.
(1898). Eiweiß Tryptoph
| g 8 g
Brot .....:.. ‚482 25 068
Makkaroni mit Sauce 689 413 1.U8
Gebackener Fisch . .100 112 9.
| 79,0 1,59
12 |M.Kumsa- Virchows | Gemischte japani- 45 8. 398.
gawa. |Arch. I16,| sche Kost (Selbst- Roher Reis 485 g, Rindfleisch mager IR g.
876. 1880. versuch). Hechtfleisch 48 g, Kier 95 g, Kohlrüben 36 g.
Zwiebel’) 148g, Miso ®) 40 g, Rohrzucker 65.
Schoju®) 57 oem, Bier 849 ccm, Teeinfu—
1157 ocm, Wasser 458 ccm.
d
13 | G.K lem- | Zeitschr. {| Ernährung eines 85 15.50. Roheiweiß Trmt
perer. |klin. Med.| hochgradig abge- g g
16, 550. magerten 20 Jähri- Milch) ..... 21 Cñ 1.9
ı 188. gen Mädchens Klier 152%.“ .- 8 8Stck. 38,6 8.70
, (dyspeptischen | Butter 2.20% 60 g 0.4 0al
| | Beschwerden)mit Zucker . 2.2.2... 90 g = =
| | flüssigerNahrung. 5 201
14 |G. Klem- | Zeitschr. f. Ernährung eines 46 S. 600. Boheiweiß Trypt
perer. |klin.Med.| 24jährigen Man- g 8
16, 50. nes mit Oesopha- Mileh aaae.’ 21 62,5 18
18830. gusstriktur nach Eier... 22.2. 2 Stck. 122 03
Salzaäurever- Butter . ..... 40g — _
| ätzung. Brot........ 100 g 7.0 0,18
81,7 1,71
18 | L.Man- | Arch. f. | Schwer unter- 381 ‚8.578, Tabelle IIL
fredi. Hygiene ernährte 70 jähri- Mittags: Pastasuppe u. Brot.
17, 552. ge Tagelöhnerin Abends: Ralımkäse u. Brot.
1593. aus Neapel. Eiweiß Tryptoph
8 g g
. Brottj e ara a 8% 807 16,9 0.42
Pastasuppe $) .... 25,0 0.9
Rahmkase . . 2... 50 98 0,2%
|
)
L.Man- Arch. f. | Unterernährte 40j. 48 S. 570. ,
fredi. Hygiene Arbeiterin aus — Schellfischsuppe u. Brot.
|
|
17. 502. Neapel. Abends: Sardinen mit Öl u. Brot.
| 1883. Eiweiß Tryptopl-
g [4
| I Brot 8 ya ae wis 430g 37 059
| Schellfisch u. Sardin. 41,4 0,0
5
N
l
48, Reis 600 g, Miso?) 100 g, Kohlrüben 300 g, Roh
zucker 28 g, Schoju!) 10 ccm, Bier 59 eem,
Teeinfus 583 ccm, Wasser 978 ccm.
17 !IM.Kuma-' Virchows | Vegetabil. japan.
| gawa. Arch. 116, Kost. (Mittel von
|
1376. 1859. 9 Tg.. Selbstvers.)
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 79
Anmerkungen
79 — 180 0,088 240° — Berechnung wie 2
— 3 1,80 0,089 2.00 — Tryptophan aus Reinprotein
berechnet.
2) Zwiebel. Veget. Eiweiß mit
2% Trypt. angesetzt.
2) Halbweiche Masse, durch
Gärung aus Sojabohnen
l erhalten.
3) Sauce aus Sojabohnen und
Weizenmehl durch Gärung
erhalten.
100 — 2,01 0,057 2,02 — 1) 100 cem Milch angesetzt
mit 0,065% Tryptoph.
82 — 1,71 0,087 2,08 —
52 — 1,22 0,082 2.85 — 1) Weizenbrot.
k 1) Mittelzahl aus Zerealien-
mehl 24% Trypt. ange-
nommen. l
65 — 1,84 0,083 2,06 —
50 1,82 0,027 2,60 — 1) S. Anmerkung bei Nr. 12.
Archiv 41,
versuch.
(Mehr-
I feld.
|
!
N
533. 1887.
wöchiger Selbst-
versuch eines 24-
jährigen Mannes.)
80 O. Fürth und F. Lieben:
| a El
ie ©
| —
Pl $ el
5 |l Literstur-| Charakterisierung | 8 ®
5 Auto angabe des Versuches | 253. Art der Tagesnahrung
z Io E
mo $i
i kg |
ee ge en a — —
18 | G. Yu- Arch. f. | Rein vegetarische | 483 S. 600, 497.
| kawa Verdau- Kost japanischer Gerstenreis 488 g, Reisbrei 822 g. gekochtes Th
| ungrkrank-- Bonzen in eineın kuhan ') 72 g, Misosuppe ®) 418 g, Anmochi'
heiten 15, | Kloster. (34 jähri- 210 g. Tee 510 g.
| 471. 1900.) Mann bereits seit
! 18 Jahren im Klo-
| ster.)
18: G. Yu- Arch. f. | Deagl. 50 S. 517, 498.
| kawa Verdau- | (70 jähriger Mann, Gerstenreis 1906 g, Reisbrei 675 g, gekochter
ungakrank- seit 6O Jahren im Rettich 274 g, Takuhan R2 g, Spinat IS €
| heiten 15,| Kloster.) Tee 680 g, Jake!) 270 g.
il 471. 1909.
il
20 Th. Rum pfii Zeitschr. f.| Kost eines 19 jähri- 68 S. 155.
| und Biol. 39, gen Vegetariers. Grahambrot 884 g, Äpfel!) 1161 g, Datteln’
O.S c hu m mi 153 (1%00).| (Mittel aus Btägi- 200 g, Oats (Hafermehl) 141 g, Reis IW 3.
gem Versuch.) Zucker 75 g, Wallnüsse 28 g.
21 | W. Cas- |Zeitschrift! Kost eines Ehe- 70 8. 474.
| pari u. |f.physikal] paares in Berlin, Kaffee 20 g, Zucker 46 g, Datteln 890 g’), Hasel-
| K. G1AB-' u. diätet. | seit vielen Jahren nisse 118g, Leinðl 154g, Kartoffeln 100% 6.
ner. Therapie 7,| Vegetarier. (49- Karotten 80g ?).
| 475 (10904). jähriger Mann.) |
2 | W. Cas- :Zeitschrift | Desgl. 58 S. 478,
| pariu. {L.physikal.| (4Sjähriee Frau, Kaffee 20 g, Leinöl 95 g, Kartoffeln 1081 ç,
| K. Gläß-| u. diätet. früh gealtert.) Karotten 80 g, Kakos 100 g').
ni ner. herapie 7.
| 475 (1904).
28 R. O. N e u 4 Archiv für | Eiweißminimum- 66—67 | Tagrsnahrung im Mittel Eiweiß 66 g, Fett 83 ç.
mann. | Hygiene versuch. (Mittel- Kohlenhydrat 280 g, Alkohol 44 ç.
45, 1 wert aus Selbst- 8. 32. Beinprot. Trypt.
| (1902). versuch von 10- g 8 g
| monatl. Dauer). Rindfeisch . ... . 4 788°) 0,18
| Schinken . ..... 4 0,89 0,02
j! ! Hering .......2 2,88 0,16
I Cervelatwurst ... 7 1,12 0,02
? Blutwurst ..... 87 881 0,07
| Dr Be 37 450 0,08
| Milch .. 120 4199 0.10
| Butter sassa’. 24 0,17 0,91
ji Käse . . 2.2222. 86 58:1) Oll
i Quark . . 2.22... 18 57) Otli
! Schweinefett .... 21 — —
| Poba aeeai Sl 1849 08
Kartoffeln ..... 68 02%) 0,8
N Zucker sse’. 10 — =
| J . 9 = _
| Bler........ 1223 7549 0,17
| 67,24 1,22
A — h-| Pflügers | Eiwelßminimum- 13 8. 542
Kartoffeln 500 g'\, Butter 150 g, Reis 150 g,
1 Ei, Milch 100 g, Bier 1'/, 1, Wein !/,1, Kaffee
20 g, Zucker 600 g.
Colorimetxische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 81
5 — 1,48
86 — 0,97 0,017
[ 57 1,22 0,018
42 3 0,97 0,013
Biochemische Zeitschsift Band 122.
3,78
218
1700
>
Anmerkungen
1) Takuhan = großer Wasser-
rettieh. Trypt. = 2% an-
genommen.
f) Speise aus Reis und Erb-
sen.
5) Speise aus Reis und Boh-
nen.
Siehe oben.
3) Alkoholisches Getränk aus
vergorenem Reis.
1) Tryptophan im Eiweiß
schätzungsweise mit 2%
angesetzt.
t) Schätzungswert im Eiweiß
mit 2% Tryptophan.
3) Als Weizenmehl berechnet.
1) Beim Fleisch werden 100
Roheiweiß=:88 Reineiweiß
angesetzt.
2) Kuhmilch enthält nach
König (8. Aufl.) im Mittel
0,55%, Beinprotein (i. e.
Kasein + Albumin).
») Im Käse nach Schulze u.
Barbiei (König I, 828) Re-
lation Beinprotein: Roh-
piotein = 2: 38,
*) Im Roggenmehl nach
M. Fischer (König I, 470)
Rohprotein; Reinprotein =
11,2: 9,7.
+) Nach eigenen Analysen in
Kartoffeln Rohprotein :
Reinprotein = 94:06.
°) Als Gersteneiwelß gerech-
net nach Farsky (König I,
518) Rohprotein: Reinpro-
tein = 7,6: 6,7.
Zwei Versuchsreihen ergaben
positive N-Bilanz bei Aut-
nahme v. 40—45 g Rohpro-
tcin resp. 85—410 g Reinprot.
1) Siehe Nr. 28 Anns. 6.
6
82 O. Fürth und F. Lieben:
l = g |
8l
3 Literat Charakterisierung ' F a
ratur- À E
E Autor Angabe des Versuches | A ə g Art der Tagesnahrung
z | j :> £
| M
i kg
25 | V. 8Siven. Bkandin. Eiweißminimum- S. 111, Serie IIL
i Archiv fü versuch, (Selbst- Roggenbrot 140 g, Butter 100 ge, Zucker © g.
| Physiol. versuch, 6tägig.) Tee 600 g, Milch u. Sahne 430 g, Katice Ang.
10, 9 Bier 8830 g, Kartoffeipüree 200 g. Reisgrütze
(1900). 200 g.
2 !V.O.8iven| Skandin. | Deagl. Serie IV.
Archiv fü Roggenbrot 140 g, Butter 116 g, Tee 00 g.
Physiol.10 Zucker 100 g, Kaffee 300 g, Sahne 45 g, Äpfel"
91 (1900). 20 u, Kartoflelpüree 300 g, Bier 39 g.
70 Periode III, 8. 112 u. 118.
dhede. [Archiv für selbstversuch. (8- Kartoffeln 2857 g, Margarine 157 g.
tägig, ausschließl.
Ermmähr. m.Kartof-
feln u. Margarine.)
|
I
7 | M. Hin- | Skandin. | Eiweißminimum-
|
|
|
|
| M. Hin- | Skand.
e e
2 2
Schwarsbrot und
Margar.; 6 Tage).
i 1914.
|
W Desgl. 72 S. 162 (10 Tage).
' dhede. |Archiv fü (Versuch von Fre- Kartoffeln 3950 g, Margarine 225 g.
| Physiol deric Madsen, hat
30, 7 August b. Novem-
(1918). ber 1012 ausschl.
| von Kartoffeln u.
Margarine gelebt.)
%»' M. Hin- | Skandin. | Eiweißminımum- 66 S. 381.
| dhede. :Archiv fü versuch v. Holger Tägliche Kost: Schwarzbrot 816 g, Margarine
Physiol. Madsen. (Ausschl. 127 g.
| 81, 259. Ernährung mit
|
|
|
1909, Bilanz.) | |
S. 219. ! |
80 | K.. Tho- hiv Eiweißminimum- co S. 29 u. 381.
mas, (An. u.) selbstversuch bei Tägliche Kost: Kartoffeln 2700 g, Butter 182g
| Physiol ausschließl. Er- (vernachlässigt). Öl 21 g, NaCl 32 g.
| 1909, nährung mit Kar-
! 8. 219. toffeln und Fett.
i! (1 tagiger Versuch
| m. pos. N-Bilanz,
| sonst Bilanz neg.) `
31 | K. Tho- |Archiv für| Desgl. 4 S. 283, 29%.
| ma s8. (An. u.) (bei ausachl. Er- Tägliche Kost: Weizenbrot 1200 g.
| Physiol. nähr. mit Weizen-
| 1909, brot. (1 täg. Yers.
| | 8.219. | m. pos. N-Bilanz.)
32 | K. Tho- [Archiv für Desgl. 72 ' S. 295. `
| mans. (An. u.) (bei kohlehydrat- Weizenmehl 500 g. Stärke 100 g, Milchzurker
| Physiol reicher Nahrung. ! | 20 g, Rohrzucker ZU g, Butter %0 g.
! 1909, ltägiger Versuch |
| 8. 219. | m.por. N-Bilanz.) ı |
30 | K. Tho- !Archiv für, Desgl. | 72 B. 29.
| mas. (An. u.) (Ltägig. Versuch i Fleisch 200 g, Milchzucker 600 g, Stärke %0 g
| Physiol. mit. positiver N- | Rohrzucker 50 g, 2 Zitronen (vernachlässigt).
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VL 83
Anmerkungen
Rohelweiß | Beineiweiß
g 8
> = Für Roggenbrot u. Kartoffeln
Bohprotein in Reinprotein
umgerechnet und der Be-
rechnung zugrunde gelegt.
Milch mit 0,065 % Tryptoph.
angesetzt.
1,82 2477 1) Für Äpfel im Eiweiß
Schätzung 2% Tryptophan.
n = 0,71 0,012
5I ca. 86!) 1,16 0,017 8,8 8500 1) Umrechnung nach Belatio.i
von M. Kreusler (König I,
710), Mittel f. Kartofl. 2,88%
Rohprot., 180% Beinpro-
tein m. 8,8% Tryptophan.
i ca. 4!) 1,44 0,020 88 6086 1) Siehe Nr. 27.
[l
23 ca. 8000° | 816 Roggenmehl m. 10,688 N,
entspr. 688 g Roheiweis.
Im Roggenmehl entspre-
chen nach M. Fischer
(König I, 470) 100 g Roh»
protein 86,4 g Reinprotein.
Daher 66,8 g Boheiweiß
entsprechen 57,7 g Rein-
protein. Roggenprotein
enthält 28% Tryptophan.
883 3200 | 2700 g Kartoffeln m. 7,158g N
entsprachen 44,7 g Rohpro-
tein. Vom N der Kartoffeln
sind (8. 288) 68% Eiweiß-N.
Demnach sind von 7,158 g
N nur 4,51 g Reinprotein N,
i. e. 28,1 g Reinprotein mit.
% Tryptophan.
25 8020 1200 g Brot enthielten 17,47 g
N (entsprechend 109 g Roh-
protein mit 714% Rein-
protein i. e. 78 g Reinprot.
mit 25% Tryptophan.
25 6100 Berechnung analog Nr. 81.
(Eiweißgehalt der Butter
vernachlässigt.)
45 28 0,98 0,018
a 1,01 0,014
44 8 0,89 | 0,010 18 8687 200 g Fleisch mit 7,04 g N,
davon 6,16g Reinprotein-N
| (87,5% nach 8.288) L e.88,5g
Reinprotein. Rindfleisch
enthält 1,8% Tryptophan.
6*
84 O. Fürth und F. Lieben:
mit Kartoffeln, Brot, Fett und Zucker, ohne wesentlich an
Körpergewicht einzubüßen. „Während der Zeit, in der der Stick-
stoff nur in Form von Kartoffeln zugeführt wurde, kam Röse
mit 4,0 g N aus. 4,0-6,25 = 25 g Eiweiß Roheiweiß). Bei
Brotnahrung waren zur Wahrung des N-Gleichgewichtes 7,0 bis
7,5 g N erforderlich.“
25 g Rohprotein aus Kartoffeln entepricht (s. o. Barnstein)
17,3 g Reinprotein, mithin auf Grund unserer Bestimmungen
0,57 g Tryptophan pro Tag resp. 0,009 g Tryptophan pro
Kilo und Tag.
Für Weizenbrotnahrung ergibt sich (8.0.): 7 g N ent-
spricht 44 g Rohprotein, resp. 33 g Reinprotein, d. i.
0,83 g Tryptophan pro Tag oder
0,013 g Tryptophan pro Tag und Kilo.
čs sei bezüglich derartiger und ähnlicher Versuche von kurzer
Dauer nachdrücklich hervorgehoben, daß der Beweis, daß der-
artige Minimalwerte der andauernden Ernährung eines Indivi-
duums, geschweige denn weiterer Volkskreise genügen könnten,
weder erbracht, noch aber auch beabsichtigt worden ist.
Unsere Schlußfolgerungen sind in der Zusammenfassung
(s. u.) wiedergegeben.
Zusammenfassung.
l. In bezug auf die Tryptophanbestimmung in Nah-
rungsmitteln hat sich für Fleischwaren, Eier u. dgl. die ein-
fache colorimetrische Bestimmung nach Lösung einer abgewogenen
Probe in starker Alkalilauge in der Wärme als brauchbar erwiesen
Dieselbe versagt jedoch bei stärkereichen Stoffen (wie Cerealien.
samen), fettreichen Materialien (wıe Käse) und bei tryptophan.
armen vegetabilischen Produkten.
2. Der Tryptophanbestimmung in Cerealiensamen
und Mehlen muß die Abtrennung der Eiweißkörper vorangehen
und zwar einerseits der globulinartigen Proteine (durch
Extraktion mit einer verdünnten Salzlösung in der Kälte) und
andererseits der alkohollöslichen Protamine (durch Alkohol-
extraktion in der Wärme). Die Globuline werden durch Essig-
säure, die Protamine aus alkoholischer Lösung durch Wasser-
zusatz niedergeschlagen und in bezug auf ihren prozentischen
Tryptophangehalt untersucht. Nach Feststellung der in geson-
Colorimetrische Untersuchungen über das Tryptophan. VI. 85
derten Proben des Ausgangsmaterials enthaltenen Globulin- und
Protaminmengen kann sodann der Tryptophangehalt des ersteren
berechnet werden.
3. Auch im Leguminosensamen, imReis u.dgl. werden
zweckmäßigerweise die Proteine vor der Tryptophanbestimmung
durch Schütteln mit verdünnter Salzlösung extrahiert und man
ermittelt nach Fällung mit Essigsäure in einer Probe derselben
den prozentischen Tryptophangebalt. Der Berechnung des
Tryptophungehaltes des Materiales muß die Ermittlung des Rein-
proteingehaltes vorangehen.
4. Aus tryptophanarmen Vegetabilien, wie grünen
Gemüsen, Kartoffeln u. dgl. bereitet man zweckmäßigerweise
einen Preßsaft, fällt die Proteine aus demselben durch Essigsäure
und Wärmekoagulation und bestimmt sodann in der Fällung
den prozentischen Tryptophangehalt. Auch hier ist für die Um-
rechnung die Reinproteinbestimmung im Ausgangsmateriale
unerläßlich.
5. Bei gemischter Ernährung des Erwachsenen ist der mitt-
lere Tryptophangehalt der Nahrungsproteine mit 2.0
bis 2,4%, zu bewerten.
6. An der Hand einer größeren Anzahl von Beispielen aus
der Stoffwechselliteratur, die verschiedene in allen ihren Einzel-
heiten bekannte Ernährungstypen betrafen, konnte der tägliche
Tryptophanbedarf des erwachsenen Menschen rech-
nerisch ermittelt werden. Derselbe kann für ein Individuum
von 70 Kilo Körpergewicht bei freigewählter, ausgiebiger Ernäh-
rung mit 2,5—3,2 g (i. e. mit 0,036—0,046 g Tryptophan pro Kilo
Körpergewicht und Tag) veranschlagt werden.
7. Die Tryptophanzufuhr kann aber sicherlich bei sonst aus-
reichender Ernährung und unter günstigen Bedingungen sehr
erheblich, etwa bis auf 0,017 —0,020 g pro Kilo und Tag (also auf
die Hälfte) herabgedrückt werden, ohne daß das Individuum
Schaden zu leiden brauchte. Kurze Zeit hindurch vermag der
Organismus anscheinend sogar mit einer Tageszufuhr von 0,015
bis 0,009 g Tryptophan pro Kilo auszukommen, ohne daß das Stick-
stoffgleichgewicht sogleich einen Umsturz erleiden müßte. Wie
lange der Organismus mit einer derartigen geringen Tryptophan-
aufnahme auszukommen vermag, erscheint aber noch nicht
klargestellt.
Ein Beitrag zur Frage der chemischen Konstitution des
Protoplasmas.
Von
Heinrich Walter.
(Aus dem Botanischen Institut der Universität Marburg a. L.)
(Eingegangen am 16. Juni 1921.)
Mit 3 Abbildungen im Text.
Eine genaue Gesamtanalyse des Protoplasmas läßt sich bei
höheren Pflanzen nur sehr schwer durchführen, denn das Proto-
plasma enthält zu viele nebensächliche Bestandteile, und die
einzelnen Zellen sind außerdem von einer Zellulosemembran
umgeben, wodurch es schwierig ist, größere Mengen von Plasma
zu erhalten. Man muß sich aus diesem Grunde auf die mikro-
chemischen Methoden beschränken.
Eine verhältnismäßig genaue Gesamtanalyse ist dagegen
1881 von Reinke für das Protoplasma von Äthalien der Loh-
blüte (Fuligo varians) gemacht worden, und diese Analyse wird
auch in den meisten Learbüchern bei Besprechung der Chemie
des Protoplasmas angeführt in der Annahme, daß ein wesentlicher
Unterschied zwischen höheren und niederen Pflanzen nicht be-
steht. Es war nun interessant, einen Vergleich zwischen den
Ergebnissen der mikrochemischen Untersuchungen und der
makrochemischen Analyse durchzuführen. Zu diesem Zwecke
mußte aber vor allen Dingen gezeigt werden, daß tatsächlich die
chemische Konstitution des Protoplasmas bei höheren Pflanzen
und Myxomyceten nicht wesentlich verschieden ist. Ich be-
diente mich dabei der künstlichen Verdauung mit Pepsin-HCl
und Trypsin. Beide Enzyme haben keine besonders spezifische
Wirkung, greifen aber doch nur bestimmte Gruppen von Eiweiß-
stoffen an. Biedermann!) hat nun gezeigt, daß das Plasma der
1) W. Biedermann, Beitrag zur vergleichenden Physiologie der
Verdauung VII (Pflügers Arch. 194).
H. Walter: Chemische Konstitution des Protoplasmas. 87
höheren Pflanzen bei künstlicher Verdauung sich sehr eigentümlich
verhält, indem nicht vorher extrahiertes Plasma überhaupt nicht
angegriffen wird, nach der Extraktion mit Alkohol, Äther und
Chloroform aber Pepsin nur unvollständig verdaut, bei Behand-
lung mit Trypsin dagegen rasch vollständige Auflösung eintritt.
Unter den niederen Pflanzen verhielten sich Pilze, Diatomeen
und einige Grünalgen ebenso. Spirogyra und die von mir
untersuchte Hefe!) dagegen zeigte ein ganz anderes Verhalten.
Wenn also, wie es die folgenden Versuche auch zeigen, Myxo-
mycetenplasma sich ebenso, wie das der höheren Pflanzen ver-
hält, so kann man mit einiger Sicherheit behaupten, daß die
chemische Konstitution derjenigen der höheren Pflanzen wenig-
stens nahe steht.
Die Versuche wurden mit der gewöhnlichen Lohblüte (Fuligo
varians), welche aus dem Lohehaufen einer Gerberei stammte,
ausgeführt, und zwar sowohl mit Sklerotien wie auch mit Plas-
modien. Als Verdauungsenzyme dienten die Präparate von
Grübler & Co.-Trypsin sicc. und Pepsin purissimum. Das Trypsin-
präparat wurde in 0,5%, Na,CO,-Lösung, das Pepsin in 0,3%,HCl
aufgelöst und die Wirksamkeit mit Fibrin geprüft. Verdaut
wurde in einem Thermostaten bei 40°C.
Versuchsserie I.
Plasmodien und Sklerotien, lebende oder nur durch Kochen
getötete wurden mit Pepsin und Trypsin 24 Stunden behandelt.
Es ist keine deutliche Veränderung wahrzunehmen, nur der
gelbe Farbstoff ist zum Teil herausgelöst und in alkalischer Flüssig-
keit schwach bräunlich geworden. Die makrochemische Unter-
suchung der Verdauungsflüssigkeit ließ auf keine wesentliche
Verdauung schließen. Auch die mikroskopische Untersuchung
zeigt keine deutliche Veränderung, — die Zellen der Sklerotien
sind mit Plasma gefüllt, die Umrisse der Plasmodien scharf
erhalten geblieben. $
Die Sklerotien und Plasmodien wurden nun 1 Stunde in
kochendem Alkohol absolutus, dann 2 Tage mit Äther extrahiert
und schließlich in Chloroform aufbewahrt. Vor den Versuchen
wurden sie erst mit Alkohol abs., dann mit Wasser ausgewaschen.
1) H. Walter, Das Verhalten der Hefezellen gegen Proteasen
(Pflügers Arch. 181).
88 H. Walter:
Zerdrückt man solche extrahierte Sklerotien, so zerfallen sie
leicht in die einzelnen Zellen, aus denen sie bestehen. Diese
haben eine mehr oder weniger rundliche Form und einen fein-
körnigen plasmatischen Inhalt. In vielen Zellen befindet sich eine
Abb. 1. Abb. 2.
große Vakuole, wobei das Plasma oft sichelförmig 3 Wänden
anliegt, wie es Abh. 1 zeigt. Außerdem fallen noch andere Zellen
auf, die bei der Extraktion ihren Farbstoff nicht ganz abgegeben
haben und deshalb gelblich erscheinen. Sie sind weniger durch-
sichtig und haben eine derbere Membran (Abb. 2).
Versuchsserie II.
Solche isolierte Zellen von extrahierten Sklerotien werden
unter dem Mikroskop mit Trypsin bei 40° verdaut. Der Inhalt
wird allmählich immer durchsichtiger und nach 2 Stunden sind
die meisten Zellen entleert. Es verbleiben nur die leeren Mem-
branen. Die derbwandigen Zellen sind auch jetzt resistenter und
werden fast gar nicht angegriffen. Behandelt man ganze extra-
hierte Sklerotien im Reagensrohre längere Zeit mit Trypsin,
so werden sie auch immer durchsichtiger und zerfallen in einzelne
Flocken. Bei Betrachtung dieser Flocken unter dem Mikroskope
hat man ein aus polyädrischen Zellen bestehendes Gewebe vor
sich. Die meisten Zellen sind vollkommen leer. Bei den verblie-
benen Membranen konnte ich im Gegensatz zu de Bary und
Zopf nicht nur mit Chlor-Zink-Jod, sondern auch mit Jod-
Jodkalium deutliche Violettfärbung beobachten. Von den Skle-
rotien wurden die bei der Extraktion fast vollkommen entfärbten
am leichtesten verdaut, braune dagegen schwerer angegriffen.
Chemische Konstitution des Protoplasmas. 89
Bei der Entstehung von Plasmödien aus Sklerotien scheinen
sich ebenfalls nicht alle Zellen gleich zu verhalten, denn nach
de Bary ‚führen die aus den Sklerotien frisch entstandenen
Plasmodien eine sehr große Menge unveränderter oder deutlich
(unter Bräunung des Pigmentes) abgestorbener Zellen in ihrem
Körnerstrome hin und her‘!).
Versuchsserie III.
Auf dieselbe Weise wurden Sklerotienzellen und Sklerotien
nach vorheriger Extraktion der Verdauung mit Pepsin-HCl
unterworfen. Die Zellen behalten dabei immer noch Zellinhalt,
aber das Plasma nimmt nicht mehr das
ganze Zellumen ein, sondern nur einen Teil,
so daß auch die Zellen mit sichelförmigem
Inhalt die Form, wie sie auf Abb. 3 darge-
stellt ist, annehmen. Der Zellinhalt wird
dabei etwas blasser. Die derbwandigen Zellen
werden nicht angegriffen. Dieses Verhalten
stimmt ganz mit demjenigen bei höheren
Pflanzen überein, denn bei plasmolysierten
und extrahierten Elodeablättern, die zur
Kontrolle genommen wurden, zeigte der Plasmaballen nach
Pepsin-HCl-Verdauung eine gleiche Volumabnahme. Die ganzen
Sklerotien wurden ebenfalls nicht so stark angegriffen wie nach
Trypsin-Verdauung. Sie zerfielen nicht in einzelne Flocken,
wurden aber so brüchig, daß sie beim Auflegen eines Deckglases
zerdrückt wurden.
Zum Vergleich wurden dieselben Versuche mit Plasmodien
ausgeführt. Zu diesem Zwecke wurde mit Plasmodien durch-
setzte Lohe in eine feucht gehaltene Glasschale gelegt. Die Plas-
modien krochen dann meist auf den Glasboden, konnten mit
einem Spatel abgehoben und sofort in Alkohol übertragen werden.
In einem solchen Plasmahaufen fließen die Pseudopodien nicht
zusammen, sondern durch das rasche Fixieren bleiben ihre Kon-
turen auch nach der Extraktion zum Teil scharf umgrenzt. An
ihnen konnte dann die Einwirkung der Enzyme am besten be-
obachtet werden.
Abb. 3.
1) de Bary, Die Mycetozoen (Schleimpilze) 1864. S. 103.
90 H. Walter:
Versuchsserie IV.
Extrahierte Plasmodien wurden von Trypsin vollkommen
verdaut. Es verblieben nur einzelne Verunreinigungen, die zum
größten Teile aus Lohestückchen bestanden, und eine schleimige
Grundmasse mit einzelnen kleinen, nicht näher definierbaren
Körnchen und zahlreichen Kalkkonkrementen (mit H,SO,
gaben sie schöne Gipsnadeln).. Die schleimige Masse wird
wohl mit der, von de Bary als Hülle bezeichneten identisch
sein; sie umgibt die Plasmodien und ist von der Randschicht
deutlich zu unterscheiden. Es handelt sich hier jedenfalls
um keinen Eiweißkörper. Die Verdauung war schon nach
2 Stunden zum größten Teil beendet.
Versuchsserie V.
Mit Pepsin-HCl blieb die Verdauung unvollständig. Zwar
wurden die Plasmodien sehr brüchig und zerfielen meist in ein-
zelne Stücke, doch waren die Konturen der Pseudopodien meist
noch scharf zu sehen.
Bei der Extraktion wurde für gewöhnlich auch der gelbe
Farbstoff fast vollkommen entfernt, doch blieben oft einzelne
Plasmodien mehr oder weniger braun gefärbt. Diese Braun-
färbung ist wohl auf Vorgänge zurückzuführen, die nach dem
Tode eintreten, denn tote Plasmodien zeigen immer eine deutliche
Verfärbung. Reinke macht gleichfalls darauf aufmerksam,
daß das Plastin schwer unzersetzt zu bekommen ist, und es sich
leicht bräunlich verfärbt, wobei diese Färbung nach Auswaschen
mit Wasser, Alkohol und Äther nicht verloren geht. Er führt
diese Vorgänge auf Oxydation zurück; tatsächlich konnte ich
beobachten, daß, wenn man ein Plasmahäufchen an der Luft
liegen läßt, die äußeren Schichten sich braun färben, während
die inneren noch gelb bleiben. Es fragt sich, ob es sich hier nur
um eine Veränderung des Farbstoffes handelt. Jedenfalls zeigten
solche Plasmodien, die wahrscheinlich schon vor der Behandlung
mit Alkohol abgestorben waren, eine viel größere Widerstands-
fähigkeit gegen die Enzyme, und wurden auch von Trypsin
nach Extraktion nur schwer verdaut. Nach der Behandlung mit
Alkohol ging die Verfärbung nicht weiter. Wahrscheinlicher
ist es, daß es sich um eine nach dem Tode eintretende Zer-
setzung der Phospho-Lipoide handelt, die nach Czapek an der
Chemische Konstitution des Protoplasmas. 91
Luft dunkeln. Durch diese Zersetzung könnte die Extraktion
unvollkommen sein, und dadurch wäre dann die schwere Ver-
daulichkeit verständlich. Zum Vergleich des verschiedenen Ver-
haltens will ich noch eine kurze Tabelle anführen:
Extrahierte (helle und braune) Plasmodien werden in 0,5%,
Na,CO,, 0,3%, HCl, Trypsin und Pepsinlösung gelegt und bei
40°C im Thermostaten gehalten:
Nach 24 Stunden:
l. Probe in Na,CO, und HCl nicht merklich verändert.
2. In Trypsin: die hellen Plasmodien gänzlich verdaut, die
dunklen teilweise angegriffen.
3. In Pepsin: helle Plasmodien deutlich angegriffen, die
dunklen fast unverändert.
Nach 48 Stunden:
1. In Na,CO, und HCl nicht merklich verändert.
2. In Trypsin: auch die braunen Plasmodien zum größten
Teil zerfallen und verdaut.
3. In Pepsin: helle Plasmodien in einzelne Stücke zer-
fallen, Verdauung geht nicht weiter, die dunklen merklich an-
gegriffen.
Stücke aus Na,CO, und die Reste aus dem Pepsin in Trypsin
übertragen — vollständige Verdauung. Aus HCl in Pepsin über-
tragen — teilweise Verdauung.
Wir sehen also, daß sich das Protoplasma der Myxomyceten
vollkommen analog dem Plasma der höheren Pflanzen verhält:
vor der Extraktion wird es weder von Trypsin noch von Pepsin
merklich angegriffen, nach der Extraktion tritt bei Trypsin-
behandlung vollkommene Verdauung, bei Pepsin nur teilweise
Verdauung ein.
Was für Schlußfolgerungen über die chemische Zusammen-
setzung des Plasmas lassen sich nun aus diesem Verhalten ziehen:
Da das Myxomycetenplasma sich den Verdauungsenzymen
gegenüber ebenso wie das der höheren Pflanzen verhält, was
lange nicht für alle Pflanzen zutrifft, so ist die Verallgemeinerung
der Resultate, die Reinke bei der Untersuchung des Plasmas
von Äthalien des Fuligo varians gewonnen hat, berechtigt.
Reinkes Ergebnisse waren nun folgende:
Das lebende Protoplasma besteht zu ?/, aus einer abpreß-
baren Flüssigkeit, dem Enchylemma von spezifischem Gewicht
92 H. Walter:
1,209 mit einem Eiweißgehalt von 7—8% und zu 1/, aus fester
Gerüstsubstanz. Der größere Teil der letzteren ‚besteht aus
einem der chemischen Zusammensetzung den Eiweißstoffen nahe-
stehender, aber unlöslichen Körper“ — dem Plastin.
Die lufttrockene Substanz macht 28,4%, des frischen Proto-
plasmas aus. Der Ätherextrakt beträgt 5,36—8,13%, der luft-
trockenen Substanz und besteht aus viel Paracholesterin und
wenig Cholesterin (zusammen 21%), Lezithin, flüssigen Fett-
säuren (Propionsäure, Buttersäure, Capronsäure, Caprinsäure)
und nicht flüchtigen (Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure).
Aus dem mit Äther erschöpften Plasma konnten mit Alkohol
noch Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure, ein terpenähnlicher
Stoff und ein Weichharz extrahiert werden.
Die Cholesterine, das Lecithin und das Harz scheinen haupt-
sächlich an die Gerüstsubtanz gebunden zu sein, denn die Ex-
traktion der letzteren allein ergab ebensoviel von diesen Stoffen,
wie die entsprechende Menge der lufttrockenen Substanz.
Die meisten Fettsäuren waren nicht als Glyoeride sondern
frei im Plasma enthalten.
6,13%, der lufttrockenen Substanz bestanden außerdem
aus fettsauren Calciumsalzen, die nur zum Teil in den Alkohol-
extrakt übergingen.
Ich habe diese äther- und alkohollöslichen Lipoide so genau
angeführt, weil die Verdauungsversuche zeigen, daß ihnen eine
große Bedeutung zukommt, indem vor ihrer Entfernung die
Eiweißstoffe überhaupt nicht von den proteolytischen Enzymen
angegriffen werden.
Wodurch kommt nun diese schützende Wirkung der Lipoide
zustande ?
Eine einfache. Durchtränkung mit Lipoiden kann die Ein-
wirkung der Verdauungsenzyme noch nicht verhindern, wie man
aus folgenden Versuchen sieht:
Mit Rüböl, Lecithin und Cholesterinlösungen durchtränktes
Fibrin wurde getrocknet, 24 Stunden bei 40° mit Trypsin verdaut
und mit entsprechenden nicht vorbehandelten Fibrinproben
verglichen. Es zeigte sich kein wesentlicher Unterschied. Alle
Proben zeigten die Adamkewicz-Hopkinsche Reaktion, starke
Tryptophanreaktion mit Bromwasser, starke Biuretreaktion und
nach Einengen Leuzinkugeln und Tyrosindrusen,
Chemische Konstitution des Protoplasmas. 93
Für eine chemische Verbindung der Eiweißstoffe mit Lipoiden
trat Lepeschkin ein!): |
Das Plasma ist gewöhnlich schwerer zum Koagulieren zu
bringen als Hühnereiweiß; bei Zusatz von gut wasserlöslichen
organischen Stoffen ist die Wirkung auf die Koagulation von
Plasma und Hühnereiweiß die gleiche. Ein ganz anderes Ver-
halten aber beobachten wir bei Zusatz von lipoidlöslichen Stoffen.
Es zeigt sich. daß je mehr ein Stoff in Lipoiden und je weniger er
in Wasser löslich ist, in desto geringerer Konzentration bringt er
das Plasma im Vergleich zum Hühnereiweiß zum Koagulieren.
Z. B. für Tradescantia discolor Äther in 3mal, Chloroform in
7mal, Benzol in 10mal und Thymol in 21 mal geringerer Kon-
zentration; für Spirogyra werden die entsprechenden Verhältnisse
3, 10, 17 und 41 sein. Dieses abweichende Verhalten des Plasmas
den lipoidlöslichen Stoffen gegenüber erklärt Lepeschkin
dadurch, daß er annimmt, daß die Eiweißkomponente des Plas-
mas mit den Lipoiden in lockerer Verbindung steht. Die lipoid-
löslichen Stoffe werden sich nach den Verteilungskoeffizienten
in den Lipoiden ansammeln, so daß sie tatsächlich in viel höherer
Konzentration auf die Eiweißstoffe einwirken werden und dadurch
deren Koagulation hervorrufen können.
Mir scheint es, daß diese Versuche ebenso verständlich sind,
wenn man keine chemische, sondern eine Adsorptionsverbindung
annimmt. Sowohl Eiweißkörper als auch Lipoide sind Kolloide,
also Stoffe, die ein starkes Adsorptionsvermögen zeigen. Eine
chemische Verbindung zwischen Eiweißstoffen und Lipoiden ist
bis jetzt nicht bekannt. Die aus verschiedenen Geweben gewon-
nenen Lecithalbumine zeigen eine äußerst stark wechselnde
Zusammensetzung und wie A. Mayer gezeigt hat, kann man
durch Mischen einer kolloidalen Lecithinlösung mit einer schwach
sauren Lösung von Eier- oder Serumalbumin einen Niederschlag
erhalten, der in allen Eigenschaften den natürlichen Lecith-
albuminen sehr ähnlich ist und als eine komplexe Adsorptions-
verbindung aufgefaßt werden muß.
Jedenfalls sind Lipoide im Plasma stets in größeren oder
kleineren Mengen vorhanden. Wir können sie deshalb nicht zu
1) Lepeschkin, Zur Kenntnis der chemischen Zusammensetzung
des Plasmamembran (Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 29, H. 5).
94 H. Walter:
den Reservestoffen rechnen, sondern müssen sie als zur Kon-
stitution des Plasma gehörig ansehen.
In den meisten Arbeiten wird in der Hauptsache immer nur
der Gehalt der Plasmahaut an Lipoiden betont. Um das Zustandc-
kommen einer solchen Lipoidhaut .zu erklären, hat Czapek in
neuerer Zeit das Gibbs-Thomsonsche Theoren herangezogen, indem
er ausführt, daß die oberflächenaktiven Stoffe, zu denen vor allen
Dingen die Lipoide gehören, sich in den äußersten Schichten des
Plasmas in relativ hoher Konzentration ansammeln müssen. Ohne
näher auf die weiteren Schlußfolgerungen, die Oberflächenspannung
der Plasmahaut betreffend, einzugehen, will ich nur erwähnen.
daß Czapek zu dem Schluß kommt, daß ‚die Plasmahaut eine
konzentrierte Fettemulsion darstellt, welche gleichzeitig für Wasser
und hydrophile Stoffe gut durchlässig sein kann“‘!).
Diese Anschauung von Czapek kann uns aber nicht die
Schutzwirkung der Lipoide gegenüber den Verdauungsenzymen
erklären. Angenommen, die Verdauungsenzyme könnten nicht
durch die äußere lipoidreiche Haut in das Innere des Plasmas '
eindringen, wodurch dieses vor deren Einwirkung geschützt wäre.
šo ist es doch ausgeschlossen, daß beim Absterben, das immer
mit einer Koagulation des Plasmas verbunden ist, diese äußere
Haut unversehrt bleibt. Ein Riß in der Haut müßte aber die
Schutzwirkung aufheben, und wenigstens einzelne Zellen müßten
ihren Inhalt bei der Verdauung verlieren. Daß tatsächlich solche
Risse in gewissen Fällen entstehen, davon kann man sich leicht
überzeugen. Legt man Elodeablätter in eine ziemlich starke Salz-
lösung, die Plasmolyse hervorruft, so bleibt die Kontur des
Plasmaballens glatt und scharf abgegrenzt. Nach einiger Zeit
aber tritt Koagulation ein, wobei sich im Inneren des Plasma-
ballens zuerst cin farbloser Teil absondert, bis schließlich die
Plasmahaut gesprengt und die Flüssigkeit aus der Vakuole
herausgestoßen wird. Der Plasmaballen sinkt dabei zusammen
und seine Konturen werden weniger scharf und unregelmäßig.
Trotzdem werden auch solche Zellen nicht merklich verdaut.
Noch einleuchtender sind die Versuche mit Myxomyceten-Plas-
modien. Die großen Plasmodien könner bei den Versuchen natür-
lich niemals unversehrt bleiben, dessen ungeachtet tritt keine
1) Czapek, Über eine Methode zur direkten Bestinnmung der Ober-
flächenspannung der Plasnıahaut von Pflanzenzellen 1911.
Cheinische Konstitution des Protoplasmas. 95
merkliohe Verdauung vor der Extraktion ein. Wir müssen somit
annehmen, daß die Lipoide nicht nur in der Plasmahaut vor-
handen sind, sondern daß das ganze Plasma innig von
ihnen durchdrungen ist. Dieses muß man schon allein
aus dem Umstande schließen, daß die lipoide Plasmahaut
eine mikroskopisch nicht nachweisbare Dicke hat, während
doch in einer Zelle oft erhebliche Mengen vor Lipoiden vor-
kommen.
Ich glaube deshalb Czapeks Anschauung folgendermaßen
erweitern zu müssen. Das Plasma ist nach der jetzigen all-
gemein angenommenen Anschauung ein Emulsionskolloid. Ein
solches Kolloid hat aber nicht nur eine äußere Oberfläche, mit
der es ans Außenmedium grenzt, sondern eine viel größere innere
Oberfläche, die sich aus den Oberflächen zwischen dem Dispersions-
mittel und den einzelnen dispersen Teilchen zusammensetzt. Schon
Quincke hat darauf aufmerksam gemacht, daß wässerige Kolloid-
lösungen die Eigenschaft haben, gleichzeitig zwei Lösungen zu
bilden, eine kolloidreiche Lösung A und eine kolloidarme Lösung
B, die nebeneinander bestehen und an ihrer gemeinsamen Grenz-
fläche eine Oberflächenspannung zeigen!).“ Haben wir also im
Plasma oberflächenaktive Stoffe, so werden sie sich nicht nur
in der äußeren Plasmahaut ansammeln, sondern um jedes Eiweiß-
teilchen wird sich eine ähnliche lipoide Membran bilden, die es
vor dem Einwirken der Verdauungsenzyme schützen wird. Da
nun die Eiweißkolloide an und für sich auch oberflächenaktiv sind,
so können sıe sich an der Periphefie des Plasmas ebenfalls in
etwas größerer Konzentration ansammeln, da jedoch die Lipoide
in viel höherem Grade oberflächenaktiv sind, so werden sie immer-
hin überwiegen. Wir kommen somit zu der Ansicht, daß, wenn
auch die Lipoide sowohl an der Oberfläche als auch im Inneren
des Plasmas vorhanden sind, doch eine gewisse Differenzierung
der Plasmahaut, wie sie Pfeffer in seiner Arbeit ‚Untersuchung
der Plasmahaut und der Vakuolen’ annehmen zu müssen glaubt,
bestehen kann. Der Unterschied wird nicht so viel ein qualita-
tiver als ein quantitativer sein, ebenso wird auch der Unterschied
in den Permeabilitätsverhältnissen der Plasmahaut und des Innen-
plasmas sein. Es sei aber gleich bemerkt, daß zwingende Beweise
1) Rhumbler, Das Protoplasma als phys. System (Ergebnisse der
Physiologie 1914, S. 516).
96 H. Waiter:
für die Annahme einer die Permeabilität bestimmenden Plasma-
haut kaum vorzubringen sind.
Wir haben uns also die Konstitution des Plasmas schematisch
als eine kolloidale Lösung mit mikroskopischen oder ultramikro-
skopischen Eiweißteilchen vorzustellen. Die Eiweißteilchen, be-
sonders die kleineren (da mit abnehmender Teilchengröße die
Oberflächenaktivität zunimmt), werden an der äußeren Ober.
fläche (Plasmahaut, Vakuolenhäute) dichter liegen, wodurch ein
Gelatinieren mit teilweiser Verfestigung (Plasmameınbran) statt-
finden kann. Außerdem werden um jedes Eiweißteilchen regel-
mäßig Lipoidteilchen angeordnet sein, wodurch vielleicht eine
den chemischen Verbindungen nahestehende Adsorptionsverbin-
dung zustande kommen kann. Eine Ansammlung von Lipoid-
teilchen muß auch an der äußeren Oberfläche stattfinden. Da die
Eigenschaften der äußeren Oberfläche sowohl vom Zustande des
Plasmas als auch von dem des Außenmediums abhängen, so wird
bei Änderung des ersteren oder des letzteren die Plasmahaut
sich gleichfalls verändern. Ebenso muß die Plasmahaut sofort
verschwinden, wenn sie ins Innere des Plasmas gelangt und wird
sich sofort neu bilden, wenn Teile des Innenplasmas ans Außen-
medium grenzen werden. Durch diese äußerst feine Verteilung
der Lipoide im Plasma wird es verständlich, daß sie selbst in fett-
reichen Samen im normalen Zustande mikroskopisch nicht nach-
weisbar sind (Ölplasma von Tschirch). Setzt man dagegen
äußerst stark oberflächenaktive Stoffe hinzu wie Alkohol abs.,
Chloralhydrat, Amylenhydrat-Pyridin Reagens (nach Czapek),
so werden die Lipoide aus den Oberflächen verdrängt und sammeln
sich in Form von großen Tropfen im Inneren der Zelle an — es
tritt tropfige Entmischung ein. Biedermann und Czapek!)
zeigten, daß man auf diese Weise bei den verschiedensten Pflanzen
und in den verschiedensten Pflanzenteilen Lipoide nachweisen
kann. Eine tropfige Entnmischung muß ebenfalls eintreten, wenn
durch Degeneration des Plasmas die Oberflächen zerstört werden.
Auf diese Weise läßt sich das überaus häufige Auftreten der Fett-
tropfen in Zellen von Gallen, Intumeszenzen, Perldrüsen usw.
1) W. Biedermann, Mikroskop. Beobacht. an den Blattzellen
von Elodea (Flora 1913). Derselbe, Der Lipoidgehalt des Plasmas bei
Nonotropa hyp. und Orobanche (Flora 113). Czapek, Zum Nachweis
von Lipoiden in Pflanzenzellen (Ber. d. deuisch. bot. Ges., 37, S. 207).
Chemische Konstitution des Protoplasmas. 97
erklären, oft bei Pflanzen, bei denen sie sonst nicht vorkommen,
wie auch das häufige Auftreten von Fettropfen in alten Glycerin-
Gelatinepräparaten.
Ein wesentlich anderes Verhalten den Verdauungsenzymen
gegenüber zeigt, wie ich in einer früheren Arbeit nachwies!), die
Hefe, indem sie bereits in unextrahiertem Zustande verdaut wird.
Es ist interessant, daß nach Kisch die Oberflächenspannung der
Plasmahaut gerade bei den Hefen um vieles. geringer ist als bei den
anderen Pflanzen. Czapek folgert daraus, daß bei der Hefe
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Neutralfette die äußere
Plasmahaut bilden, sondern Lecithine und Cholesterine, deren
maximale Oberflächenspannungserniedrigung bedeutend größer ist.
Vielleicht stehen diese beiden Beobachtungen in ursächlichem
Zusammenhang. Das Neutralfett müßte sich in diesem Falle,
wie es auch tatsächlich zutrifft, in Form von Fettropfen im
Inneren des Plasmas ansammeln. Es zeigt sich nun, daß diese
Fettropfen vor der Verdauung nicht extrahierbar sind und diese
wie auch andere Beobachtungen machen es wahrscheinlich, daß
ein Eiweißhäutchen um die Fettropfen vorhanden zu sein scheint.
Die Bildung von solchen Schutzhäutchen um suspendierte Teil-
chen ist bei den Kolloiden eine sehr häufige Erscheinung. Man
kann solche Häutchen um emulgierte Fettröpfchen künstlich her-
stellen, indem man zu einer Fettemulsion etwas Seifenlösung
(Seifenhäutchen) oder auch Eiweißlösung zusetzt.
Wenden wir uns nun der anderen Komponente des Plasmas,
den Eiweißstoffen zu. Wie bereits erwähnt, hat Reinke gefunden,
daß der größere Teil des Protoplasmas aus einem den Eiweiß-
stoffen nahestehenden Körper, dem Plastin besteht. Von den ge-
wöhnlichen Eiweißstoffen weicht es durch seinen geringen Stick-
stoffgehalt (12%,) und den Gehalt an Phosphor (2,15%) ab. Der
Schwefelgehalt wurde zu 0,33%, bestimmt. Reinke nimmt an,
daß es sich um einen an eine organische Verbindung gebundenen
Eiweißstoff handelt.
Der Begriff des Plastins ist in letzter Zeit stark angegriffen
worden. Man wies darauf hin, daß es kein einheitlicher Körper sei,
ja man bezweifelte selbst seine Eiweißnatur. So sagt z. B. Arthur
Meyer in seiner kürzlich erschienenen Analyse der Zelle: ‚Das
1) H.Walter).c.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 7
e
98 11. Waiter:
Wort Plastin sagt also gar nichts über die chemische Zusammen-
setzung der betreffenden Gebilde aus, ist ganz gleichwertig mit
Verdauungsrest und der Schluß, daß die Verdauungsreste Nucleo-
- oder Phosphorproteide sind, ist gewagt i).“ Ich glaube, daß, nach-
dem gezeigt worden ist. daß mit Trypsin eine vollkommene Ver-
dauung stattfindet, an der Eiweißnatur des Plastins nicht mehr
gezweifelt werden kann. Dagegen läßt sich bei der überaus großen
Unsicherheit, die heutzutage leider noch immer auf dem Gebiete
der Eiweißchemie herrscht, nicht viel Genaueres sagen. Interessant
ist es, daß das Plastin nur vom Trypsin restlos verdaut wird,
bei Pepsin-HCl-Einwirkung dagegen immer ein deutlicher Rest
nachbleibt.
Vergleicht man die bekannten Eiweißstoffe in bezug auf
ihr Verhalten dem Pepsin und Trypsin gegenüber, so sind es
gerade die Nucleo- und Phosphorproteide, die ein gleiches Ver-
halten zeigen wie das Plastin. Durch Trypsin werden beide voll-
kommen abgebaut, bei Pepsin-HCl-Einwirkung dagegen wird
bei ersterem ein Teil der Eiweißstoffe abgespalten, der Rest, das
sog. Nuclein, scheidet sich aber aus. Auch bei den Phosphor-
proteiden bleibt ein unlöslicher phosphorhaltiger Komplex
zurück. Vergleicht man auch die anderen Reaktionen und den
Gehalt an P und S, so kann man sagen, daß von den bisher be-
kannten Eiweißstoffen, das Plastin den Nucleoproteiden und ins-
besondere den Phosphorproteiden am nächsten steht. wenn es
auch kein einheitlicher Körper zu sein braucht.
Die einfachen Eiweißkörper oder die Eiweißkörper im engeren
Sinne dagegen kann man nicht als zur Konstitution des Plasmas
gehörig ansehen, denn sie fehlen dem lebenden Plasma meist
vollkommen. Nur nach Behandlung mit starken Säuren oder
Alkalien oder durch hohe Temperaturen kann man eiweißartige
Substanzen abscheiden. Näheres findet man in den Arbeiten von
Winterstein und Ruppel, sowie in den Zusammenstellungen
bei Zacharias und Arthur Meyer?). Auch in den Fällen, wo
1) A. Meyer, Morphol. u. physiol. Analyse der Zelle I. 1920. S. 500.
2) A. Meyer l. c. Zacharias, Die chem. Beschaffenh. von Proto-
plasma und Zellkern (Progressus rei bot. 3). Ruppel. Zur Chemie der
Tuberkelbazillen (Zeitschr. f. phys. Chemie 1898/99). Winterstein,
Über N-haltige Bestandteile grüner Blätter (Ber. d. deutsch. bot. Ges.
1901). Derselbe, Über N-haltige Stoffe der Pilze (Zeitschr. f. phys.
Chemie 26. 1898/99).
Ohemische Konstitution des Protoplasmas. 99
einfache Eivweißkörper im Plasma vorhanden sind, hat man sie
als Reservestoffe oder wenigstens als Plasmaprodukte aufzufassen.
Wir kommen somit zu folgenden Ergebnissen:
1. Das Plasma von Myxomyceten verhält sich den Verdauungr-
enzymen gegenüber nicht anders als das der höheren Pflanzen:
vor der Extraktion bleiben sowohl Pepsin als auch Trypsin un-
wirksam, nach Extraktion mit Alkohol abs., Äther und Chloro-
form tritt bei Pepsin-HCl-Behandlung nur teilweise, mit Trypsin
dagegen völlige Verdauung ein.
2. Aus dem gleichen Verhalten den Verdauurngrenzynıen
gegenüber, kann man auf eine ähnliche chemische Konstitution
schließen.
3. Das Plasma besteht aus einer durch Trypsin verdaubaren
Eiweißkomponente, dem Plastin, das den Phosphorproteiden nahe
zu stehen scheint, und einer die Einwirkung der Verdauungs-
enzyme verhindernden Lipoidkomponente.
4. Die Lipoide befinden sich im ganzen Plasma in äußerst
fein verteiltem Zustande, nur nach tropfiger Entmischung werden
sie sichtbar. Da es kein Plasma zu geben scheint, dem sie voll-
kommen fehlen, so wird man sie als zur Konstitution des Plasmas
gehörig ansehen müssen.
5. Einfache Eiweißkörper fehlen dem Plasma oder sind als
Reservestoffe aufzufassen.
Die Bedeutung der Hämoglobin-Aminosäuren für die
Züchtung der Influenzabaecillen.
Von
Martin Jacoby und Käte Frankenthal.
(Aus dem Biochemischen Laboratorium des Krankenhauses Moabit in Berlin.)
(Eingegangen am 17. Juni 1921.)
Die Lehre von den Vitaminen hat sich immer mehr in der
Richtung entwickelt, daß die Nahrung der Organismen außer
den Hauptbestandteilen von calorischem Wert noch besondere
Steffe enthalten muß, die für die Bildung von Zellbestandteilen
mit Sonderfunktion notwendig sind.
Zu Vitaminstudien sind Bakterien sehr geeignet, weil bei
ihnen durch die Möglichkeit, zahlreiche, gleichmäßige Versuche
anzustellen, und durch die schnelle Entscheidung des einzelnen
Experimehtes eine vereinfachte Methodik gegeben ist. Dieses
Vorgehen hat sich beim Studium der Rolle des Leucins für die
Ureasebildung durch Proteusbacillen bewährt!). Durch v. Eisler?)
wurde die Wirksamkeit des Leucins auch für die Toxinbildung
von Bakterien festgestellt. Diese interessante Bestätigung spricht
dafür, daß hier ein Prinzip von allgemeiner Geltung aufgedeckt
worden ist.
Es war also der Untersuchung wert, ob vielleicht einzelne
Aminosäuren entscheidend für die Entwicklung von bestimmten
Bakterien sind. Der Influenzabacillus konnte bedeutsam für diese
Frage sein, da er ganz besondere Ansprüche an den Nährboden
stellt, indem er nur auf hämoglobinhaltigem Nährboden wächst.
Das Hämoglobin ist in seiner Konstitution soweit bekannt, daß
man prüfen kann, auf welcher seiner Komponenten seine Wirk-
1) Jacoby, Über Fermentbildung, III. Diese Zeitschr. 81, 332. 1917.
2) Zentralbl. f. Bakteriol. 83, 353. 1919.
M. Jacoby u. K. Frankenthal: Bedeut. d. Hämoglobin-Anıinosäuren usw. 101
samkeit beruht. Es lag nahe, sein Hauptaugenmerk auf die Stoffe
zu richten, die vorwiegend im Hämoglobin vorkommen. Ein
solcher Stoff ist im Histidin gegeben. Abderhalden!) fand den
Histidingehalt des Pferdehämoglobins zu 10,96%, während in
den anderen Eiweißkörpern der höheren Tiere das Histidin fehlt
oder nur in geringer Menge vorhanden ist.
Daß der Influenzeabacillus nur auf bluthaltigem Nährboden gedeiht,
ist zuerst von dem Entdecker des Bacillus Pfeiffer?) festgestellt worden.
Pfeiffer untersuchte auch bereits, welcher Teil des Blutes dabei das wirk-
same Prinzip darstellt. Als allein wirksam fand er das Hämoglobin, während
auf reinem Serum kein Wachstum zu erzielen war. Eine Zerlegung des
Hämoglobins nahm Pfeiffer nicht vor, sondern er untersuchte nur, ob
die Wirksamkeit auf der sauerstoffübertragenden Eigenschaft beruht. Die
Untersuchung zeigte, daß das Kohlenoxyd-Hämoglobin ebenso wirksam
‚ist wie das Sauerstoff-Hämoglobin. Pfeiffer schloß daraus, daß das Eisen
wahrscheinlich der für den Influenzabacillus lebenswichtige Faktor ist.
Auf Eisenalbuminat konnte er jedoch kein Wachstum von Influenza-
bacillen erzielen.
Grassberger?) fand zuerst, daß das Wachstum der Influenzabacillen
durch andere Bakterien besonders durch den Staphylococcus pyogenes
aureus gefördert: werden kann.
Ghon und Preyss*) beobachteten Influenzawachstum sowohl
auf Nährboden, der Hämatin enthielt, als auch auf solchem, dem frisch
gefälltes Eisenhydroxyd, in Blausäure gelöst, zugesetzt war; in beiden
Fällen jedoch nur in der Umgebung von gleichzeitig ausgesäten Hilfs-
bakterien. Sie schließen, daß der lebenswichtige Faktor der Teil des
Blutes ist, der Eisen in leicht abspaltbarer Form enthält. Fine Zer-
legung des Hämoglobins nahmen auch sie nicht vor.
In neuerer Zeit haben sich die französischen Forscher Legouse
und Menard’) mit der Biologie des Influenzabacillus beschäftigt. Es
gelang ihnen sowohl aus frischen Erythrocyten wie aus solchen, die mit
Alkohol gefällt und getrocknet waren, bei 80° eine Fraktion zu extra-
hieren, die anstatt Hämoglobin geeignet ist, Peptonbouillon zu einem
guten Influenzanährboden zu gestalten.
Ferner ist die Arbeit von Wolf®) zu erwähnen, der ohne Hämo-
globinzusatz, nur durch die fördernde Wirkung bei 60° abgetöteter Hilfs-
bakterien Influenzawachstum auf Agar bekam. °
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie 37, 484. 1903.
s) Pfeiffer, Die Ätiologie der Influenza. Zeitschr. f. Hyg. u. Infek-
tionskrankh. 13, 356.
2) Zentralbl. f. Bakteriol. 23.
4) Zentralbl. f. Bakteriol. 35.
8) Cpt. rend. hebdom. des séances de l’acad. des sciences 190, 901. 1920.
%) Zentralbl. f. Bakteriol. 84.
102 M. Jacoby und K. Frankenthal: Bedeutung der Hämoglobü:-
Olsen!) fand einen Parallelismus zwischen der Benzidinreaktion. von
Blutderivaten, die nur bei eisenhaltigen Derivaten vorhanden und ihrer
Eignung für das Influenzawachstum. Spektroskopisch wies er nach, daß
Influenzabacillen Oxyhämoglobin zu Hämoglobin reduzieren. Im Gegen-
satz zu Pfeiffer nimmt er an, daß die katalytische Wirkung des Hämo-
globins das Wesentliche für das Influenzawachstum ist.
Schließlich erschien naoh, während unsere Versuche im Gange waren,
eine Mitteilung von Tocunaga®), der Influenzawachstum auf eisenfreiem
Globinagar fand.
Für unsere Versuche benutzten wir einen Influenzastamm,
den uns Herr Dr. Lewinthal zur Verfügung gestellt hatte. Für
seine Freundlichkeit sagen wir ihm auch an dieser Stelle besten.
Dank. Die Fortzüchtung geschah auf dem Lewinthalschen
Nährboden, auf dem der Influenzabacillus stets üppig wächst.
Um die Reinheit unserer Kulturen fortlaufend zu kontrollieren,
wurde bei jeder Überimpfung auf ein Lewinthalröhrchen auch
ein Agarröhrchen geimpft. Auf diesen Röhrchen wurde niemals
Wachstum beobachtet. Frau Professor Rabinowitsch hatte
auf unsere Bitte die Liebenswürdigkeit, unsere Kulturen fortlaufend
zu besichtigen. Sie hat uns die Reinheit unserer Kulturen be-
stätigt. Auch ihr danken wir bestens für ihre Bemühung:
In den ersten orientierenden Versuchen überzeugten wir uns
davon, daß auf Agar mit Zusatz von reinem Serum kein Influenza-
wachstum nachweisbar war, während auf Hämoglobin- und Blut-
agar stets üppiges Wachstum stattfand. Dabei war es eine große.
technische Erleichterung, daß sich das käufliche, Mercksche Hämo-
globin in gleicher Weise wirksam erwies wie das aus frischem Blut
dargestellte. |
Wir wandten uns nun der Frage zu, welcher Bestandteil
des Hämoglobins als wirksames Prinzip anzusprechen ist. In
Bestätigung der Angaben vonLegouse und Menard fanden wir,
daß auf dem bei 80° erhaltenen Kochsalzextrakt von Erythro-
cyten mit Bouillon ein Wachstum zu erzielen ist, wenn auch weit
schwächer als auf Blutnährboden. :
Alsdann gingen wir zu Spaltungsversuchen des Hämoglobins
über und prüften zunächst im Hinblick auf die Angaben Tocu-
nagas die Wirksamkeit des Globins, also des eisenfreien Eiweiß-
bestandteiles des Blutfarbstoffes. Bei der Herstellung des Globin«
1) Zentralbl. f. Bakteriol. 85.
23) Dtsch. med. Wochenschr. 1920, Nr. 49.
Aminosäuren für die Züchtung der Influenzabacillen. 103
folgten wir möglichst genau den Angaben Tocunggas, konnten
aber mit dem erhaltenen Präparat in wiederholten Versuchen
niemals Influenzawachstum erzielen. Auch ein Globinpräparat,
das wir nach der Methode von Schulz!) darstellten, erwies sich
als durchaus unwirksam. Dagegen erfolgte auf dem von Tocu-
naga für praktische Zwecke angegebenen Nährhoden, der das
gesamte Blut in aufgespaltener Form enthält, gutes Influenza-
wachstum.
Schließlich untersuchten wir noch die eisenhaltige Kompo-
nente des Hämoglobins, das Hämatin, das wir nach der Methode
von Zeynek?) darstellten. Auf dem mit diesem Hämatin be-
schickten Agar konnten wir in Übereinstimmung mit zahlreichen
früheren Autoren ohne Hilfsbakterien kein Influenzawachstum
erzielen.
Obwohl das Globin in unseren Versuchen versagt hatte,
waren wir uns doch darüber klar, daß trotzdem die Spaltprodukte
wirksam sein könnten, weil ja die Angreifbarkeit durch Bakterien
oft von scheinbar unbedeutenden Momenten abhängt. Zunächst
richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Histidin, das, wie
erwähnt, im Hämoglobin in erheblicher Menge vorkommt, während
es sonst im Organismus der höheren Tiere nur spärlich vertreten
ist. Wir. verzichteten darauf, es selbst aus dem Hämoglobin zu
isolieren, da uns ein reines, käufliches Präparat zur Verfügung
stand. Wir verwendeten Histidinhydrochlorid in 1 proz. wässeriger
Lösung in der Menge von 1—2 ccm auf 10 ccm Agar. Das Histidin-
Agargemisch wurde kurz aufgekocht und die Röhrchen dann
schräg erstarrt. Auf diesem Nährboden konnte in zahlreichen
Versuchen ein deutliches Wachstum vor Influenzabacillen erzielt
werden und zwar wurden die Kulturen durch 3 Generationen
fortgezüchtet. Dann wurden die Versuche abgebrochen. Bei
jeder Überimpfung von Histidinagar auf Histidinagar wurde
gleichzeitig auf Lewinthalnährboden und auf gewöhnlichen Agar
überimpft. Jedesmal ergab sich Wachstum auf Lewinthalnähr-
boden und zwar erheblich üppiger als auf Histidin, während das
Agarröhrchen vollkommen steril blieb. Das mikroskopische Bild
zeigte das typische Bild des Influenzabacillus.
Ein zweiter, interessierender Baustein ist das Leucin, das
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie %. 1898.
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie 30. 1900.
104 M.Jacoby u. K. Frankenthal: Bedeut. d. Hämoglobin-Aminosäuren usw.
zu 30%, im Hämoglobin vertreten ist. Wir benutzten eine 3 proz.
Lösung von Leucin, das aus Eiweiß dargestellt war (Kahlbaum).
Es löste sich in der Wärme klar. Wir nahmen, wie beim Histidin,
1—2ccm auf 10 ccm Agar. Auch auf diesem Leucinagar erfolgte
typisches Influenzawachstum, wenn auch spärlicher als auf
‘Histidin. Die Kulturen wurden ebenfalls durch 3 Generationen
fortgezüchtet, waren auf Lewinthalagar, aber nicht auf Agar
übertragbar.
Auf einem Gemisch von Histidin und Leucin im Verhältnis
1:3, das also den Mengenverhältnissen im Hämoglobin angenähert
‚ ist, gelang die Züchtung in gleicher Weise wie auf Histidin allein.
Ein verstärktes Wachstum gegenüber den Histidinkulturen trat
nicht auf. Ebenso war weder auf dem Histidin — noch auf dem
Leucinnährboden eine Wachstumsbegünstigung bei Zusatz von
Hämatin oder von kolloidem Eisen vorhanden.
Unsere Untersuchungen ergeben also, daß im Influenza-
nährboden das Hämoglobin durch die Aminosäuren,
welche in seinem Eiweißanteil quantitativ in erster
Linie vorkommen, vertretbar ist. Keineswegs soll aber
behauptet werden, daß damit nun alle das Influenzawachstum
begünstigenden Eigenschaften des Hämoglobins erschöpft sind.
Wichtig ist aber, daß wir jedenfalls im Histidin und im Eiweiß-
leucin Aminosäuren besitzen, welche ausreichen, um den Agar-
nährboden zu einem Influenzanährboden auszugestalten.
Diese Feststellung hat aber ein Interesse, welches weit über
das begrenzte Gebiet des Bakterienwachstums hinausgeht. Wir
sehen den Fortschritt auf dem Vitamingebiet in Befunden, welche
in eine Reihe mit der grundlegenden Entdeckung von Hopkins
über die Bedeutung des Tryptophans für die tierische Ernährung
gestellt werden können. Einen ersten Schritt bedeutete die
Aufklärung der Rolle des Leucins für die Ureasebildung der Pro-
teusbakterien, einen weiteren die Wichtigkeit der Anwesenheit
des Histidins oder des Leucins für die Entwicklung der Influenza-
bacillen. Geht man auf diesen Wegen weıter, so wird das noch
unbekannte Gebiet allmählich so eingeengt werden, daß die
verschiedenen Forschungsrichtungen sich bald auf gemeinsamen
Treffpunkte werden vereinigen können.
Über Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit
der Erythrocyten.
II. Mitteilung.
Von
Wilhelm Starlinger.
(Aus der II. Medizinischen Universitätsklinik in Wien.)
(Eingegangen am 18. Juni 1921.)
In einer vorausgehenden Mitteilung!) konnte ich zeigen, daß
das Phänomen der Autoagglutination der Erythrocyten, gemessen durch
die Geschwindigkeit ihrer Senkung, hauptsächlich von den Eiweißkörpern
des Blutplasmas abzuhängen scheint, indem einerseits ein hoher Gehalt
an Fibrinogen, der gröbstdispersen Fraktion desselben, durch Förderung
der Agglutination die Senkung beschleunigt, während andererseits eiweiß-
spaltende Vorgänge, die eine Anreicherung der Eiweißabbauprodukte be-
wirken, durch Hemmung der Agglutination eine Verlangsamung der Sen-
kung zur Folge haben. Zur Deutung dieser Versuche wurde in Anlehnung
an die Herzfeld - Klingersche Theorie?), derzufolge eine Agglutination
erst eintreten kann, wenn die „Wasserbenetzbarkeit‘‘ der suspendierten
Teilohen, die durch Adsorption von wasserlöslichen Polypeptiden und
Lipoidspaltstüoken geschaffen wird, eine Störung erleidet, die Ansicht
vertreten, daß ein hoher Gehalt des Plasmas an Fibrinogen zur eigenen
Stebilisierung einen großen Teil der vorhandenen wasserlöslichen Abbau-
produkte an sich reißt, wodurch eine Verarmung der Erythrooytenober-
flächen mit konsekutiver Steigerung der Agglutinationstendenz und Sen-
kungsgeschwindigkeit eintritt, während eine Vermehrung der Abbaupro-
dukte durch Adsorption an die Erythrocyten eine Erhöhung der Wasser-
benetzbarkeit und damit der Suspensionsfähigkeit mit sich bringt.
Damit waren, nachdem Fahräus?) und Linzenmeiert) bis dahin
vorwiegend die elektro-physikalische Komponente des Vorganges experi-
mentell berücksichtigt hatten, nun auch Anhaltspunkte für die Beurteilung
der chemischen Komponente gegeben und dadurch neuerlich Beweise für
21) W. Starlinger, diese Zeitschr. 114. 1921.
2) Herzfeld und Klinger, diese Zeitschr. 83. 1917; 87. 1918.
s) Fahräus, diese Zeitschr. 89. 1918.
*) Linzen meier, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 181. 1920.
106 W. Starlinger:
die kolloid-ohemische Natur des Agglutinationsphänomens erbracht,
worauf als erster schon Landsteiner!) hingewiesen hatte, als er auf die
wahrscheinliohe Analogie der Vorgänge, die sich bei der Ausflockung
anorganischer Kolloide und bei der Hämagglutination abspielen, aufmerksam
gemacht hatte. Inzwischen sind auch Fahräus?) und Linzenmeier?)
noch vor Kenntnis unserer Versuche zu ähnlichen experimentellen Resul-
taten gekommen, denen sie allerdings eine andere Deutung zugrunde legen,
worauf im weiteren noch zurückzukommen sein wird.
Im folgenden seien nun Versuche mitgeteilt, die geeignet
erscheinen, das Wesen des Einflusses der Eiweißkörper weiter
zu klären. Auf die Wirkungsweise der Lipoide kann in dieser
Mitteilung noch nicht eingegangen werden und sollen diesbezüg-
liche Untersuchungen einer späteren Veröffentlichung vorbehalten
bleiben.
Nachdem einerseits sowohl Fahrä.us (I. c.) als auch Linzen-
meier (l. c.) den Einfluß des Fibrinogens auf die Verklumpung
und Senkung der roten Blutkörperchen erkannt :haben, welches
Ergebnis durch Untersuchungen von Sachs und Öttingen‘)
weitere Bescätigung fand, andererseits aber Linzenmeier und
Sachs und Öttingen die quantitative Bedeutung der Fibrinogen-
fraktion gegenüber ihrer qualitativen vernachlässigen zu können
glauben, während ich den primären Einfluß der Menge des Fibri-
nogens nachweisen konnte, erscheint vor allem eine Klarstellung
nach der Hinsicht wichtig, ob die Menge oder der Stabilitäts-
zustand desFibrinogens von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Fahräus fand, daß die Größe der Globulinfraktion des Plasmas,
die als wichtigsten Bestandteil das Fibrinogen enthält, mit Agglutination
und Senkung parallel geht, ein Ergebnis, das wohl mehr im Sinne der quan-
titativen Auffassung verwertbar zu scin scheint. Linzenmeier dagegen
konnte durch verschiedene Einwirkungen physikalischer Natur erliobliche
Änderungen der Agglutination durch die veränderte Senkung der roten
Blutkörperoben nachweisen, wofür er in Anlehnung an die bekannten
chemisch-physikalischen serologischen Arbeiten von Sachs und seiner
Schule’) eine Änderung im Dispersitätszustande des Fibrinogens verant-
wortlich machte. Sachs und Öttingen schließlich konnten feststellen,
daß bei Schwangeren-, Normal- und Nabelschnurplasma merkwürdige
1) Landsteiner, Münch. med. Wochenschr. 1903. 1904.
2) Fahräus, Vortrag auf der Tagung der deutschen phvsiologischen
Gesellschaft in Hamburg 1920; zit. Ber. d. ges. Physiol. 2. 1920.
3) Linzenmeier, Pflügers Arch. f. d: ges. Physiol. 186. 1921.
4) Sachs und Öttingen, Münch. med. Wochenschr. 12. 1921:
5) Sachs. Kolloid-Zeitschr. 24. 1919.
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 107
Differenzen im Ausfall verschiedener Flockungsreaktionen des Fibrinogens
auftreten, die zur Senkung der Erythrocyten in dem Sinne koordiniert
sind, daß das Plasma des schnell sedimentierenden Schwangerenblutes
starke Flockung zeigt, das Plasma des langsam sedimentierenden Nabel-
schnurblutes höchstens eine feinste Trübung erkennen läßt, während die
im Plasma des hinsichtlich seiner Senkungstendenz die Mitte haltenden
Normalblutes auftretende Reaktion den Übergang bildet. Die Ursache
sollte ausschließlich im differenten Stabilitätszustande des Fibrinogens
liegen.
Obwohl nun kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der
chemisch-physikalische Zustand des Fibrinogens für den Ablauf
von Reaktionen, die es mittel- oder unmittelbar beeinflußt, von
nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, so darf man doch keines-
falls seine Quantität darüber vernachlässigen. Darauf weist ja
schon die einfache Erwägung hin, daß in«inem Plasma, in dem
Fibrinogen nur in kleinsten Mengen vorhanden ist, kaum jene
Zahl und Größe der Flocken zu beobachten sein wird, wie in einem
anderen, fibrinogenreichen, eine Erwägung, die ihre experimentelle
Stütze ja schon in den geschilderten Versuchen von Sachs und
Öttingen selbst findet, da das Schwangerenplasma einen hohen,
das Normalplasma einen niedrigen Gehalt an Fibrinogen besitzt,
während das Nabelschnurplasma dieses fast vollkommen entbehrt.
Ich selbst konnte in zahlreichen Versuchen, über die demnächst.
berichtet werden soll, einenausgesprochenen Parallelism us
zwischen Menge des Fibrinogens und Intensität der
Flockungsreaktionen beobachten und ebenso auch ein ent-
sprechendes Schwächerwerden der Ausflockung bei
künstlicher stufenweiser Verringerung des Fibrinogens
nachweisen. Es scheint also danach wohl angängig zu sein, die
Ansicht von der ausschlaggebenden Bedeutung der Menge des
Fibrinogens für Reaktionen, die durch dasselbe in hohem Maße
beeinflußt werden, in unserem Falle für das Hämagglutinations-
und Flockungsphänomen, ausdrücklich zu vertreten. Daß daneben
der physikalisch-chemische Zustand eine große Rolle spielt, gerade
was die hier zu behandelten Stabilisationsvorgänge anlangt, ist
auch vom Standpunkte der hier vertretenen Theorie ohne weiteres
verständlich, wenn man bedenkt, daß das Fibrinogen, je weniger
stabilisiert es ist, um so mehr Abbauprodukte an sich ziehen wird.
Nachdem sich also die übereinstimmenden Befunde aller
Autoren ungezwungen für die Auffassung verwerten lassen, daß
108 W. Starlinger:
das Fibrinogen als der im Blute ausschlaggebenste Faktor für die
Autoagglutination der Erythrocyten anzusehen ist, schien es
naheliegend, zu untersuchen, auf welche Weise Stoffe, die beim
Zusatz zum Blut Agglutination und Senkung ändern, den normalen
Ablauf des Vorganges zu beeinträchtigen vermögen.
Schon Linzenmeier (l. c.) hat zu dieser Frage Stellung genommen
und eine Reihe von Stoffen ausfindig gemacht, die Agglutinstion und
Senkung teils fördern teils hemmen; die Deutung, die anfangs rein elektrisch-
physikalisch im Sinne einer Entladung der negativ elektrischen Erythro-
cyten bei der Förderung und einer Aufladung bei der Hemmung gegeben
wurde, erlitt später eine Modifikation in der Richtung, daß neben der
direkten Ent- oder Aufladung auch eine Art „Sensibilisierung“ der Ery-
throoyten im Sinne eines erleichterten Angreifens anderer senkungsbeein-
flussender Faktoren ohne unmittelbare Ladungsänderung bewirkt würde,
‘während schließlich eine weitere Gruppe von Substanzen weder eine Ladungs-
änderung herbeiführen, noch eine sensibilisierende Wirkung erkennen
lassen, trotzdem aber deutlichen Einfluß auf Agglutination und Senkung
nehmen.
Die elektrisch-physikalische Auffassung kann demnach nicht
mehr als Grundlage eines einheitlichen Erklärungsversuches
anerkannt werden, was auch nicht wundernimmt, wenn man
bedenkt, daß nicht alle Flockungsreaktionen von nachweisbaren
elektrischen Umladungen begleitet sein müssen.
Ich ging daher daran, verschiedene agglutinationsändernde
Stoffe gemäß den eingangs gegebenen Ausführungen in der
Richtung einer experimentellen Prüfung zu unterziehen, ob etwa
die der Senkungsänderung entsprechende Störung im Mechanismus
des Ablaufes durch Änderungen im Verhalten der une
des Blutes nachzuweisen wäre.
Vorausgeschickt sei, daB sich meine Beobachtungen hinsichtlich des
Einflusses der erwähnten Stoffe mit denen Linzenmeiers fast voll-
kommen decken: Ich konnte auf Zusatz von Kaolin, Bolus alba, Tierkoble
zum Blut stets eine Hemmung der Agglutination durch die Verlangsamung
der Senkung, auf Zusatz von Agar-Agar, Gummi acaciae, Gelatine eine
gesteigerte Agglutination durch die Beschleunigung der Senkung ebenso
wie auch im Mikroskop nachweisen. Nur hinsichtlich der Wirkung der
Stärke kam ich insofern zu einem anderen Ergebnis, als ich sie als fast
indifferentes Agens erkennen mußte, während Linzenmeier eine Sen-
kungsbeschleunigung beobachtete.
Zur Methodik im allgemeinen möchte ich nur kurz bemerken, daß
der Zusatz erst vor der zweiten Sedimentierung des wieder aufgeschüttelten
Blutes vorgenommen wurde, nachdem die erste einen gleichmäßigen Ablauf
‘der Senkung in allen Proben hatte erkennen lassen, eine Vorsichtsmaßregel,
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 109
die meines Erachtens nie außer acht gelassen werden sollte, da es nicht
selten vorkommt, daß trotz Einhaltung gleicher Kautelen sich das Blut in
einem Gläschen ganz verschieden verhält wie in dem anderen, was man
dann als durch den Zusatz bedingt anzusehen geneigt sein könnte. Nach
Beendigung der zweiten Sedimentierung kamen dann die Untersuchungen
des abzentrifugierten und abpipettierten Plasmas zur Durchführung.
Betonen möchte ich ferner noch in diesem Zusammenhange, daß bei Not-
wendigkeit exakter Vergleichsuntersuchungen, wie zum Beispiel in vor-
liegender Arbeit, es erforderlich erscheint, die Ablesung nach fixen Senkungs-
strecken und nicht nach fixen Senkungszeiten vorzunehmen, mag auch
das letztere Prinzip, das wegen seiner größeren Bequemlichkeit vorzuziehen
ist, für grob klinische Zwecke genügen. Unter Senkungsmittelwert (SMW),
der aus vergleichstechnischen Gründen eingeführt sei, verstehe ich das
arithmetische Mittel aus den 3 Senkungswerten für 6, 12, 18 mm.
Haben nun Kaolin, Bolus alba oder Tierkohle bei Zusatz zum
Blut eine Hemmung der Agglutination zur Folge, so war es ent-
sprechend der geschilderten Einflußnahme des Fibrinogens zu
erwarten, daß diese Stoffe letzteres durch Adsorption teilweise
entfernen. Bei Richtigkeit der Annahme mußte sich diese Ver-
ringerung des Fibrinogens sowohl in einer Herabsetzung des
Brechungsindex als auch in einer verminderten Flockung des
Plasmas nach der zweiten Sedimentierung ausdrücken. Das ist
auch ‚tatsächlich der Fall, wofür folgender Versuch als Beleg die-
nen soll. : u
Methodik: Vor der zweiten Sedimentierung werden 0,02 com Plasma
durch die gleiche Menge pulverisierten Kaolins, Bolus alba, Tierkohle
ersetzt, nun die Röhrchen durch 20 maliges Wenden wieder aufgeschüttelt
und das nach erfolgter zweiter Sedimentierung abzentrifugierte und ab-
pipettierte Plasma teils zur Bestimmung des Brechungsvermögens (Pulff-
richsches Eintauchrefraktometer), teils zur Anstellung der Flockungs-
reaktionen verwendet (0,2 Plasma + 0,2 ges. NaCl-Lösung oder 0,35 Plasma
+ 0,15 halbges. (NH,),SO,- Lösung oder Erwärmen auf 55° C für
5 Minuten).
Was die sonstigen Einzelheiten der Technik und ferner das Verhältnis
der zweiten zur ersten Sedimentierung betrifft, muß auf die erste Mitteilung
(i. œ.) verwiesen werden.
Wir sehen also, daß Kaolin, Bolus alba, Tierkohle nicht nur
bei einem der Sedimentierung vorausgehenden Ausschütteln des
Plasmas, wie in den Versuchen Linzenmeiers, sondern auch bei
unmittelbarem Zusatz zum Blut einen ausgesprochen .hemmenden
Einfluß erkennen lassen. Untersucht man das Plasma nach der
2. Senkung auf sein Brechungsvermögen, so erweist sich dieses
um so mehr herabgesetzt, je größer die Senkungsverzögerung in
110 W. Starlinger:
Tabelle 1.
£ | Versuchs- Versuchs- | Sed. Zeit in Min. — reg
E | inne werte (omaınamiünn| 8 [Pannag Marta
| |
1] 025%, | 18| 33 | 53 |35|wie bei der| 22 | 44 74 147| 68,5 | +- +
a-citr. I. Sediment.
J 0,8 Blut Zu |
2 | desgl. 18 | 33 | 54 [350,02 Piasma| 33 | 68 | 125 |75| 67,1 +
i ersetzt durch
0,02 pulver.
| aolin
3 desgl. 18 | 33 | 58 |3510,02 Plasma| 32 | 65 | 120 |721 67,3 -L
ersetzt durch
0,02 pulver.
Bolus
4 || desgl. 18 | 31 | 52 |34]0,02 Plasma| 28 | 53 | 97 |59] 67,7 L
ersetzt durch
0,02 pulver.
Kohle
Erscheinung getreten war. Es müssen also Bestandteile des Plas-
mas durch Adsorption an die erwähnten Stoffe beim Auszentri-
fugieren derselben mitentfernt worden sein. Daß es sich dabei um
Eiweißkörper handeln muß, erscheint durch die Tatsache erwiesen,
daß der Brechungsindex des Blutplasmas fast nur durch seinen
Gehalt an Eiweiß bedingt wird, daß es sich um das Fibrinogen
im besonderen handeln muß, geht aus dem Ausfall der Flockungs-
reaktion hervor, die wieder eine der Senkungshemmung parallel-
gehende Abschwächung erfährt. Man muß also wohl annehmen,
daß Kaolin, Bolus alba und Tierkohle ihre Agglutinations- und
senkungshemmende Wirksamkeit. dadurch entfalten, daß sie
einen großen Teil des Fibrinogens adsorbieren. Den weiteren Ab-
lauf des Mechanismus müßte man sich der hier vertretenen Auf-
fassung gemäß dann in der Weise vorstellen, daß durch die Ad-
sorption des Fibrinogens wasserlösliche Eiweißabbauprodukte
in großer Zahl frei werden, die dann der Stabilisierung der roten
Blutkörperchen zugute kommen.
Daß die Einflußnahme der zur Prüfung stehenden Substanzen
auf den Agglutinationsvorgang mittelbar über das Fibrinogen
erfolgt, geht auch daraus hervor, daß diese Stoffe im defibri-
nierten Blut eine ungleich schwächere Wirkung entfalten; daß
Agglutination und. Senkungsgeschwindigkeit. der Erythrocyten. II. 111
sie überhaupt noch eine erkennbare Hemmung zur Folge haben,
ist wohl dadurch zu erklären, daß sie durch Adsorption der hoch-
molekularen Eiweißkörper des Serums, also vorwiegend der
Globuline, einen dem durch die Fibrinogenadsorption bedingten
analogen, nur entsprechend verminderten Erfolg erzielen können.
Methodik: Vom entnonımenen Blut wurde ein Teil in der üblioben Weise
sofort, der andere erst nach Defibrinieren mittels Glasstabes zum Natrium-
citrat in die Röhrchen gefüllt; vor der zweiten Sedimentierung wurden die
Zusatzsubstanzen in der oben geschilderten Weise zum Citratplasma und
Citratserum zugefügt.
Tabelle Il.
|
|
|
= I. Sedimentieruug
& | Verstichs- | Sed. Zeit in Min. Sed. Zeit in Min. an
& — — 12mm; 18mm| & 8mm 12mm | 18mm SMW:
11 0,2 5% | 17| 27| 46; 30jwie bei der| 18 37 | 68 | 41 1,37
Na citr. I. Sediment. i
0,8 Blut |
21 desgi. | 16| 26] 45 | 2910,02 Plasma| 30! 85 | 141 | 85| 2,93
ersetzt durch
0,02 pulver.
Kaolin
3 desgl. 17| 26| 46 | 3010,02 Plasma] 28! 80 | 135 | 81 2,70
ersetzt durch |
b 0,02 pulver. |
Bolus
4| desgl. | 17| 27 | 46 | 30 0,02 Plasma] 20| 60 | 127 | 69 2,30
ersetzt durch
| 0,02 pulver. |
Kohle |
5 I 0,2 5°, 1210| 380 | 670 |420lwie bei der|210| 390 | 680 |427 1,06
Na ecitr. I. Sediment.
08 defibr
Blut 2
6 | desgl. |210| 380 : 670 14201002 Serum! 215 | 450 | 800 |488| 1.16
ersetzt durch
0,02 pulver.
| Kaolin 3
7 i| desgl. |210| 380 | 680 ‚423[0,02 Serum) 215 | 440 780 1478 1,13
ersetzt. durch |
~ 0,02 pulver. |
Bolus
8
ersetzt durch
0,02 pulver. !
Kohle |
desgl. |210| 380 | 680 |42310,02 Serum|210| 420 | 740 1457 1,07
112 W. Starlinger:
Bei Betrachtung des Versuchsergebnisses ist klar ersichtlich,
daß die hemmenden Agentia im Citratblut eine mehr als doppelt
verlangsamte Senkung gegenüber dem Kontrollcitratblut be-
dingen, während im defibrinierten Citratblut die Hemmung gegen-
über der Kontrolle nicht einmal ein Fünftel beträgt: Es tritt also
die Hemmung im defibrinierten Blut um das 10fache schwächer
in Erscheinung als im nichtdefibrinierten Blut, so daß es wohl
berechtigt sein dürfte, in diesem Versuche eine weitere volle
Bestätigung der früher gezogenen Schlüsse zu erblicken.
Nachdem auf diese Weise bewiesen war, daß die angeführten
agglutinationshemmenden Substanzen durch Beeinflussung des
Fibrinogens ihre Wirksamkeit entfalten, war es naheliegend zu
untersuchen, ob die agglutinationsfördernden Stoffe ihren An-
griffspunkt in den Abbauprodukten fänden, indem sie diese durch
Adsorption an sich reißen; dadurch würde unserer Vorstellung
gemäß eine Verarmung der Erythrocytenoberflächen an lösenden
Abbauprodukten mit konsekutiver Verminderung ihrer Wasser-
benetzbarkeit eintreten. Diese Annahme verlangte zu ihrer Sicher-
stellung experimentelle Ergebnisse, die bei gleicher Versuchs-
anordnung ein den früheren Resultaten entgegengesetztes er-
kennen ließen. Die refraktometrischen Untersuchungen waren
leider nicht durchführbar, weil die in Anwendung gebrachten
Substanzen, Agar-Agar, Gelatine, Gummi und Stärke im Plasma
teilweise gelöst werden, beim Auszentrifugieren also nicht mehr
vollständig zu entfernen sind und auf solche Weise den Brechungs-
index unberechenbar erhöhen. Dagegen ergaben die Flockungs-
proben ein ausgesprochen schnelleres und deutlicheres Auftreten
der Reaktion, mit Ausnahme bei Einwirkung der Stärke, die,
ebenso wie sie sich der Agglutination und Senkung gegenüber
indifferent verhält, auch den Flockungsvorgang nicht beeinflußt.
Da das Fihrinogen durch diese Zusätze nicht vermehrt werden
kann, andererseits aber doch die Flocken sowohl größer als auch
schneller ausfallen, kann die Erklärung wohl nur in einer chemisch-
physikalischen Zustandsänderung des Fibrinogens, bewirkt durch
die Zusatzsubstanzen, liegen. Nach der hier zur Diskussion ge-
stellten Theorie würde diese Zustandsänderung in einer Adsorption
von lösenden Eiweißspaltstücken an die zugefügten Stoffe seine
Ursache finden, was einerseits in der verminderten Stabilisierung
der Erythrocyten, andererseits des Fibrinogens zum Ausdruck käme.
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 113
Tabelle II.
——— —— — — — ——— m —— —
I. Sedimentierung II. Sedimetierung nach 35
Versuchs- Sed. Zeit in Min.
anordnung
Sed. Zeit in Min.
—
z|
E
3 | Versuchs-
Z anordnung
È |
|
mm h2 mm 18 mm
1 | 02 5%, | 22 | 35 | 57 |38|wie bei der 2 36
Na citr. I. Sediment.
0,8 Blut |
2 desgl. 23 | 36 | 59 |3910,02 Plasma | 22 |
ersetzt durch |
| | 0,02 pulver.
| Stärke
3 desgl. 22 | 35 | 57 |38]0,02 Plasma| 12
| ersetzt durch
| 0,02 pulver.
Gelatine
gl desgl. 22 | 34 | 57 |3810,02 Plasma| 11
ersetzt durch
0,02 pulver.
| Agar
23 | 35 | 58 |39]0,02 Plasma| 9
ersetzt durch
| 0,02 pulver.
|
|
5 desgl.
Gummi
Hatten die agglutinationshemmenden Stoffe im defibrinierten
Blut ihren Einfluß verloren, weil sie durch die Entfernung des
Fibrinogens keinen Angriffspunkt für die Entfaltung ihrer Wirk-
samkeit mehr vorfanden, so mußte der Einfluß agglutinations-
fördernder Substanzen auch im defibrinierten Blut unbehindert
in Erscheinung treten, wenn sie sich, wie oben ausgeführt, der
niederen Eiweißkörper und -spaltstücke, die ja durch das De-
fibrinieren nicht entfernt werden, im Rahmen ihres Wirkungs-
mechanismus bedienen. Und in der Tat verläuft die beschleunigte
Senkung auf Zusatz der erwähnten Stoffe im defibrinierten Blut
fast ebenso schnell wie im nicht defibrinierten, wofür folgendes
Versuchsprotokoll als Beispiel angeführt sei (s. Tabelle IV)
Daß Linzenmeier (l. o.) durch Histone und Protamine, Abder-
halden?) durch Organpepton eine ausgesprochene Steigerung der Agglu-
tinations- und Senkungstendenz bewirken konnten, ist bei der grobdispersen
hochmolekularen Natur dieser Eiweißkörper auch nach unserer Auffassung
‘wohl verständlich. _
1) Abderhalden, Fermentforschung, 4. 3. 1921.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 8
114 W. Starlinger:
Tabelle IV.
II. Sedimentierung nach 12h
L Sedimentierung
Versuchs- Bed. : Zeit in Min. Versuchs- Bed. Zeit in Min. | &
anordnung |6 mm 12 mm 18 mm anordnung 6 mm |12 mm|I8 mm >
100 | 240129
Na citr. I. Sediment.
0,8 Blut
2| desgl. 46 | 84 | 220|11710,02 Plasma| 52 | 105 | 2501136
ersetzt durch
| 0,02 pulver.
| Stärke
215'11410,02 Plasma| 25 | 48 97| 57
ersetzt durch
0,02 pulver.
Gelat.
215 114 0,02 Plasma| 22;
ersetzt durch
0,02 pulver.
Agar
215:11510,02 Plasma! 10 | 15 20| 15
ersetzt durch
0,02 pulver.
3: desgl. 45 82
i desg!. 45 | 82
sl desgl. | 45 | 83
| |
11 026% | 45 | 82 | 215|114|wie bei der| 48
Gummi
0,2 5%, | 225 | 540 ao 622įwie bei der| 230 : 600 | 1300/710
| Na citr. | I. Sediment.
10,8 defibr.
6
Blut
7i desgl. 230 , 558 |1100|62710,02 Serum | 240 | 620 | 1350 | 737
ersetzt durch
0,02 pulver.
Stärke |
3 desgl. 225 | 540 |1100162210,02 Serum! 35 | 60 | 820| 72
ersetzt durch
0,02 pulver.
Gelat.
11001622}0,02 Serum| 22 | 33 48| 35
ersetzt durch
0,02 pulver-
Agar
10) desgl. 225 | 540 I11100/622|0,02 Serum| 12 | 18 24| 18
ersetzt durch
0,02 pulver.
Gummi
Neben dieser hier geschilderten Möglichkeit des Wirkungs-
modus ist eine andere so wichtig, daß auf sie kurz eingegangen
werden muß; es darf nämlich nicht übersehen werden, daß es sich
bei den hier geprüften senkungsfördernden Substanzen um Stoffe
handelt, deren erhebliches Quellungsvermögen sie befähigt, große
91 desgl. 225 | 540
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. Il. 115
Mengen Wasser zu binden, das auf diese Weise anderen in Lösung
zu erhaltenden Bestandteilen des Plasmas entzogen wird. Die
Folge wird dann eben die Ausflockung der instabileren Elemente,
in unserem Falle der Erythrocyten und Fibrinogenfraktion sein,
genau so wie bei der Ausfällung von Eiweißlösungen durch gewisse
Salze die wirksame Ursache der Wasserentzug ist.
Wie sehr Eiweißabbauprodukte stabilisierend auf labile
disperse Phasen Einfluß nehmen, kann man unmittelbar durch
Zusatz solcher Stoffe zur Beobachtung bringen. Zu diesem Zwecke
wählte ich einerseits Tuberkuline verschiedener Herstellungsart,
andererseits ihre sie zusammensetzenden Bestandteile gesondert,
so daß bei vergleichender Betrachtung die Teilwirkung der ein-
zelnen Komponenten erkennbar wurde.
Deas gewöhnliche Alttuberkulin Koch stellt bekanntlich das Filtrat
des auf ein Zehntel des Volumens eingedampften 4 proz. Glyoerinextraktes
einer Bouillonkultur dar; es enthält also außer 40%, Glyoerin vorwiegend
niedrigmolekulare Eiweißkörper und -spaltstücke einerseits des Fleisch..
andererseits des Bacillenextraktes.
Nun wirkt schon das Glycerin an sich als Lipoidspaltstück
erheblich agglutinationshemmend, auf !/,, ihres Volumens ein-
gedampfte 4proz. Glycerinbouillon hat schon eine stärkere
Agglutinationsverminderung zur Folge, die schließlich durch
Tuberkulin selbst, das außerdem noch die Extraktivstoffe des
Tuberkelbacillus enthält, eine weitere Zunahme erfährt. Prüft
man so wie in den vorhergehenden Versuchen nach Ablauf der
zweiten Sedimentierung das Plasma auf sein Flockungsvermögen,
so ist ein adäquates Ergebnis zu verzeichnen: Fast aufgehoben
ist die Flockung im Tuberkulinplasma, schon deutlich stärker
im Gilycerinbouillonplasma und wieder deutlich verstärkt im
Glycerinplasma, das seinerseits eine erhebliche Verminderung
der Flockung gegenüber der Kontrolle aufweist.
Vergleicht man andererseits die Wirkung von Alttuberkulin
mit albumosenfreiem Tuberkulin, das bekanntlich aus Kulturen.
die auf eiweißfreiem Nährboden wuchsen, hergestellt wird, so
ergibt sich auch hinsichtlich Hämagglutination und Plasma-
flockung das erwartete Ergebnis in dem Sinne, daß das mit Alt-
tuberkulin versetzte Blut beide Phänomene in ungleich vermin-
dertem Ausmaß erkennen läßt gegenüber der Blutprobe, der
AF zugefügt wurde, wie die folgenden Versuchsprotokolle zeigen.
8*
116 W. Starlinger:
Tabelle V.
— — — —
I. Sedimentierung IL Sedimentierung nach 1% rn
Z ockung
E | versuchs. | Sed. Zeit in Min. = Versuchs. | Sed. Zeit in Min. z —
© T
& || anordnung je —R mm is mm| © anordnung mm1 mm|18 mm D | NaCl-Lös.
1
— —
0,2 6%, |18| 28 | 46 wie bei der 22| 36 | 60 | 39] +++
0,8 Blut I. Sediment.
2 | desgl. 19 | 29 | 47 0,05 Plasma| 83| 270 | 420 |258 +
ersetzt durch
0,05 ATK
3 desgl. |17| 27 | 45 0,05 Plasma| 65) 1; +
ersetzt durch
4 | desgl. r 27 | 45 ++
40°)
Glycerin
11 0,2 6%, | 30 | 57 | 87 |58 wie bei der) 34| 67 | 128 | 76| +++
Na citr. I. Sediment.
:0,8 Blut
\
2| desgl. | 30 | 58 | 89 |5910,06 Plasma! 170| 360 | 530 |353 +
| ersetzt durch
0,05 ATK
3| desgi. |29| 57 | 87 |68 0,05 Plasma! 67| 138 | 258 |154] +-
ersetzt durch
| | d d 0,05 AF o
Es bleibt nun noch der Einfluß der Temperatur auf die
Hämagglutination zu untersuchen, bei dem, wie schon aus Lin-
zenmeiers Versuchen hervorgeht, scharf zwischen der während
des Senkungsvorganges zur Geltung kommenden Temperatur-
einwirkung und der diesem vorausgehenden zu unterscheiden ist.
Verfolgt man die Agglutination in gleichen Blutproben bei ver-
schiedener Temperatur durch die Beobachtung der Senkungs-
geschwindigkeit, so nimmt diese mit steigender Temperatur zu.
Die Wärme beeinflußt also das Agglutinationsphänomen wie jede
andere chemische und chemisch-physikalische Reaktion nach
der RGT-Regel. Bringt man aber nun gleiche Blutproben nach
der bei gleicher Temperatur erfolgten ersten Sedimentierung für
die Zeit bis zur zweiten Sedimentierung in verschiedene Tem-
peratur, so tritt bei der zweiten Senkung das entgegengesetzte
Ergebnis in Erscheinung: Das in der niedersten Temperatur
belassene Blut agglutiniert und sedimentiert am schnellsten, das
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. II. 117
in der höchsten Temperatur verbliebene am langsamsten, was
Linzenmeier zuerst auf eine Art „Inaktivierung‘‘ des Plasmas,
später konkreter auf eine chemisch-physikalische Zustands-
änderung des Fibrinogens zurückführte. Bestimmt man nun nach
Ablauf der zweiten Sedimentierung das Brechungsvermögen des
Plasmas, so findet man zumeist eine beträchtliche Verminderung
desselben und zwar um so stärker, je höher die einwirkende
Temperatur gewesen war und je länger sie angedauert hatte. Zu-
gleich ist auch eine entsprechende Abschwächung der Flockung
nachweisbar, was auch schon Linzenmeier auf Zusatz von
destilliertem Wasser beobachtet hatte.
Tabelle VI.
z I. Sedimentierung I. Sedimentierung nach 12h
Ell Versuchs- | Sed- Zeit in Min. | 3 — Sed. Zeit in Min. | >
£ anorduung |6 mm |12 mmn 18 mm 2 anordnung |6 mm I2mmllsmm| &
14 0,2 5°% | 25 | 44 | 83 | 50 I Temperatur 32 | 60 | 110 | 67
N 20° C |
ESE
|
24 desgl. 25 | 43 | 82 | 50 Teatan 39 | 94 | 210 |114
59
21 | 33 | 52| 35
3 desgl. 26 | 44 | 84 | 51 | Temperatur
| | 37°C
Tabelle VII.
II. Sedimentierung nach 12h Brech. | Flockung
Versuche- Sed. Zeit in Min. | ;
anordnung 6 mm 12 mm !18 mm
0,2 5%, | 11 | 18 | 27 |19jZwischen I.u.| 14 | 25 | 46 | 28] 67,2 Tr
| anordnung 6 mm |12 mm!i8 mm ->
Na citr. U. Sed. hei
0,8 Blut 20° C
2 desgl. 11 | 18 | 27 ]191Zwischen I. u.| 11 18 | 28119] 682 | +++
II. Sed. bei
1 b°C
| desgl. 11 | 18 | 27 |19jZwischen I. u.| 80 | 158 | 290 11761 66,0 +
II. Sed. bei
37°C
Wenn wir nun aus diesen Befunden den Schluß ziehen, der
nach den früheren Ausführungen wohl ohne weiteres statthaft
ist, daß es sich nur um einen Abbau der Eiweißkörper im Citrat-
plasma handeln kann, worauf ich schon in der ersten Mitteilung
118 W. Starlinger:
hingewiesen habe, so erscheint die Deutung dieser Resultate
von selbst gegeben: Bei dem Abbau werden Fibrinogen und andere
hochmolekulare Eiweißkörper des Blutes gespalten und dadurch
die früher zur Löslicherhaltung benötigten Eiweißabbauprodukte
teilweise freigegeben, wodurch schon an sich Agglutination und
Senkung gehemmt werden; dazu kommt noch als weiterer und
wahrscheinlich ausschlaggebenderer Faktor die große Vermehrung
der hochdispersen Spaltstücke, die bei dem Abbau der großen
Moleküle zu fortschreitend kleineren neu entstehen, beides Vor-
gänge, die in gleicher Richtung wirken, indem sie die Agglutina-
tionstendenz und damit die Senkungsgeschwindigkeit herabsetzen.
Dadurch finden die Befunde Abderhaldens (L c.), der auf Dialyse
von Schwangeren- und Normalplasına eine verzögerte Senkung beobachtete,
auch von unserem Standpunkte eine befriedigende Erklärung, da in der
Zeit, die die Dialyse in Anspruch nimmt, reichlich Gelegenheit zum Abbau
von Eiweißkörpern gegeben ist, weloher außerdem noch in hervorragendem
Maße dadurch gefördert wird, daß durch die Dialyse ständig Abbeuprodukte
entfernt werden, was den Ablauf der Reaktion erheblich beschleunigen muß.
Zusammenfassend läßt sich also sagen:
l. Nachdem einerseits der ausschlaggebende Einfluß des
Fibrinogens auf Agglutination und Senkung der Erythrocyten
im Sinne der Förderung sichergestellt ist, andererseits bei Zusatz
hemmender Stoffe, wie Kaolin, Bolus alba, Tierkohle eine Ver-
ringerung des Fibrinogens durch Herabsetzung des Brechungs-
und Flockungsvermögens des Plasmas nachgewiesen werden
konnte, erscheint der Wirkungsmechanismus dieser Substanzen
in dem Vermögen, Fibrinogen zu adsorbieren, begründet; eine
Auffassung, die eine weitere Stütze darin findet, daß die Hemmung
im defibrinierten Blute fast nicht in Erscheinung tritt. Auf der
anderen Seite konnte die agglutinations- und senkungsfördernde
Wirksamkeit von Gelatine, Agar, Gummi durch die gleichzeitige
Stabilisationsverminderung des Fibrinogens im Sinne einer deut-
lich verstärkten Flockung desselben versinnbildlicht werden,
während der Zusatz von hochdispersen Eiweißabbauprodukten
in Form von Tuberkulinen verschiedener Herstellung und ihrer
Bestandteile die Suspensionsstabilität der roten Blutkörperchen
und gleichzeitig des Fibrinogens hervorragend erhöhte. Auf
Beeinflussung durch Wärme schließlich wurde einerseits, falls
die Einwirkung der erhöhten Temperatur den Agglutinations-
und Senkungsvorgang zeitlich begleitete, eine Förderung,
Agglutination und Senkungsgeschwindigkeit der Erythrocyten. U. 119
andererseits bei vorhergehender Einwirkung eine Hemmung der
Hamagglutination parallel zur Höhe der Temperatur beobachtet,
gleichzeitig aber auch eine entsprechende Herabsetzung des Bre-
chungs- und Flockungsvermögens des Plasmas festgestellt und
daraus auf einen Abbau der grobdispersen Eiweißmoleküle zu
hochdispersen geschlossen.
2.. Die theoretische Verknüpfung dieser experimentellen
Ergebnisse erscheint im Rahmen der früher vertretenen Auf-
fassung dadurch gegeben, daß einerseits die Erhöhung der Sus-
pensionsstabilität der roten Blutkörperchen, gekennzeichnet
durch die Hemmung der Agglutination und Senkung, auf Zusatz
von Kaolin, Bolus alba, Tierkohle durch das Freiwerden der bis
dahin an das Fibrinogen gebundenen wasserlöslichen Eiweiß-
abbauprodukte bedingt wird, welcher Wirkungsmodus in ver-
stärktem Maße bei unmittelbarer Vermehrung dieser Elemente
durch Zufügung von Tuberkulinen und ihren Bestandteilen oder
durch den wärmebegünstigten Eiweißabbau im Citratplasma
in Erscheinung tritt, während andererseits die Verminderüng der
Suspensionsstabilität mit konsekutiv gesteigerter Agglutinations-
tendenz und Senkungsgeschwindigkeit durch Gelatine, Agar,
Gummi teils in der Verarmung der Erythrocyten an ihren Abbau-
produkten durch Adsorption an die genannten Substanzen teils
in dem Wasserentzug durch deren Quellung begründet erscheint.
Über Sulfat- und Esterschwefelsäure in normalen und
pathologischen Körperflüssigkeiten.
Von
Wolfgang Heubner und Robert Meyer-Bisch.
(Aus dem Pharmakologischen Institut und der Medizinischen Klinik in
Göttingen.)
(Eingegangen am 18. Juni 1921.)
In weiterer Verfolgung der in 2 früheren Arbeiten!) über die
Folgen der parenteralen Schwefelverabreichung bei Gelenkerkran-
kungen aufgetauchten Probleme wurden Körperflüssigkeiten von
verschiedenen Kranken auf das Vorhandensein von Sulfat- und
Esterschwefelsäuren untersucht. Die Ergebnisse folgen unten.
Im Laufe der Arbeit ergab sich aber die Notwendigkeit, auch die
Verhältnisse beim Normalen zu überprüfen.
A. Untersuchungen an normalen Menschen.
1. Sulfatschwefel.
Soweit wir die Literatur übersehen, scheint von den meisten
Autoren angenommen zu werden, daß sich im Blutplasma keine
nachweisbaren Mengen Sulfationen finden und daß die in der
Asche gefundene Schwefelsäure ausschließlich von organischen
Schwefelverbindungen, natürlich in erster Linie vom Eiweiß,
abstammt. Mit dieser Annahme stimmt es durchaus überein,
daß man nach Enteiweißung menschlichen Serums durch gewöhn-
liche Hitzekoagulation beim Versetzen des sauren Filtrats mit
BaCl, niemals die Spur eines Niederschlags erhält. Demgegenüber
hat jedoch bereits Gürber?) diaJysables Sulfat im Pferdeserum
nachgewiesen und durch seinen Schüler Rosenschein zu 18—25
(im Mittel 22) mg H,SO, auf 100 ccm bestimmen lassen. Merk-
1) Meyer - Bisch, Münch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 17; Robert
Meyer-Bisch und E. Basch, diese Zeitschr. 118.
2) Gürber, Verhandl. d. phys.-med. Ges. zu Würzburg 1893/%;
Habilitationsschrift Würzburg 1904, Salze des Blutes.
W. Heubner u. R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure usw. 191
würdigerweise scheint diese Feststellung in der Literatur wieder
verlorengegangen zu sein. Jedoch hat vor einigen Jahren S. de
Boer!) das Ultrafiltrat von Rinderserum analysiert und 21,6 mg%
H,SO, gefunden. Um selbst ein Urteil zu gewinnen und diese
Angaben für menschliches Serum nachzuprüfen, analysierten
wir das Dialysat von solchem auf Sulfat.
Einer 37jährigen Frau, die in unserer Klinik wegen sekun-
därer Schrumpfniere mit Retinitis albuminurica behandelt wurde,
wurden am 22. IV. 1921 300 ccm Blut aus der Vene entnommen.
Von dem gewonnenen Serum wurden 75 ccm in Dialysierschläuchen
von Schleicher & Schüll gegen destilliertes Wasser unter häufiger
Erneuerung bis zur Chlorfreiheit dialysiert, was etwa 14 Tage
in Anspruch nahm. Fäulnis trat nicht ein. auch sonst keine sicht-
liche Veränderung des Serums. Das Dialysat wurde auf dem
Wasserbade eingetrocknet, der Rückstand mit salzsaurem Wasser
aufgenommen, filtriert und mit BaCl, gefällt, der reichliche
Niederschlag auf einem kleinen Barytfilter gesammelt, in einem
sehr kleinen Porzellantiegel geglüht und auf einer Pregl - K uhl-
mannschen Mikrowage gewogen. Er betrug 0,04284 g, was
24,0 mg H,SO, in 100 ccm Serum entspricht. Der Versuch bildet
daher eine unerwartet gute Bestätigung der Angaben von Gürber
sowohl wie von de Boer. Die nunmehr 3mal unabhängig von-
einander gewonnenen Befunde zwingen zu dem Schlusse, daß
Sulfationen in beträchtlicher Menge in der Blutflüssigkeit vor-
kommen, daß sie jedoch bei der gewöhnlichen Enteiweißung
vollständig durch das Coagulum adsorbiert und festgehalten
werden.
In genau gleicher Weise wurden daraufhin 2 Exsudate seröser
Höhlen auf Sulfat untersucht, mit dem Ergebnis, daß sie 15 bis
16 mg H,SO, auf 100 ccm enthielten.
1. Pleuraexsudat. 24jähriges Mädchen, das wegen Pleuritis exsudat.
sin. in die Klinik aufgenommen wurde. Punktion am 1{. IV. 1921 ergab
hellseröses, reichlich Lymphocyten enthaltendes Exsudat.
75ccm der Punktionsflüssigkeit wurden bis zur Cl-Freiheit dialysiert.
Im Dialysat, das nach der oben angegebenen Methodik behandelt wurde,
fanden sich 0,0266 g BaSO,, das sind 14,9 mg H,SO, auf 100 ccm berechnet.
2. Ascitesflüssigkeit. 48jährige Frau. Diagnose Polyserositis, reich-
licher Ascites. Am 19. II. wurde deshalb Bauchpunktion nötig. Punktat
enthielt reichlich Lymphocyten.
1) Journ. of physiol. 51, 211. 1917, zit. nach Malys Jahresber. 1917.
122 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure
60 ccm der Punktionsflüssigkeit wurden bis zur Chlorfreiheit dialy-
siert. Im Dialysat fanden sich 0,02298 BaSO,, das sind 16,1 mg H,SO,
auf 100 ccm berechnet.
Diese Befunde bestätigen dieam Blutegewonnenen
Ergebnisse in erwünschtester Weise.
2. Esterschwefel;
Im Gegensatz zu der bisherigen, zweifellos irrigen Lehrmeinung
über das anorganische Sulfat der Körperflüssigkeiten ist seit den
Arbeiten von Zanetti!) in den Lehrbüchern allgemein angenom-
men, daß im Blutplasma sich Schwefelsäureester finden, die unter
der Bezeichnung ‚Serummukoid“ gehen und deren organischer
Paarling zu den Eiweißabkömmlingen gehört und nähere Be-
ziehungen zur Chondroitinschwefelsäure erkennen läßt, insofern
er wie diese einen Kohlenhydratkomplex enthält. Bei Gelegenheit
der obenerwähnten klinischen Untersuchungen wurde ermittelt,
daß solche Schwefelsäureester in beträchtlicher Menge im Blute
von Menschen auftreten, die mit pärenteralen Schwefelinjektionen
behandelt waren (vgl. unten S. 123), während in gleichen Mengen
Serum vom Normalen keine Spur davon nachzuweisen war, was
übrigens mit den Angaben mehrerer früherer Untersucher durchaus
übereinstimmt [Langstein, Bywaters?)].
Im Hinblick auf diesen Befund schien es von Interesse, die
obenerwähnten pathologischen Exsudate auch auf derartige
Esterschwefelsäuren zu untersuchen. Dies geschah in der Weise,
daß der in den Dialysierschläuchen hinterbliebene Rückstand mit
etwa 5% HCl einige Stunden?) im Rückflußkühler gekocht,
danach filtriert und im Filtrat BaSO, bestimmt wurde. Es ergab
sich für das Pleuraexsudat 3,4 und für die Ascitesflüssigkeit 5,9 mg
H,SO, auf 100 ccm berechnet.
Die Menge veresterter Schwefelsäure ist also geringer als die
Menge anorganischen Schwefels in den gleichen Exsudaten. Von
dem Pleuraexsudat wurde außerdem noch der Gesamtschwefel-
gehalt zu 0,093% und der Stickstoff zu 0,890% bestimmt. Das
Exsudat charakterisiert sich dadurch als ein stark entzündliches.
1 Zanetti, Malys Jahresber. der Tierchemie 27, 31. 1897.
2) Bywaters, diese Zeitschr. 15, 322 und 344.
3) Pleuraexsudat 8 Stunden, das andere 4 Stunden.
in normalen und pathologischen Körperflüssigkeiten. 123
B. Untersuchungen an schwefelbehandelten Patienten mit Gelenk-
alfektionen.
I. Blut.
Wie oben bereits gestreift, wurde eine wichtige Abweichung
vom Normalen im Biutserum von Gelenkkranken gefunden, die
zu therapeutischen Zwecken mit intramuskulären Injektionen von
5—10ccm lproz. Aufschwemmung (+ Lösung) von elementaren
Schwefel in Olivenöl behandelt worden waren. Wurde das hydro-
lysierte Filtrat des enteiweißten Blutserums mit BaCl, versetzt.
so trat zuweilen sofort eine deutliche Trübung ein oder es setzte
sich wenigstens im Laufe einiger Zeit ein Niederschlag ab. Die
Reaktion war in 5 von 7 untersuchten Fällen positiv, in 4 nicht-
behandelten absolut negativ. In 2 behandelten Fällen blieb die
Reaktion ebenfalls aus. Es zeigte sich aber ein Zusammenhang
zwischen der Reaktion und dem Eintritt der klinischen Allgemein-
erscheinungen, die früher genauer geschildert wurden!): und zwar
lagen die 2 negativen Fälle am Anfang und Ende der Reaktions-
periode. während die übrigen näher ihrem Kulminationspunkte
lagen, der gewöhnlich gegen Ende des ersten Tages erreicht zu
werden pflegt.
In 2 Fällen wurde das ausgefallene BaSO, gewogen.
Das Verfahren war folgendes: Nach reichlichem Aderlaß wurde nach
spontaner Gerinnung das ausgepreßte Serum in einer Menge von 200 oom
mit dem 3fachen Vol. Wasser verdünnt und mit NaCl und Essigsäure
versetzt, zum Kochen erhitzt und unter Nachwaschen mit Wasser filtriert.
Das Filtrat wurde mit !/, Vol. 10 proz. HCl versetzt, auf kleiner Flamme
in Verlauf von einigen Stunden stark eingeengt und mit BaCl, versetzt.
Fall 2. Christine S.?2) Aderlaß 22 Stunden nach der ersten Schwefel-
injektion. Gefunden 16 mg BaSO, entsprechend 3,4 mg H,SO, in 100 oom.
Fall 5. Stanislawa G. Aderlaß einen Tag nach der Injektion. Ge-
funden in 200 com Serum 0,001 BaSO, = 0,2 mg H,SO,.
2. Gelenkpunktat.,
In einem Fall trat unerwarteterweise kurze Zeit nach der
3. Schwefelinjektion ein frischer Erguß in einem Gelenk auf, das
zwar bei Beginn der Erkrankung mäßige Schmerzhaftigkeit gezeigt
hatte, aber schon seit 6 Wochen völlig schmerzfrei gewesen war.
1) Meyer- Bisch I. c.
3) Die beiden Fälle entsprechen den in der klinischen Arbeit (Me yer-
Biach l. c.) unter der gleichen Nummer angeführten Patienten.
124 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure
Die Punktion ergab 30 ccm eines trübserösen, reichlich polymorph-
kernige Leukocyten enthaltenden Exsudates, von dem 22 ccm
für eine analytische Untersuchung verwertet werden konnten.
Das Material erschien im Hinblick auf die Art der untersuchten
Erkranküngen, wie auch auf die bekannten chemischen Eigentüm-
lichkeiten des Knorpels (Chondroitinschwefelsäure) besonders
wertvoll und wurde daher sorgfältig auf Sulfat- und Esterschwefel-
säure analysiert.
Der Verlauf des Falles war folgendermaßen:
Nikolaus M., 22 Jahre. Diagnose: Polyarthritis rheumat. chron.
Bei der Aufnahme am 25. XI. 1920 starker Druck- und Bewegungsschmerz
im rechten Ellenbogengelenk und in beiden Fußgelenken, geringer Druck-
schmerz in beiden Kniegelenken. Am 4. XII. sind nach Atophan- und
Lichtbogenbehandlung die Kniegelenke frei beweglich und schmerzfrei, die
Beschwerden in den anderen Gelenken sind unverändert. Am 7. I. 1921
Schwefelinjektion; danach wesentliche, aber nur mehrere Tage anhaltende
Besserung. Am 18. I. 2. Schwefelinjektion. Am 19. abends Temperatur
38,5°, am 20. abends 38,2°. Vom 21. I. ab ist die Temperatur völlig normal.
Am 24. zeigt sich eine Schwellung des rechten Kniegelenkes, „Tanzen“
der Patella. Am 25. I. Gelenkpunktion. Das Punktat erweist sich bak-
teriologisch als steril (Hygienisches Institut Göttingen).
Bei der Aufarbeitung verfuhren wir wie folgt:
22 ccm wurden mit !/, Vol. 96 proz. Alkohol versetzt; dabei schieden
sich stark gelbliche Flocken ab. Versuch zur Filtration blieb vergeblich:
dickes, schleimiges, stark fadenziehendes Material. Reaktion gegen Lackmus
deutlich alkalisch.
Deshalb wurde es mit 3fachen Vol. Wasser verdünnt, mit Essigsäure
eben angesäuert, worauf sich feste Flocken eines weißen, klebrigen Körpers
abschieden, z. T. am Glasstab ansetzten und zusammenballen ließen. Der
Rest wurde zentrifugiert, der Niederschlag einmal mit schwach essigeaurem
Wasser gewaschen.
Zentrifugat + Waschwasser = 94 ocm.
A. Niederschlag (Mucin).
Der Niederschlag wurde in Schälchen gebracht, auf dem Wasserbad
getrocknet: Gewicht = 0,469 g. Der Trockenrückstand darauf zerrieben
und gepulvert (unter Verlust), danach Gewicht = 0,383. Bei 105° bis zur
Gewichtskonstanz getrocknet = 0,360 g. Davon zur Hydrolyse: 0,356 g
= 81% der Gesamtmenge.
Nach 3stündiger Hydrolyse wurde filtriert, das Filtrat mit BaCl,
gefällt. Der Niederschlag wog 0,00169, das ergibt umgerechnet auf die
ursprüngliche Menge getrockneten Mucins: 0,00209 BaSO, = 0,00088 H,SO,
(= 0,2% ).
in normalen und pathologischen Körperflüssigkeiten. 125
B. Zentrifugat (94 com).
Das Zentrifugat, das beim Erhitzen ausflookte, bei Zusatz von !/, Vol.
Alkohol sich trübte, wurde gegen oft erneuertes destillierves Wasser bis zur
Chlorfreiheit dialyaiert.
I. Dialysat wurde auf dem Wasserbad eingetrocknet. Dabei schied
sich etwas Eiweißkoagulat ab. Der Rückstand wurde in salzsaurem Wasser
aufgenommen, filtriert. Das Filtrat wurde auf ca. 15 ccm eingeengt, mit
5 Tropfen 10 proz. HCl und BaCl, versetzt. Der reichliche Niederschlag wog:
0,01373 BaSO, = 0,00578 H,SO,.
II. Der Dialysierrückstand wurde filtriert. Das Filtrat war fast
klar, nur mit der Lupe waren noch kleine Flocken sichtbar. Von der
Gesamtmenge — 122 ccm — wurde ein aliquoter Teil — 10 ccm —
zur Trockne gebracht: Rückstand -= 0,058 g = 0,7076 g Gesamttrocken-
rückstand.
Zu den übrigen 112 ccm wurden NaCl und Essigsäure zugesetzt, das
Ganze dann gekocht, der Niederschlag auf der Zentrifuge von der über-
stehenden Flüssigkeit getrennt und mehrfach mit essigsaurem Wasser
gewaschen. Die Waschwässer wurden getrennt aufgehoben.
Von der ursprünglichen Flüssigkeit (,Mutterlauge‘‘) wurden nach
Trennung vom Koagulum 73 ccm gewonnen. Davon wurden 10 com in
einer Glasschale zur Gewichtskonstanz eingetrocknet. Der Rückstand
(0,0704 g) wurde danach mit Wasser aufgenommen und die Menge des
zugesetzten NaCl titrimetrisch bestimmt (= 0,05800 g). Der organische
Trockenrückstand des Zentrifugats betrug also 0,124%..
Das gesamte Waschwasser wurde auf einer Schale zur Gewichtskonstanz
eingedampft = 0,1174. Der NaCl-Gehalt, in derselben Weise wie vorher
bestimmt, betrug 0,083, der organische Trockenrückstand des Waschwassers
also insgesamt: 0,0344.
Der Gesamttrockenrückstand des nichtkoagulierten Teils des Dialysier-
rüokstandes betrug demnach: 0,1249 g, woraus sich als Trockenrückstand
des Koagulums berechnet 0,5251.
Das Zentrifugat vom Koagulum, von dem nach Abzug der 10 ccm
noch 63 ccm übrig waren, wurde mit 25 ccm 10 proz. HCI versetzt und 3 Stun-
den hydrolysiert. Das klare Filtrat wurde mit BaCl, versetzt. Gewicht
des Niederschlags 0,00210 BaSO, in 63 ccm. Das ergibt auf 73 ccm 0,00243
BaSO, = 1,03 mg H,SO, (1,1% der Trockensubstanz).
Hieraus ergibt sich durch Berechnung aus dem Trockenrückstand
für das Waschwasser an durch Hydrolyse abspaltbarer Schwefelsäure
0,39 mg, also für 112 ccm Zentrifugat vom Koagulum an Esterschwefel-
säure 1,41 mg. Auf 122ccm umgerechnet 1,54 mg. Das Koagulum wurde
mit 55ccm 10 proz. HC] aufgelöst und 3 Stunden hydrolysiert, nach der
Hydrolyse filtriert, zum Filtrat BaCl, zugesetzt und der sich bildende
Niederschlag gewogen = 0,00227 BaSO, = 0,96 mg H,SO, (0,18%, der
Trockensubstanz). Die Umrechnung auf die ursprünglich vorhandene
Gesamtmenge ergibt 1,05 mg H,SO,.
126 W. Heubner und R. Meyer-Bisch: Sulfat- und Esterschwefelsäure
Däs Gelenkexsudat enthielt demnach:
Freie HSO . ...... 0,00578 g = 26,3 mg/%
durch Hydrolyse abspaltbare
H,SO, im Mucin. ... . 0,0088 „ = 40 „
„ Kosgulum . . 0,00105,— 48 „
„ Filtrat davon . 0,00154, 70 „
davon 15,8 , Esterschwefelsäure.
Das Endergebnis dieser Untersuchung ist also dahin zusam-
menzufassen, daß das Gelenkexsudat etwas mehr Sulfat enthält,
als in den bisher vorliegenden, freilich epärlichen Analysen des
Blutplasmas gefunden wurde, und erheblich mehr als in 2 anderen
pathologischen Exsudaten, und daß weiterhin die Menge dor
Esterschwefelsäure das Mehrfache der Esterschwefelsäure in
diesen Exsudaten seröser Höhlen beträgt. Diese Tatsache weist
mit Eindringlichkeit darauf hin, daß die im Gelenkexsudat gefun-
denen Schwefelsäureverbindungen nur zum Teil dem allgemeinen
Kreislauf entstammen, zum Teil aus den Gelenkwandungen her-
rühren müssen. Unsere Kenntnis von dem chemischen Aufbau
des Knorpels macht ja diesen Schluß auch äußerst glaubwürdig.
Wie der Knorpel sich von anderen. Gewebearten durch eine
charakteristische organische Schwefelsäureverbindung auszeichnet,
so auch das pethologische Sekret einer Gelenkhöhle; in diesem
Zusammenhang verdient es Beachtung, daß fast die Hälfte der
Esterschwefelsäure noch im Filtrat nach Abscheidung des Mucins
und der koagulablen Eiweißkörper zu finden war und dann einen
wesentlich höheren Anteil der Trockensubstanz ausmachte.
Es ist wahrscheinlich, daß jedes Gelenkexsudat im Priuzip
die gleiche Eigentümlichkeit aufweisen wird, unabhängig davon,
welches die Ursache seiner Entstehung ist. Stets aber wird man
zu der Schlußfolgerung gelangen müssen, daß während eines
exsudativen Vorgangs im Gelenk Schwefelsäureester und wohl
auch ein wenig Sulfat in löslicher Form aus dem Gewebe ent-
bunden wird, daß also der Gelenkknorpel eine Stätte gesteigerter
Bildung dieser Schwefelsäureverbindungen darstellt. Wir glau-
ben also durch unsere Befunde eine Verbindung zwischen ana-
tomisch klinischen und leicht faßbaren chemischen Vorgängen
hergestellt zu haben.
Unter diesem Gesichtspunkt darf man die oben geschilderte
qualitative Feststellung über die Schwefelsäureester des Blut-
in normalen und pathologischen Körpertlüssigkeiten. 127
serums nach Schwefelbehandlung wohl schon zu deuten ver-
suchen, obwohl die quantitative Durcharbeitung dieses Befundes
auf Grund der inzwischen gewonnenen Erfahrungen noch aussteht.
Wenn unter den Erscheinungen einer gewaltigen klinischen
Reaktion, die nach ihrem Abklingen zu einer auffälligen Änderung
des krankhaften Zustandes von Gelenken führt, im Blute abnorm
reichlich Schwefelsäureester auftreten, so können diese kaum
von anderer Seite stammen, als aus den erkrankten Gelenken.
Wenigstens ist hier die einzige bisher nachgewiesene Stätte, an
der Schwefelsäureester in höherer Konzentration als in anderen
Körpersäften vorkommen.
Gibt man dies zu, so wäre in dem genannten Befunde der
Nachweis eines stofflichen Umsatzes in den Gelenken gegeben,
der auf einen therapeutischen Eingriff hin erfolgt. Es bereitet
keinerlei Schwierigkeiten, sich vorzustellen, daß sowohl bei ent-
zündlich exsudativen Prozessen, wie auch bei Heilungsvorgängen
ein stofflicher Umbau im Gewebe der Gelenkflächen erfolgt
und daß jede Art dieses stofflichen Umbaus mit dem Freiwerden
löslicher Spaltprodukte der Knorpelsubstanz einhergeht.
Das Eine glauben wir zum mindesten aussprechen zu dürfen:
Der nach Schwefelbehandlung beobachtete Heilerfolg hat eine
chemische Unterlage erhalten. Er bringt nicht nur eine funktionelle
Änderung in Nerven oder lokaler Zirkulation mit sich, sondern
auch eine stoffliche Umwandlung im erkrankten Gewebe, also
nutritive und vermutlich auch formative Vorgänge.
Zusammenfassung.
l. In normalem menschlichen Blutserum wurde über 0,02%,
Sulfation nachgewiesen; bei Enteiweißung scheint es vollständig
vom Coagulum adsorbiert zu werden.
2. In entzündlichen Exsudaten seröser Höhlen fand sich etwa
2/, des Serumwertes an Sulfation, daneben Esterschwefelsäure in
geringerer Menge.
3. Nach parenteraler Schwefelinjektion bei Gelenkkranken
war im Stadium der fieberhaften Reaktion die Esterschwefelsäure
des Blutserums vermehrt, so daß sie auch nach Enteiweißung
nachgewiesen werden konnte.
4. In einem Gelenkerguß wurde erheblich mehr Estersch wefel-
säure gefunden als in den Exsudaten seröser Höhlen.
Über den Einfluß von Schwefelinjektionen auf den
Gelenkknorpel.
Von
Robert Meyer-Bisch und Wolfgang Heubner.
(Aus der Medizinischen Klinik und dem Pharmakologischen Institut
Göttingen.)
(Eingegangen am 18. Juni 1921.)
Die in der vorstehenden Mitteilung wiedergegebenen Befunde
führten zu dem Schlusse, daß intramuskuläre Schwefelinjektionen
bei gelenkkrauken Menschen stoffliche Veränderungen des Knor-
pels herbeiführen. Um die Berechtigung dieses Schlusses weiter
zu prüfen, wurden Versuche an Hunden vorgenommen, von denen
der Knorpel selbst entnommen werden konnte.
Die Versuche wurden in der Weise angelegt, daß größeren
und älteren, doch gesunden Tieren zunächst ein hinterer Ober-
schenkel amputiert wurde, von dem dann der Knorpel des Knie-
und Fußgelenks verarbeitet wurde. Nach Verheilung der Wunde
wurde eine Schwefelsuspension in Olivenöl in die Lendenmuskulatur
injiziert und einige Tage darauf das zweite Hinterbein abgenommen,
ehe das Tier getötet wurde. Die Gelenkknorpel wurden in gleicher
Weise wie die des ersten Beines in Arbeit genommen (vgl. unten).
Die Reaktion der Tiere war analog der der Menschen, indem sich
Fieber einstellte. Bei dem zweiten Tier wurden überdies im Stoff-
wechselversuch gleichsinnige Schwankungen festgestellt, wie sie
beim Menschen beschrieben wurden!) (Vermehrung des Stick-
stoffs, der Harnreduktion, des Urobilins, Verminderung des
Chlorids und des Verhältnisses Neutralschwefel zu Gesamt-
sch wefel).
Der Knorpel wurde mit scharfem Messer von den Gelenk-
flächen abgetragen, wobei relativ große Lamellen gewonnen
ı) Me yer - Bisch und Basch, diese Zeitschr. 118.
R. Meyer-Bisch u. W. Heubner: Einfluß von Schwefelinjektionen usw. 129
werden konnten. Einzelne dieser Lamellen wurden benutzt, um
die Quellbarkeit des Materials in größeren Mengen destillierten
Wassers zu prüfen. Es stellte sich heraus, daß der Knorpel in
wenigen Stunden ein genau fixiertes Quellungsmaximum erreicht,
das sich zahlenmäßig exakt in bezug auf das Trockengewicht aus-
drücken läßt. Das Trockengewicht erhielten wir durch Liegen-
lassen an der Luft bei Zimmertemperatur.
Von dem getrockneten Knorpel, der sich ohne Gewichts-
änderung beliebig lange aufbewahren ließ, wurden Gesamt-
schwefelbestimmungen vorgenommen. Bei einem Tiere wurde
auch ein Teil davon dazu verwendet, um nach der Methode von
Schmiedeberg’) durch Verdauung das Chondrin abzutrennen
und somit auch seinen Anteil am Gesamtschwefel zu bestimmen.
Unsere Absicht, dies auch bei dem zweiten Tier durchzuführen,
wurde durch den Verlust zweier Analysen infolge Mißgeschicks
vereitelt.
Die Veraschung der Materialien zur Analyse erfolgte nach
Mischung mit Natriumsuperoxyd, die Ausfällung des Baryum-
sulfats im allgemeinen in einem Volumen von höchstens 20 ccm,
die Filtration durch kleine Barytfilter unter Beachtung der von
Pregl angegebenen Vorsichtsmaßregeln?), die Wägung in kleinem
Porzellantiegel auf einer Pregl- Kuhlmannschen Mikrowage.
(Bei Benutzung des von Pregl angegebenen Mikro-Neubauer-
tiegels stießen wir in Vorversuchen auf erhebliche Schwierig-
keiten. Der Nied®rschlag ließ sich ohne Verluste nicht auswaschen
trotz vielfacher Bemühungen und genauer Befolgung der von
Pregl angegebenen Vorschriften.)
Die Einzelheiten der Versuche waren folgende:
Versuch ]:
Am 2. XII. 1920 wurde in Morphin-Äthernarkose das linke
Hinterbein. oberhalb des Kniegelenks amputiert. Bei der Nachbehand-
lung bildete sich eine ausgedehnte Fasciennekrose nach der Leistenbeuge
zu. Die Eiterung ging jedoch allmählich zurück. Am 29. XII. war die
Wunde gereinigt, granulierte gut. Hund fraß mit gutem Appetit.
Temperatur 38,0—38,2°. Gewicht post amp. 17!/,kg. Am 2. I. 1921
6% 45’ abends Injektion von 10 ccm einer l proz. öligen Schwefelmisohung
in die Lendenmuskeln. Die Temperatur stieg am 3.1. 1921 auf 39,4°.
Am 4. I. Amputation des anderen Hinterbeins; danach Tötung.
1) Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 28.
2) Vgl. Mikroanalyse S. 124ff.
Biochemische Zeitschrift Band 122. ` 9
130 R. Meyer-Bisch und W. Heubner:
Außer sämtlichen Gelenkflächen des Knie- und Fersengelenks wurden
auch die Gelenkscheiben des Kniegelenks verwertet. Sie wurden nach Zer-
kleinerung mit den übrigen ebenfalls zerkleinerten Knorpelstüokchen
gleichmäßig vermischt. .
Ein Teil des Mischknorpels wurde mit dem salzsauren Extrakt frischer
Magenschleimhaut vom Schwein mehrere Tage im Brutschrank verdaut,
mit Wasser verdünnt und filtriert, im Filtrat und im Rückstand Gesamt-
schwefel getrennt bestimmt. Mit diesem Verfahren erreicht man nach
Scohmiedeberg eine Abtrennung der Ghondroitinschwefelsäure vom Eiweiß,
und zwar bleibt sie im unverdauten Rückstand.
Mit mehreren offizinellen und Handelspräparaten von Pepsin konnten
wir keinerlei Verdauung erzielen.
I. Untersuchung des Knorpels vor der Injektion.
A. Quellungsversuch,
6% 50° p. m. wurde eine frische Knorpellamelle von 0,0662 g mit Platin-
draht an einer Wage aufgehängt und in destill. Wasser eingetaucht. Tem-
perstur der Luft 5,2° C.
Verlauf der Quellung:
20. XII. 6% 50’ p. m. 0,0662 g
72 35° „ „ 0,1068 „
108 20° „ „ 0,1076
21. XII. 10è 45 a. m. 0,1076 „
Trookengewicht derselben Lamelle 0,0209. Das Gewicht des gequollenen
Knorpels beträgt also — mehr als sein Trockengewicht.
B._@esamtschwefel- Analysen.
‚| Angewandt Trocken) Trockenknorpel | Gefunden Baso, —
1 0,200 o gw 0,0160 1,10
2 0. ‚09266 0,00930 ı 1,38
3, 0.10366 0,00890 | 1,18
Mittelwert: 1,22°/,
C. Analyse des verdauten Knorpels.
Angewandt 0,430 g Trookenknorpel. Dauer der Verdauung 10 Tage
bei 37—40°. Der teigartige unverdaute Rückstand wurde auf aschefreies
Filter gebracht, mehrfach gewaschen und zur Schwefelbestimmung verascht.
Gefunden: 0,01432 BaSO, = 0,456% S.
II. Untersuchung des Knorpels nach der Injektion.
A. Quellungsversuch.
Gewicht der frischen Knorpellamelle: 0,0583.
Verlauf der Quellung:
4. L Ih p. m. 0,0583 g
5b » » 0,0868 „
6 30° „ „ 0,0855 „
7h 30° „» , 0,0863 „
5.1. 1b » » 0,0859
Einfluß von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel. 131
Gewicht derselben Lamelle nach Lufttrooknung:
Am 6.1. 0,0184 g
» 6L 0,0188 „
Das Gewicht des gequollenen Knorpels beträgt also 361%
mehr als sein Trockengewicht.
B. Gesamtschwelel-Analysen.
— —— —h ———— —— r C T — — — —
Nr. | Angewandt Trockenknorpel | Gefunden BaSO, | Schwefel
8 %
1 0,11241 0,00952 | 1,16
2 0.15648 0.01010 0'884
3 0.17382 0,01338 | 1,05
Mittelwert: 1,03%,
C. Analyse des verdauten Knorpels.
Angewandt 0,32102 g Trockenknorpel. Menge des zugesetzten Schleim-
hautauszugs 100 ccm. Dauer der Verdauung 10 Tage bei 37—40°. Der teig-
artige Rückstand wurde nach Abschluß der Verdauung filtriert und mehr-
mals gewaschen. Von Rückstand und Filtrat wurde Gesamtschwefel
getrennt bestimmt. Von der im letzteren gefundenen Schwefelmenge war
der Sohwefelgehalt der Extraktflüssigkeit abzuziehen.
l. Gefunden im Rückstand 0,00843 BaSO, = 0,36% 8.
2. Gefunden im Filtrat: 0,1302 BaSO, = 0,0178 g S.
Gefunden in 75 ccm des Extrakts der Magenschleimhaut 0,0869 BaSO,
— 0,0119 8.
Danach enthielt der verdaute Teil des Knorpels 0,00196 g S
(= 0,61%).
Die Summe der Analysen von verdautem und unverdautem Knorpel
gibt 0,00312 g S, das entspricht einem Schwefelgehalt von 0,97%, S, wäh-
rend die direkte Analyse 0,88—1,169,, ergab.
Zusammenfassung.
Vor an Nach Injektion = Mittel
ee — —
Gesamtschwefel 1, 10—1,38 I FR 0, 88—1,18 | 108 16 i ‚03
Chondrinschwefel — 36
Quellungszunahme — 3 6]
Das Ergebnis spricht also für eine Verminderung des Gesamt-
schwefels, vor allem durch Verminderung der Chondroitinschwefel-
aure, und eine mit dieser stofflichen Veränderung einhergehende
kolloid-chemische Zustandsänderung im Sinne einer verminderten
Quellbarkeit.
9*
132 R. Meyer-Bisch und W. Heubner:
Versuch 2:
35 kg schwerer Hund. Am 10. III. 1921 Amputation des linken
Hinterbeins!). Die Amputationswunde heilte per primam ohne jegliche
Eiterung; das Tier kratzte sich schon nach 4 Tagen mit dem Stumpf.
Vom 14. III. ab waren Allgemeinzustand und Appetit gut. Von diesem Tage
ab bis zum Ende des Versuchs bestand die tägliche Nahrung lediglich aus
600 g Fleisch. Die für die lOtägige Versuchsperiode nötige Fleischmenge
wurde vorher in Würfel geschnitten und gemischt. Am 21. IIL Injektion
von 10 ccm einer 4proz. Schwefelsuspension in die rechtsseitige Lenden-
muskulatur. Am 26. III. Amputation des rechten Hinterbeins; danach
Tötung.
Vom 18. bis 25. III. wurde der Harn des Tieres in 24stündigen Perioden
quantitativ gesammelt und auf Gesamtstiokstoff, Chlorid, Gesamtachwefel,
Gesamtschwefelsäure und Ätherschwefelsäure untersucht. Außerdem
wurde täglich die Reduktionsprobe mit Fehlingscher Lösung und die
Urobilinprobe mit Fischlers Reagens ausgeführt. Die erhaltenen und
daraus berechneten Zahlen und Reaktionsbefunde finden sich auf der
nachstehenden Tabelle zusammengestellt.
| Neutral zu
Neutral; Ges.-Schwefel
als SO,| als SO,
%
Äther-
schwefel | Reduktion
8
Gesamt- | Sul-
N |NaCl |schweiel| fat
als 50, | SO,
Uro-
18. III. | 740 10.9 5, 251 1,54 1,11 0,42 27 ++ |e
19. II. ! 10801 12.76.91) 173 |132| 041 24 8 0
20. III. |1360|15.315.98| 1.89 |139| 051 27 ð 6
Injekt. |
21.101. 660 11.4 3. 121 1,60 1.28 031 20 +44 (4)
22. IT. |1340 163|255| 1,94 |148| 0.46 24 (+) 6
23. III. \1160|14.3:3.22| 2.06 |171| 0.35 17 8 ð
24. III. | 510 11171530 154 |129| 0,25 16 + ð
95. IIT. | 800/1751696] 222 |190] 031 14 o 18
Täglicher Durchschnitt:
N vor der Injektion 13,0 g NaCl vor der Injektion 6,05 g
N nach der Injektion 14,2g NaCl naph der Injektion 4,24 g
Die Verarbeitung des Knorpels war insofern anders als beim ersten
Hund, als der abgeschabte Knorpel der Gelenkflächen und die Gelenkscheiben
getrennt behandelt wurden. Zum Quellungsversuch wurde jedoch nur der
hyaline Knorpel der Gelenkflächen, und zwar in mehreren Proben, ver-
wandt.
: I. Untersuchung des Knorpels vor der Injektion.
Gewonnene Knorpelmenge (Trockengewicht):
Hyaliner Knorpel. .... . 0,9021 g
Gelenkscheiben . . .... . 0,8330 g
1) Sie wurde in der Chirurg. Klinik durch Herrn Privatdozenten
Dr. Leh mann ausgeführt, dem wir auch hier für seine Hilfe herzlich danken.
Einfluß von Schwefelinjektionen auf den Gelenkknorpel.
A. Quellungsversuche.
1. Gewicht der frischen Knorpellamelle 0,1888 g.
Verlauf der Quellung:
10. III. 7245’ p. m. Beginn
10h 30° „ „ 0,2508 g
11.D0I. 8h a. m. 0,2730 „
Trockengewicht:
18. DIT. u %- won 0,0591 g
28. II. o 2..%.% 0,0632 ,„
29: I1l. 4-44 5% % 0.0616 „
Mittelwert . . . . 0,0613 g
demnach Quellungszunahme 345% des Trockengewichts.
2. Gewicht der frischen Lamelle am 10. III. 0,1589 g.
Verlauf der Quellung:
11. III. 6è p. m. Beginn
830° „ . 0,2598 g
9h 30’ „ „ 0,2593 „
11h 30° „ „ 0,2618 „
Trockengewicht:
18. UIL o 25 5% 0,0490 g
26. III -- 0,0517 „
29. IL o 2 0.000 % 0,0508 „,
Mittelwert . . . . 0,0505 8
demnach Quellungszunahme 418% des Trockengewichtes.
3. Gewicht der frischen Lamelle am 10. III. 0,1496 g.
Quellungsverlauf:
12.11. 6% p. m. Beginn
7230’ „ „ 0,2299 g
12 „ ,„ 0,2319,
13. III. 9b a. m. 0,2344 „
Trockengewicht:
18: Il... 3% 0,0520 g
2.DE 2% %% 0,0550 „
29. 0,0540 „
Mittelwert . . . . 0,0537 g
demnach Quellungszunahme 337% des Trookengewichtes.
Mittelwert der 3 Quellungsversuche 365%.
133
134 R. Meyer-Bisch und W. Heubner:
B. Gesamtschwelel- Analysen.
a) Hyaliner Knorpel.
1
2 0,01741
3 12946 0,01814 1
4 0,12435 0,02525
zusammen ergeben 0,50729 g Trockenkn.: 0,07897 g BaSO,;
danach Mittelwert für Sohwefel 2,133% .
b) Gelenkscheiben.
Nr. Angewandt Trockenknorpel Gefunden BaSO. Schwefel
8 8
%
1 | 0,12889 0,00863 0,918
2 | 0,13285 0,01138 1.173
31 0,12295 0,00987 1,100
zusammen ergeben 0,38469 g Trockenkn.: 0,02988g BaSO,;
demnach Mittelwert für Schwefel 1,06%.
II. Untersuehung des Knorpels nach der Injektion.
Gewonnene Knorpelmenge (Trookengewicht):
Hyaliner Knorpel... . . . 0,8923 g
Gelenkscheiben . . . . . . . 1,1037 „
A. Quellungsversuche.
1. Gewicht der frischen Knorpellamelle 0,2011 g.
Verlauf der Quellung:
26. III. 6% p. m. 0,2011 g
10h 15° „ „ 0,3181 „
27. I. 9% 30’ a. m. 0,3119 „
Trockengewicht:
LIV 20.04. 0% 0,0822 g
4.IV. 2... 0% 0,0830 „
Mittelwert 0,0826 g
demnach Quellungszunahme 281% des Trockengewichts.
2. Gewicht der frischen Lamelle am 26. III. 0,0719 g.
Verlauf der Quellung:
27. III. 9t a. m. Beginn
28. III. 9 „ „ 0,1744 g
Einfluß von Schwefelinjektionen auf den (relenkknorpel. 135
Trockengewicht:
LIV 2 2 0,0350 g
4. IV. .... 0,0351 „
demnach Quellungszunahme 397% des Trockengewichts.
3. Gewioht der frischen Lamelle am 26. III. 0,0784 g.
Verlauf der Quellung:
28. III. 9h a. m. Beginn
7245’ p. m. 0,1510 g
29. III. 540° ,„ ,„ 0,1479.
- Trockengewicht:
LIV etaa 0,0411 g
4 IV. .... . . 0,0416,
demnach Quellungszunahme 263% des Trockengewichtn.
Mittelwert der 3 Quellungsversuche 3020.
B. Gesanhtschwefel-Analysen.
a) Hyaliner Knorpel.
$ Angewandt Trockengewicht | (Gefunden BaSO,
Schwefel
%
g
1 0,12396 0,01522 1,68
2 | 0,12200 0,01750 1,98
3 | 0,12587 0,01627 | 1,76
4| 0,12226 0,01984 | 2,22
zusammen ergeben 0,49409 g Knorpel: 0,06883 g BaSO,:
demnach Mittelwert für Schwefel 1.919%.
b) Gelenkscheiben.
— | Angewandt Trockenknorpel | Gefunden Ba80, | Schwefel
g g %
zusammen ergeben 0,59928 g, Knorpel: 0,04895 g BaS0.:
zusammen ergeben 0,59928 g Knorpel 0,04895 BaS0,;
demnach Mittelwert für Schwefel 1,12%.
Zusammenfassung.
Vor Injektion
Nach Injektion
Niedrig- | Höchster
ster Wert Wert
[+72
Gesamt. [Knorpel .| 187 | 278 | 219 | 168 | 222 | 1,91
schwefel Gelenk-
scheiben . | 0,92 | 1,17 | 1,06 | 0,83 | 1,32 | 1,12
Quellungszunahme . |; 3.37 4,18 3.65 | 2.63 | 3.97 ‚02
136 R. Meyer-Bisch u. W. Heubner: Einfluß von Schwefelinjektionen usw.
Die Ergebnisse des zweiten Versuches stützen sich auf eine
größere Zahl von Einzelbestimmungen als die des ersten. Diese
mehrfache Kontrolle deckt noch in größerem Maße als die am
ersten Hund gewonnenen Resultate die Tatsache auf, daß Material
ein und derselben Herkunft doch wesentliche Verschiedenheiten
sowohl im Schwefelgehalt als auch im Quellungsvermögen auf-
weisen kann. Man wird also das Vertrauen zu Einzelbestinnmungen
nicht zu hoch spannen dürfen und wird aus dem Vergleich zweier
Zahlen allein nur mit äußerstem Vorbehalt Schlüsse ziehen. In
dieser Hinsicht wird also das nur durch je einen Versuch gestützte
Ergebnis des Quellungsversuchs am Knorpel des ersten Hundes
in seiner Bedeutung stark eingeschränkt.
Für die Beurteilung der Schwefelanalysen ist zu bedenken,
daß immerhin die Hälfte des gesamten Knorpels zweier großer
Gelenke jeweils in der Summe der Analysen verbraucht wurde
(die andere Hälfte fand im Verdauungsversuch Verwendung).
Der Zufall müßte also in besonderem Maße gespielt haben. wenn
er die 2mal gefundenen Differenzen durch die getroffene Auswahl
der Knorpelstückchen verschuldet haben sollte.
Man muß also bis zu weiterer Ausdehnung des Ver-
suchsmaterials doch wohl der Tatsache Beachtung
schenken, daß die Mittelwerte in beiden Versuchen
unerwartet gut zusammenstimmen, insofern beide
Verminderung des Schwefelgehalts und der Quellbar-
keit des Knorpels anzeigen.
Eine Ausnahme bilden die Zahlen für die isoliert untersuchten
Gelenkscheiben in Versuch B; freilich ist ja die Struktur dieser
Gelenkscheiben deutlich verschieden von dem des echten Gelenk-
knorpels, und zwar nicht nur histologisch, sondern auch chemisch,
wie der wesentlich geringere Schwefelgehalt aufweist.
Obwohl wir uns klar bewußt sind, daß die erhobenen Befunde
kein zwingendes Beweismaterial darstellen, möchten wir sie bis
auf weiteres doch als Stütze für die aus der Analyse des Gelenk-
punktats in der vorhergehenden Abhandlung gezogenen Schlusses
ansehen, daß nach Schwefelinjektionen eino Art Abbau in den
spezifischen Materialien des Gelenkknorpels erfolgt, der sich
kolloid-chemisch in einer verminderten Quellbarkeit des Knorpel-
gewebes äußert. E
Untersuchungen über die Blutkatalase bei Blut-
krankheiten.
Von
Hermann Strauß und Gerhard Rammelt.
(Aus der Medizinischen Klinik Halle a. S.)
(Eingegangen am 19. Juni 1921.)
Van Thienen?) hat 1920 Mitteilungen über ein besonderes
Verhalten der Katalase im. Blut von Kranken mit perniziöser
Anämie gemacht. Hierdurch angeregt und zum Zwecke der Nach-
prüfung dieser wichtigen Angaben haben wir Untersuchungen über
die Bilutkatalase angestellt, über die im folgenden berichtet
werden soll.
Die große Verbreitung der Katalase im Tierkörper ist be-
kannt?). Auch im menschlichen Blut ist sie in sehr wirksamer
Form vorhanden. Sie ist offenbar an das Stroma der roten Blut-
körperchen gebunden. Im Serum ist sie nicht nachweisbar, vom
Hämoglobin läßt sie sich abtrennen. Ihre chemische Natur hat
Waentig?) weitgehend aufgeklärt. Es gelang ihm, das Ferment
durch fraktionierte Extraktion, wiederholte Alkoholfällung, Dia-
lyse und Adsorption an feinverteilte Substanzen aus Leber so rein
darzustellen, daß es als ein von Purinbasen freier Eiweißkörper
charakterisiert werden konnte. Die. Katalase ist also kein Nucleo-
proteid, wie man früber glaubte, und sie irrtümlich in Beziehung
zu den weißen Blutkörperchen brachte. Sie enthält aber eine
Zuckerart und wahrscheinlich etwas Eisen und Phosphorsäure.
Nach dem Vorgehen von van Thienen haben wir uns an
die von Jolles*) angegebene Methodik gehalten, da es uns auf
2 Punkte ankam: 1. auf die Katalasezahl, das ist die Menge
1) Dtsch. Arch. f. klin. Med. 131, 113; siehe auch ders. Inaug.-Diss.
1917, Groningen (Holländisch), mit sehr umfangreicher Literatur.
2) Vgl. Oppenheimer, Die Fermente; Abderhalden, Lehrbuch
der phys. Chemie, 4. Aufl, Bd. 2, S. 421.
2) Waentig und Gierisch, Fermentforschung, Bd. 1, S. 165.
+) Münch. med. Wochenschr. 1904, Nr. 47.
138 H. Strauß und G. Rammelt:
Wasserstöffsuperoxyd in Gramm, die l ccm einer l promill. Blut-
lösung aus 30 ccm 1lproz. Wasserstoffsuperoxydlösung zu zer-
setzen imstande ist. 2. Auf den Katalaseindex, das ist die
Katalasezahl bezogen auf 1 000 000 roter Blutkörperchen.
Die Methode gestaltet sich demnach folgendermaßen:
1lOccm einer lpromill. Blutlösung werden mit 30 ccm einer
l proz. H,O,-Lösung in sterilen Gefäßen zusammengebracht. Für
das Krankenbett ist es am besten, 0,05 ccm Blut mit geeichter
Pipette zu entnehmen und mit physiologischer Kochsalzlösung
auf 50 ccm aufzufüllen. Hierbei ist auf neutrale Reaktion des
Wasserstoffsuperoxyds zu achten, da die Katalase schon gegen
Spuren von Säure sehr empfindlich ist. Das Perhydrol Merck ist
hierfür sehr geeignet, während dasselbe Präparat mit der Auf-
schrift ‚„‚Tropensorte‘‘, das nach dem Kriege vielfach im Umlauf
war, eine deutliche Hemmung der Reaktion zeigte. Daneben
stellten wir stets Kontrollen der gleichen Menge H,O,-Lösung
mit 10ccm steriler Kochsalzlösung auf. Wegen der geringen
Empfindlichkeit des Fermentse gegen Temperaturen zwischen 0°
und 50° kann man bei Zimmertemperatur arbeiten. Nach genau
2 Stunden wird die lebhafte Gasentwicklung durch Zugabe
einiger com 50 proz. Schwefelsäure unterbrochen und sofort mit
einer genau gegen Oxalsäure eingestellten Kaliumpermanganat-
lösung, von der 1l ccm 2 mg H,O, entspricht, titriertt. Wird die
durch Abzug der verbrauchten ccm von 150 ccm Permanganat
(bzw. der durch die Kontrolle korrigierten Zahl) erhaltene Anzahl
ccm auf lccm der Blutlösung bezogen, so erhält man die Kata-
lasezahl. Wir sind uns wohl bewußt, daß es sich hier um einen
rein empirischen Wert und nicht um die wahre Fermentmenge
handelt. Untersuchungen, die die Reaktionsgeschwindigkeit ver-
folgen sollen, sind im Gange.
Gleichzeitig mit der Blutentnahme, die am nüchternen
Patienten vorgenommen werden soll, werden die roten Blut-
körperchen gezählt. Es empfiehlt sich nach Bürker zu zählen
oder wenigstens die gebräuchlichste Methode von Thomas-
Zeiss damit zu kontrollieren. Es läuft hier eine Fehlerquelle
unter, da ja bekanntlich die Zählmethoden für die roten Blut-
körperchen sich mit der Exaktheit chemischer und physikalischer
Messungen nicht vergleichen lassen. Immerhin ergaben Übung
und Genauigkeit vergleichbare Resultate. Wird die so ermittelte
Bintkatalase bei Blutkrankheiten. | 139
Zahl der Million roter Blutkörperchen in die Katalasezahl hmein-
dividiert, so erhält man den Katalaseindex.
Um nun diese Methode nicht ohne Kontrolle einseitig zu
benutzen, haben wir noch einen zweiten Weg eingeschlagen, und
die entwickelte Gasmenge direkt gemessen. Wir haben uns dazu
der Einfachheit halber eines groben aber handlichen Apparates
bedient, nämlich des Azotometers nach Hüffner- Ambard-
Hallion zur Bestimmung des Bromlaugen-N!). Es wurden
5ccm der 1promill. Blutlösung in den Apparat gefüllt und so
viel Wasser zugegeben, wie zur Verdrängung der Luft nötig ist.
sowie einige Glasperlen. Ist die Luft aus dem Apparat verdrängt,
so werden 10 com der l proz. H,O,-Lösung zugelassen und unter .
häufigem Schütteln nach genau !/, Stunde die entwickelte Gas-
menge abgelesen, wobei Druck und Temperatur beobachtet
werden. Die groben Ausschläge dieser Methode bestätigten uns
ım Prinzip die unten mitzuteilenden Versuchsergebnisse mit der
Permanganattitration. Für diese Methode hat Stehle?) einen
besonderen Apparat konstruiert.
Wir wollen nun unsere Versuchsresultate mitteilen und mit
den Ergebnissen von van Thienen vergleichen. Bemerkt sei
noch, daß Krumbhaar und Musser?) mit der eben erwähnten
Methode von Stehle den Katalasegehalt des Blutes bei ver-
schiedenen Formen der Anämien bestimmt haben. Sie bezeich-
neten als Katalaseindex den Quotient aus den in 15 Minuten
freigewordenen ccm Sauerstoff zu der Millionenzahl der Ery-
throcyten. Sie fanden diesen Index bei anämischem Blut stets
kleiner als beim normalen, unabhängig von der Art der
Anämie. Milzexstirpation war ohne Einfluß darauf. Diese Re-
sultate stehen im Gegensatz zu van Thienens Ergebnissen.
Wir geben zunächst unsere eigenen Versuchsergebnisse in
4 Tabellen wieder.
In Tabelle I geben wir eine Übersicht über 20 Fälle von Patienten
ınit normalem Blutbefund. Als Mittelwert ergibt sich hier für die Kata-
lasezahl 19, nach van Thienen 27,5, nach Jolles 23%). Gemeinsam hat
2) Umber. Zentralbl. f. inn. Med. 38. 1917.
23) Stehle, Journ. of biol. chem. 39. 1919.
3) Journ. of the Americ. chem. soc. 75, 1920; Kongreß-Zentralbl. 14,
H. 3, S. 198. 1920.
t) Jolles und Oppenheim, Beiträge zur Kenntnis der Blutfermente.
Virchows Archiv 180, S. 185.
140 H. Strauß und G. Rammelt:
Tabelle I. Blut normal.
= Rote Blut- | _ Katalase-
iagnose körperchen Zahl | Index
Name |
1. Herr In. | Polyneuritis 4 700 000 4,8
2. Knabe Kurp. Diabetes 3 500 4,6
3. Frau K. | Hysterie | 4 900 000 4,7
4. n En. Z 3 900 000 4,3
5. r E — | 4 600 000 4,7
6. ‚ Schi | Neurasthenie | 4100000 | 17,7 4.3
T. .. Sk Cystitis 3 500000 {17,7 5,0
8. a TER | Mediastinaltumor | 3 900 000 4,1
9. Herr Eb. Vol. pulmon. auct. | 4800 000 3,0
10. — Polyneuritis | 4 690 000 4.0
11. Fraù E. Akute Glomerulonephr. 3 980 000 4,6
12. a E Facialisparese 4 600 000 4,3
13. OE : F | Vitium cordis 4 500 000 4.8
14. „ So. Diffuse Glomerulonephr. 4 000 000 4.9
15. ER | Salpingitis 4 090 000 4,7
16. Herr Bl. | Malaria (?) 4 500 000 5,0
17. Frau Vil. | Co-Vergiftung ı 4320 000 6,0
8. „ R. | Laryngitis 3 920 000 49
19. Herr Pa. | Ulcus ventriculi (?) 4 000 000 4,5
20. 4. +BL | Verdacht auf Ca ventric. | 4800 000 4,7
Mittelwert: 19,0 | 4.6
Tabelle II. Sekundäre Anämie. Blutbild normal.
R Pr Rote Biut-| Katalase _
Name agnose körperchen| Zahl | Index
1. Herr K. Ca. ventriculi 8,5 2,6
2. „ Sch. 23 P 7,0 2,0
S; > -> Endocarditis lenta 9,1 2,6
4. „ Adl. Ulcus ventriculi 13,3 4,3
5. Frau K. Anämie post partum 12,3 5,5
Dieselbe, später Br iA ú 18,6 5,3
6. Herr M. Ulcus ventriculi 1141| 5,2
2 u H Ca. ventriculi (?) 20,0 5,7
8. N = N 18,1 5,8
9. Frau Kr. Ca. (9) 16,5 5,1
10. Herr Gr. Ulcus ventriculi ; 3,9
Mittelwert: 4,8
Tabelle III. Blutkrankheiten.
Rote Blut- Katalase-
Name | Diagnose körperchen | Zahl | Index
1. Frau B. Chlorose 3600000 | 1725| 4,8
2. Herr H. Lymphatische Leukämie 2 700 000 4,9 1,8
3. Se 5 N Myeloische Leukämie 2800000 112,86] 4,5
4. „ Sch Polycythämie 8 600 000 4,8 2,9
5. —— N 6 500 000 ‚0 3,1
6. B — 13 000 000 | 27,4 2,1
7. Frau Kr En 7 200 000 ; 4,6
Blutkatalase bei Blutkrankheiten. 141
Tabelle IV. Perniciöse Anämie.
— Rote Blut- Katala-·
körperchen | Zahl | Index
— m
1. Herr Bl. 10,3 8
Derselbe, später 26,3 9,4
2. Frau W. 86 | 78
3). u: 11,5 8,2
4. Herr M. 00 000 I 8,9 6,9
5. „ Matsch. | 1500000 | 15,5 | 10,3
Derselbe, später 00 000 I 13,5 8,9
6. err Se. 000 000 | 21,1 | 10,6
7. „ Se. 600 000 į 16,0 | 10,0
8. „ Hag. 780 000 | 7,0 9,0
9. „ He. 800 000 | 6,4 80
10. Raos. 530 000 | 16,5 6,6
11. „ Sch. 600 000 | 14,7 5,7
12. Frau No. 220 000 | 14,1 5,4
13. „ Ju 800 8,5 4,7
14. „ Jo. 500 000 | 8,09| 6,0
15. „ KI. 600 000 | 8,08 | 5,0
16. Herr Wi. 100 000 | 4,8 4.0
‚Mittelwert: 14 8,5
unser Resultat also nur die Konstanz der Werte, freilich liegt diese zwischen
etwas weiteren Grenzen als bei dem holländischen Autor. Durchgehends
lagen unsere Werte niedriger. Trotz liebenswürdigster Unterstützung durch
Herrn van Thienen war eine Erklärung für diese Tatsachen nicht zu
ermitteln. Als normalen Katalaseindex sehen wir 4,5—5 im Durch-
schnitt an, während van Thienen 6 angibt.
Tabelle II führt uns in das Gebiet der sekundären Anämien infolge
Krebs oder Magengeschwür, darunter auch eine frische Blutung bei der
Entbindung (Fall 5). Wie bei van Thienen ist hier die Katalasezahl
durchschnittlich gegen die Norm herabgesetzt, eine Tatsache, die auch
schon Jolles angibt. Sie erklärt sioh zwanglos aus der geringen Zahl der
roten Blutkörperchen, aber auch hier liegt der Katalaseindex in normalen
Grenzen.
Tabelle III zeigt uns seltenere Blutkrankheiten. Leukämien geben
im allgemeinen normale Werte, nur Fall 2 liegt ungewöhnlich tief. Als
wertvolles Gegenstück zu den Anämien standen uns 4 Fälle von patholo-
gischer Vermehrung der roten Blutkörperchen, sog. Polycythämien, zur
Verfügung. Es ist nun sehr auffallend, und wohl sicher nicht ohne Bedeu-
tung, daß diese Fälle einen niedrigen Katalaseindex aufweisen. Wir kommen
darauf noch zurück.
Tabelle IV gibt 16 Fälle von perniziöser Anämie, die zur Unter-
suchung gelangten. Hier sehen wir in Bestätigung der Resultate von
van Thienen in 9 Fällen, also über 60%, bei niedriger Katalasezahl einen
hohen, etwa das Doppelte der Norm erreichenden Katalaseindex. 2 Fälle
zeigen normale Werte, die übrigen nur ganz leichte Erhöhung.
142 H. Strauß und G. Rammelt:
Suchen wir nun für die vorstehenden Befunde, die auf der
einen Seite erhöhte Werte bei der perniziösen Anämie, auf der
anderen unter der Norm liegende für die Polycythämien ergeben,
eine Erklärung aus der Bedeutung der Katalase für den Organis-
mus abzuleiten, so scheitern unsere Versuche an der Unkenntnis
auf diesem Gebiete. Wir kennen noch einen Fall aus der Patho-
logie, wo der Katalasegehalt des Blutes erhöht ist. Es ist dies die
Phosphorvergiftung. Hier ist die Katalase in der Leber vermin-
dert, in den anderen Geweben und im Blute vermehrt. von Fürth’)
ist der Ansicht, daß es viel näher liegt, hierbei an eine Ausschwem-
mung des Ferments aus dem nekrotischen Gewebe zu denken.
als eine kompensatorische Vermehrung im Blut, wie man ge-
schlossen hat, anzunehmen. Seitdem es zum mindesten sehr
fraglich geworden ist, ob das Ferment mit den Oxydasen etwas
zu tun hat, sondern wahrscheinlich nichtaktiver, molekularer
Sauerstoff entwickelt wird, und solange seine Eigenschaft tat-
sächlich im Tierkörper vorkommende Peroxyde zu spalten, nicht
sicher steht, können wir über die Bedeutung der Katalase im
Tierkörper nichts aussagen. Immerhin ist es ja wohl nicht
wahrscheinlich, daß das so allgemein verbreitete Ferment
nur als zufälliger Bestandteil im Organismus vorhanden ist.
Jedenfalls können wir aus dieser Betrachtungsweise noch keine
Schlüsse für die vorliegenden merkwürdigen Befunde ziehen. Man
könnte nun an Beeinflussung der Aktivität des Ferments durch
irgendwelche abweichenden chemischen Bedingungen des vor-
liegenden Blutes denken. Es könnte ja ein Einfluß auf die Anti-
bzw. Philokatalase oder deren Aktivator, soweit man diese an-
erkennen will, bestehen. Ferner wissen wir, daß die Katalase
gegen Salze, Alkalien und Säuren empfindlich ist. Alkalien in
schwacher Konzentration wirken aktivierend. Mit steigender
H-Ionenkonzentration wird das Ferment stark gehemmt, Dem-
gegenüber ist der stets normale Katalaseindex bei verschiedenen
Krankheiten auffallend, bei denen die H-Ionenkonzentration
gegen die Norm verändert ist, so bei Diabetes und Nephritis
(siehe Tabelle I, Fall 2 mit starker Acidosis, ferner Fall 11 und 14).
Auch hier ist ohne weiteres eine Deutung nicht möglich. Es bleibt
noch als die naheliegendste. Erklärung, daß die Änderung der
1). Probleme der physiologischen und pathologischen Chemie, 2, 548.
Leipzig 1913. |
Biutkatalase bei Blutkrankheiten. 143
Funktion der roten Blutzellen bei der perniziösen Anämie
einerseits und der Polycythämie andererseits diesen Tatsachen
zugrunde liegt. Man könnte daran denken (Volhard), daß die
roten Blutkörperchen der Perniziosa in ihrer kleinen Zahl Riesen
in ihrer Funktion und hier wie auch beim Hämoglobin Träger
höherer Wirksamkeit sind, während bei der Polycythämie das
Gegenteil der Fal) ist, so daß man hier die Vermehrung der Blut-
zellen als gewissermaßen kompensatorisch für minderwertige
Einzelexistenzen ansehen müßte. Eine exakte Beweisführung
aber fehlt auch hierfür noch, denn der Färbeindex geht zahlen-
mäßig nicht mit dem Katalaseindex parallel, wie auch van Thie-
nen beobachtet hat. Weitere Forschungen müssen hier noch
klärend wirken.
Zusammenfassung.
1. Bei normalen Blutkörperchen sowie bei sekundären
Anämien ist der Katalaseindex innerhalb gewisser Grenzen kon-
stant.
2. Bei der perniziösen Anämie, und offenbar nur bei dieser,
erreicht der Katalaseindex oft das Doppelte des Normalwerte,
wenn auch ein normaler Katalaseindex nicht unbedingt gegen
perniziöse Anämie spricht.
3. Bei pathologischer Vermehrung der roten Blutkörperchen
ist der Katalaseindex in den untersuchten Fällen auffallend niedrig.
4. Die Erklärung dieser Befunde muß noch Gegenstand
weiterer Forschung sein.
Chemische und biochemische Untersuchungen über das
Nervensystem unter normalen und pathologischen Be-
dingungen.
IX. Mitteilung.
Die pathologische Chemie des Gehirns bei einigen Krankheiten
mit dementiellem Ausgang.
Von
Giacomo Pighini.
(Aus dem wissenschaftlichen Laboratorium des Psychistrischen Instituts
in Reggio Emilia.)
(Eingegangen am 20. Juni 1921.)
Die beiden zur Analyse und zur fraktionierten Extraktion
der Bestandteile des Nervengewebes von S. A. Mann und
W. Koch und von S. Fränkel verwendeten Methoden, gaben in
diesen letzten Jahren: Anstoß zu vielen und fruchtbaren Anwen-
dungen im Gebiet der pathologischen Klinik des zentralen Nerven-
systems.
Mit der ersten Methode haben die beiden englischen Autoren ungefähr
20 Gehirne bearbeitet, welche Normalen, solchen an Dementia praecox
und solchen an progressiver Paralyse Leidenden angehörten; Mott und
Mann wendeten sie in einem Falle von Dementia amaurotica an;
Koch und Voegtlin bei menschlicher und experimenteller Pellagra an
Mäusen und Affen; Koch und Rirdpl& an normalen und durch experi-
mentelle Beriberi ätaktisch gewordenen Tauben.
Die Fränkelsche Methode wurde von Allers an Gehirnen von
Senilen, von mir und Carbone an solchen von progressiver Paralyse
und Dem. praecox, von Pellresni an Gehirnen von mit Alkohol ver-
gifteten Hunden angewendet. Im pathologischen Gebiet gibt es dann
weiter mit verschiedenen Methoden geführte Untersuchungen, so diejenigen
von Barratt für die progressive Paralyse, die von Udransky für Hunde-
tollwut, die von Smyth und Mair für die progressive Paralyse und Hemi-
plegie, die von Mott und Barratt für die Hemiplegie, die von Cianio
an Tauben, welche mit glasiertem Reis gefüttert wurden,
G. Pigshmi: Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 145
Diese Untersuchungen haben ans Licht gebracht, daß das Nerven-
gewebe im pathologischen Zustande merkliche Veränderungen in seiner
chemischen Zusammensetzung erleidet, welche mit der Intensität des
Krankheitsprozesses und der histologischen Veränderung in Beziehung
zu stehen scheinen. Aber zu verstümmelt und unvollständig sind noch
immer diese Befunde, um uns für jede bearbeitete Krankheit die relativen
qualitativen chemischen Veränderungen zu ergeben. Auch ist die allgemeine
Chemie des Gewebes noch nicht so weit, daß sie uns eine derartige Unter-
suchung gestattet.
Es wird vorerst mötig sein, auf solider experimenteller Basis die be-
sondere chemische Zusammensetzung eines jeden Segments, eines jeden
Elements und jeder einzelnen Zone des Neuraxis festzustellen; eine solohe
Arbeit hat Fränkel bereits begonnen, und derartige Untersuchungen
versprechen in Zukunft uns eine wahre chemische Anatomie des Neuraxis
zu verschaffen. Aus diesen ersten Studien ist jedoch eine wichtige Tatsache
hervorgetreten, die wir bei der Bewertung der ersten Daten der patholo-
gischen Chemie des Gehirnes werden im Auge behalten müssen: Nämlich,
daß die wichtigsten und bekanntesten Lipoidbestandteile des Nervensystems,
das sind Cholesterin, Kephalin, Sphingomyelin, die Cerebroside, Sulfatide,
Sphingogalaktoside, in jeder Region des Neuraxis gegenwärtig sind, aber
daß sie in demselben in verschiedenen Prozenten und Verhältnissen je
nach der Zone und der Schicht verteilt sind. Zugleich sind der Wasser-
und Proteingehalt und der der einzelnen Proteine (wie Globulin, Amino-
säure) bei der weißen wie der grauen Substanz, bei Gehirn und Kleinhirn,
bei Bulbus und Mark, verschieden; während man noch nicht hat feststellen
können, ob gewisse chemische, organische und anorganische Komponenten
gewissen Teilen oder Regionen eigen seien oder nicht. Die Untersuchungen
schreiten indessen fort, und auf Grund derselben wird man in Zukunft
sich auf qualitative differentiative Untersuchungen auf pathologischem
Gebiet einlassen. Heute müssen wir uns mit den gröberen, aber sichereren
Ergebnissen, die uns der Vergleich zwischen den verschiedenen fraktionierten
Extraktionen nach den beiden obengenannten Methoden bietet, begnügen:
Extıakte, welche normal bei gleichentwickelten Organen uns genügend
konstante Werte liefern. Ein jeder derselben schon enthält bestimmte und
in ihrer Molekularzusammensetzung wie in ihren chemischen, physischen
und biologischen Eigenschaften bekannte Körper.
Zweck dieses Aufsatzes ist es, eine kritische Betrachtung
über die ersten Ergebnisse der chemischen Analyse an degenerativ
erkrankten, dem endlichen klinischen Bild von Dementia sich
zuwendenden Gehirnen, zu stellen.
Die bisher unter diesen Krankheiten am besten erforschten,
wie ich oben andeutete, sind die Dementia paralytica, die Dem.
praecox, die Dem. pellagrosa. Obwohl diese Krankheiten in der
Ätiologie wie in der Pathogenesis wohl unterschieden sind, kon-
Biochemische Zeitschrift Band 122. 10 =
146 G. Pighini:
vergieren sie mit ihrem klinischen Zyklus gegen die letzte demen-
tiale Form hin und bieten bei der histologischen Untersuchung
in ähnlichen Intensitätsphasen ähnliche Bilder: Lipoide Abbau-
produkte im Gewebe und in seinen Elementen, Bildung von
Amöboid-, Granulose- und Perivasolzellen, lipoidische, fort-
schreitende Entartung der Nervenzellen. Das nervöse Zentral-
organ (bei Pellagra auch das Mark) erleidet bei diesen eine fort-
schreitende Entartung, welche den einzelnen klinischen Formen
je nach der topographischen Festsetzung im Gewebe, nach ihrer
Intensität und Qualität ein eigenes Gepräge verleiht.
Die Bedeutung der topographischen Verteilung der Ver-
letzung tritt immer mehr hervor, je mehr die Cytoarchitektonik
des Gehirns allmählich durch die histologischen Untersuchungen
dieser Krankheiten bekannter und besser studiert wird. Eine
bemerkenswerte Arbeit von Southard z. B. bringt das Verhältnis
zwischen den Verletzungen gewisser Schichten (Supra- und
Intracorticalen) und bestimmten Lappen in den an Dementia
praecox erkrankten Gehirnen cinerseits und ihren klinischen
Äußerungen andererseits ins richtige Licht.
In betreff der Eigenschaft des entartenden Prozesses ist
uns sehr weniges bekannt, da die histologische Untersuchung
charakteristischer Befunde für jede einzelne dieser Krankheiten
bisher nicht gelungen ist sowie auch ihre Krankheitserreger
(abgesehen von Spirochäten in der progressiven Paralyse) und
ihre Wirkungsart unbekannt sind. Weil man aber in der pro-
gressiven Paralyse auf jeden Fall einen an die syphilitische In-
fektion gebundenen Krankheitserreger anerkennen muß, wird es
uns erlaubt sein, anzunehmen, daß andere ebenfalls spezifische
Agentien (direkte oder indirekte Vergifter) bei den beiden weiteren
Gehirukrankheiten tätig seien, wobei ein jeder gewisse Teile oder
histologische Elemente oder aber gewisse chemische Gewebs-
bildungen für seine Wirkung auswählt. Nur so erklärt sich
die klinische Physiognomie dieser wohl unterschiedenen Krank-
heiten. .
Wie wir oben andeuteten, wird es die Aufgabe der zukünftigen
Pathologie sein, die qualitativen Unterschiede der einzelnen
histologischen wie histochemischen Veränderungen zu unter-
suchen. Das bisher Bekannte scheint zu ergeben, daß der Reak-
tionsmodus des Nervengewebes diesen verschiedenen Erregern
Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 147
gegenüber sich in einem in großen Linien gleichförmigen Verlauf
vollzieht; was zu beweisen scheint, daß der Neuraxis, wenn er
einen fortschreitenden degenerativen Prozeß erleidet, gegenüber
unter sich verschiedenen Krankheitserregern sehr ähnliche histo-
logische wie chemische Veränderungen zeigt; daß also der Prozeß
immer der nämliche sei, auch wenn er durch verschiedene Ursachen
hervorgerufen wird. Die spezifische Wirkung der krankheits-
erregenden Ursache, welche die Qualität der Verletzung bestimmt,
würde sich hingegen vorwiegend in der topographischen Ver-
teilung des Nervenorgans, in der Auswahl der Gebiete, für welche
sie biochemische und physikalisch-chemische Affinität zeigt, und in
der Intensität sich offenbaren. Es ist z. B. bekannt, welche zahl.
reichen Heilmittel und Gifte es sind, die primäre Entartung der
Markseitenstränge bewirken; und doch zeigt sich die Verletzung
durch alle diese verschiedenen Ursachen sowohl vom histologischen
als vom histochemischen Standpunkt identisch. Es ist somit
vernünftig, eine elektive Wirkung jener Gifte für ihre beson-
deren Nervenfasern (welche die Untersuchungen von Buglia
und Maestrini von verschiedener chemischer Zusammensetzung
als die übrigen Markstränge vermuten lassen) anzunehmen,
wie es vernünftig ist, analoge Wirkung und selektive Fixierung
auf die Corpus-callosumfasern seitens des Alkohols, auf die
hinteren Wurzeln und Stränge seitens des luetischen Giftes, auf
die hinteren Hörner seitens des Cocains und Stovains, auf die
vorderen seitens des Strychnins, auf die sympathischen Endfäden
seitens des Adrenalins usw. usw. anzunehmen.
Die ersten Resultate der chemischen Gehirnanalyse beweisen
das oben Aufgeführte. Ich werde hier die bloßen Schlußfolgerungen
der verschiedenen Untersuchungen zusammenfassen, wobei ich
den Leser, der die hier gemachten Angaben gründlicher betrachten
will, auf die Originalschriften verweise.
Bei der progressiven Paralyse (12 Fälle von Pighini und
Carbone, 5 Fälle von Koch und Mann, verschiedene von
Smith und Mair) hat man gefunden — am Gehirn — prozentige
Zunahme von Wasser, Cholesterin, Proteinsubstanzen; sehr starke
Abnahme der ungesättigten Phosphatiden, merkliche Abnahme
der gesättigten Phosphatiden, der Cerebroide, Sulfatide und
Sphingogalaktoside.
10*
148 G. Pighini:
Bei der Dementia praecox (8 Fälle von Pighini, 9 von Koch
und Mann) findet man (am Gehirn): Mäßige prozentige Zunahme
an Wasser, Cholesterin und Proteinsubstanzen; leichte Abnahme
der ungesättigten Phosphatide; merkliche Abnahme der ge-
sättigten Phosphatide sowie der Cerebroside, Sulfatide, Sphingo-
galaktoside, sehr akzentuierte Abnahme von neutralem Schwefel
(Koch und Mann).
Bei der Dementia pellagrosa (5 Fälle vonKoch und Vögtlin),
wobei Gehirn, Kleinhirn und Mark beobachtet wurden, sind die
Veränderungen in den 3 Segmenten des Neuraxis etwas ver-
schieden:
a) Im Gehirn: Das Quantum von Wasser und Proteinsub-
stanzen ist normal, während das Cholesterin etwas abgenommen
hat, und ziemlich abgenommen haben die Phosphatide, die Cere-
broside, der neutrale Schwefel.
b) Im Kleinhirn und im Mark Zunahme an Wasser, und im
letzteren Zunahme an Proteinsubstanzen im Trockengewebe,
Zunahme an Cholesterin und Abnahme der Phosphatide, Cere-
broside, Sulfatide wie im Gehirn.
Man muß aber nicht vergessen, daß in allen diesen Fällen
ein niedriges Gehirngewicht gefunden wurde, weshalb man mit
aller Wahrscheinlichkeit annehmen darf, daß das Organ während
der Krankheit eine Verminderung seines ÖOriginalgewichtes
erlitten habe. Die Prozente an Wasser, Cholesterin, Protein-
substanzen, die wir im frischen Gewebe vorfinden, könnten daher
auch das Verbleiben dieser Bestandteile an Ort bedeuten, während
ein Teil des Lipoidmaterials entfernt wird.
Wenn wir diese Resultate summarisch betrachten, sehen wir,
daß sie in großen Linien sich entsprechen und daß sie uns einen
gleichförmigen Prozeß in der Erkrankungsart des Neuraxis in
den 3 betrachteten Krankheiten offenbaren. Wenn wir die Be-
sonderheit der Abnahme an neutralem Schwefel bei Dem.
praecox und pellagrosa, welche wahrscheinlich in Zusammen-
hang mit der topographischen Verteilung der. histochemischen
Veränderung steht, außer acht lassen wollen, so können wir in
dem Gewebe, das degenerativen Vorgängen mehr ausgesetzt wurde
(i. e.: die Gehirnhemisphären in der progressivon Paralyse und
Dem. praecox, Rückenmark in der Pellagra), folgende Tat-
sachen wahrnehmen: Abnahme von Phosphatidert, Cerebrosiden,
Pathologische Chemie des Gehirns. 1X. 149
Sulfatiden und Sphingogalaktosiden; Verbleiben im normalen
Zustand oder Zunahme an Cholesterin, Wasser und Protein-
substanzen.
Die Abnahme der Lipoide der ersten Gruppe scheint, je nach
der Krankheit, merklicher zu sein in dem einen als in dem anderen
der fraktionierten Extrakte, und es ist nicht ausgeschlossen,
daß man ansehnlichen qualitativen Verschiedenheiten bei der
analytischen Betrachtung der verschiedenen Extrakte begegnen
könne (was schon Allers im Acetonextrakt von Senilgehirnen
fand). Aufgabe der Zukunftsforschung ist es, das Problem von
dieser Seite zu untersuchen, um immer besser die chemische Basis
der psychischen und Nervenveränderungen in Beziehung mit den
histologischen Verletzungen und der histochemischen Topographie
des Neuraxis zu erkennen. Diese ersten Resultate der globalen
fraktionierten Extraktion werden aber ihren Wert nicht verlieren,
da sie uns über den Modus, wie das Nervenzentralorgan unter der
Wirkung von bestimmten Krankheitserregern entartet, orien-
tieren, welcher Modus — der dann zum klinischen Bild der
Dementia oder, wenn auf dielokomotorischen Fasern und am Marke
ausgedehnt, zum Bild der Paralyse führt — auch in anderen
Nervenkrankheiten entsprechende Befunde zeigt. Im frischen
Gehirn und Mark vom Hemiplegikern hat man Zunahme an
Wasser und Abnahme an Lipoiden, ausgenommen das Cholesterin,
das in normälen Verhältnissen verbleibt, gefunden (Smith und
Mair, Mott und Barratt). Wir treffen Abnahme von Phospha-
tiden und Cerebrosiden auch in der wallerianischen Entartung
der Nerven; im Gehirn der an experimenteller Beriberi und
mit glasiertem Reis gefütterten Tauben finden wir entsprechend
M. Koch und Rirdole einerseits und Ciaccio andererseits Ab-
nahme von Phosphatiden; Udonsky begegnet bei Tollwut Lipoid-
entartung und relative Zunahme an Wasser im Gehirn.
Alle diese auf die Entartung des Neuraxis sich beziehenden
Angaben sind mit denjenigen der 3 oben besprochenen degenera-
tiven Geisteskrankheiten im Einklang.
Gestatten uns unsere Kenntnisse über die biochemischen
und physikalisch-chemischen Eigenschaften der Nervengewebs-
bestandteile eine pathogenetische Erklärung dieses Entartungs-
vorganges zu wagen? Ein kleiner Versuch ist wohl erlaubt,
selbstverständlich ist er allen späteren infolge der weiteren Unter-
150 G. Pighini:
suchungen und Entdeckungen in diesem dunklen Gebiet sich
ergebenden Veränderungen unterworfen.
Halten wir indessen folgende Tatsache fest: Die Gehirn-
lipoide haben nicht alle dasselbe physikalisch-chemische Verhalten
gegenüber organischen und anorganischen Lösungsmitteln. Grund-
verschieden zeigt sich das Cholesterin gegenüber den anderen
Lipoiden. Während diese — z. B. das Kephalin, die Cerebroside,
die Sphingomyeline — sich gegenüber den organischen Lösungs-
mitteln wie Kolloide verhalten, bildet hingegen das Cholesterin
förmliche Lösungen (es erhöht deren oberflächliche Spannung
und den Siedepunkt, wirkt auf die Dampfspannung im Verhältnis
zu seinem Molekulargewicht); und während die anderen Lipoide
in den wässerigen Emulsionen (wie in den kreisenden Plasmen)
die oberflächliche Spannung der dispergierenden Mittel erniedrigen,
erhöht sie das Cholesterin.
Ferner folgt ein jedes Lipoid in bezug auf die Substanz, die
es adsorbiert, einer eigenen Adsorptionsisotherme; und auch bei
dieser Erscheinung verhält sich das Cholesterin in entgegengesetz-
ter Weise und wurde daher zu den „Halblipoiden‘‘ gezählt.
Siehe z. B. die Experimente von Loewe über das Verhalten der
verschiedenen Lipoide im biphasischen Lipoid-Chloroform-Me-
thylenblauwasser-System. Der Krankheitserreger (dessen Wir-
kung auf die Diastasen wir beiseite lassen wollen) wird wegen
seiner physikalisch-chemischen Verwandtschaft mit den Lipoid-
bestandteilen zwischen den beiden Phasen — wässerige Lösung
und lipoproteidische Emulsion — verteilt, von bestimmten Lipoid-
bestandteilen dieser letzteren adsorbiert, wobei dadurch eine Zer-
telung der physikalisch-chemischen endocellulären Gebäude be-
wirkt wird.
Da nun jede disperse Phase in bezug auf die adsorbierte
Substanz in bestimmter Weise reagiert, wird es das Bestreben
haben, in homogenen Tropfen sich zu sammeln und in dem Mittel
sich zu differenzieren, wodurch es bei der histochemischen
"Prüfung ersichtlich wird. Je nach der Fähigkeit, sich in den
wässerigen Plasmen, welche das Gewebe durchnässen, zu emul-
sionieren, werden diese befreiten Lipoide mit mehr oder weniger
Leichtigkeit in jene diffundieren. | |
Die Untersuchungen von Novi sind in dieser Beziehung
interessant. Er konstatierte, daß die Einspritzung von destillier-
Pathologische Chemie des Gehirns. IX. 151
tem Wasser an der Carotis das Gehirn von seinen Phosphatiden
entblößt (bis zur Hälfte), während das Cholesterin in situ
unverändert bleibt. Das erweist wiederum die verschiedenen
kolloidalen Eigenschaften der beiden Lipoidgruppen, denn das
Cholesterin verhält sich in den wässerigen Mitteln wie die hydro-
phoben Kolloide (Suspensoide), während die Phosphatide wie die
Hydrophilen (Emulsoiden) sich verhalten, wobei die Leichtigkeit,
mit der diese letzteren die optischen Eigenschaften ihres kry-
stallinischen Zustandes verlieren, wenn man zu ihrem Krystall-
wasser noch weiteres Wasser beifügt, bekannt ist (Göthlin).
Wir haben oben gesehen, wie die chemisch-pathologische
Veränderung der Gehirne im Dementiazustand, in den 3 bis jetzt
unter diesem Gesichtspunkt untersuchten Krankheiten in der
Hauptsache zu einer Verarmung der eigentlichen Lipoide (Phos-
phatide, Cerebroside usw.) der Gewebe führen, während das Cho-
lesterin, das Wasser und die Proteinmasse in situ bleiben.
Es ist zur Zeit noch zweifelhaft, ob der Wassergehalt dieser
kranken Gehirne absolut oder bloß im Verhältnis zum Gewicht
der festen Masse, die gegenüber dem normalen Zustande ab-
genommen hat, sich vermehrt hat. Die Wasseraufnahme seitens
des Nervengewebes erfolgt, nach Hocker und Fischer, wie beim
Fibrin und dem Muskelgewebe, d. h. hauptsächlich mittelst
Albuminoiden. Da nun die Albuminmasse vollständig gleich
geblieben ist und ein Teil derselben den lipoproteidischen Trennungs-
prozeß erlitten hat, darf man annehmen, daß die neuen Protein-
moleküle ein größeres Quantum Wasser zu sich genommen haben,
was den Verlust an Lipoiden wettmachen würde.
Ein jeder dieser pathogenetischen Erklärungsversuche bedarf
eigener systematischer Untersuchungen; ich habe sie bloß an-
geben wollen, um darzutun, daß die wenigen Tatsachen, die uns
bisher bekannt sind, mit dem chemisch-pathologischen Vorgang
der 3 betrachteten Krankheiten im Einklang stehen. Es möge
uns daher gestattet sein, für heute auf die Resultate dieser ersten
Untersuchungen, welche die allgemeinen Regeln, die der Neu-
raxis bei seinem Erkranken unter der Wirkung von degenerativen
Erregern befolgt, und welche ferner die klinische Tatsache der
Umwandlung dieser Krankheiten in eine gleichartige Endphase
der Dementia zu beweisen scheinen, aufmerksanı zu machen.
Über den Kreatingehalt des menschlichen Herzmuskels
bei verschiedenen Krankheitszuständen.
-Von
Fr. Constabel.
(Aus der Medizinischen Poliklinik der Universität Halle a. S.)
(Eingegungen am 30. Juni 1921.)
Die Frage, ob der Dehnungszustand des menschlichen Herz-
muskels ausschließlich von der Kontraktionskraft und den Arbeits-
bedingungen abhängt, oder ob außerdem ein von der Kontraktions-
kraft unabhängiger Tonus des Herzens besteht, hat neuerdings
wieder vermehrtes klinisches Interesse gefunden. Klinische Beob-
achtungen weisen auf die Möglichkeit einer Dilatation hin.
die in keinem direkten Verhältnis steht zu dem während der
Diastole in dem betreffenden Herzabschnitt herrschenden Drucke.
Auch am quergestreiften Skelettmuskel wird neuerdings wieder
von manchen Autoren der Tonus von der Eigenschaft der Kon-
traktion getrennt und ersterer von dem autonomen, letzterer
von dem willkürlichen motorischen Nervensystem : abhängig
gedacht. Pekelharing!) und Frank?) teilen Beobachtungen
mit, die darauf hinweisen, daß in Muskeln mit erhöhtem Tonus
der Gehalt an Kreatin vermehrt ist. Dem widersprechen freilich
die Beobachtungen von Kahn?), der an den Muskeln der vorderen
Extremitäten des Frosches während des tonischen Umklammerungs-
reflexes einen niedrigeren Kreatingehalt fand als an den nicht
tonisierten Muskeln der Hinterextremitäten.
Wenn demnach die Frage nach der Beziehung des Kreatin-
gehaltes zum Tonus des Muskels noch nicht geklärt ist, so erscheint
es erwünscht, weitere Tatsachen als Beitrag zu dieser wichtigen
Frage des Muskelstoffwechsels zu sammeln. Aus diesen Über-
legungen heraus habe ich bei Leichen, die an verschiedenen Krank-
heiten gestorben waren, den Kreatingehalt des Herzmuskels,
z. T. an Proben, die beiden Kammern entnommen waren, bestimmt.
1) Pekelharing, Zeitschr. f. physiol. Chemie 78, 207.
2) E. Frank, Berl. klin. Wochenschr. 1919, Nr. 45.
3) R. H. Kahn, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 177, 294. 1919.
‚Fr. Constabel: Kreatingehalt des menschlichen Herzmuskels usw. 153
Das Material stamınte aus den Pathologischen Instituten der Uni-
versitäten Halle und Hamburg. Die Kreatinbestimmungen wurden nach
den Vorschriften von Kahn ausgeführt. Doppelbestimmungen ergaben
gut übereinstimmende Ergebnisse. Im ganzen wurden die Herzen von
38 Leichen auf ihren Kreatingehalt untersucht.
Dabei wurden folgende Ergebnisse erzielt:
In dem Herzmuskel menschlicher Leichen wurde bei normaler
Muskelbeschaffenheit (Tod durch Suicid, im Status epilepticus)
ein Kreatingehalt von 1,7—1,8 mg pro Gramm Muskelsubstanz
gefunden. Ähnliche Werte fanden sich bei Nierenkranken mit
straffen bzw. leicht hypertrophischem Herzmuskel (4 Fälle).
Niedrige Kreatinwerte zwischen 0,6 und 1,2 mg fanden sich
bei 6 Fallen von fettiger Herzmuskelentartung mit, weicher brüchi-
ger Muskelbeschaffenheit und bei einem Fall von Diphtherieherztod.
Der Kreatingehalt des rechten und linken Ventrikels wies bei diesen
Fällen keinen deutlichen Unterschied auf. Auch bei 2 Fällen von
eitriger Peritonitis wurden niedrige Werte von 1,2 mg gefunden.
Bei 3 Fällen von Kachexie durch Rückenmarkstumor,
Carcinoma recti und Katatonie wurden schr niedrige Werte von
0,7—1,0 mg ermittelt, bei einem Falle von Tetanus nur 0,8 mg.
2 Fälle von Typhus abdominalis ergaben 1,40—1,46 mg,
4 Fälle von Lungentuberkulose 1,4—1,5 mg Kreatin. Eine tuber-
kulöse gelatinöse Pneumonie mit akutem Verlauf dagegen ergab
den hohen Krcatinwert von 1,88 mg.
Bei Furunculose, Decubitus mit Weichtellabscessen und bei
Osteomyelitis fanden sich 1,5—1,7 mg, bei einem Fall von Hirn-
absceß 1,6 mg, bei 2 Fällen von Puerperalsepsis 1,88 mg Kreatin
im Gramm Muskelsubstanz.
Während im allgemeinen die im linken und rechten Ventrikel
bestimmten Werte bis auf weniger als 10%, des Wertes überein-
stimmten, fand sich bei einer Aorteninsuffizienz mit Hypertrophie
des linken Ventrikels links 1,60, rechts 1,28 mg, bei einem zweiten
ähnlichen Falle links 1,75, rechts 1,30 mg Kreatin.
Ein deutlicher Einfluß des Alters und Geschlechts auf den
Kreatingehalt des Herzens wurde nicht beobachtet.
Im großen und ganzen wurde also bei guter straffer Be-
schaffenheit des Herzmuskels ein hoher Kreatinwert, bei schlaffer
Beschaffenheit, besonders bei fettiger Entartung des Herzmuskels,
niedriger Kreatinwert beobachtet.
Beiträge zur Physiologie der Drüsen.
XLVIII. Mitteilung.
Von
Leon Asher.
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.)
Untersuchungen über den respiratorischen Stoffwechsel des milz-
losen Hundes.
Von
Chu Koda (Tokio).
(Eingegangen am 21. Juni 1921.)
Der respiratorische Stoffwechsel in seinem Zusammenhang
mit der Milz wurde von Nicola Danoff an der Ratte untersucht.
Es ergab sich, daß die Wegnahme der Milz eine Steigerung des
respiratotischen Stoffwechsels bewirkte (Nicola Danoff, diese
Zeitschr. 93, Heft1/2. 1919). Daraus konnte der Schluß gezogen wer-
den, daß mit Rücksicht auf den respiratorischen Umsatz Milz und
Schilddrüse antagonistisch wirken, indem ja die Wegnahme der
letzteren den respiratorischen Umsatz herabsetzt. Dieser Schluß
stand auch im Einklang mit den Beobachtungen von Streuli
(H. Streuli, diese Zeitschr. 98, 359. 1918), welcher gefunden
hatte, daß Ratten ohne Milz empfindlicher, ohne Schilddrüse
unempfindlicher gegen Sauerstoffmangel werden. Nun liegen die
Verhältnisse bei der Ratte etwas eigenartig, indem die Ratte die
Wegnahme der Milz nur 10 Tage lang überlebt, wie sowohl aus
den Beobachtungen von Danoff wie auch denen vor Lepehne
hervorgeht. Hauri dehnte die Untersuchung auf das Kaninchen
aus (Otto Hauri, diese Zeitschr. 98, 1. 1919) und fand bei diesen,
daß nach Entfernung der Milz die Wasser und Kohlensäure-
abgabe steigt; auch fand er, daß die nachträgliche Entfernung
der Milz beim schilddrüsenlosen Tier die auf die erste Operation
hin verminderte Kohlensäure und Wasserausscheidung wieder
zum Ansteigen bringt. Die letztgenannte Tatsache kann aber
nicht so hoch bewertet werden, weil Ruchti (E. Ruchti, diese
L. Asher: Drüsen. XLVIII. 155
Zeitschr. 105, H. 1—3. 1920) seitdem im Berner Physiologischen
Institut fand, daß beim Kaninchen 8—10 Tage nach Wegnahme
der Schilddrüse der respiratorische Umsatz sich wiederum der
Norm zu nähern beginnt und erst durch hinzugefügte Wegnahme
der Thymus längere Zeit, wenn nicht dauernd, auf seinem niedrigen
Stande verbleibt. |
Da der Hund dasjenige Tier war, an dem früher Asher mit
seinen Mitarbeitern Grossenbacher und Zimmermann die
Rolle der Milz am Eisenstoffwechsel klargelegt hatte, war es
geboten, die Beziehung zwischen Milz und respiratorischem Stoff-
wechsel an diesem Tiere zu untersuchen. Ich folgte daher der
Aufforderung von Professor Asher, den respiratorischen Umsatz
des Hundes vor und nach der Milzexstirpation zu untersuchen.
Die Methode, deren ich mich bediente, ist die im Berner Institut
übliche, wie sie zuletzt von Jose M. de Corral (José M. de Corral, diese
Zeitschr. 86, 176. 1918) genau beschrieben wurde. Wie er, gebrauchte ich
die Hundekammer des J aq uetschen Respirstionsapparates und analysierte
die gewonnenen Luftproben mit einem Haldaneschen Gasanalysenapparat.
Alle Versuche wurden an einem 14!/, kg sohweren Foxterrier, der sioh zu
Respirationsversuchen gut eignete, weil er in der Respirationskammer
während der Versuchsdauer ruhig liegen blieb, angestellt. Vor Beginn
der länger andauernden Versuchsperiode, die sioh vom 1. V. 1919 bis zum
12. VIL 1919 erstreckte, wurde er auf die Versuche in der Kammer ein-
dressiertt. Der Hund erhielt als Nahrung einen gleichmäßig zusammen-
gesetzten Hundekuchen. 20 Stunden vor Beginn eines Versuches wurde
ihm die Nahrung entzogen, so daß er in dem geeigneten Zustand für die
Untersuchung des Grundumsatzes in die Respirationakammer kam.
In der Zeit vom 1. bis 13. V. wurden 5 Respirationsversuche
angestellt, die zur Beurteilung des Grundumsatzes des normalen
Hundes während einer Periode gewöhnlicher Nahrung dienten.
Die Ergebnisse dieser Reihe, wie die aller nachfolgenden Versuche,
sind in einer Generaltabelle zusammengefaßt, die alle nötigen Angaben
enthält. Als Durchschnittswert ergab sioh eine Kohlensäureproduktion
pro Kilo und Minute von 7,23 com, ein Sauerstoffverbrauch pro Kilo und
Minute von 8,76 com und ein respiratorischer Quotient von 0,76. Vergleiohe
ioh meine Werte mit den sonst bekannten aus der Literatur, so stimmen
dieselben mit ihnen ziemlich überein. Die Durchschnittswerte von Corral
waren ein klein wenig höher, was wohl mit der Individualität seines Ver -
suchshundes zusammenhängen mag. Der Respirationsquotient entspricht
einem Stoffwechsel, an dem Fette und Eiweiß neben Kohlenhydraten in
der normalen Weise beteiligt sind. Untereinander stimmten die Werte
des Respirationsquotient aus 2 Versuchsperioden, wie die Tabelle zeigt,
hinreichend tiberein. |
156 L. Asher:
Tabelle I.
(Hund Nr. III. Foxterrier.)
— m m — nn nn a
— p Z5 z| Luftanalyse |CO,-Produktionf O,- Verbrauch
= DE Be-
— 3 A — Sande Ci R--Q- | merkungen
* | Se i. Liter|in cem li Liter|in ccm E
l 1. V. 1919| 668 6.99 | 8,02 | 9,22 | 0,76 | Normaler
| 591 6,83 | 7,66 | 8,81 10,78 | Hund, ge-
2! 3. v. 1919| 791 6,42 | 7,51 | 9,10 |o,7ı [wöhnliche
| 1098 | 5.85 | 7,68 | 9,30 [0,63 e-
3) 7. V. 1919| 791 6.57 | 7,59 | 8,76 [0,75
| 803 6.30 | 7,47 | 8,61 [0,73
i 815 6.67 | 7,58 | 8,74 [0,76
4 9. V. 1919| 784 6.00 | 7,13 | 8,28 | 0,73
| 802 5,40 | 5,78 | 6,71 |0,81
| 807 6,85 | 7,67 | 8,90 | 0,77
5 18. V. 1919| 1004 7,44 | 8.18 | 9,56 | 0,78
| 736 5.37 | 6.03 | 7,10 | 0,77
Mittelwerte: 0,78 |20,06 | 5,47 | 7,28 | 7,86 | 8,76 [0,75
Tabelle I.
sio = |E} E E “Loitinniyse CO,-Produktion
2 | “es i Be-
5 | Datum = 2 S Stunda; u. Min. merkungen
á j = J i. Liter in cem
— ö—⸗⸗
6 14. V. 1019| 758 | 0,84 09 16
| 743 | 0,80 ! 20.01 66
719. V. 1919| 771 | 0,79 | 20,00 81
726 | 0,81 | 19,99 58
| 748 | 0,74 | 20,03 17
8| 21. V. 1919| 874 | 0,80 | 20,02 66
| 871 | 0,73 | 20,08 94
| 860 | 0,74 | 20,07 95
926. V. 1919| 669 | 0,88 19,94 42
| 630 | 1,11 | 19,70 69
636 | 0,98 s 83
10/28. V. 1919| 764 | 0,66 | 20,15 50
| I 767 | 0,68 : 20,15 c9
| 132 | 0,71 |20,10 68
3. VI. 1919| 856 | 0,60 | 20,23 ;
760 | 0,66 | 20,15
792 | 0,72 120,11
Mittelwerte:
Drüsen. XLVIII. 157
Tabelle III.
s ER: g| Luftanalyse CO,-Produktion @,-Verbrauch
g “38 Be-
p| Dem 15mm de |A Mi | atana a m| E O [merkungen
á | ERS in Liter | in ccm | in Liter | in cem
11 | 13. VI. 1919 4,18 | 5,20 0,78 | 4. Juni
4,54 | 5,65 0,71) Ent-
| 4,23 | 5,26 mne
12 | 16. VI. 1919 | 864 4,06 | 5,09 Hund.
| 19. VI. 1919 | 857 4,28 | 5,33 Gewöhr-
| 732 4,25 | 5,28 liche
| 752 421 | 5,24 Nahrung.
14! 23. VI. 1919 | 746 4,74 | 5,99
709 5,46 | 6,74
733 4,18 | 5,15
| 26. VI. 1919 | 789 5,29 | 6,48
| 790 4,85 |. 5,61
| 767 5,83 | 7,15
16! 28. VI. 1919 | 806 5,89 | 7,24
| 791 4.67 | 5.74
| 752 4,96 | 6,11
17 2.v11.1919 | 800 4,08 | 5,02
| 805 6,04 | 7,43
| 808 5,01 | 6,16
Mittelwerte: | 4,78 | 5,89 | 6,08 | 7,68 |0,78
Tabelle IV.
A 38* Luftanalyse | | CO,-Produktion _O,-Verbrauch J
E 33 kg kg 3
“ >A % % |inLiter|in cem | inLiter|in ccm
|
18} 4. VII. 1919| 781 — 19,99 0,83 | Milzloser
849 | 0,71 | 20,14 0,82] Hund.
840 | 0,66 | 20,19 Pepton
19| 8. VII. 1919] 768 | 0,77 | 20,05 0.80 | gegeben.
818 | 0,76 | 20.03
2010. VIL.1919| 831 | 0,71 | 20,15
825 | 0,66 | 20.06
816 | 0,77 | 20.06
21 |19. VII. 1919| 820 | 0,51 | 20,33
809 | 0,75 | 20,10
850 | 0,63 | 20,22
Mittelwerte:
77
845 | .0,82 | 19,99
| 16
71
5,68 | 6,94
158 L. Asher:
In der nächsten Versuchsreihe erhielt der im übrigen gleich be-
handelte Hund anderthalb Stunden, ehe er in die Respirationskam-
mer gebracht wurde, 30 g Witte-Pepton in 200 ccm Wasser gelöst.
Das Präparat wurde dem Hunde durch die Schlundsonde eingegeben.
Ich gab das Pepton in der Absicht, den Hund während der Zeit. in welcher
er sich in der Respirationskammer befand, in einen Zustand erhöhter
Lebertätigkeit versetzt zu wissen. Daß die Eingabe von Pepton die Tätig-
keit der Leber erhöht, wurde zum ersten Male von Asher und Barbera
duroh den Nachweis gezeigt, daß nach intravenöser Injektion von Pepton
vermehrte Gallenbildung neben gesteigerter Lymphbildung zu beobachten
ist. In mannigfacher Weise wurde seither die Steigerung der Lebertätigkeit
unter dem Einflusse von Pepton von Asher und seinen Mitarbeitern
erwiesen. Vom Standpunkte der Stoffwechselphysiologie ist besonders die
von Tschannen gefundene Tatsache beachtenswert, daß orale Eingabe
von Pepton bei der Ratte die Leber glykogenfrei machen kann. Am Hund
hatte Loeb (Physiologisches Institut) gezeigt, daß Fütterung mit Pepton
den GallenflußB aus einer Dauerfistel merklich steigert eine Steigerung,
die mindestens zum Teil auf vermehrte Bildung der Galle zurückzuführen ist.
Ich habe im ganzen 6 Versuche mit Peptonfütterung ausgeführt.
Die Dauer des Aufenthaltes des Hundes in der Respirationskammer
in den einzelnen Versüchen erstreckte sich über mehrere Stunden.
Wie meine Gencraltabelle zeigt, war die Kohlensäurebildung und der
Sauerstoffverbrauch eher in dieser ganzen Reihe etwas kleiner als vorher,
nämlich pro Kilogramm und Minute 6,53ccm CO, und 8,3200m O,. Die kleine
Abnahme führe ich auf die größere Gewöhnung des Hundes an das ruhige
Liegen im Respirationskasten zurück. Der respiratorische Quotient war
der gleiche wie in der Reihe vorher.
Das Ergebnis dieser Versuchsreihe liefert keinen Anhaltspunkt
dafür, daß der respiratorische Stoffwechsel dem durch andere Metho-
den nachgewiesenen veränderten Verhalten der Leber Ausdruck
verleiht. Man wird vielleicht geneigt sein, auf Grund der Respira-
tionsversuche in Zweifel zu ziehen, daß überhaupt unter dem
Einfluß des Peptonr eine gesteigerte Iebertätigkeit zustande
kommt. Ich glaube aber nicht, daß das negative Ergebnis irgend-
wie zwingend die besondere Art gesteigerter Lebertätigkeit, wie
sie unter dem Einflusse des Peptons entsteht, abzulehnen nötigt.
Es gibt Drüsenaktivität, welche mit einer sehr merklichen Steige-
rung des Umsatzes einhergeht, es gibt wiederum andere Drüsen-
tätigkeiten, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Streitfrage der
Bewertung der sogenannten Verdauungsarbeit wäre nicht so
schwer zu lösen, wenn die Beziehungen zwischen Gaswechsel und
sämtlichen Drüsentätigkeiten einfacher Natur wären.
Drüsen. XLVII. | 159
Am 4. VI. 1919 schritt ich zur Entmilzung des Hundes. Die-
selbe geschah unter Anwendung von Morphium und Äthernarkose.
Der Bauchschnitt wurde entlang der Linea alba geführt. Die aseptisch
bewerkstelligte Operation dauerte 18 Minuten. Nach Exstirpation der
Milz, welche 37 g wog, untersuchte ich die weitere Umgegend auf das etwaige
Vorhandensein von Nebenmilz. Am 13. VI. war die Operationswunde völlig
geheilt, so daß der Hund zum ersten Male wieder in die Respirationskammer
kommen konnte. Das Körpergewicht hatte am 3. VI. vor der Operation
14!/, kg betragen, am 13. VI., 9 Tage nach der Entmilzung, betrug es
13!/, kg. Auf diesem um 1kg verminderten Körpergewicht hielt sich der
Hund bis zum Schlusse sämtlicher Versuchsreihen am 12. VII. Der Hund
erhielt in der Periode vom 13. VI. bis 2. VII. eine gewöhnliche gemischte
Nahrung und kam behufs Untersuchung des Grundumsatzes nach 18- bis
20stündigem Fasten in die Respirationskammer. Im ganzen habe ich in
dieser Reihe 7 Versuche angestellt.
Aus der Übersicht in meiner Generaltabelle ergibt sich, daß
als Mittelwerte der 7 Versuche pro Kilogramm und Minute
5,89 ccm CO, gebildet und 7,53 ccm O, verbraucht wurden. Der
Respirationsquotient blieb auf dem konstanten Wert von 0,78.
Diese Versuchsreihe läßt sich nicht anders deuten, als daß die
Entfernung der Milz beim Hunde nicht zu einer Steigerung des
Grundumsatzes, beurteilt nach dem Gaswechsel, führt. Unerwartet
ist dieses Ergebnis insofern, als Richet auf Grund der Unter-
suchung der Stickstoffausscheidung am Hund von einem gesteiger-
ten Stoffwechsel infolge Fehlens der Milz spricht. Mein Ergebnis
steht auch im Gegensatz zu dem Befund von Danoff an der
Ratte. Es könnte bezweifelt werden, ob vielleicht die Milzexstir-
pation eine vollständige gewesen sei. Wir besitzen aber ein Kri-
terium, um die Vollständigkeit der Milzexstirpation zu beurteilen,
das ist das Vorhandensein von Jollykörpern im Blute. Ich habe
nach der Milzexstirpation bis zum Schlusse der Arbeit die Jolly-
körper im Blute nachweisen können. Es könnte ferner der Ein-
wand erhoben werden, daß der negative Ausfall der Versuche eine
individuelle Erscheinung an meinem Versuchshund gewesen sei.
Ich habe mir diesen Einwand selbst gemacht und auch an einem
zweiten Hunde gearbeitet, konnte aber aus äußeren Gründen
die an diesem Hunde begonnene Versuchsreihe nicht zu Ende
führen. Daß der genannte Einwand aber hinfällig sei, wird in der
nachfolgenden Arbeit von Dr. Doubler gezeigt, der unter neuen
Bedingungen das Verhalten des milzlosen Hundes prüfte.
Ich schloß an die soeben dargelegte Versuchsreihe eine weitere
160 L. Asher: Drüsen. XLVIII.
an, in welcher dem milzlosen Hunde in der früher beschriebenen
Weise Pepton gegeben wurde. Ich habe 4 derartige Versuche
angestellt. Wie aus meiner Übersichtstabelle hervorgeht, beträgt
der durchschnittliche Wert pro Kilogramm Körpergewicht und
Minute 6,94 ccm CO,-Bildung und, 8,67 ccm O,-Verbrauch.. Diese
Werte sind größer als diejenigen, die den Gaswechsel des milzlosen
Hundes bei gewöhnlicher Nahrung betreffen, und sie sind auch
größer als die Werte beim normalen Hunde während der Periode
der Zufuhr von Pepton. Es ist noch zu bemerken, daß alle sonstigen
Bedingungen während der Versuchsreihe genau die gleichen waren
wie vorher, namentlich war die Temperatur des Versuchsraumes
nicht verschieden. Nach dem, was ich früher ausgeführt habe,
war eigentlich unter der Einwirkung von Pepton eine Erhöhung
des Gaswechsels zu erwarten; sowohl deshalb, weil die spezifisch
dynamische Wirkung hätte eintreten können, wie auch wegen
der durch anderweitige Methoden nachgewiesenen Erhöhung der
Lebertätigkeit. In der Normalreihe war aber eine derartige
Steigerung nicht eingetreten. Daß sie in der Versuchsreihe am
milzlosen Hunde zum Ausdruck gelangt ist, ist nicht ganz leicht
zu erklären. Das Wenige, was wir über den Zusammenhang von
Milz und Lebertätigkeit wissen, besteht in Grundlagen über die
Vorstellung, daß die Milz die Tätigkeit der Leber zu aktivieren
vermag. Abgesehen von Puglieses Beweis, daß bei fehlender
Milz die Gallenfarbstoffbildung vermindert ist, sind es namentlich
die von Ebnöther im Berner Laboratorium aufgefundenen Ver-
stärkungen der Hämolyse und des Hämoglobinabbaus in der Leber
durch Milzextrakt, die in diesem Sinne sprechen. Ich hatte sogar
ursprünglich die ganze Versuchsreihe mit Pepton deshalb geplant,
um einen Einblick in die Größe der Lebertätigkeit beim normalen
und milzlosen Tier zu erhalten. Bei dem Ausfall des Versuches
beim Normaltier bleibt aber der Versuchsplan auf diesem Wege
vorläufig nicht durchführbar und deshalb muß auch auf einen
Erklärungsversuch der anscheinenden Erhöhung des Gaswechsels
im letzten Versuch verzichtet werden.
Als wesentliches Ergebnis der vorstehenden Arbeit ist der
Nachweis zu bezeichnen, daß beim Hunde, der auf gewöhnliche
Weise ernährt wird, die Milzexstirpation keinen erkennbaren
Einfluß auf die Größe des Gaswechsels hat, daß demnach die
Verhältnisse anders liegen als bei der Ratte und dem Kaninchen.
Beiträge zur Physiologie der Drüsen.
XLIX. Mitteilung.
Von
Leon Asher.
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.)
Der respiratorische Umsatz des milziosen und eisenarm ernährten
Hundes.
Von
Franeis H. Doubler.
(Eingegangen am 21, Juni 1921.)
In einer aus dem Berner Institut hervorgegangenen Arbeit
fand Streuli, daß entmilzte Ratten auf Luftverdünnung viel
intensiver als normale Ratten reagierten, diese wiederum mehr
als schilddrüsenlose Tiere. Vorher konnte Rippstein in einer
gleichfalls aus dem Berner Institut hervorgegangenen Arbeit
zeigen, daß die Symptome, welche er bei Ratten in der Unter-
druckkammer beobachtete, auf Sauerstoffmangel beruhten. Im
Anschluß hieran verglich Danoff den respiratorischen Stoff-
wechsel von normalen und milzlosen Ratten miteinander und fand
dabei, daß nach Entfernung der Milz der Grundumsatz, beurteilt
an Kohlensäurebildung und Sauerstoffverbrauch, von Tag zu Tag
zunahm, während die respiratorischen Quotienten unverändert
blieben. Sodann konnte Duran zeigen, daß die Empfindlichkeit
gegen Sauerstoffmangel bei mit Schilddrüsensubstanz gefütterten
Ratten viel größer ist als bei normalen Ratten und noch größer
als bei schilddrüsenlosen Tieren. Aus all diesen Untersuchungen
an Ratten ergab sich eine antagonistische Beziehung zwischen
der Milz und der Schilddrüse — die eine hemmt, die andere fördert
Biochemische Zeitschrift Band 122. 11
162 L. Asher:
Dubois, der an Kaninchen arbeitete, wies auf eine antagonisti- ,
sche Beziehung zwischen Milz und Schilddrüse in bezug auf die
Blutbildung hin. Messerli konnte dadurch, daß er den Vorgang der
Blutbildung bei experimentell erzeugtem Sauerstoffmangel weiter
verfolgte, neue Stützen für die behauptete Beziehung gewinnen.
Auch für die Faktoren, die an der Blutgerinnung beteiligt sind,
konnte Yamada ein ähnliches Verhältnis wahrscheinlich machen.
Am Hund konnte zuerst der Nachweis geliefert werden, daß
die Milz ein Organ des Eisenstoffwechsels sei, in dem Asher und
seine Mitarbeiter Grossenbacher und Zimmermann bewiesen,
daß, wenn die Milz fehlt, abnorm große Mengen von Eisen aus-
geschieden wurden. Diese Tatsache gilt auch für den Menschen,
wie aus den Untersuchungen von Bayer in der Carr&schen und
von Roth in der Eichhorstschen Klinik hervorging. Die neue
Lehre wurde dann durch die späteren histologischen Untersuchungen
von Aschoff und M. B. Schmidt bestätigt.
Etwas abseits von der Reihe der genannten Tatsachen steht
die von Ebnöther in seinen Untersuchungen im Berner Institut
erkannte neue Funktion der Milz, die Tätigkeit der Leber bei der
Hämolyse roter Blutkörpercheh und dem Abbau von Hämoglobin
zu aktivieren.
Was nun die Untersuchungen des respiratorischen Stoff-
wechsels anlangt, so lagen bisher nur Versuche an der Ratte vor,
während am Hund nur der Eisenstoffwechsel in seiner Beziehung
zur Milz geprüft wurde. Deshalb hat Koda in der meiner Arbeit
voraufgehenden Untersuchung den respiratorischen Umsatz des
normalen und milzlosen Hundes miteinander verglichen. Das
Ergebnis dieser Untersuchung war, daß ein Unterschied im
Gaswechsel nicht zutage trat. Nun hatte Koda seine Unter-
suchungen an Hunden angestellt, welche mit gewöhnlicher Nah-
rung, also einer, welche erfahrungsgemäß die auch für den milz-
losen Hund hinreichende Eisenmenge enthielt, ernährt waren.
Daß dieser Umstand bei Prüfung der Milzfunktion nicht gleich-
gültig ist, hatte Sollberger bei seinen Untersuchungen an
Kaninchen gezeigt. Normale und milzlose Kaninchen regenerieren
gleichgut ihre roten Blutkörperchen, wenn sie mit der Nahrung
die nötigen Eisenmengen erhalten. Sobald aber das Eisen in der
Nahrung fortgelassen wird, tritt die Minderbefähigung des milz-
losen Kaninchens zur Blutregeneration zutage.
Drüsen. XLIX. 163.
Weglassung von Eisen bedeutet nun an sich schon einen Stoff-
wechseleingriff und daher mußten zuerst die von Koda mit-
geteilten Versüchsreihen angestellt werden, die von dieser Ände-
rung absahen. Ich folgte der Anregung von Professor Asher,
um erst den Grundumsatz des normalen anfänglich mit gewöhn-
licher, sodann mit eisenarmer Nahrung ernährten Hundes zu
vergleichen, um dann nach Entfernung der Milz bei andauernd
eisenarmer Ernährung die gleichen Untersuchungen fortzusetzen.
Das zum Versuch dienende Tier war eine zu Gaswechselunter-
suchungen sehr geeignete Hündin, etwa 10 Monate alt und von
24 kg Körpergewicht. Der respiratorische Gaswechsel wurde
während einer ersten Periode, während welcher der Hund mit
Hundekuchen ernährt wurde, untersucht. Daran schloß sich die
Periode mit eisenarmer Nahrung, hierauf die Entmilzung und die
letzte Periode bei Andauer der eisenarmen Ernährung. Der Hämo-
globingehalt des Blutes wurde fortlaufend bestimmt und vor und
nach Entfernung der Milz auf das Vorhandensein von Jollykörpern
untersucht. Gleich hier sei bemerkt, daß diese Körper erst nach
der Entmilzung zur Beobachtung gelangten. Die eisenarme Nah-
rung hatte folgende Zusammensetzung:
Stärkekleister . . . . 200 g
Schmalz. ...... 100 g
Zucker . .. 2... 100 g
Milh. .. 2.2... 1000 g
Die tägliche Zubereitung der Nahrung geschah in einem Aluminium-
topf. Auf-die Dauer empfand der Hund Widerwillen gegen die Nahrung,
konnte aber dooh zur Aufnahme derselben bewogen werden. Er behielt
sein Körpergewicht bei, blieb gesund, war von normaler Lebhaftigkeit
und bei guter Stimmung. Die Untersuchungen geschahen wie diejenigen
von Corral und Koda in dem Jaquetschen Stoffwechselapparat des
Berner Physiologisohen Instituts; zur Gasanalyse diente ein Haldanescher
Gesenalysenapparat. Die Einzelheiten der Methodik wurden in den Ar-
beiten der genannten Autoren beschrieben. Alle Versuche wurden zur glei-
chen Tageszeit von 9—12h morgens am nüchternen Hund ausgeführt.
Die Vorventilation dauerte immer eine Stunde.
Die Operation, Entfernung der Milz, wurde unter Morpbium-Äther-
anästhesie ausgeführt. Bei der Operation wurde die Umgebung der Milz
auf etwaige akzessorische Milzen abgesucht, ohne daß eine solche gefunden
wurde. Das Tier erholte sioh rasch nach der Operation.
Die Ergebnisse meiner Versuche lege ich in einer Generaltabelle nieder,
die aus 3 Tabellen besteht.
Tabelle I, die wichtigste meiner Arbeit, enthält eine Zusammenstellung
11*
Tabelle I.
164 L. Asher:
S
Ji tg
À — a.
| Fern “i AE SUS E f 17
| TE J RT: RE f: tese
| = i f 1.14»:
| 1. W- — — J: A E É
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1 938355|3 93338893933/9 59598939934383 |
3333333 332382893348 593835 — |
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ay BRBERE BEEBRESSHEE BASARRZZARRƏS |
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S Rg agi gagg TEE:
i E Eee EEE BEREBE Ex
d ~- ddad d g = oa 2 a g~”
Drüsen. XLIX. 165
sämtlicher Gaswechselversuche in üblicher Weise. In der Vorperiode
betrug der Grundumsatz pro Kilogramm Körpergewicht und in der Minute
4,41 com CO,-Bildung und 5,45 oom Sauerstoffverbrauch, der R. Q. dieser
ersten Periode betrug 0,811.
Vom 9. VI. bis 1. VII, erhielt der Hund die oben beschriebene eisen-
arme Nahrung. In dieser Versuchsperiode wurde an 6 Tagen ein Respirstions-
versuch angestellt. Die Mittelwerte den Grundumsatzes betrugen pro
Kilogramm Körpergewicht und in der Minute 4,88 oom CO,-Bildung und
6,2 ocom O,-Verbrauch., Der Mittelwert des R.Q. belief sich auf 0,790. In
dieser Periode mit eisenarmer Ernährung hat sich demnach eine Erhöhung
des Grundumsatzes von etwa 14° herausgestellt, ein Wert, der weit über
der Scohwankungsbreite normaler Versuche liegt. Es muß aber erwähnt
werden, daß in dieser Periode 3 sehr warme Tage sich ereigneten. Während
der Versuche an diesen Tagen blieb der Hund zwar ruhig liegen, aber er
schlief nicht wie gewöhnlich, hielt vielmehr den Kopf erhoben und atmote
sehr beschleunigt. Die hiermit verbundene Muskelarbeit könnte schon
gentigen, die beobachtete Erhöhung des Grundunnsatzes zu erklären. Es
liegt daher keine Nötigung vor, dem Eisenmangel in der Nahrung die Schuld
hieran zuzuschreiben. Die Exstirpation der Milz fand am 2. VII. statt.
In der Zeit vom ®. VII. bis 1. IX. wurden die weiteren Gasweobselversuche
an dem milzlosen, eisenarm ernährten Hund angestellt. Der Grundunnsatz
in dieser Periode belief sioh durchschnittlich pro Kilogramm und Minute
4,20 com CO,-Bildung und 5,388 com O,- Verbrauch. Der durohschnittliche
Wert des-R.Q. betrug 0,799.
Es ergibt sich fast Übereinstimmung mit den Werten der
normalen Vorperiode. Ich möchte besonders darauf hinweisen,
daß an 2 zeitlich weit auseinanderliegenden Tagen, nämlich dem
31, VII. und dem 1. IX. die erhaltenen Werte fast vollständig
übereinstimmen. Wir sehen aus diesen Versuchen, daß die Kom-
bination zweier Eingriffe, Exstirpation der Milz und eisenarme
Ernährung, innerhalb der Zeiten meiner Versuchsdauer keine
Veränderung des respiratorischen Grundumsatzes erfordern. Diese
Feststellung ist um so beachtenswerter, als wir aus den früheren
Arbeiten des Berner Institutes wissen, daß gerade unter diesen
Bedingungen das Hauptausfallssymptom des Fehlens der Milz
am klarsten zutage tritt, nämlich die sehr gesteigerte Eisenaus-
scheidung. Aber auch das andere Symptom ist allmählich zum
Ausdruck gelangt, nämlich die Herabsetzung des Hämoglobin-
gehaltes, wie meine Tabelle zeigt, in dem der anfänglich 97%
betragende Hämoglobingehalt im Laufe der Zeit auf 80%, herunter-
ging. In dieser Beziehung verhält sich der Hund wie das Kanin-
chen, an dem Sollberger zeigte, daB die Milzexstirpation im
Blutbild dann zum Ausdruck gelangt, wenn die Nahrung eisenfrei
166 L. Asher:
ist In meiner Tabelle II finden sich auch die Angaben über die
Jollykörper. Die vorher nicht vorhandenen Jollykörper waren
dauernd nach der Milzexstirpation nachweisbar. Ich betrachte
dies als ein sicheres Kriterium dafür, daß die Milz total exstirpiert
war und keine Nebenmilzen übriggeblieben oder neu gebildet
worden waren. Angesichte aller dieser Tatsachen bleibt nichts
anderes übrig als zu dem Schlusse zu kommen, daß der Hund
gegenüber der Milzexstirpation, was den Grundumsatz anlangt, viel
resistenter ist als die Ratte. Wie resistent Tiere gegen lang-
dauernden Eisenmangel sein können, haben ja auch die Versuche
von Martin Benno Schmidt an Mäusen gezeigt, in denen erst
in der 3. Generation die Folgen der eisenarmen Nahrung sich
geltend machten.
Tabelle II.
Datum | Hämoglobin (Bahli) | Jollykörper
%
2. VI. 1919 99 | abwesend
7. VI. 1919 97 | Š
9. VI. 1919 | Eisenarme Nahrung angefangen
19. VI. 1919 96 —
29. VI. 1919 97 abwesend
2. VII. 1919 | Entmilzung
13. VII. 1919 97 ++
20. VII. 1919 96
24. VII. 1919 95 ++
4. IX. 1919 85
6. IX. 1919 80
15. IX. 1919 80 ++
Tabelle III.
—
Datum | Gerinnungszeit des Blutes
19. VI. 1919 | Begann nach 1a Min. — fertig nach : Min.
4. IX. 1919
—
X “n «m Pays “n n *
In Tabelle III finden sich Angaben über die Gerinnungszeit des
Blutes. Die Entmilzung bringt keine Veränderung hervor.
Schlußfolgerungen.
1. Die Weglassung von Eisen und die Entmilzung haben
keinen bedeutenden Einfluß auf den respiratorischen Gaswechsel
eines Hundes.
Drüsen. XLIX. 167
2. Der Hämoglobingehalt des Blutes ist gegen diese Eingriffe
sehr resistent und wird nur langsam herabgesetzt.
‚3. Das Fehlen der Milz und die eisenfreie Ernährung haben
auf die Gerinnungszeit des Blutes keinen Einfluß.
Literatur.
Dubois, Über das Zusammenwirken von Milz, Schilddrüse und
Knochenmark. Diese Zeitschr. 31, 141. 1917. — Danoff, Der Einfluß
der Milz auf den respiratorischen Stoffwechsel. Diese Zeitschr. 93, H. 1 u. 2
— Duran, Das Verbalten von normalen, mit Schilddrüsensybstanz ge-
fütterten und schilddrüsenlosen Ratten gegen reinen Sauerstoffmangel.
Diese Zeitschr. 106, 254. 1920. — Ebnöther, Fortgesetzte Beiträge zur
Lehre von der Funktion der Milz. Das Zusammenwirken von Leber und
Milz. Diese Zeitschr. 72, 416. — Grossenbacher, Untersuchungen über
die Funktion der Milz. Diese Zeitschr. 17, 78. 1909. — Messerli, Das
Verhalten‘ des weißen Blutbildes beim normalen, schilddrüsenlosen und
milzlosen Tier unter Einwirkung von Sauerstoffmangel. Diese Zeitschr.
9%, 40. 1919. — Streuli, Das Verhalten von schilddrüsenlosen, milzlosen,
schilddrüsen- und 'milzlosen Tieren bei Sauerstoffmangel. Diese Zeitschr.
87, 359., 1919. — Zimmermann, Fortgesetzte Beiträge zur Funktion
der Milz als Organ des Eisenstoffwechsels. Diese Zeitschr. 17, 297. 1902.
— Yamada, Studien über die Blutgerinnung und über die Beziehungen
wwischen Schilddrüse und Knochenmark, sowie * und Knochenmark.
Diese Zeitschr. 87, 273. 1918.
Vergleichende Untersuchungen über den Erfolg von In-
fusionen in eine Vene des großen Kreislaufes und in die
Pfortader.
Von
Motoi Yamada.
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Bern.)
(Eingegangen qm 21. Juni 1921.)
Mit 8 Abbildungen im Text.
Ganz allgemein wird der Leber eine wichtige Rolle bei der
Regelung der mechanischen Verhältnisse des Kreislaufes zu-
geschrieben und man nimmt an, daß die mechanische Leistung
der Leber als ein dem Herzen vorgeschaltetes Organ, unter physio-
logischen und pathologischen Bedingungen nicht zu den unwesent-
lichsten Funktionen der Leber gehört. Bei physiologischen Ver-
suchen tritt vor allem bei der Infusion von Salzlösungen die Be-
teiligung der Leber zutage, indem man beobachtet, daß bei der
Infusion größerer Flüssigkeitsmengen die Leber bretthart wird.
Das Verhalten der Leber bei Infusionen spielt auch eine gewisse
Rolle in der Deutung der Vorgänge hinsichtlich der Lymph-
bildung, welche im Anschluß an die Infusionen beobachtet werden.
Wenn auch nicht der mindeste Grund vorliegt, die große Bedeu-
tung der Leber als eines dem Herzen vorgeschalteten Stauwehrs
gegen zu große Überschwemmung mit Flüssigkeitemengen zu
bezweifeln, so liegt doch noch Veranlassung vor, die Verhältnisse
näher zu untersuchen, weil die Art und Weise, wie die Leber
Ich folgte daher der Anregung von Prof. Asher, eine Unter-
suchung darüber anzustellen, wie sich gewisse Verhältnisse des
Kreislaufes gestalten, wenn man einmal eine Infusion in die Vena
jugularis und das andere Mal eine solche unmittelbar in die Vena
portae oder an einem Seitenzweig derselben ausführt. Im ersteren
Falle verteilt sich die injizierte Flüssigkeit nach dem Durchtritt
M. Yamada: Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes usw. 169
durch das Herz und die Lunge sofort in den gesamten Kreislauf,
im anderen Falle muß die ganze Flüssigkeit, ehe sie in den Kreis-
lauf gelangt, erst die Leber passieren. Auf diese Weise konnte
man hoffen, dasjenige, was die Leber hierbei leistet, etwas genauer
beobachten zu können. Mein Hauptaugenmerk richtete ich auf
das Verhalten des Hämoglobingehaltes. bei den verschiedenen
Infusionen. Der jeweilige Hämoglobingehalt liefert unter den
Bedingungen, wie ich meine Versuche anstellte, einen zuverlässigen
Maßstab über die Verdünnung, welche das Blut bei dem einen
und anderen Verfahren erleidet. Somit würde man darüber
Aufschluß erhalten, ob die Leber Flüssigkeit zurückhält oder
nicht. Zweitens habe ich den mittleren Blutdruck bei meinen
Versuchen registriert. Mit dieser einfacheren Beobachtungsart
habe ich mich in meinen ersten Versuchen begnügt. In meinen
späteren Versuchen bin ich dazu übergegangen, gleichzeitig die
Harnmengen zu messen, welche während und nach der Infusion
von Kochsalzlösung in den großen Kreislauf oder in den Pfort-
aderkreislauf abflossen. Welche Gesichtspunkte mich hierbei
geleitet haben, will ich später erörtern.
In der ersten Hälfte meiner Versuche verwendete ich 3 Kanin-
chen und eine Katze. Das Verfahren war im allgemeinen folgendes:
Die Tiere warden während der ganzen Versuchsdauer in Urethan
bzw. Morphium-Äthernarkose gehalten. Eine Kanüle wurde in die Arteria
carotis eingebunden und diente zur Blutdruckmessung. In die Vena jugu-
laris kam eine Kanüle, welche zur Infusion diente. Beide Vagi wurden am
Halse durchschnitten, um bei der späteren Operation in der Bauchhöhle
jeden Schock zu vermeiden. In die Trachea wurde eine Trachealkanüle
gebunden. Hierauf wurde die Bauchhöhle geöffnet und es wurden die
Arteria coelisca, mesenterica sup. und die Aorta descendens dicht unterhalb
der Arteria renalis sinistra abgebunden. Hierauf kam eine Kanüle in den
Hauptstamm der Vena portae. Durch die Abbindung der genannten
Arterien der Peritonealhöhle wurde erreicht, daß ein hoher Blutdruck mit
guter Herztätigkeit erhalten blieb, trotzdem die Vena portae abgebunden
werden mußte, aus Gründen, die bekannt sind, weil man sich ja auch zu
anderen Zwecken dieses Verfahrens bedient. Die in beiden Venen befind-
lichen Kanülen wurden mit Mariotteschen Flaschen verbunden. Bei dem
Einlauf achtete ich darauf, daß der Druck und die Einlaufszeit bei jedem
einzelnen Versuche möglichst wenig variiert. Durch Bestrahlung mittelst
Glühlampen wurden die Tiere während der Versuchsdauer auf Körper-
temperatur erhalten. Vor und nach jedem Eingriff wurde aus einem Ohr-
gefäße Blut entnommen, um mit Hilfe von Sahlis Hämometer den Hämo-
globingehalt des Blutes zu bestimmen.
170 M. Yamada:
Tabelle I.
1. Versuch vom 6. Februar 1917.
Kaninchen Nr. 1 S, Körpergewicht 2000 g.
— ARI E — {785 == — ~> 1} VorInfusion
I. Infusion
in Vena port.
I. Infusion
in Vena jug.
4a 20’
PE ETEN 11-12 1721 21 = Ir
ji 4 19—22 3 26 — 17201 —-6,5 -90 | 120
* 2 ‚N 27-28, | 11 | — | 30 | 680 | —40:.| -6,0 | 126
ss. z: rc IE R e — — | 138 | Pause
5h y 42 — I — — | — — — 137 | Pause
ns 6 1-1 | — [675 | -05 | -0,7| — [Pause
ba | 52—54: | 2 | 26 — [610 | —65 | -11,0 | 140
aa oe al = BE Ba E a ia Ai
: GR 661/687 /, 2 — 30» 60,0 —1,0 1,7 135 II. u
Bh 30 w base ee a >
En 2? |-I-ı -|-|I- | -|m | Panse
5» 49 3 keda aN e o
Bei dem soeben geschilderten Verfahren sind natürlich die
Einlaufsverhältnisse in die Leber durchaus keine normalen.
Zeem cn! 2m’ cm? Denn durch den Ein-
vp v griff ist die Leber vom
| T Blutstrom abgesperrt, wo-
EE
durch sioh in zunächst
nicht absehbarer Weise
$ sowohl die mechanischen
$ Verhăltnisse in der Leber
> als auch die physiologi-
X schen Eigenschaften der
Leberzellen verändern
müssen. Die Resultate,
E I die mit diesem Verfahren
gewonnen werden können,
TA een
30' w' 50° 60° 70° 80' %' darüber einen Aufschluß
Zei m Minuten ~ erwachsen, wie sich die
Abb. 1. mehr oder weniger leere
Strombahn in der Leber gegenüber einer sie passierenden Flüssigkeitsmenge
verhält. Die Resultate der in ihrer Methode soeben beschriebenen ersten
4 Versuche habe ich in den Protokollen 1—4 niedergelegt und jedem
GIOBTELSOLSELTLLEGSL SUB TEE
SS
AA on we G KU CUAL HRG
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 171
Tabelle II.
2. Versuch vom 9. Februar 1917.
Kaninchen Nr. 2 g, Körpergewicht 2250 g.
0,9% NaCl-
Lösung in ccm
infundiert
Abge-
laufene Dauer
Zeit
Bl
zw Bemerkungen
Zeit
in Vena |in Vena
port.
Minuten
Vor Infusion
I. Infusion in
Vena port.
Pause
I. Infusion in
Vena jug.
Pause
II.Infusion in
Vena port.
Il.Infusion in
Vena jug.
Pause
Versuche eine kurvenmäßige Darstellung des Verhaltens von Hämoglobin- |
menge und von Blutdruck beigegeben. Es bedarf daher nur einer kurzen
Schilderung des Wesentlichen an den Ergebnissen. Vergleicht man die
—————————— ——— UGAR GAIA
\
J
N
T m B-A 25° A- 007 e
Zeit ın Minuten
Abb. 2.
Verdünnung des Blutes nach der Infusion auf dem Wege der Vena portae
und auf dem Wege der Vena jugularis, so ergibt sich, daß in den 3 am
Kaninchen angestellten Versuchen in jedem Falle die Verdünnung nach
Infusion unmittelbar in die Vena portae größer war. Zwar ist der Unter-
schied kein sehr. großer, aber immerhin so, daß er merklich ist.
Zeit
172 M. Yamada:
Tabelle III.
3. Versuch vom 16. Februar 1917.
Katze ©, Körpergewicht 2000 e
0, Fall
Abge- —— in ccm
laufen» tige pn en
Zeit
—
— Pe
3» 41 — — — — — — 184 | Vor Infusion
AA, | a ka d la o o j1% 5
s dal lalala a aa
— Zu We n
© A l —— é B’/, | 4) 13.0 2 2,7 ar Vena jug.
any DR ER PR i IL.Infusionin
Ana, 33—37, | enl 410 | — I:sol o o |169 {Fena port
2 = 45 — — — = — 1 Pause i
4 / á zI / j 77 — - II Infusion
4* 311,7 J45 50t - p] 40 13.0 0 0 154 (Fen jug
4h 38/ 57 ~ea 1-1 = — |162 |P
Selbst wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollen, daß
er
N
257 30” 35’
Zet in Minuten
Abb, 3,
wollen, sondern die Dinge so betrachten, als ob in gleichen Fällen
die Verdünnung eine gleich große wäre, bleibt der Sachverhalt
hinreichend interessant. Denn es geht daraus. hervor, daß
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 173
Tabelle IV.
4. Versuch vom 26. Februar 1917.
Kaninchen Nr. 4 9, Körpergewicht 1700 g.
— — —
Veränderung des
Lösung in com | H4mo- | Hämoglobingehalts
Infundiert Jmlobin- | infolge der Infusion
gehalt |
0,9% Naci-
Abge-
laufene
Zeit
Zeit Bemerkungen
in Vena In Vena
port. | jug. | % _
Minuten
zu — 70,0 Vor Infusion
L Infusion
40 — |650 inVena port.
> — — Pause
I. Infusion
in Vena jug.
Pause
II. Infusion
in Vena port.
Pause
II. Infusion
in Vena jug.
~- 40 | 64,0
40 — 1620
Blutent-
* für
Hämo-
——
estimmung
verzögert.
4 869/,/
#37
keinesfalls in der Leber ein Teil der Flüssigkeit zurückbehalten
worden sei, sondern die Flüssigkeit hat einfach die Leber durch-
strömt, ohne daß die Leber eine Wirkung als Reservoir ausgeübt
hätte. Nun fragt es
sich, ob Momente
vorhanden sind, die
außer der Infusion auf
dieKonzentrationdes
Blutes einen Einfluß
gewinnen könnten
und die etwa der-
gestalt beschaffen
sein könnten, daß sie
anderweitig einwir-
kende Einflüsse ver-
wischen können. In
y0cm! voen? cm? 40cm!
V p. Ki Vp. ES
20 25" 30
Zet ın Minuten
Abb, 4.
174 M. Yamada:
erster Linie wäre hier an den Blutdruck zu denken, und zwar
deshalb, weil die Ansicht vertreten worden ist, daß Blutdruck-
erhöhung eine Konzentrierung, Blutdruckerniedrigung eine Blut-
verdünnung herbeiführen. Diese vielfach vertretene Ansicht
ist zwar durch die Arbeiten von Asher und seinem Mitarbeiter
Böhm widerlegt worden, was aber nicht hindert, daß dieselbe
neuerdings wieder ohne hinreichende Experimentalkritik von
F. H. Scott!) vertreten wird, der beispielsweise die Injektion
von Adrenalin als eine einfache mechanische Blutdrucksteigerung
behandelt, ohne zu bedenken, daß die 'Adrenalininjektion recht
intensive Stoffwechselprozesse im Gefolge hat, die notwendiger-
weise zu einer Bluteindickung führen müssen. In meinen Versuchen
nun ergibt die Berücksichtigung des Blutdruckes keine Erklärung
für die durch die Hämoglobinbestimmung ermittelten Konzen-
trationsverhältnisse des Blutes, denn eine nähere Prüfung der
Beziehung zwischen dem Blutdruck und den beiden verschiedenen
Arten der Infusion ergibt, daß am ehesten von einer jedesmaligen
kleinen Steigerung des Blutdruckes nach Infusion in die Vena
portae gesprochen werden kann, eine Steigerung, welche gerade
entgegengesetzt wirken müßte, als wie es tatsächlich der Fall ist.
Wie wenig das mechanische Moment der reinen Blutdrucksteige-
rung oder Blutdruckerhöhung auf die Konzentration des Blutes
wirkt, läßt sich selbst aus meinen Versuchen erkennen, beispiels-
weise aus dem Versuch Nr. 3 vom 16. II. 1917 an einer Katze.
In diesem Versuch waren im Anfange die Höhen des Blutdruckes
sehr groß, indem sie nicht weniger als 180—190 mm Hg betrugen,
während am Ende des Versuches der Blutdruck auf 154mm Hg
gesunken war. Trotz dieser Tatsache und trotzdem 160 ccm
Flüssigkeit im ganzen infundiert worden waren, hatte die Hämo-
globinmenge nur um 2% im ganzen abgenommen. Aus allem
diesen geht hervor, daß die Verhältnisse des Blutdruckes keinen
Einfluß auf die Konzentration des Blutes ausgeübt haben können.
Es kann noch an eine andere Möglichkeit gedacht werden,
die Verdünnung zu erklären, welche nach der Infusion auf dem
Wege durch die Leber stattfindet. Es ist ja klar, daß die Ver-
dünnung in der Vena jugularis keiner weiteren Erklärung bedarf.
Man könnte nämlich annehmen, daß die Absperrung des Kreis-
laufes von der Leber eine Stagnation von Gewebsflüssigkeit in
) F. R. Scott, Americ. Journ. of physiol. 44, 298. 1917.
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 175
derselben herbeigeführt hätte; wenn dies der Fall wäre, könnte
die Infusion nicht allein die Blutmenge um die infundierte Flüssig-
keit vermehrt haben, sondern es könnte gleichzeitig ein Transport
von Gewebsflüssigkeit aus der Leber stattgefunden haben. Diese
Erklärung ist rein hypothetisch. Einfacher scheint es mir zu
sein, anzunehmen, daß die Flüssigkeit einfach die Leber passiert
habe und die Leber nicht als Flüssigkeitereservoir zum Zurück-
halten eines Teiles der Flüssigkeit gedient habe. Natürlich gilt
diese Behauptung nur für die Bedingungen meiner Versuche und
würde bedeuten, daß die Leber die Fähigkeit verloren habe,
Flüssigkeitsmengen von der Größenordnung meiner Versuche
aufzustapeln, wenn sie eine Zeitlang aus dem Kreislaufe aus-
geschaltet worden ist. In dieser Fassung würden wir somit zu
dem Schlusse gelangen, daß die Leber nicht auf einem rein mecha-
nischen Wege als Stapelort oder Reservoir für in dieselbe ein-
tretende Flüssigkeitsmengen dient.
In jedem Versuche wurden je 2 Infusionen in die Vena portae
und je 2 in die Vena jugularis gemacht. :. Immer waren die Ver-
dünnungen im Anfang größer als bei den späteren Infusionen.
Dies erklärt sich wohl daraus, daß nach der ersten Infusion sehr
bald ein Übertritt der injizierten Flüssigkeit in die Gewebsräume
stattfindet. Der einmal geweckte Vorgang bleibt während der
weiteren Versuchsdauer im Gange und seine Folgen interferieren
mit denjenigen der Infusion.
Außerordentlich geringfügig ist der Einfluß der Infusion
in Versuch Nr. 3, der an der Katze angestellt wurde. Von 4 In-
fusionen bewirkte nur eine einzige eine an der Verminderung
des Hämoglobingehaltes merkliche Verdünnung des Blutes. Da
gerade in diesem Versuche der Blutdruck ein sehr hoher war,
könnten die Anhänger der Auffassung, daß bei hohem Blutdruck
eine starke Filtration stattfindet, diese hier geltend machen.
Wir wissen, daß diese Auffassung nicht zu Recht besteht. Man
hat aber bei solchen Infusionen, wie ich sie in meinen Versuchen
ausgeführt habe, die durchaus nicht gewaltsamer Natur waren,
an einen Vorgang zu denken, auf den Asher!) zuerst hingewiesen
hat. Er konnte nämlich durch Untersuchung der Lymphbildung
zeigen, daß die Injektion von kleinen Flüssigkeitsmengen Tätigkeit
der Organe weckt. Diese Tätigkeit der Organe geht aber Hand in
1) L. Asher, Zeitschr. f. Biol. 18 (N. F.), 261. 1898.
176 M. Yamada:
Hand mit einem vermehrten Flüssigkeitstransport aus den Blut-
capillaren. Dergestalt kann es auf diese Weise wiederum zu einer
Interferenz zwischen der blutverdünnenden Wirkung einer nicht
zu großen Infusion und der bluteindickenden Wirkung der durch
diese Injektion geweckten Organtätigkeit kommen. Gerade bei
dem guten Zustande, in dem sich das Tier bei dem besagten Ver-
suche befindet, dürfte der Einfluß der Organtätigkeit nicht zu
unterschätzen sein. |
Es schien jedenfalls notwendig, die bisher gemachten Er-
fahrungen dadurch zu erweitern, daß die Versuchsbedingungen
mehr physiologisch gestaltet wurden. Hierzu war es erforderlich,
das Versuchsverfahren so umzuändern, daß die Kreislaufs-
verhältnisse in der Leber möglichst wenig gestört wurden, d. h.
daß die Infusionen in eine Leber stattfinden, welche in normaler
Weise ihre arterielle und ihre venöse Versorgung erhielt. Hierzu
war es erforderlich, Hunde zu benutzen, weil an diesen Tieren
mit Leichtigkeit die genannten Bedingungen sich erfüllen ließen.
Die Versuchsanordnung war im wesentlichen die gleiche wie am
Kaninchen, nur mit dem Unterschiede, daß die ganze große
Operation in der Bauchhöhle wegfiel und anstatt dessen nach
Anbringung einer kleinen Öffnung in der Lines alba, die Milz
hervorgezogen wurde. Nach Abbindung der arteriellen Gefäße
zur Milz wurde in die Hauptvena linealis eine Kanüle eingebunden.
Diese Kanüle diente nach ihrer Verbindung mit einer Mariotte-
schen Flasche zur Infusion in die Pfortader. Außerdem wurden,
wie ich schon oben erwähnt habe, in die beiden Ureteren Kanülen
eingebunden, durch ein Gabelrohr miteinander vereinigt und es
wurde der Harn in graduierten Meßzylindern aufgefangen. Durch
die gleichzeitige Bestimmung des gebildeten Harnes wollte ich ein
weiteres Urteil darüber gewinnen, ob unter den mehr physiolo-
gischen Bedingungen der neuen Versuchsreihe ein Unterschied der
Wirkungen der beiden Infusionsarten stattfände. Würde das Blut
etwa bei dem einen Verfahren der Infusion mehr verdünnt als
bei dem anderen, so könnte sich das in dem Grade der Harnbildung
kundtun, da die Harnabsonderung ein sehr feines Reagens auf
Blutverdünnung ist. Aber nicht dieser Umstand allein veranlaßte
die Berücksichtigung der Harnabsonderung, sondern noch der
weitere, daß daran zu denken war, daß die unmittelbare Infusion
in die Leber zu einer vermehrten Harnbildung deshalb führen
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 177
könne, weil eine engere Verknüpfung zwischen Leber und Niere
als zwischen der Niere und vielen anderen Organen stattfinde.
Sollte etwa die direkte Infusion in die Leber eine Ausschwemmung
harnfähiger Stoffe mit sich bringen, so wäre das ein Moment,
welches fördernden Einfluß auf die Absonderung des Harnes
besitzen würde.
Die von mir in den 4 Versuchen erhaltenen Ergebnisse teile
ich in den Versuchsprotokollen 5—8 mit.
Wir haben zunächst die Verhältnisse der Blutverdünnung
in den 3 Versuchen zu betrachten. Dieser Betrachtung haben wir
die Versuche 5, 6 und 7 zugrunde zu legen, weil nur in diesen
3 Versuchen fortlaufend der Hämoglobingehalt bestimmt wurde.
Ganz eindeutig sind die Ergebnisse in Versuch 6 und in Versuch 7,
denn in beiden Versuchen, wo je eine doppelte Infusion in die
Vena lienalis und in die Vena jugularis gemacht wurde, ergab sich
eine sehr viel größere Verdünnung bei der Infusion auf dem Wege
durch die Vena jugularis. In Versuch 6 betrugen die Verdünnungen
bei Infusion in die Vena jugularis im Maximum 12 bzw. 15%.
Dem stehen die geringen Verdünnungen bei Infusion in die Vena
lienalis von 1,9 und 2,2%, gegenüber. In Versuch 7 betragen die
Verdünnungen bei Infusion in die Vena jugularis 26 und 31%,
während bei Infusion in die Vena lienalis gar keine Verdünnung bei
der ersten Infusion und nur 1,7%, bei der zweiten Infusion fest-
stellbar ist. Die injizierten Flüssigkeitsmengen sind in beiden
genannten Versuchen durchaus nicht unerheblich, nämlich 150 ccm.
Dabei ist die Zeit der Infusion eine sehr kurze. Um so entschie-
dener geht aus den mitgeteilten Zahlen hervor, daß unter den
neuen Versuchsbedingungen tatsächlich ein sehr großer Unter-
schied besteht, je nach dem Wege, auf welchem die Flüssigkeit
in den Kreislauf gelangt. Bei diesen, unter physiologischen
Bedingungen angestellten Versuchen, verhindert die Leber eine
momentan eintretende Verdünnung des Blutes.
Im Versuch 5 verlaufen die Dinge insofern etwas anders, als
zwar bei der ersten Infusion auf dem Wege der Vena lienalis gar
keine Verdünnung des Blutes eintritt, (während bei der nachfol-
genden Infusion auf dem Wege der Vena jugularis eine Verdünnung
von über 5% eintritt. Aber bei der zweiten Infusion in die
Vena lienalis tritt eine Blutverdünnung von 14,5% ein, der bei
der darauffolgenden Infusion in die Vena jugularis nur eine
Biochemische Zeitschrift Band -122. 12
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178
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 179
Verdünnung von 7,3%, gegenübersteht. Ich glaube, daß es
sich hier nur um eine Annahme handelt, die verschiedene
Ursachen haben kann. Es wird meines Erachtens kein Fehler
begangen, wenn diese einzige Ausnahme nicht mit in Betracht
‚gezogen wird.
Was die Blutdruckverhältnisse anbelangt, so stehen sie in
keinerlei erkennbaren Beziehung zu dem Verhalten der jeweiligen
Verdünnung des Blutes. Beispielsweise beträgt in Versuch 6 die
Höhe des Blutdruckes während der ersten Infusion in die Vena
jugularis und während der zweiten Infusion in die Vena lienalis
144 bzw. 140 mm Hg. Praktisch ist also der Blutdruck in beiden
Fällen gleich. In Versuch Nr. 5 beträgt der Blutdruck während
der Infusion in die Vena lienalis 94 mm Hg, ohne daß es zur Blut-
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0 20 30° 40° 50° 60' 70° 80° 90° 100° 110' 120
Zeit ın Minuten
Abb. 5.
verdünnung kommt. Hingegen 10l mm Hg und 121mm Hg,
wo es zu Blutverdünnungen von 5,3%, bzw. 14,5%, kommt. Bei
derartig regellosen Beziehungen wird man sich nicht dazu ver-
stehen können, wo zufällig ein gewisser Parallelismus zwischen
größerer Höhe des Blutdruckes und geringerer Blutverdünnung
besteht, dieser Beziehung eine Bedeutung einzuräumen. Es muß
daher bei der Annahme bleiben, daß in der Leber Geschehnisse
stattfinden, welche verhindern, daß die Infusion auf dem Wege
durch die Leber zu einer ebenso großen Blutverdünnung
führt wie die gleiche Infusion in eine Körpervene. Die zunächst-
liegende Annahme ist dabei die, daß die normal versorgten Leber-
zellen in der Lage sind, einen Teil der Flüssigkeit aufzunehmen.
Eine Schwierigkeit ist bei dieser Annahme vorhanden. Aus
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M. Yamada:
180
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192
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 181
Versuchen von De moor?) wissen wir, daß die Durchströmung der
Leber mit isotonischen Lösungen zu keiner plethysmographisch
erkennbaren Volumvergrößerung der Leber führt. Dieses negative
Ergebnis wird ja von Demoor benutzt, um die Isotonie der be-
treffenden Lösung festzustellen. Das Nichteintreten der Volumen-
vergrößerung der Leber bei Durchströmung von isotonischen
Lösungen schafft auch eine Schwierigkeit für die Annahme, daß
in den Gewebe- und Lymphspalten der Leber eine größere Flüssig-
keitsmenge sich anstaut. Natürlich gelten diese Betrachtungen
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Zeit ın Minuten
Abb. 6.
nur, wenn nicht übermäßige Mengen sehr rasch. infundiert werden,
wobei die Regulationsmittel, über welche der Organismus verfügt,
versagen.
Die geschilderten Schwierigkeiten waren eine wesentliche
Veranlassung, um, wie ich schon oben erwähnte, den Einfluß
der beiden Infusionsarten auf die Harnabsonderung mit zu unter-
suchen. Denn wenn man eine Beziehung zwischen Leber und Niere
aus guten Gründen für möglich erachtet, muß man daran denken,
daß die Harnabsonderung je nach der Infusionsart verschieden
1) Demoor, Travaux de Laborat. de Physiol. de l'Institut solvay,
7, 1905.
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182
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 183
sein könnte. Das ist nun in der Tat der Fall. Wir haben gesehen,
daß nach Infusion in die Vena jugularis die Blutverdünnung
größer war als nach Infusion in die Vena portae. Wegen dieser
größeren Verdünnung müßte nach allem, was wir wissen, die Harn-
absonderung im ersteren Falle größer sein. Und selbst wenn sie
gleich wäre, würde es eben wegen des Unterschiedes in der Ver-
dünnung einen Unterschied bedeuten. Nun lehren die Ergebnisse
meiner Versuche, daß entweder die Harnabsonderung nach In-
fusion in die Vena lienalis gleichgroß oder sogar größer war als
nach Infusion in die Vena jugularis. Beispielsweise beträgt die
Vergrößerung der Harnab-
sonderung in Versuch 8 nach
der ersten Infusion in dieVena
lienalis 56,5%, während sie
nach der ersten Infusion in
die Vena jugularis, die im
übrigen die nachfolgende war,
nur 38,8% betrug. Nach der Si
zweiten Infusion in die Vena Ši A
lienalis beläuft sich die pro- «40 80 mo
zentische Vermehrung der
Harnabsonderungauf 67,5%,
demgegenüber nach der zwei-
ten Infusion in die Vena 70 50 809
jugularis nur eine solche von 9,0 7 Ne- N
32,5%, steht. Genau das á Fy = er
gleiche zeigt‘ der Versuch Abb. 7.
Nr. 7, wo jedesmal die prozentische Steigerung der. Harn-
absonderung wesentlich größer nach Infusion in die Vena lienalis
war. Auch in Versuch 5 überwiegt die harnvermehrende Wir-
kung der Infusion in die Vena lienalis. In Versuch 6 liegen
die Verhältnisse nicht so absolut eindeutig wie in den anderen
Versuchen. Aber wenn man nur die zweite Hälfte des Ver-
suches heranzieht, so hat wiederum die Infusion in die Vena
lienalis die entschieden stärkere harntreibende Wirkung. Das
Ergebnis des ersten Teiles des Versuches ist aber jedenfalls
so, daß es der bisher aufgestellten Regel nicht widerspricht.
Hier haben wir nun ein Moment, welches sehr gut erklären könnte,
weshalb die unter normalen Bedingungen stattfindende nicht
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Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 185
übermäßige Infusion in die Vena lienalis eine geringere Blut-
verdünnung herbeiführt als die Infusion in die Vena jugularis.
Dieses Moment ist die größere Harnabsonderung. Da nun bei
der Infusion in die Vena lienalis die Blutverdünnung, die an
und für sich schon harntreibend wirkt, größer ist, muß die direkte
Infusion in die Leber in derselben Prozesse anregen, die dann
besonders auf die Niere zu wirken mögen. Es liegt nahe anzuneh-
men, daß durch die unmittelbare Infusion in die Leber mehr harn-
50' 60° 70° 80' 90’
Zei ın Minuten
Abb. 8.
fähige Stoffe in das Blut gelangen, sei es, daß dieselben nur aus-
geschwemmt werden, sei es, daß eine größere Anregung zur
Bildung derselben in der Leber stattfindet.
Die Erklärung, die ich soeben gegeben habe, würde voll-
ständig, von der Annahme abzusehen gestatten, daß die Leber
irgendwie erhebliche Anteile der infundierten Flüssigkeit zurück-
hält. Auf diese Weise wäre eine Übereinstimmung mit den
früheren Versuchen erzielt, die ich als weniger physiologisch habe
ansprechen müssen, und wo unzweifelhaft keine Zurückhaltung
der infundierten Flüssigkeit in. der Leber zu bemerken war. Bei
. dieser Erklärung der Verhältnisse entsteht eine neue Schwierig-
186 M. Yamada:
keit, nämlich die, daß erklärt werden muß, weshalb man bei
Infusion nicht bloß unmittelbar in die Leber, sondern sogar in
den großen Kreislauf eine Schwellung und Härte der Leber be-
obachtet, die beweist, daß eine größere Flüssigkeitsansammlung
nicht durchaus darauf beruht, daß die infundierte Flüssigkeit
zum Teile in der Leber deponiert wird. Sie könnte ebensogut
darauf beruhen, daß die Infusionen eine erhöhte Lebertätigkeit
herbeiführen, die ihrerseits stark gesteigerte Lymphbildung im
Gefolge hat. Der Sachverhalt wäre hier ähnlich wie beispielsweise
bei der Speicheldrüse, wo bei erhöhter Tätigkeit auch ohne jede
Infusion eine pralle Schwellung der Drüse sich ausbildet. Es
könnte aber auch sein, daß in meinen Versuchen, die von relativ
kurzer Dauer waren, zunächst einmal das Moment der größeren:
Harnabsonderung bewirkt hätte, daB anfänglich nach einer
unmittelbaren Infusion in die Leber die Blutverdünnung geringer
ist als nach einer Infusion in eine Vene des großen Kreislaufes.
Hätten aber meine Versuche länger gedauert, so wäre es mög-
licherweise zu einer Aufstapelung von Flüssigkeit in der Leber
gekommen. Es wird Aufgabe neuer Arbeiten sein müssen, die
Verhältnisse, die doch verwickelter liegen als dem ersten Anscheine
nach gedacht werden könnte, weiter aufzuklären. Vorläufig
scheint mir für die Bedingungen meiner Versuche die Schluß-
folgerung nicht ungerechtfertigt, daß nicht notwendigerweise die
Leber primär Flüssigkeit, die innerhalb physiologischer Grenzen
in den Kreislauf gelangt, aufstapeln müsse.
Die wesentlichen Ergebnisse ‚meiner Arbeit sind die nach-
folgenden:
l. Vergleicht man die Ergebnisse der Infusion von physio-
logischer Kochsalzlösung in eine Vena jugularis mit derjenigen
einer Infusion in die Leber, wobei die Leber aus versuchstech-
nischen Gründen aus dem Kreislauf ausgeschaltet ist, und die
Infusion direkt in die Pfortader stattfindet, so zeigen sich, beurteilt
nach dem Grade der Blutverdünnung, keine Unterschiede. Die
Leber hält demnach auf Grund ihrer strukturellen Verhältnisse
nicht notwendigerweise Flüssigkeit zurück.
2. Vergleicht man mit der Infusion in eine Vena jugularis
diejenige in einen Seitenzweig der Pfortader, z. B. in eine Vena
lienalis bei einem Hund, wobei im übrigen die normalen Verhält-
nisse erhalten blieben, so zeigt sich eine merklich geringere Ver-
Infusionen in die Vene des großen Kreislaufes und in die Pfortader. 187
dünnung des Blutes nach der Infusion unter sonst gleichen Be-
dingungen in einen Seitenzweig der Pfortader.
3. Bei der letzteren Versuchsanordnung gibt es, trotz größerer
Blutverdünnung nach Infusion in die Vena jugularis eine stärkere
Harnabsonderung nach Infusion in einen Zweig der Pfortader.
Die physiologische Tatsache, welche ihre Ursache entweder in
einer stärkeren Ausschwemmung oder einer vermehrten Bildung
harnfähiger Stoffe in der Leber haben könnte, würde den Unter-
schied in dem Umfange der Blutverdünnung bei den beiden In-
fusionsarten erklären. Dazu könnte noch eine vermehrte Lymph-
bildung infolge der gesteigerten Lebertätigkeit kommen.
4. Die Verhältnisse des Blutdruckes tragen nichts zur Er-
klärung der beobachteten Unterschiede bei.
I. Kultur-Versuche mit Soja-Bohnen. IH. Vorkommen
von Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen.
Von
D. H. Wester, den Haag (Holland).
(Eingegangen am 23. Juni 1921.)
I. Zusammen mit Herrn Cunaeus habe ich im Versuchs-
garten des Niederländischen Vereins für Heilkräuterkultur in
Delft (Laboratorium des Herrn Prof. Dr. G. van Itterson) in
kleinem Maßstabe einige Versuche über die Kulturmöglichkeit-
von Sojabohnen in Holland vorgenommen.
Das erstemal (1917) wurden die Bohnen spät gesät, nämlich
im Juni. Die Pflanzen entwickelten sich sehr gut, trugen viele
Blüten und Früchte, waren aber im Herbste noch nicht reif.
Zum Nachreifen wurden die Pflanzen aus der Erde genommen
und an einem trockenen Orte aufgehängt. Dadurch wurden Samen
von normalem Aussehen und normaler Zusammensetzung erzielt.
Im Jahre 1918 wurde viel früher gesät. Die Ernte war schwächer
als 1917 und auch in diesem Falle waren die Samen im Herbst
noch nicht ganz reif.
Das Durchschnittsgewicht der Bohnen eigener Ernte war
im Jahre 1917 142 mg, im Jahre 1918 175 mg.
Kohlen- Harnstoff- |
Zusanımensetzung |" h dnk Eiweiß®) Fett | Asche zahl**)
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Eigene Ernte 1917 . .ı 9,7 | 32,06 | 31,2 | 18,07] 6,1 30,9
Eigene Ernte 1918 . | 10,1 |314 | 352 |[ıs 6,7 31,6
*) Roheiweiß nach Kjeldahl, Codex alimentarius (Holland).
**) Man sehe über die Bedeutung dieser Zahlen meine früheren Mit-
teilungen über Soja und Urease: Pharm. Centralhalle 1916. (Hier wird irr-
tüınlicherwaise von Harnsäure statt Harnstoff gesprochen!) Ber. d. d. pharm.
Ges. 1920. 163—175 ; Pharm. Centralh. 1920, 293-—295 und Pharm. Central-
halle 1920. 377—385.
Im Jahre 1918 lieferte eine große Sojapflanze 66 Samen
mit einem Totalgewicht von 11,65 g. Eine Pflanze von mittlerer
Größe ergab 48 Samen = 9,1 g und die 37 Samen einer kleinen
D. H. Wester: Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja). 189
Pflanze wogen zusammen 6,04g. Diese Ausbeuten sind also
nicht sehr befriedigend. Wohl ist auffallend und hervorzuheben,
daß die quantitative Zusammensetzung der auf holländischem
Boden gezüchteten Bohnen beider Jahrgänge mit derjenigen des
asiatischen Ausgangsmaterials fast gleich ist.
Im Jahre 1919 wurden von Herrn Cunaeus folgende Varie-
täten gesät. |
1. Soja hispida Delft (eigene Ernte 1917 — 1918 —)
2. » » nigra »
— ji Java
4. „ F nigra u
5. p sà Madrid
6. „ i lutea É
Te: p » nigra Hohenheim
8. „ F Sangora F
9., Br brunea Wageningen
10.:. „, N lutescens F
II. „ ” nigra ”
12. ,, en Sangora Bern.
Am 19. IV. wurde in Glaskästen ausgesät. Am 2. VI. wurden
die jungen Pflanzen ins Freie verpflanzt. Sie blühten in folgender
chronologischer Reihenfolge: |
Nr.8 am 4. VIII; 9 am 7. VIII.; 11 am 9. VIII; 10 am
15. VIII.; 5 am 16. VIH.; 7 am 23. VIII.; 3 am 23. VIII.; 1 am
25. VIII.; 2 am 25. VIII.; 4 am 25. VIII.; 6 am 30. VIII. und
12 am 30. VIII. — -Genau dieselbe Reihenfolge, also 8, 9, 11, 10,
5, 7, 3, 1, 2, 4, 6, 12 wurde erzielt, wenn wir sie nach dem Ernte-
ertrag!) ordnen.
Im Jahre 1920 wurden dieselben und außerdem .noch die
folgenden Varietäten gezüchtet:
13. Soja hispida Bonn
14. „ F Kassel
15. y 5 . Zagrab
16. ,„ er nigra Bern
17... 7 Sangora Bazel
18. „ š schwarze 100tägige, Bazel
19. ,„ ochroleuca Bazel.
In diesem Jahre wurde am 16. IV. gesät, am 4. VI. in die Erde
verpflanzt. Sofort danach hatten die jungen Pflanzen durch
Stürme gelitten, wodurch die ganze Kultur ungünstig beeinflußt
1) Mittlere Anzahl Bohnen pro Pflanze.
190 D. H. Wester:
. wurde. Auch jetzt blühte wieder Nr. 8, Soja hispida Sangora,
Hohenheim zuerst — 18. VII. — und gab schließlich noch eine
ziemlicb befriedigende Ausbeute.
Mit dieser Art werden die Versuche fortgesetzt. Es soll
versucht werden, die am frühesten blühenden Exemplare aus-
zuwählen und zu züchten.
Das Ergebnis unserer Beobachtung kann dahingehend zu-
sarmmengefaßt werden, daß die bisherigen Resultate nicht sehr
ermutigend sind. Der Ernteertrag ist in unserem Klima so sehr
von den Witterungsverhältnissen abhängig, daß eine Kultur
immer riskant bleibt. Die meisten Arten liefern bei uns keine
reifen Samen. ImVerhältnis zum Ernteertrag anderer Leguminosen
Arten ist derjenige unserer Sojabohnenkulturen sehr ungünstig
zu nennen.
Im Zusammenhang mit diesen Resultaten kann auf 2 in den
Kriegsjahren erschienene Broschüren von Fürstenberg!) ver-
wiesen werden, in welchen erwähnt wird, daß schon in den Jahren
1870—1880 auf Veranlassung von Prof. Fr. Haberlandt erfolg-
reiche Kulturversuche mit Sojabohnen gemacht wurden. Auch
in Holland sollten sie damals angepflanzt sein. Ich habe darüber
leider nichts Näheres erfahren können. Jedenfalls ist der damalige
Versuch, die Sojabohnenkultur in Europa einzubürgern, erfolglos
geblieben. Es ist zu befürchten, daß Fürstenberg nicht mehr
Erfolg haben wird. Zwar bilden die Sojabohnen ynzweifelhaft
ein wertvolles Nahrungsmittel, wie aus untenstehender Tabelle
hervorgeht:
BE: Eiweiß — — Fett iS Asche
Sojabohnen . . .....
Canavaliabohnen
Erbsen . . 2. 2 2 2 2 2 2 va.
Bohnen . . 2.222 2 2 2 02.
Gelbe Lupinen
aber:
l. ist vorläufig die Kultur von Sojabohnen in unserem Klima
mit vielen Schwierigkeiten verknüpft und bringt geringen Ertrag;
2. steht der Meinung Fürstenbergs, der die Einführung der
1) Fürstenberg, Die Einführung der Soja, eine Umwälzung in der
Volksernährung. Berlin 1916 und: Die Soja eine Kulturpflanze der Zukunft
usw. Berlin 1917.
Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja). 191
Sojabohnen tendenziös als eine Umwälzung in der Volksernährung
bezeichnet, die von Prinsen Geerligs u. a. gegenüber, der die
Bohnen als unschmackhaft und schwer verdaulich verwirft!).
Jedenfalls bleibt aber der Wert dieser Bohne als Ölsamen, ihres
Preßkuchens als Viehfutter und ihrer vielen wertvollen Präparate
unbestritten?).
ll. Im Jahre 1918 wurden Samen der „Ernte 1917 Delft“
auf einem Teller mit dünner Watteschicht gelegt. Die Watte
wurde fortdauernd mit Wasser feucht gehalten. Als die jungen
Pflanzen 10—13 cm hoch waren — die ersten 2 Blättchen hatten
sich schon gut entwickelt — wurden sie in 4 Teile geschnitten:
a) Die Wurzel, b) der Stengelteil von Wurzel bis zu den
Samenlappen, c) die Samenlappen, d) der darüber hinausragende
Stempelteil mit den zwei Blättchen.
Von b) und c) wurde 1 g des getrockneten Materials mit 50 ccm
Wasser maceriert. 40 ccm des Filtrats wurden mit 5 ccm 2 proz.
Harnstofflösung gemischt, bis auf 50 ccm aufgefüllt und bei 20°
belassen. Von a) und d) war nicht genügend Material vorhanden,
um dieses Verhältnis innezuhalten. Nach einer gewissen Anzahl
Stunden wurde titrimetrisch festgestellt, wieviel des zugesetzten
Harnstuffs sich in Ammoncarbonat umgebildet hatte?) (= Harn-
Harnstoffzahl berechnet für 25 ccm nach 24 Stunden | 48 Stunden | 68 Stunden
a) 0,4 g Wurzel mit 20 cem Wasser, Fil-
trat mit 2 ccm Harnstoff |
b) Stengelteile . . . 2.2. 2 2 222.0. | 32,6
c) Samenlappen 48,6
d) 0,340 g obere Teile mit 20 ccın Wasser,
Filtrat mit 2 ccm Harnstoff . . . .| 9,6
Es kommt also nicht nur in den — sondern auch in allen
anderen Teilen der jungen Keimpflanzen Urcase vor*). Schon
1) Chem. Weekbl. 1917, S. 6.
2) Vgl. bez. Einzelheiten die 2. Broschüre Fürstenbergs und den
Artikel von Prinsen Geerligs.
2) Vgl. u. a. Wester, Pharmaz. Centralhalle 1916 (wo irrtümlich
Harnsäure statt Harnstoff steht) und Ber. d. dtsch. phermazeut. Ges.
1920, S. 163—175.
4) Beyerinck hat übrigens schon im Jahre 1916 mit Hilfe seiner
„mikrochemischen‘‘ Irisreaktion in einigen Pflanzenorganen Urease nach-
gewiesen, u. a. auch in den von mir makrochemisch und quantitativ unter-
suchten Fruchthülsen des Goldregens.
192 D.H. Wester: Urease in anderen Pflanzenteilen als in Samen (Soja).
früher habe ich bewiesen, daß wir in der Harnstoffzahl ein gewisses
Maß für die Ureasemenge besitzen. Der Ureasegehalt der oben-
bezeichneten Teile nimmt also in folgender Reihe ab: c >b >a >d.
Im Jahre 1920 wurden die Versuche mit größeren Material-
mengen wiederholt. Zwar waren die Harnstoffzahlen nicht genau
dieselben — wie auch nicht zu erwarten war — aber im großen
ganzen wurden dieselben Resultate erzielt wie im Jahre 1918.
Auch die Hülsen von jungen Früchten des Goldregens wurden
&uf Urease untersucht, wie oben unter b) und c) angegeben.
Harnstoffzahl nach 24 Stunden 48 Stunden 68 Stunden
9,6 14,4 24
Auch hier findet sich also ziemlich viel Urease vor. Schon früher
habe ich Urease in den Samen dieser Pflanze nachgewiesen’).
Schließlich wurden am 17. VII. frische Blätter und Stengel
von am 7. IV. ausgesäten Canavaliabohnen (Cultuurtuin voor
technische gewassen, Delft, Holland) quantitativ auf Urease
untersucht.
Es wurde jedesmal eine Menge des Reaktionsgemisches
titriert, welche 3,55 g des frischen Blattes, resp. 0,82 der frischen
Stengel entsprach., Die Bestimmungen wurden ausgeführt bei 35°.
Harnstoffzahl berechnet für 10 g frisches Material
nach 2 Stunden 4 Stunden 10 Stunden
Blatt. .... 39,8 49,9 124,8
Stengel . ... 72 8,6
Die Blätter enthalten folglich eine sehr bedeutende Menge Urease.
Es bleibt zu untersuchen, welche biochemische Rolle dieses
Enzym spielt. |
1) D. H. Wester, Pharmaz. Centralhalle 1920, S. 377—385.
Nachweis eines stofflichen Defizites im Gewebe an Avita-
minose erkrankter Tiere;
Von
W. R. Heß und N. Takahashi.
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität Zürich.)
(Eingegangen am 24. Juni 1921.)
Die Untersuchungen, über welche nachstehend berichtet
wird, wurden ausgeführt, um Orientierung darüber zu erhalten,
ob Aussichten bestehen, im Gewebe an Avitaminose erkrankter
Tiere ein substanzielles Defizit nachzuweisen, welches als die
oder eine der Ursachen der Avitaminosesymptome anzusehen ist.
Bereits sind Beobachtungen bekannt, welche eine stoffliche
Unterwertigkeit im Gewebe beriberikranker Tauben erweisen.
Ciaccio!) fand die Lipoid-Phosphorsäure im Muskelgewebe
solcher gegenüber Gesundtieren reduziert. Der Gegensatz zeigt
sich auch beim Vergleich mit Hungertieren. Dieser — bei Bestäti-
gung — zweifellos wichtige Befund läßt die Frage offen, ob es
sich hierbei um Ursache oder Wirkung handelt. Eine Differen-
zierung in dieser Hinsicht ist nur dadurch möglich, daß zur stoff-
lichen Bewertung des zu untersuchenden Gewebes ein biologischer
Indicator herangezogen wird, d. h. Testtiere, welche im Ernäh-
rungsversuch die Analyse nach Vorhandensein oder Fehlen von
Stoffen mit Vitaminfunktionen vollziehen. Man könnte daran
denken, für diese Zwecke auf Hefekulturen zurückzugreifen.
Nach den Untersuchungen von R. J. Williams?) und einigen
anderen englischen Autoren bewähren sich diese als Indicator
für den Nachweis von Vitaminen. Wenigstens sah Williams
l 1) Ciaccio, @., Contributo allo studio delle alimentazioni incomplete.
Ann. di clin. med. 10, 60. 1920.
3) Roger J. Williams, Vitamines and Yeast Groth. Journ. of biol..
chem. 46, 113. 1921.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 13
194 W.R. Heß und N. Takahashi:
bei der Durchprüfung einer Reihe pflanzlicher Nahrungsmittel,
abgesehen von einzelnen Divergenzen, einen deutlichen Par-
allelismus im Einfluß von Extrakten dieser Stoffe einerseits auf
das Wachstum vitaminfrei ernährter Ratten, andererseits auf
das Wachstum der Hefe. Dennoch scheinen uns Resultate von
höherem Wert zu sein, wenn sie von einem Testobjekt stammen,
welches, abgesehen vom Wachstum, noch mit anderen Merkmalen
auf Ausfall von Vitaminen reagiert. So verfolgten wir den Plan,
einseitig ernährten Mäusen und Ratten Zulagen in Form von Ge-
webebestandteilen zu verabreichen, sowohl von an Avitaminose
erkrankten Tieren als auch von gesunden Individuen derselben
Art. Das Resultat suchten wir in einem eventuellen Unter-
schied in der Wertigkeit der Zulagen, die sich darin kundgibt,
daß die vom Avitaminosetier stammenden Gewebepräparate
die Testtiere in geringerem Maße vor Folgen der einseitigen
Ernährung schützen als die von gesunden Tieren auf gleicheWeise
gewonnenen Präparate.
Für die konkrete Versuchsanordnung waren folgende Über-
legungen maßgebend: Als Grunddiät wurde ausschließlich
gekochter Reis gewählt; denn eine voraussetzungslos arbei-
tende Methode mußte auch die Möglichkeit vorsehen, daß eine
allfällige Differenz in der Qualität des Zelleiweißes besteht. Ein
Eiweißgehalt der Grunddiät könnte in diesem Falle die qualitative
Insuffizienz der Zelleiweiße durch deren Ergänzung verdecken.
Auf eine Fettration in der Grunddiät konnten wir aus dem Grunde
verzichten, weil nach den Untersuchungen von J. C. Drum-
mond?) Ratten Fettfreiheit der Nahrung für lange Zeit — d. h.
nahezu 6 Monate — bei guter Entwicklung ertragen. Eine
Erklärung scheint hierfür durch die Konstatierungen von
T.C. Taylor und J. M. Nelson?) gegeben, indem aus Stärke ver-
schiedener Herkunft bei der Hydrolyse auch dann noch Fett
extrahierbar wird, wenn der Hydrolyse eine erschöpfende Fett-
extraktion vorausgeschickt worden ist.
Auch in bezug auf einen eventuellen qualitativen oder quan-
titatiren Mangel einer anorganischen Komponente wollten wir
1) I. C. Drummond, Nutrition on diets practically devoid of fat.
Proc. of the physiol. soc. 1920; Journ. of physiol. 54.
2) Taylor, T. C., and J. M. Nelson, Fat associatet with stark.
Journ. of the Americ. chem. soc. 42, 1726. 1920.
Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 195
keine Voraussetzungen machen, so daß, abgesehen von der Salz-
zufuhr im Trinkwasser, im zugeführten Reis und in den Zulagen
keine Salze verabreicht wurden.
Selbstverständlich ist bei einer solchen Versuchsanordnung
volles Gedeihen der Testtiere ausgeschlossen. Ungeachtet
dessen aber bieten Gewichtsveränderungen, Lebensdauer, Zeit-
punkt spezieller Symptome Anhaltspunkte genug, eine Differenz
in bezug auf die Ernährungswertigkeit verschiedener Zulagen
wahrzunehmen. Für eine volle Deckungsmöglichkeit des ener-
getischen Bedarfes und Ersatz des Wasserabganges war selbst-
verständlich Sorge getragen.
Bei der Beschaffung des als Zulage verabreichten
Gewebemateriales griffen wir auf Tauben. Es geschah dies,
weil hier die Symptome der Avitaminose charakteristisch sind.
Davon hängt die Zuverlässigkeit der Beobachtung wesentlich
ab, daß man es bei der Gewinnung des zu kontrollierenden Gewebes
wirklich mit Avitaminose zu tun hat. Es ist nicht überflüssig,
dies zu betonen: Muß man doch immer damit rechnen, daß In-
anition oder durch diese sekundär bedingte Erscheinungen
Anlaß zu Irrtum geben. Wir verarbeiteten nur solche Tiere,
die typische, sich motorisch äußernde Reiz- oder Lähmungs-
symptome aufwiesen. Tauben mit allgemeiner Schwäche wurden
ausgeschaltet, ebenso die spontan zugrunde gegangenen. Bei den
14 verarbeiteten Tauben fiel das Auftreten der Reizsymptome
zwischen den 17. und 33. Tag, die Lähmungssymptome zwischen
den 12. und 32. Tag. Betreffend die Art des Gewebes, dessen
Ernährungswertigkeit wir kontrollieren wollten, wählten wir
Muskel und Pankreas, letzteres im Gedanken an die Möglichkeit,
daß die Vitamine vielleicht mit den Fermenten in stoff-
licher Beziehung stehen. In einem Organ, welches, wie die
Bauchspeicheldrüse, große Fermentmengen produziert, könnte
man bei einem solchen Zusammenhang größere Reserven
an Vitaminen vermuten. Bei der Verfütterung würde dieses
Gewebe aus diesem Grunde eine besondere Rolle spielen.
Die Art der Darreichung der Gewebe wurde haupteäch-
lich durch praktische Momente gegeben. Wir wählten die
Form von Trockensubstanz, da es nicht ohne sehr großen Tier-
aufwand möglich ist, auf bestimmte Fütterungstermine Schlacht-
tiere mit ausgesprochenen Symptomen der Avitaminose bereit
13*
196 W.R. Heß und N. Takahashi:
zu haben. Dic Verabreichung von Trockensubstanz gestattet
nicht nur die exakte Einhaltung der Termine für die Verabreichung
der Zulagen, sondern auch eine vollständige Ausnützung des
Matcriales. Bei der Präparation wurden die frisch geschlachteten
Tiere zerlegt,. das Pankreas möglichst sauber. herauspräpariert,
die Muskelsubstanz von makroskopisch erkennbarem Fett befreit.
Die in feine scheibenförmige Schnitzel geschnittenen Gewebs-
stücke wurden auf elektrisch erwärmter Unterlage unter Ver-
meidung einer 40° übersteigenden Temperatur lufttrocken ge-
macht. Die Aufbewahrung geschah in einer mit Korkstöpsel
verschlossenen Flasche. In gleicher Weise war für Vergleichs-
versuche Trockenhefe zubereitet worden. Wir waren uns wohl
bewußt, durch die Wahl der Trockenverfütterung die Aussichten
auf ein positives Ausfallen der Versuche etwas herabzumindern,
weil die Trocknung eine im frischen Zustand eventuell vorhandene
Differenz zwischen Gewebe von gesunden und kranken Tieren
auslöschen kann. Wir mußten uns aber trotz dieser Einsicht
nach den oben gegebenen praktischen Argumenten richten.
Als sehr wichtig erachteten wir die Dosierung der aus den
getrockneten Geweben gebildeten Nahrungszulagen. Damit ein-
deutige Ernährungseffekte im Gedeihen der Tiere zum Ausdruck
kommen können, muß die Zulage in einer ein bestimmtes Minimum
nicht unterschreitenden Quantität zugemessen werden. Dabei
besteht aber auch die Gefahr, daß die für eine Differenzierung
günstige Dosierung überschritten wird. Wenn im Gewebe der
Avitaminosetiere das substantielle Defizit nur ein relatives ist,
so könnte sich das Testtier doch ausreichend: eindecken, wenn die
Zulage groß genug bemessen wird. Mit Rücksicht hierauf hielten
wir es für geraten, mit sehr kleinen Zulagedosen zu arbeiten.
Wir hatten damit auch von vornherein die Gewißheit, daß die
Lebensdauer aller Testtiere auf eine nicht allzulange Spanne Zeit
begrenzt war und diese somit für jedes Ernährungsregim als ein
zahlenmäßig faßbarer Indicator ausgenützt werden konnte. Die
verabreichten Dosen finden sich in Tabelle I und II notiert, und
zwar pro Tier und Tag berechnet. Tatsächlich wurde die Zulage
nur jeden 5. Tag in der öfachen Tagesdosis verabreicht. An
diesen Zulagetagen war jeweils die Reismenge soweit reduziert,
daß sie restlos verzehrt wurde und mit ihr auch das beigemischte
Präparat.
197
inose erkrankter Tiere.
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Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 199
Die Wahl der Testtiere richtete sich u. a. nach möglichst
kleinem Verbrauch an Zulagematerial. Danach waren Mäuse
das Gegebene, ergänzt durch Rattenserien mit kleinerer Indivi-
duenzahl. Die Unsicherheit in der Dosierung ließ uns für beide
Tierarten die Zulageration in der gleichen Höhe fixieren, war sie
für die Mäuse zu hoch, fiel sie vielleicht für die Ratten richtig aus.
Für Mäuse und Ratten als Testtiere sprach ferner der Umstand,
daß sie Fleischpräparate willig aufnehmen und gut verdauen.
In bezug auf die für die Einschätzung der Versuchsresultate
nicht irrelevanten Nebenumstände ist folgendes zu bemerken:
Der Aufenthaltsraum war auf 8—15° temperiert. Die Tiere waren
in Gläsern untergebracht, die Ratten zu zweien, die Mäuse zu
dreien. Die Fütterung erfolgte jeden Tag morgens. Wasser stand
den Tieren immer ausreichend zur Verfügung, ebenso Reis. Mit
der Fütterung war eine Reinigung des Glases verbunden; die den
Boden bedeckende Cellulosewatte wurde jeweils durch frische
ersetzt. Jede Woche wurden die Tiere einzeln vor dem Füttern
gewogen. l |
Die Resultate der Versuche finden sich in Tabelle I und II
zusammengestellt. In bezug auf Gewicht und Lebensdauer sind
die Durchschnittszahlen, für letztere noch die Extremwerte
notiert.
Durch die in Tabelle I (Mäuse) aufgeführten Daten sehen wir
folgende Feststellungen belegt:
1. In der Verlängerung der Lebensdauer, welche durch die
verschiedenen Zulagen erreicht wird, zeigen sich je nach der Art
der Zulage wesentliche Unterschiede. Den Höchstwert erreicht
die Verlängerung mit 67 Tagen durch Muskelsubstanz gesunder
Tiere. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß der alkoholische
Hefeextrakt, der mit 49 Tagen am zweithöchsten kommt, nur in
kleinerer Dosis verabreicht wurde, dies mit Rücksicht auf Wegfall
von Ballastsubstanzen. Das Minimum von Zulageeffekt finden
wir bei Trockenhefe mit 26 Tagen gegenüber 23 Tagen bei reiner
Reisnahrung. — Von speziellem Interesse ist, gemäß unserem
Versuchsplan, die Gegenüberstellung der gleichartigen Gewebe
einerseits von gesunden, andererseits von den an Avitaminose
erkrankten Tieren. Mäuse, welche Muskel von Beriberi-Tauben
als Zulage erhielten, erlangen eine Lebensdauer von 39,8 Tagen
gegenüber 67,6 Tagen bei Verfütterung von Muskel gesunder
200 W. R. Heß und N. Takahashi:
Tiere. Die Differenz ist zu groß, als daß sie als Zufall erklärt
werden dürfte. Wir erkennen somit, daB in dem Muskelgewebe
der an Avitaminose erkrankten Tiere tatsächlich ein stoffliches
Defizit besteht. Es kommt dadurch zum Ausdruck, daß es sich
im Schutz gegen die Folgen einseitiger Ernährung minder-
wertig erweist. Die Feststellung mit Muskelgewebe wird gestützt
durch diejenige m.t Pankreas, wobei aber der Effekt, besche-
dener ist.
Dabei muß berücksichtigt werden, daß hier die Zulagedosis nur
ein Drittel derjenigen an Muskelsubstanz beträgt. Die Erwartung
der höheren Vitaminwertigkeit dieser Gewebeart, dann haupt-
sächlich auch die kleinen Mengen Gewebematerial, die vom ein-
zelnen Schlachttier gewonnen werden konnten, hatten uns
veranlaßt, die Pankreasration niedriger zu halten.
Fast noch deutlicher als die Mittelwerte sprechen die Höchst-
werte der Lebensdauer, welche bei reinem Reis 33 Tage beträgt.
Bei Muskelsubstanz als Zulage stehen sich die Zahlen 94 Tage
für Gesund- und 75 Tage für Krankpräparat, bei Pankreasgewebe
80 für Gesund- und 65 für Krankpräparat gegenüber.
Die Resultate der Wägungen unterstreichen die aus der
Lebensdauer gezogenen Schlüsse insofern, als wir bei Muskel-
Gesundpräparat eine nicht unbedeutende Gewichtszunahme er-
kennen gegenüber einem Schwanken der Werte um annähernd
konstante Mittellage bei Muskel von Beriberi-Tieren. Bei Pankreas
als Zulage fehlt dieser typische Unterschied. Ein Vergleichsmaß
zur Bewertung der Gewichtskurve ist in der Serie mit alkoholischem
Hefeextrakt als Zulage gegeben. Eine Beeinträchtigung der
Deutung erfährt die Kontrolle der Gewichtsveränderung dadurch,
daß im Verlaufe der Zeit einzelne Versuchstiere durch Tod ab-
gehen, weshalb den folgenden Berechnungen des Mittelwertes eine
andere Tierzahl zugrunde liegt. Dabei kann es zu Verschiebungen
des Mittelwertes kommen, welche die Stetigkeit der Kurve stören.
Aus diesem Grunde sind die sich auf eine reduzierte Tierzahl
beziehenden Mittelwerte in Klammer gesetzt und die Tierzahl
angeführt.
Die Interpretation der Werte, die in Tabelle II (Ratten)
niedergelegt sind, ergänzen die mit Mäusen gemachten Erfah-
rungen. Hier treffen wir im allgemeinen eine bedeutend höhere
Lebensdauer. Die Ratten sind gegenüber reiner Reisnahrung
Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 201
bekanntlich sehr resistent. Die Wertigkeit der Zulagen bemessen
nach der Lebensverlängerung zeichnet sich dabei weniger prägnant
ab. Die Differenz zwischen Gesund- und Avitaminosepräparat
ist aber auch hier unverkennbar besonders prägnant für
Muskel. |
Die Höchstwerte der Lebensdauer entsprechen der an den
Mäusen konstatierten Regel.
Die Gewichtskurven der Ratten bieten der Interpretation
geringere Schwierigkeiten als die der Mäuse, weil in den ersten
6 Wochen in keiner Serie Tiere durch den Tod ausschieden. Bei
allen Zulageserien sehen wir das Körpergewicht sich verändern,
wie es für vitaminfreie aber die Hauptnahrungsstoffe führende
Basaldiät bekannt ist. Es ist dies ein anfängliches Emporsteigen
des Körpergewichtes, welchem später eine Senkung folgt, wobei
man den Umschlag mit dem Verbrauch des Eigenvorrates an
Vitaminen in Zusammenhang bringt.
Zu erwähnen sind schließlich noch die Beobachtungen,
welche an Ratten betreffend Auftreten von Xerophthalmie
gemacht worden sind. Dieses Symptom der Avitaminose trat
unter den 6 auf reiner Reisnahrung stehenden Tieren bei 3 Indi-
viduen mit dem 34. Versuchstag auf, bei einem vierten war aus-
gesprochene Mattheit der Cornea als Zeichen der beginnenden
Erkrankung am 45. Tage zu beobachten. 2 Tiere waren an ihrem
Todestag, am 53. bzw. 62. Tage, noch ohne Augensymptome.
Bei den Ratten, welche die verschiedenartigen Zulagen erhielten,
Stellte sich die Augenerkrankung wie folgt ein:
Muskelpräp. v. gesunder Taube. . keine Xerosis,
» -© V. Beriberi-Taube . . Xerosis am 42. bzw. 50. Tage be-
i ginnend, .
Pankresspräp. v. gesunder Taubė . Xerosis in einem Fall ausbleibend, im
anderen am 42. Tage beginnend,
PR v. Beriberi-Taube . Xerosis bei beiden Tieren am 42. Tag,
Trookenhefe. .. ... . 2. . Xerosis am 36. bzw. 45. Tage be-
ginnend,
Alkohol. Hefeextrakt ...... Xerosis bei beiden Testtieren am
36. Tage beginnend.
Das Bemerkenswerte dieser Angaben beschränkt sich auf
die Festlegungen der Präventivwirkung des Muskel- Ge-
sundpräparates, das wir beim ‚Muskelpräparat von
Avitaminosetieren nicht oder nicht entsprechend finden.
202 W.R. Heß und N. Takahashi:
Es ist zu beachten, daß in diesem Punkt ebensowenig wie in bezug
auf Lebensdauer und Gewichtsveränderung die Pankreaspräparate
eine besondere Rolle spielen. Die entsprechenden Serien ver-
halten sich wie die Muskelzulageserie, wobei die durch die
Zulage bedingten Ausschläge ungefähr der niedrigeren Dosierung
dieses Präparates entsprechen.
Leider bringen die Mäuseversuche in bezug auf Xerophthalmie
keine Ergänzungen, da bei diesen das Xerosissymptom fehlt.
Ein anderes Symptom, das mit dem Zustand der Avitaminose
in Zusammenhang gebracht werden muß, kam zu isoliert zur
Beobachtung, als daß es zu einer Deutung verwertet werden
könnte; es ist dies blutiger Harn, bei den 36 Mäusen der refe-
rierten Serien 3mal beobachtet, nämlich bei 2 Individuen mit
Muskeln von Beriberi-Tauben und bei 1 Individuum mit
Pankreas von Avitaminosetierpräparat. In jedem Falle handelt
es sich um die Tiere mit der längsten Lebensdauer der entsprechen-
den Serie von je 6 Tieren.
Die referierten Versuchsergebnisse führen zur Frage nach
der Ursache der Differenz in der Ernährungswertigkeit der von
gesunden einerseits, von Beriberi-Tauben andererseits stammenden
Gewebepräparate. Das nächstliegende ist, im Vitamingehalt die
entsprechende Differenz zu suchen. In diesem Sinne möchten
wir denn auch unsere Resultate interpretieren. Wir betonen
aber dabei, daß zur Sicherung dieser Deutung Kontrollen an größe-
ren Serien mit verschiedenartigen Basaldiäten wünschens-
wert sind. Die Vorsicht gebietet ferner, dem positiven Ausfall
unserer Versuche die Resultate gegenüberzustellen, die sich bei
Verwendung von Präparaten ergeben, die von Tieren mit
Hungerinanition stammen.
Auf zwei Schlußfolgerungen dürfen wir aber jetzt schon hin-
weisen: Die ausgesprochene Gegensätzlichkeit zwischen Muskel-
Gesund- und -Avitaminosepräparat zeigt an, daß die Ursache der
Avitaminosesymptome u. a. auch im Muskelgewebe zu suchen ist.
Ferner sprechen die Resultate gegen die Möglichkeit, daß die
Beriberisymptome durch im abnormen Stoffwechsel entstehende
toxische Produkte hervorgerufen werden. Denn von einer Schä-
digung der mit Avitaminosepräparaten gefütterten Testtiere
ist im Vergleich mit den Testtieren ohne Zulage in keiner Serie
etwas zu beobachten.
Stoffliches Defizit im Gewebe an Avitaminose erkrankter Tiere. 203
Zusammenfassung.
Auf einseitige Nahrung gesetzte Mäuse und Ratten erhalten
Nahrungszulagen in Form von Gewebepräparaten, die einerseite
von Tauben mit experimenteller Beriberi, andererseits von gesunden
Tauben stammen. In der Beobachtung der Lebensdauer, der
Gewichtskurven und bei Ratten des zeitlichen Auftretens der
Xerophthalmie dienen sie als Testtiere zum biologischen Nachweis
eines stofflichen Defizites im Gewebe der Tiere mit Beriberi.
Die Versuche erweisen das Bestehen eines solchen Defizites.
Die von den Avitaminosetieren stammenden Präparate (Muskel;
Pankreas) vermögen die Testtiere nicht in dem Maße vor der Kon-
sequenz der einseitigen Nahrung zu schützen, wie die in gleichen
Dosen verabreichten Zulagen, die von gesunden Tieren geliefert
sind. Es ist wahrscheinlich, daß dieser Unterschied der Wirkung
auf den Vıtamingehalt zu beziehen ist. Die Ursache der Avita-
minosesymptome ist somit u. a. im Chemismus des Muskelgewebes
zu suchen. Die Resultate sprechen dagegen, daß es sich dabei
um das Entstehen toxischer Produkte handelt.
Über die Bildung von Acetaldehyd und die Verwirk-
lichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen
Pilzen.
Von
Carl Neuberg und Clara Cohen.
(Aus der Chemischen Abteilung des Kaiser Wilhelm-Instituts für experi-
mentelle Therapie in Berlin-Dahlem.)
Durchblickt man die verschiedenen Lehrbücher der Gärungs-
chemie, die im vergangenen Jahrhundert und im ersten Dezennium
des gegenwärtigen erschienen sind, so findet man unter den eigent-
lichen Produkten der alkoholischen Zuckerspaltung und ver-
wandter Umsetzungen den Acetaldehyd nicht aufgezählt.
In den seinerzeit besonders verbreiteten Werken von P.Schützen-
borger?!) und Adolf Mayer?) geschieht des Aldehyds auch unter den sog.
Beiprodukten der Gärung keinerlei Erwähnung. In den „Diastasen‘“‘ von
J. Effront?) sowie in der „Zymasegärung‘‘ von E. und H. Buchner und
M. Hahn‘) wird der Acetaldehyd dem Stande des damaligen Wissens
entsprechend nicht angeführt, ebensowenig in A. Baus®) Abhandlung über
die Bierbrauerei. W. Kruse®) streift in der „allgemeinen Mikrobiologie“
die Möglichkeit einer Entstehung höherer Aldehyde aus Eiweiß im Zu-
sammenhange mit der Frage der Bouquetbildung, nicht aber den Übergang
von Zucker in den einfachen Acetaldehyd.
Die einschlägigen Zusammenfassungen, die von Aoetaldehyd überhaupt
Notiz nahmen, stellten sich in unzweideutiger Weise auf den Standpunkt,
daß es sich bei diesem Körper um ein sekundäres Erzeugnis
handele, das durch eine nachfolgende Oxydation des im normalen
1) P. Schützenberger, Die Gärungserscheinungen. Deutsche Aus-
gabe, Leipzig 1876.
3) Ad. Mayer, Die Gärungschemie. Heidelberg 1895.
3) Jean Effront, Die Diastasen. Deutsche Übersetzung von
Bücheler. Leipzig 1900.
1) E. und H. Buchner und M. Hahn, Zymasegärung. München 1903.
5) A. Bau, Bierbrauerei. Leipzig 1911.
€) W. Kruse, Allgemeine Mikrobiologie. Leipzig 1910, S. 537.
C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd usw. 205
Gärakt primär. gebildeten Alkohols entsteht. So sind auch in der neuesten
Auflage von Beilsteins Handbuch der organischen Chemie, die ant 1.1. 1910
abgeschlossen ist, die letzten Ergebnisse der verschiedenen französischen
Autoren mit den Worten zusammengefaßt: „Die kleinen Mengen Acetalde-
hyd, die bei der Alkoholgärung des Zuckers auftreten können, sind kein
normales Gärungsprodukt, sondern entstehen durch nachträgliche Oxy-
dation des Alkohols an der Luft in Gegenwart von Hefe‘). Eine ähnliche
Anschauung kommt zum Ausdrucke in Karl Windischs?) „Abhandlungen.
über die chemischen Vorgänge beim Werden des Weins“ mit den Worten:
„Der bis jetzt am meisten anerkannten Ansicht gemäß entsteht die
Hauptmenge des Aldehydes im Wein durch Oxydation des Alkohols durch
den Sauerstoff der Luft. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß schon bei der
Gärung der Moste Aldehyde entstehen, dann aber wahrscheinlich durch
Reduktion von Fettsäuren und nicht durch Oxydation von Alkoholen.“
Ersichtlioh zieht dieser Autor vornehmlich eine sekundäre Entstehung
des Aocetaldehyds (sowie seiner Homologen) in Betracht. Dieselbe Auf-
fassung scheint auch K. Kroemer in F. Lafars Handbuch der technischen
Mykologie zu vertreten?). Die Winzigkeit der beobachteten Aldehydmengen
führte den Verfasser zur Theorie ihrer sekundären .oxydativen Bildung.
Er sagt für den Wein: „Für gewöhnlich wird hierdurch (d. h. die Aldelıyd-
bildung) die Güte des Weins kaum beeinflußt werden, weil den Hefen der
Sauerstoff, der zur Bildung dieser Verbindungen notwendig ist, in weitaus
den meisten Fällen nioht zur Verfügung stehen dürfte.“ Ähnlich hatte sich
A. Baut) für die Gärung ganz allgemein geäußert: „Der Aldehyd hat mithin
(sc., wenn die Luft reichlich Zutritt hat) seinen Ursprung in der Oxydation
des Alkohols in statu nascendi. Nach Ilges bildet er sich nicht bei der
Gärung, sondern erst in den Destillierapparaten durch Berührung der
Spiritusdämpfe mit Luft.“
Alle tatsächlichen Befunde von Acetaldehyd betrafen freilich
nur äußerst geringe Spuren dieser Substanz. Für das Gärungs-
problem mußten sie ohne alle Bedeutüng bleiben. Der Stand
der Frage wird klar in Maercker - Delbrücks bekanntem
Handbuch der Spiritusfabrikation vom Jahre 1903 präzi-
siert, wo es heißt5): ‚Der Acetaldehyd entsteht durch die
Oxydation von Äthylalkohol während der höchsten Temperatur
der Gärung.... Die Essigsäure ist ebensowenig wie der Aldehyd
ein normales Produkt der Gärung, sondern ein Zersetzungsprodukt
von bereits gebildetem Alkohol.“
1) Beilstein, 4. Aufl., Bd. I, S. 595. 1918.
2) K. Windisch, Die chemischen Vorgänge beim Werden des Weines.
Stuttgart 1906, S. 45.
s) F. Lafar, Bd. V, S. 484. 1905—1914.
t) F. Lafar, Bd. IV, S. 386. 1905—1907.
&) Maercker - Delbrück, S. 79.
206 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
Eine gründliche Umgestaltung erfuhr die Sachlage, als im
Jahre 1910 C. Neuberg und H. Wastenson!) zunächst in der
Hefe ein besonderes Ferment auffanden, dessen Tätig-
keit gerade auf die Erzeugung von Acetaldehyd ge-
richtet ist, nämlich die Carboxylase. Wie in einer längeren
Reihe von Arbeiten seit dem Jahre 1911 dann gezeigt worden
ist, zerlegt das genannte Enzym die Brenztraubensäure in Kohlen-
dioxyd und Acetaldehyd. Da die Carboxylase in allen eigentlichen
Gärungserregern angetroffen ist und auch bei höher organisierten
Lebewesen, die eine der geistigen Gärung ähnliche Zuckerspaltung
zuwege bringen, so hat sich auf Grund dieser Tatsachen die
„Acetaldehyd - Brenztraubensäuretheorie der Gärung“
befestigt. Sie besagt, daß sowohl Brenztraubensäure als Acet-
aldehydein Zwischenprodukt bei der alkoholischen Zucker-
spaltung darstellen. Gewichtige Beweise für diese Theorie sind
dann im Jahre 1916 und 1918 von C. Neuberg mit E. Färber
und E. Reinfurth.dadurch beigebracht worden, daß sie tat-
sächlich bedeutende Quantitäten Acetaldehyd, bis zu 75%, der
theoretisch möglichen Menge, durch modifizierte Gärführung des
Traubenzuckers und anderer Hexosen zu isolieren imstande waren.
Daß dabei die Brenztraubensäure als unmittelbare Vorstufe des
Acetaldehyds zu gelten hat, zeigten des weiteren C. Neuberg
und E. Reinfurth, indem unter den Bedingungen der verschie-
denen Aldehyd-Abfangverfahren — Sulfit- und Dimedonmethode —
die Brenztraubensäure gleichfalls Acetaldehyd liefert; und vor
nicht allzulanger Zeit hat M. von Grab?) auch die Brenztrauben-
säure selbst abzufangen vermocht.
Für die eigentliche alkoholische Gärung steht die ‚‚Aoet-
aldehyd-Brenztraubensäuretheorie‘‘ auf verläßlicher Grundlage.
Nun gibt es auch noch andere Gärungsvorgänge, die der
alkoholischen Zuckerspaltung mehr oder minder nahe verwandt
sind, und es scheint im Hinblick auf die Möglichkeit, zu einer
einheitlichen Auffassung vom Chemismus dieser Prozesse zu ge-
langen, als eine Aufgabe von nicht untergeordnetem Interesse,
1) Betreffs der Arbeiten Neubergs und seiner Mitarbeiter sei auf die
zusammenfassende Darstellung Neubergs: „Über den Zusammenhang
der Gärungserscheinungen in der Natur‘, Festschrift d. Kaiser Wilhelm-Ges.
zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1921, S. 162, verwiesen.
2) M. v. Grab, 1921.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 207
ebenfalls für die von diesen Erregern bewirkten und im Haus-
halte der Natur häufig noch wichtigeren Umsetzungen der
Kohlenhydrate einen entsprechenden Verlauf zu erweisen.
Zunächst hatte C. Neuberg mit F. Nord, E. Färber und
E. Wolff dargetan, daß der Abbau der Zuckerarten und ihm nahe-
stehender Substanzen, wie Mannit und Glycerin, durch eine Reihe
über die ganze Erde verbreiteter Bakterien grundsätzlich in gleicher
Weise erfolgt. Bei den Erregern der Ruhr, beim Bacillus lactis
aerogenes, beim Bacterium coli gelingt es, mittels geeigneter Ver-
suchsanordnungen die sonst flüchtig durcheilte Stufe des Acet-
aldehyds in beträchtlichem Umfange zu fixieren. Dasselbe trifft
für die ubiquitäre Klasse der Buttersäurebildner!) zu. Damit
enthüllt sich bereits eine weitgehende Gleichmäßigkeit bei den
verschiedenen natürlichen Umsetzungsformen des Zuckers?).
Wenn bei einem Gärungsvorgange Acetaldehyd in wirklich
reichlichen Mengen zutage gefördert wird und sein Auftreten, wie
nunmehr erwiesen ist, sich auf primärer Grundlage vollzieht, so ist
es klar, daß diese offenbar ohne jede Mitwirkung atmosphärischen
Sauerstoffs erreichte biologische Oxydationsphase in irgendeinem
entsprechenden Reduktionsprozeß ihr Gegenstück haben muß.
Bei der einfachen alkoholischen Zuckerspaltung
entziehen sich diese Zusammenhänge deshalb der unmittelbaren
“Wahrnehmung, weil bei dem glatten Zerfall des Zuckers gemäß
der gewöhnlichen Gärungsgleichung der zwischendurch entstehende
Acetaldehyd durch den ‚„mobilisierten Gärungswasserstoff‘“ sofort
zu Äthylalkohol hydriert wird.
Schlägt man jedoch künstlich den Acetaldehyd in Fesseln,
bewahrt ihn also vor der normalen Reduktion zum Weingeist,
so muß in einem anderen Reduktionserzeugnis der Ausgleich
gegeben sein. Bei der zweiten Vergärungsform, bei der
man durch Zugabe sekundärer schwefligsaurer Salze den Acet-
aldehyd aus der Bahn der üblichen Umwandlungen ausschaltet,
besteht die korrelative Reduktion in der Erzeugung von äqui-
molekularen Mengen Glycerin.
Bei derdritten Vergärungsform, bei der das intermediäre
Gebilde des Acetaldehyds nicht durch Fesselung, sondern durch
1) C. Neuberg und B. Arinstein, diese Zeitschr. 117, 269. 1821.
3) Näheres siehe darüber in der erwähnten Mitteilung von Neuberg
„Über den Zusammenhang der Gärungserscheinungen in der Natur.“
208 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver- .
Dismutation — durch Umlagerung zu Äthylalkohol und Essig-
säure — entfernt wird, findet man gleichfalls im Glycerin das
Reduktionsäquivalent.
Bei der Buttersäuregärung, die als eine vierte Vergärungs-
form betrachtet werden kann, wird der Acetaldehyd bzw. seine
Vorstufe, die Brenztraubensäure, aldolisiert und das Reaktions-
produkt durch eine „Saccharinumlagerung‘ in Buttersäure über-
geführt. Da diese keinen funktionstüchtigen Wasserstoffacceptor
mehr darstellt, und aus Gründen, die wir bislang nicht kennen,
Glycerin ebenfalls nicht gebildet, ja sogar ähnlich wie Zucker
selbst von den Buttersäureerregern angegriffen wird, kommt es
dabei zu der bekannten Wasserstoffgärung, d. h. zu einer Ent-
bindung freien Wasserstoffgases.
In bezug auf die Aldehydstufe liegen ähnliche Verhältnisse
bei der Umsetzung von Kohlenhydraten durch die Bakterien
' der Coli- und Dysentheriegruppe vor. Der Acetaldehyd wird hier
— in der Norm — dismutiert wie bei der dritten Vergärungsform,
kann jedoch in erheblichem Umfange mittels der Abfangmethode
festgelegt werden. Dagegen erfolgt keine entsprechende Speiche- _
rung von Glycerin, wohl deshalb nicht, weil der betreffende
Kohlenhydratanteil, ehe er hydriert werden kann (wahrscheinlich
über eine Modifikation des Methylglyoxals), zu Milchsäure um-
gelagert wird. Hinzu kommt, daß Glycerin selbst gegenüber den
Erregern nicht beständig ist. Da somit der „Gärungswasserstoff“
sich nicht als Reduktionsmittel betätigen kann, weder am Acet-
aldehyd noch an einem Zuckerhalbmolekül, entweicht er in mole-
kularem Zustande. Diese Art des Zuckerzerfalls stellt eine fünfte
Vergärungsart dar.
Unter günstigen Umständen kann man bei allen diesen
Umsetzungsformen auf Spuren von Acetaldehyd stoßen; diese
sind als Überbleibsel aufzufassen, die daher rühren, daß der
entsprechende reduktive Ausgleich sich nicht in der Bildung
einfacher Produkte auswirkt, sondern daß die Reduktionsvorgänge
bei irgendwelchen synthetischen Leistungen der Organismen
oder der Zellsäfte beteiligt sind.
Neuerdings haben C. Neuberg und J. Hirsch!) einen Vor-
gang beschrieben, den man als eine sechste Vergärungsform
1) C. Neuberg und J. Hirsch, diese Zeitschr. 115, 282. 1921.
— — mn o
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 209
bezeichnen kann; er verknüpft die Zuckerspaltung in durchsich-
tiger Weise mit aufbauenden Prozessen. Neuberg und Hirsch
haben nämlich gefunden, daß bei der sogenannten, übrigens auch
auf rein fermentative Art durchführbaren phytochemischen
Reduktion von Aldehyden zu den zugehörigen Alkoholen der
Aoetaldehyd sich ansammelt, zwar nicht in freiem Zustande,
sondern in Form einer benzoinartigen Kondensationsverbindung
mit einem Teile des zugesetzten fremden Aldehyds. Schon früher
hatten C. Neuberg und Mitarbeiter dargetan, daß die phyto-
chemische Reduktion wahrscheinlich auf Kosten des Zuckers
vollzogen wird und auch kleine Mengen freien Acetaldehyds,
offenbar Überreste, dabei zum Vorschein kommen können!).
Somit ist die primäre Entstehung von Acetaldehyd
unddiedamit andin Hand gehende Bildung bestimm-
ter Reduktions- bzw. Anlagerungsprodukte bei ver-
schiedenen Typen der biologischen Zuckerspaltung
erwiesen. Ä
Zum weiteren Ausbau dieser Zusammenhänge ist
nunmehr eine Reihe von Mikroorganismen untersucht
worden, die teils hinsichtlich ihres Chemismus den
Erregern der alkoholischen Gärung verwandt er-
scheinen, zum Teil andere Zerlegungen der Kohlen-
hydrate zuwege bringen. |
Es handelt sich zunächst um die Mucoraceen. Es sind
dieses Pilze, die morphologisch der Hefe ferner stehen, zwar wie
diese Alkohol hervorbringen, aber langsamer und nicht im selben
Umfange?). (Es liegt dies daran, daß sowohl die absolute Menge
umgesetzten Zuckers geringer ist, als auch reichlich Säuren, neben
Kohlensäure Oxalsäure, Bernsteinsäure und Milchsäure aus dem
Zucker gebildet werden. Das Verhältnis C,H/OH :CO, wird
z. B. wie 4:5 angegeben, während es bei der Hefengärung be-
kanntlich 1 ; 1 ist.)
Herangezogen wurden:
Mucor javanicus, Mucor mucedo, Mucor plumbeus,
1) C. Neuberg und A. Lewite, diese Zeitschr 91, 257. 1918. —
F. F. Nord, Ber. 5%, 1210. 1919. — C. Neuberg und F. F. Nord, Ber. 5%,
2242 u. 2251. 1919.
2) Vgl. O. Emmerling, Ber. 30, 454. 1897 und C. Wehmer in
Lafars Handbuch IV, 455. 1907.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 14
210 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
Mucor racemosus, Mucor rouxii, Mucor silvaticus,
Mucor stolonifer sowie anschließend:
Endomyces fibuliger und Rhizopus tritici.
Ferner dienten zu dieser Prüfung Vertreter der Gruppen
Monilia, Oidium und Torula, und zwar im einzelnen:
Monilia candida, Oidium lactis, Torula &, Torula
colliculosa und Torula rubra.
Des weiteren wurden die Untersuchungen ausgedehnt auf:
Aspergillus cellulosae?), Aspergillus citricus, Asper-
gillus fumaricus, Aspergillus niger, Aspergillus niger
mutante, Penicillium variabile und Merulius lacrimans
sowie schließlich auf:
Pilsner Kahmhefe, Weinkahmhefe III, Kahmhefe
vergärend sowie Kahmhefe nicht vergärend.
Mit dieser nicht unerheblichen Zahl von Mikro-
organismen ist in allen Fällen die Bildung von Acet-
aldehyd festgestellt und, soweit sie einigermaßen beträchtlich
war, auch der Menge nach verfolgt worden.
Quantitative Bestimmungen sind mit Mucor javanicus, Mucor
mucedo, Mucor plumbeus, Mucor racemosus, Mucor rouxü, Mucor
stolonifer, Monilia candida, Oidium lactis, Torula &, Torula colli-
culosa, Endomyces fibuliger sowie Aspergillus niger mutante
durchgeführt.
Um den Acetaldehyd ans Tageslicht zu fördern,
diente das „Abfangverfahren“ von Neuberg, Färber und
Reinfurth, d. h. die Zugabe sekundären schwefligsauren Na-
triums bzw. Calciumsulfits.
In den Fällen, wo eine nennenswerte Aldehyd-
ausbeute erreicht worden war, haben wir geprüft, ob
eine korrelative Glycerinbildung nach Art der zweiten
Vergärungsform eintrat. Solche Gäransätze wurden mit
Mucor javanicus, Mucor plumbeus und Mucor racemosus, Monilia
candida und Torula colliculosa angestellt. Mit voller Schärfe
ergab sich in diesen Fällen, daß die von den genannten
Erregern erzeugten Zuckerumsetzungsprodukte, Acet-
aldehyd und Glycerin, in molekularer Proportion vor-
1) Nach einer Mitteilung, die uns United States Departement
of Agriculture, Washington, gemacht hat, soll der Pilz identisch mit
Aspergillus fumigatus sein.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 211
handen sind, gemäß der Formulierung: C,H, ,0, = CH, - CHO
+ CO, + C,H,0,, während die erzeugte Spritmenge
gleichzeitig abnimmt, d:h.daß die Verhältnisse genau
wie bei der mit gleichen Mitteln abgeänderten Ver-
gärung des Zuokers durch Kulturhefen liegen. l
Man kann also auch bei diesen Pilzgärungen von
einer typischen Acetaldehyd-Glycerinspaltung des
Kohlenhydrats sprechen. Übrigens sei erwähnt, daß mehr
oder minder deutliche Spuren Aldehyd auch ohne Zugabe eines
Abfangmittels bei einzelnen Mucoraceen- und Torulagärungen
gefunden sind. Für diese Spuren gilt das vorher S. 205 und 208
Gesagte; die Verhältnisse liegen ähnlich wie bei der Hefengärung
und wie für das jüngst von J. Hirsch beschriebene Auftreten
von Acetaldehyd beim Kohlenhydratumsatz in der atmenden
Kaltblütermuskulatur!).
Bei den anderen Pilzen, die mehr einen oxydativen Stoff-
wechsel besitzen und nicht ‚anaerob“ arbeiten, bestehen natürlich
diese Zusammenhänge nicht. Entweder kommt es gar nicht zu
einer Glyoerinerzeugung, indem entsprechende Anteile des Zuckers
für den Zellaufbau sowie für Dissimilationsvorgänge herangezogen,
werden, oder es findet, wie bei Oidium lactis, zwar eine mäßige
Glycerinbildung statt, aber nicht im Gegenwertsverhältnis zur
Acetaldehydmenge; die Gründe dafür sind offenbar analoger Art.
Die Sachlage ähnelt in mancher Beziehung auch den Zuständen,
die bei den von Coli- und Buttersäurebacillen bewirkten Um-
setzungen herrschen.
Erwähnenswert erscheint, daß die auf Holzsubstanz ge-
deihenden Pilze, zu denen der Aspergillus cellulosae und Merulius
lacrimans gezählt wird, ebenfalls Acetaldehyd hervorzubringen
befähigt sind.
Der Abbauweg über den Acetaldehyd wird nun nicht allein
bei Zersetzung des Zuckers eingeschlagen, sondern auch bei der
Spaltung von niedriger molekularen Verbindungen, z. B. bei der
Verarbeitung des Alkohols selbst. Die Umstände sind denen
bei der Essiggärung verwandt, wo C. Neuberg und F. F. Nord
als Durchgangsstufe zwischen Weingeist und Essigsäure den
Acetaldehyd ebenfalls mit Hilfe des Abfangverfahrens nach-
gewiesen hatten. Den Erregern der Essiggärung reihen sich
1) J. Hirsch, diese Zeitschr. 117, 113. 1921.
14*
212 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
die verschiedenen Kahmhefen an, mit denen wir, wenn
auch in kleinerem Umfange, aus Äthylalkohol Acetaldehyd ge-
wonnen haben. Daß von diesen „Omnivoren‘“ der Acetaldehyd
wieder verzehrt wird, selbst in Gegenwart des Bindemittels
Sulfit, steht mit früheren Feststellungen!) über einen solchen
Verbrauch der Aldehyd-Sulfitkomplexe seitens anderer Organis-
men im Einklange und ist gewissermaßen zu vergleichen der von
Bokorny?) gemachten Angabe, daß formaldehydschwefligsaures
Natrium von gewissen Algen auf Stärke verarbeitet werden kann.
Soweit Zuckerarten zu den verschiedenartigen Versuchen gedient
haben, darf als Vorstufe des Acetaldehyds wohl die Brenztrauben-
säure betrachtet’ werden, nachdem jüngst T. Nagayama?) über
die Zerlegbarkeit der Brenztraubensäure, der Pyruvinate und
ihrer Sulfitadditionsverbindungen durch diverse Pilze berichtet hat.
Ein hauptsächliches Ergebnis der vorliegenden Untersuchung
ist, daß bei zahlreichen Organismen nun der Acetaldehyd als ein
wesentliches Produkt des Stoffwechsels festgestellt worden ist.
Von neuem enthüllt sich so die wichtige Rolle des Acetaldehyds
im Haushalte der Lebewesen; damit wird diesem so umsetzungs-
fähigen Körper, der durch Reduktion, Oxydation und Conden-
sationen mannigfache Wandlungen eingehen kann, ein biochemisch
immer bedeutungsvollerer Platz angewiesen.
Experimentelle Belege.
Wie in den vorausgehenden einleitenden Bemerkungen an-
gegeben ist, diente zur Fixierung reichlicher und beweisender
Mengen Acetaldehyds das „Abfangverfahren‘“, das auf der Addi-
tion intermediär gebildeten Acetaldehyds an zugefügte sekundäre
schwefligsaure Salze beruht. Neuberg hat mit Reinfurth und
Nord vor mehreren Jahren dargetan, daß im allgemeinen hin-
sichtlich des Umfanges, in dem die Fixation des Aldehyds gelingt,
das leichtlösliche Dinatriumsulfit vorzuziehen ist. Wo aber dieses
Salz wegen seiner alkalischen Reaktion oder ausgesprochener
Schädigungen, die es an den Zelloberflächen herbeiführt, von den
1) C. Neuberg und E. Reinfurth, diese Zeitschr. 89, 384. 1948;
Ber. 52, 1682. 1919. — C. Neuberg und F. F. Nord, diese Zeitschr. 96,
166. 1919. — C. Neuberg und B. Arinstein, diese Zeitschr. 117, 273. 1921.
2) Th. Bokorny, Chem. Centralblatt 1903. I. 1035.
3) T. Nagayama, diese Zeitschr. 116, 303. 1921.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 213
Organismen nicht vertragen wird, kann man sich des unlöslichen
neutralen Calciumsulfits bedienen, das weit indifferenter, aber
auch in verringertem Grade für die Abfangzwecke geeignet ist.
Die verwendeten Pilze verdanken wir, soweit sie nicht im
hiesigen Institute vorrätig waren, der Freundlichkeit der Herren
Professoren F. Ehrlich in Breslau, P. Lindner in Berlin und
C. Wehmer in Hannover, denen wir auch an dieser Stelle für
die bereitwillige Abgabe von Kulturen unseren verbindlichsten
Dank aussprechen; ferner fühlen wir uns Fräulein Hedwig
Köster für die Weiterzüchtung und Reinheitekontrollen sehr
verpflichtet. |
Die Versuchsanordnung schloß sich an die ehemals von Neu-
berg und Reinfurth ausgearbeitete an. Da jedoch im Gegensatze
zur Hefe die hier in Betracht kommenden Pilze nicht ohne weiteres
in Massen zur Verfügung standen, wurden sie fast ausnahmslos
in den Gärgefäßen selbst und zwar zumeist direkt auf den sulfit-
haltigen Zuckerlösungen herangezüchtet.
Im einzelnen verfuhren wir folgendermaßen:
I. Versuche mit Mucor javanicus.
a) Verwendet wurde eine Lösung, die in 100 com 6 g Traubenzuckert),
lg Monokaliumphosphat, 0,6 g Magnesiumsulfat und 0,6 g Pepton Witte
enthielt. Dieses Gemisch wurde 3 Tage nacheinander jeweils eine halbe
Stunde sterilisiert; hierzu kamen 100 com einer 6proz. Lösung von sekun-
därem schwefligsauren Natrium, die durch zweimaliges Aufkochen
unter Luftabschluß entkeimt war. Das in einem konischen Kolben befind-
liche Gemenge war außerdem mit l g gesondert bei 180° sterilisiertem
Calciumcarbonat versetzt, mit einer Platinöse der frischen Kultur von Mucor
javanicus beimpft und in einen Brutschrank von 28° gestellt. Der gegen
das Milieu wenig empfindliche Erreger war nach 24 Stunden angewachsen,
und bereits nach dieser Frist war mit der Nitroprussidnatriumprobe das
Auftreten von Acetaldehyd nachweisbar. Gleichzeitig zeigte das Auf-
steigen von Kohlendioxydblasen die einsetzende Vergärung an. Die Menge
des produzierten Aldehyds nahm in den nächsten Tagen deutlich zu. Nach
18 Tagen wurde eine quantitative Bestimmung vorgenommen. Zu dieser
dienten 185ccm der Urlösung. Sie wurden nach der Destillations-
Titrationsmethode?) verarbeitet, indem zunächst (zwecks Ausfällung
unverbrauchten Sulfits) 50 ccm m-Bariumchloridlösung zugesetzt wurden;
dadurch wurde ein Volumen von 235ccm erreicht. Ein aliquoter Teil,
1) Auch in allen nachstehenden Versuchen ist reinste Glucose benutzt
worden.
2) C. Neuberg und E. Reinfurth, 1918.
214 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
und zwar 187 com, wurde dann unter Zugabe von 10 g kohlensaurem Kalk
im Wasserdampfstrom destilliert und der übergehende Aldehyd unter den
üblichen Vorsichtsmaßregeln aufgefangen.
Als Resultat von Doppelanalysen, die hier und im folgenden stets
ausgeführt worden sind, ermittelten wir 0,584 g Aldehyd, das sind 15,08%
des angewandten Zuckers, der praktisch vollkommen verschwunden ge-
wesen ist. Wie man sieht, bleibt die Aldehydausbeute kaum
hinter derjenigen bei der Hefegärung zurück, bei der Neuberg
und Reinfurth früher bis zu 18,13%, vom Gewichte des angewandten
Zuckers gelangt sind.
Der hohe Ertrag an Acetaldehyd war Veranlassung, den Destillations-
rückstand auf die Anwesenheit von Glycerin zu prüfen. Nach Eindampfen
im Faust - Heimschen Verdunstungskasten, gründlicher Extraktion mit
Alkohol sowie Behandlung mit Alkoholäther wurde eine Flüssigkeit er-
halten, in der reichliche Mengen Glycerin vorhanden und mit der einfachen
Reaktion von Neuberg und Mandel!) leicht nachzuweisen wären.
b) Wir gaben 100 ccm 6proz. Zuckerlösung mit den erforderlichen
Nährsalzen in einen konischen Kolben, in dem 100 oom Wasser nebst 8g
Calciumsulfit (mit einem Gehalt von 50% an wasserfreiem CaSO,) sowie
1l g Caloiumcarbonat durch zweimaliges Aufkochen unter Luftabechluß steri-
lisiert waren, und bewahrten das Gemisch in einem Brutschrank bei 28°
auf. Schon nach 24 Stunden war der Pilz gut angewachsen, und die Ent-
wicklung von gasförmiger Kohlensäure zeigte auch hier den Beginn des
Zuckerzerfalls an. Aoetaldehyd war gleichfalls deutlich zugegen. In den
folgenden Tagen nahm der Aldehydgehalt zu. Am 21. Tage schritten wir
zur quantitativen Bestimmung. Eine Ausfällung der Sulfitionen erübrigte
sich in diesem Falle wegen Anwendung des schwerlöslichen, schwefligsauren
Kalks; der Aldehyd kann direkt durch Wasserdampfdestillation in Gegen-
wart von kohlensaurem Kalk in Freiheit gesetzt und in gewohnter Weise
jodometrisch bestimmt werden.
Gefunden wurden 0,109 g Aldehyd, entsprechend 2,23%, des angewen-
deten Zuckers.
Die Vermutung, daß die geringe Ausbeute an Aldehyd auf unvoll-
ständigen Umsatz des Zuckers zurückzuführen sei, bestätigte sioh nicht,
da nur Spuren unzerlegten Kohlenhydrats nachweisbar waren. Es zeigte
sich vielmehr wieder, daß in bezug auf die Ausbeute an Aldehyd das lösliche
schwefligsaure Natrium dem unlöslichen schwefligsauren Kalk überlegen ist.
c) Das günstige Ergebnis des Ansatzes a) veranlaßte die Anstellung
größerer Versuche. In einem 2 Liter-Stehkolben wurden zu 500 com der
beim ersten Versuch beschriebenen, 6%, Glucose enthaltenden Nährflüssig-
keit 500 ccm der dort gleichfalls verwendeten 6proz. Natriumsulfitlösung
sowie 5g Calciumcarbonat gegeben; mittels einer Platinöse geschah die
Pilzaussast. Das Gemisch verblieb nunmehr 27 Tage im Brutschrank (28°).
Es wurden dann in je 250 com der Acetaldehyd und das Glyoerin und
in weiteren 475 ocm der entstandene Äthylalkohol quantitativ ermittelt.
1) C. Neuberg und J. A. Mandel, diese Zeitschr. 71, 214. 1915.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 215
Aus den zur Aldehyddestillation dienenden 250 ccm wurde zunächst
mit 65 com m-BaCl,-Lösung überschüssiges freies Sulfit ausgefällt. . Die
315 ccm Reaktionsgemisch wurden in der Kälte filtriert und vom Filtrat
250 ccm der Wasserdampfdestillation unter Zusatz von 10 g CaCO, unter-
worfen. Dieses Destillat enthielt 0,521 g Acetaldehyd, welche bei einem
ursprünglichen Gehalte von 5,95 g Zucker in den 250 com Filtrat einer
Ausbeute von 8,76%, Acetaldehyd, bezogen auf den angewendeten oder
12,19%, auf den verbrauchten!) Zucker, entsprechen.
Der Rückstand von der Aldehyddestillation wurde auf einen Gebalt
an nichtumgesetzten Zucker untersucht, Die Flüssigkeitsmenge betrug
340 com; nach dem Filtrieren gelangten 310 oom zur Analyse. Sie wurden
mit Eisessig schwach angesäuert, unter vermindertem Druck auf ca. 50 com
eingedampft und dann von vorhandenen Ba-Ionen mittels Natriumsulfat
befreit; nach Filtration und quantitativem Auswaschen wurde ein Volumen
von 100 com hergestellt. Diese wurden nunmehr nach der Methode von
Pavy-Kumagawa-Suto titriert. Gefunden wurden darin 1,52g
Zucker, was für den gesamten Destillationsrückstand 1,67 g ausmacht,
entsprechend 28,07%, des angewendeten Zuckers.
Zur Glycerinanalyse?) mußte das Gärgut zunächst vom Sulfit
befreit werden; zu diesem Zweck wurden 250 ccm Urlösung mit 65 ocm
m-BaCl,-Lösung und 150 ccm 4proz. Barytwassers !/, Stunde gekocht,
sodann wurde zur Fällung des überschüssigen Baryts CO, bis zur neutralen
Reaktion auf Lackmus eingeleitet und das Reaktionsgemisch, dessen Volu-
men sich auf 730 ccm belief, filtriert. Vom Filtrat wurden 647 oom im
Faust- Heimschen Verdunstungskasten eingetrocknet, in der üblichen
Weise mit Alkohol und Äther behandelt und so gereinigt. Nach quanti-
tativer Entfernung des Alkohols wurde darauf der glycerinhaltige Rück-
stand auf 25com gebracht; mit dieser Lösung ist die Glycerinanalyse
ausgeführt.
Es resultierten 1,162 g Glycerin, entsprechend 6,65 g Zuoker, die
in den verarbeiteten 647 ccm Filtrat enthalten waren; somit belief sich die
Ausbeute auf 17,48%, des angewendeten oder 24,30%, des umgesetzten
Zuckers.
Der Alkohol wurde in 475 com Urlösung bestimmt; hierfür wurde das
Gärgut zuförderst durch anreichernde Destillation auf ein Volumen von
110 com gebracht und dann der mit übergegangene Acetaldehyd durch
Behandlung mit m-Phenylendiamin entfernt?). Zur Anwendung gelangte
4 g m-Phenylendiaminchlorhydrat, entsprechend der etwa 3fachen Menge
des oben ermittelten Acetaldehydgehaltes. Dann wurden 75 com und nun-
mehr über Knochenkohle genau 50,0 ccm abdestilliert. Das spezifische
Gewicht dieser Flüssigkeit (im Pyknometer bestimmt) zeigte einen Alkohol-
gehalt von 2,39 g an, der bei den zugrunde liegenden 14,25 g Zucker einer
Ausbeute von 16,77% Alkohol entspricht.
1) S. später.
2) Vgl. Neuberg und Reinfurth, 1918.
2) C. Neuberg und J. Hirsch, 1919.
216 0. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
Erhalten wurden
an Acetaldehyd . . ..... 8,76 %
„ Glyverin. .. 2.2.2... 17,48 „
„ Alkohol . . ». 222.2. 16,77 „
An unvergorenem Zucker, der im Rückstande der Aldehyd-
bestimmung ermittelt werden kann!), waren 28,07% zugegen.
Bezogen auf den tatsächlich umgesetzten Zucker gewannen wir mithin:
12,19%, Aldehyd,
24,30 „ Glycerin und
23,32 „ Weingeist.
Gleichzeitig mit diesem Versuche wurde eine Kontrollbestimmung
(Versuch ohne Abfangmittel) ebenfalls in einem 2 Liter-Kolben vorgenom-
men, und zwar wurden 500 ccm der Nährlösung mit 500. com sterilem Wasser
gemischt und mit dem Pilz beimpft. Dieser sulfitfreie Ansatz wurde ebeh-
falls 27 Tage im Brutschrank bei 28° digeriert. Dann wurde in 500 com
der Alkohol ermittelt, und zwar zu 43,77%. Besonders beachtenswert
erscheint diese große Ausbeute an Äthylalkohol, die der Mucor
javanicus in Reinkultur lieferte. Die Menge blieb nur unwesentlich
hinter dem Ertrag mit Hefe zurück. Deutlich sieht man, daß ganz ent-
sprechend den Erfahrungen für die Hefegärung im Abfangversuch die
Ausbeute an Sprit vermindert ist, indem dabei, wie erwähnt, nur 23,32%,
vom wirklich umgesetzten Zucker auftraten.
Das Verhältnis,indemim Abfangversuch durch den Mucor
javanicus Acetaldehyd und Glycerin hervorgebracht werden,
ist das molekulare.
Berüoksichtigt man die umgesetzte Zuckermenge, so findet man bei
Anwendung der von Neuberg, Hirsch und Reinfurth (l. c.) aufgestellten
Formeln 94,3%, des verbrauchten Zuckers in Form bekannter Stoffe wieder.
d) Um die Bedingungen den Verhältnissen bei der Hefegärung auch
hinsichtlich der Aussaatmengen anzunähern, haben wir einen größeren
Ansatz mit einem reichlichen Quantum des Erregers angestellt. Hierzu
diente die Pilzernte, die im Kontrollversuch c) herangewachsen war. Die
gesamte Pilzdecke wurde unter Schutz vor Infektion in ein Gemisch ein-
getragen, dessen Zusammensetzung im übrigen vollkommen dem Ansatz 0)
gleich war. Bei dieser erheblichen Aussaat wurden in der Tat größere
absolute Mengen Aoetaldehyd, Glycerin und Alkohol gefunden, d. h. es
trat eine fast vollkommene Ausnutzung des Zuckers ein. Nur Spuren
davon blieben unvergoren. Gefunden wurden 13,65%, Aldehyd, 27,12%
Glycerin und 21,35% Alkohol.
In einem entsprechenden besonderen Kontrollversuche wurde
43,30% Weingeist ermittelt, d. h. rund doppelt soviel wie im zugehörigen
Abfangversuch.
1) C. Neuberg, J. Hirsch und E. Reinfurth diese Zeitschr. 165,
317. 1920.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 217
II. Ansätze mit Mucor mucedo.
a) Die experimentelle Anordnung war dieselbe!) wie beim Mucor
javanicus unter a). Nach 24 Stunden war jedoch weder Wachstum noch
Aldehydbildung nachzuweisen. Erst nach 25 Tagen traten Spuren von
Aldehyd auf. Der benutzte Stamm von Mucor mucedo war also viel emp-
findlicher gegen alkalisches Sulfit als Mucor javanicus.
b) Versuchsanordnung wie in Ib), d. h. mit CaSO,. Nach 24 Stunden
ließ sich bereits eine geringe Menge Acetaldehyd wahrnehmen. Im Laufe der
Zeit wurde die Reaktion deutlicher. Die nach 14 Tagen ausgeführte quan-
titative Bestimmung ergab 0,063 g Aldehyd aus 5,25g angewandtem
Zucker, also 1,20%.
III. Versuche mit Mucor plumbeus.
a) Benutzte Lösungen wie in Ia), Brutschranktemperatur 25°.
Schon 24 Stunden nach der Beimpfung waren Wachstum und Aldehyd-
bildung deutlich festzustellen. Nach 27 Tagen wurde der Aldehyd quanti-
tativ bestimmt. Gefunden wurden 0,158 g Aldehyd für 4,27 g angewandten
Zuoker, gleich 3,70%. In dem Rückstande der Aldehyddestillation wurde
der unangegriffene Zucker zu 2,80 g ermittelt. Es entsprach also der ent-
standene Acetaldehyd 10,75% der tatsächlich verbrauchten Glucose.
b) Der Ansatz glich dem unter Ib) angeführten. Die Brutschrank-
temperatur war 25°. 24 Stunden nach der Beimpfung war Wachstum,
Aufsteigen von Kohlensäurebläschen und Aldehydgegenwart erkennbar.
Die Probe auf Acetaldehyd wurde im Laufe der folgenden 10 Tage stärker,
schwächte sich dann allmählich wieder ab und war nach 26 Tagen völlig
negativ.
c) Mit denselben Mengen, die unter Ic) verzeichnet sind, wurde auch ein
größerer Versuch mit Mucor plumbeus vorgenommen und bei 27° im Brut-
schrank belassen. Selbst nach 33 Tagen war die Entwicklung des Pilzes
augenscheinlich wegen der starken Sulfitkonzentration noch geringfügig.
Es wurden deswegen 125 ccm der oben erwähnten Nährlösung und 125 ccm
Wasser unter Wahrung der Keimfreiheit hinzugesetzt. Nach weiteren
38 Tagen wurde dann der Acetaldehyd und das Glycerin in je 250 ccm sowie
der Alkohol in 500 ccm des Gärguts bestimmt. 36,150% des Zuckers waren
unangegriffen. Gefunden wurden an Acetaldeh yd 6,22%, des angewandten,
das sind 9,75% des verbrauchten Zuckers, an Glycerin 12,38%, der zu-
gegebenen oder 19,399, der umgesetzten Glucose, an Alkohol 17,33%, des
eingemaischten, das sind 27,14%, des aufgezehrten Kohlenhydrats.
Die Spaltung durch den Mucor plumbeus geschicht also nach der
Gleichung der 2. Vergärungsform.
IV. Versuche mit Mucor racemosus.
&) Mucor racemosus begann sich auf 3 proz. Dinatriumsulfit-Nährlösung
erst nach 3 Wochen zu entwickeln. Das Wachstum erfolgte auch weiterhin
1) Zwecks Vermeidung von Wiederholungen ist jedesmal nur ein
Ansatz genauer beschrieben; das gleiche gilt für die Ausführung und Be-
rechnung der Analysen.
218 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
außerordentlich langsam, so daß der Ansatz 47 Tage im Brutschrank bei
25° stehen bleiben mußte, ehe zur quantitativen Bestimmung geschritten
werden konnte. Es wurden dann 3,09%, des angewandten Zuckers an Acet-
aldehyd festgestellt; 1,92 g Glucose waren unzerlegt geblieben.
b) Im Abfangversuche mit Calciumsulfit wurde hier in kürzerer Frist
eine bessere Ausbeute erreicht. Nach l4tägigem Stehen bei 25° waren an
Acetaldehyd 3,66%, des verbrauchten Zuckers entstanden.
o) Der Versuch wurde angestellt, wie unter Ic) beschrieben ist, und,
wie bei Mucor plumbeus im analogen Ansatz c) angegeben, nach 33 Tagen
wegen ungenügenden Wachstums mit 250 ccm halbverdünnter Nährlösung
versetzt. Nach weiteren 42 Tagen wurde in je 250 ccm die Aldehyd- und
Glycerinbestimmung sowie in 500 ccm die Alkoholbestimmung vorgenom-
men. Es ergab sich ferner, daß 40,45%, des eingemaischten Zuckers nicht
angegriffen worden waren.
Die Ausbeuten betrugen
an Aldehyd Glyzerin Alkohol
bezogen auf | y | % | 4
LT — —
verbrauchten Zucker | 2,79 | 5,77 39,63
angewandten Zucker 1,66 3,45 23,60
Auch beim Muoor raoemosus läßt sich also die typische Acetal-
dehyd-Glycerinspaltung des Zuckers durchführen.
V. Versuche mit Mucor rouxii.
a) Unser Stamm war augenscheinlich gegen Dinatriumsulfit in 3 proz.
Konzentration noch empfindlicher als die bisher verwendeten Muooraceen.
Ein Wachstum ist während zweier Monate nicht zu konstatieren gewesen,
naoh nochmaliger Beimpfung trat eine ganz schwache Entwicklung ein,
und es ließ sich dann etwa 2 Wochen später das Auftreten von Acetaldehyd
nachweisen.
b) Auf Calciumsulfit enthaltender Lösung gedieh dagegen der Pilz
bei einer Temperatur von 25° gut. Nach 24 Stunden waren bereits alle
Merkmale der beginnenden Umsetzung vorhanden. Nach 14 Tagen ergab
die quantitative Bestimmung 3,28%, des verbrauchten Zuokers an Acet-
aldehyd.
VL Versuche mit Mucor sylvaticus.
&) Brutschranktemperatur 25°. Die Entwicklung des Pilzes ging in
der Na,SO,-Lösung nur langsam vonstatten. Erst nach 16 Tagen ließ sich
Aldehyd feststellen; nach einer weiteren Woche war die zunächst schwache
Reaktion deutlich geworden.
b) In Gegenwart von Calciumsulfit entwickelte sioh der Erreger
schnell, und schon nach einem Tage war Acetaldehyd zu erkennen, der
allerdings nach einiger Zeit wieder verschwand.
VII. Versuche mit Mucor stolonifer.
a) Temperatur 27°. Wiederum erwies sich die Dinatriumsulfitkonzen-
tration als wachstumshindernd; im Verlaufe eines Monats vermochte der
Erreger die Schädigung nicht zu überwinden.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 219
b) Im Calciumsulfitansatze war der Pilz nach 24 Stunden gewachsen
und es ließen sich bereits Spuren von Acetaldehyd nachweisen. Nach genau
2 Wochen wurde die quantitative Bestimmung ausgeführt. Es ergab sich
eine Ausbeute von 1,47%, des angewandten Zuckers an Acetaldehyd.
VIII. Versuche mit Endomyces fibuliger.
a) Dinatriumsulfitansatz; Temperatur 22°. Erst sehr allmählich
begann der Pilz sich zu vermehren. Nach 3 Woohen waren Spuren von
Aldehyd aufzufinden, nach 55 Tagen war die Reaktion deutlich geworden.
b) Calciumsulfitansatz; Temperatur 22°. Am Tage nach der
beimpfung machten sioh bereits Wachstum des Erregers und Kohlensäure-
abgabe bemerkbar; Acetaldehyd war jedoch nooh nicht nachzuweisen.
Am 4. Tage stellten sich Spuren ein. Nach 32 Tagen ergab die quantitative
Bestimmung 1,02%, des Ausgangsmaterials an Aoetaldehyd.
IX. Versuche mit Rhizopus tritici.
a) Temperatur 25°. Auf Natriumsulfitlösung entwickelte sich der
Erreger nicht.
b) Auf dem Calciumsulfit-Nährboden fand kräftiges Wachstum statt.
CO, wurde bald abgegeben, Aldehydreaktion trat aber erst am 4. Tage auf;
sie wurde bis zum 44. Tage allmählich stärker, um dann rasch wieder ab-
X. Versuche mit Monilia candida.
a) Temperatur 25°. a) Die Versuchsanordnung war die unter Ia)
beschriebene. Der Pilz verhielt sich wie Kulturhefen, wurde also in seiner
Wirksamkeit durch das Natriumsulfit nicht gestört. Nach 15 Tagen ergab
die quantitative Bestimmung 8,47%, des verbrauchten Zuokers an Aldehyd.
Ein Calciumsulfitansatz wurde dieses guten Resultates wegen nicht
gemacht.
ß) Verwendet wurden 300 com der oben erwähnten Nährflüssigkeit
und 300 com der 6proz. Dinatriumsulfitlösung nebst 3 g steriler Kreide.
Das Gemenge blieb 40 Tage bei 37° stehen und wurde dann auf entstandenen
Acetaldehyd und Alkohol untersucht.
Bezogen auf die Quantität des eingemaischten Zuckers waren 12,75%,
an Aldehyd und 10,40%, an Alkohol gebildet.
y) Der Ansatz war so, wie unter f) angegeben. Der Versuch blieb 41 Tage
bei 37° stehen. Gefunden wurden 11,48%, an Aldehyd, 9,93%, an Alkohol
und 19,96%, an Glycerin, bezogen auf den benutzten Zucker.
Die Alkoholausbeute in einem Kontrollversuch belief sich auf 18,88%
vom angewandten Zucker.
ô) Wir gingen wiederum von 300 ccm Nährmischung und 300 ccm
6proz. Na,SO,-Lösung aus, jedoch ohne Zugabe von Calciumcarbonat;
die Digestion geschah 34 Tage lang bei 36°. In 275ccm wurde Aldehyd
und Glycerin und in 300 ccm Alkohol und Zucker bestimmt. 37,54%, des
angewandten Zuckers waren nicht angegriffen worden. [Da Monophosphat
(s. S. 213) sich in der Nährlösung befand, so entstand durch doppelte Um-
setzung Bisulfit, das — hier niobt durch CaCO, neutralisiert — wegen
seiner Giftigkeit die Quote des umgesetzten Kohlenhydrats herabdrückte.]
230 C. Neuberg und O. Cohen. Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
Die gefundenen Mengen waren
\ — — =
—— | an pi — | es
verbrauchten Zucker | 11,65 | 2305 | 24,77
angewandten Zucker 7,28 14,37 | 15,48
Ersichtlich waltet bei der Vergärung durch diese Moniliaart das mole-
kulare Verhältnis von Aldehyd zu Glycerin (= 44 : 92) ob.
XI. Versuche mit Oidium lactis.
a) Temperatur 25°. æ) Auch dieser Pilz entwickelte sich,ohne anscheineud
durch 3proz. Natriumsulfitlösung geschädigt zu werden. 5 Tage nach der
Beimpfung war bereits eine starke Aldehydreaktion vorhanden. Nach
15 Tagen wurden 5,33% des verbrauchten Zuckers an Acetaldehyd gefunden.
f) Verwendet wurden 250 com der üblichen Nährmischung und 250 ocm
der Dinatriumsulfitlösung, dazu 2,5 g CaCO,. Der Ansatz wurde 12 Tage
bei einer Temperatur von ca. 20° belassen. Die quantitativen Bestimmungen
ergaben an Aocetaldehyd 2,42%, und an Glycerin 1,71%, bezogen auf den
angewandten Zucker.
y) Dieser Versuch ist eine Wiederholung von f): er wurde deshalb
vorgenommen, weil scheinbar eine Unstimmigkeit in der Ausbeute an
Aldehyd und Glycerin bestand und ein Analysenfehler vermutet wurde.
Der Ansatz blieb diesmal 23 Tage bei 20° stehen. Gefunden wurden 2,34%,
Acetaldehyd und 1,98%, Glycerin unter Zugrundelegung der angewendeten
Zuckermenge. Es sind wiederum nahezu dieselben Zahlen gefunden.
Man muß daraus schließen, daß die Korrelation wegen Verbrauch des
Glyoerins gestört ist.
.b) Mit Calciumsulfit entwickelte sich Oidium lactis, den sonstigen
Erfahrungen entsprechend, gut. Die Stärke der Aldehydreaktion blieb
jedoch hinter der auf Na,SO,-Zuckerlösung erzielten zurück, und eine
quantitative Bestimmung lieferte daher kein nennenswertes Ergebnis.
XII. Versuche mit Torula «.
a) Die Bedingungen entsprachen den unter Ia) angeführten. Tem-
peratur 27°. Es fand ein langsames Wachstum des Pilzes auf dem Natrium-
sulfit-Nährboden statt. Nach 2 Tagen ließen sich Spuren von Aldehyd
nachweisen. Die quantitative Ermittlung nach 14 Tagen zeitigte ein Resul-
tat von 2,97% des angewandten Zuckers an Acetaldehyd.
b) Temperatur 27°. Torula & entwickelte sich im Caleciumsulfitgemisch
besser. Die Aldehydbestimmung konnte daher bereits nach 7 Tagen vor-
genommen werden; erhalten wurden 2,68% Acetaldehyd vom Gewichte
des angewendeten Zuckers. Es ließen sich im Rückstand nur kleine Mengen
unverbrauchter Glucose nachweisen.
XIII. Versuche mit Torula colliculosa.
a) Temperatur 25°. Wie bei Kulturhefen war auch bei diesem Erreger
die Schädigung durch Natriumsulfit eine geringe. Nach 24 Stunden war
bereits der Beginn des Zuckerzerfalls festzustellen. Nach 14 Tagen wurde
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 221
die quantitative Bestimmung vorgenommen, laut der 5,49% Aoetaldehyd,
berechnet auf die Menge des angewandten Zuckers, aufgetteten waren.
' b) Temperatur 25°. In Gegenwart von Calciumsulfit ging die Ent-
wicklung von Torula oolliculoss schneller vor sich. Bereits nach 7 Tagen
ließen sich 2,56%, Aoetaldehyd vom angewendeten . Zucker feststellen.
Die im Rückstande aufgefundene' unzersetzt gebliebene Gluoosemenge
reichte für eine genaue Analyse nicht aus.
c) Ansatz analog Ic) mit einem Gemenge von 500 com Nährgemisch
und 500 ccm 6proz. Dinatriumsulfitlösung nebst 5g CaCO,. Versuchs-
dauer 31 Tage, Temperatur 26°. Die Entwicklung des Erregers war schwächer
als es unter a) für die geringeren dort benutzten Mengen von 200 com
beobachtet worden ist. Dementsprechend blieben 65,84%, des ursprünglichen
Zuckers unangegriffen.
Die — Mengen waren
verbrauchten Zucker
angewandten Zucker 3,94 7,65 7,67
Im Kontrollversuch ergab die Bestimmung 47,13%, Alkohol.
Die Torula bewirkte jedenfalls einen regelrechten Zerfall des Zuokers nach
der 2. Vergärungsform. |
XIV. Versuche mit Torula rubra,
a) Temperatur 25°. Dieser Erreger wurde durch das Dinatriumsulfit
im Wachstum stark behindert; es fand keine nennenswerte Entwicklung
statt. Aldehyd war nur spurenhaft und vorübergehend nachzuweisen.
b) Temperatur 25°. Auf Calciumsulfit enthaltender Nährlösung wuchs
Torula rubra zwar bald, gab allerdings auch erst nach 4 Tagen eine schwache
Aldehydreaktion, die nach 20’ Tagen deutlich geworden war.
XV, Versuche mit Aspergillus cellulosae.
a) Der Pilz entwickelte sich auf dem Na,SO,-Nährboden langsam bei
25°, bereits nach 2 Tagen waren jedoch Spuren von Acetaldehyd vorhanden.
Nach 34 Tagen ließen sich größere Mengen wahrnehmen, die sich im Laufe
eines weiteren Monats wieder verloren.
b) Der Erreger gedieh auf Calciumsulfit bedeutend schnellen, gab nach
2 Tagen eine schwache, nach 5 Tagen eine deutliche Reaktion, die während
ı1/, Monaten allmählich abnahm.
XVI. Versuche mit Aspergillus eitricus.
a) Bei einer Temperatur von 25° fand in der Natriumsulfit-Nährlösung
ein äußerst langsames, bei 36° dagegen ein stärkeres Wachstum statt.
Erst nach 28 Tagen wurde Aoetaldehyd nachgewiesen, ebenso noch nach
einer weiteren Woche.
b) Aspergillus citricus wuchs auf der Calciumsulfit-Kulturflüssigkeit
auch bei 25° gut und brachte innerhalb 10 Tagen geringe Mengen
Aldehyd hervor. Bei einer Temperatur von 36° wurde die Reaktion nach
einem Monat deutlicher und schwächte sioh dann allmählich wieder ab.
11,50 | 22,39 22,15
222 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd und die Ver-
XVII. Versuche mit Aspergillus fumarious.
a) Der Erreger entwickelte sich bei 24° langsam in dem Dinatrium-
sulfitansatz. Aoetaldehyd ließ sich erst nach 49 Tagen spärlich nachweisen.
b) Zwar wuchs der Pilz auf Calciumsulfit sehr gut, aber ein Auftreten
von Acetaldehyd war nicht feststellbar.
XVIII. Versuche mit Aspergillus niger.
a) Bei 36° fand eine rasche Entwicklung der Pilzdecke auf der Na,SO,-
Nährlösung statt. Allerdings ließen sich erst nach 28 Tagen Spuren von
Acetaldehyd feststellen, die nach kurzer Zeit wieder verschwunden waren.
b) Auf Calciumsulfit wuchs der Pilz ebenfalls bei 36° schnell heran.
Auch Kohlensäureabgabe fand statt; trotzdem ließ sich kein Acetaldehyd
nachweisen.
XIX. Versuche mit Aspergillus niger mutante.
a) Der Erreger gedieh bei 36° in dem Natriumsulfit-Ansatz nur langsam.
Nach 25 Tagen war das Auftreten von Acetaldehyd deutlich wahrnehmbar.
Die nach 35 Tagen vorgenommene quantitative Bestimmung ergab freilich
nur 0,25%, Aldehyd vom angewandten Zucker, obwohl im Rüokstande
Glucose kaum mehr vorhanden war.
b) Auf dem Calciumsulfit-Nährboden ging die Entwicklung der Pilz-
deoke bei 36° schneller vor sich, es waren jedoch nur Spuren von Acetaldehyd
zugegen.
XX. Versuche mit Penicillium variabile.
a) Temperatur 25°. Es war ein deutliches Wachstum des Pilzes auf
der Dinatriumsulfitlösung, aber kein Auftreten von Acetaldehyd zu be-
merken.
b) Nach 25 Tagen stellten sich bei 25° im Ansatz mit Caloiumsulfit
geringe Mengen an Aldehyd ein, die nach 33 Tagen wieder verschwunden
waren.
XXI. Versuche mit Merulius lacrimans.
a) Bei 24° vollzog sich auf der Natriumsulfit enthaltenden Nährlösung
eine langsame Ausbreitung der Pilzdeoke; Acetaldehyd ließ sich aber nicht
feststellen.
b) Auf Calciumsulfit wuchs der Erreger bei 24°, und es zeigte sich nach
1 Woche ein deutliches Auftreten von Aldehyd. Auch nach weiteren
14 Tagen war die Reaktion noch merklich, um dann während der folgenden
17 Tage völlig zu verschwinden.
XXII. Versuche mit Kahmhefen.
1. Pilsner Kahmbhefe.
a) 1. Versuchsanordnung entsprechend Ia); Brutschranktemperatur
25°. Der Pilz wuchs auf der Dinatriumsulfit-Zuckerlösung, trotzdem ließ
sich kein Acetaldehyd feststellen. Nach Ablauf von 6 Tagen wurden 2 oom
absoluten Alkohols unter Wahrung der Keimfreiheit hinzugefügt. Bereits
nach 24 Stunden traten nunmehr Spuren von Acetaldehyd auf. Nach
19 Tagen war die Reaktion ganz stark geworden und wurde dann im Laufe
eines Monats wieder schwächer.
wirklichung der zweiten Vergärungsform bei verschiedenen Pilzen. 223
2. Der Versuch wurde mit 100 oom einer Nährlösung, die unter Fort-
lassung des Zuckers im übrigen völlig der zuvor beschriebenen glich, und
mit 100 ccm der 6 proz. Dinatriumsulfitlösung unter Zugabe von 1 g CaCO,
und an Stelle der Glucose mit 2ccm absolutem Alkohol als kohlenstoff-
haltigem Nährsubstrat angesetzt; Temperatur 25°. Nach 3 Tagen ließ sich
schwache Aldehydbildung feststellen. Nach weiteren 6 Tagen hatte sioh
die Menge des gebildeten Aoetaldehyds vergrößert, nach nochmals 4 Tagen
war die Nitroprussidreaktion bereits wieder schwächer geworden, um im
Laufe von 5 Tagen völlig zu verschwinden.
b) 1. Wurde entsprechend Ib) angestellt. Temperatur 25°. Trotz
deutlichen Wachstums der Pilsner Kahmhefe auf dem Zuoker-Calcium-
sulfit-Nährboden setzte keine Aldehydbildung ein. Erst nach Zugabe von
2ccm absolutem Alkohol am 6. Tage war dann am 7. deutlich Aldehyd
zu verzeichnen; nach 3 Wochen war er allerdings nicht mehr vorhanden.
2. Die Versuchsanordnung entsprach der von b) 1., nur daß in der
Calciumsulfit-Nährlösung die Glucose sofort durch 2 com absoluten Alkohols
ersetzt war. Bereits innerhalb 24 Stunden hatte sich Acetaldehyd ange-
sammelt. Die Menge des entstandenen Aldehyds wurde im Laufe von
12 Tagen größer und verschwand allmählich wieder.
2. Weinkahmbhefe III.
a) 1. Versuchsanordnung analog Ia). Gleich der Pilsner Kahmhefe
bildete auch die Weinkahmhefe bei 25° in der Dinatriumsulfit-Zucker-Lösung
keinen Aldehyd, erst nach Zugabe 2 com absoluten Alkohols war Acetaldehyd
in der Reihenfolge deutlich, stark und abklingend wahrzunehmen.
2. Es wurde wie bei der Pilsner Kahmbefe [siehe a) 2] ein Versuch mit
Dinatriumsulfit unter Ersatz des Zuckers durch Alkohol angestellt. Nach
3 Tagen war die Aldehydreaktion deutlich, nach weiteren 6 Tagen kräftig,
4 Tage später wiederum schwach und nach abermals 5 Tagen verschwunden.
b) 1. Auch bei der Weinkahmhefe fand auf dem Calciumsulfit-Zucker-
Nährboden wohl eine gute Entwicklung des Erregers, aber keine Aldehyd-
bildung statt. Nach Zugabe von 2 ccm Alkohol ließen sich anfangs geringe,
dann größere und schließlich wieder abnehmende Mengen von Acetaldehyd
nachweisen.
2. Versuch auf Calciumsulfit mit Alkohol an Stelle von Zucker. Nach
24 Stunden war eine schwache, nach 3 Tagen deutliche, 6 Tage darauf
kräftige und während weiterer 9 Tage eine allmählich zurückgehende
Aldehydbildung zu konstatieren.
3. Kahmhefe vergärend.
a) 1. Versuchsanordnung wie Ia). Nach 3 Tagen ließen sich bei 25°
auf der Na,SO, enthaltenden gezuokerten Nährlösung Wachstum und Spuren
von Aoetaldehyd feststellen. Erst nach 9 Tagen begann die Reaktion
kräftiger auszufallen. 2 Wochen nach Ansatz des Versuches war die
Nitroprussidprobe stark geworden und büßte dann langsam wieder an
Intensität ein.
224 C. Neuberg und C. Cohen: Bildung von Acetaldehyd usw.
2 Der Versuch wurde mit Natriumsulfit unter Zugabe von Weingeist
anstatt Glucose bei 25° angesetzt. Nach 3 Tagen waren Spuren von Acet-
aldehyd aufgetreten, im Laufe der folgenden 20 Tage wurde die Menge des
Aldehyds dauernd größer.
b) 1. In dem Zucker-Calciumsulfit-Ansatz erfolgte bereite in 24 Stun-
den eine schwache Aldehydentwicklung. Sie nahm bis zum 20. Tage nach
Versuchsbeginn zu, um dann allmählich wieder schwächer zu werden.
2. Ein entsprechender Versuch mit alkoholhaltiger, aber zuckerfreier
Nährlösung und Calciumsulfit lieferte bei 25° schon nach 24 Stunden
Spuren und im Laufe mehrerer Tage allmählich anwachsende Mengen von
Acetaldehyd.
4. Kahmbhefe nicht vergärend.
a) 1. Auf dem Dinatriumsulfit und Zucker enthaltenden Nährboden
wuchs der Erreger langsam. Es trat aber erst am 11. Tage nach der Be-
impfung eine ganz minimale Aldehydbildung ein.
2. In dem alkoholischen Dinstriumsulfitansatz waren bei einer Tem-
peratur von 25° 4 Tage nach der Beimpfung Spuren von Acetaldehyd, im
Laufe der darauffolgenden Woche größere Mengen bemerkbar, die dann
während weiterer 10 Tage völlig verschwanden.
b) 1. Nach 24 Stunden ließ sich in dem Calciumsulfit-Zuoker-Gemisch
eine geringe Aldehydbildung feststellen, die bei weiterer Digestion nicht
zunahm.
2. Nach 24 Stunden waren in dem Weingeist statt Glucose enthaltenden
Caloiumsulfitansatz geringe Mengen von Aldehyd angesammelt. Nach 4 Ta-
gen war die Nitroprussidreaktion unverkennbar; sie wurde im Verlaufe
zweier Wochen allmählich wieder undeutlich.
Somit zeigt sich folgendes:
Pilze mit ausgeprägt oxydativem Stoffwechsel können Aoet-
aldehyd hervorbringen, verbrauchen ihn aber offenbar wieder.
Erreger, die gleich Hefe anaerob zu leben vermögen, sind
befähigt, gebildeten Aldehyd anzureichern. Selbst bei minimaler
Aussaat der einzelnen Pilze, die also erst in den Maischen heran-
wachsen müssen, kommt es unter dem Einflusse der „Abfang-
mittel“ zu einer korrelativen Bildung beträchtlicher Mengen
von Acetaldehyd und Glycerin; die Verhältnisse liegen genau
wie bei der Zuckerspaltung durch erhebliche Quantitäten von
Kulturhefen. Diese zweite Vergärungsform haben wir mit einer
Anzahl neuer Mikroorganismen, wie mit Mucor javanious, Mucor
plumbeus, Mucor racemosus, Monilia candida und Torula colli-
oulosa, verwirklicht.
Zur Kenntnis des heterogenetischen Hammelblutantigens.
Von
Kurt Meyer.
(Aus der Bakteriologischen Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses
in Berlin.)
(Eingegangen am 25. Juni. 1921.)
Einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis des von
Forssman in den Meerschweinchenorganen entdeckten, Hammel-
bluthämolysinbildung hervorrufenden und solche Hämolysine
bindenden Antigens bildete die Beobachtung von Sordelli und
Fischer!), daß dieses Antigen alkohollöslich ist.
Die Autoren fanden, daB bei der Alkoholextraktion das Bindungs-
vermögen der das Antigen enthaltenden Organe für die heterogenetischen
Hammelbluthämolysine verschwindet und daß andererseits der alkoholische
Extrakt die Hämolyse durch diese Hämolysine hemmt, also anscheinend
die Hämolysine bindet. Gleichzeitig führten sie den zwar nicht überraschen-
den, aber von keinem der zahlreichen bisherigen Bearbeiter dieses Gebiets
erbrachten Nachweis, daß die mit dem heterogenetischen Antigen erzeugten
Antisera auch komplementbindende Antikörper für dieses Antigen enthalten.
Dieser Befund ist deshalb von Bedeutung, weil sich nunmehr bei allen
Hämolysinbindungsreaktionen die Frage erhebt, ob es sich tatsächlich um
ein Ausbleiben der Hämolyse durch Bindung der hämolytischen Ambocep- .
toren und nicht vielmehr durch Komplementbindung handelt. Sieht man
die in der Literatur niedergelegten Versuche daraufhin durch, so kann es
keinem Zweifel unterliegen, daß in vielen Fällen jene Frage offen bleiben
muß oder sogar im zweiten Sinne zu beantworten ist. So ist offenbar auch
die Beobachtung von Sordelli und Fischer selbst, daß die alkoholischen
Organextrakte die Hämolyse durch heterogenetisches Hammelblutbämolysin
hemmen, nicht als Amboceptor-, sondern als Komplementbindung zu
deuten, was die Autoren selbst übersehen haben.
Wenn auch angesichts des Parallelgehens der beiden Antikörperarten
das vorliegende Tatsachenmaterial über die heterogenetischen Hämolysine
1) A. Sordelli und G. Fischer, Rev. del Instit. Bacteriol. di Buenos
Aires 1. 229. 1918. — A. Sordelli, G. Fischer, H. Wernicke und
C. Pico, Cpt. rend. des séances de la soc. de biol. 84, 173. 1921.
Biochemische Zeitschrift Band 192. _ 15
226 K. Meyer:
durch Berücksichtigung jener Fehlerquelle kaum eine Abänderung erfahren
dürfte, so wird es sich doch empfehlen, falls man die Hämolyaine allein zu
untersuchen wünscht, daß man zunächst das Serum vor dem Komplement-
zusatz auf die Hammıelblutkörperchen einwirken läßt, diese abzentrifugiert,
wäscht und nun erst mit Komplement versetzt.
Wohl unabhängig von Sordelli und Fischer stellte auch W. Georgi!)
die Alkohollöslichkeit der „Hammelblutreceptoren“ in den Organen fest,
während H. Sachs und F. Guth?) sowie H. Schmidt?) Fällungsreaktionen
der heterogenetischen Sera mit alkoholischen Organextrakten beschrieben-
und näher untersuchten. Endlich fanden Friedberger und Suto®), daß
das beim Kaninchen Hammelhämolysinbildung hervorrufende Prinzip des
Pferdeurins in den Alkoholextrakt übergeht.
Diese Befunde machten es wahrscheinlich, daß das heterogenetische
Antigen lipoider Natur ist. Da ich in früheren Untersuchungen Lipoide von
antigener Wirkung nur in der Leibessubstanz von Bandwürmern?) sowie
bei säurefesten Bacillen®) nachweisen konnte, während mir dies bei anderen
Bakterienarten sowie in den Organen anderer Tierarten — ich untersuchte
seinerzeit Organe von Mensch, Rind, Schwein und Hammel — nicht gelang,
so schien es mir wünschenswert, die Versuche der genannten Autoren
weiterzuführen mit dem Ziel, auch hier die antigenen Lipoide in möglichst
reiner Form darzustellen. Schien doch damit die Möglichkeit gegeben, da
es sich um ein in beliebiger Menge zur Verfügung stehendes Ausgangsmaterial
handelt, die Lipoide in größeren Quantitäten zu gewinnen und einer ge-
naueren Untersuchung zu unterziehen.
In der vorliegenden Mitteilung soll nur kurz über das Isolie-
rungsverfahren, das sich an das früher beschriebene anlehnte,
und über einige an den reinen Lipoiden bezüglich ihres Verhaltens
bei der Komplementbindungsreaktion gemachte Beobachtungen
berichtet werden.
Als Ausgangsmaterial dienten sowohl Pferde- wie Meer-
schweinchenniere, aus denen zunächst in der üblichen Weise
alkoholische Extrakte (1: 10) hergestellt wurden, mit denen sich
die Angaben von Sordelli und Fischer bezüglich der mit hetero-
1) W. Georgi, Arb. a. d. Inst. f. exp. Therap. Frankfurt a. M. 1919,
H.9, S. 33.
+) H. Sachs und F. Guth, Med. Klin. 12, 157. 1920.
2) Hans Schmidt, Beitr. z. Klin. d. Tuberkul. 9%, 433. 1921.
t) Friedberger und Suto, Zeitschr. f. Immunitäteforsch. u. exp.
Therap. 28, 237. 1919.
6) Kurt Meyer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therap. 7,
732. 1910; 9, 330. 1911; 11, 211. 1911; 14, 355. 1912; 19, 313. 1913;
20, 367. 1913; 21, 654. 1914.
| ¢) Kurt Meyer, Zeitschr. f. Immunitätsforsch. u. exp. Therap.
14, 359. 1912; 15, 245. 1912.
Heterogenetisches Hammelblutantigen. 227
genetischen Seren eintretenden Komplementbindung ohne weiteres
bestätigen ließen.
Die alkoholischen Extrakte wurden nunmehr im Vakuum
zur Trockne eingedampft. Der Rückstand wurde mit Benzol
aufgenommen, der Benzolextrakt wieder im Vakuum eingeengt
und der Rückstand mit Aceton extrahiert, solange dieses noch
Substanz aufnahm. Dann wurde er mit niedrig siedendem Petrol-
äther behandelt, wobei eine geringe Menge ungelöst zurückblieb,
und die Lösung mit Alkohol gefällt. Der Niederschlag wurde
abzentrifugiert und mit Alkohol gewaschen. Die vereinigten al-
koholischen Lösungen wurden im Vakuum eingeengt.
Es ergaben sich somit 4 Fraktionen, 1 acetonlösliche
(Fraktion I) und 3 acetonunlösliche, von denen die eine in Petrol-
äther unlöslich (Fraktion II), die beiden anderen löslich, aber nur
die eine von ihnen (Fraktion III) in Alkohol löslich war, während
die andere (Fraktion IV) durch Alkohol gefällt wurde.
Um ein Bild von dem übrigens schwankenden relativen
Mengenverhältnis der einzelnen Fraktionen zu geben, sei angeführt,
daß aus einem 4,09 g betragenden alkoholischen Extraktrückstand
von Fraktion I 0,74 g, von Fraktion II 0,18 g, von Fraktion III
1,42 g, von Fraktion IV 0,73g gewonnen wurden, während der
Rest in Benzol unlöslich war, also wohl hauptsächlich aus Salzen
und Eiweißkörpern bestand.
i Was die chemische Natur der einzelnen Fraktionen betrifft,
so lassen sich auf Grund der Löslichkeitseigenschaften nur recht
unsichere Angaben machen. Fraktion I muß Fette, Fettsäuren,
Cholesterin und dessen Ester enthalten, während die Fraktionen II,
III und IV wohl als Lipoide im engeren Sinne anzusehen sind.
In Fraktion III und IV sind wohl haupteächlich Phosphatide
zu suchen, und zwar in jener solche vom Charakter des Lecithins,
in dieser Verbindungen wie Kephalin, Cuorin u. a.
Die verschiedenen Fraktionen wurden zunächst auf ihre
antigene Wirksamkeit im Komplementbindungsversuch unter-
sucht. Als Antisera dienten Meerschweinchen- und Pferdenieren-
sera vom Kaninchen.
Nachstehend soll nur ein Versuch mit Meerschweinchennieren-
lipoiden und Meerschweinchennierenserum wiedergegeben werden.
Zunächst wurden die einzelnen Fraktionen auf Eigenhemmung
geprüft. Sie wurden zu diesem Zweck in der 10fachen Menge
15*
228 K. Meyer:
Alkohol gelöst und die Lösung mit NaCl-Lösung verdünnt. Nur
die alkoholunlösliche Fraktion IV wurde direkt in NaCl-Lösung
verrieben.
Als hämolytisches System diente sensibilisiertes Rinderblut,
worauf ich besonderes Gewicht legen möchte. Das von Sordellli
und Fischer benutzte sensibilisierte Hammelblut scheint mir
wegen der Mitwirkung der heterogenetischen Hammelblut-
hämolysine und der dadurch bedingten unkontrollierbaren Ver-
schiebung der Sensibilisierung besser nicht verwendet zu werden.
Tabelle I.
0,5 ccm Komplement 1 : 10 Fraktion:
+ Verdünnung 1 : 500 I II DI IV
0,2 com 0 0 k. H. 0
01 „ 0 f.k H. k H. 0
0,05 „ i. H. k.H kH. 0
0,02 „ kH. kH. kH i EB
0 = keine, f. k. H. = fast komplette, i. H. = inkonıplette, k. H. =
komplette Hämolyse.
Aus der Tabelle ergibt sich, daß Fraktion I und besonders Fraktion IV
starke Eigenhemmung zeigten. Der eigentliche Komplementbindungs
versuch wurde mit unterhemmenden Dosen angesetzt. Das Meerschwein-
chennierenserum wurde in einer Menge von 0,5ccm der Verdünnung 1 : 10,
die an sich keine Hemmung ausübte, verwendet (Tabelle II).
Tabelle II.
0,5 ccm Meerschweinchennierenserum. .
+ 0,5ccm Komplement 1:10 I e iy
+ Verdünnung 1 : 5000
0,5 ccm i. H. 0 0
02 „ k.H. i H. 0 0
01 „ kH. kH. iH fk H
0,05 „ kH. k H. £kH k H.
Im Komplementbindungsversuch erwies sich somit die
acetonlösliche Fettfraktion als völlig unwirksam, während die
acetonunlöslichen Lipoide mehr oder weniger stark reagierten.
bei Fraktion II war die Reaktionsfähigkeit etwas schwächer als
bei den anderen Lipoiden, während Fraktion III und IV gleiche
Wirksamkeit zeigten, wobei allerdings die Reaktion mit FraktionIV
wegen ihres starken Eigenhemmungsvermögens mit Vorsicht zu
beurteilen ist. Der Befund entspricht völlig dem früher bei den
Heterogenetisches Haummelblutantigen. 229 .
Bandwurm- und Tuberkelbacillenlipoiden erhobenen. Auch hier
sind es die Phosphatide vom Charakter des Lecithins und Kepha-
lins, die als Träger der antigenen Wirksamkeit der alkoholischen
Extrakte anzusehen sind. Nach der Art der Darstellung und aus
den früher erörterten Gründen ist es in hohem Maße unwahr-
scheinlich, daß die Wirksamkeit durch beigemengte Eiweiß-
spuren bedingt wird.
Ob das Reaktionsvermögen der Mestsöhweinalen; und
Pferdeorgane im Komplementbindungsversuch ausschließlich auf
die Lipoide zurückzuführen ist, möchte ich zunächst dahingestellt
sein lassen. Zwar konnte auch ich mich von der Beobachtung
Sordellis und Fischers überzeugen, daß es durch Alkohol-
extraktion der Organe aufgehoben wird, doch wäre es immerhin
möglich, daß der Wirksamkeitsverlust durch Koagulation der
Eiweißkörper bedingt ist.
Meerschweinchen- und Pferdenierenlipoide verhalten sich
völlig identisch, d. h. das relative Verhältnis der Reaktionsstärke
der Meerschweinchen- und Pferdenierenantisera ist bei Prüfung
mit den homologen und heterologen Lipoiden das gleiche. Da-
gegen geben die Sera mit den aus Menschenniere in analoger Weise
hergestellten Lipoiden keine Komplementbindung und diese
reagieren auch nicht mit Menschennierenantiserum, das seiner-
seits mit wässerigem Menschennierenextrakt starke Komplement-
bindung gibt. Die charakteristischen Lipoide sind also auf die
Organe beschränkt, bei denen das Vorhandensein des hetero-
genetischen Antigens bekannt ist.
Was das Verhältnis der mit den Lipoiden unter Komplement-
bindung reagierenden Antikörper zu den heterogenetischen
Hammelhämolysinen betrifft, so scheint jedenfalls ein enger Par-
allelismus in ihrer Menge zu bestehen. So betrug bei zwei Pferde-
und einem Meerschweinchennierenantiserum der hämolytische
Titer für 0,5 ccm 5proz. Hammelblut 0,2, 0,1 und 0,05 ccm einer
Verdünnung 1 : 100, während die geringste Serummenge, die
mit O0,lccm einer Verdünnung 1 : 500 von Fraktion III völlige
Komplementbindung gab, sich aut 0,1, 0,05 und 0,02 ccm einer
Verdünnung 1 : 10 belief.
Daß auch die Hämolysine mit den Lipoiden in Reaktion
treten, läßt sich durch den Absättigungsversuch, den schon Sor-
delli und Fischer, allerdings, wie oben erörtert, in nicht be-
230 K. Meyer:
weisender Anordnung angestellt haben, nachweisen. Ich führte
den Versuch in der Weise aus, daß je 2 hämolytische Dosen eines
Pferdenierenantiserums 2 Stunden mit fallenden Mengen Pferde-
nierenlipoid (Fraktion III) digeriert und dann mit einer Dosis
Blutkörperchen 1 Stunde bei 37° gehalten wurden.. Hiernach
wurden die Blutkörperchen abzentrifugiert, gewaschen und
mit Komplement versetzt. Die Röhrchen, bei denen das Hämo-
lysin mit Lipoidmengen bis zu 0,05 ccm einer Verdünnung 1 : 500
herab versetzt waren, blieben ungelöst, die nächsten zeigten par-
tielle Hämolyse, und erst eine Lipoidmenge von 0,05 ccm einer Ver-
dünnung 1 : 5000 hatte keinen Einfluß auf die Sensibilisierung
ausgeübt.
Kontrollversuche ergaben, daß Menschennierenlipoide diese
Wirkung nicht ausübten und daß andererseits die Pferdenieren-
lipoide die isogenetischen Hammelbluthämolysine des Rinderblut-
antiserums unbeeinflußt ließen.
Das Lipoid war also mit den heterogenetischen Hämoly-
sinen eine so feste Bindung eingegangen, daß diese durch die
später zugesetzten Blutkörperchen nicht mehr gelöst wurde.
Die bisher beschriebenen Versuche betreffen die antigene
Wirkung der Lipoide nur insofern, als es sich um ihr Reaktions-
vermögen gegenüber spezifischen Antikörpern handelt. Die zweite
Seite der Antigenwirkung, ihre Fähigkeit, im Tierkörper Anti-
körperbildung hervorzurufen, konnte an den Nierenlipoiden
bisher nicht nachgewiesen werden. Allerdings ist die Zahl meiner
Versuche bisher nur gering. Je 2 Kaninchen erhielten in Ab-
ständen von 5 Tagen je 1cg Fraktion III und Fraktion IV intra-
venös injiziert; bei keinem der 4 Tiere traten komplementbindende
Antikörper im Serum auf.
Daß die Antikörperbildung hervorrufende Wirkung der reinen
Lipoide nur mäßig stark ist, haben die Erfahrungen mit den Band-
wurm- und Tuberkelbacillenlipoiden gezeigt, bei denen ihr Nach-
weis auch erst nach vergeblichen Versuchen gelang, so daß ich
meine negativen Ergebnisse noch nicht als endgültig ansehen
möchte. Zu erwähnen ist, daß auch Sordelli und Fischer mit
den alkoholischen Extrakten keine Antikörperbildung hervor-
zurufen vermochten, wohl aber bei gleichzeitiger Injektion der
an sich ebenfalls unwirksamen, mit Alkohol extrahierten
Organe. |
Heterogenetisches Hammelblutantigen. 231
Zusammenfassung.
Alkoholische Extrakte aus Meerschweinchen- und Pferde-
niere reagieren mit Meerschweinchen- und Pferdenierenantiseren
unter Komplementbindung.
Die Wirksamkeit der Extrakte ist gebunden an die aceton-
unlöslichen Lipoide, während die acetonlöslichen Fette und Lipoide
unwirksam sind. Menschennierenlipoide reagieren weder mit den
Meerschweinchen- und Pferdenieren- noch mit Menschennieren-
seren. Das Vorkommen der antigen wirkenden Lipoide fällt also
mit dem des heterogenetischen Antigens zusammen.
Die mit Alkohol extrahierten Organe geben mit den Antiseren
keine Komplementbindung mehr, doch könnte die Unwirksamkeit
der extrahierten Eiweißkörper durch Koagulation bedingt sein.
Komplementbindungsvermögen und Hammelhämolysingehalt
der heterogenetischen Sera gehen einander parallel. Die Hämo-
lysine werden durch die Lipoide gebunden.
Mit den reinen Lipoiden konnte Antikörperbildung beim
Kaninchen bisher nicht erzielt werden.
Fortgesetzte Untersuchungen über die Permeabilität der
Zellen und Gewebe.
VIII. Mitteilung.
Beiträge zur Frage der Verteilung von Hormonen und pharmako-
logischen Stoffen im Blute.
Von
Hans Schaeppi.
(Aus dem Physiologischen Institut der Universität‘ Bern.)
(Eingegangen am 20. Mai 1921.)
Mit 1 Abbildung im Text.
Die nachfolgende Arbeit will untersuchen, wie körperfremde,
künstlich in das Blut eingeführte Substanzen sich auf ihre einzel-
nen Komponenten, d. h. auf die corpusculären und auf die flüssigen
Bestandteile des Blutes verteilen. Dieses Problem stellt gleich-
zeitig eine Frage der Permeabilität der Blutkörperchen dar, wobei
es sich um die Entscheidung der wichtigen Tatsache handelt, ob
die zu prüfenden Stoffe in die Blutkörperchen einzudringen ver-
mögen oder ob sie, sich bloß in der Blutflüssigkeit lösend, sich ver-
teilen. Die praktische Bedeutung dieser Untersuchung liegt in der
Aufklärung des Problems, auf welche Art und Weise intravenös
einverleibte oder subcutan, intramuskulär oder vom Darmkanale
aus ins Blut resorbierte Pharmaka und resorptiv wirkende Gifte im
Blute transportiert werden und zu den Organen gelangen, die für
sie Receptoren tragen. Zugleich vermag sie vielleicht durch Analogie-
schlüsse Auskunft zu geben, wie der Körper in dem Blute seine
normalen Funktionsmittel, die Hormone, an ihren Angriffsort be-
fördert.
Entsprechend der Aufgabestellung war diese Verteilungs-
frage vermittels einer biologischen Reaktion zu prüfen. Die mikro-
chemische Seite dieser Untersuchung habe ich deshalb beiscite ge-
H. Schaeppi: Permeabilität der Zellen und Gewebe. VII. 233
lassen und dürfte, wenn praktisch überhaupt durchführbar, einer
späteren Arbeit vorbehalten sein.
Das Prinzip für die Untersuchungsmethodik dieses Verteilungs-
problemes baut sich auf folgendem Gedankengange auf. Wir
setzen einer abgemessenen Blutmenge ein bestimmtes Quantum
einer pharmakologisch wirksamen Substanz zu. Mit Hilfe eines
biologischen Reagens registrieren wir graphisch die Größe der Wir-
kungen von gleichen Mengen dieses Blutgemisches und des daraus
durch Sedimentierung gewonnenen Blutplasmas resp. Serums.
Aus dem Vergleiche der Wirksamkeit der beiden Flüssigkeiten
auf das Reagens ist die Konzentration resp. der Gehalt des Blut-
plasmas an wirksamer Substanz leicht rechnerisch zu ermitteln.
Vergegenwärtigen wir uns a priori die Möglichkeiten der durch die
Untersuchung zu gewinnenden Resultate:
Finden wir, daß gleiche Mengen des Gesamtbluütes aen gleichen
quantitativen Effekt hervorrufen wie gleiche Mengen Blutplasma
resp. Blutserum desselben Mischblutes, so müssen wir annehmen,
daß beide Vergleichsflüssigkeiten den wirksamen Stoff in gleicher
Konzentration enthalten, d. h. daß gleiche Quanten Gesamtblut
gleichviel Milligramm wirksame Substanz enthalten wie die glei-
chen Mengen Blutplasma resp. Blutserum. Dieses Ergebnis bedeu-
tet mit anderen Worten, daß der zugesetzte wirksame Stoff sich
: gleichmäßig auf die flüssigen und die körperlichen Bestandteile
des Blutes verteilt hat und daß die Blutkörperchen für diese Sub-
stanz permeabel sind. Sollte dagegen die Untersuchung bei Ver-
wendung von gleichen Mengen Gesamtblut und Blutplasma eine
quantitative Verschiedenheit in der Wirksamkeit ergeben, so läßt
dieses Resultat keine andere Deutung zu, als daß die Verteilung
der wirksamen Substanz auf die einzelnen Komponenten des Blutes
eine verschiedene sein muß. Dabei ergeben sich folgende 3 Mög-
lichkeiten:
Der zugesetzte, pharmakologisch wirksame Stoff vermag nicht
in die geformten Blutelemente einzudringen, da die Blutkörper-
chen für diesen impermeabel sind, sondern er verteilt sich nur im
Blutplasma resp. Blutserum. In diesem Falle müßten wir finden,
daß gleiche Mengen Blutplasma stärker wirken als gleiche Mengen
nicht sedimentiertes Gesamtblut. Und zwar ist die Wirksamkeit
des Blutplasmas pro Maßeinheit gegenüber der gleichen Menge
Gesamtblut um so größer, je kleiner die volumprozentische Plasma-
234 H. Schaeppi:
menge im Verhältnis zum Gesamtblut ist. Diese volumprozen-
tische Plasmamenge läßt sich mit Hilfe des Hämokritverfahrens
leicht berechnen.
Es wäre aber auch denkbar, daß die corpusculären Bestand-
teile des Blutes die gesamte zugefügte Substanzmenge an sich
reißen und in sich aufnehmen, so daß das Blutplasma resp. das
Blutserum völlig frei von dieser bliebe. In diesem Falle müßte uns
die Untersuchung ergeben, daß gewisse Mengen von Gesamtblut am
biologischen Reagens eine bestimmte Wirkung hervorrufen, wäh-
rend die entsprechenden Mengen von Blutplasma resp. Blutserum
derselben Blutmischung dagegen gar keinen Effekt auslösen.
Als 3. Möglichkeit kommt in Betracht, daß die zugesetzte
Substanz sich auf beide Komponenten des Blutes verteilt, aber in
ungleichem und eventuell für jeden wirksamen Stoffen in ver-
schiedenem Verhältnis. In diesem Falle würde das oben angege-
bene Prinzip der Untersuchungsmethodik für sich allein nicht ge-
nügen. Man wäre genötigt, die Blutkörperchen durch Zentrifu-
gierung und durch mehrfaches Auswaschen mit isotonischer phy-
siologischer Ringerlösung vom Blutplasma völlig zu trennen.
Dann müßte man in einer zweiten Versuchsreihe auch die Wir-
kungen gleicher Mengen von Gesamtblut und von auf obige Weise
reingewonnenen Blütkörperchen nach der gewöhnlichen Methodik
miteinander vergleichen und könnte darauf die Proportionen der
Verteilung berechnen. Wie wir aber später sehen werden, ist die
Durchführung dieser Isolierung und der gesonderten Untersuchung
der Blutkörperchen nicht notwendig geworden. |
l Als biologisches Reagens wählte ich das Präparat eines glatten
' Muskels, indem sich der zeitliche Eintritt und die Größe seiner
Kontraktion als ein sehr gutes Maß für die quantitative Beurteilung
der Wirksamkeit von Stoffmischungen erwiesen. Wie viele Vor-
versuche ergaben, ist das nervenhaltige Präparat für diese Zwecke
viel zu unsicher. Bei diesem beeinflußten exo- und endogene
Ursachen, die weil unbekannt nicht auszuschalten waren, so sehr
den Ablauf der Kontraktionen und erschwerten so stark die quan-
titative Beurteilung der Wirkung, daß ich im Interesse der Ge-
nauigkeit glaubte, dieses Präparat nicht verwenden zu dürfen. So
benutzte ich den entnervten glatten Muskel, und zwar in Form des
von Fühner angegebenen nervenfreien Blutegelpräparates. Dieses
erwies sioh mir im Laufe der Versuche für meine Untersuchung als
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VID. 235
sehr praktisch. Ich will daher an dieser Stelle die Herstellung des
Fühnerschen Präparates in Kürze besprechen.
Durch glatten Scherensohlag werden der Kopf- und der Bauchsaugnapf
eines Blut- oder .eines Pferdeegels entfernt. Der übrige Körper wird durch
quere Schnitte in mehrere Einzelstücke zerlegt, so daß ein solches Teilstück
eine Länge von 10—12 Ringel bekommt. Ein Blutegel mittlerer Größe
liefert so 4 solcher Einzelstücke, die sofort in Ringerlösung gebracht werden.
Das eine dieser Teilstücke wird der Länge nach von der Bauchseite her
mit einer Schere aufgeschnitten, so daß man die beiden Hälften der Bauch-
fläche auseinanderklappen kann. Dann wird der Darmtraktus sorgfältig
abpräpariert und durch Scherenschnitte zuletzt die Bauchstücke abgetrennt.
So entsteht ein rechteokiges Präparat, das bloß aus Haut und Muskelschicht
der Rückfläche besteht und völlig nervenfrei ist. Der.so gewonnene Muskel
wird dann in die später zu beschreibende Apparatur eingefügt. Die übrigen
Abb. 1. a tabakpfeifenförmiges Glasyefäß mit Badeflüssigkeit. 5 Muskelpräparat.
e Bförmig gebogemes luftdurchführendes Glastohr. d Schreibhebel. e Schreibtzommel.
] Luftpumpe am Wasserhahn. g Absaugrohr.
3 Teilstücke werden, in Ringerlösung getauoht, in den Kühlschrank gebracht
und bleiben bei dieser Aufbewahrung etwa 4—5 Tage verwendungsfähig.
Das ebenfalls von Fühner angegebene Froschmagenpräparat erwies
sich mir als für meine Versuchsanordnung zu kurzlebig, weshalb ich auf
Kontrollversuche mit diesem Präparate verzichten mußte.
Die Versuchsanordnung habe ich ebenfalls, außer einigen Modifika-
tionen, von Fühner übernommen. wıe er sie für seine Untersuchung über
die potenzierende Wirkung des Physostigmins in Kombination mit anderen
erregenden Stoffen verwendete.
Die Aufhängung des rechteckigen Muskelpräparates erfolgt vermittels
einer durchgestochenen Fadenschlinge nach unten stabil an das eine Ende
einer Sförmig gekrümmten Glasröhre nach oben frei beweglich an den
einen Arm des Schreibhebels. Durch dieses Hebelsystem werden die Kon-
traktionen des Muskelpräparates nach den üblichen Prinzipien auf ein
Kymographion übertragen und auf einem berußten Papierstreifen graphisch
festgehalten. Das so fixierte Präparat hängt in einem tabakpfeifenartig
geformten Glasgefäß von ca. 150 ccm Inhalt in Ringerlösung. Bei dieser
Versuchsanordnung läßt sich die Badeflüssigkeit des Muskels durch Ab-
saugen und durch sorgfältiges Zugießen von neuer Flüssigkeit leicht er-
neuern, ohne die Stabilität des Aufhänge- und Übertragungssystemes
236 H. Schaeppi:
merklich zu stören. Die bei der langen Versuchsdauer notwendige O,-Ver-
sorgung des Präparates erfolgt einerseits durch den bei den Versuchen
häufig nötigen Wechsel der Badeflüssigkeit und durch direktes Durchleiten
von Luft, andererseits durch die Sförmig gebogene Aufhängeröhre. Bei
vorsichtiger Regulierung einer duroh Leitungswasser betriebenen Luft-
pumpe läßt sich das Tempo der in der Badeflüssigkeit aufsteigenden Luft-
blasen so ausprobieren, daß diese keinen störenden Einfluß auf die Aufhänge-
vorrichtung auszuüben vermögen.
Mit der Wahl des oben beschriebenen biologischen Reagens
schränkt sich die Zahl der zur Untersuchung verwendbaren Sub-
stanzen auf die den glatten Muskel erregenden Stoffe ein. Durch
die Ausschaltung des nervenhaltigen Muskelpräparates gehen für
mein Problem auch die vom Nerven aus erregend wirkenden Sub-
stanzen, speziell Pilocarpin verloren. Eine weitere Einschränkung
der verwendungsmöglichen Stoffe wird gegeben durch ihr Verhal-
ten zum Blute. So mußte ich wegen der beim Zusetzen eintretenden
Hämolyse auf Phenyläthylamin verzichten, das sich mir in den
Vorversuchen als eine äußerst wirksame Substanz erwies. Ich
wählte daher als Indikatoren Bariumchlorid als Vertreter eines
anorganischen Salzes, Nicotinum hydrochloricum als Typus eines
Alkaloides und Cholinbromhydrat als Repräsentant eines Hor-
mones.
Bevor ich zur Besprechung der Methodik der Hauptversuche
übergehe, muß ich kurz die Vorversuche streifen. Das frisch
‚zubereitete Muskelpräparat wird nach der oben beschriebenen
Weise in einer konstanten Menge Ringerlösung (100 ccm) auf-
gehängt und in Ruhe sich selbst überlassen, bis es die durch die
Präparation und Fixierung hervorgerufene Erregung verloren hat,
und der Schreibhebel auf dem Kymographion eine gerade Linie
registriert. Als für meine Versuche am besten geeignet hat sich
eine Umdrehunggeschwindigkeit der Schreibtrommel von ca. 60 cm
pro Stunde erwiesen. Dann wird der Badeflüssigkeit des Muskels
eine genau abgemessene Menge von wirksamer Substanz in Lösung
zugesetzt. Die sofortige und gründliche Mischung erfolgt durch
vorsichtiges Umrühren mit einem Glasstab und außerdem durch
die Flüssigkeitsbewegung, die durch die zum Zwecke der Lüftung
durchgeleiteten Luftblasen hervorgerufen wird. Je nach der Art
und der Konzentration des zugesetzten Stoffes tritt nach kürzerer
oder längerer Einwirkung eine Kontraktion der Muskelfasern ein,
die sich graphisch in Form eines langsameren oder rascheren An-
Permeabilität. der Zellen und Gewebe. VII. 237
stieges der Kurve registriert. Oft manifestiert sich die Muskel-
reizung außer diesem Tonusanstieg noch durch einzelne kleine,
evtl. sogar rhythmische Einzelzuckungen. Darauf folgt die Ent-
leerung der Badeflüssigkeit durch Absaugen und ein mehrmaliges
Auswaschen des Muskels durch reine Ringerlösung. Dieses Aus-
spülen des Präparates dauert je nach der Art und der Konzentra-
tion der verwendeten erregenden Substanz verschieden lang und
nimmt schr viel Zeit in Anspruch, da kein neuer Versuch ange-
stellt werden kann, bevor der Schreibhebel wieder zur Grundlinie
zurückgekehrt ist. Durchschnittlich nimmt ein so durchgeführter
Versuch ca. 30 Minuten Zeit in Anspruch.
In diesen Vorversuchen habe ich einerseits die Wirksamkeit
des zugesetzten Stoffes geprüft und anderseits die minimalste
Substanzmenge, d. h. ihre minimale Konzentration ermittelt, die
während einer bestimmten Einwirkungsdauer (10 Minuten) eben
noch eine deutliche erkennbare Kontraktion hervorzurufen ver-
mag. Diese minimale Konzentration zu ermitteln, ist deshalb
wichtig, weil sich daraus die Basis für das Mischungsverhältnis
von Blut und erregend wirkender Substanz ergibt. Es hat sich
nämlich gezeigt, daß das Muskelpräparat nach mehrfachen Rei-
zungen mit denselben oder sogar mit kleineren Konzentrationen
stärker reagiert als bei der ersten Reizung. In Berücksichtigung
dieser zunehmenden Sensibilisierung des Muskels durch vielfache
Reizversuche, wie ich diese Erscheinung bezeichnen möchte, muß
man auf Grund der durch die Vorversuche gefundenen Minimal-
konzentration das Mischungsverhältnis so berechnen, daß diese
minimale Wirkungsmenge der herzustellenden Blutmischung noch
in den Bereich der mit Pipetten leicht abmeßbaren Größenordnung
zu liegen kommt. Die Zahlenwerte für die Mischung werde ich
bei der Besprechung der Hauptversuche mit den betreffenden
Substanzen erwähnen. |
Für die Untersuchungen wurde durchgehend Kalbsblut aus
dem hiesigen städtischen Schlachthofe verwendet. Versuche mit
dem Blute von anderen Schlachttieren konnte ich deshalb nicht
durchführen, weil diese Blutsorten wegen der Schlachtungen von
maul- und klauenseuchekranken Tieren nicht regelmäßig erhält-
lich waren. Das Blut wurde frisch von der Ader weg in einem Glas-
zylinder aufgefangen und sofort für die Versuche verwendet. Daß
das Blut jeweilen in frischem Zustande zur Untersuchung kam, er-
238 H. Schaeppi:
kamnte ich jedesmal daran, daß das zentrifugierte Blut absolut
keine Hämolyse zeisste. Zeigte aich eine solche, so wurde das Blut
als unbrauchbar weggegossen. Die Untersuchung des Verteilungs-
problems führte ich in Parallelversuchen am defibrinierten und am
nicht defibrinierten Blute durch. Die Defibrinierung geschah
wie üblich durch Schlagen des frischgewonnenen Blutes mit einem
Glasstab. Die Gerinnungshemmung für die Versuche mit nicht
defibriniertem Blute wurde durch Zusatz von Natrium fluorat.
(1,5 g auf 500,0g Blut = 3° œ) erreicht. Wie die Vorversuche er-
gaben, hat Fluornatrium auf das Muskelpräparat keinen hemmen-
den oder erregenden Einfluß.
Die Zubereitung der Blutmischung geschieht folgendermaßen:
Die wirksame Substanz wird in einem genau tarierten Erlenmeyer-
kölbchen so berechnet abgewogen, daß 1 ccm des herzustellenden
Mischblutes die in den Vorversuchen ermittelte minimale Wirkungs-
menge Stoff enthält. Dann wird ad 100 g Blut zugegossen und
sorgfältig durch Schütteln gemischt. Von diesem Mischblut und vom
Normalblut werden je 70 g zentrifugiert. Die übrigen 30 g Misch-
blut und eine gewisse Menge Normalblut werden je in einem
Erlenmeyerkölbchen in den Kühlschrank gebracht. Zur Sedi-
mentierung des Blutes stand mir eine elektrische Zentrifuge mit
einer Tourenzahl von 3000 pro Minute zur Verfügung. Die durch-
schnittliche Dauer der Zentrifugierung bis zur völligen Sedimen-
tierung der Blutkörperchen beträgt ca 3—3!/, Stunden. Nach
eingetretener vollständiger Trennung des Blutes in Blutkörperchen
und Blutflüssigkeit wird das Plasma resp. das Serum abpipettiert
und je in ein besonderes Erlenmeyerkölbchen gebracht. Auf diese
Weise haben wir 4 verschiedene Vergleichsflüssigkeiten gewonnen:
Lösung I: Normalblut.
Lösung II: Normalplasma resp. Serum.
Lösung III: Unzentrifugiertes Mischblut.
Lösung IV: Mischplasma resp. Serum.
Jetzt sind die Vorarbeiten so weit gediehen, daß man zu den
Hauptversuchen übergehen kann. Zuerst prüfe ich immer mit
einer wässerigen Lösung der wirksamen Substanz die Erregbarkeit
und die Größe der Kontraktion des Präparates. Dabei zeigte sich
auch mir die schon von Fühner erwähnte Tatsache, daß das
Kopfstück des Egels die größte Kontraktionsgröße von allen Teil-
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 239
stücken zeigt, was auch leicht begreiflich ist, wenn man die Be-
wegungen und die Art der Lokomotion des lebenden Egels auf-
merksam verfolgt. Nun prüfe ich mit der gleichen Versuchsanord-
nung wie bci den Vorversuchen der Reihe nach gleiche Mengen
Normalblut, Normalplasma resp. Serum, Mischblut und Misch-
plasma resp. Mischserum nach jeweiliger gründlicher Auswaschung
auf ihre Wirkung durch und vergleiche die graphisch registrierten
Effekte miteinander. Zu einer kleineren Zusatzmenge absteigend
werden wieder alle 4 Vergleichflüssigkeiten auf ihre Wirksamkeit
auf das biologische Reagens durchuntersucht. Im Interesse der
Zeitersparnis kann man in den folgenden Versuchen die Prüfung
von Normalblut und Normalplasma resp. Serum unterlassen, da es
sich schon in der ersten Versuchsreihe zeigt, daß dem Normalblut.
und dem Normalplasma resp. Serum in frischem Zustande keine
erregende Wirkung auf das Muskelpräparat zukommt. Wie ich
eingangs dargetan habe, kann man nun durch Vergleich der Wir- -
kungen von gleichen Mengen von Mischblut und Mischplasma
resp. Serum auf die Verteilung der wirksamen Substanz auf die
einzelnen Komponenten des Blutes schließen. Bei der praktischen
Ausführung dieser Methodik der quantitativen Beurteilung zeigt
sich nun aber eine sehr störende Schwierigkeit. Die früher
schon erwähnte Sensibilisierung des Muskels durch wiederholte
Reizungen verunmöglicht den direkten quantitativen Vergleich,
indem: oft Reizversuche mit kleineren Konzentrationen größere
Kontraktionen geben als solche mit größeren Verdünnungen. Um
diese Unsicherheit bei der quantitativen Beurteilung der Effekte
bei äquidosalen Reizungen zu beseitigen, war ich gezwungen, die
Untersuchungsmethodik in eine Grenzwertmethode umzuwandeln.
Mit dieser vermag ich die störenden Folgen der Sensibilisierung des
Muskels auszuschalten, indem sich diese Steigerung der Erregbar-
keit eben doch nicht ad infinitum treiben läßt. Bei der Ausfüh-
rung dieser Grenzwertmethode, die mir sichere und leicht quanti-
tativ vergleichbare Resultate gibt, braucht die Versuchsanordnung
nicht geändert zu werden. Der Unterschied liegt einfach darin,
daß 2—3 Vergleichsversuche mit den beiden Untersuchungsflüssig-
keiten für die Bewertung nicht genügen, sondern daß man beide
Flüssigkeiten mit absteigenden Dosen so lange prüft, bis die Wir-
kung der einen oder beider gleich Null wird. Aus dem gleich-
zeitigen oder aus der Reihenfolge des Ausbleibens der Kontrak-
240 H. Schaeppi :
tion kann man analoge quantitative Schlüsse auf die Verteilung
ziehen wie aus dem direkten Vergleich der Effekte bei äquidosalen
Reizungen. A priori können wir folgende Resultate erwarten.
Nehmen wir an, daß bei der Prüfung mit absteigenden Dosen
von Zusatzflüssigkeit zur Badeflüssigkeit gewisse Mengen von
Mischblut und Mischplasma resp. Serum noch eine deutliche +-
Reaktion geben, daß aber die nächstfolgenden niedrigeren Men-
gen keine Wirkung mehr haben. In diesem Falle müssen wir
schließen, daß beide Vergleichsflüssigkeiten den wirksamen Stoff
in gleicher Konzentration enthalten, d. h. daß die Substanz sich
gleichmäßig auf Blutflüssigkeit und auf Blutkörperchen verteilt
hat. Die Blutkörperchen müssen also für den zugesetzten Stoff
permeabel sein. ,
Würden wir dagegen finden, daß Blutplasma resp. Blutserum
ın keiner Dosierung wirksam ist, daß das Mischblut dagegen in ver-
schiedenen. Mengen gut erregend sich erweist, so würde uns dies
beweisen, daß die corpusculären Bestandteile des Blutes alle wirk-
same Substanz an sich gerissen und in sich aufgenommen haben,
so daß das Plasma resp. Serum frei davon bleibt.
Es ist aber auch denkbar, daß das Mischblut bei der Prüfung
mit absteigenden Mengen bis zu einer gewissen Konzentration
wirksam ist, mit der nächstfolgenden kleineren dagegen keinen
Effekt mehr gibt. Das Blutplasma dagegen erweist sich noch in
Mengen wirksam, in denen Mischblut nicht mehr wirksam ist.
Hier müssen wir annehmen, daß das Blutplasma den wirksamen
Stoff in größerer Konzentration als das Mischblut enthält, weil
die Blutkörperchen für diesen nur teilweise oder gar nicht per-
meabel sind. Der zugesetzte Stoff hat sich also speziell oder ganz
ausschließlich auf die Blutflüssigkeit verteilt.
Nach dieser theoretischen Erörterung der Deutung der Unter-
suchungsresultate kann ich zur Besprechung der in den Vor- und
Hauptversuchen gewonnenen Ergebnisse übergehen.
l. Versuche mit Pilocarpinum hydrochloricum am
nervenhaltigen Egelpräparat und am Froschmagen-
ring. Pilocarpin erwies sich an den obigen biologischen Rea-
genzien in Konzentrationen von 1 :2000 minimal, in höheren
stärker wirksam, wie dies schon von Fühner gefunden wurde.
In der Verdünnung erzeugt Pilocarpin in den einen Versuchen
leichte Einzelzuckungen, in denjenigen mit vorhandener Automatie
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 241
Verstärkung dieser. Wegen der schon besprochenen Unsicherheit
in der quantitativen Beurteilung der Effekte bei Untersuchungen
am nervenhaltigen Präparate gab ich die Versuche mit Pilocarpin
auf. Am nervenfreien Egelmuskel ist dieser Stoff aus begreiflichen
Gründen unwirksam.
2. Versuche mit Pituglandolund Thyreoglandol am
nervenhaltigen Egelpräparate brach ich aus gleichen Grün-
den wie diejenigen mit Pilocarpin ab. Am nervenfreien Muskel er-
wiesen sich beide in den Vorversuchen als unwirksam.
3. Versuche mit Pituitrin am nervenfreien Egel-
präparat. Am nervenfreien Egelmuskel war Pituitrin (Marke
Parke, Davis und Cie., London, in Ampullen) erst in sehr großen
Mengen erregend wirksam. Eine deutliche Kontraktion war erst
bei Zusatz von 0,25 ccm Pituitrin zu 100 ccm Badeflüssigkeit zu
erhalten, was einer Konzentration von 1 :400 entspricht. Aber
auch in diesen und in höheren Konzentrationen waren die Wirkun-
gen auf das nervenfreie Egelpräparat so ungleichmäßige und un-
regelmäßige, daß ich auf die Verwendung von Pituitrin für meine
Untersuchungen verzichten mußte. Es ist dies sehr bedauerlich,
weil damit die Versuche mit einem Stoffe vom Typus der Hormone
für mein Problem der Verteilung verlorengingen.
4. Versuche mit Phenyläthylamin am nervenfreien
Egelpräparat. Phenyläthylamin als Vertreter eines proteogenen
Amines erwies sich in den Vorversuchen als eine sehr stark er-
regende Substanz. Die minimale Wirkung erhielt ich bei Zusatz
von l ccm !/,, Normallösung auf 100 ccm Badeflüssigkeit. Mit
dem Blute zusammen gebracht gab dieser Stoff aber Hämolyse
und war deshalb für meine Arbeit ebenfalls nicht zu gebrauchen.
5. Versuche mit Muscarin am nervenhaltigen Egel-
präparat. In den Vorversuchen erwies sich das Dialysate de
Muscarin Golaz in Zusatzmengen von 0,5 ccm 1°/,, Lösung als
gut wirksam. Zur Zeit meiner Untersuchung war es jedoch in
den für die Hauptversuche nötigen Quantitäten nicht erhältlich.
6. Versuche mit Nicotinum hydrochloricum am
nervenfreien Egelpräparat. Nicotin übt auf das nervenfreie
Egelpräparat, wie schon Fühner gefunden hat, eine äußerst stark
erregende Wirkung aus und hat noch den Vorteil, daß es mit Blut
zusammengebracht, keine Hämolyse desselben hervorruft. Nico-
tin vermag noch in Konzentrationen von 1 : 2 Millionen eine mini-
Biochemische Zeitschrift Band 122. 16
242 H. Schaeppi:
male Kontraktion auszulösen. Im Laufe der Hauptversuche zeigte
es sich sehr bald, daß ich im Nicotin einen für meine Untersuchung
sehr geeigneten Stoff gefunden hatte. Der einzige Nachteil des
Nicotins liegt in seiner langsamen und schweren Auswaschbarkeit
aus dem Muskelpräparat. Zuerst muß man-3—4 mal in Abständen
von 5 zu 5 Minuten mit Ringerlösung auswaschen, dann einmal
mit einer 3proz. alkoholischen Ringerlösung und zuletzt noch
einmal mit einer reinen Ringerlösung nachspülen. Diese zeit-
raubende Behandlung des Muskelpräparates zu seiner Wieder-
herstellung wird aber reichlich aufgewogen durch die schönen und
leicht beurteilbaren Kontraktionen, die man durch Reizungen
mit Nicotin erreicht. Graphisch registriert sich die Erregung des
Egelmuskels in Form eines allmählicheren oder rascheren An-
sticges der Kurve, d. h. in einer Zunahme des Muskelstroms. Das
Mischungsverhältnis von Nicotin und Blut wurde so berechnet,
daß 1 ccm Mischblut 0,00005 g Nicotin enthält. Setzt man 1 ccm
von dieser Blutmischung zu 100 ccm Badeflüssigkeit zu, so enthält
letztere den wirksamen Stoff in einer Konzentration von 1 : 2 Mil-
lionen. Die Untersuchungen mit Nicotin habe ich in Parallelver-
suchen am defibrinierten und am nicht defibrinierten Blute durch-
geführt. Die in diesen Hauptversuchen nach der Grenzwertmethode
gewonnenen Resultate sind in den folgenden Tabellen (I—IV)
zusammengestellt.
Tabelle I.. |
Frisches defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydro-
chloricum 0,5 g einer l proz. Lösung auf 100 g Blut.
ES
Zusatz- | absolute Ni-
- menge | cotiumenge won Normalblut Normalserum rer Nicotin-
ccm | g on u serum
— — — — —
1,0 10,00005 1: 2000000| 0(17) XXXI |0 (21) + (89) «— + (34)
0,75 | 0,0000375 !1: 2666666 | 0 (25) 0 (40) XXXII | + (23) — + (37)
0,5 10,000025 |1: 4000000] 0 (30) 0 (45) + (27) «> + (42)
0,4 |0,00002 11: 5000000) — — -| + (46) «— + (49)
0,3 | 0,000015 |1: 6666666) — = + (52) «— + (55)
0,2 10,00001 11:10000000| — — 0 (60) 0 (57)
+ = die in der gleichen Querkolonne angeführte Menge Flüssigkeit
(Nicotinblut oder Niootinserum) gab beim Zusatz zu 100 com Badeflüssig-
keit im Versuch Kontraktion des Egelmuskels.
0 = fehlende Kontraktion. |
Die arabische Ziffer bedeutet die Nummer der grapbisch fixierten
Kurve der Kontraktion.
—r — — —__
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 243
Die römische Ziffer bezeichnet die Nummer des Blattes mit den ent-
sprechenden Kurven.
Die Zahlen in der ersten senkrechten Kolonne geben die Menge des im
betreffenden Versuche der Badeflüssigkeit (konstant = 100 ccm) zugesetzten
Vergleichsflüssigkeit (Normalblut, Normlaserum, Nicotinblut, Nicotinserum)
in Kubikzentimetern an.
Tabelle II,
Frisches defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydro-
chloricum 0,5 g einer l1proz. Lösung auf 100 g Blut. (Wieder-
holung des 1. —
u Te En EEG a En TEEN Sr STEREO EEE ENGER)
Zusatz- | absolute Ni- K
menge , cotinmenge irre Normalblut Nicotinblut Nicotinserum
an
oem €
2,0 | 0,0001 1 : 1 000000 | 0 (67) X XXXII |O (12) -+ (64) «— + (69)
1,0 |0,00005 11:2000000 + (73) XXXII 4— + es
0,75 | 0,0000375 | 1: 2 666 666 — — (79) — + (82)
0,5 10,000025 1: 4000000 — — | + (85) +— + (88)
0,3 {0,000015 |1:6666666 — — | 001) 0 (94)
Die Richtung der in der Tabelle beigefügten Pfeile zeigt die-
. jenige Flüssigkeit (Nicotinblut oder Nicotinserum) an, die in dem
Versuche mit äquidosalen Mengen die stärkere Kontraktion aus-
löst, von den beiden Vergleichsflüssigkeiten. Beidseite gerichtete
Pfeile bedeuten gleich starken Tonusanstieg bei Reizung mit
gleichen Dosen von beiden Flüssigkeiten. Wir sehen aus dem Ver-
halten der Pfeilstellungen, wie unsicher die quantitative Beur-
teilung der Effekte durch direkten Vergleich ausfällt und müssen
erkennen, daß erst die Grenzwertmethode uns sichere quantitative
Schlüsse auf die Verteilung gestattet.
Tabelle III.
Undefibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nicotinum hydrochlori-
cum 0,5 ccm einer 1 proz. Lösung auf 100 g Blut. (Gerinnungshem-
mung erzielt durch Zusatz von 1,5g Fluornatrium auf 100 g Blut.)
Nicotinblut Nicotinplasma
eg —
-+ (42) -——+(44)
+ (46) —> + (48)
+(54)———> + (56)
+ (60) <——--— +4- (58)
+(62)—————— + (64)
minimal + (66) — minimal + (68)
0(70) 0(72)
16*
244 H. Schaeppi:
Tabelle IV.
Undefibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Nikotinum hydrochlori-
cum 0,5ccm einer l proz. Lösung auf 100g Blut. (Wiederholung
des Versuches in Tabelle III.) i
Zu- | absolute ; Nor-
satz- | Nicotin- Konzen- Normalblut mal- | Nicotinblut Nicotinplasma
menge tration pias-
ccm g
menge las
ma
2,0 | 0,0001 |1: 1000000/0(110) XXXIX |0(112) + (122) —— + (120)
1,0 | 0,00005 |1: 2000000 = — +(124) III — +(126)
0,5 | 0,000025 |1: 4000. 000 = z +(128) —— +(130)
0,4 | 0.00002 |1: 5000000 = — + (132) + —— + (134)
0,3 | 0,000015 |1: 6666666 — — +(138) —— +(140)
0,2 | 0,00001 |1: 10000000 — — Iminim.+(142) min.+— +(144)
0,1 | 0,000005 |1 : 20000000 — — 0 (146) 0 (148)
Sowohl beim defibrinierten Blute wie bei dem mit Fluornatrium
versetzten Blute sind Nicotinblut und Nicotinplasma resp. Serum
bis zu einer gewissen Zusatzmenge wirksam. Bei Versuchen mit
den nächstniedrigeren zugesetzten Dosen werden beide Vergleichs-
flüssigkeiten unwirksam. Dieser Untersuchungsbefund spricht
dafür, daß gleiche Volumina Nicotinblut und Nicotinserum resp.
-plasma, trotzdem sie beim direkten Vergleiche oft verschieden
stark wirken, gleiche Mengen wirksamer Substanz enthalten. In
der konstanten Menge Badeflüssigkeit ist Nicotin in gleicher Kon-
zentration enthalten, ob wir gleiche Mengen Nicotinblut oder
gleiche Volumina Nicotinserum resp. -plasma zusetzen. Dieses
Verhalten auf die Fragestellung des Verteilungsproblems über-
setzt, bedeutet, daß zugesetztes Nicotin sich gleichmäßig auf
Blutflüssigkeit und auf Blutkörperchen verteilt. Die Blutkörper-
chen müssen also für Nicotinum hydrochloricum permeabel sein.
An diesem Verhalten ändert die Defibrinierung des Blutes nichts.
7. VersuchemitCholinbromhydratamnervenfreien
Egelpräparat. Da neuestens Cholin zu den Hormonen gerechnet
wird, dürfen wir wohl sein Derivat, das Cholinbromhydrat, als ein
den Hormonen sehr ähnliches oder wenigstens sehr nahestehendes
Präparat auffassen. Die Untersuchungen mit dieser Substanz sind
deshalb wichtig, weil sie uns vielleicht durch Analogieschlüsse etwas
über die Verteilung der natürlichen Funktionsmittel des Körpers
im Blute auszusagen vermögen. In den Vorversuchen hat sich das
Cholinbromhydrat am nervenfreien Egelpräparat als gut wirksam
erwiesen, wenn auch bedeutend schwächer als das von Fühner
"ne —
— —— — o |
8
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 245
in seiner oben zitierten Arbeit verwendete Acetylcholin. Die Vor-
versuche ergaben als minimal wirksame Konzentration die Ver-
dünnung von 1:12,500. Die Cholinbromhydratblutmischung
stellte ich daher in dem Mengenverhältnis her, daß 1 ccm Cholin-
blut 0,01 g dieses Stoffes enthielt, was bei einer Verdünnung durch
100 ccm Badeflüssigkeit einer Konzentration von 1 : 10000 ent-
spricht. Die Hauptversuche mit dieser Blutmischung ergaben
mir folgende tabellarisch zusammengestellte Resultate (Tabelle
V—VIII).
Tabelle V.
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Cholinbromhydrat,
1,0 g auf 100 g Blut.
Zu- | Cholin- Nor-
satz menge | Konzentration Normalblut mal-
menge : serum
Cholinblut Cholinserum
5 | 0,015] 1: 6666 |0(30) XXXIV |0(41) + (37) *4 (39)
2 |0,012| 1: 8333 |0(32) 0 (45) + (43) ———— > + (47)
‚0 | 0,01 1 :10000 — — + (49) XXXV+— + (51)
‚10,008! 1:12500 — — + (53) ———— + (55)
5 10,005 | 1:20000 — — + (57) ⸗4 (59)
4 | 0,004 | 1:25000 — — + (63) ⸗46h
‚3 10,003 | 1:33333 — — minim. + (65) minim. e—> + (67)
‚2 | 0,002 | 1:50000 — — 0 (69) 0 (71)
SOOO2O9O9—mmm_
Tabelle VI.
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Cholinbromhydrat, 1,0 g
auf 100 g Blut. (Wiederholung des Versuches in Tabelle V.)
Cholin- Nor-
Konzentration Normalblut mal- Cholinblut Cholinserum
* menge
serum
1
10 [0 0, 7 1: 20000: 0 0000 [014 XXXVI 0 (16) + (78) =k (80)
‚5 0,005 1: + (82) ⸗ > + (84)
#|0,0C4| 1: 25 000 == = + (87) — ——> + (89)
‚3 | 0,003 | 1:33333 — — |minim. + (93) minim. +— + (91)
‚2 | 0,002 | 1:50000 — > 0 (95 0 (97)
Der positive Ausfall eines Reizversuches stellt sich graphisch
in Form einer mehr oder weniger rasch ansteigenden Kurve dar
und wird in den Tabellen durch ein +-Zeichen markiert. Quanti-
tativ lassen sich diese durch Tonusanstieg des Präparates bei
Reizung bedingten Kurven leicht beurteilen, und zwar finden wir
beim Vergleich analoge Resultate wie bei den Versuchen mit
Nicotin. Normalblut und Normalplasma resp. -serum sind immer
216 H. Schaeppi :
Tabelle VII. Undefibriniertes Kalbsblut mit Cholinzusatz
1,0 g/100 g (Kopfstück). (Gerinnungshemmung erzielt durch
Zusatz von Natr. fluor. 1,5 auf 500,0 g Blut.)
C —— —— ————— ——— —
Zu- Cholin- Nor-
— menge Normalblut — Cholinblut Cholinplasma
ccm R
1,5 10,015 |1: 6666 ;0(2) XXXVII |O (4) + (6) —— +110
1,01; 0,01 |1: 10000 | 0 (8) 0 (12) + (14) —— + (16)
0,5 | 0,005 | 1: 20000 + (18) —— + (20)
0,3 0,003 1: 33 333 + (22) —— + (24)
0,2 !0,002 |1 minimal + (26) minimal — + (28)
: 50000 = =
— — | minimal + (30) minimal — + (32)
— — (XXXVII
0,1 | 0,001 | 1:100000 — — 0 (34) 0 (36)
Tabelle VIII. Undefibriniertes Kalbeblut mit Cholinzusatz
1,0 g/100 g. (Wiederholung des Versuches in Tabelle VII.)
Cholinblut
+ (80)
+ (78)
0,7 10,007 + (84) —— + (86)
0,5 10,005 + (88) —— + (W)
0,4 :0,004 minim. + (94) minim.<— + (92)
0,35 0,0035 minim. + (102) minim. +— + (100)
0,3 [0,003 0 (106) 0 (104)
unwirksam. Cholinblut und Cholinplasma resp. -serum geben bis
zu einer gewissen Zusatzmenge deutliche Wirkung, bei Verwendung
der nächstfolgenden geringeren Zusatzmenge werden beide Ver-
gleichsflüssigkeiten gleichzeitig unwirksam. Dieses Verhalten be-
weist uns sicher die gleichmäßige Verteilung des zugesetzten Cholin-
bromhydrates auf beiden Komponenten des Blutes. Die Blutkörper-
chen müssen also für diesen Stoff permeabel sein. Wie bei den Ver-
suchen mit Nicotin hat die Ausfällung des Fibrins auf die Verteilung
keinen Einfluß. Die auffallenden Unterschiede in der Größe der
wirksamen Grenzkonzentrationensind die FolgederVerwendung ver-
schiedener Teilstücke des Egels. Bei den Versuchen in Tabelle VII
wurde ein Kopfstück verwendet, in den übrigen 3 Versuchen dienten
die weniger empfindlichen Rumpfstücke als Reagenzien.
8. Versuche mit Bariumchlorid am nervenfreien
Egelpräparat. In meinen bisherigen Versuchen habe ich das
Nikotin als Typus eines Alkaloides, das Cholinbromhydrat als eine
den Hormonen sehr nahestehende Substanz auf ihre Verteilung
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII. 247
im Blute geprüft. Durch die Verwendung des Bariumchlorides
gewinne ich noch den Vertreter eines anorganischen Salzes von
sehr stark erregender Wirkung auf die glatte Muskulatur für meine
Untersuchung. Es fragt sich nun, ob die Verteilung dieses Salzes
im Blute sich gleich verhält wie die des Alkaloides Nicotin und die
des den Hormonen verwandten Cholinbromhydrates.
In den Vorversuchen erwies sich Bariumchlorid in einer Kon-
zentration von 1 : 40000 minimal wirksam. . Auf der Basis dieser
Verdünnung berechnete ich das Mischungsverhältnis von Blut
und Bariumchlorid so, daß 1 ccm Mischblut 0,00025 g Barium-
chlorid enthält, welche Menge bei Zusatz zu 100 ccm Badeflüssig-
keit obige Konzentration ergibt. Bariumchlorid löst sich im Blute
sehr leicht und erzeugt keine Hämolyse. Wie beim Nicotin zeigt
sich in den Hauptversuchen mit BaCl, eine sehr weitgehende
Sensibilisierung des Muskelpräparates gegen den wirksamen Stoff
durch häufige Reizversuche, so daß sich in den Hauptversuchen
oft sogar Konzentrationen von 1 : 200000—400000 noch erregend
wirksam erweisen. Die Wirkung des Bariumchlorides auf den
glatten Muskel weicht graphisch von der des Nicotins und des
Cholinbromhydrates ab, indem Bariumchlorid neben dem all-
mählichen Tonusanstieg noch kleine rhythmische Einzelzuckungen
auszulösen vermag. Höhere Konzentrationen vermögen sogar
- maximale Kontraktion des Präparates hervorzurufen. Bei der Be-
urteilungdes Effektes habe ich alle3 Formen von Erregungsäußerung
berücksichtigt. In den nächstfolgenden tabellarischen Zusammen-
stellungen der Versuchsergebnisse bedeutet das erste + - Zeichen
das Vorhandensein einer maximalen Kontraktion des Muskels, das
zweite +-Zeichen die rhythmischen kleinen Einzelzuckungen,
das dritte + -Zeichen das Vorhandensein eines Tonusanstieges.
Tabelle IX: Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Barium-
chlorid 0,25 g BaCl, auf 100 g Blut.
Konzentration
im Blut BaCl,Serum
: 40000 - +++ (9)
( 1
0,7 0++(12) | 1: 57141 «— 0++ (14
0,5 0++(16) | 1: 80000 —— 0++ (18
0,3 0+0(20) | 1:133000— 0+ + (22)
0,2 000 (26a) | 1:200000—> 0+ + (26)
0,15 — — 0++ 8
D,1 000 (30) | 1:400000<«—» 000(28
248 H. Schaeppi:
Tabelle X.
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Bariumchlorid 0,25 g
BaCi, auf 100 g Blut.
(Wiederholung des Versuches in Tabelle IX.)
Zusatz- — en = = —— ——
Normal- Konzentration
= Normalblut ie- | BaC1,-Blut | ne * BaC1,-Serum
1,0 |000 (32) XLI | 000 (34) | — (38) |1: 40000— 0++ (40)
0,7 — | O+- (42) XLII; 1: 57141 — 0++ (44)
0,5 | — — J+ +5- (46) 1: 80000 «-— + + + (48)
0,3 — — [+++ 60) 1 : 133 333 — + + + (52)
0,25 = — 000 (72) 1: 160000 «—> 0+ + (70)
0,2 — — 000 (58) 1: 200000 — + + + (64)
0,15 — — — 0+0 (68)
0,1 — — 000 (54) |1:4000004—> 000 (56)
Tabelle XI.
Defibriniertes Kalbsblut mit Zusatz von Bariumchlorid 0,25 g
BaCl, auf 100 g Blut.
(Wiederholung des Versuches in Tabelle IX.)
Zusatz-
menge | "det | serum IE BaCl„Blut | bel Blutausata BeChSerum
1,0 Co loom | | 0+@ 6) | 1: 4000 —0+@ m
0,5 | | 049 (9| 1: 80000 — 0+ (11)
o4 — | = | 0+@(13) | 1:100000— 0+0) 21)
03 — — | | @AD| 1:1830 — 0+6 09
02 — 000 (29) | 1 : 200 000 — 0+0 (27)
05: | — | 000 (33) | 1 : 266666 — 0+0 (31)
ol 0 - | — 000 (23) | 1: 400000 «— 000 (25)
Tabelle XII.
Nicht defibriniertes Kalbsblut mit Bariumchloridzusatz (Kopf-
stück), 0,25 g auf 100 g. (Gerinnungshemmung durch Zusatz von
Fluornatrium 1,5 g auf 500,0 Blut.)
Zusatz- |
menge | Normalblut | Normal. BaCı,-Blut | Konzentration BaCı,-Flasma
— | plasma | bei Blutzusatz
40° (00043) XLIV Voas ++44) |: 10000—> 444 (49)
20 — |+++61) 1: 20000 — + + + (53)
1,2 — — |++4+(55) 1: 33333 «— + + + (57)
0,4 — — (H++1(59) l: 100000 — ++ + (61)
02 | — — | 04+@X63) XLVIL: 200000 — + +@X65)
ol — — | 0+&67) 1: 400000 — + + + (69)
0,05 | — = 00071) 1: 800000 —> + +-0 (73)
0,025! — —— 00077) 1: 1600000 000 (79)
Permeabilität der Zellen und Gewebe. VII. 249
Tabelle XIII. Nicht defibriniertes Kalbsblut mit Bariumchlorid-
zusatz (Kopfstück), 0,25 g auf 100g. (Gerinnungshemmung durch
Zusatz von Fluornatrium 1,5 g auf 500,0 Blut.) (Wiederholung
des Versuches in Tabelle XII.)
Normal- Konzentration
a Normalblut plasma BaCl,-Blut bei Blutzusatz BaC1,-Plasma
1,0 000 (1) XLIII 000(3) | O++ 6) | 1: 40000 -— 0++ (7)
0,7 — — 0++ (9) | 1: 57141 — +++ (11)
0,5 — — | +++(13)| 1: 80000 — +++ (17)
0,4 = — 0++(23) | 1:100000 — +++ (21)
0,3 — = 0+ + (25) | 1:133333 — 0+ + (31)
0,2 = = 000 (27) | 1:200000 —
0,15 = | u 000 (37) | 1:266666 —> 0+ + (33)
0,1 — _ — — — 000(39)
Die Richtung der Pfeile zeigt diejenige Flüssigkeit an, die, in
gleicher Menge zur Badeflüssigkeit zugesetzt, stärker wirkt als
ihre Vergleichsflüssigkeit.
Die Betrachtung der Tabellen IX— XIII ergibt uns ein ab-
weichendes Resultat von demjenigen, das wir bei den Versuchen mit
Nicotinum hydrochloricum und mit Cholinbromhydrat gefunden
haben. Schon der bloße direkte quantitative Vergleich der Wir-
kungen gleicher Mengen Mischblut und Mischserum resp. -plasma
zeigt, daß in den meisten Fällen, wenn auch nicht durchgehend,
das letztere stärker wirkt als das erstere. Bei der Prüfung mit der
Grenzwertmethode tritt dieser Wirkungsunterschied unzweifel-
haft zutage. Mischserum resp. -plasma ist noch in Mengen erre-
gend wirksam, in denen das Mischblut keinen Effekt mehr gibt.
Der Befund beweist, daß im Bariumchloridserum resp. -plasma
die Konzentration von BaCl, größer ist als im Bariumchloridblut.
Die wirksame Substanz muß sich also ungleich auf die Blutflüssig-
keit und die corpusculären Elemente verteilt haben. Wenn wir
bedenken, daß die Blutkörperchen 50%, des Gesamtvolumens des
Blutes ausmachen, was wir leicht vermittels der Hämokritmethode
feststellen können, können wir aus der Größe der Grenzwerte der
minimal wirksamen Mengen beider Vergleichsflüssigkeiten das ge-
naue Verteilungsverhältnis leicht berechnen. Bei den Versuchen in
TabellenIX,X,XI, XII beträgt die minimal wirksame Zusatzmenge
des Mischserums, resp. des -plasmas 0,15 ccm, diejenige des BaCl,-
blutes 0,3ccm, in dem Versuche auf Tabelle XII (Kopfstück des
Egels) 0,05 ccm Bariumchloridplasma und 0,1 ccm Bariumchlorid
250 H. Schaeppi: Permeabilität der Zellen und Gewebe. VIII.
blut. Das Mischblut ist also immer erst in doppelt so großer Menge
minimal erregend wirksam als das Mischserum resp. -plasma. Das
letztere enthält also das BaCl, in doppelt so großer Konzentration
wie das erstere. Unter der Voraussetzung, daß die Blutkörperchen
50%, des Gesamtvolumens des Blutes ausmachen, beweist uns dieses
Untersuchungsergebnis, daßdasdem BlutezugesetzteBariumchlorid
sich bloß auf die Blutflüssigkeit verteilt. Die Blutkörperchenver-
halten sich in diesem Falle im Gegensatze zu Nicotinund Cholinbrom-
hydrat für dieses Salz impermeabel. Auch in den Bariumchloridver-
suchen hat die Defibrinierung des Blutes keinen Einfluß auf die Ver-
teilung im Blute.
Zusammenfassung.
l. Die vorliegende Arbeit hat eine einfache und brauchbare
biologische Untersuchungsmethode für die Frage der Verteilung
von Hormonen und pharmakologischen Stoffen im Blutplasma
resp. Blutserum und in den Blutkörperchen ergeben.
2. Die Art der Verteilung von Bariumchlorid, Nicotinum
hydrochloricum und von Cholinbromhydrat im Blute ist unab-
hängig davon, ob diese Stoffe dem durch Schlagen defibrinierten
oder dem durch Zusatz von Fluornatrium vor Fibringerinnung
geschützten Blutes zugesetzt werden.
3. Für Bariumchlorid als Vertreter eines anorganischen Salzes
sind die Blutkörperchen impermeabel; das dem Blute zugesetzte
Bariumchlorid verteilt sich nur auf das Blutplasma resp. Blutserum.
4. Im Gegensatz dazu verteilen sich Nicotinum hydrochlo-
ricum als Typus eines Alkaloides und Cholinbromhydrat als Re-
präsentant eines Hormones gleichmäßig auf die Blutflüssigkeit und
auf die corpusculären Blutbestandteile. Die Blutkörperchen sind
also für diese 2 Stoffe permeabel.
5. Das Verhalten des Cholinbromhydrates in bezug auf seine
Verteilung im Blute läßt darauf schließen, daß die Hormone im
Organismus auch in die Blutkörperchen eintreten können.
Literatur.
Fühner, Die chemische Erregbarkeitssteigerung glatter Muskulatur.
Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 82, 51. — Fühner, Ein Vorlesungs-
versuch zur Demonstration der erregbarkeitssteigernden Wirkung des
Physostigmins. — Hedin, Grundzüge der physikalischen Chemie in ihrer
Beziehung zur Biologie. Wiesbaden 1915. — Höber, Physikalische Chemie
der Zellen und Gewebe. Leipzig 1914, S. 349.
Über den bakteriellen Abbau des 1-Leucins.
Von
Minoru Aral.
(Aus dem Sasaki-Laboratorium im Kyoundo-Hospital zu Tokio.)
(Eingegangen am 27. Juni 1921.)
Die exakte Erforschung des bakteriellen Abbaus von Eiweiß-
körpern ist dank neueren Ergebnissen wiederbelebt worden.
Besonders erweckten physiologisch wirksame Abbauprodukte,
namentlich die sogenannten proteinogenen Amine, ein regeres
Interesse, so daß in neuerer Zeit einige Monographien hierüber
erschienen sind!). |
Nachdem man früher Bakteriengemische auf die Eiweiß-
körper hatte einwirken lassen und nach den verschiedenen Ab-
bauprodukten mühevoll gesucht hatte, ging man später dazu
über, einzelne reingezüchtete Bakterien und reine Aminosäuren
in eiweißfreien Nährlösungen zu verwenden und so nach erwar-
teten Abbauprodukten konsequent zu fahnden. Dabei hat sich
nun herausgestellt, daß nicht nur die Arten der Bakterien, sondern
auch andere Bedingungen auf die Bildung verschiedentlicher
Abbauprodukte einen großen Einfluß haben?). Durch solche
Untersuchung könnte man auf das dunkle Gebiet des Chemismus
der Darmflora ein Licht werfen und weiterhin zur Frage der
intestinalen Autointoxikationen einen exakten Beitrag liefern?).
1) Vgl. Barger, Simpler Natural Bases. London 1914; Hirsch,
Die Einwirkung von Mikroorganismen auf die Eiweißkörper. Berlin 1918;
Guggenheim, Biogene Amine. Berlin 1920.
2) T. Sasaki, Journ. of biol. chem. 32, 527. 1917; vgl. auch K. Hirai,
` diese Zeitschr. 114, 71. 1921.
3) Vgl. T. Iwao, diese Zeitschr. 39, 436. 1914; Acta schol. med.
univers. Kioto 1, 263. 1916. — C. Asayama, ebenda 1, 115. 1916. —
M. Kageyama, ebenda I, 215. 1916. — Derselbe, ebenda 1, 229. 1916.
252 M. Arai:
Über die bakterielle Zersetzung des Leucins hat Nawiask y!)
einige Versuche mit Proteusbacillen ausgeführt. Er hat dabei
Capronsäure, Valeriansäure und Buttersäure gewonnen. Es geht
aus dieser Arbeit aber nicht hervor, ob er mit synthetischem
Leucin oder mit einem durch Isoleucin gemischten Hydrolysen-
produkt gearbeitet hat. Frühere Angaben über bakterielle Zer-
setzungsprodukte des Leucins beziehen sich auf Untersuchungen
mit Bakteriengemischen. So hatten Bopp?) und Nencki’) aus
Fäulnisgemischen von Fibrin bzw. Pankreas mit Leucin Valerian-
säure isoliert und sie als ein Zersetzungsprodukt des Leucins
angesprochen. Neubergt) hat aus reinem synthetischen d-Iso-
leucin durch Fäulnis optisch aktive d-Valeriansäure und d-Capron-
säure dargestellt. Außerdem wurde aus Eiweißfäulnisprodukten
Isoamylamin isoliert, dessen Bildung aus Leucin in Anbetracht
der chemischen Verwandtheit theoretisch angenommen wurde?).
Dieses Amin kommt auch in der Natur als ein Pflanzenprodukt
vor?) Eigentümlicherweise wurde das Amylamin noch nicht
experimentell direkt aus Leucin mittelst eines Mikroorganismus
gewonnen. Auf Veranlassung von Prof. Takaoki Sasaki habe
ich nach der neueren Methode, die in unserem Laboratorium
üblich ist, die bakteriellen Abbauprodukte des Leucins näher zu
erforschen versucht.
Zuerst wurden die Versuche unter der Bedingung der &-Oxy-
säurenbildung, d. h. unter Verwendung eines Puffers und von
Aluminiumphosphat angestellt. Solche Umwandlungen alipha-
tischer Aminosäuren waren bis jetzt noch nicht geglückt. Dabei
war in Betracht zu ziehen, daß die dabei entstehenden Zersetzungs-
produkte labil sein und einer weiteren Zersetzung anheimfallen
konnten.
Eine dem Leucin entsprechende Oxysäure, nämlich Leucin-
säure, ist bis jetzt weder als ein Spaltprodukt des Leucins bei der
Bakterieneinwirkung, noch bei der Eiweißfäulnis aufgefunden
J 1) Nawiasky, Arch. f. Hyg. 66, 209. 1908.
2) Bopp, Liebigs Ann. d. Chem. 69, 16. 1849.
3) Nencki, Opera Omnia 1, 204. Braunschweig 1904.
t) Neuberg, diese Zeitschr. 3%, 501. 1911.
5) Literatur siehe bei G. Barger, Ł c., S. 13 und P. Hirsch, l. c., S. 34.
¢) G. Barger und H. H. Dale, Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol.
61, 113. 1909. — Cia mician und C. Ravenna, Atti R. Accad. dei Lincei,
Roma 20 (5), 1, 614; Ref. Chem. Centralbl. 2, 293. 1911.
Bakterieller Abbau des l-Leucins. 253
Die Entstehung von Isoamylalkohol aus Leucin hatte Ehrlich!)
folgendermaßen zu erklären versucht; es sollte zuerst aus dem
Leucin Ammoniak abgespalten werden und intermediär Leucin-
säure auftreten. Diese sollte aber sofort bei ihrer Entstehung
nach dem Schema
CH;\
CH’SCH - CH,CH (OR) - COOH + CH’SCH - CH, - CHO
3
CH,/
H-COOH
in Valeraldehyd und Ameisensäure zerfallen und der Valeraldehyd
dann in Amylalkohol und vielleicht zum Teil durch Oxydation
in Valeriansäure übergeführt werden. Leucinsäure konnte er als
Zwischenprodukt jedenfalls nicht isolieren. Der Weg bei der
Gärung führt aber überhaupt nicht über die Oxysäure, sondern
über die Ketosäure, die unter Carboxylaseeinwirkung Valeralde-
hyd und weiter das Fuselöl liefert [Neuberg und Mitarbeiter?)].
Ich konnte jene Oxysäure aus Leucin durch die Einwirkung
von Proteus- und Subtilisbacillen isolieren. Es stellte sich dabei
auch interessanterweise ein optisch differenter Abbau heraus;
es wird nämlich d - Leucinsäure bei der Einwirkung von Proteus
und l- Leucinsäure bei der Einwirkung von Subtilis gebildet.
Auf chemischem Wege läßt sich l- Leucinsäure mittels
salpetriger Säure aus l-Leucin darstellen?). Da Leucin in der
Natur als l-Form auftritt, so ist auch Leucinsäure begreif-
licherweise in l-Form leicht zugänglich. d-Leucinsäure läßt
sich dagegen nur schwer gewinnen, da d-Leucin in der Natur nicht
vorkommt und auf umständlichen Wegen hergestellt werden muß.
d-Leucinsäure kann man auch durch Waldensche Umkehrung
aus l-Leucinsäure erhalten) ®. Wenn man dagegen Bakterien
zu Hilfe nimmt, so kann man d-Leucinsäure bequemer mittels
der Proteusbacillen aus dem natürlich vorkommenden Il-Leucin
darstellen. In Anbetracht der einfachen Technik und der guten
Ausbeute darf man wohl diese Methode auch zur Darstellung
empfehlen.
1) Ber. 40, 1027. ‚1907.
2) Diese Zeitschr. 52, 494. 1913; 59, 188. 1914; 67, 32. 1914; 71,
122. 1915.
3) F. Röhmann, Ber. 30, 1981. 1897.
4) H. Scheibler und A. S. Wheeler, Ber. 44, 2684. 1911.
5) S. Kodama, Journ. Tokyo chem. soc. 40, 825. 1919.
254 M. Arai:
Nach Sasakis Untersuchung werden verschiedene cyclische
Aminosäuren durch die Einwirkung von Proteusbacillen decarb-
oxyliert, und es entsteht dabei ein um ein Kohlenstoffatom ärmeres
Amin, wenn durch Zusatz von Milchzucker eine Anhäufung von
Wasserstoffionen in der Nährlösung begünstigt wird!). Ich arbei-
tete unter denselben Bedingungen und konnte dabei Isoamyl-
amin isolieren.
Experimenteller Teil.
I. Die Entstehung von Leueinsäure ans l-Leucin.
A. Versuch mit Proteus vulgaris.
Die Nährlösung war (nach Sasaki) folgendermaßen zu-
sammengesetzt:
Kaliumchlorid . . . . 2. 222220220 1,0g
Ammoniumchlorid . . .. 2 2 2 2 20. 1,0,
Magnesiumsulfat . . . . 2 2 2 2 2 0220 0,1,
Glycerin 2, 2 WE a a t a a T a 25,0 com
Hendersonsche Phosphatmischung®) . . 170 „
Mit Wasser auf 1000 oom aufgefüllt.
Das rohe l-Leucin (aus Eiweiß des Weizenmehls) befreite ich
möglichst von Isoleucin als Kupfersalz durch die Extraktion
mit heißem Methylalkohol.
In einem vorher trocken sterilisierten, kurzhalsigen Kolben
von 1 Liter Inhalt trug ich 800 ccm Nährlösung mit 2,0 g l-Leucin
und 0,5 g Aluminiumphosphat ein und versetzte nach der Sterili-
sation im Dampftopf mit 20 Agarkulturen von Proteus. 5 Kolben,
d. i. 10,0 g l-Leucin wurden zunächst aufgearbeitet; die Verweil-
dauer im Brutschrank (37°) war 22 Tage. Nach Feststellung der
bakteriologischen Reinheit wurden sämtliche Flüssigkeiten unter
vermindertem Druck abdestilliert. Der sirupöse Rückstand mit
heißem Alkohol mehrmals erschöpfend extrahiert. Der Alkohol
wurde von neuem unter vermindertem Druck abgetrieben. Die
wässerige Lösung des letzten Rückstandes wurde nach Ansäuern
mit verdünnter Schwefelsäure erschöpfend mit Äther extrahiert.
Die ätherische Lösung, welche stark nach Isovaleriansäure roch,
wurde abgedampft, der Rückstand in wenig Wasser gelöst, mit
verdünnter Natronlauge neutralisiert und mit einer basischen
1) T. Sasaki, Journ. of biol. chem. 32, 527. 1917.
2) I. Otsuka, diese Zeitschr. 114, 84. 1921.
Bakterieller Abbau des 1-Leucins. 255
Kupferacetatlösung gefällt!). Nach Entfernung des Kupfers
mittelst des Schwefelwasserstoffes wurde das klare Filtrat wieder-
um mit verdünnter Schwefelsäure stark angesäuert und von
neuem mit Äther extrahiert. Nach Abdampfen des Äthers schieden
sich federartig angeordnete schöne nadelförmige Krystalle aus.
Sie wogen 3,95 g (ca. 40%, der Theorie). Die rohe Substanz schmolz
bei 66° (unkorr.). Nach der Umkrystallisation aus Benzol schmolz
sie bei 74° (unkorr.). Die wässerige Lösung, welche in 10,0 ccm
0,4665 g aus Wasser umkrystallisierter Substanz enthielt, drehte
bei 12,5° und im 1 dm-Rohr um 0,5° nach rechts. Mithin
[a] 3 = +10,72°.
0,1818 g Substanz : 0,2682 g CO, und 0,1138 g H,O.
CeHı203: Ber. C 54,51, H 9,16%.
Gef. 54,30, 9,45%.
Der Rückstand der sauren Extraktion wurde mit verdünnter
Natronlauge vorsichtig bis zu fast neutraler Reaktion neutralisiert
und dann unter Zusatz von gesättigter Natriumcarbonatlösung
stark alkalisch gemacht. Die alkalische Lösung von neuem mit
Äther extrahiert. Nach der Extraktion mit Äther wurde der
Auszug mit trockenem Natriumsulfat getrocknet, dann auf ein
kleines Quantum eingeengt und mit ätherischer Oxalsäurelösung
gefällt. Der Niederschlag wog 0,15g, schmolz bei 145—155°
(unkorr.) in einem zugeschmolzenen Capillarrohr und war stick-
stoffhaltig lch konnte ihn aber wegen der geringen Menge weiter
nicht charakterisieren.
Der ganze Versuch wurde noch einmal mit 8,0g l-Leucin
wiederholt und zwar mit beinahe demselben Resultate.
B. Versuch mit Bac. subtilis.
Unter ganz denselben Versuchsbedingungen wie beim vorigen
Versuche ließ ich die Kultur von Bac. subtilis auf 10,0 g l-Leucin
30 Tage lang einwirken. Durch dieselbe Art der Bearbcitung
konnte ich 2,3g rohe Leucinsäure in Krystallform gewinnen.
Diese schmolz unscharf zwischen 76—78° (unkorr.). Nach mehr-
maliger. Umkrystallisation aus Wasser schmolz sie scharf bei
77° (unkorr.). 1,2418g der reinen, im Vakuumexsiccator ge-
1) Vgl. T. Sasaki und I. Otzuka, Über den Abbau des l-Tryptophans
durch Proteusbakterien. Diese Zeitschr. 121, 167. 1921.
256 M. Arai:
trockneten Substanz drehte bei 12° und im 1 dm-Rohr um 1,25°
nach links. Mithin [a]5 = — 10,30°.
0,1306 g Substanz: 0,2607 g CO, und 0,1082 g H,O.
C,H,.03: Ber. C 54,51, H 9,16°%.
Gef. 54,44, 9,27%.
Beim zweiten Versuch wurde aus 10,0g l-Leucin 1,05g
rohe l-Leucinsäure gewonnen. Der Aufenthalt im Brutschrank
war dabei 23 Tage.
II. Die Isolierung von Isoamylamin aus l-Leucin durch Proteus.
Die dabei gebrauchte Nährlösung hatte folgende Zusammen-
setzung:
Natriumchlorid . . . 222 22220. 5,0 8
Kaliumbiphosphat . . . .. 2.22 2.0. 2,0 „
Ammoniumcarbonät . . . . 2 2 e à 1,0 „
Magnesiumsulfat . . . . 2. 2 2 2 220. 0,1,
Glyoerinn. 25,0 ccm
Milchzucker w a s 2 2.22% = 37% 1,0 g
Mit Wasser auf 1000 ccm gefüllt.
In einem 1 Liter fassenden Kolben trug ich 800 ccm Nähr-
lösung mit 0,5 g frisch gefälltem, feuchtem Uranylphosphat und
2,0 g l-Leucin ein. Ich arbeitete auf einmal mit 5 Kolben resp.
10,0 g l-Leucin. Nach der Sterilisierung im Dampftopf versetzte
ich jeden Kolben mit je 20 Agarkulturen von Proteus vulgaris
und ließ 18 Tage im Brutschrank stehen. Nach Konstatierung
unveränderter bakteriologischer Reinheit wurde der vereinigte
Inhalt aller Kolben unter vermindertem Druck abdestilliert.
Nach der erschöpfenden Extraktion des Rückstandes mit Aceton
wurde Aceton abgedanıpft. Die wässerige Lösung des letzten
sirupösen Rückstandes wurde sodann nach Ansäuerung im
Kumagawa-Sutoschen Flüssigkertsextraktor mit Äther aus-
gezogen. Der wässerige Extraktionsrückstand wurde mit ver-
dünnter Natronlauge vorsichtig bis zur schwach sauren Reaktion
neutralisiert, dann mit einer gesättigten Sodalösung stark alka-
lisch gemacht und weiter mit Äther extrahiert. Ich konnte dabei
nur 0,2 g l-Leucin zurückgewinnen.
Aus dem sauren Extrakte konnte keine definierbare Substanz
außer Bernsteinsäure (sehr reichlich: 4,8 g) isoliert werden.
Die ätherische Lösung der bei alkalischer Reaktion extra-
hierten Substanzen wurde mit wasserfreiem Natriumsulfat ge-
Bakterieller Abbau des }-Leucins. 257
trocknet, stark eingeengt und hierauf mit einer gesättigten
ätherischen Oxalsäurelösung gefällt. Isoamylamin wurde dabei
als Oxalat niedergeschlagen. Es wog 0,6g und schmolz bei 145
bis 155° (unkorr.). Das Oxalat wurde in verdünnter Salzsäure
aufgelöst und mit Äther behandelt. Isoamylamin wurde sodann
als Piatindoppelsalz in goldgelben Blättchen niedergeschlagen.
Sie verfärbten sich bei 210° und zersetzten bei ca. 247° (unkorr.).
Zur Analyse wurde die Substanz aus verdünntem Alkohol um-
krystallisiert.
Substanz 0,1023 g: 0,0342 g Pt.
Substanz 0,1090 g: 4,8ccm N (19,5°, 748,6 mm).
(C,H „N : HC1),PtCl,: Ber. Pt 33,41. N 4,80%.
Gef. 33,43, 5,06%.
Die Wiederholung des Versuchs ergab dasselbe Resultat.
Biochemischs Zeitschriit Band 122.
Über den Gehalt der roten Blutkörperchen an Trauben-
zucker und Chlor.
Von
M. Bönniger.
(Aus der Inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses
in Berlin-Pankow.)
(Eingegangen am 27. Juni 1921.)
Falta und Quittner!) haben in sehr zahlreichen Versuchen
den Nachweis zu führen gesucht, daß Traubenzucker, Kochsalz und
verschiedene andere Substanzen nicht in die normalen Blutkörper
eindringen. Erst Schädigung derselben in vitro sollen die Permea-
bilität ändern. Diese Ergebnisse konnten bisher von keinem Autor
bestätigt werden[Ege,Hagedorn,Andresen,E.J.Warburg?)).
Was zunächst den Traubenzucker betrifft, müßte im normalen
menschlichen Blut der Zuckergehalt des Plasmas, das Volumen
der Blutkörperchen von 45°, als normal angesehen, fast doppelt
so hoch sein, wie im Gesamtblut. Ich?) habe im Jahre 1908 als
erster auf die große Bedeutung der Frage der Verteilung des
Zuckers auf Plasma und Blutkörperchen für die klinische Unter-
suchung hingewiesen und zum erstenmal die Forderung auf-
gestellt, daß man das’ Serum untersuchen müsse. Indessen hat
sich herausgestellt, daß diese Differenzen des Zuckergehalts von
Blutkörperchen und Scrum nicht so erheblich sind, daß im
allgemeinen die Untersuchung des Gesamtblutes zu falschen
Ergebnissen führte. Viel tausendfache Untersuchungen haben
gezeigt, daß der Gesamtblutzucker des Menschen recht konstant
ist. Wären im strömenden Blut die Blutkörperchen zückerfrei,
so würde diese Konstanz nur möglich sein, wenn der Plasma-
zuckergehalt dem Plasmavolumen annähernd proportional wäre.
Ich habe in vielen hundert Serumuntersuchungen (spontan
geronnenes und möglichst schnell zentrifugiertes Blut) beim
i) Diese Zeitschr. 100 u. 114.
23) Diese Zeitschr. 107.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1908. Die Arbeit Hollingers ist eine
Abwehr der meinigen.
M. Bönniger: Gehalt d. roten Blutkörperch. an Traubenzucker u. Chlor. 259
normalen Menschen kaum höhere Werte gefunden, als sie für das
Gesamtblut angegeben werden. |
Endlich habe ich in zahlreichen vergleichenden Untersuchungen
unter den verschiedensten Bedingungen: Hirudinplasma, Fluor-
natriumplasma, spontan abgeschiedenes oder auch durch Defibri-
nieren mittels Glasstab gewonnenes Serum nur ganz unerhebliche
Differenzen des Zuckergehalts gefunden.
Ein paar Versuche bei diabetischem Blut führe ich an (Mikro-
methode Michaelis):
Titrationswerte
I II
Hirudin 2,2 1,75ccm ?!/,00-Kaliumpermanganatlösung
99 2,1 1,87 2] 29
Defibrin. 2,2 1,85 „ rn
29 2,3 1,9 2 „
Spontan 2,1 1,80 „ j
n 22 1,85 „ F
1,83 „ F
Was nun das Chlor betrifft, so wäre ja hier der Fehler nicht
so erheblich, da auch nach meinen Untersuchungen der Chlor-
gehalt der Blutkörperchen nur gering ist. Er schwankt etwa
zwischen 0,21 und 0,121). Auch hier habe ich wiederholt ver-
gleichende Untersuchungen an Hirudinplasma und verschieden
gewonnenem Serum gemacht. Mein Mitarbeiter Meyer - Bisch
hat solche veröffentlicht?). Es konnten nur unbedeutende und
nicht konstante Unterschiede gefunden werden. Hätten Falta
und Quittner recht, so müßte bei einem Blutkörperchen-
Cl-Wert von 0,17%, und einem Serum-Cl-Wert von 0,38, wie es nach
meinen Untersuchungen dem Mittel entspricht, und einem Blut-
körjerchenvolumen von 50%, der Cl-Wert des Plasmas 0,55 sein
statt 0,38. Es müßte ferner auch hier eine Abhängigkeit des
Serum-Cl-Wertes vom Volumen erkennbar sein?). Von alledem ist
keine Rede und für die Lehre Faltas und Quittners findet sich
nicht der geringste Anhalt.
1) Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 1912 u. 1919. Entgegen den
Angaben von Snapper (diese Zeitschr. 51) und Siebeck (Arch. f. exp.
Pathol. u. Pharmakol. 85) fand ich kein konstantes Verhältnis zwischen
Blutkörperchen- und Serum-Cl.
2) Ebenda 1919.
3) cf. die Cl-Kurve (Abb. 4), l. c. 1919.
177
Zur Kenntnis der Gewöhnung. V.
Entwöhnungsversuche.
Von
Johannes Biberfckd.
(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Breslau.)
(Eingegangen am 30. Juni 1921.)
Die Versuche, über die hier berichtet werden soll, sind bereits
im Jahre 1915 begonnen worden; infolge der Ungunst der Zeit
mußten sie, die schon ihrer Natur nach längere Zeit erforderten,
oft unterbrochen werden. Und auch jetzt kann ich noch keine
in jeder Richtung abschließenden Ergebnisse bringen, möchte aber
doch mit der Veröffentlichung nicht länger warten, da ich einige
positive, auch theoretisch interessante Resultate erhalten habe.
In der Literatur habe ich keine Angaben über Versuche gefun-
den, die auf eine experimentelle Unterbrechung experimen-
tell erzeugter Gewöhnung abzielten; in gewissem Sinne ge-
hört ja z. T. die gesamte Arzneibehandlung hierher, die man bei der
medizinalen Bekämpfung der Morphinsucht angewendet hat,
vor allem wohl haben die ersten Befürworter des Cocains als
eines Entwöhnungsmittels von seiner scheinbar erregenden Wir-
kung einen antagonistischen Einfluß auf die Morphindepression
erwartet. Wie falsch die theoretischen Voraussetzungen waren,
die zu dieser Empfehlung führten, zeigt am besten der traurige
Erfolg, den sie bei der Krankenbehandlung gehabt hat. Und
noch weniger experimentell begründet war die Anwendung
der Belladonna und ihrer Alkaloide als Antidot bei Morphinis-
mus!). — Theoretisch vielleicht besser gestützt, wenn auch allzu
schematisch, waren die Versuche, mit Hilfe eines von gewöhnten
1) Vgl. diese Beiträge II, Über dio Spezifität der Morphingewöhnung.
Diese Zeitschr. 77, 283.
Joh. Biberfeld: Gewöhnung. V. 261
Tieren gewonnenen Serums die Gewöhnung aufzuheben; zu siche-
ren Ergebnissen haben ja diese Bestrebungen nicht geführt.
In neuester Zeit, als meine Versuche größtenteils schon ab-
geschlossen waren, ist bezüglich der Frage der sog. Chinin-
gewöhnung einiges hierher Gehörige veröffentlicht worden. Unter
Chiningewöhnung versteht man bekanntlich die Erscheinung,
daß das Chinin bei vielen Malariakranken nach längerer Zufuhr
seine spezifische Wirkung auf die Malariaplasmodion einbüßt, und
das wird darauf zurückgeführt, daß die Parasiten infolge der Ent-
wicklung der aufeinanderfolgenden Generationen im chininbelade-
nen Medium eine gewisse Festigkeit gegen das Alkaloid erwerben.
Bilfinger (s. b.Neuschlosz) hat nun schon 1911 festgestellt,
daß es gelingt, durch Salvarsan die Chininfestigkeit eines Malaria-
stammes zu unterbrechen. 1919 hat Neuschlosz!) versucht, ob
auch mit Arsenik dasselbe Resultat zu erzielen ist: Er stellte die
Giftigkeit von Na. arsenicos. für normale Paramäcien, die in Heu-
jauche kultiviert waren, fest; in dieser Weise als unwirksam be-
fundene As-Konzentrationen der Kulturflüssigkeit waren nun in
seinen Versuchen imstande, die Chininfestigkeit zu brechen, d.h. in
dünnen Chininlösungen gezüchtete Paramäcien wieder annähernd
so empfindlich gegen Chinin zu machen wie normale. Er glaubt
auch analytisch feststellen zu können, daß gewöhnte Paramäcien
Chinin in höherem Masse zerstören als normale. Auffallend ist,
daß Neuschlosz keine Angaben darüber macht, wie die Kom-
bination von Arsenik und Chinin auf normale Paramäcien
wirkt; wenn man hierbei, was ja nicht unwahrscheinlich ist,
fände, daß auch hier eine für sich allein unwirksame As-Konzen-
tration eine für sich ebenfalls unwirksame Chininlösung giftig
macht, dann würde es sich natürlich in seinen Versuchen an
gewöhnten Paramäcien um eine einfache Summierung der toxi-
schen Wirkung, nicht um ein ‚„Brechen‘‘ der Gewöhnung handeln.
Der Grundgedanke, von dem ich in allen meinen Versuchen
ausging, war folgender. Die Morphinfestigkeit gewöhnter Tiere
wird, nachdem die Hypothese der Mehrzerstörung jetzt an-
scheinend wenigstens von Pharmakologen endgültig aufgegeben
ist, wohl allgemein als eine veränderte Reaktionsfähigkeit der
für das Alkaloid empfindlichen Organe angesehen. Demgemäß
war, wenn man die Gewöhnung unterbrechen wollte, ein Erfolg
1) Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 176, 223.
262 Joh. Biberfeld:
nur von Maßnahmen zu erwarten, die gerade eben die Reaktions-
fähigkeit beeinflussen könnten. Und hier war von vornherein
von der Zufuhr anderer Nervengifte kaum etwas zu erwarten,
zumal dann durch die Kombinationswirkung die Deutung eines
etwaigen Effekts wohl unmöglich gemacht worden wäre. Es mußte
vielmehr versucht werden, den Organismus im ganzen und
damit selbstverständlich auch die nervösen Zentren
umzustimmen. Pharmakologisch kamen deshalb nur solche
Substanzen in Frage, von denen man keine spezifischen, wohl aber
gewisse Allgemeinwirkungen erwarten konnte.
Am geeignetsten hierfür ist sicherlich die Zufuhr indiffe-
renter Säuren und Alkalien, deren Beeinflussung des Gesamt-
organismus wir aus den bekannten Stoffwechselwirkungen kennen;
als Beispiele hierfür seien folgende Versuche angeführt.
Junger Hund von 3000 g Gewicht wird vom 29. X. 1915 ab an steigende
Mengen Morphin gewöhnt; wirksame Anfangsdosis 0,01. Am 6.1 1916
Gewicht 4200 g; 5h 22° 15 Atemzüge in 30”, 5 38° 15 Atemzüge in 30”,
0,12 Morph. mur. suboutan. 56h 55’ 15 Atemzüge in 30”, 6h ebenso. Dann
wird mit den Dosen schneller gestiegen. 18. I. Gewicht 4300 g; 4? 55
14 Atemzüge in 30”, 5b 05’ 12 Atemzüge, 0,3 Morph. mur. suboutan; 5b 27’
11 Atemzüge, liegt ruhig, schläft aber nioht, 5b 42’ läßt manchmal den
Kopf sinken, 14 Atemzüge in 30°. 6h 04’ 13 Atemzüge in 30°. 20. I. Gewicht
4200 g; 4^ 58° 10 Atemzüge in 30”, 0,3 Morph. hydr. subcutan; 5è 31’
12 Atemzüge in 30”, 66 02’ 18 (!) Atemzüge in 30”. 21. I. 11 bis 11h 15’
40ccm?®/,0-H,SO,ineineHalsvene, keine Wirkung der Infusion erkenn-
bar; 12h 15’ 16 Atemzügei in 60” (2 mal gezählt), 0,1 Morph. subcoutan, 12h 15’
15 Atemzüge, 1h 45’ 13 Atemzüge. 22. I. 0,2 Morph.; keinerlei Wirkung
zu sehen. Auoh in den nächsten Tagen war mit 0,2 und 0,3 Morph. keine
Wirkung zu erzielen.
Säure hatte sich demnach als unwirksam erwiesen; scheinbar
besser war der Erfolg einer Alkaliinfusion in folgendem Versuche:
Junger Hund, 3400 g; vom 29. X. 1915 an Morphin, anfangs 0,02.
27. I. 1916 Gewicht 6000; 0,4 subcutan. 28. I. 6300 g; 4 15’ 15—17 Atem-
züge in 30” (mehrmals gezählt, 0,4 Morph. subcutan. 4h 42’ 23 Atemzüge
in 30°, 4h 55’ Defäkation, 5h 30’ 20 Atemzüge. 29. I. 9h 30’ 40 oom Injektion
von R/,o-Na0OH in eine Halsvene; nach Injektion von 32ocm wird die
Atmung etwas unruhig, Injektion abgebrochen; nach dem Abbinden normales
Verhalten. Gewicht 5700 g; 10h 35’ 14 Atemzüge in 30”, 10% 45’ 12 Atem-
züge in 30”, 0,2 Morph. subcutan, 11h 20° 12 Atemzüge, 12h 05° 14 Atem-
züge. 31. I. 4h 15’ 0,4 suboutan; nach kurzer Zeit Defäkation, Er-
brechen, leichter Schlaf. 5h noch ebenso; beim Anrufen oder bei
Geräuschen hebt er den Kopf, schläft aber bald wieder ein; 12 Atemzüge
in 60”. Um !/,7 Uhr noch ungefähr derselbe Zustand.
Gewöhnung. V. 263
Bei Wiederholung des Versuches an einem anderen Tiere
bekam ich aber ein ganz negatives Resultat:
Hund, 9000 g; vom 10. VII. 1916 an steigende Dosen von Morphin;
anfangs 0,04. 21. VIII. Gewicht 6300 g, 9% 7 Atemzüge in 30°, 0,32 Morphin
subcutan, 10% 7 Atemzüge in 30°, etwas müde, knickt mit den Hinterbeinen
ein. 22. VIII. 6300 g; 9% 30’ 7 Atemzüge in 30”; 10 bis 10% 30° 35 oom
a/o-NaOH (Herzaktion wird unregelmäßig) in eine Hals-
vene; nach der Infusion etwas Zittern, sonst niohte, 7 Atemzüge in 30.
10% 40’ 0,2 Morphin. 11h 10° 6—7 Atemzüge in 30”, 12% ebenso. Keinerläi
Symptome. 23. VIII. 6700 g, 8h 50’ 7 Atemzüge in 30”, 9% 45’ 6 Atemzüge
in 30” (2 mal gezählt), 0,3 Morph. suboutan. Keinerlei allgemeine Symptome,
10h 30’ 6 Atemzüge in 30” (2 mal gezählt), Tier ungewöhnlich munter. 11» 30’
7 Atemzüge in 30”.
Entgegen der Vermutung hatte also die durch Säure- bzw.
Alkalizufuhr bewirkte Änderung der allgemeinen Zelltätigkeit
nicht konstant ausgereicht, um die Reaktionsfähigkeit der
nervösen Zentren zur Norm zurückzuführen. Es darf dies schließ-
lich auch nicht befremden, da wir ja wissen, daß gerade diese
Zentren ihren chemischen (und damit wohl auch physikalisch-
chemischen) Aufbau auch andersartigen, selbst energischen Ein-
griffen gegenüber, z. B. bei andauerndem Hungern, im Gegensatze
zu anderen Organen recht konstant erhalten. — Mitbeteiligt an
der Einflußlosigkeit unserer Maßnahmen dürfte auch die schnelle
Entfernung des körperfremden bzw. überschüssigen Salzes, das
sich aus den infundierten Substanzen bildet, durch die Nieren
sein; alle fremden Salze werden ja schon in Stunden so gut wie
quantitativ aus dem Organismus entfernt.
Die Ergebnislosigkeit der bisher angeführten Versuche ließ
es auch als nutzlos erscheinen, die Wirkung von Infusionen
indifferenter Salze zu erproben.
Um weiterzukommen, mußte versucht werden, tiefer als
es mit den Infusionen möglich ist, in das Getriebe des Organismus
an einer bedeutsameren Stelle einzugreifen, d. h. es mußte ver-
sucht werden, besonders auf denjenigen Zellbestandteil einzu-
wirken, mit dem die Zellfunktion unmittelbar verknüpft ist, also
auf das Protoplasma, und zwar war wiederum nicht daran zu
denken, etwa das Protoplasma speziell der nervösen Zentren
beeinflussen zu wollen, sondern durch Eingriffe in den Gesamt-
bestand des Örganismus an lebendem Eiweiß war indirekt eine
Umstimmung der nervösen Elemente zu erstreben.
264 Joh. Biberfeld:
Als erstes Mittel hierfür wurde ein mittelstarker Aderlaß
gewählt; alle 3 angestellten Versuche gaben ein positives
Resultat:
1. Junger Hund, Gewicht 3400 g; vom 29. X. 1915 an Morph., Anfangs-
dosis 0,02. 20. I. 1916 Gewioht 6000 g, 4h 55’ 9—10 Atemzüge in 30” (mehr-
mals gezählt), 0,4 subcutan; 5" 30° 11 Atemzüge in 30”, 6% 12 Atemzüge
in 30’. 21.1. 5600 g; 100 com Blut aus der Carotis entnommen; keine
Morphininjektion. 22.1 Gewicht 5800 g, 0,2 Morphin subcutan; Er-
brechen. Nach ca. 20’ deutliche Zeichen von Stupor, läßt den Kopf sinken;
Atmung unregelmäßig. Ca. 1 Stunde post injectionem tiefer Schlaf; At-
mung 11 in 30°. Die Narkose hält mehrere Stunden an; noch 8 Stunden
nach der Injektion vermag das Tier sich nicht auf den Beinen zu halten. —
Während also am Tage vor dem Aderlasse 0,4 Morphin gar keine
Wirkung hatten, brachten am Tage nach diesem Q,2 eine lang-
dauernde, tiefe Betäubung hervor.
2. Hund, Gewicht 9000 g; vom 10. VII. 1916 an Morphin (s. o.);
25. VIII. 6000 g; 0,4 subcutan, keine Wirkung. 26. VIII. 5800 g, ebenso.
27. VIIL keine Injektion. 28. VIII. 5700 g, 0,32 Morphin, keine Wirkung,
nur etwas müde. 29. VIII. 5700 g; Aderlaß (ca. 100 ocom). 30. VIII. 5900 g;
9a 8—9 Atemzüge in 30”. 9b 05 0,32 Morph., 9% 35’ vielleicht etwas müde,
7 Atemzüge in 30”, 10h 10° 7 Atemzüge in 30”; 112 10’ 4 Atemzüge in
30”, knickt beim Stehen ein. — 12h 6 Atemzüge in 30”, die Müdigkeit ist
anscheinend vorbei, kniokt nicht mehr. — Also eine schwache zentrale,
aber eine sehr deutliche Wirkung auf das Atmungszentrum, die vor dem
Aderlaß auf diese Morphindosis nicht eintrat.
3. Hund, Gewicht 12 700 g; vom 11. VI. 1920 an Morphininjektionen;
zu mehreren Versuchefl benutzt (s. w. u.). 17. VIII. 10 700 g, 9 0,72 sub-
cutan, keine deutliche Allgemeinwirkung. 18. VIII. 10 700g; Aderlaß
(150 oom). 19. VIII. 11 100g; Tier ganz munter und normal, 9è 0,72;
sehr bald keuchende Atmung, 9% 25’ deutlicher Stupor, kämpft
mit dem Schlaf; 9h 35’ senkt den Kopf, schließt die Augen, 9% 45’
leichter Schlaf. — Der Zustand bleibt bis gegen 11è derselbe;
aufeinstärkeres Geräusch stehtdannder Hundauf. Die Müdig-
keit und der Stupor sind noch nachmittags erkennbar. 20. VII.
10 400 g; Tier noch müde, 9! 0,72 suboutan, 9b 20° leichter Schlaf, 10è steht,
aber noch sehr müde. 21. VIII. 10 200 g, 9% 0,72, starke Müdigkeit, kein
Schlaf. 23. VIII. 9500 g; 9% 15’ 0,72, keine Wirkung. — Die Atmung war
bei diesem Tiere, ebenso wie bei mehreren anderen Hunden, auch vor den
Injektionen so unregelmäßig, daß sie nicht als Maßstab für eine etwaige
Morphinwirkung dienen konnte!). |
Gegen die Verwertung dieser Versuche könnte man ein-
wenden, das Neuauftreten der Reaktion auf Morphin sei auf die
nach dem Blutverluste zu erwartende allgemeine Schwäche und
1) Vgl. auch bez. des Verhaltens der Atmung gewöhnter Hunde
diese Beiträge II, diese Zeitschr. 77, 285 Anmerk.
Gewöhnung. V. 265
verminderte Resistenzfähigkeit zu beziehen. Das ist sicher nicht
stichhaltig; denn selbst kurz nach der ja nicht übergroßen Blut-
entziehung bot das Tier ein ganz normales Aussehen und Betragen
und vollends am nächsten Tage war es vor der Morphininjektion
in nichts von einem normalen Tiere zu unterscheiden. — 'Theoretisch
möglich wäre die Annahme (vgl. diese Beiträge II, diese Zeitschr.
77, 284), daß die Gewöhnung auf dem Entstehen einer Art
von „Antikörpern“ beruhe, die im gewöhnten Tiere die Wir-
kung des Narkoticums aufheben, und daß der Aderlaß dann einfach
durch Entfernung dieser Substanzen aus dem kreisenden Blute die
Empfindlichkeit gegen Morphin wiederherstelle. Es ist aber bis
jetzt bekanntlich nicht gelungen, auf anderem Wege irgendwelche
Beweise für das Vorhandensein solcher Körper aufzufinden und
es erscheint daher wahrscheinlicher die wiedergewonnene Reak-
tionsfähigkeit der nervösen Zentren auf eine durch den Blutverlust
hervorgerufene Änderung des inneren Zellbetriebes zu be-
ziehen. Durch den Blutverlust kommt es zweifellos zu einem
umfangreichen Abströmen eiweißhaltiger Gewebsflüssigkeit in
das Blut und dies dürfte dann als in gewissem Sinne ‚„parenteral‘
zugeführtes Eiweiß angesehen werden, von dem wir ja bereits eine
Reihe von allgemeinen Wirkungen in den letzten Jahren kennen-
gelernt haben (Protoplasmaaktivierung Weichardts). —
Warum nun diese so supponierte Umstimmung des Gesamt-
organismus in der Richtung verläuft, daß sie die Empfindlichkeit
für Morphin vergrößcrt, ist natürlich nicht zu sagen. Von vorn-
herein hätte man vielleicht eher das Umgekehrte erwartet, daß
nämlich der Organismus durch die Auffrischung resistenter
gegen äußere Einwirkungen wird, wie wir es bei den therapeutischen
Erfolgen der ‚„Proteinkörpertherapie‘‘ bacillärer Erkrankungen
sehen.
Die Protoplasmaaktivierung zu therapeutischen Zwecken
geschieht wie bekannt meist in der Form intramuskulärer oder
subcutaner Injektion von Eiweißlösungen; auf Grund der genann-
ten Erwägungen habe ich versucht, ob sich auch auf diesem Wege
die Gewöhnung unterbrechen lasse; wegen der Schwierigkeit der
Beurteilung führe ich auch hier die Aufzeichnungen sämtlicher
Versuche abgekürzt an.
1. Hund, Gewicht 12 700 g; vom 11. VI. 1920 an Morphin, gut wirk-
same Anfangedosis 0,12. Am 19. VII. 11 000 g, 0,7 suboutan, nur Müdigkeit.
266 Joh. Biberfeld:
20. VIL 0,72; Müdigkeit. 21. VII. 10 100g (frißt schlecht), 0,72; keine
Wirkung. 22. VII. 10 500 g; 20com abgekochte Ziegenmilch sub-
cutan,keine Erscheinungen. 23. VIL 11 100 g, 0,72subcutan 9è 15’;
9h 30° Schlaf, aber leicht zu erwecken, hechelnde Atmung,
108 leichter Schlaf, Atmung selten: 8 in 30”, 106 40’ Schlaf, At-
mung 5—6 in 30”. 1230’ ebenso. — Der Schlaf hält bis gegen
an an, dann nur noch Müdigkeit. 24. VII. 10 500 g, 8% 50° 0,72 sub-
cutan. Müdigkeit, die deutlich etwas stärker ist als vor der Milchinjektion,
zeitweise ganz leichter Schlaf. 26. VII. 11 000 g, 0,72 9h 25°; 9% 35’ kämpft
mit dem Schlaf, 10% leichter Schlaf. 27. VII. 11 400 g; 0,72 subcutan, nur
Müdigkeit, kein Schlaf. — In den folgenden Tagen ebenfalls je 0,72 ohne
Änderung. Am 10. VIII. 11 000 g; 9% 30° 20 ccm Kuhmilch (zur Ver-
meidung etwaiger anaphylaktischer Symptome) und 0,72 Mor-
phin. Nur Müdigkeit. 11. VIII. 9% 0,72 Morphin, keine Wirkung.
— Ebensowenig Wirkung hatte am 16. VIII. eingespritztes
Kaninchenserum, während der am 18. VIII. vorgenommene Aderlaß
die Empfindlichkeit wiederherstellte (s8. o.).
2. Hund, Gewicht 11 500 g; vom 2. VIII. 1920 an gewöhnt, Anfangs-
dosis 0,1 Morphin. 30. VIII. Gewicht 10 200 g, 0,4 Morphin, nur Müdigkeit;
ebenso am: 31. VIII. und 1. IX. Am 2. IX. Gewicht 9000 g; 98 20 ccm
Ziegenmilch und 0,4 Morphin subcutan; nur Müdigkeit. 3. IX.
8800 g; 8» 50’0,4 Morphinsuboutan. 9è 10’starker Tremor, Müdig-
keit, läßt den Kopf sinken, 9 30°’ schließt, wenn ungestört, die
Augen. 10625’ leichter Schlaf. 11h ebenso, aber schon durch
ganz leise Geräusche erweckbar, dann sinkt der Kopf bald
wieder und die Augen werden geschlossen. 4. IX. 9000 g; 9b 0,4,
9% 10° kämpft mit dem Schlaf, schließt zeitweise die Augen,
9h 25’ liegt auf der Seite, schläft. 10 schläft ziemlich fest. 12h
ebenso. 5.1X. 8900 g; 0,4 Morphin, nicht weiter beobachtet.
6. IX. 8900 g; 9h 0,4, 9630’ starke Müdigkeit, kämpft mit dem
Schlaf. 1Ofschließtzeitweisedie Augen. 10h 30’ Betäubungschon
schwächer. 115 30° normal. 7. IX. 8900 g; 9% 10’ 0,4 Morphin; nur
Müdigkeit.
3. Hund, Gewicht 8000 g; 26. I. 1921 Anfang der Morphingewöhnung
(0,12); vom 16. II. ab je 0,4, vom 26. II. ab auf diese Dosis nur Müdigkeit.
Am 8. III. 30ccm Ziegenmilch und 0,4 Morphin. 9.IIL Gewicht
6100 g, 94.05’ 0,4 Morphin, 9h 12’ legt sich nieder. 9è 15’ Schlaf,
ziemlich fest, reagiertauf Berührung; Dauer bis gegen 11, auch
dannaber.noch starke Benommenheit, zeitweiseleichter Schlaf.
Gegen 12h annähernd normal. 10. III. 9h 12° 0,4, 9 20° leichter
Schlaf. Gegen 11 normal. 11. III. Gewicht 6200 g; 9h 14’ 0,4. 9r 20°
Müdigkeit, Benommenheit. 10% 30° normal. 12. IIL. 5900 g; 96 20° 0,4;
nur Müdigkeit, kein Schlaf.
In allen 3 Versuchen war demnach eine deutliche
Wirkung der parenteralen Behandlung mit Milch er-
kennbar; am Tage nach der Injektion brachte eine
Gewöhnung. V. 267
vorher infolge der Gewöhnung ganz unwirksam ge-
wordene Morphinmenge wieder allgemeine Betäubung
hervor. Auf die Beobachtung dieser habe ich mich meist be-
schränkt, da wie erwähnt, das Verhalten der Atmung beim Hunde
häufig nicht charakteristisch genug ist. Dadurch war natürlich
ein gewisses subjektives Moment nicht vermeidbar, ich glaube
aber die hierin liegende Gefahr vermieden zu haben, besonders
da ich alle Versuche von Mitbeobachtern kontrollieren ließ; in
den Protokollen habe ich nur verzeichnet, was die unmittelbare
Beobachtung ohne weiteres ergab.
Die Versuche sind insofern nicht abgeschlossen, als ich sowohl
die Auswahl des anzuwendenden Eiweißes als auch die Frage
der Dosierung nicht eingehender untersucht habe. Auch das ist
fraglich, ob, wie im ersten Versuche, eine zweite Injektion unwirk-
sam bleibt. — Weitere Versuche müssen hier Aufklärung bringen.
Einen Versuch habe ich mit subcutaner Injektion von Jod-
kalium angestellt, und zwar aus folgendem Grunde. Gottlieb!)
hat gefunden, daß Thyreoideaextrakt in 2 Versuchen die Morphin-
zerstörung hemmt. Wenn nun auch die Zerstörung des Morphins
sicherlich keine wesentliche Rolle bei der Gewöhnung spielt,
so war doch eine Einwirkung möglich, und deshalb habe ich als
Vorversuch Jodkalium eingespritzt. Scheinbar war der Ausfall
positiv, doch bedarf das noch durchaus weiterer Versuche.
Wie beschrieben, war die Wirkung unserer Eingriffe auch
in den positiv verlaufenden Versuchen nicht von Dauer; in ein-
zelnen Versuchen ist sie zwar noch am 2. und ganz schwach
vielleicht noch am 3. Tage erkennbar, das Wesentliche ist aber
mit dem 1. Nachtage erschöpft, die Unempfindlichkeit gegen das
Alkaloid ist wieder die alte. Dies ist natürlich von besonderer
Bedeutung für eine Verwertung des Ergebnisses beim Morphinis-
mus des Menschen, der allerdings nicht mit der Unempfindlichkeit
identisch ist, mit dieser aber wohl doch parallel geht. Trotzdem
glaube ich aber, daß ein Versuch auch hier gemacht werden soll,
da ja beide als wirksam gefundenen Maßnahmen — Aderlaß und
Eiweißinjektion — ganz ungefährlich sind. Es läßt sich erhoffen,
daß sie wenigstens dazu helfen können, dem Patienten die ersten
Tage der Entwöhnung mit ihren schweren Abstinenzerscheinungen
zu erleichtern.
ID. m. W. 1911, 23. Nov.
268 Joh. Biberfeld: Gewöhnung. V.
Im vorhergehenden haben wir den Einfluß parenteraler
Eiweißzufuhr auf einen, wenn man so sagen darf, chronisch-
pharmakologischen Vorgang kennengelernt; es lag nun nahe,
nachzusehen, wie die Eiweißzufuhr die akute pharmakologische
Wirkung beeinflußt. Hier war am ehesten etwas bei einer phar-
makologischen Wirkung zu erwarten, von der wir wissen, daß
sie unmittelbar von dem normalen Fungieren des Blutes, als des
Trägers der bei der Protoplasmaktivierung in Tätigkeit tretenden
Kräfte, abhängt. Als eine solche pharmakodynamische Wirkung
habe ich die Zerstörung des Atropins durch Kaninchen-
blut gewählt; diese Versuche sind begonnen.
Zusammenfassung.
Es wird über Versuche berichtet, die Gewöhnung an Morphin
bei Hunden zu unterbrechen. Unwirksam waren u.a. intra-
nenöse Injektionen von Säuren und Alkalien, wirksam
dagegen Aderlaß und parenterale Eiweißzufuhr. Hier-
durch war stets eine teilweise Wiederherstellung der Empfindlich-
keit gegen Morphin zu erzielen. Die Dauer dieser war nur kurz,
spätestens nach einigen Tagen war die alte Unempfindlichkeit
wieder vorhanden.
Über die Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogen-
gehalt der Organe.
Von
Curt Hornemann.
(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg
[Allgem. Krankenhaus St. Georg).)
(Eingegangen am 2. Juli 1921.)
Aus der Arbeit von Bornstein und Vogell)'war zu ersehen,
daß bei Hunden und Kaninchen nach subcutaner Pilocarpin-
injektion eine Hyperglykämie auftritt. Ich habe diesen Befund
in einigen Versuchen nachgeprüft und bestätigt gefunden (siehe
Tabelle II); er diente mir zur Grundlage für die Beobachtungen,
über die ich hier berichten möchte.
Bornstein und Vogel hatten gefunden, daß die Pilocarpinglykämie
sich antagonistisch durch Atropin beeinflussen läßt. Ein Eingriff, der sonst
häufig toxische Glykämien zu verhindern imstande ist, ist die Sauerstoff-
zufuhr. So gibt Seelig?) an, daß sich die Ätherglykosurie durch O, ver-
hindern läßt. Franz Müller?) gibt das gleiche für die Acetonglykosurie,
Bauert) für die Curaregiykosurie an. Jedoch lassen sich nach Seelig
Adrenalin- und Pankreasdiabetes nicht durch O,-Zufuhr beeinflussen.
Um die Wirkung der O,-Zufuhr auf die Pilocarpinglykämie
zu untersuchen, wurde im wesentlichen die Anordnung von Seelig
benutzt. Sauerstoff wurde durch die Vena femoralis in Mengen
von etwa 50 ccm pro kg Tier und Stunde zugeleitet. Nachdem
die O,-Zufuhr eine halbe Stunde im Gange war, wurde eine Blut-
probe entnommen, in der Blutzucker nach Bang sowie der
Hämoglobingebalt bestimmt wurde. Sofort nach der Blutent-
nahme wurde Pilocarpin. hydrochlor. 2—3 mg pro kg Tier sub-
cutan gegeben. Schon nach wenigen Minuten zeigten Speichel-
sekretion, Erbrechen und Durchfälle die Wirkung des Pilocarpins
an. Eine halbe Stunde nach der Injektion wurde wieder eine
Blutprobe entnommen. Es zeigte sich jedesmal eine Eindickung
270 C. Hornemann:
des Blutes nach Pilocarpin, gemessen am Hämoglobingehalt
(Autenriethsche Methode) von der Größenordnung, wie sie
Bornstein und Vogel beschrieben.
Über die Blutzuckerwerte gibt Tabelle I Auskunft.
Tabelle I.
Wirkung des Pilocarpins auf den Blutzucker bei Hunden
bei Sauerstoffzufuhr.
— Blutzuckerwerte
> a) vor Pilocarpin-Injektion. | b) !/,h nach Pilocarpin-Injektion
1 | 0,196 | 0,372
2 0,103 0,162
3 0,103 0,145
Aus dieser Tabelle geht hervor, daß auch nach Sauerstoff-
zufuhr eine starke Hyperglykämie durch Pilocarpin bewirkt wird,
daß also O,-Zuleitung die Erhöhung des Blutzuckers zu verhindern
nicht imstande ist.
Es erschien mir nun weiter von besonderer Wichtigkeit,
zu untersuchen, ob der Zucker aus dem Leberglykogen stammte.
Diese Versuche wurden auch an Hunden ausgeführt. Es kam
dabei vor allen Dingen darauf an, Tiere von gleicher Körper-
konstitution zu verwenden. Ich nahm deshalb 2 mal je 2 Hunde
vom gleichen Wurf, die im Institut geboren, 4 Wochen lang
Muttermilch erhalten, dann mit gleicher Kost gefüttert, annähernd.
ein gleiches Körpergewicht hatten. Beim 3. Versuch verwandte
ich 2 ganz junge im Institut geborene Tiere vom gleichen Wurf,
die gerade soweit waren, daß sie von der Mutter weggenommen
werden konnten. Je ein zusammengehöriges Paar dieser Hunde
wurde zu jedem Versuch benutzt. Der eine von ihnen bekam
Pilocarpin injiziert, während der zweite als Kontrolltier diente.
Um möglichst einwandfreie Resultate zu erzielen, tötete ich einmal
zuerst das Pilocarpintier und dann das Normaltier, das andere Mal’
verfuhr ich in umgekehrter Reihenfolge. Zwischen dem Tod der
beiden Tiere lag immer eine Zeit von !/,—1 Stunde. Die Tiere
hatten tags zuvor 5g Traubenzucker pro kg mit Schlundsonde
bekommen, was einer starken Zuckerbelastungsprobe beim Men.
schen entspräche, und hungerten dann bis zum Versuch etwa 20
Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogengehalt der Organe. 271
Stunden. Dem Normaltiere wurde zur Bestimmung des Hämo-
globin- und Blutzuckergehaltes aus der Ohrvene Blut abgenommen.
Hierauf wurde das Tier durch Schlag auf den Kopf getötet,
dann wurden sofort Leber, Muskel sowie bei einem der 3 Tierpaare
Milz und Niere herausgenommen. Die Organe wurden gleich
durch eine Fleischhackmaschine getrieben und in heiße bereit-
gestellte Kalilauge getan, um eine weitere Fermentation zu ver-
hindern. Die Fällung des Glykogens geschah nach Pflüger),
die Bestimmung des aus dem Glykogen durch Hydrolyse gewon-
nenen Zuckers nach .der Bertrandschen®) Methode. Bei einigen
Versuchen bestimmte ich das Glykogen gleichzeitig nach Ma-
quenne-Lehmann. Die Resultate beider letzten Methoden
stimmten völlig miteinander überein. Die polarimetrischen Be-
stimmungen des Glykogens selbst sowie titrimetrischen Bestim-
mungen des aus Glykogen gewonnenen Zuckers zeigten genügende
Übereinstimmung. Zur Berechnung der Glykogenmengen legte
ich die durch Titration gewonnenen Zahlen zugrunde, da sie eine
größere Sicherheit boten.
Bei den Pilocarpinhunden wurde nach Traubenzuckergabe
am Vortage, Hunger usw. wie bei den Kontrolltieren aus der
Ohrvene Blut zur Hämoglobin- und Blutzuckerbestimmung ent-
nommen, dann subcutan 3 mg Pilocarbin pro kg eingespritzt,
um nach 40—50 Minuten die Blutuntersuchung zu wiederholen.
Sofort nach zweiter Blutentnahme wurde das Tier getötet und
wie das Kontrolltier weiter verarbeitet.
Die Resultate sind in Tabelle II (S. 272) wiedergegeben.
Es zeigt sich in diesen Versuchen zunächst, was das Blut
anlangt, die gleiche Eindickung und Hyperglykämie, wie sie
„früher schon beobachtet war. Ich brauche darauf hier nicht weiter
einzugehen.
Bei allen Tieren zeigt sich ferner eine starke Verminderung
des Leberglykogens nach Pilocarpininjektionen und zwar sowohl
prozentual wie absolut. Der Glykogengehalt ging regelmäßig
auf ?/,—!/, des Normaltieres zurück; der Glykogenschwund ist
also so groß, wie bei den meisten glykosurisch wirkenden Giften,
z. B. dem Adrenalin. Weniger, aber auch deutlich, nimmt der
prozentuelle Glykogengehalt der Muskeln ab; immerhin ist bei
der großen Masse der Muskulatur die absolute Abnahme des
Glykogens nicht unbeträchtlich. Auch in Milz und Niere scheint
uonxgofug-updresorig 30p YV
C. Hornemann:
272
pung-uıdısoogtg (q
pung-[[0:13uoy (%
a uogope? woa uopung !0q AuuaFusdor4ig
"I POLL
OOTI | 1761 "TA ‘Z
mn mm > ae o ae e mann nn man -a mm mn mm —
uonzofur-updiesonfg ‘P I0A
Wirkung des Pilocarpins auf den Glykogengehalt der Organe. 273
eine Abnahme des Glykogengehaltes durch Pilocarpin bewirkt zu
werden.
Zusammenfassung.
1. Die Pilocarpinhyperglykämie wird durch O,-Zufuhr nicht
verhindert.
2. Bei der Pilocarpinhyperglykämie verschwindet der größte
Teil des Glykogens aus der Leber; weniger stark scheint der
Glykogenschwund der Muskulatur ausgesprochen zu sein.
Literatur.
1) Bornstein und Vogel diese Zeitschr. 118, 1. — ®) Seelig, Arch.
f. exp. Pathol. u. Pharmakol. 5%, 481. — °®) Müller, Arch. f. exp. Pathol.
u. Pharmakol. 46, 61. — *) Sauer, Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol. 49, 423,
— 5) Pflüger, Abderhalden Bd. II, S. 1070. — ®) Bertrand und Neu-
berg, Der Harn, Bd, I, S. 396.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 18
Parasympathicusgifte und Blutzucker.
Von
A. Bornstein und R. Vogel.
(Aus dem Pharmakologischen Institut der Universität Hamburg [( Kranken-
haus St. Georg].)
(Eingegangen am 2. Juli 1921.)
Vor einiger Zeit hatten wir die Beobachtung gemacht, daß
durch Pilocarpin bei verschiedenen Versuchstieren der Zucker-
gehalt des Blutes beträchtlich erhöht wird!). Kurze Zeit nach der
Pilocarpininjektion stieg der Blutzucker an, um nach einigen
Stunden wieder auf die Norm, meist sogar unter die Norm zu
fallen. Wir haben diesen Befund mit großer Regelmäßigkeit
immer wieder erhoben, er ist neuerdings durch Beobachtungen von
Hornemann?), ferner durch Versuche von Bornstein und
Müller?) bestätigt worden, so daß an seiner Richtigkeit nicht
gezweifelt werden kann.
Pilocarpin ist ein Parasympathicusgift, es reizt die Endigungen
aller vegetativen Nerven, die nicht dem sympathischen System
angehören, und ist in seiner Wirkung sehr spezifisch. Die Mut-
maßung liegt nahe, daß es sich bei der Pilocarpinglykämie eben-
falls um eine Parasympathicusreizung handelt, wenngleich natür-
lich auch eine zufällige Nebenwirkung des Giftes vorliegen könnte,
die mit dem Parasympathicus nichts zu tun hat. Atropin, das
ebenso typisch den Parasympathicus lähmt wie Pilocarpin ihn
reizt, zeigte sich deutlich als Antagonist des Pilocarpins in seiner
Wirkung auf den Blutzucker. Das spricht im Sinne unserer Ver-
mutung. |
Immerhin sind Gründe vorhanden, die gegen diese Theorie
1) Diese Zeitschr. 1921.
2) Im gleichen Heft dieser Zeitschr.
3) Werden demnächst publiziert.
A. Bornstein und R. Vogel: Parasympathicusgifte und Blutzucker. 275
sprechen, und sie sind so gewichtiger Natur, daß wir glaubten,
bei der Beschreibung der Pilocarpinglykämie zunächst von jeder
Deutung absehen zu müssen.
Seit den Versuchen von Claude Bernard und von Eckhard tber
den Zuckerstich weiß man nämlich, daß ein enger Zusammenhang zwischen
vegetativem Nervensystem und Zuckerstoffwechsel besteht, aber man weiß
such, daß beim Zucokerstioh der Impuls zur Zuckerbildung in der Leber
über den Splanchnicus, also über den sympathischen Nerven geht. Auch
von den Glykämien, die bisher nach Giften beobachtet wurden, wissen wir,
daß sie durch Sympathicusreizung entstehen, wenn überhaupt Nerven-
einfluß bei ihrer Entstehung im Spiele ist. So wirkt bekanntlich auch Adre-
nalin durch Sympathicusreizung. Daher zieht auch Pollack, der die
bekannten toxischen Glykämien und Glykosurien klassifiziert, die Möglich-
keit einer Entstehung durch Parasympathicusreizung kaum in Betracht.
Von späteren Autoren erwägt sie, soweit uns bekannt:ist, nur Mc Guigan,
um sie aber auf Grund seiner Pilocarpinversuche abzulehnen. Wir haben
schon in unserer ersten Arbeit ausgeführt, daß seine Versuche nicht be-
weisend sind.
Um die Frage zu klären haben wir zunächst noch eine Reihe
weiterer Beobachtungen mit Parasympathicusgiften angestellt.
Die Technik war im wesentlichen die gleiche wie bei unseren frühe-
ren Versuchen; die Bestimmungen wurden nach der Bangschen
Mikromethode ausgeführt, die Blutprobe immer morgens nüchtern
nach 10—20stündigem Hungern aus der Ohrvene entnommen.
I. Versuche an Hunden.
a) Physostigmin.
In allen Versuchen findet sich !/,—1 Stunde nach Verabfol-
gung des Physostigmin eine Erhöhung des Blutzuckers, die nach
2 Stunden wieder abfällt (siehe Tabelle I). Sie ist in einigen Ver-
suchen stark ausgesprochen, in anderen nicht so stark, aber immer-
hin noch deutlich die Fehlergrenzen überschreitend. Wir hatten
den Eindruck, daß gerade beim Physostigmin durch die starke,
psychomotorische Unruhe und namentlich durch den Tremor
und die Krämpfe der Anstieg des Blutzuckers etwas hintangehalten
wurde. Aus den Hämoglobinwerten der Tabelle I geht hervor,
daß das Physostigmin genau wie das Pilocarpin eine Blutein-
diokung bewirkt. Dadurch wird, wie schon in der früheren Arbeit
auseinandergesetzt, der Blutzucker eher erniedrigt. Im ganzen
wirkt Physostigmin in der gleichen Weise wie Pilocarpin auf den
Blutzucker ein.
18* .
276 A. Bornstein und R. Vogel:
Tabelle I.
Physostigmin.
Blutzucker
Versuch VOT- | ih h |
her lx : a
in % |in % |in % |in %
16. IIL 1921. 0,071 | 0,159 | 0,157 | 0,100
Graues Q 7,9kg,
8 mg Physostig-
min salicyl-sub-
outan.
6. ITI. 1921. 0,075 | 0,109 | 0,140 | 0,118 | Salivation. 71 89,75 | 102,5 | 99,5
Q 11,08 kg,
17 mg Physo-
stiemin salicyl-
subcoutan.
21. IIL 1921. 0,078 | 0.101 | 0,104 | 0,084 68 189,75 | 101 104
(Ders. Hund wie
6.IIL) 11,5 mg
Physostigmin
salicyl-subcut.
11. III. 1921. 0.084 | 0,100 |20" n. | 1n 20| 18° nach | 825 |785 |20 n. {1h20
g 15,5 kg, 7,5 mg Atro- | nach Inj. I: starke Atro- | nach
Physostigmin pin | Atro-| Salivation, pin | Atro-
salicyl, nach 0,112| pin Tremor, 655 | pin
jà 17°: 6 mg 0,067| Tracheal- 58,25
Atropin sulf. rasseln usw.
subeutan. 8’ n. Atropin
Erschei- )
nungen im
Abklingen.
b) Cholln und Acetylcholin.
Nach Cholinchlorid, subceutan gegeben, fand sich ebenfalls eine
deutliche Erhöhung des Blutzuckers, die schon sehr schnell nach
10—20 Minuten auftrat, und in 2 Versuchen sehr bald, in einem
langsamer wieder zurückging. Die gleiche Erhöhung des Blut-
zuckers fand sich nach entsprechend geringen Mengen von Ace-
tylcholin (siehe Tabelle II).
Cholin ist ein Stoffwechselprodukt des Körpers, von dem man
annimmt, daß es in ähnlicher Weise wie das Adrenalin für das
Zusammenarbeiten der verschiedenen Organe von Wichtigkeit
ist. Wie Adrenalin den Sympathicus reizt, so reizt Cholin den
Parasympathicus. Daß dieses physiologische Stoffwechselprodukt
von Einfluß auf den Zuckerstoffwechsel ist, erscheint uns daher
besonders bemerkenswert. In der Literatur findet sich eine
Angabe von Frank und Isaac!), daß durch Cholin der Blut-
1) Frank und Isaac, Zeitschr. f. exp. Pathol. u. Therap. 7, 335.
- — —— — —
277
Parasympathicusgifte und Blutzucker.
P z9 19 09 gg
‘TOYO "U ‚09 | "100 "u OF | "TOUD "U ‚08
16 98 LL LL 06
"Ir furu ‚og | "II Furu ,0g | "TI PU 0g | TUT U A
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278 A. Bornstein und R. Vogel:
zucker beim Hunde nicht erhöht wird. Die Blutentnahme war
1?/, Stunden nach der subcutanen Injektion des Cholins aus-
geführt worden. Nach dieser Zeit kann, wie aus unseren Ver-
suchen hervorgeht, die Wirkung des Cholins schon längst wieder
abgeklungen sein; auch die übrigen Erscheinungen nach Cholin
(Salivation, Erbrechen) sind meist recht flüchtig. Ein tatsäch-
licher Widerspruch zwischen unseren Versuchen und denen der
obengenannten Autoren besteht demnach nicht. — Cholin hat
nach Dale!) eine muscarinartige Wirkung, d. h. eine Wirkung
auf den Parasympathicus und eine nicotinartige Wirkung. Beide
Wirkungen können nach Dale dadurch voneinander getrennt
werden, daß nur die erstere durch Atropin sich aufheben läßt.
Es zeigt sich, wie aus Tabelle II hervorgeht, daß am atropinisierten
Hunde eine Steigerung des Blutzuckers nach Cholin nicht eintritt.
Die Cholinhyperglykämie läßt sich, wie, die analoge Erscheinung
nach Pilocarpin, durch Atropin verhindern.
Wir haben somit die wesentlichsten Parasympathiouareizgifte
untersucht, mit Ausnahme des Muscarins, das wir uns nicht ver-
schaffen konnten. Alle zeigten eine gleichartige Beeinflussung
des Blutzuckerspiegels. Sie wirken also insgesamt so, als ob durch
Parasympathicusreizung eine Vermehrung des Blutzuokers hervor-
gerufen würde. Hiermit stimmt überein, daß durch Atzopin
diese Hyperglykämie sich antagonistisch beeinflussen läßt. Wir
haben infolgedessen unseren folgenden Versuchen die Arbeits-
hypothese zugrunde gelegt, daß nicht nur durch Reizung des
Sympathicus, sondern auch des Parasympathicus eine Erhöhung
des Blutzuckerspiegels hervorgerufen werden könnte®). Wie aus
den Versuchen von Hornemann?) hervorgeht, wird diese Er-
1) Journ. of pharmaool. a. exp. therap. 6, 147 (zit. nach Zentralbl
f. Physiol. 1915).
2) Daß durch das übliche Schema „Sympathicus- resp. Parasympathi-
cusgift‘‘ auf dem Gebiete des Zuckerstoffwechsels ebensowenig eine voll-
ständige Beschreibung sämtlicher Tatsachen möglich ist, wie auf dem Gebiete
der Darminnervation, scheint uns selbstverständlich. Gerade Versuche
über Antagonismen, denen die nächste Mitteilung gewidmet sein soll,
sprechen in diesem Sinne. Dennoch schien es uns zweckmäßig, von der
Hypothese einer Parasympathicusglykämie auszugehen, da sie jedenfalls
die einfachste Interpretation unserer hier gegebenen Befunde bilden würde
und wir bisher über keine Beobachtungen verfügen, die unbedingt gegen
diese Hypothese sprechen.
2) Siehe die folgende Arbeit.
Parasympathicusgifte und Blutzucker. 279
höhung des Blutzuckers genau so durch Ausschüttung des Glyko-
gens, besonders aus der Leber, hervorgerufen, wie wir es auch für
die Sympathicusgifte wissen. Dennoch ist die Glykämie nach
Parasympathicusreizung, wie in einer späteren Arbeit wahrschein-
lich gemacht werden soll, von der durch Sympathicusreizung
erzeugten verschieden. — Gehen wir von dieser Hypothese aus,
so erscheint es uns für weitere Fragestellungen wichtig, ob nor-
malerweise ein Tonus im Parasympathicus besteht, der für das
Niveau des Blutzuckers von Bedeutung ist. Wir haben daher
mit kleinen und mit großen Dosen von Atropin Versuche angestellt.
Die Versuche mit kleinen Dosen haben wir schon früher!) erwähnt;
die mit großen Dosen sind in Tabelle III wiedergegeben. Sie
Tabelle III. Atropin.
Hämoglobin Blutzucker
Versuch
— — —
17. XII. 1920.
Hündin Q 16,63 kg. 6 mg
Atropin sulf. subcutan.
28. IV. 1921. 59,5 | 66,75 | —
Pintscher Q 15,97 kg. 12,3 mg
Atropin sulf. subcutan.
29. IV. 1921. 85,5 1825 | 82,5
Gelbe milzlose © 12,44 kg.
9,5 mg Atropin sulf. subcutan.
0,113 | 0,120 | 0,110
0,058 } 0,068 | —
0.088 | 0,074 | 0,08f
zeigen, daßdurch Atropin beim normalen Hunde keine Veränderung
des Blutzuckers gesetzt wird. Die Veränderungen, die sich in den
Zahlen finden, zeigen teils eine ganz geringe Zunahme, teils eine
geringe Abnahme nach Atropin. Diese Schwankungen liegen
durchaus innerhalb der Fehlergrenzen. Der Blutzucker scheint
also durch den normalen Tonus des Parasympathicus nicht be-
einflußt zu werden.
I. Beobachtungen an Diabetikern.
Außer am Tier haben wir aüch am normalen Menschen
Beobachtungen angestellt, ob durch Atropin bis zur doppelten
Maximaldosis (2 mg) eine Beeinflussung des Blutzuckers zu
1) L c.
è
280 A. Bornstein und R. Vogel:
erreichen wäre. Der Blutzucker blieb von Atropin unbeeinflußt.
Wir hatten jedoch, wie schon besprochen, festgestellt, da8 die
Hyperglykämie nach Pilocarpin und auch nach Cholin im Tier-
versuch sehr wohl durch Atropin verhindert werden kann. Wir
legten uns daher die Frage vor, ob nicht auch der Blutzucker
bei glykämischen Menschen einer solchen Beeinflussung durch
Atropin unterläge.
Es war uns von früheren. Beobachtungen her bekannt, daB
die Wirksamkeit des Atropins, das unter verschiedenen Bedin-
gungen dem menschlichen Körper einverleibt wurde, sehr wohl
aus der Pulsfrequenz beurteilt werden kann!). Wir bemerkten
schon bei unseren ersten Diabetikern, daß die Pulsfrequenz nicht
in dem Maße anstieg, wie wir es nach unseren sonstigen Erfah-
rungen erwarten durften, z. B.:
Auguste B. (Ulcus ventriculi), nach l mg Atropin subcuten
Anstieg der Pulsfrequenz von 52 auf 80 Schläge.
Pat. Börst (Diabetiker), 6% Zucker im Urin. Nach 1 mg
Atropin suboutan: Sinken der Pulsfrequenz von 66 auf 56 Schläge, dann
wieder Anstieg auf 68 Schläge ?/, Stunde nach der Injektion.
Worauf diese geringe Reaktion der Diabetiker dem Atropin
gegenüber beruht, vermögen wir nicht zu sagen. Es könnte sich
entweder um eine Veränderung der Reaktion des Vagus auf
Atropin oder um eine leichtere Zerstörung des Atropins im dia-
betischen Organismus handeln. Jedenfalls sahen wir uns ver-
anlaßt, nicht zu kleine Dosen Atropin zu benutzen, wenn über-
haupt ein Erfolg des Atropins eintreten sollte.
Wir verwendeten zunächst das Atropin subcutan und stellten
in einigen besonderen Kontrollversuchen fest, daß in der Be-
obachtungszeit von 1—1!/, Stunden der Zuckergehalt des Blutes
bei Diabetikern meist keine Veränderung zeigt, die über die
Fehlergrenzen der Untersuchungsmethode hinausgeht. Später
stellten wir auch Versuche mit intravenöser Injektion von
Atropin an, die den Vorteil hatten, daß auf diesem Wege das
Atropin schneller zur Wirksamkeit gelangt. Wir konnten dann
den Versuch gleich an den Kontrollversuch anschließen, indem
wir nach der ersten Blutentnahme einfach eine halbe Stunde
warteten, dann eine zweite Blutentnahme vornahmen, darauf
sofort Atropin intravenös injizierten und schließlich den Ver-
1) S. Brune, Inaug.-Diss, Hamburg 1920.
Parasympathicusgifte und Blutzucker.
281
Tabelle IV. Atropin bei Diabetikern.
16. IV. 1921.
Pat. Börst*) $ Diabetes.
Körpergew. 53 kg; 6%, Í
Zucker im Urin. 1 mg
Atropin sulf. subcutan.
22. IV. 1921.
Pat. Börst. 2 mg Atropin
sulf. subcutan.
20. IV. 1921.
Pat. Börst. 1 mg Atropin
sulf. subcutan.
13. V. 1921.
Pat. Börst, in den letzten
Tagen zuckerfrei, teils
0,1—0,4%, Zucker im
Urin. 2 mg Atropin sulf.
subcutan.
18. IV. 1921.
Pat. Franzen Q 45 kg.
65 Jahre Diabetes. 1 mg
Atropin sulf. subcutan.
23. IV. 1921.
Pat. Franzen. 2 mg Atro-
pin sulf. subcutan.
80. IV. 1921.
Pat. Hinsch 3 20 Jahre.
43 kg. Diabetes grav.
1,3 mg Atropin sulf. sub-
cutan.
11. V. 1921.
Pat. Steinborn 3 49 J.
Diabetes Aceton. 1,5 mg
Atropin sulf. subcutan.
nahme I
(vorher)
0,363
0,256
0,316
0,211
0,293
0,420
Eor Ent- Ent-
nahme II | nahme III
% in % in %
30
nach Inj.
0,879
20
nach Inj.
0,230
1ħ
nach Inj.
0,297
35
nach Inj.
0,223
nach Inj.
0,346,
0,284
Blutzucker
nahme IV InahmeV
12 10
nach Inj. | nach Inj.
0,384 0,378
55 12 30 2h
nach Inj. | nach In). |n. Inj.
0,230 | 0,22
1R 20°
nach Inj.
0,210
12 16
nach Inj.
0,276
12 20
nach Inj.
0,277
1b 20
nach Inj.
0,295
1b 10°
nach Inj.
0,359
*) Patient Börst reagierte auf die erste Atropininjektion mit der
Pulsfrequenz nicht in der üblichen Weise; er zeigte dabei kein Sinken,
sondern einen leichten Anstieg des Blutzuckers.
Ein solcher Anstieg
findet sich gelegentlich auch sonst nach Hungern allein (siehe Patient
Hardwig). — Später reagierte Börst sowohl mit der Pulsfrequenz wie
mit dem Blutzucker auf Atropin. Als der Blutzucker zuletzt so weit
sank, daß der Urin zuckerfrei wurde, trat eine Reaktion des Blutzuckers
auf Atropin nicht mehr auf.
282 A. Bornstein und R. Vogel:
ae a ne
Blutzucker
Ent ſ
nahme Í|
——
14. V. 1921. n
Pat. Steinborn 3 1 mg rer.
Atropin sulf. intravenös. | 0,494
Vorher 1P nach Entn. I
bis Entn. Il gehungert!
|
21. V. 1921. |
Pat. Hardwig 3 69 Jahre.
5l,5kg. Urinzucker 1,9°%/,. | 0.190 |
1b Hunger zwischen Ent- |
nahme I u. Entnahme HI.
Wie beim vorigen Ver- |
t
|
|
|
such. Dann 1,5 mug Atro-
pin subcutan und nach 20
nochmals 1 mg Atropin
subcutan.
Zwischen Entnahme I u.
Entnahme II 1b Hunger.
1,5 mg Atropin sulf. intra-
venös.
19. V. 1921. ' nach 45’ | n. 16207 | nach |
Pat. Jesper Q Diabetes. | 40’ 1 35’.
2,7 mg Atropin Bub- n. Inj. I.
cutan. oem 0.193 0,196 0.194
20. V. 1921. I nach IR 40
Pat. Noth J 47 Jahre. : Hunger. |u. Inj. IL
59,0 kg. Diabetes, coma- | 0,370 0,378 + 0355
töse Atmung, Pericarditis. |
Zwischen Entnahme I u. |
Entnahme II Ih Hunger. j
l mg Atropin intravenös. | |
27. V. 1921. nach 1e | 25° |
Pat. Dammann g Dia- ' Hunger.
betes. 6,1%, Zucker. 0,274 | 0,269 0,235
|
|
n. Inj. IT. |
nn mn mn
such nach einer weiteren halben Stunde mit einer dritten Blut-
entnahme beendigten.
Die Versuche wurden stets nüchtern 12—13 Stunden nach
der letzten Mahlzeit angestellt. Das Blut wurde aus den Ohr-
läppchen durch einen nicht zu kleinen Schnitt entnommen. Da
gerade beim Diabetiker die Blutzuckerwerte durch ein Schwanken
der Blutkonzentration vielleicht stärker beeinflußt werden können
als beim normalen Menschen, legten wir besonderen Wert auf
fortlaufende Bestimmungen des Hämoglobingehaltes. Es zeigte
Parasympathicusgifte und Blutzucker. 283
sich fast immer keine Veränderung. Die Blutprobe nach Atropin-
injektion entnahmen wir fast immer erst nachdem die Puls-
frequenz ihre maximale Höhe erreicht hatte.
Wir haben bisher 8 Diabetiker beobachtet, von denen 4
deutlich mit einem Abfall des Blutzuckers reagierten, der
die Fehlergrenze wohl sicher überschritt. (Patienten Hinsch,
Steinborn, Dammann, Börst.) In 3 weiteren Fällen war eben-
falls ein Absinken des Blutzuckers zu finden, das aber wohl
noch als innerhalb der Fehlergrenzen liegend beurteilt werden
muß (Patienten Noth, Franzen, Jesper). 2 weitere Patienten
reagierten nicht mit einer Veränderung des Blutzuakers auf
Atropin.
Es geht u. E. aus diesen Beobachtungen die über-
raschende Tatsache hervor, daß im Krankheitsbild
mancher Diabetiker eine Komponente enthalten ist,
die sich durch das den Parasympathicus lähmende
Gift Atropin ausschalten läßt.
Von unseren Fällen sind es nicht wenige, die zu dieser
Gruppe gehören. Es scheint sich demnach nicht um einen Aus-
nahmezustand zu handeln. Man könnte sogar die Frage auf-
werfen, ob nicht vielleicht bei allen Diabetikern eine solche
Komponente enthalten ist und ob bei der geringen Empfindlich-
keit der Diabetiker dem Atropin gegenüber nicht vielleicht in
den negativ verlaufenden Fällen unsere Atropindosis zu gering
gewesen ist. Auf diese Frage geben unsere Versuche keine
Antwort.
Auch über die sonstigen Bedingungen, unter denen die Sen-
kung der Glykämie durch Atropin auftrat, können wir wenig aus-
sagen. Auffallend ist der Befund bei Patient Börst, der bei hohen
Blutzuckerwerten deutlich auf Atropin reagiert, während sich
später, als der Blutzucker niedriger wurde (er sank auf 0,21%)
keine Beeinflussung durch Atropin zeigte. Während dieses
letzten Versuches war im Urin des Patienten kein Zucker mehr
enthalten.
Diese Tatsachen scheinen uns für die Theorie des Diabetes
nicht unwichtig zu sein. Wir berichten nur kurz über sie, ohne
uns an dieser Stelle vorläufig über ihre theoretische und thera-
peutische Bedeutung weiter auslassen zu wollen.
984 A. Bornstein und R. Vogel: Parasyınpathicusgifte und Blutzucker.
Zusammenfassung.
l. Sämtliche bisher untersuchten Reizgifte des parasympathi-
schen Nervensystems erhöhen den Blutzucker normaler Hunde.
Es wurden bisher untersucht: Pilocarpin, Physostigmin, Cholin
und Acetylcholin.
2. Wie alle parasympathischen Funktionen wurde das
Zustandekommen dieser Glykämien durch Atropin verhindert
bzw. verlangsamt.
3. Bei einer Anzahl von Diabetikern wurde der Blutzucker
durch Atropin herabgesetzt.
Die Verteilung der Chinaalkaloide im Organismus.
II. Mitteilung.
Von
Alfred Schnabel.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität in Basel.)
(Eingegangen am 4. Juli 1921.)
Über den eigentümlichen Verlauf des Alkaloidspiegels im
Serum von Tieren, denen Optochinlösungen intravenös ein-
gespritzt wurden, wurde an anderer Stelle!) berichtet. Auf Grund
von Versuchen wurde dort gezeigt, daß der Optochinspiegel
im Serum der Tiere wenige Minuten nach der intravenösen In-
jektion nur wenige Bruchteile (3—6%,) der eingespritzten Alkaloid-
menge anzeigt, um dann wieder anzusteigen und allmählich
abzusinken. Zur Erklärung dieser Erscheinung wurden Reagens-
glasversuche mit Optochin und Blutkörperchenaufschwemmungen
verschiedener Tierarten und des Menschen herangezogen, aus
denen hervorging, daß der Alkaloidspiegel in der Suspensions-
flüssigkeit (Serum) auch im Reagensglas nicht konstant bleibt,
sondern daß der Optochingehalt des Serums nach der anfänglich
durch Adsorption bedingten Abnahme allmählich zunimmt, ohne
daß in den Milieuverhältnissen irgendeine Änderung vorgenommen
worden wäre. Es wurde ferner vermutungsweise ausgesprochen,
daß dasselbe Verhalten wie die roten Blutkörperchen, d. h. nach
anfänglicher Aufnahme des Alkaloids darauffolgende Abgabe
desselben — auch die anderen Körperzellen zeigen dürften und
daß dieser Erscheinung eine besondere Bedeutung für den Verlauf
des Alkaloidspiegels im Tierexperiment zukommt.
In demselben Aufsatz wurden auch einige andere Fragen
andeutungsweise angeschnitten, so diejenige hinsichtlich der
1) Diese Zeitschr. 112. 1920.
286 A. Schnabel:
Natur des Vorganges der Alkaloidaufnahme durch die Erythro-
cyten, ob es der rein physikalische Vorgang der Adsorption oder
eine chemische Bindung des Alkaloids sei, u. a. m. Der Zweck
dieser Mitteilung ist es, über Versuche, die sich auf die Ent-
scheidung der betreffenden Fragen beziehen, zu berichten.
Die Technik des Optochinnachweises war dieselbe, wie die
in der erwähnten Arbeit angewendete, jedoch unter Berück-
sichtigung der späteren Modifikation.
Zur Feststellung des Verhaltens von Organzellen den China-
alkaloiden gegenüber wurden die Organe von menschlichen Leichen,
von Kaninchen und Meerschweinchen verwendet. Da sich zwischen
den Organzellen dieser Arten keine wesentlichen Differenzen er-
geben haben, seien nur die mit Meerschweinchenorganen aus-
geführten Versuche angeführt.
Ein 430 g schweres ungebrauchtes Meerschweinchen wird vollkommen
entblutet, das Gehirn und beide Nieren werden im Mörser getrennt ver-
rieben, in 0,85 proz. Kochsalzlösung aufgeschwemmt, durch Gaze filtriert
und zentrifugiert; die nach dem Zentrifugieren über dem Sediment stehende
milohige Flüssigkeit wird abpipettiert und das Gehirn bzw. Nierensediment
in frischer, steriler NaCl-Lösung gut verteilt. Mehrere Röhrchen mit je
1,9ocm der Gehirn- bzw. Nierenaufschwemmung werden mit je 0,l ccm
einer l promill. Optochinlösung gemischt und in die Brutkammer (37° C)
gestellt. Nach 2, 30, 60 und 90 Minuten wird je ein Röhrchen mit der
Gehirn- bzw. Nierenaufschwemmung zentrifugiert und die darüberstehende
zelfreie Flüssigkeit auf ihren Optochingehalt geprüft. Die gefundenen
Optochinkonzentrationen waren:
Für die Gehirnaufschwemmung:
1. Probe, nach 2 Min. zentrifugiert 1 : 60 000
> j » 30 » » 1:70000 (anstatt d. rechnungsgemäß
3 y „»„ 680 ,„ j 1 : 50000 erwarteten 1 : 20 000).
: „ » 290 „ e 1 : 40 000
Für die Nierenaufschwemmung:
l. Probe nach 2 Min. zentrifugiert 1 : 40 000 (anstatt d. rechnungsgemäß
2. „ „ 30 „ T 1 : 60 000 erwarteten 1: 20 000).
3. 39 e9 60 29 „ l: 40 000
4. „ » 90 ,„ n 1 : 30 000
Aus obigen Versuchen ist zu ersehen, daß sich Organzellen
im wesentlichen ähnlich verhalten wie die Erythrocyten, indem
sie das Alkaloid aus der Lösung zuerst aufnehmen, um es dann
allmählich an die Umgebung abzugeben, und zwar vollzieht sich
dieser Vorgang erst nach einer gewissen Zeit, im erwähnten Bei-
Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. lI. 287
spiel nach ca. 1 Stunde. Denn anstatt der Optochinkonzentration
1 : 20 000 findet sich schon nach 2 Minuten in der Flüssigkeit,
in der die Gehirnzellen suspendiert sind, nur eine solche von
1 : 60 000, also fast 70%, weniger. Nach 30 Minuten tritt diese
Abnahme noch stärker in Erscheinung, offenbar verstreicht erst
einige Zeit, bis sich das Gleichgewicht hergestellt hat. Nach wei-
teren 30 Minuten aber und noch mehr nach insgesamt 90 Minuten
tritt eine deutliche Zunahme des Optochingehaltes in der Sus-
pensionsflüssigkeit ein.
Bei der Nierenaufschwemmung spielt sich der Vorgang in
analoger Weise ab; wohl bestehen quantitative Unterschiede in
der Art, daß die Gehirnaufschwemmung mehr vom Alkaloid
aufgenommen hat. Denn nach 2 Minuten findet sich in der.
Suspensionsflüssigkeit der Nierenaufschwemmung eine Konzen-
tration von 1 :40000, also 50% weniger als rechnungsgemäß
erwartet werden konnte. Auch hier erfolgt zuerst eine weitere
Abnahme der Optochinkonzentration in der Außenflüssigkeit,
die jedoch bei weiterem Stehen bei 37° einer Zunahme Platz
macht. Aus diesen quantitativen Unterschieden zwischen der
Gehirn- und Nierenaufschwemmung lassen sich aber keine Schluß-
folgerungen ableiten, etwa im Sinne einer ausgesprocheneren
Aufnahmefähigkeit der Gehirnsubstanz, da ja die Versuchs-
bedingungen sonst nicht vollkommen identisch sind. Die Größe
und Zahl der adsorbierenden Oberflächen sind in beiden Fällen
nicht gleich und dadurch können in erster Linie quantitative
Differenzen verursacht werden.
Im Anschluß an diesen letzten Versuch sei auf neuere Arbeiten von
Ramsden, Lipkin und Whitley, ferner von Lipkin hingewiesen,
welche die Speicherung des Chinins durch verschiedene Organe unter-
suchten und dabei wesentliche Unterschiede zwischen einzelnen Organen
feststellen konnten. So erwiesen sich in erster Linie die Nebennieren, ferner
die Milz und die Nieren als in hohem Grade befähigt, Chinin zu speichern.
Auch fanden diese Autoren, daß einzelne Organe, wie Leber, Nieren, Muskeln,
Darm und vielleicht auch Pankreas das Chinin weitgehend zu zerstören
vermögen, wobei sich ein noch wirksames Produkt, das Chitenin, bildet.
Die Annahme, daß der eigentümliche Verlauf des Optochin-
spiegels im Serum der intravenös gespritzten Tiere durch das
erwähnte Verhalten der Blutkörperchen und Organzellen bedingt
sei, erscheint also durch obige Versuchsergebnisse weitgehend
gestützt. Denn wenn im Reagensglas ein Anstieg ohne Schaffung
288 A. Schnabel:
eines anderen Gefälles — wie es z. B. durch Wechsel der Suspen-
sionsflüssigkeit entstehen könnte — möglich ist, dann sind die
Bedingungen im tierischen Organismus hierfür noch günstiger,
da durch die definitive Ausscheidung des Alkaloids aus dem Kreis-
lauf ein geändertes Gefälle zwischen den Zellen und der Blut-
und Gewebsflüssigkeit tatsächlich entsteht.
Im Zusammenhang damit sei noch auf eine Möglichkeit hin-
gewiesen, die, wenn auch indirekt, für den Verlauf des Alkaloid-
spiegels mitverantwortlich sein kann. Es ist die innige Beziehung
zwischen dem Blut- und Lymphkreislauf. Das in die Blutbahn
gebrachte, kristalloid gelöste Alkaloid verläßt, sofern es nicht
adsorbiert wurde, prompt die Blutbahn und gelangt in die peri-
vasculären Lymphräume. Von hier kann es, wenn es nicht voll-
ständig adsorbiert wird, auf dem Wege des Ductus thoracicus
in die Blutbahn gelangen. Es ist ohne weiteres verständlich,
daB auch dieser Umstand von Einfluß sein kann. Allerdings
kommt auch hier die Abgabe des Alkaloids durch die Zellen
an die Umgebung und die dadurch bedingte Erhöhung des Opto-
chinspiegels in erster Linie in Betracht, so daß sich dieser regu-
latorische Einfluß der Lymphwege als ein indirekter darstellen
würde.
Auf die wichtigen Beziehungen des Ductus thoracicus zum Blutkreislauf
haben zuletzt Teale und Embleton in einer Studie über die Verbreitungs-
wege der bakteriellen Exotoxine aufmerksam gemacht. Diese Autoren
injizierten u. a. auch Tetanustoxin Katzen intravenös und konnten bereits
nach 5—10 Minuten das Toxin im Ductus thoracicus nachweisen. Sie
weisen darauf hin, daß dieser niedrig molekulare Körper aus den Capillaren
sofort in die Spalträume des Bindegewebes, von dort in den Ductus thora-
cicus und mit dem Chylus wieder ins Blut gelangt.
Ein wichtiger Beleg für die Bedeutung der Abgabe des
Alkaloids durch die Zellen konnte von Versuchen erwartet werden,
bei denen es nachzuweisen gelänge, daß in einer durch Defibrinieren
gewonnenen Blutprobe, die einem kurz vorher mit Optochin
intravenös gespritzten Tier entnommen worden war, der Optochin-
gehalt im Serum dieser Probe nach einiger Zeit ansteigt. Ein
derartiger Versuch sei hier angeführt.
Ein 2 kg schweres Kaninchen erhält 10 ccm einer Optochinverdünnung
1 : 500 in eine Ohrvene eingespritzt. Nach 3 und nach 20 Minuten wird
je ein Aderlaß gemacht, jedesmal ein Teil des Blutes sofort zentrifugiert,
der andere zuerst defibriniert, 2 Stunden bei 37° C stehengelassen und dann
erst zentrifugiert. Von sämtlichen 4 Blutproben wird das Serum auf seinen
Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus, IT. 289
Gehalt an Optochin untersucht. Berechnet man die Blutmenge des Kanin-
chens mit !/,, des Körpergewichtes, also mit ca. 140 com, dann sollte die
Optochinkonzentration im Blute nach Injektion der obengenannten Opto-
chinmenge 1: 7500 betragen, wenn keine Adsorption und Diffusion ein-
treten würde. Im Serum der nach 2 Minuten entnommenen und olıne
Defibrinieren sofort zentrifugierten Blutprobe ist aber nur eine Optochin-
verdünnung von kaum 1 : 200 000, also weniger als 4%, nachweisbar; in
der zu gleicher Zeit entnommenen, jedoch vorher defibrinierten und 2 Stun-
den bei 37° C stehengelassenen Probe beträgt die nachweisbare Optochin-
konzentration im Serum 1 : 100 000, also ca. 8%. Der Vollständigkeit
halber sei angeführt, daß die Optochinkonzentration des Serums der ohne
2stündiges Stehen untersuchten, defibrinierten Blutprobe ebenfalls nur
1 : 200 000 betrug. Das Serum der 20 Minuten nach der intravenösen
Injektion entnommenen und sofort zentrifugierten Blutprobe enthält das
Optochin in einer Verdünnung 1 : 800 000, also kaum 0,5%, der Ausgangs-
menge; das zur gleichen Zeit entnommene, jedoch defibrinierte und 2 Stun-
den bei 37° stehengelassene Blut zeigt einen Optochingehalt im Serum
von 1: 200.000, also 4%.
Aus diesem Versuch ist zu ersehen, daß der tatsächliche Gehalt
des Vollblutes an Alkaloid ein höherer ist als der im Serum nach-
weisbare und daß sich das Alkaloid ungleichmäßig zwischen Ery-
throcyten und Suspensionsflüssigkeit verteilt; dieser Unterschied
im Optochingehalt verwischt sich aber allmählich zugunsten des
Serums, wenn man das Blut vorher defibriniert und stehen läßt.
Es tritt dann das ein, was in früheren Reagensglasversuchen
gezeigt wurde und als wahrscheinlicher Vorgang im Kreislauf
angenommen wird, nämlich eine Abgabe des Alkaloids durch die
Erythrocyten an das umgebende Medium. Dieser Anstieg doku-
mentiert sich also auch hier hauptsächlich als Funktion der Zeit.
Im Anschluß an den letzten Versuch sei jedoch auf einen
Einwand aufmerksam gemacht, der mit Recht sowohl hier als
auch gegen die schon früher (l. c.) mitgeteilten Versuche erhoben
werden könnte; es ist dies der Einwand, daß das Defibrinieren
des Blutes für den Ausfall der Versuche nicht ganz belanglos sei,
daß vielleicht sowohl die Aufnahme als auch die beobachtete Ab-
gabe des Alkaloids durch die Erythrocyten eine Folge. der durch
das Defibrinieren bedingten Schädigung der Erythrocyten-
membran sein könnte. Diese Frage hat gerade in der letzten Zeit
im Zusammenhang mit Untersuchungen über die Permeahbilität
der roten Blutkörperchen für verschiedene Ionen, Zucker usw.
zu einer lebhaften Diskussion geführt. So behaupten Falta und
Richter- Quittner, daß die Angaben über die Verteilung von
Biochemische Zeitschrift Band 122. 19
290 A, Schnabel:
Stcffen zwischen Blutkörperchen und Plasma für das zirkulierende
Blut nicht zutreffen; sie finden, daß die Blutkörperchen vom Hiru-
dinblut weder Chlorionen, noch sonstige Elektrolyte, noch Glykose
enthalten und daß derartige Befunde nur dann möglich seien,
wenn die Erythrocyten durch Zusatz von Kalium oxalatum,
Natriumfluorid oder durch Defibrinieren geschädigt wurden;
in die Blutkörperchen gelangte Substanzen dieser Art würden
sofort wieder austreten oder zerstört werden. Auch Brinkmann
und van Dam geben an, daß d.e roten Blutkörperchen unter
physiologischen Umständen völlig impermeabel seien, solange
kein Gerinnungsanfang eingetreten sei. Diese Angaben konnten
von Ege, Hagedorn, Gad Andresen, Warburg u. a. nicht
bestätigt werden; diese Autoren fanden auch die durch Zentri-
fugieren oder Hirudinzusatz gewonnenen Erythrocyten für Ionen
und Glucose durchgängig. |
Bei diesem Sachverhalt lag es nahe, auch für die China-
alkaloide die Bedeutung des Defibrinierens im Vergleich mit
einem anderen Verfahren der Blutkörperchengewinnung fest-
zustellen. Ein diesbezüglicher Versuch sei angeführt.
Einem großen Kaninchen werden durch Herzpunktion 30 com Blut
entnommen; 15 ocm davon werden sofort zentrifugiert, die zweite Hälfte
mittels Glasperlen defibriniert und durch sterile Gaze filtriert. In 2 parallelen
Reihen werden in mehreren Röhrohen je 1,9 com der durch Zentrifugieren
bzw. durch Defibrinieren gewonnenen Blutkörperchenaufschwemmungen
mit je 0,1l oom einer l promill Optochinlösung gemischt und in die Brut-
kammer (37°C) gestellt. Nach 5, 30, 60, 90 und 120 Minuten wird je
1 Röhrchen des durch Zentrifugieren bzw. Defibrinieren gewonnenen
optochinhaltigen Blutes zentrifugiert und das darüberstehende Serum auf
seinen Gehalt an Optochin untersucht. Sohon die äußere Betrachtung
beider Serumproben belehrt darüber, daß das durch Defibrinieren mittels
Glasperlen gewonnene Blut relativ stark geschädigt wurde. Das Serum dieser
Probe ist deutlich hämolytisch im Vergleich mit dem klaren Serum der
zweiten, durch Zentrifugieren gewonnenen Blutprobe. Daß nicht etwa das
zugesetzte Optochin diesen Unterschied verursacht hat, beweist ein Ver-
gleich der Blutproben ohne Optochin. Die Bestimmung des Optochin-
gehaltes ergibt Folgendes:
Für das durch Zentrifugieren gewonnene Blut:
1. Probe, 5 Min. bei 37°, Optochinkonzentration 1 ; 40 000 (anstatt der
2. ” 30 99 99 5 1 : 40 000 rechnungs-
3. ” 60 „ „ „ „ 1 : 35 000 gemäß erw.
4. 9 90 „ „ ” „ 1 : 30 000 1 : 20 000).
K. pe 120 99 ”„ „ IR) 1 : 30 000
Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II. 291
Für das durch Defibrinieren gewonnene Blut:
Probe, 5 Min. bei 37°, Optochinkonzentration ì : 50 000 (anstatt der
30
: 50 000 rechnungs-
: 40 000 gemäß erw.
: 30 000 1 : 20 000).
w D20 e a e 2 1 : 30 000
Aus obigen Versuchen folgt, daß sich durch Defibrinieren
gewonnene Erythrocyten im Prinzip nicht anders verhalten ala
defibriniertes Blut. Bei beiden erfolgt zuerst eine Aufnahme des
zugesetzten Alkaloids, auf die allmählich beim Stehen der Proben
bei 3 °C eine Zunahme in der Suspensionsflüssigkeit erfolgt.
Ein gradueller Unterschied zwischen beiden Blutarten ist wohl
unverkennbar, indem das durch Defibrinieren gewonnene Blut
bei Einhaltung möglichst gleicher Versuchsbedingungen aus der
zugesetzten Optochinlösung verhältnismäßig mehr aufnimmt als
das durch Zentrifugieren gewonnene. Diese Erscheinung könnte
man eventuell im Sinne einer die Alkaloidaufnahme begünsti-
genden Wirkung des Defibrinierens auf die roten Blutkörperchen
deuten.
Es bedarf keiner näheren Erklärung dafür, daß sich dieser
Beweis der relativen Unabhängigkeit des Verhaltens der Zellen
den Chinaalkaloiden gegenüber von der Gewinnungsart für die
Organzellen, die sich nur auf eine wenig schonende Weise gewinnen
lassen, in Reagensglasversuchen nicht erbringen läßt. Darüber
könnten nur Durchspülungsversuche an herausgeschnittenen,
blutfreien Organen Aufschluß geben.
Die nächste zu entscheidende Frage war die nach der Natur
des Vorgangs der Aufnahme des Optochins durch die Erythro-
cyten. Schon in dem ersten, auf die Verteilung der Chinaalkaloide
bezüglichen Aufsatz (l. c.) wurde auf Grund orientierender Ver-
suche der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Aufnahme des
Optochins primär nach den Gesetzen der Adsorption und nicht
durch chemische Bindung erfolgt. Diese Annahme konnte durch
entsprechende, vielfach variierte Versuchsanordnungen bestätigt
werden. Es möge dies aus Folgendem ersehen werden:
Durch Aderlaß beim Kaninchen frisch gewonnenes Blut wird defibri-
niert und durch Gaze filtriert, je 0,9 ccm desselben in 7 Röhrchen mit je
0,1 ccm einer Optochinlösung in physiologischer Kochsalzlösung 1 : 1000,
1 : 2000, 1 : 3000, 1 : 4000, 1 : 5000, 1 : 6000 und 1 : 7000 gemischt. Nach
5 Minuten langem Stehen bei 37° werden sämtliche Proben zentrifugiert
und das darüberstehende Serum auf seinen Optochingehalt untersucht.
19*
-+
©
-e
.
-
-
-
-
+
»
pó jod
l.
2.
3. „ 60 ” „ 9
4.
5
292 A. Schnabel:
Die Bestimmung ergibt:
t. Probe, gefundene Optochinkonzentration 1: 15000 anstatt 1 : 10 000
2 „ „ „ 1: 30 000 „ 1:20 000
I. 5 r Ar 1: 60000 „1:30 000
4. „ 3 ss l: 70000 „ 1:40 000
5 „ 5 n l: 120000 „ 1: 50000
6 , „ — l : 130000 „ 160 000
Te = * i l :180 000 „ 1:70000
Bei Zusatz von 0.l ccm einer beliebigen Optochinlösung zu 0,9 ccm
defibrinierten Blutes sollte eine lOfache Verdünnung der betreffenden
Optochinlösung erfolgen. Wenn man das Erythrocytenvolum unberück-
sichtigt läßt: Für die Proben 1—7 sollte also eine Optochiukonzentration
1:10000, 1:20000, 1:30000, 1:40000, 1:50000, 1:60000 und
1:70 000 resultieren. Die tatsächlich nachweisbaren Konzentrationen in
den einzelnen Serumproben sind aber schwächer und zwar betragen sie
in derselben Reihenfolge aufgezählt 1:15000, 1:30000, 1:60 000,
1:70000, 1 : 120 000, 1 : 130 000 und 1 : 180 000. Berechnet man die
rechnungsgemäß erwartete Konzentration für jede Probe mit 10025, dann
bedeutet die tatsächlich nachweisbare eine Abnahme um 25% für die
l. und 2. Probe, um 50%, für die 3., 43% für die 4., 58%, für die 5., 54%,
für die 6. und 61°, für die 7. Probe.
Aus obigen Versuch ist ohne Zweifel zu ersehen, daß die Auf-
nahme des Optochins durch die Erythrocyten primär nach den
Gesetzen der Adsorption erfolgt. Denn in den Proben mit den
stärksten Optochinkonzentrationen wurde relativ am wenigsten
von den Blutkörperchen aufgenommen (25%); mit der weiteren
Verdünnung des Alkaloids nimmt die Menge des adsorbierten
Anteils zu und dementsprechend die in der Suspensionsflüssigkeit
nachweisbare Konzentration des Optochins ab, und zwar von
25% bis 50% bzw. 61%. Die graphische Darstellung dieser Be-
ziehungen würde eine Adsorptionsisotherme ergeben; die geringen
Senkungen bei den Proben 4 und 6 liegen im Bereiche der Fehler-
grenzen des Bestimmungsverfahrens.
Zum Schluß sei noch kurz auf die Frage eingegangen, inwieweit
die mit dem Optochin erzielten Versuchsergebnisse auch für die
anderen Chinaalkaloide, insbesondere für das Chinin, Geltung
haben. Die diesbezüglichen Versuche sind noch nicht abgeschlos-
sen. Doch ergaben die bisher ausgeführten Reagensglasversuche
eine prinzipielle Übereinstimmung im Verhalten den Blutzellen
gegenüber. Ein derartiger Versuch sei hier angeführt:
Je 0,9 ccm frisch defibrinierten Kaninchenblutes werden in 8 Röhrchen
mit je 0,1 ccm einer 1 proz. Lösung von Chininum hydrochloricum in physio-
Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II. 293
logischer Kochsalzlösung gemischt und in die Brutkammer gestellt. Nach
5, 30, 45, 60, 75, 90, 105 und 120 Minuten wird je 1 Röhrchen zentrifugiert
und das darüberstehende Serum auf seinen Gehalt an Chinin untersucht:
Die Bestimmung des Chinins erfolgte in derselben Weise wie beim Optochin,
d. h. durch Prüfung der Hemmungseigenschaft des Chinins dem Reduktions-
vermögen der Pneumokokken gegenüber. Bei Anwendung geeigneter
Pneumokokkenstämme waren auch Chininkonzentrationen von 1 : 1 000 000
noch imstande, die Entfärbung des Methylenblaus zu beeinträchtigen; bei
gleichzeitig angestellten Versuchen mit Optochin erwiesen sich noch Ver-
dünnungen des letzteren bis 1 : 20 000 000 als wirksam.
Die Bestimmung ergibt:
1. Probe, 5 Min. bei 37°, Chininkonzentration 1 : 2500 anstatt 1 : 1000
2% » | a er Pa 1 : 2000 * 1 : 1000
3. „ 45 ” „ „ „ l: 2000 „ 1 2 1000
4. „ 60 „ „ „ 29 l: 2000 „ l: 1000
5. „ 75 „ „ „ 9 1 : 2000 „ 1 : 1000
6. „ 90 „ „ „ 9 1 : 1500 „ 1 : 1000
7. „ 105 „ „ „ ” 1 : 1500 „ 1 ‘ 1000
8. „ 120 „ „ „ „ 1 : 1500 „ 1 : 1000
Aus diesem Versuch ist zu ersehen, daß auch das Chinin
zuerst von den Erythrocyten aufgenommen wird, um dann an
die Umgebung abgegeben zu werden, daß also auch hier im wesent-
lichen die gleichen Beziehungen bestehen wie zwischen dem Opto-
chin und den Erythrocyten. Es ist wahrscheinlich, daß auch die
Aufnahme des Chinins primär nach den Gesetzen der Adsorption
erfolgt.
Zusammenfassung.
Die bei früheren Versuchen mit roten Blutkörperchen ver-
schiedener Tierarten beobachtete Erscheinung der Aufnahme von
Optochin und der darauffolgenden allmählichen Abgabe desselben
an die Umgebung konnte auch bei Experimenten mit Organzellen
gesehen werden: Nieren- und Gehirnaufschwemmungen zeigten
das gleiche Verhalten. Diese Tatsache wird in erster Linie zur
Erklärung des sonderbaren Verlaufs des Optochinspiegels im
Serum intravenös gespritzter Tiere herangezogen, wo nach an.
fänglichem, steilem Abfall des Optochingehaltes ein späteres
Ansteigen und darauf allmähliches Absinken zu sehen ist.
Proben defibrinierten Blutes, die man einem kurz vorher mit
Optochin intravenös gespritzten Kaninchen entnommen hatte,
zeigen nach einigem Verweilen bei 37°C einen höheren Gehalt
an Optochin im Serum als bei der sofortigen Untersuchung nach
294 A. Schnabel: Verteilung der Chinaalkoloide im Organismus. II.
der Entnahme, was dem Anstieg des Optochingehaltes bei Reagens-
glasversuchen entspricht. Die Gewinnungsart der Erythrocyten
besitzt für die Erscheinung der Aufnahme der Chinaalkaloide
und deren Abgabe an die Umgebung keine besondere Bedeutung.
Die Aufnahme des Optochins durch die Blutkörperchen
erfolgt primär nach den Gesetzen der Adsorption, denn aus
konzentrierten Alkaloidlösungen nehmen die Erythröcyten relativ
wenig (25%) auf, während sie aus verdünnten Lösungen über
60%, aufzunehmen vermögen.
Auch das Chinin wird zuerst von den Blutkörperchen auf-
genommen und dann allmählich an die Umgebung abgegeben,
ohne daß in den Milieuverhältnissen irgendeine Änderung, wie
Flüssigkeitswechsel oder dergleichen vorgenommen worden wäre.
Literatur.
Bönniger, M., diese Zeitschr. 103. 1920. — Brinkman, E. und
E. v. Dam, ebenda 405. 1920. — Ege, R., ebenda 107. 1920. — Falta, W.
und M. Richter, ebenda 100. 1919 und 114. 1921. — Gad, K. L., ebends
107. 1920. — Lipkin, J. J., Ann. of trop. med. a. parasitol. 13. —
Ramsden, W., I. J. Lipkin und E. Whitley, ebenda 12. — Schnabel,
A., diese Zeitschr. 108 u. 112. 1920. — Teale, F. H. und D. Embleton,
Journ. of the roy. army med. corps 35, Nr. 2. 1920. — Warburg, E. I.,
diese Zeitechr. 107. 1920.
— —— — — —
Über die Bestimmung zell- und keimschädigender Sub-
stanzen in dünnen Lösungen auf biologischem Wege.
II. Mitteilung.
Von
Alfred Schnabel.
(Aus dem Hygienischen Institut der Universität Basel.)
(Eingegangen am 4. Juli 1921.)
Mit 4 Abbildungen im Text.
In einem früher erschienenen Aufsatz!) wurde ein Verfahren
beschrieben, welches gestattet, relativ hohe Verdünnungen zell-
schädigender, chemisch definierter Substanzen quantitativ zu
bestimmen. Das Verfahren beruht auf der Fähigkeit verschiedener
Zellen (Bakterien), Methylenblau durch Reduktion in eine farblose
Verbindung umzuwandeln und auf der Eigenschaft gewisser
Substanzen, dıesen Vorgang zu verzögern oder zu hepmen. Die
Bestimmung erfolgte in der Weise, daß jene Verdünnung der zu
untersuchenden Lösung unbekannter Konzentration festgestellt
wurde, die die Reduktion des Methylenblaus durch Bakterien
z. B., zu einem Zeitpunkt noch zu verhindern vermochte, in dem
Kontrollen ohne die zu bestimmende Substanz bereits entfärbt
waren. Durch Vergleich mit Lösungen bekannter Konzentration
von derselben Substanz ließ sich die unbekannte Konzentration
annähernd bestimmen.
Zur Erzielung genauerer Ergebnisse hat es sich aber als
zweckmäßig erwiesen, nicht allein aus dem Stand der Entfärbung
des Methylenblaus in einer Versuchsreihe zu einem bestimmten
Zeitpunkt, und zwar in jenem, in dem die Kontrollen entfärbt
waren, Schlüsse zu ziehen, sondern den Ablauf der Entfärbungs-
1) Dieso Zeitschr. 108. 1920.
296 A. Schnabel:
reaktion in einem bestimmten Zeitintervall durch zu ver-
schiedenen kurz aufeinanderfolgenden Zeiten vorgenommene Ab-
lesungen zu beobachten und zu notieren. Wie an erwähnter
Stelle (l. c.) näher ausgeführt wurde, fallen die hier in Betracht
kommenden Erscheinungen in das Gebiet der Entwicklungshem-
mung und sind dementsprechend dadurch gekennzeichnet, daß
sie in erster Linie Funktionen der Konzentration der wirksamen
Substanzen, der Zeit und der Zellzahl sind. Sehr dünne Lösungen
zellschädigender Substanzen vermögen den Reduktionsvorgang
nur zu verzögern, während erst Konzentrationen, die das Leben
der Zellen dauernd schädigen una bei Bakterien das Wachstum
verhindern, die Entfärbung des Methylenblaus gänzlich unmöglich
machen. Diese Tatsache tritt bei den Versuchen in der Art in
Erscheinung, daß sich in einer Versuchsreihe mit fallenden Mengen
der wirksamen Substanz die Reduktion des Methylenblaus all-
mählich von den Proben mit schwachen Konzentrationen auf
diejenigen: mit stärkeren erstreckt.
Unter sonst gleichen Versuchsbedingungen ist der Ablauf
dieser Entfärbungsreaktion in einer Versuchsreihe nur von der
Art, in der die fortlaufende Verdünnung der Lösung einer wirk-
samen Substanz erfolgt, abhängig. Werden z. B. die Verdünnungen
so ausgeführt, daß sie eine geometrische Progression mit dem
Quotienten 2 bilden, dann wird der Entfärbungsvorgang in einem
gewissen Zeitabschnitt anders verlaufen, als wenn der Quotient
mehr oder weniger beträgt, wie man sich durch entsprechende
Reihenversuche überzeugen kann. In jedem Falle aber, d. h.
beı der Wahl eines bestimmten Quotienten, bietet der durch ein
bestimmtes Zeitintervall beobachtete Entfärbungsvorgang ein
recht charakteristisches Gepräge.
Als besonders praktisch erwies sich die graphische Darstellung
des Reaktionsablaufes in einer Versuchsreihe im Ordinatensystem.
Trägt man nämlich auf die Ordinate des Systems die im Versuche
verwendeten Verdünnungen einer Lösung unbekannter Konzen-
tration und auf die Abszisse die Zeit ein, zu der die jeweilige
Ablesung des Standes der Entfärbung erfolgt, dann erhält man
Kurven, die ein sehr charakteristisches Aussehen darbieten.
Bei gleichbleibendem Verdünnungsmodus ist die Form dieser:
Kurve nur von der Konzentration der Ausgangslösung abhängig.
Es bedarf keiner näheren Erläuterung dafür, daß man die Form
Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw. auf biolog. Wege. JI. 297
dieser Kurve durch willkürliche Wahl des Verdünnungsmodus
willkürlich gestalten kann.
Folgender Versuch möge die Anwendungsart des Verfahrens
näher erläutern:
0,9ccm defibrinierten Kaninchenblutes werden mit 0,1 ccm einer Lösung
- von Optochinum hydrochloricum 1 : 3000 in physiologischer Kochsalz-
lösung gemischt und zentrifugiert. Es sci nun die im Serum vorhandene
Optoclinkonzentration zu bestimmen. Zu diesem Zwecke wird das Serum
auf seine Fähigkeit, die Reduktion des Methylenblaus durch optochin-
empfindliche Pneumokokken zu beeinträchtigen, untersucht.
Von einer geeigneten 24stündigen Blutbouillonkultur von Pneumo-
kokken werden 0,2 ccm als Dosis minima reducens, d. h. als jene kleinste
Keimmenge festgestellt, die einen Tropfen einer bestimmten Methylenblau-
lösung nach 1 Stunde 50 Minuten bei einem Gesamtvolumen von 1l com
(Nährbouillon als Ergänzungsflüssigkeit) zu reduzieren vermag. Dement-
sprechend witd die Kultur 5fach mit steriler Nährbouillon verdünnt. Das
zu untersuchende Serum wird hierauf mittels der Kulturverdünnung fort-
laufend 20-, 40-, 80-, 160-, 320-, 640-, 1280- und 2560fach verdünnt, der
1 com betragende Inhalt eines jeden Röhrchens mit einem Tropfen Methylen-
blaulösung vermischt, mit Paraffinöl überschichtet und in die Brutkammer
(37°C) gestellt. 3 Röhrchen ohne das optochinhaltige Serum dienen als
Kontrollen (siehe Tabelle I).
Tabelle I.
1. Röhrchen: 1 ccm Kulturverd. 1 : 5, Serumverd. 1 : 20
2. Br l ,„ j 1:5, m 1:40
3 an 1: 33 ss 1:5, 5 1:80 je 1 Tropfen
4. = l, — 1:5, j 1 : 160 | Methylenblau-
5. j l: 5; i 1:5, si 1l : 320 lösung,
6. " t * 1:5, as I : 640 Paraffinöl,
T; kA i 5 1:5, PA l : 1280 37°C
8. „ 1 „ „ l: 5, „ 1 : 2560
Kontrollen: 1 ,, i 1:5.
Nach 1 Stunde 50 Minuten sind die Kontrollen und dio Röhrchen 5 bis
8 mehr oder weniger entfärbt, während die Proben 1—4 noch voll-
kommen blau sind; nach 1 Stunde 55 Minuten ändert sich dieser Zustand
nioht. Nach weiteren 5 Minuten zeigt das 4. Röhrchen beginnende Ent-
färbung, nach 2 Stunden 5 Minuten das 3. Erst nach 2 Stunden 40 Minuten
beginnt sich das 2. Röhrchen zu entfärben, während das 1. Versuchsröhrchen
auch nach 3 Stunden noch blau bleibt.
Diesem Ablauf der Entfärbung in der Rährchenreihe ent-
spricht die beigefügte Kurve (Abb. 1).
Der Einfachheit halber sind auf die Ordinate die Röhrchen-
nummern und nicht die dazugehörigen Verdünnungen des zu
298 A. Schnabel:
untersuchenden Serums eingetragen, und zwar entspricht das
1. Röhrchen der 20fachen, das 2. der 40fachen, das 3. der 80fachen
Verdünnung des Serums usw. Der Anfang der Kurve ist durch
den Zeitpunkt, in welchem die Kontrollen ohne Serum entfärbt
8R
7A.
6. A.
Abb. 2.
1h50 ah Zhang‘ 27120' 2h30' 2040”
Abb. 8.
sind, und durch die Nummer jenes Röhrchens mit der schwächsten
Konzentration, weiches zur selben Zeit noch nicht entfärbt ist,
markiert; jeder weitere Punkt der Kurve entspricht derjenigen
Probe, die zu der betreffenden Ablesungszeit noch nicht entfärbt
ist. Um nun auf Grund dieser Kurve die gesuchte Optochin-
konzentration feststellen zu können, werden mehrere Optochin-
lösungen bekannter Konzentration auf ihre hemmende Kraft
Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw. aufbiolog. Wege. II. 299
geprüft und für dieselben in der oben angegebenen Weise Ent-
färbungskurven angelegt, und zwar kommen beliebige Optochin-
konzentrationen zur Anwendung, wie 1:10000, 1:60 000,
1 : 120 000 usw., im ganzen z. B. 10 verschiedene Konzentrationen.
Die einzelnen Optochinlösungen werden fortlaufend 20-, 40-,
80fach usw. verdünnt und auch im übrigen wird dieselbe Versuchs-
technik wie im obigen Beispiel angewendet. Es seien hier 3 ver-
schiedenen Optochinlösungen entsprechende Entfärbungskurven
angeführt (Abb. 2, 3 u. 4); die Abb. 2 entspricht der Optochin-
lösung 1 : 10 000, die Abb. 3 der Lösung 1 : 60 000 und die Abb. 4
der Optochinlösung 1 :120 000. Vergleicht man die Abb. 1,
welche die Entfärbungskurve der gesuchten Optochinkonzentra-
tion im Serum darstellt, mit den 3 anderen, dann erkennt man
sofort ihre fast vollkommene Identität mit der Abb. 3, welche die
Entfärbungskurve der Optochinlösung 1 :60000 ist. Diese
Identität der Kurven gestattet den Schluß, daß die ihnen ent-
sprechenden Ausgangslösungen von Optochin, d. h. die unbekannte
im Serum und die bekannte, einander gleich sind, daß also die
Optochinkonzentration im untersuchten Serum 1 : 60 000 beträgt.
Nebenbei sei auf die aus diesem Versuch ersichtliche Tatsache der weit-
gehenden Absorption des Optochins durch die Erythrocyten hingewiesen.
Denn bei einem Zusatz von 0,1 ccm einer Optochinlösung 1 : 3000 zu 0,9 com
defibrinierten Blutes sollte rechnungsgemäß eine Konzentration von min-
destens 1 : 30 000 (bei Vernachlässigung des Erythrocytenvolumens) resul-
tieren; tatsächlich beträgt aber die Optochinkonzentration 1 : 60 000, also
nur 50% der erwarteten; soviel wurde von den Blutkörperchen aus der
Lösung aufgenommen.
Aus den beigefügten Abbildungen ist ferner das Verhältnis
der Wirkung zweier Optochinkonzentrationen zu ersehen, die
zueinander im Verhältnis 1 : 2 stehen. Die den Optochinlösungen
l : 60000 und 1:120000 entsprechenden Entfärbungskurven
(Abb. 3 u. 4) zeigen ebenfalls eine weitgehende Ähnlichkeit; der
wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß die
Kurve in der Abb. 3 um ‚‚ein Röhrchen“ nach oben verschoben
erscheint; es kommt darin die Tatsache zum Ausdruck, daß der
Entfärbungsvorgang in der Versuchsreihe mit der 2 mal stärkeren
Ausgangskonzentration 1 : 60000 jeweils — zur gleichen Ablesungs-
zeit —- um ein Röhrchen hinter der Versuchsreihe mit der Ausgangs-
lösung 1 : 120 000 zurückLbleibt. Wäre also z. B. die Entfärbungs-
kurve in der Abb. 4 die einer zu bestimmenden, unbekannten
300 A. Schnabel Bestimmung zell- und keimschädigender Subst. usw.
Optochinlösung, dann würde aus dem Vergleich mit der Abb. 3
folgen, daß die gesuchte Optochinkonzentration halb so. stark
ist als die der Abb. 3 entsprechende, also 1 : 120 000 beträgt.
Zusammenfassung.
Das früher beschriebene Verfahren zur Bestimmung zell-
schädigender Substanzen mittels der Reduktion des Methylen-
blaus und der Beeinträchtigung dieses Vorganges durch wirksame
Stoffe wird dahin ergänzt, daß nicht aus dem Stand der Ent-
färbung zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern aus dem
Reaktionsablauf während eines gewissen Zeitintervalls Schlüsse
über die zu bestimmende Konzentration gezogen werden. Die den
Ablauf des Entfärbungsvorganges versinnbildlichenden Kurven
gestatten durch Vergleich mit bekannten Lösungen die gesuchte
Konzentration bequem zu ermitteln.
Temperatur und Capillaraktivität.
(Erwiderung.)
Von
B. v. Issekutz.
(Aus dem Pharmakologischen Institut der kgl. ung. Universität Kolozsvár,
geflüchtet nach Budapest.)
(Eingegangen am 5. Juli 1921.)
Vor 3 Jahren habe ich in dieser Zeitschrift!) eine Arbeit „Über den
Einfluß der Temperatur auf die Capillaraktivität der Narkotica‘“ veröffent-
licht, gegen die, wie ich es aus äußeren Gründen?) erst jetzt erfahre, H. Win-
terstein?) mehrere Einwände erhoben hat. Winterstein meint (S. 235),
ioh hätte bei Steigerung der Temperatur für Salicylamid, Benzamid und
Monacetin eine Zunahme der stalagmometrisch bestimmten Oberflächen-
spennung (gegen Luft) gefunden, obwohl ein solches Resultat mit der
Theorie in .Widerspruch ist, da ‚die Oberflächenspannung beim kritischen
Punkt schließlich den Wert Null erreicht, so daß sich bei allen Stoffen
mit Erhöhung der Temperatur eine Abnahme derselben erwarten läßt‘“
(S. 246).
Diese Ansicht beruht auf einer irrtümlichen Deutung meiner Versuchs-
ergebnisse die allerdings in einer ungewohnten Form veröffentlicht wurden.
Wie ich nämlich im folgenden zeigen werde, lag es mir durchaus fern, zu
behaupten, daß die Oberflächenspannung der genannten Narkotica mit
der Temperatur wächst; ich fand vielmehr, daß ihre Capillaraktivität
(d. h. die Fähigkeit, die Oberflächenspannung des Wassers zu erniedrigen)
bei 33—40° kleiner ist als bei 6°.
Um die bei verschiedenen Temperaturen gefundenen Tropfenzahlen
miteinander vergleichen zu können, rechnete ich dieselben auf folgende
Weise um: ich setzte in jedem Falle die Tropfenzahl des reinen Wassers
= 100 und bezog die Tropfenzahl der Lösung (bei derselben Temperatur)
auf diese Basis. So erhielt ich vergleichbare Relativzahlen, die also nur
angeben, wie groß die Tropfenzahl einer Lösung bei einer be-
stimmten Temperatur wäre, wenn die Tropfenzahl des Wassers
1) Diese Zeitschr. 88, 213. 1918.
2) Die deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften wurden 1919 — 1920
von den Rumänen nicht nach Siebenbürgen hineingelassen.
s) H. Winterstein, Die Narkose. Berlin 1919.
302 B. v. Issekutz: Temperatur und Capillaraktivität.
bei derselben Temperatur 100 betragen würde. Beispiel: Die rela-
tive Tropfenzahl einer Salicylamidlösung (1 : 600) beträgt bei 6° 101,9,
bei 40° aber 100,61); dies bedeutet jedoch nicht, daß die Oberflächenspannung
dieser Lösung mit der Temperatur zunimmt, sondern nur, daß duroh das
Salicylamid die Oberflächenspannung des Wassers bei 6° mit 1,9%, bei
40° dagegen nur mit 0,6%, verringert wird.
Berechtigt und mit der Theorie vereinbar war demnach meine Folge-
rung, daß dieCapillaraktivität desSalicylamids mit der Temperaturerhöhung
abnimmt.
Daß meine Messungen richtig sind, geht übrigens auch aus einer Arbeit
von H. Winterstein?) hervor. Die von Hirschberg (unter Leitung von
A. Winterstein) ermittelten Werte stimmen nämlich mit meinen Resul-
taten gut überein, wenn man die beiden Zahlenreihen auf gemeinschaftliche
Basis bringt.
E. Hirschberg ermittelte nämlich bei 15,5° die Tropfenzahl des
Wassers zu 104,7, die der 2/,.0-Salicylamidlösung zu 106,7, die Abnahme der
Oberflächenspannung des Wassers beträgt also 0,99%, ; bei 42,5° fand sie für
die Tropfenzahl des Wassers 112,4, für die der Salicylamidlösung 113; die
Erniedrigung der Oberflächenspannung beträgt hier nur 0,5°,, ist also
wesentlich kleiner als bei 15,5°.
Durch eine analoge Umrechnung erhält man aus den Zahlen von
E. Hirschberg für Benzamid und Monacetin (%/,oo-Lösungen) folgende
Resultate:
Abnahme der Oberflächenspannung des Wassers:
Benzamid: 2,3%, (15,5°) und 0,7%, (42,5°),
Monacetin: 5,0%, (15,5°) und 1,4%, (42,5°).
Übereinstimmend mit meinen Resultaten zeigen diese Zahlen, daß die
Capillaraktivität der genannten Stoffe, welche für die Theorie der Narkose
von Bedeutung sind, mit der Temperaturerhöhung abnimmt. Wenn dieses
Ergebnis von H. Winterstein und mir den visoostagonometrischen Be-
stimmungen von R. Unger?) zu widersprechen scheint, so möchte ich dazu
bemerken, daß die mit Stalagmometer und Viscostagonometer bestimmten
Werte nach I. Traube und R. Somogyi*) miteinander nicht immer
übereinstimmen. „Die Angaben des Stalagmometers beziehen sich auf eine
frisch gebildete Oberfläche und sind danach dynamischer Natur,
während die Angaben des Viscostagonometers sich auf eine alte Oberfläche
nach mehr oder weniger vollständigem Eintritt des Gleichgewichts beziehen
und somit statischer Natur sind.“ Die Bildungszeit eines Wassertropfens
ist nämlich bei dem Viscostagonometer nach I. Traube etwa 8—9 mal
größer als beim Stalagmometer.
1) I. c. S. 216, Tabelle I. (Nebenbei bemerkt, enthält dieselbe einen
Druckfehler: bei Salicylamid ist statt „"/,,“ richtig „"/,s0‘“ zu setzen.)
2) Nach Versuchen von E. Hirschberg, diese Zeitschr. 100, 81. 1919.
?) Diese Zeitschr. 89, 283. 1918.
t) Internat. Zeitschr. f. physik.-chem. Biologie 1, 485. 1914.
Bemerkungen zu der Abhandlung von Emil Baur und
Eugen Herzfeld: „Über Gärung ohne Hefe“ ').
Von
A. Bau (Bremen).
(Eingegangen am 2. Juli 1921.)
Emil Baur und Eugen Herzfeld verwandten zur Hefe-
oder überhaupt zellenfreien Gärung und unter Ausschluß
von Enzymen ein Gemisch von Lösungen chemischer, mehr
oder weniger gut definierter Substanzen, und zwar von Pepton,
Casein, Dextrin, Lipoid, gallensauren Alkalien, doppeltkohlen-
saurem Natrium und Traubenzucker.
Die Anzeichen für „Gärung‘‘ wurden darin gefunden, daß
sich bei den Versuchen in Gegenwart von Traubenzucker bedeutend
mehr Kohleusäure entwickelte als bei den blinden Versuchen
ohne Traubenzucker, sowie, daß sich bei den Proben mit d-Glucose
im Destillat Spuren bis faßbare Mengen eines die Jodoform-
reaktion gebenden Körpers nachweisen ließen, dessen im besten
Fall errechnete Menge auf Äthylalkohol bezogen nur einen ge-
ringen Bruchteil an Alkohol gegenüber der entwickelten Kohlen-
säure ergab und somit in einem argen Mißverhältnis zu dem als
„Alkoholgärung‘“ bezeichneten Vorgang stand.
Das Auffallendste bei den Versuchen von E. Baur und
E. Herzfeld ist der Umstand, daß die von ihnen als Gärung
bezeichnete Erscheinung nur dann eintritt, wenn die obengenann-
ten Substanzen in der richtigen Reihenfolge gemischt werden.
Hält man letztere nicht inne, so bleibt die „Gärung‘‘ aus.
Wir sehen zunächst von diesem merkwürdigen Umstand ab.
Wie die Verfasser selbst mitteilen (S. 105), waren ihre Lö-
sungen nicht steril, sie enthielten vielmehr Bakterien. Letztere
gaben nach der Kultivierung in Bouillon und dann in Trauben-
1) Diese Zeitschr. 117, 96—112. 1921.
304 A. Bau:
zuckerlösung, ohne und mit Pepton und Lipoid, unter Toluol
keine Entwicklung von Kohlensäure. Es ist dies ein Beweis,
daß die Bakterien eine Alkoholgärung nicht erzeugten. Die
Verfasser haben aber keinen Versuch ausgeführt, wie sich die
Bakterien in Gegenwart von Bicarbonat verhalten.
Da, wie man vermuten kann, säurebildende Bakterien vor-
liegen, so wäre eine solche Probe angebracht gewesen.
Toluol gilt natürlich als Konservierungsmittel, jedoch mit
der Maßgabe, daß zwecks einer technischen Sterilisierung ein
bestimmtes Verhältnis zwischen den vorhandenen Organismen,
der Zusammensetzung des Nährsubstrates und dem Konservie-
rungsmittel walten muß. Je mehr Einzelindividuen vorhanden
sind, je besser die Nährlösung zur Erhaltung und Fortpflanzung
derselben ist, desto größere Gaben des Konservierungsmittels
sind nötig, um eine technische Sterilisation zu erzielen.
Über die Menge des zugefügten Toluols fehlen leider alle
Angaben.
Die bicarbonathaltigen Proben ergaben ohne Zusatz von
Traubenzucker eine gewisse Menge von Kohlensäure, welche
bei Gegenwart dieses Zuckers bedeutend vermehrt wurde.
Die Verfasser schließen aus diesem Umstand auf eine Vergärung
des Zuckers, und zwar, wie aus ihrem Bestreben hervorgeht,
Alkohol nachzuweisen, auf eine alkoholische Gärung.
Machen wir die Annahme, daß säurebildende Bakterien
(die Lösungen waren ja nicht steril!) gegenwärtig waren, so ist
die vermehrte Erzeugung von Kohlensäure bei Zusatz von Zucker
zwanglos auch ohne die Hypothese einer „künstlichen Zymase“
zu erklären. Erstens: Bei Gegenwart von Zucker fanden die
Bakterien bessere Lebensbedingungen (Ernährung durch ein
Kohlenhydrat), produzierten mehr Säure und machten deshalb
auch mehr Kohlensäure aus dem Bicarbonat frei, zweitens —
selbst hiervon abgesehen — rufen auch sogenannte ‚‚indifferente“
Stoffe eine erhöhte Abspaltung von Kohlensäure nicht nur aus
dem Bicarbonat, sondern auch aus Natriumcarbonat hervor.
Joh. Pinnow!) zeigte in seiner Abhandlung „Über den sauren
Charakter des Mehles‘‘, daß der nach anderen Verfahren bereits
festgestellte Säurecharakter des Zuckers sich auch durch Aus-
1) Joh. Pinnow, Zeitschr. f. Unters. d. Nahrungs- u. Genußm. 40,
243—246. 1920.
„Gärung ohne Hefe.“ 305
treiben von Kohlensäure aus Natriumcarbonat zu erkennen gibt.
Wenn Joh. Pinnow bei dem stabileren Rohrzucker zu diesem
Ergebnis kam, dürfte eine solche Säurewirkung bei dem leichter
reaktionsfähigen Traubenzucker noch etwas energischer sein,
zumal, wenn an Stelle von Monocarbonat Bicarbonat vorliegt.
Auffallend erscheint noch der Umstand, daß bei dem ‚„enzym-
freien“ Gemisch der Verfasser eine Gärung ausblieb, wenn die
Lösungen ‚flockten“. Von einigen Milchsäurebakterien aber
ist es bekannt, daß sie nur dann eine energischere Tätigkeit ent-
falten können, wenn sie in der Flüssigkeit verteilt sind wie es
beispielsweise in der trüben, mit festen Partikeln durchsetzten
Brennereimaische der Fall ist. Liegen diese Bakterien fest zu
Boden, z. B. in einem ruhig im Laboratorium stehenden Kolben,
so säuern sie nur wenig, vermutlich deshalb, weil die nächste
Umgebung der Einzelindividuen schnell mit Säure angereichert
wird und somit die Spaltungstätigkeit der Organismen lähmt.
Also auch dieser Einwand, daß bei Flockung der Flüssigkeit
keine vermehrte Kohlensäureproduktion statthat, ließe sich
zwanglos erklären.
Es bleibt noch der Nachweis des Alkohols bei stattgefundener
„Gärung‘ zu besprechen übrig. Einwandfrei ist der Alkohol nicht
festgestellt worden, aber, selbst wenn dies der Fall wäre, so ist
daran zu erinuern, daß es zahlreiche Bakterien gibt, welche
Alkohol im ‚‚Nebenberuf‘‘ erzeugen!). Die von den Verfassern
in einzelnen Fällen errechnete Menge an Alkohol steht in einem
derartigen Mißverhältnis zu der gegenüber den blinden Versuchen
erzeugten Menge an Kohlensäure, daß vor allen Dingen von einer
alkoholischen Gärung nicht die Rede sein kann. |
Die Ergebnisse, welche die Verfasser in mühevoller Arbeit
erzielten, ließen sich also zwanglos auch ohne Annahme
eines künstlich erzeugten Gärungsenzymes erklären,
wenn nicht die schon eingangs erwähnte auffällige Erscheinung
vorläge, daB die „Gärung‘ nur dann eintritt, wenn die einzelnen
Bestandteile in genau bestimmter Reihenfolge "gemischt
werden.
„Nur wenn das feingepulverte Gemisch von Traubenzucker,
Bicarbonat und Pepton in festem Zustand in der frischbereiteten,
wässerigen Lösung von Lipoid und gallensauren Alkalien auf-
1) Paul Lindner, Tageszeitung für Brauerei 19, 411. 1921.
Biochemische Zeitschrift Band 122. 20
306 A. Bau: „Gärung ohne Hefe.“
gelöst wird, entsteht die dem Eintritt der Gärung zuträgliche
Dispersion, nicht aber, wenn die Bestandteile einzeln in Wasser
gelöst und dann zusammengegeben werden‘ (8. 100).
In welcher Art die Lösung des Traubenzuckers, des Bicarbo-
nats und des Peptons bei dem negativen Ausfall der Proben
erfolgte, geben die Verfasser leider nicht an. Geschah die Lösung
in heißem Wasser? Dann könnten die im Pepton vorhandenen
Bakterien abgetötet und somit an einer Säureproduktion sowie
an der Erzeugung winziger Alkoholmengen behindert sein. Leider
geben die Verfasser nicht an, ob sie auch bei ihren negativ ver-
laufenden Versuchen nicht nur Bakterien, sondern auch dieselbe
Art der Bakterien, die sie bei den positiv verlaufenden Proben
fanden, nachweisen konnten. Die Art der Bakterien wurde über-
haupt nicht festgestellt.
Wenn ich gegen die Arbeit von Baur und Herzfeld, welche
ihren Kernpunkt darin findet, ein Gärungsenzym künstlich
erzeugt zu haben, schwerwiegende Bedenken von seiten eines alten
Gärungschemikers vorbrachte, so verkenne ich durchaus nicht
das Bestreben und die mühevollen Arbeiten der Verfasser, dem
Begriff der Enzyme oder Fermente durch chemische Forschung
näher zu rücken.
Was wir heute als Enzyme betrachten, ist ein Sammelbegriff
für sehr verschiedene Stoffe, ähnlich, wie man früher die Bitter-
stoffe z. B. als Gruppe betrachtete, bis es der Forschung gelang,
diese Stoffe verschiedenen Klassen des chemischen Systems '
großenteils einzuordnen. Es ist deshalb jede Arbeit zu begrüßen,
welche uns Aufklärung über die chemische Natur der Enzyme
verschaffen soll, allerdings sind die Studien von Baur und Herz.
feld keineswegs überzeugend.
Weiteres über den Verlauf der alkoholischen Gärung
bei Gegenwart von kohlensaurem Kalk.
Von
Johannes Kerb und Kurt Zeckendortf.
[Aus der physiologisch-chemischen und bakteriologischen Abteilung des
allgemeinen Krankenhauses (St. Georg) Hamburg.)
(Eingegangen am 2. Juli 1921.)
Die Brenztraubensäure-Theorie der alkoholischen Gärung
wurden von Neuberg und Kerb!) im Jahre 1912 näher be-
gründet. Später konnten direkte experimentelle Beweise für diese
Hypothese erbracht werden. So gelang es Neuberg und Rein-
f urth?) das Vergärungsprodukt der Brenztraubensäure, den Acet-
aldehyd, bei der Zuckergärung mit verschiedenen Methoden und
in beträcht lichenMengen (zu ca. 75%) zu fixieren. Die Genannten
zeigten zugleich, daß die Brenztraubensäure unter den Bedingun-
gen dieser „Abfangverfahren‘‘ vergoren wira, so daß sie sich nicht
anhäufen kann; aus früheren Arbeiten?) war ferner bekannt, daß
auch die brenztraubensauren Salze durch Hefe zerlegt werden.
Im Gegensatz zu dieser Tatsache stand nun eine Behauptung von
FernbaohundSchoen®*). Diese Autoren haben an die zuerst von
Neuberg und Wastenson (1910) gemachte Beobachtung ange-
knüpft, daß Brenztraubensäure gärfähig ist, und haben die kurz dar-
auf (1911) gleichzeitig und unabhängig vonNeubauerundFrom-
1) Neuberg und Kerb, Zeitschr. f. Gärungspliysiol. 1, 114. 1912;
B. 46, 2225. 1913.
2) Diese Zeitschr. 89, 365. 1918.
2) Neuberg und Mitarbeiter, diese Zeitschr. — Vgl. auch Naga-
yama (Tokio), ebendaselbet.
4) Fernbaoh und Schoen, Cpt. rend. 157, 1478. 1914; 158, 1719.
1914.
20*
308 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf:
herzsowie Neuberg und Hildesheimer geäußerten Ansichten!)
über die Beziehung jener Substanz zur alkoholischen Gärung zu be-
stätigen gesucht; sie gaben an, Brenztraubensäure in erheblicher
Ausbeute durch ‚‚Vergärung‘ des Zuckers lediglich in Gegenwart
von kohlensaurem Kalk erzielt zu haben. Nach beendigter Vergärung
von Glucose oder Invertzucker unter Zusatz von Nährsalzen und
überschüssigem Calciumcarbonat sollte eine Menge von 25%
des angewandten Kohlenhydrats in Form durch Alkohol fällbarer
Kalksalze zugegen sein und reichlich brenztraubensaures Cal-
cium einschließen. In der ersten Abhandlung wurde Myko- und
Champagnehefe angewendet, in der zweiten Mitteilung wird be-
hauptet, daß auch andere Hefen ein gleiches Verhalten dokumen-
tieren sollen.
Aus diesem Grunde hatte sich der eine von uns?) in einer
früheren Arbeit veranlaßt gesehen, die Versuche der französischen
Autoren mit den üblichen deutschen Kulturhefen zu wiederholen.
Denn nur ein positives Ergebnis mit typischen Hefen, nicht
mit irgendwelchen Spezial-Spaltpilzen, konnte für das eigentliche
Gärungsproblem von Bedeutung sein. Diese Versuche, zu denen
die ober- und untergärigen Hefen Nr. XII und U des Berliner
Institutes für Gärungsgewerbe benutzt worden waren, hatten ein
völlig negatives Resultat gehabt. Es war nicht möglich gewesen,
den qualitativen Nachweis von Brenztraubensäure durch die
Nitroprussidnatriumreaktion mit Sicherheit zu führen, obgleich
die Probe noch in Konzentrationen von 1 : 10 000 zu erkennen ist.
Außerdem hatten die Gäransätze mit Calciumcarbonat fast genau
die gleichen Alkohelausbeuten wie die Kontrollen geliefert, und
das sehr kleine Defizit fand überdies seine Erklärung einmal in
dem ungünstigen säurefreien Milieu, zweitens in dem etwas er-
höhten Auftreten von Essigsäure, deren gesteigerte Bildung zuvor
bereits von N euberg und Hirsch?) für alkalische Gäransätze
1) Ein Unterschied in den Ansichten von Neuberg und Mitarbeitern
einerseits, von Neubauer und Fromherz andererseits dürfte darin
bestehen, daB erstere von vornherein die Vergärbarkeit der Brenztrauben-
säure für sich als „zuckerfreie Gärung“ betont haben, letztere dagegen
in Verfolg ihrer Untersuchungen über den Aminosäurenstoffwechsel die
Umsetzung der Ketosäure bei einer gleichzeitig ablaufenden Vergärung
von Kohlenhydrat in Betracht zogen.
2) Kerb, B. 52, 1795. 1919.
3) Neuberg u. Hirsch, diese Zeitschr. 96, 175. 1919.
Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart vonCaCO,. 309
festgestellt worden war. Essigsäure war auch die einzige organische
Säure, die am Ende der Gärung als Kalksalz isoliert werden
konnte.
Nun veröffentlichten Fernbach und Schoen im vorigen
Jahre eine ergänzende Arbeit!), die nach ihrer Meinung ihre ältere
Behauptung bestätigen soll, daß Brenztraubensäure bei Ver-
gärung in Anwesenheit von CaCO, entstehe und als ein Zwischen-
produkt bei diesem Vorgange anzusehen sei. Betrachtet man aber
die in dieser Mitteilung enthaltene Tabelle über den verbrauchten:
Zucker und den erzeugten Alkohol, so sieht man sofort, daß hier
nicht der vollkommen anaerob verlaufende alkoholische Gärungs-
prozeß, sondern ein oxydativer Vorgang vorliegt. Ihre Gär-
ansätze mit Mykolevure ohne CaCO,, bei welchen aus
4,78g Zucker in 10 Tagen 1,08g Alkohol auftritt, in
24 Tagen aber keine Spur Alkohol mehr vorhanden
ist, können doch unmöglichals Beispieleeiner regel-
rechten geistigen Gärung gelten! Und Champagne-
hefe wird nunmehr als noch weniger geeignet bezeichnet.
Offensichtlich findet sich damit die schon in der ersten Arbeit von
Kerb?) geäußerte Ansicht bestätigt, daß Fernbach und Schoens
Brenztraubensäure sekundär durch einen oxydativen Abbau, etwa
aus vorher entstandener Milchsäure, hervorgegangen ist. Fern-
bach und Schoen geben diese Möglichkeit jetzt auch selber am
Schlusse ihrer letzten Veröffentlichung zu und bemerken aus-
drücklich, daß überall, wo Brenztraubensäure gefunden wurde,
zugleich die Anwesenheit beträchtlicher Mengen Milchsäure zu
konstatieren gewesen sei. Trifft dieses zu, so verlieren die An-
gaben der genannten Forscher die Beziehung zur eigentlichen
alkoholischen Zuckerspaltung. Denn die Milchsäure ist so wenig
Zwischenprodukt wie ein Enderzeugnis der Gärung mittels frischer
lebender Hefenzellen?). Die Begünstigung der Milchsäuregärung
durch bestimmte andere Mikroorganismen in Gegenwart von
kohlensaurem Kalk ist jedoch eine durchaus bekannte Tatsache.
Eine Oxydation der Milchsäure zur Brenztraubensäure durch ver-
schiedene Kleinlebewesen -bei Anwesenheit von atmosphärischem
1) Cpt. rend. 170, 764. 1920.
2) ]. c. finden sich auch die näheren Literaturangaben über Brenz-
traubensäurebildung aus Milchsäure usw.
3) Vgl. Euler-Lindner, S. 155.
310 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf:
Sauerstoff hätte gewiß nichts mit dem alkoholischen Gärungs-
prozeß zu tun und ist überdies bereits von mehreren Autoren
beschrieben worden!). Wenn wir trotzdem nochmals auf Fern-
bach-Schoens Angaben eingehen, so veranlaßt uns dazu ihre
Bemerkung zu der Arbeit von Kerb:
„M. Kerba récemment révoqué en doute la production par la levure
d'acide pyruvique qu’il attribue a l’action de bactéries. Ainsi que nous
l’avons signalé dans nos notes antérieures, nous avons toujours opéré avec
de la levure pure se multipliant dans des milieux stériles, et non avec des
doses massives de levure commereciale.““
Es bestand, wie wir schon früher betont haben, die nichi ab-
zuweisende Möglichkeit und es ist nach den neuen Angaben der
Autoren selbst (vgl. die komplette Wiederaufzehrung des
Alkohols!) sogar fast gewiß, daß die von ihnen benutzten Mikro-
organismen den eigentlichen Kulturhefen, den typischen Erregern
der alkoholischen Gärung, ferner stehen und als Vermittler der
obenerwähnten Oxydationserscheinungen zu betrachten sind. Er-
innern wollen wir daran, daß Duclaux die Mykolevure ausdrück-
lich zu den oxydierenden Agentien zählt. Daß ein von der ge-
wöhnlichen alkoholischen Zuckerspaltung ganz verschiedener
Vorgang sui generis vorliegen muß, erhellt auch aus der auf-
fälligen, von Fernbach und Schoen selbst mitgeteilten Tat-
sache, daß aus natürlichen (nicht rein mineralischen) Zucker-
substraten, ja sogar aus normalen, glatt vergärbaren Würzen
keine Brenztraubensäure erhalten werden kann®). Zu denken gibt
auch die ganz ungewöhnliche Abhängigkeit von der Hefenmenge und
die jetzt erwähnte Fähigkeit der Erreger, ebenfalls Nichtzucker-
stoffe in Brenztraubensäure umzuwandeln. Die Bemerkung über
„massive Dosen“ Handelshefe soll sich wohl auf die seinerzeitige
Arbeitsweise von Kerb beziehen. Wie dort?) des näheren aus-
geführt ist, wurde stets soviel Hefe zugetan, als zur vollständigen
Vergärung der Zuckerlösung nötig war. Von den damals benutzten
Hefeproben war, auf Trockensubstanz berechnet, 1%, vom an-
1) Literatur siehe am oben angegebenen Ort bei Joh. Kerb.
2) Das steht freilich mit ihrer ersten Angabe in Widerspruch,
daß die Nährlösung Pepton enthalten hat, also damals nicht rein
anorganische Zusammensetzung zu haben brauchte (siehe Cpt. rend. 157,
1478. 1914).
2) L c.
Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart von CaCO,. 311
gewandten Zucker erforderlich. Da aber Fernbachund Schoen
jetzt ausdrücklich betonen, daß ihre Ergebnisse nur mit wachsen-
den Kulturen erhalten werden können, so haben wir es unter-
nommen, nun auch nach ihrer Arbeitsweise mit einer Anzahl von
Reinzuchthefen derart Versuche anzustellen, daß die Erreger
direkt im mineralischen Gärgut herangezüchtet wurden. Benutzt
wurde hierfür eine unter- und eine obergärige Reinzuchthefe
des Institutes für Gärungsgewerbe, ferner eine Weißbierhefe
(obergärig) und Dortmund (untergärig), von denen in bekannter
Weise garantierte Reinkulturen gezogen wurden. Da die unter-
gärigen Hefen unter diesen pathologischen Ernährungsbedingungen
(reine Minerallösung) keine Tendenz zum Wachstum und dem-
entsprechend zur Zuckervergärung zeigten, beschränkten wir uns
in der Folge auf die beiden obergärigen Sorten. Es wurden sorg-
fältig sterilisierte Traubenzuckerlösungen und trocken sterilisiertes
Calciumcarbonat angewandt, weil sich die mit Kreide versetzten
Gäransätze besonders leicht durch Kahmhefen und Schimmelpilze
infizieren. Der Zuckergehalt der Kulturen wurde polarimetrisch
verfolgt. Als Reagens auf Brenztraubensäure diente die Nitro-
prussidnatriumprobe, die aber natürlich auch noch bei anderen
Oxoverbindungen positiv ausfällt.
Unsere Ergebnisse waren die folgenden:
l. Untergärige Kulturreinzuchthefen wuchsen unter Fern-
bach und Schoens Bedingungen überhaupt nicht (vgl. die „Vit-
amin- bzw. Biosfrage‘‘) oder ließen die Zuckerlösung unver-
ändert, selbst bei Erhöhung der Impfmenge von I auf 10 Ösen
für 100 ccm der Flüssigkeit.
2. Die Nitroprussidnatriumreaktion war in allen Fällen
äußerst schwach oder ganz negativ; die stärkste beobachtete
Färbung entsprach etwa 1 : 4000 Pyruvinat. Immer blieb die
Menge so minimal, daß jeder Versuch, Brenztraubensäure in
Substanz zu fassen, scheitern mußte.
3. Der Ausfall der Nitroprussidnatriumreaktion war völlig
unregelmäßig. Sie konnte bei kalkhaltigen und kalkfreien Gär-
ansätzen beobachtet werden, sogar bei letzteren vielleicht
häufiger.
4. Das gleiche gilt von der Zeitdauer bis zum Auftreten
der Reaktion. Bei einigen Ansätzen war die Probe schon nach
312 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf:
ad
wenigen Tagen zu erzielen, bei anderen erst nach wochenlangem
Stehen.
5. Ebensowenig konnte eine Beziehung gefunden werden
zwischen vergorener Zuckermenge und SERRMODBRIITER: auch
hierin herrschte völlige Regellosigkeit.
6. Der positive Ausfall der Pyruvinatreaktion wurde nicht
etwa durch einen Hemmungskörper verdeckt; denn sie trat auf
Zugabe von kleinsten Mengen Pyruvinat deutlich ein.
7. Als Eigentümlichkeit zweier herangezogener Oberhefen
erwähnen wir, daß sie manchmal in Gegenwart von kohlen-
saurem Calcium schneller als in dessen Abwesenheit goren.
Zusammenfassend möchten wir folgendes hervorheben: Die
Brenztraubensäure, aeren Auftreten als Durchgangsstufe bei der
alkoholischen Gärung wohl begründet erscheint, konnte nicht in
Form ihres Kalksalzes angesammelt werden, wenn typische, an-
aerob tätige Kulturhefen den Zuckerumsatz herbeiführten. In
eiweißfreiem, rein mineralischem Medium erzeugten die darin ge-
züchteten Hefen bisweilen einen Körper, dessen Nitroprussidnatri-
umreaktion jedoch nicht mit Sicherheit auf Brenztraubensäure zu
beziehen war und außerdem einen so minimalen Gehalt anzeigen
würde, daß es nicht erlaubt wäre, daraus auf ein Zwischen-
produkt zu schließen. Brenztraubensäure konnte nach Fernbach
und Schoens Arbeitsweise nicht mit typischen Hefen und nicht
auf dem typisch anaeroben Wege erhalten werden. Aus diesem
Grunde erscheinen die Untersuchungen der beiden Autoren für
das Problem der wahren alkoholischen Gärung leider als nicht
beweiskräftig.
Gekürzter Auszug aus den Versuchsprotokollen.
Bezüglich der Anstellung der Gäransätze bemerken wir, daß genau
die von den französischen Autoren gewählte Anordnung befolgt worden ist.
Wegen der negativen Ergebnisse haben wir die Temperatur bei der Digestion
im Thermostaten variiert.
Es bedeutet im folgenden:
HW = Weißbierhefe,
HD = Hefe Dortmund,
H XII = Hefe des Institutes für Gärungsgewerbe,
HU = Hefe des Institutes für Gärungsgewerbe.
Versuchl: Ansatz mit 4,6 prozentiger Traubenzuckerlösung, genau wie
bei Fernbach und Schoen, und mit der von ihnen angewendeten Mineral-
Weiteres über den Verlauf der alkohol. Gärung bei Gegenwart von CaCO,. 313
stoffmischung. Temp. 26°. Impfung mit 1 Öse Oberhefe H XII pro 100 com.
Kein merkliches Wachstum und keine Zuckerabnahme, selbst innerhalb
mehrerer Wochen; zu keiner Zeit Brenztraubensäure.
Versuch 2: Ansatz genau wie Nr. 1 aber mit HU. Weder Wachstum
noch Verminderung des Zuckers noch Pyruvinatbildung.
Versuch 3a. Ansatz wie bei Nr. 1: Impfung jedoch mit 10 Ösen
Hefe HW pro 100 ccm. Temp. 35°, Nach 7 Tagen noch 1% Zucker
vorhanden; während dieser Zeit stets negative Brenztraubensäure-
reaktion.
Versuch 3b. Desgleichen, aber ohne CaCO,. Zuckergehalt zum
Schluß 1,2%. Keine Brenztraubensäure.
Versuch 4a.: Ansatz wie bei Nr. 1; Aussaat von 10 Ösen HD für
je 100 ccm. Temp. 35°. Dauer 6 Tage. Zuckerrückgang auf 4,2%; keine
Brenztraubensäure.
Versuch 4b: Ebenso, aber ohne Zugabe von Kreide. Der Glucose-
, gehalt sinkt auf 4,4%,. Brenztraubensäure tritt nicht auf.
Versuch 5a: Ansatz mit HW +CaCO,. 10 Ösen. Temp. 22°.
Schwache Reaktion mit Nitroprussidnatrium nach 10 Tagen, Zucker ver-
schwunden.
Versuch 5b: Ansatz mit HW ohne CaCO,. 10 Ösen. Temp. 22°.
Nach 10 Tagen 4,0% Zucker. Keine Brenztraubensäure.
Versuch 6a: Angewendet HW + CaCO,. 10 Ösen pro 100 ccm.
Temp. 22°. Nach 14 Tagen 2,7% Zucker, Nitroprussidnatriumreaktion
vorhanden.
Versuch 6b: Desgleichen, HW, aber ohne CaCO,. 10 Ösen auf
100ccm. Temp. 22°. 3,4%, Zucker, ebenfalls positive Nitroprussidprobe nach
2 Wochen.
Versuch 7a: Entsprechender Ansatz mit HD + CaCO,. Nach
18 Tagen 4,4% Zucker, ganz schwache Nitroprussidfärbung.
Versuch 7b: Ebenso ohne CaCO,. Nach 18 Tagen 4,5%, Glucose, .
ebenfalls minimale Farbprobe.
Versuch 8a: Ansatz mit HW. Aussaat von 2 Ösen. Temp. 16°.
Nach 5 Tagen trat Farbenreaktion auf, die schwächer als 1 : 10 000 Brenz-
traubensäure war. Zuckerabnahme auf 3,7%.
Versuch 8b: Desgleichen ohne Kreide. Temp. 16°. Zuckerrückgang
auf 3,8%,. Nitroprussidprobe von gleicher Farbenstärke wie bei 8a.
Versuch 9a: Gleicher Ansatz mit H XII. Temp. 36°. Nach 5 Tagen
noch 3,9%, Zucker. Nitroprussidreaktion = 1 : 5000.
Versuch 9b: Gleicher Ansatz, kalkfrei. Nach 5 Tagen ebenfalls
3,9%, Zucker. Nitroprussidreaktion = 1 : 10 000.
Versuch 10a: Ansatz mit H XII. 10 Ösen. Temp. 18°. Innerhalb
18 Tagen keine Farbreaktion.
314 Joh. Kerb u. K. Zeckendorf: Verlauf der alkohol. Gärung usw.
Versuch 10b: Desgleichen ohne CaCO,. Nach 10 Tagen schwach
positive Farbenprobe.
Versuch lla: Ansatz mit HW bei 18°. Nach 10 Tagen ergebnislos.
Versuch 11b: Ansatz mit HW ohne Kreide bei 18°. Nach 10 Tagen
geringe Brenztraubensäurereaktion. |
Versuch 12a: Ansatz mit HW. Zimmertemperaturen. 10 Ösen.
Im Verlaufe eines Monats Drehungsabfall auf 0; zu keiner Zeit positive
Reaktion auf Pyruvinat.
Versuch 12b: Entsprechend kreidefrei. Nach. 30 Tagen Drehung
= +2,4%,. Nitroprussidreaktion zum Schluß angedeutet.
Versuch 13a und b: Ansatz mit H XII. 10 Ösen. Zimmertempera-
turen Nach 30 Tagen in kalkhaltiger und kalkfreier Lösung gleichmäßig
schwache Nitröprussidnatriumprobe, etwa = 1 : 10 000.
Über die Einwirkung von Silberverbindungen auf Hefe.
Von
Ernst Zerner und Robert Hamburger, Wien.
(Eingegangen am 8. Juli 1921.)
Gelegentlich anderer Versuche haben wir die höchst giftige
Wirkung schwerlöslicher Silbersalze auf Hefe beobachtet und
haben daher diese Erscheinung einer näheren Untersuchung
unterzogen.
Bekanntlich hat sich in der letzten Zeit auf Grund der An-
nahme Saxels!), daß die sogenannte oligodynamische Wirkung
des Silbers auf Bakterien durch eine Art Fernwirkung des Silbers
zu erklären sei, eine lebhafte Diskussion über diesen Gegenstand
entsponnen. Nach wie vor muß man, insbesondere auf Grund
der Arbeiten von Dörr?), Acel’) und Bechhold*) die Oligo-
dynamie in erster Linie auf die Wirkung gelösten Silbers zurück-
führen. |
Die bezüglichen Versuche sind durchwegs mit Bakterien
ausgeführt worden. Es schien nun interessant, auch die Hefe
: für diesen Zweck heranzuziehen, um so mehr, als man von diesem
Mikroorganismus über beliebige und leicht durch Wägung fest-
stellbare Quantitäten verfügen kann.
Um den Grad der Giftigkeit gelösten Silbers für unsere Hefe
kennenzulernen (wir verwendeten Preßhefe der Fabrik Wolfrum
in Stadlau bei Wien), stellten wir zunächst Gärungen unter Zusatz
von Silbernitrat an. Und zwar verfuhren wir so, daß wir das
Silbernitrat resp. die später besprochenen Zusätze zu einer
Lösung von 10 g Rohzucker in 125 ccm Wasser (mit etwas Nähr-
salzen), dann das jeweilige Hefequantum zufügten und die Gärung
1) Wien. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 23 u. 31; 1919, S. 975.
2) Diese Zeitschr. 106, 110; 107, 207; 113, 58.
3) Diese Zeitschr. 11%, 23.
4) Kolloid-Zeitschr. 1919, S. 158.
316 E. Zerner u. R. Hamburger :
beobachteten. Wo von dieser Arbeitsweise abgewichen wurde,
wird besonders vermerkt.
Tabelle 1.
Versuche mit Silbernitrat.
Hefemenge in g AgNO, in g Gärt aus Hefe tot Anmerkung
5 1,8. 10° — ja Gart nach Zusatz
von 5g Hefe aus.
5 1,8 - 10-2 — ja Gärt nach Zusatz
, von 5g Hefe aus.
5 1,8. 10-? ja —
5 0,9 - 10 -° ja =
15 1,8. 10-? ja X
2,5 0,9 -10-? — ja Gärt nach Zusatz
von l g Hefe aus.
Durch diese Versuche ist die tödliche Dosis gelösten Silber-
nitrates ziemlich scharf mit 0,9— 1,8:10-? g Silbernitrat
(= 0,612 — 1,25 - 10°? g Silber) für 5g Hefe festgestellt. Bo-
korny?) fand demgegenüber als letale Dosis 0,01—0,02 g Silber-
nitrat für l0 g Hefe. Diese nicht schr erhebliche Differenz ist
wohl durch individuelle Verschiedenheit der verwendeten Hefen
zu erklären. Bokorny verwendete Hefe von der Spatenbrauerei
München (mit einem Zusatze von 5—10% Kartoffelstärke).
Metallisches Silber scheint auf Hefe ohne Einfluß zu sein.
Wir hängten wiederholt ein großes Silberblech von 112 qem Ober-
fläche in Gärlösungen, die nur mit 0,1 g Hefe angestellt waren,
ein, ohne daß irgendwelche Abnormalität zu beobachten gewesen
wäre. Damit stimmt überein, daß, wie uns cin bekannter Praktiker
der österreichischen Hefeindustrie erzählte, er besonders penible
Hefezüchtungsversuche in Silbergefäßen angestellt habe.
Die Versuche mit Silbercarbonat könnten dadurch etwas
beeinflußt sein, daß durch bei der Gärung entstehende Säure
etwas Silbercarbonat aufgelöst werden kann. Jedoch kann das
nur außerordentlich wenig sein, da man in der filtrierten Lösung
mit HCl nur minimale Trübung von AgCl?) erhält. Auch tritt
in den meisten Fällen die Abtötung äußerst rasch ein, ohne daß
eine in Betracht kommende Gärung stattgefunden hätte.
1) Zentralbl. f. Bakteriol. usw., Abt. II 37. 1913.
2) Eine Trübung gleicher Intensität erhält man, wenn man etwas
Ag,CO, mit Wasser bei Brutschranktemperatur längere Zeit stehen läßt,
wiederholt kräftig schüttelt, filtriert und mit Salzsäure versetzt.
Hefemenge ing AgG ing
5
05
0,5
0,5
0,5
0,5
0,2
0,5
10
10
‘Einwirkung von Silberverbindungen auf Hefe. 317
5
5
5
Tabelle II.
Versuche mit Chlorsilber.
5+1g NaCl
5
0,25
0,25
0,25
0,25
0,25
Versuche mit Silbercarbonat.
Hefemenge in g Ag,CO, in g Gärt aus Hefe tot
Gärt aus Hefe tot
J8
ja
ja
ja
Tabelle III.
0,25 + 1,5 g Na,CO, ja
0,25 + 1,5 g Na,CO, ja
0,25
0,25
0,25
0,25
ja
ja
ja
ja
Ja
ja
ja
Anmerkung
Auch noch 2g in
2 Portionen nach-
träglich zugesetzte
Hefe sterben noch
ab.
Nach Zusatz von
1,5 gHefe und 2g
NaCl ausgegoren.
Anmerkung
Weitere sukzessiv
‚zugesetzte 8 g
Hefe getötet.
In diesen beiden
Fällen wurde zu-
erst mit 0,5 g
Soda angegoren u.
dann das Silber-
carbonat und der
Rest der Soda zu-
gesetzt.
Gärt langsam an,
Hefe sehr ge-
schwächt, 30 g
Zucker, 200 ccm
Wasser.
Nach kräftiger An-
gärung am 3. Tag
alles tot, 30 g
Zucker, 200 ccm
Wasser.
318 E. Zerner u. R. Hamburger: Einwirkung von Silberverbindungen usw.
;
Hefemenge in g Ag, CO, ing Gärt aus Hefe tot: Anmerkung
15 0,25 — ja 15 g Zucker, 150ccm
i Wasser.
30 0,5 — ja Am 2. Tage alles
tot, 30 g Zucker,
200 com Wasser.
30 1,0 — ja Am selben Tage
alles tot. 30g
Zucker, 200 ccm
Wasser.
50 1,0 — ja Am 2. Tage alles
tot. 50 g Zucker,
250 com Wasser.
Aus Tabelle II und III ist zunächst zu ersehen, daß das
gelöste Silber von wesentlichem Einfluß ist. Das weit leichter
lösliche Silbercarbonat ist erheblich giftiger als das minderlösliche-
Chlorsilber. Setzen wir Chlorionen zu der Lösung und vermindern
wir dadurch die Löslichkeit des AgCl, so wird auch die Giftwirkung
paralysiert. Analog steht es mit Sodazusatz bei Silbercarbonat.
Andererseits fällt die merkwürdige Tatsache auf, daß z. B.
5g AgCl imstande sind, 0,5g Hefe abzutöten, nicht aber 5g
Hefe. Solange aber Bodenkörper, ungelöstes AgCl, da ist, muß die
Konzentration des AgCl in der Lösung immer die gleiche sein,
wenn Durchmischung erfolgt, wofür wir durch oftmaliges Um-
schütteln gesorgt haben. Nehmen wir mit verschiedenen Autoren!)
an, daß die Giftigkeit des Silbers auf der Bildung einer Silber-
eiweißkomplexverbindung beruhe, so verschwindet ja durch
das Entstehen dieser Verbindung Silber aus der Lösung, und es
müßte neues AgCl in Lösung gehen. Die gleiche merkwürdige
Erscheinung zeigt sich noch augenfälliger bei den Silbercarbonat-
versuchen.
Es ist also die Giftwirkung schwerlöslicher Silberverbindungen
nicht nur eine Frage der Löslichkeit, sondern es scheint auch
zwischen der Menge des zugesetzten ungelösten Salzes und der
der Vergiftung anheimfallenden Hefemenge ein Zusammenhang
zu bestehen.
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C
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