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COLLEGE OF AGRICULTURE
DAVIS, CALIFORNIA
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4. E
Biochemische Zeitschrift.
Beiträge
zur chemischen Physiologie und Pathologie.
Herausgegeben von
£. Buchner-Berlin, P. Ehrlich-Frankfurt a. M., F. Hofmeister-
Straßburg i. E., C. von Noorden-Wien, E. Salkowski- Berlin,
N D Zuntz-Berlin.
unter Mitwirkung von
L. Asher-Bern, J. Bang-Lund, G. Bertzand-Paris, A. Biokel-Berlin, F. Blumenthal-Berlin,
Chr. Bohr-Kopenhagen, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, &. Bredig-Heidelberg, A.
Durig-Wien, F. Ehrlich-Berlin, 6. Embden-Frankfurt a. Main, 8. Flexner-New York, 8,
Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, U. Friedemaan-Berlin, E. Friedmann-Berlin, O.v. Fürth-
Wien, G. Galeotti-Neapel, H. J. Hamburger-Groningen, A. Heffter-Berlin, V. Heari-Paris,
W. Houbner-Göttingen, R. Höber-Kiel, M. Jacoby-Heidelberg, R. Kobert-Rostock, M.
Kumagawa-Tokio, F. Landolf-Buenos-Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-NewYork
L. von Liebermann-Budapest, J. Loeb-Berkeley, W. Loeb-Berlin, A. Loewy-Berlin, A.Mag-
nus-Leovy-Berlin, J. A. Mandel-New York, L. Marchlowski-Krakau, P, Mayer-Karlsbad,
L. Michaelis-Berlin,J .Morgenroth-Berlin, W. Nernst-Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Pale
ladin-St. Petersburg, W. Pauli-Wien, R. Pfeiffer-Königsberg, E. P. Pick-Wien, J. Pobl-
Prag, Ch. Poreher-Lyon, F. Roehmann-Breslau, P. Rona- Berlin, 8. Salaskin»St. Petersburg,
N. Sieber-St. Petersburg, M. Siegfried-Leiprig, Zd. H. Skraup-Wien, 8. P. L. Sörensen-
Kopenhagen, K. Spiro-Straßburg, E. H. Starling-London, F. Tangi-Budapest, H, vV. Tap-
peiner-München, H. Thoms-Berlin, J. Traube-Charlottenburg, A. J.e d Vandevelde-Gent,
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin,
Redigiert von
C. Neuberg-Berlin.
Achtzehnter Band.
Berlin.
Verlag von Julius Springer.
1909.
UNIVERSITY OF Cal IFORNI“
LIBRARY
COLLEGE OF AGRICULTURE
DAVIS
Druck von Oscar Brandstetter, Leipzig.
Inhaltsverzeichnis.
Paul, Theodor. Der ehemische Reaktionsverlauf beim Absterben
trockener Bakterien bei niederen Temperaturen. .. .....
Schloß, Ernst. Zur biologischen Wirkung der Salze. I. ......
Pehi, Julius. Zur Lehre von der Säurevergiftung. . . . .....
Morawitz, P. Zur Frage der Blutgerinnung . . .. 2 2 22.0.
Fränkel, Sigmund. Über die Milch einer 62jährigen Frau... . .
Linnert, Kurt und @. A. Pari. Über Lipoide. V. . .. 2.2.2...
Fränkel, Sigmund und Rudolf Allers. Über eine neue charakteristische
Adrenalinreaktion . 2 . 2 2 m en ren.
Liebermann, Paul v. Eine Methode zur quantitativen Bestimmung
der Phosphorsäure im Harne und in Alkaliphosphatlösungen . .
Eicher, H. W. und ©. Bobertag. Über dab Ausfrieren von Gelen. .
Rosenberg, Siegfried. Weitere Untersuchungen zur Frage des Duodenal-
diabetes: 1 ee ee le en
Baintner, Franz und Karl Irk. Beiträge zur Zusammensetzung ES
Büffel een ër e Ae ee Era Re
Vandevelde, A. J. J. Über die Wirkung der Erwärmung auf Proteolase
Palladin, W. Uer das Wesen der Pflanzenatmung . . ..-..
Michaelis, L. und P. Rona. Bemerkung zu der Abhandlung von
P. Rohland: ‚Über die Adsorption durch Tone“ . ......
Uppert, Kurt. Enthält Kaviar (Stör- resp. Hauseneier) Purinbasen ?
Duchäcek, Franz. Einwirkung verschiedener Antiseptica auf die
Enzyme des Hefepreßsaftes. . . . . 2. 2 2 22 2220.
Wienbaus, Otto. Zur Biochemie des Phasins. . . . .. ...
Schern, Kurt. Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion der Milch.
Pagenstecher, A. Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben . .
Itami, 8. und J. Pratt. Über Veränderungen der Resistenz und der
Stromata roter Blutkörperchen bei experimentellen Anämien . .
Michaelis, Leonor und Peter Bong, Elektrochemische Alkalinitäts-
messungen an Blut und Serum `, . .. 2. 2: 2 2 2200.
Pauli, Wolfgang und Hans Handovsky. Untersuchungen über physi-
kalische Zustandsänderungen der Kolloide. VIIL.. ......
62869
Emmerling, ©. Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee
(Noctiluca miliaris) . - . . . 2 2 Co Er rn.
Michaelis, L. und P. Rona. Untersuchungen über den Blutzucker. VI.
Brasch, Walter. Über den bakteriellen Abbau primärer Eiweißspalt-
Produkte 2 ee Eee
Ehrlich, Felix. Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der alko-
holischen Gñrunggg. ea en
Neuberg, Carl und Cesare Cappezzuoll. Biochemische Umwandlung von
Asparaginund Asparaginsäure in Propionsäure und Bernsteinsäure.
Neuberg, Carl. Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis.
Neuberg, Carl und Lázló Karezag. Verhalten von d l-a- Aminoiso-
valeriansäure (d,1-Valin) bei der Fäulns . . .. 2.2 2..
Bang, Ivar. Kobragift und Hämolyse. DO. . .... 2.2 22.0.
Schloßmann, Artur und Hans Murschhauser. Über den Einfluß des
Alters und der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinges.
Scaftidi, Vittorio. Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der
SOlachier; L ` Ze 2.00.00 EEN re e ee
Rona, P. und L. Michaelis. Untersuchungen über den Blutzucker. VII.
372
375
391
431
499
614
Der chemische Reaktionsverlauf beim Absterben trockener
Bakterien bei niederen Temperaturen. Ä
Von
Theodor Paul.
(Aus dem Laboratorium für angewandte Chemie an der Universität
München.)
(Eingegangen am 15. April 1909;)
Mit 1 Figur im Text.
$
Das Verhalten der Mikroorganismen beim Austrocknen ist
wegen der praktischen Bedeutung dieser Vorgänge sehr häufig
Gegenstand der Untersuchung gewesen. Leider haben diese
Untersuchungen zu sehr verschiedenen Ergebnissen geführt, und
zwar nicht nur bei verschiedenen Bakterienarten, sondern
auch bei der gleichen Bakterienart, ja sogar bei den In-
dividuen des gleichen Stammes und der gleichen Kultur.!)
Die Ursache dieser Erscheinung, welche man bei biologischen
Untersuchungen häufig beobachten kann, dürfte in erster Linie
darauf zurückzuführen sein, daß die Versuche meist qualitativer
Natur waren, wobei man sich im wesentlichen darauf beschränkte,
die Zeitabschnitte zu ermitteln, nach welchen die an mikro-
skopischen Deckgläsern, Glasscherben, Erde, Sand, Staub, Zeug-
stücken, Seidenfäden, Wolle usw. angetrockneten Keime nicht
mehr entwicklungsfähig waren, d. h. nach welchen die zur
Prüfung benutzten Nährböden steril blieben. Obgleich die auf
diese Weise gewonnenen Erfahrungen für die Bekämpfung der
Infektionskrankheiten mehrfach von großer Bedeutung gewesen
1) Vgl. u.a. die ausführliche Abhandlung von Martin Ficker,
Über Lebensdauer und Absterben von pathogenen Keimen, Zeitschr. f.
Hygiene 29, 1, 1893. In dieser Abhandlung befindet sich auch eine
sorgfältige Zusammenstellung der Versuchsergebnisse anderer Forscher.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 1
2 Th. Paul:
sind, so geben sie doch keinen Einblick in die Gesetzmäßigkeiten,
welche dem Absterben oder der Lebenserhaltung der trockenen
Bakterien zugrunde liegen. Diese Aufklärung läßt sich erst dann
erwarten, wenn die Untersuchungen quantitativ unter Einhaltung
der für das Studium der chemischen Reaktionen üblichen Ver-
suchsbedingungen vorgenommen werden.
Die Verhältnisse liegen hier ähnlich wie bei den Unter-
suchungen über das Verhalten der Bakterien zu Desinfektions-
mitteln. Solange man sich damit begnügte, die Bakterien in
Desinfektionslösungen von verschiedenem Prozentgehalt bei der
jeweiligen Temperatur der Umgebung zu bringen und fest-
zustellen, nach welcher Zeit die Nährböden nach Überimpfung
der so behandelten Keime steril blieben, konnte man ebenfalls
keinen tiefergehenden Einblick in das Wesen dieser Giftwirkung
erhalten. Erst nachdem man dazu übergegangen war, die Ver-
suchsbedingungen auf einer exakten Grundlage aufzubauen, begann
man bei Vergleichsversuchen eine befriedigende Übereinstimmung
zu erzielen.) Im Jahre 1897 haben B. Krönig und ich in
einer ausführlichen Abhandlung?) über quantitative Versuche
berichtet, die wir anstellten, um die Beziehungen zwischen dem
Lösungszustande einer großen Anzahl von Stoffen und ihrer
Giftwirkung auf Bakterien zu ermitteln. Auf diese Versuche
soll hier kurz eingegangen werden, weil die dabei benutzte Ver-
suchsanordnung auch bei den in der vorliegenden Abhandlung
besprochenen Versuchen zur Anwendung kam.
Diese von B. Krönig und mir benutzte Versuchsanordnung
bestand im wesentlichen darin, daß wir die Bakterien an sorg-
fältig gereinigte böhmische Granaten, sog. Tariergranaten, an-
trockneten, die Granaten eine bestimmte Zeit in die Des-
infektionslösungen einlegten, nach dem Herausnehmen die Des-
1) Vgl. u. a. Gruber, Über die Methoden der Prüfung von Des-
infektionsmitteln. Referat vom VIL internationalen Kongreß für Hygiene
und Demographie in London 1891. Centralbl. f. Bakt. 1892, Heft 11.
2) B. Krönig und Th. Paul, Die chemischen Grundlagen der
Lehre von der Giftwirkung und Desinfektion. Zeitschr. f. Hygiene 25,
1, 1897. Die wesentlichsten Ergebnisse unserer Versuche haben wir vor-
her unter besonderer Berücksichtigung der physikalisch-chemischen Ver-
hältnisse in der Abhandlung veröffentlicht: Th. Paul und B. Krönig,
Über das Verhalten der Bakterien zu chemischen Reagenzien. Zeitschr.
f. physikal. Chem. 21, 414, 1896.
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 3
infektionsmittel durch chemische Reagenzienunschädlich machten,
hierauf die Bakterien durch kräftiges Schütteln mit Wasser von
den Granaten loslösten und die Zahl der keimfähig gebliebenen
Bakterien durch Anlegen von Agarkulturen feststellten. Um
einen Vergleich der Desinfektionswirkung der verschiedenen Stoffe
zu ermöglichen, benutzten wir nicht, wie dies meist früher ge-
schehen war, Lösungen von gleichem Prozentgehalt, sondern
äquimolekulare Lösungen und verwandten besondere Sorgfalt
darauf, daß ihre Temperatur (4- 18°C) während des Versuchs
konstant blieb.
Auf diese Weise konnten wir u. a. nachweisen, daß die
Desinfektionswirkung von Säuren, Basen und Salzen in hohem
Grade von ihrer elektrolytischen Dissoziation abhängt. So des-
infizieren die Säuren und Basen im allgemeinen nach Maßgabe
ihres Dissoziationsgrades, d. h. entsprechend der Konzentration
des in der Lösung enthaltenen Wasserstoff- oder Hydroxylions.
Die stark giftigen Lösungen der Quecksilber-, Silber- und Gold-
salze verlieren ihre Giftigkeit fast vollständig, wenn diese Metalle
durch geeignete Zusätze in komplexe Verbindungen übergeführt
werden. Die Giftwirkung einer Silbernitratlösung kann z. B.
durch Zusatz von Natriumthiosulfat oder Cyankalium fast voll-
kommen vernichtet und diejenige einer starken Sublimatlösung
schon durch Zusatz von Kochsalz auf ein sehr geringes Maß
herabgesetzt werden. Die Oxydationsmittel: Salpetersäure, Di-
chromsäure, Chlorsäure, Überschwefelssäure und Übermangan-
säure wirken entsprechend ihrer Stellung in der für Oxydations-
mittel auf Grund ihres elektrochemischen Verhaltens aufgestellten
Reihe.
Im Anschluß an diese Versuche haben Th. Madsen und
Max Nyman?) im Jahre 1907 gezeigt, daß die Abtötung der
Keime bei der Sublimatdesinfektion durch die Reaktionsgleichung
ausgedrückt werden kann, welche für die sog. monomolekularen
Reaktionen gültig ist. Fast gleichzeitig hat Harriette Chick?)
in einer im Jahre 1908: veröffentlichten umfangreichen Abhand-
lung auf Grund zahlreicher Versuche, bei denen die Keime in
1) Th. Madsen und Max Nyman, Zur Theorie der Desinfek-
tion. Zeitschr. f. Hygiene 57, 388, 1907.
2) Harriette Chiok, An Investigation of the Laws of Disinfoc-
tion. The Journal of Hygiene 8, 92, 1908.
1*
d Th. Paul:
der Desinfektionsflüssigkeit suspendiert waren, festgestellt, daß
diese Gesetzmäßigkeit auch bei Anwendung einiger anderer Des-
infektionsmittel auftritt.
Diese weitgehende Übereinstimmung der Giftwirkung zahl-
reicher Stoffe mit ihren chemischen Eigenschaften und die beim
Desinfektionsvorgange beobachteten Gesetzmäßigkeiten machen
es wahrscheinlich, daß es gelingt, auch in andere Vorgänge
des Bakterienlebens einen Einblick zu gewinnen.
Nachstehend soll versucht werden, die Lehren des chemi-
schen Reaktionsverlaufes auf den Vorgang des Absterbens
trockener Bakterien bei niederen Temperaturen anzuwenden.
Hierzu sollen die Versuche benutzt werden, welche ich vor
einigen Jahren in Gemeinschaft mit F. Prall veröffentlicht
habe.!)
Wie wir damals zeigten, kann man mit Hilfe der „Granaten-
methode‘ auch den Verlauf des Absterbens der trockenen Bakte-
rien studieren. Diese Versuche wurden zu dem Zwecke an-
gestellt, um zu prüfen, wie lange die an Granaten angetrock-
neten Staphylokokken (Staphylococcus pyogenes aureus) während
des Aufbewahrens bei der Temperatur der flüssigen Luft lebendig
und genügend widerstandsfähig gegen chemische Desinfektions-
mittel bleiben. Den Anlaß zu diesen Versuchen gab der Um-
stand, daß die bei Zimmertemperatur aufbewahrten vegetativen
Formen der Bakterien im Trockenzustande verhältnismäßig
schnell absterben und für vergleichende Desinfektionsversuche
unbrauchbar werden. Dadurch blieb die „Granatenmethode‘“
auf die Benutzung von Sporen (Milzbrandsporen) beschränkt,
deren Widerstandsfähigkeit gegen Desinfektionsmittel den Nach-
teil hat, daß man genötigt ist, mit konzentrierten Lösungen
zu arbeiten und bei schwächer wirkenden Desinfektionsmitteln
die Einwirkungszeiten sehr groß zu machen. Beim Aufbewahren
der in Glasröhren eingeschmolzenen Granaten in flüssiger Luft
bleiben die angetrookneten Staphylokokken genügend lange halt-
bar und gleich widerstandsfähig gegen Desinfektionsmittel. Auch
nach monatelangem Verweilen in flüssiger Luft konnten wir
1) Th. Paul und F. Prall, Die Wertbestimmung von Desinfek-
tionsmitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur der flüssigen
Luft aufbewahrt wurden. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte
26, Heft 2, 1907.
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trook. Bakterien b. nied. Temp. 5
innerhalb der Versuchsfehler keine Abnahme der keimfähigen
Staphylokokken und keine Abnahme der Widerstandsfähigkeit
gegen 512literige (0,053°/ ige) wässerige Quecksilberchloridlösung
nachweisen.
Bei dieser Gelegenheit stellten wir auch einige Vergleichs-
versuche über die Lebensdauer der an Granaten angetrockneten
und bei der Temperatur der flüssigen Luft aufbewahrten Sta-
phylokokken mit denen an, welche gleichzeitig bei Zimmer-
temperatur und im Eisschrank aufbewahrt wurden. Bevor wir
auf die Besprechung dieser Versuche eingehen, soll hier kurz
die bereits oben skizzierte Versuchsanordnung besprochen werden,
um ein Urteil über deren Brauchbarkeit zu ermöglichen. Die
Einzelheiten des Versuchs sind in der obenerwähnten Abhand-
lung beschrieben.
Die sorgfältig mit Salzsäure gereinigten Granaten von an-
nähernd gleicher Größe wurden mit einer frisch bereiteten
und filtrierten Staphylokokkenemulsion geschüttelt und naclı
dem Abtropfen in einem geräumigen Exsiccator über ent-
wässertem Chlorcalcium scharf getrocknet. Ein Teil dieser
Granaten wurde in Glasgefäßen bei Zimmertemperatur, im Eis-
schrank und bei der Temperatur der flüssigen Luft aufbewahrt.
Die Feststellung der Zahl der nach den einzelnen Zeitabschnitten
keimfähig gebliebenen Staphylokokken erfolgte in der Weise,
daß dreimal je 5 Granaten in Reagensgläschen mit je 3 com
Wasser 3 Minuten lang gleichmäßig geschüttelt wurden. Da
die Menge der in das Wasser übergehenden Keime zu groß war,
um ihre Zahl auf einer Plattenkultur festzustellen, so waren
wir genötigt, diese Bakterienaufschwemmung zu verdünnen und
einen bestimmten Teil der Verdünnung zur Aussaat zu bringen.
Zu diesem Zwecke wurde der Inhalt der Röhrchen mit 6°/ „iger
physiologischer Kochsalzlösung auf 100 ccm verdünnt und von
dieser verdünnten Aufschwemmung wurden zweimal je 0,5 ccm
mit 12 ocom Nähragar in einer Petrischen Schale gemischt und
im Brutschranke bei 37° zum Auskeimen gebracht.
Ein anschauliches Bild von dem Verhalten der trockenen
Staphylokokken bei den drei Versuchstemperaturen gibt die
Tabelle I, welche der Tabelle 6 jener Abhandlungvon Th. Paul
und F. Prall entepricht.
6 Th. Paul:
Tabelle I.
Einfluß der Aufbewahrungstemperatur auf die Zahl der an
der StaphylokokkengranateIV angetrockneten entwicklungs-
fähig bleibenden Staphylokokken.
Zeit, welche| Zahl der lebenden Staphylokokken an 5 Granaten, aufbewahrt
seit der An-
3 3 3 3 Z 3 3 3 3
Mittel 0,26 Mittel 0,15
Aus der Tabelle geht hervor, daß die Zahl der keimfähig
bleibenden Staphylokokken beim Aufbewahren im Zimmer und
im Eisschrank innerhalb von 32 Tagen bis auf einen geringen
Bruchteil der Anfangszahl abnimmt, während beim Aufbewahren
bei der Temperatur der flüssigen Luft keine bemerkenswerte
Abnahme zu beobachten ist. Außerdem sieht man deutlich,
daß die Staphylokokken bei Zimmertemperatur schneller ab-
sterben als bei Eisschranktemperatur. Hierzu sei noch bemerkt,
daß diese Versuche nicht in der Absicht angestellt wurden,
exakt vergleichbare Zahlenwerte für die verschiedenen Tempe-
raturen zu erhalten. Die Versuche bei Zimmer- und Eisschrank-
temperatur wurden nur nebenbei zur Orientierung ausgeführt,
als es sich darum handelte, die Haltbarkeit der Staphylokokken
bei der Temperatur der flüssigen Luft zu prüfen. Auch schon
die Schwankungen der Temperatur im Zimmer und im Eis-
schrank müssen einen Einfluß auf die Zahl der keimfähig
bleibenden Staphylokokken ausüben, und infolgedessen werden
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 7
die hier mitgeteilten Zahlen, abgesehen von den durch die
Methode bedingten Mängeln, mit Fehlern behaftet sein. Daraus
erklären sich auch die aus der Reihe fallenden Bakterien-
zahlen bei der Aufbewahrung im Zimmer nach 10 und 16 Tagen.
Auf Grund folgender Überlegung habe ich versucht, aus
den Bakterienzahlen dieser Tabelle eine allgemeine Gesetzmäßig-
keit in bezug auf die Lebensdauer der ausgetrockneten Sta-
phylokokken bei verschiedenen Temperaturen abzuleiten. Wir
wissen, daß die Lebenstätigkeit der aeroben und sehr wahr-
scheinlich auch der anaeroben Bakterien ähnlich wie das Leben
der Pflanzen an die Gegenwart von Sauerstoff gebunden ist.
Sie nehmen den Sauerstoff auf und verbrennen ihn zu Kohlen-
dioxyd, welches wieder abgeschieden wird.) Da die ausge-
trockneten Staphylokokken, welche zu den aeroben Bakterien
gehören, noch lange Zeit lebensfähig bleiben, so müssen jene
Atmungsvorgänge, wenn auch in beschränktem Maße, im Trocken-
zustande weiter vor sich gehen, und es muß in den Bakterien
hierfür eine gewisse Menge von oxydierbaren Stoffen, die wir als
Reservestoff bezeichnen wollen, vorhanden sein, welche durch den
durch die Zellmembranen eindringenden Sauerstoff allmählich oxy-
diert werden. Denken wir uns nun eine Granate, an welcher zu Be-
ginn des Versuches zahlreiche Bakterien angetrocknet sind, so
wird die Summe der Oberflächen aller dieser Bakterien eine
gewisse Fläche darstellen, die der Summe der Zellmembranen
der einzelnen Bakterien entepricht. Da der Vorgang der Oxy-
dation zwischen Sauerstoff, einem Gas, und dem trockenen Re-
servestoff, einem festen Stoff, stattfindet, so haben wir es hier
mit einer chemischen Reaktion in einem heterogenen
System zu tun. Jene Fläche stellt die wirksame Be-
rührungsfläche dar, an welcher sich die Reaktion zwischen
dem Luftsauerstoff und dem zu oxydierenden Reservestoff ab-
spielt. In einem solchen heterogenen System ist die Reaktions-
geschwindigkeit in jedem Augenblick abhängig von der Kon-
zentration (= Dichte) der gasförmigen Phase und der wirksamen
Berührungsfläche zwischen den beiden Phasen, dem Gase und
1) Vgl. u.a. W. Hesse, Über die gasförmigen Stoffwechselprodukte
beim Wachstum der Bakterien, Zeitschr. f. Hygiene 15, 17, 1893, sowie
den Abschnitt XIII, Die Atmung der Bakterien, in den „Vorlesungen
über Bakterien“ von Alfred Fischer, 2. Aufl., Jena 1903.
8 Th. Paul:
dem festen Stoff, und von der Temperatur. Wenn durch die
Reaktion in der Nähe der Berührungsfläche eine Änderung der
Konzentration des Gases stattfindet, so wird für die Reaktions-
geschwindigkeit auch noch die Diffusionsgeschwindigkeit des Gases
eine Rolle spielen.
In unserem Falle bleibt bei konstanter Temperatur die
Konzentration des Sauerstoffes mit genügender Annäherung un-
verändert, da die verbrauchten Mengen sehr gering sind. Aus
demselben Grunde werden auch die Diffusionsunterschiede bei
verschiedenen Temperaturen für die Änderung der Reaktions-
geschwindigkeit mit der Temperatur ohne Belang sein. Die
Konzentration des Reservestoffes bleibt ebenfalls konstant, da
die Konzentration eines festen Stoffes gleich der Dichte ist, die
bei gleichbleibender Temperatur gleichbleibt. Das einzige, was
sich im Laufe der Reaktion auch bei konstanter Temperatur
ändert, ist die wirksame Oberfläche, welche infolge des Ab-
sterbena der Bakterien im Laufe der Zeit abnimmt. Für die
Reaktionsgeschwindigkeit v gilt demnach in jedem Zeitmoment
die Gleichung:
v=k 00O . ......W
In dieser Gleichung bedeutet v die in diesem Zeitmoment
umgesetzte Stoffmenge, C die sich gleichbleibende Konzentra-
tion des Sauerstoffes, d. h. sein Partialdruck, O die zu diesem
Zeitmoment bestehende wirksame Oberfläche und E eine Kon-
stante, d. h. die umgesetzte molekulare Menge, wenn C und
O = 1, d.h. gleich der gewählten Einheit sind!). Das Maß für v,
d.h. für die Reaktionsgeschwindigkeit, stellt die in der Zeit-
einheit abgestorbene Menge der Bakterien dar, und als Maß
für O gilt nach den oben gemachten Ausführungen die Zahl
der noch lebenden Bakterien. Bezeichnet man mit N die zu
Beginn der Reaktion vorhandene Bakterienzahl und mit a die
Zahl der nach t Tagen abgestorbenen Bakterien, so ist N — n,
1) Wenn man beim Aufbewahren der trockenen Bakterien den
Partialdruck des Sauerstoffes vermehrt, so muß nach den oben gemachten
Annahmen auch die Reaktionsgeschwindigkeit vermehrt werden. Tat-
sächlich konnte ich bei neueren mit A. Reuß angestellten Versuchen
beobachten, daß die trockenen Bakterien in einer sauerstoffreicheren
Atmosphäre viel schneller absterben, als bei Gegenwart von atmosphä-
rischer Luft.
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trook. Bakterien b. nied. Temp. 9
d.h. die Zahl der nach t Tagen noch lebenden Bakterien, = O.
Wenn in einem sehr kleinen Zeitabschnitt A € die Bakterien-
menge ^An abgetötet wird, so ist die Reaktionsgeschwindig-
keit
ôn
At
Setzen wir den Ausdruck = in die Gleichung (1) ein,
so erhalten wir nach den Regeln der höheren Analysis die
Gleichung:
v
2.2.)
dn
gi TEON — n) E akoe e a er (0)
Da C eine Konstante ist, so können wir sie mit k zu einer
Konstanten K vereinigen, und die Gleichung lautet:
dn
dt = K KR (N — n) e D e H e ° (4)
Diese Gleichung gibt integriert:
1 N
K — zin N —n e D ° e e e (5)
und nimmt für den Briggschen Logarithmus die Form an:
1 N
K = 72,302 log Non“ (6)
Die in der Gleichung (6) vorkommenden Größen t, N und
N — n finden sich in der Tabelle I, und sonach läßt sich die
Konstante K für die dort angegebenen Aufbewahrungszeiten
berechnen. Die auf diese Weise ermittelten Werte finden sich
in den Rubriken 3 und 6. Mit Rücksicht auf die oben er-
wähnten Versuchsfehler stimmen die K-Werte befriedigend mit-
einander überein. Für K bei Zimmertemperatur ergibt sich
der Mittelwert zu 0,26 und bei Eisschranktemperatur zu 0,15.
Zur Erläuterung des Reaktionsverlaufes ist im nebenstehen-
den Koordinatensystem das allmähliche Absterben der Staphylo-
kokken (Staphylokokkengranate IV) beim Aufbewahren bei
Zimmertemperatur graphisch dargestellt. Auf der Abszissen-
achse ist die Aufbewahrungszeit in Tagen angegeben, wobei als
Ausgangszeitpunkt der Kurve das Ende des ersten Tages ge-
wählt wurde. Auf der Ordinatenachse sind die Zahlen der
Bakterien aufgetragen, welche an den betreffenden Tagen noch
10 Th. Paul:
leben. Jedoch wurden, mit Ausnahme der Anfangsbakterien-
zahl 90800, hierzu nicht die experimentell bestimmten Zahlen
der Rubrik 2 in Tabelle I benutzt, sondern die Zahlen der
Rubrik 4, welche nach Gleichung (6) berechnet wurden, indem
für K der Mittelwert 0,26 und für N die Anfangsbakterienzahl
gesetzt wurde. Die beobachteten Bakterienzahlen sind zum
Vergleich als Punkte, die von einem kleinen Ring umgeben
sind, eingetragen. Auch aus dieser graphischen Darstellung geht
hervor, daß die Abweichungen zwischen Beobachtung und Be-
rechnung nicht sehr groß sind. Diese durch die Berechnung
ermittelten Bakterienzahlen sind in den Tabellen I und II zum
Vergleich in den Rubriken 4 und 7 aufgeführt.
ylohokken
zoh
Š
D
Š
Zahl der lebenden Stø
Lë a
o 3 e 8 0 2 n s mm A
Ayftewohrungszeit in Tagen
Fig. 1.
Da man die Zimmertemperatur im Durchschnitt zu un-
gefähr 16 bis 18° und die Eisschranktemperatur zu 6 bis 8°
annehmen kann, so dürfte der Unterschied zwischen den beiden
Aufbewahrungstemperaturen ungefähr 10° betragen. Diesem
Temperaturunterschied entspricht bei der Staphylokokken-
granate IV in Tabelle I eine Steigerung der Reaktionsge-
schwindigkeit von 0,15 auf 0,26, oder es findet in diesem Tem-
peraturintervall von 10° eine Steigerung der Reaktionsgeschwin-
0,26
0,15
Zum Vergleich wurde dieser Quotient der Reaktions-
geschwindigkeit auch aus den Versuchen berechnet, welche der
= 1,7fache statt.
digkeit um das
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 11
Tabelle 4 der oben genannten Abhandlung von Th. Paul und
F. Prall entnommen wurden, obwohl die Zahl der Versuchs-
zeiten nur gering ist und die Konstanten bei der gleichen
Versuchstemperatur erheblich voneinander abweichen, wie aus
Tabelle II hervorgeht. Der Quotient aus den Mittelzahlen der
0,071
0,042
ten Quotienten überein, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Ver-
suche der Tabellen I und II mit Staphylokokken verschiedener
Züchtung angestellt wurden. Dadurch wird die Wahrschein-
lichkeit der theoretischen Voraussetzungen, von denen wir bei
diesen Betrachtungen ausgegangen sind, gestützt.
= 1,7 stimmt indessen mit dem oben berechne-
Konstanten
Tabelle I.
Einfluß der Aufbewahrungstemperatur auf die Zahl der an
derStaphylokokkengranatelIlangetrockneten entwioklungs-
fähig bleibenden Staphylokokken.
Zeit, welche] Zahl der lebenden Staphylokokken an 5 Granaten, aufbewahrt
seit der An-
tzocknung | bei Zimmertemperatur
kokken an 1 —
die Granaten) beob- |X= 73,302. Big
verflossen | achtet eg AN
N —n
667000| 667000
5637700] 724.000
476 500| 670000
Mittel 0,071 Mittel 0,042
Mit Hilfe der ermittelten Konstanten und Quotienten sind
wir imstande, die Haltbarkeit der getrockneten Staphylokokken
in Berührung mit Luft bei anderen Temperaturen zu berechnen.
Hierbei müssen wir allerdings voraussetzen, daß der Quotient
der Reaktionsgeschwindigkeit 1,7 für die nachstehend zum Ver-
gleich herangezogenen Temperaturen konstant bleibt. Für diese
Annahme spricht, soweit chemische Reaktionen in Betracht
kommen und soweit es sich um tiefe Temperaturen handelt,
folgender Umstand. Der Quotient der Reaktionsgeschwindigkeit
wird durch die Wärmetönung geregelt, so daß eine Änderung
12 Th. Paul:
dieses Quotienten mit der Temperatur dann stattfindet, wenn
sich die Wärmetönung mit der Temperatur ändert. Wie von
verschiedener Seite nachgewiesen wurde, ist die Wärmetönung
bei tiefen Temperaturen im allgemeinen von der Temperatur
unabhängig. Infolgedessen wird auch der Quotient der Re-
aktionsgeschwindigkeit bei tiefen Temperaturen im allgemeinen
gleich bleiben.
Nehmen wir den Unterschied zwischen der Temperatur der
flüssigen Luft (ungefähr — 190°) und derjenigen des Eisschrankes
(ungefähr 47°) zu rund 200° an, so beträgt die Reaktions-
geschwindigkeitskonstante K bei der ersteren 0,15-1,7 2%, d.h.
die trockenen Bakterien sterben bei der Temperatur der flüssigen
Luft 1,72? mal langsamer ab wie im Eisschranke.
Um eine Vorstellung von dieser verminderten Reaktions-
geschwindigkeit zu erhalten, wollen wir die Zeit berechnen,
welche bei der Temperatur der flüssigen Luft erforderlich ist,
damit die Zahl der lebenden Bakterien auf die Hälfte ver-
mindert wird. Dieser Zeitraum beträgt nach Tabelle I bei
Eisschranktemperatur ungefähr 5,6 Tage, und infolgedessen sind
bei der Temperatur der flüssigen Luft unter obigen Voraus-
setzungen 5,6-40550 Tage oder 622 Jahre erforderlich. Da die
Zahl der lebenden Bakterien bei Eisschranktemperatur nach
32 Tagen von 88800 auf 848, also auf ungefähr den hundertsten
Teil gesunken ist, so würde der entsprechende Zeitraum bei der
Temperatur der flüssigen Luft 32.40550 — 3556 Jahre betragen.
Ob die Bakterien bei dieser tiefen Temperatur tatsächlich so
lange zu leben vermögen, soll dahingestellt bleiben. Jedenfalls
ist bei der Beurteilung dieser Verhältnisse in Betracht zu ziehen,
daß nach den von F. Prall und mir angestellten Versuchen!)
die Zahl der lebenden Bakterien innerhalb der Versuchsfehler
nach 100- und nach 125tägiger Aufbewahrung bei der Tem-
peratur der flüssigen Luft keine Abnahme zeigte.
Diese Berechnungen lehren ferner, daß man bei der Halt-
barmachung der Staphylokokken zu vergleichenden Desinfek-
1) Vgl. die Tabellen 7 und 8 der oben genannten Abhandlung
von Th. Paul und F. Prall, Die Wertbestimmung von Desinfektions-
mitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur der flüssigen Luft
aufbewahrt wurden. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte 26,
Heft 2, 1907.
Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 13
versuchen nicht bis zur Temperatur der flüssigen Luft herab-
zugehen braucht, und daß man auch mit der Temperatur
von ungefähr — 80° auskommt, die durch Mischen von
fester Kohlensäure und Ather erhalten wird. Nach jener Be-
rechnung stirbt bei — 83° die Hälfte der Keime erst nach
662 Tagen ab. Wie Untersuchungen gezeigt haben, die ich
in Gemeinschaft mit Anton Reuß ausführte, und über welche
demnächst berichtet werden soll, kann man dieses Kälte-
gemisch in einem großen Weinholdschen Gefäße beliebig lange
aufbewahren, wenn man von Zeit zu Zeit die verdampfende
Kohlensäure durch feste Kohlensäure ersetzt. Da die regel-
mäßige, wochen- und monatelang dauernde Beschaffung von
flüssiger Luft mit Schwierigkeiten verbunden ist, so versuchten
wir, die Staphylokokkengranaten durch Aufbewahren in diesem
billig und bequem zu beschaffenden Kohlensäureäthergemisch
haltbar zu machen. Bei zahlreichen Vergleichsversuchen, die
wir in dieser Richtung anstellten, zeigte es sich, daß die Zahl
der lebenden Bakterien auch nach wochenlangem Aufbewahren
innerhalb der durch die Versuchsanordnung bedingten Fehler-
grenzen tatsächlich konstant blieb.
Für das Absterben trockener Bakterien bei hohen
Temperaturen kommen zum Teil andere Ursachen in Betracht
wie bei niederen Temperaturen. Wie wir gesehen haben, kann die
Temperatur mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln beliebig
erniedrigt werden, ohne daß eine Abtötung der Staphylokokken
stattfindet. Dagegen gehen die trockenen Bakterien beim Er-
hitzen über eine bestimmte Temperatur, welche bei vegetativen
Formen im allgemeinen unter 100° und bei Dauerformen (Sporen)
nicht über 150° liegt, sehr schnell zugrunde. Es scheint jedoch
eine gewisse Analogie zwischen dem langsamen Absterben in der
Kälte und dem schnellen Zugrundegehen in der Hitze zu be-
stehen. Aus einigen Versuchen, bei denen Milzbrandsporen
durch Erhitzen auf 100° und 110° abgetötet wurden, schließen
Th. Madsen und Max Nymann in der oben genannten Ab-
handlung (S. 403), daß hierbei die Verminderung der Sporenzahl
demselben Gesetz zu folgen scheine wie die Sublimatdesinfektion,
d.h. analog einer monomolekularen Reaktion verlaufe.
Zur biologischen Wirkung der Salze.
I. Mitteilung.
Einfluß der Salze auf die Körpertemperatur.
Von
Ernst Schloß.
(Aus dem großen Friedrichs-Waisenhaus der Stadt Berlin, Rummelsburg.)
(Eingegangen am 2. April 1909.)
Mit 7 Figuren im Text.
In Nr. 5 der Deutschen Medizinischen Wochenschrift dieses
Jahres sind, in weiterer Verfolgung der von Finkelstein ent-
deckten und einwandsfrei bewiesenen Tatsache des alimentären
Fiebers, von Ludwig F. Meyer angestellte Untersuchungen
veröffentlicht, die eine neue Wirkungsweise der Salze zeigen.
Er fand, daß Neutralsalze, aber nur die Natriumverbindungen
der Halogene imstande sind, auch oral schon in relativ geringer
Dosis beim Säugling Fieber bis zu hohen Graden auszulösen.
Auf Einzelheiten der Arbeit wird noch in unserer Darstellung
des öfteren zurückzukommen sein.
Bei Gelegenheit von Untersuchungen, die von mir im Laufe
des letzten Winters über die Einwirkung der Salze auf den
Säuglingsstoffwechsel angestellt wurden (sie werden demnächst an
dieser Stelle erscheinen), ergab sich im ganzen eine Bestätigung
der Resultate von Ludwig F. Meyer, daneben aber eine Reihe
neuer — wie mir scheint — wichtiger Befunde, die mich ver-
anlaßten, nochmals die klinische Wirkung der Salze zum Gegen-
stand eines eingehenderen Studiums zu machen.
Die Methodik meines Vorgehens war eine etwas andere
wie die von Ludwig F. Meyer in Anwendung gebrachte.
Während dieser die Salze in einer der 1°/,igen Kochsalzlösung
isotonischen Lösung, und zwar stets dieselbe Flüssigkeitsmenge
E. Schloß: Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 15
auf zwei Male verteilt, verabfolgte, gab ich das Salz nach
Vorversuchen, die eine höhere Bedeutung der Konzentrations-
verhältnisse nicht ergaben, direkt in die Nahrung zu den ge-
wöhnlichen Mahlzeiten. Das hatte den Vorteil, daß die Kinder
das Salz anstandslos nahmen und der ganze Vorgang mehr
unter physiologischen Sekretions- und Resorptionsverhältnissen
stand. Auch wurde eine eventuelle durch das Salz verursachte
Reizung des Verdauungstraktus von dem einhüllenden Medium
hintangehalten. Ein zweimaliges Geben des Salzes ist an und
für sich wenig zweckmäßig, da die Klarheit der Reaktion dadurch
etwas leidet, erwies sich aber bei größeren Dosen im Interesse
der Sicherheit des Versuches als unvermeidlich.
Was die Dosierung der verschiedenen Salze anbetrifft, so
erschien es mir angebracht, mich statt an die molekulare
Konzentration lieber an die Atomgewichte zu halten und somit
von den zu prüfenden Ionen stets gleiche Gewichtsmengen zu
geben, doch wurde dies nur ganz grob durchgeführt, da es ja
hier weniger auf quantitative Verhältnisse ankam.
Bevor ich auf die Versuchsergebnisse zu sprechen komme,
ist es vielleicht zweckmäßig, wenn ich noch kurz auf die
Symptomatologie der beim Säugling eintretenden Reaktion
eingehe.
Das wichtigste Kriterium ist das Verhalten der Temperatur,
das beim jungen Säugling viel mehr Aufmerksamkeit verdient
wie beim Erwachsenen. Die Tagesschwankungen sind bei ihm
erheblich kleiner; eine direkte Monothermie, wie früher an-
genommen wurde, wird aber nur bei seltenen Messungen (zweimal
am Tage) vorgetäuscht. Bei zweistündlichen Messungen treten
stets etwas größere Ausschläge auf, die aber 5 Dezigrad normaler-
weise nicht überschreiten sollen. Ich verweise in dieser Beziehung
auf die Arbeit von Gofferj6 aus der Salgeschen Rink?
Der Puls der Säuglinge ist seiner Qualität nach nicht recht
zu verwerten, da hier selbst bei gesunden Kindern große
Schwankungen vorkommen. Dagegen ist die Anzahl der Puls-
schläge ein sehr wichtiges diagnostisches Merkmal, besonders
aber ihre Verminderung. Es besteht ein weitgehender Paral-
lelismus zwischen Temperatur- und Pulskurve, wie er ja auch
auf unseren Kurven zutage tritt.
1) Jahrb. f. Kinderheilk. 68, 131.
16 E. Schloß:
Als drittes, wichtiges Merkmal ist das psychische Ver-
halten zu bezeichnen, das auch bei unseren Versuchen eine
Rolle spielt. Es ist hier der Antagonismus von komatösen
Zuständen jedes Grades, die im Gefolge von alimentärem Fieber
meist mit Pulsfrequenz verbunden auftreten, und Aufregungs-
zuständen, die meist mit Temperatur- und Pulsherabsetzung
parallel gehen; auf der einen Seite das wichtigste Symptom der
Intoxikation, auf der andern Seite das der Dekomposition
nach Finkelstein, der beiden schwersten Formender Ernährungs-
störungen der Säuglinge. Der Unterschied ist nur der, daß
bei diesen Ernährungsstörungen die Erscheinungen sehr gefahr-
drohend und nur schwer reparabel sind, während hier dieser
Symptomkomplex nach kurzer Zeit verschwindet, ohne irgend-
welche Folgen zu hinterlassen.
Auch das Verhalten des Körpergewichtes ist sehr wichtig,
kann aber hier noch nicht ausführlicher besprochen werden.
Die Kinder wurden mehrere Tage vorher zweistündlich
gemessen und, wenn ihre Temperatur das oben erwähnte Maß
überschritt, ausgeschaltet. Mit der Salzdarreichung wurde lang-
sam tastend vorgegangen, immer den Allgemeinzustand des
Kindes berücksichtigend. Zur Sicherstellung der Versuche vor
anderen Einflüssen war es hauptsächlich nötig, einen ev. Ein-
fluß der Nahrung auszuschalten. Es war ja immerhin möglich,
daß vorwiegend bei einer, an sich schon salzreichen Nahrung,
oder bei einem Kinde mit reichlich zirkulierendem Salz die
Mebreinfuhr eine Reaktion hervorrufen würde. Es wurden daher
bei salzreicher und salzarmer Ernährungsweise Versuche angestellt,
die aber keinen Unterschied ergaben. Brustkinder reagierten
ebenso wie Buttermilchkinder. Dagegen spielt das Alter, worauf
ja schon Ludwig F. Meyer aufmerksam macht, eine wichtige
Rolle; je jünger die Kinder, um so stärker ist die Reaktion;
deshalb wurden hauptsächlich auch Kinder des ersten und
zweiten Lebensmonats zu diesen Versuchen herangezogen.
Einen Einfluß der Darmfunktion, wie ihn Ludwig F. Meyer
beobachtete, habe ich nicht weiter verfolgen können, da ich
möglichst normale Säuglinge aussuchte.
Was nun die Ergebnisse meiner Versuche angeht, so ist
zunächst zu betonen, daß an der Tatsache der fiebererzeugenden
Wirkung der Salze nicht mehr zu zweifeln ist. In dieser Be-
Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 17
ziehung kann ich nicht nur die Angaben von Ludwig F. Meyer
bestätigen, sondern muß sie sogar noch erweitern. So wirkt
von den Natriumverbindungen das Kochsalz, das wichtigste
Salz der ganzen Reihe, nicht nur in einer Dosis von 1g schon
stark fiebererzeugend, sondern selbst 0,5 g machen schon deutliche
Reaktionen (Kurve la, b); daß aber auch bei hohen Dosen
La
———
einmal die Reaktion ganz ausbleiben kann, zeigt Kurve 3, auf
die noch mehrfach zurückzukommen sein wird.
Das zweite Natriumsalz, das nach meinen Erfahrungen sich
am engsten an das Chlornatrium anschließt, das Jodnatrium,
macht ebenfalls in denmeisten Fällen hohes Fieber, hier zeigten
sich aber schon mehrmals (bei 5 unter 12 Versuchen) nach
— VEEWBELEEEWRWBELECEHNELLEENUBELEETVEEEEENT
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Kurve 2.
dem Fieber Temperatursenkungen, die nun in 2 Fällen ganz
isoliert auftraten. (Kurve 2a, b, Kurve 3.)
Das Bromnatrium fand ich in 3 Versuchen weniger wirk-
sam nach der fiebererzeugenden Seite hin, dafür aber in einem
Falle bei einer Dosis von nur (le stark temperaturherab-
setzend. (Kurve 3.)
Damit ist aber die Reihe der fiebererzeugenden Natrium-
salze nicht erschöpft. ‚Schon das Natrium bicarbonicum erwies
Biochemische Zeitschrift Band 18. 2
18 E. Schloß:
sich bei den 3 Fällen seiner Anwendung stets sehr wirksam
(Kurve lc) und ebenso das essigsaure Natrium in einem Falle.
Hier könnte es sich ja auch um eine Chlornatriumwirkung
handeln, da sich diese Salze innerhalb des Körpers mit der
Salzsäure zu Kochsalz umsetzen werden. Das Monocarbonat,
Soda, war das einzige Salz, welches nicht genommen resp.
gleich wieder erbrochen wurde.
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Zu einer Prüfung der Kaliumverbindungen kam ich aus
der Vermutung heraus, daß durch eine akute Kochsalzentziehung,
wie sie durch einige dieser Verbindungen möglich ist, sich
Untertemperaturen erzeugen lassen müßten.
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Kurve 4.
Bekanntlich setzt sich z. B. Kaliumoarbonat mit dem Natrium-
chlorid zu Natriumcarbonat und Kaliumohlorid um; die beide ausge-
schieden werden.
Meine Annahme fand beim Kaliumoarbonat ihre Bestätigung
in 3 von 4 Fällen, einmal trat aber auch Fieber auf, (Kurve 5, b, c).
In viel stärkerem Maße war letzteres bei dem Bicarbonat der
Fall, das in allen 4 untersuchten Fällen stets starke Fieber-
Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 19
reaktionen auslöste.e (Kurve 5a). Beide Verbindungen hat
Ludwig F. Meyer nicht geprüft.
Besonders wichtig war es, die Halogenkalium verbindungen,
die bei den Versuchen Ludwig F. Meyers keine Reaktion
gegeben hatten, zu prüfen, und wirklich waren auch in einem
Falle, der auf Jodnatrium sehr stark reagiert hatte, dieselbe
Dosis Jodkalium absolut ohne Wirkung, dagegen trat bei einem
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75 ANCO Ma 8#10 h CO
zweiten Falle nach der ersten Applikation eine Spätreaktion
(Kurve 4a) und .2 Wochen später bei derselben Dosis eine
ganz typische sofortige Reaktion mit allen Begleiterscheinungen
wie bei den Halogennatriumverbindungen auf (Kurve 4b);
auch Bromkalium (Kurve 4c) und Chlorkalium ergaben in
einem Falle eine schwache Fieberreaktion, desgleichen Kalium-
phosphat.
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Kurve 6.
Es dürfte damit die pyretogene Wirkung auch der Kalium-
salze sichergestellt sein. Man muß annehmen, da hier gerade
die bestimmten Verbindungen am stärksten reagieren und die
andern selten oder zögernd, daß gewöhnlich diese Verbindungen
den Kreislauf verlassen, ohne in eine Reaktion mit dem Körper
getreten zu sein.
9e
20 E. Schloß:
Besonderes Interesse verdienen die Ergebnisse bei dem dritten
Metall, dem Calcium. Auch hier hat Ludwig F. Meyer
nie Fieberwirkungen beobachtet, Untertemperaturen wurden
von ihm nicht gebührend berücksichtigt.
Zunächst ist festzustellen, daß Calciumverbindungen ab und
zu auch leichte Temperatursteigungen hervorrufen, so wurde das
beim Chlorid, Carbonat, Acetat, Phosphat in 6 Fällen gefunden
(Kurve 6a), dagegen tritt hier die temperaturerniedrigende
Wirkung in den Vordergrund; besonders dem Calciumchlorid
kommt diese Eigenschaft: in hervorragendem Maße zu. In 5 Fällen
trat sie allein und einmal nach einer leichten Steigerung auf
(Kurve 6 b, oi, Desgleichen erwiesen sich das Acetat und das
Phosphat temperatursenkend (Kurve 7); da gerade hier mit der
Dosierung nur äußerst vorsichtig vorgegangen werden durfte,
sind die Ausschläge nicht sehr groß aber doch einwandsfrei.
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Kurve 7.
Es wäre nun vielleicht interessant gewesen, auch noch die
anderen Verbindungen dieser Metalle (z. B. den Kalisalpeter
auf seine angeblich temperaturherabsetzende Wirkung), und
noch weitere Metalle zu prüfen. Aber diese Stoffe sind schon
nicht mehr harmlos, und so verbot sich ihre Anwendung von
selbst. Ich glaube auch, daß sich dabei nicht mehr viel Neues
ergeben hätte. Wahrscheinlich gibt es noch viele Verbindungen,
die beim Säugling in der nötigen Dosierung Fieber erzeugen,
aber um typische Reaktionen wie bei den Natrium- und Kalium-
verbindungen dürfte es sich da nicht handeln. Lohnender ist
schon die Aufgabe, die Wirkung letzterer Verbindungen bei
längerer Darreichung kleiner Dosen zu beobachten. Es sind
auch schon Versuche in dieser Richtung im Gange, die aber
ein absohließendes Urteil noch nicht gestatten.
Überschauen wir unsere Resultate, so dürfte es zunächst
gewagt erscheinen, sichere Schlüsse daraus zu ziehen oder
gar eine bestimmte Regel aufzustellen. Alle 3 untersuchten
— — — — — —
Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 21
Metalle machen einmal Fieber, ein andermal Untertemperatur und
manchmal auch keine Reaktion; wie läßt sich da etwas Be-
stimmtes aussagen? Und doch ist dies möglich, wenn man nur
zunächst einmal die individuellen Schwankungen ausschaltet und
dann die Resultate richtig gruppiert. Erinnern wir uns aus
der Lehre vom Fieber daran, daß die Wärmeregulation bei ver-
schiedenen Individuen unter dem Einfluß desselben Reizes eine
verschiedene ist. Jeder Fieber erzeugende Reiz ruft auch bei
einzelnen Individuen Untertemperatur hervor; manche Substanzen
sind in kleinen Dosen pyrethogen, in großen erzeugen sie Collaps;
und endlich treten sehr oft vor oder nach Fieber Untertem-
peraturen auf. Diese individuellen Schwankungen sind meines
Erachtens wohl ausreichend, die Untertemperaturen bei den
Natriumverbindungen zu erklären (bei 30 Versuchen nur zweimal
bei demselben Falle und einmal bei einem zweiten).
Anders schon bei den Kaliumverbindungen. Das dreimalige
Auftreten von Untertemperaturen bei 5 Versuchen mit Kalium-
carbonat ist schon nicht mehr zufällig, hier könnte ev. die
oben erwähnte Vermutung zur Erklärung ausreichen, doch wäre
es voreilig, ein Urteil darauf schon festzulegen. Es ist ebenso-
gut möglich, daß die Kaliumverbindungen zu der dritten Gruppe
überleiten, der Gruppe der Calciumverbindungen, wo die Fieber-
wirkung so gering ist, und ganz gegen die temperaturherab-
setzende Wirkung zurücktritt. Hier müssen wir schon eine
spezifische, gesetzmäßige Reaktion annehmen. Es dürfte also
der Satz aufgestellt werden, daß Natrium- und wohl auch Kalium-
verbindungen vorwiegend temperatursteigernd, die Calciumver-
bindungen meistens herabsetzend wirken.
Soll der Versuch gemacht werden, ein Verstäudnis dieser
Vorgänge anzubahnen, so dürfte es wohl am besten sein, sich
zunächst eng an die Ausführungen Schmiedebergs über
die Wirkung der anorganischen Verbindungen zu halten’).
Danach könnten diese gefundenen Resultate entweder von den
allgemeinen physikalischen Eigenschaften der betreffenden Sub-
stanzen abhängen (allgemeine Ionenwirkung), oder von der
specifischen Wirkung der Dissociationsprodukte (specifische Ionen-
wirkung) oder endlich von gewöhnlichen chemischen Reaktionen
(spezifische molekulare Wirkung). Letztere Wirkungsweise, die
1) Grundriß der Arzneimittellehre.
22 E. Schloß:
mit der Ätzung identisch ist, dürfte in unseren Versuchen aum
irgendwie bedeutungsvoll sein. Die erste Möglichkeit, daß es sich
um rein physikalische Vorgänge, bedingt durch die Verschiedenheit
des osmotischen Druckes der eingeführten Lösungen und der
Körpersäfte handelt, ist sicher vorhanden, aber zur Erklärung
nicht ausreichend, da ja Salze mit demselben osmotischen Druck,
wie schon Ludwig F. Meyer gezeigt hat, ganz verschieden wirken.
Die zweite Möglichkeit, daß es sich um spezifische Ionenwirkung
handelt, ist wohl die hauptsächlich in Betracht kommende. Und
zwar scheinen es die Kationen, die Metalle, zu sein, die die spezifische
Reaktion veranlassen, welche aber noch von den Anionen
modifiziert wird.
Die einwertigen Kationen Natrium und Kalium
sind, wie es scheint, die Träger der temperatursteigern-
den, das zweiwertige Kation Calcium der Träger der
temperaturherabsetzenden Funktion.
Und damit kommen wir zu der allgemeineren Bedeutung
dieser Tatsachen. Zu den bisherigen Befunden über den Ant-
agonismus der zweiwertigen und der einwertigen Metalle, die
von der Hofmeisterschen und Jacques Loebschen Schule
begründet ist, tritt ein neues Moment, ein rein klinisches.
Es ist wohl nicht zu weit gegangen, wenn man annimmt,
daß die anderen zweiwertigen Metalle sich in diesen Rahmen
einfügen, finden wir doch beim Calcium schon alle die klinischen
Wirkungen vorgeahnt, die z. B. beim Magnesium stärker auf-
treten und beim Barium (mit seiner stark lähmenden Eigen-
schaft) in höchster Ausbildung vorhanden sind.
Aber auch für unsere Erkenntnis des Stoffwechsels und
für die Klinik kann die neue Forschungsrichtung fruchtbar
werden, wie ich in den nächsten Mitteilungen zu zeigen hoffe.
Notizen zu den Kurven:
1. Sch. 15 Tage alt, Gewicht 3000, kräftiges Kind in gutem Er-
nährungszustand, mit gutem Gewebsturgor, Nahrung molkenarme Milch.
2. P. 17 Tage alt, Gewicht 3200, gesunder Säugling in guter Ge-
wichtezunahme. Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch.
3. T. 21/2 Monate alt, Gewicht 2600, ziemlich elendes Kind, dys-
peptisch, Nahrung !/, Milch mit Nährzucker.
Zur Biochemie der Salzwirkung. L 23
4. K. 1. Di Monate alt, Gewicht 2900, etwas atrophisches, aber
sonst kräftiges Kind mit gutem Stuhlgang, Nahrung ł/ Milch mit
Nährzucker. |
5. G. 31/, Monate alt, Gewicht 2900, ziemlich atrophisches Kind,
seit 2 Monaten Brustnahrung, dabei gute Zunahme.
6. F. ®/, Monate alt, Gewicht 3400, sehr kräftig, Luesverdacht,
später nicht bestätigt, Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch.
7. KS 3/, Monate alt, Gewicht 3400, kräftiges Kind, ohne Störung.
Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch.
8. L. ®/, Monate alt, Gewicht 3400, normales Kind, Nahrung
Allaitement mixte mit Buttermilch.
9. S. Di Monate alt, Gewicht 3500, kräftiges Kind in guter Zu-
nahme, Nahrung !/, Milch mit Nährzucker.
10. Pr. Di Monate alt, Gewicht 3200, kräftiges Kind, Nahrung
Allaitement mixte.
Zur Lehre von der Säurevergiftung.
Von
Julius Pohl,
(Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität Prag.)
(Eingegangen am 3. April 1909.)
Ich habe schon einmal!) gegen die Meinung H. Eppingers,
daß die Aminosäuren und Harnstoff Gegengifte unzerstörbarer
Säuren in dem Sinne sind, daß sie für den Organismus zu
Ammoniakquellen werden, Stellung genommen, und ich sehe
mich durch die jüngst erschienene Mitteilung obigen Titels von
H. Eppinger und F. Tedesko?), die diese Anschauung auf-
recht erhält, bewogen, neuerliches Material in dieser Frage bei-
zubringen, sowie die letzten Versuche der genannten Autoren
kritisch zu beleuchten.
In der zweiten Mitteilung Eppingers?) findet sich gegen
unsere, die Erfolglosigkeit der Darreichung von Harnstoff gegen
tödliche Säuredosen erweisenden Versuche der Einwand, daß wir
den Harnstoff per os gegeben haben. ‚Denn daß der Harn-
stoff per os nicht wirkt, das weiß ich auch.“ Nun ist es schon
auffällig, daß Gegengift und Gift gleichzeitig gegeben giftiger
sind als gesondert gereicht, trotzdem habe ich mich doch der
Forderung, den Harnstoff subcutan reichen zu sollen, gefügt.
Bevor ich meine neuen Versuche anführe, sei darauf hin-
gewiesen, daß die Dosis 0,9 g HCl p. kg Kaninchen durchaus nicht
die unbedingt tödliche Dosis ist, was auch Löwi*) angibt.
1) J. Pohl und E. Münzer, Über Entgiftung von Mineralsäuren
durch Aminosäuren und Harnstoff. Centralbl. f. Physiol. 20, 1906.
2) Diese Zeitschr. 16, 207, 1909.
8) Zeitschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 3, 534, 1906.
4) Centralbl. f. Physiol. 20, Nr. 10, 1906.
J. Pohl: Zur Lehre von der Säurevergiftung. 25
Schon in Walters grundlegender Arbeit!) findet sich,
Seite 156, die Äußerung: ‚Überschritt man die Menge von
0,9 HCI p. kg, so trat der Tod ein" Ich überschreite also diese
Dosis und gebe in nachfolgenden Versuchen Igp.kg auf
24 Stunden verteilt. Übrigens führt Eppinger in seiner Arbeit
II, Seite 546 an, daß man bei Versuchen mit Harnstoffinjektionen
bis auf das Doppelte der Säure steigen konnte, somit ist das
Plus von 0,1 nicht von Bedeutung.
Versuch 1.
Kaninchen 1600 g. Die Salzsäure ?/, normal — 0,91°/, HCl.
Von derselben sind zu reichen 175,9 com.
+
18.3. 11è, 4+, 8b je 49 com der Säure -+ 3 g U subcutan.
19.3. wird das Tier tot vorgefunden, nachdem es somit nur
147 ccm HCI = 0,83 p. kg erhalten hat.
Versuch 2.
1750 g Kaninchen (nach Abpressen des Harns gewogen)
Normaltemperatur 39,4. Es hat zu erhalten 192 ccm = 48 com
Säure pro Dose. 27.3. 10, 330, 7615 je 48 ccm der Säure
+ je 3g Ù suboutan in 20 ccm phys. NaCl-Lösung.
25. 3. früh 7, Temperatur 37,6. Dann die vierte In-
jektion. Allmählich wird das Tier traurig, läßt den Kopf auf
die Unterlage sinken, der Cornealreflex bleibt aus und 8?/,h
Tod des Tieres. Sektion zeigt vollkommen normalen Lungen-
befund.
Die Schutzwirkung des Harnstoffes ist somit auch
bei subcutaner Darreichung am Hafertier — Null.
Der Idee, Ù als Ammoniak-Quelle anzuwenden, widerspricht
im übrigen schon von vornherein die Unangreifbarkeit dieses
Stoffes.
In weiterer Verfolgung der Anschauung, daß die Amino-
säuren Ammoniak-Quellen für den Hund sind, soll in der letzten
Arbeit von Eppinger und Tedesko gezeigt werden, daß Eiweiß-
hunger, der die disponiblen Aminosäuremengen mindert, bei
diesen Tieren den Schutz gegen Mineralsäuren aufhebt, daß sich
somit im Hunger der Hund wie ein Pflanzenfresser verhält.
1) Arch. f. experim, Pathol. u. Pharmakol. 7.
26 J. Pohl:
Das Urteil über die Beweiskraft der von Eppinger und Tedesko
beigebrachten Versuche hängt nun von folgendem Gesichtspunkt
ab: Säurevergiftung ist Alkali-Entziehung, und Säureentgiftung
bedeutet Hemmung der Verarmung an fixen Alkalien (in diesem
Falle mit Steigerung des ausgeschiedenen Ammoniaks).
Als ich nun von diesem Gesichtspunkt aus die neuen Versuche
und Tabelle I bis V, die die obige These stützen sollen, durch-
rechnete, stieß ich auf analytische Merkwürdigkeiten, die mich
zu ganz anderen Schlußfolgerungen führten als die Autoren.
Nachdem zur Deutung der Versuche genaue Dosenangaben und
Kenntnis des eingeschlagenen analytischen Verfahrens notwendig
ist, habe ich mich zur Ergänzung der Daten der Arbeit direkt
an Herrn Doz. Eppinger gewendet und lege die in freund-
lichster Weise gegebenen Aufklärungen meinen Ausführungen
zugrunde.
Im ersten Versuch (Tabelle I und II) wird die Summe
KO +- NaCl für sich bestimmt, anderseits das Chlor des Harns
nach Volhardt titriert und der erhaltene Wert auf Kochsalz
und HCl umgerechnet. Tatsächlich ist das Chlor im Harn an
verschiedene Basen gebunden (siehe u. a. die Arbeiten von
Allers und Bondi’), Granström?). Die Angaben der Tabelle I,
daß Harne mit nur 0,9; 0,3; 0,23;0,54 HCI gleichzeitig (OI NaCl)
im Werte von 3,75; 3,4; 4,2; 3,03 gegenüberstehen, sind unmöglich
richtig; denn lassen wir z. B. 0,9 HCl ganz als KCl erscheinen,
so ergibt dies nur 1,81, niemals 3,75 usw. Ferner ist hier fol-
gende Merkwürdigkeit zu verzeichnen. Am Säuretag findet sich
dem Normaltag gegenüber ein Plus von 2,04 NH, im Harn;
lassen wir diese, einer Entgiftung entsprechend, an HO gebunden
erscheinen, so entspricht dies, da 1 NH, = 2,14 HCl, dem Werte
von 4,3 HCl. Nun sind für diesen Tag, wieder nach Abzug des vor-
ausgehenden Normaltags, 4,47 HCI im Harne erschienen, somit
allesChlordurch Ammoniak in Beschlag belegt. Trotzdem finden die
Autoren außerdem noch 8,9 (NaCl -- KCl). Ich halte mich bei
diesem Widerspruch in folgendem an den direkt bestimmten
KO + NaCl-Wert.
Während das mit Fleisch gefütterte Tier die als tödlich
angenommene Salzsäuremenge verträgt, geht derim Eiweißhunger
1) Diese Zeitschrift 6, 361, 1907.
2) Zeitschr. f. physiol Chemie 58, 198.
Zur Lehre von der Säurevergiftung: 27
befindliche Hund auf 600 ocm al, HO = 5,46 HCI auf 9,8 kg
=— 0,55 p. kg zugrunde. Bedenkt man, daß von der letzten um
dh nachmittags gereichten Dosis kaum alles resorbiert wurde,
da der Tod bereits um 6è eintrat, so ist die tödliche Dosis p. kg
Hungerhund noch geringer. Diese Dosis ist fast halb so
klein als für das gefütterte Kaninchen. Meiner Anschauung
nach beweist dieses Resultat durchaus nicht, daß der Carnivore
durch Eiweißhunger quoad Stoffwechsel in einen Herbivoren
verwandelt wird, sondern es beweist, daß die Versuchsbedingung
Hunger die Verhältnisse in solch eingreifender Weise stört, daß
ein sicherer Rückschluß auf eine einheitliche Todesursache nicht
gestattet erscheint.
Wenden wir uns den Zahlen für KCI-+ NaCl dieses Ver-
suches zu. Für das fleischgefütterte Tier ergibt sich nach Ab-
zug des vorausgehenden Tages 8,96 — 3,03 — 5,93 in 24 Stunden;
am Eiweißhungertier 7,35 — 2,02 — 5,33 in 23 Stunden. Somit
besteht im letztern Fall durchaus keine Steigerung der Basen-
ausfuhr gegenüber dem Ammoniak vorschiebenden fleischge-
fütterten Hund. Hier muß ich auf einen wichtigen analytischen
Irrtum dieses Versuchs aufmerksam machen, Ist in Tabelle II
2,053 HO = 1,988 Cl richtig, so kann, da 1 HCI = 2,04 KCI ist,
selbst dann, wenn alles Chlor an Kalium gebunden gerechnet
wird, höchstens 4,18 (KCI + NaCl) vorhanden gewesen sein,
niemals 7,3. Ist wiederum der Chlorwert richtig, so kann nur
3,2 NaCl “vorhanden gewesen sein, nicht aber 5,12.
Ein weiterer Versuch wird nicht mehr am Kaninchen, sondern
am Schafe durchgeführt; er soll beweisen, daß auch beim Herbi-
voren Nahrungseiweiß die Säurewirkung paralysiertt. Im Harn
werden bloß die Chlorionen titriert. Das normale, mit Kohlen-
hydraten gefütterte 18 kg-Tier geht (wie mir gütigst von
Eppinger mitgeteilt wurde) nach 1500 ccm al, HO 13,65 HO
= 0,7 p. kg zugrunde. Das zweite mit Eiweiß gefütterte Tier
scheidet nun nach der Salzsäure-Darreichung tatsächlich eine
größere Ammoniakmenge aus. Wie steht es aber mit dem Schutz
gegenüber der Basenentziehung? Am ersten, zweiten, dritten Tag
nach der Säurefütterung finden sich 34,85g als Kochsalz be-
rechnete Basen im Harn. Nach Abzug der drei vorhergehenden
Normaltage mit 8,68 bleibt ein Plus von 26,17 NaCl. Selbst
dann, wenn wir die im Harn aufgetretenen Ammoniakwerte an
28 J. Pohl:
Salzsäure gebunden annehmen und in Abzug bringen, so bleibt
noch immer eine die Normalbasenausscheidung um das Doppelte
übersteigender Wert. Von einem Schutz des Basenbestandes
kann nicht die Rede sein. Ein sicheres Urteil über die
einschlägigen Verhältnisse ist aber um so weniger zu fällen,
als mit der Art des verfütterten Eiweißes ein elementarer Ver-
suchsfehler eingeführt wurde: es wurde nämlich Plasmon neben
der Salzsäure gereicht. Plasmon ist mit Natriumcarbonat di-
geriertes Casein mit 7 bis 8°/, stark alkalisch reagierender Asche
(Na, Ca). Da Plasmon ein leicht resorbierbares Alkalieiweiß dar-
stellt, das im Körper verbrennt, so bedeutet seine Einfuhr neben
der Säure Neutralisation der letzteren. In welchem Maße durch
Plasmon Säure gebunden werden kann, lehrt folgender
Versuch 3.
Je 2 g Plasmon werden verascht, die Asche 24 Stunden
mit pl, HCl stehen gelassen und dann zurücktitriert. Als Mittel
zweier derartigen Analysen ergibt sich pro Gramm Plasmon
eine Bindung von 9,25 al, HCl.
Da das Tier 240 g Plasmon an 2 Tagen bekam, so bedeutet
dies die Möglichkeit einer Alkalibindung von 2220 ccm sl, HO =
8,1g HCl. DasSchaf hat also nicht 15 g, sondern eine Gesamtresorp-
tion des Plasmons angenommen, nur 6,9 HCl = 0,42 p. kg erhalten.
Tatsächlich wird nun gewiß, wie von der Salzsäure, nur ein
Teil des Plasmons aufgenommen worden sein, es genügt aber
das Herabdrücken der Säuredosis pro Kilogramm um 0,1 bis 0,2,
um das Überleben des Tieres zu erklären. Auf keinen Fall
beweist somit ein Versuch mit Plasmonfütterung irgend etwas
für die Lehre von der Säurevergiftung.
Ein weiterer Versuch, Tabelle V, soll nun wie in der aller-
ersten Arbeit die Schutzwirkung durch Harnstoff belegen.
-+
Ein Tier von 17,5 kg erhält 120 g U in 4 Tagen subcutan; am
dritten Tag 16 g HCl und kommt davon. Das Plus an Am-
moniak an den Säuretagen ist ein äußerst geringes — 1,46 an
2 Tagen. Dabei ruft Ù für sich allein schon eine Steigerung
der Ammoniakausscheidung von 0,36 auf 0,68 hervor, und es
ist durchaus nicht unmöglich, daß die Ammoniakbestimmungen
im Harn bei Gegenwart großer Harnstoffmengen unsicher
Zur Lehre von der Säurevergiftung. 29
werden. Wenigstens haben wir diesbezüglich unangenehme Er-
fahrungen gemacht. Dabei findet wieder, soweit man aus den
Chlorwerten allein, ohne Bestimmung der einzelnen Basen,
eine Basenbewegung erschließen kann, eine mächtige Basen-
ausscheidung statt. Erwägt man, daß das in Tabelle III be-
schriebene Säuretier von 12 Uhr bis 7 Uhr des nächsten Tages
i.e. 31 Stunden 9,65 NaCl ausgeschieden hat, dann sind doch
die 24stündigen Basenwerte des Harnstofftieres mit 9,6 und
9,45 größere als beim nicht entgifteten Tier. Rechnet man diese
Zahlen in der Weise um, daß man die im Harn gefundenen
Ammoniakmengen von den Chlornatriumzahlen abzieht (das
Ammoniak des Harns ist ja auch an Cl gebunden erschienen),
so scheidet das Normalsäuretier in 24 Stunden 5,2, das mit Harn-
stoff behandelte Tier am ersten Tage 5,2, am zweiten 7,2g aus,
also sicher mehr Basen als das nur mit Säure behandelte
Tier. Von einem Basenschutz kann also auch hier nicht die
Rede sein.
Um aber endgültig die Vorstellung einer Entgiftung der
Mineralsäuren durch Ammoniak beim Herbivoren zu prüfen,
die mir bei der Giftigkeit der Ammoniaksalze von Mineral-
säuren für diese Spezies zwar ganz unlogisch erscheint, so habe
ich noch einem Kaninchen, das 1g HClp.kg per os erhalten
hat, suboutan essigsaures Ammoniak in einer Menge gegeben,
daß 1g HCl auf die nicht tödliche Menge 0,8 hätte entgiftet
werden können. Das Tier ging trotzdem unter den typischen
Erscheinungen der Säurevergiftung nach der dritten Säuredosis
zugrunde. |
Ich halte somit die Lehre einer Entgiftung von Mineral-
säuren beim Herbivoren durch Eiweißkörper, Aminosäuren und
Harnstoff für völlig unbegründet.
Zur Frage der Blutgerinnung.
Von
P. Morawitz, Heidelberg.
(Eingegangen am 3. Apri 1909.)
In den letzten Jahren sind eine Reihe von Arbeiten er-
schienen, die sich mit der Lehre von der Blutgerinnung beschäf-
tigen und sich besonders auf die erste Phase der Gerinnung, die
Bildung des Fibrinferments, beziehen. Alexander Schmidt!)
hatte sich die Entstehung des Fibrinfermentes so vorgestellt,
daß er eine Aktivierung einer im Plasma vorhandenen Vorstufe
des Fibrinferments, des Prothrombins, durch die zymoplastischen
Substanzen der Gewebs- oder Blutzellen annahm. Später ist
diese Hypothese auf Grund der Untersuchungen von Arthus?)
und Pekelharing?) über die Rolle der Kalksalze bei der Ent-
stehung des Fibrinferments wieder verlassen worden, und man
nahm allgemein an, daß eine unwirksame Vorstufe des Fibrin-
fermente durch ionisierte Kalksalze in den aktiven Zustand
übergeführt wird. Von den zymoplastischen Substanzen war
nicht mehr die Rede.
Ein Versuch, diese einander widersprechenden Ansichten
zu vereinigen, ist von Fuld und Spiro und mirt) unternommen
worden. Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, daß min-
destens drei Substanzen zur Entstehung aktiven Fibrinfermentes
zusammenwirken müssen, nämlich ionisierte Kalksalze und zwei
fermentähnliche Körper, die ich als Thrombogen und Thrombo-
kinase bezeichnet habe. Das Thrombogen würde dem Proferment,
die Thrombokinase den zymoplastischen Substanzen Alexander
Schmidts entsprechen. Das Pekelharingsche Prothrombin
wäre demnach ein Gemisch von Thrombogen und Thrombokinase.
1) A. Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig 1892.
2) Arthus, Arch. de physiol. 1896.
3) Pekelharing, Intern. Beitr. f. Rud. Virchows Festschr. 1891. I.
4) Vgl. Morawitz, Ergebn. d, Physiol. 4, 307, 1905.
P. Morawitz: Zur Frage der Blutgerinnung. 31
Zu ähnlichen Vorstellungen — wobei im einzelnen freilich noch
manche Differenzen bestehen — sind später mehrere Autoren
gekommen, besonders P. Nolf!), ferner Schittenhelm und
Bodong*) und Walker,?) während Pekelharing*) seinen frühe-
ren Standpunkt behauptetet und Leo Loeb°) der Ansicht ist,
das manche Erscheinungen auch durch die neue Hypothese
nicht genügend erklärt werden und die Verhältnisse der Ent-
stehung des Fibrinfermentes vielfach noch undurchsichtig sind.
Zu den Autoren, die eine Entstehung des Fibrinfermentes
durch das Zusammenwirken dreier Faktoren, eines Prothrombins,
der Thrombokinase und ionisierter Kalksalze annehmen, gesellt
sich neuerdings auch J. Mellanby°). Er kommt zu ähnlichen
Schlüssen wie Fuld und Spiro und ich, unterwirft aber meine
früheren Untersuchungen einer auch in ihrer Form sehr absprechen-
den Kritik, die geeignet ist, unrichtige Vorstellungen zu erwecken
und die ich nicht unerwidert lassen möchte Mellanby kennt
aber, wie aus seiner Arbeit hervorgeht, weder die Nachprüfungen
meiner Untersuchungen durch Schittenhelm und Bodong,
noch die ausgedehnten Untersuchungen von LeoLoeb u. P. Nolf,
ja ihm sind offenbar auch die zusammenfassenden Übersichten über
den Vorgang der Blutgerinnung entgangen, die L. Loeb vor
1?/, und ich (l. ol vor 4 Jahren gegeben habe. Im anderen
Falle hätte er es gewiß vermieden, Tatsachen als von ihm
entdeckt zu publizieren, die schon seit 5 Jahren bekannt sind,
wie das „Antithrombin“ des Vogelplasmas.’)
An die Spitze seiner Ausführungen stellt Mellanby fol-
genden Satz:
„Morawitz gründet seine Theorie auf vier fundamentale Fest-
stellungen. Dieses sind:
1. daß Thrombokinase eine nach Hammarsten bereitete Fibrino-
genlösung auch bei Gegenwart von Kalksalzen nioht zum Ge-
rinnen bringt;
ı) Nolf, Arch. intern. de physiol. 4 bis 6, 1906 bis 1908.
2) Schittenhelm u. Bodong, Arch. f. experim. Pathol. u;
Pharmakol. 54, 217, 1906.
3) Walker, Journ. of Physiol. 33.
4) Pekelharing, diese Zeitschr. 11, 1, 1908.
5) Leo Loeb, Bioohem. Centralbl. 6, 1907.
6) Mellanby, Journ. of Physiol. 38, 28.
7) Vgl. Leo Loeb, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 534.
Muraschew, Arch. f. klin. Med. 80, 187, 1904,
32 P. Morawitz:
2. daB Thrombokinase seröse Exsudate wie Hydrooeleflüssigkeiten
nicht zum Gerinnen bringt;
3. daß die gerinnungserzeugende Kraft des Serums durch Zusatz
von Thrombokinase sehr erheblich verstärkt wird;
4. daß Thromokinase Oxalat- und Fluoridplasma nicht zum Gerinnen
bringen kann.“
Von diesen Sätzen erklärt Mellanby die ersten drei kurzer-
hand für falsch.
Einige Zeilen hinter der oben im Wortlaut wiedergegebenen
Äußerung erklärt Mellanby aber, daß die Hammarstensche
Methode zur Bereitung der Fibrinogenlösung zu eingreifend ist. Er
stellt daher seine Fibrinogenlösungen durch Verdünnen von Vogel-
plasma mit Wasser und Essigsäurefällung her und glaubt hiermit
reine Fibrinogenlösung zu erhalten, da bisher keine Beweise dafür
vorliegen, daß Blutplasma außer dem Fibrinogen noch andere
Globuline enthält (!). Diese Fibrinogenlösung gerinnt nun
regelmäßig auf Zusatz von Gewebssaft und Calcium. Miteiner
nach Hammarsten bereiteten Lösung hat Mellanby
keinen einzigen Versuch gemacht. Wohl aber haben
andere Untersucher, deren Arbeiten Mellanby entgangen sind,
meine Angaben nachgeprüft, so z. B. Schittenhelm und
Bodong und Nolf. Die zuerst angeführten Autoren haben
ebenso wie ich meist gar keine, zuweilen eine sehr langsam
verlaufende Gerinnung durch Gewebsextrakte und Kalk in
Hammarstenschen Fibrinogenlösungen beobachtet. Nolf fand,
daß nach Hammarsten bereitete Fibrinogenlösungen, wenn
sie stark konzentriert sind, noch mit Gewebssaft und Kalk
gerinnen, in verdünntem Zustande aber nicht. Offenbar hängen
die Differenzen, die über diese Frage vorliegen, mit Verschieden-
heiten der Technik bei Zubereitung der Fibrinogenlösung zu-
sammen. Mit Sicherheit geht aber aus den Befunden der oben
angeführten Autoren hervor, daß man nach der Methode
Hammarstens Fibrinogenlösungen erhalten kann, die durch
Fibrinferment sehr leicht zum Gerinnen gebracht werden, wäh-
rend blutfreie Gewebsextrakte trotz Anwesenheit von Kalk-
salzen unwirksam bleiben.
Zweitens behauptet Mellanby, daß alle fibrinogenhaltigen
Ex- und Transsudate durch Gewebssäfte zum Gerinnen gebracht
werden können. Er stützt diese Ansicht auf die Untersuchung
einiger Exsudate und Hydroceleflüssigkeiten und erklärt es für
Zur Frage der Blutgerinnung. 33
schwer verständlich, wie ich eine gegenteilige Bemerkung machen
kann. Die Feststellung, daß es in der Tat fibrinogenhaltige
Transsudate gibt, die auf Zusatz von Gewebssaft flüssig bleiben,
stammt nun keineswegs von mir, sondern von Alexander
Schmidt (l. ol der sich mit Vorliebe dieser Flüssigkeiten,
die er aus der Peritonealhöhle des Pferdes gewann, zur An-
stellung von Gerinnungsversuchen bediente. Manche Hydro-
celeflüssigkeiten zeigen auch diese Eigenschaft, wie Schmidt
gezeigt hat und ich bestätigen konnte. Auch Arthus!) hat
die Beobachtung gemacht, daß das fibrinogenhaltige Peritoneal-
transsudat des Pferdes auf Zusatz von Gewebesaft nicht gerinnt.
Mellanby hat zufällig kein solches Transsudat in Händen
gehabt. Seine Behauptung steht im Widerspruch zu den Resul-
taten mehrerer Untersucher.
Was nun endlich die Tatsache betrifft, daß die gerinnungs-
erzeugende Kraft von Blutserum durch Zusatz von Gewebssaft
sehr erheblich verstärkt werden kann, so stehe ich auch hier
keineswegs allein da. Die Erscheinung ist übrigens schon von
Alexander Schmidt (l. c.) beschrieben worden. Ferner haben
Muraschew, sowie Schittenhelm und Bodong ähnliche Be-
obschtungen gemacht. Auch L. Loeb gibt an, daß in manchen
Fällen die Wirkung einer Kombination von Serum und Gewebs-
saft eine stärkere ist, als den Einzelfaktoren entspricht. Mel-
lanby ignoriert die Angaben der anderen Autoren und bedient
sich auch hier wieder einer Versuchsanordnung, die meiner
absolut nicht entspricht und mir für diesen Zweck ungeeignet
zu sein scheint.
Auf weitere Einzelheiten der Arbeit von Mellanby möchte
ich nicht eingehen. Mir genügt, festgestellt zu haben, daß er
keinen einzigen meiner Versuche nachgeprüft hat und daß
seine Behauptungen im Gegensatz stehen zu den Angaben
anderer Untersucher, deren Arbeiten er nicht erwähnt.
1) Arthus, Compt. rend. 56, 1904.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 3
Über die Milch einer 62jährigen Frau.
Von
Sigmund Fränkel.
(Aus dem Laboratorium der L. Spiegler-Stiftung, Wien.)
(Eingegangen am 3. April 1909.)
Dr. Anton Siding, Arzt am Versorgungsheim der Stadt
Wien, beobachtete bei einer 62jährigen, an Tabes leidenden
Frau, daß aus deren beiden Brüsten sich auf Druck Milch,
in fünf bis sechs Strahlen spritzend, entleeren ließ. Die Frau
litt überdies an Haematemesis und Herpes Zoster. Der Fall
ist ausführlich beschrieben in der Wiener klinischen Wochen-
schrift.?) |
Diese Milch wurde mir von Dr. A. Siding zur Untersuchung
übergeben. Die durchschnittliche Menge pro die beträgt 0,3 bis
0,5ccm. Wurde die Milch nicht täglich abgezogen, so konnte man
nach 8 Tagen 2 ccm auf einmal gewinnen. Für die chemische
Untersuchung wurde Milch einen Monat lang gesammelt und
in Eis-Kochsalzmischung, die man häufig erneuerte, im Eis-
schrank konserviert.
Die chemische Untersuchung wurde mit Rücksicht auf die
geringen Mengen möglichst gewichtsanalytisch durchgeführt.
Das spezifische Gewicht wurde im Pyknometer bestimmt.
Bei 15°C ergab sich sp. G. 1026,4 in einem Pyknometer
von 10 ccm Inhalt; die Wasserbestimmung ergab 88,19°/, Wasser,
resp. 11,81°/, Trockensubstanz.
Die Eiweißkörper wurden aus der Gesamt-Stickstoff-Bestim-
mung nach Kjeldahl berechnet.
3,2238g Milch geben nach Kjeldahl 7,9/0- NH, oder
0,01106g N, bzw. 0,348°/, N = 2,175°/, Eiweißkörper.
1) Wiener klin. Wochenschr. 1909, Nr. 9.
S. Fränkel: Über die Milch einer 62jährigen Frau. 35
Die Milch wurde mit Gips eingetrocknet und im Soxhlet-
apparat mit Äther erschöpft. Sie enthielt in 2,8983g 0,12g
oder 4,15°/, Rohfett.
Der Michzucker wurde in der verdünnten und enteiweiß-
ten Lösung durch Titration bestimmt. 3,4521 g Milch enthielten
0,167232g Milchzucker oder 4,84°/, Milchzucker.
Die feuerfeste Asche betrug 0,277°/,.
Die Summe der bestimmten festen Bestandteile beträgt
11,44°/,. Die gesamten festen Bestandteile 11,81°/,.
Die Reaktion der untersuchten Sammelmilch war amphoter;
die frisch entleerte Milch zeigte alkalische Reaktion. Beim
Kochen gerinnt die frische Milch nicht. Mikroskopisch waren
viele Fettkügelchen und wenige Colostrumkörperchen zu be-
obachten.
Nach den Angaben der Lehrbücher!) beträgt der Trocken-
rückstand der Frauenmilch im Durchschnitt 11°/,, schwankt
aber von 8bis18°/,. Der Aschengehalt beträgt 0,2 bis 0,25°/,
und kann bis 0,4°/, ansteigen. Das spez. Gewicht wird von
1026 bis 1036 angegeben, bewegt sich aber meist in den engeren
Grenzen 1028 bis 1034. Der Eiweißgehalt schwankt von 1 bis 2°/,
und ist oft nur 1,5 bis 1,7°/,; der Fettgehalt beträgt 3 bis 4°/,.
Der Zucker geht selten unter 5°/,, im Mittel sind 6°/, vorhanden.
Vergleichende Zusammenstellung des Analysen-
resultates mit den Zahlen für normale Frauenmilch.
Milch der
62jähr. Frau Normale Frauenmilch
Wasser . . 2.2.2.0. 88,19°/, im Durchschnitt 89°/,
Trockensubstanz . . . . 11,81°/, (NA
Spezifisches Gewicht . . 1026,4 1026 bis 1036
Reaktion ` . . .... alkalisch alkalisch
Eiweiß... 2.2... 2,175°/, l bis 2°),
Fett. . 2.2 2220. 4,15°/, 3 n Ai
Zucker. ....... 4,84°/, 5 „ BI,
Asche . . ..... 0,2779), 0,20 bis 0,25 bis 0,4°/,
Man ersieht aus dieser Zusammenstellung die gute Über-
einstimmung der normalen Werte mit denen dieses Sekrets.
1) Hammarsten, Lehrb. d. physiol. Chem., Fränkel, Deskriptive
Biochemie.
38%
36 8S. Fränkel: Über die Milch einer 62jährigen Frau.
Die Beobachtungen, daß alte Frauen Milch sezernieren,
sind recht selten. In der Literatur finden sich Fälle, wo alte
Frauen auf Saugen Milch produzieren, ferner im Postelimaoterium
und nach einer, wenn auch viele Jahre vorangegangenen Geburt.
Siding faßt diesen Fall in der Weise auf, daß die Milchsekretion
in keinerlei Beziehung zu einer inneren Sekretion der Ovarien
steht, sondern wahrscheinlich Folge einer Reflexneurose infolge
tabischer Störungen im abdominellen sympathischen Geflechte,
die sich klinisch in nervösen Magendarmblutungen, den aus-
gedehnten Herpeszonen und möglicherweise in der hochgradigen
Ovarienatrophie manifestieren.
Das in solchen Fällen produzierte Sekret war noch nie
Gegenstand einer chemischen Untersuchung, so daß bis jetzt
die Diagnose dieses Sekretes als Milch nur auf dem äußeren
Aspekt beruht.
Diese Untersuchung zeigt, daß sich in unserem Falle die
produzierte Milch chemisch in keiner Weise von der einer
normal lactierenden Frau unterscheidet.
Über Lipoide.
Von
Sigmund Fränkel,
V. Mitteilung.
Über die Phosphatide des Rinderpankreas.
Von
Kurt Linnert, Wien, und G. A. Pari, Padua,
(Aus dem Laboratorium der L, Spiegler-Stiftung, Wien.)
| (Eingegangen am 3. April 1909.)
In der vorhergehenden Mitteilung über Lipoide!) hat einer
von uns (P.) über ein aus Rinderpankreas gewonnenes unge-
sättigtes Phosphatid von der Formel C,,H,,NPO,CdCi, berichtet,
welches sich durch Hydrolyse in eine gesättigte Fettsäure vom
Schmelzpunkte 54° (Myristinsäure), in eine ungesättigte Fett-
säure von anscheinend geringerem Kohlenstoffigehalt als die
Ölsäure und in eine Base aufspalten läßt. Bei der Methyl am
N-Bestimmung nach Herzig und Meyer zeigte dieses, Vesal-
thin benannte, Monaminomonophosphatid den Gehalt von je
vier Methylgruppen auf ein N-Atom. Da aus Cholin resp.
Lecithin bei dieser Bestimmung drei Methylgruppen abgespalten
werden, so muß man annehmen, daß die dem Vesalthin zu-
grunde liegende Base von Cholin verschieden ist.
Es ist uns mit dem leider unzureichenden Material gelungen,
das Platinsalz dieser Base darzustellen, ihren Schmelzpunkt,
Platin- und Chlorgehalt zu bestimmen und zu finden, daß diese
Platinverbindung mit dem Cholinplatinsalz in einigen Punkten
übereinstimmt, in anderen aber von ihm wesentlich abweicht,
1) Diese Zeitschr, 17, 68, 1909.
38 S. Fränkel:
und zwar in Schmelzpunkt, Gehalt an Chlor und Methyl am
N-Gruppen.
Hydrolysiert wurde Vesalthin in 5°/,iger alkoholischer Salz-
säure durch 8 Stunden; hierauf wurde der Alkohol zum
großen Teile abdestilliert, die Lösung mit Wasser verdünnt
und zur Entfernung der Fettsäuren erschöpfend ausgeäthert.
Die im Scheidetrichter vom Äther getrennte wässerige Lösung
wird nun zunächst auf dem Wasserbade zur Entfernung der
Salzsäure eingeengt, hierauf nach Befreiung von Cadmium durch
Schwefelwasserstoff im Vakuum bis zum Sirup konzentriert.
Dieser wird mit absolutem Alkohol aufgenommen und mit ab-
solut alkoholischer Platinchloridlösung versetzt. Sofort scheidet
sich das gelb gefärbte Platinat ab, welches, nachdem es im
Vakuum völlig vom Alkohol befreit ist, aus wenig heißem Wasser
umkrystallisiert wird, aus dem es — im Gegensatze zu Cholin —
sofort wieder auskrystallisiert in orangegelben, glitzernden
Krystallen, welche bei der optischen Untersuchung ein zwei-
achsiges Achsenbild mit sehr kleinem Winkel — schätzungs-
weise 10° — und optisch positivem Charakter zeigen, allem
Anscheine nach rhombische — nicht ausgeschlossen hexagonale —
Tafeln bildend, von Kanten begrenzt, welche die Winkel 124°
bzw. 112° einschließen.
Die Substanz, welche wir als Vesalthaminplatinat be-
zeichnen wollen, schmilzt bei 254° unter Aufschäumen bei lang-
samem, bei 249° bei schnellem Erhitzen.
Platin- und Chlorbestimmung:
0,1041 g 8 gaben 0,0331 g Pt = 31, 8°/, Pt,
0,0991g S8 ,„ 0,1167g AgCl = 29, 12°/, Cl.
Daraus ergibt sich das Verhältnis von
Chlor zu Platin 5:1.
Vergleicht man diese Resultate mit den von Gulewitsch?)
für Cholinplatinchlorid gefundenen, so fällt zunächst die völlige
Übereinstimmung der Platinwerte auf. Auch Gulewitsch findet
als Platingehalt 31,81°/, gegen 31,64°/, berechnet für Cholin-
platinchlorid.
1) Gulewitsch, Über Cholin und einige Verbindungen desselben.
Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 513, 1898,
Über Lipoide. V. 39
Als Krystallform erscheinen schiefe Prismen von monoklinem
und triklinem Charakter, aber auch rhombische Blättchen und
Tafeln, Nadeln und Oklaöder von orangeroter Farbe beschrieben.
So verlockend es also wäre, unseren Körper als Cholin-
platinchlorid aufzufassen, so sprechen doch folgende Unterschiede
für eine andere, dem Cholin allerdings sehr nahestehende Ver-
bindung:
L Ist der Schmelzpunkt unseres Platinatse beträchtlich
höher als der höchste der sehr variablen von Gulewitsch für
das Cholinplatinat angeführten: 254° gegen 240° bis 241°;
2. ist das Verhältnis von Chlor zu Platin im Cholinplatinat
6:1, während sich die beiden Elemente in unserer Substanz
wie 5:1 verhalten;
3. entsprechen im Cholin drei Methyle einem Stickstoff,
im Vesalthamin vier Methyle einem Stickstoff.
Da man im hiesigen Laboratorium daran ist, Rinderpan-
kreas in großem Maßstabe zu verarbeiten, so wird die Ergänzung
der Formel des Vesalthamins sowie die Identifizierung der
ungesättigten Fettsäure in einer der folgenden Arbeiten er-
scheinen.
Über eine neue charakteristische Adrenalinreaktion.
Von
Sigmund Fränkel und Rudolf Allers, München.
(Aus dem Laboratorium der L. Spiegler-Stiftung, Wien.)
(Eingegangen am 3. April 1909.)
Das Adrenalin reagiert als o-Dioxybenzolderivat mit Eisen-
chlorid unter vorübergehender Grünfärbung, ferner reduziert
es ammoniakalische Silberlösung und reagiert mit chromsauren
Salzen. Die Eisenchloridreaktion ist eine zu allgemeine Reaktion
der Orthodioxybenzolderivate, um für sich allein charakteristisch
zu sein, überdies kann Adrenalin mit Bilirubin verwechselt
werden, da letzteres durch Oxydation mit Eisenchlorid in Bili-
verdin übergeht und so die Grünfärbung des Adrenalins vor-
getäuscht werden kann. Noch viel weniger charakteristisch
erscheinen die beiden anderen Reaktionen, welohe sehr vielen
Substanzen zukommen.
Die Reaktion von G. Comessati!) beruht auf der Ein-
wirkung von 1 bis 2°/ ‚iger Sublimatlösung bei Zimmertemperatur
auf die zu prüfende Flüssigkeit. Es tritt bei Anwesenheit von
Adrenalin nach 1 bis 3 Minuten eine diffuse Rotfärbung auf. Der
Ansicht Comessatis zufolge beruht diese Färbung auf der
Bildung von „Oxyadrenalin“, da der Farbenton der Reaktion
identisch ist mit dem, welchen Adrenalinlösungen beim Stehen
an der Luft annehmen. Comessatti untersuchte verwandte
Substanzen mittels Sublimat und fand, daß Brenzkatechin mit
Sublimat eine grünliohe Farbe liefert, Salicylsäure und Resorein
andere rote Nüancen. Die Reaktion gestattet Adrenalin in
einer Verdünnung von 0,0025 :1000 noch nachzuweisen. Dem-
1) Münch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 37.
S. Fränkel u. R. Allers: Über eine neue charakt. Adrenalinreaktion. 41
gegenüber hat K. Boas?!) beobachtet, daß selbst bei größeren
Konzentrationen, als den von Comessati genannten die Re-
aktion nicht zustande kam. Hingegen trat sie ein, wenn man
die Probe zum Sieden erhitzte.
Wenn man auch bei längerem Stehen eine geringe rosarote
Färbung wahrnehmen kann, so müssen wir darin Boas zu-
stimmen, daß dieselbe beim Kochen bedeutend intensiver wird.
Aber nicht nur mit Sublimat, sondern auch mit Kupfersulfat,
Platinchlorid, chlorsaurem Kalium, sowie Wasserstoffsuperoxyd
gelingt nach unseren Untersuchungen diese Reaktion.
In der von Comessati angegebenen maximalen Ver-
dünnung (1:400000) tritt in der Kälte überhaupt keine Fär-
bung auf, nach längerem Kochen ein kaum merkliches Rosarot.
Wir haben eine neue, sehr feine und oharakteristische
Reaktion gefunden, welche darauf beruht, da8 Jodsäure, resp.
Kaliumbijodat und verd. Phosphorsäure beim Anwärmen mit
Adrenalinlösungen in der Weise sich umsetzt, daß eine prachtvolle
rosenrote Färbung, bei Verwendung äußerst verdünnter Lösungen
eine eosinrote Färbung eintritt.
Diese Reaktion gibt in gleicher Weise keine von uns bis
nun daraufhin untersuchte Substanz, welche mit dem Adrenalin
verwechselt werden könnte:
Wir prüften die verwandten:
Brenzkatechin gibt Gelbfärbung (Jod),
Guajacol reagiert mit Jodsäure unter Bindung von Jod;
es entsteht ein braunes, schweres Öl,
Protokatechualdehyd ebenso schwache Gelbfärbung,
Tyrosin zeigt keine Farbenreaktion,
Oxyphenyläthylamin ebenfalls keine. Die Piperonylbase
0173
( O
CH(OH).CH,. NH, ,
welche wir synthetisch dargestellt, zeigt die Reaktion
ebenfalls nicht,
Oxyphenyläthylaminmethyl ebenfalls keine.
1) Centralbl. f. Physiol. 1909, Nr. 26.
42 S. Fränkel und R. Allers:
Von nicht verwandten Substanzen wurden geprüft: Eiweiß,
Pepton, Zucker, Harnstoff, Harnsäure, Oxalsäure, Leucin, Kreatin.
All diese Substanzen reagieren nicht mit Bijodat. In alkalischer
Lösung reduziert Zucker jodsaure Salze.”) In saurer Lösung
aber tritt auch bei beträchtlichen Konzentrationen keine Re-
duktion auf.
Die Reaktion konnten wir noch deutlich mit einer */,,o0”
Adrenalinlösung erzielen, welche also 0,00365°/, ig ist resp.
1:300000 enthält. Sie steht in ihrer Feinheit der sehr emp-
findlichen, aber rasch vergänglichen Eisenchloridgrünung nicht
nach, ist aber ausschließlich für Adrenalin charakteristisch.
In geringerer Verdünnung, etwa bis 1:20000, tritt die
Reaktion bei mehrstündigem Stehen schon bei Zimmertem-
peratur auf.
Die rote Farbe der Reaktion schlägt bei Versetzen der
Probe mit Ammoniak in Rostbraun um.
Die Farbe der von uns gefundenen Jodatprobe erscheint
etwa zweimal so intensiv als die mit Sublimat, sie ist deut-
lich blaustichig, während das Rot der Comessatischen Reaktion
mehr ins Braun spielt. Die Tatsache, daß die Comessati-
sche Reaktion auch, wie wir geseben, mit Wasserstoffsuperoxyd
gelingt, macht es wahrscheinlich, daß es sich hierbei in der
Tat um eine Oxydation handelt, während unsere Reaktion auf
der Bindung von Jod am Adrenalinmolekül beruht und daher
Grundlage einer quantitativen Bestimmungsmethode werden
kann.
Die Umsetzungen zwischen Bijodat und Adrenalin scheinen
nämlich in bestimmten stöchiometrischen Verhältnissen abzulaufen,
worüber Untersuchungen noch im Zuge sind, die versprechen,
diese Reaktion für die quantitative Auswertung von Adrenalin-
lösungen benutzen zu können.
Der Mechanismus dieser Reaktion beruht nicht etwa auf
einer Reduktion der Jodsäure durch Adrenalin zu Jod (wie
bei der bekannten Morphinreaktion), und ev. Reaktion des
freien Jods mit Adrenalin, da in keinem Stadium der Reaktion
freies Jod nachzuweisen ist, sondern es handelt sich wahrscheinlich
um die Bildung einer Jodo- oder Jodosoverbindung des Adre-
nalins, welcher die charakteristisch er Färbung zukommt.
1) v. Lippmann, Chemie der Kohlenhydrate 1, 307.
Über eine neue charakteristische Adrenalinreaktion. 43
Tatsächlich wird ein Teil der verwendeten Jodsäure, wie wir
experimentell festgestellt haben, verbraucht, und dieser ver-
brauchte Anteil setzt im Gegensatz zur Jodsäure resp. zu der
angesäuerten Bijodatlösung aus Jodkalium kein Jod mehr in
Freiheit. —
Bei der Anstellung dieser Reaktion selbst verfahren wir
in Anbetracht der sehr verdünnten für die Untersuchung vor-
liegenden Lösungen in der Weise, daß wir die zu prüfende
Lösung mit dem gleichen Volumen einer ?/, ooo- Kaliumbijodat-
lösung und einigen Tropfen verd. Phosphorsäure versetzen und
bis zum beginnenden Sieden erwärmen. Man betrachte die
Reaktion im auffallenden Lichte gegen einen weißen Hinter-
grund. Eiweißhaltige Lösungen müssen natürlich vorher ent-
eiweißt, farbige entfärbt werden.
Diese neue Reaktion ist eine sehr empfindliche,
für Adrenalin charakteristische Probe.
Eine Methode zur quantitativen Bestimmung der
Phosphorsäure im Harne und in Alkaliphosphatlösungen.
Von
Paul v. Liebermann.
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Budapest.)
(Eingegangen am 7. April 1909.)
Im folgenden soll eine Methode beschrieben werden, in der
das Prinzip der Volhardschen Halogenbestimmung auf die
Phosphorsäure angewendet wird, was meines Wissens bisher
nicht versucht worden ist. Es wird also der Phosphorsäurerest
mit einer bekannten, überschüssigen Menge von Silber gefällt
und im Filtrate das nicht gefällte Silber mit Alkalithiocyanat
zurücktitriert. Um dies im Harn ausführen zu können, muß
das PO, von den andern silberfällenden Harnbestandteilen erst
getrennt werden, was durch Fällen mit Magnesiamischung und
Auswaschen des Niederschlages geschieht.
Ausführung.
(Erläuternde Bemerkungen zu dieser Vorschrift finden sich auf S. 47 bis 51.)
1. Die zu analysierende Menge des filtrierten Harnes
(20 ccm)!) wird in ein 200 ccm fassendes Becherglas abgemessen,
mit etwa einem Zehntel des Volumens einer ca. 10°/,igen
(NH,),CO,-Lösung*) und hierauf mit überschüssiger Magnesia-
mischung versetzt (7 bis 8ccm genügen in jedem Falle). Man
fügt ein Drittel des Volumens Ammoniak vom spez. Gew. 0,96
hinzu und läßt 12 Stunden (oder auch länger) stehen.?)
1) Siehe Bemerkung 1, 8. 47.
2) Siehe Bemerkung 2, S. 47.
3) Siehe Bemerkung 3, S. 49.
P. v. Liebermann: Meth. z. quantitat. Bestimm. d. Phosphorsäure usw. 45
2. Man gießt die überstehende Flüssigkeit durch ein Filter
und wäscht den Niederschlag mit ammoniakhaltigem Wasser
(2!/:°/s NH,), dem auf 200 ccm etwa 5 com der Ammoncarbonat-
lösung zugefügt werden, bis zum Verschwinden der Chloridreaktion
aus, erst durch Dekantation (etwa 4mal), dann auf dem Filter.
Es ist nicht nötig, den Niederschlag quantitativ aufs Filter zu
bringen, da die später folgende Lösung des Niederschlages im
selben Becherglase geschieht, nur müssen selbstverständlich mit
jeder einzelnen Portion der Waschflüssigkeit erst die Wände des
Becherglases abgespült werden. Um möglichst rasch filtrieren zu
können, empfehlen sich die bekannten Trichter mit langem Ab-
flußrohr und einer Erweiterung am obern Ende des Rohres
(D. R. G. M. 205 487, O. M. 74086).
3. Der Niederschlag wird auf dem Filter in 50 com einer
2,5- bis 2,6-normalen, selbstverständlich chloridfreien Salpeter-
säure aufgelöst. Man bringt den Niederschlag mit einigen
Kubikzentimetern Säure in Lösung und verwendet den Rest
zum Nachspülen. Die Lösung wird im selben Becherglase auf-
gefangen, in dem man gefällt hatte.?)
4. Zu dieser Lösung fügt man aus einer Pipette genau
5 ccm einer einfach normalen Silbernitratlösung.*) Man über-
zeugt sich bei dieser Gelegenheit, ob der Niederschlag gut aus-
gewaschen war. Eine geringe Opalescenz gehört jedoch auch
bei sorgfältigstem Auswaschen zur Regel.
5. Die Lösung wird mit Ammoniak vom spez. Gew. 0,96
(10°/, NH,) bis zur gleichmäßig amphoteren Reaktion neutra-
lisiert, d. h. bis die Lösung beim Tüpfeln auf empfindliches
Lackmuspapier (ich habe Mercksches verwendet) ebenso stark
alkalisch als sauer zu reagieren scheint. Man setzt den größten
Teil des Ammoniaks (ca. 20 ccm) auf einmal zu und fährt dann
mit kleinen Dosen fort, bis etwas vom gelben Niederschlag
nach dem Umrühren eben bestehen bleibt, was bei noch stark
saurer Reaktion der Fall ist. Bis dahin ist es also unnötig,
die Reaktion zu kontrollieren (siehe jedoch Bemerkung 6! S. 50).
Man fährt nun je nach der Reaktion mit Zusätzen von einem
oder mehreren Tropfen fort, bis die alkalische Reaktion ebenso
stark wie die saure zu sein scheint. Ist man im Zweifel, ob
1) Sollte Gasentwioklung zu sehen sein, so warte man sie ab,
?) Siehe Bemerkung 5, S. 49.
46 P. v. Liebermann:
die alkalische Reaktion der sauren schon gleich ist, so setzt .
man stets noch einen bis einige Tropfen Ammoniak zu und
kontrolliert wieder; im Zweifelsfalle fährt man wieder mit dem
Ammoniakzusatz fort usw. Auf diese Weise wird man kaum
jemals die Grenze überschreiten; sollte dies dennoch der Fall
sein, so gehe man mit einigen Tropfen Salpetersäure zurück.
Ein starkes Überschreiten der Grenze ist unstatthaft; man er-
hält dann auch nach genauem Wiederneutralisieren zu kleine
Werte. Über die Art des Neutralisierens bei sehr kleinen Phos-
phatmengen siehe Bemerkung 6 (8. 50).
6. Man überträgt das Ganze in ein 200 ocm fassendes Meß-
kölbchen,'!) indem man mit destilliertem Wasser quantitativ
nachspült; man nehme auch so viel als möglich vom Nieder-
schlag mit. Man füllt zur Marke auf, mischt gut durch und
filtriert durch ein schwedisches Filter, wobei man trachtet,
möglichst viel Niederschlag aufs Filter zu bringen, weil man
so schneller ein klares Filtrat bekommt; eventuell hat man
nochmals aufzugießen, wenn das Filtrat nicht ganz klar war.
7. Dem klaren Filtrat entnimmt man mit der Pipette
100 com, säuert mit Salpetersäure an (etwa 5 ccm 2!/,n Säure),
fügt ca. 2 ccm Ferriammoniumsulfatlösung”*) zu und titriert mit
a/o KSCN bis zur eben deutlichen Rosafärbung. (Der Titer
der bekanntlich veränderlichen Rhodanlösung muß jedesmal
bestimmt werden, indem man 20 ccm ?/ o-AgNO, titriert.) Hat
man & Kubikzentimeter Rhodanlösung verbraucht, so ist
50 — 2a
10
2,367 (50 — 2a) = P, O, in Milligrammen;
in diesem Wert wird man die zweite Dezimale in der Regel
als Korrektur nehmen; die Schwankung der ersten beträgt dann
fast nie über 2 Einheiten (meist weniger). Die Formel gibt
genaue Werte, wenn die analysierte Harnmenge 10 bis
80 mg P,O, enthält. Bei einem Gehalt von 90 mg ist
der gefundene Wert um ein halbes Milligramm zu ver-
größern, bei noch größern Mengen wird auch die
= PO, in Milligramm-Äquivalenten;
1) Bei diesem Inhalt des Kölbchens kommt das Volum des Nieder-
sohlages für die Rechnung nicht in Betracht.
2) Die zur Volhardschen Titrierung gebräuchliche, kalt gesättigte
und mit HNO, angesäuerte Lösung.
Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 47
Korrektur größer. Genaueres hierüber siehe in Be-
merkung 1, diese S. Den Rechnungen liegen die auf O — 16,00
bezogenen Atomgewichte zugrunde.
Eine Bestimmung nimmt etwa 1!/, bis 2 Stunden in An-
spruch.
Bemerkungen.
L Ich habe nach dieser Methode richtige Werte erhalten,
wenn der P,O,-Gehalt der analysierten Harnmenge 10 bis 90 mg
betrug. Am besten ist es jedoch, eine Menge zu wählen, die
nicht unter 3 und nicht über 8 cg P,O, enthält. Bei kleinen
Mengen verliert die Bestimmung an Bequemlichkeit und natür-
lich auch an relativer Genauigkeit (siehe Bemerkung 6), bei
großen ist der Wert, den die Formel ergibt, um eine kleine
Größe zu korrigieren, und zwar hängt die Korrektur von der ge-
fundenen Phosphorsäuremenge ab; für 90 mg ist der gefundene
Wert um 0,5 mg zu vergrößern, d. h. wenn die Formel 89,5
ergibt, so ist dies auf 90,0 zu korrigieren. Für noch größere
Werte beträgt die Korrektur etwas mehr, statt 91,6 fand
ich z. B. 90,8, statt 107,3 bloß 102,6. Man müßte also, um
bei solchen Mengen noch genaue Werte zu bekommen, durch
Versuche eine Korrektionstabelle zusammenstellen. Dies lohnt
jedoch nicht der Mühe, da man nach einigen Bestimmungen
schon aus dem Aussehen des mit Magnesiamischung erhaltenen
Niederschlages den Phosphatgehalt ungefähr schätzen kann.
Bei Harn von normalem Phosphatgehalt ist auch dies nicht
nötig, da 20 ccm eines solchen etwa 3 bis 5 cg P,O, enthalten,
also zur Bestimmung gut geeignete Mengen. Von verdünnterem
Harn nimmt man also entsprechend mehr, von konzentrierterem
weniger. Sollte die gewünschte Menge P,O, nur in einem un-
bequem großen Volum Harn enthalten sein, so nimmt man am
besten ein kleineres und setzt die erforderliche Menge einer
Phosphatlösung von bekanntem Gehalt zu. Eine rasche Be-
stimmung des Phosphatgehaltes reiner Na,HPO,-Lösungen findet
sich auf S. 51.
2. Ob es unbedingt nötig ist, dem Harne und der Wasch-
flüssigkeit Carbonat zuzusetzen, ist mir aus den Versuchen nicht
ganz klar geworden. Diese Vorschrift gründet sich nämlich
auf folgende Versuche, die mit reinen Lösungen von Na,HPO,
angestellt worden sind:
48 P. v. Liebermann:
20 com einer Lösung (C), die laut Gewichtsanalyse 40,0 mg
P,O, enthielten, wurden nach der oben beschriebenen Methode
analysiert, jedoch ohne Carbonatzusatz. Neun Parallelbestim-
mungen ergaben folgende Werte:
39,3 39,5
39,4 39,5
39,4 39,5
39,4 39,6
39,4
Es wurden nun der Lösung vor dem Fällen mit Magnesia-
mischung 2 ocm (NH,),CO,-Lösung zugesetzt. Der Wasch-
flüssigkeit wurde kein Carbonat zugefügt. Es ergab sich der
Wert:
39,8
Die Bestimmung wurde zweimal wiederholt, es wurde aber
such die Waschflüssigkeit mit Carbonat versehen. So erhielt
ich den genauen Wert
40,0(0)
40,0(0)
20 com einer andern Lösung (A) enthielten 43,5 mg PO,
(gravimetrisch bestimmt). Die Silbermethode ergab ohne jeden
Carbonatzusatz ebenfalls 43,5. Zu dieser Bestimmung wurde
eine andere Magnesiamischung verwendet als zu den Analysen
der Lösung C, sowie auch anderes Ammoniak. Diese Reagenzien
dürften also Carbonat enthalten haben. |
Um diese Annahme zu prüfen, leitete ich in frisch bereitete
Mg-Mischung reichlich CO, ein und analysierte 20ccm der Lösung C
mit diesem Reagens.
Es ergaben sich
39,9(5) mg
(Der Waschflüssigkeit war kein Carbonat zugesetzt worden.)
Es schien also, daß es am einfachsten wäre, statt des
Carbonatzusatzes CO, in die Magnesiamischung einzuleiten. Dies
geht aber doch nicht gut an, denn diese Mischung, die beim
Einleiten des Gases ganz klar geblieben war, zeigte nach einigen
Stunden eine starke Fällung.
Mit Harn habe ich keine besondern Versuche über den
Einfluß des Carbonatse gemacht. Die unter den Beleganalysen mit-
geteilten Bestimmungen mit Harn A (S. 53) und B (S. 55) wurden
Meth, z. quant. Best. d, Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 49
ohne, die übrigen mit Carbonatzusatz ausgeführt, da ich bei den
ersteren von einem Einfluß des Carbonatgehaltes noch nichts
wußte. Ich kann also nichts Bestimmtes hierüber aussagen;
sicherer scheint es, stets Ammoniumcarbonat zuzusetzen.
3. Für die gewichtsanalytische Bestimmung der Phosphor-
säure als Magnesiumpyrophosphat lautet die Vorschrift dahin,
daß der mit Mg-Mischung erhaltene Niederschlag 4 Stunden
absitzen soll (vgl. z. B. Treadwells Lehrbuch, 2. Aufl., S. 299);
in Lehrbüchern der Harnanalyse findet man 12 Stunden vor-
geschrieben. Ich habe mich also an die letztere Vorschrift ge-
halten, doch schien mir das Stehenlassen keinen großen Ein-
fluß zu haben, wenigstens bei nicht zu verdünntem Harne. Ich
erhielt z. B. folgende Werte:
20 com Harn ergaben:
nach 15 Minuten langem Absitzenlassen: 35,8 mg P,O,
` 36,0] Parallel-
nach über 12 Std. nm d el bestimmungen
Das lange Stehen ergab also bloß 0,7°/, des Wertes mehr,
was für rasche Bestimmungen, wo es nicht auf den höchsten
Grad von Genauigkeit ankommt, jedenfalls zu beachten ist.
4. Die in der Vorschrift angegebene Menge und Kon-
zentration der Salpetersäure muß genau eingehalten werden,
Das beim Neutralisieren entstehende Ammonnitrat hält nämlich
einen Teil des Silberphosphates in Lösung. Es scheint also,
als ob in Gegenwart von NH,NO, die Werte zu klein ausfallen
müßten. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr werden die
Werte erst dann zu klein, wenn mehr NH,NO, zugegen ist,
als sich aus der vorgeschriebenen Menge HNO, bildet, während
sie bei zu wenig NH,NO, zu groß ausfallen. Offenbar adsorbiert
das Silberphosphat etwas Silbernitrat, und dieser Fehler wird durch
die lösende Wirkung des Ammoniumnitrats kompensiert.!)
5. Man verwende stets den angegebenen Überschuß von
Silbernitrat, und zwar in Form der Normallösung. Für eine
richtige Fällung scheint es nämlich auf die Massenwirkung des
Silbers anzukommen. Hierfür spricht, daß bei großen Phosphat-
1) Daß beim Fällen von Ag,PO, aus Natriumphosphatlösungen etwas
AgNO, mitgerissen wird, hat Graham nachgewiesen (S. Dammers
Handb. der anorg. Chem. 1894, II. Band, 2. Teil, S. 813).
Biochemische Zeitschrift Band 18. 4
50 P. v. Liebermann:
mengen die Werte zu klein werden (siehe Bemerkung 1); ferner
auch der folgende Versuch:
20 com eines Harnes ergaben bei vorschriftsmäßig ausge-
führter Analyse (5 com al, AgNO,)
42,9 mg P,O,.
Dieselbe Harnmenge bei Verwendung von 10 ccm Silber-
lösung
43,9 mg (2/,°/, zu viel),
50 ccm Harn, 5 com Silberlösung, P,O, auf 20 com umgerechnet:
41,0 mg (5°/, zu wenig),
50 ccm Harn, 10 com Silberlösung
43,0 mg (richtig).
Stets den großen Überschuß von Silber anzuwenden, geht
also darum nicht an, weil dann anscheinend die Werte für
kleinere Phosphatmengen zu groß werden. Es muß also die
in Bemerkung 1 angegebene obere Grenze des P,O,-Gehaltes
festgesetzt werden.
6. In Punkt 5 der Vorschrift für die Ausführung der Ana-
lyse ist bemerkt worden, daß beim Neutralisieren der salpeter-
sauren Lösung des MgNH,PO, erst dann mit der Kontrolle
der Reaktion begonnen werden muß, wenn schon etwas
vom gelben Niederschlag bestehen bleibt. Bei sehr kleinem
Phosphatgehalt der Lösung (unter 3cg P,O,) trifft dies nicht
mehr zu. War also mit Magnesiamischung nur wenig Nieder-
schlag erhalten worden und bilden sich nun beim Neutralisieren
keine deutlichen Wolken von gelbem Niederschlag, so ist Vor-
sicht geboten. Man muß dann mit der Kontrolle der Reaktion
beginnen, bevor noch irgend etwas vom Niederschlag zu sehen
ist. Hat man den amphoteren Punkt schon fast erreicht, so
scheidet sich langsam (nicht momentan, wie bei größeren
Mengen) etwas Niederschlag aus. Man prüft nun wieder mit
Lackmus und setzt, wenn nötig, tropfenweise weiter Ammoniak
zu, bis die gewünschte Reaktion erreicht ist. Der gleichmäßig
amphotere Punkt soll stets durch ein Fortschreiten von sauer
zu alkalisch erreicht werden, und zwar schließlich durch einen
kleinen Zusatz von Ammoniak. Sollte man durch plötzlichen
Zusatz einer größeren Menge von NH,OH einen amphoteren
Punkt erreicht haben, wo die saure Reaktion nicht deutlich
überwiegt, so setze man so viel HNO, zu, daß die Flüssigkeit
-—— mn —
— — — —
Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 51
etwas stärker sauer als alkalisch erscheine, und fahre nun tropfen-
weise mit Ammoniak fort, bis die beiden Reaktionen gleich
scheinen.
Bei genauem Arbeiten braucht der Fehler auch bei eo
kleinen Mengen 0,2 mg nicht zu überschreiten (siehe Beleg-
analysen), doch verlieren die Bestimmungen an Sicherheit.
Abgekürzte Methode zur Bestimmung der Phosphorsäure in
reinen Alkaliphosphat-Lösungen.
Hier kann die Fällung mit Magnesiamischung wegbleiben,
man kommt daher viel rascher zum Ziele, indem man die ab-
gemessene Menge der Phosphatlösung mit 12?/, ccm einer chlorid-
freien Salpetersäure vom spez. Gew. 1,310 (zehnfach normal)
versetzt und mit destilliertem Wasser auf ca. 50 com verdünnt.
Nun fügt man die Silberlösung zu, wie in Punkt 4 der Vor-
schrift für Harn angegeben und verfährt auch weiter genau auf
dieselbe Art.
Über die Phosphorsäuremenge, die zur Bestimmung zu
wählen ist, gilt das in Bemerkung 1 gesagte. Die angegebene
Menge und Konzentration der Salpetersäure ist genau einzu-
halten, was oben in Bemerkung 4 schon begründet wurde.
Die Resultate fallen ebenso genau aus wie nach voraus-
gegangener Fällung mit Mg-Mischung.!) Sämtliche Versuche
habe ich mit Lösungen umkrystallisierter Krystalle von Na,HPO,
ausgeführt; sie enthielten weder K noch Cl oder SO,.
Analytische Belege.
Zunächst sollen die mit reinen Lösungen ausgeführten
Analysen mitgeteilt werden, und zwar zuerst die nach der eben
beschriebenen abgekürzten Methode.
Zur Kontrolle der Ergebnisse mit reinen Lösungen von
Na,HPO, standen mir besonders zwei ganz zuverlässige gewichts-
analytische Methoden zur Verfügung. Die eine bestand darin,
daß ich einige Kubikzentimeter Lösung zur Trockne eindampfte,
ausglühte und das Natriumpyrophosphat wog. Die andere war
die übliche Bestimmung als Magnesiumpyrophosphat.
1) Für hohe Werte sind die in Bemerkung 1 erwähnten Korrekturen
anzubringen.
4*
52 P, v. Liebermann:
Lösung A.
10 ccm Lösung gaben 0,0816 g Na,P,O,, entsprechend
43,5 mg P,O,. Die Bestimmung als Mg PO. ergab 43,4. Die
Silbermethode gab für 10ccm 43,5, für 15 ccm 65,2, also stets
100,0°/, des gravimetrischen Wertes.
Lösung B.
Beem Lösung gaben 0,0580 g Na,P,O,, entsprechend 61,9 mg
P,O, in 10 cem Lösung. 10ccm gaben nach der Ag-Methode
61,7 oder 99,7°/, des gravimetrischen Wertes. (Die Gewichts-
analyse wurde einen Monat später als die volumetrische aus-
geführt, die Lösung konnte sich also etwas konzentriert haben.)
Lösung C.
20 com lieferten 0,0627 g Mg,P,O,, entsprechend 40,0 mg
2.0.
Von dieser Lösung wurden nun verschiedene Mengen mit
der Ag-Methode analysiert, um die obere und untere Grenze
der richtig bestimmbaren Phosphorsäuremenge zu finden und
sich zu überzeugen, daß sich alle zwischenliegenden Werte
richtig ergeben.
Tabelle I.
Unter- Se
suchtes Gefunden nach meiner Prozente des gravimetrischen
Volum Methode mg PO, Wertes
ccm
5 99,0
10 101,0
15 100,0
20 100,0
20 100,0
25 100,2
30 99,7
40 100,0
45 89,5 99,41)
50 98,3 98,3
1) Die in Bemerkung 1 besprochenen Korrekturen für hohe Werte
sind hier nicht ausgeführt.
Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös, 53
Sieht man von den Analysen mit 5, 10, 45 und 50 ccm
ab, über die das in Bemerkung 1. 8. 47 gesagte gilt, so er-
geben sich als größter absoluter Fehler 0,2 mg, als größter re-
lativer 0,3°/,.
Es folgen die Analysen derselben Lösungen, die mit der
Ag-Methode nach vorheriger Fällung als MgNH,PO, aus-
geführt wurden.
10 com der Lösung A ergaben 43,5 mg P,O,.
20 ocm der Lösung C ergaben in zwei vollkommen überein-
stimmenden Parallelbestimmungen 40,0 mg. Als Beispiel für
die Genauigkeit, mit der die Bürette abzulesen und die Rech-
nung anszuführen ist: Verbrauchte com KSCN = 15,83. Titer-
stellung: 20 com einer ?/ „-AgNO,-Lösung, von der 10 com 0,1434 g
AgCI liefern, verbrauchen 19,13 com KSCN. |
Bestimmungen im Harn.
Harn A. Normaler Menschenharn. Versuch 1. 10 com
Harn wurden mit Mg-Mischung gefällt, das Filtrat mit weiterer
Mg-Mischung versetzt, wobei keine Trübung entstand. Das so
behandelte, also phosphatfreie Filtrat wurde nun zu 10 com der
Lösung A gegossen und der Phosphorsäuregehalt der Mischung
nach der Silbermethode, wie sie eingangs für Harn beschrieben
worden ist, bestimmt. Dieser Versuch mußte also zeigen, ob
die Harnbestandteile bei der Bestimmung eine Störung machen.
Ich erhielt P,O, in mg:
43,6 (43,58).
Lösung A enthielt (S. 52):
43,5 (43,52).
Es wurden also 100,1°/, des theoretischen Wertes gefunden.
Versuch 2. Gegen den Versuch 1 läßt sich einwenden,
daß etwaige störende Harnbestandteile bei der Entfernung der
Phosphorsäure mit Mg-Mischung mit entfernt werden konnten;
daß das Filtrat keine solchen mehr enthielt, würde also nichts
beweisen. Ich bestimmte also den Phosphorsäuregehalt des
Harnes nach der Ag-Methode und setzte nun einer genau ab-
gemessenen Harnmenge die Phosphatlösung zu und bestimmte
den Gehalt der Mischung, um zu sehen, ob die Methode das
Plus richtig ergibt.
54 P. v, Liebermann:
2% cem Harn ergaben 42,9 mg P,O,. 10ccm wurden mit
Beem der Lösung A vermischt. Die Silbermethode ergab im
Gemisch 48,2, also 100,0°/, des theoretischen Wertes.
Versuch 3. Der vorstehende Versuch beweist, daß die
Harnbestandteile keine störende Wirkung hatten, doch läßt er
die Möglichkeit offen, daß dem für Harn gefundenen Wert (42,9)
ein konstanter Fehler anhafte, der also für 10 ccm halb so
groß wäre als für 20.
Zur Entscheidung dieser Frage mußte der Wert, den die
Ag-Methode ergeben hatte, mit einer andern, zuverlässigen
Methode kontrolliert werden. Es ist klar, daß nur Methoden
ohne Veraschung in Betracht kommen konnten. Es wurde die
Molybdat-Magnesis-Methode von W oy gewählt (TreadwellsLehr-
buch, 2. Aufl., 8.300), die im wesentlichen bekanntlich in einer dop-
pelten Fällung mit Ammoniummolybdat und darauf folgender
doppelter Fällung mit Magnesiamischung besteht; nach der
vierten Fällung folgt Trocknen, Glühen und Wägen des
Me BO, Da jedoch bei der Fällung mit Molybdat keine
organischen Substanzen und nur wenig Chloride zugegen sein
dürfen, so fällte ich aus dem Harne mit Mg-Mischung, wusch
chloridfrei, löste auf dem Filter in Salpetersäure und nahm in
der Lösung die erste Fällung mit Molybdat vor. Die Analysen
zeigten, daß die Spuren organischer Substanz, die in der sal-
petersauren Lösung des MgNH,PO, jedenfalls noch enthalten
waren, keine störende Wirkung hatten. (Bei eiweißhaltigem
Harne waren solche Störungen zu bemerken.) — Die zur
Kontrolle dienende gewichtsanalytische Methode bestand somit
der Hauptsache nach aus fünf Fällungen und soll im folgenden
der Kürze halber als Mo-Methode bezeichnet werden.
Wie schon erwähnt, ergab die Silbermethode für 20cm?
des Harnes A 42,9 mg P,O, (zwei vollkommen übereinstimmende
Pararallelbestimmungen). Zwei Parallelbestimmungen mit der
Mo-Methode, ebenfalls mit je 20 com Harn ausgeführt, gaben
42,2
42,3,
also um 0,6 bis 0,7 mg weniger.
Es fragte sich nun, ob die Ag-Methode zu viel oder die
Gewichtsanalyse zu wenig ergeben hatte. Um dies zu ent-
scheiden, analysierte ich 10 eem der Lösung A, enthaltend fast
Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u, in Alkaliphosphatlös. 55
dieselbe Phosphorsäuremenge wie 20 ccm des Harnes A, mit der
Mo-Methode. Es wurden gewogen 0,0671g Mg,P,0, ent-
sprechend 42,8 mg P,O,. Da die ganz sicheren gewichts-
analytischen Methoden (S. 52) 43,4 resp. 48,5 ergeben hatten,
so bekam ich offenbar bei diesem Phosphatgehalte mit der Mo-
Methode stets um 0,6 bis 0,7 mg zu wenig.*) Die im Harn mit
dieser Methode erhaltenen Werte sind also um diese Größe zu
korrigieren und stimmen dann vollkommen mit dem Silber-
werte überein.
Harn B (normaler Menschenharn). Zwei Parallelbestim-
mungen nach der Ag-Methode mit je 10 cm? ergaben
43,0
43,1
Zwei Parallelbestimmungen nach der Mo-Methode mit 10
und 20 cm? ergaben
mg P,O,.
42,8
84,6
Der Wert 42,3 ist, wie oben ausgeführt, um -+ 0,6 oder
-+0,7 mg zu korrigieren, was eine genaue Übereinstimmung mit
dem Silberwerte ergibt.
Harn C (normaler Menschenharn). 20 ccm gaben nach
der Ag-Methode 30,5 (4). Auf 25ccm umgerechnet gibt dies
88,2. 25 ccm gaben nach der Mo-Methode 37,7. Nun wurde
die Lösung O zur Kontrolle herangezogen, enthaltend in 20 ccm
fast dieselbe Menge P,O,, wie der Ham C in 25 eem, 20 ccm
dieser Lösung ergaben nach der Mo-Methode 0,0619 g Mg,P,0,,
entsprechend 89,5 mg P,O, Da der richtige Wert 40,0 be-
trägt (S. 52), so ist der für Harn gefundene um 0,5 mg zu
korrigieren und stimmt dann vollkommen mit dem Silberwerte.
Harn D (nephritischer Menschenharn, Eiweißgehalt nach
Esbach 11!/,°/,0). 20 cem gaben nach der Ag-Methode 40,0 mg
P,O,. Die Mo-Methode hätte somit 39,5 geben müssen; anstatt
dessen erhielt ich 40,4. Die Fällungen waren jedoch augen-
mg.
1) Für Nachprüfungen dieser Ergebnisse sei bemerkt, daß ich bei
der ersten Fällung mit Molybdat 15 ccm der vorgeschriebenen 25°/,igen
Salpetersäure verwendet habe, d. h. ich löste den ausgewaschenen Nieder-
schlag von MgNH,PO, in dieser Menge; ferner nahm ich 25 com der
NH,NO,-Lösung und 60 ccm des Molybdates.
56 P. v. Liebermann:
scheinlich gestört durch die Gegenwart des Eiweißes, das durch
die erste Fällung mit Mg nicht vollkommen entfernt werden
konnte (die salpetersaure Lösung des Niederschlages opalescierte
stark). Die bei der vierten und bei der letzten Fällung erhaltenen
Niederschläge von MgNH,PO, waren stark gelblich gefärbt,
also verunreinigt, was die gefundene Abweichung von 0,9 mg
genügend erklärt. Um aber sicherer zu gehen, löste ich den ge-
glühten Niederschlag durch mehrstündiges Erwärmen mit Salz-
säure als Orthophosphat auf und fällte nochmals durch Zusatz
von einem Tropfen Mg-Mischung und viel Ammoniak. Der
wie üblich weiter behandelte Niederschlag lieferte 0,0613 g
Mg,P,0,, entsprechend 89,1 mg P,O,, also um 0,4 mg zu wenig.
Da aber die Fällungen bei der störenden Wirkung des Eiweißes
leicht mangelhaft sein konnten, so kann auch diese Bestim-
mung als Beweis für die Richtigkeit der Silberwerte gelten.
Es scheint also wahrscheinlich, daß die Ag-Methode auch bei
Gegenwart von Eiweiß riohtige Werte gibt (vgl. die mit ver-
schiedenen Mengen des Harnes C ausgeführten Analysen, Tab. 1I,
S. 57.)
Ermittelung der Grenzen der richtig bestimmbaren
P,O,-Mengen im Harn.
Es war zu erwarten, daß sich hier dieselben Werte ergeben
werden, die für die abgekürzte Methode aus der Tabelle I
hervorgehen, doch mußte dies durch Versuche nachgewiesen
werden. Die diesbezüglichen Analysen mit sehr großen und
sehr kleinen Mengen sind in der Tabelle II angeführt, wobei
auch die für die zwischenliegenden Werte gefundenen, bereits
mitgeteilten Zahlen zusammengestellt worden sind. Kolonne 3
enthält die Werte in Prozenten der korrigierten gravimetrischen
Werte.
Für die Analysen des Eiweißharnes D sind diese Prozente
nicht angegeben, da sich hier die gravimetrischen Werte nicht
so genau bestimmen ließen. Diese letzteren Zahlen sind also
untereinander zu vergleichen; sie sind richtige Multipla
voneinander.
—
—— —— me O — — — gg
Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 57
Tabelle II.
mann der
g orrigierten
Untersuchtes Material Methode mg PO, gravimetrischen
erte
Boom Harn D ; .„ . 9,8 —
5 com Han A . 4 . = Mittel: 10,6(5) 99,5
20 eem Ham C. . z: : 30,5(4) 100,0
20 com Harn D e e è? å 40,0 —
20 ccm Ham A. .. e 42,9 100,0
20 oom Ham A. . .; 42,9 100,0
10 eem HamB. : .. = Mittel: 43,0(8) 99,8
8
10ccm Harn A - 5 com
Lösung A : : : : 43,2 100,0
Ca. 10 com phosphatfreies
Filtrat von Harn A 100,1
410 oom Lösung A . 43,6 (43,58)
30 com Ham D . . . 60,2 —
55 eem HamC. : : . 83,8 99,9
60 com Ham C. .: . 90,8 99,1
60 com Harn C :; : s E 90,8 99,1
50 eem Ham A ; .. 102,6 95,6
Es ergeben sioh somit die in Bemerkung 1, S. 47, be-
sprochenen Verhältnisse. Die dort angegebenen Korrekturen
sind, um das dort gesagte zu illustrieren, in der Tabelle nicht
ausgeführt worden; daher die mangelhafte Genauigkeit der
höhern Werte.
Über das Ausfrieren von Gelen.
Von
H. W. Fischer und O. Bobertag.
(Eingegangen am 30. März 1909.)
Mit 9 Figuren im Text.
Vor kurzem!) haben wir gemeinsam mit K. Feist einige
Versuche beschrieben, die die Wirkung von Abkühlung ver-
schiedenen Betrages unter den Gefrierpunkt des Lösungsmittels
auf Sole zum Gegenstand hatten. Von jeder theoretischen
Erklärung der beobachteten Erscheinungen haben wir uns
damals fern gehalten, dagegen hat Lottermoser?) sie in An-
lehnung an die jedem Kolloidforscher bekannten Vorstellungen
der Capillaritätstheorie der Gele zu geben versucht. Man be-
trachtet dabei das Gel als einen mikroskopischen oder ultra-
mikroskopischen Schaum, etwa dem Seifenschaum vergleichbar,
wobei die Luft die adsorbierte Flüssigkeit repräsentiert. Lotter-
mosers Erklärung ist nun die, daß beim Gefrieren die feinsten
Hohlräume auseinander gesprengt werden durch die beim Fest-
werden eintretende Volumenvergrößerung. Auch wir sind ur-
sprünglich von sehr ähnlichen Vorstellungen ausgegangen, nur
in einem Punkte unterschied sich unsere Ansicht von der des
ausgezeichneten Forschers, nämlich Lottermoser betont aus-
drücklich, „daß die Größe der Temperaturerniedrigung nicht
von ausschlaggebender Bedeutung ist für das Ausfallen der
Kolloide aus ihren Hydrosolen“. Aber aus seiner Prämisse
folgt eigentlich das Gegenteil: Bekanntlich wird nämlich der
Gefrierpunkt von Wasser nicht unerheblich durch Druck er-
1) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 41, 3675, 1908.
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 14, 3976, 1908.
H. W. Fischer u. B. Bobertag: Über das Ausfrieren von Gelen. 59
niedrigt (0,007° pro Atmosphäre, wobei zugleich die Schmelz-
wärme um 0,5 Calorien pro Grad abnimmt). Der ungeheure
Druck, der beim Zersprengen dieser kleinsten Bläschen auftreten
müßte, würde also den Gefrierpunkt des darin enthaltenen
Wassers um viele Grade herabsetzen müssen. Dieser Druck
müßte freilich nach der Capillaritätstheorie nicht erst beim
Gefrieren eintreten, sondern von vornherein vorhanden sein —
der Gasdruck im Innern einer Seifenblase ist um so größer, je
kleiner ihr Radius ist — (siehe Höber, Physikalische Chemie
der Zelle und der Gewebe, S. 60), so daß sich für Kolloid-
partikelchen, die an der Grenze des Auflösungsvermögens der
Ultramikroskope stehen, immerhin recht erhebliche Erniedrigungen
des Gefrierpunktes ergeben müssen. Eine genauere Berechnung
ist undurchführbar, weil die Oberflächenspannung des Kolloids
gegen die Lösung unbekannt ist. Wir können also annehmen,
daß von dem Kolloid eine Kraft auf die Flüssigkeit ausgeht,
durch die diese unter starken Druck gesetzt und komprimiert wird.
Daß solche komprimierenden Attraktionskräfte an Trennungs-
flächen zweier Medien auftreten, ist eine Annahme, die gern zur
Erklärung von anormalen Erscheinungen herangezogen wird
und für die auch ganz zweifellos manches spricht. Auch die
Adsorptionsgleichung kann man auf eine solche Attraktionskraft
deuten, die mit wachsender Entfernung von der Oberfläche
schnell geringer wird. Dann müßten die vom Kolloide ent-
fernten, also unter geringem Drucke stehenden Mengen Wassers
bei einer nur wenig von dem Schmelzpunkte des reinen Wassers
entfernten Temperatur gefrieren. In Lottermosers Bild würde
sich der Inhalt relativ großer Blasen genau so verhalten. Da-
gegen würden die Schichten der höchsten Kompression — der
Inhalt allerkleinster Bläschen — erst bei sehr viel niedrigeren
Temperaturen erstarren. Das Wasser würde also bei stetig
fallender Temperatur gefrieren, nicht scharf bei 0°. Ebenso
würde sich natürlich auch die Schmelzwärme über das ganze
Temperaturintervall, in dem das Gefrieren geschieht, verteilen.
Aus der bei einer bestimmten Temperatur noch fehlenden
Schmelzwärme müßte man also die Menge des noch nicht ge-
frorenen Wassers und aus der Temperatur den Druck, unter
dem dieses mindestens steht, berechnen können. Da nun aber
der Druck nichts weiter ist, wie das Maß der Kraft, so müßte
60 H. W. Fischer und B. Bobertag:
sich daraus und aus dem bekannten Volumen des Wassers das
Dimensionsgesetz der Attraktionskraft ermitteln lassen.
Wie wir aber im folgenden sehen werden, hat sich diese
Anschauung leider ganz und gar nicht bestätigt. Die Ergeb-
nisse einiger Versuche in dieser Richtung waren uns zur Zeit
unserer vorigen Veröffentlichung bereits bekannt, und so erklärt
sich wohl unser Schweigen über unseren leitenden theoretischen
Gesichtspunkt. Jetzt, wo wir die Methode ausgearbeitet und
eine große Zahl von Versuchen mit ihr durchgeführt haben,
wollen wir ihre Ergebnisse veröffentlichen.
Die Anordnung des Versuches ergibt sich aus einer ein-
fachen Überlegung:
Wie wir vorhin angegeben haben, wollen wir die Verteilung
der Schmelzwärme über ein Temperaturintervall messend ver-
folgen. Bezeichne ich nun mit dq eine aus unserer Substanz
herausströmende Wärmemenge, mit dé die durch diesen Verlust
hervorgebrachte Temperaturänderung, so ist ersichtlich 4 die
gesuchte Größə. Im allgemeinen ist, wie bekannt, dieser Aus-
druck konstant gleich s, der spezifischen Wärme, doch kann in
unserm Falle s seinen Wert auch stetig oder unstetig ändern,
und gerade solche stetige oder unstetige Änderungen wollen
wir ja aufsuchen. Wir wollen also unter s im folgenden nur
dq
den numerischen Wert verstehen, den 15 in dem gerade be-
trachteten Intervalle von 9 bis dä L dé eben gerade hat. Dazu
können wir zwei Wege gehen.
Erstens könnte man s direkt durch Ausführung einer sehr
großen Anzahl von spezifischen Wärmebestimmungen bei ver-
schiedensten Endtemperaturen bestimmen, was aber wegen der
Schwierigkeit, das Calorimeter auf viele, wenig voneinander ver-
schiedene Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes zu bringen,
kaum ausführbar sein dürfte.
Zweitens könnte man auch die Abkühlungszeit (2) messen
und t als Maß für q verwenden. Nämlich, denken wir uns
einen an allen in seinem Innern gelegenen Punkten auf gleicher
Temperatur befindlichen Körper in ein Bad von konstanter
Temperatur gebracht, z. B. einen Draht, so ist die durch die
Über das Ausfrieren von Gelen. 61
Flächeneinheit der Oberfläche in der Zeit di hindurchgehende
Wärmemenge dq bekanntlich unabhängig von s und nur ab-
hängig von dem Temperaturgefälle 9 — d, worin d die Tem-
peratur des Körpers und d, die des Bades bedeuten soll und
außerdem noch von der Wärmeleitfähigkeit L
A —-1.0— 9)
oder da
dq=s-d)
dd (9-8.
d e `
Da nun die Temperatur nie tiefer fallen, resp. nie höher
steigen kann wie die Temperatur des Bades, so kann ich 9,
als 0-Punkt der Temperatur auffassen, mit 9 den Temperatur-
unterschied bezeichnen, so daß meine Formel übergeht in
d(Ind) L
En
Da wir, wie wir oben gesehen haben, den Unterschied
zwischen einer Kolloidlösung und Wasser finden wollen, so folgt,
daß wir eine Differentialmethode verwenden, d. h. mit einem
Gefäße voll Wasser und einem voll Kolloidlösung arbeiten
müssen. Da ich aber den Unterschied in s zwischen den beiden
Flüssigkeiten bestimmen will, so müssen alle anderen Ver-
schiedenheiten zwischen den Gefäßen beseitigt werden. Ihre
Oberfläche und ihr Inhalt müssen gleich sein.
Wir verwendeten etwa 16 cm lange Reagensgläser von zirka
l cm Durchmesser aus dünnem Glase und stellten diese fol-
gendermaßen her: Das Rohr wurde in der Mitte auseinander-
gezogen, aus jeder der Ausziehstellen der Boden eines Reagens-
glases geformt, die Rohre dann möglichst gleich lang abge-
schnitten und der Rand umgelegt. So wird eine Gleichheit
des Radius in den für die Füllung in Betracht kommenden
Teilen gesichert und übrigens die Masse der Gläser bis auf
einige Prozente gleichgemacht. Auf die Gleichmachung der
Massen des Inhaltes kommen wir später zu sprechen. Nun
müßten aber auch noch die Wärmeleitfähigkeiten für das Wasser
und das Kolloid gleich sein. Das sind sie aber wohl zweifellos
nicht. Denn wenn auch der Teil des Wärmetransportes, der
durch die Bewegung der Moleküle besorgt wird, für beide
62 H. W. Fischer und B. Bobertag:
ziemlich gleich sein mag — verlaufen doch ähnliche molekulare
Vorgänge, die Diffusion und die Ionenwanderung, in beiden
Medien etwa gleich schnell — können doch in einer Gallerte
die Konvektionsströme nicht auftreten, die, wie bekannt, die
Hauptmenge der Wärme transportieren. Die Wärmeleitfähigkeit
der Gallerte wird also kleiner sein wie die des Wassers. Diese
Schwierigkeit läßt sich aber dadurch umgehen, daß man die
Wärmeleitfähigkeit des Systems überhaupt sehr klein macht,
d. h. vor jede der Lösungen sozusagen einen so großen Wärme-
widerstand einschaltet, daß die tatsächlich vorhandenen geringen
Unterschiede dagegen vernachlässigt werden können. Dieser
Widerstand ist natürlich wieder für beide Gefäße gleich. Wir
haben ihn so realisiert, daß wir die beiden Gläser in ein dem
Dewarschen ganz ähnliches, aber nicht ausgepumptes Gefäß
durch Anschleifen von Flächen oben am Rande und unten am
Boden stramm einpaßten.
Wie wir gleich sehen werden, wird durch diese Anordnung
noch ein weiterer Vorteil erreicht. Es sind jetzt, wenn die
Reagensgläser auf verschiedener Temperatur sind, drei Tem-
peraturgefälle vorhanden: 1. vom wärmeren, 2. vom kälteren
Gefäße durch den großen Widerstand nach außen, 3. vom
wärmeren nach dem kälteren Gefäße. Wenn wir uns später
darauf beziehen, werden wir dieses immer als das „dritte Tem-
peraturgefälle‘‘ bezeichnen. Dieses wird also versuchen, den
Temperaturunterschied zwischen den beiden Gefäßen auszu-
gleichen. Es wirkt dahin, daß sich kleine zufällige Ver-
schiedenheiten weniger geltend machen und kleine Störungen
sich ausgleichen können.
Dieses unser Verfahren haben wir zuerst auf Gelatine
angewandt, weil sie das einzige mir bekannte Kolloid ist, bei
dem sich die letzte der experimentellen Bedingungen, die Gleich-
heit der abkühlenden Massen befriedigend verwirklichen läßt.
Bekanntlich quillt ein Blättchen Gelatine in kaltem Wasser
nur ziemlich langsam auf. Schiebt man also ein Röllchen
Gelatine in das Reagensglas und pipettiert die nötige Menge
Wasser erst unmittelbar vor dem Einsenken in das Kältebad
hinzu, so kann man annehmen, daß sich die Gelatine nicht
erheblich verändert haben wird. Das andere Rohr enthält
genau dieselbe Menge, aber durch Erhitzen gelöster Gelatine
Über das Ausfrieren von Gelen. 63
und Wasser, und wird vor dem Einsenken sorgfältig auf die
Temperatur des anderen Röhrchens gebracht.
Um die Massengleichheit nicht zu gefährden, muß man die
Temperatur mit Thermoelementen messen, deren Masse ja leicht
ziemlich gleich und vor allem klein gehalten werden kann. Sie
werden durch einen in der halben Höhe im Innern des Glas-
rohres befindlichen Korkstopfen zentriert.
Als thermoelektrisches Paar benutzten wir Eisen-Konstanten,
als Meßinstrument ein Millivoltmeter von Kaiser und Schmidt.
Der Ausschlag pro Grad betrug etwa 0,05 Millivolt, so daß noch
halbe Grade mit einiger Sicherheit geschätzt werden konnten.
Die Fehler der Temperaturablesung sind so beträchtlich, dürften
aber immer noch kleiner sein als die durch die Fehler der
Methode selbst bedingte Unsicherheit. Die rasche Folge der
Messungen bedingt, daß die Uhr von einem, das Millivoltmeter
von dem anderen Beobachter abgelesen wird. 2)
Die Ergebnisse bei 4,1 g Wasser und etwa 0,4 g Gelatine
zeigen die Kurven 1. (Kühlung durch Alkohol und Kohlensäure).
Ich will im folgenden die durch Erhitzen gelöste und dann
wieder gelatinierte Flüssigkeit als die Gallerte, das Wasser
-+ Gelatineblatt als Wasser bezeichnen.
Tabelle I.
I u
i/o Millivolt t 1/,, Millivolt t Bemerkungen
+4,8 0 +4,3 0,5 Nr. II enthält die Gelatine-
— l1 +2,3 1,5 lösung.
41,7 2 Los 2,5
+0,7 3 —02 3,6
— 0,1 4 — 0,7 4,5 Unterkühlung.
0,0 5 0,0 6,5
0,0 6 0,0 6,5
0,0 7 0,0 7,5
0,0 8 0,0 8,5
0,0 9 0,0 9,5
0,0 10 0,0 10,5
0,0 11 0,0 11,5
0,0 12 0,0 12,5
— 0,1 13 0,0 13,5
1) Den größten Teil der folgenden Messungen habe ich mit dem
Mechaniker F. Schwarzbach zusammen ausgeführt. H. W. Fisoher.
64 H. W. Fischer und B. Bobertag:
I II
1/,o Millivolt t 1/Millivolt t Bemerkungen
— 0,3 14 0,0 14,5 Bei den folgenden Zahlen
—1,1 15 2 —0,3 15,5 sind die Minuszeichen
3,1 16 0,8 16,5 weggelassen.
5,8 17 1,7 17,5
8,2 18 5,0 18,5
11,1 19 9,7 19,5
13,5 20 13,2 20,5
16,3 21 15,8 21,5
18,4 22 18,1 22,5
20,3 23 20,3 23,5
22,1 34 21,7 24,5
23,5 25 23,2 25,5
25,0 26 24,7 26,5
27,2 27 26,8 27,5
29,0 28 28,3 28,5
30,4 29 29,8 29,5
31,9 30 30,9 30,5
Tabeile I gibt die Zahlen der Kurve a.
Beim ersten Blick auf die Kurven fällt einem sofort auf,
daß die beiden Kurven, die zu Anfang ineinander verlaufen
(den O0-Punkt in leichter er unterschreiten, dann
Ir] —
Fig. 1.
bei 0° ihre Schmelzwärme verlieren), sich gegen Ende des Aus-
frierens wirklich trennen, um dann wieder zusammenzulaufen.
Dieses Zusammenlaufen ist natürlich zu erwarten, weil die
Kurven nach Erreichung der Temperatur des Bades wieder
zusammenfallen müssen, es wird aber auch noch durch das
dritte Temperaturgefälle beschleunigt. Diesem ist es übrigens
auch noch zuzuschreiben, daß die Kurven nicht die gleich-
mäßige Biegung der Logarithmalkurve zeigen, sondern im Ge-
biete des stärksten Auseinandertretens wie ein S und sein
Spiegelbild gegeneinander verbogen sind. Das wärmere Gefäß
Über das Ausfrieren von Gelen. 65
kühlt sich stärker, das kältere schwächer ab, wie es tun würde,
wenn es allein da wäre. Wir werden diese Erscheinung bei
allen Kurven, bei denen starke Temperaturdifferenzen auftreten,
wiederfinden.
Nach dem Herausheben aus dem Bade zeigte sich, daß der
Inhalt der beiden Gefäße, die natürlich zersprengt worden
waren, aus nur wenig verschiedenem Eise bestand, beim Auf-
tauen lieferte die Gallerte einen zusammenhängenden Pfropfen,
aus dem das Wasser wie aus einem Schwamme herauslief —
was bekanntlich bei ungefrorener Gelatinegallerte keineswegs
der Fall ist. Aus dem Gefäße mit Wasser ließ sich das nur
wenig veränderte Gelatineröllchen wiedergewinnen.
Wir kommen jetzt zum wichtigsten Punkte:
Wie aus der angegebenen Darlegung folgt, müßte die
Gefrierkurve der Gallerte unterhalb der des Wassers ver-
laufen, wie aber ein Blick auf die Kurve zeigt, verläuft sie
ganz im Gegenteil, und zwar bis etwa 10° oberhalb. Es
folgt daraus, daß der Fehler entweder in den theoretischen
Grundannahmen oder in der Methode liegen muß. So un-
wahrscheinlich es auch von vornherein bei der vorzüglichen
Übereinstimmung der Gelatinekurven untereinander erschien,
daß ein zufälliger Fehler jedesmal in demselben Sinne das Re-
sultat gefälscht haben sollte, so beschlossen wir doch, Blind-
.versuche anzustellen, um die experimentelle Verläßlichkeit der
Methode zu prüfen. Wasser ist für solche Versuche wenig
günstig, weil es die lästige Eigenschaft hat, die Gefäße beim
Gefrieren zu zersprengen. Bekanntlich ist der Gefrierpunkt
des Benzols nur wenig von dem des Wassers entfernt. Wir
füllten also die Reagensgläser mit gleichen Mengen (4,1 ccm)
Benzol. Als Kältebad diente von jetzt an Chlorcalcium-Eis
(der Billigkeit wegen). Man kann damit bequem eine Tempe-
ratur von — 40° erreichen, die aber nur einige Zeit konstant
bleibt und dann namentlich bei langer Dauer des Versuches
erheblich, z. B. bis — 20 steigt. Das ist für eine rechnerische
Verwertung des Kurvenmaterials natürlich ungünstig, be-
einträchtigt aber, wie leicht zu sehen, die Verläßlichkeit der
Differentialmethode nicht. Als Wärmebad diente ein mit Wasser
gefüllter Thermostat von etwa 85bis90° Temperatur. Eine dünne
Biochemische Zeitschrift Band 18, 5
66 H.W. Fischer und B. Bobertag:
Paraffinschicht verhütete das Verdunsten des Wassers. Die
Resultate zeigt Fig. 2 u. Tabelle II.
Zunächst wurde das Dewargefäß mit den Reagensgläsern
in das Wärmebad gebracht und Kurve a erhalten. Dann wurde
das heiße Gefäß in das Kältebad hineingestellt und b erhalten.
Das Gefrieren tritt bei 0,24 Millivolt ein und dauert 18 Minuten.
Kreuze und Punkte von a und b bilden mit großer Genauig-
keit einen Kurvenzug.
E
Gë
Eh
E
KE
TEE
Des
EE
bet
EN
W
Das kalte Gefäß wurde wieder in das Wärmebad gestellt
und c erhalten. Am Ende des Auftauens tritt eine Störung
ein, die Kurven trennen sich für ein kurzes Stück, laufen dann
aber wieder rasch zusammen. Diese Erscheinung ist, wie man
sich durch Herausheben der Reagensgläser leicht überzeugen
kann, einer ungleichmäßigen Verteilung von festem Benzol zu-
zuschreiben.
Tabelle II.
1/, Benzol-Benzol.
I u
Ae Millivolt t 1/,ọ Millivolt € Bemerkungen
10,8 0 11,2 0,5 _Kurvea: Benzol-Benzol mit
12,8 1 14,0 1,5 steigender Temperatur.
15,3 2 16,4 2,5
17,8 3 19,4 3,5
I
1/ 30 Millivolt
Über das Ausfrieren von Gelen. 67
bei bel bei beet
Go bi ra CH e OD ei ER EH Wë T
D
1 Millivolt
21,0
Bemerkungen
Kurve b: Benzol-Benzolmit
fallender Temperatur.
Unterkühlung, 17 Minuten
konstant auf 2,4.
Kurve o: Benzol: mit wieder
steigender Temperatur,
5*
68 H. W. Fischer und B. Bobertag:
I II
1/,.Millivolt t 1/,Millivolt t Bemerkungen
1,0 5 1,2 5,5
1,3 6 2,0 6,5
1,5 T 1,8 7,5
1,8 8 2,1 8,5 Beide Gefäße enthalten
3,5 9 — — schon viel Flüssigkeit:
6,2 10 5,0 10,5 in beiden ein kleiner
9,0 11 10,0 11,5 Rest Eis. Thermoelement
12,7 12 12,9 12,5 von I längst ausge-
14,8 13 15,5 13,5 schmolzen.
17,5 14 18,7 14,5
19,8 15 21,0 15,5
22,1 16 23,2 16,5
24,1 17 25,1 17,5
26,1 18 27,0 18,5
27,9 19 29,7 19,5
29,3 20 30,0 20,5
Die Benzol-Benzolkurven zeigen also deutlich, daß die
Methode verläßlich arbeitet. Der Fehler muß also in den
theoretischen Annahmen, d. h. in der Capillaritätstheorie der
Gele zu suchen sein.
Nun hatten wir vor einiger Zeit eine Arbeit veröffentlicht, ?)
in der die Chloroform- und Amylalkoholgele des Myricylalkohols
untersucht worden sind. Der Myricylalkohol ist für Unter-
suchungen dieser Art besonders brauchbar, weil er ein — wahr-
scheinlich — einheitlicher Körper bekannter chemischer Kon-
stitution und leicht elektrolytfrei zu erhalten ist.
Es war uns damals gelungen, den Nachweis zu führen,
daß sich die aus den Myricylalkoholgelen durch Erwärmen
entstehenden reversibelen Sole weitgehend als krystalline Lö-
sungen theoretisch behandeln lassen, während rich andererseits
die sehr eigentümlichen Löslichkeitsverhältnisse aus theoretischen
Erwägungen über den Dampfdruck von mit gesättigter Lösung
in Berührung stehenden Gelen herleiten ließen.
Auf die Löslichkeitsverhältnisse werden wir im foigenden
noch kommen. Wir beschlossen also, diesen einfachen und un-
komplizierten Fall zu untersuchen, in der Hoffnung, dort viel-
leicht einen Aufschluß über das rätselhafte Verhalten der Gela-
tinegallerte zu gewinnen. Ein Massenausgleich ließ sich natür-
1) Jahresber. d, vaterländ. Ges. f. schles. Kultur 1908. S. 40.
Über das Ausfrieren von Gelen. 69
lich bei diesen Versuchen nicht mehr bewerkstelligen, da sich
natürlich in beiden Gefäßen der Myricylalkohol in gleichem
Sinne hätte ändern müssen. Doch werden wir besonders an
Erwärmungs- und Abkühlungskurven der Gelatine sehen, daß
der Einfluß der Masse des Kolloides auf den Gesamtvorrat an
Wärme nur ein kleiner zu sein scheint. Zunächst ist seine
Masse nur klein im Verhältnis zu der des Lösungsmittels, anderer-
seits treten aber auch durch den Nichtausgleich der Massen
auch noch Veränderungen anderer Faktoren auf, z. B. der
Oberfläche des Inhaltes, des spezifischen Gewichtes usw., so
daß sieh die vielfachen, teilweise entgegengesetzt gerichteten
Störungen ziemlich vollständig gegeneinander aufheben werden,
eine Lage der Dinge, wie sie wohl häufig zugunsten des Ex-
perimentstors vorkommt.
SR eege FELL:
LAE EE
Ee E
ERS
agr | ++
SEBRIREBENE
SSES
Aë 5 75 M oi 7 AS 30 338 38 318 30 38,5 Sell
Fig. A
Ich will zunächst die Erwärmungskurven besprechen, also die
Kurven a der Fig. 3 u. 4, wir stützen uns aber in unsern
Bemerkungen nicht ausschließlich auf das hier veröffentlichte Ma-
terial, sondern auf unser Gesamtmaterial. Bei einer Temperatur
von etwa 1,5 Millivolt (ca. 30°) beginnen sich die Kreuze, die
den Myricylalkohol bedeuten, von den Punkten zu trennen, die
Trennung nimmt schließlich sehr beträchtlich zu, wobei die
Kreuze immer unterhalb der Punkte bleiben, um dann bei
höhererer Temperatur wieder zurückzugehen.
Q "A Le Lei
70 H.W. Fischer und B. Bobertag:
Andererseits zeigen die Abkühlungskurven — die Kurven b
der Fig. 3 u. 4 — die wir vorläufig bloß bis zu dem bei
ca. 0,25 Millivolt gelegenen Gefrierpunkt verfolgen wollen,
gleichfalls eine entsprechende Störung, indem sich diesmal ziem-
lich scharf — zwischen 2,0 und 2,4 Millivolt (40—48°) — die
Punkte von den Kreuzen trennen. Diesmal aber bleiben die
Kreuze stets oberhalb der Punkte. Es ist also ganz klar, daß
bei der Erwärmung ein Vorgang verläuft, der Wärme ver-
braucht, bei der Abkühlung ein solcher, der Wärme liefert.
Hebt man die Gefäße in diesem Temperaturintervall gelegentlich
heraus, so kann man nicht im Zweifel sein, daß die Lösung
resp. Abscheidung des Myricylalkohols die Ursache ist. Aus
den Ergebnissen unserer schon zitierten Arbeit läßt sich der
Verlauf der Kurven bis auf die kleinsten Einzelheiten er-
klären.
—
2
a EE ET —
E E
—
EN RW
Aë 58 75 © B5 5 pe Ae 33,5 35 Asa
Fig: 4.
Es gelang uns, dort den Nachweis zu führen, daß die
Löslichkeit des Myricylalkohols in allen von uns verwandten
Lösungsmitteln, z. B. Athyl- und Amylalkohol, Ather, Chloro-
form, Benzol, ungeheuer schnell mit der Temperatur ansteigt,
und im allgemeinen den Punkt der kritischen Löslichkeit vor
dem Siedepunkte des Lösungsmittels erreichen dürfte.
Über das Ausfrieren von Gelen. 71
Zum Beleg geben wir die Löslichkeitskurve in Amylalkohol
wieder (Fig. 5). Man sieht, daß hier die Löslichkeit bei 50°
noch unter 1°/, liegt, während bei noch nicht 70° der Punkt
der kritischen Löslichkeit schon beinahe erreicht ist.
Hundertsiel Mole Myricylaliohel af 1Mol Amyiathobel
Fig. 5.
Bei den Erwärmungskurven bedeutet also die Trennung
der Kreuze von den Punkten, die bei ca. 30° stattfindet, nichts
weiter, als daß die Löslichkeit anfängt, sich geltend zu machen,
und die Lösungswärme zu verschwinden. Die größte Trennung
zwischen Kreuzen und Punkten, also die Stelle, von der an
der Verlust an Lösungswärme nicht mehr ausreicht, um die
über das dritte Temperaturgefälle zuströmende Wärme der
Größe nach zu überbieten, liegt bei beiden Kurven bei un-
gefähr 53°. |
Man darf dabei nicht übersehen, daß die spezifisch schwe-
rere Myricyalkoholgallerte am Boden des Gefäßes liegt und so
tatsächlich für die Lösung des schwer diffundierenden Stoffes
nur die in seiner unmittelbaren Nähe befindliche Flüssigkeit
in Betracht kommt. Genau so erklärt sich auch das S der
Kurve b. Hier ist die Trennung der Kreuze von den Punkten
viel schärfer, die Kurve scheint einen Augenblick der t-Achse
parallel zu laufen. Dieser Punkt liegt bei der konzentrierten
Kurve bei ungefähr 2,4 Millivolt, entsprechend 48°, bei den
verdünnteren etwas niedriger, bei 2,1 Millivolt (42°). Er liegt also
von dem Punkte des weitesten Auseinandergehens der a-Kurven
um etwa 10° entfernt und ein Blick auf die Löslichkeitskurve
12 H. W. Fischer und B. Bobertag:
zeigt, wie erheblich sich in diesem Intervalle die Löslichkeit
ändern kann. Daß die Biegung schärfer ist, wie die der a-
Kurven, erklärt sich daraus, daß die Lösung bei der Abkühlung
übersättigt worden ist, diese Übersättigung sich — bei der
konzentrierteren Lösung zuerst — aufhebt und nun die Lösungs-
wärme einer größeren, auf einmal ausfallenden Menge Myricyl-
alkohols mit einem Schlage auftritt.
Die Kurven o stellen dagegen den Verlauf einer aber-
maligen Erwärmung dar. In den beiden dargestellten Fällen
tritt die schon vorhin beim Benzol geschilderte Störung durch
ungleichmäßige Verteilung des festen Benzols ein, und zwar
bei 3 so, daß die Punkte anfangs unter den Kreuzen laufen,
bei 4 umgekehrt. In beiden Fällen stellt sich aber binnen
kurzem das Verhältnis ein, wie es nach dem Verlauf der a-Kurve
zu erwarten wäre. Die Kreuze geraten unter die Punkte, bei
III mehr wie bei IV, der Konzentration entsprechend. Man kann
also wohl mit Recht annehmen, daß bei der abermaligen Er-
wärmung keine weitere Veränderung des Myricylalkohols ein-
tritt. Nun war in a der Myricylalkohol nur wenig verteilt
und saß in seiner Hauptmenge am Boden, während bei o durch
das vorhergehende Abkühlen die ganze Flüssigkeit gelatiniert
war. Die beiden Zustände müssen also im wesentlichen iden-
tisch sein. |
Wir kommen nun jetzt zu unserem Hauptpunkte, nämlich
zu dem Gefrierpunkte der Gallerte.
Da Benzol sich beim Schmelzen erheblich ausdehnt, im
entgegengesetzten Sinne wie Wasser sein Volumen um 10°/,
ändert, so wird durch Druck der Schmelzpunkt des Benzols
erhöht. Danach müßte dicht vor dem Schmelzpunkt eine
abermalige Trennung der Kurve eintreten, und zwar so, daß
die Kreuze über den Punkten laufen. Statt dessen sieht man
bei 3, daß die Entfernung zwischen Punkten und Kreuzen
stetig fällt, während bei 4 Punkte und Kreuze ineinander
verlaufen, das ist auch bei unserem anderen Kurvenmaterial
durchaus das Übliche. Von einer beträchtlichen Erhöhung des
Schmelzpunktes eines Teiles des Benzols in der Myricylalkohol-
gallerte kann also gar keine Rede sein.
Dagegen zeigten die Kurven nach Beendigung des Ge-
frierens eine Neigung, auseinanderzulaufen, bald im einen, bald
Über das Ausfrieren von Gelen. 73
im anderen Sinne, wie auch die von uns veröffentlichten Kurven
zeigen. Das deutet auf einen experimentellen Fehler hin. Und
zwar bestand dieser darin, daß wir in der Pause des Gefrierens,
um die Temperatur des Bades konstanter zu halten, die ge-
sättigte Chlorcaleiumlösung mittels eines Hebers abließen und
neue Kältemischung nachfüllten. Da so durch ganz ungleich-
mäßig verteilte Eisstücke gekühlt wurde, mußten die Gefäße
auch ungleichmäßig beeinflußt werden, besonders da das unter-
schiedausgleichende dritte Temperaturgefälle während des Ge-
frierens nicht existiert. Wie wir das Nachfällen unterließen,
hörten auch die Unregelmäßigkeiten auf. (Vgl. Tabelle VI.)
Tabelle III.
0,6 g Myricylalkohol auf 4,15 eem Benzol.
I II
1,0 Millivolt t ` Ae Millivolt t Bemerkungen
10,2 0 11,3 0,5 Ienthält den Myricylalko-
11,8 1 13,5 1,5 hol, Kurve a der Fig. 3.
14,0 2 15,6 2,5
16,1 3 18,0 3,5
17,8 4 20,0 4,5
19,5 5 22,0 5,5
21,0 6 24,0 6,5
22,2 7 25,5 7,5
23,2 8 27,1 8,5
— — 29,0 9,5
25,0 10 30,0 10,5 Noch viel ungelöster M.
25,5 11 30,5 11,5
27,0 12 31,5 12,5
28,8 13 32,0 13,5 Nur noch Spuren.
31,0 14 32,8 14,5
32,1 15 33,8 13,5 Lösung.
33,0 16 34,5 16,5
34,2 17 35,3 17,5
32,5 0 31,0 0,5 Kurve b der Fig. 3.
30,0 1 27,7 1,5
27,0 2 25,0 2,5
24,9 3 22,0 3,5
23,5 4 20,2 4,5
23,4 5 18,5 5,5
22,3 6 15,5 6,5
20,8 7 — — Vollkommen trübe.
19,2 8 12,2 8,5
17,5 9 11,0 9,5
74 H. W. Fischer und B. Bobertag:
I II
1/,o Millivolt t 1/1 Millivolt t Bemerkungen
— = 10,0 10,5 |
14,0 11 8,8 11,5 |
12,0 12 7,8 12,5 |
10 13 6,8 13,5 |
9,4 14 6,0 14,5
8,0 15 5,0 15,5
7,0 16 4,0 16,5
5,8 17 3,2 17,5
42 18 22 18,5
3,0 19 2,5 19,5 Gefriert während 21 M.
1,8 40 2,1 40,5
1,3 41 2,0 41,5
1,0 42 1,7 42,5
03. 43 1,2 43,5
0,0 44 1,0 44,5 |
— 0,5 45 0,5 45,5 |
— 10 46 0,2 46,5 |
—1,5 47 —0,5 47,5
—1,8 48 —12 48,5 |
— 2,5 49 —22 49,5
— 32 50 —31 50,5
— 7,2 0 —73 0,5 Kurve c.
— 5,8 1 —40 1,5 |
— 3,8 2 —12 2,5 |
0,0 3 +08 3,5 |
+1,5 4 1,8 4,5 |
2,1 5 2,4 5,5 Taut in 5 Minuten auf.
3,8 10 2,9 10,5
6,8 11 6,0 11,5
9,0 12 9,5 12,5
11,2 13 12,5 13,5 LIenthält Pfropfen, aus dem
16,2 14 16,5 14,5 Flüssigkeit quillt.
17,0 15 19,2 15,5
18,0 16 21,5 16,5
20,5 17 24,2 17,5 Mehr Flüssigkeit, Pfropfen.
22,2 18 25,8 18,5 (
23,6 19 27,5 19,6
25,0 20 29,0 20,5 Hälfte Pfropfen. |
26,6 21 30,0 21,5 |
28,5 22 31,3 22,5
30,2 23 32,0 23,5 Kein Pfropfen.
31,3 24 33,1 24,5
32,6 25 33,8 25,5
33,6 26 34,8 26,5
HI
Ile Millivolt
10,0
11,8
Über das Ausfrieren von Gelen. 75
11
a
Tabelle IV.
D
1/,0Millivot t
10,3 0,5
12,0 1,5
14,8 2,5
17,2 3,5
19,5 4,5
21,3 5,5
23,5 6,5
25,1 7,5
26,8 8,5
28,2 9,5
29,5 10,5
30,7 11,5
32,0 12,5
33,1 13,5
34,1 14,5
35,2 15,5
31,0 0,5
28,1 1,5
25,0 2,5
21,9 3,5
20,5 4,5
19,5 6,5
17,5 6,5
15,0 7,5
12,6 8,5
10,6 9,5
8,8 10,5
7,2 11,5
5,7 12,5
4,2 13,5
3,1 14,5
2,6 15,5
2,3 32,5
1,9 33,5
1,2 34,5
0,8 35,5
— 0,2 36,5
— 1,2 37,5
— 2,5 38,5
— 3,0 39,5
— 4,0 40,5
Bemerkungen
II enthält 2,2 g Myrioyl-
alkohol.
Kurve a der Fig. 4.
Kurve b der Fig. 4.
Gefriert in 15 Minuten.
Die Sohwankungen gegen
Ende der Kurve sind
auf ungleichmäßige Ver-
teilung des Eises zurüock-
zuführen und zum Teile
künstlich gemacht.
76 H. W. Fischer und B. Bobertag:
> I II
1/ o Millivolt t ` Ale Millivolt t Bemerkungen
— 7,6 0 — 7,1 0,5 Kurve o der Fig: 4.
— 6,3 1 => 6,0 1,5
— 4,0 2 —35 2,5
— — — 0,6 3,5
1,2 4 1,3 4,5
2,1 5 1,9 5,5
2,2 6 2,2 6,5
2,8 8 2,5 8,5
3,2 H 2,5 9,5
4,1 10 2,5 10,5
6,2 11 5,0 11,5
8,5 12 8,1 12,5
11,2 13 11,3 13,5
14,2 14 14,5 14,5
16,8 15 17,0 15,5
19,5 16 19,2 16,5
21,8 17 21,2 17,5
24,0 18 23,8 18,5
25,8 19 26,0 20
27,4 21 28,0 21,5
28,9 22 29,5 22,5
30,2 22 30,8 22,5
31,7 23 32,5 23,5
33,0 24 33,5 24,5
Tabelle V.
I II
Aha Millivolt t Ae Millivolt t Bemerkungen
9,0 0 91 0,5 IH enthält 0,33 g Myrioyl-
9,9 1 10,1 1,5 alkohol.
11,5 2 11,6 25 a-Kurre
12,1 3 13,1 3,5
14,0 4 14,8 4,5
16,8 5 16,4 5,5
18,0 6 17,9 6,5
19,7 7 19,0 7,5
21,1 8 20,2 8,5
22,6 9 21,3 9,5
23,8 10 22,3 10,5
24,8 11 23,1 11,5
25,7 12 24,0 12,5 Noch viel Substanz vor-
26,5 13 24,7 13,5 handen.
27,1 14 25,1 13,5
I
ı I 10 Millivolt
t
l\o@msauamun=-o BBESSEAFS
Über das Ausfrieren von Gelen. 77
II
1 Le Millivolt
26,0
t
Bemerkungen
Kleiner Rest.
Alles gelöst.
l-Kurve
II gelatiniert.
I wird unterkühlt.
I flüssig.
I fest.
Als Kältebad dient diesmal
Eis-Kochsalz.
78 H. W. Fischer und B. Bobertag:
I II 5
1 Le Millivolt t ` Ae Millivolt t smerkungen
— 2,0 641 — 2,5 61,5
— 2,5 62 — 3,0 62,5
— 3,0 63 — 3,3 63,5
— 3,5 64 — 3,5 64,5
— 4,0 65 — 3,8 65,5
— — — 4,0 66,5
— 4,5 67 — 4,0 67,5
— 5,0 68 — 4,5 68,5
— 5,2 69 — 4,9 69,5
Tabelle VI.
I as
1/yMillivolt © Ae Millivolt ` $ Bemerkungen
9,2 N) 10,5 0,6 22g Myrioylalkohol in I
11,5 1 13,2 1,5 &-Kurve.
13,8 2 15,2 2,5 I enthält den Mpricyl-
16,2 3 17,0 3,5 alkohol.
18,2 4 20,0 4,5
20,8 5 21,8 5,5 I viel ungelöste Substanz.
22,8 6 24,8 6,5
24,8 7 26,5 7,5 I deutlich weniger S.
26,6 8 28,2 8,5
28,3 9 29,5 . 9,5
29,7 10 30,8 10,5
31,1 11 32,0 11,5
7,5 1 6,8 0,5 b-Kurve.
6,8 2 6,0 1,5 Diesmal nur das Stück kurz
5,8 3 5,0 2,5 vor und hinter dem Ge-
4,0 4 3,2 3,5 frierpunkte.
3,2 5 2,4 4,5
2,4 6 2,4 5,5
1,8 23 2,4 6,5
1,8 24 1,8 23,5
1,8 25 1,5 24,5
1,5 26 1,2 25,5
1,0 27 0,9 26,5
0,7 28 0,4 27,5
0,1 29 0,0 28,5
— 0,6 30 — 0,8 29,5
Dieser Befund beim Myricylalkohol ließ es als möglich er-
scheinen, daß bei der Gelatine der Punkt der maximalen Lös-
lichkeit der a-, und der Abscheidungspunkt der b-Kurve durch
Über das Ausfrieren von Gelen. 79
ein größeres Temperaturintervall getrennt sind, und daß die
beim Gefrieren auftretende überschüssige Wärme andererseits
während des Erwärmens gewissermaßen aufgespeichert werden
muß. Kurve a der Fig. 6 zeigt, daß von einer erheblichen
Wärmebindung während des Erwärmens, wie sie nötig wäre,
um die beträchtliche Wärmeabgabe während des Gefrierens
zu erklären, keine Rede sein kann. Ebenso zeigt auch die
> a d U ©
L
|
—— — 28 — D
75 50 525 55 575Mım
Fig. 6.
b-Kurve erst am Ende des Gefrierens die schon bekannte Tren-
nung der Kreuze von den Punkten. Dieses negative Ergebnis
war nach den Versuchen von Wiedemann und Lüdeking?!)
zu erwarten, die die Quellungswärme zu + 6, die Lösungswärme
zu —3,7 Calorien pro Gramm Gelatine bestimmt haben. Da
unsere Methode eben 1° Temperaturerhöhung, also 1 Calorie pro
Gramm Lösung, nachzuweisen imstande ist und unsere 4 com
Wasser nur 0,4 g Gelatine enthalten, so liegen die zu erwartenden
Erwärmungen um 0,35, resp. —0,25° unter der Fehlergrenze
unserer Methode.
Daß die Gelatine die Wirkung haben sollte, die Krystalli-
sation des Wassers zu verhindern, wie das J. Alexander?)
annimmt, davon kann nach meinen Versuchen keine Rede sein.
Es bleiben also drei Möglichkeiten der Erklärung:
1. Könnte man, da die Gelatine sich genau umgekehrt
verhält, wie wenn das Wasser in ihr unter einem Drucke stünde,
an das Gegenteil einer Kompression, eine Auseinanderzerrung
1) Annal. d. Physik (3), 35, 552, 1888.
2) Zeitschr. f. Chem. u. Industrie d. Kolloide 4, 86, 1909.
SO H.W. Fischer und B. Bobertag:
der Wassermoleküle denken. Dagegen spricht, daß das Volumen
einer Gallerte erheblich kleiner ist als die Summe der Volumina
ihrer Bestandteile (Wiedemann und Lüdeking Lei
2. Könnte man annehmen, daß die Gelatine aus zwei Be-
standteilen besteht, deren einer die Gallerte bildet, während der
zweite, der ‚Schutz‘, gelöst bleibt. Wenn nun der Punkt der
kritischen Löslichkeit für den Schutz in Wasser unterhalb des
Gefrierpunktes läge, so könnte seine Trennung von dem Lösungs-
mittel wohl die beobachtete Wärme liefern. Bei gewöhnlicher
Temperatur würde er dann natürlich in der bekanntlich stets
etwas feuchten Gelatine längst gelöst sein, also sich beim Ein-
senken in Wasser wenig oder gar nicht mehr durch Auftreten
einer Wärmetönung bemerkbar machen. Wäre es nun möglich,
die c-Kurve bei abermals steigender Temperatur aufzunehmen,
so würde sich dieser Punkt wohl entscheiden lassen. Für diese
Anschauung sprechen die Versuche von Menz.!) Das ist mir
aber, weil die Reagensgläser beim Gefrieren stets zersprengt
werden, leider nicht gelungen.
3. Könnte die Gelatine beim oder durch das Gefrieren
wohl irgendeine irreversible chemische oder physikalische Ände-
rung erleiden, bei der Wärme frei wird, d.h. altern. Dafür
spricht die von uns in dieser und der vorigen Arbeit geschilderte
Veränderung der Gallerte nach dem Auftauen.
Es wird uns sofort gelingen, die erste der drei Annahmen
wenigstens sehr unwahrscheinlich zu machen, die Entscheidung
zwischen den beiden anderen müssen wir der Zukunft über-
lassen.
Tabelle VII (zu Fig. 6).
Gelatine Wasser
I II
1/,, Millivolt t 1/0 Millivolt t Bemerkungen
9,8 0 10,8 0,5 I enthält 0,43g Gelatine.
11,1 l 11,1 1,5 4Kurvo.
12,8 2 13,8 2,5
13,9 3 15,0 3,5
15,8 4 16,8 4,5
17,5 5 18,2 5,5
18,5 6 19,4 6,5
20,0 7 20,8 7,5
1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 66, 129, 199.
Gelatine
I
1/ 0 Millivolt
21,1
22,6
23,5
24,6
25,6
Über das Ausfrieren von Gelen.
$
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
bi
bel
e oe l Auwm=-o ES EES
21
Wasser
II
Ile Millivolt t
22,2 8,5
23,2 9,5
24,5 10,5
25,3 11,5
26,3 12,5
27,2 13,5
28,2 14,5
29,3 15,5
29,6 16,5
30,8 17,5
31,6 18,5
32,1 19,5
32,8 20,5
33,1 21,5
34,1 22,5
34,9 23,5
35,2 24,5
35,7 25,5
36,3 26,5
36,9 27,5
37,2 28,5
37,9 39,5
38,2 30,5
38,3 31,5
38,8 0,5
36,8 1,5
34,8 2,5
32,8 3,5
27,2 6,5
25,0 7,5
23,5 8,5
22,2 9,5
19,0 10,5
18,0 11,5
16,8 12,5
15,8 13,5
14,8 14,5
13,8 15,5
10,2 19,5
9,7 20,5
8,8 21,5
Biochemische Zeitschrift Band 18.
Bemerkungen
b-Kurve.
Gelatine dünnflüssig.
I dünnflüssig.
I nicht gelatiniert.
81
82
Gelatine
I
Lea Millivolt
9,2
84
7,0
6,5
5,8
5,2
4,8
4,2
3,7
3,3
2,2
1,8
1,2
0,8
0,4
0,0
— 0,3
— 0,3
— 0,3
— 0,3
— 0,4
— 0,5
— 0,6
— 0,8
— 0,9
— 1,0
— 1,1
— 1,4
— 2,0
— 2,4
— 3,0
— 3,4
— 3,8
— 4,3
Gelatine
I
1/0 Millivolt
3,1
3,6
4,3
5,2
H. W. Fischer und B. Bobertag:
t
22
23
25
2
GP
27
28
29
t
0
1
2
3
Wasser
II
Le Millivolt t
8,0 22,5
7,5 23,5
6,0 25,5
5,3 26,5
5,0 27,5
4,3 28,5
3,8 29,5
3,2 30,5
2,8 31,5
2,2 32,5
1,6 33,5
1,1 34,5
0,6 35,5
0,2 36,5
0,0 37,5
— 0,3 38,5
— 0,5 39,5
— 0,3 107.5
— 0,5 108,5
— 0,7 109,5
— 0,8 110,5
— 1,3 111,5
— LR 112,5
— 2,6 113,5
— 3,0 114,5
— 3,5 115,5
— 3,9 116,5
— 4,1 117,5
— 4,5 118,5
— 4,9 119,5
— 5,1 120,5
— 5,5 121,5
— 5,7 122,5
— 6,0 123,5
Tabelle VIII.
Wasser
I
Le Millivolt t
3,4 0,5
4,2 1,5
4,9 2,5
6,9 3,5
Bemerkungen
I zu Gallerte zu erstarrt.
Bemerkungen
I enthält 0,43 g Gelatine.
Gelatine
I
Le Millivolt
6,2
7,3
8,4
9,6
10,7
11,8
12,8
13,9
14,9
15,9
16,9
17,9
18,7
19,2
20,0
20,6
21,2
22,0
22,8
23,3
24,0
24,5
25,0
25,5
26,0
26,6
27,0
27,4
27,9
28,2
28,7
29,0
29,2
29,8
30,0
30,2
30,6
30,9
31,0
31,2
31,5
31,9
32,0
32,1
Über das Ausfrieren von Gelen.
21
Wasser
D
Le Millivolt
6,9
7,9
8,9
10,0
11,0
12,0
13,0
14,1
15,1
16,0
Bemerkungen
6*
83
84
Gelatine
I
Le Millivolt
33,0
32,2
31,4
30,3
29,2
28,1
7,8
7,3
H. W. Fischer und B. Bobertag:
Wasser
D
Ale Millivolt
32,9
31,9
30,7
29,3
28,1
7,3
7,1
19,5
20,5
21,5
22,5
23,5
24,5
25,5
26,5
27,5
28,5
29,5
30,5
31,5
32,5
33,5
34,5
35,5
36,5
37,5
Bemerkungen
b-Kurve, Kältebad: Eis-
Kochsalz.
Steife Gallerte
Die Kurve wird vor dem Gefrierpunkte abgebrochen, um
die c-Kurve aufnehmen zu können.
— —
Über das Ausfrieren von Gelen; 85
— "ër
Le Millivolt t Ze Millivolt t Bemerkungen
5,3 0 5,4 0,5 o-Kurve.
5,8 1 6,0 1,5
6,1 2 6,8 2,5
7,1 3 7,6 3,5
8,0 4 8,5 4,5 I noch gelatiniert.
9,0 5 9,5 5,5
10,0 6 10,6 6,5
11,0 7 11,7 7,5 I beginnt zu erweichen
12,0 8 12,8 8,5 und zähflüssig zu werden
13,0 9 14,0 9,5
Nämlich wenn die erste Annahme zuträfe, so müßte man
als eine allgemeine Eigenschaft der Gele erwarten, daß sie im-
stande sind, die Moleküle des Lösungsmittels auseinanderzu-
ziehen. Von einer erheblichen Trennung der Kreuze von den
Punkten kann aber bei den Kurven des Blattes VII, die mit
MERAIEBESEENEREN
RSR P EE EE E
E EE
ën lena JL EEE HE EU ZU HR ER HE BE
TI Tel Bee, 1 LL.
Fe =
löslicher Stärke als Versuchssubstanz aufgenommen sind, keine
Rede sein. (Das hinter dem Gefrierpunkt gelegene Stück der
Kurve b ist, um Platz zu sparen, über diese gezeichnet worden.)
Die Kreuze verlaufen mit sehr befriedigender Übereinstimmung
in der Punktkurve. Die a- und b-Kurve sind deswegen inter-
86 H. W. Fischer und B. Bobertag:
essant, weil Zsigmondy!) beobachtet hat, daß das in der
Kälte von Submikronen wimmelnde Gesichtsfeld in der Wärme
nur den Lichtkegel der Amikronen zeigt. Die Wärmetönung,
die diese Veränderung begleitet, kann nach meinen Versuchen
nur klein sein. Übrigens ist das Arbeiten mit löslicher Stärke
schon recht unangenehm, weil man die Stärke in das heiße
Wasser schütten muß, wobei erhebliche Mengen an den Wänden
des Rohres kleben bleiben, die die Flüssigkeitesmenge beim Ab-
spülen durch zähes Heften verringern. Diese hängengebliebenen
Flüssigkeitereste stören auf alle Weise die Versuche, namentlich
bei der Abkühlung, so daß den bei 1 und 2 entgegengesetzt
liegenden Differenzen der Kurven keine Bedeutung beizu-
messen ist.
Tabelle IX (zu Fig. 7, Kurve I).
Stärke Wasser
I II
A Millivolt t ` Ate Millivolt t Bemerkungen
9,0 0 9,4 0,5 I enthält lösliche Stärke.
10,2 1 10,5 1,5
11,8 2 11,8 2,5
13,0 3 185 3,5
14,5 4 148 45
15,7 5 16,1 5,5
16,9 6 17,2 6,5
17,8 7 18,2 7,5
18,8 8 19,0 8,5
19,6 9 19,9 9,5
20,7 10 20,8 10,5
21,6 11 21,8 11,5
22,7 12 23,0 12,5
23,7 13 24,0 13,5
24,8 14 25,1 14,5
25,7 15 26,0 15,5
26,5 16 27,0 16,5
27,6 17 28,1 17,5
29,2 19 29,4 19,5
30,2 20 30,0 20,5
30,5 21 30,8 21,5
31,1 22 31,2 22,5
31,8 23 32,2 23,5
1) Z. Erkenntn. d. Kolloide. Jena 1904, 174.
Stärke
I
Ia Millivolt
32,4
32,9
33,4
34,1
34,5
35,0
Über das Ausfrieren von Gelen.
t
24
25
26
27
28
Wasser
II
be Millivolt
32,8
33,2
33,8
34,3
34,8
35,2
35,7
36,1
36,5
37,8
37,8
38,1
38,4
38,5
38,8
39,0
37,3
35,3
33,7
31,8
30,0
28,3
26,2
24,8
23,5
21,7
20,2
18,9
18,0
16,5
15,2
14,0
13,0
11,7
10,5
9,7
8,9
8,2
7,3
6,5
t
24,5
25,5
26,5
12,5
13,5
14,5
15,5
16,5
17,6
18,5
19,5
20,5
21,5
22,5
23,5
Bemerkungen
b-Kurve.
87
88 H. W. Fischer und B. Bobertag:
Hier wird die Kurve abgebrochen, das Gefäß längere Zeit
bei 0° sich selbst überlassen, dann in die Kältemischung ge-
stellt. Nach Beendigung des Gefrierens:
Stärke Wasser
I np
e Millivolt t ` Ae Mifecht t Bemerkungen
— 0,5 o —02 0,5
— 0,6 1 —02 Lë
— 0,8 2 —03 2,5
—10 3 —05 3,5
— 10 4 —05 4,5
=] 5 —07 5,5
est 6 —08 6,5
—1,5 7 —10 7,5
—1,6 8 —14 8,5
— 2,4 9 —20 9,5
Tabelle X (zu Fig. 7, Kurve II).
Stärke Wasser
I II
a Millivolt t ` Ae Millivolt t Bemerkungen
10,1 0 10,8 0,5 I enthält die Stärke.
11,0 1 11,7 1,5
11,9 2 13,0 2,5
13,3 3 14,4 3,5
14,7 4 15,6 4,5
16,0 5 17,0 5,5
17,3 6 18,2 6,5
18,6 7 19,5 7,5
20,0 8 21,0 8,5
21,0 9 22,0 9,5
22,1 ` 10 23,1 10,5
23,5 11 24,2 11,5
24,3 12 25,2 12,5 I scheint dünnflüssiger.
25,3 13 26,2 13,5
26,5 14 27,3 14,5
27,5 15 28,2 15,5
28,3 16 28,8 16,5 I ist noch stark opalesoent.
29,0 17 29,8 17,5
30,2 18 30,8 18,5
31,0 19 31,5 19,5
31,8 20 32,2 20,5
32,2 21 33,0 21,5
33,0 22 33,8 22,5
33,6 23 34,2 23,5
Stärke
I
1/,. Millivolt
34,2
ooann eeben e SE E ER SÉ SS ES ES SS NS SÉ +
Über das Ausfrieren von Gelen.
Wasser
II
Le Millivolt
35,0
35,3
t
Bemerkungen
Opalesoenz schwächer;
b-Kurve,
89
90 H. W. Fisoher und B. Bobertag:
Stärke Wasser
I II
1/0 Millivolt t 1, Millivolt € Bemerkungen
5,0 28 3,8 28,5
4,0 29 3,2 20,5
3,2 30 2,3 30,5
2,8 3l 1,8 31,5
2,1 32 — —
Gefriert in 75 Minuten.
—0,3 0 —08 0,5
— 0,5 1 —12 1,5
— 0,8 2 —12 2,5
— 09 3 —14 3,5
— 1,0 4 = =
Set — 7 5,5
— 1,2 6 — 1,9 6,5
— 12 7 — 2,0 7,5
— 1,7 8 —20 8,5
— 1,9 H — 2,3 9,5
— 23 10 — 2,6 10,5
— 2,9 11 — 3,2 11,5
Dieselben Schwierigkeiten stellen sich auch beim Arbeiten
mit Tannin ein, wobei noch hinzukommt, daß Tannin das Eisen
der Thermoelemente angreift. So haben wir von Tannin die
a-Kurven gar nicht und von den b-Kurven nur die um den
Gefrierpunkt herum gelegenen Stücke aufgenommen. Diese sind
aus folgendem Grunde recht interessant. Nämlich bei gewöhn-
licher Temperatur löst sich Tannin in Wasser in allen Ver-
hältnissen auf, während wenige Grade über Null seine Löslichkeit
beträchtlich abzunehmen beginnt.
WEE
B a SS PR a
Die Resultate zeigen die Kurven I und II des Blattes VIII.
Die Abscheidung des Tannins ist mit einer deutlichen Abkühlung
verbunden, die Kreuze trennen sich, je näher man an den
0-Punkt herankommt, mehr und mehr von den Punkten, während
Über das Ausfrieren von Gelen. 91
sich oder sonst gerade in diesem Gebiete relativ geringen
Temperaturgefälles Differenzen durch das dritte Temperatur-
gefälle gern auszugleichen pflegen. Die Trennung bleibt auch
nach Beendigung des Gefrierens bestehen. Von einer Anwendung
der Capillaritätstheorie hierauf kann aber gar keine Rede sein,
da die Trennung schon vor dem Gefrieren begonnen hat und
von einem Ausfallen des Tannins begleitet wird. Die Lösung
trübt sich zunächst, die Trübung wächst, und schließlich bildet
sich ein Tanninniederschlag. Wir haben es in diesem Falle `
mit einer schwachen, aber deutlichen Wärmetönung zu tun.
Tabelle XI.
Tannin Wasser
I II
1/,, Millivolt t &/,Millivolt t Bemerkungen
7,8 0 7,5 0,5 Ienthält das Tannin in0,6 g.
6,8 1 6,8 1,5
6,0 2 6,2 2,5
5,3 3 5,5 3,5
4,8 4 5,0 45 I klar.
4,0 5 4,1 5,5
3,3 6 3,6 6,5
2,7 7 2,9 7,5
2,2 8 2,2 8,5
1,5 9 1,4 9,5 I sohwach trübe.
1,1 10 0,8 10,5
0,3 11 0,3 11,5
0,0 12 0,0 12,5
— 0,5 13 2—0,4 13,5
— 0,8 4 —05 14,5 Abscheidung.
— 1,0 15 — 0,0 15,5
— 0 16 0,0 16,5
— 0,3 73 — 0,2 73,5 Gefriert in 56 Minuten.
— 0,3 74 —02 74,5
— 0,4 75 —0,1 75,5
— 0,5 76 — 0,0 76,5
— 0,6 77 — 02 77,5
— 0,7 78 —0,3 78,5
— 0,7 79 — 0,2 79,5
— 0,9 SO —0,3 80,5
— 0,7 8l — 0,3 81,5
— 1,1 82 — 0,4 82,5
— 1,2 83 —05 83,5
— 1,3 84 — 0,6 84,5
Bemerkungen
Bemerkungen
I enthält 0,9 g Tannin.
Das Tannin hat sich in
Massen abgeschieden.
92 H. W. Fischer und B. Bobertag:
Tannin Wasser
I u
1/,.Milivot t 1/Millivolt t
— 1,5 SR —0,7 85,5
— 1,6 886 —09 86,5
— 1,7 87 — LA 87,5
— 1,7 SR — 1.2 88,5
— 1,8 88 —1,7 89,5
— 21 90 —2,4 90,5
— 25 HL — 3,0 91,5
— 2,9 92 — 3,5 92,5
— 3,3 93 — 3,8 93,5
Tabelle XII (zu Fig. 8, Kurve II).
Tannin Wasser
I D
le Millivolt t Te Millivolt t
9,0 0 8,0 0,5
8,5 1 7,2 1,5
7,8 2 6,2 2,5
1,2 3 6,8 3,5
6,5 4 5,0 4,5
5,8 5 4,0 5,5
4,5 6 3,5 6,5
— — 2,8 7,5
3,8 8 2,0 8,5
3,2 9 — —
2,2 10 1,0 10,5
1,8 LI 0,3 11,5
1,3 12 0,0 12,5
1,0 13 —0/7 13,5
0,2 l4 —10 14,5
0 15 — —
— — — 1h,8 16,5
— 1,0 17 — 2,0 17,5
— 0,5 18 — 2,2 18,5
— 0,8 19 — 0,0 19,5
Gefriert in 52 Minuten.
— 0,2 72 — 0,6 72,5
— 0,0 73 — 0,8 73,5
— 0,1 74 —1,0 74,5
— 0,1l 75 —Ll]l 75,5
— 0,1 76 —1,3 76,5
— 0,2 77 —1,6 77,5
— 0,3 8 —1/7 78,5
— 0,4 79 —19 79,5
Über das Ausfrieren von Gelen. 93
Tannin Wasser
I II
1/oMilivolt E Abbe Millivolb t Bemerkungen
— 0,5 80 Sr 2,0 80,5
—08 8 —22 815
— 1,1 82 — 2,5 82,5
e 1,6 83 es 3,0 83,5
— 22 8 —32 84,5
— 3,2 85 — 3,9 85,5
— 3,9 Sg — 4,4 86,5
Um nun zum Ergebnis dieser Versuche zu kommen, so
ist nunmehr klar, daß die Grundannahme, die wir in der Ein-
leitung gemacht haben: nämlich, daß die in einem rever-
siblen Gele auf die Flüssigkeit wirkenden Kräfte sehr
große sind, vollkommen falsch sein muß.
Das folgt aus der Zusammenstellung der Resultate:
Die beim Tannin beobachtete Abweichung liegt zwar im
Sinne der Theorie, kann aber auch — und nach unserer Ansicht
mit mehr Recht — ganz anders erklärt werden.
Beim Myricylalkohol und bei der Stärke ist ein Effekt
nicht zu beobachten, was mit einer großen Wirkung unver-
träglich ist.
Bei der Gelatine ist das Ergebnis das umgekehrte, wie nach
der Theorie zu erwarten wäre.
Wir wollen hier noch eins bemerken. Man hört gelegent-
lich davon sprechen, daß die Gegenwart von Kolloiden das Auf-
treten von Unterkühlungen begünstigen müßte. Das haben
wir aber nicht beobachten können, wir fanden die Unter-
kühlungen nicht erheblich größer als die, wie sie auch beim
Lösungsmittel vorkommen.
Wenn nun bei der Trennung des Geles beim Ausfrieren
in Substanz und Lösungsmittel keine bedeutenden Kräfte zu
überwinden sind, so sollte man bei der anderen möglichen
Trennungsart — nämlich durch Verdampfen des Lösungsmittels —
dasselbe erwarten. Solche Versuche sind von Pauli „über die
Verdampfungsgeschwindigkeit von Wasser in gequollener, ober-
flächlich abgetrockneter Gelatine und Agarplatten in einem
getrockneten Luftstrome angestellt worden. Es zeigte sich, daß
der größte Teil des Wassers wie aus einer freien Fläche ent-
wich und daß nur ein kleiner Rest mit großer Gewalt fest-
94 H.W. Fischer u. B. Bobertag: Über das Ausfrieren von Gelen.
gehalten wurde, der erst durch Trocknen bei 95° zu entfernen
war“.1) Daraus folgt, daß bei diesen reversiblen Gelen die Kraft,
mit der die überwiegende Menge des im Gel befindlichen Wassers
festgehalten wird, nur klein sein kann.
anth ogr
N &
My
D
Gage:
~
Wir führten ähnliche Versuche mit einem stark gealterten
Chloroformgel des Myricylalkohols aus. Dasselbe war durch
langsames Abkühlen einer ziemlich verdünnten Myricylalkohol-
lösung?) dargestellt und dann durch Umstürzen des zuge-
schlossenen Rohres und längeres Stehen getrocknet worden.
Kurz vor dem Versuch wurde die Röhre aufgesprengt, der
Myricylalkohol in ein Wägegläschen getan, dieses auf eine ana-
lytische Wage mit geöffneten Türen gestellt und die Zeit be-
stimmt, zu der ein bestimmtes, schon vorher aufgelegtes Ge-
wicht erreicht war.
Die Ergebnisse zeigt die Kurve der Fig. 9. Sie stehen
mit Paulis Befund in bester Übereinstimmung.
Als Resultat dieser Arbeit möchten wir hinstellen, daß
die Kräfte, die in reversiblen Gelen zwischen dem
Kolloid und der adsorbierten Flüssigkeit auftreten,
nur klein sein können.
Bei irreversiblen Gelen mögen und werden die Verhältnisse
wohl andere sein, wie schon die Zähigkeit beweist, mit der sie
ihr Wasser beim Austrocknen festhalten. Diese und tierische
und pflanzliche Gewebe werden demnächst untersucht werden.
1) Müller, Allgemeine Chemie der Kolloide, Leipzig 1907, S. 106.
2) Jahresber. d. vaterländ. Ges. f. schles. Kultur 1809.
Weitere Untersuchungen zur Frage des Duodenaldiabetes.
Von
Siegfried Rosenberg, Berlin.
(Aus dem tierphysiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen Hoch-
schule zu Berlin.)
(Eingegangen am 11. April 1909.)
Im 121. Bande des Pflügerschen Archivs hatte ich vor
etwas mehr als Jahresfrist über Duodenalresektionen berichtet,
welche ich an Hunden ausgeführt hatte zur Prüfung der Frage,
ob auch bei diesen Tieren der Duodenaldiabetes in die Er-
scheinung trete, den E. Pflüger bei Fröschen beobachtet hatte.
Es war nämlich von Pflüger behauptet worden, daß wenn man
Fröschen das Duodenum herausschneidet, oder das Mesenterium
zwischen Duodenum und Pankreas durchtrennt, oder die in
diesem Mesenterialabschnitt verlaufenden Nerven funktions-
unfähig macht, dann ein schwerer, bis zum Tode der Tiere an-
haltender Diabetes sich einstellt, welcher den durch Pankreasexstir-
pation erzeugten an Intensität noch übertreffen sollte. Das
Zustandekommen dieses Duodenaldiabetes erklärt Pflüger durch
die Annahme, daß einer in der Bauchspeicheldrüse gelegenen
Arbeitskraft die Aufgabe zufalle, das Anwachsen des Zucker-
gehaltes in den Gewebssäften zu hindern. Diese antidiabetische
Kraft werde dem Pankreas durch Nerven verliehen, welche
vom Duodenum herkommen; ihre vollkommene Zerstörung
durch die angeführten Operationen hemme die Bildung von
antidiabetischem Ferment und müsse daher eine dauernde
Zuckerausscheidung zur Folge haben.
Mit dieser Auffassung Pflügers standen die Resultate nicht
in Einklang, welche Ehrmann-Lauwens und ich nach Duo-
denalresektionen an Hunden erhalten hatten. Denn obwohl hier
der Pflügerschen Forderung: alle nervösen Verbindungen
96 S. Rosenberg:
zwischen Darm und Drüse zu unterbrechen, vollkommen ge-
nügt war, trat — abgesehen von vereinzelten Glykosurien vor-
übergehender Natur — doch kein Diabetes auf, trotzdem
verschiedene Tiere den Eingriff hinreichend lange überlebten,
um den von Pflüger gegen Ehrmann erhobenen Einwand,
daß nur ein vorzeitiger Tod der Tiere die Zuckerharnruhr
nicht habe in die Erscheinung treten lassen, als ganz unzulänglich
zu erweisen. Immerhin schien mir selber jedoch große Vor-
sicht in der Beurteilung der ganzen Sachlage aus dem Grunde
geboten, weil schon lange vor Pflüger von zwei italienischen
Forschern, de Renzi und Reale, die Existenz eines Duodenal-
diabetes behauptet worden war und auch durch entsprechende
Operationen an Hunden gesichert erschien. Um zu einem
endgültigen und abschließenden Urteil zu gelangen, war es also
durchaus notwendig, die Frage noch weiter zu bearbeiten und
sowohl die Behauptungen de Renzi’s und Reale’s, als auch
die Pflüger’s selber einer Nachprüfung zu unterziehen.
Inzwischen sind eine ganze Reihe von Duodenalresektionen
an Hunden auch von anderen Forschern ausgeführt worden, die
entsprechend Ehrmanns und meinen Befunden in bezug
auf eine dauernde Zuckerausscheidung zu negativen Resultaten
führten. So sah Minkowski bei zwei Hunden, denen er mit
dem größten Teil des Pankreas das Duodenum total entfernte,
nach einer vorübergehenden Glykosurie keine weitere Zuoker-
ausscheidung eintreten, auch dann nicht, wenn die Tiere reichlich
mit Kohlenhydraten gefüttert wurden. Als aber einem der Hunde
4 Wochen nach der Darmresektion der Pankreaarest fort-
genommen wurde, da war sofort ein Diabetes mit sehr erheb-
licher Zuckerausscheidung vorhanden.
Visentini machte an 8 Hunden Duodenalresektionen, die
er zum Teil mit partiellen Pankreasexstirpationen kombinierte,
und auch er konnte in keinem Falle einen dauernden Diabetes
beobachten.
Tiberti fand bei 9 Hunden, denen er das Duodenum
fortgenommen hatte, niemals eine Zuckerharnruhr; doch läßt
sich gegen seine Befunde der Einwand erheben, daß seine
Versuchstiere zu schnell gestorben seien, als daß seinen Schlüssen
eine Beweiskraft zugesprochen werden könnte. Dagegen blieben
von 30 Hunden, denen Cimoroni nicht bloß das Duodenum,
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 97
sondern auch ein Drittel des Magens reseziert hatte, 4 Tiere
5 bis 12 Tage am Leben, ohne eine Spur von Zucker im Urin
auszuscheiden.
Gegen diese ausgedehnten Operationen könnte ein Einwand
erhoben werden, den Pflüger angesichts der positiven Befunde
de Renzi’s und Reale’s Minkowski gegenüber geltend macht,
nämlich, daß „eine ungeheuer große Zahl von Organen verletzt
und Nervenplexus zerschnitten“ worden seien, „die von de Renzi
und Reale gar nicht berührt worden sind“. Die Verschieden-
heit der Operationseingriffe soll also die Verschiedenheit der
Wirkung erklären. Ein derartiger Einwand ist aber vollkommen
unzulässig. Denn zunächst ist bisher noch von niemand, auch
von Pflüger nicht, ein Beweis dafür erbracht worden, daß
die Verletzung zahlreicher Organe und die Durchschneidung
vieler Nervenplexus das Zustandekommen eines Diabetes ver-
hindert. Daß dieses nicht geschieht, geht ja gerade aus der
bei Minkowski’s erstem Hunde gemachten Beobachtung hervor,
bei dem trotz aller dieser Läsionen ein Diabetes eintrat, als
4 Wochen nach der Duodenalresektion der Pankreasrest ent-
fernt wurde. Ferner ist ausschließlich und allein bei diesen
ausgedehnten Operationen der Pflügerschen Forderung Genüge
geleistet, alle zwischen Duodenum und Pankreas verlaufenden
Nervenbahnen zu durchtrennen, nicht aber bei dem Verfahren
von de Renzi und Reale, welche den Darm erst unterhalb
der Einmündungsstelle des Wirsungschen Ganges resezierten,
so daß alle oberhalb desselben zwischen Darm und Drüse
verlaufenden Nerven vollkommen intakt und funktionsfähig
blieben. Nun vertritt Pflüger den Standpunkt, daß ein
Diabetes nicht eintreten könne, wenn das Pankreas Gelegenheit
habe, sich mit den nervösen Zentren in Beziehung zu setzen.
Das ist aber bei dem Öperationsverfahren von de Renzi und
Reale sicher der Fall; also muß entweder Pflügers Theorie
falsch sein, wenn die Beobachtung der italienischen Forscher
richtig ist, oder aber Pflüger’s Theorie ist richtig, und dann
muß ein Fehler in der Beobachtung de Renzi’s und Reale’s
stecken. Jedenfalls also war esnotwendig von diesem Gesichtspunkt
aus und weil diese Forscher ganz allein und im Gegensatz zu
allen anderen Experimentatoren nach Duodenalresektion einen
Diabetes gemeldet hatten, zu prüfen, ob eine unterhalb der
Biochemische Zeitschrift Band 18. 7
98 S. Rosenberg:
Einmündungsstelle des Wirsungschen Ganges vorgenommene
Darmresektion tatsächlich zu einer dauernden Zuckerausscheidung
führt. Eine derartige Nachprüfung war schon vor vielen Jahren
von Weintraud vorgenommen worden, worüber Minkowski °
folgendes berichtet: „Unter zehn Versuchen, bei welchen der
Dünndarm einschließlich des Duodenums in mehr oder weniger
großer Ausdehnung (bis zur Länge von 3 bis 4 m) exstirpiert
wurde, fand Weintraud nur 4 mal ganz vorübergehend gering-
fügige, quantitativ nicht bestimmbare Zuckermengen im Harn.
Ein Diabetes trat bei keinem dieser Tiere ein.“
Ich selber habe in bezug auf diese Frage folgenden Ver-
such angestellt:
Einer Terrierhündin von 8600 g Gewicht wird am 30. IV. 08 der
Dünndarm von da an, wo der Processus uncinatus des Pankreas an den-
selben herantritt, in einer Ausdehnung von ca. 40 cm reseziert. Die
durchschnittenen Darmlumina werden durch doppelte Nahtreihe in sich
geschlossen und die Darmkontinuität durch Seit- an Seitanastomose
wiederhergestellt. Zur Hebung der Herzkraft erhält der Hund nach Be-
endigung der Operation eine Subcutaninjektion von 0,75 ocm einer 19/0
Epirenanlösung. Der am 1. V. entleerte erste Urin enthielt Zucker; von
da an bis zur Beendigung der Beobachtung am 20. V. war er stets
zuckerfrei. Die Untersuchungen auf Dextrose wurden stets mittels der
Reduktionsmethode nach Fehling, mittels der Gärung und Polarisation
vorgenommen, Am 20. V. werden dem Hunde im nüchternen Zustande
nach vorangegangener Morphinisierung 50 ocm 10°/, NaOH -Lösung
mittels Schlundsonde in den Magen gegossen. Es erfolgt Erbrechen,
worauf der Einlauf sofort wiederholt wird. Am nächsten Morgen ist der
Hund tot. Urin war nicht mehr gelassen worden, auch war die Blase
leer und fest kontrahiert. Bei der Obduktion erwies sich der Magen
und die daranstoßende obere Duodenalpartie als gangränös; die Resek-
tionsstelle war mit der Nachbarschaft vielfach verwachsen;
Pflüger selber hat drei gelungene Darmresektionen nach
der Methode von de Renzi und Reale ausgeführt. Bei einem
seiner Hunde, bei dem die Beobachtung über 28 Tage aus-
gedehnt wurde, fand sich niemals eine Spur von Glykosurie, bei
den beiden anderen wurden periodisch ganz geringfügige Zucker-
ausscheidungen beobachtet. Es handelte sich also auch in den
Pflügerschen Fällen nicht um Diabetes, sondern nur um vor-
übergehende Glykosurien. Pflüger sieht hierin allerdings eine
periodisch auf und ab schwankende diabetische Disposition, die
mit antidisbetischer wechselt, und ist geneigt, diese Erscheinung
zu erklären „aus dem Kampfe antagonistischer Kräfte, welche
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 99
den Stoffwechsel der Kohlenhydrate regeln“. Nun ist dieser
Kampf antagonischer Kräfte etwas sehr Hypothetisches, und es
fragt sich, ob die beobachteten Erscheinungen sich nicht sehr
viel einfacher erklären lassen. Das ist in der Tat der Fall,
wie folgende Beobachtung lehrt.
Am 29. III. 09 wird eine ganz normale, 8300 g schwere Hündin, an
der noch nie ein operativer Eingriff vorgenommen worden war, in einen
Stoffwechselkäfig gesetzt und mit dem aus Fleisch und Reis bestehenden
Normalfutter unserer Laboratoriumshunde gefüttert. Am 30. III. zeigt
der Urin dieses Hundes bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion
deutliche Grünfärbung und scheidet innerhalb der nächsten 24 Stunden
ein geringes Sediment von wenigen Körnchen roten Kupferoxyduls aus.
Nach der Gärung bleibt die Grünfärbung bestehen, ein Sediment fällt
aber nicht mehr aus. Am 31. III. zeigt der Harn abermals Grünfärbung
und Ausfallen eines roten Sediments in Spuren; nach dem Vergären
wird kein Sediment mehr ausgefällt und keine grüne Reaktion mehr er-
zielt. Am 1. IV. wird kein Urin entleert; der am 2. IV. entleerte gibt
mit dem Worm-Müllerschen Reagens wieder Grünfärbung, die nach der
Gärung nicht verschwindet.
Aus diesem Versuch ergibt sich — da die durch Vergärung
zum Schwinden zu bringende Ausfällung von rotem Kupfer-
oxydul sicherlich auf das Vorhandensein kleiner Zuckermengen
im Harn zu beziehen ist — erstens, daß kleine Zuckermengen
auch von einem normalen, nicht operierten Hunde aus-
geschieden werden können, und zweitens, daß das Eintreten von
Grünfärbung bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion
nicht ohne weiteres auf das Vorhandensein von Zucker bezogen
werden darf, da bei diesem Hunde, wie auch bei einem zweiten,
die Grünfärbung nicht immer nach der Vergärung verschwand.
Jedenfalls besteht nach dem Ausfall dieses Versuches gar keine
Notwendigkeit, eine vorübergehende geringfügige Zuckeraus-
scheidung beim Hunde als eine durch eine etwaige Darm-
resektion bedingte diabetische Disposition zu betrachten, vielmehr
ist danach auch für die Pflügerschen Hunde die Deutung
zulässig, daß es sich auch bei ihnen lediglich um eine physio-
logische Glykosurie gehandelt habe, die zu dem vorangegangenen
operativen Eingriff in gar keiner Beziehung steht. — Wenn
neuerdings de Renzi und Reale geneigt sind, die von ihnen
gemeldeten Zuckerausscheidungen nach Duodenalresektion auf
das Konto der dabei entstandenen multiplen Verwachsungen
zu setzen, so geben sie damit doch selber zu, daß die Ent-
7*
100 B. Rosenberg:
fernung des Duodenums an sich für die Entstehung des Diabetes
gar nicht das Wesentlichste ist. Pflüger sucht ihre Position
allerdings durch folgende Bemerkung zu halten:
„Die italienischen Forscher legen ein besonderes Gewicht darauf, daß
bei ihrem Verfahren eine bedeutende Verklebung der Darmschlingen
unter sich und mit ihrer Nachbarschaft eintritt. Ich glaube in der Tat,
daß hierin vielleicht der Schlüssel zum Verständnis der Ergebnisse zu
suchen ist. Man muß daran denken, daB wegen der Verwachsungen bei
den peristaltischen Bewegungen der Gedärme vielfache Zerrungen fort-
während vorkommen, welche eine Mißhandlung der Nervengeflechte der
Serosa, der Muscularis und der Mucosa bedingen. Es können hierbei
die Funktionen von Hemmungs- und Erregungsnerven, d. h. verschieden-
artige Kombinationen antagonistischer Kräfte sich geltend machen.“
Diese Spekulation steht mit den Tatsachen nicht in Ein-
klang, wie jeder weiß, der wie ich Hunderte von Laparotomien
am Hunde ausgeführt und in Dutzenden von Obduktionen das
Vorhandensein von Verwachsungen konstatiert hat, ohne daß
diese — wie de Renzi und Reale wollen — zu einem dauern-
den Diabetes geführt hätten. Ich will aber zwei positive Bei-
spiele anführen. Bei dem oben erwähnten Versuch, bei dem ich
zur Nachprüfung der Behauptungen de Renzi’s und Reale’s
einem Hunde nach der Methode der italienischen Forscher das
Duodenum reseziert hatte, fand ich bei der ca. 3 Wochen nach
der Operation ausgeführten Obduktion vielfache Verwachsungen
zwischen der Resektionsstelle und den Nachbarorganen. Eine
Zuckerausscheidung hatte aber nur am Tage nach der Operation
stattgefunden, bei der noch dazu dem Hunde zur Hebung der
Herzkraft eine Epirenaninjektion gemacht worden war, die allein
schon die vorübergehende Glykosurie bedingt haben kann. Ferner,
gelegentlich meiner Untersuchungen: „Über den Einfluß des
Pankreas auf die Resorption der Nahrung“ ist bei Hund V ge-
legentlich einer Relaparotomie vermerkt, daß ‚viele straffe Ad-
häsionen zu lösen waren“. Und trotzdem war der Harn,
wie aus den einzelnen Versuchsprotokollen hervorgeht, stets frei
von Zucker gefunden worden.
Ziehen wir aus den bisher besprochenen Versuchen und
Betrachtungen die Summe, so ergibt sich, daß weder totale
Resektionen des Duodenums, noch partielle nach de Renzi
und Reale beim Hunde jemals einen Diabetes zur Folge gehabt
hat, wie ihn Pflüger bei seinen Froschversuchen gesehen hat.
Weitere Untersuohungen des Duodenaldisbetes. 101
Eine klinische Beobachtung von E. Zack schien dann aber
doch eine neue Stütze für das Vorhandensein eines Duodenal-
diabetes auch beim Warmblüter abzugeben. Zack hatte näm-
lich Gelegenheit, drei Selbstmörder zu beobachten und zu ob-
duzieren, welche sich durch das Trinken ätzender Flüssigkeiten
ums Leben gebracht hatten. Bei zweien von ihnen wurde im
Urin Zucker ausgeschieden, und bei diesen beiden war neben
Oesophagus und Magen auch das Duodenum verätzt. Bei dem
dritten, bei dem das Duodenum intakt gefunden wurde, war
der Urin auch frei von Zucker. Diese Beobachtung war die
Veranlassung zu systematischen Untersuchungen, durch welche
festgestellt werden sollte, ob durch Verätzung der Duodenal-
schleimhaut eine Zuckerausscheidung herbeigeführt werden könne.
Zunächst verätzten Eichler und Silbergleit Hunden mittels
Lauge, beziehentlich mittels des Pacquelin die Duodenalschleim-
haut, nach deren tiefgehender Zerstörung sie stets Zucker im
Urin fanden. Sie beobachteten aber auch Glykosurie, wenn in
analoger Weise die Schleimhaut tiefer gelegener Dünndarmpar-
tien zerstört wurde, eine Beobachtung, die kurz darauf von
Zack bestätigt wurde. Das Duodenum verhielt sich also nicht
anders als andere Dünndarmabschnitte. Die Zuckerausscheidung
trug nach Dauer und Intensität stets den Charakter einer vor-
übergehenden Glykosurie; eine Pankreasschädigung lag ihr nach
Maßgabe der Obduktionen nicht zugrunde, und die Autoren kommen
zu dem Schluß, daß es sich bei ihren Versuchen nicht um einen
Diabetes, sondern um eine hepatogene Glykosurie gehandelt habe,
unter Hinweis auf die Tatsache, daß starke Reize des Nerven-
systems die Leber zu einer Glykogenausschüttung veranlassen
und so die Ursache für eine Zuckerausscheidung geben könnten.
An dieser Auffassung der Autoren übt Pflüger eine überaus
scharfe Kritik und sieht im Gegensatz zu Eichler und Silber-
gleit in der der Verätzung folgenden Zuokerausscheidung nicht
eine vorübergehende Glykosurie, sondern eine diabetische Mani-
festation. Daß die Zuckerausscheidung keinen dauernden Charak-
ter hat, erscheint ihm ganz natürlich. Denn — meint er —
es ist doch zu beachten:
„daß bei den bisher geübten Exstirpationeon oder den Ätzungen der
Schleimhaut des Dünndarmes nur ungefähr !/,, derjenigen Region be-
troffen wird, welche glykosurische Beziehungen besitzt, die wohl un-
zweifelhaft durch die nervösen gangliösen Plexus der Darmwand vermittelt
102 S. Rosenberg:
werden. Fest steht aber das allgemeine Naturgesetz, daß der durch Zer-
störung oder Schädigung eines Organes bedingte Funktionsausfall schnell
ersetzt wird dadurch, daß andere Organe, welche dieselbe Funktion aus-
üben, durch gesteigerte Arbeit den Schaden ausgleichen. Ist also ein
kleiner Teil des Nervenorganes in der Darmwand geschädigt, kompensiert
sofort der viel größere unbeschädigte Teil den entstandenen Verlust.‘
Ist diese Betrachtung richtig — und ihre Richtigkeit soll
nicht angezweifelt werden —, so ergibt sich m. E. daraus mit
Sicherheit, daß Ehrlich und Silbergleit in der Tat nur eine
vorübergehende Glykosurie und keinen Diabetes vor sich gehabt
haben. Denn der Diabetes stellt eine Stoffwechselstörung dar,
bei welcher der Organismus die Fähigkeit, Zucker in normalem
Ausmaß zu oxydieren, dauernd verloren hat. Kann er also
die Anomalie durch irgend eine kompensatorische Einrichtung
noch beseitigen, so treten wieder normale Verhältnisse ein, das
heißt in diesem Falle, es ist kein Diabetes vorhanden. Ganz
gleichgültig ist es ferner, daß — wie Pflüger anführt — Claude
Bernard und auch andere, die nach dem Zuckerstich auf-
tretende und meist innerhalb weniger Stunden abklingende Gly-
kosurie als Diabetes bezeichnet haben. Das beweist nur, daß
selbst hervorragende Autoren sich gewisse sprachliche Nach-
lässigkeiten zuschulden kommen lassen, indem sie die Be-
zeichnungen ‚„Glykosurie‘‘ und ‚Diabetes‘ promiscue gebrauchen,
aber es beweist nicht, daß vorübergehende Zuckerausscheidungen
und Diabetes identische Begriffe sind.
Ferner macht Pflüger für das schnelle Abklingen der
Glykosurie in den Fällen von Ehrlich und Silbergleit die
Wahrscheinlichkeit geltend, daß nach der Atzung sehr schnell
eine Restitutio ad integrum eingetreten sei; und in dieser Hin-
sicht führt er an, daß er selbst einen Fall beobachtet habe,
in welchem 10 Tage nach sehr energischer Höllensteinätzung die
mikroskopische Untersuchung der geätzten Schleimhaut nirgends
ein Fehlen der Zotten oder größere Narben erkennen ließ. Es
liegt auch eine klinische Beobachtung vor, welche dafür spricht,
daß die Zuokerausscheidung nur so lange andauert, als die Läsion
vorhanden ist, nämlich ein Fall von Sohlern, der bei einem
Patienten mit Duodenalgeschwür eine Glykosurie konstatierte,
die mit der Heilung des Geschwüres verschwand. Aber ein
solcher Fall stützt doch nur die Auffassung Eichlers und
Silbergleits, daß die Zuckerausscheidung eine Folge der
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 103
Reizung sensibler Nerven sei, also ein Reflexreiz, wie ihn Pflüger
selber zur Erklärung der von ihm beobachteten vorübergehen-
den Glykosurie nach Durchschneidung des Peritoneums zwischen
Magen und Pankreas heranzieht. Wenn also Pflüger in diesen
Versuchen, entgegen der Auffassung der Autoren selber, eine
Stütze für die Lehre vom Duodenaldiabetes sieht, so kann dem
schlechterdings nicht beigestimmt werden.
Ebensowenig beweisend für die Pflügersche Lehre scheinen
mir die Beobachtungen, welche R. Gaultier an zwei Hunden
machte, denen er die Duodenalschleimhaut mittels des Höllen-
steinstiftes verätzt hatte. Das eine Tier überlebte den Eingriff
4 Tage, während welcher es dauernd Zucker ausschied. Der
andere Hund, welcher sich nach dem Eingriff vollkommen er-
holt hatte, war bis zu seiner Tötung 11 Tage lang glykosurisch.
Was an diesen Beobachtungen wenig befriedigt, ist die große
Ungenauigkeit der Mitteilung. Gaultier gibt mit keinem Worte
an, auf welche Weise er das Vorhandensein von Zucker nach-
gewiesen hat. Er schätzt seine Menge beim ersten Hunde auf
„ungefähr“ 10 g im Liter Harn. Auffallend ist dabei die
Bemerkung, daß die Zuckerausscheidung während der 4 Tage
des Überlebens anhielt, während die Autopsie Heilung der
geätzten Stelle ergab. Das stimmt nicht mit Pflügers An-
schauung überein, nach welcher die Wiederherstellung normaler
Verhältnisse an der Schleimhaut auch zu einem Aufhören der
Glykosurie führt. — Auch über den zweiten Hund Gaultiers
erfahren wir nichts Genaues. Er schied bis zu seiner Tötung
dauernd Zucker aus, doch nahm die Menge immer mehr ab.
Auf welche Weise die Zuckerdiagnose gesichert und die Zucker-
menge bestimmt wurde, erfahren wir auch in diesem Falle nicht;
es wird nur berichtet, daß die Zuckerausscheidung im Harn ‚‚unge-
fähr 3 bis 4g im Liter“ betrug. Das Tier wird getötet, aber ein
Obduktionsbericht nicht gegeben. — Oberflächlicher kann eine
wissenschaftliche Mitteilung wahrlich nicht sein, und darum ist sie
als Beweismaterial zur Lösung eines Problems auch wenig
geeignet.
Ich selber habe sieben Hunden mit 15°/, Natronlauge und
zweien mit dem Höllensteinstift das Duodenum verätzt. Da die
Versuche stets gleichsinnig ausfielen, so will ich nur einige
als Beispiele anführen.
104 S. Rosenberg:
Am 16. VI. 08 wird ein Hund laparotomiert, der Magen an der Pars
pylorica eröffnet und ein Gummiröhrchen durch den Pylones in das
Duodenum eingeführt. Durch dieses Röhrchen werden in das distal-
wärts zugeklemmte Duodenum 50 ccm 15°/, NaOH-Lauge eingegossen, nach
ca. 5 Minuten die Abklemmung des Darmes aufgehoben und Magen- und
Bauchwunde geschlossen.
Am 17. VI. scheidet der Hund einen alkalisch reagierenden, eiweiß-
haltigen Urin aus, der nach dem Enteiweißen Fehlingsche Lösung reduziert,
optisch aber inaktiv ist und mit einer wirksamen Hefe keine Gärung ergibt.
Am 18. VI. zeigt der Harn dieselben Eigenschaften, nur ist die
Reduktion schwächer als tags zuvor. Gärung und Polarisation sind
auch in dieser Harnportion negativ. An diesem Tage stirbt der Hund,
und die Obduktion ergibt Nekrose des Darmes.
Wenn in diesem Falle der reduzierende Körper im Harn als Zucker
angesprochen werden soll, so war seine Menge jedenfalls so minimal, daß
sie durch Gärung und Polarisation nicht nachgewiesen werden konnte, —
Am 17. VI. 08 wird ein Hund genau in derselben Weise, wie der
vorige verätzt. Er stirbt am 18. VI. infolge totaler Nekrose des Duo-
denums. Der Harn, den er am Tage der Operation entleert hatte, sowie
der in der Blase befindliche, ist blutig und reagiert alkalisch; Nach dem
Enteiweißen reduziert er Fehlingsche Lösung, dreht aber die optische
Ebene nicht und gibt mit einer wirksamen Hefe keine Gärung. Also
auch in diesem Falle kann es sich allenfalls um nur minimale Zucker-
spuren gehandelt haben.
Am 17. II. 09 wird ein Hund laparotomiert, die Pars pylorica des
Magens eröffnet, von der Magenwunde ein Höllensteinstift durch den Pylorus
in das Duodenum eingeführt und hier mehrere Minuten hin und her
bewegt. Ein ca. 2 om langes Stück des Argentumstiftes bricht ab und
verschwindet im Darm. Am nächsten Morgen wird der Hund tot vor-
gefunden. Bei der Obduktion erweist sich die Schleimhaut des Pylorus
und des Duodenums in einer Ausdehnung von ca. 4 cm vollkommen ver-
ätzt, ist grauweiß und lederhart. Die Blase ist strotzend mit ikterischem
Urin gefüllt, der Worm-Müllersche Lösung lebhaft reduziert, aber
weder optische Aktivität nooh Gärung erkennen läßt. — Auch hier
kann es sich also höchstens um Zuckerspuren gehandelt haben, voraus-
gesetzt, daß der reduzierende Körper überhaupt Zucker war.
Am 2. IIL 09 wird ein kleiner Hund von 7000 g Gewicht laparoto-
miert, das Duodenum unmittelbar hinter dem Pylorus eröffnet und die
Schleimhaut mit dem Höllensteinstift mehrere Minuten lang touchiert.
Der Darm wird sofort hart wie Leder, so daß bei der Naht die Darm-
nadeln zerbrechen und schließlich mit gewöhnlichen dreikantigen Nadeln
genäht werden muß. Da die Schnittränder sich infolge der Härte des
Darmes nicht gut aneinander legen, wird die Nahtstelle durch Überpflanzen
eines Netzstückes gesichert.
Am 4. III. hat der Hund den ersten Urin entleert. Derselbe redu-
ziert Worm-Müllersche Lösung, zeigt schwache Rechtsdrehung und
geringfügige Gärung.
— —
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 105
Am 5. LI. fällt Polarisation und Gährung bereits negativ aus,
während der Harn mit dem Worm-Müllerschen Reagens eine grüne
Farbe annimmt und im Laufe der nächsten 24 bis 48 Stunden ein mini-
males gelbrotes Sediment aus wenigen Körnchen Kupferoxydul und
Kupferoxydulhydrat ausfallen läßt. Nach Vergärung gibt der Harn
wieder mit Worm-Müller eine grüne Farbe, läßt aber kein Sediment
mehr ausfallen.
Dieses Verhalten zeigt der Urin bis zum 18. III.
Am 19. III. werden dem Hunde beide Hoden exstirpiert. Der nach
dieser Operation am 21. III. entleerte erste Urin reduziert Worm-Müller-
sche Lösung sehr kräftig unter Ausfällung einer größeren Menge roten Sedi-
ments, dreht die optische Ebene nach rechts und gibt mit Hefe eine
deutliche Gärung.
Vom 22. III. bis zum 2. IV., wo die Untersuchung abgebrochen
wird, verhält sich der Harn genau so wie vor der Kastration.
Bei diesem Hunde hat sich also nur im ersten Harn nach der Ver,
ätzung eine Zuokermenge gezeigt, die durch Polarisation und Gärung
nachweislich war. Aber die gleiche Erscheinung trat auch in der ersten
nach der Kastration entleerten Urinportion auf. Und wenn man hier die
Glykosurie ohne Zweifel als eine Folge der Reizung sensibler Nerven an-
sehen muß, so steht niohte im Wege, auch die nach der Ätzung eintretende
Zuckerausscheidung in gleichem Sinne zu deuten.
Auch an den übrigen Beobachtungstagen enthielt der Harn zweifellos
Zuckerspuren; das geht hervor aus der Tatsache, daß nach der Reduk-
tion sich bei längerem Stehen Spuren von Kupferoxydul und Kupfer-
oxydulhydrat absetzten, die in vergorenem Harn nicht zur Ausscheidung
gelangten. Allein diese Mengen waren genau so minimal, wie ich sie
auch — worauf oben schon hingewiesen wurde — bei einem ganz nor-
malen, nicht operierten Tiere beobachten konnte. Und demgemäß halte
ich es für zulässig, sie für den Ausdruck einer physiologischen Glykosurie
zu halten, und das um so mehr, als sie einerseits eben nur durch die
überaus empfindliche Worm-Müllersche Reaktion nachweisbar waren,
und wir andrerseits durch Sohöndorff’s Untersuchungen darüber belehrt
worden sind, daß physiologische Glykosurien viel häufiger und in viel
weiteren Grenzen vorkommen, als man das bis dahin allgemein annahm.
Aus der Summe aller mitgeteilten Ätzversuche ergibt sich
also — soweit die Beschreibung eine Kontrolle gestattet —,
daß die danach beobachteten Zuckerausscheidungen nur sehr
geringfügig und schnell vorübergehend waren, daß es sich dabei
aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Reflex auf die Reizung
sensibler Nerven gehandelt habe, und daß sie schlechterdings
nicht als Beweise für die Existenz eines Duodenaldiabetes an-
gesprochen werden können.
Es bleibt noch ein wichtiger Versuch zu besprechen, durch
106 S. Rosenberg:
welchen Herlitzkaeinen Beweis für die Richtigkeit der Pflüger-
schen Lehre gebracht zu haben glaubt. In der Absicht, die
Ganglienzellen des Darmes zu vergiften und funktionsunfähig zu
machen, spritzte dieser Autor Fröschen vom Magen her ein Nicotin-
Vaselingemisch in das Duodenum, welches an einer weiter
abwärts gelegenen Stelle unterbunden war, so daß das Nicotin-
gemisch an Ort und Stelle liegen bleiben mußte. Kontrolltiere
erhielten reines Vaselin in den Darm gespritzt, anderen wurde
nikotinhaltiges Vaselin unter die Rückenhaut injiziert. Während
nun die Kontrolltiere nur ausnahmsweise geringe Zuckermengen
ausschieden, geschah das von den Versuchsfröschen fast regel-
mäßig und zum Teil in bedeutendem Maße, und Herlitzka
kommt auf Grund dieser Versuchsergebnisse zu folgendem
Schluß: „Was aus meinen Versuchen mit Sicherheit hervorgeht,
ist die Notwendigkeit der Unverletztheit der Ganglienzellen,
der Duodenumwand für die normale innere Sekretion der Pankreas,
und damit habe ich die Pflügerschen Versuche sowie seine Lehre
der Abhängigkeit der inneren Sekretion von dem Nervensystem
vollkommen durch eine neue Methode bestätigt.“ Ein solcher Schluß
würde allenfalls berechtigt sein, wenn das Nicotin lediglich
lähmend auf die Ganglienzellen des Darmes einwirken würde. Wir
wissen aber, daß es nur wenige Organe gibt, die von diesem Gift
nicht beeinflußt werden. So steht es fest, daß durch Nicotin
gerade beim Frosch die Atmung sehr schnell herabgesetzt wird,
und daß das Blut mit Nicotin vergifteter Tiere die Eigenschaften
des Erstickungsblutes zeigt. Daraus läßt sich schließen, daß das
Gift die Sauerstoffversorgung des tierischen Körpers herabsetzt,
und da Sauerstoffmangel bekanntlich zur Glykosurie führt, so
wäre es denkbar, die von Herlitzka beobachteten Erscheinungen
auf diese Weise zu erklären. Noch wahrscheinlicher erscheint
es mir, daß das sehr stark reizende Gift auf die Darm-
schleimhaut nach Art eines Ätzmittels gewirkt habe, und daß
die nach seiner Einverleibung beobachtete Zuckerausscheidung
die Folge einer Reflexwirkung ist. Falsch ist in jedem
Falle Herlitzkas Meinung von der „Notwendigkeit der Un-
verletztheit der Ganglienzellen der Duodenumwand für die
normale innere Sekretion des Pankreas“. Das ergibt sich aus
der nunmehr ganz sichergestellten Tatsache, daß man bei Warm-
blütern das ganze Duodenum mit samt den Ganglien entfernen
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 107
kann, ohne einen Diabetes zu erzielen. Es zeigt sich also,
daß auch diese Versuche Herlitzkas für die Pflügersche
Lehre ganz ohne Bedeutung sind.
Es bleiben also nur Pflügers eigene Froschversuche als
Stütze seiner Diabeteslehre übrig; aber auch diese Versuche
wurden in eine ganz neue Beleuchtung gerückt durch die Fest-
stellung Löwits, daß es auch beim Frosch einen Kältediabetes
gibt. Pflüger hatte nämlich seine Frösche stets, um ihre
Lebensdauer zu erhöhen, in eine Eiskammer gesetzt, underschildert
das von ihm geübte Verfahren folgendermaßen: „Der für den
Versuch bestimmte Frosch soll wenigstens 24 Stunden im Eis-
schrank hinreichend abgekühlt worden sein. Nach vollzogener
Operation wird das Tier in eine Eiskammer gesetzt, welche eine
Metalltrommel von 30 om Durchmesser und 12cm Höhe dar-
stellt. Der Boden und Deckel der Trommel besteht aus weit-
löcherigem Metallnetz. Die Trommel wird ganz mit groben
Eisstücken gefüllt, und der mit Urinal versehene Frosch zwischen
diese gelegt. Nachdem der Deckel die Trommel geschlossen
hat, schichtet man abermals große Eisklötze auf das Drahtnetz
des Deckels.
Die so beschickte Trommel wird nun auf eine große
Porzellanschale gestellt, in welche das Schmelzwasser abfließt,
so daß der Frosch immer auf Eis von 0°C liegen bleibt. Um
die Schnelligkeit des Abschmelzens zu verkleinern, deckt man
ein dickes mit Eiswasser getränktes Tuch über den Deckel.
Steht der Apparat an einem kühlen Ort, so hält sich das Eis
24 Stunden unter dem Frosch. Ist das nicht der Fall, muß
die Trommel mehrmals am Tage mit frischen Eisstücken
beschickt werden.“ Die auf diese Weise behandelten Frösche
ergaben nach Exstirpation des Duodenums oder nach Spaltung
des Peritoneums zwischen Duodenum und Pankreas bei An-
stellung der Worm-Müllerschen Reaktion mit dem in Uri-
nalen aufgefangenen Harn stets deutliche Zuckerreaktion; und
Pflüger legte sich, eingedenk der bei Warmblütern beobach-
teten Kälteglykosurie, selber die Frage vor, ob die Zuckeraus-
scheidung bei seinen Fröschen nicht ebenfalls eine Folge der
Kältewirkung sei. Zur Lösung dieser Frage legte er einen
normalen, nicht operierten Frosch in seine Eistrommel und
beobachtete ihn 6 Tage lang. Dieser Frosch schied keinen
108 S. Rosenberg:
Zucker aus, und so kam Pflüger auf Grund dieses einen
Versuches zu der Auffassung, daß beim Frosche eine Kälte-
glykosurie nicht existiert. Diese Meinung aber trifft nicht zu,
denn neuerdings hat Löwit gezeigt, daß Kältewirkung auch
beim Frosche eine Zuckerausscheidung zur Folge hat, und ich
kann das durch eigene Versuche bestätigen, die ich gleich nach
Löwits erster Mitteilung im Sommer 1908 und dann weiter im
letzten Winter angestellt habe. Ich ging dabei so vor, daß
ich normale Frösche in große Glasgefäße setzte, die ich mit
etwas Wasser beschickte.e Diese Gefäße wurden im Sommer
in den Eisschrank gestellt und rings mit großen Eisstücken
umgeben. Im Winter wurden sie — nachdem wir unser neues
Laboratorium bezogen hatten — in einen Kälteraum gebracht,
in welchem durch eine Kältemaschine die Temperatur bis auf
— 7° C herabgedrückt werden konnte. Nachdem mir aber einige
Tiere erfroren waren, wurden die Froschgläser im Kältezimmer
in eine Wasserwanne gestellt, in welcher dauernd Eis schmolz,
so daß die Frösche sich in einer konstanten Temperatur von
0°C befanden. Alle 24 Stunden wurde der Inhalt der Glas-
gefäße in Porzellanschalen gespült, zur Ausfällung von etwa
vorhandenem Eiweiß mit etwas ganz verdünnter Essigsäure
versetzt, am Wasserbade auf ein ungefähres Volum von 5 ccm
eingedampft und nach dem Filtrieren mittels Worm-Müller-
scher Reaktion auf Zucker untersucht. Ich habe bei einer
ganzen Anzahl normaler Frösche, die auf diese Weise abgekühlt
waren, Zuckerauscheidungen gefunden, wenn auch nicht so
häufig wie Löwit; jedenfalls aber seine Angaben über die
Existenz einer Kälteglykosurie beim Frosche bestätigen können.
' Es entstand nun die Frage, ob auch nicht abgekühlte
Frösche, denen das Duodenum reseziert oder das Peritoneum
zwischen Darm und Pankreas durchtrennt war, eine Zucker-
ausscheidung erkennen ließen, und die Prüfung dieser Frage
war um so notwendiger, als V. Diamare, einer der besten
Kenner des Kaltblüterdiabetes, nach Durchschneidung des Mesen-
teriums zwischen Darm und Drüse keine Glykosurie konstatieren
konnte. Er äußert sich in bezug hierauf dahin, „daß die voll-
ständige Verlagerung des Pankreas ohne Abtragung und infolge-
dessen die Durchschneidung des Mesenteriums, der Gefäße und
der Nerven des Duodenums nicht nur keine Glykosurie zur
Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 109
Folge hatte, sondern den Fröschen eine Überlebungszeit von
recht 3 Monaten erlaubte‘“.
Von meinen zahlreichen Versuchen, die in der oben ge-
schilderten Weise ausgeführt wurden und stets gleichsinnig aus-
fielen, will ich nur einige wenige als Beispiele anführen.
Am 8. XIL 08 wird einem Frosch das Duodenum exstirpiert und eine
Kommunikation zwischen Gallenblase und Jejunum hergestellt. Das
Tier bleibt zunächst im warmen Zimmer, Am folgenden Tage zeigt sich
bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion ein reichlicher Nieder-
schlag von gelbem Kupferoxydulhydrat, dann bleibt die Reaktion stets
negativ, auch als der Frosch am 15. XII. ins Kältezimmer gestellt
wurde, wo er bis zum 19. beobachtet und sein Urin täglich untersucht
wurde.
Am 8. XII. 08 wird bei zwei Fröschen das Mesenterium zwischen
Pankreas und Duodenum durchschnitten. Bis zum 15. bleiben die Tiere
im warmen Zimmer, dann kommen sie in den Kälteraum, wo sie bis
zum 19. XII. beobachtet werden. Die Reaktion war stets negativ.
Am 9. XII. wird bei zwei Fröschen das Mesenterium zwischen Darm
und Pankreas durchschnitten und beide Tiere sofort in den Kälteraum
gestellt. Das eine von ihnen zeigte stets negativen Ausfall der Reaktion,
bei dem anderen war sie am 10. XII. stark, am 11. deutlich, am 12. stark,
am 13. und 14. deutlich, am 15. sehr stark positiv. Nunmehr wurden
beide Tiere in ein warmes Zimmer gestellt und bis zum 19. XII. täglich
beobachtet. Die Reaktion war jetzt bei beiden vollkommen negativ.
Am 26. II. 09 werden vier Frösche operiert; Nr. 1 und 2 bleiben im
warmen Raum, Nr. 3 und 4 kommen ins Kältezimmer.
Am 27. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 schwach, bei
4 stark positiv.
` Am 28. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 und 4 schwach
positiv.
Am 1. III. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 sehr stark,
bei 4 schwach positiv.
Am 2. III. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 sehr stark,
bei 4 stark positiv.
Am 2. UL werden die Frösche 1 und 2 in den Kälteraum, 3 und A
ins warme Zimmer gesetzt.
Am 3. III. ist die Reaktion bei 1 schwach positiv, bei 2 negativ,
bei 3 positiv, bei 4 negativ. Frosch 4 stirbt an diesem Tage.
Am 4. III. ist die Reaktion bei allen drei Fröschen negativ, ebenso
am 5. und 6. III. an welchem Tage Frosch 3 stirbt.
Am 7. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ. Der Versuch wird
nunmehr abgebrochen.
Aus meinen Versuchen, und zwar ebensowohl aus den
im Sommer wie aus den im Winter angestellten, geht ganz
110 8. Rosenberg:
eindeutig hervor, daß eine Durchschneidung des Mesenteriums
zwischen Duodenum und Pankreas oder Resektion des Duo-
denums an sich niemals zu einer dauernden Zuckeraus-
scheidung führt. Wo eine solche eintrat, da handelte es
sich stets um Frösche, welche der Kältewirkung ausgesetzt
waren, und auch bei diesen konnte die Glykosurie alsbald zum
Schwinden gebracht werden, wenn man die Tiere in einen warmen
Raum brachte. Allerdings muß zugegeben werden, daß bei
meinen Versuchstieren die Zuckerausscheidung nicht mit der-
selben Regelmäßigkeit auftrat wie bei den Pflügerschen; allein
da Löwit festgestellt hat, daß die Glykosurie unter Kältewirkung
von der Jahreszeit und von der Art der zu den Versuchen
benutzten Frösche in erheblichem Maße abhängig ist, so mögen
Differenzen dieser Art imstande sein, den Unterschied zwischen
meinen Befunden und denen Pflügers zu erklären.
Mag dem aber sein wie ihm wolle, das allein Wichtige bleibt
die Feststellung, daß es beim Frosch ebensowenig einen
Duodenaldiabetes gibt, wie beim Hunde.
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Wort. Pflügers Archiv 122, Nr. 4/6.
. Pflüger, Durch neue Experimente gestützte Bemerkungen zu den
jüngsten Arbeiten über den Duodenaldiabetes des Hundes. Pflügers
Archiv 123, Heft 7/8.
. Pflüger, Über die durch Resektion des Duodenums bedingten Gly-
kosurien. Pflügers Archiv 124, Heft 1/2.
Pflüger, Die Aufklärungen, welche Errico de Renzi u. Enrico Reale
soeben (August 1908) über ihre den Duodenaldiabetes betreffenden
Versuche gegeben haben. Pflügers Archiv 124, Heft 11/12.
. de Renzi u. Reale, Über den Diabetes mellitus nach Exstirpation
des Pankreas. Berl. klin. Wochenschr. 1892, Nr. 23, 560.
. Rosenberg, Zur Frage des Duodenaldiabetes. Pflügers Archiv
121, 358.
Rosenberg, Über d. Einfluß des Pankreas auf d. Resorption d.
Nahrung. Pflügers Archiv 70, 371.
. Schöndorff, Untersuchungen über d. Ausscheidung von Zucker im
Harn von gesunden Menschen, nebst einer Methode der quantitativen
Bestimmung kleinster Zuokermengen im Harn. Pflügers Archiv 121, 572.
. Sohlern, Ein Beitrag zur Diagnose des Duodenalgeschwüres. Med.
Klinik 1908, Nr. 51.
. Tiberti, Über d. Folgen der totalen Resektion des Duodenums,
referiert aus Lo Sperimentali Juli/August 1908 in Fortschritte der
Medizin 1909, Heft 3, 126.
Visentini, Zur Frage der Duodenalglykosurie. Med. Klinik 1908,
Nr. 42.
Zack, Glykosurie bei Verätzung des Duodenumse. Wiener klin;
Wochenschr. 1908, Nr. 3.
. Zack, Bemerkungen zu der Arbeit von Eichler u. Silbergleit. Berl.
klin. Wochenschr. 1908, Nr. 29.
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch.
Von
Franz Baintner und Karl Irk.
(Aus dem ohemischen Laboratorium der landwirschaftlichen Akademie
in Kolozsvär, Ungarn).
(Eingegangen am 8. April 1909.)
Das Colostrum.
Jenes Sekret der Milchdrüse, das eventuell vor dem Kalben,
aber besonders einige Tage nach demselben sezerniert wird,
nennt man Colostrum. Dasselbe hat in dem Leben der Tiere
einen doppelten Beruf: einesteils liefert es dem Neugeborenen
eine am leichtesten verdauliche und am ehesten entsprechende
Nahrung, anderenteils wird durch dasselbe der Verdauungstrakt
von dem Meconium, dem Darmkot, gereinigt. Daher ist eine
eingehende Untersuchung, bzw. die Bestimmung seiner che-
mischen Zusammensetzung und jener Veränderungen, die sich
in den gegenseitigen Gewichtsverhältnissen der Bestandteile
zeigen, sowohl in praktischer als physiologischer Beziehung von
bedeutender Wichtigkeit.
Da das Colostrum die natürlichste Nahrung des neugebo-
renen Tieres bildet, gewährt die Zusammensetzung desselben
eine Orientierung bezüglich der Qualität und Quantität der zur
Ernährung des jungen Tieres erforderlichen Stoffe. Diesbezüg-
lich kann darauf aus der Veränderung der Gewichteverhältnisse
der einzelnen Bestandteile geschlossen werden; letztere Daten
liefern sogar in mehreren Beziehungen Aufklärungen auch in be-
zug auf die Milchbildung.
Das Wesen der Impulse der Milchsekretion ist mit voll-
kommener Genauigkeit auch heute noch nicht bekannt. Nach
neueren Forschungen ist es wahrscheinlich, daß der vom weib-
lichen Eierstock sezernierte Enzymstoff in die Blutzirkulation ge-
langt, in den verschiedenen Organen, namentlich in den Milch-
F. Baintner u. K. Irk: Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 113
drüsen einen Reiz hervorruft, der indenselben die Milchsekretion er-
regt. Andernteils beweisen zahlreiche physiologische Versuche, daß
die Milchsekretion unbedingt unter dem Einflusse der Nerven steht.
Auch unsere Kenntnisse bezüglich des Mechanismus der
Milchbildung sind unbekannt und in den Theorien einzelner Fach-
leute sind betreffe der Milchbildung die auffallendsten Widersprüche
zu treffen. Die Sistierung dieser Gegensätze ist erst nach einer
genaueren Kenntnis der Colostra zu erhoffen, wenn auch die bis-
herigen hypothetischen Theorien der Milchsekretion auf festeren
Grundlagen ruhen werden, was schon deshalb erwünscht ist, da
die gegenwärtig bestehenden Theorien immer mehr schwinden.
Laut unseren gegenwärtigen Kenntnissen kann die Milch
z. B. nicht mehr für ein filtriertes Sekret des Blutes gelten,
wie ee Kemmerich und Martiny in den 70er Jahren be-
haupteten; auch die Theorie von Virchow, Voit, Schmidt,
Will und Fürstenberg kann als entkräftet betrachtet werden,
wonach die Milch aus einem fettigen Zerfall der Drüsenzellen und
aus einer Umstaltung derselben bestünde. Auch die Theorie von
Rauber muß als irrig erklärt werden, die mit Annahme der
Funktion der Drüsenzellen die Milch aus Leukocyten entstanden
denkt, die zufolge einer Wanderung durch die Drüsenalveolen und
vermöge ihrer Auflösung in denselben die Milch liefern werde.
Die Theorie von Partsch und Heidenhain beruht be-
reits auf sicherer Basis, wonach die Milch ein Produkt der
aktiven Tätigkeit von Milchdrüsenzellen sei, bzw. das Resultat
eines Zerfalles des zentralen, gegen den Alveolus gelegenen Teiles
des Plasma. Laut Szabö, Sticker, Unger und anderen wird
das Epithelgewebe nicht zerstört. Demgegenüber sind Coön,
Niessen, Duckert, Michaelis und Ottolenghi der Meinung,
daß die Milchsekretion mit einem mehr oder minder bedeutenden
Zerfall des Epithelgewebes verbunden sei. Ottolenghi beruft sich
außerdem auch darauf, daß während des ganzen Verlaufes der
Lactation eine regelmäßige Störung der Lymphzellen und eosino-
philen Leukocyten von dem interstitialen Bindegewebe durch das
Epithel in die Alveolen, wo sie sich auflösen, eintritt und daß diese
Erscheinung mit geringen Abweichungen der Theorie von Rauber
entspricht und daher berufen wäre, derselben eine größere Be-
deutung zu verleihen. In seinen letzteren Mitteilungen nähert
sich Ottolenghi auf Grund seiner jüngsten Forschungen wieder
Biochemische Zeitschrift Band 18. 8
114 F. Baintner und K. Irk:
der Auffassung von Heidenhain, und er gelangt zu dem
Schlusse, daß die Milchsekretion wohl ein Produkt der aktiven
Tätigkeit der Milchdrüsenzellen sei, der Zerfall der Milchdrüsen-
zellen ist aber keine notwendige Folgeerscheinung. Anderen-
teils aber werden sie zufolge der bei der Milchsekretion ent-
falteten lebhaften Tätigkeit rasch zerstört, und sie gehen auch
zugrunde. Die zerstörten Zellen werden dann durch eine Karyo-
kinese, bei einzelnen Tieren durch einfache Teilung ersetzt.
Bei der Aufstellung dieser Theorien der Milchsekretion und
in der Entwicklung unserer diesbezüglichen, der Wirklichkeit
stets näher tretenden Kenntnisse gebührt den Forschungen,
welche die Feststellung einer chemischen Zusammensetzung der
Milch bezwecken, eine bedeutende Rolle.
Diesbezüglich wollen wir es bloß beispielsweise erwähnen,
daß in der Milch stets Milchzucker (Lactose) und Casein vor-
handen sind, während sie im Blute fehlen, wodurch die Theorie
von Martiny bereits ab ovo haltlos wird. Die Kenntnis der
in der Milch von verschiedenen Tiergattungen befindlichen Ei-
weiße, deren wechselseitige Gewichtsverhältnisse in Zusammen-
hang mit dem Eiweißgehalte des die Milchdrüsen ernährenden
Blutes, würde zu einer genaueren Bestimmung der bei der Milch-
sekretion stattfindenden Transformationen beitragen.
Nach dieser Richtung hin sind wir aber leider noch weit
zurück. Unsere gegenwärtigen Forschungen beziehen sich auf
diese Frage nicht, sondern befassen sich ausschließlich mit der
allgemeinen Erörterung der Büffelcolostren; sie bezwecken die
quantitaven Veränderungen der im Colostrum befindlichen Be-
standteile klarzulegen und auf die feststellbare Gesetzmäßigkeit
hinzuweisen.
Auf Colostrenmilch bezügliche Untersuchungen gibt es über-
haupt wenige, einesteils zufolge der Schwierigkeit, das zu den
Forschungen erforderliche Material zu erhalten, anderenteils,
weil sie als Nährmittel wegen des unangenehmen Geschmackes,
Geruches, der zähen Beschaffenheit und infolge der Gerinnbar-
keit kraft des Globulingehaltes in unserem Haushalte nicht vor-
kommt. Auf das Colostrum des Büffels bezügliche Analysen
haben wir in der Literatur überhaupt nicht gefunden. Diese
Mängel haben uns bewogen, in Zusammenhang mit der che-
mischen Analyse der Büffelmilch unsere Untersuchungen auch
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 115
auf Büffelcolostren auszudehnen, um so mehr, da ein wesent-
licher Unterschied zwischen den Colostren von Kuh und Büffel-
kuh besteht, wie das durch folgende Untersuchungen bestätigt
wird, nicht bloß in bezug auf das spezifische Gewicht und den
Fettgehalt usw. der Milch, sondern auch hinsichtlich des gegen-
seitigen Verhältnisses dieser Bestandteile.
Zu diesem Behufe vollzogen wir bereits vom 1. Januar bis 8. Fe-
bruar 1899 Untersuchungen!), als deren Ergänzung wir neuerdings fünf
Colostren prüften mit dem Unterschiede, daß, während wir ehedem, um
die Veränderungen der Zusammensetzung der Milch während der Lac-
tation festzustellen, die Versuche in 24 stündigen Zeiträumen derart an-
stellten, daß jedes Probequantum aus einer Mischung der Milch vom
Abende des vorhergehenden und der Frühmilch des darauf folgenden
Tages bestand, wir zu den gegenwärtigen Untersuchungen separate Milch-
quanten von frühmorgens und abends verwendeten; ferner wurden die
Proben in viel kürzeren Zeiträumen genommen.
Die Büffelkuh namens „Kriska“, worauf sich die Daten der Ta-
belle Nr. I beziehen, erhielt als Futter täglich 10 kg Ackerheu, 10 kg Stroh
der im Frühjahr gesäten Frucht, 20 kg Rüben, 2 kg Kleie und 3 kg
Spreu. Die Büffel „Bogár“, „Betta“ und „Märgyala“ bekamen früh und
mittags Grünmais, abends Haferwicke und Luzerne; „Zsasa“ und „Zsuzsi“
bekamen das nämliohe Futter wie „Kriska“,
Bereits im Jahre 1899, da wir uns zum ersten Male mit der Prüfung
des Büffelcolostrum befaßten, fiel uns die regelmäßige Krümmung der
Kurven auf, die auf dem Graphikon verzeichnet waren, das die quanti-
tativen Schwankungen der Milchbestandteile darstellte und welche Be-
obachtung es erforderte, die Proben behufs genauerer Bestimmung des
Zusammenhanges zwischen den einzelnen Schwankungen in kürzeren Inter-
vallen zu nehmen und jede einzelne Probe separat zu prüfen, um die
zwischen den Abend- und Frühmilchen bestehenden Unterschiede, soweit
möglich, festzustellen. Die Proben wurden tadellos, mit Hilfe vollkommen
verläßlicher Personen entnommen, indem jene Proben, worauf sich die
Tabellen Nr. II, III und IV beziehen, und die Tiere, denen sie entommen
wurden, im folgenden mit diesen Nummern bezeichnet sind, von Herrn
Alexander von Rosenberger aus seiner Domäne von Szäszfeues befind-
lichen Molkerei entnommen wurden, während die Milch der Büffelkühe
I, V und VI der Wirtschaft der Landwirtschaftlichen Akademie ent-
stammt; diese Proben entnahmen wir selber. Die Entnahme der Milch-
proben begann 1 Stunde nach dem Kalben, 5 Stunden später nahmen
wir die zweite und nach 12 Stunden die dritte Probe. Dieses 12 stündige
Intervall wurde 3 bis 4 Tage lang beibehalten, resp. so lange, bis die
Milch geronnen war. Nachher nahmen wir 24 stündlich je eine Probe
der Abend- und Frühmilch, bis die Milch eine beiläufig normale Zu-
sammensetzung erhielt. In einigen Fällen mußten wir zufolge der Laune
1) S.: Kiserletügyi Közlemények 6, 239, 1901.
ugyi y :
5
116 F. Baintner und K. Irk:
des Tieres von der als Probe bezeichneten Zeiteinteilung abweichen, wes-
halb wir die Zahl der nach dem Kalben verstriohenen Stunden in jeder
Tabelle separat geben. Die gelieferte Milch wurde sofort untersucht, um
die beim Colostrum so rasch eintretenden Veränderungen zu vermeiden.
Die Tabellen I bis VI verzeichnen die Zusammensetzung der untersuchten
Milchquanten:
Tabelle I.
Name des Tieres: Kriska.
GIS Les 5 |g | 83 Et 3
= ick- 8 8 3
e E$ Stick- (gen 3 4% |Protein 4428| #8
E i E stoff dë 38 2 F: S S
ei 38 CS E JEF
3 GE ra
in Prozenten
1] 1 1,07445|3,3824 6. 300 2, 4620,010 31,528|21,5401)| 26,219| 16,8
2| 24 |È 2 |1,03335|0,79632/6,035|4,013|0,887| 15,870| 5,073 | 9,835| 38,0
3| 48 |, g |1,034270,75920/5,233|4,073/0,935| 14,778| 4,836 | 9,545 35,4
4| 82 |S 5 |1,03532[0,79487|4,986|4,214|0,960| 15,130! 5,063 | 10,144| 32,9
5| 106 * 1,03564]0,83440|6,13414,223|0,988| 16,742| 5,315 | 10,608| 36,6
6| 130 |5 „, |1,03601|0,85470|6,385 4,369|0,982| 17,326) 5,445 | 10,941| 36,8
7| 154 |.2 5 |1,03618j0,84340)6,802)4,525|0,979| 17,599) 5,372 | 10,797| 38,6
s| 178 |Ë 1,0355010, 74657|7,031/4,885/0,914| 17,535| 4,799 | 10,504| 40,0
Tabelle II.
Name des Tieres: 49. Bogár. Geboren am 30. Juli 1900.
KE 5
Deg TE
ojas 333
EIER 387
Site S
Et
Cla
8 | — ItLogeng, 1220 7,4404|1,947|0,858 29,943 19,916 22,503 [24,849
14 [mittag | 1,0450|2,254 | 7,856 |2,74210,847/25,866/14,359 19,0100, 372
19 | abend 1,044912, 0394 10,001 12,957 0,825 26,807 12,992 16,806/37,304
32 | früh |1,0355[1,151 | 7,137 3,9470,883 19,078 7,335 11,941:37,410
1,033010,787 | 7,708 |4,138 ees 6,012 10,037143,435
66 | früh |1,0340/0,956 | 6,433 |3,942|0,933:17,689 el
68 | abend | 1,0335[0,9262| 6,154 3,870/0,920 16,827 erte la ee
82 | früh | 1,0340|0,8793 7,413 14,259 0,959 ere 5,614 10,818 40, 661
94 | abend 1, 034510, 0448 5,724 |4,00110,912 16,694 6,018 10,070 34, 288
LOUIS) früh | 1,0345/0,6104| 6,957 4, 626 0,947 16, 1601 3,831| 9, 204 43, 048
LULä0labend | 1,0355|0,8478| 5,571 4,245 0, 28 16, 1790 6, 401 10, 608 34,433
SS OO si ep CH WG Ga äi Fa
K
2
g
D
ef
1) Protein = Stiokstoff >< 6,37.
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch.
Tabelle III.
Name des Tieres: 40. Betta. Geboren am 20. August 1899.
117
e
=
n
g
T
E
E
©
>
a
Q
E
Laufende Nr.
1,0698|3,077
1,0430[1,468
1,0398|1,101
1,0333|0,958011,012
1,0340/0,9437| 5,602
1,0338|0,7928| 6,449
1,0345|0,8214| 5,371
4,946
7,686
6,569
abend
früh
abend
früh
abend
früh
1,0355|0,7143| 5,806
abend
pas
101
æ © © O ~ O CN e
pæd
113į früh | 1,0350/0,6886 —*
©
ei
3
in Prozenten
Zucker
3,181/0,81321,037
4,315/0,858|17,804
4,341|0,816 22,294
4,022|0,896|16,679
4,401 .0,921/16,864
4,323|0,937|15,859
4,743 0,922
0,925
16,092
16,339
Tabelle IV.
Name des Tieres: 64. Märgyala. Geboren am 3. April 1904.
|
cH
ville e
Kall WE 59 © A
leg 3H | 82 | con | Fett
dE RE SE
SlaëlëZ | 85
Sizs < | a —— ——
Q
EE
1,065012,595 |10,392
1,0445]1,973 115,202
1,0365/1,116 | 8,118
1,03500,9123! 6,551
1,0352[0,8976| 6,395
1,033010,8004! 6,262
1,0335]0,5399| 7,994
1,0340|0,731 | 5,871
1,0678|3,104 | 4,7597
in
ba =]
CH © ©
dE
[=] < 8
EE
in Prozenten
Fettfreie
Trocken-
substans
Fettgehalt der
Trocken-
substanz
1,959:0,857|27,443|19,60322,497,18,023
9,354 13,451/36,060
7,014 12, 235 31,277
6,103|11,282.49,392
6,011/11,077133,578
6,050 10,415 38,240
5,232/10,488 33,870
Verte 36,078
4,387 —
8
g laan:
8 EE TE
O 18323 GEI
d |883 SC:
Ki
2,778|1,041/28,484|19,773|23,524|16,330
2,719,0,976'30,688,16,529 20,296/33,864
3,255 0,869 32,063|12,570 16,861
0,857 20,043
0,866 17,431
4,38210,871 17,440
4,021 |0,878/16,270
4,246 0,903 16,500
3,881
4,175
4,561.0,918
16,041
1
1
|
47,413
7,110 11,925'40,502
5,811 10,880.37,581
5,718 11, 045 36,669
5,099 10,008 38,491
3,402| 8,506 48,450
4,656 10,170 36,602
118 F. Baintner und K. Irk:
Tabelle V. Name des Tieres: Zsazsa. Geboren am 26. Oktober 1904.
Zum erstenmal trächtig.
|
TM a vi ı N ei RM 5
APEE Stiok-| moel [8133| 8 (8831385
© Fett| © SEKR
= t: * 514188] 2 353 3f
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3 EN a een ! —
in Prozenten
1,07404 3,103 | 1,247 1,93 111,056
1,0630 2,061 5,692 2,706 0,958
— m — — — —
24, 092 19, 166 766,22, m. 5, 189
25,9 935.16, ‚528 23,229 21,9 946
1, 0465 1 ‚592 6, 575 3, 151 0, 904 20,7 788 10, ‚142 14, ‚213 31,6: 627
1,0375] 1,117 '6, ‚950 3, ‚83010, 908'18, ‚813! 7, iisii 863 36, 046
1,0360] 1,167 ‚6, 366 3, 169,0,967.16,951| 7,453 11, 585,31,659
1,0335] 1,013 ‚5,859 3, 442 0, 955 16,747, 6, 453 10,888, 34 ‚985
1,03501 0 ‚6609 8, 8,937 4, ‚274.0, 961:18,414 4,210) 9,477. 49,663
1,0350] 0,5055 9, 41114,003!0,971:17,608| 3,220; 8, 107153. 445
l, ‚0360 0,9342| 6,008 4 332 0,988 17,285, 5,951'11,277:34,759
Tabelle VI. Name des Tieres: Zsuzsi.
E
Refraktion des
Milchserums i
substanz
Fettfreie
substanz
Fettgehalt der :
Trocken-
Trocken-
|
|
zus | 1,0695[3,668 3, 168 1, 675 0,829'29,644:22,728 10,672 26,476 58,0
minag | 1,0545]2,465 |13,726|1,396 0,825 32,755 15,705,41,900,19,030 56,0
abend 2, 29,259 13,975 41,259 17,187,62,0
früh |1,0342lı,148 | 7.8980,874'0, 733 18832 7,314 41,941 10,934/52,0
mitteg| 1,0330/0,9614! 7,489 3,247 0,813,17, ‚696| 6,124/42,330'10,207/54,0
abend | 1,0332|0,6358| 7,850|3,630 0, 834.18,182| 5 854143, 172 10 332 610
früh | 1,03580,8278, 5,428|4,274/0,895|15,917| 6.273 34, 10610, 180 —
mittag] 1,034810,7483| 6,658/4,149/0,883/16,465| 4,754140,438| 9,807]45,0
abend | 1,0341j0,8396| 6,061|3,915 0,872 16,202] 5,349134, ap ‚241 45,5
oa S
SS
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SE e d e dee eeh ee E
mittag| 1,0331[0,8951| 4,982|3,856 0, 061 16,611 5,702|32,117 10,629)46,3
abend | 1,03300,8072| 6,059|5,287|0,980116,493| 5,143 36,737 10,434|45,5
ı-|- | — - | -|-/-/-|-|-|- |-
14| 100 |» bend] 1,0332]0,8187| 7,30714,223 0,966 17,809| 5,215/41, ‚535,10, —
15|112| früh | 1,0349)0,8430| 6,314.4,073.0,952 16,730| 5,370 37,742 10 416 45,2
16| 124 | abend | 1,0346|0,8871| 7,877|4,068|0,951|18,560 5651 42 344110, 683145,0
17|136| früh | 1,0345|1,0344| 5,7444,3910,913/17,656! 6,589132, tg 91245,1
18| 172| abend | 1,0363[0,9620| 6,722/4,596/0,978|18,447| 6,128|36,439|11,725|46,0
19! 184| früh | 1,03660,5458! 7,111 6,733/0,939 17,258| 3,477|41,20210,147,45,8
20| 196| abend | 1,0380l0,8562 17 925| 5,454 39,444 10,855 45,0
pá
pt
ell aJ
a O
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 119
Das Büffeleolostrum bildet eine gelbliche, zähe, schleimige, klebrige
Flüssigkeit, die an der Wand des Gefäßes in dicker Schichte haftet und
an den Geruch des Büffels erinnert. Sie gerinnt nicht bloß beim Sieden,
sondern auch bei geringem Erhitzen und konsolidiert sich zu einem
Stücke Rahm gibt sie bloß schwer oder überhaupt nicht. Nach längerem
Stehen erhärtet die der Luft ausgesetzte Fläche.
Mikroskopisch wird das Colostrum durch Fettkügelchen und ge-
wisse Gebilde cellulären Ursprungs charakterisiert, welch letztere von
A. Donné (1836) „corps granuleux“ und von Henle (1839) „Colostrum-
körperchen“ genannt wurden. Morphologisch war das Wesen dieser Körper
lange Zeit hindurch strittig. Simon und Mandl erklären dieselben für
ein Konglomerat feiner Fetttropfen, laut Reinhard, Will und anderen
bilden die Colostrumkörper ganze Massen infolge Verfettung degenerierter
Epithelzellen; gegenwärtig ist meist die Ansicht von Czerny angenommen,
laut der dieselben mit Fett überfüllte Leukocyten (weiße Blutzellen) wären.
Derselbe bewies nämlich durch Injektion von Milch in die Lymphblasen
des Frosches experimentell, daß die Leukocyten die Fettkügelchen zu
einer Emulsion umgestalten können. Zu demselben Resultate gelangten
Michaelis und Unger. Demgemäß erklärt Czerny die Bildung der
Colostrumkörper aus den Leukocyten derart, daß er eine Entwicklung
von Colostrumkörperchen stets dort voraussetzt, wo eine ständige Milch-
stauung erfolgt ist, und er nimmt es an, daß eine gewisse, durch die
Milchstauung hervorgerufene Erweiterung der Milchdrüsen dazu nötig
sei, daB die Leukocyten in die Alveolen der Drüse gelangen können.
Cohn geht von der Erfahrung aus, daß bei Frauen, trotz der durch die
Milchstauung hervorgerufenen bedeutenden Drüsenschwellung in der Milch
keine zellenförmigen Gebilde zu finden sind; er erklärt das Entstehen der
Colostrumkörper nicht auf mechanischem, sondern vielmehr auf chemo-
taktischem Wege. L. W. Raudnitz und K. Basch, die die citierten
Theorien gesammelt haben, betrachten die Colostrumkörper als ein Pro-
dukt der unvollkommen funktionierenden Milchdrüsen und halten die
Milchansammlung, die Nervenreize, die venöse Hyperämie für Ursachen
ihrer Entstehung. Experimente beweisen, daß die Colostrumkörper
desto rascher verschwinden, je energischer der Neugeborene saugt und
je größer der Milchbedarf ist. Solche Colostrumkörper fanden wir auch
im Colostrum des Büflels, und zwar 37 Stunden hindurch nach erfolgtem
Kalben. Es sind das große, zellenförmige Gebilde, die oft auch keine
Zellenform zeigen, aber stets von Fetttropfen erfüllt sind. Ihre Größe
schwankt zwischen 14 bis 40 u (Mikron — 0,014 bis 0,040 mm), und ihre
Zahl beträgt in beiläufig 1 cmm Colostrum 100 bis 200.
Zur Messung der Colostrumkörper benützten wir ein Okularmikro-
meter; zur Zählung diente der Blutzellen-Zählapparat von Thoma. Das
zur Anwendung gelangte Verfahren erörtern wir an anderer Stelle, da
das letztgenannte Instrument nicht unmittelbar verwendet werden konnte.
120 F. Baintner und K. Irk:
Bei Untersuchung der chemischen Zusammensetzung und der Ver-
änderung des relativen Gewichtquantums der einzelnen Bestandteile wird
dieses Stadium der Milchsekretion durch ein gewisses Streben nach einom
Gleiohgewichtszustand charakterisiert, das durch die Ernährung des jungen
Tieres und durch den zufolge der Geburt veränderten physiologischen
Zustand der Milohdrüsen reguliert wird, und der nach Verlauf der ersten
4 bis 7 Tage auf ein Minimum reduziert wird, wonach dann die Milch
eine je nach dem Individuum mehr oder minder verschiedene, doch inner-
halb gewisser Grenzen stabile Zusammensetzung gewinnt. Diese in dem
relativen Gewichtsquantum der Bestandteile auftretenden Veränderungen
erfolgen desto rascher nacheinander, je häufiger wir die Proben ent-
nehmen, bzw. je häufiger der Neugeborene saugt. (Siehe Tabelle VI.)
Der Proteingehalt des Colostrums.
Das Verfahren von Kjeldahl, das wir behufs Bestimmung der
stickstoffhaltigen Stoffe organischen Ursprungs verwendeten, ist allgemein
bekannt, wir wollen bloß hinzufügen, daß wir die Stickstoffprozente mit
6,37 multipliziert — zu Proteinen umrechneten. Die unter dem Kollektiv-
namen Protein zusammengefaßten, nitrogenhaltigen Stoffe organischen
Ursprungs werden von den einzelnen Autoren in drei Kategorien geteilt,
und zwar in Caseine, Globulins und Albumine. Wohl leugnen einige
(Grotenfeld und Lassaique usw.) das Vorhandensein des Caseins im
Colostrum, ihre Behauptung ist aber mutmaßlich das Resultat einer un-
richtigen Beobachtung. Tatsache ist es, daß die Quantität des Caseins
gegenüber dem Globulin und Albumin im Verhältnis zur normalen Milch
gering ist, was auf jene physiologische Ursache zurückzuführen ist, daß
der Neugeborene das unter Einwirkung des Magensaftes gerinnende,
schwer verdauliche Casein kaum verdauen könnte. Wie sich das Ver-
hältnis dieser Proteinbestandteile in der Milch, resp. im Colostrum des
Büffels gestaltet, bildet den Gegenstand unserer weiteren Forschung.
In der folgenden Tabelle VII geben wir den bloß aus dem Stick-
stoff umgerechneten Proteingehalt der einzelnen Milchsorten.
Auf den ersten Blick ist es auffallend, wie außerordentlich der Pro-
teingehalt — 21,546°/,, 19,776°/,, 19,6030/,, 22,7280/, — in den Proben
der ersten Stunden ist; dann folgt eine anfangs allmähliche, später rapide
Abnahme, so daß die Quantiät binnen 48 Stunden den normalen Wert
erreicht, wobei das durch verschiedene Faktoren und Umstände bedingte
Schwanken meist geringeren Grades ist.
Was die Ursache des hohen Proteingehaltes der Colostralmilch sei
und in welchem Zusammenhang diese Abnahme einesteils mit der bei der
zweiten und den letzten Melkungen merkbaren Fettzunahme stehe, wie
das bereits Schnorf bei Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit
der Kuhmilch beobachtet hat, anderenteils mit der progressiven Zu-
nahme des Milchzuckers, erklären wir auf Grund unserer Analyse folgender-
maßen:
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 121
Tabelle VII.
Laufende Nr.
19,766 | sogleich 22,728
1
2 — 3 |15,705
3 — 5 13,975
4 — 12 | 7,314
5 16,528] — —
6 — 20 | 6,124
7 — 25 | 5,854
8 — = —
9 6,811 10,142| 37 | 6,273
10 — 144| 7118| 45 | 4,754
11 ı 5,718 |—| — 50 | 5,349
12 — |56] 7,453] — | —
13 — I-! -— I — | —
14 — |68| 6,453] 70 | 5,702
15 5,099|—| — | 75 | 5,143
16 3,402| 80| 4210| — | —
17 — le — I - | —
18 — I-! — [10 | 5215
19 108! 4,656|—| — | — | —
20 — |—| — |112 | 5,370
21 ' — be 3220| — | —
22 — I-! — |124 | 5,651
23 | — Wës 5951| — | —
24 | — — — |136 | 5,589
25 ee WEE E
26 — |—]| — [172 | 6,128
27 — I-| — 1184 | 3,477
Von größtem Einfluß auf die Zusammensetzung der Colostralmilch
sind unseres Erachtens nach abgesehen von den Rassen- und individuellen
Eigenschaften, die infolge der Geburt aufgetretenen genitalen Reize.
Diese unsere Behauptung wird durch den anatomischen Zusammen-
hang der Genitalien und des Euters bestätigt; es ist ja bekannt, daß die
genitalen Reize der Geschlechtsorgane die sekretorische Funktion der Euter
beeinträchtigen können.
Die Geflechte des vorderen Astes des Nervus ilio-inguinalis, der
einen Zweig des Lenden-Kreuzsteingeflechtes (Plexus lumbosacralis) bildet,
122 F. Bentner und K. Irk:
innervieren den Hodensack; die Rami scrotales anteriores senden einzelne
Fäden zum Euter. Der andere Ast des Plexus Jumbosacralis, der Nervus
spermaticus externus, versieht auch das Euter. Der Nervus spermatious
internus und dessen Hauptzweige, der Ramus medius und Ramus inferior
nervi spermatici interni und die sich teilenden Rami glandulares halten
die Milchgänge, die Hauptleitungen und Cysternen in Verbindung mit-
einander. Wenn wir es außerdem in Betracht ziehen, daß die Acite
des Plexus sacralis, resp. des Nerv. cutan. femoris posterior, die Nervi
clunium inferiores und Rami perineales die Scheide und die Dammgegend
innervieren, und daß der Nervus pudendus internus (der innere Scham-
nerv) einen Ast als Nervus dorsalis clitoridis entsendet, ist es wohl kaum
nötig, den bedeutenden Einfluß der durch die Geburt hervorgerufenen
Nervenreize auf die Milchsekretion und in Zusammenhang damit auf
die Zusammensetzung des Colostrums mit anderen Argumenten zu unter-
stützen.
Auf dieser Grundlage unterscheidet Pfister, gestützt auf die Ver-
suche von Halbaus und Knauer außer genitomammalen Reflexen
auch mammagenitale Reflexe, demnach solche, die durch Reizung der
Mammae auf die Genitalien wirken.
Daß die Nervenreize einen Einfluß auf die Milchsekretion üben, be-
weisen ferner die Versuche von Meyer, der mittels Li Die (pen Strych-
ninum nitricum die Milchsekretion der Ziegen in 5 Minuten von 10 Tropfen
auf 34 Tropfen zu steigern vermochte. Röhrig erhöhte die Sekretion
durch Reizung des Nervus spermaticus auf das 20fache und sistierte die-
selbe plötzlich durch Unterbindung einer einzigen Arterie (Arteria pudenda
externa):
Bereits Herodot erwähnt es, daß die Scythen einen Stab in die
Scheide der Kuh einführten, um die Milchsekretion zu erhöhen. Die
Bauern der Pyrenäen führen noch heutzutage den Arm in die Scheide
der Kuh ein, damit das Melken erfolgreicher sei. Die Hottentotten blasen
aus dem nämlichen Grunde Luft in die Gechlechtsteile der Kuh ein.
Während der Reizwirkungen des Kalbens, besonders unter dem Einfluß
des Nervus spermaticus externus, beginnen die Capillaren der Arteria uberi,
die die Wand der Alveolen umspinnen, ihre intensive Funktion. Trotz-
dem nun die auf die Milchsekretion bezüglichen Ansichten grundverschieden
sind, stimmen dennoch alle darin überein, daß die Grundsubstanz der
Milch das Blutserum sei. Die Bestandteile dieses letzteren Stoffes bilden
bekanntlich nitrogenhaltige, organische Stoffe (und zwar Globulin und
Albumin), sehr wenig Fett, verschiedene Salze und Wasser. Es fehlen
daher das für normale Milch oharakteristische Casein und der Milchzucker.
Diese beiden Bestandteile sind ein Produkt der aktiven Tätigkeit der
Milchdrüsenzellen. Wie es K. Basch auf Grund eingehender morphologi-
scher und chemischer Untersuchungen erklärt, sei das Casein nichts
anderes, als ein im Laufe der aktiven Tätigkeit der Milch sezernierenden
Drüsenzellen entstehendes Gemisch von nitrogenhaltigen, organischen
Stoffen des Blutserums, besonders des Albumins, mit dem in den Kernen
der Milchdrüsenzellen befindlichen Nuclein. Es bildet daher ein Re-
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 123
aktionsprodukt, und zwar ein Nuoleoalbumin oder Casein, das einer Ver-
bindung der Nucleinsäure des Milchdrüsenzellkernes mit den Eiweiß-
stoffen des Milchserums entstammt.
Die Nuoleinsäure hat nämlich die Eigenschaft, mit den eiweiß-
artigen Körpern, die im gegenwärtigen Falle den Drüsenzellen einesteils
vom Chylus, anderenteils vom Blute geliefert werden, sich zu Nucleo-
proteiden zu verbinden, und zwar derart, daß jedes Molekül der Nuclein-
säure zwei Moleküle Eiweiß bindet, deren eines leicht abgespalten wird.
Die Nucleinsäure des Zellkernes wird durch den Phosphorgehalt der ani-
malen Eiweißstoffe, die Transformation des Albumins mittels Nuclein-
säure zu Casein wird durch mehrere Experimente von Dünhart und
Thierfelder bestätigt.
Auf welche Weise das Fett und der Zucker im Laufe der aktiven
Tätigkeit der Drüsenzellen zustande kommen, das wollen wir bei den
einzelnen Bestandteilen näher erörtern, jetzt wollen wir bloß bemerken,
daß das Fett meist Eiweißstoffen entstammt und dann möglicherweise
ein Spaltungsprodukt der sich leicht abspaltenden Eiweißmoleküle sein
kann. Der Milchzucker entwickelt sich laut neuesten Forschungen, wie es
auch Tiegerstedt in seiner Physiologie für wahrscheinlich hält, unter
der Einwirkung eines bisher unbekannten Enzyms ebenfalls aus Eiweiß.
Die Colostralmilcharten sind an Proteinstoffen, und zwar an Globulin
und Albumin sehr reich, Casein findet sich nur wenig, desgleichen sehr
wenig Fett und Milchzucker. Sie gleichen daher hinsichtlich der chemi-
schen Zusammensetzung dem Blutserum. Die Ursache dieser experi-
mentell nachweisbaren Tatsache kann folgendermaßen erklärt werden:
Das Netz der Leitungscapillaren der Arteria uberi läßt das zwischen
ihren Wänden zirkulierende Blutserum zufolge der vasomotorischen (gefäß-
bewegenden) Konstruktion des Nervus spermaticus externus unter Ein-
wirkung der eingetretenen maximalen Reize, um dem jungen Tiere reich-
liche Nahrung zu liefern, in so großer Menge durch, daß es von den
Drüsenzellen zufolge des bedeutenden Druckes der Lösung nicht ver-
arbeitet werden kann, es wird daher nahezu unverarbeitet in die Höhlen
der Alveolen befördert. Demgemäß übt die angesammelte, bedeutend
eiweißhaltige Lösung, deren Eiweißgehalt im Laufe der Osmose zufolge
des Zerfalla von Hämoglobin noch zunehmen kann, einesteils auf osmo-
tischem Wege, indem „bei Suspensionen der osmotische Druck auch durch
gelöste Non-Elektrolyten beeinflußt werden kann“ (in reiner Lösung aber
nicht)!), (Gehalt an Trockenstoffen 31,528%|,, 29,943°/,, 27,7430/,,
28,4840/,, 24.092°/, und 29,644°/,), anderenteils in mechanischer Weise
einen bedeutenden Druck auf die Heidenhainschen Epithelzellen, mit
denen die Wände der Alveolen bekleidet sind. Diese werden zerdrückt, ver-
flacht, der Alveolus der Elastizität seiner Wände gemäß erweitert, die
Zellen auf den ursprünglichen, primären Zustand reduziert, was nach
Heidenhain dem inaktiven Zustande entspricht. Die Drüsenzellen sind
nämlich laut Heidenhain im ersten primären Stadium gegen die Wand
1) E. Tezner und J. Roska, Math. term. tud., Ert. 1208, 259.
124 F. Baintner und K. Irk:
der Alveolen verflacht, ihre Gestalt wird jedoch im Laufe der aktiven
Tätigkeit derart verändert, daß die Drüsenzellen unter Einwirkung des
eindringenden Serums anschwellen, eine längliche, zylindrische Gestalt
annehmen (II. Stadium), an den Enden Fetttropfen und Fettkügelchen
ausscheiden (III. Stadium). Oft löst sich auch der plasmatische Endteil
ab und gelangt in den Alveolus.
Es dürfte die Einwendung gerechtfertigt scheinen, daß das Aus-
scheiden der im Colostrum vorhandenen bedeutenden Eiweißquantität
eine äußerst intensive Tätigkeit der Drüsenzellen voraussetzt und dem-
gemäß eine zylindrische Umgestaltung der Zellen zu erwarten wäre. Die
Sache verhält sich aber derart, daß in diesem Stadium der Lactation
bloß ein äußerst geringer Teil vom Eiweiß des Blutserums transformiert
wird, wie es aus der Untersuchung verschiedener Frauen- und Kühe-
oolostren erhellt, die nebst viel Globulin und Albumin nur sehr wenig
Casein enthalten.
Schon auf Grund dessen müssen wir die Richtigkeit der Ansicht
von Basch bekräftigen, wonach die Colostralmilch eine Folge der un-
vollkommenen Tätigkeit der Milchdrüsen, resp. einer Innervationsver-
änderung sei.
Auf Grund des Gesagten können nun folgende Schlüsse gezogen
werden:
Die auf eine inaktive Tätigkeit beschränkten Drüsenzellen primären
Zustandes können auf den Eiweißgehalt des durchdringenden Serums
keine Wirkung entfalten. Die Fähigkeit der Zellkerne, zu zerfallen, wird
reduziert, die geringe Nucleinsäure vermag bloß sehr wenig Albumin als
Nucleoalbumin, demnach als Casein zu binden. Die Milch ist daher an
Casein arm, an Globulin und Albumin jedoch, die im Serum bereits
fertig zu treffen sind, reich, und da sie löslich, sind sie zur Ernährung
des jungen Tieres eher geeignet.
Wie bereits erwähnt, besitzen wir bisher keine Daten bezüglich der
Verhältnisse der Proteinbestandteile und demnach der Caseinquantität
des Büffelcolostrums; der niedere Caseingehalt der bisher untersuchten
verschiedenen Colostrenmilch berechtigt aber zu einer analogen Annahme.
Der erwähnte, von der Konzentrität des Sekretes abhängige, in-
aktive Zustand verhindert auch meist die Entwicklung von Fett und
Milchzucker, die dem Zerfalle der Eiweißstoffe entstammen. Das in den
Zellen vorhandene und durch den bedeutenden osmotisohen Druck er-
zeugte Plus der Bestandteile wirkt auf Grund der Massenwirkung hemmend
auf die von der Vitalität der Zelle abhängigen, langsam eintretenden
Reaktionen, demnach auch auf die Entwicklung von Fett und Milch-
zucker. Das ist der Grund, weshalb die unmittelbar nach dem Kalben
genommenen Proben an Fett und Milchzucker arm sind. Wenn dann
die Reizwirkungen der Geburt im Schwinden begriffen sind, was beim
Büffel bereits nach 24 Stunden eintritt, wird der Nervenreiz durch die
Mattigkeit der Erschöpfung gemäßigt, auch die Sekretion wird langsamer,
und der Proteingehalt der Milch nähert sich mittels allmählicher Abnahme
der normalen Zusammensetzung. In den ersten 24 Stunden beträgt die
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 125
Abnahme 3 bis 4°/,, in den darauffolgenden 24 Stunden ist sie bereits
so bedeutend, daß die Zusammensetzung der Milch im Endresultate sich
der normalen Milch nähert. Der Proteingehalt scheint auch 21,540°/,
zu überschreiten, indem wir in der Milch von Zsuzsi (Tabelle VI) un-
mittelbar nach dem Kalben 22,728°/, Protein vorfanden, welches Quan-
tum binnen 24 Stunden auf 4,754°/, fie. Nach dem Kalben konstatierten
wir 48 Stunden lang in sämtlichen Milchsorten eine regelmäßige Abnahme
der Proteine, später zeigten sich schon die bei den normalen Milchsorten
wahrnehmbaren täglichen Schwankungen. Diese Schwankungen sind
unserer Erfahrung gemäß in Zusammenhang mit der Änderung des Fett-
gehaltes, wovon weiter unten beim Fettgehalte die Rede sein wird.
Der Fettgehalt.
Es ist eine viel schwerere Aufgabe, einigen Zusammenhang zwischen
dem Fettgehalt der nacheinander folgenden Milchproben festzustellen,
weil das Fett den einzigen Bestandteil der Milch bildet, der — wie
bereits Fleischmann bemerkte — in seinen Schwankungen den größten
Maßstab erreicht, der weder durch die individuellen Eigenschaften der
betreffenden Gattung oder des Individiums, noch durch die Qualität des
Futters, oder durch den bekannten Einfluß der Melkungs- oder Laotations-
periode erklärt werden kann. Und der Grund davon ist, daß die kleinste
Erschütterung oder Kommunikationsstörung des Nervennetzes, von wel-
ehem die sekretorischen Drüsen innerviert werden, auf den Fettgehalt
den größten und empfindlichsten Eindruck ausüben. Besonders beim
Büffel, dessen launenhafte Empfindlichkeit den Fachleuten, die sich mit
Büffeln befassen, wohlbekannt ist, können die Grenzen der Schwankungen
des Fettgehaltes sehr weit sein. Das Tier wurde beispielsweise einmal
neben den Stier gestellt, wodurch die Zusammensetzung der Milch bereits
in einem Tage folgende Veränderung aufwies:
Bpeziflsches Fett Trocken Asche Stickstoff Protein Zucker Refraktion
lo lo WË % lo %o Serums
I. 1,0354 6,701 16,772 0,8222 0,6079 3,872 4,979 46,3
TI. 1,0322 4,825 13,861 0,719 0,6735 4,291 4,424 45,0°
Der Fettgehalt der Milch hat demnach um 2°/,, der Zuckergehalt
um 0,5°%, abgenommen, der Proteingehalt ist um 0,5°/, gestiegen.
Wenn nun die auf die Bildung der Milch bezüglichen Ansichten über-
haupt variieren, so ist das in noch erhöhtem Maße bei den Hypothesen
derAusscheidung und der Art der Ausscheidung des Fettes der Fall. So
scheint die Frage noch unentschieden zu sein, ob das von den Brust-
drüsen zu Miloh umgestaltete Fett hauptsächlich aus Protein, oder direkt
aus dem Fette des Futters, oder gar indirekt aus dem Fette des Körpers
entstehe und ob bei der Entstehung die Kohlenhydrate als unterstützende
Faktoren figurieren?: Ferner ist der quantitative Einfluß der einzelnen
erregenden Impulse auf die Tätigkeit der Drüsenzellen unbekannt, dessen
126 F. Baintner und K. Irk:
ererbte instinktive Disposition der konstante Faktor der den Nähr- und
Transformationsstoffen entstammenden Fettbildung ist. Hier wollen wir
uns bloß auf die Forschungen von Pettenkofer und Voit (Zeitschr.
f. Biol. 1879) beziehen, weil es uns gelungen ist, auf Grund derselben
eine gewisse Gesetzmäßigkeit festzustellen bezüglich des einzigen, dem
Anscheine nach nicht regelmäßig wechselnden Bestandteiles, nämlich: des
Fettes. Nach Caspari, Soxhlet und Hansen entstammt das Milch-
fett einesteils direkt der Ausnützung des Fettgehaltes der Nahrungsstoffe,
andernteils aus der indirekten Verwertung, indem im letzteren Falle der
Körper ein entsprechendes, von der Individualität des Tieres abhängiges
Quantum Fett der Milch übergibt, und der Fettgehalt des Nährstoffes
ersetzt demnach das verbrauchte Körperfett. Letztere Ansicht bestätigte
Caspari mit einem am Hunde angestellten Versuche, wobei 23°/, des
verabreichten Jodfettes unverändert der Miloh übergeben wurden. Vom
Standpunkte des Zweckes unserer Forschungen sind die Versuche Voits
von viel größerer Bedeutung, laut welchen das Eiweiß im tierischen
Körper unter normalen Verhältnissen zu Fett umgestaltet werden kann,
und zwar derart, daß das Protein in zwei Teile, in einen stickstoffhaltigen
und einen stiokstofffreien Teil gespalten wird, deren letzterer zu Fett
umgeformt wird.
Auf Grund seiner an Hunden und Kühen angestellten Versuche
stellt Voit als Endresultat fest, daß infolge der erwähnten Trans-
formation des Proteins ein entsprechendes Quantum eiweißreichen Futters
vollkommen genüge, damit das Tier fettreiche Milch liefern könne,
Jantzen (Centralbl. f. Physiol. 1901, 505) fütterte Ziegen mit Jodoasein
und erhielt in der Milch Jodfett, durch welchen Umstand, resp. durch
welche experimentelle Tatsache letztere Hypothese unterstützt wird, und
so ist es erklärlich, daß ein Teil des sich auflösenden Eiweißes zu Fett
umgeformt wird, wodurch das frei gewordene Jod sofort gebunden wird.
Auf dieser Grundlage läßt sich die in den ersten 24 Stunden auf-
tretende große Veränderung des Colostrums erklären und kann etwa mit
der regelmäßigen Abnahme der Proteine in kausalen Nexus gebracht
werden.
Die folgende Tabelle VIII zeigt die Fettprozente der Colostren und
Tabelle IX den Zusammenhang, der zwischen den quantitativen Schwan-
kungen der beiden Bestandteile (Protein und Fett) besteht, und dessen
Regelmäßigkeit auch bei den normalen Milchsorten, aber speziell bei den
unmittelbar nach dem Kalben gewonnenen Proben auffallend ist.
Das größte Schwanken des Fettgehaltes ist daher in den ersten
15 bis 20 Stunden wahrzunehmen, da die mit nachträglichen Nerven-
induktionen wechselnden Geburtsreize von der maximalen Oszillation bereits
im Rückfall, im Wiederkehr zu dem normalen Ruhezustand begriffen
sind. Im Anschlusse an diese Erfahrung dünkt uns auf Grund der
herrschenden Theorien die relative Quantität der Colostrumbestandteile
und deren Verhältnis zueinander auf folgende Weise erklärlich.
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 127
Tabelle VIII.
1] 1) 5,3001 — | — U 4946| 114,7597| 1 | 1,247 Isogleich' 3,168
2i—ı — Jual — lz) — I-| — la — 3 13,726
ln — 8 | 7,4404] — | — 5 10,392 | —| — 5 |12,072
4|—| — |—| — I—| — 112:115202|— | — 12 7,898
5I—| — |14| 7856| —| — ll — 1165| 5692 | — —
6|—; — 11910001117 7,5861 — — la) — 20 7,489
7124| 605I|—| — I—| — 14| 81183I—| — 25 7,850
Su — I—| — 129i 5598! — | — I—| — — —
9I—| — 132| 7,137|—| — 136) 6,551132| 6,575 37 5,428
191I—ı — |44] 7,708]41 |11,012I—| — 1|44| 6,9501 45 6,658
11148 5,233] —| — I—| — |48| 6,395| — | — 50 6,061
121—| — 156| 6,433153| 5,602|— | — 156| 5,366 | — —
131— | — I—! — 1651 6849| —| — I—| — — —
14| —| — 168| 6154 — Juni — 168 5,859 | 70 4,982
15I—| — I—| — 177| 5371172 62682 1 — 75 6,059
16 | 82 | 4,986 | 82 | 7,413] — | — 184! 7,994 | 80 | 8,937] — —
DI — 94| 5741— | — Lal — I—| — — —
18I—| — I—| — [101 5,806|—] — I—|ı — 100 | 7,397
191106! 6,134 | — | — I—| — [108 5871| — | — — —
2I—| — I—| — 11136,3795 —| — I— — 112 | 6,314
21 |—; — 1118| 6898857 I—| — I—| — 1116| 9411| — —
2I—-ı — I—| — Jual — |—| — I1-| — 124 | 7,877
23 1130| 6,385 |130| 58,571I— | — I—| — 1128| 680081 — —
241 —— — I—-| — I-| — I-| — I—-| — 136 | 5,744
25 154) 6,8021 —| — I—| — I—-| — I—| — — —
261178; 7,031] — | — I—| — I-| — I2 — 172 | 6,722
271—|ı — I—-| — I—| — Tei — ul — 184 | 7,111
28 — — Lui — |—| — I1-| — Jl — 196 | 7,070
Tabelle IX.
8
8
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55
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As
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L| 19,916| 7,4404|19,603 '
IL] 14,359! 7,856 | 9,354
4,946 19,773 4,7597| 19,766:1,247| 22,728; 3,168
II. 12,992'10,001 7,014
7,586| 16,529 10,392 | 16,528:5,692| 16,705, 13,725
5,569] 12,570115,202 | 10,142|6,575| 13,975! 12,072
l
128 F. Baintner und K. Irk:
Unter Einwirkung der bedeutenden Nervenreize während des Kalbens
bedingt die unter dem vasomotorischen Einflusse des Nervus spermaticus
internus auftretende rasche Serumsekretion ein rapides Zunehmen der
Konzentration und des Gehaltes an Protein, soweit es der Umfang der
Euterlumina (mechanische Rückwirkung) und die Lösbarkeit der Be-
standteile gestatten. Dieser Zustand ist im ersten Stadium der Bildung
von Colostralmilch vorherrschend. Der mechanische Druck der bedeu-
tenden osomotischen Konzentration erweitert dann — wie wir es
bereits gesehen — das Lumen des Alveolus, reduziert die Drüsenzellen
auf das primäre Stadium, was auch der Ansicht von Bizzozero und
Vassale entspricht, laut denen die Milohsekretion, resp. die Ausbildung
des Heidenhainschen hohen Epithels von der Fülle der Alveolen ab-
hängig wäre, indem die Epithelzellen gelegentlich der Kontraktion der
Alveolen gedehnt, und mit Erweiterung derselben wieder erweitert werden.
In letzterem Zustande ist die aktive Tätigkeit der Zellen auf das Mini-
mum beschränkt, demnach wird auch die Ausscheidung von Fettkugeln
auf das Minimum -reduziert. Daher stammt der relativ geringe Fett-
gehalt der zuerst gemolkenen Colostralmilch. Hierauf kann auch der
Umstand von Einfluß sein, daß sich die Zellen eigentlich in schlaffem
Zustande, andernteils unter großem Drucke befinden. Außer der aktiven
Tätigkeit der Zelle ist nämlich auch eine gewisse intracelluläre Spannung
dazu nötig, damit die zufolge der Flächenspannung anhaftenden Fett-
körper abgelöst werden können.
Nachher folgt das erste Saugen des neugeborenen Tieres. Das Euter
entleert sich, die Spannung der Milobgänge, der Cysternen hört auf. Die
Alveolen kehren rasch von der infolge des Druckes eingetretenen Er-
weiterung in die ursprüngliche Lage zurück, ihre aktive Tätigkeit beginnt,
das in den Zellen angesammelte Serumeiweiß wird zu Fett rasch ver-
arbeitet, und hierdurch, möglicherweise auch mit Zunahme des mit den
Nährstoffen aufgenommenen Fettes, wird der Fettgehalt des Sekretes
bedeutend erhöht.
Dieser Prozeß geht infolge des raschen Schwindens des Druckes
entgegen dem normalen Verlaufe so rasch von statten, daß der Gehalt
an Trockenstoffen in manchen Fällen (z. B. die Milch von Märgyala) von
28,4890/, auf 32,063°/, oder (z. B. die Milch von Zsuzsi) von 29,644°/, auf
32,755°/, erhöht wird. Einesteils der osmotische Druck des in die Milch-
höhlen gelangten größeren Quantums Fett, andernteils die gesteigerte Trans-
formation der Proteine verursachen eine beträchtliche Verminderung des
Proteingehaltes des Sekretes. Diese Annahme wird auch von der Er-
fahrung bestätigt, daß das umgekehrte Verhältnis in der Änderung der
erwähnten zwei Bestandteile des Sekretes in den meisten Fällen zu kon-
statieren ist.
Eine weitere Folge der aktiven Tätigkeit der Zellen ist auch die
Zunahme von Milchzuoker, die mit dem Fette gleichzeitig ein, wenn auch
allmähliches, aber stetes Steigen aufweist. Auch das Verhältnis der Protein-
bestandteile erleidet eine Umänderung, indem das Casein auf Kosten des
Albumins zunimmt, da ein Teil desselben vom Nuclein der Zellkerne
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmiloh. 129
gebunden wird. So ist es erklärlich, daß die zweite Milch fettreich ist,
der Zuckergehalt zunimmt, der Proteingehalt abnimmt, und daß die
Quantität des Caseins auf Kosten des Albumins wächst. Das wiederholt
sich auf obige Weise, bis die Milchbestandteile in labilen Gleichgewichts-
übergängen die normale Zusammensetzung erreichen.
Die Wahrscheinlichkeit unserer zuvor dargelegten Annahme wird
durch die Untersuchungen von Erlenmeyer, Hendel und Mühlbach
bestätigt, ferner durch die allgemein bekannte Tatsache, daß die Milch
in kürzeren Zwischenräumen gemolken, an Gehalt an Trockenstoffen zu-
nimmt, im entgegengesetzten Falle aber, wenn sie in dem Euter längere
Zeit verbleibt, verdünnt wird (siehe Tabelle X und XI). Je öfter die
Milchlagunen entleert werden, desto bedeutender ist die Bildung von
Fett, Eiweiß und Zucker usw., da mit Verringerung des auf die Alveolen-
wand geübten osmotischen und mechanischen Druckes auch der Druck
schwindet, der auf die Tätigkeit der Epithelzellen hemmend wirkt; bei
längerem Stehen hingegen übt das angesammelte Sekret einen mecha-
nischen und zufolge der. Konzentration einen osmotischen, bzw. hemmen-
den Einfluß auf die Milchdrüsen, die Transformation von Eiweiß, Fett,
Zuoker usw. nimmt ab, und die Milch wird allmählich immer dünner.
Tabelle X.
(Hendelund Mühlbach, Landwirtschaftliche Versuchsstation 906, S. 455.)
un E n E
Das Melken abends | $ -© | Das Melken früh ck Das Melken früh
8 Uhr £ E 4 Uhr £ 5 4 Uhr
I. A Si II. A = IH.
Milch Fett Milch Fett Milch Fett
(Die I. Rubrik weist den Fettgehalt einer nach 4stündigem, kurzem
Zwischenraume gemolkenen Milch; die darauf folgende II. Rubrik zeigt
die Werte einer nach längerem, 8stündigen Intervalle gemolkenen Milch;
die III. Rubrik zeigt wieder die entsprechenden höheren Werte eines
4stündigen Intervalles auf, wie das auf Grund unserer oben erörterten
Ansicht kausalerweise folgt.)
Biochemische Zeitschrift Band 18. 9
130 F. Baintner und K. Irk:
Tabelle XI.
Der vom letzten Melken | ; |] K
: S Feste Bestandteile Feste Bestandteile
en | der ersten Milch der letzten Milch
12 | 9,90 | 11,82
6 12,80 i 16,06
5 11,40 17,70
Thanhoffer: Histologie
Daß in der Frauen-, Kuh- und Büffelmilch bezüglich des Ver-
hältnisses und der quantitativen Änderung der Bestandteile ähnliche Be-
ziehungen obwalten, bestätigt nur die Richtigkeit unserer Annahme. Die-
selbe wird durch jene Erfahrung keineswegs entkräftigt, wonach im Co-
lostrum des Schafes und der Ziege der Fettgehalt anfangs hoch ist und
später abnimmt, da die vielen Proteintrockenstoffe und wenig Zucker
für dieselben charakteristisch sind. Diese im Fettgehalte der ersten
Milchsorten obwaltende Differenz kann durch die abweichende chemische
Konstitution des Blutserums, durch die Änderung der Konzentration
des Sekretes und der dadurch bedingten Druckänderung und noch auf
mehrere andere Weisen erklärt werden, und was die theoretische Grenze
der einzelnen Werte sein mag, kann bloß durch entsprechende Experi-
mente bzw. durch deren Resultate entschieden werden.
Im Zusammenhang mit dem Fettgehalte der Milch bot sich als
interessantes Experiment dar, die Größe der Fettkügelchen, ihre Zahl
in L cmm Milch festzustellen, und besonders, von welchem Einflusse die
Änderung des Fettgehaltes auf die Zahl der Fettkügelchen sei. Als Meß-
instrument wurde das Okularmikrometer von Reichert verwendet, dessen
Werte mit einem Objektivmikrometer verglichen — von Fall zu Fall
der gebrauchten Vergrößerung entsprechend umgerechnet wurden. In der
Büffelmilch fanden wir Fettkugeln im Durchmesser von 1 u (Mikron) =
(0,001 mm) — 15 « Mikron (0,015 mm).
In den ersten Milohsorten fanden sich sehr viele, kleine Fettkugeln
von 2 bis 3 Mikron Durchmesser, später überwiegen entschieden die
größeren im Durchmesser von 7 bis 9 Mikron und dieses Verhältnis ver-
bleibt konstant mit kleineren oder größeren Schwankungen bis zu Ende.
Etwas umständlicher war das Verfahren, das wir zur Zählung der
in 1 omm vorhandenen Fettkugeln eingeschlagen haben.
Der Apparat von Professor Thoma, der zur Zählung von roten
und weißen Blutkörperchen dient, war nur mit einem gewissen Kniffe
za verwenden. Die Fettkügelohen schwimmen nämlich im Gegensatz zu
den Blutkörperchen auf der Oberfläche der Flüssigkeit, weshalb die-
selben zufolge der verschiedenen Distanz von dem Focus, mittels des
Zählnetzes, das auf den Boden der Zählkammer eingestochen ist, nicht
beobachtet werden können. Die Fettkügelchen werden durch die zur
Verdünnung der Milch verwendete Kochsalzlösung noch mehr vom Zähl-
netze entfernt; die Kochsalzlösung wurde mit einem dem Serum ent-
sprechenden spezifischen Gewichte zur Verdünnung der Milch verwendet,
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 131
damit eine bedeutendere Änderung des osmotischen Druckes resp. des
Dissoziationsgrades nicht etwa den Zerfall der Fettkugeln verursachen möge.
Diese Schwierigkeit konnten wir durch Anwendung von Osmium-
säure (OsO,) beheben, weil das spezifische Gewicht der Fettkugeln durch
das von dem Fett reduzierte reine Osmium derart erhöht wurde, daß
eich dieselben auf den Boden der Kammer, demnach auf das Zählnetz
lagern, wodurch sie wahrgenommen und vermöge der dunkleren Färbung
leichter gezählt werden können.
Auf Grund des Gesagten bewerkstelligten wir die Zählung in fol-
gender Weise: Von der Kochsalzlösung, die ein dem Serum entsprechendes
spezifisches Gewicht besitzt, wurden 199 com abgemessen und in dieselbe
L com der zu untersuchenden, gut aufgerüttelten Milch eingeträufelt, dann
wurden die beiden Flüssigkeiten gut geschüttelt. Von dieser Mischung
wurden 3 bis 6 com auf ein Uhrglas gegossen, mit einem anderen be-
deckt, dessen Innenfläche mit einem Tropfen einer 1°/,igen Osmium-
säurelösung benetzt wurde. Nach einstündigem Stehen wurde die Glas-
kammer mit der den Osmiumdämpfen ausgesetzten Milch gefüllt, die
vorher tüchtig geschüttelt wurde, damit sich die niedergeschlagenen Fett-
kugeln gleichmäßig verteilen, dann wird die Objektivplatte darauf ge-
gegeben, mit gehöriger Achtsamkeit, damit in der Kammer keine Luft-
blase sei. Hierauf überzeugen wir uns mittels geringer (70facher) Ver-
größerung davon, ob die Fettkugeln gleichmäßig verteilt sind, dann be-
ginnen wir bei 450 bis 500facher Vergrößerung mit der Zählung der
Feitkörper. Wir zählten stets den Inhalt von 9 bis 16 Quadraten und
wiederholten 4 bis 5mal die Berechnung an einer stets anderen Stelle
der Kammer, weil die Bestimmung desto verläßlicher ist, je mehr
Quadrate gezählt werden. Die auf ein Quadrat entfallende Durchschnitte-
zahl ist durch eine Division mit 9 bzw. 16 leicht zu berechnen. Wenn
wir nun letztere Zahl mit 4000 und je nach dem Grade der Verdünnung
noch mit 100 bis 200 multiplizieren, so entspricht das Produkt ungefähr
der Zahl der in 1 cmm befindlichen Fettkugeln. Die folgende Tabelle
weist den Fettgehalt und die Zahl der Fettkugeln von 1 omm Milch der
Büffclkuh Zsuzsi während der ersten 8 Tage nach dem Kalben auf.
Tabelle XII.
233
238 Zahl Zahl
e Bu der Fettkugeln der Fettkugeln
= = inlcmm Milch in 1 cmm Milch
FE
Owu a A Era Laufende Nr.
|
132 F. Baintner und K. Irk:
Laut Ergebnis der mitgeteilten Daten besteht zwischen dem Fett-
gehalte und den in 1 omm enthaltenen Fettkugeln nicht jener enge Zu-
sammenhang, der etwa zu erwarten wäre, indem die Zahl der Fettkugeln
in Milchsorten des nämlichen Fettgehaltes sehr verschieden sein kann.
Das fällt besonders dann auf, wenn wir die 1 oder 2 Tage nach dem
Kalben gewonnenen Milchsorten von diesem Standpunkt mit den letzthin
gemolkenen Milchsorten vergleichen, während die Colostra und die nor-
malen Milchsorten gleichen Fettgehaltes bezüglich der Zahl der Fett-
kugeln untereinander geringere Differenzen aufweisen. Der Grund davon
muß der verschiedenen Größe der Fettkugeln, ferner jenem Umstande
zugeschrieben werden, daß, während die Fettkugeln in einem Falle, z. B.
in dem Colostrum, nahezu ausnahmslos sehr klein sind, in der normalen
Milch die größeren häufiger vorkommen, wenn auch das Verhältnis zwischen
denselben nicht konstant ist; daher kommt es, daß die Zahl der Fett-
kugeln in 1 omm Milch trotz zunehmenden Fettgehaltes oft abnimmt.
Auf Grund obiger Tabelle kann überhaupt gesagt werden, daß in dem
Colostrum des Büffels jedem Prozente Fett eine Million, in der normalen
Milch aber ungefähr 0,5 Millionen Fettkugeln entsprechen. Die zwischen
dem Colostrum und der normalen Milch auch diesbezüglich konstatierbare
bedeutende Differenz dürfte ihre physiologischen Gründe haben.
Wir wollen schließlich noch erwähnen, daß die ätherische Lösung
des Fettes sich in zwei separate Schichten absondert, nämlich in eine
dunkelgelbe, diekere untere Schicht von größerem zpezifischen Gewicht,
und in eine über derselben schwimmende, hellere, gelbe Schicht. Im ge-
sohmolzenen Fette befinden sich außerdem auffallend dunkelbraune
Tropfen, die bald zusammenfließen, bald gesondert im Fette schwimmen.
Ob sie bezüglich des chemischen Baues voneinander differieren, ist einer
besonderen Untersuchung zu entscheiden vorbehalten.
Gehalt an Trockenstoffen.
Der Gehalt an Trockenstoffen der Colostralmilch ist anfangs zufolge
der vielen Proteine, später zufolge des rasch zunehmenden Fettgehaltes
außerordentlich hoch. Die Steigerung erreicht in den ersten 15 bis 20
Stunden das Maximum (siehe Tabelle XIX), wie es unseren vorher-
gehenden Erörterungen nach zu erwarten war. Das allmähliche Zu-
nehmen des Zuckergehaltes entgegen dem rapiden Falle der sonstigen
Bestandteile beeinträchtigt die Abnahme der Trockenstoffe keineswegs;
Die Bestimmung derselben erfolgte mittels Quarzsand und Gips bei
100 bis 150° C; übrigens wird der weißlich-gelbe Rest rasch gebräunt
und gibt Anlaß zu Fehlern.
ufende Nr.
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch.
Trocken-
substans
Tabelle XIII.
133
Trocken.
substanz
ıl 1 31,528|—| — 1 128,484 | 1 (24,092 |sogleich 29,644
=, el ee Jä Ze Ae 195
3I—| — |8 129,93| —| — 5 30,688] —| — 5 129,259
ar ee (tg 32,063 —| — | ı2 lıss32
5I—| — {[14i2%,866|—| — I-, — l15:25,935|] — | —
6i —| — 119 128,867 117 21,037I— | — I—| — 20 117,696
7124 115,8701— | — li — (Sé 120,043| —| — 25 !18,182
I) — |—| ee — |-| = | = —
9I—| — [32 |19,078]—| — {36/17,431|32/'20,788| 37 15,917
ol li — 144117745 |41 22,294 |—| — las 18,813) 45 [16,465
11 las 114,778I— | — Li — Isslıza0|—| — | 50 [16,202
al ji 156 17,689 | 53 116,679]|—| — 656 16,9611 — | —
ı3I-| — I—-| — Isslıssel—| — -| - I — | —
141—| — 168 l18327I—| — I—| — .les)16,747| 70 115,511
15I—! — Lu — 177115,859 | 72 |16,270I1 — | — 75 116,493
16 | 82 115,130 | 82 118,231 I— | — |s4lı6,500|80 184114] — | —
ek =: 194166941 |): =. Je we ht | éen E vg
ı8sI-| — I-| — horlısoe2|—-| — |—-! — | 100 !17,809
19 [106 16742 | Li — hoslısoal—| — | — | —
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21I—| — 111816,161|—| — — — [116117,608]| — —
2|—| — |—| ee — |—| — |—| — |124 18,560
23 |130|17,326 {130,16,179 | — | — ll — 112817, 28s51 — —
241 —) — I—| — le) — I—| — |—| — 136 17,656
3115417,581—-| = J= —
26 1178117,5355 1 — | — I—| — |—]| — I—| — 172 18,447
Gah eg, desch ee ee zeg, ee ee 484 117,088
28sI—| al — ll — al — |—]| — 196 |17,925
Zuckergehalt.
Die Bestandteile, wodurch die Fehlingsche Lösung reduziert wird,
sind in den ersten Stunden am geringsten, sie nehmen aber allmählich
und stufenweise zu (siehe Tabelle XIV) und erreichen schließlich nach
ungefähr 37 bis 48 Stunden die normale Grenze (4,073%/,, 4,138°%/,,
4,341°/,, 4,382°/,, 3,830°/, und 4,149°/,). Der Zucker bildet nebst dem
Protein den am regelmäßigsten veränderlichen Bestandteil des Colostrums,
er nimmt aber im Gegensatz zu demselben stufenweise zu, während das
Protein stufenweise abnimmt. Der Zusammenhang zwischen dem regel-
134 F. Baintner und K. Irk:
mäßigen, aber entgegengesetzten Variieren dieser beiden Bestandteile ist
mehr als wahrscheinlich; auf Grund unserer heutigen Kenntnisse ver-
fügen wir aber kaum über eine akzeptable Hypothese.
Tabelle XIV.
4,214
17I—| — |94| 201|—| —
18I—| — I—| — DO 4743| —
19 1106| 4,223 |—| — |—| — Ho
2|—| — |—| — [113] 4,541 | —
21l—| — [118 4,626|—| — I—
21 — — — — — — —
23 [130| 4,369 |130! 424651 | — |—
DAN e, HE. Sa el oe as
25 |154| 4,5851 —| — I—| — I-
2611781 4,885 I — | — I-| len
gi — I—| — el — I—
98 fanl ui est et ze ee
Laut Tierfelder geht der Vorgang auf fermentativem Wege von
statten, indem das Ferment in den Drüsenzellen an dieselben gebunden
verbleibt und bloß der transformierte Zuckerbestandteil frei wird. Diese
Annahme wird durch das konstante Steigen des Zuckergehaltes entgegen
der regelmäßigen Abnahme des Proteins unterstützt. Nach E. Fischer
soll der Milchzucker aus dem Dextrosegehalte des Blutes durch eine
stereochemische Umänderung entstehen. Nach dieser Richtung hin sind
Experimente im Zuge.
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch: 135
Welche Hypothese immer sich bewahrheiten sollte, sie steht zu
unserem dargelegten Standpunkt im Endresultate in keinem Gegensatz.
Die Bestimmung des Zuckers erfolgte in jedem Falle nach dem
Verfahren von Ritthausen; es wurde nämlich nach erfolgtem Nieder-
schlage des Proteins aus dem Gewichte des mit der Fehlingschen
Lösung reduzierten Kupfers die reduzierende Lactose berechnet.
Tabelle XV.
e m eee e e — —
, Laufende Nr.
(ln — — 1,0605
le sn Tl 1,0545
3l—-! — | | 1,0687 5 1,0452
lei ze Hei e 1,0342
sl — 14) 1,0450 =
6eļ—| — [19 1,0449 = 1,0330
7124 1,03335|—| — |— 24 —
sI-! — Lu — [2 10398|—| — 1,0332
oi — [32|1,0355|—| — |36| 1,0350 1,0358
10[—| — 14| 1,0330|41|1,0333|— | — 1,0348
11 |48 1,0327 I—| — |—| — |ss| 1,0352 1,0341
al TI 156[/1,0320[53|1,000|—, — =
3|—-! — I-| — ļl65|10338|—| — =
Wl — |I8110886]—-| ll — 1,0331
15I—| ll — 177! 1,0345 | 72 | 1,0330 1,0330
16 | 82 11,03632|82 | 1,0340 |— | — |s4 =
—— 94 | 1,0345 | — | —
1,0335]— | —
|
|
bel
©
pat
1,0332
19 1106 1,03564 | —] — |I—-| — —
20|—| — —— |l131,0350|—| — 1,0349
21]—| — [118 1,0345 —
21— — I|I-| — 1,0346
23 [130 1,03601 U 301 1,0355 —
24| —| — — — 1,0345
25 |154 1,03618 | —| — —
26 |178 1,03550 | — | — 172, 1,0363
DI: — — — 184 1,0366
281 — — — — 196 1,0380
i
Spezifisches Gewicht.
Im Laufe unserer Forschungen erhielten wir das höchste bis jetzt
im Colostrum festgestellte spezifische Gewicht, dessen Wert in einem
Falle auf 1,07445 (siehe Tabelle XV) stieg; dann nähert es sich mit
136 F. Baintner und K. Irk:
konstantem Sinken dem Durohschaittswerte. Auffallend ist es, daß die
Zunahme des Gehaltes an Trockenstoffen in mehreren Fällen (siehe z. B.
die Milch von Märgyala, Tabelle IV) von keinem ähnlichen Einflusse
auf das spezifische Gewicht der Milch ist, im Gegenteil, das spezifische
Gewicht nimmt noch ab. Das erfolgt nämlich in solchen Fällen, wenn
die Zunahme der Trockenstoffe durch eine Vermehrung des Fettquantums
verursacht wird. Als Beweis hierfür dient, daß die Steigerung wie
auch das Sinken des spezifischen Gewichtes den Änderungen der fett-
freien Trockenstoffe getreu folgt, wie das aus dem Vergleiche der Rubriken
von fettfreien Trockenstoffen und des N Gewichtes erhellt
(s. Tabellen I bis IV).
Gehalt an Asche.
Der Aschengehalt der unmittelbar nach dem Kalben gemolkenen
Milch ist am höchsten (s. Tabelle XVI), nachher folgt eine kurze Ab-
nahme, dann wieder eine konstante Zunahme, schließlich verbleibt er
innerhalb der Grenzen normaler Schwankungen konstant. Eigentümlich
und erwähnenswert ist es, daß das Wechseln desselben von dem
Quantum fettfreier Trockenstoffe und der Milchbestandteile unabhängig
ist, so weist z. B. der Aschengehalt oft, wenn auch die fettfreien Trocken-
stoffe eine Zunahme zeigen, eine Abnahme auf (s. Tabellen I bis VI).
Die Refraktion des Colostralserums.
In Ermangelung eines entsprechenden Apparates war Herr Ernst
Losonczy, königlL Chemiker, so freundlich, in der staatlichen chemischen
Versuchsstation zu Kolozsvär die Refraktion des Serums von Büffel-
colostren mittels des C. Zeißschen ‚„Eintauchrefraktometers“ zu be-
stimmen. Die Skala erstreckt sich von — 5 bis + 105 = n. D. 1,325 39 bis
1,36640. Jede einzelne Bestimmung wurde bei 17,5°C vollzogen. Das
destillierte Wasser hat bei 17,5° C = 15 Refraktiometergrade — 1,333 24
n. D., welch letztere Zahl den „Refraktionsindex“* in bezug auf eine
D-Strahlen- Beleuchtung bezeichnet.
Die Daten der Tabelle XVII beziehen sich auf die Milch der
Büffelkuh VI. Zsuzsi.
Die Refraktion des Serums von normalen Büffelmilchen befindet
sich daher zwischen 45 bis 50 Refraktometergraden.
Letzthin hat Dr. C. Schnorf Kuhcolostren behufs Bestimmung der
Leitungsfähigkeit, des Sinkens des Gefrierpunktes und der refrakto-
metrischen Werte untersucht, und er beobachtete entsprechend der beim
Büffelcolostrum konstatierbaren bedeutenden Änderung, daß die Leit-
fähigkeit und das Sinken des Gefrierpunktes innerhalb der ersten
8 Stunden, also meist bei dem Entnehmen der zweiten Probe abnormal
hoch steigen (z. B. von 46,75 >< 10% auf 60,90, sogar auf 66,14 >< 104),
dann sinken sie allmählich bis zum normalen Wert. Die zwischen beiden
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch.
Tabelle XVI.
137
*
2
8
£
3
ılı !o910[—| — |1[/0,857| 1 | 1,041 | 1 | 1,056 |sogteich| 0,829
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3|—| — |sjoss|—| — [5 0.9706 | — | 5 | 0,87
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ser GG er ee
9|—| — |s2!0,83]—| — 136 | 0,866 |32| 0,904 | 37 | 0,895
10|—-| — |as| 0,896 |aı 0,816 |— | — |44|0,908] 45 | 0,883
11 |48 | 0935 || — |— 48| 0,871 |—! — | 50 |0872
12|—| — |se| 0,833 |53 | 0,886 |— | — 56 | 0967| — | —
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14|—| — |es|0o,920|—-| — |-| — |es| 0,955 | 70 | 0,951
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16 | 82 | 0,960 | 82 | 0,958 |— | — |s#| 0,03 [so 0961| — | —
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ıs|—-| — |-| — Wolongëi-t — |—| — | 100 | 0,966
19 |106; 0,988 I— | — |—' — Jioslosıs|-| — | — —
on) (Li Is 0,925|—! — |—| — |12 | 0,52
21|—-| — [us 097|—-| li — meom] — | —
E E EE EE GE CR
23 |130| 0,982 |130! 0,928 |—; — = — |128 0988| — | —
a= — I-! - ll ln Li — [| 186 | 0,913
25 |154| 0,979 |—] — — le de = Zul Ae
26 178 0,914 |—| — — — |—. — |—| — | 172 [0,978
27 = Ze, el a = = =) — | 184 | 0,939
Set — — je — |—! — |-| — | 1% | 0,92%
Colostren herrschende Analogie ist sehr auffallend, nur besteht der Unter-
schied, daß im Büffelcolostrum das plötzliche Steigen des Wertes nicht
mit der Zahl der nach dem Melken verstrichenen Stunden, sondern mit
der Zahl des Melkens in Zusammenhang steht. Der Salzgehalt des Colo-
strums aus der Milch ist nahezu der nämliche; daß die Leitfähigkeit
trotzdem so gering ist, ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die Dis-
soziation der Ionen durch das unverhältnismäßig große Quantum des
nicht elektrolytischen Caseins und Albumins verringert wird.
138 F. Baintner und K. Irk:
Tabelle XVII.
Zahl der
S 5 E e
s cb Stunden vom z e E Stunden vom ;
Ge S Kalben Eis S Kalben Refraktion
z SS gerechnet SE © | gerechnet
N
1 sogleich 58,0 11 70 46,3
2 3 56,0 12 75 45,5
3 5 62,0 13 — —
4 12 52,0 14 100 46,4
5 20 54,0 15 112 45,2
6 25 51,0 16 124 45,0
7 37 = 17 136 45,1
8 45 45,0 18 172 46,0
9 50 45,5 19 184 45,8
10 — — 20 196 45,0
Sohnorf erhielt keinen Zusammenhang einesteils zwischen den
Werten der Leitfähigkeit und Sinken des Gefrierpunktes einerseits, zwischen
den refraktometrischen Werten andererseits. Beim Büffelcolostrum offen-
bart sich die bedeutende Veränderung der Zusammensetzung der Milch
auch in der auffallenden Anderung der Refraktion des Serums.
Auf die Bestimmung der Leitfähigkeit und des Sinkens des Ge-
frierpunktes des Büffelcolostrums konnten wir in Ermangelung ent-
sprechender Apparate nicht eingehen.
Tabelle XVIII. Die durchschnittliche Zusammensetzung der Colostral-
milch der Frau und einiger Tiere.
gl Ursprun
Name Wasser Protein Fett |Zucker| Asche en ns B Sg der ana-
| Me E lytischen
Gehalt in Prozenten Daten
| | |
milch |84,30 2,942 0,340 15,70 |
— 248 11,78 — — į Eugling!)
Schafs- |
milch 24,976 9,419 2,000 0,826 140,002 11,07982| Dr. Baintner
Katzen-
milch 81,63 | 9,08 13,33 14,91 :0,58 — — | König
Büffel-
1,07038 Dr. Baintner,
milch [71,4777 20,5543 4,6448 2,1253 0,92518 28,5223 Dr. Irk
| | | |
1) Der oben besprochene Zusammenhang kann bezüglich der bisher
genauer untersuchten Milchsorten für allgemein gelten, indem die in
letzterer Zeit von Dr. M. Siegfeld (Colostrum-Analysen, Molkerei-Zeitg.
908, 1293) publizierten Angaben:
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 139
Resumé.
Die physikalischen Eigenschaften und die chemische Zu-
sammensetzung des Büffelcolostrums entsprechen im großen
ganzen dem Colostrum der übrigen derzeit bereits untersuchten
Wirbeltiere. Demnach ist der Proteingehalt der ersten Milch
außerordentlich hoch (19 bis 22°/,), der Gehalt an Fett (l bis
7°/,) und an Zucker (2°/,) hingegen gering; der Proteingehalt
weist dann schon nach Verlauf von 24 Stunden eine rapide
Abnahme (durohschnittlich 12°/,) auf; es ist ein kurzwährendes
Steigen, dann Sinken des Fettes wahrzunehmen, während die
Zunahme der Zuckerquantität konstant ist. Der Gehalt an
Trockenstoffen ist nicht stets in der ersten Milch am höchsten
(24 bis 31°/,), die Quantität kann in den dem Kalben folgenden
24 Stunden noch zunehmen (z. B. in zwei Fällen: 32°/,), nach
dieser Zeit erfolgt das Sinken rapid auf den konstanten Durch-
schnitt 16 bis 17°/,. Das stufenweise Sinken des spezifischen
Gewichtes (am höchsten 1,07445) kann abgesehen von sehr
kleinen Schwankungen konstant genannt werden. Schließlich
beträgt die nach dem Verbrennen der Milch zurückgebliebene
Asche anfangs meist 0,8 bis 1,05°/,, hierauf folgt eine kurz
währende bedeutende Abnahme, dann eine neuere Zunahme.
Die höchste Anderung sämtlicher Milchbestandteile ist in den
ersten 24 Stunden wahrzunehmen. Ein sehr getreues Bild der
in der Zusammensetzung der Milch eintretenden Änderung er-
halten wir in der Refraktion des Milchserums, es steht uns
Kuh III. Gekalbt 20./X. 1/,9 Uhr morgens.
Eiweiß-
stoffe Asche
Spezif. E Fett Casein |Zucker
Gehalt in Prozenten
— — nn
— — Seege
4,70 | 5,42 | 3,38 | 3,20 | 0,92
4,60 | 2,20 | 0,87
morgens | 1,0310| 17,62 | 8,66 | 4,81 | 3,05 | 3,25 | 0,89
mit den von uns festgestellten Schwankungen der Bestandteile überein-
stimmen. Es wäre angezeigt, auch die Milch des Schafes und der Ziege
auf dieser Grundlage zu untersuchen.
140 F. Baintner und K. Irk:
daher in dem Refraktometer ein leicht und schnell anwend-
bares Instrument zur Konstatierung der Fälschung von Büffel-
milch zur Verfügung.
Die vorher erwähnte quantitative Änderung der Bestand-
teile ist für die Colostra überhaupt charakteristisch, eine Aus-
nahme bildet bloß das Schafs- und Ziegencolostrum, deren
Fettgehalt im Gegensatz zu dem Colostrum der Frau, der Kuh
und des Büffels nach den uns zur Verfügung stehenden Daten
anfangs hoch ist (im Schafscolostrum +/, Stunde nach dem
Kalben 25°/, nach König), dann rapid und konstant fällt.
Abgesehen von letzterwähnter Ausnahme berechtigt uns die
Gleichförmigkeit, die in. der Zusammensetzung und Veränderung
der Colostralmilch bemerkbar ist, zu der Annahme, daß sich die
Milch und die Bestandteile derselben auf identische Weise ent-
wickeln. Unseres Erachtens nach wird der wesentliche Unter-
schied zwischen Colostrum und Milch hauptsächlich durch die
mit dem Kalben verbundenen Nervenreize verursacht, was durch
den anatomischen Nexus der Genitalien und des Euters noch
bestätigt wird.
Die Grundsubstanz der Milch ist das DBlutserum, wo
aber das für normale Milch charakteristische Casein und der
Milchzucker fehlen; sie sind daher die Produkte der aktiven
Tätigkeit der Milchdrüsenzellen, desgleichen das Milchfett, das
in dem DBlutserum zwar vorkommt, doch im Verhältnis zur
Milch in geringer Menge. Das Casein ist eine Verbindung der
im Kerne der milchsezernierenden Drüsen befindlichen Nuclein-
säure mit eiweißartigen Körpern (Nucleoproteiden), die vom Blut-
serum geliefert werden. Das Fett stammt ebenfalls z. T. aus
Eiweiß, desgleichen der Milchzucker, der sich wahrschein-
lich unter Einwirkung eines bisher unbekannten Enzyms ent-
wickelt.
Der konstant hohe Proteingehalt der Colostralmilch wäre
derart zu erklären, daß das Netz von Leitungscapillaren der
Arteria uberi zufolge des vasomotorischen Baues des Nervus
spermaticus externus unter Einwirkung der eingetretenen maxi-
malen Reize das innerhalb der Gefäßwände zirkulierende Blut-
serum zwecks reichlicher Ernährung des jungen Tieres in
solchem Quantum durchdringen läßt, daß es von den Drüsen-
zellen wegen des hohen Druckes der Lösung nicht verarbeitet
Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 141
werden kann, daher unverarbeitet in die Lakunen der Alveolen
dringt. Auf diese Art übt die angesammelte starke Eiweiß-
lösung, deren Eiweißgehalt im Laufe der Osmose, eventuell auch
zufolge des Hämoglobinzerfalles noch zunehmen kann — eines-
teils auf osmotischem Wege, andernteils auf mechanischem,
einen hohen Druck auf die Heidenhainschen Epithelzellen, wo-
mit die Alveolenwände bekleidet sind, und nötigen sie zur Un-
tätigkeit. Die zur Untätigkeit gezwungenen Drüsenzellen können
keine Wirkung auf die Menge des durchdringenden Serum-
eiweißes entfalten, die Zerfallsfähigkeit der Zellkerne wird re-
duziert, die geringe Menge Nucleinsäure vermag bloß wenig
Albumin zu Casein zu binden. Die Milch ist daher an Casein
arm, jedoch reich an dem im Serum bereits fertig vorhandenen
Albumin. Dieser von der Konzentration des Sekretes abhängige,
inaktive Zustand verhindert auch die Entstehung von Fett
und Zucker, die meist dem Zerfalle von Eiweißstoffen entstammen.
Das ist auch der Grund, weshalb die unmittelbar nach dem
Kalben entnommenen Proben arm an Fett und Milchzucker sind.
Schließlich besteht zwischen dem Fettgehalte der Milch
und den in 1 cmm enthaltenen Fettkugeln nicht jener enge Zu-
sammenhang, der etwa zu erwarten wäre, da die Zahl der Fett-
kugeln in Milchsorten gleichen Fettgehaltes sehr verschieden sein
kann.
Über die Wirkung der Erwärmung auf Proteolase.
Von
A. J. J. Vandevelde, Gent.
(Aus dem chemischen und bakteriologischen Untersuchungsamt in Gent.)
(Eingegangen am 10. April 1909.)
In Untersuchungen mit H. De Waele über das Bestehen
einer Antikatalase!) habe ich feststellen können, daß bei Mischungen
von lackfarben gemachtem Blut und Antiserum eine Erwärmung
auf 55°C die Antiwirkung verzögern kann und daß dadurch
die Enzymwirkungen beschleunigt werden. Meine Unter-
suchungen über die Proteolase?) der Milch und des Serums ver-
anlaßten mich nun, mittels der Einwirkung der Wärme auf diese
Flüssigkeiten die Existenz einer Antiproteolase zu untersuchen.
Es wurden zentrifugierte Kuhmilch, Rinderblutseerum und Pferde-
blutseerum während 30 Minuten im Weasserthermostaten auf 45°, 55°
und 650 C erwärmt. Dieses wurde auch mit Mischungen gleicher Mengen
erwärmter oder nicht erwärmter Milch und erwärmten Serums ausgeführt.
Die Flüssigkeiten wurden, wie ich früher?) beschrieben habe, mit
dem zehntel Volum einer 3°/,igen Jodoformacetonauflösung versetzt, gut
geschüttelt und im Brutschranke bei 37,5% C in gut mit Gummi geschlos-
senen Flaschen aufbewahrt.
Am ersten Tage, und dann nach 70 und 410 Tagen, wurden die
Proteine mit Äthylalkohol gefällt Dabei wurden a) 10ccm der Milch
oder des Serums mit 7 ccm 92 vol.-prozent. Alkohol versetzt; der Nieder-
sohlag wurde von der 38 vol.-prozent. Alkohol enthaltenden Flüssigkeit be-
freit, auf einem tarierten Filter gesammelt, dann mit 38 vol prozent, Alkohol
ausgewaschen; b) I0 com der Milch oder des Serums mit20 com 92 vol.-prozent.
Alkohol vermischt; dieser Niederschlag wurde von der 61 vol.-prozent.
Alkohol enthaltenden Flüssigkeit auf gleiche Weise befreit, auf einem
1) H. De Waele und A J. J. Vandevelde, Läßt sioh das Be-
stehen einer Antikatalase nachweisen? Diese Zeitschr. 9, 264, 1908.
2) A. J. J. Vandevelde, Über Löslichkeitsveränderungen bei -
Milch- und Serumproteiden. Diese Zeitschr. 7, 396, 1908.
DA J. J. Vandevelde, Über die Anwendung von Antiseptiken
bei Untersuohungen über Enzyme. Diese Zeitschr. 8, 315, 1907.
A. J. J, Vandevelde: Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 143
tarierten Filter gesammelt und mit 61 vol.-prozent. Alkohol gewaschen.
Dadurch wurde nicht allein der mit 38 vol.-prozent. Alkohol fällbare Pro-
teinteil bestimmt, sondern die ganze nicbt proteolysierte Eiweißmenge.
Bei Mischungen von Milch und Serum wurden für die Bestimmungen
20 ccm benutzt, und folglich auch die doppelten Mengen Alkohol, näm-
lich je 14 und 40 ccm 92 vol.-prozent. Alkohol. Die angeführten Ergebnisse
sind in 100 com der Jodoformaceton enthaltenden Mischungen ausgedrückt.
A. Untersuchungen mit einzelnen Flüssigkeiten.
Probe 241A. Kuhmilch.
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmengein g | gefällte Proteinmenge in g
nach Tagen nach Tagen
Milch 20°C
„ 45°C 2,71 2,20
„ 55°C 2,20 1,63
» 65°C 2,19 1,56
In Prozenten berechnete Proteolyse.
nn 38 Vol.-Proz. Alkohol | 61 Vol-Proz. Alkohol
70 Tage | 410 Tage 70 Tage | 410 Tage
Milch 20° C 33
„ 45°C 36
» 550°C 50
„ 650°C 52
Das Erwärmen auf 55° C und auf 65° C beschleunigt die Proteo-
lyse. Das Erwärmen auf 450C übt wenig Einfluß aus; am 70. Tage
sind bei 38- und 61°/,igem Alkohol die proteolysierten Mengen deut-
lich größer. Ferner sind die Ergebnisse mit 38- und 61°/,igem Alkohol
wenig verschieden.
Probe 241B. Pferdeblutserum.
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
144 A. J. J. Vandevelde:
In Prozenten berechnete Proteolyse.
11
15
29
26
Wie diese Ergebnisse zeigen, werden durch ein Erwärmen auf 550 C
und 650 C die Proteine leichter fällbar, schon mit 38 Vol.-Proz. Alkohol,
da die Werte 7,44 und 7,41 (38 Vol.-Proz.), 7,59 und 7,33 (61 Vol.-Proz.)
gleich genannt werden können. Die Proteolyse ist dagegen schneller in
den mit 38 Vol.-Proz. Alkohol gefällten Portionen.
Dieses stimmt überein mit der schon von verschiedenen Forschern,
insbesondere von Pekelharing mitgeteilten Tatsache, daß bei Enzymein-
wirkungen eine leichtere Fällbarkeit die Auflösungserscheinungen be-
schleunigt.
Wie bei der Kuhmilch wirkt das Erwärmen günstig bis 65° C, bei
dieser Temperatur wird das Pferdeserum wenig geschädigt, und folglich
ist eine geringe Verminderung der Proteolyse bei der auf 65° C erwärmten
Flüssigkeit leicht verständlich.
Sehr merkwürdig ist die geringe Proteolyse nach 70 Tagen der mit
Alkoholkonzentrationen zwischen 38 und 61 Vol.-Proz. gefällten Proteine,
was auch im Falle des Rinderserums gefunden wurde.
Probe 241C. Rinderblutserum.
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefëllte Proteinmenge in g | gefällte Proteinmenge in g
nach Tagen nach Tagen
6,50
» 45°C 6,71 6,53 6,59
» 55°C 6,92 6,41 6,69
» 65°C 6,54 6,98 5,43
In Prozenten berechnete Proteolyse.
38 Vol.-Proz. Alkohol 61 Vol.-Proz. Alkohol
70 Tage 410 Tage 70 Tage 410 Tage
Serum 20°C 5 20
» 4°C 3 17
vw 55°C 7 17
ge 65°C 8 | 17
Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 145
Die proteolytische Wirkung des Rinderserums ist minder ausgesprochen
als die von Milch und von Pferdeserum. Durch das Erwärmen wird
die Wirkung nicht beschleunigt, dagegen ein wenig geschädigt. Auch
hier ist die merkwürdige Tatsache zu konstatieren, daß nach 70 Tagen
die mit Alkohol zwischen 38 und 61 Vol.-Proz. gefällten Proteine resistenter
als die anderen Portionen sind.
Bei den zwei ersten Proben mit Milch und Pferdeblutserum wurde
eine Erhöhung der proteolytischen Wirkung nach 410 Tagen nach dem
Erwärmen festgestellt. Diese Beschleunigung stimmt gut überein mit der
Hypothese des Bestehens einer Antiproteolase; durch die Erwärmung
wird dieser echte „Antikörper“ geschwächt oder vernichtet, und damit
wird die Proteolyse weniger oder gar nicht gehindert und folglich ver-
mutlich beschleunigt. Bei Rinderserum dagegen scheint von einer Anti-
proteolase keine Rede zu sein.
Diese Erscheinungen können auf folgende Weise hypo-
thetisch ausgelegt werden. Die proteolytische Wirkung ist die
Resultante der Wirkungen eines Enzyms und eines Antienzyms.
Da durch die Erhöhung der Temperatur die physiologischen
Flüssigkeiten leicht leiden, können bei den Enzymen zwei An-
teile unterschieden werden, ein bei erhöhter Temperatur be-
ständiger und ein bei dieser Temperatur labiler.
Die Wirkung der Enzyme ist ohne Erwärmung folglich
durch die Formel auszudrücken:
W = E; 4+ E — 4,
in welcher W = enzymatische Wirkung, E; == Menge der be-
ständigen Enzyme, E, — Menge der labilen Enzyme, 4 = Anti-
enzyme ist.
Durch das Erwärmen (z. B. auf 55°) sind Antienzyme und
labile Enzyme vernichtet, und die Formel entspricht allein der
Wirkung der beständigen Enzymenmenge:
V. E,
Wenn A = E; -+ E,, so ist die enzymatische Wirkung der
antienzymatischen gleich, und es ist die Wirkung W =0. Im Falle
A `> (E; + E;) hat die Wirkung die negativen Werte einer echten
Antiflüssigkeit (Antiserum) ohne echte enzymatische Wirkung.
Wenn A< (Eet EL so konstatiert man eine enzymatische
Wirkung; wenn die Wirkung E, schwach und die Wirkung A
stark ist, so bleibt nach der Erwärmung die Wirkung E: übrig,
und es scheint die proteolytische Wirkung beschleunigt zu sein.
(Fall der Milch und des Pferdeserums.) Wenn die Wirkung E:
dagegen stark und die Wirkung A schwach ist, dann scheint
Biochemische Zeitschrift Band 18. 10
146 A. J. J. Vandevelde:
nach der Erwärmung der Teil Z, allein als proteolytisch wirk-
sam, und dann ist die Resultantenwirkung verzögert. (Fall des
Rinderserums.)
Von Bordet und Gengou?) wurde die Tatsache gefunden,
daß Antithrombase durch eine Temperaturerhöhung von 55° C
nicht beeinflußt wird und gegenüber Erwärmung beständig ist;
in meinen Untersuchungen mit De Waele wurde dasselbe bei
gewissen antikatalytischen Seris festgestellt.
Darum ist auch die Hypothese hier nicht ausgeschlossen,
daß im Falle des Rinderserums die Antiproteolase nach der
Erwärmung nicht, und der labile Teil des Enzyms E: allein
verschwindet, wie es in folgender Formel ausgedrückt werden
kann: W — Es A;
Dann ist W, <W verständlich.
B. Untersuchungen mit gemischten Flüssigkeiten.
Probe 241D.
Mischungen von Kuhmilch mit Pferdeblutserum;
L Reihe. Die nicht erwärmte Milch wurde zu gleichen Volum-
mengen des erst auf 45, 55 und 65° C gebrachten Serums zugefügt.
Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
In 100 ccm Mischung
Milch 20° C + Serum 20° C
„ 20° C -+ „ 450C
„ Q°C+ „ 55°C
„ 20°C „ 650°C
5,48 | 5,44 | 4,56
5,34 | 5,30 | 4,28
61 Vol.-Proz.
Alkohol
38 Vol Drog,
Alkohol
Milch 20° C + Serum 20° C
„ 20° C + 99 450 C 16
» 2°C+ ,„ 55°C 17
vw SU UL „ 65°C 19
1) Recherches sur la coagulation du sang. Ann. de l’Inst. Pasteur
15, 129, 1901.
Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 147
Eine Erhöhung der proteolytischen Wirkung ist bei diesen Mischungen
nicht mehr nachzuweisen; die Anwesenheit von Serum hat die Miloch-
proteolyse sehr stark verzögert derart, daß die Proteine nach 70 Tagen
nicht oder sehr wenig und nach 410 Tagen weniger als bei den einzelnen
Flüssigkeiten verändert sind.
Dies rührt von der Gegenwart einer Antiproteolase in jeder
Flüssigkeit: die Antiproteolase der einen Flüssigkeit übt auf die Pro-
teine der anderen einen größeren Einfluß aus als auf die Proteine der
eigenen Flüssigkeit.
2. Reihe. Die Milch und das Serum zu gleichen Mengen wurden
auf 45, 55 und 65°C erwärmt.
Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
In 100 com Mischung
Milch 20°C -+ Serum 20° C
» 65°C „ 45°C 4,46
„ 55°C+ „ 55°C 4,37
>» 65°C „ 650°C 4,30
In Prozenten berechnete Proteolyse.
u 38 Vol.-Proz. 61 Vol.-Proz.
Alkohol
Milch 20° C + Serum 20° C
» 40C „ 45°C 17
„ 550C+ „ 560C 19
„ 650C „ 65°C 22
Hier wurde dasselbe festgestellt wie im Falle der nicht erwärmten
Milch; es läßt sich der Einfluß der Erwärmung auf die Milchantiproteo-
lase bestätigen; die Resultantenwirkung ist bei auf 55 und 65°C er-
wärmten Mischungen stärker als bei nicht erwärmten.
Probe 241E.
Mischungen von Kuhmilch mit Rinderblutserum.
L Reihe. Wie mit Kuhmilch und Pferdeserum wurden gleiche
Mengen nicht erwärmter Milch mit erwärmtem Serum gemischt.
10*
148 A. J. J. Vandevelde:
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
In 100 com Mischung
Milch 20° C + Serum 20° C
» 2°C „ 85°C 3,98
Sp 20° C+ TT 550 C 3,83
wm 20°C „ 650°C 4,28
In Prozenten berechnete Proteolyse.
38 VoL-Proz. Alkoholl61 Vol.-Proz. Alkohol
70 Tage | 410 Tage | 70 Tage | 410 Tage
Milch 20°C + Serum 20° C
%W0°C+ „ 450°C
get „ 550C
DICH „ 6°C
20
21
Ganz verschieden ist die Wirkung des Rinderserums ; in den Mischungen
mit diesem Serum ist die Erwärmung der Proteolyse schädlich; und
dieses ist nicht allein im Falle von nicht erwärmter Milch, sondern auch
von erwärmter zu konstatieren. Die Ergebnisse der folgenden Reihe
stimmen mit denen der vorigen ganz überein.
2. Reihe. Die Milch und das Serum zu gleichen Mengen wurden
erwärmt.
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol
gefällte Proteinmenge
in g nach Tagen
In 100 com Mischung
Milch 20° C + Serum 20°C
45°C „ C
5°C „ 55°C
65°C+ „ 65°C
4,85 | 4,81 | 4,00
4,92 | 4,71 | 4,21
4,85 | 4,90 | 4,40
In Prozenten berechnete Proteolyse.
38 Vol-Proz. Alkoh01j61 Vol.-Proz. Alkohol
70 Tage |410 Tage | 70 Tage 70 Tage | 410 Tage 410 Tage
Milch "Milch 20° C- Serum 20° C 20° C
450C+ „ 45°C i 17
550C „ 55°C 4 14
65°C+ „ 65°C 0 9
Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 149.
Bringen wir die Ergebnisse bei vollständiger Fällung der
Proteine nach 410 Tagen in eine einzige Tabelle, so können
wir sie zu folgendem Resultat zusammenfassen:
Proteolytische Wirkungen in Prozenten nach 410 Tagen.
| 20°C | 45°C | 55°C | 65°C
Milch allein . . -. . 2 2 2 2 2.0.
Rinderserum allein. ....... 17
Nicht erwärmte Milch + Pferdeserum 19
Erwärmte Milch + Pferdeserum . . 22
Nicht erwärmteMilch 4 Rinderserum 12
Erwärmte Milch 4 Rinderserum . . 9
Eine antiproteolytische Wirkung läßt sich bei der Milch
und bei dem Pferdeserum stark, bei dem Rinderserum dagegen
nicht nachweisen. Bei Mischungen sind die proteolytischen
Wirkungen nicht additiv, und zwar sind die Differenzen zwischen
den erhaltenen Ergebnissen und den bei allein verwandten
Flüssigkeiten berechneten Werte ziemlich groß, wie aus der
folgenden Tabelle hervorgeht.
Proteolytische Wirkungen in Prozenten nach 410 Tagen.
2°C 450C 550°C 65°C
Gef. | Ber. | Gef. | Ber. | Gef. | Ber. | Gef. | Ber.
Nicht erwärmte Milch
-+ Pferdeserum
Erwärmte Milch
-+ Pferdeserum
Nicht erwärmte Milch
—- Rinderserum
Erwärmte Milch
-+ Rinderserum 9 | 33,5
Eine theoretische Erklärung im Sinne der Antikörpertheorien ist
hier nicht leicht und nur teilweise zu geben. In der Wirkung einer
Mischung von Serum und Milch sind nicht allein die spezifischen Wir-
kungen anzunehmen, sondern auch die wohl bekannten Antieigenschaften
des Serums gegen die Proteine der Milch. Ohne vorherige Erwärmung
soll die Wirkung W wie folgt sein:
W = Eg 4+ Eu A + Bet Ei — A —a
Milch Serum Antiwirkung
des Serums
gegen Milch
150 A, J.J, Vandevelde: Wirkung der Erwärmung auf Proteolase.
Nach Erwärmung auf rund 55° C soll sein:
W = Eg + Ep. |
Daß die Antiwirkung a des Serums wirklich besteht, ist aus den
Tatsachen zu schließen, daß in den Mischungen von nicht erwärmter
Milch und Serum die proteolytische Wirkung stark verzögert ist.
Die Formel W,, = Ep + E’g scheint hier dagegen nicht anwend-
bar zu sein. Im Falle der Milch mit Pferdeserum ist die Erhöhung der
Proteolyse sehr gering, und bei der Mischung Milch 4 Rinderserum ist
sogar statt einer Erhöhung eine ziemlich große Verminderung festzu-
stellen. Diese konstatierte Tatsache läßt sich theoretisch nicht erklären,
wenn man nicht annimmt, daß die gegenüber Milch antienzymatische
Wirkung a durch die Temperaturerhöhung nicht verzögert ist im Sinne
der Befunde von Bordet und Gengou mit der Antithrombase; bei
Rinderserum allein scheint diese Hypothese der beständigen Antiproteolase
nicht unmöglich.
Auf diese Weise ist dieser beständige Teil EZ’ infolge der Anwesen-
heit einer großen Menge labiler Enzyme sehr klein, und kann mit de aus-
gedrückt werden, Die Wirkungen W und He vor und nach Erwärmung
muß man sich demnach wie folgt vorstellen:
W = Ep 4 Eı — A 4 Eg + Ea — A — a.
Was = Ep + eg — a.
In dieser Hypothese kann W,, < W werden; selbst wenn Milch mit
seiner überbleibenden proteolytischen Kraft in den Mischungen vorkommt.
Im Falle der nioht erwärmten Milch soll die Formel
Wis = Ee-L Ei A 4 eg—a
sein, und bei der noch in der Milch überbleibenden Antiwirkung ist
Wss < W leicht anzunehmen. Die bei den Mischungen mit nicht er-
wärmter und erwärmter Milch gefundene Ahnlichkeit bleibt noch zu
erklären.
Über das Wesen der Pflanzenatmung.
Von
W. Palladin.
(Aus dem pflanzenphysiologischen Institut der Universität St. Petersburg.)
(Eingegangen am 19. April 1909.)
Mit 2 Figuren im Text.
Es ist wohl kaum möglich einen physiologischen Vorgang
zu bezeichnen, der enger mit dem Begriff des Lebens verknüpft
wäre, als die Atmung. Obgleich schon vor alters die Über-
zeugung bestand, daß ohne Atmung kein Leben möglich sei,
blieb ihr Wesen doch lange unaufgeklärt.
Vorliegende Arbeit stellt sich zur Aufgabe, auf Grund des
vorhandenen umfangreichen Tatsachenmateriales eine einheit-
liche Vorstellung über die Pflanzenatmung zu geben. Das er-
scheint als unabweisbares Bedürfnis. Der Urheber der Lehre
von der Verbrennung und Atmung sagte mit Recht: „Autanb
Pesprit de système est dangereux dans les sciences physiques?
autant il est & craindre qu’en entassant sans ordre une trop
grande multiplicité d’experiences, on n’obscurcisse la science
au lieu de l’Eclaircir; qu’on n’en rende l’acces difficile A ceux
qui se presenteront pour en franchir l’entree; enfin qu’on
n’obtienne, pour prix de longs et pénibles travaux, que dés-
ordre et confusion.‘‘!)
Schematisch kann die Atmung recht einfach dargestellt
werden:
C. H,:0, + 6 O, = 6 CO, + 6 H,O.
Als Endprodukte erscheinen also Kohlensäure und Wasser.
Aber ehe die zu oxydierenden Verbindungen diese Endprodukte
ergeben, unterliegen sie einer Reihe intermediärer Zerspaltungen.
Obschon jedoch letzteren viele Untersuchungen gewidmet sind,
sind sie doch bis auf den heutigen Tag unaufgeklärt.
1) Lavoisier, Oeuvres 2, 225, 1862.
152 W. Palladin:
Es zeigten schon Saussure!) und Bérard’), später
Lechartier und Bellamy?), Pasteur*), Borodin°) und
eine ganze Reihe späterer Forscher, daß die Pflanzen auch
nach Sauerstoffentziehung fortfahren, Kohlensäure auszuscheiden.
Folglich erscheint die unter diesen Bedingungen ausgeschiedene
Kohlensäure von der Sauerstoffaufnahme unabhängig. Diese
Tatsache führte Pfeffer, auf Grund von Betrachtungen
Pflügers, zur Aufstellung einer Theorie der Atmung, nach
welcher als primäre Atmungsvorgänge die von der
Gegenwart des Sauerstoffs der Luft unabhängigen
Spaltungsvorgänge erscheinen. Die Aufgabe des Sauer-
stoffs schien in der weiteren Oxydation der Produkte dieser
primären Vorgänge zu liegen. Und da nach Sauerstoffent-
ziehung die Ausscheidung der Kohlensäure gewöhnlich von
Alkoholbildung begleitet ist, so wurde als primärer Atmungs-
vorgang die Alkoholgärung angenommen. Der Atmungsprozeß
wurde schematisch durch folgende zwei Gleichungen dar-
gestellt:
1. primärer Vorgang C,H ,0,=2C,H,0 + 200,
2. sekundärer „ 2C,H,O + 6 0O, = 4 CO, + 6 H,O.
I. Primäre (anaerobe) Atmungsvorgänge.
Fassen wir zunächst die primären Atmungsvorgänge ins
Auge, d. h. die Vorgänge der Spaltung ohne Beteiligung des
Sauerstoffs der Luft.
Die weiteren durch die geistreiche Theorie Pfeffers ver-
anlaßten Untersuchungen dieser Spaltungsvorgänge stießen
auf solche Schwierigkeiten und Widersprüche, daß zeitweilig
der Begründer der Theorie selbst an ihrer Richtigkeit zu
zweifeln begann.) Viele Forscher?) suchten zu beweisen, daß
1) Saussure, Recherches chimiques sur la végétation, 1804.
2) Bérard, Annales de chimie et de physique 16, 1821.
3) Lechartier et Bellamy, Compt. rend. 69, 1869; 75, 1872.
t) Pasteur, Compt. rend. 75, 1872.
D Borodin, Sur la respiration des plantes pendant la germina-
tion 1875.
DW. Pfeffer, Untersuchg. aus d. botan. Inst. zu Tübüngen 1,
105, 1881—1885.
7) Godlewski, Jahrb. f. wissensch. Botan. 13, 524, 1882. —
Reinke, Botan. Zeitg. 1883, 65.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 153
anaerobe Atmung nur eintrete, wenn die Pflanzen künstlich
des Sauerstoffs beraubt würden; unter normalen Bedingungen
gehe einfache Oxydation vor sich. In Widerspruch mit der
Theorie des genetischen Zusammenhanges der anaeroben Kohlen-
säurebildung mit den nachfolgenden Oxydationsvorgängen
schienen besonders die im Laboratorium Pfeffers angestellten
Versuche Diakonows!) zu stehen.
Obschon Kostytschew?) bewiesen hatte, daß, entgegen
der Meinung Diakonows die anaerobe Atmung der Schimmel-
pilze nicht nur bei Ernährung durch Glucose, sondern auch
durch Pepton, China- und Weinsäure möglich ist, waren den-
noch die Einwände gegen die Theorie Pfeffers noch nicht
beseitigt. Zu diesem Zwecke waren neue Untersuchungs-
methoden notwendig. Unsere weiteren Errungenschaften auf
dem Gebiete der Pflanzenatmung befanden sich in unmittel-
barer Abhängigkeit von Untersuchungen auf dem Gebiete der
Gärung, die diese neuen Methoden schufen.
Sobald die hervorragenden Untersuchungen E. Buchners®)
und seiner Mitarbeiter ergeben hatten, daß die Alkoholgärung
ein enzymatischer durch ein besonderes Enzym ‚Zymase“
hervorgerufener Prozeß ist, verallgemeinerten Stoklasa*) und
seine Mitarbeiter diese Tatsache auch in bezug auf die höheren
Pflanzen. Zu denselben Ergebnissen gelangten Maximow°) und
Kostytchew.®) Alle an höheren Pflanzen nach einer der
Methoden E. Buchners (mit Preßsaft oder Acetonpräparaten)
angestellten Untersuchungen zeigten aber, daß unter diesen
Bedingungen im Vergleich mit lebenden Pflanzen geringe Mengen
Kohlensäure ausgeschieden werden. Um diesen Mangel zu be-
1) Diakonow, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1886, 1, 411.
2) Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1902, 327; 1904,
— 207. Jahrb. f. wissensch. Botan. 40, 563, 1904.
21 E. Buchner, H. Buchner und M. Hahn, Die Zymase-
gärung, 1903.
4) Stoklasa u. Cerny, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 36, 622, 1903.
Centralbl. f. Physiol. 16, 652, 1903. — Stoklasa, Jelinek u. Vitek,
Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 3, 460, 1903. — Stoklasa,
Pflügers Archiv 101, 311, 1904. Centralbl f. Bakt. 1904.
5) Maximow, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1904, 225.
6) Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1904, 207. Jahrb.
f. wiss. Botan. 40, 563, 1904. Centralbl. f. Bakt. I. Abt. 22, 489, 1904.
154 W. Palladin:
seitigen, wandte ich die Methode der Abtötung der Pflanzen
durch niedrige Temperaturen ohne Zerstörung der cellularen Struk-
tur an. |
Zum Erfrieren werden die Pflanzen ganz oder in kleine
Teile zerschnitten dicht in große Reagensgläser von 100 ccm
Inhalt gefüllt, die gut mit Kautschukpfropfen verschlossen
werden. Letztere werden von oben mit Vaselin beschmiert,
um das Eindringen der Salzlösungen ins Innere zu verhüten.
Die Gläser werden in einen Eimer gelegt, in dem sich eine
Mischung von Schnee oder fein zerhaktem Eis mit Chlornatrium
und Ammoniumnitrat befindet, und der mit einem Filztuch
bedeckt ist.) In einer Stunde sinkt die Temperatur in den
Reagensgläsern auf — 20°. Der Eimer mit den Pflanzen wird
bis zum nächsten Tage in einen kalten Raum gestellt; in Ab-
hängigkeit von dessen Temperatur steigt die Temperatur der
Mischung (nach ca. 20 Stunden) bis — 10° oder bis — 3°.
Temperaturen von — 20° bis — 25° genügen zur Tötung der
höheren Pflanzen während ihres tätigen Lebens, d. h. bei hohem
Wassergehalt.
Zur Bestimmung der von den erfrorenen Pflanzen aus-
geschiedenen Kohlensäure werden sie unmittelbar aus den
Reagensgläsern in eine U-förmige Röhre gebracht, in deren
hinterem Ende oben ein mit 4 com Toluol befeuchteter Watte-
pfropfen angebracht wird. Infolgedessen wird das in die U-
förmige Röhre eintretende Gas (Luft oder Wasserstoff) mit
Toluoldämpfen gesättigt, die keine Bakterien aufkommen lassen.
Die Toluoldämpfe haben keinerlei Einfluß auf den Titer der
Barytlauge, die zur Absorption der von den Pflanzen aus-
geschiedenen Kohlensäure dient.
Diese Methode hat erstens den Vorzug, daß die gefrorenen
Pflanzen nach dem Auftauen bedeutend mehr Kohlensäure
ausscheiden, als ihr Preßsaft oder Acetonpräparate. Besonders
wenig geeignet ist für höhere Pflanzen die Acetonmethode
infolge des großen Wassergehaltes der höheren Pflanzen und der
Notwendigkeit, sie zu zerkleinern.
Die Menge der von gefrorenen Pflanzen ausgeschiedenen
Kohlensäure ist aus folgendem Versuche ersichtlich :
1) Welter, Tiefe Temperaturen. 1895.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 155
Etiolierte Blätter von Vicia Faba.
Auf 100 g in 1 Stunde
kam im Mittel CO, :
mg
Versuchsdauer
Folglich scheiden die gefrorenen Blätter in den ersten
Stunden des Versuchs etwa ebensoviel Kohlensäure aus wie
die lebenden im Woasserstofistrom.
Ein fernerer Vorzug des Verfahrens ist darin zu sehen,
daß die Pflanzen ihm in unzerkleinertem Zustande unterworfen
werden. Meine Versuche haben ergeben, daß nur in diesem
Falle große Mengen Kohlensäure ausgeschieden werden. Selbst
eine postmortale Zerstörung des cellularen Aufbaus hat auf
die Wirksamkeit der Enzyme einen schädigenden Einfluß.
Erst durch Untersuchungen an Pflanzen, die nach einer
der oben beschriebenen Methoden abgetötet waren, wurde
schließlich die Richtigkeit der Theorie Pfeffers dargetan.
Meine!) Untersuchungen an gefrorenen Pflanzen haben gezeigt,
daß sie bedeutende Kohlensäuremengen bei Abwesenheit von
Sauerstoff ausscheiden.
In einer zweiten, gemeinsam mit Kostytschew*) unter-
nommenen Versuchsreihe wurde gezeigt, daß diese Kohlen-
säureausscheidung oft von Bildung bedeutender Mengen Alkohol
begleitet ist. Mit andern Worten: gefrorene Pflanzen sind zur
typischen Alkoholgärung befähigt. Es schieden z. B. 200 ge-
frorene Erbsensamen im Laufe von 98 Stunden in Wasserstoff
(und Toluol) 775,2 mg CO, aus und bildeten 552,7 mg Alkohol.
Diese Ergebnisse wurden von Stoklasa?) bestätigt. Solange
derlei Beobachtungen nur an lebenden Pflanzen gemacht
wurden, konnte man von ihrer Anpassungsfähigkeit an die
1) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 407, 1906.
2) W. Palladin u. S. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol Chem.
48, 214, 1906. "
3) J. Stoklasa, A. Ernst u. K. Chocensky, Zeitschr. f. physiol.
Chem. 49, 303, 1907
156 W. Palladin:
veränderten Lebensbedingungen in sauerstofifreiem Medium reden
und diesen Punkt gegen die Theorie Pfeffers einwenden.
Über Anpassungsfähigkeit abgetöteter Pflanzen läßt sich
natürlich nichts reden. Wenn abgetötete Pflanzen zu anaero-
ben Zerspaltungsvorgängen nach Entziehung des Sauerstoffs
der Luft fähig sind, so besagt das, daß diese Vorgänge auch
während des Lebens unter Luftzutritt statt haben.
Die verschwindend geringe Kohlensäuremenge, die von
vielen lebenden Pflanzen nach Sauerstoffentziehung ausgeschie-
den wird, findet in der Giftigkeit der Produkte der anaeroben
Spaltung für diese Pflanzen ihre Erklärung.) Alkohol wirkt
z. B. selbst auf Hefe giftig. In meinem Laboratorium an-
gestellte Untersuchungen von Junitzky*) haben gezeigt, daß
der Preßsaft von Aspergillus niger, einem typischen, die
Entziehung des Sauerstoffs schlecht vertragenden Aeroben,
nichtedestoweniger Zymase enthält und nicht nur Kohlensäure
ausscheidet, sondern auch Alkohol bildet. 200 ccm Preßsaft
haben z. B. in 24 Stunden 70,4 mg CO, ausgeschieden und
63,1 mg Alkohol gebildet.
Es kann also auf Grund der an getöteten Pflanzen ge-
machten Untersuchungen als bewiesen gelten, daß:
l. die Vorgänge der anaeroben Spaltung die pri-
mären Vorgänge der Atmung bilden, daß:
2. die Vorgänge der anaeroben Atmung durch
Enzyme hervorgerufen werden.
Zugunsten des enzymatischen Charakters der Atmung
haben sich schon Claude Bernard?) und Wortmann‘) ge-
äußert.
Wenden wir uns dem genaueren Studium der Vorgänge
der anaeroben Zerspaltung zu, so entstehen zwei Fragen:
l. Was für Stoffe unterliegen dem anaeroben Zerfall ?
2. Was für Stoffe werden bei anaerober Atmung gebildet?
In der Mehrzahl der Fälle erscheint die anaerobe Atmung
als Alkoholgärung, und wir fassen deshalb diese Art der anae-
1) 8. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1907, 44.
2) N. Junitzky, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1907, 210.
3) Claude Bernard, Leçons sur les phénomènes de la vie etc.
+) J. Wortmann, Untersuchg. aus d. botan. Institut d. Universität
Würzburg II.
Über das Wesen der Pflanzenstmung. 157
roben Atmung zuerst ins Auge. Als Stoff, der der Zerspaltung
unterliegt, erscheint dabei Glucose. Bereits Borodin?) zeigte,
daß zur normalen Atmung Kohlenhydrate notwendig sind. Dessen-
ungeachtet wurde an der Meinung festgehalten, daß das Material
der Atmung von Eiweißstoffen geliefert werde und Kohlenhydrate
nur für ihre Regeneration notwendig seien.
Durch meine Versuche über die Atmung etiolierter Blätter
von Vicia Faba?) habe ich gezeigt, daß Eiweißstoffe allein
in welcher Menge auch immer für die normale Atmung nicht
ausreichen. Diese Blätter enthalten viel Eiweiß (bis zu 45°/,
des Trockengewichts) und nur Spuren von Kohlenhydraten und
atmen sehr schwach. Gibt man ihnen aber Saocharose unter
Lichtabschluß, so nimmt die Atmungsenergie bedeutend zu.
So wurde von 100 g etiolierter Blätter bei Zimmertemperatur
im Laufe 1 Stunde im Mittel ausgeschieden :
ohne Saccharosefütterung 89,6 mg CO,
nach së 147,8 „p »
Durch Einführung von Saccharose wird nicht nur die At-
mung unter Luftzutritt gesteigert, sondern in noch höherem
Maße die anaerobe Atmung. Dabei tritt die Abhängigkeit von
der Menge der Kohlenhydrate noch schroffer zutage.3) Bei
Abwesenheit von Sauerstoff schieden etiolierte Blätter ohne
Saccharosefütterung wenig Kohlensäure aus und starben in
kurzer Zeit ab, dagegen blieben mit Saccharose gefütterte Blätter
lange Zeit am Leben und schieden viel Kohlensäure aus.
100 g etiolierter Blätter von Vicia Faba schieden z. B.
in 1 Stunde folgende Mengen Kohlensäure aus:
in
ohne Saccharosefütterung — gg
S= 0,185,
nach Saccharosefütterung SE ) Geet
Aen
1) J. Borodin, Atmung der beblätt. Sprossen. St. Petersburg 1876
(russisch).
2) W. Palladin, Revue generale de botanique 5, 449, 1893.
3) W. Palladin, Revue generale de botanique 4, 201, 1894.
158 W. Palladin:
Meine Versuche wurden von Godlewski!) bestätigt.
Auf die wichtige Bedeutung der Kohlenhydrate hat noch
Diakonow hingewiesen. Obschon seine Versuche, wie es
Kostytschew zeigte, in den Einzelheiten sich als ungenau
erwiesen und seine theoretischen Folgerungen nicht zutreffen,
tritt die Bedeutung der Kohlehydrate für die anaerobe At-
mung in seinen Versuchen klar zutage.
Wenn als Ausgangsmaterial für die anaerobe Atmung
Kohlenhydrate dienen, so erscheint als Endprodukt Alkohol.
Zuerst begnügten sich die Forscher mit qualitativen Reaktionen
auf Alkohol. Godlewski und Polzeniusz?) verdanken wir
umfangreiche quantitative Untersuchungen, die gezeigt haben,
daß die anaerobe Atmung in der Mehrzahl der Fälle als alko-
holische Gärung erscheint. Erweitert wurden ihre Ergebnisse
durch Nabokich?®). Ferner wurde, wie gesagt, durch mich
und Kostytschew und durch Stoklasa und dessen Mit-
arbeiter bewiesen, daß auch von getöteten Pflanzen Alkohol ge-
bildet wird. Es war folglich die enzymatische Natur der
anaeroben Atmung als Alkoholgärung bewiesen. Uns sind noch
nicht alle die Alkoholgärung ausmachenden Vorgänge bekannt.
Selbst in der typischen durch Hefe verursachten Alkoholgärung
kennen wir nur die Endprodukte.
Nach der Meinung von E. Buchner) und Stoklasa’)
zerfallen die Vorgänge in zwei Phasen:
1. C,H O, = 2C,H,0,,
2. C,H,0,=0C,H,0 + CO,
Zuerst zerfällt Glucose in zwei Moleküle Milchsäure, die
weiter in Alkohol und Kohlensäure zerfallen.
Nach der Meinung anderer Forscher können als Zwischen-
produkte auch andere Köper erscheinen, z. B. Glycerinaldehyd
und Methylglyoxal.°)
1) E. Godlewski, Bulletin de l’Académie des sciences de Cracovie
1904, 115.
2) E. Godlewski und Polzeniusz, Bulletin de l’Académie des
sciences de Cracovie 1897, 217; 1901, 227.
3) A. Nabokich, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1903, 399, 467.
4) E. Buchner, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 37, 417, 1904; 38,
620, 1905.
DJ Stoklasa, Zeitschr. f. physiol. Chem. 50, 303, 1907.
6) Literatur bei A. Wohl, Die neueren Ansichten über den che-
mischen Verlauf der Gärung. Diese Zeitschr. 5, 45, 1907.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 159
Nach Untersuchungen von L. Iwanoff!) ist Triose
Zwischenprodukt der Alkoholgärung. In einer kürzlich er-
schienen vorläufigen Mitteilung hält B. Jensen?) Dioxyaceton
für das Zwischenprodukt.
Auch das Vorkommen von Katalase und Reduktase in
der Hefe spricht zugunsten der Kompliziertheit der Gärungs-
vorgänge. Gegenwärtig betrachtet man die Katalase als oxy-
dierendes Ferment, obschon ihre Beteiligung an Oxydations-
vorgängen unbekannt ist. Die Tatsache, daß sie in sehr großen
Mengen in der Hefe vorkommt, d. h. in Organismen, dessen
Oxydationsvorgänge aufs Minimum reduziert sind, spricht, wie
mir scheint, zugunsten ihrer Beteiligung an den Vorgängen der
anaeroben Zerspaltung. Die Reduktase beteiligt sich auch an
dem anaeroben Zerfall von Glucose in Alkohol und Kohlen-
säure, wie ich?) durch Versuche an durch Aceton abgetöteter
Hefe (Zymin) gezeigt habe. Das Zymin zerlegt selenigsaures
Natrium unter Ausscheidung von metallischem Selen nur in Ab-
wesenheit von Stoffen, die in Alkohol und Kohlensäure zer-
fallen. Diese Versuche rufen die alte Meinung Pasteurs in
Erinnerung, daß der Sauerstoff bei der Alkoholgärung der Glucose
entnommen werde, weil es unmöglich sei, ihn der Luft zu ent-
nehmen. In der Tat beginnt erst in Abwesenheit von Glucose
das Zymin den Sauerstoff dem minder geeigneten Nahrungs-
mittel in Form von selenigszaurem Natrium zu entnehmen.
Diese intracellulare Umsetzung des Sauerstoffs von einem Mole-
kül zum andern, sowie die Umlagerung des Sauerstoffs inner-
halb eines Moleküls, zeigt, wie glücklich der von Pfeffer ein-
geführte Ausdruck ‚intramolekulare Atmung“: gewählt war.
Die Gärungsvorgänge wurden schon von Liebig*) in
höchst geistreicher Weise mit den Zersetzungen verglichen, die
bei der trocknen Destillation vor sich gehen, wobei ein Teil
des im organischen Körper enthaltenen Kohlenstoffs auf Kosten
von im selben Stoff enthaltenen Sauerstoff verbrannt wird.
1) L. Iwanoff, Arbeiten des 1. Mendelejewschen Kongresses 1909,
388. Zeitschr. f. physiol. Chem. 50, 281.
2) B. Jensen, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 666.
3) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 56, 81, 1908.
t) J. v. Liebig, Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur
und Physiologie, 5. Aufl. 1843, 378. .
160 W. Palladin:
Ferner wies Hoppe-Seyler!) darauf hin, daß die intramole-
kulare Umsetzung von Sauerstoff die für die physiologischen
Prozesse nötige Energie liefern kann. Mit Recht spricht er
von einer „fermentativen Umwandlung durch Wanderung von
Sauerstoffatomen nach dem einen Ende des Moleküls (Carboxyl-
bildung) bei gleichzeitiger Reduktion der andern Seite desselben‘.
„Wenn auch z. B. bei der Alkohol- und Milchsäuregärung die
Aufnahme von Wasser zur Bildung der Endprodukte unnötig
scheint, ist sie doch wohl stets vorhanden und zugleich die
Ursache der Wanderung des Sauerstoffs von den
Wasserstoff- an die Kohlenstoffatome, welche für die
große Klasse von wichtigen Prozessen das eigentlich Charak-
teristische darstellt.‘
Bei solchem Sachverhalt erscheint der Unterschied zwischen
den Gärungs- und den typischen Oxydationsvorgängen nicht
mehr als sehr groß. Nach Liebig, Pasteur, Pfeffer und
Hoppe-Seyler erscheinen die Vorgänge der Gärung eigent-
lich als innere Verbrennung.
Bodländer?) sagt z. B. auch: ‚Man kann aber auch
solche Vorgänge zu den Verbrennungen rechnen, bei denen
nicht freier Sauerstoff verschwindet, sondern bei denen nur
gebundener Sauerstoff von einer Verbindung auf eine andere
oder auf ein Element übertragen wird. So wird man es auch
als Verbrennung bezeichnen, wenn die Kohle und der Schwefel
des Schießpulvers durch den gebundenen Sauerstoff des Sal-
peters in Oxydationsprodukte übergeführt werden.“
Als gutes Beispiel von großer Energieentwicklung auf
Kosten von gebundenem Sauerstoff kann der „Termit‘‘ dienen,
eine Mischung von pulverförmigem Aluminium mit zerkleinertem
Eisenoxyd.*) Die Reaktion verläuft nach der Gleichung
Fe,0,+2Al=AlLO,-+2Fe
und entspricht dem Freiwerden von etwa 150000 Wärmeein-
heiten auf 54 Gewichtseeinheiten Aluminium.
Von allen angeführten Beispielen einer inneren Verbrennung
1) F. Hoppe-Seyler, Pflügers Archiv 12, 8, 1876.
2) G. Bodländer, Über langsame Verbrennung. Sammlung chem.
u. chem.-technisch. Vorträge 8, 11. u. 12. Heft, 385, 1899.
3) Mendelejew, Grundlag. d. Chem., 8. Aufl. 1906, 282 (russ.).
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 161
scheint mir Liebigs Vergleich der Gärungsvorgänge mit den
Zersetzungen bei der trocknen Destillation am gelungensten.
Alle diese Erwägungen führen uns zum Schlusse, daß
3. die Vorgänge der anseroben Atmung gleich den
Vorgängen der trocknen Destillation, aus einer Reihe
aufeinander folgender Vorgänge der Reduktion und
Oxydation auf Kosten des gebundenen Sauerstoffs
der in der Zelle enthaltenen organischen Stoffe be-
stehen. Diese Vorgänge vollziehen sich mit Hilfe
mehrerer Enzyme.
Die anaerobe Atmung erscheint nicht immer als Alkohol-
gärung. So konnte Hahn!) in vergorenem Saft von Arum
maculatum reinen Alkohol finden. Als typisches Beispiel
eines solchen Falles von anaerober Atmung erscheint die von
Kostytschew°) untersuchte anaerobe Atmung der an Mannit
reichen Fruchtträger des Pilzes Agaricus campestris. Weder
die lebenden Pilze, noch ihr Preßsaft bilden selbst in Gegen-
wart von Glucose auch nur Spuren von Alkohol, während
Kohlensäure in großen Mengen ausgeschieden wird.
Außer dem beschriebenen Fall kennen wir eine Reihe von
Tatsachen, für die als natürlichste Erklärung die Annahme
erscheint, daß als Material für die Atmung ebenfalls nicht
Glucose dient, sondern andere Stoffe. Ich führte schon an,
daß Saccharosefütterung die anaerobe Atmung der etiolierten
Blätter von Vicia Faba stark steigert. Aber nicht nur ohne
Zugabe von Zucker, sondern selbst nach einer 24stündigen
Kultur auf destilliertem Wasser, d. h. nach einer Hungerperiode,
fahren sie doch fort, in Abwesenheit von Sauerstoff Kohlen-
säure, wenn auch in verschwindenden Mengen, auszuscheiden?).
Kostytschew*) hat gezeigt, daß die anaerobe Atmung
der Schimmelpilze im Gegensatz zur Meinung Diakonows auf
Pepton, China- und Weinsäure möglich ist. Ferner zeigen
die vorhandenen Bestimmungen des Verhältnisses der gebildeten
Alkoholmenge zu der während der anaeroben Atmung aus-
1) M. Hahn, Ber. d Deutsch. chem. Ges. 1907, 188.
3) S. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 188, 1907.
3) W. Palladin, Revue generale de botanique 5, 449, 1893.
4) S. Kostytschew, Centralbl. f. Bakt. II. Abt. 13, 490, 1904. —
Jahrb. f. wissensch. Botan. 40, 563, 1904.
Biochemische Zeitschrift Band 18. II
162 W. Palladin:
geschiedenen Kohlensäuremenge, daß dies Verhältnis bei weitem
nicht immer gleich 1 ist, wie es bei der normalen Alkohol-
gärung sein muß. Die an Kohlehydraten armen etiolierten
Blätter von Vicia Faba können als Beispiel solcher Objekte
dienen, die bei der anaeroben Atmung wenig Alkohol liefern.
Die Blätter wurden in zwei Portionen à 63 g geteilt und
im Weassertoffstrom belassen!).
t? — 18,5 Versuchsdauer Kohlensäuremenge in mg
1. Portion: 5 Stunden 114,8
o n 30 256,8
1. Portion: C,H,OH = 62,2 mg
CO, : C,H,OH = 114,8 : 62,2 = 100 : 54,1
2. Portion: C,H,OH = 68,3 mg
CO, : C,H,OH = 256,8 : 68,3 — 100 : 26,5.
Subtrahiertt man die Daten der ersten Portion von den
entsprechenden Zahlen der zweiten, so erhält man:
CO, — 256,8 — 114,8 — 142,0
C,H,OH = 68,3 — 62,2 = 6,1
CO, : C,H,OH = 142 : 6,1 = 100 : 4,3.
In der zweiten Hälfte des Versuchs ist also nur Kohlen-
säure ausgeschieden, aber kein Alkohol gebildet worden.
Noch bestimmtere, aber bis dahin unaufgeklärte Resultate
erhält man mit gefrorenen Pflanzen. Es schieden z. B. ge-
frorene etiolierte Blätter von Vicia Faba auf 100 g, im ganzen
183 mg Kohlensäure aus. Dieselben etiolierten Blätter, nach
vorhergehender Saccharosefütterung erfroren, schieden nicht
mehr, sondern etwas weniger Kohlensäure aus — im ganzen
166 mg. Die auf die Atmung lebender Blätter einen so wohl-
tätigen Einfluß ausübende Saccharosefütterung hat also keinen
oder eher einen hemmenden Einfluß auf die Atmung gefrorener
Blätter geübt. Bei Abwesenheit von Sauerstoff ist die Kohlen-
säurebildung bei Vicia Faba und einigen anderen gefrorenen
Pflanzen nicht von Alkoholbildung begleitet, so auch bei Samen
und Keimlingen von Lupinus luteus. Das unter diesen
Bedingungen Kohlensäure liefernde Enzym habe ich Carbonase
genannt. Das Verhältnis ihrer Leistungen zur Alkoholgärung
ist schwer zu bezeichnen. Es ist möglich, daß die durch einige
1) Palladinu. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1907. 51.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 163
Pflanzen ohne entsprechende Alkoholbildung ausgeschiedene
‚Kohlensäure das Anfangsstadium der Alkoholgärung bildet.
Es ist aber auch die andere Erklärung möglich, daß die nie-
drigere Temperatur die Alkoholgärung unterbunden hat und
daß nur andere Vorgänge der anaeroben Zerspaltung erhalten
geblieben sind, die aber nicht Glucose, sondern andere Stoffe
zum Material haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei
der anaeroben Atmung gleichzeitig mit der Zerspaltung von
Glucose auch andere Stoffe zerspalten werden, wie das auch
bei durch Hefe hervorgerufene Alkoholgärung zu beobachten
ist. Bekanntlich wird in die Nährlösung eingeführtes Leucin
durch die Hefe unter Bildung von Fuselölen zerstört ').
Aufgabe fernerer Forschungen ist es, aufzuklären, was für
Produkte in den Fällen der anaeroben Atmung neben der Kohlen-
säure statt des Alkohols entstehen, wo Glucose nicht zugegen
ist oder nicht als alleiniges Atmungsmaterial dient. Von mir
und Kostytschew®), von Stoklasa und Ernest?) und auch
von Bialosuknia“) ist z. B. Aceton gefunden worden. Bei
der Atmung von Wurzeln bei ungenügender Sauerstoffzufuhr,
d. h. bei teilweiser Anaerobiose konnten Stoklasa und Ernest
die Bildung einer Reihe von Säuren (Ameisen-, Essig-, Oxal-
säure) konstatieren. Dagegen erscheint bei vollkommener Durch-
lüftung Kohlensäure als einziges Atmungsprodukt bei Wurzeln.
In den angegebenen Fällen wurden sowohl das Aceton
als die Säuren auf Kosten von Glucose gebildet. Folglich er-
scheint die anaerobe Atmung selbst auf Kosten von Glucose nicht
immer als typische Akoholgärung.
Die dargelegten Tatsachen führen zu folgenden Schlüssen :
4. Außer der Glucose können auch andere Stoffe
der anaeroben Atmung als Material dienen.
5. Die anaerobe Atmung kann ohne Alkoholbildung,
dagegen unter Bildung anderer organischer Stoffe
verlaufen.
1) H. Pringsheim, Diese Zeitschr. 8, 128, 1908.
2) W. Palladin u. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol. Chem. 48,
214, 1906.
3) J. Stoklasa u. A. Ernest, Jahrb. f. wissensch. Botan. 46,
55, 1908.
t) W. Bialosuknia, Jahrb. f. wissensch. Botan. 45, 644, 1908.
11°
164 W. Palladin:
Obschon uns die Produkte der anaeroben Atmung noch
wenig bekannt sind, kann man auf Grund unserer gegenwärtigen
Kenntnisse doch mit Bestimmtheit sagen, daß sie bei Luft-
zutritt einer weiteren Oxydation unterliegen. Borodin!) sagte
bereits ganz richtig: „Es wäre am einfachsten, sich die Sache
etwa so vorzustellen, daß bei der Kohlensäurebildung, die auch
bei Ausschluß von freiem Sauerstoff stattfindet, eine leicht
oxydierbare, Sauerstoff anziehende Substanz gebildet werde;
man könnte dann weiter erwarten, es werde sich diese Substanz
während des Verweilens der Pflanze in einer sauerstofffreien
Atmosphäre immer mehr anhäufen und bei abermaligem Zutritt
von Sauerstoff eine (gegenüber der normalen) verstärkte Kohlen-
säurebildung hervorrufen.“ Leider bestätigen die von ihm an
einem Ast von Syringa vulgaris angestellten Versuche die
ausgesprochene Mutmaßung nicht. Man darf nicht annehmen,
daß nach zeitweiliger Anaerobiose stets eine Steigerung der
Atmungsenergie zu beobachten ist. Selbst bei Zufuhr leicht
oxydierbarer Produkte ruft die Anaerobiose manchmal (z. B. bei
Aspergillus niger) eine Vergiftung durch diese Produkte
hervor. Maquenne?) beobachtete bei vielen Pflanzen nach
vierstündiger Anaerobiose eine manchmal sehr bedeutende
Steigerung der Atmungsenergie. Dabei stieg sowohl die Menge
der ausgeschiedenen Kohlensäure, als auch die Menge des auf-
genommenen Sauerstoffs. Auch das Verhältnis E erfuhr ge-
wöhnlich eine Steigerung. `
Einen besonders bemerkenswerten Fall konnte ich?) bei
der in Rollkulturen auf verschiedenen Nährlösungen gezüchteten
einzelligen Alge Chlorothecium saccharophilum beobachten.
Eine besonders bedeutende Steigerung der Atmungsenergie war
bei der Kultur auf Raffinose zu beobachten (Fig. 1).
Hier stieg die Atmungsenergie nach einem 48!/,stündigen
Aufenthalt im Wasserstoffstrom (nach der ausgeschiedenen
Kohlensäuremenge berechnet) um 4!/,mal. Die an derselben
Alge in meinem Laboratorium von Petraschewski*) aus-
1) Borodin, Botan. Zeite. 1881, 127.
23) Maquenne, Compt. rend. 119, 100, 697, 1894.
3) W. Palladin, Centralbl. f. Bakt. II., 11, 146, 1903.
4) L. Petraschewsky, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1904, 323.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 165
CO,
o haben
für Raffinosekulturen nach einer zeitweiligen Anaerobiose eine
Steigerung, dagegen bei Mannitkulturen eine Verminderung
- ergeben. In beiden Fällen entstehen also verschieden oxydierte
Spaltungsprodukte. Eine Steigerung der Atmungsenergie nach
geführten Bestimmungen des Verhältnisses von
zeitweiliger Anaerobiose wurde
d
von Fr. Krasnosselsky!) TIITIIIITiIIII
und Frl. Leschtsch?) in ihren 44
in meinem Laboratorium an- —
NRALZERIARBE
gestellten Versuchen beobachtet
und zwar von Krasnosselsky
beiMucorspinosusundAsper-
gillus niger, von Leschtsch
bei Saccharomyces mem-
branaefaciens. Leschtsoh
kam zum Schlusse, daß eine Stei-
gerung der Atmungsenergie nach
zeitweiliger Anaerobiose nur bei
Aeroben zu beobachten ist; die
Einführung von Luft in Wasser-
stoffkulturen von Saccharo-
mycescerevisiseundSaccha-
romyces Pombe ergab nur eine
NO-FEHE
EINES AR AE
unbedeutende Steigerung der Hu
Kohlensäureausscheidung für 7 — ES d
kurze Zeit, was auch bei etio- —
lierten Blättern von Vicia Faba
zu beobachten ist. Kosty-
tschews?) Untersuchungen über
die Atmung verschiedener Mu-
Ausgeschiedene Kohlensäuremenge
bei normaler (O) und intramole-
kularer (H) Atmung der Alge
Chlorothecium saccharophilum.
corarten haben gezeigt, daß nach zeitweiliger Anaerobiose das
Verhältnis Co, sehr bedeutende Größen erreichen kann, so stieg
dé
bei Mucor tolonifer das Verhältnis co, bis 6,58. Diese Koef-
0,
1) T. Krasnosselsky, CentralbL f. Bakt. IL Abt., 13, 673, 1904.
2) M. Leschtsch, Centralbl. f. Bakt. II. Abt. 12, 649, 1904.
3) S. Kostytschew, Centralbl. f£. Bakt. II. Abt., 13, 490, 1904.
166 W. Palladin:
fizienten, sowie die von Petraschewsky erhaltenen zeigen,
daß während der anaeroben Atmung stark oxydierte Verbindun-
gen angehäuft werden.
Durch Experimente, die an einer Reihe zu verschiedenen
Gruppen gehöriger lebender Pflanzen angestellt worden sind,
ist also erwiesen, daß nach Zuführung von Sauerstoff die Pro-
dukte der anaeroben Zerspaltung oxydiert werden.
Dasselbe konnte ich!) an durch niedrige Temperatur ge-
töteten Pflanzen beobachten. So wurden von zwei Portionen
etiolierter Blätter von Vicia Faba, die nach vorangehender
Saccharosefütterung erfroren waren, folgende (auf 100 g Blätter
berechnete) Kohlensäuremengen ausgeschieden:
1. Luftstrom
2. Wasserstoffstrom
4 Stunden
4 »
15
Die Ergebnisse des Versuchs sind in Fig. 2 dargestellt.
Man sieht, daß getötete Blätter, die bei Luftzutritt 38,2 mg
Kohlensäure in der Stunde ausschieden, es nach zeitweiliger
Anaerobiose zu 54,3 mg CO, in der Stunde brachten. Folglich
begünstigte der vorhergehende 23stündige Aufenthalt im Wasser-
stoffstrom die Anhäufung leicht oxydierbarer Stoffe. Ferner
folgt aus einem Vergleiche der gesamten von der ersten im
Luftstrom befindlichen Portion (in der gleichzeitig anaerobe und
Oxydationsvorgänge statt hatten) ausgeschiedenen Kohlensäure-
menge mit der Gesamtmenge der von der zweiten Portion
Blätter (wo zuerst im Wasserstoffstrom ausschließlich anaerobe
Prozesse abliefen und die Produkte der anaeroben Zerspaltung
erst nachher durch den durchgelassenen Luftstrom oxydiert
1) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 412, 1906.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 167
. wurden) ausgeschiedenen Kohlensäure, daß im ersten Falle
343 mg, im zweiten 474 mg, d. i. um 131 mg oder 38,1°/, mehr
` Kohlensäure ausgeschieden wurde. Dieser Überschuß in der
zweiten Portion wurde ausschließlich dadurch ermöglicht, daß
im Wasserstoffstrom große Mengen von Produkten der anaeroben
Zerspaltung gebildet waren, die sodann oxydiert wurden.
Solche an getöteten Pflanzen angestellte Versuche demonstrieren
auf besonders anschauliche Weise die Abhängigkeit der Oxy-
dationsvorgänge von den vorausgehenden
Vorgängen der anaeroben Zerspaltung.
Aus der Tatsache, daß der gleich-
zeitige Verlauf von anaeroben und Oxy-
dationsvorgängen bei getöteten Pflanzen
für sie, wie aus der stark verminderten
Mengeausgeschiedener Kohlensäurefolgt,
ungünstig ist, kann gefolgert werden, daß
die Oxydationsvorgänge einen schädigen-
den Einfluß auf die anaeroben Prozesse
ausüben. Das wird durch Versuche von
Bach) bestätigt, bei denen die Gegenwart Fig. 2.
von Peroxydase einen schädigenden Ein- Durch erfrorene etiolierte
fluß auf die Zymase des Zymins ausübte. ehem Kohlen
Alles Gesagte führt zur Annahme, säure e/ an der Luft,
daß in der lebenden Zelle die anaeroben ed — zuerst im Wasser-
stoff (ab) — dann an der
und Oxydationsvorgänge nicht nur zeit- Luft (bcd).
lich, sondern vielleicht auch räumlich
getrennt sind, etwa dem Umstande analog, daß in der lebenden
Zelle die Koexistenz von sauer reagierendem Zellsaft und
alkalisch reagierendem Protoplasma möglich ist. Wenn aber
eine solche räumliche Trennung fehlt, so muß die lebende
Zelle über Mittel (Antifermente) verfügen, die die anaeroben
Enzyme vor der schädlichen Einwirkung der Oxydasen be-
wahren. Auch könnten beide Fälle zugleich in der lebenden
Zelle Platz haben.
Auch bei Tieren ist nach vorübergehender Anaerobiose ver-
mehrte Kohlensäureausscheidung zu beobachten, wie das Weiß?)
1) A. Bach, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 20. April 1906.
23) G. Weiß, Bulletin soc. biologique de France 64, Nr. 11, 12,
1908. Zitiert nach Biochem. Centralbi. 1908, 8111.
168 W. Palladin:
am Frosche feststellen konnte. Obschon dabei die Vermehrung
der Kohlensäureausscheidung von bedeutender Sauerstoffabsorp-
tion begleitet war, so war doch stets ein Steigen des Atmungs-
koeffizienten zu vermerken.
Die kürzlich angestellten Versuche Nabokichs!) können
als weitere Stütze der Ansicht dienen, daß durch anaerobe Vor-
gänge beständige Stoffe in höchst unbeständige übergeführt
werden. Er wiederholte die früheren Versuche Brensteins?®)
über die Kohlensäureausscheidung von durch überhitzten Dampf
getöteten Pflanzen und stellte folgenden weiteren Versuch an.
Von zwei Portionen Fruchtträger von Agaricus campestris
wurde die eine durch überhitzten Dampf getötet und die Menge
der von ihr danach ausgeschiedenen Kohlensäure bestimmt;
die andere befand sich vorher 24 Stunden im sauerstofffreien
Medium und wurde dann erst getötet. Die von der zweiten
Portion ausgeschiedene Kohlensäuremenge überstieg die ent-
sprechende Größe bei der ersten um mehrere Male. Die vor-
ausgehende Anuerobiose hatte also eine große Menge Stoffe vor-
bereitet, die an der Luft oxydiert werden konnten.
Alle ausgeführten Versuche können wie folgt zusammen-
gefaßt werden:
6. Die Vorgänge der anaeroben Atmung führen be-
ständige, keine unmittelbare Oxydation zulassende
Pflanzenstoffe in höchst unbeständige leioht oxydier-
bare Stoffe über.
Es entsteht die fernere Frage, ob durch den Sauerstoff
End- oder irgendwelche Zwischenprodukte der anaeroben Zer-
spaltung oxydiert werden.
Als Endprodukt der Vorgänge der anaeroben Atmung er-
scheint in der Mehrzahl der Fälle Alkohol. Es entsteht die
Frage, ob bei normalen Bedingungen bei Luftzutritt Alkohol
. entsteht, oder ob dabei die Vorgänge der anaeroben Zerspaltung
die Alkoholbildung nicht erreichen und nicht Alkohol, sondern
dem Anfangstadium der anaeroben Zerspaltung näher stehende
Stoffe oxydiert werden. Theoretisch betrachtet erscheint es
1) A. Nabokich, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 324.
2) Brenstein, Über die Produktion von Kohlensäure durch
getötete Pflanzenteile. Inaug.-Diss., Kiel 1887. — Reinke, Botan.
Zeitg. 1887, 216.
— gp
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 169
für die Pflanze vorteilhafter, unbeständige, labile Stoffe zu
oxydieren, als beständige.
Was für Stoffe sind nun weniger beständig: Alkohol oder
uns unbekannte Zwischenprodukte, aus denen er später ge-
bildet wird? Für den Gang ohemischer Reaktionen gibt Ost-
wald folgende allgemeine Regeln an. Es entstehen „bei chemi-
schen Vorgängen im weitesten Sinne von den möglichen Pro-
dukten nicht die beständigsten zuerst“ . . . „sondern die unter
den vorhandenen Umständen noch möglichen unbeständig-
sten“!). Es wird „beim freiwilligen, d. h. infolge Eintritts
in das labile Gebiet erfolgenden Verlassen eines Zustandes
nicht die Form mit der kleinsten freien Energie erreicht,“ ...
„sondern die Form, welche unter möglichst geringem Verlust
an freier Energie erreicht werden kann, oder die Form mit
der nächstgrößten freien Energie‘‘?). Selbst bei der Krystalli-
sation aus übersättigten Lösungen konnte Ostwald beobachten,
daß nicht zuerst dauerhafte, kein Wasser enthaltende Krystalle
entstehen, sondern unbeständige wasserhaltige, im Wasser leichter
lösliche Krystalle, die erst im weiteren Verlaufe der Krystalli-
sation in solche übergehen, die kein Wasser enthalten.
Auch bei der Alkoholgärung müssen also die Zwischen-
produkte weniger beständig sein und der Oxydation leichter
unterliegen, als das Endprodukt der Gärung, der Alkohol. Die
von Godlewski’) und mir*) geäußerte Ansicht, daß es bei
der normalen Atmung nicht zur Bildung von Alkohol zu kommen
braucht, versuchte Kostytschew°) durch neue Tatsachen zu
bestätigen.
7. Alkohol wird nur bei anaerober Atmung gebildet.
8. Bei normaler Atmung unter Luftzutritt führen
die Vorgänge der anaeroben Zerspaltung nicht zur
Bildung von Alkohol und anderer ihm analoger Pro-
dukte, da der Oxydation frühere labile Zwischen-
produkte der anaeroben Zerspaltung unterliegen.
1) W. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 34, 252, 1900.
2) W. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 22, 307, 1897.
3) Godlewski, Bulletin de l’Acad. des sciences de Cracovie 1904, 115.
4) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chemie 47, 407, 1906.
8) S. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 565. —
Diese Zeitschr. 15, 164, 1908.
170 W. Palladin:
Gewöhnlich beurteilt man die Energie der anaeroben Zer-
spaltung als einen das Leben in sauerstofffreien Medien unter-
haltenden Prozeß nach der ausgeschiedenen Kohlensäure-
menge, d.i. nach der Energie der anaeroben Atmung, indem
man voraussetzt, daß die Bildung der übrigen Produkte der
anaeroben Zerspaltung der ausgeschiedenen Kohlensäuremenge
proportional verläuft. Eine solche Proportionalität besteht aber,
wie Versuche zeigen, in der Tat nicht, und wir kennen solche
Fälle von Leben ohne Sauerstoff, die beinahe von keiner
Kohlensäureausscheidung begleitet sind. Ich will mich auf ein
sehr bezeichnendes Beispiel beschränken: Raffinosekulturen der
Alge Chlorothecium saccharophilum scheiden, in ein sauer-
stofflloses Medium versetzt, im Laufe der ersten 24 Stunden
minimale Mengen, im Laufe weiterer 24 Stunden gar keine
Kohlensäure aus, so daß man versucht ist, die Pflanze für
tot zu halten. In der Tat setzt sie aber ihr Leben fort, in-
dem sie das Nährsubstrat ohne Ausscheidung von Kohlensäure
spaltet, was dadurch bewiesen wird, daß sie im Luftstrom die
Produkte der anaeroben Zerspaltung lebhaft zu oxydieren be-
ginnt und bis zum Schlusse dieser Oxydation die Menge der
ausgeschiedenen Kohlensäure um 4!/, mal gegenüber der Norm
(Fig. 1, S. 165) erhöht. Folglich:
9.können aerobe Pflanzen in sauerstofflosen Medien
leben, ohne Kohlensäure auszuscheiden.
Unter diesen Bedingungen findet eine sehr energische
Spaltung zusammengesetzter organischer Verbindungen in ein-
fachere statt. Zur Erforschung dieser Verbindungen hat man
gerade solche Substanzen zu wählen, die in sauerstofffreien
Medien wenig Kohlensäure ausscheiden, da man als Regel be-
trachten kann, daß, je weniger Kohlensäure Pflanzen unter diesen
Bedingungen ausscheiden, sie es desto energischer nach erneuter
Sauerstoffzufuhr tun, da bei Sauerstoffentziehung in ihnen ja
besonders viel leicht oxydable Stoffe angesammelt werden
müssen.
Während bei Chlorothecium das anaerobe Leben nur
in den zweiten 24 Stunden ohne Kohlensäureausscheidung ver-
läuft, ist manchmal auch die umgekehrte Erscheinung zu ver-
zeichnen, daß das anaerobe Leben nur in den ersten Stunden ohne
Kohlensäureausscheidung verläuft, wonach diese dann beginnt.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 171
Ein solcher Fall wurde von Kostytschew!) an Peptonkulturen
von Aspergillus niger beobachtet. Mit Recht weist Kosty-
tschew darauf hin, daß darin eine Erklärung für den nega-
tiven Befund Diakonows gegeben ist; Diakonow beließ seine
Kulturen nur sehr kurze Zeit in Wasserstoff. Das Aufhören
der Kohlensäureausscheidung kann noch nicht als Kriterium des
Todes gelten.
Ob die anaerobe Atmung von Wasserbildung begleitet ist,
wissen wir ebenso wenig wie überhaupt etwas über den Vorgang
der Wasserbildung während der Atmung.
Die in der ersten Zeit nach dem Versetzen in ein sauer-
stofffreies Medium von den Pflanzen ausgeschiedene Kohlen-
säure kann nicht ausschließlich auf Rechnung der anaeroben
Zerspaltung gesetzt werden, da es dank der Kompliziertheit der
Oxydationsprozesse (s. unten) einiger Zeit bedarf, bis der von
der Pflanze aufgenommene Sauerstoff sie in Form von Kohlen-
säure und Wasser verläßt.
II. Sekundäre (Oxydations-) Prozesse der Pflanzenatmung.
Die Vorgänge der Oxydation der Produkte der anaeroben
Zerspaltung erscheinen noch komplizierter und sind noch weniger
erforscht als die anaerobe Zerspaltung selbst. Darauf, daß
diese Vorgänge in den Pflanzen im höchsten Grade kompliziert
sein müssen, weist der gegenwärtige Stand rein chemischer
Untersuchungen über den Verlauf der Oxydationsprozesse hin.?)
Der Physiologe hat bei Erforschung dieser Prozesse im Orga-
nismus stets die wichtigsten von Chemikern gewonnenen Re-
sultate im Auge zu behalten. Man unterscheidet zwei Kate-
gorien von Oxydationserscheinungen, einmal Verbrennungen (mit
Feuer) bei hohen, und Oxydationen bei niederen Temperaturen,
1) S. Kostytsohew, Untersuchungen über anaerobe Atmung der
Pflanzen. St. Petersburg 1907, S.40, 42 (russisch). Pringsheims Jahrb. f.
wissensch. Botan. 40, 563, 1903.
2) Literatur bei: C. Engler und J. WeißBberg, Kritische Studien
über die Vorgänge der Autoxydation. Braunschweig 1904. — G. Bod-
länder, Über langsame Verbrennung. Stuttgart 1899 (Sammilg. chem.
und chem. techn. Vorträge). — W. Manchot, Über Sauerstoffakti-
vierung. Würzburg 1908 (Verhandlungen der phys. med. Gesellsch. zu
Würzburg, N. F. 89).
172 W. Palladin:
die langsam vor sich gehen und als „langsame Oxydation‘ oder
„Autoxydation‘‘ bezeichnet werden. Zu den Vorgängen der
Autoxydation gehören die Vorgänge der Pflanzenatmung.
Untersuchungen über die Autoxydation haben ergeben,
daß fast immer neben beständigen Oxydationsprodukten (z. B.
Wasser bei Oxydation von Wasserstoff) noch andere Stoffe mit
Peroxydcharakter entstehen, die ein größeres Oxydationsvermögen
haben, als der Sauerstoff der Luft (z. B. bei Oxydation von
Wasserstoff — Wasserstoffsuperoxyd).. Die Bezeichnung „Aut-
oxydation‘“ ist von M. Traube eingeführt; als autoxydierende
Stoffe werden solche bezeichnet, die der Oxydation durch Luft-
sauerstoff unmittelbar fähig sind. Die Autoxydation wird durch
Katalysatoren unterstützt. Da bei den Vorgängen der Aut-
oxydation Stoffe mit Peroxydcharakter gebildet werden, können
dabei auch solche Stoffe oxydiert werden, die durch den Sauer-
stoff der Luft allein nicht oxydiert werden. Es hat also bei der
Autoxydation gleichsam eine Stimulierung des Luftsauerstoffs
stattgefunden, was von Schönbein als Sauerstoffaktivierung
bezeichnet wurde. Zur Erläuterung einige Beispiele:
1. Die Oxydation des Wasserstoffs verläuft wie folgt:
—0O HO
pi In |
— 0 — 0
H,0,+ H, — 2H,0
H
2. Die Oxydation des Oxanthranols RO „CH,
hat den Verlauf:
(Oxanthranol) BR — 0
Anthrachinon = 4- | = Anthrachinon + H,0,.
Manchot!) hatdurch quantitative Untersuchungen bewiesen,
daß bei der Oxydation von Oxanthranol doppelt soviel Sauer-
stoff absorbiert wird, als es dessen bedürfen würde, um als
Reaktionsprodukt Wasser zu bilden. In beiden Fällen erfolgt,
wie man sieht, eine Verbindung mit ganzen Molekülen Sauer-
stoff. Die Oxydation wird in Gegenwart von Barytlauge aus-
geführt, die zugleich als Katalysator dient und das entstehende
Wasserstofisuperoxyd bindet.
1) W. Manchot, Annal. d Chem. 314, 177, 1901.
— —
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 173
3. Der bei der Autoxydation entstandene Körper mit Per-
oxydcharakter kann die Hälfte seines Sauerstoffs anderen
Körpern B abgeben, die von Engler und Weißberg!) als
Acceptoren bezeichnet worden sind:
AO, + B —— AO +- BO.
Der Stoff AO kann noch weiter oxydierend wirken:
AO + B ——- A + BO,
so daß als Reduktionsprodukt des Ausgangsstoffes A erhalten
wird. In Gegenwart von Acceptoren gehen also Oxydations-
und Reduktionsprozesse parallel. Wir haben es hier nach
Ostwald mit einer „Reaktion mit Folgewirkungen“ zu tun.
Die Gegenwart eines Acceptors kann sogar den Gang des Oxy-
dationsvorganges beschleunigen. Es wird z. B. eine Lösung von
Ferrosulfat an der Luft sehr langsam oxydiert; wenn man aber
diese Lösung mit Atzkali vermengt, in dem viel arsenige Säure
gelöst ist, und umschüttelt, so tritt bald die rotbraune Farbe
des Ferrihydroxyds zutage. Dabei wird doppelt soviel Sauer-
stoff aufgenommen, als zur Überführung der Ferro- in die
Ferriverbindung nötig wäre; der Überschuß an Sauerstoff wird
vom Acceptor — der arsenigen Säure — aufgenommen.
Besonders geeignet zur Demonstration der Übertragung von
Sauerstoff sind Cersalze. A.Job?) verfuhr dabei wie folgt: er
nahm zwei Kolben A und B von je ca. 200 ccm Inhalt, goß
in jeden je 50 ccm einer konzentrierten Kaliumcarbonatlösung
und je 5 ccm einer pro Liter etwa 10 g Cer enthaltenden Cero-
nitratlösung; ferner wurden in den Kolben A 20 ccm verdünnter, `
etwa 10 g arsenige Säure pro Liter enthaltender Kaliumcarbonat-
lösung, in den Kolben B die gleiche Menge reiner Kalium-
carbonatlösung gegeben und beide Kolben umgeschüttelt. Im
Kolben B fiel rasch orangerotes, kohlensaures Cerperoxyd aus,
was in A nur in geringem Maße zu beobachten war. Nach
dem Schütteln blieb in B die rote Färbung bestehen, während
sie in A vollständig verschwand und von einer gelben, für
Cerisalze charakteristischen Färbung ersetzt wurde. Das anfangs
farblose Salz des Ceroxyduls (Ce,O,) wurde also in beiden Kolben
zum roten Salze des Cerperoxyds (CeO,) oxydiert; im Kolben A
1) Engler und Weißberg, Le S. 40.
2) A.Job, Compt. rend. 184, 1052, 1902. — Annales de chim. et
de physique, 7. série, 20, 205, 1900.
174 W. Palladin:
wurde dann vom Acceptor (arsenige Säure) ein Teil des Sauer-
stoffs fortgenommen und es entstand ein Cerisalz (CeO,). Letzteres
vermag aus der Luft keinen Sauerstoff aufzunehmen. Nimmt
man statt arseniger Säure Glucose, so erhält man beim Um-
schütteln ebenfalls einen beim Stehen verschwindenden roten
Niederschlag; dabei wird aber die Lösung nicht gelb, sondern
infolge der Reduktion des Cerperoxydsalzes zum Cerosalz farb-
los. In diesem Falle wird der gesamte, aus der Luft aufge-
nommene Sauerstoff an die Glucose abgegeben und das Cero-
salz wirkt wie ein oxydierendes Ferment. Auch Hydrochinon
wurde von Job!) als Acceptor angewandt; die Übertragung
des Sauerstoffs der Luft auf Glucose mit Hilfe von Indigo-
schwefelsäure in alkalischer Lösung hat schon M. Traube be-
obachtet.?)
4. Zwei Stoffe, die einzeln zur Sauerstoffabsorption nicht
befähigt sind, werden es bei ihrer Vermengung. Job?) nimmt
z. B. eine Lösung von Ceriammoniumnitrat in kohlensaurem
Kali. Diese Lösung nimmt ebensowenig wie eine Lösung von
Glucose Sauerstoff auf. Wenn man sie jedoch vermengt, so
tritt zuerst infolge der Bildung von Cerosalz Entfärbung ein;
nach dem Umschütteln fällt ein roter Niederschlag von Cer-
peroxyd aus, der beim Stehen infolge der Oxydation der Glu-
cose von neuem farblos wird. Mit andern Worten ist zum Be-
ginn der Oxydation Reduktion nötig; die Glucose hat das Ceri-
salz aus dem Stadium eines Profermentes (Oxyd) ins Stadium
eines Fermentes (Oxydul) übergeführt.
5. Die oxydierenden Stoffe sind bessere Oxydatoren als der
Sauerstoff der Luft. Viele Stoffe, die der Oxydation durch
Luftsauerstoff unfähig sind, werden leicht durch Chromsäure,
Kaliumpermanganat, Salpetersäure usw. oxydiert. Im pflanz-
lichen Organismus werden ebenfalls Oxydatoren gebildet, die
energischer oxydieren als der Sauerstoff der Luft.
Aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, daß die Oxy-
dationsvorgänge von einer Reihe von Nebenprozessen begleitet
sind, u. a. von Reduktionsvorgängen. Auch in der Zelle wechseln
Oxydations- und Reduktionsvorgänge ab.
1) A. Job, Compt. rend. 136, 45, 1903.
2) M. Traube, Theorie der Fermentwirkungen, 1858; S. 20.
3) A. Job, Compt. rend, 184, 1054, 1903.
Über das Wesen der Pflanzenstmung. 175
Nach Ostwald!) besteht die Wirkung des Oxydators darin,
daß positive Ionen gebunden oder negative geschaffen werden.
Umgekehrt werden von reduzierenden Stoffen die negativen
Ionen gebunden und die positiven gebildet. Nach Le Blanc?)
kann man für elektrische Vorgänge die sog. Oxydations- und
Reduktionserscheinungen scharf definieren. Man kann sagen,
ein Stoff wird oxydiert, wenn er seine positive Ladung vermehrt
(bzw. eine positive Ladung aufnimmt) oder seine negative ver-
mindert, und er wird reduziert, wenn er seine negative Ladung
vermehrt oder seine positive vermindert. Um eine wirkliche
Oxydation, d. h. um eine Mitwirkung des Sauerstofis, an die
man früher stets glaubte, handelt es sich hier vielfach nicht,
sondern um einen Wechsel der Ionenladungen. Das Chlor er-
scheint z. B. in Gegenwart von Wasser als Oxydator, da es die
positiven Wasserstoffionen bindet und negative Hydroxylionen
in Freiheit setzt, die dann auf andere Stoffe oxydierend wirken.
Das Chlor erscheint also als indirekter Oxydator.?)
901L2H_20H—201--2H-L20H
Wasser Salzsäure
Viele Metalle erscheinen in Wasser als indirekte reduzie-
rende Mittel, indem sie positive Wasserstoffionen befreien.
++ < +
Zn + 20H + 2 H = Zn (0H), +4 H + H.
Bei elektrolytischen Oxydationsprozessen bemerkt man eine
Abhängigkeit mit vom Stoffe der Elektroden, so auch von einem
kleinen Zusatz fremder Substanz. In beiden Fällen haben wir
autolytische Prozesse. Der Zusatz eines Reduktionsmittels zum
oxydierenden Stoffe beschleunigt den Gang des Prozesses.?)
Schaer*) untersuchte aktivierende Wirkungen von reduzierenden
Substanzen auf verschiedene oxydierende Verbindungen.
Den Einfluß des Mediums auf den Gang der Reduktions-
und Oxydationsprozesse beleuchten die Versuche von Job.°)
Cersalze werden durch Wasserstoffsuperoxyd bei alkalischer Re-
aktion oxydiert, bei saurer reduziert.
1) W. Ostwald, Allgem. Chem. 3. Aufl., S. 439.
2) M. Le Blanc, Lehrb. d. Elektrochem., 4 Aufl., 1906, S. 240.
3) M. Le Blano, l. o. S. 263 bis 264.
4) Ed. Schaer, Annal. d. Chem. 323, 32, 1002.
6) A. Job, Annales de chim. et physique, 7. serie, 20, 234, 1900.
176 W. Palladin:
Auf Grund der erläuterten Beispiele kann man somit sagen,
daß am Verlauf der Autoxydationsvorgänge beteiligt sind:
l. der oxydierende Körper,
2. ein Körper mit aktiviertem Sauerstoff (Wasserstofisuper-
oxyd, zusammengesetzte Peroxyde),
3. ein Katalysator (Oxydase),
4. ein Acceptor,
5. ein reduzierender Körper.
Die Autoxydationsvorgänge erscheinen also schon im ein-
fachsten Falle recht kompliziert. Was die Oxydationsvorgänge
in den Pflanzen anbelangt, so müssen wir, in Anbetracht ihrer
noch größeren Kompliziertheit, die Unmöglichkeit anerkennen,
schon jetzt ihren Verlauf detailliert zu schildern, und uns
darauf beschränken, einzelne Stufen des Prozesses ins Auge zu
fassen.
Auf Grund unserer gegenwärtigen Kenntnisse von den Oxy-
dationsvorgängen in den Pflanzen müssen wir folgenden Satz als
feststehend betrachten:
10. Um sich den Sauerstoff der Luft anzueignen,
genügt es nicht, von ihm umgeben zu sein. Man muß
über einen komplizierten Apparat zu seiner Aufnahme
verfügen.
Wie es zur Assimilation der Kohlensäure und des Sonnen-
lichtes nicht genügt, von ihnen umgeben zu sein und noch ein
Chlorophyllapparat erforderlich ist, so ist auch zur Aufnahme
von Sauerstoff ein Oxydationsapparat erforderlich. Seinen Be-
stand bilden vor allem, als Katalysatoren der Oxydations-
vorgänge, Oxydasen. Anaerobe Pflanzen entbehren ihrer. Nach
Bach enthält Hefe keine Peroxydase; auf die Arbeit des Zymins
hat Peroxydase einen nachteiligen Einfluß!) Grüss?) konnte
in der Hefe Oxydasen nur in Spuren nachweisen. Die ver-
schwindend geringe Menge der in der Hefe enthaltenen oxy-
dierenden Enzyme erklärt die auf den ersten Blick befremd-
liche Tatsache, daß Hefe bei vollem Luftzutritt zu gären ver-
mag. Man kann also die Definition Pasteurs, Gärung sei
Leben ohne Sauerstoff, erweitern, indem man sagt:
1) A. Bach, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 1906, 1664.
2) Grüss, Wochenschr. f. Brauerei 1899, 522; 1901, 310.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 177
11. Die Gärung ist Leben ohne Sauerstoff, sei es
aus Mangel desselben im umgebenden Medium (höhere
Pflanzen), sei es aus Mangel zu seiner Aufnahme ge-
eigneter Mittel (anaerobe Pflanzen).
Hauptsächlich durch die Arbeiten von G. Bertrand und
von Chodat und Bach ist die weite Verbreitung oxydierender
Enzyme in Pflanzen nachgewiesen. H. Euler und J. Bolin?)
sind der Meinung, daß ihre chemische Natur sehr einfach ist.
Sie vertragen starke Temperaturerhöhung; ihr wirksames Prinzip
bilden Salze organischer Säuren. Ihre Wirkung ist also eine
rein katalytische.
Nachdem Bach?) und gleichzeitig Engler?) gezeigt hatten,
daß die Prozesse der Autoxydation von der Bildung von Per-
oxyden begleitet sind, gaben Chodat und Bach eine Theorie
der Oxydationsprozesse in den Pflanzen, nach welcher den oxy-
dierenden Enzymen die Rolle zufiel, in den Pflanzen auf Kosten
des Sauerstoffs der Luft zusammengesetzte Peroxyde zu bilden,
die von ihnen Oxygenasen, d. h. Träger aktivierten Sauer-
stoffs, genannt wurden, während für die oxydierenden Enzyme
die alte Bezeichnung*) Peroxydasen, d. h. Peroxydbildner, bei-
behalten wurde.
Auf Grund der chemischen, auf die Prozesse der Autoxy-
dation bezüglichen Tatsachen müssen wir auch in den Pflanzen
Bildung von Peroxyden als Träger aktivierten Sauerstofis an-
nehmen, aber unsere diesbezüglichen, auf Tatsachen beruhenden
Kenntnisse sind minimal. Eine Aufgabe künftiger Forschungen
wird die Beseitigung dieses Mangels bilden. Nach Bach und
Chodat?) gibt die durch Behandlung des Saftes von Lathraea
squammaria mit Barytwasser mit nachfolgender Zerlegung des
erhaltenen Niederschlags gewonnene Lösung mit Titanschwefel-
säure keine Reaktion auf Wasserstoffisuperoxyd, färbt aber mit
Jodkali in intensiver Weise Stärke blau. Wahrscheinlich wird
1) Hans Euler und Ivan Bolin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 57,
80, 1908.
2) Bach, Compt. rend. 124, 951, 1897. Moniteur scientifique 11,
480, 1897.
3) Engler, Verhandl. d. naturw. Ver. Karlsruhe, 13, 72, 1896. —
Engler und Wild, Ber. d. Deutsch. ohem. Ges. 30, 1696, 1897.
4) Linossier, Compt. rend. soc. biol 50, 373, 1898.
H Bach und Chodat, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 85, 2466, 1902.
Biochemische Zeitschrift Band 18, 12
178 W. Palladin:
in den Pflanzen auch Wasserstoffsuperoxyd gebildet, es ist aber
infolge der Gegenwart von Katalase schwer nachzuweisen. Zu-
gunsten des Vorhandenseins von Peroxyden in den Pflanzen
spricht der Umstand, daß möglichst gereinigte Peroxydase ohne
Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd gar keine Farbenreaktionen
zeigt, d. h. keine oxydierenden Prozesse vollzieht.
Das Oxydationsvermögen der Oxydasen ist selbst in Gegen-
wart von Wasserstofisuperoxyd sehr beschränkt. G. Bertrands
Untersuchungen haben gezeigt, daß Oxydasen den Sauerstoff
der Luft ausschließlich auf aromatische Verbindungen von
bestimmter Zusammensetzung zu übertragen befähigt sind. ‚Les
corps nettement attaquables par la laccase sont ceux qui, appar-
tenant & la serie benzenique, possedent au moins deux des
groupements OH ou NH, dans leur noyau et dans lesquels
ces groupements sont situés, les uns par rapport aux autres
soit en position ortho, soit surtout en position para.‘‘!) Meta-
Verbindungen werden äußerst schwer oxydiert. Z. B. haben
Hydrochinon, Brenzkatechin und Resorein in Gegenwart von
Laccase folgende Sauerstoffmengen absorbiert:
Hydrochinon (Para-Diphenol) . . 32,0,
Brenzkatechin (Ortho-Diphenol) . . 17,4,
Resorein. . (Meta-Diphenol) . . 0,6.
Dabei ist zu bemerken, daß selbst die durch Oxydasen
oxydierbaren Stoffe durch sie niemals bis zu Kohlensäure und
Wasser, sondern nur bis zur nächsten organischen Verbindung
oxydiert werden, die dabei, wie es scheint, stets farbig, d. h.
ein Pigment ist. So wird Hydrochinon unter Sauerstoff-
absorption und Bildung von Wasser nur zu rotem Chinon oxy-
diert:
C,H,0,+0=C,H,0,+ H,O.
Pyrogallol wird unter Sauerstoffabsorption und Kohlen-
säureausscheidung nur zu rotem Purpurogallin oxydiert. Laccol
wird zu schwarzem Lack oxydiert. Eine durch unvollständige
Oxydation verschiedener organischer Verbindungen entstehende
Pigmentbildung liegt endlich allen Farbenreaktionen der Oxy-
dasen zugrunde. Aus allen bis heute bekannt gewordenen Tat-
1) G. Bertrand, Compt. rend. 122, 1132, 1896; Annales de chim.
et de physique, 7. serie, 12, 115, 1897.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 179
sachen ist also ersichtlich, daß das Oxydationsvermögen der
Atmungsoxydasen sehr beschränkt und zwar nur auf Pigment-
bildung zurückzuführen ist. Eine Pigmentbildung bei der Ein-
wirkung der tierischen Oxydasen z. B. auf Adrenalin und
Tryptophan, sowie auf p-Oxyphenyläthylamin hat Neuberg!)
beobachtet.
12. Die Atmungsperoxydasen sind gewöhnlich
pigmentbildende Enzyme.
In einigen Fällen ist die umgekehrte Erscheinung zu be-
obachten: als Resultat der Oxydation tritt Zerstörung des Pig-
mentes ein. Das ist sehr gut am Karoten, einem Kohlenwasser-
stoff, dem nach Willstätter?) die Formel C,,H,, zukommt,
zu beobachten. In großen Mengen ist er in der Wassermelone
(Citrullus vulgaris) vertreten. Das zerkleinerte Innere der Wasser-
melone wird bei Autolyse mit Chloroform bei Luftzutritt in
einigen Tagen vollständig entfärbt. Bei Autolyse ohne Luft-
zutritt oder, in Gegenwart von Formalin°?), welches die enzy-
matischen Prozesse zerstört, auch bei Luftzutritt bleibt die Fär-
bung erhalten.
Eine ähnliche Entfärbung des Karoten, wenn auch eine
bedeutend langsamer eintretende, ist nach sehr langer Autolyse
von Möhren zu beobachten. Auf Grund dieser Versuche muß
auch das Karoten den Atmungspigmenten beigezählt werden.
Versuche, mittels der Oxydasen aliphatische Verbindungen
zu oxydieren, haben zu negativen Resultaten geführt. So ist
Portier*) nach fruchtlosen Versuchen, Glucose mittels Laccase
1) C. Neuberg, Diese Zeitschr, 8, 383, 1908.
DR Willstätter, Annal. d. Chem. 355, 1, 1907.
3) Das Formalin ist sehr wertvoll, wenn es sioh darum handelt, die
in den Pflanzen enthaltenen (alle?) Enzyme zu töten, ohne dabei andere
in den Pflanzen vorhandene, oft höchst unbeständige Stoffe zu zerstören.
Formalinbehandlung gibt oft bessere Resultate, als das Kochen, welches
nicht nur auf Enzyme, sondern auch auf andere Stoffe zerstörend wirkt.
Zur Tötung setzt man es entweder zu bereits zerkleinerten Pflanzen hinzu
oder man bringt ganze Pflanzenteile in Formalindämpfe unter Glas-
glocken. Man erhält so abgestorbene Pflanzen mit getöteten Enzymen,
während man in Chloroformdämpfen abgetötete Pflanzen mit wirk-
samen Enzymen erhält (zur Bezeichnung „abgestorben‘‘ und „abgetötet‘
vgl. Trommsdorf, Centrabl. f. Bakt., II. Abt., 8, 87, 1902).
4) Portier, Les oxydases dans la serie animale. Leur rôle physio-
logique. Paris 1897.
12*
180 W. Palladin:
zu oxydieren, zu dem nicht richtigen Schluß gekommen, daß
den Oxydasen bloß eine schützende Rolle zukommt: bei Ver-
wundungen bewirken sie Bildung von die Wunde überziehendem
Lack.!)
13. Die Atmungsenzyme können die Produkte der
anaeroben Zerspaltung, soweit letztere zu den ali-
phatischen Verbindungen gehören, nicht unmittelbar
oxydieren.
Die uns noch nicht bekannten labilen Produkte der an-
aeroben Zerspaltung geben bei der Hefe schließlich Alkohol.
Auch bei Aeroben wird nach zeitweiliger Sauerstoffentziehung
in der Mehrzahl der Fälle Alkohol gebildet. Was geschieht
aber mit den Produkten der anaeroben Zerspaltung bei Aeroben
in normalen Verhältnissen an der Luft? Wenn die Produkte
der anaeroben Zerspaltung bei ihnen aliphatische Verbindungen
sind, so bedarf es zu ihrer Oxydation der Gegenwart eines neuen
aromatischen Stoffes als Sauerstoffüberträger. Oder aber die
Produkte der anaeroben Zerspaltung müssen selbst erst in aroma-
tische Verbindungen verwandelt werden, um dann schon un-
mittelbar durch Oxydasen oxydiert zu werden. In beiden Fällen
ist eine Beteiligung aromatischer Verbindungen am Atmungs-
prozeß der Pflanzen notwendig. In der Tat sind solche Ver-
bindungen, wie ich in meinen letzten Arbeiten gezeigt habe,
überall in den Pflanzen verbreitet. Sie verdienen vollkommen
die Bezeichnung ‚Atmungspigment‘“. Reinke?) hat schon längst
auf die wichtige physiologische Bedeutung dieser Pigmente, die
er Autoxydatoren nennt, aufmerksam gemacht. „Daß derartige
Stoffe, die, wenn sie auch nur in geringer Menge im Proto-
plasma gebildet werden, durch ihre eigene Oxydation auch die
Verbrennung schwieriger oxydierbarer Stoffe einleiten können,
hat Moritz Traube zuerst hervorgehoben, und es bildet diese
Tatsache die Grundlage der von ihm aufgestellten Theorie der
1) Nur für tierische Oxydasen sind Angaben über die Fähigkeit zur
Oxydation aliphatischer Verbindungen vorhanden. So wird von ihnen
nach Batelli und Stern (diese Zeitschr. 9, 44, 1908) Ameisensäure oxy-
dert, Sieber (Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 560, 1905) beobachtete
Oxydation von Kohlenhydraten. Ich glaube, daß die Präparate von Sieber
mehrere Enzyme, und nicht ausschließlich Oxydasen, enthielten.
2) Reinke, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 263, 1882; Botan. Zeit.
65, 1883.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 181
Atmung.!) Im Anschluß daran habe ich die Vorstellung ent-
wickelt, daß solche Stoffe, wie das Rhodogen, welche sich direkt
mit dem Sauerstoff der Luft verbinden können, im Protoplasma
entstehen und bei ihrer Oxydation, wie alle Autoxydatoren dies
tun, zugleich atomistischen Sauerstoff erzeugen, der nun seiner-
seits imstande ist, Kohlenhydrate, Fette oder Säuren direkt zu
verbrennen. "721 Diese Ansicht Reinkes bedarf auf Grund un-
seres gegenwärtigen Tatsachenmateriales einer Berichtigung nach
drei Richtungen hin: erstens gehen diese Pigmentenicht direkt,
sondern durch Vermittlung von Oxydasen mit dem Sauerstoff
der Luft Verbindungen ein, zweitens werden von ihnen Kohlen-
hydrate nicht direkt, sondern nur die primären Produkte
deren anserober Zerspaltung oxydiert. Bei der Oxydation ent-
steht, drittens, kein atomistischer Sauerstoff, sondern Peroxyde.
A. Hansen hält die Nebenpigmente der Algen (Phykocyan,
Phykoerythrin und Phykophäin) für Atmungspigmente. ‚Ich
möchte hier einen ganz anderen Gedanken aussprechen, näm-
lich, daß die Farbstoffe zwar zum Gaswechsel der Meeresalgen,
aber zur Atmung in Beziehung stehen, daß sie die Bedeutung
besitzen, den Sauerstoff anzuziehen, also als Atmungspigmente
zu bezeichnen wären.‘“?) Nach Pfeffer*) „besitzen einzelne
Bakterien, in analoger Weise wie das Blut (Hämoglobin) die
Fähigkeit, ein erhebliches Quantum von Sauerstoff in der Art
locker zu binden, daß die so aufgespeicherte Menge allmählich
an einen sauerstofifreien Raum abgegeben wird.“ Nadson’?)
hat die Mutmaßung ausgesprochen, daß die Chromogene der
höheren Pilze durch Vermittlung eines Enzyms einer Oxydation
durch den Sauerstoff der Luft unterliegen. Fahrion meint:
„Die Gerbsäuren bedeuten für die Pflanze eine Art Reservoir,
in welches sie jederzeit überschüssigen Sauerstoff ablagern und
aus welchem sie im Bedarfsfall jederzeit Sauerstoff entnehmen
kann. In beiden Fällen bedarf sie aber der Mitwirkung eines
Ferments, welches einmal die Bildung der Superoxyde veranlaßt,
1) M. Traube, Gesammelte Abhandlungen, S. 396 ff.
2) J. Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie, 1901, S. 281.
3) A.Hansen, Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel
11, 302, 1895.
*) W. Pfeffer, Sitzungsber. Sächs. Gesellsch., 27. Juli 1896.
5) Nadson, Die Pigmente der Pilze. St. Petersburg 1891 (russ.).
182 W. Palladin:
das andere Mal die Superoxyde aus den chinohydronartigen
Doppelverbindungen, welche sie mit unoxydierter Gerbsäure-
molekülen eingehen, wenn sie nicht zur Sauerstoffabgabe kommen,
frei macht.“)
Ungeachtet der eben angeführten Hinweise wurde den
Atmungspigmenten fast keine Aufmerksamkeit geschenkt, was
seine Erklärung darin findet, daß die Verbreitung der
Chromogene sehr beschränkt zu sein schien. Nach der Be-
tonung ihrer Bedeutung?) wies ich deshalb ihre weite Ver-
breitung nach.?) Bei einer verhältnismäßig geringen Anzahl
Pflanzen genügte es zum Nachweis des Chromogens, den Saft
suszupressen, wobei das Chromogen durch Oxydation an der
Luft ein Pigment lieferte. Als solche Objekte sind zu er-
wähnen ` die weiße Zuckerrübe, Kartoffelknollen, Keimlinge von
Vicia Faba, Fruchtkörper von Agaricus campestris. Bei
anderen Pflanzen kann das Chromogen erst nach einer Auto-
lyse (Selbstverdauung) von größerer oder geringerer Dauer unter
sterilen Verhältnissen nachgewiesen werden. Zu diesem Zwecke
können zwei Verfahren angewandt werden: nach dem einen
werden die Pflanzen in einen Kolben gebracht, mit Wasser über-
gossen und, nach Zusatz von Chloroform in geringem Über-
schuß, der Kolben durch einen Pfropfen geschlossen. Dieses
Verfahren ist zum Nachweis des Chromogens in Weizenkeimen
vorzüglich geeignet. Während die ersten Tage über keinerlei
Veränderungen zu beobachten sind, tritt nach 8 bis 10 Tagen
eine Braunfärbung der Oberfläche der Flüssigkeit ein, die beim
Umschütteln verschwindet. Die oxydierte Flüssigkeitsschicht
wird also durch die Weizenkeime reduziert. Bei weiterer Auto-
lyse unter häufigem Umschütteln wird die Flüssigkeit dunkel-
rot und schließlich dunkelbraun. Autolyse unter Sauerstoff-
abschluß liefert eine hellgelbe Lösung, die an der Luft rasch
rot und dann schwarz wird. Beim anderen Verfahren wird die
Autolyse in der Art ausgeführt, wie sie zuerst von Molisch*)
1) Fahrion, Theorie der Lederbildung. Zeitschr. f. angew. Chem.
1903, 677.
2) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 55, 207, 1908. Ber.
d. Deutsch. botan. Ges. 26a, 125, 1908.
3) W. Palladin, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 26a, 378, 1908.
4) H. Molisch, Sitzungsb. d. Wiener Akad. I. Abt. 102, 272, 1893.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 183
zum Nachweise von Indigo in Indigopflanzen angewandt wurde;
die Pflanzen werden unter Gilasglocken gebracht, in denen
Schälchen mit Chloroform aufgestellt sind. Die Pflanzen werden
rasch abgetötet und es beginnt die Oxydation des in ihnen ent-
haltenen Chromogens. Wenn jedoch letzteres als Glykosid oder
in einer anderen Verbindung (Weizenkeime) gebunden vorkommt,
so hat in den getöteten Pflanzen zuerst eine enzymatische Spaltung
dieser Verbindungen statt, und dann erst tritt Oxydation des frei ge-
wordenen Chromogens ein. Bei dieser Versuchsanordnung werden
in einigen von Molisch bezeichneten Fällen schöne Pigmente er-
zielt, so bei Indigopflanzen, die eine blaue Färbung annehmen,
welche besonders schön nach Extraktion des Chlorophylis durch
Alkohol hervortritt; Blätter von Aloe soccotrina!) werden
durch Oxydation des Aloins rot; auch bei Schenkia Blume-
naviana?) tritt eine schöne Rotfärbung ein.
Da bei der Mehrzahl der Chromogene die Zwischenstufen
der Oxydation, welche rote oder blaue Pigmente bilden, rasch
einer weiteren Oxydation zu schwarzbraunen Pigmenten unter-
liegen, so ist in Chloroformdämpfen, wie es Frl. Junitzky?)
gezeigt hat, fast stets die baldige Bildung schwarzbrauner Pig-
mente zu beobachten. Bringt man einen Zweig von Prunus
Padus mit jungen grünen Früchten in Chloroformdämpfe, so
werden sowohl Blätter wie Früchte rasch braun, und unter der
Glasglocke sammeln sich große Mengen durch Zerspaltung von
Amygdalin entstandener Blausäure an.
Zum Nachweis des Dipsacotins, des blauen Pigments der
Dipsaceae, wurden von T. Tam mest) lebende Blätter in feuchte
Luft gebracht oder zur Vermeidung des Austrocknens mit
Filtrierpapier umwickelt und erhöhter Temperatur ausgesetzt.
Bei 40° beginnt eine bedeutende Pigmentbildung, die bei 60°
stark zunimmt. Da dieses Pigment in jungen Pflanzenteilen
in großen Mengen vorkommt, muß es auch den Atmungs-
pigmenten beigezählt werden. In T. Tammes Versuchen wurde
1) H. Molisch, Milchsaft und Schleimsaft der Pflanzen 1901, S. 105.
2) H. Molisch, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1901, 149.
8) Nicht veröffentlichte Versuche.
4) Tine Tammes, Dipsacan und Dipsacotin, ein neues Chromogen
und ein neuer Farbstoff der Dipsaceae. Recueil des Travaux botaniques
Néerlandais 5, 1908.
184 W. Palladin:
durch hohe Temperatur die Zerspaltung des Glykosids Dipsacan
beschleunigt, und die Oxydationsprozesse erfuhren gegenüber den
Reduktionsprozessen eine Steigerung.
Außer den beschriebenen Verfahren benutzte ich zum raschen
Nachweis von Chromogen noch folgendes. Die zu untersuchende
Pflanze oder deren Teile werden zerkleinert, mit destilliertem
Wasser versetzt und aufgekocht. Im Filtrat ist die Oxydase
entweder zerstört oder doch stark geschwächt, man erhält des-
halb eine vollkommen oder beinahe farblose Chromogenlösung.
Da bei vielen Pflanzen schon bei der Zerkleinerung Oxydation
des Chromogens eintritt, so ist man gewöhnlich genötigt, ziem-
lich große Stücke nicht auf einmal, sondern nach und nach,
um ein bedeutenderes Sinken der Temperatur zu vermeiden, in
siedendes destilliertes Wasser zu werfen. Die gekochten Pflanzen
werden dann zerkleinert. Bloß auf diese Weise gelingt es, bei vielen
Pflanzen zu fast farblosen Chromogenlösungen zu gelangen. Zur
Oxydation des erhaltenen Chromogens gab ich eine geringe
Menge nach Chodat und Bach!) gewonnener Meerrettichperoxy-
dase und einige Tropfen schwacher (0,5 bis 1°/,) Wasserstoff-
superoxydlösung hinzu. Ist Chromogen in Lösung, so tritt bald
Färbung ein. Meist ist sie rot (14. Ruber oder 13. Pur-
pureus)?) und geht rasch in Dunkelbraun (19. Latericius oder
20. Badius) über. Seltener ist lila oder violette Färbung (49.
Lividus, 12. Atropurpureus oder 6. Fumosus) zu beobachten,
die dann auch in Rot und später in Dunkelbraun übergeht. Zu-
gabe von 1 bis 3 Tropfen schwacher Essigsäure begünstigt das
Erscheinen der roten Färbung; Überschuß von Säure wirkt
schädlich.?). Durch Zusatz von Soda wird die Reaktion stark
stimuliert: es tritt gleich dunkelbraune Färbung auf. Zum
Nachweis von Chromogen in höheren Pilzen hat man sich der
Tyrosinase statt der Peroxydase zu bedienen, wie das Bour-
quelot und Bertrand‘) gezeigt haben.
1) Chodat et Boch, Archives des sciences physiques et naturelles,
Genève 1904.
2) P. A. Saccardo, Chromotaxia seu nomenclator colorum. Editio
altera Patavii 1894.
3) G. Bertrand, Compt. rend. 145, 340. Annal. de l'Inst. Pasteur
21, 673, 1907.
4) Bourquelotet G.Bertrand, Journal de pharm. et de chimie (6) 3,
177, 1896. Bulletin de la société mycoL de France 1896, 18, 27. Bour-
quelot, ebenda 1897, 65. Compt. rend. de la société de biologie 1896, 84.
—— mme e
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 185
Mit Hilfe von Peroxydase wurden von mir bisher Atmungs-
chromogene in folgenden Pflanzen gefunden:
Kryptogamen: Marchantia polymorpha, Mnium sp., Poly-
podium nervifolium, P. leiorhizon, Asplenium viviparum, A. nidus,
Salvinia auriculata, Selaginella Martensii.
Gymnospermen: Abies nordmanniana, Araucaria brasi-
liensis, Biota orientalis, Cycas revoluta, Picea alba, Thuja occi-
dentalis.
Monokotylen: Allium Cepa, Aloe arborescens, A. socco-
trina Canna sp., Cymbidium aloefolium, Phoenix reclinata, Scilla
cernua.
Getrenntblumenblättrige Dikotylen: Aconitum vul-
paria, Brassica oleracea, Cinnamomum Reinwardii, Euphorbia
Gerardiana, Helleborus viridis, Heracleum sibiricum, Kochia
trichophila, Levisticum officinale, Paeonia chinensis, Pisum sati-
vum, Populus suaveoleus, P. tremula, Pyrus Malus, Raphanus
sativus, Rheum palmatum, Rumex Patientia, Saxifraga orbi-
culata, Schenkia Blumenaviana, Thea Bohea, Vicia Faba.
Verwachsenblumenblättrige Dikotylen: Cynara Sco-
lymus, Dahlia variabilis, Hyosciamus orientalis, Scorzonera hi-
spanica, Serratula tinctoria, Tanacetum vulgare.
Außer in den aufgeführten lebenden Pflanzen, habe ich
auch in folgenden, von einer Drogenhandlung bezogenen ge-
trockneten Pflanzen Chromogene gefunden: Cortex Chinae ruber,
C. piscidiae, C. salicis; Flores Altheae, Fl. Lamii albi, Fl. Tiliae,
Fl. Viburni Opuli; Folia Fraxini, F. Juglandis regiae, F. Pat-
schouli; Herba Belladonnae, H. Ephedrae, H. Equiseti majoris,
H. Ledi palustris, H. Polygoni avicularis, H. Uvae Ursi, H. Vi-
burni; Radix Asari, R. Filicis maris, R. Jalapae.
Famintzin!) fand ein Chromogen in den Samen von
Helianthus ammus. Zu den Atmungschromogenen sind die-
jenigen zu zählen, die Molisch?) fand in Lathraea Squammaria,
Rhinanthus crista galli, Melampyrum nemorosum, M. silvaticum,
Bartia alpina, Euphrasia officinalis, Utricularia vulgaris, Galium
Mollugo und Monotropa Hypopytis. Hierher sind auch die
1) A. Famintzin, Mémoiren der St. Petersburger Akad. 1893.
2) H. Molisch, Sitzungsberichte der Wiener Akad., Abt. I, 102,
289, 1893.
186 W. Palladin:
Pigmente höherer Pilze!) und der Flechten?) zu zählen.
A. Hansen hielt, wie erwähnt, die Nebenpigmente der Meeres-
algen für Atmungspigmente. Das findet seine Bestätigung in
den Untersuchungen H. Molischs°?) über Braunalgen. M. hat
gezeigt, daß in lebenden Algen kein Phykophäin vorkommt,
und daß es erst nach dem Tode der Zellen aus dem Chromogen
gebildet wird. Das Entstehen von Phykophäin auch nach dem
Kochen spricht nicht gegen eine Teilnahme einer Oxydase bei
seiner Bildung, da Oxydasen nicht immer durch Siedehitze zer-
stört werden. Es ist anzunehmen, daß das Phäocyan Molischs
bloß eine Zwischenstufe der Oxydation ein und desselben Chro-
mogens bildet.
Alle angeführten Tatsachen zeigen, daß
14. die Atmungschromogene in den Pflanzen sehr
weit verbreitet sind.
Besonders reich an ihnen sind energisch atmende Organe:
Blüten und junge Sprosse. Doch auch Speicherorgane sind reich
daran.
Die aus den Chromogenen entstehenden Pigmente lassen sich
leicht wieder zu Chromogenen reduzieren, worauf schon Reinke*)
hinwies. Es wurden z. B. Weizenkeime einer zweimonatigen Auto-
lyse bei Luftzutritt in Chloroformwasser unterworfen und fil-
triert; das dunkelbraune Filtrat wurde durch Ammoniumsulfit und
schweflige Säure teilweise reduziert; besonders rasch verlief aber
die Reduktion mit Zinkstaub in Gegenwart von Essigsäure, wo-
bei eine strohgelbe Lösung erhalten wurde, deren Oberfläche
sich an der Luft wieder bräunte.. Um zu entscheiden, ob in
diesem Falle ein Autoxydator im Sinne Reinkes vorliegt, d.h.
ein den Sauerstoff der Luft selbständig absorbierender Körper,
wurde ein Teil des dunklen Filtrates aufgekocht und vom ent-
standenen Eiweißniederschlag abfiltriert. Das gekochte Pigment
zeigte gegenüber Ammoniumsulfit, schwefliger Säure und Zink-
staub mit Essigsäure das gleiche Verhalten wie das ungekochte
mit dem wesentlichen Unterschied, daß die gekochte und durch
H in statu nascendi entfärbte Lösung, an der Luft nicht wieder
1) J. Zellner, Chemie der höheren Pilze, 1907.
2) Czapek, Biochemie d. Pflanzen 2, 501, 1905.
3) H. Molisch, Botan. Zeitg. 1, 131, 1905.
4) Reinke, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 270, 1882.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 187
oxydiert wurde. Oxydation trat erst nach Zusatz von Meerettich-
peroxydase und Wasserstoffsuperoxyd ein, dabei wurde die Lösung
rot; ein Schwarzwerden war nicht zu beobachten. Das gleiche
gilt auch für Atmungschromogene anderer Pflanzen, wobei je-
doch ein Unterschied nach zwei Richtungen hin zu bemerken
ist. Bei einigen Pflanzen genügt kurzdauerndes Kochen, um
ihre Oxydase untätig zu machen, bei anderen bleibt auch nach
dem Kochen ein Teil der Oxydase tätig, und ihr Chromogen
wird deshalb ohne Zusatz von Peroxydase an der Luft langsam
oxydiert; Zusatz von Peroxydase beschleunigt die Oxydation
stark. Es gibt aber auch Pflanzen, bei denen umgekehrt auch
Zusatz von Peroxydase nach dem Kochen zu keiner Pigment-
bildung verhilft, was darin seine Erklärung findet, daß die Oxy-
dasen verschiedener Pflanzen verschieden sind. So werden durch
Meerettichperoxydase die Chromogene der Kartoffelknollen, der
weißen Zuckerrübe und des Agaricus campestris nicht oxy-
diertt. Zur Oxydation der Chromogene der Pilze bedarf es der
Tyrosinase. Das Chromogen der Weizenkeime wird nur durch
eigene Oxydase gut, durch Meerettichperoxydase bedeutend
schwächer oxydiert. Manchmal gelingt der Nachweis von Chro-
mogen in gekochten pflanzlichen Extrakten durch Peroxydase
und Wasserstoffsuperoxyd nicht, weil das Chromogen dieser
Pflanzen nicht in freiem Zustand, sondern fast auschließlich in
gebundenem, z. B. als Glukosid, auftritt. In diesen Fällen muß
das Glykosid zuerst, sei es durch vorhergehende Autolyse, sei
es durch Einwirkung von Emulsin gespalten werden.
15. Die Atmungschromogene werden nicht unmittel-
bar durch den Sauerstoff der Luft oxydiert. Zu ihrer
Oxydation bedarf es einer Oxydase, die zur Oxydation
des betr. Chromogens befähigt ist.
Die Atmungspigmente können nicht nur durch chemische
Reagenzien, sondern auch durch die Pflanzen selbst reduziert
werden. So wird das dunkelbraune Pigment der Weizenkeime
durch sie wieder reduziert. Zu diesem Zwecke werden Weizen-
keime in Wasser aufgeweicht und in große Reagensgläser ge-
bracht, darauf wird braunes Pigment zugegossen, das Ganze
mit Chloroform versetzt und das Reagensglas so mit einem
Kautschukpfropfen verschlossen, daß keine Luft darin bleibt.
188 W. Palladin:
Nach einigen Tagen haben die Weizenkeime dem Pigmente den
Sauerstoff entzogen und es entfärbt.
Die Leichtigkeit, mit der die Atmungspigmente ihren Sauer-
stoff abgeben, kann als Erklärung dafür dienen, daß sie sich
in der lebenden Pflanze gewöhnlich nicht ansammeln. Die Re-
aktionen der Pigmentbildung sind also umkehrbar, d. h. das
entstandene Pigment wird in der lebenden Zelle, indem es seinen
Sauerstoff einem anderen Körper abgibt, gleich wieder reduziert
und deshalb nicht angesammelt.
16. Die in den Pflanzen gebildeten Atmungspig-
mente werden gewöhnlich gleich wieder zu farblosen
Chromogenen reduziert.
Die Reduktion der Pigmente verläuft mit Hilfe besonderer
Enzym-Reduktasen. Das Vorkommen von solchen in tierischen
Geweben erscheint nach den Arbeiten Paul Ehrlichs!)
und anderer Forscher als feststehende Tatsache. Die Reduk-
tasen der Pflanzen fanden wenig Beachtung. Nur der redu-
zierenden Arbeit der Bakterien sind ziemlich zahlreiche Unter-
suchungen gewidmet worden.?) M. Hahn?) und dann Grüss*)
haben die Gegenwart von Reduktase in der Hefe) nachgewiesen.
Zum Nachweis von Reduktasen bediente ich mich verschiedener
Stoffe, die ihren Sauerstoff leicht abgeben,®) wie Methylenblau,
Alizarinblau S., Indigotin, Indigocarmin, Azolithmin, Häma-
toxylin in alkalischer Lösung, Alkannin, essigsaures Rosanilin,
selenigsaures Natrium. Alle diese Stoffe gaben bei Sauerstoff-
abschluß ihren Sauerstoff an Weizenkeime ab.
Wenn in den Pflanzen die Oxydationsprozesse von Re-
1) Paul Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Eine
farbenanalytische Studie. 1885.
2) Beijerinok, Archives Néerlandaises, II série, 9, 131, 1904.
3) E. Buchner, H. Buchner und M. Hahn, Die Zymasegärung,
1903, S. 341.
t) Grüss, Zeitschr. f. d. gesamt. Brauwesen 27, 1904. — Ber. d.
Deutsch. botan. Ges. 1908, 191.
5) Grüss (Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 627) spricht sich
gegen die Anwendung der Bezeichnung Reduktasen auf Hefe aus und
besteht auf der Bezeichnung Hydrogenase; er vergißt aber, daß Hydro-
genase, wenn eine solche überhaupt selbständig existiert, nur einen be-
sonderen Fall der Reduktasen bildet,
6, W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 55, 207, 1908.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 189
duktionsprozessen überwogen werden, tritt stets durch Ansamm-
lung der Atmungspigmente Färbung ein. Das ist z. B. im
Frühjahr zu beobachten; die jungen Sprossen sehr zahlreicher
Pflanzen zeigen rote oder violette Färbung. Diese Sprosse
atmen sehr energisch, und deshalb haben ihre Pigmente nicht
die Zeit, reduziert zu werden; das Licht fördert die Ansammlung
von Pigmenten. Die Färbung der Blumenblätter ist auch das
Resultat von ÖOxydationsprozessen; junge Blumenblätter ent-
halten bloß Chromogene. Buscalioni und Pollacci!) halten
die Bildung von Anthocyan für ein Resultat der Oxydasen-
wirkung. Das Pigment der Trauben bildet sich aus dem
Chromogen unter Mitwirkung eines oxydierenden Enzyms.?)
Auch beim Absterben der Pflanzen ist Ansammlung von
Atmungspigmenten zu beobachten. So wird im Herbste unsere
Vegetation durch rote Pigmente bunt gefärbt. MarcelMirande?)
beobachtete die Bildung von rotem Pigment an Blättern, deren
Parenchym von verschiedenen Insekten durchbohrt war; längs
der Gänge hatte die energische Arbeit der Oxydasen der ver-
wundeten Zellen zur Pigmentbildung geführt.*)
Die Oxydation der Atmungschromogene durch die Wirkung
des Sonnenlichtes zu den verschiedenartig gefärbten Pigmenten
gibt Anhaltspunkte für die Orientierung der künftigen Unter-
suchungen betreffs des Einflusses des Lichtes auf die Atmung
der Pflanzen. Die Rolle des Lichtes bei den biochemischen
Prozessen des Pflanzenlebens beschränkt sich durchaus nicht
einzig und allein auf die Kohlenstoffassimilation. Auf Grund
der Untersuchungen von Ciamician, besonders aber der
interessanten Arbeiten von C. Neuberg?) ist die Voraussetzung
wohl berechtigt, daß die Abhängigkeit des Wachstums vom
Lichte auf eine durch Lichtwirkung hervorgerufene Veränderung
1) L. Buscalioni, G. Polacci, Atti dell’ Instituto botanico di
Pavia 8, 135, 1904.
2) Ph. Malkezin, Compt. rend. 147, 384, 1908.
3) Marcel Mirande, Compt. rend. 145, 1300, 1907.
4) Nach einer persönlichen Mitteilung W. Trauzschels sind durch
Rostpilze verwundete Stellen bei Repräsentanten der Dipsaceae blau.
Nach den Untersuchungen von T. Tammes ist Dipsacotin blau.
5) C. Neuberg, Diese Zeitschr. 13, 315, 1908.
190 W. Palladin:
der intracellularen chemischen Reaktionen zurückzuführen ist.!)
Neuberg sagt zutreffend: „Dieses schnell verlaufenden
Lichtwirkungen sind im Gegensatz zu den langsam, über Jahr
und Tag sich vollziehenden und deshalb physiologisch wenig
bedeutungsvollen wohl imstande, ein Verständnis der beim
Heliotropismus und beim Phototropismus sich abspielenden
chemischen Vorgänge anzubahnen und vielleicht einen Einblick
in den Chemismus der allgemeinen Wirkung des Sonnenlichtes
auf den pflanzlichen und tierischen Organismus zu verstatten.“
Die chemische Natur der Atmungschromogene ist sehr ver-
schieden, doch sind es, wie es scheint, ausschließlich aromatische
Verbindungen. Das folgt einmal aus den Untersuchungen Ber-
trands, die gezeigt haben, daß die Oxydasen nur zur Oxydation
aromatischer Verbindungen von bestimmtem Bau befähigt sind,
dann auch aus der Kenntnis einzelner Pigmente. Eine sehr
große Anzahl Atmungspigmente gehört zu den Derivaten der
Gerbsäuren. Letztere zeichnen sich durch leichte Oxydierbarkeit
aus und gehen beim Verdampfen pflanzlicher Extrakte, besonders
in Gegenwart von Säure, leicht in gefärbte Phlobaphene über. °)
Die Mehrzahl der ihrer Zusammensetzung nach sehr verschie-
denen aus Pflanzen extrahierten Farben sind wahrscheinlich
den Atmungspigmenten beizuzählen und in den Pflanzen als
Chromogene vertreten. In grünen Früchten von Juglans regia
ist ein Chromogen (Juglon) gefunden worden, das ein Naphthalin-
derivat darstellt. Tyrosin wird durch Tyrosinase im Reagens-
glas oxydiert; ob es auch in den Pflanzen das Chromogen vor-
stellt, auf welches von der Tyrosinase Sauerstoff übertragen
wird, ist unbekannt. Der gegenwärtig verbreiteten Meinung,
daß das Schwarzwerden von Pflanzensaft auf der Oxydation
von Tyrosin beruht, ist E. Schulze?) entgegengetreten. Im
1) Auch anderweitige Wachstumsprozesse der Pflanzen (z. B. Geo-
tropismus) sind nicht als rein physikalische Erscheinungen aufzufassen:
Wachstumsprozesse sind vielmehr hauptsächlich chemische Prozesse:
Zugunsten dieser Anschauung sprechen auch die Untersuchungen von
Czapek.
2) Stähelin und Hofstetter, Annal. d. Chem. u. Pharm. 51;
63, 1844. Das Phlobaphen der Kieferrinde hat nach ihren Ermittelungen
die Zusammensetzung C = 62,78°/,, H = 4,30%/,, O = 32,92°/,, was der
Formel Gales entspricht.
3) E. Schulze, Zeitschr; f. physiol. Chem. 50, 508, 1907.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 191
Safte der Zuckerrübe, welcher Tyrosinase enthält, konnte er
weder Tyrosin noch Homogentisinsäure finden. Untersuchungen
von Chodat und Staub!) und dann von Staub über die
Wirkung von Tyrosinase auf verschiedene Abbauprodukte von
Eiweißkörpern, auf einige Polypeptide und auch auf einige
einfache aromatische Verbindungen haben gezeigt, daß ihre
oxydierenden Fähigkeiten ziemlich umfangreich sind; selbst
Kresole werden von ihr oxydiert.
Die Mehrzahl der Glykoside gibt auch Material zur Bildung
von Atmungschromogenen ab. Hierfür spricht der Umstand, daß
die Mehrzahl der Glukoside*) Verbindungen verschiedener Zucker-
arten mit aromatischen Verbindungen darstellt. So zerfällt z. B.
Arbutin in Glykose und Hydrochinon.?)
Aus den vorhandenen Tatsachen folgt also:
17. Die Atmungschromogene gehören zu den aro-
matischen Verbindungen.
Es entsteht die weitere Frage, wie die Atmungschromogene
in den Pflanzen gebildet werden. Das ist ein Spezialfall der
allgemeineren Frage, wie in den Pflanzen aromatische Verbin-
dungen überhaupt gebildet werden. Die Synthese organischer
Stoffe aus anorganischen verläuft im Chlorophylikorn nach der
Gleichung: CO, + H,O = CH,0 + 0,. Als erstes Assimilations-
produkt erscheint Formaldehyd und ferner als Produkt dessen
Polymerisation-Glucose, beides der aliphatischen Reihe angehörige
Verbindungen. Die im Chlorophylikorn gebildete Glucose gibt
dann die Muttersubstanz ab, aus der die verschiedenen pflanz-
lichen Stoffe gebildet werden, sowohl aliphatische als aromatische.
Den Physiologen fällt die Lösung der Frage zu, unter welchen
Bedingungen d-Glucose
1) Chodat et Staub, Archives des sciences physiques et na-
turelles (4) 23, 1907; 24, 1907. — Staub, Bulletin de l Herbier Boissier,
2. série, 8, Nr. 1, 1908. — S. auch: Abderhalden und Guggenheim,
Zeitschr. f. physiol. Chem. 56, 331, 1908. — Bertrand, Compt. rend.
145, 1352, 1907; 141, 304, 1908.
2) van Rijn, Die Glykoside, 1900.
3) Es ist interessant, daß die arbutinhaltigen Ericaceae auch
Chinasäure enthalten, die bei Oxydation Hydrochinon liefert:
Gah + O = Delles +00, + 3H,O
(Czapek, Biochem. d. Pflanzen 2, 594).
192 W. Palladin:
OH OH H OH OH HOH
—-C—C—c—c—tC,
H OH H H
ein Körper mit kettenförmiger Bindung der Bestandteile, in
einen geschlossenen Ring übergeht und irgend ein Benzol-
derivat liefert:
Oben habe ich schon auf Liebigs Vergleich der Gärungs-
vorgänge mit den Vorgängen der trocknen Destillation des
Holzes aufmerksam gemacht. In beiden Fällen haben wir es
nicht nur mit primären Vorgängen des Zerfalls, sondern auch
mit sekundären synthetischen Vorgängen zu tun. Als Produkte
der trocknen Destillation von Holz!) werden folgende Stoffe an-
gegeben: Ameisen-, Essig-, Propion-, Butter-, Baldrian-, Capron-,
Croton-, Angelicasäure, Aceton, Methyl- und Amylalkohol, Benzol,
Toluol, Xylol, Naphthalin, Paraffin, Phenol, Kresol, Brenzkate-
chin, Pyrogallol u. a., auch folgende Gase: Kohlendioxyd, Kohlen-
oxyd, Wasserstoff, Methan, Acetylen, Äthylen, Propylen, Butylen.
Bei den Coniferen kommt dazu noch Terpentin. Es findet
sich also unter den Produkten der trocknen Destillation eine
ganze Reihe aromatischer Verbindungen. Da jedoch die Möglich-
keit vorliegt, daß sie, wenigstens zum Teil, in dem Holze vor-
handen waren, so muß man die Produkte in Betracht ziehen,
die bei der trocknen Destillation (oder analogen Prozessen)
einzelner Kohlenhydrate erhalten werden. Leider ist in dieser
Richtung noch wenig getan. Glucose gibt bei der trocknen
Destillation Ameisen- und Essigsäure, Aldehyd, Aceton, Methyl-
furan, Furan und Furol.) Beim Erhitzen einer wässerigen
Glucoselösung im zugeschmolzenen Rohre auf 200° entsteht
Brenzkatechin.?) Saccharose gibt bei der trocknen Destillation
1) P.Dumesny et J. Nager, L'industrie chimique des bois Paris.
2) E. von Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten. 3, Aufl.
Braunschweig 1904, S. 301.
3) 1. e. S. 305.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 193
Furol und Benzaldehyd!); bei Destillation mit Atzkalk entsteht
Benzol.?) Die gegenwärtig vorhandenen, freilich sehr ungenügen-
den chemischen Tatsachen sprechen also dafür, daß cyclische
Verbindungen aus Kohlenhydraten unschwer zu erhalten sind.
Obschon diese Frage für die Physiologie von hoher Bedeutung
ist, scheint sie auch von dieser Seite her kaum erst in Angriff
genommen zu sein. Das hier vorhandene unbedeutende Ma-
terial befindet sich mit den Tatsachen der Chemie in voll-
kommenem Einklang.
Ein in Pfanzen weit verbreiteter aromatischer Körper ist
das Phloroglucin oder symmetrische Trioxybenzol C,H,(OH),
(1.3.5). Waage?) untersuchte auf diesen Stoff hin sehr zahl-
reiche Pflanzen und gab für seine Verbreitung in Samenpflanzen
folgendes Schema:
„@ymnospermen, ziemlich phloroglucinreich
Ee Monokotylen, phloroglucinarm
Angiopermen ee ziemlich
Dikotylen [phloroglucinreich
Sympetalen, phloroglucin-
[arm
Nach der Meinung Waages kann aus Glucose durch Ab-
spaltung dreier Wassermoleküle Triketohexamethylen i
EE
gebildet werden, dem nach Bayer das sekundäre oder Pseudo-
phloroglucin entspricht. Waage ist es gelungen, durch direkte
Versuche in Blättern Bildung von symmetrischem Phloroglucin
aus Glucose nachzuweisen. Zu diesem Zwecke legte er Blatt-
hälften mit angeschnittenem Mittelnerv im Dunkelraum teils
auf Wasser, teils auf Glucoselösung; nach 6 Tagen waren die
Blätter auf der Glucoselösung bedeutend reicher an Phloroglucin.
Es wurde interessanterweise nicht in den Chlorophyllikörnern,
sondern direkt im Zellsaft gebildet, dabei vorzugsweise an Stellen
mit erhöhter Lebenstätigkeit. Durch diese Versuche ist also
die Möglichkeit der Bildung von Trioxybenzolen (Phloroglucin,
Pyrogallol) aus Glucose erwiesen. Ferner nimmt das Phloro-
1) 1. o. S. 1206.
2) ]. o. S. 1215.
3) Th. Waage, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 8, 250.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 13
194 W. Palladin:
glucin nach Waage die Elemente der Kohlensäure auf, und
zwei Moleküle der entstandenen Phloroglucincarbonsäure werden
unter Ausscheidung von Wasser zur Diphloroglucinoarbonsäure
kondensiert, die dem Tannin isomer ist.
C,H,H(OH), + CO, = C,H,(0H),COOH
2C,H,(OH), . COOH — H,O =C,H, (OH),=C,H,-
Nco 0
Auf diese Weise wird ein Zusammenhang zwischen dem
Phloroglucin und den Gerbstoffen, und zwischen letzteren und
der Glucose festgestellt. Er wird durch Versuche Büsgens!)
bestätigt, welcher zeigte, daß bei Kultur auf Glucose die Menge
der Gerbstoffe in den Pflanzen zunimmt, und zwar nicht nur
in den Blättern, sondern auch in jungen Organen. Waage
hält Phloroglucin für ein Nebenprodukt, meint aber, daß aus
ihm die Phlobaphene und Authocyane gebildet werden.
Auf den genetischen Zusammenhang von Phloroglucin und
Kohlenhydraten weisen Hazura und Benedikt?) hin: „Das
Hexahydrotrichlorphloroglucin ist interessant dadurch, daß es
zu den Zuckerarten in naher Beziehung zu stehen scheint.
Gelänge es, sein Chlor gegen Hydroxyle auszutauschen, so er-
hielt man nach der Gleichung
C,H,C1,0, + 3H,0 = C,H, „0, 3HCl
einen Körper von der Formel des Traubenzuckers.“
Die zwei anderen Trioxybenzole, das Pyrogallol (1. 2. 3)
und das Oxyhydrochinon (1.2.4) kommen in Pflanzen nicht vor.
Die in Pflanzen weit verbreiteten Gerbstoffe kann man
nicht bloß deshalb für Nebenprodukte halten, weil sie sich oft
in abgestorbenen Zellen angesammelt finden (Rinde). Auch in
jungen wachsenden Organen werden Stoffe mit den Eigen-
schaften von Gerbstoffen angesammelt,°?) die also an wichtigen
physiologischen Prozessen teilnehmen; nach Büsgen und an-
deren Forschern werden sie aus Kohlenhydraten gebildet. Es
ist zu bemerken, daß weder zur Bildung von Phloroglucin noch
1) Büsgen, Chem. Centralbl. 1890, I. Hälfte, S. 397; 1894, I. Hälfte,
S. 284.
3) Hazura und Benedikt, Monatsh. f. Chem. 6, 702, 1888.
s) P. Rulf, Zeitschr. f. Naturwissensch. 57, 40, 1884, zit. nach:
Botan. Centralbl. 20, 1884.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 195
zur Bildung von Gerbstoffen Licht benötigt wird; sie erscheinen
also nicht als unmittelbare Produkte der Kohlenstoffassimilation,
obschon ihre Bildung durch Licht stimuliert werden kann. Ihre
Bildung aus Kohlenhydraten kann entweder über das Phloro-
glucin verlaufen, wie von Waage und Tsohirch!) angenommen
wird, oder, nach der Meinung Niokels?), auch über die übrigen
unsymmetrischen Trioxybenzole.
Auch die Terpene der Pflanzen vermitteln den Übergang
von den Kohlenhydraten zu aromatischen Verbindungen. Wie
leicht der Übergang aliphatischer Verbindungen in aromatische
in der pflanzlichen Zelle verläuft, zeigen Untersuchungen von
Hans und Astrid Euler über den Wachsüberzug der Blätter
von Alnus glutinosa. ‚Von allgemeinem Interesse scheint
uns die Beziehung, welche zwischen diesen aller Wahrscheinlich-
keit nach oyclischen Stoffen des Blattüberzuges und den in
gleicher Weise auftretenden, sicher aliphatischen Wachsalkoholen
besteht. Man dürfte bereohtigt sein, hier Übergänge anzunehmen,
welche mit denjenigen zwischen aliphatischen Terpenalkoholen
und cyclischen Terpenen vergleichbar end "7
Durch zahlreiche Untersuchungen Tschirchs*) und dessen
Mitarbeiter wird die Bildung pflanzlicher Harze auf Kosten von
Kohlenhydraten aufgedeckt.
Als Zwischenprodukt zwischen Kohlenhydraten und aro-
matischen Verbindungen tritt in Pflanzen wie in Tieren Inosit
auf, dessen weite Verbreitung?) für seine große Bedeutung in
der Chemie der Zelle spricht; dazu kommt er vorzugsweise in
jungen wachsenden Organen vor.) Für seine Bedeutung als
Zwischenprodukt spricht der Umstand, daß er stets in geringen
Mengen vorkommt und manchmal bei Autolyse’) auftreten soll.
Neuberg?) erhielt bei trockner Destillation von Inosit Furfurol;
1) Tachiroh, Pringsheims Jahrb. f. wissensch. Botan. 25, 370, 1893.
2) E. Niokel, Botan. Centralbl. 45, 394, 1891.
3) Hansu. Astrid Euler, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 4760, 1907.
4) A. Tsohiroh, Die Harze und die Harzbehälter, II. Aufl., Leipzig
1906; Die Chemie und Biologie der pflanzlichen Sekrete, Leipzig 1908.
5) E. von Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten, 3. Aufl., S. 1025.
— Czapek, Biochemie der Pflanzen.
6) Starkenstein, Biochem. Centralbl. 7, 817, 1908.
?) Rosenberger, Biochem. Centralbl. 7, 817, 1908.
8) Neuberg, diese Zeitschr. 9, 551, 1908.
13*
196 W. Palladin:
dadurch werden nahe Beziehungen zur Glucose festgestellt, die
unter gleichen Bedingungen ebenfalls Furfurol liefert. Als
Reservestoff ist Inosit in dem von mir!) entdeckten Phytin
enthalten. Ich bot E Schulze an, den von mir gefundenen
Körper zu untersuchen, und in seinem Laboratorium fand
Winterstein?®) in ihm Inosit. Untersuchungen von C. Neu-
berg?) und N. Suzuki, K. Joshimura und M. Takaishi‘)
haben die Auffassung des Phytins als Inositphosphorsäureester
begründet.
Daß Kohlenhydrate zur Bildung von Chlorophyll notwendig
sind, ist von mir) gezeigt worden. In den Blättern mancher
etiolierter Pflanzen (Vicia, Lupinus) sind fast gar keine Kohlen-
hydrate enthalten und, von den Pflanzen getrennt, ergrünen sie
nur auf Kohlenhydratlösungen.
Alle über Bildung cyleischer Verbindungen in een
angestellten Versuche zeigen also: `
18. Als erstes Produkt der Kohlenstoffassimilation
gibt Glucose die Muttersubstanz zur Bildung aroma-
tischer Verbindungen in der Pflanze ab. Sowohl bei
der trocknen Destillation, als auch in der Zelle ent-
steht aus Glucose der Benzolring.
Es beruht natürlich nicht auf Zufall, daß Glucose wie
Benzol 6 Kohlenstoffatome enthält.
Fassen wir nun speziell die Atmungschromogene ins Auge,
so sehen wir auch sie aus Kohlenhydraten entstehen. Die Bildung
roter Pigmente bei Fütterung von Blättern mit Kohlenhydraten
bildet den Gegenstand der umfangreichen Untersuchungen Over-
tons), der bei einer sehr großen Anzahl Pflanzen diese Er-
scheinung beobachten konnte. Meine”) Untersuchungen über
1) W. Palladin, Zeitschr. f. Biol., N. F. 13, 191, 1895.
2) E. Winterstein, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 30, 2299, 1897. —
E. Schulze und E. Winterstein, Zeitschr. f. physiol. Chem. 22, 91.
3) C. Neuberg und B. Brahn, Diese Zeitschr. 5, 443, 1907. —
C. Neuberg, Diese Zeitschr. 9, 557, 1908.
4) N. Suzuki, K. Joshimura und M. Takaisti, Bull. of the
College of Agriculture, Tokyo, 7, 503, 1907.
5) W. Palladin, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1891, 229; 1902, 224;
Revue generale de botanique 1897, 385.
€) E.Overton, Pringsheims Jahrb. f. wissensch. Botan. 38, 171, 1898.
7) W. Palladin, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1898, 389.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 197
die Bildung von Atmungschromogenen an jungen Blättern von
Rumex patientia im Fühjahr haben gezeigt, daß durch
Saccharosefütterung die Menge des Chromogens stark gesteigert
wird. Das Pigment der Portion auf Saccharoselösung entsprach
Saccardos 19. Latericius, während das Pigment der Portion
auf Wasser etwa 21. Aurantiacus war. Ersteres mußte etwa
dreimal verdünnt werden, um die Farbe des letzteren zu erhalten.
Der gleiche Versuch, an etiolierten Vicia Faba-Blättern
(englische purpurrote) angestellt, hat auf den ersten Blick ab-
weichende Resultate ergeben. Die Blätter werden in 12 Por-
tionen & 8g geteilt und davon 11 in flachen Schalen mit ver-
schiedenen Nährlösungen in den Dunkelraum (außer einer bei
Tageslicht belassenen) gestellt; die zwölfte mit 150 ccm kochen-
den Wassers begossen und aufgekocht, wonach die Blätter im
Mörser zerrieben, mit dem von ihnen abgegossenen Wasser
vermengt, nochmals aufgekocht und filtriert wurden. Zu einem
bestimmten Quantum des Filtrats wurde Peroxydase und Wasser-
stoffsuperoxyd zwecks Oxydation des Chromogens zum Pigment
gegeben. Die übrigen Portionen wurden nach 3 Tagen in gleicher
Weise verarbeitet.
Wie bekannt, werden etiolierte Vicia Faba-Blätter beim
Absterben sehr leicht schwarz, was auf eine große Menge in
ihnen enthaltenen Chromogens deutet. Ich war nun erstaunt,
bei Behandlung der Kontrollportion mit Peroxydase aus Meer-
rettich oder der Wassermelone (Citrullus vulgaris) verschwindende
Mengen des Pigments zu erhalten. Aus etiolierten Sprossen
von Vicia Faba bereitete Peroxydase, von der Guajacol sehr
energisch oxydiert wurde, bewirkte auch nur unbedeutende
Pigmentbildung (Murinus 3). Und die auf solchen Lösungen
kultivierten Bläter, von denen ich Förderung der Chromogen-
bildung erwartete, ergaben im Gegenteil eine Verminderung.
In absteigender Reihe war diese Verminderung bei Kulturen
auf folgenden Nährlösungen zu verzeichnen:
1. Saccharose 10°/,-salzsaures Chinin 0,2°/,!); 2. Saccharose
10°/, + Hämoglobin 1°/,; 3. Saccharose 10°/, + Ammonium-
phosphat 0,4°/,; 4. Saccharose 10°/,; 5. Saccharose 10°/, be-
1) Chinin und Furfurol wurden am zweiten Tage zugesetzt, am
ersten die Blätter auf Saccharose allein kultiviert.
198 W. Palladin:
leuchtet; 6. Saccharose 10°/, 4 Furfurol 1°/,'); 7. Saccharose
10°/,+-Phloroglucin 0,4°/,°).
Die drei letztgenannten Kulturen ergaben nach Zugabe von
Peroxydase und Wasserstoffsuperoxyd beinahe farblose Lösungen.
Eine geringe Zunahme an Chromogen war in folgenden,
in aufsteigender Reihe angeführten Kulturen zu verzeichnen:
L Produkte der Autolyse von Mercurialis perennis-Blättern?),
2. Gärungsprodukte (mit nachfolgender Autolyse) der Hefe*),
3. Kultur auf Wasser und 4. auf Arbutin 3°/,. Letzteres
wurde gespalten und zu Chinon oxydiert; das Filtrat der
Blätter gab nach der Oxydation die für Chinon charakte-
ristische braunrote Färbung (Latericius 19). Auf Grund dieses
Versuches ist anzunehmen, daß das Chromogen sich in den
etiolierten Vicia Faba-Blättern in gebundenem Zustande vor-
findet. Bei Kultivierung auf Saccharose wird auch die geringe
Menge freien Chromogens gebunden. Bei Kultivierung auf
Wasser nimmt die Menge des freien Chromogens zu.
Das gebundene Chromogen läßt sich in folgender Weise
nachweisen. Weizenkeime5) wurden in dünner Schicht in flache
Glasschalen geschüttet und mit folgenden Extrakten aus etiolierten
Blättern begossen:
1. Kontrollportion,
2. Gärungsprodukte der Hefe,
3. Saccharose im Dunkelraum,
4. Saccharose beleuchtet,
5. Saccharose - Phloroglucin,
6. Saccharose 4 Furfurol.
Nach 24 Stunden waren die Weizenkeime (ausgenommen
die untere Schicht) schwarz geworden, hatten also die chromogen-
bindende Verbindung gespalten und das Chromogen oxydiert.
1) Siehe Fußnote auf voriger Seite.
2) Die Blätter dicser Portion hatten ein günstigeres Aussehen als
diejenigen der reinen Saccharosekultur.
3) Mercurialis perennis-Blätter geben bei der Autolyse eine intensiv
violett-rot gefärbte Lösung.
4) Preßhefe wurde in großer Menge in eine Saocharoselösung ge-
geben, nach einigen Tagen Chloroform zugefügt, das Ganze ca. 1 Monat
lang der Autolyse unterworfen und das gekochte Filtrat davon zur
Kultur verwendet,
5) Von Maggi, Zürich, Stadtmühle bezogen,
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 199
Filtriert man die Lösung, bevor die Weizenkeime schwarz
werden, von letzteren ab und setzt Wasserstoffsuperoxyd hinzu,
so erhält man eine dunkelrote in Schwarz übergehende Färbung.
In der Kultur mit Furfurol war die Färbung schwächer. Die
Weizenkeime enthalten also ein das gebundene Chromogen ab-
spaltendes Enzym.!)
In einem zweiten Versuch wurden etiolierte Vicia Faba-
Blätter in 9 Portionen à 10 g geteilt, jede Portion mit 150 ccm
chloroformhaltiger Lösung begossen und einer 10 tägigen Autolyse
unter Sauerstoffabschluß unterworfen; danach filtriert, die
Filtrate gekocht und auf Chromogen, wie oben, untersucht,
wobei in absteigender Reihe folgende Resultate erzielt wurden:
L Bei der Autolyse in Wasser war die Chromogenmenge
am größten; nach der Oxydation war die Lösung tintenschwarz.
Durch die Autolyse war also das Chromogen in Freiheit gesetzt.
2. Glycerin 10°/,. Eine bedeutend geringere Pigmentbildung
(Olivaceus 39).
. Milchzucker 10°/,. Fast wie im vorhergehenden Falle.
. Glykose 20°/,. Doppelt so hell wie die Glycerinportion (2).
. Glycerin 40°/,. Fast ebenso.
. Glykose 40°/,. Melleus 30.
7. Alte Gärungsprodukte der Hefe. Wie im vorher-
gehenden Falle.
8. Produkte einer weniger anhaltenden Hefegärung. Etwas
heller als im vorhergehenden Falle.
9. Produkte der trocknen Destillation von Glykose. Kein
Pigment. Dieser Versuch zeigt, daß die Chromogenbildung bei
der Autolyse durch Glukose, Glycerin, Milchzucker und Gärungs-
produkte der Hefe gehemmt wird.?)
Weizenkeime wurden mit folgenden Extrakten dieses Ver-
suches begossen:
1. Gärungsprodukte der Hefe,
2. Glycerin 40°/»
Cp CH mw
1) Weizenkeime, nur mit Wasser begossen, geben nach 24 Stunden
farblose Lösungen.
2) Es ist interessant, daß in beiden Versuchen die Filtrate selbst,
ungeachtet des Kochens, nach einigen Tagen dunkel wurden, die Oxydase
also durch das Kochen nicht vollkommen zertört war. Je mehr freies
Chromogen das Extrakt enthielt, desto intensiver färbte es sich.
200 W. Palladin:
3. Produkte der trocknen Destillation (neutralisiert). Nach
24 Stunden waren die Weizenkeime schwarz geworden. Nur
im letzten Falle war eine geringere Menge Chromogen zu be-
obachten.
In Form welcher Verbindung ist nun das Chromogen in
den etiolierten Blättern enthalten? Etwa als Glykosid?
Ein Teil der Extrakte (Versuch 2) wurde mit Emulsin
versetzt und 2 Tage bei 34° gehalten; das hatte keine Ver-
mehrung der Chromogenmenge zur Folge. Da aber nicht alle
Glykoside durch Emulsin gespalten werden, so ist durch diesen
Ausfall des Versuchs die glykosidische Natur des gebundenen
Chromogens noch nicht in Abrede gestellt. Weitere Versuche
sollen zur Aufklärung seiner Natur angestellt werden. Zu-
gunsten der glykosidischen Natur spricht die leichte Spaltbarkeit
durch Weizenkeime, durch welche mehrere Glykoside leicht
gespalten werden, so Arbutin unter Bildung von Hydrochinose,
das dann zu Chinose oxydiert wird. Ich habe bereits den Ge-
danken ausgesprochen, daß Glykoside das Material zur Bildung
von Atmungschromogenen abgeben.
19. Für die Verbindungen, in deren Form die
gebundenen Chromogene in der Zelle erscheinen,
schlage ich die Bezeichnung Prochromogene vor.
Die Funktion der Chromogene im Atmungsprozeß kann
noch nicht als vollkommen aufgeklärt gelten. Wenn der Ver-
lauf der Oxydationsvorgänge schon in den einfachsten, zu Be-
ginn dieses Kapitels angeführten Fällen als sehr kompliziert
erscheint, so müssen wir im Atmungsprozeß eine noch größere
Kompliziertheit erwarten. Analog den geschilderten Oxydations-
prozessen fungieren die Chromogene entweder als Autoxydatoren
oder als Acceptoren. Im letzteren Falle würden die Chromogene
als Material zur Bildung zusammengesetzter Peroxyde (Oxy-
genasen) dienen, die nach Chodat und Bach theoretisch an-
zunehmen, uns aber noch nicht bekannt sind.
Schließlich ist noch die dritte Mutmaßung möglich, daß
die aus Produkten der anaeroben Zerspaltung gebildeten Chro-
mogene nicht nur Überträger von Sauerstoff wären, sondern
zugleich auch selbst Brennmaterial abgäben. Inwieweit diese
Mutmaßung zutrifft, müssen weitere Forschungen zeigen. Bei
dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse müssen wir die
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 201
Chromogene entweder als Autoxydatoren oder als Acceptoren
betrachten.
Alle Atmungspigmente, ungeachtet ihres chemischen Cha-
rakters, schlage ich vor, zu der einen Gruppe von Phyto-
hämatinen zu vereinigen, um auf ihre dem Hämatin des
Blutes gleiche physiologische Bedeutung hinzuweisen. Auf diese
Weise wird die Einheit der Atmungsprozesse der Pflanzen und
der Tiere betont. Bis jetzt ist die Meinung verbreitet,
daß bei höheren Tieren das Hämochromogen des Hämoglobins
den Sauerstoff der Luft unmittelbar aufnimmt und in
Hämatin übergeht. Nachdem im Blute Oxydasen aufgefunden
sind, ist es wahrscheinlicher, daß sie als Überträger des Sauer-
stoffs der Luft auf das Hämochromogen fungieren. So sagt
Bredig: „Das Oxyhämoglobin spielt also bei den Oxydationen
im Blutlauf nicht die Rolle des Sauerstoffkatalysators, sondern
nur die des Sauerstoffispeichers, wie etwa das Wasserstoffsuper-
oxyd bei der Oxydation des Indigos. Die eigentlichen Sauer-
stoffüberträger sind nach dem heutigen Stande der Forschung
die neben dem Oxyhämoglobin vorhandenen Oxydationsfermente,
welche im Stroma und in den Geweben enthalten sind, und
. welche dieselbe Rolle spielen wie das katalysierende Platin bei
der Oxydation des Indigos‘‘.!) Den Pflanzen nach näher stehen
die niederen Tiere.?) Ihr Blut ist farblos und färbt sich nur
bei Luftzutritt, natürlich durch Vermittelung von Oxydasen.
Zudem sind die Pigmente ihres Blutes, wie bei Pflanzen, ver-
schieden gefärbt und von verschiedener chemischer Zusammen-
setzung. Wir sind deshalb meiner Meinung nach vollkommen
berechtigt, den Zellsaft der Pflanzen seiner Funktion nach für
das Blut der Pflanzen zu halten.
Ein Schema der Pflanzenatmung kann auf Grund des gegen-
wärtigen Standes der Forschung in folgender Form gegeben
werden:
2) Bredig, Anorganische Fermente, 1901, S. 87.
2) von Fürth, Vergleichende ohemische Physiologie der niederen
Tiere. Jena 1903.
202 W. Palladin:
Primäre Prozesse: Sekundäre Prozesse:
Luftsauerstoff
Anaerobe Enzyme
(Zymase, Katalase u. a.) Atmungsoxydasen
«- Reduktase — Phytohämatine
Gärungsprodukte +- Peroxyde (H,O, — Oxygenasen?)
— — Atmungsprodukte (CO, H,O)
Bringt man die Oxydationsprozesse der Pflanzenatmung
unter eines der zu Beginn des Kapitels angeführten Oxydations-
schemata, so wird man mit folgenden Möglichkeiten rechnen
müssen:
1. Die Oxydation verläuft nach dem von Manchot für
die Oxydation von Oxanthranol zu Anthrachinon gegebenen
Schema:
Oxanthranol 4 O, = Anthrachinon 4 H,0,.
In diesem Falle entspräche das Chromogen dem Oxanthranol,
d. h. es wäre einfach ein Autoxydator, während als Überträger
aktivierten Sauerstoffes das Weasserstofisuperoxyd fungieren
würde. Letzteres ist freilich in Pflanzen noch nicht gefunden
worden, daraus folgt aber noch nicht, daß es in ihnen nicht ge-
bildet würde.
2. Die Oxydation verläuft nach dem von Engler und
Weißberg (S. 173) gegebenen Schema. Der im Verlauf der
Autoxydation entstandene Körper mit Peroxydcharakter, kann
die Hälfte seines Sauerstoffs einem anderen Körper B abgeben:
AO, + B — AO + BO
Der Körper AO kann auch fernerhin oxydierend wirken:
HO -+B — A + BO
In diesem Falle würde im Atmungsprozeß das Chromogen
(A) als Acceptor fungieren. Das bei seiner Oxydation ent-
standene Pigment (AO,) wäre dann das zusammengesetzte
Peroxyd (Oxygenase), das sowohl nach Engler und Weißberg,
als nach Chodat und Bach aktivierten Sauerstoff überträgt.
Aufgabe fernerer Forschungen ist es also, aufzuklären, ob
die Atmungschromogene bloß Autoxydatoren oder auch Accep-
toren sind. Es muß mit anderen Worten entschieden werden,
ob in den Pflanzen Wasserstoffsuperoxyd oder zusammengesetzte
Peroxyde gebildet werden.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 203
Welche Rolle das Chromogen auch spielen mag, jedenfalls
wird das aus ihm entstandene Pigment gleich wieder zu Chromogen
reduziertt. Diese Reduktion kann entweder mit Hilfe eines
besonderen Enzyms Reduktase verlaufen, oder nach einem der
oben beschriebenen Schemata ohne Hilfe von Enzymen. Der
zu oxydierende Körper kann die Rolle des Reduktors auf sich
nehmen; vgl. z. B.die Rolle der Glucose bei der Oxydation von
Ceroxydsalzen.
Somit genügen Oxydasen allein nach meiner Theorie der
Atmung zur Oxydation nicht:
20. Die Oxydationsprozesse in den Pflanzen er-
fordern die Gegenwart von Atmungschromogenen.
Außer dem durch anaerobe Prozesse gelieferten Oxydations-
materisle und dem Sauerstoff der Luft sind also für die
Oxydationsprozesse der Atmung Oxydasen, Chromogen und
Peroxyde nötig; nur bei Vorhandensein dieser drei Körper
werden die Produkte der anaeroben Zerspaltung durch den
Luftsauerstoff oxydiert werden können. Das Fehlen einer von
diesen Bedingungen wird die Oxydationsprozesse zum Stillstand
bringen. Daraus folgt, daß das sekundäre (Oxydations-) Stadium
der Atmung einen viel komplizierteren Prozeß darstellt als
das primäre Stadium der anaeroben Spaltung, was durch das
vorhandene Tatsachenmaterial vollkommen bestätigt wird.
In meinen Versuchen über die Atmung durch niedrige
Temperatur getöteter Pflanzen wurden sie erst im Wasserstoff-
strom bis zum völligen Aufhören der Kohlensäureausscheidung
gehalten. Die ausgeschiedene Kohlensäuremenge gab einen
Begriff von der Energie der anaeroben Prozesse. Danach wurde
durch den Apparat ein Luftstrom geleitet und nach der Menge
der unter diesen Bedingungen ausgeschiedenen Kohlensäure
über die Energie der ÖOxydationsprozesse geurteilt. Darauf
wurden die Pflanzen zerkleinert und mit Pyrogallol versetzt,
worauf wieder Kohlensäureausscheidung begann, die man schon
nicht mehr als Atmung bezeichnen kann; sie deutet nur darauf
hin, daß in der nicht mehr atmenden Pflanze noch Peroxydase
und außerdem, nach der Theorie von Chodat und Bach,
hypothetische Oxygenase vorhanden ist, da ja Peroxydase allein
Pyrogallol nicht zu oxydieren vermag. Das nach einiger Zeit
eintretende Aufhören der Kohlensäureausscheidung weist auf
204 W. Palladin:
den Verbrauch der hypothetischen Oxygenase hin. Darauf
wurde Wasserstoffsuperoxydlösung zugesetzt, und von neuem
begann die Ausscheidung von Kohlensäure, was darauf deutete,
daß in der Pflanze noch Peroxydase vorhanden war. Das
darauf eintretende Aufhören der Kohlensäureausscheidung war
durch den Verbrauch der Peroxydase zu erklären. Die zu-
gesetzten Mengen Pyrogallol und Weasserstoffsuperoxyd geben
also ein Maß für die Peroxydasemenge ab. Diese Methode ist
nach Stoklasa?) nicht ganz exakt, liefert aber bei aufmerk-
samer Arbeit für vorläufige Versuche vollkommen ausreichend
genaue Resultate. Folgende Tabelle gibt einen Begriff von den
Kohlensäuremengen verschiedener Herkunft, die durch erfrorene
Pflanzen ausgeschieden werden.?)
Die Gesamtmenge der ausgeschiedenen Kohlensäure
in Milligrammen auf 100g der Pflanzensubstanz.
Ze | 3 allol
Pflanzen Kee? Luft Pyrogaliol —
I. Weizenkeime.. . . . ...
. 0 ò> Ò% 8 8 o
nahrung . ... a...
4. Dieselben nach Saccharose-
und Lichtnahrung. . .
5. Alte Blätter von Plectogyne
japonica . . . 2...
6. Alte Blätter von Plectogyne
japonica . . .....
Setzt man die im Wasserstoffstrom ausgeschiedene Kohlen-
säuremenge in allen Versuchen gleich 100, so erhält man:
1) F.Stoklasa, A. Ernest und K.Chocensky, Zeitschr. f. physiol.
Chem. 49, 303, 1907.
2) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 407, 1906.
Über das Wesen der Pflanzenatmung. 205
Pyrogallol
J H30,
W x
Pflanzen SE Luft Pyrogallol
1. Weizenkeime. . . ....
2. Etiolierte Blätter von Vicia
Faba . ... 22 ..
nahrung . . . 2...
4. Dieselben nach Saccharose-
und Lichtnahrung. . .
5. Alte Blätter von Plectogyne
japonica . . .....
Betrachtet man diese Tabellen, so fällt vor allem die un-
erwartete Tatsache auf, daß erfrorene Weizenkeime zu Oxy-
dationsprozessen nicht befähigt sind, obschon sie sehr bedeutende
Peroxydasemengen enthalten und mit Pyrogallol und Wasser-
stoffsuperoxyd große Kohlensäuremengen ausscheiden. Auch
aus Extrakten von Weizenkeimen habe ich stark wirkende
Peroxydase gewonnen. Weizenkeime bilden keinen Ausnahme-
fall: wie von mir und Kostytschew!) später gefunden wurde,
sind auch erfrorene Erbsensamen zu Oxydationsprozessen beinahe
gar nicht befähigt und bilden bei freiem Luftzutritt Alkohol.
Daraus folgt:
21. Die Peroxydase allein genügt zur Oxydation
der Produkte der anaeroben Zerspaltung nicht.
Was entbehren nun die erfrorenen Weizenkeime, oder mit
anderen Worten, die Bildung welchen Stoffes wird durch die
niedere Temperatur verhindert, da doch von lebenden Weizen-
keimen Oxydationsprozesse ausgeführt werden. Aus der Tabelle 2
ist ersichtlich, daß ohne Wasserstofisuperoxyd die Weizenkeime
beinahe kein Pyrogallol oxydieren. Es fehlt ihnen also nach
der Theorie von Chodat und Bach die Oxygenase. Nach
meinen Untersuchungen fehlt ihnen das Chromogen, es sammelt
sich erst nach der Autolyse in ihnen an. Was dagegen die
etiolierten Blätter von Vicia Faba anbelangt, so scheiden sie,
wie aus der Tabelle ersichtlich, mehr auf Rechnung der Oxy-
dationsprozesse zu setzende Kohlensäure aus, als solche, die
auf anaerobe Zerspaltung zurückzuführen wäre. Im Wasserstoff-
1) W. Palladin und S. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol. Chem.
48, 214, 1906.
206 W. Palladin: Über das Wesen der Pflanzenatmung.
strom bleiben sie gelb, beginnen aber im Luftstrom rasch sich
zu schwärzen; es geht also in erfrorenen Blättern von Vicia
Faba eine rasche Oxydation des Chromogens vor sich. Durch
Saccharose- und noch besser auch gleichzeitige Lichtnahrung wird
die Chromogenmenge und deshalb auch die Menge der auf Oxy-
dationsvorgänge zurückzuführenden Kohlensäure gesteigert,
letztere von 142 auf 185 und 225. Die Gegenwart von Chro-
mogen übt auch auf das Verhalten zu Pyrogallol ihren Einfluß:
es wird von den erfrorenen Blättern ohne Zusatz von Wasser-
stoffsuperoxyd unter Ausscheidung sehr großer Kohlensäure-
mengen oxydiert. Die Saccharose- und Lichtnahrung, die die
Chromogenmenge steigert, hat auch eine verstärkte Oxydation
von Pyrogallol zur Folge. Durch diese Versuche wird also die
Abhängigkeit sowohl der in der Zelle verlaufenden Oxydations-
vorgänge, als auch der durch sie vollzogenen Oxydation von
Pyrogallol von den Chromogenen festgestellt.
22. Ohne Chromogene sind weder Oxydations-
prozesse in Pflanzen möglich noch eine Oxydation
von Pyrogallol durch sie.
Bei der Oxydation von Pyrogallol ersetzen also die Chro-
mogene das künstlich eingeführte Wasserstoffsuperoxyd. Da in
alten Organen die Menge des Chromogens abnimmt, scheiden
alte Blätter von Plectogyne im Luftstrom wenig Kohlensäure
aus und oxydieren, trotz Vorhandensein großer Mengen Per-
oxydase, Pyrogallol nur schwach; nach Zugabe von Wasserstoff-
superoxyd beginnt aber reichliche Kohlensäureausscheidung.
Die Betrachtung der Tabelle lehrt also, daß das Chromogen
Wasserstoffsuperoxyd ersetzt, sei es, weil es selbst in ein
Peroxyd (Oxygenase) übergeht, sei es, weil bei seiner Oxydation
als Nebenprodukt Weasserstoffsuperoxyd oder ein zusammen-
gesetztes Peroxyd entsteht, eine Frage, die durch fernere Unter-
suchungen zu entscheiden ist.
Die dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über
Oxydationsprozesse vollkommen entsprechende Theorie von
Chodat und Bach bedarf einer Ergänzung in der Beziehung,
daß man statt der hypothetischen Oxygenase im Atmungs-
prozeßB die Beteiligung der überall verbreiteten Atmungs-
chromogene annimmt. Ihre Beteiligung an der Bildung von
Peroxyden ist aber noch aufzuklären.
Bemerkung zu der Abhandlung von P. Rohland: „Über
die Adsorption durch Tone“.
Von
L. Michaelis und P. Rona.
(Eingegangen am 4. Mai 1909.)
P. Rohland!) zitiert einen Satz aus unserer Abhandlung ,Unter-
suchungen über Adsorption‘“2) in sinnentstellender Weise. Er schreibt:
L. Michaelis und P. Rona berichten, „daß Albumosen in vorzüglioher
Weise von Kaolinen, die weder Essigsäure noch Aceton, noch einen
anderen, die Oberflächenspannung erniedrigenden Stoff in irgendwie be-
trächtlichen Mengen enthalten?), adsorbiert werden, und sind der An-
sioht, daß die Adsorption der Albumosen durch Kaolin ein von der me-
chanischen Adsorption wesensverschiedener Prozeß ist.“ In unserer Arbeit
steht: „Wenn wir nun ferner wiederholen, daß Albumosen in vorzüglicher
Weise von Stoffen adsorbiert werden, welche weder Essigsäure noch Aceton
noch einen anderen, die Oberflächenspannung erniedrigenden Stoff in irgend-
wie beträchtlicheren Mengen adsorbieren, so wird es uns zur Gewiß-
heit, daß die Adsorption der Albumosen nicht nur durch Kaolin, sondern
wenigstens zum Teil auch durch Kohle, überhaupt ein von der rein me-
chanischen Adsorption wesensverschiedener Prozeß ist.“ — Unsere theo-
retischen Ansichten über die Adsorption haben wir in mehreren Abhand-
lungen niedergelegt*), und die Arbeit von P. Rohland gibt uns keine
Veranlassung auf diese nochmals zurückzukommen.
1) Diese Zeitschr. 17, 220, 1909.
2) Diese Zeitschr. 15, 196, 1908.
3) Im Original nicht gesperrt.
4) Diese Zeitschr. 2, 219, 1906; 8, 109, 1907; 4, 11, 1907; 5, 365, 1907;
6, 1,1907; 7, 329, 1908; 8, 356, 1908; 15, 196, 1908; 16, 489, 1909; ferner
Leonor Michaelis; „Physikalische Chemie der Kolloide“; in Korányi-
Richter, „Physikalische Chemie und Medizin, 2, 341 bis 453. — Über
die kolloidalen Eigenschaften der Eiweißkörper vgl. auch Peter Rona,
„Allgemeine Chemie der Eiweißkörper“; im Handbuch der Biochemie
von Oppenheimer, 1, 226.
Enthält Kaviar (Stör- resp. Hauseneier) Purinbasen?
Von
Kurt Linnert.
(Aus dem Laboratorium der L. Spieglerstiftung, Wien.)
(Eingegangen am 19. April 1909.)
Prof. C. v. Noorden richtete an uns die Frage nach dem
Gehalte des Kaviars an Purinbasen, resp. echter Nucleinsäure,
eine Frage, deren Beantwortung theoretisch interessant und für
die Ernährung gewisser Kranker praktisch wichtig ist.
Kaviar ist der gesalzene Rogen von Hausen, Stör, Scherg
und Sterlett. Überblicken wir die Arbeiten, die sich mit der
Untersuchung von Eiern, speziell von Fischeiern auf ihren Ge-
halt an Purinbasen, resp. Nucleinsäuren beschäftigen, so kon-
statieren wir, daß ihre Zahl eine sehr geringe ist. Am ältesten
sind wohl die Untersuchungen des Hühnereidotters. Schon
Miescher'), der Entdecker des Nucleins, lehrte, daß von den
15°/, Eiweißstoffen des Dotters 1 bis 1'/,°/, als Nuclein in
Abrechnung zu bringen seien. Liebermann’), Kossel und
Altmann?) beschäftigten sich mit dem Hühnereidotter und
zeigten, daß die aus demselben dargestellte Nucleinsäure mit
der aus Thymus oder Hefe stammenden identisch sei.
Über die Chemie von Fischeiern erschienen Arbeiten von
Hugouneng*), Hammarsten”), Levene und Mandel’),
Walter’). Hammarsten beschäftigte sich nur mit den Pro-
teinen. Hugounenq sowie Walter konnten weder aus Herings-
ovarien noch aus dem Ichthulin der Karpfeneier Purinbasen
darstellen.
1) Hoppe-Seylers med. chem. Untersuchungen 1871, Heft 4.
2) Dubois, Arch. f. Physiol. 1885, 346.
3) Ebenda 1884, 529.
4) Compt. rend. 138, 1062.
5) Skand. Arch. f. Physiol. 17, 113.
D Zeitschr. f. physiol. Chem. 49, 262.
7) Ebenda 15, 477.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 14
210 K. Linnert: Enthält Kaviar Purinbasen?
Nur Levene und Mandel haben bei der Hydrolyse der
Schellfischeier (Gadus aeglefinus) Purinbasen, und zwar Guanin
und Adenin erhalten.
Wir untersuchten den Kaviar nach der Methode für quan-
titative Bestimmung von Purinbasen nach Burian und Walker
Hait"),
In zwei Versuchen wurden einmal 50g frischen, grobkörnigen,
lichten, feinsten, das anderemal 80 g schwarzen gepreßten
Kaviars mit der l10fachen Menge 0,5°/, Schwefelsäure durch
12 Stunden hydrolysiert, filtriert und das Filtrat mit den durch
zweimaliges Auskochen des unlöslichen Filterrückstandes gewonne-
nen Filtraten vereinigt. Nachdem in denselben die Schwefelsäure
mit Baryt, das überschüssige Barium durch Kohlensäure entfernt
ist, wird die mit Essigsäure stark angesäuerte Lösung zuerst
über freier Flamme, dann auf dem Wasserbade so weit eingeengt,
daß sie so viele Kubikzentimeter mißt, als das Ausgangsmaterial
Gramme wog. Es wird nun eine Mischung von gleichen Teilen einer
33°/,igen Natronlauge und einer halbgesättigten Sodalösung
zugesetzt bis zur deutlichen alkalischen Reaktion. Dabei fallen
die letzten Reste von Bariumcarbonat heraus, von dem ab-
filtriert wird. Das Filtrat wird mit Salzsäure angesäuert und
mit konz. Ammoniak stark ammoniakalisch gemacht. Aus dieser
ammoniakalischen Lösung nun fallen vorhandene Purinbasen
auf Zusatz von ammoniakalischer Silberlösung als Silberver-
bindungen aus. Man kann noch einen kleinen Anteil nach Blei-
reinigung durch neuerliche Fällung gewinnen.
Bei der versuchten Hauptfällung mit ammoniakalischer
Silberlösung entstand auch nicht die Spur eines Niederschlages.
Damit ist der Beweis erbracht, daß Kaviar keine Purin-
basen, somit auch keine echte Nucleinsäure enthält.
Ergänzend bestimmten wir noch den Wassergehalt und den
Gesamtstickstoff von frischem Kaviar: 1,0606 g Substanz ver-
loren beim Trocknen zur Konstanz 0,5854 g oder 55,2°/, Wasser.
1,0750 g Substanz gaben bei der N-Bestimmung nach Kjeldahl
32,2 "/ Ammoniak resp. 45,08 mg N oder 4,28 °/, N, was einem
Eiweißgehalt von fast 27°/, gleichkommt.
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 336.
Einwirkung verschiedener Antiseptica auf die Enzyme
des Hefepreßsaftes.
Von
Franz Duchäcek.
(Aus dem chemischen Laboratorium der Landwirtschaftlichen Hochschule
zu Berlin.)
(Eingegangen am 25. April 1909.)
Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Studium der
Einwirkung des Chloroforms, Chloralhydrats, Phenols, der Essig-,
Benzoe- und Salicylsäure auf den Hefepreßsaft, welcher nach der
Methode von Buchner und Hahn!) aus der von der Schult-
heißschen Brauerei, A.-G. in Berlin, gelieferten untergärigen
Hefe ausgepreßt wurde.
Zur Gärkraftbestimmung wurden immer 20 ccm dieses Saftes,
welcher noch durch Zentrifugieren gereinigt war, benutzt und
nach Zugabe des Antisepticums bei 22° aufgestellt. Für jede
Konzentration wurden zwei gegenseitig sich kontrollierende Ver-
suche durchgeführt. Die Höhe der schädlichen Einwirkung er-
gab die Differenz, die aus dem Vergleiche mit den Versuchen
ohne Zusatz eines Antisepticums resultiert. Zur weiteren Kon-
trolle dienten noch die Doppelversuche mit der üblichen Zugabe
von 0,2ccm Toluol.
In dieser Weise wurden im ganzen 100 Versuche angestellt,
deren Resultate in den Tabellen I bis VII enthalten sind. Die
Tabellen I bis IV zeigen die Einwirkung der erhöhten Zugaben
von Phenol, Chloroform und Chloralhydrat auf die Enzyme des
Hefepreßsaftes an, und die Tabellen V bis VII liefern einen
Beitrag zur Beurteilung der Wirkung der Benzoe- und Salicyl-
säure, deren Carboxyl- und Phenolgruppe durch die dem Mole-
1) E. u. H Buchner und M. Hahn, Die Zymasegärung, 1903, S. 58.
14*
212 F. Ducháček:
kulargewicht entsprechende Menge Essig- und Carbolsäure kon-
trolliert wurde.
Die festen Antiseptica — Phenol, Chloralhydrat, Benzoe-
und Salicylsäure — wurden in Wasser gelöst zugesetzt, nach-
dem übereinstimmend mit Buchner und Hoffmann?) die
Wahrnehmung gemacht worden war (Versuch Nr. 5, 6, 9 u. 10),
daß die Körnchen der Antiseptica, die in Berührung mit dem
Hefepreßsaft kommen, mit einer Schicht von gefälltem Eiweiß
bedeckt werden, welche ihre gleichmäßige Verteilung in der
Flüssigkeit verhindert und ein Sinken der Gärkraft verursacht,
das bis 56°/, des Wertes betragen kann. Beim Studium der
Einwirkung irgendeines Antisepticums erscheint es geboten,
sich in den Grenzen zu halten, welche durch seine Löslichkeit
im Hefepreßsaft bedingt sind; diese Grenze wurde nur beim
Chloroform überschritten. Zur Zugabe des Antisepticums be-
diente man sich immer eines zur Capillare ausgezogenen Glas-
röhrchens, welches bewirkt, daß die Antiseptica oder ihre Lösungen
nur in feinen Tropfen austreten, die dann durch kräftiges Schüt-
teln schnell mit dem Safte durchgemischt wurden. In dieser
Weise erzielte man, daß der Preßsaft auch bei erhöhten Zu-
sätzen immer, wenigstens für den ersten Augenblick, klar blieb.
Beim längeren Stehen im Thermostaten trübte sich der Saft
um so stärker, je mehr seine Gärkraft geschädigt war.
1. Phenol. Seine Einwirkung auf den Hefepreßsaft haben
schon Buchner und Hoffmann?) studiert und gefunden, daß
schon 0,5°/, des Phenols, wie es auch bereits der bedeutende
Eiweißniederschlag von vornherein erwarten ließ, die Gärkraft
merkbar schädigen (um 24,4 bzw. 28,3°/,). Dieser Konzentra-
tion von 0,5°/, entspricht bei meinen Versuchen eine nur
0,3°/ ige Zugabe; es wurden nämlich diesmal die Prozente des
zugesetzten Antisepticums aus dem Gewichte des Saftes, ver-
mehrt um jenes der zugesetzten Saccharose, des Wassers und
des Antisepticums berechnet, wohingegen in der oben erwähnten
Arbeit auf das Gewicht der anderen, zum Safte zugesetzten
Substanzen, keine Rücksicht genommen worden war. Phenol
in der Konzentration von 0,75°/, (richtiger berechnet 0,45°/,)
1) Diese Zeitschr. 4, 227, 1907.
Le
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes, 213
hat die Gärkraft schon um 44,4 bzw. 56,6°/, erniedrigt und
1°/, Phenol (richtiger berechnet 0,6°/,) vermindert sie sogar um
64,4 bzw. 67°/, jenes Wertes, der sich beim üblichen Zusatz
von 0,2ccm Toluol ergibt.
Im Einklange mit diesen Versuchen sind die Angaben der
Tabellen I, II und HI:
Tabelle I.
Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral-
hydratzusatz und ohne jedes Antisepticum.
de 20 ccm frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g
Rohrzucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt zugesetzt; Tempe-
ratur 22°, `
Die Mengen des Antisepticums sind so gewählt, daß Toluol mit
Phenol und Chloroform mit Chloralhydrat im Molekularverhältnis steht.
1 ohne 1,32 | 1,65 | 1,66
2 8 1.32 | 1.61 | 1,62 | 1090 | 100,0
3 Toluol 1,20 | 1,47 | 1,48
4 y 1,19 |1,47 |1,47| 9905| 902
5 Phenol 0,178| 0,59 | 0,83 | 0,95 | 0,95
6 8 0.178 0,59|0,80 0.931093] 91.7| 573
7 Chloroform |0,15 | 0,50 | 1,30 | 1,65 | 1,66
8 . ous |0.50| 131| 169/170] 989 | 102,4
9 Chloralhydrat | 0,208| 0,69 | 1,16 | 1,55 | 1,57 878| 963
10 n 0.208! 0,69 |1.16 11.66 | L59] Ei
Tabelle II.
Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral-
hydratzusatz und ohne jedes Antiseptioum.
Je 20 ocm frischer Preßeaft aus Berliner untergäriger Hefe -+ 8 g
Rohrzucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser
gelöst zugesetzt; Temperatur 22°.
Toluol und Chloroform wurden direkt und Phenol und Chloral-
hydrat in Form einer wässerigen Lösung in kleinen Mengen zugesetzt.
Überall wurde die Menge der zugesetzten Flüssigkeit durch Zusatz von
214 F. Ducháček:
Wasser auf 4 bzw. 8 com erhöht. Bei allen Versuchen ist die Flüssig-
keit nach Zusatz von Antisepticum klar geblieben, nur in den Versuchen
17 und 18 hat sich bald nach dem Eintragen starker Niederschlag ge-
bildet, so daß alles sich in dicken Brei umwandelte. Nach 3 Tagen hat
man in den Versuchen 15, 16, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 27, 28, 29 und 30
sehr viel Niederschlag beobachten können.
Nr.| Datum
27. Mai 08 obne 4
12 A à — 4
13 Toluol 0,174 | 0,51 4 97.9
14 e = 0,174 | 0,51| 4 ,
15 5 Phenol 0,178 | 0,52 | 4 58.5
16 8 S 0,178 | 0,52| 4 i
17 e e 0712|190| 8 00
18 5 j 0,712 | 1,90] 8 '
19 S Chloroform | 0,3 0,881 4 97.3
20 á K 03 |0,88] 4 ,
21 ` 15 144 3
22 r r 15 l44 | 3 91,2
23 30 |88 2
24 i g 30 |ss| 2 18,2
25 > Chloralhydrat | 0,208 | 0,61 4 120.4
26 g 8 0,208 | 0,61 | 4
27 P 2 0,416 | 1,22| 4 99.8
28 4 R 0,416 | 122| 4
29 M 8 0,621 | 1,83| 4 —
30 0,624 11831 4 d
Tabelle III.
Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral-
hydratzusatz und ohne jedes Antisepticum.
Je 20 com frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe 8 g
Rohrzucker + verschiedene Mengen Antiseptioum direkt oder in wässerige-
Lösung zugesetzt; Temperatur 22°.
Bei den Versuoken 35, 36, 45 und 46 hat sich bald nach dem Ein
tragen des Antisepticums starker Niederschlag gebildet, wogegen die
übrigen Versuche keine Veränderung aufwiesen. Nach dem Verlaufe des
Versuchs wurde überall viel Niederschlag beobachtet, hauptsächlich aber
in den Versuchen Nr. 35, 36, 39, 40, 45 und 46, wo sich dicker Brei ge-
bildet hat.
Nr.
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 215
Zusatz von Anti- el Kohlendioxyd in in g | Gärkraft in
septicum Ss nach Tagen Prozenten
Deem IT — PZ Ve i TN i
| E e | | nac
Art g | o/o 11.21 4 | 5,6 KE
Kiche CZ leet "A E Ae " |Gärung
25.Juni08| ohne BR, EN EI |
n (E | — | — 4
Toluol 0,174 0,51| 4
$ e 0,174 0,51] 4
P Phenol 04 | 12| 4 | Sach wm
$ i 04 |12| 4 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
= Chloroform 20 | 8,82] 2 0,57 0,81/0,93 0,98 1,02 40.6| 644
e 5 3,0 | 8,82| 2 0,57 0,81 0,93 0,98 1,02 r '
S 3 60 1171| — 0,22 0,33 0,42 0.54 0,57 Moaz
H S 60 17.1 | — [0,21 0,32 0.42 0,54 0,57 * 35,9
= Chloralhydrat 0,208! 0,62| 4 |1,12 1,54 1,66 1,69 1,69 engl 106.90
= J 0,208 0,62| 4 [1,13 1,54 1,651,67 1,67] "rh
H e 10 !30| 4 [0,9711,3911,54| — |1,56| no»
& $ 1,0 |30| 4 l0,961,381863|— Lë 6&7! 981
|
up H 1,5 | 4,5 | 4 |0,00.0,00 0,00 — 0,00) 00 00
1,5 | 4,5 | 4 [0,00 0,00 0,00| — 0,00 >
0,52 bzw. 0,59°/, Phenol (Versuch Nr. 15, 16 bzw. 5, 6)
hat 41,5 bzw. 42,7°/, der ursprünglichen Gärwirkung vernichtet.
Bei Steigerung der Konzentration des Phenols auf 1,2 bzw.
1,9°/, (Versuch Nr. 35, 36 bzw. 17, 18) ergab sich, daß die Zy-
mase nunmehr unwirksam geworden war, wie es auch Bokorny?)
bei 1°/,iger Phenollösung nachgewiesen hat. |
Mit der Einwirkung des Phenols auf die lebenden Hefe-
zellen befaßten sich Knoesel und Bokorny. Knoesel?) fand,
daß schon 0,25°/, Phenol das Gären verhindert und 0,5°/, Phenol
die Hefe abtötet. Bokorny?) hat sich dann überzeugt, daß
10 g Hefe nach 24stündigem Einwirken von 10 ccm der 1°/,igen
Phenollösung die Vermehrungsfähigkeit verlieren und benannte
diese 10 g Substanz tötende Giftmenge „letale Dosis‘; sie be-
trägt für Phenol 0,05 bis ole In der vorliegenden Arbeit
wurde mit weit größeren Giftmengen (0,178 g), welche nach der
Arbeit Bokornys fast 20 g der Hefezellen vernichten könnten,
gearbeitet, und trotzdem hatte die Gärung einen sehr lebhaften
1) Chem.-Zeitg. 25. 365, 1901.
2) Centralbl. f. Bakt., II. Abt., 8, 241, 1902,
3) Chem.-Zeitg. 30, 554, 1906.
216 F. Duchätek:
Verlauf genommen. Diese Ergebnisse schließen die Vermutung
aus, daß in dem Hefepreßsafte als Gärungsagens Fragmente des
lebenden Protoplasma zugegen sein könnten.
2. Chloroform. Bezüglich der Wirkung dieses Stoffes
hat Buchner!) vorläufig nur festgestellt, daß mit Chloroform
gesättigter Hefepreßsaft den Rohrzucker intensiv attackierte.
Da nach Meyer-Jacobson?) 11 der gesättigten Lösung etwa
7 g Chloroform enthält, betrug die angewendete Konzentration
ungefähr 0,7°/,.
Betrachten wir nun die in den Tabellen I, II und III ent-
haltenen Ergebnisse. Wir sehen, daß kleine Chloroformmengen
(0,5°/,) die Gärkraft des Preßsaftes (Versuch Nr. 7,8) um ein
weniges erhöhen. Auf die Ursache dieser interessanten Er-
scheinung, die sich noch merklicher beim Chloralhydrat wieder-
holt, wird unten hingewiesen werden. Nachdem auch die größte,
sich im Saft noch lösende Menge der Substanz (0,88°/,) ohne
Einfluß auf die Gärkraft geblieben ist, wurde über die Löslich-
keitsgrenzen hinausgegangen in der Meinung, daß dadurch die
Gärkraft des Preßsaftes nicht beeinträchtigt werden kann. Es
ergab sich aber, daß 4,4°/, Chloroform die Gärwirkung um 8,8°/,
(Versuch Nr. 21, 22) und 8,8°/, des Antisepticums um 21,8,
bzw. 35,6°/, (Versuch Nr. 23, 24, bzw. 37, 38) erniedrigt. Durch
die weitere Steigerung des Zusatzes auf 17,1°/, wurde die Gär-
kraft des Hefepreßsaftes sogar um 64,1°/, geschädigt (Versuch
Nr. 39, 40). Die Zymase zerstörende Konzentration liegt daher
noch höher, vielleicht zwischen 20 und 30°/,. Daß die erhöhte
Zugabe von Chloroform ungemein schädigt, ist auch aus dem
Umstande ersichtlich, daß im Safte sich sehr viel Niederschlag
bildet, der bei 17,1°/, derart überhand nimmt, daß hierdurch
der Saft in dicken Brei verwandelt wird.
Interessant ist die Vergleichung der Wirkung der Anti-
septica auf den Preßsaft am Anfange der Gärung und nach
deren Beendigung. Das zugegebene Antisepticum wirkt fast in
der Regel am Anfange besonders ungünstig, aber im weiteren
Verlaufe werden die Differenzen vielfach annähernd ausgeglichen.
Es scheint, daß der Zusatz anfangs einen Teil der Zymase ver-
1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 30, 119, 1897; Buchner u. Hahn,
Die Zymasegärung, 1903, S, 176.
D Meyer-Jacobson, Organische Chemie, 1, 537, 1893.
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 217
nichtet und somit die Erniedrigung der Gärkraft verursacht,
aber auch auf die Endotryptase einwirkt, wodurch manchmal
eine Steigerung der Gärwirkung im Verlaufe der Gärung er-
möglicht wird. Eine ähnliche Erscheinung tritt auch bei Chloro-
form ein. Schon bei 8,8°/, Chloroform (Versuch Nr. 37, 38)
beträgt der Verlust der Gärkraft nach 24 Stunden 59,4°/, und
bei einem Zusatz von 17,1 sogar 84,7°/, (Versuch Nr. 39, 40),
mithin um 23,8 bzw. 20,6°/), mehr als nach Beendigung der
Gärung.
Wodurch läßt sich die ungewöhnlich schädigende Wirkung
der erhöhten Zugaben von Chloroform, die sich im Hefepreß-
saft nicht aufzulösen vermögen, erklären? Es bleibt nur die
Möglichkeit, eine teilweise Zersetzung des Chloroforms in Pro-
dukte anzunehmen, welche die Gärkraft des Hefepreßsaftes stark
herabsetzen. Da Alkohole und Aldehyde (Formaldehyd) nach
Buchner und Antoni!) keine sehr schädigende Wirkung aus-
üben, muß man dabei in erster Linie an Salzsäure und Ameisen-
säure denken.
3. Chloralhydrat. Die Einwirkung dieser Substanz auf
Hefepreßsaft wurde bis jetzt nicht untersucht. Hoyer, Conn-
stein und Wartenburg?) empfehlen sie als das geeigneteste
Desinfektionsmittel bei Versuchen über Lipasen. Zur voll-
kommenen Desinfektion von 5 g Ricinussamen genügten 10 g
einer 1°/,igen Chloralhydratlösung, demnach eine Konzentration
von beiläufig 0,7°/,.
Tabelle IV.
Gärwirkung bei Toluol-, Chloralhydratzusatz und
ohne jedes Antisepticum.
Je 20 eem frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g
Rohrzuoker + 0,2 cem Toluol bzw. die verschiedenen Mengen Chloral-
hydratlösung (20°/,ig) + soviel Wasser, daß die Menge der zugesetzten
Flüssigkeit im Ganzen 7 ocm ausmacht.
Temperatur 22°,
Nach Zusatz von antiseptischem Mittel war der Saft überall klar.
Nach 24 Stunden wurden die Versuche 49 und 50 trüb und in den
übrigen Versuchen hat sich viel weißer Niederschlag gebildet, der zu-
gesetzten Chloralhydratmenge entsprechend.
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 226, 221, 1906.
2) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 35, 3988, 1902.
218 F. Ducháček:
Zusatz von Antisepti- un Kohlendioxyd Görkraft in
Nr.| Datum cum 3 d in g nach Tagen lo S
ww | i nach "Schluß
i | 8 i/o ccm] 1 |2 |3 |% |i Tageja. Gär,
3 100,0 | 100,0
ad n 1 ia Wm? —*
— de deg d 100,0 187.5
| : | = ass] 3 EE
J 66 —
58 ; ; E 33 f 3,7 E
al ` ei um (o
In den Versuchen Nr. 9, 10, 25, 26, 41, 42, 5l und 52
wurde annähernd mit dieser Konzentration gearbeitet, und wir
sehen, daß dadurch die Gärkraft des Saftes nicht nur un-
beschädigt geblieben ist, sondern in den meisten Fällen noch
deutlich verbessert wurde: Bei starkem Safte um 5,9°/, (Ver-
such Nr. 41 u. 42), bei gärschwachen Säften um 20,4 bzw. 27,5°/,
(Versuch Nr. 25 u. 26, bzw. 51 u. 52). Die förderliche Ein-
wirkung kleiner Mengen Chloralhydrat ist daher besonders bei
gärschwachen Säften gut zu bemerken. Bei dem Versuch Nr. 9
u. 10 wurde zwar die Gärwirkung um 3,7°/, erniedrigt, doch
liegt die Ursache hiervon in der Art der Zugabe des Antisep-
ticums, welches hier nicht in Lösung, sondern direkt pulver-
förmig zugesetzt wurde.
Ein günstiger Einfluß eines Antisepticums auf den Ver-
lauf der Gärung wurde bereits einige Male konstatiert. So
gelang es Frl. O. Grigoriew!) und Frl. A. Gromow?) mit
kleinen Zugaben von Chininchlorhydrat die Gärkraft der Aceton-
dauerhefe zu erhöhen. Mit 0,5°/, wurde die Gärkraft eines
gärsohwachen Präparates um 23°/, und bei einer stark ver-
gärenden Dauerhefe um 5,3°/, aufgebessert. Bei einem Zusatz
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 323, 1904.
2) Ebenda 42, 309, 1904.
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes.. 219
von 1°/, wurde schon das Maximum der günstigen Einwirkung
bei gärstarker, nicht aber bei einer gärschwachen Hefe über-
schritten. Ähnliche, jedoch schwächere Einwirkung von Chinin-
chlorhydrat auf den Hefepreßsaft haben E. Buchner und
Antoni!) beobachtet. Auch 5°/, Äthylalkohol unterstützt nach
Frl. Grigoriew*?) unter Umständen die Wirkung der Zymase.
Beim Beginne der Gärung ist die Einwirkung des Chloral-
hydrates immer eine schädliche, gestaltet sich aber im Verlaufe
der Gärung günstiger. So wurde die Gärkraft bei den Ver-
suchen Nr. 43, 44, 41, 42, 51, 52, 9 u. 10 nach 24 Stunden
um 31,3; 20,0; 0,0 bzw. 12,2°/, vermindert, erfuhr aber im
Verlaufe der Gärung eine Aufbesserung um 29,4; 25,9; 27,5
bzw. 8,5°/,., Ähnlich verhält sich auch das Chininchlorhydrat.
Nach den russischen Forscherinnen wurde durch 0,5 bzw. 1°/,
Antisepticum die Gärwirkung einer gärschwachen Acetondauer-
hefe im Verlaufe der Gärung um 20 bzw. 20,2°/, verstärkt.
Die im ganzen günstige Einwirkung kleiner, vollständige
Asepsis sichernder Zusätze von Chloralbydrat, insbesondere
aber die allmähliche Verstärkung der Gärkraft im weiteren
Verlaufe der Gärung läßt vermuten, daß kleine Mengen dieses
Stoffes namentlich die schädliche Einwirkung des proteolytischen
Enzymes auf die Zymase einschränken.
Die gute Löslichkeit des Chloralhydrates ermöglichte die
Steigerung der Konzentration bis zur Zerstörung der Zymase.
Gegenüber den erhöhten Zusätzen erwiesen sich besonders die
gärschwachen Säfte sehr empfindlich : 1,22 bzw. 1,83°/, Chloral-
hydrat vernichtete in einem Falle 10,2 bzw. 51,7°/, der Gär-
kraft (Versuch Nr. 27 u. 28 bzw. 29 u. 30), im anderen Falle
sank durch eine Menge von 1,66 bzw. 2,77 bzw. 3,32°/, die Gär-
kraft um 51,7 bzw. 75,6 bzw. 96,3°/, (Versuch Nr. 53 u. 54 bzw. 55
u. 56 bzw. 57u.58). Die gärstarken Preßsäfte vertragen dagegen
auch die erhöhten Konzentrationen, ohne daß ihre Gärkraft
erheblich geschädigt wird; in den Versuchen Nr. 43 u. 44 wurde
z. B. die Gärkraft durch 3°/, Chloralhydrat nur um 1,9°/, ver-
mindert. Zur vollständigen Vernichtung der Gärwirkung ge-
nügte bei gärschwachen Preßsäften 3,87 °/, (Versuch Nr. 59 u. 60)
und bei starken Säften 4,5°/, Chloralhydrat (Versuch Nr. 45 u. 46).
4) Ebenda 44, 206, 1904.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 323, 1904.
220 F. Ducháček:
Diese Ergebnisse, namentlich aber die ausgiebige Stärkung
der Zymasewirkung durch Chloralhydratzusätze, welche eine
vollständige Asepsis verläßlich sichern, schließen abermals die
Möglichkeit einer Mitwirkung von lebendigen Protoplasma-
splittern bei der zellenfreien Gärung vollkommen aus.
Die Versuche Nr. 61 bis 100, welche in den Tabellen V,
VIu. VII enthalten sind, liefern einen Beitrag zur Beurteilung
der Einwirkung der Benzoe- und Salicylsäure auf die En-
zyme des Hefepreßsaftes. Da in den Molekülen dieser Säuren
Phenol- und Carboxylgruppen vorkommen, wurden zur Kon-
trolle Parallelversuche mit Essig- und Carbolsäure angestellt.
Für die allgemeine Kontrolle dienten Versuche ohne Zusatz
eines Antisepticums und mit der üblichen Toluolzugabe. Um
die Wirksamkeit eines Moleküles der Substanzen vergleichen zu
können, wurden dieselben im Molekularverhältnis angewandt.
4. Essigsäure. Über die Einwirkung dieses Stoffes auf
die Gärung durch lebende Hefe bemerkt Lafar!), daß bei 1°/,
Säurezusatz die Gärung nur ausnahmsweise verläuft. Meißner?)
erhielt später abweichende Ergebnisse ; es gelang ihm meisten-
teils die Gärung schon durch 0,25 bis 0,375°/, Essigsäure zum
Stillstande zu bringen. Nach Bokorny?) wirkt die Essigsäure
viel schädlicher auf das Gärungsagens als auf das Plasma der
Hefe, denn schon 0,2°/, Essigsäure genügen, um die Zymase
binnen 24 Stunden vollständig zu vernichten. Später befaßte
sich Bokorny*) mit der Ermittelung der sog. „letalen Dosis‘
und fand, daß 10 g Hefe durch die Einwirkung von 20 ccm
2°/ iger Essigsäure ihr Vermehrungsvermögen gänzlich ein-
büßen, wogegen durch 10 ccm dieser Lösung die Vermehrungs-
fähigkeit unbeeinflußt bleibt. Die „letale Dosis“ liegt daher
für Essigsäure zwischen 0,2 und 0,4 g.
Angaben bezüglich der Einwirkung der Essigsäure auf den
Hefepreßsaft stammen von E. Buchner’): Im Vergleiche zu
der unter Zugabe von Toluol bestimmten Gärkraft des Saftes
haben 0,07 bzw. 0,13°/, Essigsäure die Gärkraft um 8,1 bzw.
1) Landw. Jahrb. 24, 445, 1895.
2) Erlangener Dissert., Berlin 1897.
3) Chem.-Zeitg. 25, 365, 1901.
4) Ebenda, 80, 554, 1906.
6) Buchner und Hahn, Die Zymasegärung, 1903, S. 145.
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes;, 221
16,4°/, geschwächt (um 26,7 bzw. 40°/, nach 16 Stunden). Wie
ungleich sich die Preßsäfte gegen die Essigsäure verhalten, ist
daraus zu ersehen, daß in einem anderen Falle 0,1°/, Essig-
säure eine Verminderung der Gärwirkung um nur 3,7°/, ver-
ursachte und bei 0,3°/, die Zymase vollständig ungeschädigt
blieb; auch bei diesem Safte konnte man anfangs eine weit
schädlichere Einwirkung der Essigsäure als im weiteren Ver-
laufe der Gärung wahrnehmen, denn nach 24 Stunden wurde
ihre Gärkraft durch 0,1°/, Essigsäure um 14,9°/, und durch
0,3°/, sogar um 25,6°/, vermindert.
TabelleV. Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Benzoe-
säure-, Salicylsäure-, Essigsäurezusatz und ohne jedes
Antisepticum.
Je 20 cem frischer Preßeaft aus Berliner untergäriger Hefe +8 g
Rohrzucker + verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser
gelöst zugesetzt; Temperatur 22°. Die Mengen Antisepticums wurden
so gewählt, daß Phenol-, Benzoe-, Salicyl- und Essigsäure im Molekular-
verhältnisse stehen.
Abgewogene Mengen der Benzoe- und Salicylsäure wurden in
2 ccm heißen Wassers gelöst und mit Hilfe eines in enge Capillare aus-
gezogenen Reagensglases zugesetzt, dann mit 2 ccm Wasser nachgespült.
Essigsäure und Phenol wurden in Form einer Lösung, die die ent-
sprechende Menge Substanz in 4 ccm enthielt, dagegen Toluol direkt
zugesetzt. Zu den Versuchen ohne jedes Antisepticum und mit Toluol
hat man 4 ccm Wasser zugesetzt.
Bei allen Versuchen ist die Flüssigkeit nach Zusatz von Antisepti-
cum klar geblieben. Nach der Gärung war das Aussehen aller Flüssig-
keiten das gleiche.
Zusatz von Antisepti- R IR Kohlendioxyd Gärkraft in
Nr.| Datum 3 @|in g nach Tagen /o =
ehr Se Bad
ccm .Gä
61 |20. Mai 08| ohne — |— | 4 [1,572,242,31|2,32
el „ R — |=] 4 l5 226 26 2,32 2,33] 100,0 | 100,0
el „ Toluol [0,1740,52| 4 1,522,04 2,09 2,10 DE
al . R 0,174.0,52| 4 Las 052, 112,12] 962 D
65 S Phenol ,0,023'0,07| 4 [1,57.2,21'2,26,2,26| 993 | 972
66l >? S 0,023.0,07| 4 |1,552,212,2612,26| 993 | 97,2
67| „| Benzoesäure 10,03 0,09] 4 |1,502,112,182,20| 043] 938
el „ j 0,03 0,09] 4 [1,46 208215216] Bä 93
69| „ | Salicylsäure 10,0340,1 | 4 |1,37)2,002,082,08| zen 898
S i n 0,034.0,1 | 4 [136201 209 209| 866 | 89,
d Essigsäure |0,015.0,04| 4 |1,63/2,25 2,31|2,32
al . à 0,0150,04] 4 [1592 2,31] 1025| 99,6
222 F. Duchätek:
Tabelle VI.
Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Benzoesäure-, Sali-
cylsäure-, Essigsäurezusatz und ohne jedes Antisep-
ticum.
Je 20ccm frischer Saft aus Berliner untergäriger Hefe +8g Rohr-
zucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser ge-
löst zugesetzt. Temperatur 22°.
Um größere Menge Benzoe- und Salicylsäure nehmen zu können,
mußte der Wasserzusatz entsprechend der Löslichkeit dieser Säuren auf
10 eem erhöht werden.
Im übrigen wurden die Versuche wie bei Tabelle V angestellt.
Zusatz von Antisepti-
Nr.| Datum OB on...
Art |e e lh
EE — — n
i
— 1,3911,5011,65
” — — 1,38 1 49 1,54 ⸗
Toluol 0, 1740,44 1,26 1,3911,44 2.6
y 0,1740,44 1,2611,3911,43: ’
Phenol 10,046,0,12 1,2811,47/1,47 942
0,046'0,12 1,30 1,46'1,47
Benzoesäure 0,06 0,15 1,20 1,371,38 89.4
iR 0,06 10,15 1,20/1,40/1,41
Salioylsäure |0,064/0,16 1,11'1,30.1,31 84.3
N 0,064.0,16 1,11'1,32 1,32
Essigsäure 0,03 |0,08 1,30 1,42 1,44 oa
e 10,03 !0,08 1,3211,40 1,41 '
Bei den in Tabelle V u. VI enthaltenen Versuchen wurde
mit Preßsäften gearbeitet, die weit wirksamer waren als die
von Buchner seinerzeit verwendeten, und das mag auch eine
der Ursachen sein, daß die Differenzen, welche die Zusätze der
Essigsäure, namentlich am Anfange der Gärung hervorgerüfen
haben, so geringfügig sind. Bei den Versuchen Nr. 83 u. 84
hat 0,08°/, Essigsäure nach 24 Stunden einen 5,4°/,igen Ver-
lust der Gärwirkung verursacht, welcher im Verlaufe der Gärung
auf 8,3°/, sich erhöhte, wogegen 0,04°/, (Versuch Nr. 71 u.
72) überhaupt nicht mehr geschädigt haben, sondern im Gegen-
teil nach 24stündiger Gärung eine kleine Aufbesserung (um
2,5°/,) hervorriefen. Diese günstige Wirkung der Essigsäure
dürfte nicht immer hervortreten, denn nach den Versuchen
Einwirkung versch. Antiseptioa auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 223
von M. Hahn und Gereot!) unterstützt gerade die saure
Reaktion die Wirksamkeit der Endotryptase, wodurch indirekt
die Zymase geschädigt werden muß.
Betrachten wir weiter die Einwirkung kleiner Mengen
Carbolsäure auf den Hefepreßsaft, so ersehen wir aus den Ver-
suchen Nr. 65 u. 66, daß 0,07°/, Phenol die Gärung viel
weniger schädigt als 0,2 ccm Toluol, denn nach 24 Stunden
macht sich eine Abnahme der Gärkraft nur um 0,7°/, bemerk-
bar (bei Toluol um 3,8°/,), welche nach 5 Tagen auf 2,8°/, (bei
Toluol auf 9,3°/,) sich erhöht. Auch ein Zusatz von 0,12°/,
Phenol (Versuch Nr. 77 u. 78) schädigt bei gärstarken Preßsäften
das Gärungssagens weniger als Toluol; die Abnahme beträgt
nach 24 Stunden 6,9°/, (bei Toluol 9,1°/,) und sinkt nach
5 Tagen auf 5,8°/, (bei Toluol auf 7,4°/,). Beim Vergleiche
mit der Essigsäure erweist sich letztere in der Konzentration
von 0,04°/, als etwas weniger schädlich, bei 0,08°/, aber ist sie
im Verhältnisse zum Phenol, soweit aus den wenigen Versuchen
geschlossen werden kann, wohl schädlicher; wahrscheinlich unter-
stützt die Essigsäure wirksamer die Endotryptase in ihrer ver-
derblichen Einwirkung auf die Zymase.
5. Benzoe- und Salicylsäure. Die Einwirkung beider
Säuren auf den Hefepreßsaft wurde früher nicht untersucht.
Zur Feststellung der die Zymase zerstörenden Konzentration
beider Antiseptica konnte man aus dem Grunde nicht ge-
langen, weil sie in Wasser zu wenig löslich sind. Da sich ein
Teil Salicylsäure bei 22° in ca. 500 Teilen Wasser löst, betrug
das Maximum der erreichbaren Konzentration der Salicylsäure
beiläufig 0,2°/,. Diese Grenze konnte bei Benzoesäure infolge
größerer Löslichkeit bei weitem überschritten werden. Die Lös-
lichkeit beider Säuren wird in ausgiebiger Weise durch eine ganze
Reihe im Preßsafte vorhandener Verbindungen (z. B. fette Öle,
Alkalicarbonate, Acetate und Phosphate) unterstützt; man
konnte deshalb noch ein wenig über die Grenze ihrer Löslich-
keit in Wasser hinausgehen. Die angeführten Antiseptica wurden
in kleiner Menge heißen Wassers gelöst und diese Lösung mittels
eines zur Capillare ausgezogenen Reagensglases tropfenweise
zugesetzt.
1) Zeitschr. f. Biol, 40, 148, 1900.
224 F. Ducháček:
Durch die geringen Säuremengen, die in Wasser noch lös-
lich sind, wird lebende Hefe sehr stark beeinflußt; es genügt
z. B. nach H. Will?) und Heinzelmann?) 0,37 g Salicylsäure
pro Liter, um Hefe unwirksam zu machen. Wehmer?) stellte
fest, daß bei einer Konzentration von 0,1°/, beide Säuren die
Entwicklung der Hefe, der Schimmelpilze und der Bakterien
verhindern; manchmal ist es notwendig, eine doppelte Menge
(0,2°/,) anzuwenden, die aber in den meisten Fällen zur dauernden
Asepsis auch leicht zersetzlicher, an der Luft frei stehender
Eiweißlösungen genügt. Die Ergebnisse der folgenden Versuche
schließen daher die Mitwirkung von lebenden Protoplasma-
splittern bei der zellfreien Gärung abermals vollkommen aus;
das Gärungsagens muß enzymatischen Ursprungs sein.
Tabelle VII.
Gärwirkung bei Toluol-, Benzoe- und Salicylsäure-
zusatz und ohne jedes Antisepticum.
Je 20 com frischer Saft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g Roh:
zucker 4 verschiedene Mengen Antiseptica, direkt oder in 10 ccm heißen
Wassers gelöst zugesetzt. Temperatur 22°.
Kohlendioxyd |Gärkraft in
Nr. in g nach Tagen °/o
—— T; Tr | ee eao
3 u
85 |21. Juli08| ohne — | — | 10 |1,.41l1,6511,71 1,72
71 „ S — [10 1,39 1,63 1881,08) m
87 F Toluol 10,1740,44| 10 |1,301,461,541,50| 90 ,| 92.9
88 i KR 0,174.0,44| 10 [1,29'1,45 1,53 1,57 , ’
89 P Benzoesäure 0,06 019 10 [1,161,3711,421,49| 905 | en
90 S S 0,06 \0,15| 10 11,15/1,36,1,4011,47| °
91 o e 0,08 |0,20| 10 |1,0711,2211,321,37| „g4| 80.3
92 Se Ki 0,08 10,20 10 [1,07 1,2211,31,1,36| "` »
|
93 e e 0,10 oa 10 [0,93 1,12.1,221,27| 661 741
94 9 8 0,10 '0,25| 10 0,921,10 1,20 1,25] 9> ’
95 R Salicylsäure ;0,064|0,16| 10 1,08 1,21 1,31,1.38| „94 | 80.9
96 5 s 0,064/0,16| 10 108 12010 1,37] (e
98 S i 0,085 0,21 10 0,85 1,06 1,19 1,21] °>
99 e » 0,107:0,27| 10 I1. 10 1,11 053
10) „ S 0,107/0,27| 10 0,85.0,97 1,10'1,11
) Zeitschr. f. d. ges; Brauwesen 16, 151, 411, 1893; 17, 43, 1894.
2) Zeitschr. f. Spiritusindustrie 5, 458, 1882.
3) Chem.-Zeitg. 21, 73, 1897; 23, 163, 1899.
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 225
Aus den Tabellen V, VI und VII sehen wir, daß die kleinste an-
gewendete Konzentration — 0,09°/, Benzoesäure und 0,1 °/, Salicyl-
säure — die Gärkraft des Hefepreßsaftes nur um 6,2 bzw. 10,2°/,
(Versuch Nr. 67 u. 68 bzw. 69 u.70) schädigt. Der Zusatz von
0,15°/, Benzoesäure und diesem entsprechend 0,16°/, Salicylsäure
ruft schon deutlichere Schädigung des Gärungsagens hervor:
um 10,6 bzw. 13°/, bei der Benzoesäure (Versuch Nr. 79 u. 80
bzw. 89 u. 90) und um 15,7 bzw. 19,1°/, bei der Salicylsäure
(Versuch Nr. 81 u. 82 bzw. 95 u. 96). Durch 0,2°/, Benzoesäure
(Versuch Nr. 91 u. 92) und 0,21°/, Salicylsäure (Versuch Nr. 97
u. 98) gehen 19,7 bzw. 27,9°/, der ursprünglichen Gärkraft ver-
loren.
Die höchstmöglichen Konzentrationen der beiden Säuren
geben zwar auch die größten Verluste an Gärkraft, dennoch
aber vermögen sie nicht die Gärung zum Stillstande zu bringen,
obzwar es Konzentrationen sind, die jedes Leben im Hefepreß-
saft ausschließen. Die ursprüngliche Gärkraft wurde durch
0,25°/, Benzoesäure (Versuch Nr. 93 u. 94) um 25,9°/, und
durch 0,27°/, Salicylsäure (Versuch Nr. 99 u. 100) um 34,7°/,
erniedrigt. |
Aus den angeführten Versuchen läßt sich im allgemeinen
folgern, daß ein Molekül Salicylsäure die Gärkraft des Hefe-
preßsaftes intensiver zu schädigen vermag als ein Molekül Benzoe-
säure; es ist dies begreiflich, wenn wir erwägen, daß im Mole-
kül Salicylsäure außer einer Carboxyl- auch noch eine Phenol-
gruppe vorhanden ist.
Durch die beiden Säuren wird die Gärkraft anfangs mehr
geschädigt als nach der beendigten Gärung; aber diese Diffe-
renzen sind nicht sehr bedeutend, 3 bis 5°/,, höchstens 8,0
(Versuch Nr. 93 u. 94) bzw. 10,7°/, (Versuch Nr. 97 u. 98).
Auffallenderweise ist diese Differenz bei Zusatz von 0,27°/,
Salicylsäure (Versuch Nr. 99 u. 100) viel kleiner als bei einem
Zusatze von 0,21°/, (Versuch Nr. 97 u. 98). Beim Vergleich
der zwei letzten Doppelversuche zeigt sich, daß die Gärwirkung
am Anfange fast gleich ist (61,4 bzw. 60,7°/,) und erst im Ver-
laufe der Gärung die Differenz entsteht. Dies läßt sich viel-
leicht folgenderweise erklären: Durch die angewendete Menge
der Salicylsäure wurde die Grenze ihrer Löslichkeit im Hefe-
preßsaft überschritten; somit konnte am Anfang nur jene Menge
Biochemische Zeitchrift Band 18. 15
226 F. Duchatek:
zur Geltung kommen, welche sich im Safte löste; durch den
im Verlauf der Gärung sich bildenden Alkohol, in welchem die
Salicylsäure leicht löslich ist, wurde die. ungelöst gebliebene
Säure in Lösung gebracht und dadurch ein neuerliches Sinken
der Gärkraft herbeigeführt.
Mit Freude ergreife ich die Gelegenheit, hiermit Herrn Prof.
Dr. E. Buchner meinen herzlichsten Dank auszusprechen, welcher
die Anregung zu dieser Arbeit gab und mich mit wertvollen
Winken bereitwilligst unterstützte.
Zusammenfassung.
1. Kleine Mengen Phenol (0,1°/,), die noch nicht im-
stande sind, die Mitwirkung lebender Protoplasmasplitter aus-
zuschließen, schädigen die Gärwirkung des Hefepreßsaftes nur
unbedeutend und viel weniger als die übliche Toluolzugabe von
0,2 com. Die 0,5°/,ige Konzentration, welche im Preßsafte
schon jedes Leben aufhebt, verhindert noch nicht die Gärung,
setzt aber die Gärkraft beiläuffg um 40°/, der ursprünglichen
herab. Durch eine 1,2°/ ige Konzentration des Antisepticums
wurde die Zymase unwirksam gemacht.
2. Die im Hefepreßsafte noch löslichen Zugaben von Chloro-
form (0,8°/,) schwächen seine Gärkraft nur unbedeutend. Eine
Erniedrigung dieser Konzentration (auf 0,5°/,) verursacht eine
ausgiebige Erhöhung der Gärwirkung, wogegen stärkere Zusätze,
trotzdem sie sich nicht gänzlich auflösen können, eine auffallende
und unerwartete Abnahme der Gärkraft veranlassen (um 64°/,
bei 17°/, Chloroform). Höchstwahrscheinlich wird das Chloro-
form im Verlaufe der Gärung in Produkte zersetzt, die das
Gärungsagens des Hefepreßsaftes schwer schädigen.
3. Kleine Dosen Chloralhydrat (0,7°/,), die aber eine
vollständige Asepsis gewährleisten, lassen eine merkliche Besse-
rung der Gärkraft des Hefepreßsaftes wahrnehmen (manchmal
bis um 27°/,). Dieser günstige Einfluß wird namentlich bei
den gärschwachen Säften bemerkbar. Das Chloralhydrat schränkt
hierbei den schädigenden Einfluß des proteolytischen Enzymes
ein und unterstützt dadurch indirekt die Zymase. Demgegen-
über vertragen die stark wirksamen Säfte erhöhte Zugaben des
Chloralhydrates besser als die gärschwachen, die durch dieselben
Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 227
sehr geschädigt werden. Die Zymase zerstörende Konzentration
beträgt 3,5 bis 4,5°/,.
4. Die Benzoe- und Salicylsäure in der Konzentration
von 0,1°/,, welche schon eine vollständige Asepsis bewirkt,
schädigt nicht allzusehr die Gärkraft des Hefepreßsaftes; erst
die Zugabe von 0,2 bis 0,25°/, vernichtet 20 bis 35°/, der Gär-
leistung. Dadurch, daß die Salioylsäure um eine Phenolgruppe
reicher ist, wirkt sie immer viel verheerender.
5. Bei der Mehrzahl der Versuche wurde die Beobachtung
gemacht, daß die Antiseptica und darunter auch jene, welche
den Gesamterfolg der Gärung erheblich aufbessern, anfangs un-
günstig einwirken, d. h. die Zymase zerstören. Späterhin wird
aber auch die Endotryptase geschädigt, wodurch die anfangs
bedrohte Gärwirkung wieder eine Steigerung erfährt. Hierfür
liefert das Chloroform und das Chloralhydrat die meisten Be-
lege, bei welchen im Verlaufe der Gärung regelmäßig die Gär-
kraft um 25 bis 30°/, aufgebessert wurde.
6. Alle diese Versuche liefern einen neuen Beitrag zur
Widerlegung der Behauptung einiger Autoren, daß das Gärungs-
agens des Hefepreßsaftes lebendige Protoplasmasplitter seien,
und beweisen neuerdings, daß die Gärung, die durch Hefepreß-
saft hervorgerufen wird, enzymatischen Ursprungs ist.
15*
Zur Biochemie des Phasins.
Von
Otto Wienhaus.
(Auns dem Institut für Pharmakologie und physiologische Chemie in Rostock.)
(Eingegangen am 19. April 1909.)
I. Einleitung.
= Mehr als 20 Jahre sind verflossen seit der im Ko-
bertschen Laboratorium erfolgten Entdeckung des ersten
pflanzlichen Hämagglutinins, des giftigen Ricins?), an die sich
dann später noch die Auffindung dreier weiterer solcher ag-
glutinierenden, nebenbei auch toxisch wirkenden Substanzen
anschloß: des Abrins*), Crotins?) und Robins*). Wenn auch
von den verschiedensten Seiten im Laufe der Jahre zahlreiche
Forschungen über diese Stoffe unternommen worden sind, 80
hat die Zeitspanne von zwei Jahrzehnten doch nicht aus-
gereicht, um endgültige Klarheit über das Wesen sowohl der
Agglutination, als auch zumal der Agglutinine selbst zu ver-
breiten.
Zur Isolierung des Ricins glaubteJacoby°) in einem Prozesse,
dessen wesentlichsten Faktor, abgesehen von dem fraktionierten
Aussalzen mit Ammoniumsulfat, die Verdauung mit Trypsin
bildet, endlich ein Mittel gefunden zu haben. Das nach seiner
Methode gereinigte Ricin hatte seine typische Giftigkeit voll
1) H. Stillmark, Über Ricin. Diss, Dorpat 1887; verbessert
und vervollständigt enthalten in Arb. d. pharmakol. Inst. zu Dorpat
8, 1889.
2) H. Hellin, Der giftige Eiweißkörper Abrin und seine Wirkung
auf Blut. Diss., Dorpat 1891.
3) Elfstrand, Über blutkörperchenagglutinierende Eiweiße.
Görbersdorfer Veröffentlichungen 1, 1, 1898.
4) C. Lau, Über vegetabilische Blutagglutinine. Diss., Rostock 1901.
5) Arch, f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 46, 28, 1901.
O. Wienhaus: Zur Biochemie des Phasins. 229
bewahrt, ebenso sein Agglutinationsvermögen für rote Blut-
körperchen. Trotzdem die Lösung eine hohe Giftkonzentration
besaß, gab sie keine Eiweißreaktionen; jedoch wurde anderer-
seits merkwürdigerweise das gereinigte Ricin durch Trypsin
schnell zerstört.
Doch bald darauf traten wieder Verteidiger der Eiweißnatur
des Ricins auf den Plan: die Amerikaner Osborne, Mendel und
Harris!), die die Versuche Jacobys einer scharfen Kritik unter-
zogen, besonders bezüglich der Reinheit seines Ausgangsmaterials
und der negativen Eiweißreaktionen seiner reinen Ricinlösung,
die nach ihrer Meinung, trotz Jacobys Gegenbehauptung, zu ver-
dünnt war. Zur Reindarstellung ihres Ricins verzichteten sie auf
die Verdauung und wandten nur umständliche, rein chemische Tren-
nungsverfahren an. Als reines Ricin sprachen sie ein auf diesem
Wege gewonnenes Albumin?) an, das, leicht löslich, überaus
kräftige Gift- und Blutwirkungen entfaltete.e Schon 0,001 mg
pro Kilo Kaninchen genügte als tödliche Dose; ferner riefen
selbst noch Verdünnungen von 1:100000 in verdünnten Blut-
suspensionen in einigen Augenblicken totale Agglutination her-
vor. Dieses reine Ricin wurde bei der Koagulation durch Hitze
(65°) unwirksam und war mit Trypsin schnell und völlig verdaubar.
Unentschieden ist auch die Frage nach der Einheit-
lichkeit der pflanzlichen Agglutinine, z. B. beim Riein, in
welcher Beziehung die Giftwirkung zum Agglutinationsver-
mögen steht.
Daß es tatsächlich kräftig wirkende pflanzliche Hämagglutinine
gibt, die einer toxischen Wirkung entbehren, daß also Agglutinin-
toxoide ganz getrennt für sich vorkommen, geht aus zwei un-
längst gemachten Entdeckungen hervor: zunächst wurde durch
Landsteiner und Raubitschek?) das Vorhandensein von
Stoffen agglutinierender Eigenschaft in den Samen von un-
giftigen Papilionaceen, in Bohnen, Erbsen, Linsen, Wicken fest-
gestellt; sodann wurden von v. Eisler und v. Portheim‘)
1) Americ. Journ. of Physiol. 14, Nr. 1, 1908.
2) Die Seroagglutinine scheinen dagegen nach verschiedenen Autoren
mit den Serumglobulinen in Zusammenhang zu stehen.
3) Centralbl. f. Bakt. 45, Heft 7, 1908.
t) Zeitschr, f. Immunitätsforschung u. experim. Therapie 1. Teil;
Abt. 1, 1908, 181.
230 O. Wienhaus:
analoge ungiftige Substanzen in den Samen einiger Datura-
arten aufgefunden. Damit dürfte denn auch wohl die Frage
nach der Einheitlichkeit jener zugleich mit toxischem Vermögen
ausgestatteten pflanzlichen Agglutinine ihrer Beantwortung
äußerst nahe gerückt sein.
Diese Entdeckung von Landsteiner und Raubitschek
gab nun zu der vorliegenden Arbeit die Veranlassung. Die
Versuchsergebnisse der beiden Autoren werden darin einerseits
bestätigt, andererseits nicht unwesentlich ergänzt und erweitert.
Die zahlreichen Versuche, deren Protokolle ich hier nur zum
kleinsten Teile wiedergebe, sind teils von Prof. Kobert,
teils von mir selbst ausgeführt worden. Es sei mir gestattet,
auch an dieser Stelle meinem hochverehrten Lehrer, Herrn
Professor Kobert, für seine vielfachen Anregungen und für
seine weitgehende liebenswürdige Unterstützung meinen er-
gebensten Dank auszusprechen.
II. Über die Untersuchungen von Landsteiner und
Raubitschek.?)
Landsteiner und Raubitschek stellten die Extrakte,
welche die von ihnen in den Samen von Bohnen (Phaseolus),
Erbsen (Pisum), Linsen (Ervum) und Wicken (Vicia)
nachgewiesenen, dem Ricin verwandten Stoffe enthielten, in
folgender Weise dar.
Das aus den von ihren Schalen sorgfältig befreiten Samen durch
möglichst feine Zerkleinerung erhaltene Pulver wurde mit dem ő fachen
Volumen physiologischer Kochsalzlösung versetzt und 24 Stunden im
Eiskasten belassen. Hierauf wurde koliert und filtriert, bis das Filtrat
leicht getrübt und opalisierend erschien. Resultat eines Titrations-
versuches:
Art des Extraktes
Biüitart. No oe a
Bohnen | Erbsen | Linsen | Wicken
1) Centralbl. f. Bakt. 45, Heft 7, 1908.
Zur Biochemie des Phasins.
231
Die Zahlen drücken die Verdünnung aus, in der die verwendeten
Extrakte (je 1,0 com) die betreffende Blutart (je 0,5 ocom einer 5°/,igen
Aufschwemmung) eben noch deutlich (mikroskopisch) agglutinierten.
Die beiden Autoren ermittelten ferner, daß aus den Ex-
trakten
l. bei schwachem Ansäuern ein Niederschlag ausfällt, der
nur wenig Agglutinine enthält, während deren Hauptmenge im
Filtrate sich findet;
2. durch Alkohol die agglutinierenden Substanzen gefällt
werden und bei ihrer Neulösung keine beträchtliche Einbuße
an Wirksamkeit zeigen;
3. die agglutinierenden Substanzen durch Ammoniumsulfat
aussalzbar sind. Die Agglutinine dialysieren nur schwer, aber
leichter als Ricin. Gegen Salzsäure und Soda scheinen die
Stoffe ziemlich resistent zu sein.
Das Bohnenextrakt übt eine präcipitierende Wirkung auf
Serum aus:
Bohnen- | Hühner- | Pferde-
extrakt serum serum
sehr starker Niederschlag |
starker Niederschlag
deutliche Trübung
1,0 deutlich getrübt
0,5 deutlicher Niederschlag
0,1 deutlich getrübt
Peritoneale Verabreichung
lieferte folgendes Ergebnis:
von Bohnenextrakt an Tiere
5 Bohnen- ;
Tier | Gewicht | Steet | Wirkung
mittel
überlebt“
Maus 2,0
: ; 2,0 :
: 2 20 |tot nach 48 Std.
e S 1,0 überlebt
. n 0,1 n
Meerschweinchen | ca. 300g 2,0 =
Ratte ca. 100g 20 S
Kaninchen | oca. 1500 g 3,0 e
Einträufeln der Extrakte in den Bindehautsack des Ka-
ninchenauges brachte keine Reizerscheinungen hervor.
232 O. Wienhaus:
III. Eigene Prüfung verschiedener Papilionaceensamen auf
ihren Gehalt an Hämagglutininen.
Gewinnung der Extrakte. Von ihren Schalen nicht
befreite Samen wurden in einer Handmühle möglichst fein zer-
mahlen, mit dem fachen Volumen 0,9°/,iger Kochsalzlösung
und, je nach der Menge, mit 1 bis 2ccm einer Konservierungs-
flüssigkeit, gewöhnlich Toluol, versetzt; das Ganze tüchtig durch-
geschüttelt und 18 bis 24 Stunden lang in kühlem Raume
stehen gelassen. Sodann vorgenommene Filtration lieferte eine
in der Regel ein wenig getrübte, opalisierende, je nach der
Farbe der Samenschalen gefärbte Flüssigkeit (Stammlösung),
zu deren eventueller Verdünnung physiologische NaCl-Lösung
gebraucht wurde.
Protokoll eines Agglutinationsversuches mit der Stamm-
lösung von weißen Bohnen. Probeobjekt: Mit 0,9%/,iger NaCl-Lösung
hergestellte 5°/,ige Aufschwemmung von defibriniertem Hundeblut.
I. 5 com Suspension als Kontrolle ohne Zusatz
+ 1 com Stammlösung
I.5 „ Š
IL 5 „ a +2 , z
IV. 6 n n + 3 n n
NB, n + Yo n n zu l com el
VI. 5 n n + ?/10 n n n 2 n 2
VII. 5 n n + ?/i0 n n n 3 n de
VII. 5 » n + 1/60 n n n 1 n S
IX. 5 n n + 1/30 n n n 2 H Sé
X. 5 n n + 1/20 n n n 3 n ch
XL 6 » n + Yıoo » n n l n 2
XII. 5 n n + 3/100 n n n 1 ” *
Beginn der Agglutination macht sich bei II bis IV sofort, bei
V bis X nach 5 Minuten bemerkbar. Nach 4 Stunden folgender Be-
fund: Bei II bis VII ist völlige Agglutination eingetreten: einzelne
Klümpchen hängen an der Wand des Glases, der bei weitem größte Teil
der Blutkörperchen ist am Boden zu einem kompakten Klumpen zu-
sammengeballt, der sich beim Umkehren des Glases nicht wieder auflöst:
Das Filtrat ist klar, mikroskopisch frei von einzelnen Blutkörperchen.
Bei VIII bis XII ist, gradatim absteigend, die Agglutination partiell:
der Bodensatz zerteilt sich beim Umkehren des Gläschens minder oder
mehr wieder; das Filtrat ist leicht bis stark rot getrübt und enthält mikro-
skopisch unverklebte Blutkörperchen. In I keine Spur von Agglutination.
Bei allen Proben ist geringe Hämolyse eingetreten, jedoch ist diese
nur als Fäulniserscheinung anzusehen, denn auch das Serum der Kon-
trolle ist deutlich gerötet. (Das Blut war nicht mehr ganz frisch.)
Zur Biochemie deg Phasins; 233
Ergebnis: In einer 5°/,igen Hundeblutsuspension wird,
berechnet auf Bohnensubstanz als Einheit, noch bei einer Ver-
dünnung 1:300 innerhalb 4 Stunden totale Agglutination herbei-
geführt. Die Grenze für die partielle Agglutination ist bei der
Verdünnung 1:6000 noch nicht erreicht. Da doch nicht die
ganze Bohnenmasse aus Agglutinin besteht, sondern da letzteres
höchstens der Eiweißmenge (25°/,) entsprechen kann, ja wohl
nur einen verschwindend kleinen Teil der Bohneneiweißsubstanz
ausmacht, so ist durch vorstehenden Versuch erwiesen, daß
dieses Gift in viel, viel größerer Verdünnung als 1:300>< 4
noch totale und in einer größeren Verdünnung als 1:6000 4
noch partielle Hämagglutination hervorruft.
Gleichartige Untersuchungen wurden nun an folgen-
den Samen mit folgenden Ergebnissen vorgenommen:
(Siehe Tabelle S. 234 u. 235.)
Es bedeutet: -+ Agglutination in geringem Maße; — Ausbleiben
derselben auch trotz mehrstündigen Wartens; T totale, P partielle Ag-
glutination. Die arabischen Ziffern geben die Verdünnungen berechnet
auf ganze Samensubstanz als Einheit an; sie bedeuten keine Grenzwerte,
d. h. maximale Verdünnungen, bis zu denen man überhaupt gehen kann,
sondern sie drücken die mehr oder weniger weit vor den Grenzen liegen-
den Werte aus, bei denen in den jeweiligen Versuchsreihen in 5°/,igen
Blutsuspensionen noch totale bzw. partielle Agglutination beobachtet
wurde. Die römischen Ziffern bezeichnen die Stundenzahl, nach deren
Verlauf das betr. Resultat abgelesen wurde.
Obgleich die Wartezeiten, nach deren Verlauf der Befund
erhoben wurde, äußerer Umstände wegen nicht immer gleich
lang waren und schon aus diesem Grunde der Wert der Ta-
belle nur ein bedingter ist, so geht doch aus dieser mit Sicher-
heit hervor, daß von sämtlichen Samen diejenigen von
Phaseolus vulgaris am kräftigsten wirken, wie dies auch
schon von Landsteiner und Raubitschek auf Grund ihrer
Versuche hervorgehoben wurde. Im Gegensatz zu den beiden
Autoren konnte für die Vicia-Arten bei Karpfenblut keine
(allerdings wurde auch hier wie in den allermeisten anderen
Fällen allein das makroskopische Bild in Rechnung gezogen),
bei Hammelblut dagegen wohl eine, wenn auch nicht beträcht-
liche Agglutination beobachtet werden.
Extrakte aus Hülsen von Scohotenerbsen, aus jungen
grünen Bohnen, aus Leinsamen führten keine Veränderung
O. Wienhaus:
234
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235
Zur Biochemie des Phasins.
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236 O. Wienhaus:
an Hühnerblutkörperchen herbei. Desgleichen zeigte sich ein
Auszug aus den Samen von Cassia absus wirkungslos gegen-
über dem Blut von Katze, Kaninchen, Huhn. Gelegentlich
zum Vergleiche angestellte Versuche mit Extrakt aus Abrus
precatorius lieferten, wie nicht anders zu erwarten war, ein
positives Resultat für die geprüften Blutarten: Schwein, Katze,
Rind, Huhn, Taube. Die Vermutung, daß die Samen von
Cassia absus wie die von Abrus precatorius wirken würden, hat
sich nicht bestätigt.
IV. Darstellung und Prüfung des Phasins, d.h. des Bohnen-
agglutinins!) in gereinigterer Form.
1. Darstellung.
Wegen der relativ bedeutendsten Wirksamkeit ihrer Ex-
trakte wurden die weißen Bohnen (Phaseolus vulgaris) zu einem
eingehenden Studium ausgewählt. Als Übelstand erwies sich
einerseits die leichte Zersetzbarkeit der Auszüge durch Fäulnis-
erreger trotz Zusatz des Antisepticums, andrerseits war mit
einem ungleichmäßigen Agglutiningehalt der verschiedenen Aus-
züge zu rechnen, da doch das Bohnenmehl nicht jedesmal vöillg
gleich feinpulvrig gemahlen und außerdem die Extraktionszeit
nicht immer gleich (18 bis 24 Stunden) bemessen werden konnte.
Zwar ergab sich kein Unterschied im Wirkungswerte bei
verschiedener Konzentration aber gleicher Einwirkungszeit der
zum Auszug verwendeten NaCl-Lösung, wie aus folgendem Ver-
suche hervorgeht:
Je 10 g feingemahlener Bohnen werden mit 500 com einer 0,9°%/,igen
und einer 11°/,igen Kochsalzlösung 24 Stunden lang extrahiert. Prüfung
mit 5°/,iger Kaninchenblutsuspension; Beide Stammlösungen wirken
stark und, wie es scheint, in gleichem Maße. Darauf wird 10fach verdünnt,
d. h. der 11°/,ige Auszug mit Aq. dest., der 0,90/,ige mit 1°/,iger NaCl-
Lösung. Von diesen zwei Verdünnungen (Bohnensubstanz 1:500) wirken
in vollständig gleicher Weise je 2 com auf 5 ccm der Blutsuspension
binnen 1 Stunde völlig agglutinierend (1:1750), je 1 com aber nicht ganz
total (1:3000).
1) Der Name „Phaseolin“ konnte dem agglutinierenden Prinzip der
Bohnen nicht gegeben werden, da er schon von Osborne und Clapp
(Americ. Journ. of Physiol. 18, Nr. 3, 1907 und Zeitschr. f. analyt. Chem.
48, Heft 2, 1909) einem aus den Bohnen isolierten, von ihnen rein
chemisch untersuchten, krystallisierbaren Eiweißkörper beigelegt
worden ist. Ferner paßt Phasin besser zu Abrin, Ricin, Crotin.
Zur Biochemie des Phasins. 237
Nun ließ sich aber leicht ermitteln, daß eine mit physio-
logischer Kochsalzlösung gewonnene Stammlösung das Bohnen-
pulver natürlich nicht erschöpft, d. h. nur einen Bruchteil des
in den Bohnen vorhandenen agglutinierenden Stoffes enthält.
Es wurde nämlich der Filterrückstand, von dem die Stamm-
lösung abfiltriert war, noch einmal ausgezogen, und zwar mit
11°/,iger NaCl-Lösung (250 ccm auf ursprünglich 50 g Bohnen).
Bei Prüfung auf 5°/,ige Suspension von Menschen-, Pferde-,
Hundeblut zeigte sich innerhalb weniger Minuten selbst auf Zu-
satz von nur !/ „ccm des Auszugs (+ °/io oom Aq. dest.) zu 5 ccm
Blutaufschwemmung (Verdünnung 1:300) totale Agglutination.
Auf eine quantitative Gewinnung des Phasins aus den
Bohnen habe ich keine Mühe verwandt, da das Ausgangs-
material ja billig ist. Wohl aber kam es mir darauf an, für
viele Versuche ein gleichmäßig wirkendes Präparat zu erhalten.
Infolgedessen wurden, um ein solches Präparat von einiger-
maßen konstantem Gehalt an Agglutinin zu finden, folgende
Trennungsverfahren durchgeprüft.
A. Mit Säure 20 oom Bohnenstammlösung, welche mittels
physiol. CINa-Lösung gewonnen worden war, -+- 3 Tropfen verdünnter
Salzsäure geben einen voluminösen Niederschlag (N), der durch Filtrieren
abgetrennt wird. Das Filtrat, neutralisiert, wirkt noch stark aggluti-
nierend. Weitere Tropfen von Salzsäure fällen aber nichts mehr (und
weniger als 3 Tropfen waren ungenügend). Wird nach der Salzsäure
auch noch gesättigte NaCl-Lösung zugesetzt, so ergibt sich noch eine
minimale Fällung. Diese muß also wohl eine wirksame Substanz ent-
halten, eetzt jedoch nicht ab. Der Niederschlag (N), in physiol. Koch-
salzlösung suspendiert, wirkt ebenfalls nooh agglutinierend, birgt also
auch wirksame Stoffe in sich, aber wohl nur, weil jeder voluminöse
Niederschlag unser Gift teilweise mit niederreißt. Immerhin geht bei
dieser Methode der Abscheidung stets etwas von der wirksamen Sub-
stanz verloren. Sie wird daher nicht weiter benutzt.
B. Mit destilliertem Wasser. Die mit Aq. dest. im Verhält-
nisse 1:2, 1:3 bis 1:10 versetzte mittels physiol. CINa-Lösung gewonnene
Stammlösung gibt eine voluminöse Fällung. Selbst aber bei 1:10 findet
sich sowohl im Filtrat als auch im Niederschlag reichlich Agglutinin.
Es scheint also ein wirksames Globulin (im Niederschlag) und ein wirk-
sames Albumin (im Filtrat) vorhanden zu sein; oder die wirksame
Substanz hängt locker teilweise am Albumin und teilweise am Globulin
der Bohnensubstanz. Wiederholung bestätigt diesen Befund. Dabei
stellt sich ferner heraus, daß das Globulin ohne Albumin in 0,9°|,iger
NaCl-Lösung schlechter löslich ist als in konzentrierter. Extrahiert man
Bohnenpulver (oder das noch zu bespreohende Mercksche Präparat)
238 O. Wienhaus:
mit destilliertem Wasser und setzt diesem später die erforderliche Menge
CINa zu, um eine 0,9°%/,ige Kochsalzlösung zu erhalten, so wirkt diese
weniger stark als wenn man mit 0,99%’ ‚iger CINa-Lösung ausgezogen hat.
Ferner läßt sich hinterher aus dem Filterrückstand noch mittels physiol.
NaCl-Lösung Gift ausziehen. Letzteres fällt beim Verdünnen der Lösung
mit der zehnfachen Menge Aq. dest. wieder aus. Damit ist ebenfalls
bewiesen, daß ein Teil des Agglutinins sich als Albumin und ein anderer
als Globulin gewinnen läßt.
C. Mit Alkohol. 50 ccm Bohnenstammlösung + 50 ccm Alkohol
(96°/,) geben eine voluminöse Fällung. Das klare Filtrat enthält nichts
Wirksames; es zeigt nach Zusatz sowohl von Alkohol als von physiol;
NaCl-Lösung leichte Opalescenz; nach Einengung läßt sich durch
1. Mayers, 2. Millons, 3. Esbachs Reagens, 4. durch die Biuret-
reaktion die Anwesenheit einer Eiweißsubstanz (wohl Albumose) nach-
weisen, aber deren Menge ist minimal; sie erweist sich ferner als un-
wirksam. Sie wird durch Alkohol und Äther nur schwer ausgefällt.
Außerdem enthält das Filtrat, ebenfalls spärlich, Salze und Zucker. Auf
jeden Fall kann man durch diese Methode gewisse unwirksame Stoffe
wegreinigen. Daher wurde diese Methode der Abscheidung aus dem
mittels physiol. CINa-Lösung gewonnenen wirksamen Auszug zur Dar-
stellung der festen wirksamen Substanz benutzt. Die beiden (of. B.)
wirksamen Stoffe sind im Niederschlage enthalten und bedingen, daß
dieser, in 50 ccm physiol. NaCl-Lösung gelöst, gerade so stark aggluti-
nierend wirkte wie die Stammlösung. Der Niederschlag löst eich aber
selbst beim Verdünnen auf 100 com nicht mehr ganz, weil durch zwölf-
stündiges Stehen unter Alkohol die Löslichkeit (nicht aber die Wirksam-
keit) abgenommen hat. Zur weiteren Reinigung werden 90 ocm der
„Suspension“ (entsprechend 45 com Stammlösung) wiederum ää mit
Alkohol versetzt und nach 16 Stunden filtriert.
Dieser Filterrückstand enthielt also nun die sämtlichen in der
Stammlösung vorhanden gewesenen agglutinierend wirkenden Substanzen
sowie eine nicht unbeträchtliche Menge von unwirksamen Eiweißestoffen.
Die agglutinierenden, welche zunächst als ein Gemisoh eines
Albumins und eines Globulins erscheinen, nenne ich zu-
sammengenommen Phasin.
Beim Trocknen des Filterrückstandes im Vakuum werden sie mit
den unwirksamen Eiweißstoffen zusammen als feines weißes Pulver ge-
wonnen. Löst man dieses jetzt in physiol. CINa-Lösung, so bleibt die
Hauptmenge der unwirksamen Stoffe auf dem Filter, während das
Phasin ins Filtrat übergeht. Wir werden weiter unten erfahren, daß
es durch Abverdauung noch weiter vom anhaftenden Eiweiß gereinigt
werden kann.
Nachdem ich mittels obiger Methode C mir wiederholt
Präparate von immer gleicher Wirksamkeit hergestellt hatte,
hat Prof. Kobert durch die Firma Merck ein solches Bohnen-
giftpräparat in den Handel bringen lassen, welches als Aus-
Zur Biochemie des Phasins. 239
gangsmaterial für die Gewinnung von reinem Phasin recht be-
quem ist. Ich werde dieses Präparat sowie die von mir selbst
in analoger Weise dargestellten Pulver im nachstehenden viel-
fach zu erwähnen haben.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Wirksamkeit
des reinen Phasins in allen unten folgenden Ver-
suchen naturgemäß viel, viel stärker ist als die an-
gegebenen Zahlen, weil diese sich ja stets auf das trocken
gewogene Gemisch wirksamer und unwirksamer Substanz be-
ziehen.
Der Einfachheit halber bezeichne ich im folgenden jedes
von mir benutzte phasinhaltige nach obiger Methode gewonnene
Pulver kurz mit B-A-P (Bohnenagglutininpräparat).
2. Wirkung auf verschiedene defibrinierte Blutarten.
L Mensch. Sowohl frisches als bis zu 2 Tagen altes Blut von ge-
sundon Menschen kam zur Verwendung. Aus verschiedenen Versuchs-
reihen ergab sich, daß totale Agglutination noch nachweisbar ist bei
einem Zusatze von 0,5 mg B-A-P (enthalten in l com Flüssigkeit) zu
5 ccm Blutsuspension 1), also bei einer Verdünnung 1 B-A-P:12000. Die
Grenze liegt zwischen 1:12000 und 1:24000.
Für die partielle Agglutination konnte ein einheitlicher Grenzwert
nicht konstatiert werden. Das eine Mal war schon bei Verdünnung
1:35000 nichts mehr von Verkleben der Erythrocyten wahrzunehmen ;
ein anderes Mal dagegen trat noch bei 1:48000 teilweise Aggluti-
nation ein.
Vielleicht beruht diese Verschiedenheit der Ergebnisse darauf, daß
im ersten Falle B-A-P von Merck, das schon etwa 1/, Jahr lang ge-
lagert hatte, im zweiten Falle ziemlich frisches, selbst dargestelltes
BAD benutzt wurde. — Die Ergebnisse wurden erst nach 15 bis
17 Stunden abgelesen ; möglicherweise wären sie schon nach 4 Stunden
ebenso ausgefallen.
Von Interesse war es auch, foetales Menschenblut zu prüfen.
Es wurde gewonnen durch Auspressen aus den Gefäßen einer frischen
menschlichen Placenta. In der Suspension ließ sioh auch hier noch bei
einer B-A-P-Verdünnung 1:12000 vollständige Agglutination erzielen.
Die partielle wurde nur bis 1:22000 verfolgt.
2. Pferd. Eine vollständige Verklumpung der roten Blutkörperchen
innerhalb 14 Stunden fand sich noch in der Probe, bei der zu 5 ccm
Blutsuspension 1 ocm einer um das Sfache verdünnten 1°/,igen filtrierten
frischen Lösung von B-A-P zugesetzt war, also bei einer 48000fachen
Verdünnung des letzteren.
1) Gemeint ist stets 5°/,ige, falls nicht anders angegeben.
240 O. Wienhaus:
Wie weit man in der Verdünnung gehen kann, um eben noch par-
Gelle Agglutination hervorzurufen, wurde nicht ermittelt.
3. Schwein. Totale Agglutination führten herbei: 3 mg (gelöst
enthalten in 3 ccm) innerhalb 1 Stunde; Verdünnung 1:2666; — 1 mg
(in 1 com) innerhalb 24 Stunden; Verdünnung 1:6000. Die Grenze der
teilweisen Agglutination liegt bei 24stündiger Wartezeit noch weit jen-
seite von 1:12000, denn 0,5 mg vermochten innerhalb dieser Zeit noch
ein fast völliges Zusammenballen der roten Blutkörperchen in der Sus-
pension hervorzurufen.
4. Hund. Totale Agglutination brachten in 5 com der Blutsuspen-
sion zuwego
innerhalb weniger Minuten 10 mg B-A-P (in 1 com),
„ spätestens 1 Stunde 2 „ Pa 0% re:
„ längstens 2 Stunden] „ e Feb ech
entsprechend also Verdünnungen 1:600; 1:3500; 1:6000. Die Grenze
der partiellen Agglutination war noch nicht erreicht bei 1:24000.
5. Katze. Totale Agglutination erfolgte fast sofort bei einer Ver-
dünnung 1:300. Dieselbe Wirkung innerhalb 4!/, Stunden bei 1:6000;
binnen 18 Stunden bei 1:11000 und binnen 23 Stunden sogar noch bei
1:60000.
Versuche, die Grenze für die teilweise Agglutination der Suspension
ennähernd zu ermitteln, wurden nicht gemacht.
6. Kaninchen. Bei Verdünnung 1:3500 nach kurzer Zeit, bei
1:7000 innerhalb 15 Stunden totale Agglutination der Suspension. Nach
20stündiger Wartezeit fand sich partielle Verklumpung noch bei 1:12000,
nicht mehr bei 1:35000.
7. Meerschweinchen. Zwei Versuchsreihen mit Lösungen von
einerseits frischem, andrerseits 3 Monate altem, schlechter löslichem
B-A-P. (Von letzterem wurde 48 Stunden nach dem Lösen das aus-
gefallene Eiweiß vor dem Gebrauche abfiltriert.) Es zeigte sich kaum
ein Unterschied: bei den Proben mit frischem Material wurde bei einer
Verdünnung 1:6000 schon nach 3/, Stunden totale Agglutination kon-
statiert; bei den anderen Proben wurde erst nach 5 Stunden abgelesen,
und zwar dasselbe Resultat. Bei einer Wartezeit von 24 Stunden fand
sich hier vollständige Agglutination sogar noch bei 1:11000.
8. Hammel. Während die bisher geprüften Säugetierblutarten
alle leicht agglutinierbar waren, zeigte sich bei Hammelblut ein anderes
Verhalten.
Ich prüfte zunächst an einer Suspension von 2 Tage altem
Hammelblut mit einer 6 Wochen alten, etwas faulig riechenden 1°/,igen
Lösung von B-A-P, und zwar mit 1, 2, 3, 10, 20 mg B-A-P entsprechen-
den Zusätzen. Nach 9 Stunden hatte sich in allen Gläschen ein Boden-
satz gebildet; jedoch nur in der mit 20 mg B-A-P versetzten Probe
zerteilte sich dieser Bodensatz bei gelindem Schütteln nicht ganz, wie
dies in den anderen Proben und in der Kontrolle geschah. Ob wirklich
Zur Biochemie des Phasins. 241
auch in jenem Falle Agglutination vorlag, erschien ziemlich zweifelhaft.
Erst nach 24 Stunden ließ sich mit einiger Gewißheit partielle Aggluti-
nation erkennen, aber eben auch ausschließlich in der Probe mit 20 mg.
Wiederholung des Versuchens mit ganz frisch bereiteter 1°/, iger
Lösung von B-A-P ergab ungefähr dasselbe. Nach Verlauf von
Gi Stunden zeigte sich nur in der mit 20 mg (in 2 ocm) versetzten
Blutaufschwemmung etwas von Agglutination, indem sich hier allein
der Bodensatz bei einmaligem Umkehren des Gläschens nioht gänzlich
auflöste. Nach 24 Stunden konnte denn auch bloß in dieser Probe von
einer teilweisen Agglutination die Rede sein.
Es reiohen demzufolge selbst verhältnismäßig hohe Dosen von
B-A-P nicht aus, um 5 ocm einer Hammelblutsuspension völlig zu ag-
glutinieren, obendrein erfordert die partielle Agglutination, die eben noch
bei 350facher Verdünnung hervorgerufen werden konnte, eine ziemlich
lange Inkubationszeit,
9. Rind. Noch ausgeprägter war die Reaktionslosigkeit dieser
Blutart. Trotz häufig wiederholter Versuche, selbst an noch warmem
Blute, mit alten und mit frisch bereiteten Lösungen von B-A-P und
Dosen bis zu 50 mg war es nicht möglich, in der Rinderblutsuspension
mit einiger Sicherheit Agglutination hervorzurufen, wenn auch die Warte-
zeit auf 24 Stunden ausgedehnt wurde. Kalbeblut zeigte die gleiche
Erscheinung. (Von Abrusextrakt 1:50 genügte dagegen L ccm, um eine
sofort einsetzende, nach 1 Stunde totale Agglutination im Rinderblute
zu erzeugen.)
10. Huhn. 10 mg B-A-P (enthalten in 1 com Lösung) machten
innerhalb 20 Minuten 5 ccm Blutaufschwemmung blutkörperchenfrei
filtrierbar (Verdünnung 1:600). Nach 20 Stunden fand sich noch bei
12000 facher Verdünnung totale sehr feste Agglutination. Mit weiteren
Verdünnungen wurde nicht geprüft.
11. Taube. Auf Zusatz von 10 mg (1:600) ist aus 5 ccm Blut-
suspension schon nach 5 Minuten ein klares Filtrat zu erhalten; bei
L mg (1:6000) desgleichen nach 1 Stunde 0,1 mg (in 1 com) bewirkte
in einem Falle bereits nach 2 bis 3 Stunden, bei einer Wiederholung
erst nach mehr Stunden eine totale Agglutination in 5 com Suspension;
das bedeutet also eine 60000fache Verdünnung. Bei einer solchen von
1:120000 trat allerdings keine Spur mehr von einer Verklumpung auf,
selbst nicht in 20 Stunden.
12. Sperling. Bei Verdünnung 1:6000 rasch (15 Minuten) teil-
weise, aber nur langsam (18 Stunden) totale Agglutination der Blut-
suspension.
13. Frosch. 9 ccm einer 2°/ igen Blutaufschwemmung 4 1 ccm
(entsprechend 10 mg) B-A-P-Lösung (mithin Verdünnung 1:1000). Nach
wenigen Sekunden begann zwar die Agglutination, führte aber innerhalb
3 Stunden nicht zur Bildung eines zusammenhängenden Koagulums.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 16
242 O. Wienhaus:
14. Fisch (Karpfen). Die Blutsuspension erwies sich als un-
empfindlich gegen das Bohnenagglutinin, trotzdem sogar die geringe
Verdünnung 1:350 gewählt wurde. Es stimmt in diesem Punkte somit
das Karpfenblut mit dem des Rindes überein.
3. Wirkung auf intakte rote Blutkörperchen.
Intakte Erythrocyten wurden durch Absetzenlassen aus defibri-
niertem Blute gewonnen, mit physiologischer Koohsalzlösung gewaschen
und mit dieser dann aufgeschwemmt zu einer 21/,°/,igen Suspension, die
ungefähr der 5°/,igen Suspension des defibrinierten Blutes entspricht.
1. Pferdeblutkörperchen. In 5 com der Suspension bewirkten
innerhalb 2 Stunden von B-A-P (in je 1 com gelöst enthalten) 1 mg
totale, 1/ mg fast totale, 1,30 mg noch geringe Agglutination.
Die Grenze für die völlige Verklumpung liegt danach zwischen 1: 6000
und 1:12000, diejenige für partielle nahe bei 1:180000. Bei ver-
längerter Inkubationszeit würde mit der größten Wahrscheinlichkeit auch
hier, wie bei der 5°/,igen Blutsuspension nach 14 Stunden, noch eine
Verdünnung 1:48000 Total-Agglutination herbeigeführt haben.
2. Kaninchenblutkörperchen, Eine annähernde Grenzbestim-
mung wurde nicht vorgenommen. 5 ccm der Aufschwemmung ergaben
auf Zusatz von 1l com Lösung (entsprechend 1 mg B-A-P) nach 45 Minuten
bereits ein klares Filtrat, d. h. die Agglutination war in diesem Falle
total bei einer Verdünnung 1:6000.
3. Hühnerblutkörperchen. Bei einer Versuchsreihe mit 2!/,-
0/,iger Suspension wurde nach 5 Stunden abgelesen: Totale Agglutination
noch bei 1:26666; Grenze für die partielle jenseits von 1:60000. In
einer anderen Versuchsreihe mit 5°’ ‚iger Blutkörperchenaufschwemmung
ließ sich nach 20 Stunden erkennen: Totale Agglutination noch bei
1:12000; nicht unbeträchtliche partielle bei 1: 30000, ja sogar 1:60000.
Auf zwischen 1:12000 und 1: 30000 liegende Werte wurde nicht ge-
prüft.
4. Karpfenblutkörperchen. Eine in 2 com physiol. Kochsalz-
lösung enthaltene Menge von 20 mg B-A-P hatte nach 6 Stunden etwas
Agglutinationähnliches in 5 com der Suspension hervorgebracht. Jedoch
ließ sich durchaus nicht mit Bestimmtheit diese Veränderung als
echte Agglutination deuten, da sich ganz und gar nicht, in der ge-
wöhnlichen Weise ein fester Bodensatz gebildet hatte. Dem Fischblut-
serum scheint demnach eine Agglutination verhindernde Kraft nicht
innezuwohnen, sondern die Inagglutinabilität liegt in Eigenschaften der
Karpfenblutkörperchen selbst begründet.
4. Wirkung auf mit Formalin gehärtete Erythrocyten.
Versuch 1. Katzenblutkörperchen, 2 >< 24 Stunden in einem
großen Überschuß von 3,6°/,igem Formalin gehärtet, dann durch Waschen
vom Formalin befreit und in physiol. NaCl-Lösung 21/,%/,ig. also etwa
6°/,igem Blute entsprechend, suspendiert. Gläschen I: 10 com Suspen-
Zur Biochemie des Phasins. 243
sion als Kontrolle; Gläschen II: 10 com Suspension + 1 com eincr 1%/,igen
B-A-P-Lösung. Nach 15 Stunden haben sich die Körperohen in II voll-
ständig auf den Boden abgesetzt; in I sind sie auch gesenkt, aber weit
weniger dicht. Nach Aufschütteln fallen sie in II binnen wenigen Minuten
zu Boden, in I dagegen erst nach Stunden. Ein zusammenhängender
Kuchen, zu welchem die intakten Erythrocyten zusammengeballt zu werden
pflegen, hatte sich jedoch nicht gebildet.
Versuch 2. Katzenblutkörperchen, 4 Monate hindurch unter
3,6°%/,igem Formalin gehärtet; sie bilden am Grunde des Gefäßes einen
braunen, festen Satz, von dem sich das Formalin bequem völlig ab-
gießen läßt und der sodann durch kräftiges Schütteln und Losreiben mit
einem Glasstabe mit physiol. Kochsalzlösung zu einer gleichmäßigen,
etwa 21/,°/,igen Suspension aufgeschwemmt wird.
I. 5 ccm dieser Suspension zur Kontrolle ohne Zusatz
I.5 „ e S +4 com B-A-P-Lösung (entspr. 20 mg)
I.5 vu 2 e +2 „ „ ( » ID wi
IV. 5 en D „ +1 TT T ( 99 5 „ )
Vb», » e +2 „ „ ( » l»)
VI. 5 „ „ IT + l » „ ( II 0,5 „ )
VII. 5 9 s» np + 2 nm d ( nm 0,1 DW
Bei II bis IV sofortiger Beginn einer Art von Agglutination be-
merkbar; nach 10 Minuten hat sich der größte Teil der Blutkörperchen
als flockiger Niederschlag am Boden dieser Gläschen abgesetzt, die über-
stehende Flüssigkeit ist noch leicht bräunlich getrübt. Nach 3 Stunden
hat sich in allen Gläschen, auch in der Kontrolle, ein Bodensatz gebildet,
der sich durch einfaches Umkehren der Gläschen wieder vollständig löst,
bei II bis IV darauf am schnellsten, in der Kontrolle am langsamsten,
wieder sich zu Boden senkt. Nach 24 Stunden status idem.
Versuch 3 Gleiche Blutkörperchen wie bei 2.
L Beem der Suspension zusatzfrei,
IL-6 ae g S +2 eem der B-A-P-Lösung (20 mg).
Sehr bald sinken in II die Blutkörperchen zu Boden, eine nur
leicht bräunlich getrübte Flüssigkeitsschicht über sich lassend. Nach
1 Stunde werden beide Proben filtriert: Bei I wird das Filter schwach
braun gefärbt, das Filtrat ist dunkelbraun, stark trübe, fast wie vor dem
Filtrieren. Bei II erhält das Filter einen dicken, dunkelbraunen, glän-
zenden Überzug; das Filtrat ist nur etwas hellbraun getrübt. Diese
Trübung setzt bald ab; die darüberstehende Flüssigkeit ist klar.
Ergebnis: Auch auf rote Blutkörperchen, die 2 Tage, ja
auch auf solche, die 4 Monate lang mit 3,6°/,igem Formaldehyd
gehärtet wurden, übt das Bohnenagglutinin eine Einwirkung
aus. Diese zeigt sich namentlich in der Vermehrung der
Senkungsgeschwindigkeit. Größere zusammenhängende Ko-
16*
244 O. Wienhaus:
agula werden nicht gebildet,’) es kommt nur zu einer geringen
Verklebung, infolge deren die Blutkörperchen durch die Filter-
poren allergrößtenteils nicht mehr hindurchgehen können.
Guyot?) fand u. a. auch für Bohnenagglutinin bezüglich
der Agglutinabilität und des Agglutinationsmodus keinen Unter-
schied zwischen normalen und 24 Stunden lang mit Formalin
gehärteten Blutkörperchen. Für länger gehärtete Erythrocyten
muß nach vorstehendem ein derartiges völliges Übereinstimmen
von der Hand gewiesen werden.
5. Wirkung auf Stromata der Erythrocyten.
Die bereits von Stillmark (l. c.) festgestellte, von v. Lieber-
mann?) und Guyot?) neuerdings bestätigte Tatsache, daß den
Angriffspunkt des Ricin-Agglutinins die Stromata der roten Blut-
körperchen bilden, ließ sich auch für das Bohnenagglutinin
als gültig erwarten. In diesem Sinne wurden folgende Versuche
ausgeführt.
Versuch 1. Von defibriniertem Kaninchenblute wird das Serum
soweit als möglich abpipettiert, die zurückbleibende Blutkörperchenmasse
mit der zehnfachen Menge Aq. dest. versetzt, geschüttelt und einmal
durch Papier filtriet. Da die Stromata der Blutkörperchen nur zum
kleineren Teile von einem gewöhnlichen Filter zurückgehalten werden,
während der größere Teil in das rote Filtrat übergeht, wurde meist von
mir nicht filtriert, sondern der beim Stehen sich bildende weiße Boden-
satz verwendet, nachdem er mit physiol. NaCl-Lösung gemischt worden
war. Von diesem werden nun aufgestellt:
I. 5 ccm als Kontrolle,
11.5 „ -+2ccm B-A-P-Lösung (20 mg),
111.5 „p +1 » e (10 „).
Bei II und III sofort Bildung eines Niederschlages bemerkbar.
Nach 24 Stunden in allen Gläschen ein Bodensatz, der sich bei I auf
einmaliges Umkehren scheinbar gänzlich löst, so daß die Flüssigkeit ein
vollständig homogenes Aussehen zeigt. Bei II und III wird durch die
Prozedur der Bodensatz feinflockig in der Flüssigkeit verteilt und setzt sich,
als diese verdünnt wird, ziemlich schnell wieder ab als voluminöse Masse.
Durch Filtrieren gelingt es unschwer, den nahezu farblosen Niederschlag,
d. h. die agglutinierten Stromata, zu isolieren.
1) Dasselbe wurde von v. Liebermann (Sind Toxine Fermente?
Deutsche med. Wochenschr. 1905, 1301) für Ricin beobachtet. |
2) Centralbl. f. Bakt. 48, Heft 3, 1908.
3) Aıchiv f. Hygiene 62, Heft 4, 1907.
4) Centralbl. f. Bakt. 48, Heft 3, 1908.
Zur Biochemie des Phasins. 245
Versuch 2. Mit Bestandteilen des Hühnerblutes.
I. 5ccm Serum als Kontrolle,
I.5 „ » —-1com B-A-P-Lösung (10 mg),
III. 5 „ einer unfiltrierten 5°/,igen Lösung von Blutkörperchen
in Aq. dest. als Kontrolle,
IV. 5ccm dieser Lösung + 1 com B-A-P-Lösung (10 mg).
Nach 24 Stunden sind I und II unverändert klar, ohne Bodensatz;
bei III ist das Stroma feinkörnig ausgefallen; bei IV liegt am Boden ein
kompaktes, fast weißes Gerinnsel, bestehend also aus den agglutinierten
Stromata.
Versuch 3. Katzenblut wird durch Aq. dest. hämolysiert. Die
dabei frei gewordenen Stromata werden isoliert und in Aq. dest. wieder
suspendiert. I. 5 com dieser Suspension +- 1 com physiol. NaCl-Lösung:
Keine siohtbare Veränderung innerhalb 1 Stunde. II. 5 com der Suspen-
sion -- 20 mg gelöstes B-A-P: Sofort entsteht ein ganz weißer, keinen
zusammenhängenden Klumpen bildender Niederschlag. IH. 5 ccm der
Suspension + 1 mg B-A-P: Nach 1 Stunde ein voluminöser feinflockiger
Niederschlag. Eine Wiederholung mit Suspension der Stromata in physiol
NaCl-Lösung führt zu denselben Erscheinungen. In den Kontrollen (D
fallen die Stromata auch schließlich aus, aber ungemein viel langsamer
und weniger flockig.
Versuch 4. Stromata von Katzenblutkörperchen werden 2 Tage
lang mit 3,6°/ ,igem Formalin fixiert und dann in physiol. NaCl-Lösung
suspendiert. Ein Zusatz von größeren Dosen B-A-P bewirkt, daß das
Stroma schon nach 5 Minuten zu sichtbaren Flocken zusammengeballt
ist, während es in der Kontrollprobe (Zusatz von l oom physiol. NaCl-
Lösung) nach dieser Zeit noch vollkommen fein suspendiert ist.
Ergebnis: In ganz gleicher Weise, wie bei den seither
bekannten pflanzlichen Agglutininen, bildet auch für das Bohnen-
agglutinin der in destilliertem Wasser unlösliche Teil der roten
Blutkörperchen, d.h. das Stroma, den Angriffspunkt bei
der Agglutination. lIsolierte Stromata zeigen jedoch gegen-
über den intakten Erythrocyten den Unterschied, daß sie nicht
zu einem kompakten Klumpen, sondern zu vielen kleinen Klümp-
chen zusammengeballt werden. Durch Formalin gehärtete
Stromata bleiben dem Einfluß des Agglutinins auch noch unter-
worfen. — In Hühnerblutserum tritt keine Präcipitation in-
folge der Anwesenheit kleiner Mengen von Bohnenagglutinin ein.
6. Wirkung auf gelöstes Hämoglobin.
In Lösungen von Hämoglobin, die vermittels Aq. dest.
aus den roten Blutkörperchen dargestellt wurden, zeitigte ein
Zusatz von B-A-P-Lösung niemals eine Wirkung; weder in Ge-
246 O. Wienhaus:
stalt einer Niederschlagsbildung, noch in irgendeiner anderen
Weise.
Ergebnis: Zu einer regelrechten Agglutination
mit umfassender inniger Verklebung der Erythrocyten
ist also deren Integrität erforderlich. Ob für die ab-
weichende Erscheinung an den isolierten Stromata der Austritt
des Hämoglobins verantwortlich zu machen ist, muß, zumal
dieses auf Phasin nicht reagiert, als sehr fraglich hingestellt
werden. Vielmehr ist wohl hierbei zu berücksichtigen, daß bei
der Auflösung der roten Blutkörperchen nicht etwa eine quanti-
tative Teilung in Hb und alles übrige (== Stroma) erfolgt,
sondern daß wir bei dieser Auflösung drei Teile unterscheiden
müssen: 1. das Hb, 2. das ausfallende Stromaeiweiß, 3. das in
Lösung gehende Lecithin, welches wohl auch einen Teil des
Cholesterins mit in Lösung hält. Das des Lecithins be-
raubte Stromaeiweiß verhält sich aber den Aggluti-
ninen gegenüber ganz anders als die in den intakten
Blutkörperchen vorhandene chemische Verbindung
von Lecithin -+ Cholesterin 4 Stromaeiweiß. Bei der
Härtung mit Formalin bleiben Lecithin und Cholesterin un-
verändert, aber das Stromaeiweiß geht eine chemische
Verbindung mit dem Formalin ein, welche seine physi-
kalischen Eigenschaften schwer alteriert.
7. Wirkung auf Eiterkörperchen.
Vom Menschen stammender, 1 Tag alter Eiter wird mit
physiol. Kochsalzlösung gewaschen und dann in solcher Lösung
5°/,ig suspendiert. Zusatz von 2 bis 0,5 mg BAD (gelöst)
bewirkt innerhalb kurzer Zeit, nach deren Verlauf die Kontrolle
noch unverändert ist, eine merkbare Zusammenballung der Eiter-
körperchen und baldiges Absetzen der Klümpchen am Glas-
boden. Aufschütteln beseitigt die Erscheinung; sie kehrt jedoch
nach 15 bis 20 Minuten zurück. Also auch die Leukooyten
werden durch das Phasin zu einer Art von Verklum-
pung und zum schnellen Ausfallen aus der Suspen-
sionsflüssigkeit gebracht.
8. Wirkung auf Zellbrei von tierischen Organen.
1. Leberzellen. Völlig blutfreie Leberzellen einer Katze werden
in physiol Kochsalzlösung suspendiert und je 5 ccm dieses Gemisches in
Zur Biochemie des Phasins; 247
Gläschen gefüllt. Während 2 Gläschen als Kontrollen ohne Zusatz bleiben,
werden zu drei anderen je 10, 2 und 1 mg B-A-P (gelöst) hinzugefügt. Nach
5 Stunden haben sich in letzteren Proben die Zellen zu einem zusammen-
hängenden Klumpen vereinigt, der durch mäßiges Schwenken nicht zu
zerteilen ist; in den zwei Kontrollen ist jede Zelle einzeln geblieben
Die Verklebung ist bei 10 mg sehr fest, bei 2 mg minder stark, bei 1 mg
noch schwächer, hier auch nicht total. Energisches Umschütteln zerteilt
die Klumpen zwar, aber sie kleben nach !/, Stunde am Boden wieder
zusammen. Die mikroskopische Struktur dieser Zellen ist, im Gegensatz
zu denen der Kontrollen, was die Peripherie der Zellen anlangt, gar nicht
mehr zu erkennen, nur die Kerne sind noch erhalten.
Ein analoger Versuch mit Hundeleberzellen (mit frischen so-
wohl als auch mit 24 Stunden lang gehärteten) lieferte ein analoges
Resultat.
Bei einem Versuche mit Hühnerleberzellen erwies sich der Gly-
kogengehalt als Hindernis gegen die Wirkung des Agglutinins. Erst als
das Glykogen durch Auslaugen mit Wasser ziemlich beseitigt war, zeigten
sich auch hier die eben beschriebenen Erscheinungen, jedoch nur auf
Zusatz großer Mengen (50 mg in 5 ccm gelöst auf 5 ccm Zellsuspension)
des B-A-P. (In diesem Falle gemachte Vergleichsversuche mit Lösungen
von Ricin, Abrin, Crotin, Robin ließen das Bien wirksamer als das
B-A-P erscheinen.)
2. Nierenzellen. Ein junger Hund wird entblutet und aus den
blutfreien Nierenzellen mit physiol. Kochsalzlösung eine Suspension her-
gestellt. Davon je 5 com. Mit 2 und 1 ccm einer 1°/,igen B-A-P-Lösung
versetzte Proben lassen nach 1!/, Stunden starke Agglutination erkennen;
in den Kontrollen keine Veränderung.
3. Dünndarmschleimhautzellen. Aus dem Dünndarm desselben
Tieres gewonnene Mucosazellen, in physiol. NaCl-Lösung suspendiert,
zeigen auf Zusatz von 10 und 20 mg B-A-P zu 5 com nicht die geringste
Beeinflussung, selbst nicht nach Verlauf von 24 Stunden.
Ergebnis: Analog wie durch Ricin, Abrin, Crotin, Robin!)
werden die in physiol. NaCl-Lösung suspendierten Zellen ein-
zelner Körperorgane durch Phasin agglutiniert und
verändert. Dies wurde für Katzen-, Hunde-, Hühnerleber-
zellen und für Hundenierenzellen ermittelt. Glykogengehalt
der Leberzellen wirkt hindernd auf die Beeinflussung, 24stün-
dige Härtung dagegen kaum. Auf Zellen der Dünndarmschleim-
haut (des Hundes) vermag das B-A-P in vitro keine verändernde
Wirkung auszuüben. Diese Resistenz des Darmepithels, die in
anderer Weise für Abrin schon von R&pin*) dargetan worden
!) Lau, Über veget. Blutagglutinine. Diss. Rostock 1901.
23, Repin, Annales de l’Inst. Pasteur 9, 517, 1895.
248 O. Wienhaus:
ist, ist vielleicht auf den Gehalt an Mucin zurückzuführen,
welcher somit eine von der Natur für diese funktionswichtigen
Zellen und infolgedessen auch für den Gesamtorganismus ge-
troffene Schutzeinrichtung bildet.
9. Wirkung auf Milch.
Von frischer roher Kuhmilch bleiben 5 com zur Kontrolle
zusatzfrei; 3 andere Portionen von je 5 ccm werden mit 2, 1,
0,5 mg B-A-P (in Lösung) versetzt und alle Gläschen in den
Thermostaten (38°/,°C) eingesetzt. Innerhalb 1!/, Stunden
zeigte sich keine Wirkung in Gestalt einer Gerinnung, wie diese
nach Elfstrand und Lau auf Zusatz von Ricin, Crotin, Abrin
zu der Milch eintritt. Ob gerade besonders die Milch der Kuh,
deren Blutkörperchen als inagglutinabel erkannt worden sind,
diese Resistenz gegen das Bohnenagglutinin besitzt, oder ob
auch die Milch anderer Tiere sich ebenso verhält, muß vorläufig
dahingestellt bleiben.
10. Wirkung auf gelöste Eiweißstoffe.
Versuch 1. Von je 3 com (a, b, c) einer anscheinend klaren,
serösen, gelblich gefärbten Kniepunktionsflüssigkeit bleibt a ohne
Zusatz, zu b wird l com physiol. NaCl-Lösung, zu o l ccm B-A-P-
Lösung (entsprechend 10 mg) hinzugefügt.
Nach 48 Stunden bei a und b ganz geringer, bei c stärkerer Boden-
belag, sonst keine Veränderung. Die Prüfung der Bodensätze mit frischer
Lösung von Guajaconsäure + H,O, liefert Blaufärbung; die Bodenbeläge
bestehen demnach wohl nur aus Blutkörperchen, die bei e eine Aggluti-
nation erfahren haben.
Versuch 2. Zerrührtes Hühnereiweiß wird mit physiol. NaCl-
Lösung auf das doppelte Volumen verdünnt und filtriert. Von diesem
Filtrat bilden 5 cem die Kontrolle, weitere je 5 ccm werden mit 2 oom
und Leem B-A-P-Lösung (entsprechend 20 und 10 mg) versetzt. Selbst
nach Verlauf von 24 Stunden ist keine Veränderung erkennbar.
Versuch 3. 1,0g Eukasin wird mit 100 com physiol. Kochsalz-
lösung eine Zeitlang gekocht. Die Flüssigkeit erscheint gleichmäßig
milchweiß getrübt ohne erkennbare Partikel; sie reagiert neutral. Von
dieser Lösung bleiben 5 ccm als Kontrolle ohne Zusatz, zu je 5 oom
werden 2 und Leem B-A-P-Lösung (entsprechend 20 und 10 mg) ge-
fügt, weitere 5 ccm werden schwach alkalisch gemacht und dann mit
2ccm (20 mg) B-A-P-Lösung versetzt, Nach 24 Stunden in keinem
der Gläschen ein Niederschlag oder sonst irgendeine Veränderung.
Ergebnis: Hatte schon das Hühnerserum (s. o.) sich als
unbeeinflußbar durch Phasin erwiesen, so zeigten dasselbe nega-
Zur Biochemie des Phasins: 249
tive Verhalten ferner andere gelöste Eiweißstoffe enthaltende
Flüssigkeiten: seröses Exsudat, Hühnereiweißlösung,
Caseinlösung, indem hier weder eine Präcipitation noch
eine Gerinnung eintrat.
11. WirkungdesBohnenagglutinins aufdas Williamssche
Froschherz.
Frisch dargestellte Stammlösung 1:5 wird in einer Menge von
3 com zu 150 com Ringerscher Lösung zugesetzt und durch das Herz
länger als eine halbe Stunde durchgeleitet, ohne daß sich eine merkbar
schädigende Wirkung zeigt. Eher werden die Bewegungen des Herzens,
welches schon 11/, Stunden lang am Williamssohen Apparate geschlagen
hatte, kräftiger.
Ergebnis: Bohnenagglutinin in enormer Konzentration
hat binnen ?/, Stunde auf dasblutfreidurchströmteFrosch-
herz keinerlei schädigende Wirkung. (Nach Stillmark
(l. ol ist auch Ricin ohne Einwirkung auf das blutfreie Frosch-
herz).
12. Wirkung auf den ganzen lebenden Organismus.
Der allgemein bekannten und bereits besonders betonten
Ungiftigkeit der Phaseolus-vulgaris-Samen entsprechen die Ver-
suchsresultate von Landsteiner und Raubitschek (Lei
nach denen weder durch Einträufeln der Extrakte in den Binde-
hautsack des Kaninchenauges Reizerscheinungen, noch durch
intraperitoneale Einverleibung von Gramm-Dosen bei verschie-
denen Tieren Allgemeinsymptome veranlaßt wurden (nur eine
Maus starb 48 Stunden nach der Injektion von Ze
Bei unseren Versuchen mit B-A-P, gelöst in physiologischer
NaCl-Lösung, zeigte sich folgendes:
I. Großes Kaninchen (3200 g; gravid.). Injiziert intravenös (Ohr-
randvene) am 1. Tag 40 mg (in 2 ccm), 2. und 3. Tag je 80 mg (in je
4 ccm). 2 Stunden nach der letzten Injektion Tier noch normal. Am
anderen Morgen tot. Sektionsbefund: In den Lungen zahllose schwarz-
rote Stellen, die den Eindruck von Hämorrhagien (Embolien?) machen.
Auch unter dem Perikard, entsprechend dem Verlauf der Koronargefäße
solche Flecke. Nierenrinde blaurot geschwollen. Einzelne kleine, zum
Teil anscheinend ältere Blutaustritte in der Magenschleimhaut.
Herzblut, sorgfältig aufgefangen, wird prompt agglutiniert von relativ
kleinen Dosen B-A-P-Lösung.
II. Kleines Kaninchen (910 g). Mit einer Zwischenpause von
19 Stunden je 10 ccm einer 1°/,igen B-A-P-Lösung, also im ganzen
250 O; Wienhaus:
200 mg B-A-P, subcutan. Tod des Tieres 12 bis 24 Stunden nach der
letzten Injektion. Sektionsbefund: Makroskopisch in der Lunge; der
Bauchmuskulatur, an der Mageninnenwand ganz beschränkte Hämorrhagien.
Mesenterium intakt. Harn alkalisch, ohne Eiweiß, agglutiniert Schweine-
blut nicht.
III. Meerschweinchen (300 g). Subcutan
am 1. Tage 5 com Lösung (entsprechend 5 mg B-A-P),
„ 2. und 3 Tag je 5 com Lösung (entsprechend je 50 mg B-A-P),
„ 4. Tag 10 ccm Lösung (entsprechend 100 mg B-A-P).
Etwa 4 Stunden nach der zweiten Injektion 2 Foeten abortiert; All-
gemeinbefinden aber anscheinend unverändert. Tod etwa 12 Stunden
nach der letzten Einspritzung. Sektionsbefund: Im Mesenterium längs
der Gefäße zahlreiche kleine Blutextravasate, desgleichen an der Innen-
seite der Bauchwand. Sonst makroskopisch keine Veränderungen.
IV. 2 Fröscohen (Eskulenten) werden gleichzeitig je 100 mg B-A-P
subcutan injiziert. Nach Verlauf von 24 Stunden der eine tot. Sektions-
befund: Keine Veränderungen an den Organen. Der überlebende Frosch er-
hält wiederum 100 mg suboutan und ist nach 2 Stunden tot. Sektions-
befund: Unter der Serosa des Dünndarms zahlreiche, senkrecht zur Längs-
axe des Darmes gerichtete Blutaustritte (Gefäßverlegungen?). Mucosa des
Darmes normal.
V. Eine Kröte (Bufo cinereus) bekommt eine Subcutaneinspritzung
von 150 mg B-A-P auf einmal, Nach 2 Stunden ist das Tier im Sterben;
das Herz schlägt nur noch schwach. Sektionsbefund: Blut aller Organe
ist agglutiniert; die unter die Rückenhaut gespritzte B-A-P-Lösung ist
gänzlich resorbiert.
Aus diesen 5 Versuchen ersieht man, daß durch enorme
Dosen unserer Substanz sich wohl Giftwirkungen erzielen lassen,
bei Warmblütern, namentlich bei direkter Einspritzung ins Venen-
system und bei Kröten auch subcutan. Indessen können bei
so großen Dosen auch Nebenumstände mitgewirkt haben, wie
namentlich mechanische Gefäßverlegungen durch die trotz Fil-
tration doch nicht immer völlig klaren Lösungen. Hier müssen
durchaus noch weitere Versuche an recht verschiedenen Tier-
arten gemacht werden. Über diese wird später publiziert.
Daß trotz großer Dosen bei manchen Tieren keine Ver-
giftung aber auch keine Bildung von Gegengift erfolgte, zeigen
folgende Versuche:
VI. Junge Katze (800 g). Subcutan an zwei aufeinander folgenden
Tagen je 500 mg B-A-P. Der in dieser Zeit produzierte Urin ist klar,
enthält weder Albumen noch Zucker und besitzt weder agglutinierende
noch antiagglutinierende Eigenschaften. 2 Stunden nach der letzten In-
jektion völliges Wohlbefinden; das Tier wird entblutet. Das Blut ver-
hält sich dem Phasin gegenüber wie normales: in 5°/,iger Suspension
Zur Biochemie des Phasins. 251
bei 6000 facher Verdünnung des B-A-P innerhalb 5 Stunden alle Blut-
körperchen total verklebt; diese auch durch Extrakt aus Abrus preca-
torius und aus Vicia hybrida agglutinabel.
VII. Taube (mittleres Gewicht) subcutan injiziert am
1. Tag 40 mg B-A-P,
2 8, ,
3. n 200 n n
4. und 5. „ je 250 mg B-A-P.
Tier bleibt gesund, wird durch Entbluten getötet. Blut wird ebenso wie
normales leicht agglutiniert. |
Ergebnis: Gerade Katze und Taube, deren Blutkörperchen
in vitro ganz außerordentlich empfindlich gegen das Phasin sind,
blieben, trotzdem gerade ihnen die höchsten Dosen (1000 bzw.
620 mg) verabreicht wurden, durch diese unbeeinflußt. Auch die
Bildung eines Antiagglutinins im Blute der Tiere zeigte
sich nicht; ferner kam es nicht zu Ausscheidung von Agglutinin
durch die Nieren. Und doch gelingt es selbst bei innerlicher Dar-
reichung von Bohnen unter Umständen deren Giftigkeit zu er-
weisen. Nach Geh.-Rat Kellner!) starb ein Schwein, welches
ausschließlich mit Bohnen gefüttert wurde, innerhalb kurzer
Zeit. Da indessen für gewöhnlich wohl nie ein Tier und noch
weniger ein Mensch ausschließlich Bohnenkost — und noch da-
zu roh — genießen wird, ist die Gefahr der Bohnenvergiftung
der Haustiere und des Menschen fast Null. Selbst bei sub-
cutaner Einverleibung sind heroische Dosen erforderlich, um
toxisch zu wirken. Für die Landwirtschaftslehre ergibt sich
von neuem die Richtigkeit gemischter Kost.
13. Immunisierungsversuche nach Cornevin.
Von Cornevin?) ist berichtet worden, daß man durch
zweistündiges Kochen eines mit 10°/, (gem Salzwasser gewonnenen,
filtrierten Extraktes aus Ricinusölkuchen eine Flüssigkeit erhält,
die, Tieren subcoutan eingespritzt, diese gegen Ricin immun
mache. Auf diesem Wege wäre also eine Immunisierung gegen
Ricin, die nach der Ehrlichschen Methode doch immerhin
schwierig und umständlich ist, geradezu spielend leicht gemacht ;
indessen hat wohl bisher, soweit ich mich orientieren konnte,
1) Mündliche Mitteilung an Herrn Prof. Kobert.
D Annales agronomiques 23, 289; referiert in Biedermanns Centralbl.
f. Agrikulturchemie 1898, 812.
252 O. Wienhaus:
keiner von den anderen Autoren, die über Ricin und Ricin-
immunität gearbeitet haben, das Verfahren Cornevins nach-
geprüft. Ich machte daher eigene Versuche.
I. 1 g B-A-P wird mit 100 ccm allerdings nicht 10°/, iger, sondern
physiologischer NaCl-Lösung 2 Stunden lang gekocht, dann zur Aus-
schaltung des durch das Kochen ausgefällten Eiweißes filtriert. Das
Filtrat (F) reagiert auf die verschiedenen vorgenommenen Eiweißproben
positiv, enthält also einen modifizierten Eiweißkörper, der durch das
Kochen nicht ausgefällt worden ist. Reagensgläschen mit je 5 ccm
Kaninchenblutsuspension:
I. Als Kontrolle ohne Zusatz,
oO. +1 ccm von F,
DL 4-1 „ „ F+1mg B-A-P (in 1l ocm),
We a a Pa a mia
V. +1 mg B-A-P (in 1 cem).
Sehr bald ist in III bis V Agglutination zu bemerken; sie ist nach
4 Stunden vollständig. Bei I und II keine Veränderung.
II. Um einem eventuell zu erhebenden Einwande, daß doch ein
Antiagglutinin gebildet sein könne, daß diesem aber Zeit gelassen werden
müsse, sich in den Blutkörperchen zu verankern, zu begegnen, wurden
je 5 com Bluteuspension versetzt mit 5 ccm F und dazu erst nach
17 Stunden wirksame B-A-P-Lösung hinzugefügt. Es zeigte sich, daß
die gekochte Lösung die Agglutination durch das ungekochte B-A-P auch
in diesem Falle nicht hindert, ja sie sogar, nach einem Vergleiche mit
Kontrollproben zu urteilen, etwas begünstigt.
III. Einem Kaninchen (1600 g) werden im Laufe eines Vormittags
30 com der gekochten Lösung F in 2 Portionen an verschiedenen Körper-
stellen unter die Haut gespritzt. 20 Stunden nach der letzten Injektion
wird das ganz normale Tier, welches nur geringe Mengen Eiweiß im Harn
ausgeschieden hat, durch Entbluten getötet. Das Blut wird defibriniert
und in 5°/, iger Suspension mit einer 1°/, igen filtrierten aktiven B-A-P-
Lösung versetzt. Gleichzeitig werden zum Vergleiche Proben mit der
Blutsuspension von einem anderen Kaninchen angesetzt. Selbst bei Ver-
dünnung 1:3500 erfolgt anstandslos Agglutination, und zwar bei beiden
Blutsuspensionen in gleichem Maße innerhalb gleicher Zeiträume.
IV. Wie für Ricin, Abrin, Crotin bekannt ist, ruft das Immun-
serum in einer Lösung des betreffenden Giftes eine flookige Ausfällung
hervor. Eine derartige Erscheinung trat nicht ein, als 2 ccm Serum des
Kaninchen (III) mit 1 ccm wirksamer 1°/, iger B-A-P-Lösung versetzt
wurden.
Ergebnis: Durch 2 stündiges Kochen einer 1°/, igen Lösung
(in 0,9°/ iger NaCl-Lösung) von B-A-P wird letzteres unwirk-
sam gemacht, ein agglutinationshemmender Stoff wurde
durch das Kochen nicht erhalten. Ebenso wenig kann
bei einem Kaninchen durch Injektion von 30 ccm der gekochten
Zur Biochemie des Phasins. 053
Lösung binnen 20 Stunden eine Immunität gegen das hämagglu-
tinierende Prinzip der Bohnen erzielt werden.
Eine in derselben Weise vorgenommene Prüfung mit Ricin-
lösung (in physiologischer NaCl-Lösung) zeitigte ein analoges
negatives Resultat.
14. Verhalten des Phasins gegenüber der Erhitzung.
Hier ist zu unterscheiden, ob trooknes oder feuchtes Erhitzen statt-
findet.
1. Lösung dee B-A-P, 1°/,ig in physiologischer Kochsalzlösung.
Von dieser jedesmal eine Quantität im Reagensglase auf dem Wasser-
bade erhitzt und nach dem Erkalten zu den Suspensionen von Blut oder
Blutkörperchen gesetzt. Ich gebe aus einer Zahl von Versuchen folgende
Zusammenfassung (+ bedeutet Agglutination, — keine Wirkung):
90 Minuten auf 65° Kaninchen +
60 S „ 74° bis 76° 2 +
2 , n 15° „ 80° a +
30 e „ 75° „ 80° Katze +
30 d „ 720 „ 82° Schwein +
30 j „ 840 „ 86° Katze —
wm , „ 85° „ 870 , +
10 j „ 850 „ 87° Meerschweinchen!) —
10 a w 870 „ 880 Katze +
30 5 „n 85° „ 90° Schwein +
10 = „ 100° Schwein —, Kaninchen —, Katze —
Ergebnis: Man sieht, daß erst bei über 90° die
Grenze liegt, bei welcher Phasinlösungen ihre Wirk-
samkeit innerhalb kurzer Zeit verlieren. Ein Wider-
spruch findet sich insofern in den Versuchsergebnissen, als ein-
mal schon nach !/, stündigem Erhitzen auf 84° bis 86° Katzen-
blut nicht mehr agglutiniert wurde, während bei einer anderen
Probe, bei der die Temperatur !/, Stunde lang zwischen 85°
und 90° erhalten wurde, sich noch ein positiver Ausfall für
Schweineblut ergab. Die Tatsache, daß nach 10 minutigem
Erhitzen auf 85° bis 87° 1 ccm der unverdünnten Lösung (ent-
sprechend 10 com B-A-P) innerhalb 15 Stunden Katzenblut noch
total agglutinierte, wohingegen selbst 3 ccm der nur 10 fach ver-
dünnten Lösung (also entsprechend 3 mg) innerhalb 24 Stunden
Meerschweinchenblutkörperchen auch nicht einmal spurweise zur
Verklebung brachten, lehrt, daß durch das Erhitzen die Wirk-
1) Allerdings bei 1 bis 3 ccm der 10 fach verdünnten 1°/, igen Lösung.
254 O. Wienhaus:
samkeit allmählich herabgesetzt wird. Mit absoluter Sicherheit
werden durch Siedetemperatur die gelösten Agglutinine in
kurzer Zeit zerstört.
2. Trockenes Erhitzen.
nn m nn EE e
Erhitzung Totale Agglutination
nach wieviel | bei weloher
‚pomperator | Daner Stunden | Verdünnung
100° 1 Stunde Kaninchen 1: 6000
110° Yi ap 1: 1200
110° bis 113° 4 Tage —
123° 25 Minuten 1: 600
123° bis 130° : 21/3 Stunden 1: 200
Ergebnis: Das B-A-P nahm zwar durch den Erhitzungs-
prozeß einen braunen Farbenton an und erlitt mit steigender
Temperatur an Löslichkeit und, wie aus der Tabelle hervor-
geht, an Wirksamkeit allmählich Einbuße, ging aber selbst
bei einer nicht allzu lange währenden Temperatur-
steigerung auf 133° seiner Wirkung nicht ganz ver-
lustig. Wohl hatte jedoch diesen Effekt eine 4 Tage hindurch
fortgesetzte Erhitzung selbst auf 110° bis 113°.
15. Verhalten des Phasins gegenüber verdauenden
Enzymen.
Pepsin, Trypsin und Papain, entweder in Aq. dest. oder in Gly-
cerin 1°/,ig gelöst, auf Wirksamkeit geprüft durch Kontrollproben mit
Fibrinflocken. Die Pepsinlösung wurde angesäuert mit HCl, die Trypsin-
lösung alkalisch gemacht mit Alkalicarbonat. Gewöhnlioh wurde je 1 com
der Fermentlösungen zu 9 oder 10 ccm B-A-P-Lösung gesetzt, die 9, bzw.
90, bzw. 100 mg B-A-P entsprachen. Die Proben wurden bis zu 4 Tagen
im Thermostaten (38° bis 39°) belassen; in einem Versuche wurden sie
im Anschluß an 3tätigen Wärmebadaufenthalt noch weitere 4 Tage bei
Zimmertemperatur dem Einflusse der Fermente ausgesetzt. Das Resultat
wich von dem der übrigen Versuche nicht ab.
Ergebnis: Es stellte sich heraus, daß in keinem Falle
die Anverdauung durch Pepsin, Trypsin und Papain
auf die agglutinierende Wirksamkeit des Phasins zer-
störend einwirkt. Denn wurde von den Flüssigkeiten
1 bis 2 ccm abgenommen und (die Trypsin und Pepsin ent-
haltenden wurden vorher neutralisiert) zu 5 ccm Blutsuspension
gesetzt, so ergab sich stets prompte und, den Mengen des B-A-P
Zur Bioohemie des Phasins. 255
entsprechend, kräftige Totalagglutination. Bei einer genaueren
quantitativen Untersuchung ließ sich ermitteln, daß B-A-P,
welches 4 Tage lang der Trypsinwirkung unterworfen war, noch
in Verdünnung 1:13332 eine 5°/,ige Meerschweinchenblut-
suspension binnen 24 Stunden total agglutinierte; desgleichen
trotz 4tägiger Pepsineinwirkung bei 1:6666 völlig, bei 1:13332
fast völlig.
Der in dem B-A-P wirksame Phasinkomplex ist
also bei Anwesenheit von überschüssigem Eiweiß ver-
dauungsbeständig, so wie er sich auch bis zu einem
gewissen Grade als relativ thermostabil dokumentiert
hat. Die aktive Substanz konnte sogar aus der Verdauungs-
flüssigkeit durch Fällung mit Alkohol (ää) wieder abgeschieden
werden und erwies sich beim neuen Lösen in physiologischer
Kochsalzlösung als wirksam auf Schweine- und Taubenblut,
auch wenn man die Verdünnung 1:6000 (berechnet auf die
ursprüngliche Menge von B-A-P) wählte. Falls man von Eiweiß
völlig befreites Phasin Verdauungsenzymen aussetzt, wird der
Ausfall vielleicht ein ganz anderer sein, da offenbar die ge-
bildeten Eiweißverdauungsprodukte schützend wirken. Über
diesen Punkt müssen neue Versuche gemacht werden, die ich
hierdurch nur andeuten will.
Es wäre wohl verfehlt, aus diesem Verhalten gegen Er-
hitzung und Verdauung bindende Schlüsse für oder gegen die
Eiweißnatur des Bohnenagglutinins zu zieben, widersprechen
sich doch noch bei dem nach diesen Richtungen hin wesentlich
eingehender untersuchten Ricin- und Abrinagglutinin die
Meinungen. Wir können uns vorsichtig nur dahin aussprechen,
daß das Phasin sich zwar stets bei der Darstellung
wie ein Eiweiß verhält, in Wahrheit aber vielleicht
entweder eine eiweißähnliche Substanz oder ein Enzym
ist, das wie andere Enzyme sich leicht an Eiweißsubstanzen
= anhaftet.
16. Verhalten des Phasins gegenüber Konservierungs-
mitteln,
Ein schädigender Einfluß des Toluols, das in den meisten,
und des Chloroforms, das in manchen Fällen angewandt
wurde, um den Eintritt von Fäulnis hintanzuhalten, wurde
256 O. Wienhaus:
nicht beobachtet. Fluornatrium, welches die Wirkung von
bakteriellen Agglutininen und Hämolysinen aufhebt, affizierte
das Bohnenagglutinin ebensowenig.
Versuoh: Katzenblut 10 ocm -+ physiologische NaCl-Lösung 165 ocm
—+-4°/, Fluornatriumlösung 25 com. I. 10 com dieses Gemisches als
Kontrolle; II. 10 com Gemisch + 1 ccm B-A-P-Lösung (10 mg). Nach
15 Stunden in II totale Agglutination.
Inwiefern durch Formalin die Agglutination leidet, wenn
seiner Einwirkung die agglutinable Substanz, die Blutkörperchen,
unterworfen wird, wurde oben ausgeführt. Bezüglich des
Effektes des Formaldehyds auf das Phasin der Bohnen!) ergab
sich folgendes:
Versuch. 1°/,ige B-A-P-Lösung mit 3,6°/ ,igem Formalin ää ver-
setzt; nach 3 Tagen geprüft. Innerhalb 20 Stunden vermochten rowohl
Leem, als auch !/, und 1/, ccm dieser Flüssigkeit (entsprechend 5; 2,5; 1 mg
BAD und 18; 9; 3,6 Formalin) in 5 ccm einer 21/,°/,igen Kaninchen-
blutkörperchen-Suspension vollständige Agglutination hervorzubringen.
Im Gegensatz zu diesen Resultaten stehen indessen die
Ergebnisse eines anderen Versuches. Danach wurde mit einer
B-A-P-Lösung, die mindestens 3 Wochen lang unter Formalin
gestanden hatte, in Kaninchenblutsuspension selbst bei einem
Verhältnisse 15 mg B-A-P: 5 ccm Suspension innerhalb 17 Stunden
keine Agglutination erzielt.
Wir dürfen aus dem Angeführten wohl schließen, daß
kurzdauernde Einwirkung geringer Mengen von Form-
aldehyd das Phasin nicht schädigt, langdauernde
aber wohl.
Verhalten gegenüber Wasserstoffsuperoxyd.
Eine 1°/,ige B-A-P-Lösung wurde versetzt mit 3°/,igem H,O, ää;
nach 4 Tagen hatte sich ein dickflockiger, weißer Niederschlag aus-
geschieden, die Flüssigkeit erschien opalisierend und roch unangenehm,
Die Wirksamkeit wurde geprüft an je 5 ocm einer 5°/,igen frischen
Kaninchenblutsuspension, und zwar wurde einerseits 1 com aus der
opalisierenden Flüssigkeit abgehebert, andrerseits 1 ccnı entnommen,
nachdem durch Umschütteln der Niederschlag wieder fein in der Lösung
verteilt war. Nach 16 Stunden fand sich in beiden Fällen totale Agglu-
tination der Blutkörperchen. Wasserstoffsuperoxyd vermag danach die
agglutinierende Wirkung des B-A-P nicht zu beseitigen und das Agglu-
tinin nicht auszufällen.
1) Nach Guyot (Centralbl. f. Bakt; 47, Heft 5, 1908) schädigt
Formalin das Hämagglutinin von Bakterien nicht.
Zur Biochemie des Phasins,. 257
Eine Wiederholung, bei welcher eine 1°/,ige B-A-P-Lösung
erst 2 Wochen und dann 6 Wochen lang mit der gleichen Menge 3°/,igen
neutralisierten Wasserstoffsuperoxyds am Licht gestanden hatte, ergab
keine Schädigung der Agglutinationskraft.
Ergebnis: Toluol, Chloroform, Wasserstoffsuper-
oxyd, ja selbst Fluornatrium und kurzdauernde Ein-
wirkung von Formaldehyd (3,6°/,ig)schädigen das Phasin
kaum.
17. Einfluß verschiedener isotonischer Neutralsalz-
lösungen auf die Wirkung des Phasins.
Versuch 1. Katzenblut, je 1°/,ig suspendiert in 0,9°/,iger NaCl-
Lösung (A) und in damit isotonischer Lithiumsulfatlösung (B):
I. 20 ccm von A zur Kontrolle,
I. 20 , „B, Z
I. 19 „ sw A-1 cem B-A-P-Lösung (10 mg),
IV.19 „ „ BEI, R (10 „).
Bei 1II und IV fast gleichzeitig binnen 2 Stunden totale Agglu-
tination. Bei I und II allmähliches Absetzen der Blutkörperchen ohne
die geringste Hämolyse oder Agglutination.
Versuch 2. 5°/,ige Katzenblutsuspension, teils mit physiologischer
NaCl-Lösung (A), teils mit 2,55°/,iger Jodkaliumlösung hergestellt.
I. 5ccm von A zur Kontrolle,
I.5, B, e
III. „ „ A-+1ccm B-A-P-Lösung (10 mg),
IV. 5 n n B+ l n n (10 n )»
v5, sw BEI: n A a)
I und II setzen gleich langsam klar ab. Bei III und IV beginnt
die Agglutination sofort und ist innerhalb gleicher Frist total. Bei V
nach 3 Stunden nicht ganz völlige Agglutination.
Ergebnis: Das Phasin entfaltet seine Wirksamkeit
also auch, wenn das Blut statt mit physiologischer
Chlornatriumlösung mit der isotonisch konzentrierten
Lösung eines anderen Neutralsalzes aufgeschwemmt
wird. .
18. Abspaltung des Phasins aus dem Agglutinat.
Versuch 1. Durch vollkommen neutral reagierende B-A-P-Lösung
agglutinierte Erythrocyten aus 5 ccm einer 5°/,igen Kaninchenblut-
suspension werden mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschen und
mit leicht durch HCl angesäuerter physiologischer NaCl-Lösung durch
Schütteln zu einer braunen Flüssigkeit gelöst. Neutralisieren mit Kalium-
carbonat bis zur spurweisen alkalischen Reaktion erzeugt in dieser einen
Biochemische Zeitschrift Band 18. 17
258 O. Wienhaus:
braunen Niederschlag, der abfiltriert wird. Das Filtrat wird zu gleichen
Teilen zugesetzt zu
I. 5 ccm Kaninchenblutsuspension Sait
I. 5 „ Hühnerblutsuspension l loig.
Bei I bald Agglutination bemerkbar. Nach 15 Stunden bei I totale,
bei II partielle Verklumpung.
| Wiederholung mit mehr Agglutinat lieferte ein Filtrat, nach dessen
Zusatz auch bei Hühnerblutsuspension unmittelbar beginnende, nach
1/, Stunde totale Agglutination eintrat.
Versuch 2. Agglutinat von Kaninchenblut mit physiologischer
NaCl-Lösung gewaschen, darauf mit Aq. dest. hämolysiert. Die Hämo-
globinlösung, vom Stroma abfiltriert und mit einigen Tropfen konzen-
trierter Kochsalzlösung versetzt, ergibt nichte von Agglutination auf
Zusatz von Kaninchenblutkörperchen. Aus den fast entfärbten Stromata
auf dem Filter mit angesäuerter Kochsalzlösung hergestellte Solution
wirkt, neutralisiert, auf zugesetzte Kaninchenblutkörperchen augen-
blicklich total agglutinierend.
Versuch 3. Agglutinat von Kaninchenblut, gelöst in physio-
logischer Kochsalzlösung, die 1 Tropfen Natronlauge enthält. Neutrali-
sieren mit schwach saurer 0,9°/,iger NaCl-Lösung läßt einen braunen
Niederschlag entstehen. Die von diesem abfiltrierte Flüssigkeit wirkt
weder auf Hühnerblutsuspension noch, schwach alkalisch gemacht mittels
Natriumoarbonat, auf zugesetzte Kaninchenblutkörperchen agglutinierend.
Analoge Versuche wurden mit einem durchaus neutral reagierenden
Ricinpräparat gemacht und zeitigten analoge Resultate.
Ergebnis: v. Liebermanns!) Angabe, daß aus ricin-
agglutinierten Blutkörperchen das Ricin durch Salzsäure vom
Stroma wieder abspaltbar ist, wurde in jeder Hinsicht be-
stätigt. Das zu benutzende Ricinpräparat braucht jedoch nicht,
wie v. Liebermann für wichtig hält, von saurer Reaktion zu
sein. Einem neutralen B-A-P entstammendes Phasin
kann in ganz analoger Weise durch verdünnte Salz-
säure aus seiner Verbindung mit dem Stroma wieder
frei gemacht werden und erweist sich dann sowohl
der betreffenden als auch einer beliebigen anderen
Blutart gegenüber als wirksam. Damit ist bewiesen,
daß das Phasin nicht spezifisch wirkt, denn sonst könnte
aus dem Kaninchenkörperchenagglutinat nur Kaninchenphasin
wieder herausgelöst werden. Durch Natronlauge kann das
Agglutinin aus seiner Vereinigung mit dem Stroma nicht gelöst
werden; dies hat v. Liebermann für das Ricin ganz richtig
1) Arch. f. Hygiene 62, Heft 4, 1907.
Zur Biochemie des Phasins. 259
angegeben; es gilt genau ebenso auch für Phasin. Aus diesen
Versuchen den Schluß zu ziehen, das Phasin könne
kein Enzym sein, weil Fermente nicht in den von ihnen
gebildeten Endprodukten enthalten sein dürfen, erscheint mir
nicht richtig, da ja möglicherweise das Phasin, Ricin usw.
nur adsorbiert und mechanisch mit niedergerissen werden.
Solches Mitniedergerissenwerden gehört aber gerade
zu den wesentlichen Eigenschaften der Enzyme.
19. Anteil von Komplementen an der Agglutination.
5 ccm frisches Meerschweinchenblut werden auf dem Wasserbade
LL Stunde lang auf einer Temperatur von 56 bis 57° erhalten, um das
in dem Serum befindliche Komplement unwirksam zu machen. Durch
diese Prozedur sind nun gleichzeitig die roten Blutkörperchen affiziert
worden, jedoch gelingt es, durch Zusatz von l ccm 1°/,iger B-A-P-
Lösung zu 5 ccm einer 5°/,igen Aufschwemmung dieses Blutes eine fast
momentan beginnende Koagulation der Stromata hervorzurufen. (Kontroll-
versuch mit unerhitztem Blute liefert starke echte Agglutination.) War
also schon vorher, zumal bei den Versuchen mit den gehärteten serum-
freien Erythrocyten eine Beteiligung des Komplementes an dem Agglu-
tinationsvorgang auszuschließen, so geht aus diesem Versuche mit Sicher-
heit hervor, daB das Agglutinin der Bohnen zu seiner Ver-
ankerung der im normalen Serum jederzeit enthaltenen
Komplemente nicht bedarf. Das Phasin verankert sich ohne
jedes Mittelstück direkt an die Blutkörperchen. Dazu stimmt,
daß serumfreie mehrfach gewaschene Blutkörperchen z. B. von Kaninchen,
Katze, Meerschweinchen usw. stets prompt agglutiniert wurden.
20. Aus anderen Bohnen rein dargestellte phasinartige
Pulver.
Aus den Extrakten der Samen von Phaseolus vulgaris,
Spielart Wachsbohne (Flageolet), ferner von Soja hispida
und von Vicia Faba, Saubohne, wurden nach der für das
B-A-P angewandten Methode Pulver gewonnen. Deren Agglu-
tinationsvermögen läßt folgende Tabelle (S. 260) erkennen.
a) Das Wachsbohnen-Agglutinin enthaltende Pulver wirkte
also auf Kaninchenblut und Hammelblut kräftiger als B-A-P; außerdem
agglutinierte es deutlich Kalbeblut, spurweise Karpfenblut. Auf letzteres
wirkte es in hoher Konzentration hämolytisch. Es präcipitierte nicht
seröses Exsudat, Hühnereiweißlösung, neutrale und alkalische Eukasin-
lösung. Es verlor seine Wirksamkeit nicht durch 35tägiges Aufheben
unter Formalin (3,6°/,) und unter Wasserstoffsuperoxyd (3°/,); monate-
lange Trockenaufbewahrung schien es etwas zu schädigen.
17*
260 O. Wienhaus: Zur Biochemie des Phasins.
Pulver aus
Blutart Dee EE
Wachsbohne |Sojabohne| Saubohne
— —— 1:7000 | P 1:12000 u
Mensch | XVII | XVII 8. unten |
zn T 1:60000 XV | |
örperchen
T 1:35000 P 1:70000 |P 1:3500|T 1:1200
Kaninchen XVI XV | XV | XV
Kaninchenblut- | T fast 1:6000 | P 1:35000
körperchen VI | VI
T1:12000 | P1:60000 Il
Meerschweinchen XXIII E XXII | |
H 1 "wu | "tom P 1:60000 | I _
nme XXIII XXIII | |
Kalb P 1:6000 VI | SS
E I
Spur S A; :600 | Hämolyse 1:450!
Karpfen Marten | SyS IV W — |
Karpfenblut- E | SW
körperohen |
b) Das Sojapräparat war in physiologischer Kochsalzlösung recht
wenig löslich. Die Suspension wirkte unfiltriert bei einem Versuche auf
menschliches Placentarblut in 3 Stunden partiell agglutinierend bei Ver-
dünnung 1:1100. Bei einem anderen Versuche agglutinierte sie weder
filtriert noch unfiltriert Blut vom erwachsenen Menschen. Karpfenblut-
körperchen mit und ohne Serum blieben unbeeinflußt. Kaninchenblut
zeigte sich agglutinabel, und zwar auch durch eine Aufschwemmung, die
4 Tage vorher mit H,O, ää versetzt worden war.
c) Das ausSaubohnen bereitete Pulver versagte auf Hammel- und
Kalbeblut vollständig, auf Kaninchenblut wirkte es einige Male nicht
deutlich, in anderen Fällen indessen noch in Verdünnung 1:1100 total,
auch wenn es 4 Tage lang unter H,O, gestanden hatte.
Über die verschiedensten Spezies von Vicia und andere verwandte
Pflanzen ist schon S. 234 bis 235 gesprochen worden; nur wurde aus
ihnen das wirksame Prinzip nicht in reiner trookner Form dargestellt.
Mit einer Fortsetzung der in vorstehender Arbeit enthaltenen Ver-
suche nach verschiedenen Richtungen hin ist Prof. Kobert beschäftigt.
Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion der Milch.
Von
Kurt Schern.
(Aus der Abteilung für Tierhygiene des Kaiser -Wilhelm -Instituts für
Landwirtschaft zu Bromberg.)
(Eingegangen am 26. April 1909.)
Gelegentlich einiger milchhygienischer Untersuchungen, die
ich in der Abteilung für Tierhygiene des Kaiser-Wilhelms-
Instituts zu Bromberg auszuführen hatte, sind verschiedene
Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion gemacht und
im Anschluß daran einzelne Versuche angestellt worden, deren
Ergebnisse im folgenden kurz mitgeteilt werden sollen, da sie
ein weiteres allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen
dürften.
Schardinger!) hat im Jahre 1902 versucht, auf bio-
chemischem Wege die Bier- von der Getreidepreßhefe zu unter-
scheiden. Dies ist ihm zwar nicht gelungen; aber bei seinen
Versuchen konnte er feststellen, daß frische Milch ein eigen-
tümliches und sehr auffälliges Verhalten gegen Methylenblau
zeigt. Unter anderem verwendete Schardinger für die von
ihm mitgeteilte Reaktion eine Methylenblau - Formalinlösung
folgender Zusammensetzung: 5 com gesättigter, alkoholischer
Methylenblaulösung -+ 5 com Formalin + 90 ccm Wasser. Das
Verhalten der frischen Kuhmilch dieser Lösung gegenüber prüfte
der Autor in der Weise, daß er 20 ccm Milch in einem Re-
agensglas mit l com der Lösung mischte. Dieses Gemisch
wurde im Wasserbad bei einer Temperatur von 45 bis 50° ge-
1) Schardinger, Über das Verhalten der Kuhmilch gegen Methylen-
blau und seine Verwendung zur Unterscheidung von ungekochter und
gekochter Milch. Zeitschr. f. Nahrungs- u. Genußmittel 1902, 1113.
262 K. Schern:
halten. Hierbei entfärbte sich die frisch ermolkene Milch un-
gefähr innerhalb 10 Minuten, dagegen behielt über 70° erhitzte
Milch, mit der dieselbe Reaktion angestellt wurde, ihre nach
dem Zusatz der Methylenblau-Formalinlösung erhaltene blaue
Farbe bei. Die Entfärbung der frischen, rohen Milch soll nach
Schardinger allmählich von unten nach oben vor sich gehen.
Im ganzen sind von Schardinger 12 Milchproben auf die
angegebene Weise untersucht worden. Es ist von gewisser
Bedeutung, zu wissen, daß Schardinger die Reaktion nicht
allein an ganz frischer, also noch ‚„kuhwarmer‘“ Milch beob-
achten konnte, sondern auch an solcher, die einige Stunden
gestanden hatte. Außer der Erwärmung über 70° soll auch
Verdünnung mit Wasser die Entfärbung der Milch unter den
angegebenen Bedingungen hemmen. Schardinger empfiehlt,
seine Reaktion auf praktische Brauchbarkeit zu prüfen und
sagt wörtlich zum Schluß: „Es bedarf wohl keiner aus-
führlichen Darlegung, wie bedeutungsvoll es für den
Haushalt, für die Verarbeitung der Milch zu den ver-
schiedenen Molkereiprodukten wäre, wenn die vor-
geschlagene Reaktion auch einen sicheren Anhalts-
punkt für die Beurteilung der Frische der Milch ge-
währen würde.“
Später sind von anderen Autoren, so von Smidt!), Brand?),
Jensen®), Seligmann®), Oppenheimer), Trommsdorf®) u. a.
Untersuchungen über die von Schardinger bei der Milch beobachtete
1) Smidt, Über die Fähigkeit der Milch, Methylenblau zu re-
duzieren. Aus dem Kgl. Institut f. experim. Ther. zu Frankfurt a. M.
Hygienische Rundschau 1904, 1137. — Derselbe, Über die sog. Reduktase
der Milch. Arch. f. Hygiene 58, 313, 1906.
2) Brand, Über die praktische Bedeutung der Reduktionsfähigkeit
der Milch. Aus dem Kgl. Institut f. experim. Ther. zu Frankfurt a. M.
Münch. med. Wochenschr. 1907, 821.
3) Jenson, Revue générale du lait 6, Nr. 2/3, 1906.
4) Seligmann, Zeitschr. f. Hygiene 50, 97, 1905; 52, 161, 1, 1906;
58, 1908.
5) Oppenheimer, Arbeiten aus dem Institut f. experim. Ther.
zu Frankfurt a. M. 1908. Fischer, Jena.
D Trommsdorf, zitiert nach einem Manuskript, welches mir
von T. in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt wurde. Die
diesbezügliche Arbeit T.’s ist inzwischen im Centralbl. f. Bakt. Abteil. I;
49, 1909 erschienen.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 263
Reaktion angestellt worden. Alle diese Autoren haben die Angaben
Schardingers im allgemeinen bestätigen können. Demnach soll nor-
male frische Milch die Schardinger-Reaktion innerhalb einer Zeit von
ungefähr 10 Minuten geben. Es erübrigt sich daher, auf die einschlägige
Literatur hier näher einzugehen. Nur das sei an dieser Stelle hervor-
gehoben, daß Brand (l. o.) im Gegensatz zu Schardinger, der seine
Reaktion bei 45° ausgeführt wissen will, vorschlägt, die Reaktion bei
einer Temperatur von ca, 70° vorzunehmen. Nach Brands Ansicht
soll diese Temperatur die optimale für den Ablauf der Reaktion sein.
Von Interesse ist es auch, zu wissen, daß einzelne Autoren in
einigen Fällen bei der von ihnen untersuchten Milch die Schardinger
Reaktion entweder gar nicht oder nicht innerhalb der normalen Zeit-
grenzen haben verlaufen sehen. Smidt teilt mit (ol daß er bei
frischer roher Ziegenmilch die Reaktion nicht hat beobachten können,
ebenso wenig bei einer Probe von Frauenmilch. Dagegen hat der Rahm
der Ziegenmilch die Schardinger-Reaktion schwach gegeben. Brand
(l. c.) hat bei einer „größeren Anzahl“ von untersuchten Kühen zwei
gefunden, deren Milch auch frisch ermolken die Schardinger-Reaktion
nicht gab. Es sollen dies zwei Kühe einer Niederungsrasse gewesen sein,
von denen eine bis zu 22 Liter einer fettarmen also „etwas minder-
wertigen Milch“ gab. Trommsdorf (L c.) hat in einem einzigen
Falle unter Dutzenden beobachtet, daß frische Milch die Formalin-Methylen-
blaulösung nicht entfärbt. Hierzu bemerkt er: „Es handelte sich um
eine keimfreie Probe frisch entnommener Milch aus einer Zitze einer
gesunden Kuh, die aus sämtlichen Zitzen eine sterile Milch, die auch
sonst als normal anzusehen war, lieferte. In der betreffenden Milchprobe
waren mittels der Milchleukocytenprobe Zellen nicht wachweisbar. Die
Proben aus drei Zitzen des Euters entfärbten Sohardingers Reagens
in 20, 25 und 30 Minuten. Die Probe des vierten Viertels entfärbte
Schardinger Reagens nach 2 Stunden nur ganz minimal. Die übrigen
Enzymreaktionen der betreffenden Milchprobe waren normal.“
Bei meinen eigenen Untersuchungen, die ich speziell ge-
legentlich der von Anders!) in der Abteilung für Tierhygiene
des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Landwirtschaft zu Bromberg
vorgenommenen Untersuchungen über das Frischmilchendsein
der Kühe ausgeführt habe, fiel es auf, daß die Milch einer
Kuh die Schardinger-Reaktion nicht gab. Bei näheren
Nachforschungen ließ sich feststellen, daß die Milch von einer
frischmilchenden Kuh herrührte. Das gab Veranlassung, Unter-
suchungen darüber anzustellen,
a) wie sich die Milch altmilchender Kühe,
b) wie sich die Milch frischmilchender Kühe,
u 1) Anders, Die diesbezügliche Arbeit von Anders erscheint dem-
nächst im Arch. f. Tierheilkunde.
264 K. Schern:
c) wie sich eine kranke Milch der Schardinger- Reaktion
gegenüber verhält und
d) bei welcher Temperatur die Reaktion für bestimmte
Zwecke vorzunehmen ist.
Nebenbei sollte versucht werden, das Wesen der Schar-
dinger-Reaktion zu klären.
Eigene Untersuchungen.
Die Untersuchungen sind an der Milch von Kühen an-
gestellt worden, die sich in den verschiedenen Stadien der
Lactation befanden.
Zunächst wurde festgestellt, ob altmilchende und frisch-
milchende Kühe die Schardinger-Reaktion geben. Das Schar-
dinger-Reagens hatte ich mir, wie folgt, zusammengesetzt:
5 ccm gesättigter, alkoholischer Methylenblaulösung - 5 ccm
Formalin, aufgefüllt auf 190 ccm Wasser. Von dem Reagens
wurde je Leem mit je 10 ccm der Mischmilch je einer Kuh
in einem Reagensröhrchen gemischt, und die Flüssigkeit je nach
dem beabsichtigten Versuch im Wasserbad bei einer Temperatur
von 45 bis 50° oder bei 65 bis 70° gehalten. Gemäß den An-
gaben Brands (el die, wie bereits bemerkt, fast allseitig
Bestätigung gefunden haben, sind die meisten der folgenden
Versuche bei Temperaturen von 65 bis 70° angestellt worden.
Bei Untersuchungen über den Einfluß verschiedener Tem-
peraturen auf den Verlauf der Reaktion konnte die Beobachtung
gemacht werden, daß die Vornahme der Reaktion bei 65 bis
70° nicht immer einwandsfreie Resultate liefert und daß man
diesem Umstande unter gewissen Verhältnissen Rechnung
tragen muß.
Wenn nicht in allen Fällen genauere Angaben über die
Kühe, deren Milch untersucht wurde, gemacht werden, so liegt
das daran, daß häufig die Milch von Kühen zur Untersuchung
gelangte, welche sich vorübergehend in den Ställen von Händ-
lern befanden, so daß nähere Angaben nicht erhältlich waren.
Nur in einigen Fällen, in denen die Kühe dauernd bei einem
Besitzer waren, ist es möglich gewesen, bezüglich der Kühe
etwas Näheres zu ermitteln.
Die Milch wurde meist zwischen 5 bis 6 Uhr abends ent-
nommen, sofort darnach in das Laboratorium transportiert und
Über die Scohardinger-Reaktion der Milch. 265
hier noch denselben Abend, 1 bis 2 Stunden, spätestens 4 Stunden
nach der Entnahme verarbeitet. Die Temperatur in den Kuh-
ställen, welche die milchliefernden Kühe beherbergten, schwankte
bei der Milchentnahme zwischen 10 bis 12°C. Die Temperatur
beim Transport der Milch entsprach den jeweiligen Tempera-
turen, die im Freien herrschten. Hierbei sei bemerkt, daß die
Untersuchungen im Verlaufe des Winters vorgenommen wurden.
Die Milch wurde direkt aus dem Euter in die Reagens-
röhrchen gemolken und zwar meist nach Beendigung des Abend-
melkgeschäftes im Stalle ohne besondere Kautelen. Bei ein-
zelnen Kühen, bei denen das nicht geschah, finden sich spezielle
Angaben hierüber. Im übrigen werden die einzelnen Protokolle
besonderen Aufschluß über die Versuchsanordnung geben.
a) Altmilchende Kühe.
Es wird die Milch von 36 Milchkühen einer Molkerei unter-
sucht. Die Kühe gehören sämtlich der Niederungsrasse an und
waren nach den Angaben des Besitzers mit Sicherheit als alt-
milchend anzusehen. Entnommen waren die Milchproben zwischen
6 bis 7 Uhr abends. Die Reaktion wurde mit ihnen gegen
9 Uhr abends bei 65 bis 70°C im Wasserbad angestellt.
Tabelle I.
Milch der Kuh 636, zum Versuch angesetzt 838 abends, entfärbt 810 abends
Le 99 99 644 LI) Lo LE 833 H TE gr ”
LU IA 99 632 LE H LA 838 LA ” Che „
» » » 664 „ y m 838 „, a 840 dé
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99 99 Le 659 LA LE LÉI 833 99 LE gr „
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99 9 99 64l 29 ” 99 8 LA LI? 900 Si
99 38 9? 667 LA) LE IA) 858 9. Sp Chi DA
266 K. Sobern:
Milch der Kuh 637, zum Versuch angesetzt 858 abends, entfärbt 9° abends
LH LA) A 643 H 39 38 858 29 (E 859 LE
Se gn sob y a = 858 p PR 993 Sé
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a un » Nett, „ wë Se 909 `, 2 910 B
Aus der vorstehenden Tabelle ist ersichtlich, daß die
Milch dieser Kühe innerhalb sehr kurzer Zeit — in allen
Fällen in weniger als 10 Minuten — die Sohardinger-Reaktion
gegeben hat.
Der Versuch wird 12 Tage nach der ersten Versuchsanstellung mit
der Milch derselben Kühe wiederholt und zeitigt dasselbe Ergebnis.
In einem folgenden Versuch ist die zwischen 5 bis 6 Uhr abends
entnommene Milch von 13 Kühen untersucht worden. Die Reaktionen
wurden bei 65 bis 70° im Wasserbad ausgeführt. In diesen Fällen konnten
einzelne nähere Angaben über die Kühe vom Besitzer erhalten werden.
Dieser Versuch bestätigt die bisherigen Ergebnisse.
Abweichend von der Norm hat sich die Milch der Kuh Sr. und
B. gezeigt. Während die Milch der Kuh Sr. die Schardinger- Reaktion
verzögert gab, was vielleioht auf die leichte Verdauungsstörung der Kuh
zurückzuführen war, konnte bei Kuh B. eine Entfärbung der Milch über-
haupt nicht beobachtet werden. Wie diese Tatsache zu erklären ist,
kann nicht gesagt werden. Jedenfalls ist es einer der wenigen Fälle, in
denen altmilchende Kühe die Reaktion nicht geben.
Das Ergebnis weiterer Versuche ließ die Vermutung entstehen, daß
im vorliegenden Falle das Sekret des Euters verändert sei, da die
Lactationsperiode zu Ende ging (Endcolostrum). Eine vergleichsweise
bei einer anderen Kuh (s. unten, Kuh Ag.) ausgeführte diesbezügliche
Untersuchung bestätigte jedoch nicht diese Auffassung. Bemerkenswert
ist, daß die Milch der Kuh B. eine auffallend hellbläuliche Farbe hatte,
während sich beim Stehen eine ebenso breite Fettschicht absetzte wie
bei der Milch anderer Kühe, welche dieSchardinger-Reaktion gab, Im
übrigen konnten Besonderheiten an dieser Milch nicht festgestellt
werden.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 267
Tabelle II.
l —
Vor j | |
. Seit ‘Milch zum! Hat
Bezeich- | wie langer wie langer: Versuch ` ent. `
nung | Kasse — Zeit | angesetzt | färbt —
| 8 trächtig? |
| | Monate ı abends abends
Kuh O. | Niede- | 4 (Mona ss Im
rungsrasse | |
Kuh Ag. | Niede- 10 | 7 Monat 83%, SC | —
— ⸗ | | |
Kuh An Gebirgs- 2 nicht 830 838 —
| rasse trächtig |
Kuh At. | Niede- | 21), | nicht gto | gas er
rungsrasse trächtig
Kuh N. Niede- 8 6 Monat 819 822 —
rungerasso |
Kuh L. | Niede- 4 6 Wochen! 824 830 | —
rungsrasse |
Kuh Agt.| Gebirgs- 8 '5 Monat 827 831 —
rasso |
Kuh Al. Niede- 8 ‚ 5 Monat 822 gäe _
rungsrasse | | | |
Kuh Bl. | Gebirgs- 2 nicht |; 93° 935 —
rasse tragend | | |
Kuh Sr. | Gebirge- | 10 8 Mont | 85” | gie | Die Kuh soll
rasse | nicht gut fressen
Kuh Ju. | Gebirgs- 8 6 Monat 835 | 8% | =
Tasse | |
Kuh Bb. | Niede- un- 6 Monat; 830 | 834 | —
rungsrasse bekannt Die Milch dieser Kuh
A , wurde an einem an-
Kuh B. | Niede- | 10 | 6 Monat 830 lenttärbeverd Tage mit dem-
i bis zum |,eiben Resnitat unter-
näch- isucht,” Das gleiche
sten Ergebnis batte die
Mo n Untersuchung derEip-
| zelmilchjedesßtriches
an einem späteren
Tage. Bald darauf
stand dieKuh trecken
und es konnte des-
Bald ihre Milch nicht
| mehr untersucht
| | | i | werden.
Es wurde später nochmals die Miloh der in der Tabelle II an-
geführten Kühe einige Tage nach Anstellung des ersten Versuches unter-
sucht. Das Resultat war dasselbe wie im ersten Versuch.
Abweichend von der Regel verhielt sich bei dieser Untersuchung
die Milch von der Kuh At. Die Milch dieser Kuh wird abends 99% Uhr
in Versuch gesetzt. Um 11 Uhr abends ist die Milch etwas entfärbt,
behält aber bis zum nächsten Morgen die hellblaue Färbung bei. Be-
merkenswert ist es vielleicht, zu erwähnen, daß die Kuh zur Zeit, wie
der Besitzer angab, nicht normalen Appetit hatte. Bei späteren Prü-
fungen der Milch, nachdem die leichte Indigestion der Kuh vorüber war,
verlief die Schardinger-Reaktion innerhalb der vorgeschriebenen Zeit.
268 K. Schern:
Die Milch der Kuh Ag., welche gleichzeitig mit der Milch der Kuh At.
in Versuch gesetzt wurde, entfärbte innerhalb 4 Minuten. Die Kuh be-
fand sich kurz vor dem Ende der Lactationsperiode, oder wie der Fach-
ausdruck lautet, kurz vor dem Trockenstehen. Die Milch war nicht
mehr genußtauglich (cf. Milch der Kuh B. in der Tabelle II).
Aus den unter den erwähnten Bedingungen angestellten
Versuohen läßt sich folgern, daß bei ca. 50 altmilchenden
Kühen, mit deren Milch in Zwischenräumen von mehreren
Tagen wiederholt die Reaktion nach Schardinger angestellt
wurde, im allgemeinen die Entfärbung der Miloh in weniger
als 10 Minuten erfolgte.
Bei der Milch einer Kuh verlief ebenfalls die Reaktion positiv, aber
verzögert, bei der Milch einer anderen Kuh war bei den zu verschiedenen
Zeiten angestellten Untersuchungen das Resultat verschieden, während bei
der Milch einer dritten Kuh die Reaktion überhaupt negativ verlief. Im
letzteren Falle ist vielleicht dem Umstand, daß die Lactationsperiode zu
Ende ging, eine gewisse Bedeutung beizumessen. Allerdings spricht hier-
gegen der Befund bei der Milch einer anderen Kuh, die sich ebenfalls
am Ende der Lactationsperiode befand.
Mit Rücksicht auf die in der Literatur verzeich-
neten Angaben läßt sich sagen, daß im großen und
ganzen die Behauptung Schardingers und der anderen,
bereits erwähnten Autoren, für die Milch altmilchender
Kühe!) bezüglich der Entfärbung des Methylenblau-
Formalingemisches zutrifft.
b) Frischmilchende Kühe.
Für die weitere Beurteilung der ganzen Frage ist es von
Bedeutung, zu wissen, wie sich die Milch frischmilchender
Kühe gegenüber der Schardinger-Reaktion verhält.
Einerseits wurde die Milch solcher Tiere, von denen der Tag,
an dem sie geboren hatten, genau bekannt war, in gewissen Abständen
während einer längeren Beobachtungszeit untersucht, andererseits’ wurde
die Schardinger-Reaktion mit der Milch solcher Kühe angestellt, von
denen der derzeitige Besitzer (Händler) weiter nichts angeben konnte,
als daß sie von einer frisohmilchenden Kuh herrühre. Die Milch dieser
Tiere konnte nur einmal untersucht werden.
Die Milchproben wurden meist 1 bis 2 Stunden, in einigen Fällen un-
mittelbar und in einigen anderen Fällen 3 bis 4 Stunden nach der Entnahme
aus dem Euter in Versuch gesetzt. Es sei nochmals erwähnt, daß die
Milch nicht steril aus dem Euter, meist nach Beendigung des Abend-
1) Bemerkt sei, daß „altmilchend‘“ und ‚frischmilchend‘“ hier nicht
im forensischen Sinne verstanden werden soll.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 269
melkgeschäftes entnommen und die Reaktionen im Wasserbad bei 65 bis
70° angestellt wurden.
Zur Kontrolle wurde in allen Versuohen die Milch einer sicher
altmilchenden Kuh benutzt, welche auch stets die Reaktion innerhalb
der geforderten Zeit gab, so daß eine Täuschung, welche vielleicht durch
Unwirksamkeit des Formalin-Methylenblaugemisches bedingt wäre, mit
Sicherheit ausgeschlossen werden konnte.
Versuch 1.
Kuh L. Gebirgsrasse, kalbt am 28. 12. 07 abends. Der Verlauf der
Geburt ist normal. Die Nachgeburt wird rechtzeitig abgestoßen. Das
Kalb saugt am Euter der Kuh vom Tage der Geburt bis zum 20. 1. 08.
Die Milch wird am 12. 1. 08 zum erstenmal untersucht. In Versuch
gesetzt 821 Uhr abends, entfärbt innerhalb der nächsten 4 Stunden nicht
eine Spur.
Am 15.1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 8 Uhr
abends, hat bis 11 Uhr abends nicht entfärbt.
Am 20. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 1045 Uhr
abends, hat bis zum nächsten Morgen nicht entfärbt,
Am 22. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 92° Uhr
abends, um 1215 Uhr abends ist das untere Drittel der Milch aufgehellt,
die beiden oberen Drittel sind von völlig blauer Farbe.
Am 25. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 99% Uhr
abends, um 10 Uhr abends sind die beiden oberen Drittel der Milch
ziemlich entfärbt. Das untere Drittel der Milch ist von blauer Farbe.
Um 10% Uhr abends ist die Miloh bis auf eine Kuppe am Boden des
Reagensglases völlig entfärbt.
Am 26. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 75% Uhr
abends. Um 92° Uhr abends ist die Milch aufgehellt, um 935 Uhr ist
sie hellblau, um 102! Uhr sind die beiden unteren Drittel weiß, das
obere hellblau. Um 114° Uhr ist oben nur noch ein ungefähr 1 cm
breiter hellblauer Ring sichtbar.
Am 28. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 737 Uhr
abends. Die Milch ist um 83° Uhr aufgehellt, um 9'° Uhr abends be-
findet sich im unteren Drittel ein 1 om breiter weißer Ring. 1035 Uhr
ist die untere Hälfte weiß, die obere hat eine blaue Farbe.
Am 6. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 104° Uhr
abends. Um 12 Uhr ist die Milch aufgehellt.
Am 8. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 52° Uhr
abends. Um 55° früh nächsten Tages ist die Milch fast entfärbt.
Am 16. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt un 937 Uhr
abends. Um 94° Uhr abends ist die Milch fast entfärbt.
Am 17. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 93° Uhr
abends. Um 955 Uhr ist die Milch fast entfärbt, sie behält aber einen
ganz leicht bläulichen Farbenton bei.
270 K. Schern:
Am 20. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 6 Uhr
abends. Um 1212 Uhr ist sie ganz leicht hellblau und behält diese
Farbe bis zum nächsten Morgen bei.
Am 26. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 102° Uhr
abends. Die Milch hellt in einigen Minuten aus, behält aber einen ganz
leicht hellbläulichen Farbenton bei.
Die Milch dieser Kuh konnte in der Folgezeit nicht mehr unter-
sucht werden. Leider ist es auch nicht möglich gewesen, die Milch un-
mittelbar nach dem Partus auf ihre entfärbende Eigenschaft gegenüber
dem Formalin-Methylenblaugemisch zu prüfen.
Im übrigen ist aus dem Protokoll ersichtlich, daß die Milch dieser
Kuh, obwohl sie unter dem von Schardinger und den anderen Autoren
geforderten Bedingungen für das Zustandekommen der Entfärbung des
Formalin-Methylenblaugemisches in den Versuch gesetzt wurde, die
Schardinger-Reaktion in der ersten Zeit nach der Geburt überhaupt
nicht, später nur verzögert, aber auch nicht vollständig gegeben hat,
was wohl zweifellos mit der am 28. 12. 07 erfolgten Geburt in Zu-
sammenhang zu bringen ist. Die Fähigkeit der Milch dieser Kuh, das
Formalin-Methylenblaugemisch zu entfärben, hat im gleichen zeitlichen
Verhältnis mit der Entfernung vom Geburtstermin zugenommen.
Versuch 2.
Kuh Law, Gebirgsrasse. Kalbt am 19. 1. 08 schwer. Das Kalb
kommt tot zur Welt. Die Nachgeburt wird nicht zur rechten Zeit ab-
gestoßen und muß deshalb manuell entfernt werden. Die Kuh magert
nach dieser Geburt etwas ab, erholt sich aber bald und ist völlig munter.
Zu beachten ist daß ein Kalb an dem Euter nicht gesaugt hat. Am
20. 1. 08 wird die Milch zum ersten Male untersucht. Angesetzt
in Versuch um 8 Uhr abends, ist bis um 11 Uhr abends völlig blau
geblieben.
Am 22. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr
abends. Um 1225 Uhr abends ist die untere Hälfte heller als die obere.
Am 25. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 99% Uhr
abends. Um 11 Uhr abends ist die Milch etwas aufgehellt, bis 12 Uhr
abends ist die Milch so geblieben.
Am 26. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 754 Uhr
abends, hat bis 11 Uhr abends nicht entfärbt.
Am 28. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 727 Uhr
abends, um 83° Uhr abends ist die Milch etwas aufgehellt, um 91° Uhr
abends ist ein 1 cm breiter, weißer Ring im unteren Drittel sichtbar,
um 1035 Uhr ist die untere Hälfte weiß, die obere hellblau.
Am 6. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 104 Uhr
abends, hat bis 1 Uhr nachts etwas aufgehellt.
Am 8.2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 5% Uhr
nachmittag. Um 5645 Uhr nachmittags ist die Milch fast völlig ent-
färbt, sie hat einen ganz zarten Stich ins Bläuliche.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 271
Am 16. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 937 Uhr
abends. Um 102° Uhr abends ist die Milch bis auf eine kleine blaue
Kuppe am Boden des Reagensglases völlig entfärbt.
Am 17. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr
abends. Um 101° Uhr abends ist die Milch völlig entfärbt.
Am 20. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 1208 Uhr
nachts. Um 1221 Uhr ist die Milch bis auf einen blauen schmalen
Längsstrich an der Seite des Röhrchens entfärbt.
Am 26. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 102° Uhr
abends, hellt in 15 Minuten auf und ist fast völlig entfärbt, aber ein
ganz leicht bläulicher Farbenton bleibt bestehen.
Bemerkenswert ist bei dieser Kuh vor allem das Verhalten der
Milch während der Zeit unmittelbar nach dem Partus. Während dieser
hat die der Kuh entnommene Milch das Formalin-Methylenblaugemisch
nicht entfärbt. Im übrigen stimmt das Ergebnis dieses Versuches mit
dem des Versuches 1 insofern überein, als die Milch dieser Kuh eben-
falls nicht die Reaktion in der geforderten Zeit gegeben hat. Der die
Schardinger- Reaktion auslösende Körper ist aber erheblich früher nach
dem Partus in der Milch dieser Kuh wieder aufgetreten, als es bei der
im Versuch 1 untersuchten Milch der Fall war. Diese Tatsache ist wahr-
scheinlich auf das Fehlen des Saugens am Euter zurückzuführen.
Versuch 3.
Kuh Ag. Niederungsrasse. Kalbt am 3. 2, 08 leicht. Das Kalb
stirbt 8 Tage nach der Geburt an einer vom Nabel ausgehenden
Allgemeininfektion. Das Kalb hat einige Tage am Euter gesaugt. Am
4. 2. 08 wird die Milch in der bekannten Weise untersucht. Angesetzt
930 Uhr abends. Um 937 Uhr abends die Milch entfärbt.
Am 6. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 10% Uhr
abends. Bis um 12 Uhr nachts behält die Milch völlig den
blauen Farbenton bei.
Am 7. 2. 08 wird die Miloh wieder untersucht. Angesetzt 445 Uhr
nachmittags (kuhwarm). Die Milch bleibt bis 12 Uhr nachts völlig blau
gefärbt.
Am 8. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 52° Uhr
nachmittags (kuhwarm). Um 55° Uhr ist die Milch sehr hellblau.
In der Zeit vom 8. 2. bis 16. 2. 08 ist das rechte hintere Euter-
viertel erkrankt. Aus diesem Strich wird gesondert das Sekret ent-
nommen, während die Milch der anderen drei Striche, wie bisher, ge-
mischt zur Untersuchung gelangt. Das kranke Eutersekret ist besonders
untersucht worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung findet sich
weiter unten.
16. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche untersucht. Angesetzt
937 Uhr abends. Die Milch ist 945 Uhr abends entfärbt.
17. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 920 Uhr
abends, sie ist 921 Uhr entfärbt.
272 K. Schern:
20. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 12°06 Uhr
nachts, sie ist 1209 Uhr nachts entfärbt.
26. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 102° Uhr
abends, sie ist 102” Uhr abends entfärbt.
5. 3. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 1223 Uhr
abends, sie ist 1225 Uhr entfärbt.
10. 3. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 100% Uhr
abends, sie ist 100% Uhr abends entfärbt.
Das Verhalten der Milch dieser Kuh ist in verschiedener Be-
ziehung interessant. Zunächst ist e3 auffällig, daB die Milch fast un-
mittelbar nach der Geburt das Formalin-Methylenblaugemisch entfärbt
hat. Es muß also zu dieser Zeit der die Entfärbung bedingende Körper
in der Milch vorhanden gewesen sein. Einige Zeit später war dieser
Körper nicht nachweisbar, aber am 13. Tage nach dem Kalben wird er
wieder in der Milch gefunden. Mit Rücksicht auf die Tatsachen, welche
bei der Miloh der Kuh des Versuches 1 festgestellt worden sind, ist das
Verhalten dieser Milch ein abweichendes.. Dem Nichtsaugen am Euter
der Kuh, bzw. der sehr kurzen Saugperiode ist wahrscheinlich eine Be-
deutung in dieser Beziehung beizumessen.
Versuch 4.
Kuh N. Niederungsrasse. Hat am 10. 2.08 gekalbt. Die Ge-
burt verläuft leicht. Das Kalb stirbt 6 Tage nach der Geburt an Septi-
kämie. Das Kalb hat einige Tage am Euter der Kuh gesaugt. Am
16.2 wird die Milch zum erstenmal untersucht. Angesetzt 937 Uhr
abends. 1025 abends ist die untere Hälfte der Milch blau, die obere weiß.
Am 17.2. 08 wird die Milch der Kuh untersucht. Angesetzt 9% Uhr
abends. Um 955 abends ist bis auf einen, l cm blauen Streifen am
Boden des Glases die Milch entfärbt. Um 100% abends ist die Milch
völlig entfärbt.
Am 20. 2. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt
12% Uhr nachte. Um 12% Uhr ist die Milch hellblau geworden und um
115 Uhr ist sie entfärbt.
Am 26. 2, 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt
102° Uhr abends. Die Milch ist 1022 Uhr entfärbt.
Am 5. 3. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt
1223 Uhr abends. Die Milch ist entfärbt 122% Uhr.
Am 10. 3. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt
10° Uhr abends. Die Milch ist entfärbt 1012 Uhr.
Auch in der Milch dieser Kuh ist der Körper, welcher die Schar-
dinger-Reaktion auslöst, auffallend früh nach der Geburt wieder vor-
handen gewesen. Wahrscheinlich war dies durch die sehr kurze Saug-
periode bedingt.
Versuch 5.
Kuh Agte. Gebirgsrasse. Kalbt am am 16. 2.08 leicht. Die
Geburt verläuft normal. Das Kalb bleibt vom Augenblick der Geburt
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 273
bis zum letzten Tag der Milchuntersuchung, 10. 3. 08, bei der Mutter
und saugt am Euter. Nach dieser Zeit konnte die Milch nicht wieder
untersucht werden. Die Milch der Kuh wird am 16. 2. 08 zum erstenmal
untersucht. Angesetzt 937? Uhr abends. Die Miloh ist 102% abends entfärbt.
Am 17. 2. 08 wird die Miloh wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr
abends. Die Milch behält bis 12 Uhr ihre blaue Farbe.
Am 20. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 12% Uhr
nachts. Die Milch ist bis 5 Uhr früh nicht entfärbt.
Am 26. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 102° Uhr
abends. Die Milch entfärbt bis zum nächsten Morgen nicht.
Am 5. 3. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 1228 Uhr
abends. Die Milch entfärbt bis zum nächsten Morgen nicht.
Am 10. 3. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 100% Uhr
abends. Die Milch ist nach 1 Stunde etwas aufgehellt, aber bleibt bis
zum nächsten Morgen hellblau.
Bei der Milch dieser Kuh, an deren Euter das Kalb längere Zeit
gesaugt hat, ist es auffällig, daß in der Colostralmilch der die Ent-
färbung des Schardingerschen Reagens bedingende Körper, wenn
auch verzögert, seine Tätigkeit entfaltete, während er bereits einen Tag
nach der Geburt in der Milch nicht mehr nachweisbar ist.
Aus diesen Versuchen läßt sich folgern, daß die
Schardinger-Reaktion der Milch bei den 5 längere
Zeit hindurch untersuchten Kühen völlig anders ver-
laufen ist, als bei der Milch der oben erwähnten
altmilchenden Kühen und daß die Milch der 5 frisch-
milchenden Kühe die Schardinger-Reaktion einige
Zeit nach dem Partus nicht gab.
Neben diesen Untersuchungen ist mit der Milch solcher
Kühe, die mir zur Milchentnahme vorübergehend zur Verfügung
standen, die Reaktion auf die Entfärbung des Formalin-Methylen-
blaugemisches ausgeführt worden.
Am 26. 1. 08 wird 6 Kühen eines Transportes früh zwischen 6 und
7 Uhr etwas Milch entnommen. Die Kühe sollen sämtlich vor ca, 8 bis
14 Tagen gekalbt haben. Ob an den Eutern der Kühe Kälber gesaugt
haben, läßt sich nicht ermitteln.
Die Milch dieser Kühe wird um 1048 Uhr vormittags bei 65 bis 70°
angesetzt. Bis nachmittags um 6 Uhr hat die Milch nicht eine Spur
entfärbt.
Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß eine Kontrollmilch
einer altmilchenden Kuh das Reagens in wenigen Minuten entfärbt.
Dieser Versuch bestätigt die Ergebnisse früherer Ver-
suche.
Am 6. 2. 08 wurden drei Milchsorten ohne nähere Angabe zwecks
Vornahme der Sohardinger-Reaktion abends übersandt;
Biochemische Zeitschrift Band 18. 13
274 K. Schern:
Kuh 1 soll vor 5 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird 1040 Uhr
abends angesetzt bei 65 bis 70%. Die Milch ist 112° Uhr abends entfärbt.
Kuh 2 soll vor 4 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird angesetzt
um 10% Uhr abends bei 65 bis 70°. Milch bleibt bis 12 Uhr völlig
dunkelblau gefärbt.
Kuh 3 soll vor 10 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird angesetzt
um 104° Uhr abends bei 65 bis 70°. Die Milch bleibt bis 12 Uhr völlig
dunkelblau gefärbt.
Die Ergebnisse, die ich mit der Milch der Kühe 2 und 3 gehabt
habe, bestätigen die bereits mitgeteilten Tatsachen. Etwas abweichend
hat sich die Milch der Kub 1 verhalten, aber auch hier verlief die Ent-
färbung des Sohardinger-Reagens nicht innerhalb der geforderten Zeit.
Somit läßt sich sagen, daß die Milch der Kühe,
welche in den vorstehenden Versuchen aufgeführt
wurden, und welche als frischmilchend zu bezeichnen
waren, die Reaktion nach Schardinger meist gar nicht
oder doch nur verzögert gab.
c) Das Verhalten einer kranken Milch gegenüber der
Schardinger-Reaktion.
Gelegentlich der Untersuchung der Milch der Kuh Ag.
(cf. Versuch 3) wurde festgestellt, daß das rechte hintere Euter-
viertel erkrankt war. Die Kuh lieferte aus dem entsprechenden
Strich ein dünnflüssiges, fast gelbes, ziemlich transparentes
Sekret. Bei längerem Stehen setzte sich ein voluminöser, aus
gelbgrauen Massen bestehender Bodensatz ab.
Mit dem Sekret werden folgende Versuche angestellt:
16. 2. 08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 9%5 Uhr
abends. Bis um 12 Uhr nachts ist das Sekret nicht entfärbt.
17. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 92° Uhr
abends, hellt um 1025 abends etwas auf, bleibt aber blau ge-
färbt.
20. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 120 Uhr
nachts. Bis 6 Uhr früh ist die Farbe des Sekretes etwas aufgehellt, aber
noch blau gefärbt.
25. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 102° Uhr
abends. Bis 12 Uhr nachts hat das Sekret sein: blaue Farbe behalten.
5. 3. 08. Das Sekret des kranken Striohes angesetzt um 122° Uhr
abends. Es ist innerhalb der vier nächsten Stunden nicht eine Spur
entfärbt.
10. 3. 08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 10°% Uhr
abends Es ist um 11'!? Uhr abends, also nach über eine Stunde, nicht
eine Spur entfärbt.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 275
Das Sekret des erkrankten Striches hat das Forma-
lin-Methylenblaugemisch nicht entfärbt.
Dieser Tatsache muß eine gewisse Bedeutung zuerkannt
werden bei der Beurteilung der Milch auf Grund des Ausfalls
der Schardinger-Reaktion. Wenn auch an der Hand der einen
vorliegenden Beobachtung über eine kranke Milch ein allgemeiner
Schluß ungerechtfertigt erscheint, so fordert doch alles dies
dazu auf, öfter mit kranker Milch die Schardinger- Reaktion
anzustellen.
Das Aussehen des untersuchten kranken Eutersekretes ließ
den Gedanken aufkommen, daß bei der Entzündung die lympha-
goge Wirkung sehr stark und infolgedessen selır viel Flüssig-
keit serumähnlicher Beschaffenheit in das Sekret übergetreten
war. Somit lag die Möglichkeit vor, daß die bei der Entzün-
dung abgeschiedene Flüssigkeit das Hindernis für den negativen
Ablauf der Schardinger-Reaktion bildete. Bedingung für die
Richtigkeit der gegebenen Anschauung im Verfolg dieser Über-
legung war, daß das Blutserum des erkrankten Tieres ebenfalls
das Formalin-Methylenblaugemisch nicht entfärbte. Das war
auch tatsächlich der Fall, konnte aber als etwas besonders
auffälliges nicht betrachtet werden, da sehr bald weitere Ver-
suche lehrten, daß nicht nur die Sera von anderen Rindern,
sondern auch von Pferden, Eseln, Schweinen, Ziegen, Schafen,
Kaninchen, Meerschweinen, Tauben, Hühnern, Gänsen und
anderen Tieren die Schardinger-Reaktion nicht gaben. Immer-
hin war es trotzdem interessant, festzustellen, ob eine normale,
mit normalem Rinderserum vermischte Milch in Parallele zu
stellen ist mit dem bei einer Mastitis gelieferten Sekret. Um
diese Frage zu klären, wird folgender Versuch im Wasserbad
bei 65° angestellt.
Tabelle I.
N d | Angosetzt Entfärbt
1 | 10 ccm normale Milch allein + 1 ccm Formalin-
Methylenblaulösung . . . . 2». sensas’
2|9°/, ccm normale Milch 4 !/, com Rinder-
serum 4 1 ccm Formalin-Methylenblau-
gemisch. o yare 5 0.0. a ee a
1218 Uhr | 1217 Uhr
18*
Nr. Angesetzt | Entfärbt
Dia com normale Milch + !/, ccm Rinder- |1215 Uhr | 12! Uhr?
serum 4 1l ccm Formalin-Methylengemisch
4| 9ccm normale Milch + 1 ccm Rinderserum |1215 „ |1207
+ Leem Formalin-Methylengemisch . . . |
5| 8com normale Milch + 2 ccm Rinderserum |1215 „ 1217 „
+ 1 eem Formalin-Methylengemisch . . .
6| 7 ccm normale Milch + 3 ccm Rinderserum | 12125 „ |1217
+ 1l com Formalin-Methylengemisch . . .
71 6ccm normale Milch + 4 cem Rinderserum |1215 „ '1217 „
-+ Leem Formalin-Methylengemisch . . .
Bi Beem normale Milch + 5 com Rinderserum |1215 „ |1207 „
+ l ccm Formalin-Methylengemisch . . .
9| 400m normale Milch + 6 ccm Rinderserum | 1235 1250 o
+ lccm Formalin-Methylengemisch . . .
10] 3ccm normale Milch + 7 ccm Rinderserum | 1235 _ 2 „
-+ 1 ccm Formalin-Methylengemisch . . .
11] 2ccm normale Milch + 8 ccm Rinderserum | 145 „ 3 e
+1 ccm Formalin-Methylengemisch . . .
12 | 10 ccm Rinderserum allein + 1 ccm Formalin- |1215 „ ` entfärbt
Methylengemisch . . . es 22 222.2. —
nio
Es ist aus der Tabelle ersichtlich, daß 4 Teile Milch mit
6 Teilen Serum die Reaktion nicht in der geforderten Zeit ab-
laufen lassen und daß diese Erscheinung bei einem noch größeren
Gehalt der Milch an Serum noch mehr zutage tritt. Die be-
obachteten Tatsachen lassen die bereits oben geäußerten An-
schauungen als richtig erscheinen und geben bis zu einer gewissen
Grenze eine Erklärung für den negativen Ausfall der Reaktion
bei der Milch des erkrankten Euterviertels. Vergleichsweise
habe ich das Sekret des kranken Striches dieser Kuh mit der
normalen Milch der übrigen drei Striche vermischt und auch
damit die Reaktion bei 65° angestellt.
Tabelle II.
Angesetzt Entfärbt
1 Teil patholog. Milch + 3 Teile normaler Milch 1017 Uhr vorm, 1027 Uhr
KE: S „ +1Teil = „p 100 „ „1088
8 Teil „ „ +2 Teile 3 J TOU a a SE
Trotz der großen Verdünnung, welche der die Entfärbung
bedingende Körper der zugesetzten normalen Milch durch Bei-
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 277
mischung des mastitischen Sekretes erfahren hat, entfaltete er
doch, wenn auch verzögert, seine Tätigkeit und es konnten die
erhaltenen Befunde in direkte Parallele gesetzt werden mit
denen, die oben bei den Milchserumgemischen erhoben wurden.
Der negative Ausfall der Reaktion ist bei einer Mastitis-Milch
erst dann zu beobachten, wenn diese durch Beimischung
der bei der Entzündung aus den Blutgefäßen austretenden
Flüssigkeit so hochgradig verändert ist, daß sie bereits bei ein-
facher Besichtigung als „krank“ erkannt wird. Infolgedessen
wird man im allgemeinen die Reaktion für die Er-
kennung derartiger entzündlicher Prozesse am Euter
nicht heranziehen. Zum Vergleiche ist mit dem Sekret des
erkrankten Striches unter anderem auch die Reaktion bei 45°
angestellt. Diese Temperatur fordert bekanntlich Schardinger
zur Ausführung der Reaktion. Aber auch bei dieser Tempe-
ratur wurde das Formalin-Methylenblaugemisch nicht entfärbt,
sobald von dem mastitischen Sekret der obere flüssige, serum-
ähnliche Teil benutzt wurde. Stellte man dagegen die Reaktion
mit dem flockenreichen, lumigen Bodensatz an, so entfärbt dieser
sehr schnell innerhalb 10 Minuten das Reagens. Bei 65 bis 70°
konnte der gleiche Versuch wegen Mangels an Material nicht
angestellt werden.
d) Versuche über die Temperatur, bei der die Schar-
dinger-Reaktion ausgeführt wird, nebst einigen ande-
ren Bemerkungen über den diese Reaktion auslösenden
Körper der Milch.
Von Schardinger (l. c.) ist angegeben worden, daß die
Entfärbung des Formalin-Methylenblaugemisches durch eine
Milch bei ungefähr 45° vorzunehmen ist. Brand (l. c.) hat,
wie schon erwähnt, später als Optimaltemperatur für den Ab-
lauf der Schardinger Reaktion ungefähr 65 bis 70° angegeben.
Bei dieser von Brand angegebenen Temperatur haben auch
fast alle Autoren später die Schardinger-Reaktion ausge-
führt, und heutzutage steht diese Temperatur als Norm für die
Reaktion fest.
Da bei den bereits mitgeteilten Versuchen Tatsachen fest-
gestellt wurden, die geeignet sind, die bisherigen Anschauungen
über die Schardinger-Reaktion ins Wanken zu bringen, so
278 K. Schern:
lag es nahe, zu ermitteln, ob tatsächlich für alle Milcharten die
Temperatur von 65 bis 70° die optimale ist oder ob die Milch
frischmilchender Kühe sich in dieser Beziehung anders verhält.
Um dies zu entscheiden, wurde mit je zwei Proben einer
Milch die Schardinger-Reaktion sowohl bei 65 bis 70° als
auch daneben bei 45° vorgenommen. Das Nähere ist aus den
beigefügten Tabellen ersichtlich.
Tabelle I.
Versuch mit der Milch altmilchender Kühe.
Kuh gesetzt bei 65 bis 70° um | gesetzt bei 45° um 245 Uhr
N 245 Uhr nachmittags nachmittags
F:
1 hat entfärbt um 246 Uhr hat entfärbt um 25t Uhr
2 n „ e ZE, e n T a ZIL aw
3 n H TE aa | mn nm mm ZC.
4 n n — * d nm we SE
5 5 n E d 1 ew SZT ajj
6 nm ” E „ n — a
7 D r e 29 „ | nm „ Fi SE 2
8 n n n 2 „ | „ nm "E ,
9 n n w IT: | 1 n ee
10 n n e 2 „ d „ e SÉ a
11 d 1 e GE d d wm SE o
12 n „ Pe | „ mn e. SS: A
13 „ ” „2. | n d "E a
14 mn d — d | „ d d H,
16 d „ me SI. „ „ E an
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daf die Schar-
dinger-Reaktion von der Milch altmilchender Kühe
bei 65 bis 70° schneller gegeben wird als bei 45°.
Tabelle II.
Versuch mit der Milch frischmilchender Kühe.
S | Die Kuh Die Milch wird in Die Milch ist in
S A| hat ge- * Lagun Versuch gesetzt Versuch gesetzt
©5| boren | ausgeführt | bei 65° bis 70° bei 45°
bi * um 92° abends um 920 abends
1
2
Ist entfärbt 926 abends
TE 39 932 pe
Ist entfärbt 101° abends
Entfärbt nicht bis —
nächsten Morgen
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 279
ES Die Milch wird in | Die Milch ist in
f Z Versuch gesetzt Versuch gesetzt
3 bei 65° bis 70° bei 45
gm um 920 abends um 92° abends
3| 19.1. | 10.3. |Hellt auf, aber bleibt|Ist entfärbt 9* abends
hellblau bis z. nächsten
Morgen
4 3. 2. 17. 2. |Ist entfärbt 921 abends| , „ 939 Ss
6 3. 2. 10.3. |, ~ 923 w a ee. -935 s
6 28. 12 17. 2. ap ap 955 TT IT) TE 935 99
71 10.2 17.2. |, vw. 109 ,.,l, vw 939 Ge
8 | 10.2 26.2. |, np 923 » |» vm 928 „
9| 10.2 10.3. |, „ 926 » |» vm 938 ne
10 | 16.2 17.2. |Die Milch hat bis 12%0|Die Milch hat bis 12%
abends nicht eine Spurjabends nioht eine Spur
entfärbt entfärbt
(IR 16.2 20. 2. |Um 112° abends ist die Ist entfärbt 94° abends
untere Hälfte blau, die
obere weiß. Dies bleibt
bis z. nächst. Morgen so
12 | 16. 2. 26.2. |Die Milch ist bis zum| „ » 10%
nächsten Morgen nicht
entfärbt
13 | 16. 2. 10. 3. |Die Milch ist am näch-| „ ja: "AER e
sten Morgen hellblau,
aber nicht entfärbt
l4 | 28. 12. 26.2. |Die Milch ist am nächst.| „, e 94 „
Morgen nicht entfärbt
15 | 12.2. 6.3. |Die Milch ist bis zum| „ — e
nächsten Morgen nicht
entfärbt
Nach dieser Tabelle ist im allgemeinen der Schluß
berechtigt, daß von der untersuchten Milch frisch-
milchender Kühe mit geringen Ausnahmen die Schar-
dinger-Reaktion besser bei einer Temperatur von 45°
als bei einer Temperatur von 65 bis 70° gegeben wurde.
In der Milch frischmilchender Kühe wird der den positiven
Ausfall der Reaktion bedingende Körper bei einer Erhitzung
über 45° anscheinend häufig zerstört. Es muß dies bei An-
stellung der Reaktion berücksichtigt werden und es empfiehlt
sich, die Milch stets bei 45° zu untersuchen, will man den
die Schardinger-Reaktion auslösenden Körper nachweisen.
Für künftige Untersuchungen über den Nachweis des die
Schardinger Reaktion bedingenden Körpers, soweit es sich
hierbei um die Untersuchung über die Natur dieses Körpers
280 K. Schern:
handelt, wird es sich daher empfehlen, die Reaktion zuerst
bei 65 bis 70° anzustellen; zeigt sich hierbei eine Abweichung
von der Norm, so ist der Versuch mit einer anderen Probe
derselben Milch bei 45° zu wiederholen.
Das Temperatur-Optimum für die Anstellung der Reaktion
mit der Milch altmilchender Kühe liegt meist bei 65 bis 70°.
Um das Wesen des das Formalin-Methylenblaugemisch
entfärbenden Körpers näher kennen zu lernen und um zu ent-
scheiden, ob dieser Körper in der Milch präformiert vorhanden
ist, oder ob er später, vielleicht erzeugt durch Bakterien, in
der mit der Außenwelt in Berührung gekommenen Milch auf-
tritt, habe ich Milch steril von der Kuh entnommen. Die
Entnahme aus dem Euter geschah unter anti- und aseptischen
Kautelen mit Hilfe eines Melkröhrchens. Es wurde so stets
die Einzelmilch der verschiedenen Striche erhalten. Ein Teil
der Milch wurde während mehrerer Tage mit den bekannten
Methoden auf Sterilität geprüft und blieb dauernd steril in
dieser Zeit, während mit dem anderen, fast noch die Körpertempe-
ratur aufweisenden, also völlig frisch ermolkenen Teil sofort die
Reaktion angestellt wurde. Hierbei zeigte sich, daß bei der
meisten Milch altmilchender Kühe die Reaktion bei 65 bis 70°
sehr bald, innerhalb weniger Minuten ablief, während die Milch
frischmilchender Kühe meist nicht entfärbte, auch nicht bei
45°. Es mußte also der das Formalin-Methylenblaugemisch
entfärbende Körper oft in der Milch altmilchender Kühe prä-
formiert vorhanden sein, während er meist in der Milch frisch-
milchender Kühe fehlt. Es handelt sich hiernach wahrschein-
lich, wie das auch Trommsdorf (l. c.) angibt, um einen enzym-
artigen Körper in der Milch, der mit Rücksicht auf seine ent-
färbende Eigenschaft als Schardinger-Enzym bezeichnet
werden kann.
Es war bei diesen Untersuchungen der Milch jedes ein-
zelnen Striches eines Euters interessant, festzustellen, daß bei
frischmilchenden Kühen mitunter die Milch von drei Strichen
bei der Reaktion nicht entfärbt, während die Milch des vierten
Striches entfärbt. Auch das Umgekehrte konnte beobachtet
werden. Eine derartige Mischmilch einer Kuh entfärbt aber
trotzdem in der vorgeschriebenen Zeit das Schardinger-Re-
agens. Ebenso war die Zeit bis zum Ablauf der Reaktion bei
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 281
der Milch der einzelnen Striche frischmilchender Kühe oft ver-
schieden lang. Diese Tatsachen habe ich später auch bei nicht
steril entnommenen Einzelstrich-Milchproben bestätigen können.
e) Schlußfolgerungen aus den angestellten Versuchen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen lassen sich kurz
dahin zusammenfassen, daß die Angaben Schardingers be-
treffs seiner Reaktion für Milch, welche in seinem Sinne be-
stätigt und aus denen allgemein geltende Schlüsse gezogen worden
sind, nicht für jede Milch zutreffen. Die Schardinger-Re-
aktion ist nicht in jedem Falle geeignet, über die
„Frische“ oder üher die Hitzedenaturierung oder
über die Verfälschung einer Milch mit Wasser zu
entscheiden.
Was die Anstellung der Reaktion selbst anlangt, so ist es
zweckmäßig, diese im allgemeinen in einem Wasserbad
von 65 bis 70° vorzunehmen, wie es Brand (l. c.) an-
gegeben hat. Verläuft aber die Reaktion bei dieser
Temperatur negativ, so muß der Versuch, sofern man
die Anwesenheit des die Formalin-Methylenblaulösung
entfärbenden Enzyms nachweisen bzw. negieren will,
mit einer anderen Probe derselben Milch im Wasser-
bad bei 45° wiederholt werden.
Fällt die Reaktion auch bei dieser Temperatur negativ
aus, so wird man sagen können, daß das Schardinger- Enzym
in der untersuchten Milch fehlt, im anderen Falle, daß es vor-
handen ist. Diese Verhältnisse müssen genau berücksichtigt
werden.
Die Angaben Schardingers und der anderen, oben be-
reits erwähnten Autoren treffen nur im allgemeinen für
die Milch altmilchender Kühe?) zu. Derartige Milch ent-
färbt das Formalin-Methylenblaugemisch ziemlich schnell in der
bekannten Weise. Aber auch hier kommen scheinbar Aus-
nahmen vor, wie die vorhandene Literatur beweist, wenn auch
diese Angaben, abgesehen von einigen wenigen, mit einer ge-
wissen Reserve zu beurteilen sind; denn keiner der Autoren,
1) „Frischmilchend‘“ und ‚altmilchend‘“ soll in dieser Arbeit nicht
im forensischen Sinne verstanden werden. Es soll damit nur der un-
gefähre Zeitpunkt der Lactation bezeichnet werden.
282 K. Schern:
die sich bis dahin mit der Schardinger-Reaktion be-
schäftigt haben, hat bei seinen Untersuchungen die
Lactationsperiode berücksichtigt, in der sich die Kuh
befand, von der die jeweils untersuchte Milch her-
stammte. Das erscheint zunächst verwunderlich, ist aber er-
klärlich, da die Schardinger- Reaktion bisher ausschließlich
von Ärzten und Chemikern, niemals aber von einem Tierarzt
zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht worden ist. So
erklärt es sich auch, daß Brand (l.c.) den negativen Ausfall
der Schardinger-Reaktion bei einer Kuh, die 221 Milch pro
Tag gab, nicht anders als mit den oben bereits zitierten Worten
zu erklären versucht hat. Und gerade dieser Fall von Brand
hätte vielleicht schon damals Veranlassung zu Untersuchungen
in der von mir eingeschlagenen Richtung geben können.
Abgesehen hiervon aber kommen auch ganz vereinzelt Fälle
vor, in denen die Schardinger-Reaktion sicher negativ aus-
fällt, ohne daß hierfür gerade die Lactationsperiode stets mit
Sicherheit verantwortlich gemacht werden kann. Diese Tat-
sachen bedürfen noch einer weiteren Klärung, wenn sie auch
bei der Beurteilung der ganzen Frage kaum jemals von weit-
tragender Bedeutung sein werden.
Ein ganz exzeptionelles Verhalten gegenüber der Schar-
dinger-Reaktion zeigt die Milch solcher Kühe, welche vor
nicht langer Zeit gekalbt haben. Die Colostralmilch soll hierbei
ausgeschlossen sein. In der Regel gibt die frische, nicht
mit Wasser verdünnte und nicht erhitzte Milch von
solchen Kühen, welche vor einigen Tagen oder vor
einigen Wochen geboren haben, die Schardinger-Reak-
tion nicht. Es könnte daher der negative Ausfall der Reaktion
bei solcher Milch, zieht man die bisher und zwar wieder in aller-
letzter Zeit in der Literatur aufgezeichneten Angaben in Betracht,
nach diesen zu bedauerlichen Irrtümern Veranlassung geben.
Deshalb ist die Schardinger-Reaktion überhaupt
nicht geeignet, ohne weiteres über die Qualität einer
Milch Aufschluß zu geben. Die Reaktion ist vom prakti-
schen Standpunkt aus in der Hinsicht, daß sie eine Hitze-
denaturierung der Milch oder eine Verfälschung derselben mit
Wasser nachweisen soll, mit allergrößter Vorsicht, z. B. bei
einer Milchkontrolle, anzuwenden.
Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 283
Die Milch in der allerersten Zeit nach der Geburt, also
das makroskopisch als Colostralmilch erkennbare Eutersekret,
hat bezüglich der Schardinger-Reaktion bei meinen Unter-
suchungen ein verschiedenes Verhalten gezeigt. Mitunter ist
das die Formalin-Methylenblaulösung entfärbende Enzym in
dieser Milch vorhanden gewesen, manchmal hat es gefehlt,
wohingegen es jedoch stets einige Tage nach der Geburt des
Kalbes nicht nachzuweisen gewesen ist. Hierbei ist bemerkens-
wert, daß das Schardinger-Enzym in der Milch der Kühe,
an deren Euter ein Kalb gesaugt, auffallend spät und
ziemlich lange nach der Geburt im Verhältnis zu der Milch
der Kühe nachzuweisen war, an deren Euter ein Kalb nicht
gesaugt hat. In den letzteren Fällen war stets das Enzym
ziemlich früh nach der Geburt in der Milch vorhanden. Diese
Tatsachen bedürfen jedoch noch weiterer Klärung.
Hinsichtlich der Milch euterkranker Kühe kann in allen
Punkten ein abschließendes Urteil über die Schardinger-Re-
aktion nicht gegeben werden. Es wurde ein Fall beobachtet,
bei dem die Milch eines erkrankten Striches die Schardinger-
Reaktion überhaupt nicht gegeben hat, sobald man den serum-
ähnlichen Teil des Eutersekretes zur Reaktion benutzte, wohin-
gegen der mit dichten Flocken und Gerinnseln durchsetzte Teil
des Sekretes die Reaktion prompt gab.
Die Schardinger-Reaktion wird jedenfalls durch ein
Enzym bedingt, wofür die Befunde sprechen, welche man an
ganz frischer, noch fast die Körperwärme aufweisender, steril
ermolkener Kuhmilch erheben kann.
Ohne die näheren Einzelheiten der festgestellten Tat-
sachen in Betracht zu ziehen, ist man berechtigt zu sagen:
1. Die frische Milch „altmilchender Kühe“ ent-
färbt in der allergrößten Mehrzahl der Fälle
das Formalin-Methylenblaugemisch nach der
Angabe Schardingers.
2. Die frische Milch „frischmilchender Kühe“ ent-
färbt das Formalin-Methylenblaugemisch nicht
im Sinne der Angaben Schardingers und der
anderen Autoren. Dies ist namentlich dann zu be-
achten, wenn ein Kalb längere Zeit am Euter der
fraglichen Kuh saugt, bzw. gesaugt hat.
284 K. Schern: Über die Sohardinger-Reaktion der Milch.
3. DieMengedesdieFormalin-Methylenblaulösung
entfärbenden und sich in der Milch einer frisch-
milchenden Kuh zeigenden Enzyms — aus-
schließlich der Colostralmilch — steigt im
gleichen Verhältnis mit der zeitlichen Ent-
fernung vom Termin des Partus der Kuh all-
mählich zur Norm an.
Anmerkung.
Koning hat in seinen „biologischen und biochemischen
Studien über Milch“ (Leipzig 1908) auch ähnliche Tatsachen
wie die vorstehenden veröffentlicht. Konings Studien sind
mir erst nach Fertigstellung meiner Arbeit bekannt geworden,
weshalb sie in der Literatur nicht berücksichtigt werden konnten.
Koning hat seine Untersuchungen in etwas anderer Weise an-
gestellt als ich. Vor allen Dingen fehlen bei ihm die systema-
tischen Untersuchungen über das auffällige Verhalten der
Milch frischmilchender Kühe gegenüber der Schardinger-
Reaktion. Dem Saugen oder Nichtsaugen am Euter der Kuh
mißt er scheinbar keine Bedeutung bei. Gerade diesen Punkt
halte ich für sehr wichtig. Im allgemeinen aber darf ich an-
nehmen, daß Koning schon einige Feststellungen meiner
Arbeit durch seine Beobachtungen bestätigt hat.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind von mir bereits für die
praktische Veterinärmedizin zur Erkennung des „Frisch-
milchendseins‘ der Kühe im forensischen Sinne verwertet
worden. Die diesbezügliche Veröffentlichung erfolgt demnächst
in den Monatsheften für praktische . Tierheilkunde.
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben.
Von
A. Pagenstecher.
(Aus der med. Universitäts-Poliklinik zu Heidelberg.)
(Eingegangen am 29. April 1909.)
Die Anwesenheit von fettspaltenden Fermenten im Darm-
tractus ist schon lange festgestellt, neu dagegen und bislang
nur in geringerem Maße durchgeführt sind Untersuchungen über
das Vorkommen fettspaltender Elemente in den Geweben des
Körpers.
Eine größere Bedeutung wird erst neuerdings diesen Lipasen
zugemessen, seitdem sich gewisse Analogien zwischen dem Ge-
halt der Immunsera an Lipasen und den Immunkörpern ge-
funden haben, wie dies aus den Arbeiten von Neuberg und
Reicher!) und Neuberg und Rosenberg?) hervorging. Neu-
berg und seine Mitarbeiter konnten damals feststellen, daß
alle die von ihnen untersuchten Immunsersa imstande waren,
Fette zu spalten, und es lag danach der Gedanke nahe, auch
Organpreßsaft auf seinen Gehalt an Lipasen zu prüfen. Dieser
Gedanke hatte um so mehr verlockendes für sich, als nach den
Untersuchungen von Korschun und Morgenroth?) einer
Reihe von Organextrakten eine sehr erhebliche hämolytische
Wirkung zukommt, wenn sich auch dieselbe in der Art ihres
Zustandekommens in wesentlichen Punkten von der Hämolyse
durch Immunsera unterscheidet. Es mag gleich hier hervor-
gehoben werden, daß diese Untersuchungen, die ich auf Ver-
anlassung von Lefmann vornahm, auch mit Rücksicht darauf
1) Diese Zeitschr. 4, 281, 1907; Münch. med. Wochenschr. 1907, 35.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1907, 44, 54.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1902, Nr. 37.
286 A. Pagenstecher:
stattgefunden haben, daß sich gewisse Ausblicke eröffneten
für das Vorkommen und die Verteilung der Immunkörper,
wenn es gelänge, nachzuweisen, daß der Gehalt eines Organs
an Lipasen und an Immunkörpern stes parallel geht oder
gar, daß mit dem Auftreten von Lipasen in einem Organ
sich Immunkörper in demselben nachweisen ließen. Ehe man
aber zu hierauf gerichteten Untersuchungen überging, mußte
man sich erst über das Vorkommen von Lipasen in normalen
Organen orientieren, und ich ging deshalb so vor, daß ich zu-
nächst den Lipasengehalt der wichtigsten Organe an leicht zu-
gänglichem Material bestimmte. Anfänglich benutzte ich die
verschiedenen Organe des Rindes, Hammels und Schweines.
Da sich aber dabei herausstellte, daß nicht nur die gleichen
Organe verschiedener Tiergattungen Differenzen untereinander
zeigten, sondern auch die gleichen Organe der gleichen Tier-
gattung so verschieden untereinander hinsichtlich ihres Gehaltes
an Lipasen waren, daß dadurch die Einheitlichkeit und die Über-
sichtlichkeit der Versuche ungeheuer beeinträchtigt wurde, so
beschränkte ich mich zunächst darauf, eine größere Versuchs-
reihe unter Verwendung der verschiedenen Organe desselben
Tieres aufzustellen und wählte zu diesem Zwecke aus äußeren
Gründen die Organe des Rindes.
Die Anordnung der Versuche war, abgesehen von einigen in ein-
zelnen Fällen sich ergebenden Änderunzen, stets die gleiche. Das be-
treffende Organ wurde in der Fleischhackmaschine sorgfältig zerkleinert,
eine bestimmte Menge, gewöhnlich waren es 200 g, abgewogen und zu
gleichen Teilen mit Kochsalzlösung versetzt. Um Fäulnis zu verhindern,
wurden zu dieser Mischung 5 ccm Toluol zugesetzt. Dieselbe wurde
dann auf der Schüttelmaschine ca. 24 Stunden digeriert und durch ein
mittelgrobes Leintuch hindurchgepreßt. Von dem auf diese Weise ge-
wonnenen Preßsaft wurden je 20 ocm in Meßkolben von 150 ocm
Inhalt gebracht; auf diese Weise wurden acht Kolben mit PreBeaft ver-
sehen und zu diesen jeweils 5 com Toluol zugesetzt. Die weitere Be-
handlung war darnach verschieden. Während zwei Kolben ohne weiteren
Zusatz blieben, wurde zwei anderen IOcem Olivenöl zugesetzt. Zwei weitere
erhielten einen Zusatz von 25 ccm einer Emulsion von 2 Gelbeiern mit
50 ccm Kochsalzlösung. Den beiden letzten Kolben wurde je 1 com
Monobutyrin zugesetzt. Jeweils eine von diesen zwei Proben wurde im
Wasserbade sofort gekocht. dann auf Eis gestellt und abgekühlt, die
andere wurde nach 24stündigem Aufenthalt im Brutschranke demselben
Verfahren unterworfen. Beide Proben wurden dann auf 150 ocm mit
destilliertem Wasser aufgefüllt, filtriert und mit einer Pipette je 50 ocm
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 287
jeder Probe entnommen. Diese 50 com wurden dann mit Phenolphthal-
einlösung titriert, um ihren Säuregehalt festzustellen. Die Differenz
zwischen den direkt nach dem Kochen gefundenen Werten und den nach
24stündigem Brutschrankaufenthalt ermittelten ergab die Säureverschie-
bung — Zu- oder Abnahme — für 50 oom. Für die Gesamtmengen —
150 ccm — mußte man also das Dreifache rechnen. In einer zweiten
Versuchsreihe wurde dann der Versuch gemacht, das Ferment zu iso-
lieren. Zu diesem Zwecke wurde der durch das angegebene Verfahren
gewonnene Preßsaft zu gleichen Teilen mit absolutem Alkohol versetzt
und unter der Saugpumpe bis nahe zur Trockne von der suspendierten
Flüssigkeit abgesogen. Diese getrocknete Masse wurde mit Kochsalz-
lösung versetzt, entsprechend der Hälfte des verwendeten Preßsaftes, und
unter Zusatz von weiteren 5 ccm Toluol 24 Stunden auf der Schüttel-
maschine digeriert. Das so gewonnene Produkt wurde durch ein
Faltenfilter filtriert und 20 ocm des klaren Filtrates in Kolben zu
150 com in folgender Weise weiter verarbeitet. Zu dem Filtrat wurden
zunächst je 5 ccm Toluol gesetzt. Ein Kolben wurde ohne Zusatz ge-
kocht, aufgefüllt und filtriert, um die Säuremenge festzustellen. Drei
weiteren Kolben wurden 25 ccm einer Emulsion von 3 Gelbeiern mit
750cm Kochsalzlösung zugesetzt. Zwei von diesen Kolben wurden sofort
gekocht, der eine sofort weiter verarbeitet und titriert, der andere kam
mit dem dritten, nicht gekochten, auf den Brutschrank und verblieb
dort 24 Stunden. Nach dieser Zeit wurde bei diesen die Säuremenge
bestimmt. Die Differenz zwischen den Säuremengen des ersten und dritten
Kolbens ergab die Säurevermehrung. Zu den beiden letzten Kolben wurde
Leem Monobutyrin zugesetzt, der eine sofort gekocht, der andere nach
24stündigem Verweilen im Brutschrank. Die Säuremengen wurden fest-
gestellt, die Differenz berechnet.
Nach Beendigung dieser Untersuchungen kam es uns darauf
an, das Verhältnis der mittleren Fettspaltung zur Trockensubstanz
der einzelnen Organe festzustellen. Zu diesem Zwecke machten
wir eine Anzahl genauer Trockensubstanzbestimmungen von je
10 g eines Organs.
Gehen wir jetzt zu den Ergebnissen der nach den oben
ausgeführten Gesichtspunkten gemachten Untersuchungen, und
zwar zunächst bei der Milz, über, so ergibt sich folgendes:
Milz. | Ä |
20 com Preßsaft + 5 ccm
Toluol, sofortgekochtund
tient... . — | 5,98
— — — — —— — — — — — — — —
Dasselbe nach 24stündigem |
Verweilen auf dem Brut-
schrank `, . .
6,98 | 9,48 | 11,62 | 13,02 | 10,74
— | — |-192|+1,68|48,22|—4,35
288 A. Pagenstecher:
20 ccm Preßsaft 4 5 ccm
Toluol + 10 ccm Oliven-
öl sofort gekocht und
titriert . ... E 9,00 | 4,98 | 4,62 | 5,58 | 5,52 | 9,36
_ Dasselbe nach 24stündigem
Verweilen auf dem Brut-
schrank... . 2... 10,8 7,32 | 12,30 | 8,58 | 13,56 | 18,42
Differenz 222... + 1,8 |+ 3,34|4 7,68| + 3,0 |+ 8,04|+ 9,06
20 ccm Preßsaft + 5 ccm
Toluol + 25 ccm Gelbei-
emulsion, sofort gekocht
und titriert . 2... . 7,5 | 7,44 | 5,64 | 2,76 | 6,42! 10,92
_ Dasselbe nach 24stündigem
Verweilen auf dem Brut-
schrank . e 13,32 | 15,18 | 14,34 | 15,18 | 16,98 | 15,90
Differenz . 2.2.2... |+- 5,82|+ 7,74|+ 8,70/+12,42+10,56.- 4,98
20 ccm Preßsaft + 5 ccm
Toluol 4 1 ccm Mono-
butyrin, sofort gekocht
und titriertt . . . ... 10,38
Dasselbe nach 24 stündigem |
Verweilen auf dem Brut-
schrank A 43,80 |
Differenz . 2 2 22... |+33,42| | | | |
Aus dieser Tabelle geht hervor, daB eine Abspaltung von
Fettsäuren aus den verwendeten Fetten eingetreten ist. Während
ohne Zusatz der Fette eine Säurevermehrung nur in ganz ge-
ringem Maße stattfindet (durchschnittlich +- 0,726 ccm), trat
eine Vermehrung des Säuregehaltes bei Anwesenheit von Fetten
ein und zwar ergab sich bei Anwesenheit von Öl eine Säuremenge
entsprechend 5,33 ccm, bei Anwesenheit von Eigelb eine Säure-
menge entsprechend 8,02 ccm einer ?/ „-Natronlauge. Monobutyrin
zeigte eine Vermehrung von 33,42 ccm Säure. Diese Spaltung ist
wohl ausschließlich den Fermenten zuzuschreiben, zumal uns die
Isolierung des Fermentes gelang. Die Versuche wurden auf die
‚oben beschriebene Art gemacht. Der filtrierte Kochsalzextrakt
des mit Alkohol gefällten Milzsaftes ergab folgendes Resultat:
20 ccm des gekochten Milzsaftes ergeben eine Säuremenge von
0,32 com.
Drei Kolben wurden mit je 20 ccm Saft und 25 com Eigelbkoch-
salzemulsion beschickt. Der eine Kolben wurde sofort gekocht und
aufgefüllt. Es ergab sich eine Acidität von 0,5 com; ein anderer
gekocht und in den Brutschrank gestellt, ergab 0,56 ccm, dagegen
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 289
ergab der dritte Kolben, der nach der Brutschrankbehandlung gekocht
wurde, 0,82 oom. Zwischen dem Titrationsergebnis des ersten und dritten
Kolbens besteht demnach, auf 150 ocm berechnet, eine Differenz von
0,78 com, eine Säurevermehrung, die der Fermentwirkung zuzuschreiben
ist. Eine zweite Versuchsreihe ergab vor der Brutschrankbehandlung
0,64 com, nachher 1,02 com, also eine Säurevermehrung von 1,14 ocm.
Der Nachweis einer fermentativen Spaltung dürfte damit erbracht
sein. Noch deutlicher wird dieselbe bei Verwendung von Monobutyrin,
obwohl dabei anscheinend die Mengen des isolierten Fermentes stark
schwanken, wie aus den folgenden Zahlen hervorgeht. In dem einen
Versuch ergab sich eine Säurevermehrung von 0,6 ccm (1,48 ccm vor,
1,68 ccm nach dem Brutschrank), im anderen Falle 3,75 ecm (1,68 com
vor, 2,93 ocm nach dem Brutschrank).
Daß in der Leber fettspaltende Fermente vorkommen, war
bekannt; die folgenden Bestimmungen wurden hauptsächlich zu
Vergleichszwecken vorgenommen.
Die Bestimmungen wurden von sechs verschiedenen Rinderlebern
gemacht, und zwar in gleicher Weise wie bei der Milz. Zwei Kolben
wurden mit 20 com Lebersaft, zwei weitere mit Lebersaft und Öl, zwei
mit 25 ccm Gelbeiemulsion, die letzten endlich mit Monobutyrin versetzt.
Die Einzelresultate sind folgende:
Leber. |
20 com Preßsaft + 5 com
Toluol, sofort gekocht
und titriert . . .... 5,28 | 5,22 | 6,40 | 8,60 | 4,72 | 4,86
Dasselbe nach 24stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank . . . . .. . 5,64 | 6,12 | 23,84 | 8,72 | 3,96 | 6,06
Differenz . . ...... |+ 0,364 0,90|+17,44|+ 0,12! — 0,76|+ 1,20
20 com Preßsaft + 5 ccm
Toluol + 10 com Oliven-
öl, sofort gekocht und
titriett . ee 5,40 | 4,86 | 6,36 | 6,36 | 5,76 | 4,32
Dasselbe nach 24 stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank... ..... 7,02 | 7,50 | 27,30 | 8,10 | 85,82 | 6,57
Differenz . . ...... + 1,624 2,64|+20,94|+ 1,74 4 0,06|+ 2,25
20 ccm Preßsaft + 5 ocm
Toluol + 25ccm Gelbei-
emulsion, sofort gekocht
und titriertt . . .... 3,24 | 7,32 | 6,78 | 24,00 | 6,24, 6,54
Dasselbe nach 24 stündi-
gem Verweilen im Brut-
6,96 | 19,80 | 61,98 | 61,20 | 14,52 | 18,39
+ 3,72|+12,48|455,20|437,20j+ 8,28|+11,86
Biochemische Zeitschrift Band 18. 19
290 A. Pagenstecher:
20 com Preßeaft + 5 com |
Toluol + 1 com Mono- |
butyrin, sofort gekocht
und titriertt `, . .... 17,10
Dasselbe nach 24 stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank `, . .. 2... 27
Bei der Betrachtung dieser Tabelle ergibt sich als Durch-
schnittszahl:
für Leber ohne Zusatz . . . 3,23 Säurevermehrung,
e „ mi O . . . . 4,885 S
a nu „ Gelbeiemulsion 21,455 5
a i vn Monobutyrin . 10,74 a
Bei der Betrachtung der Tabelle fällt zunächst auf, eine
wie große Differenz zwischen den Lebern der verschiedenen
Tiere herrscht. Nur daraus erklärt sich die geringe Spaltung,
die das an sich am leichtesten spaltbare Monobutyrin erlitt.
Es war eben eine Leber, die an sich wenig Ferment enthielt.
Eine größere Menge von Monobutyrinversuchen unterblieb aus
äußeren Rücksichten. Auf den Vergleich der Durchnittssäure-
mengen wollen wir am Schluß der Arbeit eingehen. Nur sei
hier noch hervorgehoben, daß, wie schon erwähnt, Ver-
suche mit Leberextrakten schon früher angestellt wurden und
zwar von Kastle und Loewenhart!), die Leberextrakte ver-
schiedener Tiere mit Äthylessigester erfolgreich zu spalten ver-
mochten. Weitere Versuche wurden von Nencki und seinem
Schüler Lydie?) mit Leberbrei und Salol, resp. Tribenzoin mit
Erfolg gemacht. Den theoretischen Schluß, den Nencki hierbei
zog, daß alle Gewebe unter Umständen fettspaltende Eigen-
schaften haben, hoffen wir im weiteren Verlaufe unserer Unter-
suchung experimentell beweisen zu können.
Was die Isolierung des Leberfermentes anlangt, so gingen
wir dabei in derselben Weise vor, wie bei der Milz. Da es
sich hier um eine größere Versuchsreihe handelt, lassen wir die
Tabelle folgen.
1) Chem. News 83, 64, 1901.
2) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 20, 367.
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 291
20 ocm Filtrat + 5 ccm
Toluol, direkt gekocht
|
und titriert TE, 1,80 be? 0,9
|
-l-
20 ccm Filtrat + 5 com |
Toluol + 25 ccm Eigelb-
emulsion, gekocht und
titriert . ..... Së 318 | 2,34 | 2,34 | 3,30 | 3,00 | 1,68
Dasselbe nach 24stündi- | 5
gem Verweilen im Brut- |
schrank gekocht und ti-
triert er 3,18 | 8,14 | 2,52 | 4,92 | 3,90 | 2,16
Differenz . ....... | o |+ 5,70. + 0,1814 Lol 0,9014 0,48
20 com Filtrat + 5 com
Toluol + 1 com Mono-
butyrin, sofort gekocht
und titriertt . . . .. . 6,76 | |
Dasselbe nach 24stündi- | |
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
trieft . . - 2 2 2 2020. 6,06
Differenz . . ...... -+ 0,30 | | | |
Nach dieser Tabelle wurde also in fünf von sechs Fällen eine Fett-
spaltung, eine Säurevermehrung durch das gewonnene Ferment erzielt,
nur in einem Falle kam keine Spaltung zustande. Der mittlere Säure-
vermehrungswert betrug 1,48. Die geringe Säurevermehrung, die die
Spaltung des Monobutyrins anzeigte, ist wohl darauf zurückzuführen,
daß es in diesem Falle zu einer Spaltung überhaupt nicht kam.
Wenden wir uns nun den mit Muskelfleisch vom Rinde
angestellten Versuchen zu, so ist hier, wie aus der Tabelle hervor-
geht, nicht überall die Aciditätsvermehrung eingetreten.
Nachstehend die Tabelle:
20 ccm Preßeaft 4 5 oom
Toluol sofort gekocht und
Gtriert . e soc uas 8,70
Dasselbe nach 24stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
triett. `, 2.2000. 8,88 | 5,76 | 6,08 | 8,32 | 7,44 | 7,68
DECHE -O. is - o. i2 2,48| + 1,28|— 0,44|— 0,72
19*
Fleisch. | |
6,88 ase | 7,04 | 7,88 | 8,40
292 A. Pagenstecher:
20 ccm Preßsaft -+ 5 ccm
Toluol 4 10 com Olivenöl
sofortgekochtund titriert | 8,34 | 6,00 | 3,06 | 8,82 | 9,54 | 9,36
Dasselbe nach 24stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
o a ege es 9,90 | 9,00 | 3,06 9,30 | 9,00
ee ee + 1,564 3,00| — |+ 0,84!— 0,24|— 0,36
20 ccm Preßsaft + 5 com
Toluol + 25 com Gelbei-
emulsion sofort gekocht
und titriert .. .. . . 8.64 | 6,24 | 9,66 | 6,72 | 7,26 | 8,82
Dasselbe nach 24stündi- | | | |
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
triert. ee 13,92 | 6,12 | 9,30 | 9,66 | 14,28 | 9,30
+ 5,28|— 0,12|— 0,364 2,944 7,02|+ 0,48
20 ccm Preßsaft + 5 ccm
Toluol +- 1 oom Mono-
butyrin sofort gekocht
und titriert. ..... 9,24
Dasselbe nach 24stündi- | |
gem Verweilen im Brut- |
schrank gekocht und ti- |
triert. - - .» 2 as.. «| 12,00 | ol Jo O
Differenz ........ | Has I poo + 2,76] | | |
Aus dieser Tabelle geht hervor, daß zunächst eine Aciditäts-
vermehrung des Fleischsaftes allein nach Brutschrankaufenthalt
nicht zu beobachten war. Im Gegenteil fand in vier von sechs
Fällen eine Verminderung statt. Nach Zusatz von Olivenöl fand eine
Säurevermehrung in drei von sechs Fällen statt. Einmal blieben
die Säureverhältnisse nach Olivenölzusatz trotz Brutschrankaufent-
halts gleich. Zweimal nahm die Säure nach Brutschrankaufent-
halt ab gegenüber den vorher gemachten Bestimmungen. Ein
ähnlich wechselndes Verhältnis zeigt sich auch bei den mit
Gelbeiemulsion versetzten Proben: hier war in vier von sechs
Fällen eine Säurezunahme zu beobachten, in zweien eine Säure-
verminderung. Es liegen hier kompliziertere Verhältnisse vor
als bei anderen Organen, hauptsächlich wohl wegen der im
Mus\elpreßsaft stattfindenden Milchsäurebildung, welche die
Deutung der Untersuchungsergebnisse wesentlich erschwert. Es
soll deshalb hier nur noch betont werden, daß eine eigentliche
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 293
Isolierung des Fermentes ebenfalls nur für Monobutyrin gelang.
Für 1 com Monobutyringehalt betrug die Säurevermehrung
1,68 ccm nach Brutschrankaufenthalt.
Auch Nencki und seinen Schülern gelang der Nachweis
des fettspaltenden Fermentes im Muskelpreßsaft mit Mono-
butyrin und Athylessigester.
An die Versuche mit Fleischpreßsaft schlossen sich solche
mit Nierenpreßsaft an. Betrachten wir zunächst die Tabelle:
Niere. |
20 com Preßsaft + 5 com
Toluol gekocht und ti-
tito e a a ere 4,74 | 1,08 | 2,92 | 3,78 | 3,18 | 3,60
Dasselbe nach 24stündi- | |
gem Aufenthalt im Brut- | |
schrank gekocht und ti-
triert. ..... n.. 4,44 | 3,48 | 4,24 | 4,14 | 3,96 | 4,62
+ Beem
Toluol + 100cm Olivenöl
gekocht und titriert . .
Dasselbe nach 24stündi-
gem Aufenthalt im Brut-
schrank gekocht und ti-
triert. .. 2 2 20.00] 3,68 | 3,54 | 6,48 | 6,54 | 4,32 | 4,68
OO 0,12|+ 2,86|+ 2,58|+ 0,5414 1,74
3,66
3,62
20 com Preßsaft + 5 oom
Toluol +4 25 oom Gelbei-
emulsion gekocht und ti-
triert. . .. 2%. 0.00%
Dasselbe nach 24stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
triert. 2 2 2% 2.00% 4,92 | 13,50 | 13,98 | 6,18 | 9,78 | 7,86
— 0,54|+ 6,12|+10,26|-- 2,40|4 6,044 3,96
6,46 | 7,38 | 3,72 | 3,78 | 4,74 | 3,90
gé?
Dasselbe nach 24stündi-
gem Aufenthalt im Brut-
schrank gekocht und ti-
iert een 28,62 |
Differenz . . ...... | | |+20,64!
294 A. Pagenstocher:
Die Durchschnittswerte, die sich aus diesen sechs Werten
ergeben, sind folgende: Für Nierensaft ohne Zusatz 0,9, für
Nierensaft mit Öl 1,27, für Nierensaft mit Ei 4,66, für Nieren-
saft mit Monobutyrin 20,64. Auffallend ist hierbei die ver-
hältnismäßig große Aciditätsvermehrung ohne den Zusatz von
Fetten. Sie ist also, wenn man die Wirkung des Fermentes
betrachten will, in Abzug zu bringen. Immerhin bleibt doch
noch eine genügende Spaltung, besonders für Eigelb, am meisten
aber für Monobutyrin übrig, um auf die Anwesenheit eines
fettspaltenden Fermentes schließen zu können. Spaltungen
von Monobutyrinlösungen mit auf ähnliche Weise gewonnenem
Nierensaft sind schon früher, aber nicht mit so erheblichem
Erfolge, vorgenommen worden.?!)
Versuche, das Ferment zu isolieren, sind bisher noch nicht
gemacht worden. Unsere diesbezüglichen Versuche bei drei
verschiedenen Nieren nach der oben angegebenen Methode
Gelbeiemulsion zu spalten, erzielten folgendes Ergebnis: 20 ccm
Saft + 5 com Toluol + 25 com Gelbeiemulsion gekocht und
titriert 1,92, 1,56, 2,22 oom Natronlauge. Dasselbe nach 24-
stündigem Verweilen im Brutschrank gekocht und titriert 2,3,
1,82, 3,36. Differenz: 0,42, 0,36, 1,14. Im Durchschnitt also
eine Säurezunahme von 0,64. Einen weiteren Versuch setzten
wir mit Monobutyrin an, es ergab sich eine Spaltung von 0,44
(1,50, 1,94). Danach läßt sich also eine Isolierung des Fer-
mentes annehmen.
Als fünftes Organ untersuchten wir das Hirn des Rindes.
Auch hier war, wie die Tabelle zeigt, eine fermentative Wirkung
des Organpreßsaftes auf Fette nachzuweisen.
Hirn. | | |
20 com Preßsaft + 5 com |
Toluol sofort gekocht und
titriert . 2 2 200. 252 | 2,68 | 1,82 | 2,70 | 3,00 | 6,84
Dasselbe nach 24stündi- |
gem Aufenthalt im Brut-
schrank gekocht und ti-
triert. er AC ée 3,66 | 2,60 | 2,12 | 3,84 | 3,30 | 3,06
+ 1,18|— 0,08|+ 0,30|+ 1,14|+ 0,30|— 3,78
1) Garnier, Compt. rend., 25 juillet 1902, 04. — Battesti und
Barreia, Compt. rend., 16 juin 1903, 820.
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 295
3,00 | 3,84 | 3,54
p
20 com Preßsaft 4 5 ocm
Toluol + 10 oom Öl sofort
gekocht und titriert . . | 2,88
3,18 | 2,64
Dasselbe nach 24stündi-
gem Aufenthalt im Brut- |
schrank gekocht und ti-
triert. ... E E 3,60 | 3,72 | 1,62 | 5,28 | 4,38 | 4,02
DEENEN 0,72|+ 0,54|— 1,0214 2,28|+ 0,5414 0,48
20 ocm Preßsaft + 5 oom
Toluol + 25 eem Gelbei- |
1,26 | 3,78
emulsion sofort gekocht
und titriett .. .. . .
Dasselbe nach 24stündi- |
schrank gekocht und ti-
triert. . 22200. 4,02 | 7,50 | 5,82 11,10 | 6,96 | 6,04
+ 0,9814 4,204 2,404 4,504 4,70|4 4,26
3,06 | 3,30
3,42 | 6,60
NW
gem Aufenthalt im Brut-
20 com Preßsaft + 5 ccm
Toluol + 1 ccm Mono-
butyrin sofort gekocht |
und titriet . . .. . 3,42 |
“Daseolbe much Dastündi | | | |
gem Aufenthalt im Brut- | | |
schrank gekocht und ti- | |
tert... E EEN 10,14 | | Ä | |
Differenz . . 2.2.2... D 6,72 | | | |
Die Durchschnittswerte, die sich aus dieser Tabelle ergeben,
sind folgende: Hirnsaft allein — [0,153], Hirnsaft mit Öl 0,69,
Hirnsaft mit Gelbeiemulsion 3,50, Hirnsaft mit Monobutyrin
6,72. Diese Säurevermehrung in den im Brutschrank gehaltenen
Preßsäften ist wohl allein auf die Wirkung des fettspaltenden
Fermentes zurückzuführen; eine Säurevermehrung in den nicht
im Brutschrank gehaltenen Preßsäften kommt zwar vor, ist
aber so minimal, daß sie nicht in Betracht gezogen zu werden
braucht. Über das Vorkommen von Lipasen im Gehirn ist bisher
nichte bekannt. Die Isolierung gelang uns nicht. Allerdings
setzten wir nur zwei Versuche an, einen mit Ei, den andern mit
Monobutyrin, aber in beiden war die Säurevermehrung so schwach
(Ei 1,62, 1,92, Differenz 0,30; Monobutyrin 1,94, 2,28, Differenz
0,34), daß sich bindende Schlüsse daraus nicht ziehen lassen.
Schließlich wurde noch der Lungenpreßsaft des Rindes
untersucht; die Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammen-
gestellt.
296 A. Pagenstecher:
Lungen.
20 com Preßsaft + 5 ccm
Toluol direkt gekocht und
titriett . . 2 2200 2,46 | 2,40 | 2,72 | 2,34 | 2,16 | 2,88
Dasselbe nach 21stündi-
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
trioto o c e ae a 3,06 | 3,78 | 1,92 | 2,58 | 3,06 | 3,72
E Br eat + 0,80|-+ 1,38|— 0,80|+ 0,244 0,9 |+ 0,56
20 ccm Preßsaft 8 com
Toluol + 10 com Öl sofort
gekocht und titriert . . 3,12 | 2,70 | 2,64 | 2,88
Dasselbe nach 24stündi- |
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti- | |
Hiert. 4,02 | 3,12 | 2,88 | 4,14 3,42 | 3,18
20 ccm Preßsaft -+ Beem
Toluol + 25 ccm Gelbei-
emulsion gekocht und ti-
triert. - >» 2 2 2 20 3,48 | 2,82 | 4,08 | 2,82 | 3,36 | 3,60
Dasselbe nach 24stündi- |
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti- |
trierb u. an 4,62 | 5,70 | 13,08 | 7,80 | 3,30 | 3,12
+ 1,14|+ 2,88|+ 9,00+ 4,98|— 0,06|— 0,48
20 com Preßsaft + 5 ccm
Toluol + 1 com Mono-
butyrin sofort gekocht
und titriertt . . . ... 2,58 | |
Dasselbe nach 24stündi- | J—
gem Verweilen im Brut-
schrank gekocht und ti-
tritt - , 2 2 2 2 20. 12,42
Differenz . ....... | |+ 9,84) | | | E
Als Durchschnittswerte ergeben sich aus dieser Tabelle:
Lungensaft 0,96 ccm, Lungensaft mit Öl 1,46 ccm, Lungen-
saft mit Gelbeiemulsion 2,92 com, Lungensaft mit Monobutyrin
9,84 ccm Säurevermehrung.
Danach fand auch nach Zusatz von Lungensaft zu Fetten
eine Säurevermehrung statt.
Auffallende Ergebnisse zeigte der Versuch, das Ferment
zu isolieren. Während die drei angesetzten Gelbeiproben ein
positives Ergebnis zeigten (eine Säurevermehrung von 0,66;
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 297
0,60; 0,30), verliefen die Spaltungen mit dem sonst am leich-
testen spaltbaren Monobutyrin negativ (— 1,20 und — 0,54 ccm).
Ein Grund für diese auffallende Tatsache läßt sich nicht finden.
Die Isolierung des Fermentes ist als nicht gelungen zu be-
trachten.
Es sollen hier noch kurz einige Kontrollversuche Er-
wähnung finden. Dieselben wurden in der Weise angestellt,
daß eine Anzahl Kolben nur mit dem Saft des betreffenden
Organes beschickt wurden, die eine Hälfte der Kolben wurde
sofort gekocht, die andere im DBrutschrank weiter be-
handelt. Es ergaben sich bei den verschiedenen Organen be-
friedigende Resultate. Die verschiedene Anzahl der Versuche
erklärt sich daraus, daß mit Rücksicht auf das vorhan-
dene Material gearbeitet werden mußte. Bei der Milz miß-
langen die Versuche im Anfang, da durch den Übergang von
Blutfarbstoff in das Filtrat eine Rotfärbung entstand, die die
Titration mit Phenophthalein sehr erschwerte. Die Versuche
gelangen erst, als man durch Zusatz von 10 ccm einer Sa
Oxalsäure eine genügende Fällung zu erreichen vermochte.
Bei der Milz umfaßte die erste Versuchsreihe drei Parallel-
versuche. Es ergab sich:
1. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
8,34, 8,70, 8,16. 12,00, 12,00, 11,88.
2. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
10,32, 10,02, 9,24, 10,68. 12,48, 12,12, 11,94, 11,24.
Die Resultate stimmen so gut überein, daß die Berech-
nung eines Mittels unnötig ist.
Bei der Leber ergaben sioh folgende Resultate:
1. Versuchsreihbe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
5,16, 4,98, 5,46. 8,04, 7,44, 7,74.
2. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
4,80, 4,86, 3,78, 5,04. 5,52, 5,70, 5,40 5,64.
Auch hier ergibt sich eine Übereinstimmung.
298 A. Pagenstecher:
Die Ergebnisse mit Fleischpreßsaft waren folgende. Die
Titration der fast wasserklaren Lösung war hier am leichtesten
ausführbar.
1. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
8,46, 8,46, 7,92. 8,16, 9,24, 9,00.
2. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
8,23, 8,34, 7,98, 8,64. 7,98, 8,34, 8,40, 8,28.
Hier fällt vor allem die genaue Übereinstimmung zwischen
den beiden zu diesen Versuchen verwendeten Fleischsorten auf.
Ebenso genau stimmen die Versuche mit Niere. Aus
äußeren Gründen wurden von der ersten Versuchreihe je zwei
Kolben angesetzt, deren Resultate aber an sich übereinstimmen.
1. Versuchsreihe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
5,10, 5,22, 7,38, 6,30. 4,26, 4,56, 3,96, 4,44.
2. Versuchsreibe.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
2,64, 2,88, 2,10. 3,48, 3,12, 2,70.
Die Kontrollversuche mit Hirn ergaben folgende Resultate:
1. Versuch.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
3,12, 3,84, 3,12. 3,00, 2,64, 2,88.
2. Versuch.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
2,70, 2,46, 2,22. 3,84, 3,54 3,54.
3. Versuch.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
3,00, 3,90, 2,76. 3,30, 3,18, 3,30.
Die Versuche ergaben eine Übereinstimmung sowohl der
einzelnen Titrationen, wie auch der Organe untereinander.
Ähnlich fielen die Versuche mit Lungensaft aus. Es er-
gab sich:
1. Versuch.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
3,12, 2,64. 2,04, 2,23.
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 299
2. Versuch.
ohne Brutschrank: mit Brutschrank:
2,52, 2,04, 2,70, 2,58, 2,64. 2,08, 3,00, 2,82, 2,88, 2,70.
Auch hier fällt die Übereinstimmung zwischen den Er-
gebnissen des ersten und zweiten Versuchs auf.
Anschließend an diese Beobachtungen wollen wir kurz eine
Übersicht über die durchschnittliche Fettspaltung resp. Säure-
vermehrung der einzelnen Organe geben. Die Spaltung mit
Monobutyrin muß hierbei außer acht gelassen werden, da die
Versuche an den einzelnen Organen zu gering sind, um Durch-
schnittswerte zu erzielen.
Bei den Versuchen, die lediglich mit Preßsaft ohne Zusatz
von Fett angestellt wurden, ergab sich in zwei Fällen eine
Säureverminderung, Fleisch zeigte eine Abnahme von (0,38,
Hirn von 0,153, die übrigen eine Zunahme und zwar: Milz um
0,726, Nieren um 0,90, Lungen um 0,96, Leber um 3,28.
Bei Zusatz von Öl ergab sich folgendes Resultat: Hirn-
zunahme um 0,69, Fleisch um 0,8, Nieren um 1,27, Lungen
um 1,46, Leber um 4,885, Milz um 5,33.
Zusatz von Eigelbemulsion ergab die geringste Spaltung:
bei Fleisch um 2,64, bei Hirn um 3,50, bei Nieren um 4,72,
bei Lungen um 5,73, bei Milz um 8,02, bei Leber um 21,46.
Zur Vervollständigung seien noch kurz die mit Mono-
butyrin erzielten Spaltungen erwähnt: Fleisch 2,76, Hirn 6,72,
Lungen 9,84, Leber 10,79, Nieren 20,64, Milz 33,42.
Nehmen wir den Durchschnittswert der Säurevermehrung
bei Öl, Ei und Monobutyrin bei den einzelnen Organen, so
ergibt sich: Fleisch 1,73, Hirn 3,63, Lungen 5,69, Nieren 8,82,
Leber 12,38, Milz 15,59.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist, daß Fleisch und
Hirn am wenigsten fettspaltende Eigenschaften haben, an
zweiter Stelle folgen Lungen und Nieren, während Leber und
Milz die stärksten fettspaltenden Eigenschaften haben.
Natürlich muß man, um einigermaßen vergleichbare Werte
zu erhalten, die Organsäfte mit den Trockensubstanzen der
Organe in Beziehung zu setzen suchen. Zu diesem Zwecke
wurden Trockenbestimmungen der einzelnen Organe gemacht,
die folgende Resultate ergaben:
300 A. Pagenstecher:
10g Milz ergaben 2,2323 g, 2,4001 g, 3,1406 g, 2,7028g, 2,6148 g.
Dies entspricht einem Durchschnittswert von 2,628 42 g.
10 g Leber ergaben 2,871 g, 2,7971 g, 2,9589 g, 2,8565 g, also
im Durchschnitt 2,8709 g.
10 g Fleisch ergaben 2,5910, 2,5620, 1,9976, 2,5176, also
im Durchschnitt 2,417 g.
10 g Nieren ergaben 2,2744, 2,2198, 2,1008, 2,0680, 2,0661,
also im Durchschnitt 2,145 82.
10 g Hirn ergaben 2,1247, 2,1898, 2,0186, 2,2959, also im
Durchschnitt 2,157 25.
10 g Lunge ergaben 2,3787, 2,1340, 2,2655, 2,0542, also
im Durchschnitt 2,2081.
Im ganzen erhielt man also folgende Durchschnittswerte:
Nieren 2,14582g, Hirn 2,15725 g, Lungen 2,2081 g, Fleisch
2,4170 g, Leber 2,8709 g, Milz 2,62824 g.
Aus diesen Durchschnittswerten wurden dann die in 20 com
Preßsaft enthaltenen Trockensubstanzmengen berechnet und
mit den früher erhaltenen Werten in Parallele gesetzt. Man
erhielt dabei folgende Resultate.
L Für Milz:
6,2568 g veranlassen bei Einwirkung auf Öl eine Säure-
vermehrung von 5,33, auf Ei 8,02, auf Monobutyrin 33,42, im
Durchschnitt also 15,59, also veranlassen 10 g Trockensubstanz
eine Säurevermehrung von 29,67 ccm ®/ „-Na-Lauge.
2. Für Leber:
5,7418 g wirken auf Öl mit 4,89, auf Ei mit 21,46, auf
Monobutyrin mit 10,79, also im Durchschnitt 12,38; 10 g Trocken-
substanz bewirken also 21,56 ccm Säurevermehrung.
3. Für Fleisch:
4,834 g ergaben bei Einwirkung auf Öl 0,8, auf Ei 2,64,
auf Monobutyrin 2,76, also im Durchschnitt 1,73; 10 g Trocken-
substanz bewirken also 3,60 ccm Säurevermehrung.
4. Für Niere:
4,291 64 g veranlassen bei Einwirkung auf Öl eine Säure-
vermehrung von 1,11, auf Ei von 4,72, auf Monobutyrin von
20,64, also im Durchschnitt 8,82; 10 g Trockensubstanz bedürfen
also 20,3 ccm ®/ „-Na-Lauge zur Neutralisation.
6. Für Hirn:
4,31450 g wirken auf Öl mit 0,69, auf Ei mit 3,50, auf
Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 301
Monobutyrin mit 6,72, also im Durchschnitt 3,63; 10 g Trocken-
substanz bewirken also 8,39 ccm Säurevermehrung.
6. Für Lunge:
4,4162 g spalten Öl mit 1,46, Ei mit 5,73, Monobutyrin mit
9,89, also im Durchschnitt 5,69; 10 g Trockensubstanz bewirken
also 10,9 ccm Säurevermehrung.
Zusammen ergaben sich also folgende Resultate:
10 g Fleisch 3,60, 10g Hirn 8,39, 10g Lungen 10,90,
10 g Nieren 20,30, 10 g Leber 21,56, 10 g Mila 29,67 ccm al,
Säurevermehrung.
Es ist zwar nicht gelungen, das fettspaltende Ferment
aus allen untersuchten Organen zu isolieren, trotzdem darf
man wohl annehmen, daß alle untersuchten Organe fettspaltende
Fermente enthalten. Dies geht allein schon aus der Tatsache
hervor, daß nach Zusatz der einzelnen Organe zu dem betreffenden
Testobjekt eine Säurevermehrung stattfand. Durch die Trocken-
substanzbestimmungen ließ sich ein gewisser Rückschluß auf die
Menge des in den einzelnen Organen vorhandenen fettspaltenden
Fermentes ziehen. Dabei ergab sich die immerhin bemerkens-
werte Tatsache, daß die Milz ein höheres fettspaltendes Vermögen
als alle anderen untersuchten Organe besitzt. Ob dies irgend
etwas mit der eonstigen Funktion der betreffenden Organe zu
tun bat, oder ob es sich dabei um ein zufälliges Vorkommnis
ohne größere Bedeutung handelt, darüber läßt sich natürlich
nichts aussagen. Zunächst ist nur diese Tatsache festzustellen.
Weitere Untersuchungen müssen festzustellen suchen, ob sich diese
Verhältnisse unter pathologischen Bedingungen irgendwie ändern,
besonders ob eine Veränderung des fettspaltenden Vermögens
bei Milzschwellungen und am künstlich infizierten Organismus
eintritt. Durch solche Untersuchungen ließe sich vielleicht
einiges Licht in die größtenteils noch dunklen Funktionen der
Milz bringen und feststellen, ob den Veränderungen, welche
dieselbe unter zahlreichen pathologischen Bedingungen erleidet,
noch andere Zweokmäßigkeitseinrichtungen entsprechen, als die
bisher bekannten. Über die Ergebnisse unserer in dieser Rich-
tung fortgesetzten Versuche soll seinerzeit berichtet werden.
Über Veränderungen der Resistenz und der Stromata
roter Blutkörperchen bei experimentellen Anämien.
Von
S. Itami, Tokio, und J. Pratt, Boston, Mass.
(Aus der medizinischen Klinik zu Heidelberg.)
(Eingegangen am 29. April 1909.)
Vor einiger Zeit haben Morawitz und Pratt!) bei Ge-
legenheit von Untersuchungen über experimentelle Anämien an
Kaninchen gefunden, daß im Verlaufe der subchronischen, durch
Injektionen von salzsaurem Phenylhydrazin hervorgerufenen
Anämien schon sehr bald eine oft erhebliche Vermehrung der
Resistenz der roten Blutkörperchen zu bemerken ist.
Diese Vermehrung der Resistenz, der wahrscheinlich eine
große Bedeutung für die ällmählich eintretende Gewöhnung der
Tiere an das Blutgift zukommt, ist an die roten Blutkörper-
chen selbst und nicht etwa an eine schützende Wirkung des
Blutplasmas geknüpft; denn auch an gewaschenen Erythrocyten
läßt sich eine oft sehr bedeutende Resistenzvermehrung gegen-
über hypotonischen Salzlösungen und in etwas geringerem Grade
auch gegen andere hämolytisch wirkende Körper, wie art-
fremdes Serum, Saponin, Äther und Chloroform, nachweisen.
Zwei Erscheinungen sind es, die beim Studium dieser Art
der Resistenzschwankungen die Aufmerksamkeit besonders auf
sich ziehen: das ist erstens der absolute Grad der Re-
sistenzsteigerung, die im Verlaufe der experimentellen
Anämie durch Phenylhydrazin zuweilen eine Höhe erreicht,
wie sie unseres Wissens bisher noch nicht beschrieben worden
ist. Es sei auf die unten folgenden Protokolle verwiesen. Diese
ungemeine Intensität der Resistenzveränderung legte die Hoff-
1) Morawitz und Pratt, Münch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 35.
S. Itami u. J. Pratt: Veränd. rot. Blutkörperchen b. experim. Anämien. 303
nung nahe, in diesen so ausgeprägten Fällen auch etwas über
die Vorgänge erfahren zu können, die die Zunahme der Re-
sistenz veranlassen, worüber bisher noch nichts bekannt zu sein
scheint.
Die zweite Tatsache, die unser Interesse in Anspruch nahm,
war der schnelle Wechsel der Resigtenz unter verschie-
denen experimentellen Bedingungen. So konnte beobachtet
werden, daß nach Aussetzen der Injektionen von Phenylhydrazin
schon in wenigen Tagen die bis dahin stark vermehrte Re-
sistenz sich wieder der Norm näherte oder sie sogar erreichte.
In der Mitteilung von Morawitz und Pratt ist bereits
hervorgehoben, daß dieser starke Grad von Resistenzvermehrung
sich nur im Verlaufe von Giftanämien bei Kaninchen nach-
weisen läßt, während eine erheblichere Vermehrung der maxi-
malen oder minimalen Resistenz bei den Kaninchen vermißt
wurde, die allein durch Aderlässe anämisch gemacht worden
waren. Nur in einem Falle konnte auch bei einem nur durch
Aderlässe anämisierten Tiere eine erhebliche Steigerung der Re-
sistenz nachgewiesen werden. Dabei ist indessen hervorzuheben,
daß dieses Tier längere Zeit hiudurch intraperitoneale In-
jektionen aufgelöster roter Blutkörperchen, die von anderen
Kaninchen stammten, erhalten hatte.
Die folgenden Zeilen sollen die bisher nur kurz mitgeteilten
Tatsachen durch Wiedergabe der Protokolle belegen und einige
sich daran anknüpfende Fragen berühren. Es handelt sich da-
bei im wesentlichen um folgende Punkte:
L Wie verändert sich die maximale und minimale Re-
sistenz der Erythrocyten bei Giftanämien und posthämorrhagi-
schen Anämien?
2. Ist es für etwaige Resistenzänderungen bei posthämorrhagi-
schen Anämien von Bedeutung, ob gleichzeitig lackfarbenes Blut
intraperitoneal injiziert wird, ob also rote Blutkörperchen im
anämischen Organismus zum Zerfall und zur Resorption kommen?
3. Was ist die Ursache der Resistenzsteigerung?
Indem wir betreffen der Technik der Resistenzuntersuchungen auf
die gebräuchlichen Lehrbücher der Hämatologie, besonders auf die ein-
gehende Darstellung bei Bezangon und Labb6!) und Nägeli?) ver-
1) Bezancon und Labbé, Traité d’hematologie. Paris 1904,
2) Nägeli, Blutkrankh. u. Blutdiagnostik, 1908, S. 47.
304 S. Itami und J. Pratt:
weisen, beschränken wir uns darauf, die von uns angeführte Teohnik kurz
aufzuführen.
Die Tiere — es wurden zu diesen Zwecken ausschließlich Kanin-
chen verwandt — wurden durch täglich oder alle zwei Tage erfolgende
Injektionen von Phenylhydrazin in langsam steigender Dosis im Verlauf
von 2 bis 4 Wochen anämisch gemacht, bis ein Hämoglobingehalt von
etwa 15°/, n. Sahli erreicht war. Andere Tiere wurden in ähnlicher
Weise durch täglieh wiederholte Aderlässe aus den Ohrvenen anämisiert,
und mehreren davon im Verlauf der Anämie lackfarbenes Blut intra-
peritoneal injiziert.
Zur Ausführung der Resistenzbestimmung haben wir zwei ver-
schiedene Verfahren verwandt. In einer ersten Versuchsreihe bedienten
wir uns einer 5°/,igen Emulsion gewaschener roter Blutkörperchen, die
mit Salzlösungen verschiedener Konzentration und anderen hämolytisoh
wirkenden Lösungen behandelt wurde. Zur Kontrolle diente eine in
gleicher Weise bereitete und in 0,9°/,iger NaCl-Lösung aufgeschwemmte
Emulsion von Erythrocyten normaler Tiere.
Die zweite Methode, mit der die Mehrzahl aller Versuche ausge-
führt wurde, schloß sich enger an das seit Hamburger und v. Lim-
beok allgemeiner benutzte Verfahren an, mit dem besonders Vaquez
und Ribierre und Viola die normalen Resistenzwerte für Kaninchen
ermittelt haben. Vaquez und Ribierre füllen 9 Reagensgläschen mit
0,32 bis 0,48°/,iger NaCl-Lösung (jeder Unterschied beträgt 0,02°/,) und
setzen einen Tropfen Blut hinzu. Nach 5 Minuten wird zentrifugiert und
untersucht, ob Hämolyse eingetreten ist. Nach dieser Methode beträgt
der maximale, resp. minimale Resistenzwert bei ausgewachsenen Kanin-
chen (2000 bis 2500 g) 0,28 bis 0,30, resp. 0,42°/, nach Paris und
Salomon!) 0,30 bis 0,32°/, und 0,39 bis 0,42°/,.
Wir haben die Methode von Vaquez und Ribierre ein wenig
abgeändert: 14 Reagensgläschen von 5 ccm Inhalt werden mit 2 ccm
NaCl-Lösung von 0,28 bis 0,54°/, gefüllt, wobei jeder Unterschied
0,02°/, beträgt. Man setzt einen Tropfen mit Glasperlen defibrinierten
Blutes hinzu, schüttelt tüchtig durch und setzt das Gestell für 24 Stunden
in den Eisschrank. Die minimale Resistenzgrenze wird dort angenommen,
wo die über dem Sediment stehende Flüssigkeit spurenweise rot gefärbt
ist, also makroskopisch bestimmt. Zur Bestimmung der maximalen Re-
sistenz haben wir im Laufe unserer Versuche aus bestimmten Gründen,
die später erörtert werden sollen, die mikroskopische Untersuchung heran-
ziehen müssen. Wir verfuhren dabei derart, daß wir vom Boden des
Glases mit einer Capillare etwas Flüssigkeit aufsogen und mikroskopierten.
Dort, wo keine wohl erhaltenen Erythrocyten mehr zu sehen waren, lag
die Grenze der maximalen Resistenz. Durch einfache makroskopische
Betrachtung ist es zwar in normalem, nicht immer aber in anämischem
Blute möglich, die Grenze der maximalen Resistenz zu bestimmen.
1) Die hier angeführte französische Literatur s; bei Bezangon und
Labbé, Traité d’hematologie, 8. 309.
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 305
Nach dieser Methode schwankt, wie uns zahlreiche Ver-
suche zeigten, der maximale Wert bei normalen Tieren zwischen
0,3 und 0,32°/,, der minimale zwischen 0,5 und 0,52°/,. Aus-
nahmsweise sahen wir als maximale Grenze 0,28°/,, als mini-
male 0,48 bis 0,54°/, Die Breite der Resistenzschwankungen
im gleichen Blut ist also nach unserer Methode weit größer als
nach Vaquez und Ribierre. Dabei ist zu bemerken, daß
die maximale Resistenz nach beiden Verfahren ziemlich gut
übereinstimmt, während die minimale bei Vaquez um mehr
als 0,1°/, tiefer liegt. Daraus geht hervor, daß längere Ein-
wirkung hypotonischer Salzlösungen, wie sie bei unserer An-
ordnung in Betracht kam, auf den Grad der maximalen Re-
sistenz ohne merkbaren Einfluß ist, während die minimale
Grenze dadurch recht stark verschoben wird. Übrigens ge-
nügte bei stark anämischen Kaninchen, wie sich bald heraus-
stellte, eine 0,28°/,ige Salzlösung nicht mehr, um vollständige
Hämolyse zu bewirken. Wir haben, wie aus den Tabellen sich
ergibt, auch noch schwächer konzentrierte Salzlösungen, ja sogar
destilliertes Wasser zur Bestimmung der Grenze der maximalen
Resistenz verwenden müssen.
Im folgenden sei zunächst über die mit gewaschenen Ery-
throcyten ausgeführten Versuche berichtet. In der Tabelle I
sind die Resultate eines Versuches zusammengestellt. Das
anämische Blut stammte von einem Kaninchen, das durch eine
etwa l4tägige Behandlung mit Phenylhydrazin anämisch ge-
macht worden war und ca. 20°/, Hb n. Sahli hatte. Zeitweise
waren noch tiefere Werte erreicht worden. Zur Kontrolle diente
Blutkörperchenemulsion eines normalen Kaninchens. Beide Blut-
arten waren in gleicher Weise defibriniert, dreimal mit physiol.
NaCl-Lösung gewaschen und kamen in 5°/,iger Emulsion zur
Anwendung.
Es wurden noch mehrere Versuche mit derselben Anord-
nung ausgeführt, die immer ähnliche Resultate zeigten, über
die daher summarisch berichtet werden kann: Alle Kaninchen,
die durch Phenylhydrazin anämisch gemacht worden waren,
zeigten mehr oder weniger ausgesprochen die Erscheinung der
vermehrten Resistenz der roten Blutkörperchen. Auch gegen-
über Hundeserum und Saponinlösung war die Resistenz deut-
lich vermehrt.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 20
306 S. Itami und J. Pratt:
Tabelle I.
ı In. 1 0
ə [A.s] ı 0 ) ohne Hämolyse
3 | N. | 1 |0,5°/, NaCl-Lös. 1 Spur
4 | A. 1 10,5°/, NaCl-Lös. 1 ohne
5 | N. | 1 |0,3%/, NaCl-Lös. 1 + | total
6 I A. | 1 |0,3°/, NaCl-Lös. 1 fast nicht
7 N. | 1 |0,1°/, NaCl-Lös. 1 | vollständ.| -+ total
hämolyt.
8 | A. | 1 [0,1°/, NaCl-Lös. 1 + | wenig
9|N.|1 a/s- -NaOH 1 |vollständ.| +
hämolyt. | total
101A.|ı 1 »/so-NaOH 1
11 {N.| 1] ®/-NaOH A + total
12 | A. | 1 | sie Ra Ais + | fast total
13IN.|1| »/0-Na0H !/, + total
14 | A. | 1 | ”/so NaOH 1 + | ca ?/,hämolyt.
15 IN. | 1 a/so-H2S0, 1 |vollständ.! + totale Hämo-
hämolyt. lyse, aber
161 A. | 1 2/s0-HsSO, 1 + normal
17| N.| 1 "/so HS0, 1 + schneller als
18 IA. |1 2/0. HsSO, 1 + anämisch
Wir haben aber diese Methode, die nicht quantitativ ge-
nug ist, bald verlassen. Es sollten diese Versuche nur zeigen,
daß auch die vom Serum vollständig befreiten roten Blut-
körperchen die Resistenzsteigerung aufweisen.
Nach der zweiten Methode wurden eine größere Reihe von
Versuchen durchgeführt. Die Tabelle II unterrichtet über den
Verlauf eines solchen Versuches an einem durch Phenylhydrazin
anämisch gemachten Kaninchen.
Drei andere Versuche verliefen ganz ähnlich. Einmal haben
wir aber auch beobachtet, daß die Grenze der minimalen
Resistenz von 0,5°/, bis 0,38°/, herunterging, also nur ganz
unwesentlich höher lag als die der normalen maximalen Re-
1) N. — normales Blut.
2) A. = anämisches Blut.
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 307
sistenz. Es scheint also, daß die regelmäßig eintretende Re-
sistenzsteigerung bei dieser Form der Anämie auch von indivi-
duellen Faktoren mit beherrscht wird und daß nicht allein der
Grad der Anämie, der in allen unseren Versuchen nahezu gleich
war, ausschlaggebend ist.
Tabelle II.
Wer. Taass [Maximum]
suchs- | nach m~m Bemerkungen
tag |Sahli Resistenz
0 Einspritzung von 1°/, salzsaurem
l Phenylhydrazin, von Leem bis 2 ccm
2 aufsteigend.
3
Selbst mit Aq. dest. nicht mehr voll-
ständig lackfarbig zu machen.
6 | Am 6. Versuchstag wird die Ein-
N spritzung ausgesetzt.
9
10
13
15
19
Bei Betrachtung der Tabelle II fallen mehrere Tatsachen
auf. Zunächst der absolute Grad der Resistenzvermehrung. Am
5. bis 7. Versuchstage war es sogar mit destilliertem Wasser
nicht möglich, eine vollständige Auflösung der roten Blutkörperchen
zu bewirken, eine Erscheinung, die wohl bisher ohne Analogien
dastehen dürfte. Die Steigerung der Resistenz betrifft in erster
Linie den maximalen Grenzwert. Es sei das besonders hervor-
gehoben, weil in der Literatur mehrfach sich die Ansicht ver-
treten findet, daß Steigerungen der Resistenz hauptsächlich
darauf zurückzuführen sind, daß die weniger widerstandsfähigen
Blutkörperchen zerstört werden und nur die resistentesten übrig
bleiben. Dann dürfte aber die Grenze der maximalen Resistenz
nicht verschoben sein. Für unseren Fall kann also diese Er-
klärung nicht zutreffen, wir müssen vielmehr annehmen, daß
im Verlauf der Anämie Blutkörperchen mit besonderen chemi-
schen oder physikalischen Eigenschaften auftreten, die im Blut
unter normalen Verhältnissen nicht vorhanden sind. Auch die
20*
308 S. Itami und J. Pratt:
minimale Resistenz ist deutlich erhöht, wenn auch nicht in dem
Maße wie die maximale. Daß man indessen zuweilen auch
sehr erhebliche Steigerungen der minimalen Resistenz sehen
kann, haben wir oben bereits bemerkt.
Die zweite Erscheinung, auf die man bei Betrachtung der
Tabelle II aufmerksam wird, ist der schnelle Eintritt und das
schnelle Verschwinden der Resistenzvermehrung. Schon am
5. Tage nach Beginn der Behandlung mit Phenylhydrazin ist
die maximale Resistenz der roten Blutkörperchen derart erhöht,
daß sogar destilliertes Wasser nicht mehr imstande ist, kom-
plette Hämolyse zu bewirken. Ebenso sinkt die Resistenz der
Erythrocyten fast unmittelbar nach Aussetzen der Behandlung
mit Phenylhydrazin, um in 13 Tagen bereits vollkommen nor-
male Werte zu erreichen.
Im allgemeinen scheint es — auch drei andere in derselben
Weise ausgeführte Versuchsreihen sprechen in diesem Sinne —,
daß mit der Zunahme der Anämie auch die Resistenz der roten
Blutkörperchen eine Vermehrung erfährt. Indessen besteht
doch kein Verhältnis direkter Proportionalität zwischen Hämo-
globingehalt und Resistenz. Regelmäßig haben wir in unseren
Versuchen bemerken können, daß bei gleichem Hämoglobin-
gehalt im Zustande der fortschreitenden Anämie geringere Werte
für die Resistenzsteigerung gefunden werden, als im Stadium
der Regeneration. Das tritt auch mit genügender Schärfe in
der Tabelle II hervor, z. B. wenn man den 3. und 9. Versuchs-
tag miteinander vergleicht, in denen sich ein annähernd
gleicher Gehalt an Hämoglobin fand. Etwas weniger ausge-
prägt trat dasselbe Verhalten auch in den drei anderen Ver-
suchen hervor.
In einer weiteren Versuchsreihe haben wir festzustellen ge-
sucht, ob der von Morawitz und Pratt (l. o.) bemerkte Unter-
schied der Resistenzvermehrung, der zwischen Giftanämien mit
starken und posthämorrhagischen Anämien mit leichter oder
fehlender Resistenzsteigerung besteht, vielleicht auf den Zerfall
und die Resorption roter Blutkörperchen bei der Giftanämie
zurückzuführen ist. Morawitz und Pratt hatten nämlich in
einem Falle eine Resistenzvermehrung der Erythrocyten eines
Kaninchens gesehen, das nur durch Aderlässe anämisch gemacht
worden war, dem aber gleichzeitig lackfarben gemachtes Blut
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anäm ien, 309
intraperitoneal injiziert wurde. Es lag uns daran festzustellen,
ob diese vereinzelte Beobachtung allgemeinere Gültigkeit hat.
Tabelle III.
1 O 60 0,52 0,30
E 61 0,52 0,30
o O 44 0,52 0,30
E 43 0,54 0,28
3 O 38 0,54 0,30
E 36 0,54 0,28
4 O 37 0,54 0,28
E 34 0,54 0,24
5 O 31 0,52 0,26
E 32 0,52 0,22
6 O 23 0,50 0,26
E 24 | 0,50 0,20
9 O 20 0,50 0,24
E 19 0,46 0,28 Aderlaß aufgehört
10 O 22 0,48 0,26
E 24 0,46 0,22
15 O 35 0,50 0,30
E 41 0,48 0,26
20 O 33 0,50 0,30
E 43 0,48 0,26
27 O 42 0,50 0,30
E 45 0,48 0,26 | Einspritzung aufgeh.
29 O 42 0,50 0,30
E 47 0,48 0,28
33 O 45 0,52 0,30
E 66 0,52 0,30
Über den Einfluß einmaliger oder häufiger wiederholter
Aderlässe auf die Resistenz der roten Blutkörperchen liegen eine
größere Anzahl älterer und neuerer Beobachtungen vor. Mara-
gliano und Castellino*) und Viola und Jona?) haben dabei
in der Regel eine Resistenzverminderung gesehen. Die zuletzt
erwähnten Autoren haben an Hunden und Kaninchen experi-
1) Maragliano und Castellino, Zeitschr. f. klin. Med. 21,
415, 1892.
2) Viola et Jona, Archives de physiologie 18995, 37.
310 S. Itami und J. Pratt:
mentiert. Smith und Brown!), die ausgedehnte Untersuchungen
an Pferden anstellten, konnten einen konstanten Einfluß der
Aderlässe auf die Resistenz der roten Blutkörperchen nicht fest-
stellen. Wir haben es uns speziell zur Aufgabe gemacht zu
vergleichen, wie sich Kaninchen verhalten, denen man nur Ader-
lässe macht, und wie sich die Resistenz bei anderen Tieren
ändert, denen zu gleicher Zeit lackfarbenes Blut anderer nor-
maler Tiere injiziert wird.
Es wurden im ganzen vier Versuche dieser Art ausgeführt.
Zu jedem Versuch diente ein Paar Kaninchen von gleichem
Wurf und möglichst gleichem Körpergewicht. Einem dieser
Tiere wurde jeden Tag oder alle zwei Tage ein Aderlaß von
etwa 20 com gemacht, dem anderen außerdem noch jeden Tag
oder jeden zweiten Tag lackfarbenes Blut (20 com Blut 4 20 com
Aq. dest. 40,18 g NaCl) intraperitoneal injiziert. Die Tabelle III
unterrichtet über den Verlauf eines derartigen Versuches.
Die anderen drei Versuche, die ein durchaus ähnliches Re-
sultat ergaben, sollen nur erwähnt werden, um zu zeigen, daß es
sich bei diesen Veränderungen in der Tat um regelmäßige Er-
scheinungen handelt.
Zunächst geht aus der Tabelle III wohl hervor, daß die
reine Aderlaßanämie die Resistenz der Erythrocyten nur in sehr
geringem Grade beeinflußt, jedenfalls nicht entfernt in dem
Maße wie die Giftanämie. Die minimale Resistenz wird nur
wenig verändert, ja sie war in den ersten Tagen des Versuches
sogar ein wenig vermindert, in den späteren Tagen des Ver-
suches unwesentlich erhöht. Etwas größer sind die Schwankungen
der maximalen Resistenz. Aber auch da beträgt die größte
Differenz nur 0,06°/,. Die Zunahme der maximalen Resistenz
ist also unbedeutend, aber in allen Versuchsreihen konstant
nachweisbar.
Als wichtigstes Resultat dieser Versuchsreihe muß hervor-
gehoben werden, daß bei den zu gleicher Zeit mit Blutkörper-
emulsionen behandelten Kaninchen regelmäßig stärkere Ver-
schiebungen der Resistenz sich finden, als bei den Kontroll-
tieren, denen nur Aderlässe gemacht waren. Die Differenz
schwankt bei gleichem Grade der Anämie zwischen 0,04 und
1) Smith und Brown, Journ. of Med. Research. 15, Nr. 3, 1906.
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 311
0,06°/, und ist in allen Versuchen auf der Höhe der Anämie
nachweisbar. Es kann also wohl schwerlich daran gezweifelt
werden, daß die intraperitoneale Injektion roter Blutkörperchen
die Resistenz der zirkulierenden Erythrocyten bei anämischen
Tieren steigert. Das bezieht sich besonders auf die maximale
Resistenz.
Mit noch größerer Sicherheit geht das daraus hervor, daß
diese Resistenzsteigerung auch im Regenerationsstadium noch
anhält, solange die Injektionen fortgesetzt werden. Erst nach
Aussetzen der Einspritzung kehrt die Resistenzkurve schnell
zur Norm zurück.
Immerhin erreicht auch die durch Aderlässe und Injek-
tionen bewirkte Resistenzsteigerung nicht entfernt die bei der
Giftanämie beobachteten Veränderungen. Deswegen sind wir
nicht geneigt, die Unterschiede, die wir zwischen der Anämie
durch Phenylhydrazin und der Aderlaßanämie festgestellt haben,
ausschießlich oder auch nur vornehmlich auf die Tatsache
zurückzuführen, daß in dem einen Falle Erythrocyten im Orga-
nismus selbst resp. in der Blutbahn zugrunde gehen, während
sie dem Organismus im anderen Falle entzogen werden. Immer-
hin ist der Einfluß der Blutinjektionen auf die Resistenzkurve
unverkennbar. Wie man sich diesen Einfluß vorstellen soll,
welcher Wirkungsmodus dabei in Frage kommt, ist vorerst
nicht zu sagen. Wir vermeiden es, uns auf das Gebiet der
Hypothesen zu begeben.
Es wäre natürlich von Interesse zu untersuchen, ob das
salzsaure Phenylhydrazin in ganz besonderer Weise die Fähig-
keit hat, die Resistenz der roten Blutkörperchen zu erhöhen,
oder ob es sich dabei um eine allgemeine Eigenschaft handelt,
die auch anderen Blutgiften zukommt. Wir haben einige Ver-
suche mit Sapotoxin, Toluylendiamin und Pyrogallol ausgeführt,
leider ohne unser Ziel zu erreichen. Es gelang nämlich nicht,
mit diesen Giften schwere, länger dauernde Anämien zu er-
halten. Entweder erholten sich die Kaninchen trotz Weiter-
behandlung oder sie gingen bei Injektionen größerer Dosen
zugrunde.
Die großen Differenzen in der Resistenzkurve der Erythro-
cyten bei der Giftanämie einerseits, der posthämorrhagischen
Anämie andererseits machen es nicht sehr wahrscheinlich, daß
312 S. Itami und J. Pratt:
lediglich das Alter der Erythrocyten für die Resistenz maß-
gebend ist, wie man mehrfach vermutet hatte. Auch Smith
und Brown lehnen auf Grund anderer Beobachtungen diesen
Erklärungsversuch ab. Es sind offenbar andere Faktoren für
die ungemeine Resistenzsteigerung der Erythrooyten bei der
Anämie durch Phenylhydrazin maßgebend. Wir haben uns
bemüht, der Ursache dieser Erscheinung nachzugehen und
sind dabei auf einen bemerkenswerten Befund gestoßen: Es
erschien uns nämlich möglich, daß die starke Vermehrung der
Resistenz von einer Änderung des Stromagerüstes der roten
Blutkörperchen herrühren könnte, das ja normalerweise nur
einen sehr geringen Prozentsatz der Gesamtmasse des Blut-
körperchens ausmacht. Bei dem starken Grade der Resistenz-
vermehrung der Erythrocyten im Verlaufe der Phenylhydrazin-
anämie bestand begründete Aussicht, eine Zunahme der Stroma-
bestandteile quantitativ nachzuweisen, wenn eine solche über-
haupt in erheblicherem Grade vorhanden war.
Die Versuche wurden so ausgeführt, daß wir uns zwei Emulsionen
von Blutkörperchen in physiologischer Kochsalzlösung herstellten, die
genau gleich viel Erythrocyten enthielten. (Durch Zählungen kontrolliert.)
Die eine Emulsion enthielt normale, die andere resistente Blutkörperchen
eines anämischen Kaninchens. Kernhaltige Erythrocyten waren unter
letzteren nur in sehr geringer Menge vorhanden (auf 100 Leukocyten
etwa zwei Erythroblasten), auch die Anzahl der Leukooyten war in
beiden Emulsionen nicht sehr verschieden. Zu diesen Emulsionen wurde
soviel Sapotoxin in Lösung gesetzt, daß eine schnelle, totale Hämolyse
in beiden Röhrchen erfolgte. Dann wurde das Blut in graduierten,
spitz auslaufenden Zentrifugengläsern (Nißlsche Gläschen zum Zentri-
fugieren von Cerebrospinalflüssigkeit) mehrere Stunden scharf zentri-
fugiert. Die Höhe des aus den Stromasubstanzen roter Blutkörperchen
bestehenden Sedimentes wurde dann gemessen.
Es stellte sich nun das überraschende Resultat
heraus, daß das aus den Stromabestandteilen sich
zusammensetzende Sediment bei Giftanämien in den
von uns untersuchten Fällen wenigstens 10mal, oft
aber noch erheblich höher (bis oa. 15mal) war als das
von normalen Erythrocyten. Schon vorher war uns auf-
gefallen, da8 man durch Zusatz selbst sehr großer Mengen von
Sapotoxin zum anämischen Blut zwar vollständige Hämolyse
bekommt, die Lösung aber nicht völlig klar wird und getrübt
bleibt. Das ist nach den oben aufgeführten quantitativen Be-
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 313
stimmungen natürlich so zu erklären, daß das durch Sapotoxin
nicht zerstörbare Stromagerüst im anämischen Blut eine ganz
enorme Zunahme erfahren hat.
Mikroskopisch setzt sich das Sediment des anämischen
Blutes teils aus Körnchen (Blaukörnchen von Heinz?), teils
aus Gebilden zusammen, die noch deutlich die Kontur von
Erythrocyten erkennen lassen, aber hämoglobinfrei sind.
Diese so sehr starke Vermehrung der Stromabestandteile
machte es bei den früher erwähnten Hämolyseversuchen oft sehr
schwer, die Grenze der totalen Hämolyse zu bestimmen, da stets
ein umfangreiches Stromasediment den Boden des Hämolyse-
röhrchens ausfüllte, von dem man makroskopisch schwer sagen
konnte, ob es noch hämoglobinhaltige Erythrocyten enthält
oder nur aus Stromateilen besteht. Deswegen haben wir zur
Bestimmung der maximalen Resistenz stets die mikroskopische
Prüfung vorgenommen.
Die Vermehrung der Stromabestandteile ist bei den Phenyl-
hydrazintieren nicht mehr nachweisbar, bei denen im Verlauf
der Erholung die Resistenz bereits zur Norm zurückgekehrt
ist. Es besteht also hier ein gewisser Parallelismus zwischen
Stromamenge des einzelnen Blutkörperchens und Resistenz.
Diese Proportionalität ist auch bei den posthämorrhagischen
Anämien nicht zu verkennen.
Unsere Versuche haben uns nämlich gezeigt, daß bei den
Blutungsanämien, bei denen es ja zu keiner sehr wesentlichen
Steigerung der Resistenz kommt, auch die Vermehrung der
Stromata sich in recht bescheidenen Grenzen hält und niemals
die hohen Werte erreicht, die bei der durch Phenylhydrazin
bewirkten Anämie scheinbar regelmäßig beobachtet werden
können. In den frühen Stadien der Aderlaßanämie ist eine
Vermehrung der Stromasubstanz überhaupt nicht sicher fest-
zustellen. Erst wenn der Hämoglobingehalt auf etwa 20 bis
25°/, gesunken ist, stellt sich auch eine mäßige Vermehrung
des Stromasedimentes ein. Dabei ist zu erwähnen, daß diese
Vermehrung bei den Tieren höhere Werte erreicht, die im Ver-
laufe ihrer Anämie lackfarbenes Blut intraperitoneal erhalten
haben. Immerhin ist dieser Unterschied aber nicht sehr groß,
was ja auch wiederum mit dem Grade der Resistenzvermehrung
übereinstimmt. Auch bei den Aderlaßanämien verschwindet
314 S. Itami und J. Pratt:
im Stadium der Regeneration die Resistenzvermehrung und die
Vermehrung der Stromasubstanz gleichzeitig.
Daß die Vermehrung des Stromasedimentes nicht etwa
nur durch die reichliche Anwesenheit von kernhaltigen Erythro-
cyten oder Leukocyten im anämischen Blute vorgetäuscht wird,
ergibt sich aus der direkten mikroskopischen Untersuchung des
Sedimentes, von der oben bereits gesprochen wurde, sowie aus
der Tatsache, daß kernhaltige Erythrocyten nur in verschwindend
geringer, Leukocyten in kaum größerer Menge als beim nor-
malen in den zum Versuch benutzten Blutkörperchenemulsionen
sich fanden.
Es ist also durch unsere Untersuchungen der Nachweis
erbracht, daß die Resistenzveränderungen roter Blut-
körperchen mit chemischen Veränderungen ihrer
Zusammensetzung einhergehen. Soweit unsere Versuche
bisher reichen, scheint regelmäßig eine starke Ver-
mehrung der Resistenz mit einer oft enormen Zunahme
der Stromasubstanz einherzugehen. Das scheint dafür
zu sprechen, daß Stromavermehrung und Resistenzsteigerung
zueinander in Beziehungen stehen, resp. daß letztere von ersterer
abhängig ist. Immerhin wollen wir nicht behaupten, daß die
Zunahme derStromata das einzige Moment ist, das die Resistenz der
rote Blutkörperchen beherrscht. Es gibt da noch mehrere andere
Möglichkeiten, die einer experimentellen Prüfung vorerst weniger
zugänglich sind. Daß aber die starke Vermehrung der Gerüst-
substanz einen der ausschlaggebenden Faktoren darstellt, darf
man auf Grund dieser Beobachtung wohl mit hinreichender
Sicherheit behaupten.
Warum aber diese „pachydermen‘“ Erythrocyten, wenn
der Ausdruck gestattet ist, in viel stärkerem Grade bei der
Anämie durch Phenylhydrazin als bei den Aderlaßanämien ge-
bildet werden, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. Vom
teleologischen Standpunkte wäre die Erscheinung wohl zu ver-
stehen, eine hinreichende Erklärung ist aber damit nicht
gegeben.
Offenbar haben die während der Vergiftung gebildeten
stromareichen und resistenten Erythrocyten die Fähigkeit,
sich ihrer überflüssigen Stromabestandteile schnell zu entledigen,
da, wie oben erwähnt wurde, schon wenige Tage nach Aus-
Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 315
setzen der Injektion des Blutgiftes eine deutliche und sehr
schnell zunehmende Verminderung des Stromasedimentes ein-
tritt. Wir sind nicht der Ansicht, daß diese Erscheinung da-
durch bedingt ist, daß nun alle resistenten Blutkörperchen
einer schnellen Zerstörung anheimfallen und weniger resistente
statt ihrer gebildet werden, sondern glauben, daß die Erythro-
cyten in der Blutbahn chemischen Veränderungen unterworfen
sind, die zu einer schnellen Reduktion des Stromagerüstes
führen. Diese Annahme stützt sich auf die Beobachtung von
Morawitz!), der einen sehr lebhaften respiratorischen Gas-
wechsel kernloser Erythrocyten im Blute bei experimentellen
Anämien, besonders stark bei der Phenylhydrazinanämie, nach-
wies. Die Erythrocyten der anämischen Tiere haben also auch
noch im kernlosen Zustande einen lebhaften Stoffwechsel und
sind dabei wahrscheinlich weiteren chemischen Änderungen
unterworfen.
Die Versuche über die Zunahme der Stromata werden
fortgesetzt, speziell soll die chemische Zusammensetzung der
Stromata, die bei ihrer enormen Vermehrung in genügender
Menge zugänglich sind, zum Gegenstand weiterer Untersuchungen
gemacht werden.
Zusammenfassung.
1. Bei der subchronischen, durch Injektionen von salzsaurem
Phenylhydrazin hervorgerufenen Anämie der Kaninchen tritt
schon in kurzer Zeit eine starke Vermehrung der Resistenz
der roten Blutkörperchen zutage.
2. Die Resistenz ist gegen mehrere von uns geprüfte
hämolytische Agenzien erhöht, am deutlichsten scheinbar gegen
Schwankungen des osmotischen Druckes.
3. Die Resistenzsteigerung betrifft die maximale Grenze
der Resistenz in höherem Grade als die minimale. Zuweilen
kann man sogar mit destilliertem Wasser das Blut nicht mehr
lackfarben machen.
4. Die Resistenzsteigerung nimmt nach Aussetzen der In-
jektionen des Blutgiftes schnell wieder ab.
1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 60, 1909.
316 S. Itami u. J. Pratt: Veränd. rot. Blutkörperchen b. experim. Anämien:
5. Bei der Aderlaßanämie des Kaninchens ist nur eine
mäßige Resistenzvermehrung nachzuweisen. Sie ist regelmäßig
deutlicher bei Tieren, denen während der Aderlaßanämie lack-
farbenes Blut intraperitoneal injiziert wird, aber auch dort nie
im entferntesten so stark, wie bei der Anämie durch Phenyl-
= hydrazin. Immerhin ist ein deutlicher Einfluß der Resorption
lackfarbenen Blutes auf den Grad der Resistenz anzunehmen.
6. Mit der Resistenzsteigerung geht eine sehr starke Ver-
mehrung der Stromabestandteile der Erythrocyten einher. Die
Menge der Stromabestandteile kann bei der Giftanämie auf
das Zehnfache oder noch höher gegenüber normalen Blut-
körperchen gesteigert sein, wenn man die durch Zentrifugieren
lackfarbenen Blutes gewonnenen Sedimente vergleicht. (Pachy-
dermie der Erythrocyten.)
Es besteht in allen unseren Versuchen ein Parallelismus
zwischen Vermehrung der Stromata und Resistenzsteigerung.
Elektrochemische Alkalinitätsmessungen an Blut
und Serum.
Von
Leonor Michaelis und Peter Rona.
(Aus den biologischen Laboratorien des städtischen Krankenhauses
am Urban,)
(Eingegangen am 3; Mai 1909.)
Mit 1 Figur im Text.
1. Methodisches.
Bekanntlich herrschte noch vor wenigen Jahren eine große
Unklarheit über den Grad der Alkalinität der Körperflüssig-
keiten, insbesondere des Blutes. Alle Methoden, die in früherer
Zeit zur Bestimmung der Alkalinität angewandt wurden und
auf die acidimetrische Titration hinauskamen, hatten den
prinzipiellen Fehler in sich, daß die Methode der Messung eine
Verschiebung der natürlichen Reaktion mit sich brachte und
daß es auf Grund dieser Bestimmungen nicht möglich war, den
Grad der Alkalinität exakt zu definieren. Diese Definition ist
allein durch die Konzentration der OH-, bzw. der H-Ionen ge-
geben, und zu der Bestimmung dieser besitzen wir heute zwei
Methoden, die der Konzentrationsketten und die der Indi-
catorenskalen. Die Indicatorenmethode, für physiologische Pro-
bleme zuerst von Friedenthal!) eingeführt, hat den Vorteil
großer Einfachheit. Dabei ist zweifellos der Grad der Genauig-
keit theoretisch recht groß, wenn auch in praxi noch nicht in
der Form, in der die Methoden bisher vorliegen. Denn die
bisherigen Indicatorenskalen nehmen keine Rücksicht auf den
1) Friedenthal, Zeitschr. f. allg. Physiol. 1, 56, 1901; 4, 44,
1904; Zeitschr. f. Elektrochem. 10, 113, 1904; Arch. f. Anat. u. Physiol.
1903, 551; s. auch Salm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 57, 471, 1907.
318 L. Michaelis und P. Rona:
Gehalt und die Naturetwagleichzeitig vorhandener Neutralsalze, von
denen wir erwiesen haben!), daß sie die Farbnuance gerade der
besten Indicatoren stark mit beeinflussen. Wenn sich in Zukunft
das alles wird mit berücksichtigen lassen, so hat doch immer
die Indicatorenmethode nur den Vorteil größerer Einfachheit,
während die größere Sicherheit und größere Genauigkeit zu-
nächst wohl noch lange Zeit der Methode der Konzentrations-
ketten vorbehalten sein wird.
Die Methode der Konzentrationsketten ist in verschiedener
Weise angewendet worden, je nach der Form der angewandten
Elektroden. Die Wasserstoff-Konzentrationskette ist an Sicher-
heit der Sauerstoffkette weit vorzuziehen.
Höber, dem wir die erste Anwendung dieser Methode für
dieses Gebiet verdanken, benutzte platinierte Platinelektroden,
die zum Teil in die Elektrodenflüssigkeiten eintauchten, im
übrigen aber in einer Wasserstoffatmosphäre sich befanden.
Die Sättigung der Platinelektroden mit Wasserstoff wurde da-
durch angestrebt, daß ein ständiger Strom von Wasserstoff
durchgeleitet wurde. Diese Methode leidet an dem Übelstand,
daß das ständige Durchleiten des Wasserstoffs durch das Serum
bzw. Blut eine Verarmung desselben an Kohlensäure zur Folge
hat, wodurch auch die ersten Messungen von Höber?) nicht
Werte ergaben, die dem genuinen Blute entsprechen. Die zur
Korrektion für diesen Übelstand später von ihm dafür vorge-
schlagene Durchleitung eines Gemisches von Wasserstoff und
Kohlensäure ist zu umständlich, um zu einer Standardmethode
dienen zu können.
Diese Übelstände werden mit der Methode vermieden, welche
P. Fränkel?) angewendet hat; er vermeidet die Gasatmosphäre
überhaupt und benutzt als Elektroden mit Wasserstoff gesättigte
Metallelektroden. Als Metall wählte er wegen des höheren Ab-
sorptionsvermögens für Wasserstoff das Palladium. Aber auch
dieser Methode haftet ein Übelstand an; der Gehalt der Palla-
diumelektrode an Wasserstoff nimmt mit der Zeit ab, und so-
bald diese Abnahme an den beiden Elektroden nicht ganz
gleichförmig erfolgt, ist die gemessene Potentialdifferenz nicht
1) L. Michaelis und P. Rona, Zeitschr. f. Elektrochem. 1908, 251.
2) R. Höber, Pflügers Arch. 81, 522, 1900; 99, 572, 1903.
3) P. Fränkel, Pflügers Arch. 96, 601, 1903.
Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 319
allein von dem Gehalt der Flüssigkeit an H‘-Ionen, sondern auch
noch von dem unkontrollierbaren Unterschied der Elektroden
im Wasserstoffgehalt abhängig.
Die dritte Modifikation vermeidet alle diese Übelstände.
Sie ist nicht neu, und abgesehen von den ältesten Arbeiten auf
diesem Gebiete, hat z. B. Smale?) sich ihrer schon vor längerer
Zeit bedient. Sie besteht darin, daß, wie bei der von Höber
getroffenen Anordnung, platinierte Platinelektroden nur zum
Teil in die Flüssigkeiten eintauchen und zum größeren Teil in
eine stehende Wasserstoffatmosphäre hineinragen, die während
des ganzen Versuches nicht erneuert wird. Um dieses Prinzip
zur Ausführung zu bringen, sind verschiedene Formen der Gas-
kette vorgeschlagen worden. Die ursprünglich von Smale an-
gegebene ist für den vorliegenden Zweck nicht brauchbar, weil
sie Flüssigkeitsmengen erfordert, die dem Physiologen nicht zur
Verfügung stehen. In dieser Beziehung ist die von Hamburger?)
angegebene Form viel praktischer. Noch weniger Flüssigkeits-
menge erfordert die Form von Farkas’). Wir bauten uns mit
primitivsten Hilfsmitteln eine
Miniaturform von Elektroden,
welche es gestattet, mit 4 bis
5 com Flüssigkeit, bei Bedarf
mit noch weniger, absolut
exakte Bestimmungen auszu-
führen. Die nebenstehende
Figur zeigt diese Elektrode ;
in ?/, natürlicher Größe. Als |
Gefäß diente ein spitzwinklig |
umgebogenes Glasrohr von |
nebenstehender Form, und die |
Platinelektroden wurden auf
folgende Weise hergestellt:
Aus einem dünnen Pilatinblech
wird ein längliches, rechteckiges Stück ausgeschnitten, so jedoch,
daß die eine Schmalseite des Rechtecks sich in einen spitzen
Zipfel verjüngt. Dieser Zipfel wird in das untere Ende eines
1) Smale, Zeitschr. f. physikal. Chem. 14, 577, 1894;
2) Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre 2, 347.
3) Farkas, Pflügers Arch. 98, 551.
320 L. Michaelis und P. Rona:
dünnen Glasrohres eingeschmolzen, derart, daß er zur Festigung
der Elektrode in einer Länge von etwa 2 mm allseitig von Glas
umgeben ist, mit dem Zipfelende jedoch noch in die Lichtung
der Glasröhre hereinragt. Die Glasröhre wird dann zu zwei
Dritteln mit Quecksilber gefüllt und in dieses später der den
Kontakt vermittelnde Zuleitungsdraht eingetaucht. Die Elek-
troden werden in die Gefäße vermittels eines um das dünne
Glasrohr gestreiften Gummiringes eingesteckt, den man sich aus
einem passenden Gummischlauch schneidet. Die Gasdichtung
ist, wie die Erfahrung zeigt, vollkommen. Derartiger Elektroden
macht man zwei gleichartige und befestigt sie nebeneinander,
indem man den kürzeren Schenkel eines jeden Glasrohres in
einer Klemme befestigt. Die Platinierung des Platins geschieht
in der üblichen Weise, am besten, indem vor jeder erneuten
Platinierung das Platin leicht durchgeglüht wird. Die Ge-
fäße werden mit den zu untersuchenden Flüssigkeiten gefüllt,
durch geeignetes Kippen etwa vorhandene Luftblasen aus dem
kürzeren Schenkel des Gefäßes entfernt und dann vermittels
eines capillaren Zuleitungsrohres, welches man durch den
längeren Schenkel einführt, mit Wasserstoff in hinreichender
Menge gefüllt. Auf der Seite, auf der sich die Säurelösung
von bekanntem Gehalt befindet, läßt man die Elektrode 1 bis
2 mm tief eintauchen, auf der Seite, auf der sich das Serum
befindet, ist es vorteilhaft, so viel Wasserstoff einzuleiten, daß
die Elektrode den Flüssigkeitsspiegel nicht mehr oder kaum
berührt. Der Wasserstoff bleibt anfangs in Form von ge-
trennten Schaumblasen bestehen, und die Schaumwände ver-
mitteln den Kontakt genügend. Die auf diese Weise armierten
Ketten führen nach unserer Erfahrung rascher zu einer Kon-
stanz der elektromotorischen Kraft, als wenn die Elektroden
tiefer eingetaucht werden. |
Auf diesen scheinbar ganz unbedeutenden Kunstgriff möchten
wir mit aller Schärfe besonders hinweisen. Es ist durchaus
notwendig so zu verfahren, daß die Platinelektrode kaum merk-
lich in das Serum eintaucht. Die Erfahrung hat uns gelehrt,
daß die Einstellung der elektromotorischen Kraft zum Gleich-
gewicht hierbei fast augenblicklich, und also sehr viel schneller
erfolgt, als wenn etwa, wie gewöhnlich angegeben, ein Drittel
der Elektrode eintaucht. Kontrollversuche mit gewöhnlichen
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 321
eiweißfreien Säurelösungen zeigten, daß es für das definitive
Gleichgewicht völlig gleichgültig ist, ob die Elektroden ein wenig
mehr oder weniger eintauchen, daß dagegen die Einstellung
des Gleichgewichtes fast momentan erfolgt, wenn die Elek-
troden die Flüssigkeit gerade knapp berühren. Deshalb braucht
auch neuerdings noch z. B. Szili!) 6 Stunden bis zur Ein-
stellung des Potentials und deshalb halten wir auch die Form
der Elektrode, die Henderson?) beschreibt, nicht für geeignet,
und so ist auch Henderson mit seinen Messungen nicht zu-
frieden. Als zweite bekannte Voraussetzung für die prompte Ein-
stellung des Gleichgewichtes möchten wir daran erinnern, daß die
Platinierung der Platinelektroden, besonders der in das Eiweiß
tauchenden, nicht zu alt sein darf. Die von anderen Autoren
oft als lästig befundene Tatsache, daß die Elektroden gegen-
einander schon bei gleicher Konzentration der Elektrolytlösungen
mehrere Millivolt Potentialdifferenz zeigen, ist uns bei der
Methode des geringen Eintauchens niemals begegnet, ohne daß
auf besonders gleichmäßige Platinierung beider Elektroden Sorg-
falt verwendet wurde. Theoretisch ist es ja übrigens auch nicht
denkbar, daß das Gleichgewicht von der Art der Platinierung,
ja selbst von der Natur der Elektrode — ob Platin, Palladium,
Gold usw. — abhängt; es kommt in praxi nur darauf an, daß
das definitive Gleichgewicht sich auch recht schnell und richtig
einstellt, und das scheint bei frisch platinierten und wenig
eintsuchenden Elektroden stets sehr rasch zu geschehen. Die
Menge des gasförmigen Wasserstofis ist dann ganz belanglos,
und die ca. 2ccm Wasserstoff, die in unserem Apparate über
der Flüssigkeit stehen, sind vollkommen ausreichend.
Die Verbindung zwischen beiden Elektroden geschah folgender-
maßen: durch einen etwa 6 cm langen Gummischlauch von solcher
Dicke, daß er in die offenen Enden der Elektrodengefäße hinein
(nicht über sie herüber) luftdicht eingefügt werden konnte, wurde
1) Al. Szili, Pflügers Arch. 115, 72, 1906.
2) Lawrence J. Henderson, The Theory of Neutrality Regula-
tion in the Animal Organism. Americ. Journ. of Physiol. 21, 427, 1908.
— Lawrence J. Henderson and O. F. Black, A Study of the equi-
librium between carbonio acid, sodium bicarbonate, mono-sodium-phos-
phate and di-sodium-phosphate at body temperature. Americ. Journ. of
Physiol. 21, 420, 1908.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 21
322 L. Michaelis und P, Rona:
ein doppelter Baumwollfaden gezogen, mit der passenden Ver-
bindungsflüssigkeit gut durchtränkt und dann zwischen die
beiden Gefäße eingeschaltet. In den Fällen, wo der ganze
Apparat unter Wasser versenkt wurde, wurde eine vollkommene
Wasserdichtigkeit dadurch erreicht, daß vorher außerdem noch
in jedes der beiden Schlauchenden ein kurzes Glasrohr von
geeigneter Dicke eingeschoben wurde.
Die Temperatur wurde in der Weise konstant gehalten,
daß die Elektroden in ein Wasserbad versenkt wurden.
Das Wasserbad wurde ohne Thermostaten durch gelegentliche
Kontrollierung auf der gewünschten Temperatur (+ !/,°C) ge-
halten. Wo die Messungen bei Zimmertemperatur gemacht
wurden, wurde öfter vom Wasserbad abgesehen.
Das eine Elektrodengefäß wurde stets mit der zu unter-
suchenden Blutflüssigkeit gefüllt, das andere entweder nach dem
Vorschlag von Höber mit »/,-HCl, und dann als Verbin-
dungsflüssigkeit ”/ Nal benutzt, oder (meist) das Elek-
trodengefäß wurde nach dem Prinzip von Bugarszky') mit
einer Lösung von ?/,-NaCl+"/ „HCl gefüllt, und dann be-
stand die Verbindungsflüssigkeit ebenfalls aus ®/,-CINa-Lösung.
Die Kontaktpotentialdifferenz zwischen dem Serum und der
»/,-CINa-Lösung ist stets zu vernachlässigen, wie Höber ge-
zeigt hat. Bei der Bugarszkyschen Anordnung ist die Kontakt-
potentialdifferenz im Groben zu vernachlässigen, weil die Salz-
säure im Überschuß eines gleichionigen Neutralsalzes gelöst ist.
Eine Berechnung mit Hilfe der Planckschen Formel ergibt
jedoch immerhin eine Kontaktpotentialdifferenz von 0,0059 Volt
im entgegengesetzten Sinne wie die Potentialdifferenz der Kon-
zentrationskette. Sie wurde bei der Rechnung stets berück-
sichtigt. Bezeichnen wir die in jedem Versuch gefundene
elektromotorische Kraft mit x, so ist diese also um das Kon-
taktpotential z, kleiner als der gesuchte Wert der Konzen-
trationskette rn’, so daß sich ergibt
EE E EE A
Die Berechnung der H-Ionenkonzentration ergibt sich aus
der Nernstschen Gleichung:
, Ca,
E z — 0,000198. T log On’
1) Bugarszky, Zeitschr. f. anorgan. Chem. 14, 145, 1897.
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 323
wo T die absolute Temperatur, Cm, die Konzentration der
H-Ionen in der Säurelösung, Ce, die Konzentration der H-Ionen
in der Blutflüssigkeit bedeutet. Hieraus ergibt sich die ge-
suchte H-Ionenkonzentration zu
zl
log Cn, = — 0,000198. T -+ log Ce,
Die H-Ionenkonzentration der Säurelösung ist bekannt,
oder kann doch dadurch berechnet werden, daß der Dissoziations-
grad einer HCl-Lösung in überschüssigem CINa etwa der gleiche
ist wie in einer HCl-Lösung von demjenigen Gehalt, wie ihn
die CINa-Lösung hat; also bei der Anordnung 0,125 n -+ 0,01 n HO
ist der Dissoziationsgrad der HO derselbe wie in einer 0,125
norm. HCl1-Lösung, d. i. = ca. 0,95. Der H-Ionengehalt der
„Bugarszkyschen Säurelösung‘‘ ergibt sich auf diese Weise zu
0,0095 g Ion im Liter.
Aus der H-Ionenkonzentration läßt sich nun die OH-Kon-
zentration berechnen, da das Produkt beider, die Dissoziations-
konstante des Wassers, bekannt ist.
Die Messung der elektromotorischen Kraft der Kette ge-
schah nach der Kompensationsmethode, deren Beschreibung
überflüssig ist.) Als Nullinstrument wurde ein Capillarelektro-
meter angewendet, dessen Empfindlichkeit für den vorliegenden
Zweck vollkommen ausreicht, indem es, selbst im Zustande
größerer Unempfindlichkeit, die ganzen Millivolts mit Sicher-
heit, die Zehntel schätzungsweise zu messen gestattet, eine voll-
kommen ausreichende Empfindlichkeit, deren Überschreitung
die Genauigkeit der Messung nicht erhöht. Als Stromquelle
wurde gewöhnlich ein Akkumulator, als Normalelement ein
selbsthergestelltes, mit einem geeichten Element verglichenes
Westonelement benutzt. An Stelle der Meßbrücke wurden zwei
vollständige Widerstandssätze von je 1 bis 1110 Ohm benutzt,
und es wurde der Stromkreis des Akkumulators ständig durch
1110 Ohm geschlossen gehalten, welche bis zur Erreichung der
Kompensation auf die beiden Widerstandskästen verschieden
verteilt wurden. Es wurde etwa alle 10 Minuten eine Bestim-
mung gemacht und dies mindestens 1'/, Stunden lang fortge-
setzt. Das zusammengesetzte Element ändert seine elektro-
1) Es sei auf Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre,
als vorzügliche methodologische Anweisung hingewiesen.
21*
324 L. Michaelis und P. Rona:
motorische Kraft, wenn man ihm keinen Strom entnimmt,
innerhalb von 2 bis 3 Millivolt nicht im Laufe von 3 bis 4 Tagen,
und selbst nach absichtlicher Stromentnahme von einigen
Minuten Dauer stellt sich nach nicht langer Zeit in der Regel
die elektromotorische Kraft wieder her.
2. Kontrollmessungen.
Als Einleitung zu unseren Versuchen, gleichzeitig zur Kon-
trollierung unserer Methodik, führten wir nun eine Reihe von
Messungen aus, welche die Bestimmung der Dissoziationskon-
stanten des Wassers bei 18° zum Ziele hatten. Es wurde nach
dem von Wilh. Ostwald zuerst gemachten Vorschlage die EMK
einer Kette gemessen, deren eine Flüssigkeit eine Lauge, deren
andere eine Säure von bekanntem Gehalt war. Diese Kette erlaubt
daher eine Bestimmung der H-Ionenkonzentration der Lauge,
deren OH-Konzentration ja bekannt ist. Als Verbindungs-
flüssigkeit wurde in diesen Versuchen das Neutralsalz der be-
treffenden Säure und Lauge in der gleichen Konzentration wie
diese benutzt und die beiden Kontaktpotentiale berechnet und
dem gefundenen Werte der EMK zugeschlagen. Zur weiteren
Kontrolle führten wir aber auch Messungen derart sus, daß,
wie bei der Serum-Anordnung, die Säure und die Lauge in einem
Überschuß des betreffenden Neutralsalzes gelöst wurden, wodurch
die Kontaktpotentiale erheblich verkleinert wurden. Diese Kon-
taktpotentiale wurden für jede einzelne Versuchsanordnung mit
Hilfe der Planckschen Gleichung berechnet.
Als mittlerer Wert der Dissoziationskonstanten des Wassers
für 18° ergibt sich (aus Tabelle I) 0,55.10-14,
Vergleichen wir damit die von anderen Autoren gefundenen
Werte, so fanden Kohlrausch und Heydweiller!) 0,59.10-14,
Lundén?) 0,56-10-!* (durch geradlinige Interpolation des für
15 und 25 gefundenen Wertes). Die anderen vorliegenden Be-
stimmungen [vor allem von Löwenherz?)] sind bei anderen
Temperaturen angestellt und gestatten keinen direkten Vergleich,
da der Temperaturkoeffizient der Dissoziationskonstante des
Wassers außerordentlich groß ist.
1) Kohlrausch und Heydweiller, Wiedem. Ann. 53, 209, 1894.
2) Harald Lundén, Journ. de Chim. physique 5, 574, 1907.
3) Löwenherz, Zeitschr. f. physikal. Chem. 20, 283, 1896.
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 325
Das Resultat dieser Messungen war folgendes:
Tabelle I.
Temperatur 18°.
EECHER
EE —
Berech- | Daraus be-
Gefun- netesKon- rechnete Dis-
dene EMK) takt- soziations-
in Volt |potential konstante des
in Volt Wassers
0,02 n KOH |/0,02nKClj| 0,02 n HCI
0,0429 | 0,48.10—14
0,2 n ClNa +! 110,2n CINa +
0,02n NaOH jð ‚Zn en 0,02 n HCI
0,47.10— 1+
0,8 n KC + 0,8 n KCI L
0,02 n NaOH (Dn SO | 0,02 n HCI 0,47-10—14
n KOH || nKCl | nHC
n NaOH || nCiNa | nHCI
0,1 n NaOH ||0,InNCl|| 0,1n HCl 0,62.10—14
0,02n NaOH'0,02nCINaj| 0,02 n HCI 0,68.10—14
Mittel 0,55-10—14
Die Übereinstimmung zwischen diesen Resultaten kann als
überraschend betrachtet werden, zumal es sich um Werte
handelt, die mit drei verschiedenen, voneinander unabhängigen
Methoden gefunden wurden [Kohlrausch und Heydweiller
durch Bestimmung der Leitfähigkeit des Wassers, Lundén
durch Bestimmung des Grades der Hydrolyse schwachsäuriger
Salze, während die Konzentrationskettenmethode zuerst von
W.Ostwald!) und Arrhenius?) angewendet und die richtige
Berücksichtigung der Kontaktpotentiale von W. Nernst?) ge-
lehrt wurde].
0,61.10— 14
0,50.10— 14
8. Messungen mit Blutserum.
Es wurde nun dazu geschritten, die Konzentration der
H-Ionen an einer Reihe von Blutseren zu bestimmen, die teils
1) Wilh. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 11, 6521, 1893.
2) Arrhenius, Zeitschr. f. physikal. Chem. 11, 805, 1893.
3) W. Nernst, Zeitschr. f. physikalL Chem. 14, 155, 1894.
326 L. Michaelis und P. Rona:
vom Menschen, teils von verschiedenen Tieren stammten, teils
frisch, teils alt waren. Die Aufbewahrung der Sera geschah in
eingefrorenem Zustande. Die Resultate der Messungen sind
lgende:
SSES Tabelle II.
2 Konzentration
S å
er
Material E RB der H-Ionen op Lonen
"E bi
3 = [wenn (H+) x (OH )=
fx] 0,56-10— 14]
Frisches Pferde- |
serum . .... 18° 0,3240 0,00591 0,18-10—7 |3,1-10—7 16
24stünd. Hammel-
serum ..... 18°| 0,3394 0,00591 0,11-10—-7 |6,1.10—7 46
Frisches Hunde-
serum . .... 21°| 0,3239| 0,0089] 0,20.10—7 |2,8-10—7 14
serum (Typhus). [20,5° 0,3449 0,0059 0,085-10— 7 |6,6.10—7 18
serum ..... 19°| 0,3338 | 0,0089 0,13-10— 7 |4,3.10— 34
Hammelserum . |18°| 0,3456 0,0089] 0,077-10—7 |7,3-10—7 95
8 Tage gefrorenes
Hammelserum . {18° 0,3517| 0,00591 0,059-10— 7 |9,5-10—7| 160
22 Tage gefrorenes
Hammelserum . {18 °| 0,3518) 0,0059] 0,069. 10— 7 |9,5-10—7| 160
Frisches Menschen-
serum (chron. Ne-
phritis) . . . . [18° 0,3437| 0,0059) 0,081.10— 7 |6,9-10—7 85
Frisches Menschen-
serum . ....» 18°| 0,3640: 0,0089] 0,036 .10— 7 |16-10 —7 440
1) „Alkalinität“ wird hier definiert als das Verhältnis der
OH-Konzentration zurH-Konzentration. In diesem Sinne hat
die Alkalinität einer jeden Flüssigkeit einen positiven Wert;
eine neutrale Flüssigkeit hat die Alkalinität 1, eine Base
eine Alkalinität >|, eine Säure eine solohe <1.
Es ist z. B, wenn wir die Dissoziationskonstante des
Wassers rund — 10—14 setzen und die Dissoziation der Säuren
und Basen vollkommen annehmen, die Alkalinität von
3/ -HCl = 10—14
Segoe HC = 10
reinem Wasser == 10
2/10 000- NaOH =
a/ -NaOH = 104
p
1
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 327
Um eine Vorstellung zu geben von der Geschwindigkeit
der Einstellung der Kette und der Größe der definitiven Kon-
stanz, sei ein willkürliches Beispiel gegeben:
Zusammenstellung der Kette beendet um 11°% Uhr vorm.
Zeit EMK in Volt
112 07’ 0,3447
11% 17° 0,3405
11b 30/ 0,3372
11» 55’ 0,
12> 10 0,3376
12 30 0,3338 1 Als konstant be-
12 45’ 0,3338 } trachteter, end-
2» 00’ 0,3335 ) gültiger Wert
Nächster Tag
vorm. 10% 00’ 0,3401
Wie man sieht, ist schon 10 Minuten nach Zusammen-
stellung der Kette der Wert so nahe dem definitiven, daß die
Beobachtung ohne einen irgendwie in Betracht kommenden
Fehler abgebrochen werden könnte.
Obwohl die Messungen in jedem einzelnen Fall durchaus
scharf und eindeutig waren, so ergibt sich doch eine wenn auch
nicht erhebliche aber deutliche Abweichung der verschiedenen
Fälle untereinander. Es fragt sich nun, ob diese Abweichungen
auf einem unbekannten wesentlichen Grunde oder auf Zufällig-
keiten beruhen. Als solche kam vor allem der zufällige Kohlen-
säuregehalt des Serums in Betracht. Es wurde untersucht, ob
geringfügige Änderungen des CO,-Gehaltes solche merklichen
Ausschläge hervorrufen können. Dies wurde teils durch Ein-
leiten von CO, in Serum, teils durch Austreiben der Kohlen-
säure durch einen kürzeren oder längeren Luftstrom erreicht.
Die Resultate waren folgende:
K d K d Alkalinität
EMK onz. d. onz. d. CoH
Temp. 18°. Ht-Ionen OH—-Ionen CH
Menschliches Serum, a
frisch . . . . .. 0,3640 0,036-10-7 16:.10—? 440
I.: Dasselbe nach Ein-
leitung von CO,
E unter Druck . . . 0,2723 LA. Io 0,4. 10—77 0,29
Menschliches Serum,
frisch ...... 0,3437 0,081.10—? 6,9.10—7 85
Dasselbe, nachdem
L Stunde lang ein
gelinder Luftstrom
durchgeleitet wurde 0,4007 0,0083:.10-7 68.10—7 8200
LL
328 L. Michaelis und P, Rona:
Hammelserum, |
Dasselbe
H, | 1 Stunde lang 2
MI. Pt | mitLuftdurch- | „Na —— Pt
leitet 8
Temp. 20°. EMK = 0,0298 Volt
H-Ionen des frischen Serums 3,3
H-Ionen des gelüfteten Serums 1
IV. Eine gleiche Kette wie III.
Temp. 18°. EMK = 0,0462 Volt
H-Ionen des frischen Serums 6,3
H-Ionen des gelüfteten Serums 1
Es zeigt sich also, daß man frisches Serum durch Ein-
leiten von CO, leicht um das 40fache in der H*-Ionenkonzen-
tration erhöhen kann, und durch bloßes Lüften leicht um das
3 bis 1Ofache vermindern kann. Geringe Änderungen im CO,-
Gehalt werden entsprechend geringere Ausschläge machen, und
es zeigt sich, daß es überhaupt kein Problem ist, die Reaktion
des Blutserums allgemein bestimmen zu wollen, sondern daß
das immer nur Sinn hat in bezug auf einen bestimmten CO,-
Partialdruck, mit dem das Serum sich in Gleichgewicht ge-
setzt hat. Dies hat Höber!) bereits genau auseinandergesetzt
und experimentell verifiziert.
4. Messungen an Blut.
Von besonderem Interesse ist nun die Reaktion des zirku-
lierenden Blutes, sowie die Frage, ob die physiologischen
Schwankungen im CO,-Gehalt einen erkennbaren Einfluß auf
die Reaktion haben. Höber hat berechnet, daß der Unter-
schied des venösen und arteriellen Blutes etwa derart sein
dürfte, daß das venöse Blut doppelt so viel H-Ionen enthält
als das arterielle.
Wir stellten uns nun die Aufgabe, den Unterschied des
arteriellen und des venösen Blutes der direkten Messung zu-
gänglich zu machen. Das Schlagen des Blutes zur Defibrinierung
ist unter diesen Umständen natürlich unzulässig, wegen der
dabei eintretenden Änderung des Gehaltes an Blutgasen. Die
Messung mußte vielmehr an frischem, ungeronnenem Blut vor-
1) R. Höber, Pflügers Arch. 99. 572, 1903.
Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 329
genommen werden, wie es direkt der Ader entströmt. Als
einzig erlaubter Zusatz, um die Gerinnung zu unterdrücken,
muß das auch schon von Höber für diesen Zweck angewendete
Hirudin bezeichnet werden, welches die Reaktion des Blutes
nicht ändert. Schon Höber hat diese Tatsache festgestellt,
und auch der folgende Versuch beweist bei etwas anderer Ver-
suchsanordnung das gleiche. Es wurde aus der stark blutenden
Ohrvene des Kaninchens das Blut direkt in dem Elektroden-
gefäß aufgefangen und sofort, ehe noch Gerinnung eintrat,
Wasserstoff eingeleitet. Die gleich eintretende Gerinnung
war dann weiter nicht störend. Ein zweites Mal wurde
das ebenso gewonnene Blut mit etwas Hirudin (von Sachsse u. Co.,
Leipzig) versetzt, derart, daß in das trockene Elektroden-
gefäßB vorher einige winzige Körnchen des Hirudins an den
Wänden verteilt wurde. Dadurch ist die Handhabung sehr
erleichtert, weil man bequem Zeit hat, den Wasserstoff einzuleiten.
Sollte die Hirudinmenge etwas knapp bemessen sein, so daß
verspätet noch Gerinnung eintritt, so schadet das nichts. Die
mit und ohne Hirudin gewonnenen Werte sind identisch. In
der Folge wurde dann nur noch mit Hirudin gearbeitet, und
zwar einige Versuche mit venösem Blute vom Kaninchen aus
der Ohrvene, andere mit arteriellem Blute aus der Carotis des
Kaninchens. Die Entnahme aus der Vene geschieht in der
Weise, daß zunächst das Ohr mit einem mit wenig Xylol be-
feuchteten Läppchen eingerieben wird, wodurch sich die Venen
mächtig erweitern, und dann mit einer kleinen Lanzette ein
Schlitz in die Randvenen des Ohres geschnitten wird. Das
Blut quillt dann rasch in dicken Tropfen hervor. Das Carotiden-
blut wurde aus der durch Operation freigelegten Carotis ent-
nommen; Narcotica wurden für die Operation nicht angewendet,
um dem Blute nicht ein fremdes Gas beizumengen, welches
den Partialdruck der Wasserstoffatmosphäre vermindern könnte.
Es ergaben sich nun folgende Werte:
Temperatur überall 18°.
A. Venöses Kaninchenblut.
EMK H-Ionen OH-Ionen
1. Ohne Hirudin . . 0,3159 Volt 0,25-.10-? 22.1077
2. Mit Hirudin. . . 0,3250 ,, 0,17:10° 3,2. 1077
3. Mit Hirudin. . . 0,3164 ,, 0,25. 107 22.1077
Mittel: 0,22. Ir"
330 L. Michaelis und P Rona:
B. Arterielles Kaninchenblut.
H-Ionen
1. Mit Hirudin . . . 0,3022 0,41-10”
2. 29 92 D ° D 0,3230 0,18 2 107
Mittel: 0,30 .10?
Mit den bisher erreichten Grenzen der Genauigkeit ist es
also nicht gelungen, einen sicheren Unterschied zwischen venösem
und arteriellem Blut nachzuweisen. Die Werte selbst decken
sich mit denen von Fränkel, Höber und Farkas gefunde-
nen gut.
Wir müssen nun noch die Fehlerquellen dieser Methode
der direkten Messung des Blutes erwägen. Diese Fehler rühren
von dem Gasgehalt des Blutes her, und zwar erstens von dem
Gehalt an Sauerstoff, zweitens von dem Gehalt an CO,. Der
Einfluß der Kohlensäure ist folgender: Nach der Zusammen-
setzung der Gaskette entweicht etwas CO, aus dem Blute und
mischt sich dem Gasraume bei. Dadurch wird erstens die
Reaktion des Blutes etwas geändert, zweitens der elektrolytische
Lösungsdruck der H,-Elektrode etwas vermindert. Diese
Fehler können nur minimal sein, denn das Gleichgewicht
zwischen Blut und Gasatmosphäre ist schon erreicht, wenn
dem Wasserstoff wenige Prozente CO, beigemengt sind. Da
der elektrolytische Lösungsdruck der Quadratwurzel aus dem
Partialdruck des Wasserstoffes proportional ist, so ergibt sich
durch einfache Berechnung, daß der dadurch geschaffene Fehler
minimal ist. Eine eigene elektromotorisch wirkende Funktion
kommt der entwichenen CO, nicht zu, wie Höber nachgewiesen
hat. Dies ist von dem in den Gasraum entweichenden Sauer-
stoff nicht ohne weiteres zu sagen; der Sauerstoff setzt nicht
nur den Partialdruck des Wasserstofles herab, sondern er hat
eine eigene potentialbestimmende Wirkung, die der des Wasser-
stoffes gerade entgegengesetzt ist und die Potentialdifferenz
der Elektrode kleiner machen muß, als sie sich aus der reinen
H,-Elektrode berechnen läßt.
Da die Potentialdifferenz der Elektrode durch die An-
wesenheit von etwas O, erniedrigt wird, so wird dadurch die
gemessene elektromotorische Kraft der Kette etwas vermindert
werden, die berechnete Konzentration der H-Ionen wird etwas
Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 331
zu groß ausfallen, das arterielle Blut wird saurer erscheinen
als es wirklich ist.!)
Jedenfalls könnte es sich nur um eine sehr geringfügige
Differenz in der Alkalinität des venösen und arteriellen Blutes
handeln. Um diese geringeren Differenzen auch experimentell
sicher zu stellen, bedarf es noch besonderer, wohl durchführ-
barer Vorsichtsmaßregeln, von denen wir aber in der vorliegenden
Arbeit noch absehen mußten.
Von besonderem Interesse ist nun noch die Reaktion
des (gesamten) Blutes bei Körpertemperstur. Zur Er-
mittelung derselben wurde das venöse Kaninchenblut mit etwas
Hirudin direkt in dem Elektrodengefäß aufgefangen und die
ganze Gaskette in ein Wasserbad von 38° versenkt. Es
ergab sich:
EMK in Volt Konz. d Ht-Ionen Konz, d. OH Ionen Alkalinität
l. 0,3322 0,38. 10—77 6,8. 107” 18
2. 0,3254 0,41 -10—77 GE Dm 15
Es wurde hier der innerhalb der ersten halben Stunde der
Beobachtung sich ergebende Wert genommen. Eine zeitlich sehr
ausgedehnte Beobachtung gibt durchaus falsche Werte wegen der
allmählich eintretenden irreversiblen Änderungen des Blutes
und des Gasraumes. Aus demselben Grunde war es auch nicht
möglich, die Änderungen der Reaktion innerhalb der physio-
logischen Temperaturen von 38 bis 42° an einer Blutprobe zu
studieren. Die Änderungen erwiesen sich nämlich als so gering-
fügig, daß sie durch nicht auszuschaltende, spontane, irrever-
sible Änderungen des Blutes verdeckt wurden. Es wurde in
ähnlicher Weise wie später beim Serum versucht, das Blut
innerhalb des Wasserbades wiederholt zwischen den Tempe-
raturen von 38° bis 42° hindurchzuführen, jedoch kehrte die
EMK bei der Rückkehr auf eine schon vorher eingestellt ge-
1) Dem allmählichen Entweichen von O, in den Gasraum hinein
ist es wohl auch zuzuschreiben, daß bei Ketten mit Blut (niemals mit
Serum) der anfängliche Wert der EMK ganz allmählich im Laufe von
24 Stunden beträchtlich fällt (z. B. von 0,332 Volt auf 0,274 Volt) und dann
viele Tage, bis zum Eintritt der Fäulnis, innerhalb weniger Millivolt
konstant bleibt, In Anbetracht der raschen Einstellung unserer Ketten
wird man daher die früheren Ablesungen den späteren im Zweifelfalle
stets vorziehen müssen.
332 L. Michaelis und P. Rona:
wesene tiefere Temperatur stets über den zuerst bei dieser
Temperatur gemessenen Wert hinaus zurück. Es ließ sich da-
her die Abhängigkeit der EMK von der Temperatur experi-
mentell nicht sicher feststellen, nur ist es sicher, daß diese
Abhängigkeit minimal ist.
Wenn wir diese Zahlen mit denen bei 18° gewonnenen
vergleichen, so können wir sagen, daß in weiten Grenzen
die H-Ionenkonzentration des Blutes unabhängig von
der Temperatur ist. Unter Berücksichtigung des Umstandes,
daß die Dissoziationskonstante des Wassers mjt der Temperatur
stark ansteigt, berechnet sich, wenn man die H-Ionenkonzen-
tration von der Temperatur unabhängig als rund 0,35 - 10-7 zu-
grunde legt, für die OH-Ionenkonzentration und für die Alkali-
nität des Blutes:
Dissoziationskonstante ——
Temperatur dos Wassers en * un
(nach Lundén) —
180 0,56 - 10—14 Lë 107 4,6
25° 1,05. 10—14 A0. Ir? 8,6
38° interpol. 2,6. 10-1* 7,4. 1077 21
40° 2,94. 10—24 RA. 1077 24
Hiermit wird die von Henderson (l. c.) theoretisch ge-
forderte Erhöhung der Alkalinität mit steigender Temperatur
bestätigt. Die Änderungen innerhalb der physiologisch inter-
essierenden Temperaturbreite sind aber äußerst gerinfügig.
5. Die Neutralitätsregulierung im Serum.
Um einen zahlenmäßigen Ausdruck für das neutralitäts-
regulierende Vermögen des Serums zu gewinnen, stellten wir
uns die Aufgabe, die wahre Reaktion von Serum zu messen,
dem bekannte Mengen von HCl oder NaOH zugefügt wurden.
Es wurde zu je 5,7 ccm Serum 0,3 ccm einer bestimmten Säure-
oder Alkalilösung zugegeben und diese Flüssigkeit untersucht.
Ein Serum, welches in gleichem Verhältnis mit destilliertem
Wasser verdünnt wurde, zeigte nach Kontrollversuchen keinen
Unterschied gegenüber dem ursprünglichen Serum. Es ergab
sich dabei folgendes:
Elektrochem. Alkalinitätamessungen an Blut und Serum; 333
Hammelserum, mit einem Gehalt
von...g Mol. HCI pro Liter Konz. der H+-Ionen
0 a) 0,13- 1077
b) 0,10.10-
c) 0,07:10-”
0,005 "ERT:
0,0125 0,83-10-7
0,025 2,87.10-7
0,05 166-10—
Dasselbe mit einem Gehalt
von... g Mol. NaOH pro Liter
0,00005 a) 0,046. 10-7
0,0005 b) 0,064. 10-7
0,030- 10—7
0,005 0,034- 10-7
0,05 0,00014. 10
Überblicken wir diese Messungen, so springt das regu-
lierende Vermögen für annähernd neutrale Reaktion stark in
die Augen. Gröbere Änderungen der Reaktion finden zwischen
einem Gehalt von 0,025 n HCl und 0,005 n NaOH überhaupt nicht
statt. Bei weiterer Überschreitung dieser Grenze nimmt aller-
dings die Änderung der Reaktion rapide zu. Betrachten wir
nun innerhalb dieser Zone des höchsten Regulationsvermögens
den Einfluß von Säure und Base genauer, so fällt zunächst
auf, daß die Regulation gegenüber Säuren viel weiter geht als
gegen Lauge. Zusatz von 0,005 g-Mol. HCI pro Liter hat über-
haupt keinen merklichen Einfluß, während sich schon die aller-
geringsten Mengen Lauge (0,00005 g-Mol. pro Liter) bemerkbar
machen. Die genaue Neutralität besteht bei einem Gehalt von
etwa 0,01 n HCl.
6. Einfluß der Temperatur.
Die bisherigen Messungen wurden fast alle um 18° herum
vorgenommen. Es ist nun von Interesse den Verlauf der Re-
aktion bei steigender Temperatur zu verfolgen. Dabei sollen
nur diejenigen Temperaturen zunächst berücksichtigt werden,
die keine irreversiblen Änderungen des Serumeiweißes hervor-
vorrufen, also zwischen 0 und 50°. Unsere Form der Gaskette
setzt uns direkt in den Stand, bei einer Serumprobe die Ände-
334 L. Michaelis und P. Rona:
rung der elektromotorischen Kraft mit steigender Temperatur
zu beobachten. Zwar kann man bei der beschränkten Zeit der
Beobachtung bei jeder einzelnen Temperaturstufe nicht die
völlige Konstanz der Kette abwarten, jedoch sind die nach
1/, Stunde Beobachtungszeit eintretenden Änderungen so un-
erheblich, daß sie für das Resultat absolut nicht mehr in Be-
tracht kommen.
Die Anderungen der EMK mit der Temperatur sollten
vollständig reversibel sein. Um sich davon zu überzeugen,
wurden dieselben Serumproben mehrere Male hin und zurück
über dieselben Temperaturgebiete -gebracht und gemessen. Es
ergab sich folgendes:
I. Frisches Hundeserum.
Konz. Dissoziations- x — Alkalinität,
Temp. EMK der =. de (,„ OH-
H- Ionen Wassers!) OH-Ionen "nt
21° 0,3239 0,20-10-”7 0,8-10-1* 40-107 20
32° 0,3294 0,27.10” 1,8-.10-1* GH, Lu? 25
38° 0,3316 0,32-10-7 2,6-10-1* 81-107 25
42° 0,3331 0,35-10-7 3,2-.10-14 OI. 107 26
48° 0,3371 0,40.10—7 GR 107140 12.10 30
52° 0,3349 0, 49. 1077 ca.6-10-1* 12.107 25
Wieder
zurück 0,3150 0,31-107 0,8-10-1 2,6-10-” 8,4
auf 21°
II. Frisches Menschenserum (Typhus).
Gang der Temperatur: a) 10,5°, 20,5°, 30,5°, 38,5°, 40,5°,
44,0°; b) 20,5°, 40,5°; c) 20,5°, 40,5°; d) 20,5°, 40,6°.
Das Serum befindet sich also z. B. 4mal auf 20,5°.
10,5° 20,6 30,5° 38,5° 40,5? 44
a) 0,3397 0,3449 0,3502 0,3506 0,3515 0,3544
b) 0,3305 0,3479
c) 0,3324 0,3493
d) 0,3323 0,3497
1) Berechnet nach den Angaben von Lundén (Loi, ev. mit
Interpolation.
Elektroohem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 335
Aus dem letzten Wert berechnete H*+-Ionenkonzentration:
Kan, groses K dni, Steeg
——— H-—- Ionen des OH-Ionen Con -
Wassers CH
20,5° 0,15. 10-7 0,8. 10—14 Bä. 1077 35
40,5° 0,18-.107 3,0. 10—14 17-10” 94
III. Die Brauchbarkeit der Methode zeigt z. B. folgender
Versuch. Die Kette
Pt 2n CIK — ga CK Pt
H, | +0,05nH0l +0,05nHl | H,
zeigt bei 18° . . 2.2.2... . 0,0554 ber. 0,0576
bo, 0,0517 58433 0,0841
wieder bei 18° . 2... . . . 0,0054 33558 0,0576
nach 48 Stunden wieder bei 18°. 0,0554 53.23 0,0576
Es zeigt sich also, daß beim Serum die Schwankungen der
EMK beim Temperaturwechsel sehr gering sind. Die Rückkehr
zu den früheren Werten, wenn man die niedere Temperatur
nach Durchgang durch die höhere wieder einstellt, ist keine
ganz vollkommene, sondern wird etwas überschritten. Beim
zweiten und dritten Mal des Hin- und Zurückgehens kehrt je-
doch die EMK innerhalb der Versuchsfehler völlig zurück. Es
hat also den Anschein, als ob durch die erste Erwärmung eine
geringfügige irreversible Änderung eintritt, die man wohl als
ein gewisses Entweichen von CO, in den Gasraum deuten darf,
welches nicht rückgängig gemacht wird.
Wir können also mit ungefährer Annäherung sagen, daß
die EMK der Gasketten mit Serum sich mit der Temperatur
kaum ändert. Daraus folgt, daß auch die H-Ionenkonzentration
nur wenig von der Temperatur abhängig ist. Da aber die
Dissoziationskonstante des Wassers stark mit der Temperatur
steigt, so folgt daraus, daß die Konzentration der OH-Ionen
im Serum mit der Temperatur zunimmt, und daß auch die
„Alkalinität‘“‘ mit der Temperatur zunimmt, wenn wir die Al-
kalinität definieren als das Verhältnis der OH-Ionen zu
den H-Ionen. Aus Versuch I ergibt sich dieses Resultat
natürlich nur, wenn wir als richtigen Wert für die niederen
Temperaturen nicht den ersten, sondern den definitiven Wert
nach der Abkühlung von der höheren Temperatur betraohten.
336 L. Michaelis und P Rona:
7. Denaturierung und Koagulation.
Schon im vorigen Abschnitt streiften wir die Frage, ob
die Reaktion des Serums durch Temperaturveränderungen eine
irreversible Änderung erleidet. Wir mußten dies zum Teil be-
jahen, konnten aber mit großer Wahrscheinlichkeit die Ände-
rungen auf geringfügiges Entweichen von Kohlensäure zurück-
führen. Jedenfalls können sie mit einer beginnenden irreversiblen
Veränderung der Eiweißkörper nichts zu tun haben, da sie schon
bei Erwärmen auf 42° eintraten. Es erhebt sich nunmehr die
Frage, ob bei der irreversiblen Hitzeveränderung des Serums
außerdem noch eine irreversible Änderung der Reaktion eintritt.
Ee wurde Serum auf 55°, in anderen Fällen auf 100° eine
halbe Stunde lang erwärmt, und seine Reaktion mit der des
unerwärmten Serums verglichen. Wurde die Erwärmung ohne
besondere Vorsichtsmaßregeln vorgenommen, so zeigt sich regel-
mäßig eine sehr kleine Erhöhung der Alkalinität. Sie wurde
zunächst vermutungsweise wieder auf das Entweichen von CO,
zurückgeführt. Deshalb wurde in weiteren Versuchen die Er-
wärmung in einem luftdicht abgeschlossenen Gefäß vorgenommen,
welches nach der Abkühlung erst längere Zeit zur Einstellung
des CO,-Gleichgewichtes sich selbst überlassen wurde, bevor es
geöffnet wurde. In anderen Versuchen wurde außerdem zur
Vermeidung von Lösung von Alkali aus dem Glase ein Kolben
aus Jenenser Glas verwendet. Es wurde ferner Serum mit be-
stimmten Mengen HCl versetzt. und die Reaktion der Flüssig-
keit vor und nach dem Kochen verglichen.
1. Pferdeserum . . . 10
2a/,-CINa-Lösung . 90 $ — Mischung A.
n Essigsäurelösung 0,5
Zusammensetung der Kette:
Mischung A || »/,-CiNa fal, HO
— —
Kontakt- Kontakt-
0 0,032 Volt
a) unerhitzt: EMK — 0,203 V.; (HT) =1,1.10~*,
b) gekocht (fein koaguliert) EMK — 0,216 V.; (H+) = 0,65. 10>.
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 337
2. Zehnfach mit destilliertem Wasser verdünntes Pferde-
serum.
Kette:
Serumverdünnung || ?/,,-CINa || ®/, HO
Kontaktpot. =
0,032 Volt
a) unerhitzt EMK — 0,320; (H+) = 0,089. 10”,
b) gekocht = 0,324; = 0,082. 10°.
3. 10 eem Pferdeserum 4 90 com n CIK-Lösung.
Kette:
Serumverdünnung || 0,9 n CIK || 0,9 n CIK,
-+ 0,01 n OH
wu u.
Kontaktpotentiale = annähernd 0
a) unerhitzt: 0,316 V.; (H+) = 0,57:10-”,
b) gekocht (milchig, ohne grobe Flocken) 0,339 V. IC
= 0,18. 10”.
4. Kette:
A.
Das ungekochte Gemisch || „ LO
von Versuch Nr. 3 |
0,242 Volt.
m, = — aus Versuch Nr. 3 ergibt sich durch Rechnung: SS
Cup 2,6’ ' E?
6. Pferdeserum, mit 9 Teilen »/,-CINa verdünnt.
Kette:
in verschlossener Druckflasche
vorher gekochtes Gemisch.
ungekocht 1,03
EMK = 0,007 Volt; —— —
6. Frisches Hammelserum; l
gewöhnliche Kette:
18°: EMK = 0,3401 V.; (H+) —=0,13-10-”,
1/, Stunde auf 55° erhitzt; dann bei 18°:0,3498; (H+)
— 0,092- 1077;
B.
Das gekochte Gemisch
von Versuch Nr. 3
ungekochtes Gemisch |
Ca ungekocht 1,4
Ge gekocht 1°
Biochemische Zeitschrift Band 18. 22
338 L. Michaelis und P. Rona:
7. Dieselben Serumproben.
Kette:
Erwärmtes Serum || genuines Serum
EMK == 0,0086 V;
Cu ungekocht 1,40
Ca gekocht 1
Es ist in allen Proben ein sehr geringfügiger Unterschied
im H-Gehalt des ungekochten und des gekochten Serums. In
der Probe, bei der das Kochen in verschlossenem Gefäß vor-
genommen wurde, ist der H-Ionengehalt praktisch völlig gleich
geblieben. Es läßt sich in den anderen Fällen die geringfügige
Änderung zwanglos durch ein minimales Entweichen von CO,
erklären, da wir ja früher sahen, daß energisches Austreiben
der Kohlensäure viel stärkere Änderungen im Gefolge hat. Wir
können nun daraus erstens schließen, daß die Reaktion des
Serums beim Kochen sich nicht ändert, daß bei der Denaturie-
rung, gleichgültig ob mit oder ohne Koagulation, eine Ände-
rung der Reaktion nicht eintritt. Da aber auch bei vorhandenem
Säureüberschuß eine Änderung der Reaktion beim Kochen nicht
eintritt, so können wir ferner schließen, daß auch das Säure-
bindungsvermögen des Eiweißes beim Kochen nicht geändert
wird. Daraus folgt, daß die Koagulation nicht mit einer Auf-
epaltung des Eiweißmoleküls verbunden sein kann, die saure
oder basische Gruppen frei machte, wie es z. B. die Trypsin-
verdauung?!) tut. Diese Feststellung verlohnte sich deshalb,
weil häufig angegeben wird, daß Eiweiß beim Koagulieren die
Acidität einer sauren Lösung vermindere.
Zusammenfassung:
Es wird eine einfach reproduzierbare Form der Gasketten
beschrieben, die die Messung der H-Ionen in wenigen Kubik-
zentimetern von Körperflüssigkeiten gestattet und in wenigen
Minuten sich auf ihren Gleichgewichtszustand einstellt. Eine
Reihe von Kontrollmessungen, die die Dissoziationskonstante
des Wassers bestimmen sollen, zeigt die Verläßlichkeit der
Methode.
Die Reaktion des Blutserums wird zwischen 0,036 und
0,20-10” normal in bezug auf H-Ionen gefunden. Die Schwan-
1) S. P. L. Sörensen, Enzymstudien. Diese Zeitschr. 7, 45, 1908.
Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 339
kungen rühren von dem zufälligen jeweiligen Kohlensäure-
gehalt her.
Durch Einleiten von CO, ließ sich der H*-Gehalt des
Serums leicht auf LA. IT, durch Austreiben von CO, ver-
mittels eines Luftstromes leicht auf O, S IO? bringen.
Das frische Blut, sei es mit oder ohne Hirudinzusatz, hat
einen H+-Gehalt von 0,2 bis 0,4-10-7 bei 18°, also eine AL
kalinität von rund 7; bei 38° den fast identischen H*-Gehalt
von ca. 0,4.10— und eine Alkalinität von rund 20.
„Alkalinität“ wird definiert als an
Die Ionenkonzentration im Serum wird bestimmt, welchem
verschiedene Mengen Säuren und Laugen bekannten Gehaltes
zugesetzt werden, und so festgestellt, daß das neutralitätsregu-
lierende Vermögen des Serums den Säuren gegenüber weiter
geht als den Laugen gegenüber.
Der Einfluß der Temperatur auf die Reaktion wird
experimentell studiert. Die H-Ionen nehmen nur wenig mit
steigender Temperatur zu. Da aber die Dissoziationskonstante
des Wassers mit der Temperatur stark ansteigt, nimmt die
Alkalinität des Serums mit der Temperatur etwas zu, z. B. von
35 bei 20° auf 94 bei 40°.
Beim Denaturieren des Serums durch Hitze mit oder ohne
Gerinnung ändert sich, wenn man die Austreibung von CO,
verhindert, die nach dem Erkalten bestimmte Reaktion nicht,
und ebensowenig das Säurebindungsvermögen des Serums.
298
Untersuchungen über physikalische Zustandsänderungen
der Kolloide.
VIII. Mitteilung.
Studien am Säureeiweiß.
Von
Wolfgang Pauli und Hans Handovsky.
(Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien, physikalisch - chemische
Abteilung.)
(Eingegangen am 30. April 1909.)
Mit 3 Figuren im Text.
Das Studium der kolloiden Zustandsänderungen eröffnet
Wege in die vielfach noch dunkle physikalisch-chemische Kon-
stitution der Eiweißlösungen, und umgekehrt gestattet die Fest-
stellung der letzteren gewisse Gesetzmäßigkeiten der Zustands-
änderungen der Proteinkörper aufzuklären. Für die Fortschritte,
welche sich durch das Zusammenfassen dieser Methoden in der
physikalischen Chemie der Eiweißreaktionen erzielen lassen,
sollen diese und die folgenden Mitteilungen über eine Reihe
zum Teil seit langem in der Hauptsache abgeschlossener Ar-
beiten an unserem Institute weitere Belege bringen.
Versetzt man ein sorgfältig dialysiertes Serumeiweiß mit
etwas Säure, so hat dasselbe die Fähigkeit erlangt, im elektri-
schen Strome zum negativen Pole zu wandern, zugleich aber
seine Koagulierbarkeit durch Alkohol und durch Hitze ein-
gebüßt. Gleichzeitig hat seine innere Reibung eine mächtige
Erhöhung erfahren. Durch Überschuß von Säure wird die
Alkoholfällbarkeit restituiert (Schorr!) und die erhöhte Vis-
cosität wieder herabgesetzt (siehe unten). Ebenso wirkt ein
1) Zitiert nach Pauli, Kolloidohemische Studien am Eiweiß. Dres-
den 1908.
W. Pauliu. H. Handovsky: Untersuch. üb. phys. Zustandsänd. usw. VIIL: 341
Zusatz von irgend einem Neutralsalz in bezug auf die Her-
stellung der Gerinnbarkeit von Säureeiweiß durch Hitze?!) und
Alkohol?) und auf die Abnahme der inneren Reibung (siehe
unten). Schließlich besteht noch in dem Punkte eine Über-
einstimmung zwischen reiner und mit Neutralsalzzugabe kom-
binierter Säurewirkung auf Eiweiß, daß ein genügender Über-
schuß von Säure allein oder ein Zusatz von Neutralsalz zu
nicht fällenden Säuregaben schon in der Kälte eine irreversible
Eiweißflockung herbeizuführen vermag. Es hat sich nun ge-
zeigt, daß alle diese Erscheinungen in einfacher und gesetz-
mäßiger Weise zusammenhängen.
Experimenteller Teil.
A. Innere Reibung von Säureeiweiß.
In allen Versuchen wurden zumeist aus Rinderseren?) mittels
sorgfältiger, bis zweimonatiger Dialyse gewonnene und durch
mehrmonatiges Stehen und Abfiltrieren vollkommen geklärte
Eiweißlösungen verwendet. Die Viscositäten wurden mit passen-
den Viscosimetern nach Ostwald bei 25° C, die spezifischen
Gewichte der Lösungen in 20 g fassenden Ostwald-Sprengel-
schen Pyknometern bestimmt. Der exakten Temperaturregu-
lierung, der Vermeidung von Schaum oder feinster Flöckchen-
bildung wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Der Eiweiß-
gehalt der gereinigten Sera schwankte zwischen 2,18 bis 2,32°/,
(aus dem N-Gehalte berechnet). Diese Sera wurden mit gleichen
Teilen der Elektrolytlösung gemischt, so daß der Eiweißgehalt
1) Pauli, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 10, 53.
2) Pauli, Beziehungen der Kolloidchemie zur Physiologie. Leipzig
1906.
3) Die verwendeten Rindersera (RS) und ein Pferdeserum (PfS)
zeigten folgende Werte der spezifischen Gewichte S, Reibungskoeffizienten y
und Eiweißgehalt (aus N-Gehalt nach Kjeldahl):
rm |
S. = 1,00240 | 1,00198 | 1,00284
EE E 1,0409 | 1,0623 | 1,0684
Eiweiß. . | 3,144°/,! 2,184°⁄%] — 2,315,
i
342 W. Pauli und H. Handovsky:
der Mischung etwas über 1°/, betrug. Die angegebenen Elektro-
Iytkonzentrationen zeigen den Gehalt der fertigen Mischungen an.
Tabelle I.
Salzsäureeiweiß.
at und of sind die Reibungskoeffizienten von zweierlei Rinderseren, die
mit HCl in wechselnder Konzentration versetzt wurden.
HCI- |
0,00 n 1,0409 1,0623
0,005 „ 1,0832 1,1255
0,01 „ 1,1660 1,2332
0,012 , = 1,2744
0,015 „ 1,2432 1,2937
0,017 , 1,2432 1,2937
0,02 „ 1,2323 1,2770
0,03 „ 1,1647 1,2224
00 „ 1,1356 1,1822
0,05 „ 1,1206 | 1,6667
Tabelle II.
Versuche mit verschiedenen Säuren und demselben Eiweiß.
Citronen- 8 Schwefel- .
säure Oxalsäure säure
H
n
S 1,1002
0,04 „ 1,1112 1,0751
0,05 „ 1,1408 1,0906
Die Resultate von Tabelle I und II sind in Figur l gra-
phisch wiedergegeben.
Nach diesen Versuchen liegt bei etwa 0,016 n Salzsäuregehalt
ein Maximum der inneren Reibung von Salzsäureeiweiß. Die
Reibung steigt bis zum Maximum jäh an und fällt mit weiterem
Salzsäurezusatz bis 0,05 n um mehr als die Hälfte ihres höchsten
Wertes immer langsamer ab. Die Erscheinungen bei noch
höherem Säuregehaltsind durch dasZusammenspiel von Quellungs-,
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d Kolloide. VIIL 343
Abbau- und Fällungsvorgängen kompliziert, worauf von Schorr
in einer vorläufigen Mitteilung!) aus dem Institute schon auf-
merksam gemacht worden ist.
Von dem Verhalten des Salzsäureeiweißes weichen die mit
anderen Säuren?) hergestellten Eiweißmischungen mehr oder
minder stark ab. Eine Steigerung der Reibung selbst ist wohl
auch hier in einem verschieden großen Bereich, zumindest der
Anfangskonzentrationen, regelmäßig vorhanden und übertrifft noch
immer beträchtlich die aus Eiweiß- plus Säureviscosität berech-
neten Werte.
Ein steter Anstieg ohne Umschlag bis 0,05 n (und darüber)
findet sich bei Zusatz von Essigsäure und Citronensäure zum
Eiweiß. Ein Maximum zeigen »s
die Oxalsäure (bei 0,04n) und
die Trichloressigsäure und
Schwefelsäure (bei 0,01 n).
Das Maximum liegt bei den
zwei letztgenannten Säuren
sehr niedrig, wie überhaupt
die reibungserhöhende Wir-
kung derselben auf Eiweiß
gering ist. In dieser Hinsicht ** EE —
bleibt ihr Einfluß von etwas
über 0,02 n an hinter dem —* —
der anderen Säuren, selbst H
der Essigsäure, zurück. Diese
Besonderheiten sind weder I/IALL/ £ssigs.
von der Stärke der Säuren
noch von ihrem mehrbasi-
schen Charakter bestimmt,
wiederVergleich von Schwefel- ``
säure mit der weit schwäche- —
ren, aber die Eiweißreibung
beträchtlich erhöhenden Oxalsäure, oder der Trichloressigsäure
mit der schwachen Essigsäure lehrt (Fig. 1).
1) Diese Zeitschr. 13, 173, 1908.
2) Salpetersäure zeigt schon in Konzentrationen über 0,01 n zum
Unterschiede von den anderen untersuchten Säuren bei 25° C sofort eine
Trübung. Der Reibungsanstieg unter 0,01 n ist gut nachweisbar.
344 W. Pauli und H. Handovaky:
Die in einer Eiweißlösung durch geringen Säurezusatz
hervorgebrachte Änderung der inneren Reibung erscheint am
ausgiebigsten am Salzsäureeiweiß. Durch die grundlegende
Arbeit von Laqueur und Sackur?!) an Caseinaten ist im
höchsten Maße wahrscheinlich gemacht, daß die Eiweißionen
die Träger der hohen Reibung von Eiweißsalzen sind. Wir
dürfen deshalb auch nach unseren Versuchen zunächst von der
Annahme ausgehen, daß unter allen Säureeiweißen das mit Salz-
säure hergestellte am reichlichsten elektropositive Eiweißteilchen
„Eiweißionen“ enthalten und daß dem Maximum der inneren
Reibung — bei dem Gehalte von 0,016 n HCl — ein Maxi-
malgehalt von elektrisch geladenen Eiweißteilchen entsprechen
werde. In diesem Konzentrationsbereich gelegene Mischungen
von Salzsäure und Eiweiß würden dann Veränderungen an
ihrem ionischen Eiweiß durch ganz bedeutende Änderungen
der inneren Reibung verraten. Von diesem Gesichtspunkte aus
wurden die folgenden Versuche über Beziehungen von Säure-
eiweiß zu neutralen Salzen mit Reibungsbestimmungen ein-
geleitet.
B. Säurceiweiß und Neutralsalze.
Die Versuche sind mit Variation aller Versuchsbedingungen,
mit verschiedenen Seren, Salzen und Säuren in verschiedenen
Konzentrationen, ausgeführt.
In der folgenden Tabelle III sind die vollständigeren Ver-
suche, welche den späteren theoretischen Betrachtungen zu-
grunde liegen, für Salzsäureeiweiß und das Salz einer starken
Säure (NaNO,) und einer schwachen (HCOONa) wiedergegeben.
Die zugehörigen Kurven zeigt Fig. 2. Unter n sind die Reibungs-
koeffizienten, unter D deren Erniedrigung durch Salzzusatz an-
geführt.
Die untersuchten Salze bewirken ausnahmslos eine be-
deutende Erniedrigung der inneren Reibung von Säureeiweiß.
Diese Erniedrigung wächst mit zunehmender Salzkonzentration,
und zwar bei niederen Salzkonzentrationen relativ stark, bei
höheren immer schwächer. Das Salz der schwachen Ameisen-
säure erniedrigt relativ mehr als das der Salpetersäure. Hier
kommt die Verminderung der freien H-Ionenzahl durch Um-
1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 3, 193, 1903.
SS
em
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII 345
setzung in die schwächer ionisierte Ameisensäure zur Salzwirkung
dazu.
Tabelle II.
Konzen-| 0,01 po | oopo | 0,03Hc1 g >z 0,02 HCL
— + RSI +RSII + RSI EE -+ RSII
NaNO,| n | Dla | oD/„ DMS | D
0,0000 n| 1,2362 — 1,2662) — [1,2224 — 10,00001,324 —
0,0006 „| — | — |124640,0188! — | — [0,0002]1,3267| 0,0047
0,0008 „| 1,2018! 0,0344 1,2355 0,0307! — | — 10,0004]1,3342| 0,0018
0,002 „| 1,1790| 0,05721,2079 0,0583 |1,1995'0,0229 | 0,0006[1,3428| 0,0204
0,00% „| 1,1503; 0,0859|1,1757|0,0906 11,1839|0,0385 | 0,002 |1,2968| 0,0266
0,006 „| 1,1276 0, 1086 1, 1574 0, 1os8s — | — [0,004 [1,2486 0,0738
0,008 „| 1,1133 0, 1220 1, 1400 0, 1266 — | — 10,006 |1,2047' 0,1177
0,01 „|1,1062 0,1300 1,13310,1331) — | — 10,01 11,1556 0,1668
0,02 _ „[1,089610,1466 — | — |1,1247/0,09877|0,03 [1,0710] 0,2514
0065 „| — | — l1097310,1689) — | —
o1 „| — | — Inomsoıss| — | —
j
f
0003 0006 4006 gosn NaNO;
Mit zunehmendem Salzsäuregehalt des Säureeiweißes nimmt
die relative Reibungserniedrigung durch den gleichen Salzzusatz
bedeutend ab.
346 W. Pauli und H. Handovsky:
Ähnliches ergibt sich aus der folgenden Tabelle IV für
verschiedene Salze, welche nicht die Reibungskoeffizienten, son-
dern die für den Vergleich genügende Relation von Durch-
strömungszeit für Wasser t, und der betreffenden Lösung t
in 0,2” anführt.
Tabelle IV.
E Viscositäts-
an erniedrigung
on- von
zentration Säureeiweiß
0,1044
0,1889
2. 0,015 B | NaNO, | 0,00000 | 897 | 1,2851 =
HCI 0,00002 | 897 | 1,2851 =
0,00007 | 897 | 1,2851 =
0,0002 | 886 | 1,2693 0,0158
0,002 | s60 | 1,2321 0,0530
3. 0,02 C | NaPO, | 0,00 | 1232 | 1,3193 =
HO 0,01 | 1146 | 1,2270 0,0923
0,03 | 1019 | 1,0910 0,2283
4. 0,02 C |Ur.nitr.| 0,00 |1232 | 1,3193 eg
HCI 0,01 |1137 | 1,2173 0,1020
0,03 | 1057 | 1,1313 0,1880
5. 0,02 C | NaSO. | 0,00 |1232 | 1,3193 =
HO 0,01 | 1042 | 1,1156 0,2037
0,03 | 1016 | 1,0878 0,2315
6. 0,03 A | NaSO, | om |759 | 1,1659 —
HO 0,002 | 756 | 1,1613 0,0046
0,02 |691 | 1,0614 0,1045
7. 0,08 B | NaNO, | 0,00 | 834 | 1,1948 en
(COOH), 0,002 |816 | 1,1690 0,0258
0,004 | 808 1,1576 0,0372
Auch hier zeigt sich die Erscheinung, daß Salzzusatz bei
höheren Säurekonzentrationen (0,03 n HCl) relativ weniger die
Viscosität herabsetzt als bei niederem (0,01 n HCI) (Tabelle IV
1 und 6). Bei der schwächer auf die Viscosität wirkenden
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL.: 347
Oxalsäure ist die relative Reibungsabnahme durch Salzzusatz
kleiner als bei der Chlorwasserstoffsäure.
Als Minimum der Salzkonzentration, welche genügt, um
eine gut nachweisbare Senkung der Viscosität von Salzsäure-
eiweiß hervorzurufen, kann ”/ioooo angesehen werden (Ta-
belle IV, 2).
Die Rolle der Anionen und Kationen des Salzes ist aus
den folgenden vergleichenden Versuchen an einem und dem-
selben Serumeiweiß zu entnehmen.
„ @Guanidinnitr. 1045
Tabelle V.
Serum C.
Säure-
konzentration Salzzusatz t t/to
Anionenwirkung.
1. 0,02 n HO — 1232 1,3193
0,03 n NaCl 1018 1,0899
to = 934 „ NaNO, 1048 l, 1220
„ NaSO, 1016 1,0878
„ NaPO, 1019 1,0910
„ Naacet. 993 1,0632
„Na form. 995 1,0653
„Na benz. 995 1,0653
2. 0,0l n HO — 769 1,1795
0,01 n NaCl 737 1,1304
to = 652 „ NaNO, 736 1,1289
„ NaSCN 724 1,1104
79 Na,SO, 713 1,0935
„ Na acet. 695 1,0659
3. 0,1 n C,H,O, — 752 1,1534
0,01 n NaCl 702 1,0767
tọ = 652 „ NaNO, 704 1,0797
vw NaSCN 703 1,0782
„ (NaCOO), 703 1,0782
„ N&SO, 698 1,0706
Kationenwirkung.
1. 0,02 n HCI — 1232 1,3193
0,03 n NaNO, 1048 1,1220
to = 934 „ Up, nitr. 1067 1,1317
318 W. Pauli und H: Handovsky:
Säure-
konzentration Balzzusatz S Hi
2. 0,02n HO — 1,2762
(RSB) 0,03 n Ba(NO,), 1,1074
to = 698 n NaNO, 1,1103
Nichtelektrolyte.
0,02 n HCI — 1232 1,3193
0,03 n Rohrzucker 1239 1,3266
to = 934 „ Harnstoff 1225 1,3116
„ Giykokoll 1106 1,1842
Für die Anionen ergibt sich, daß der Hauptanteil der
Unterschiede in der Reibungserniedrigung von Säureeiweiß auf
die verschiedenen Affinitätskonstanten der im Salze vertretenen
Säuren zu beziehen ist. Am stärksten erniedrigen die Salze
der schwachen Essig-, Ameisen- und Benzoesäure. Die relativ
starke Erniedrigung durch das Chlorid, verglichen mit der
Wirkung des Nitrates, erklärt sich ungezwungen durch die
Dissociationsherabsetzung von Säureeiweiß und Salzsäure infolge
des gemeinsamen Chlorions. Damit würde auch stimmen, daß
der Unterschied zwischen Chlorid und Nitrat bei schwachen
Salz- und Säurekonzentrationen (0,01 n Tabelle V, 2) ver-
schwindet. Hier folgt die Salzreihe in bezug auf die Reibungs-
herabsetzung sehr gut der Abnahme der Säurestärke ihrer
Anionen. Cl < NO, < SCN, <80, < C,H,0,. Daß aber be-
sondere Umstände außerdem mitwirken können, darauf weisen
schon die Reibungskurven verschiedener Säureeiweiße (Fig. 1)
hin, deren Charakter nicht allein von der Stärke der Säuren
bestimmt wird.
Der Austausch des Kations hat einen verhältnismäßig ge-
ringen Einfluß auf die durch ein Salz bewirkte Viscositäts-
herabsetzung von Säureeiweiß. Ersatz des Natriums durch
Barium oder Guanidin ist kaum merklich.
Die übrigens geringe Differenz zwischen salpetersaurem Harn-
stoff und Natrium findet ungezwungen in der starken Hydro-
lyse des ersteren ihre Erklärung.
Von den nicht ionisierten Stoffen Rohrzucker und Harn-
stoff wird die Reibung von Säureeiweiß nicht merklich anders
beeinflußt als die von reinem Wasser. Glykokoll wirkt als
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 349
amphoterer Elektrolyt, indem es durch Bindung von Salzsäure
die dem Eiweiß zur Verfügung stehende Säure einschränkt
und dadurch die Reibung erniedrigt.
Die durch Salzzusatz bewirkte starke Reibungsabnahme
von Säureeiweiß, welche relativ um so beträchtlicher ist, je
höher die Reibung des Säureeiweißes, je größer also die Zahl
der vorhandenen Eiweißionen ist, führt zu der Vermutung,
daß die Salzzugabe eine Verminderung der Zahl der Eiweiß-
ionen herbeiführt. Diese Auffassung findet eine Stütze in der
Änderung der elektrischen Leitfähigkeit von Säureeiweiß
durch Salzzusatz.
In der folgenden Tabelle sind die spezifischen Leitfähig-
keiten von Säureeiweiß und Säureeiweiß- Salzen enthalten und
daneben die spezifischen Leitfähigkeiten der Salze in wässeriger
Lösung aus den Werten von Kohlrausch berechnet. Die
Reinheit und richtige Herstellung unserer Salzlösungen wurde
durch Bestimmung ihrer elektrischen Leitfähigkeit kontrolliert.
Wir fanden bei 25° C, unserer Versuchstemperatur, die Leitfähig-
keit einer ?/ oo- KBr-Lösung Kxp- = 0,001418 und nach Kohl-
Trausch auf dieselbe Temperatur umgerechnet Rep, = 0,001 421.
Für alc Natriumnitrat wurde von uns Kyano, = 0,0011238
gefunden, während sich der Wert nach den Angaben von
Kohlrausch auf Kyano, — 0,001 1246 stellte.
Die Tabelle enthält nun neben den beobachteten Leit-
fähigkeiten K, der Säureeiweiß-Salzmischungen, die aus der
Summe von Säureeiweiß- und Salzleitfähigkeiten berechneten
Werte K,’ und schließlich die Differenzen K’—K, dieser be-
rechneten und der tatsächlich gefundenen Größen.
Tabelle VI.
Versuche mit Pferdeserum.
0,01 n HO + PfS 4- KBr
Salz- K von KBr K, K; KA K,
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet Gë
0,0009317
0,004 4920 0,005 090 3
0,0020797 0,002 3533
0,0009830 0,001 0822
0,03 n
0,01 n
0,001 n
0,004 1586
0,001 421 6
0,000 1505
0,000598 3(?)
0,0002736
0,0000992
350 W. Pauli und H. Handovsky:
0,01 n HCI+ PfS-- NH,NO,
“ Salz- |KvonNH,NO, K, K, KK,
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet | R
0,00 n 0,0009317
0,03 n 0,0038847 0,004 3032 0,0048164 0,0005132
0,01n 0,001 3432 0,001 9990 0,0022749 0,0002759
0,001 n 0,0001401 0,000 9768 0,0010718 0,000 0950
0,01n HCI + PfS + Ba(NO,),
,
dë
beobachtet | berechnet K—K,
0,0009317
0,0032694 0,003 6848 0,004 201.08 0,000 5163
0,001 1748 0,0018530 0,002 106 48 0,0002535
= Salz- [K von Ba{NO,)g
konzentr. in Wasser
Versuche mit Rinderserum.
0,016 n HCI + RS + NaNO,
e E EE M o M
Salz- K von NaNO, K, K, Ki E
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet
0,00 n 0,002489
0,03 n 0,003262 4 0,005255
0,0l n 0,001 1246 0,003 386
0,005751 0,000 497
0,003614 0,000 228
0,016 n HCI + RS + KBr
Salz- K von KBr K, RK Ki RK.
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet E
—
0,002 489
0,03 n 0,004 1586 0,0061597 0,006 647 6 0,000488
0,01 n 0,001 421 6 0,003 679 0,0039106 0,000 232
Aus den Daten der Tabelle VI ist zu entnehmen, daß
die bei der Mischung von Säureeiweiß mit Salz gefundenen
Leitfähigkeitswerte regelmäßig und beträchtlich unter jenen
liegen, welche für den Fall, daß keine Wechselwirkung zwischen
den in einer Säureeiweißlösung vorhandenen Ionen und den
angefügten Salzionen statthat, berechnet sind. Für die ge-
wählten Salze starker Säuren und Alkalien, Kaliumbromid und
Natriumnitrat, sind die Ks’ —K,-Werte trotz der verschiedenen
Leitfähigkeiten dieser Salze nahezu identisch. Der große Unter-
schied zwischen berechneten und gefundenen Leitfähigkeiten
— — — — —— ëm
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 351
von Säureeiweiß-Salzgemischen gestattet wohl die Annahme,!)
daß der Salzzusatz zum Säureeiweiß zu einer Verminderung
der freien Ionenzahl führt, und die Übereinstimmung der
Ks — K,-Werte bei den verwendeten Salzen spricht dafür,
daß diese Ionenverminderung unter den gewählten Versuchs-
umständen von der Natur des benützten Salzes unabhängig ist.
Diese Feststellungen sind für die theoretische Behandlung der
Salz-Säureeiweiß-Beziehungen von Wichtigkeit.
Der Salzzusatz zu Säureeiweiß ist mit einer Vermehrung
der freien Wasserstoffionen verbunden. Diese interessante
Erscheinung wurde zuerst am Säureglobulin von W.B. Hardy?) N
mittels Methylorange festgestellt.
Wir haben dieselbe für unser wasserlösliches Serumeiweiß
bei verschiedenen Konzentrationen der Säure und bei zahl-
reichen Neutralsalzen mit Hilfe verschiedener Indicatoren unter
Anwendung der aufklärenden Untersuchungen von Frieden-
thal?) und Salm“) regelmäßig wiedergefunden. Von den ge-
prüften Farbstoffindicatoren: Methylviolett, Tropaeolin 00,
Congorot, Cochenille, Rosolsäure, Mauvein, Dimethylamidoazo-
benzol, alizarinsulfonsaures Natrium, Methylorange und Gallein,
waren nur die letzten drei verwendbar, darunter Gallein am
wenigsten. Methylorange und namentlich alizarinsulfonsaures
Natrium zeigen die durch Salzzusatz in Lösung von Säureeiweiß
hervorgerufene Vermehrung der Säuerung so deutlich, daß z. B.
das letztere für einen Vorlesungsversuch geeignet ist.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick der Resultate.
Sämtliche Farbstoffe sind nach den Angaben von Salm be-
reitet. In der Tabelle bedeutet M = Methylorange, A = alizarin-
sulfonsaures Natrium. Kontrollversuche über die Reaktion
wässeriger, neutraler und saurer Lösung sind überall beigefügt.
1) Die von M. Levi zuerst beobachtete, von A. Dumanski näher
untersuchte Tatsache, daß Salze in konzentrierter Gelatine eine geringere
Leitfähigkeit zeigen als in Wasser, wird später im Zusammenhange mit
der theoretischen Deutung unserer Befunde erörtert.
2) Journ. of Physiol. 33, 201.
3) Zeitschr. f. Elektrochem. 10, 114, 1904.
4) Zeitschr. f. physik. Chem. 57, 471, 1906.
352 W. Pauli und H. Handovsky:
Tabelle VII.
Wässerige Lösungen
stoff| HCI- | Salz-
Konz. konz.
Serumhaltige Lösungen
0,02n — rosarot 0,02n — orangegelb
Na,S0, | M „ |0,03n d 0,03n | orangerot
0,02n| — 0,02n | — | orangegelb
NaBr | M „ 10,03n P 0,03n| orangerot!
0,02n| — zeisiggrün | 0,02n | — |bräunlichgelb
Nabi | AI 0085 A „ |003n| gelb
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb
NaNO, | M „.10,03n m e 0,03n | orangerot
0,02n — rosarot 0,02n — orangegelb
Rat? M 8 0,03 n A e 0,03 n | orangerot
0,02n| — rosarot 0,02n — orangegelb
KBr M = 0,03n e s 0,03 n | orangerot
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb
NH,SCN| M »„ ,0,03n = = 0,03n | orangerot
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb
Ca(NO,),| M » |0,03n > 0,03n| orangerot
Nal M 0,02n| — rosarot 0,02 n — 'orangegelb
»„ 10,03n| gelbbraun e 0,03n » Stichrot
0,02n| — rosarot 0,02n — orangegelb
NaSCN | M „ "Un o A 0,03n | orangerot!
0,0075 n|) — | rotbraun
A 0,01 n | gelblichgrün !
Z, 0,005n | — | bordeaurot
QO j 0,0ln| rotbraun!
É 0,0025 n| — violett
2 = 0,01n| krapprot
0,00ln | — rotviolett
e 0,01n | himbeerrot
S 0,02n| — rosarot 0,02n -— orangegelb
CH „ |0,03n| gelbbraun P 0,03n | strohgelb
SG 0,02n| — zeisiggrün 0,02n | — |gelblichbraun
Z. » | 0,03 n | bräunlichgelb e '0,03n weinrot
S 0,02n| — rosarot 0,02 n Be orangegelb
O > 0,03n| gelbbraun z 0,03n| strohgelb
č 0,02n| — zeisiggrün 0,02 n WS gelblichbraun
Z, „ "Dän 3 w |0,03n | weinrot
Die durch Salzzusatz zum Säureeiweiß bewirkte Vermehrung
der freien H-Ionen läßt sich mit den angeführten Farbstoffen
sehr sicher für Säurekonzentrationen von 0,02 n bis 0,001 n und
Salzzusätze von 0,01 n bis 0,03 n nachweisen. Die Schwankung
der H-Ionenkonzentration würde sich dabei nach der Salm-
schen Tabelle im Bereiche von 10-° bis 10—* bewegen. Dafür
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 353
eprechen nicht nur diese positiven Indicatorversuche, sondern
auch unsere negativen mit den übrigen Farbstoffen, deren Um-
schlag nicht in diesen Grenzen des H-Ionengehaltes gelegen ist.
Die Versuche mit Acetat und Formiat zeigen, daß hier
eine H-Ionenverminderung durch den Umsatz in elektrisch-
neutrale Ameisen- und Essigsäuremoleküle überwiegt. Die
H-Ionenkonzentration bewegt sich dabei von 10-5 zu 10-®.
Im folgenden soll die theoretische Vereinigung des ganzen
Tatsachenmateriales mit einigen früheren und neueren Be-
obachtungen über physikalische Zustandsänderungen von Säure-
eiweiß versucht werden.
Theoretischer Teil.
Wie dies in früheren Mitteilungen über die Zustands-
änderungen der Eiweißkörper stets festgehalten wurde, läßt sich
eine strenge Scheidewand zwischen einer mehr chemischen und
einer physikalischen oder elektrochemischen Auffassung der
Kolloidreaktionen nicht aufrichten. Die Verbindung elektrisch
entgegengesetzter Kolloide bietet alle Übergänge zur Bildung
elektrisch neutraler Salzteilchen aus den Ionen, und der Kolloid-
transport im elektrischen Felde ist von der elektrolytischen
Stromleitung im Wesen nicht unterschieden. Die Erkenntnis,
daß nur die Größe der geladenen Teilchen ein elektrisches
Kolloid von einem Ion unterscheidet, ist von J. Billitzer?)
angebahnt worden.
Nachdem bei den Eiweißkörpern ein größeres Material von
Beobachtungen über ihr physikalisches Verhalten und über ihre
Gemeinsamkeiten und Gegensätze mit anderen Kolloiden ge-
sammelt war, lag es nahe, mit der Theorie ihrer Zustands-
änderungen gleichzeitig Anschluß an die indessen gut fort-
geschrittenen chemischen Erfahrungen auf diesem Gebiete zu
suchen.
Bei seiner grundlegenden Aufstellung des Begriffes „am-
photerer Elektrolyt“ hat Bredig*) zuerst (1899) ausgehend von
Beobachtungen an einfachen Aminosäuren die Proteinstoffe in
1) Sitzungsber. d Wien. Akad. 113, Abt. IIa.
2) Zeitschr. f. Elektrochem. 1899, Nr.2.—K.Winkelblech, Zeitschr.
f. physikal. Chem. 36, 546.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 23
354 W. Pauli und H. Handovsky:
die Klasse der amphoteren Elektrolyte eingereiht. Kurze Zeit
darauf (1899) wurde von dem einen von uns (Pauli)!) der
Versuch gemacht, das Verhalten von Globulin gegen Neutral-
salze aus seiner Fähigkeit zu erklären, gleichzeitig mit positiven
und negativen Ionen in Verbindung zu treten und auf die
Analogie mit dem Verhalten einfacher Aminosäuren hingewiesen,
nachdem vorher Spiro?) in seiner bekannten Arbeit mit Pemsel
eine quantitative Untersuchung der ‚Säure- und Basenkapazität‘‘
der Eiweißkörper erfolgreich ausgeführt hatte. In den letzten
Jahren hat vor allem W. B. Hardy’) in seinen Studien am
Globulin im Anschluß an die älteren Arbeiten von Sjöquist*)
sowie Bugarsky und v. Liebermann?) unter Anwendung ge-
eigneter physikalisch-chemischer Methoden die Bindung von
Säuren, Alkalien und Salzen an das Globulin genauer studiert
und eine vornehmlich chemische Auffassung der gefundenen Tat-
sachen in den Vordergrund gestellt. In einer Reihe von Unter-
suchungen am Casein und Globulin hat sich Robertson‘) in
der gleichen Richtung bewegt.
Es scheint nun auch nach unseren Untersuchungen, daß
nicht nur die schon lange als chemisch betrachteten Be-
ziehungen der Eiweißkörper zu den Säuren, Basen und Salzen,
sondern auch gewisse als eigenartige kolloide Zustandsänderungen
angesehene Eiweißreaktionen wie die Hitzekoagulation, Alkohol-
fällbarkeit und die Quellungsvorgänge bis zu einem gewissen
Grade auch einer ohemischen Betrachtungsweise zugänglich ge-
macht werden können.
Zum besseren Überblick der folgenden Bemerkungen sei nur
vorausgeschickt, daß die Hauptunterschiede in den Zu-
standsänderungen von Eiweiß, von den nur durch feine
physikalisch-chemische Methoden in dessen Lösungen nachweis-
baren Veränderungen angefangen bis einerseits zur irreversiblen
Fällung und andererseits zum hydrolytischen Abbau desselben
durch starke Säuren und Basen, auf dem gegensätzlichen
1) Pflügers Archiv 78, 315.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 233.
3) Journ. of Physiol. 33, 251.
4) Skandinav. Arch. 5, 277; 6, 255, Zeitschr. f. klin. Med. 82, 451.
5) Pflügers Archiv 72, 51.
€) Journ. of Biolog. Chem. 2, 317. — Journ. of physio. Chem. 12, 473.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 355
Verhalten von elektrisch neutralem und von geladenem
oder ionischem Eiweiß beruhen.
Eine mit größter Sorgfalt dialysierte Serumeiweißlösung
enthält fast nur elektrisch neutrale Teile, wie die Bestimmung
der elektrischen Leitfähigkeit und die Untersuchung der elek-
trischen Überführung zeigt (Pauli)!).
Da solches Eiweiß zum überwiegenden Teile aus Mono-
aminosäuren besteht, so kann auch sein Zustand in der Lösung
dem einfacher Monoaminosäuren ähnlich angesehen werden.
Chemische und physikalisch-chemische Gründe sprechen dafür,
daß letztere in Lösung fast nur aus elektrisch neutralen Teilen
eines cyclischen Ammoniumsalzes bestehen dürften entprechend
NH
dem Schema RCo | . Nach den bisherigen Untersuchungen ist
— abgesehen vom Wasser — ein strenger amphoterer Elektrolyt
in dem Sinne, daß seine Säure- (K,) und Basendissoziations-
konstanten (Kr) gleich wären, nicht bekannt geworden. Ins-
besondere zeigen die von mehreren Autoren?) untersuchten
Monoaminosäuren eine größere Fähigkeit zur lIonisation von
H-Ionen als von OH-Ionen. Ähnliches konnte vom Eiweiß
erwartet werden. Das Eiweiß wird zu einem Teile unter Wasser-
aufnahme nach dem Schema
H
3 — H,<
R | + H,0,ZR OH
SES COOH
reagieren, und wenn nun für Eiweiß wie für einfache Amino-
säuren K, > Ko gilt, dann wird, allerdings nur in sehr geringem
Maße, eine Dissoziation nach
H
NH, HA
RC "opge R NOH + H-
COOH coo.
erfolgen. Es wird also neben den elektrisch neutralen Eiweiß-
teilen eine kleine Anzahl von elektronegativen Eiweißionen
gebildet.
Schon die früheren Untersuchungen ?) über die elektrische
1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 7, 531; Naturw. Rundsch. 21, 9.
2) Vgl. die Zusammenstellung bei A. Kanitz,Centralbl. £. Physiol. 22,
493 und H. Lundén, Amphbotericelektrolytes, Mitteil.d. Nobelinstitute1,11.
23%
356 W. Pauli und H. Handovsky:
Wanderung von sorgfältig dialysiertem Eiweiß hatten trotz der
Unvollkommenheit der Methodik gezeigt, daß letzte Spuren
einer elektronegativen Ladung kaum zu beseitigen sind, die
sich in einer verschiedenen Umladung und Repulsion in den Pol-
gefäßen verrieten. Neuere Versuche von Landsteiner und
Pauli mit einem eigenen." später von L. Michaelis?) verwendeten
Apparat zeigen, daß bei einer vollkommenen Versuchsanordnung
eine schwache elektronegative Ladung selbst an einem sehr lange
dialysierten Eiweiß regelmäßig gefunden werden kann. Eiweiß
kann also nur als praktisch elektrisch neutral betrachtet werden,
insofern es zum allergrößten Teile aus neutralen und in einem
verschwindenden Anteile aus geladenen Partikeln besteht. Durch
diesen Nachweis bleiben alle in bezug auf die Stabilität
elektrisch neutraler Emulsionskolloide aus dem Verhalten von
amphoterem Eiweiß gezogenen Konsequenzen unberührt, zumal
sehr leicht die Spuren vorhandener negativer Ladung des
Eiweißes ohne Stabilitätsänderung durch Zusätze weiter ver-
mindert werden können.
Die Reaktion von elektrisch neutralem Eiweiß mit Säure
unter Bildung elektropositiver Teilchen kann (z. B. für HO) durch
das Schema:
H An BR
De Con +HA RC Ka + H,O
COOH COOH
dargestellt werden, wobei Dissoziation des Eiweißsalzes in
NH,‘
R< o und Cl’ erfolgt. Nach den Erfahrungen am Säure-
H l
eiweiß müssen wir nun diese elektropositiven Eiweißionen im
Sinne von Abegg und Bodländer?) als Ionen besonders
schwacher Elektroaffinität oder geringer wahrer Haftintensität
ihrer elektrischen Ladung betrachten. Solche Ionen werden
besonders leicht entladen und werden, wo es nur die Um-
stände gestatten, unter Entstehung größerer Komplexe oder
von elektrisch neutralen Molekülen reagieren. Sie werden also
1) Verhdl. d. 25. Congr. f. inn. Med.
2) Diese Zeitschr. 16, 81, 1909.
3) Zeitschr. f. anorgan. Chem. 20, 453.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 357
eine starke hydrolytische Dissoziation zeigen, sobald auf andere
Weise ihre Verminderung unter Bildung elektrisch neutraler
Partikel nicht möglich ist, und werden ihre Neigung zur
Komplexbildung unter anderem in einer starken Hydratation
verraten.
Daß die Eiweißionen die Träger der starken inneren
Reibung sind, haben zuerst Laqueur und Sackur!) bei den
Alkalicaseinaten wahrscheinlich gemacht, und Hardy?) hat sioh
dieser Anschauung nach seinen Versuchen am Globulin ange-
schlossen. Auch unsere Beobachtungen am Säureeiweiß stimmen
widerspruchslos zu dieser Auffassung. Die Reibungserhöhung
von Säureeiweiß erscheint uns als Folge der starken Hydratation
der Eiweißionen, welche (neben der elektrischen Ladung) auch
deren Widerstandsfähigkeit gegen dehydrierende Zustandsände-
rungen (Alkohol- und Hitzekoagulation) bedingt. Jede Beseitigung
der elektrischen Ladung der Eiweißteilchen wird zu ihrer
Dehydratation führen. Bei sehr geringem Säurezusatz (HCl-Kurve
Fig. 1) werden durch die starke Hydrolyse des Säureeiweißes
viele Eiweißionen zu amphoterem Eiweiß zurückgebildet, mit
wachsendem Säuregehalt wird die Hydrolyse zurückgedrängt,
die freien Eiweißionen werden vermehrt, und die Reibung wird
zunächst ansteigen. Fortgesetzte Zugabe von Salzsäure über
0,016 n wirkt nun durch das gemeinsame Cl-Ion unter Zurück-
drängung der Ionisation des Eiweißsalzes unter Bildung der
Cl
elektrisch neutralen Teile vom Typus iR Dehydratation,
Absinken der inneren Reibung sowie Wiedereintreten der
Alkoholfällbarkeit (Schorr) vom Säureeiweiß sind die Folge.?)
Der Gang der Reibungskurve für Salzsäureeiweiß stimmt
im wesentlichen mit dem beim Natriumcaseinat von Laqueur
und Sackur festgestellten überein. Die anderen Säuren zeigen
ein mehr oder weniger abweichendes Verhalten. Am einfachsten ver-
ständlioh ist das von Oxal-, Citronen- und Essigsäure. Mit abneh-
1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol.
2) Journ. of Physiol. 33.
3) Bei weiterem Säurezusatz treten sowohl am ionischen Eiweiß
wie am elektrisch neutralen Teil Veränderungen ein, die einerseits zum
Abbau, andererseits zur irreversiblen Säurefällung führen, deren Be-
sprechung gesondert erfolgen wird.
358 W. Pauli und H. Handovaky:
mender Dissoziationskonstanteder verwendeten Säure wird—gleiche
Ionisation des Eiweißsalzes vorausgesetzt — dessen hydro-
lytische Dissoziation zunehmen. Die Reibungskurve wird sich
weniger steil erheben, das Maximum bei höherer Konzentration
erreicht (OÖxalsäure). Wird schließlich die Säure sehr schwach und
die Hyrolyse demgemäß noch bedeutender, dann reicht der Säure-
zusatz gar nicht zu ihrer völligen Zurückdrängung aus und
der Anstieg der Reibung wird noch mehr verlangsamt, das
Maximum gar nicht erreicht werden (Citronen- und Essigsäure).
Ein auffälliges Verhalten bieten Trichloressig- und Schwefelsäure.
Bis ®/ 0o-Säuregehalt steigt hier die Reibung nahezu wie bei
der Oxalsäure; dann folgt ein Abfall bis **/,,. zu Werten, die
nur wenig über den von amphoterem Eiweiß liegen. Der dann
bei Zusatz von Säure bis ®»/ eo erfolgende Anstieg ist so ge-
ring, daß er ungefähr der zugefügten Säure entspricht. Wir
dürfen demnach vermuten, daß trichloressigsaures und schwefel-
saures Eiweiß nur sehr wenig ionisiert sind und vorwiegend
in Form von elektrisch neutralen Komplexen existieren. Diese
Vermutung findet auch in anderweitigen Versuchen!) eine
Bekräftigung.
In den Beziehungen zwischen Säure und Eiweiß kommen
demnach neben der Stärke der Säuren noch besondere Um-
stände in Betracht. Das zeigt sich deutlich, wenn zwei Säuren
um das Eiweiß konkurrieren. Gleich konzentrierte Essigsäure
und Schwefelsäure geben in den untersuchten Konzentrationen
nur eine geringe, in beiden Fällen wenig verschiedene Reibungs-
vermehrung von Eiweiß. Kombiniert man jede dieser Säuren
mit Salzsäureeiweiß von hoher Viscosität, so wird aber das
Ergebnis in beiden Fällen verschieden sein. Acetat- und
Chlorideiweiß sind nahezu gleich ionisiertt. Wenn Salz- und
Essigsäure um Eiweiß konkurrieren, so wird nach dem bekannten
Verteilungsgesetz das Eiweiß nach Maßgabe ihrer Affinitäten
auf die zwei Säuren verteilt. Es wird also nur ein verschwin-
dender Anteil auf die Essigsäure entfallen und diese wird bei
der genügenden lonisation ihres Eiweißsalzes in der Reibung
nur eine geringe Änderung hervorrufen. Wenn jedoch Salz-
1) Alkoholfällbarkeit und elektrische Leitfähigkeit vonSäureproteinen,
worüber Herr K. Schorr berichten wird,
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 359
und Schwefelsäure um das Eiweiß konkurrieren, so wird nicht
nur infolge der stärkeren Affinität der Schwefelsäure viel Eiweiß
auf diese entfallen, sondern dieser Anteil wird noch durch die
Bildung der überwiegend elektrisch neutralen Eiweißsulfat-
moleküle gesteigert. Dies wird sich in einem unverhältnis-
mäßigen Rückgang der Reibung von Salzsäureeiweiß durch
Schwefelsäurezusatz ausdrücken. Die folgende Tabelle zeigt
einige solche Versuche, die keines weiteren Kommentars bedürfen.
Tabelle VIII.
Kombination von Säuren. (Serum A, B.)
Konzentration Konzentration der
von HCl zugesetzten Säuren
0,000n C,H,0O, 1,3190
0,005n , 1.3148
(8.0 = 934 00n „ 1,3148
0,02n D 1,3148
A 0,03n i 1,3158
0,03n 0,000n C,H,O, 1164 1,2463
0,005n S 1152 1,2334
0,01n D 1152 1,2334
u A 0,020 „ 1152 1,2334
0,04n 0,000n C,H,O, 1125 1,2045
0,005n Së 1118 1,1907
u A 0,0ln „ 1119 1,1917
0,01n 0,00n H,SO, 861 1,2335
tn,o—=698 B 0,01n „ 790 1,1317
0,02n 0,00n H,SO, 888 1,2762
B 0.01n „ 786 1,1298
* a *
Ein ganz besonderes Interesse beanspruchen die Beziehungen
von Säureeiweiß zu Neutralsalzen. Die Neutralsalze vermindern
regelmäßig die Reibung von Säureeiweiß und zwar um so aus-
giebiger, je höher dieselbe ist. Den Angriffspunkt der Salz-
wirkung bilden danach die Eiweißionen, deren Zahl eine Ver-
minderung erfahren muß. Diese Reaktion ist von großer Emp-
findlichkeit, sie ist im Reibungsmaximum (0,016n HCl) schon
bei einem Gehalte von */ .o0.Alkalisalz gut nachweisbar. Sie
geht stets mit einem Freiwerden von H-Ionen einher, was zuerst
360 W. Pauli und H. Handovsaky:
von Hardy (l.c.) am Säureglobulin beobachtet worden ist.
Unsere Auffassung dieser Erscheinung ist allerdings von der
dieses Autors gänzlich verschieden. Hardy meinte, daß die
Reaktion etwa nach dem Beispiel
Na
BAG, Nano, — RH -+ HNO,
verläuft, wobei ein Wasserstoff am Stickstoff durch ein Metall-
ion substituiert würde. Wir halten diese Annahme nicht für
zutreffend und auf Grund der hier mitgeteilten und weiterer
Versuche am Alkali- und Salzeiweiß den Eintritt des Metall-
ions an Stelle des Wasserstoffs der Carboxylgruppe
für wahrscheinlicher. Wenn die Reaktion unserer Ansicht ge-
mäß nach dem Schema
H
R <a -+ NaNO, er <a + HNO,
OH OONa
angenommen wird, dann erklärt sich nicht nur die Vermehrung
freier H-Ionen, sondern auch die Bildung elektrisch neutraler
Moleküle aus den Eiweißionen, die sowohl aus den Reibungs-
versuchen, als auch mit voller Sicherheit aus den Leitfähigkeits-
bestimmungen hervorgeht. Diese elektrische Neutralisierung
läßt sich auf folgende Weise dem Verständnis näher bringen.
Wie bei Säurezusatz das Eiweiß unter Dissoziation des Säure-
anions zur Bildung elektropositiver Eiweißionen veranlaßt wird,
so kommt es bei Alkalizugabe durch Eintritt des Metallions
in die Carboxylgruppe zu einer Art Salzbildung unter Ent-
stehung elektronegativer Protein- und Dissoziation der positiven
Metallionen. Wenn aber gleichzeitig starke Anionen und Kat-
ionen mit dem Eiweiß reagieren, dann werden sich die entgegen-
gesetzten lIonisierungstendenzen fast vollständig das Gleich-
gewicht halten und die Moleküle vom Typus RC werden
‚NH,C
\cooNa
zum größten Teile!) in neutraler Form bestehen. Setzt man
ei S e x NH,S: e
zum Säureeiweiß von der allgemeinen Form R< OOH ein
1) Eine sehr kleine Partie wird entsprechend dem etwas verschie-
denen Ks und Kp des Eiweißes nach der einen Richtung mehr ionisieren,
wie sich aus noch unveröffentlichten Versuchen von Pauli und Brüll
ergibt.
— — (u u — — — —
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 361
Salz MeSır dazu, so wird die Leitfähigkeitsänderung, abgesehen
von der Dissoziation und den Ionenbeweglichkeiten von MeS1;,
im negativen Sinne beeinflußt durch die Entstehung der elek-
NH,S
trisch neutralen Teile RC COON aus den Ionen des Eiweiß-
e
salzes, und im positiven durch den Ersatz der Me-Ionen des zu-
gefügten Neutralsalzes durch das weit leichter bewegliche H-Ion
unter Bildung der Säure Hp: Wählt man das Anion des
Metall- und des Eiweißsalzes so, daß sowohl die anfänglich zu-
gesetzte HS; als auch die sekundär gebildete Där eine starke
Säure ist, dann wird die Leitfähigkeitssteigerung durch Säure-
bildung aus dem Salze MeSıı immer den gleichen Wert aufweisen.
Nimmt man das Kation Me des zugesetzten Salzes stets aus der
Gruppe der stark elektroaffinen Metalle, dann wird auch die Bil-
dung elektrisch-neutraler Teile aus dem Säureeiweiß immer in
dem gleichen Ausmaße erfolgen. Unter diesen Verhältnissen
muß die durch die Salzwechselwirkung mit Säureeiweiß hervor-
gebrachte Leitfähigkeitsänderung von der Beweglichkeit der Salz-
ionen unabhängig sein und in der Tat bleiben die Differenzen der
theoretisch berechneten und der tatsächlich beobachteten Leit-
fähigkeiten K, — K’, (Tab. VI) für Salze ganz verschiedener
Leitfähigkeiten stets dieselben. Im Zusammenhange mit der
von uns gefundenen relativen Leitfähigkeitsherabsetzung von
Säureeiweiß durch Salzzusatz wäre zu erörtern, ob es sich hier
nicht um eine Leifähigkeitsverminderung durch Verkleinerung
des Querschnittes des Elektrolyten seitens der Eiweißteilchen
handelt, wie sie von A. Dumanski!) in seinen Versuchen an
salzhaltigen Gelatinen zur Erklärung der beobachteten bedeu-
tenden Verminderung der Leitfähigkeit im Vergleiche mit kor-
respondierenden wässerigen Salzlösungen herangezogen wird.
Die von Dumanski verwendeten Gallerten sind allerdings we-
sentlich höher konzentriert (mindestens ca. 5°/,) als unsere
(ca. 1 bis 1,5°/,igen) Eiweißlösungen.
Wir haben jedoch, um ein direktes Maß für die Quer-
schnittsverringerung‘ eines Elektrolyten in unserem Eiweiß zu
besitzen, die Leitfähigkeit einer Salzlösung in demselben be-
stimmt und mit der Leitfähigkeit für den Fall, daß das Eiweiß
einflußlos oder durch Wasser ersetzt wäre, verglichen.
1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 60, 553.
362 W. Pauli und H. Handovsky:
1,05°/, Rinderserum + NaNO,.
Salz |K von NaNO, Ks K’, K's — K,
konzentr.| in Wasser beobachtet berechnet 8
0,00n — 0,00006237 — =
0,03n 0,0032624 0,0032227 0,0033248 0,0001021
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die durch Sub-
stitution von Wasser durch unsere Eiweißlösung erzielte Leit-
fähigkeitsabnahme von Neutralsalz, welche man zum Teil wenig-
stens mit Dumanski auf die Querschnittseinschränkung des
Elektrolyten durch die Eiweißteilchen beziehen kann, etwa den
fünften Teil der in unseren parallelen Säureeiweißversuchen be-
trägt. Nimmt man hinzu, daß einerseits beim Salzeiweiß in
unserer Konzentration ein nicht unbeträchtlicher Teil des Salzes
durch Bindung an das Protein der Elektrizitätsleitung entzogen
wird und daß andererseits beim Säureeiweiß ~+- Salz durch Frei-
machen von Wasserstoflionen ein Teil der Leitungsabnahme
paralysiert wird, dann wird der Unterschied in beiden Fällen
noch schlagender. Durch die Bestimmung der elektrischen
Leitfähigkeit in der Kombination von Säureeiweiß und Neutral-
salz scheint uns eine Bildung elektrisch neutraler Teilchen unter
Verminderung ionischer erwiesen.
Die miteinander verknüpfte elektrische Ladung und Hydra-
tation der Eiweißteilchen werden zur Folge haben, daß die
unter Dehydratation wirkenden Koagulationen durch Alkohol
und Hitze gehemmt werden, was bekanntlich beim Säureeiweiß
der Fall ist. Hingegen sind die infolge Salzzusatz zum Säure-
eiweiß gebildeten elektrisch neutralen Teilchen durch Hitze und
Alkohol koagulabel. So wurde beim Rinderserum (B) die in-
folge des Säuregehaltes 0,01n HCl aufgeliobene Koagulierbarkeit
durch Alkohol (75°/,) bei einem Salzzusatze von 0,02n KNO,
wieder erkennbar und bei demselben Serum und der Säure-
konzentration 0,02n HCl ergab der gleiche Alkohol nach Zu-
fügung von O,InKNO, eine beginnende Trübung.
Bei der genaueren Untersuchung der Hitzekoagulation von
Säureeiweiß konnte Pauli!) bereits früher eine mit der obigen
übereinstimmende quantitative Beziehung zwischen Salzzusatz
1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol, 10, 53, 1907.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d Kolloide. VIIL 363
und Bildung hitzekoagulabler Teilchen im Säureeiweiß und auch
eine analoge Deutung dieses Vorganges ableiten. Es ergab
sich aus den Koagulationsversuchen mit Sicherheit, daß eine
direkte Wechselwirkung von Salz und Säureeiweiß stattfinden
muß, daß in der Kombination von Salz, Säure und Eiweiß die
Erhöhung der Salzsäurekonzentration über 0,015 bis 0,02n keine
weitere Steigerung der Koagulationstemperstur (Hemmung der
Hitzegerinnung) bewirkte, ganz entsprechend dem Reibungs-
versuche, welcher anzeigt, daß über diese Konzentration hinaus-
gehende Ansäuerung mit HCl keine weitere Vermehrung der Eiweiß-
ionen veranlaßt. Andererseits fand sich, daß Sa'zzusatz von
0,2 an zum Säureeiweiß (0,02n HCl) den Koagulationspunkt
nicht weiter erniedrigt, in guter Übereinstimmung damit, daß
von dieser Salzkonzentration ab die Reibung desselben Säure-
eiweißes keinen weiteren Abfall zeigt. Auch wird die Höhe
der nun erreichten konstanten Koagulationstemperatur nur un-
bedeutend variiert durch Verwendung verschiedener Alkalisalze,
zusammenfallend mit der angeführten weiten Unabhängigkeit
der Leitfähigkeitsänderung des Säureeiweißes von der Natur
des zugesetzten Alkalisalzes.. Wo. Ostwald?) hat aus den er-
wähnten Versuchen?) über Hitzekoagulation von Säureeiweiß
den Einfluß der Salzkonzentration auf die Gerinnungstemperatur
mit guter Annäherung nach der bekannten Adsorptionsgleichung
berechnen können. Infolge der exakten Methodik und der
größeren Empfindlichkeit der Viscosität sind die Beziehungen
zwischen Neutralsalz und Säureeiweiß aus den Reibungswerten
viel genauer zu entnehmen wie aus der Änderung der Ge-
rinnungstemperatur und ee lag nach den Resultaten Wo. Ost-
walds nahe, die Giltigkeit der Adsorptionsgleichung für die
Viscositätsänderung von Säureeiweiß bei verschiedenen Salz-
zusätzen zu prüfen. Nimmt man als Ordinate die Logarithmen
der Reibungserniedrigung, als Abszisse die Logarithmen der
Salzkonzentration, so soll eine Gerade resultieren. Dies ist
nun für höhere Salzkonzentrationen und die zugehörigen Reibungs-
abnahmen der Fall, nicht aber für niedere (Fig. 3) und die Ab-
weichung von der Geraden nimmt rasch mit sinkendem Salz-
gehalt zu. Die Erklärung dafür ist einfach genug. Die Gleichung
1) Kolloidzeitschr. 2, 108, 138. 1908.
2) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 10, 53, 1907.
364 W, Pauli und H. Handovsky:
ig c, =K-+.nlgo, gilt nur für die Konzentrationen des auf-
genommenen (c,) und des in der Lösung verbliebenen (c,) Salzes
nach Herstellung des Adsorptionsgleichgewichtes. Die Reibungs-
abnahme kann wohl proportional dem Gehalte an adsorbiertem
Balz bzw. Salzion angenommen werden, dagegen ist zwar die
Konzentration des zum Säureeiweiß zugesetzten Salzes bekannt,
nicht aber die in der Lösung nach der Aufnahme eines Teiles
ZB
Payne
A III
1.070 III:
GI II:
LI HERE BE
u
0.0008 003 doe 0006 0008 601 d'e
des Salzes durch das Eiweiß verbleibende Salzmenge. Da das
Eiweiß mit einer verhältnismäßig geringen Salzmenge reagiert,
so wird bei höherem Salzgehalt der Konzentrationsunterschied
vor und nach der Salzbindung wenig ausmachen, daher ist hier
die Gleichung der Geraden auch bei Verwendung der Anfangs-
konzentrationen für C, erfüllt. Je weniger Salz zugesetzt wird,
einen desto größeren Bruchteil desselben wird das Eiweiß
binden und desto größer wird die Abweichung des tatsächlich
kleineren Wertes der Salzkonzentration in der Lösung nach er-
folgtem Adsorptionsgleichgewicht. Die Fig. 3 bringt diese Ver-
hältnisse zum Ausdruck. Unter der Voraussetzung, daß die
Untersuchungen über physik. Zustandeänderungen d. Kolloide. VIIL 365
Adsorptionsgleichung ebenso für die niederen wie für die hohen
Salzkonzentrationen Geltung besitzt, lassen sich die tatsächlich
vom Eiweiß aufgenommenen Salzmengen aus der Differenz der
gegebenen Anfangs- und berechneten Endkonzentration ableiten.
Auf diese Weise sind z. B. die folgenden Werte gefunden worden.
Tabelle IX.
Salzbindung an Säureeiweiß (0,01n HCl, Rinderserum C).
Verwendete Salzmenge | Adsorbierte Salzmenge | Restierende Salzmenge
Aus dieser Tabelle würde hervorgehen, daß eine ca. 1°/,ige
Eiweißlösung, welcher 0,01 n HCl] zugesetzt wurde, aus einer 0,01 n
Neutralsalzlösung gegen 0,003n Metallionen unter Bildung von
Salzeiweiß aufzunehmen vermag. Ein Versuch, diese Beziehung
zu einem Rückschlusse auf das Molekulargewicht von Serum-
eiweiß zu verwerten, scheint uns zurzeit nicht angebracht.
In den Ausführungen dieser und auch der vorigen Ab-
handlung wurde stets für die gefundene Form der Salzionen-
bindung an Eiweiß die Bezeichnung Adsorption gewählt. Mit
Rücksicht auf die Erörterungen, zu welchen die Frage der Ad-
sorption in der jüngsten Zeit wieder Anlaß gegeben hat, ist
es wohl notwendig, bei der Anwendung dieses von verschiedenen
Forschern verschieden weit gefaßten Begriffes den eigenen Stand-
punkt, soweit es für unseren Fall notwendig ist, zu präzisieren.
Wir sind mit H. Freundlich!) der Anschauung, daß für
die Zuteilung einer Gruppe von Erscheinungen zu den Ad-
sorptionsvorgängen in erster Reihe das Zutreffen der bekannten
Adsorptionsgleichung maßgebend bleiben muß. Diejenigen Vor-
gänge, bei welchen Oberflächenkräfte die Verteilung zwischen
Solvens und Adsorbens bestimmen, bilden anscheinend nur
einen Typus von Adsorptionsvorgängen, aber durch die Gültig-
keit der Adsorptionsgleichung in verschiedenen Fällen ist un-
seres Erachtens die Identität der hier zugrunde liegenden Vor-
1) Vgl. die letzte Äußerung in Kolloidzeitschr. 8, 212 anläßlich des
Artikels von Robertson, ebenda, 5. 49.
366 W. Pauli und H Handovsky:
gänge ebensowenig festgelegt, wie etwa für die Natur der trei-
benden Kräfte durch die formale Übereinstimmung der Gesetze
für Wärme-, Diffusions- und Elektrizitätsströmung. Daß ins-
besondere chemische oder elektrochemische Reaktionen nach
dem Typus der Adsorptionsverbindungen verlaufen können,
ist wiederholt, zuerst von Landsteiner'), betont worden. Der
Wert und die Notwendigkeit einer Zusammenfassung der dem
Adsorptionsgesetze folgenden Erscheinungen läßt sich auch an
unseren Erfahrungen mit dem Eiweiß demonstrieren. Für die
Suspensionskolloide hat H. Freundlich?) aus den Fällungs-
gesetzen abgeleitet, daß sie mit den Elektrolyten Adsorptions-
verbindungen eingehen; für ein „Emulsionskolloid‘“ (Eiweiß)
haben wir auf verschiedene Weise zeigen können, daß dessen
Bindungsvermögen für Salze dem Adsorptionsgesetze folgt.
Ferner hat sich herausgestellt, daß Nichtelektrolyte, welche
Suspensionskolloide bekanntlich nicht zu fällen vermögen, in
einem weiten Konzentrationsbereich auch von Eiweißkörpern
nicht merklich adsorbiert werden. Im wesentlichen liegen
also in beiden Fällen die gleichen Beziehungen zu
Elektrolyten und einer Gruppe von Nichtelektrolyten
vor, und die Verschiedenheit ist nur in der Stabilität
der gebildeten Produkte gegeben. Es erscheint uns des-
halb die bisher ganz unerwartete Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
daß das Studium der chemisch zugänglicher gewordenen Zu-
standsänderungen der Proteine auch unsere Erkenntnis von den
Reaktionen der Suspensionskolloide wesentlich erweitern wird.
Soweit das Tatsachenmaterial vorliegt, ist die Gültigkeit
der hier mitgeteilten Beobachtungen am Serumeiweiß und der
daran geknüpften theoretischen Betrachtungen auch für andere
Eiweißkörper — wasserunlösliche (Casein, Globulin) und wasser-
lösliche (Gelatine) — anzunehmen. Insbesondere dem Verhalten
der Gelatine kommt mit Rücksicht auf die Quellungserschei-
nungen ein großes Interesse zu.
Während eine Reihe von Forschern (Bütschli, Hardy)
die Anschauung vertreten, daß das Festwerden einer Gelatine
mit der Ausbildung einer eigentümlichen Struktur — Waben-
oder Kammergerüst — zusammenhänge, wird diese von zahl-
1) Vgl. Kolloidzeitschr. 3, 221, daselbst Literatur.
2) Kolloidzeitschr. 1, Heft 11.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 367
reichen Chemikern und Biologen angenommene Lehre von Pauli
auf das entschiedenste bekämpft. Nach diesem Autor bestünde
nur ein gradueller Unterschied in der Wasserbindung zwischen
einer festen und flüssigen Gallerte, und alle Schaumstrukturen
würden als Gerinnungs- oder Eintrocknungsprodukte zu be-
trachten sein. Eine Gallerte würde demnach nur einem dicken
Sol entsprechen und durch alle Zwischenstufen mit einem
flüssigen Eiweißsol verbunden sein. — In neueren Versuchen
von W. Menz?) aus dem Institute Zsigmondys ist auch durch
ultramikroskopische Untersuchung der stete Übergang zwischen
flüssiger und fester Gelatine mit Sicherheit erwiesen worden.!)
Ein Schaumstruktur kam nicht zur Beobachtung. Die gefundene
Vermehrung von Ultramikronen mit der Verfestigung von Ge-
latine ist nicht erst an das Festwerden geknüpft, sondern ist
eine Löslichkeitsänderung durch Abkühlung und auch bei nicht
erstarrenden Gallerten vorhanden. An Stelle von Menz möchten
wir deshalb ausdrücklich hervorheben, daß seine Befunde mit den
Annahmen von Bütschli und Hardy über Gallertstruktur
nichts gemein haben. Nach der Auffassung der Gelatine als
einem festen Sol ohne eigenartige Struktur wäre auch eine volle
Übereinstimmung zwischen dem Verhalten von unserem Säure-
eiweiß mit flüssiger oder fester Säuregelatine zu erwarten. Eine
solche besteht in der Tat auf der ganzen Linie.
Die Steigerung der Viscosität von flüssiger Gelatine durch
Säure wurde von Schröder?) nachgewiesen. Er fand, daß die
Viscosität dabei durch ein Maximum ging (bei ca. 0,015 n HO),
um hierauf abzufallen. Die Übereinstimmung seiner Reibungs-
kurve einer Salzsäuregelatine mit der unseres Serumeiweißes
ist auffallend, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dieser
Gang der Reibung auch bei der Gelatine aus der Zurückdrängung
der Hydrolyse und später der elektrolytischen Dissoziation des
Eiweißsalzes im Sinne von Laqueur und Sackur abzuleiten
1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 66, 129. Die Bemerkungen in dieser
Arbeit, welche die Ansichten Paulis als gegen einen heterogenen Aufbau
einer Leimgallerte in dem Sinne, wie ihn alle Eiweißsole besitzen, ge-
richtet auffassen, beruhen auf einem Mißverständnis. Die Gegnerschaft
Paulis bezog sich stets auf die in der nativen Gallerte supponierte
mikroskopische Wabenstruktur. Vgl. Naturwiss. Rundschau 1902,
Nr. 25, 26, 27 (Aus der Zeit vor Erfindung des Ultramikroskops).
2) Zeitschr. f. physikal. Chem. 45, 106.
368 W. Pauli und H. Handovsky:
ist und nicht aus einer von Schröder auch für so niedere Säure-
konzentrationen und Temperaturen angenommenen verseifenden
(peptisierenden) H-Ionenwirkung. Wir haben oben die Reibungs-
zunahme von Säureeiweiß auf die starke Hydratation der Eiweiß-
ionen bezogen, und da unseres Erachtens ein prinzipieller Unter-
schied zwischen Hydratation und Quellung hier nicht besteht,
so kann auch von einer vermehrten Quellung der geladenen
Eiweißteilchen gesprochen werden. Ist ein Sol fest, so wird
sich die Ionisation seiner Teilchen durch Säurezusatz in einer
mächtigen Quellungszunahme ausdrücken. Diese Quellungs-
zunahme haben für Säuregelatine Spiro?!) und Wo. Ostwald?)
unabhängig durch Wägungsversuche nachgewiesen. Die quanti-
tative Untersuchung der Erscheinung durch letzteren Autor
ergab einen vollständigen Parallelismus zwischen der Quellungs-
kurve und der von Schröder ermittelten Reibungskurve von
Säuregelatine. Die starke Hydratation der Eiweißionen muß
sich, wenn die Gelatine von einer kolloidimpermeablen Membran
(z. B.Celloidin) umgeben ist, in einem mächtigen Wasseranziehungs-
vermögen äußern. In seiner ergebnisreichen Arbeit über den
Einfluß der Elektrolyte auf den osmotischen Druck von Kolloid -
lösungen konnte R. 8. Lillie?) ein mächtiges Ansteigen des
Druckes mit seinem einfachen und zweckmäßigen Osmometer
nachweisen, sobald Gelatine mit Säure versetzt wurde. Mit
zunehmendem Säuregehalt wuchs dieser Druck anfangs rasch,
später langsamer. Leider überschreiten die mitgeteilten Säure-
gelatineversuche nicht die Konzentration 0,003 n, so daß der nach
unseren Versuchen am Serumeiweiß sicher zu erwartende Umschlag
in eine Abnahme des Druckes im Osmometer bei wachsendem
Säuregehalt nicht mehr zur Beobachtung kam. Die Druck-
steigerung der Säuregelatine (von 6,2 bis 33,2 mm Hg) bezieht
Lillie auf eine feinere Zerteilung der Kolloidpartikel durch
den Säurezusatz und die daraus folgende Oberflächenvermehrung.
Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß die von Lillie
beobachtete beträchtliche Druckvermehrung in ihrem Wesen mit
der von uns an Eiweißionen beobachteten starken Hydratation
identisch ist. Wir möchten uns deshalb im Gegensatze zu
1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 276, 1904.
3) Pfiügers Archiv 108, 563.
3) Americ. Journ. of Physiol. 20, 127.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 369
diesem Forscher für eine strenge Scheidung dieser Art Wasser-
bindung von der beim osmotischen Druck auftretenden aus-
sprechen, welcher durch die Analogie mit den Gasgesetzen scharf
charakterisiert ist. In diesem Sinne können Lillies interessante
Beobachtungen nicht als osmotische Druckbestimmungen an
Kolloiden einheitlich zusammengefaßt werden.
Auch für den Parallelismus zwischen Neutralsalzwirkung
auf flüssige und feste Säuregelatine und auf unser Eiweiß, die
wir als eine mit einer Dehydratation verbundene elektrische Neu-
tralisierung der Eiweißionen betrachten, liegen bereits beweisende
gelegentliche Versuche in der Literatur vor. So fand W. Frey!),
daß die Viscosität von Säuregelatine durch Neutralsalze stark
herabgesetzt wird, und Procter?) fand das entsprechende Kor-
relat in Quellungsversuchen von Säuregelatine, deren Quellung
durch zugesetzte Neutralsalze kräftig vermindert wird. W.Frey
gibt seine wenigen aber sicheren Beobachtungen ohne Erklärung,
während bei Procter, soweit wir sehen konnten, einige all-
gemeine aber nicht klare Bemerkungen über die Bedeutung des
Chlorions für die Quellung der HCl-Gelatine angeführt werden.
Die Zugehörigkeit aller dieser Beobachtungen zu dem von uns
oben dargestellten Verhalten von Säureeiweiß scheint uns außer
Frage zu stehen. Wir haben diese Versuche überdies noch
ergänzt durch Bestimmungen der elektrischen Leitfähigkeit von
Säuresalzgelatine, durch den Nachweis einer Vermehrung der
freien H-Ionen und des Wiederauftretens der Alkoholfällbarkeit
von Säuregelatine bei Salzzusatz.
Die folgende Tabelle X zeigt, daß dieselben Gesetzmäßig-
keiten für die Leitfähigkeitsänderung von Säureglutin durch
Salzzugabe Geltung haben, wie sie oben beim Säureserum fest-
gestellt worden sind. Als Versuchsmaterial wurde eine durch
5 Tage in destilliertem Wasser gewaschene feine Handelsgelatine
verwendet, deren Aschengehalt in 100 g 1,5°/,iger Lösung auf
0,002 g gesunken war. In 0,35°/,iger Lösung betrug ihre elek-
trische Leitfähigkeit 3,69. 10.
1) The Transvaal medical journal, August 1908 (Sep.).
2) Kolloidohemie (Vortrag in der British Association for the advance-
ment of science, 1908); nur im Referate zugänglich. Kolloidzeitschr. 3, 307.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 24
370 W. Pauli und H Handovsky:
Tabelle X.
1. 0,35°/, Gelatine + 0,01 n HCI + NaN(),.
Salz- |K von NaNO, K, K,' Kr
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet K,
0,00n 0,0027998
0,03 n 0,003262 4 0,005 8033 0,0060622 0,000258 9
0,01 n 0,001 1246 0,003 8012 0,003 924 4 0,000 120 2
2. 0,35%), Gelatine + 0,01 HCI -+ KBr.
_ Salz- | K von KBr
konzentr. in Wasser
K | Ki —
beobachtet berechnet | K—-K
0,002 7998
0,0067009 0,0069584 0,000257 5
0,004 1001 0,004221 4 0,000 121 3
3. 0,35%/, Gelatine + NaNO,.
"ae [K von NaNO, K, | K
konzentr. in Wasser : beobachtet berechnet K’ -K.
0,00 n 0,0000369
0,03 n 0,003 262 4 0,0032702 0,003299 3 0,000029 1
0,03 n
0,0l n
0,004 1586
0,001 421 6
Auch bei der Säuregelatine liegt die elektrische Leitfähig-
keit nach Salzzusatz regelmäßig beträchtlich unter der berech-
neten, und ebenso ist hier die Differenz (Kg — Kal für ver-
schiedene Salze starker Säuren nahe die gleiche.
Daß auch hier nicht eine Querschnittsverminderung im
Sinne von Dumanski (l. c.) die Herabsetzung der Leitfähigkeit
in Gelatine gegenüber der wässerigen Lösung bedingt, zeigt der
Versuch (Tabelle X, 3) mit Gelatine und Salz, bei dem der
Wert von Ka — Kg nur den achten Teil des korrespondierenden
Wertes bei Säuregelatine erreicht.
Bei der Säuregelatine erfolgt gleichfalls durch Neutralsalz-
zusatz der Eintritt des Metallions in die Aminosäure unter Heraus-
drängen von Wasserstoflionen, wie uns Versuche mit Farbstoff-
indicatoren beweisen. So zeigt Mau veinin mit0,01 n und 0,02n HCl
versetzter Gelatine (3,5°/,) bei Zufügung von KNO, (0,3 — 0,4 n)
einen deutlichen Umschlag im Sinne einer Aciditätssteigerung an.
Schließlich konnte auch durch dasWiederauftretender Alkohol-
fällbarkeit in Säuregelatine die Bildung der elektrisch neutralen
dehydratierten Teilchen nach Salzzugabe bekräftigt werden.
Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL. 371
Unsere reine Gelatine (3,5°/,) gibt mit 0,01n HO nach Alkohol-
zusatz (75°/,) eine zarte Opalescenz, mit 0,02n HO eine klare Mischung,
durch Zugabe von 0,3 bis 0,4n KNO, kommt es zu einer vollständigen
feinfaserigen Ausflockung des Glutins aus diesen sauren Lösungen bei
Alkoholzusatz. Das Wiederauftreten der Alkoholfällbarkeit ist schon be
viel tieferem Salzgehalt nachzuweisen.
Somit besteht eine sehr vollkommene Analogie zwischen
gallertartigen und flüssigen Eiweißsolen hinsichtlich jener physi-
kalisch-chemischen Zustandsänderungen, welche durch Säure-
zusatz hervorgerufen werden.
Durch die Untersuchungen über das Verhalten von Eiweiß bei
Alkalizugabe und bei reinem Salzzusatz, welche Gegenstand der
unmittelbar folgenden Mitteilungen sein werden, haben die hier
angeführten Beobachtungen und Erörterungen eine wichtige Aus-
dehnung und Ergänzung erfahren und es darf angenommen werden,
daß denselben einige Bedeutung für unser schärferes Verständnis
jener Rolle zukommen dürfte, welche die Elektrolyte bei der
Wasserbindung in den Zellen und Geweben des Organismus spielen.
In der Tat sind in jüngster Zeit von M. H. Fischer!)
bemerkenswerte Untersuchungen über Quellung und Ent-
quellung ganzer Organe (Muskeln, Augen) unter dem Einflusse
von Säuren und Alkalien und ihrer Kombination mit Salzen
veröffentlicht worden, welche vollständig unseren Beobachtungen
am Eiweiß entsprechen und ohne Zweifel in der gleichen Weise
theoretisch zu betrachten sind. M. H. Fischer hat nach-
gewiesen, daß durch Zusatz von Basen oder Säuren mächtige
Organschwellungen entstehen, welche durch Hinzufügung von
Neutralsalzen, nicht aber von Nichtelektrolyten zur Rückbildung
gebracht werden können. Ein gleiches Verhalten konnte am
Fibrin von diesem Autor?) nachgewiesen werden.
Durch die Versuche an Eiweißkörpern und Organen wird
die Wichtigkeit des von den Elektrolyten modifizierbaren Zu-
standes der Biokolloide für die Regulierung des Wassergehaltes
der Gewebe immer mehr in den Vordergrund gerückt und es
ist in hohem Maße wahrscheinlich, daß diese Verhältnisse, wie
dies schon von M. H. Fischer versucht worden ist, auch für
‘pathologische Prozesse in Rücksicht gezogen werden müssen.
1) Pflügers Archiv 124, 69; 125, 396; 127, 1.
2) Pflügers Archiv 125, 99.
24*
Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee
(Noctiluca miliaris).
Von
0. Emmerling.
. (Aus dem chemischen Institut der Universität Berlin.)
(Eingegangen am 3. Mai 1909.)
Über die Eiweißkörper einzelliger Organismen wissen wir
noch verhältnismäßig wenig, selbst die so leicht in beliebiger
Menge zugängliche Hefe macht darin keine Ausnahme. Andere
Mikroben in größerer Menge zu erhalten, ist mit Schwierigkeiten
verknüpft. Es war mir daher erfreulich und erwünscht, daß
ich durch Vermittelung der Königl. biologischen Station auf
Helgoland im Sommer vorigen Jahres in den Besitz einer ge-
nügenden Menge der das Meeresleuchten in unseren nordischen
Gewässern hervorrufenden Noctiluca miliaris gelangte, welche
im Juli und August dort in großen Massen auftritt.
Der Inhalt mehrerer Ballons, welche mir zugesandt wurden,
bestand aus Meereswasser, auf dessen Oberfläche die Infusorien
als dicker Brei schwammen. Zur Konservierung war reichlich
Toluol zugesetzt worden, welches die Organismen durchaus
frisch erhalten hatte; es war nicht der geringste Fäulnisgeruch
bemerkbar, und mikroskopisch erschienen die zu den Flagellaten
gehörenden Infusorien völlig intakt.
Das Meerwasser wurde zunächst durch Abheben entfernt,
der Infusorienbrei mit reichlich Alkohol gemischt, auf Filtern
gesammelt und mit Alkohol und Äther ausgewaschen. Nach
dem Trocknen auf Tontellern bei gewöhnlicher Temperatur
wurde zerrieben, im Vakuum über Schwefelsäure völlig ge-
trocknet und mittels Ather heiß extrahiert. Dadurch konnte
eine salbenartige Masse mit den Reaktionen des Cholesterins
O. Emmerling: Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee. 373
entfernt werden. Die nunmehr grauschwarze Masse betrug
125 g, zeigte die Millonsche und Biuretreaktion sehr schön,
ergab einen Aschengehalt von 8,7°/, und enthielt 7,07°/, Stick-
stoff, berechnet auf aschefreie Substanz 7,74°/, Die Haupt-
menge der Asche bestand aus fein zerriebenen Gesteinstrümmern,
wie sie das Meer in der Nähe Helgolands erfüllen, und war außer-
dem reich an Phosphorsäure. Zu der Hydrolyse wurden 109,5 g,
entsprechend 100 g aschefreier Substanz, verwendet. Die Hydro-
lyse erfolgte durch 20stündiges Kochen mit verdünnter (25°/,)
Schwefelsäure am Rückflußkühler. Bis auf eine sehr geringe
Menge einer schmierigen Substanz war alles zu einer braunen
Flüssigkeit gelöst.
Nach gehöriger Verdünnung wurde mit Phosphorwolfram-
säure gefällt. Die bekannte Methode der Verarbeitung des
Niederschlags auf Diaminosäuren soll hier nicht überflüssiger-
weise beschrieben werden, ebenso werde ich mich bezüglich der
Isolierung der Monoaminosäuren auf die in den letzten Jahren
so vielfach beschriebenen Arbeitsweisen beziehen dürfen. Eine
ausführliche Beschreibung findet man in C. Oppenheimers
Biochemie von Abderhalden zusammengestellt.
Es wurden gefunden und durch Analyse festgestellt:
Lysin . . . 0,2120
Arginin . . 1,6492
Histidin . . 3,4762
Das Filtrat vom Phosphorwolframsäureniederschlag wurde
mittels Baryt vom Überschuß dieser Säure, dann vom Baryt
quantitativ durch Schwefelsäure befreit und auf ein geringes
Volum im Vakuum verdampft. Nach mehreren Tagen war eine
Menge von 0,5271 g Rohtyrosin auskrystallisiert. In be-
kannter Weise wurde die vom Tyrosin getrennte Mutterlauge
zum Sirup konzentriert, mit Alkohol und gasförmiger Salz-
säure behandelt, mit Glykokollesterchlorhydrat geimpft, wo-
durch die ganze Masse zum Eirstarren gebracht wurde. Die
Menge des Glykokollesterchlorhydrats betrug im Rohzustande
28,06 g.
Durch Ausziehen der Ester und Fraktionieren im Vakuum
zunächst bei 12mm Druck im Wasserbad, dann bei 0,3 bis
0,4 mm im Ölbad bis 180° wurden isoliert:
374 O. Emmerling: Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee.
Glykokollesterchlorhydrat . . . 1,5g
Alanin . 2. 2. 2 2 2 . . . 24g
Leucin . . . 2 . . . . . 042g
Prolin . . 2 2 2 22020. 460g
Asparaginsäure . . 0,17g
Doch geben diese Zahlen mur EE da eine
völlige Trennung nicht möglich war. Außerdem verblieb beim
Destillieren der Ester eine nicht unbeträchtliche Menge Rückstand.
Die Resultate der Hydrolyse, bei der auch wegen der ge-
ringen Menge der zur Verfügung stehenden Substanz auf
schwefelhaltige Substituenten keine Rücksicht genommen werden
konnte, sind demnach folgende: 100 g der aschefreien Substanz
mit 7,74 g Stickstoff lieferten
Lysin . . . 0,212 mit 0,040g N
Arginin . . 1,6492 „ 0,432, ,„
Histidin . . 3,4762 „ 0,938, »
Tyrosin . . 0,5271 „ 0,04l, „
Glykokoll . . 15,80 ,„ 2,956 , „
Alanin. . . 2,40 „» 0,378, »
Leucin , . 0,42 „ 0,044, „
Prolin š J 4,60 an 0,556 » nu
Asparaginsäure 0,17 , 0,020, „
Summa 5,405g N
Es waren demnach in den Spaltungsprodukten ca. 71°/,
des Stickstoffs wiedergefunden.
Untersuchungen über den Blutzucker. VL
Von
L. Michaelis und P. Rona.
Über die Verteilung des Zuckers im Blute bei Hyperglykämie.
(Aus dem biochemischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am
Urban, Berlin).
(Eingegangen am 4. Mai 1909.)
Wie wir in unserer letzten Mitteilung!) nachgewiesen haben,
enthalten die Blutkörperchen des Hundes, entgegen der gang-
baren Anschauung, nennenswerte Mengen von Traubenzucker.
Es gelang uns, diesen in den Blutkörperchen direkt zu bestimmen.
Aber schon aus der bloßen Zusammenstellung des Zuckergehaltes
des Plasmas und des Gesamtblutes ergibt sich deutlich, daß
die Blutkörperchen nicht unbeteiligt an dem Zuckergehalt sein
können. Dies zeigt die folgende Tabelle, in welcher auch die
in der vorigen Mitteilung erwähnten acht Fälle mit verwertet sind.
Wie ausden Zahlen ersichtlich ist, ist die Ungleichheit zwischen
dem Zuckergehalt des Plasmas und dem des Gesamtblutes in
den meisten Fällen (etwa */, der Fälle) eine die Fehlerquellen der
Methodik nicht, bzw. nicht mit voller Sicherheit überschreitende, in
zwei Fällen (Hund 6 und 19) übersteigt sogar der Zuckergehalt des
Gesamtblutes den des Plasmas.*) In anderen Fällen (vgl. Hund 9,
1) Diese Zeitschr. 16, 60, 1909.
2) Denselben Befund konnte kürzlich auch A. Hollinger, diese
Zeitschr. 17, 1, 1909, mit anderer Methodik und unabhängig von uns
erbeben. Es ist fraglich, ob man berechtigt ist, das Gesamtvolumen der
Blutkörperchen für die Lösung des Zuckers in Betracht zu ziehen. Spielt
nur das Wasser in den Blutkörperchen die Rolle des Lösungsmittels, so
müßte das Volumen der ‚festen Gerüstsubstanz“ von dem des Gesamt-
blutes abgezogen werden. Dadurch würde die Zuckerkonzentration im
Gesamtblute höher als die oben berechnete sein, und die Übereinstimmung
mit dem Zuckergehalt des Plasmas wäre noch größer.
376 L. Michaelis und P. Rona:
IL, 13, 17) ist die Differenz jedoch sicher größer, insofern
nämlich die in sich gut stimmenden Doppelanalysen von Blut
und Plasma sich um etwas mehr als 20°/, unterscheiden,
während der relative Fehler unserer Methode, nach der Über-
einstimmung der Doppelanalysen zu urteilen, nur in wenigen,
den ungünstigsten Fällen an 10°/, heranreicht. Dies weist
entschieden auf eine selbständige Rolle der Blutkörperchen in
Hinblick auf ihren Zuckergehalt. Diese Frage ist von prin-
zipieller Bedeutung. Ihre Lösung schien uns zunächst am
ehesten durch das Studium derjenigen Zustände möglich zu
sein, bei denen ein die physiologischen Grenzen bedeutend über-
steigender Zuckergehalt im Blute vorhanden ist. Die Verteilung
des Zuckers auf Plasma und auf Gesamtblut mußte bei diesen
Schwankungen Aufschluß über das Verhalten der Blutkörperchen
bei Änderung des Zuckergehaltes in ihrer Umgebung geben.
Zuckergehalt | Zuckergehalt Zuckergehalt | Zuckergehalt
des des des des
Blutplasmas Gesamtblutes Blutplasmas ‘ Gesanitblutes
in 100 ccn | in 100 cem in 100 cem in 100 ccm
BEE | Mittel | Mittel Mittel . Mittel
0,186, 0, em 0,215 0,156
Hund 1 REG — nal? Zens DI ue
0,196 nom OITO A uo 0,157 Aen | 0,136
Hund 2 | 0.205) 0200 | 0,1843 & 0,177 ||Hund d 0,198) 287 Aas
0,169 aan 0,154 a 0,253 -0,200
Hund 3 | 0171) 9170 eau 9154 54 [Hund 2] 0,2059 0259 | 0,1923 0196
EIS Gei Ge 0,141 A aan OS) ran
Hund 4 | * SIN 0'185, 0176 T6 pain 0.15) 0147 |0140) 0140
0,254 a oga ET 0,162 A Aen " DISI nun
Hund 5 | 02:9 Geh 0,220 |lHund 15 0,150) 156 0.1301 146
5 dg 193 = (oan SSC
Hund 6 | WE 0,177. oul 0,195 ||Hund 16| 0'307) 0,205 at Lu 0,170
„Jens, 0,103, 1-| 02511 A aa 0200 m
Hund 7 | Séi 0,115 Dova 0098 ID 0'267, 925 oe 0,197
1% | 0.1251 4105 0.1081, O,LSN nar 0,1251
Hund 8 | 0.1203 0,122 0.1005 0,107 Hund 1 0.1514 0,151 0,1109 0,117
Hund 9 | 0,254 ma 0,191 ||Hund H 0,137 0,158
D DEN i Ho — DS EEN
0,2071 "o II e |
Hund 10 0.2075 0,207 | o wer 0,168 "und 20 0,225 Ä 0,185
Untersuchungen über den Blutzucker. VI. 377
Wir untersuchten zunächst einige Fälle von Diabetes melli-
tus beim Menschen. Die Methode war dieselbe wie in der vor-
herigen Mitteilung. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle
ET _
= Zuckergebalt
i |in den Blut-
r. |Datum| Fall | im Bi im Plasma im Blut | Beh
| ir éi Gs FS
0,314 0,332
|
|
|
|
|
|
6 0,306 0.339 0,190
‚311 0,290
2 3 8 314 0.282 0,183
0,250 0,2151
3 0,12 0.261 0.226 =
0,317 | 0256
0,310 | 0247
191 | 0,200
Spuren | 0.201 0.217
0,179 0,161
Seit 5 Tagen , ,
* | zuckerfrei 0,104 0,113 |
Aus den mitgeteilten Fällen läßt sich bereits der Schluß
ziehen, daß bei der Erhöhung des Blutzuckergehaltes Plasma und
Blutkörperchen einigermaßen gleichmäßig in Mitleiden-
schaft gezogen werden. Dies zeigt die nahe Übereinstimmung
der Zuckerwerte des Plasmas und des Gesamtblutes; nur im
Falle R. ist die Differenz nennenswert, hingegen im Falle B.
ist der Zuckergehalt des Gesamtblutes noch größer als der des
Plasmas.) Die direkte Bestimmung des Zuckers in den Blut-
körperchen ist anscheinend mit zu großen Fehlerquellen behaftet,
um für die quantitativen Verhältnisse verwertbar zu sein.
Außerdem ist eine klinisch höchst beachtenswerte Tatsache
diesen Zahlen zu entnehmen. Vergleichen wir den Blutzucker-
gehalt bei einem und demselben Diabetiker vor Beginn der
Behandlung, in einem Stadium mit reichlicher Zuckerausscheidung
und in einem späteren Stadium verminderter oder ganz ge-
1) Ähnliche Beobachtungen teilt auch A. Hollinger l. c. mit.
378 L. Michaelis und P. Rona:
schwundener Zuckerausscheidung, so finden wir bei Fall B. und R.,
daß der Blutzuckergehalt an der Veränderung des Krankheits-
bildes nicht teilgenommen hat. Vor wie nach der Entzuckerung
des Harnes finden wir einen übernormalen Zuckergehalt im
Blut. Auf den Zusammenhang dieses Befundes mit der Frage
der Zuckerdichtigkeit der Diabetikernieren!) sowie auf die
prognostische Bedeutung dieses Befundes wollen wir an dieser
Stelle vorläufig nur hinweisen.
IH. Von großem Interesse mußte es für die vorliegende
Frage sein, wie sich die Verteilung des Zuckers bei plötzlicher
Überschwemmung des Organismus mit großen Zuckermengen
gestaltet. Wir machten zu diesem Zwecke eine Reihe von
Hunden durch Einführung großer Traubenzuckermengen (100 bis
150 g) mit der Schlundsonde hyperglykaemisch und bestimmten
ca. 4 Stunden nach der Zufuhr des Zuckers den Blutzucker-
gehalt. Eine Blutzuckerbestimmung ca. 1 Woche vor diesem
Eingriff bei demselben Hund diente als Grundlage zum Ver-
gleich mit dem normalen Zustand.
Das Ergebnis der Versuche zeigt die — Tabelle:
Zucker- J Zueker-
gehalt gehalt
bei bei
Zuckergchalt unter normalen alimen- Zuckergehalt unter normalen alimen-
Verhältnissen in Proz. tärer Verhältnissen in Proz. tårer
Gly-
kämie
in ı Proz.
|
— E -—
im Plasma 0,254 m > z im Plasma Ge | Wë 108
Hund 4
e 0,180 !,0,236 . 0,171:
ım Blut 0.201 10; SEL im Blut d 166 | 0,261
— — — — —— ——— — -— — —
‚0,125 |/0,207
0,251 ı ‚0,517
im Plasma voie 10.207
im Plasma 10,967 | \0.518
Hund 2 Hund 5
0,108 |,0,163 0,196 |
im Blut 0.106 10174 im Blut o 194 0,473
i l 0,142 150,345 , 0,151 | ‚0,464
— im Plasma {0,154 10.350 u im Plasma {0'151 | 10451
un im Blut 50152 wé 282 und 6 im Blug 50.110 | 70,422
0,140 |10,28 g 0,120 | 10,414
Betrachten wir die gewonnenen Zahlen, so ist in allen Fällen
eine bedeutende Steigerung des Blutzuckergehaltes zu konstatieren,
bis auf die doppelte oder dreifache Menge des ursprünglichen
1) Vgl. hierzu: C. v. Noorden, Diabetes mellitus im Handb. d.
Pathol. d. Stoffw. von C. v. Noorden, 2. Aufl. 2, 8 u. 9, 1907.
Untersuchungen über den Blutzucker. VI. 379
Wertes. In der Verteilung dieser Vermehrung bestehen jedoch
bemerkenswerte Unterschiede in den einzelnen Fällen.!) So
sind in den Fällen 5 und 6 an den bedeutenden Erhöhungen
des Zuckerwertes (die höchsten in der Reihe) Plasma und Ge-
samtblut fast gleichmäßig beteiligt; ist der Zuckergehalt in
beiden auch nicht ganz gleich, so kann die Zunahme unmög-
lich bloß auf den vermehrten Zuckergehalt im Plasma bezogen
werden.
Anders verhält es sich in den anderen Fällen (vgl. nament-
lich Fall 4). Hier kann von einer erheblichen Beteiligung der Blut-
körperchen an der Zunahme des Zuckers nicht die Rede sein. Der
„Austausch“, der in den zwei letzten Fällen zwischen Blutkörper-
chen und Blutflüssigkeit angenommen werden muß, ist in diesen
Fällen nicht eingetreten. Ob die besondere Höhe des Blut-
zuckergehaltes im Falle 5 und 6 die ‚‚Durchlässigkeit‘‘ der Blut-
körperchen bedingt, ist vorläufig nicht sicher zu entscheiden.
Es ist auch möglich, daß die zeitlichen Verhältnisse in der
Resorption des eingeführten Traubenzuckers, wie auch die
Schnelligkeit seiner Ausscheidung, entscheidend sind, Vorläufig
genügt uns die Feststellung, daß bei der alimentären Hyper-
glykämie wenigstens zeitweilig ein erheblicher Unterschied im
Zuckergehalt innerhalb und außerhalb der Blutkörperchen mög-
lich ist.
1) Die direkte Bestimmung des Zuckers in den gewaschenen und
abzentrifugierten Blutkörperchen wurde in sämtlichen Fällen ebenfalls
vorgenommen. Überall wurde Zucker gefunden und bei den Fällen, wo
es zu erwarten war, in einer mehr als normalen Menge. Jedoch sind die
erhaltenen Zahlen sichtlich nicht quantitativ, so daß wir sie nicht mit
verwerten.
Über den bakteriellen Abbau primärer Eiweiß-
spaltprodukte.
Von
Walter Brasch.
(Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München.)
(Eingegangen am 6. April 1909.)
Abbau der Glutaminsäure.
Vor einiger Zeit zeigten Neuberg!) sowie Neuberg und
Rosenberg?), welche die bei der Fäulnis der Proteine, speziell
des Caseins und Leims, auftretenden freien Fettsäuren, einer
fraktionierten Trennung unterwarfen, daß mehr als ein Drittel
der gesamten flüchtigen Fettsäuren aus der normalen Butter-
säure bestand und nahmen an der Hand quantitativer Über-
legung an, daß als Muttersubstanz dieser Mengen n-Buttersäure in
erster Reihe die Glutaminsäure zu gelten habe. Durch weitere
Untersuchungen von Brasch und Neuberg?) konnte dann mit
Sicherheit festgestellt werden, daß Buttersäure aus der bei der
Fäulnis freiwerdenden Glutaminsäure entsteht. Es findet also
an demselben C-Atom Desamidierung und Kohlensäureabspaltung
statt, ein Vorgang, welcher sich in folgender Formel ausdrückt:
COOH — CH, — CH, — CHNH, — COOH —
COOH — CH, — CH, — CH,
Diese beiden Prozesse wiederholten sich regelmäßig in allen
Versuchen. Wir ließen in unserer damaligen Publikation die
Frage des zeitlichen Ablaufes der Reaktionen unentschieden;
ein Zwischenprodukt wurde nicht gefunden, was mit Rücksicht auf
1) Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. vom 16. Mai 1907.
2) Diese Zeitschr. 7, 178, 1907.
3) Diese Zeitschr. 13, 299, 1908.
W. Brasch, Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 381
später mitzuteilende Tatsachen jedoch nicht so gedeutet werden
darf, daß beide Prozesse gleichzeitig eintreten. Da die Zer-
setzung der Glutaminsäure bei der Fäulnis mit dem Salkowski-
schen Fäulnisgemisch'), welches natürlich eine Reihe ver-
schiedener Bakterienarten enthält, immer in derselben Art er-
folgte, so liegt der Gedanke nahe, anzunehmen, daß überhaupt
der Abbau bestimmter primärer Eiweißspaltungsprodukte durch
die Fäulniserreger immer nach demselben Typus verläuft. Bis-
her glaubte man nach den Untersuchungen von Bienstock?),
daß nur die Spaltung des Eiweißmoleküls selbst in stets be-
stimmter Weise geschehe und daß das Auftreten der sekundären
Spaltungsprodukte von der Wirkung der accidentell mitwirkenden
Mikroben abhänge.
Die Versuche von Bienstock gaben die Erklärung für
dieses gesetzmäßige Verhalten beim Abbau der Eiweißkörper
durch Fäulnis. Es stellte sich nämlich heraus, daß die aeroben
bzw. fakultativ anaeroben Bakterien (unter ihnen auch die ge-
wöhnlichen pathogenen Arten: Staphylococcus pyogenes, Strepto-
coccus pyogenes, Proteus, Subtilisarten, fluorescierende, farb-
stoffbildende Bakterien, Typhus-Colibacillen) bei Zutritt von
Luft keine Eiweißfäulnis bewirken konnten. Es trat jedoch
gleichmäßig Fäulnis ein, d. h. Eiweißspaltung unter Auftreten
übelriechender Zersetzungsprodukte, wenn anaerobe Bakterien
unter anaeroben Bedingungen tätig waren, und bei diesen Unter-
suchungen fand und beschrieb Bienstock den Bacillus putri-
ficus als den hauptsächlichsten und häufigsten Erreger der
Fäulnis. Auch andere Anaerobier, Bac. anthrac. symptomat.
und Bac. oedemat. malig. wirken in gleicher Weise ein, während
der Tetanusbacillus sich indifferent verhält. Bienstock stellte
weiter fest, daß Anaerobier auch für sich allein, also in Rein-
kultur wirksam sein können, und schreibt den übrigen zahlreichen,
bei der Fäulnis auftretenden Bacillen nur eine untergeordnete
Wirkung zu. Nach diesen Untersuchungen wäre die Gesetz-
mäßigkeit beim Abbau der Eiweißkörper durch Fäulnis voll-
kommen verständlich, es wäre lediglich ein Bakterium, welches
das Eiweißmolekül sprengt, und der Weg, den es wählt, wird wohl
stets der gleiche sein.
1) E. Salkowski, Praktikum, 3. Aufl., 1906, S. 227.
2) Bienstock, Arch, f. Hygiene 36, 334, 1899 u. 39, 390, 1901.
382 W. Brasch:
Es ergab sich nun von selbst die Frage, welche Bakterien
den weiteren Abbau der primären Spaltungsprodukte über-
nehmen und welche Rolle die einzelnen Bakterien bei den
weiteren Veränderungen, die der Eiweißkörper bei der Fäulnis
erleidet, spielen. Gleichzeitig versprachen diese Untersuchungen
gewisse Einblicke in das biologische Verhalten der Mikro-
organismen zu gewähren.
5,0 g Glutaminsäure wurden in 400 om Wasser gelöst, mit Soda
alkalisch gemacht und mit einigen Tropfen einer Fäulnislösung!) ver-
setzt. Es gelang 14 Tage später nachzuweisen, daß die Glutaminsäure
zum Teil in Buttersäure abgebaut war, es ergab sich ein Silbersalz, von
welchem 0,1007 g Substanz geglüht wurden und 0,0559 g Ag ergaben.
Berechnet für C,H,0,Ag: Ag 55,38%,
Gefunden: Ag 55,61°0/.
Ich hatte also eine Fäulnislösung, in welcher die wirksamen Mikro-
organismen vorhanden waren, und es galt nun die einzelnen in ihr vor-
handenen Bakterien zu isolieren und ihr Verhalten auf Glutaminsäure
zu prüfen.
Ich züchtete durch die Verdünnungsmethode und Plattengießen
aerob folgende Arten:
Bao. subtilis,
Bact. coli,
Bact. megatherium,
Bac. proteus vulgar.
Anaerob wuchsen mehrere Streptokokken-Arten, welche sich als
fakultativ anaerob erwiesen, und es gelang zuletzt durch streng anaerobe
Züchtung in hoch geschichteten Agarröhrchen einen anaeroben Bacillus
zu züchten, welcher morphologisch und biologisch alle Eigenschaften des
von Bienstock beschriebenen Bacillus putrificus zeigte.
Es wurden zunächst mit den so gewonnenen Bakterien Versuche
angestellt. 5 g Glutaminsäure oder ihr Chlorhydrat wurden jedesmal in
ea. 400 ccm einer Flüssigkeit angesetzt, welche
0,5°/, Chlornatrium,
0,2°/, Kaliumbiphosphat,
0,05°/, krystal. Magnesiumsulfat
enthielt. Wurde das Chiorhydrat der Säure verwerfdet, so ließ ich das
Chlornatrium aus der Nährflüssigkeit fort. Die Flüssigkeit wurde dann
jedesmal mit Sodalösung auf Lackmus neutralisiert und dann durch Zusatz
von etwas mehr Sodalösung gerade schwach alkalisch gemacht, da die
Wachstums- und Zersetzungsvorgänge der Bakterien in alkalischer Lösung
besser in die Wege geleitet werden können. Dann wurde durch mehr-
maliges Aufkochen sterilisiert und die Lösung nach dem Erkalten mit
der betreffenden Bakterienart versetzt. Bei den Anaerobiern wurde statt
1) Siehe oben.
Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 383
eines Wattepfropfens ein doppelt durchbohrter Gummistopfen aufgesetzt,
welcher mit Glasröhrchen wie eine Gaswaschflasche versehen war. Diese
Röhrchen waren in der Mitte des wagrechten Schenkels dünn ausgezogen.
Die Kölbeben wurden nach der Neutralisation im Dampftopf sterilisiert,
da durch einfaches Aufkochen das längere Steigrohr nicht genügend
sterilisiert werden konnte. Nach dem Erkalten wurden die Kölbohen
geimpft, und dann wurde ca. eine halbe Stunde lang ein Wasserstoffstrom
dürchgeleitet. Zuletzt wurde an den ausgezogenen Stellen das Glas-
röhrchen zugeschmolzen und der Kolben in den Brutschrank gestellt;
Eine schon nach wenigen Tagen sich einstellende feine Trübung zeigte,
daß die verimpften Bakterien gewachsen waren. War der Inhalt des
Kolbens nach 8 Tagen noch völlig klar, so war die Flüssigkeit, wie
Kulturversuche ergaben, steril geblieben. Da es sich herausstellte, daß
namentlich bei Anaerobiern nach einfachem Impfen mit der Platinnadel
oder -öse die Bakterien häufig nicht wuchsen, so ging ich in der
Weise vor, wie Nawiasky!) es empfiehlt, daß ich zuerst ev. natürlich
anaerob auf Petrischalen züchtete und dann von diesen die Bakterien
mit dem Spatel abstrich, ohne Teile des Nährbodens mitzureißen.
Die Kölbchen standen durchschnittlich 3 bis 4 Wochen im Brut-
schrank. Dann wurde durch Kultur auf Agar geprüft, ob keine Ver-
unreinigung entstanden war und dann erst der Inhalt des Kolbens
weiter verarbeitet. Es wurde mit verdünnter Schwefelsäure angesäuert
und unter wiederholter Wasserzugabe abdestilliert. Das Destillat
wurde dann, um Entweichen der Fettsäure zu vermeiden, mit etwas
überschüssiger ?”/jọ-Lauge versetzt und eingeengt, dann in salpetersaurer
Lösung mit stark verdünnter Silbernitratlösung vorsichtig versetzt, bis
die beim Destillieren fast immer mit übergegangene Salzsäure als AgCl
gerade ausgefällt war. Dann wurde mit NH, alkalisiert und das über-
schüssige Ammoniak auf dem Wasserbade verjagt, filtriert und nunmehr
die Buttersäure als Silbersalz niedergeschlagen. Da indes in vielen
Fällen in der Fällung des Silberbutyrats Schwarzfärbung auftrat, wie es
ja auch bei Brasch und Neuberg der Fall war, so wurde das Filtrat
vom Chlorsilber in verdünnt schwefelsaurer Lösung mit Merourisulfat ge-
kocht oder auch die Silberfällung für sich mit Wasser gekocht. Durch
das Ausfallen von Quecksilberoxydulsalz bzw. eines schwarzen Silber-
niederschlages ergab sich die Anwesenheit von Ameisensäure.
Ich betone eigens, daß ich das Auftreten der Ameisen-
säure in der großen Mehrzahl der Fälle beobachten konnte,
während Borchard?) in seiner soeben erschienenen Arbeit das Auf-
treten von Ameisensäure bei Fäulnisversuchen mit Glutaminsäure vermißte.
Die von der Ameisensäure befreite Flüssigkeit wurde dann auf ein
geringes Volumen gebracht und mit konzentrierter AgNO,-Lösung gefällt.
In den meisten Fällen fiel der Niederschlag nicht ganz weiß aus, so daß
umkrystallisiert werden mußte, ein Verfahren, das bei den geringen
1) Nawiasky, Arch. f. Hygiene 66, 209, 1908.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 96, 1909.
384 W. Brasch:
Ausbeuten zu unangenehmen Verlusten führte. In der Regel gelangte
man nach einmaligem Umkrystallisieren zu einem rein weißen Pulver,
welches zur Analyse verwandt werden konnte.
Verschiedene Male wurde der Rückstand ausgeäthert, um zu er-
fahren, ob es wie bei den von Brasch und Neuberg angewandten
Mischkulturen gelänge, Bernsteinsäure nachzuweisen, ich erhielt jedoch
nur einmal nach dem Verdunsten des Äthers eine kleine Menge einer
durch harzige Beimengungen verunreinigten Substanz, welche zu einer Be-
stimmung nicht ausreichend erschien.
Versuche mit den aus der Fäulnislösung gezüchteten Bakterien:
Bacillus subtilis.
Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat.
Erhaltenes Silbersalz 0,05 g;
0,0314 g Substanz ergaben 0,0170 g Ag.
Berechnet für C,H.0,Ag: Ag 55,38 °/..
Gefunden Ag: KREMER
Ätherextrakt des Rückstandes schwach sauer.
Zurückgewonnenes Glutaminsäurechlorhydrat 2,56 g.
Baoterium coli.
Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat.
Erhaltenes Silbersalz 0,13 g;
0,0910 g Substanz ergaben 0,0579 g Ag:
Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,,
Gefunden: Ag 63,60°%/,-
Atherauszug schwach sauer.
Zurückgewonnene Glutaminsäurechlorhydrat 2,1 g.
Bacterium megatherium
ergibt ein sehr schwach saures Destillat und dementsprechend nur Spuren
eines Silbersalzes, welches sich gleich nach dem Ausfallen schwarz färbt.
Von 6 g Glutaminsäurechlorhydrat wurden 4,6 g zurückgewonnen.
Bacillus proteus vulgaris.
Erhaltenes Silbersalz 0,08 g;
0,0121 g Substanz ergaben 0,0087 g Ag.
Berechnet für Ameisensäure: Ag 70,58%.
Gefunden: Ag 71,98°/%-
Die drei Streptokokkenarten ergaben weder bei der aeroben noch bei
der anaeroben Versuchsanordnung ein Silbersalz der Buttersäure, sie
vermochten anscheinend die Glutaminsäure überhaupt nicht erheblich
anzugreifen, da über 90°/, der verwandten Säure zurückerhalten
werden konnte.
Bacillus putrificus.
Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat.
Erhaltenes Silbersalz 0,2394 g;
0,1079 g Substanz ergaben 0,0603 g Ag.
Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 385
Berechnet für C,H,O,Ag: Ag 585,38°/,,
. Gefunden: Ag 55,88 °/,.
Von den aus dem Fäulnisgemisch gezüchteten Bakterien haben die
seroben Arten nur sehr geringe Ausbeute ergeben, und die so gewonnenen
Salze gehören verschiedenen Säuren an. Der Versuch mit Bao. prot,
vulgar. ist nicht eindeutig ausgefallen, allerdings ist bei den geringen
angewandten Mengen aus den erhaltenen Zahlen kein sicherer Schluß zu
ziehen. Ganz einwandfrei ist dagegen nachgewiesen, daß der Bacillus
putrificus aus der Glutaminsäure Buttersäure abespaltet, und zwar in
Mengen, welche weitaus größer sind als die durch die aeroben Bakterien
erhaltenen. Es ist also wohl sicher, daß von ihm die Hauptaufgabe bei
Abbau der Glutaminsäure mit dem Fäulnisgemisch geleistet worden war.
Außer diesen Versuchen, welche sämtlich mit solchen Bakterien,
die aus der Fäulnislösung gezüchtet werden konnten, angesetzt waren,
habe ich eine Reihe von anderen, mir zugänglichen Bakterien auf ihr
Verhalten gegen Glutaminsäure geprüft.
Aerobier (Bacillus proteus vulgaris).
Erhaltenes Silbersalz 0,11 g;
0,1024 g Substanz ergaben 0,0658 g Ag.
Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,,
Gefunden: Ag 64,34°/,.
Erhaltenes Silbersalz 0,15 g. (Gewogen vor dem Umkrystallisieren.)
0,0372 g Substanz ergaben 0,0240 g Ag.
Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,,
Gefunden: Ag 64,52°/,.
Restierend Glutaminsäurechlorhydrat 2,8 g von BO g, die ver-
wendet wurden.
Hierbei fand sich im Ätherextrakt eine braune harzige Masse von
saurer Reaktion, deren Menge für eine Bestimmung nicht ausreichend war.
Nawiaskyt) hat eine größere Untersuchungsreihe über die Bin-
wirkung des Bac. proteus vulgaris auf Aminosäuren veröffentlicht und
hierbei auch die Veränderungen der Glutaminsäure zu erforschen gesucht.
Er erhielt Silbersalze, aus deren Silbergehalt er nicht auf eine bestimmte
Säure schließen konnte und nahm deshalb das Vorhandensein von Säure-
gemischen an. Auch meine Versuche lassen die Wirkung des Proteus
vulgaris auf die Glutaminsäure nicht deutlich erkennen.
Bacillus proteus Zenkeri.
In einem Versuch mit Proteus Zenkeri wurde die Glutaminsäure
überhaupt nicht angegriffen, in einem anderen erhielt ich 0,023 g eines
Silbersalzes, welches ich vielleicht noch als Silberbutyrat ansprechen
kann, es trat bei der Destillation starker Geruch nach Buttersäure auf.
Berechnet: Ag 55,38°/,.
Gefunden: Ag 58,83°/,.
Der Wert für Ag liegt also zwischen dem buttersauren und propion-
sauren Silbersalz.
1) Siehe oben.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 25
386 W. Brasch:
Bacillus mesentericus vulgatus.
Bei den Versuchen mit diesem Baoterium erwartete ich eine
energische Spaltung mit Rücksicht auf die Untersuchungen von Abder-
halden und Emmerling!), welche gefunden hatten, daß es Gliadin,
den Eiweißkörper, aus dem ich die Glutaminsäure hergestellt hatte, bis
zu freien Fettsäuren zu zerlegen vermag. Sie schlossen aus den relativ
kleinen Ausbeuten an Glutaminsäure bei ihrem Versuch, daß diese weiter
abgebaut worden sei. In drei von mir angestellten Versuchen mit
Mesentericus vulgatus erhielt ich nur in einem Falle ein Silbersalz in
geringen Mengen, welches sich sehr schnell zersetzte, in den beiden
anderen Malen wurde die Glutaminsäure überhaupt nicht angegriffen:
Welche Umstände das abweichende Verbalten dieses Bacillus in meinen
Versuchen bedingt haben, hoffe ich später feststellen zu können.
Von großem Interesse war es, das Verhalten des Bacterium coli
commune genauer zu untersuchen. Das aus der Fäulnislösung gezüchtete
Bacterium der Coligruppe hatte aus der Glutaminsäure Essigsäure in
kleinen Mengen entstehen lassen, und es war deshalb zu untersuchen,
ob dieser Abbau regelmäßig eintritt. Die chemische Aktivität des
Bacterium coli commune ist eingehend studiert und hat sich als recht
beträchtlich herausgestellt. Abgesehen davon, daß dieser Darmparasit
Kohlenhydrate glatt zu zerlegen vermag, welche für die Hefezelle
gänzlich und für den tierischen Organismus fast unangreifbar sind, ver-
mag es, ohne ein eigentliches proteolytisches Bacterium zu sein, aus
Eiweißkörpern Indol unter anaeroben Bedingungen abzuspalten. Diese
Tatsache bildet ja ein wesentliches diagnostisches Merkmal im Vergleich
mit dem chemisch bedeutend trägeren Typhusbacillus.. Bemerkenswert
ist, worauf Pfaudler?) aufmerksam machte, daß bei nativen Eiweiß-
substanzen das Bacterium coli einen Abbau nicht einzuleiten vermag,
daß aber Peptonkörper für es angreifbar sind. Blumenthal?) hat bei
den Zersetzungen von Pepton durch Coli dann noch das Auftreten von
Fett- und Oxyfettsäuren festgestellt. In vier Versuchen mit dem
Bacterium coli commune, welches aus Faeces gezüchtet war, habe ich
nur noch in einem Falle Essigsäure erhalten. Die Menge des erhaltenen
Silbersalzes betrug jedoch nur 0,0538 g.
Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67%/
Gefunden: Ag 65,12°/,.
Schloßmann®) wies auf Verschiedenheit des chemischen Ver-
haltens des Bacterium coli unter anaeroben und aeroben Bedingungen
hin. Aus diesen Gründen ließ ich Coli unter Wasserstoff auf Glutamin-
säure einwirken. In einem Falle erhielt ich ein Silbersalz in kleinen
Mengen, in einem zweiten 0,0428 g, welches 66,34°/, Ag enthielt. Es
1) Abderhalden und Emmerling, Zeitschr. f. physiol. Chem.
51, 394;
2) Pfaudler, Centralbl. f. Bakt. 81, 113.
3) Blumenthal, Virchows Archiv 146, 65, 1896.
4) Schloßmann, Jahrb. f. Kinderheilk. 1898.
Ka
Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 387
zeigt sich also weder qualitativ noch quantitativ ein anderes Verhalten
wie bei Zutritt von Sauerstoff.
Der Typhusbacillus erwies sich gegenüber Glutaminsäure chemisch
ebenso wirksam wie das Bacterium coli. Ich erhielt unter gleichen
Versuchsbedingungen 0,07 g eines Silbersalzes, dessen Silbergehalt
63,91°/, betrug, also essigsaures Silber war.
Eine mit Paratyphus B versetzte Glutaminsäurelösung ergab
0,106 g eines Silbersalzes, dessen Silbergehalt 63,99 °/, ebenfalls auf essig-
saures Silber schließen läßt.
Von Aerobiern untersuchte ich noch den Bacillus subtilis und den
Bac. lact. aerogenes aus unserer Sammlung. Ersterer gab in zwei Ver-
suchen im Gegensatz zu dem oben mitgeteilten Versuch kein Resultat,
bei letzterem blieb die erste Untersuchung ebenfalls völlig ergebnislos,
bei dem zweiten Versuch erhielt ich Spuren eines Silbersalzes und deut-
lichen Geruch nach Buttersäure.
Anaerobier.
Aus den Untersuchungen mit den Bakterien, welche aus
der Fäulniskultur gezüchtet waren, geht schon hervor, daß das
angewandte anaerobe Bacterium eine viel intensivere Spaltung
der Glutaminsäure zu bewirken vermag, als die untersuchten
Aerobier. Dieses Verhalten ist wenigstens für den Bacillus
putrificus ein gesetzmäßiges. Einige andere mir zugängliche
obligate Anaerobier vermochten ebenfalls die Glutaminsäure
anzugreifen und Ammoniak und Kohlensäure abzuspalten, je-
doch bei weitem nicht in dem Grade wie der Bacillus putri-
ficus. Ich untersuchte die Einwirkungen folgender Bakterien:
Bacillus botulinus (aus der letzten Darmstädter Wurst-
vergiftung gewonnen), |
Bacillus oedemat. maligni,
Bacillus anthrac. symptomatici,
Bacillus tetani,
Bacillus putrificus.
Bei den Untersuchungen mit Tetanus- und Rauschbrand-
bacillus erhielt ich bei je drei Kolben überhaupt kein Resultat,
die Kulturen wuchsen sehr langsam und schlecht, vielleicht daß
es sich um stark abgeschwächte Stämme gehandelt hat.
Ein Resultat ergab der Versuch mit dem Bacillus oedemat.
maligni:
Die Ausbeute an Silbersalz betrug 0,042 g;
0,0218 g ergaben 0,0126 g Ag.
25*
388 W. Brasch:
Berechnet für Buttersäure: Ag 55,38 91,
Gefunden: Ag 57,709,.
Noch unklarer sind die Resultate, welche mit dem Bacillus botulinus
erhalten wurden. In einem Versuch betrug die Menge des erhaltenen
Silbersalzes 0,1706 g, in einem zweiten 0,0049 g. Von der ersteren Menge
wurden 0,0982 g verbrannt, und sie ergaben 0,0681 g Silber; das entspricht
einem Silbergehalt von 69,34°/,, kommt also der Ameisensäure ziemlich
nahe. Die Menge von 0,0049 wurde ebenfalls geglüht und enthielt
63,29°%/, Ag, würde also mehr der Essigsäure entsprechen.
So unsicher die Resultate mit den genannten Anserobiern sind;
ebenso eindeutig fielen die Versuche mit dem Bacillus putrifious Bienstook
(von Kral bezogen) aus. Schon 6 Tage nach der Impfung trat bei der
Destillation der Geruch nach Buttersäure auf und in Versuchen, die
d Wochen im Brutschrank gestanden hatten, ließ sich jedesmal das
Silberbutyrat herstellen. Dabei waren die Ausbeuten um das Fünf- bis
Sechsfache größer wie die mit den anderen Kulturen erhaltenen. Die Re-
sultate einiger Versuche sind:
I. Erhaltene Substanz 0,24 g,
davon 0,1079 verbrannt ergaben 0,0603 Ag.
Berechnet für butterssures Silber: Ag 54,38),
Gefunden: Ag 55,88°/,.
II. Erhaltene Substanz 0,37 g,
davon verbrannt 0,1306 g ergaben 0,0728 g Ag.
Gefunden: Ag 55, 74 MI
III. Erhaltene Substanz 0,21 g,
davon verbrannt 0,0782 g ergaben 0,0436 g Ag.
Gefunden: Ag 55,75°/,.
Die Ausbeuten mit dem Bacillus putrificus sind die größten, die
ich erhalten habe, und wenn sie nicht so groß sind wie die bei der
Fäulnis gewonnenen, so ist das wiederum ein Beispiel für die bekannte
Tatsache, daß man mit Bakteriengemischen eine viel ergiebigere Umsetzung
erzielen kann wie mit Reinkulturen.
Bienstock hatte darauf hingewiesen, daß sich bei Versuchen mit
Mischkulturen interessante Differenzen ergäben, je nach der Art der mit-
wirkenden aeroben Bakterien. Er konnte im wesentlichen zwei Gruppen
unterscheiden: der eine Teil der Aerobier erleichtert dem Putrificus durch
Verbrauch des Sauerstoffes die Fäulnis, und zu dieser Gruppe gehört die
weitaus größte Zahl der aeroben Bakterien. Die andere Gruppe, welche
die Coli- und Aerogenesarten umfaßt, wächst zwar in der Mischkultur
gemeinsam mit dem Putrificus, übt jedoch auf die chemische Tätigkeit
desselben eine hemmende Wirkung aus: Die Fäulnis bleibt aus. Dieser
Antagonismus, der nicht auf einer Säuerung des Substrats beruht, da
der gleichfalls säurebildende Proteus entgegengesetzt wirkt, ist spezifisch
für die Coli- und Aerogenesarten. Auf eine Reihe von wichtigen Tat-
sachen, welche sich aus diesem Antagonismus erklären lassen: geringe
Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 389
Neigung der rohen Milch zu faulen, Beziehung zur Darmfäulnis, ist
schon vor längerer Zeit hingewiesen worden.!)
Von diesen Erfahrungen ausgehend setzte ich ebenfalls eine Reihe
von Versuchen mit Mischkulturen an. Da bei gleichzeitiger Impfung
von Anaerobiern und Aerobiern die letzteren sich später nicht mehr
nachweisen ließen, impfte ich zuerst mit dem Aerobier und 1 bis 2 Tage
später mit Putrificus, und so gelang es mir in allen Fällen, beide Bak-
terienarten am Schlusse des Versuches wieder zu züchten.
Bac. prot. vulgaris und Bac: putrifious.
Erhaltene Menge 0,0974 g,
0,0261 g Substanz ergaben 0,0151 g Ag,
Ag 657,85 Ki o
Der Wert liegt also zwischen Buttersäure und Propionsäure, kommt
der letzteren aber näher.
Bac. mesentericus vulgatus und Bac. putrifious.
1. Erhaltene Menge Silbersalz 0,185 g,
0,0562 g Substanz ergaben 0,0320 g Ag.
Berechnet: Ag 56,96°/,.
2. Erhaltene Menge 0,2710 g,
0,1162 g Substanz ergaben 0,0648 g Ag.
Berechnet: Ag 55,76°/,.
Baot. coli commune und Bao, putrifious.
Erhaltenes Silbersalz 0,0129 g,
0,0129 g Substanz ergaben 0,0072 g Ag.
Berechnet: Ag 55,81°/,.
Bac. lact. aerogen. und Bac. putrifious.
Es wurden nur Spuren eines Silbersalzes erhalten, welche gur Ana-
lyse nicht ausreichten. Bei der Destillation trat der Geruch naoh Butter-
säure auf.
Es treten auch hier Unterschiede in ähnlicher Weise, wie Bienstock
sie beschrieben hat, auf, und wenn sie auch nicht so charakteristisch
vorhanden sind wie in den Versuchen des genannten Autors, so ist dooh
der graduelle Unterschied bei den Ausbeuten sehr erheblich.
Weitere Untersuchungen stellte ich darüber an, wie viel von dem
bei der Desamidierung freiwerdenden Ammoniak nachweisbar und ob
vielleicht ein Teil desselben von den Bakterien zu Wachstumszwecken
benutzt worden sei. Bei einem Versuch wurden von angewandten 5 g
reiner Glutaminsäure 3,32 g Glutaminsäurechlorhydrat zurückerhalten.
Dann sind reine Glutaminsäure verbraucht 2,35 g. Dieser entspricht
eine NH,-Menge von 0,270g. Es wurden aber gefunden 0,0979 g NH,.
Die bei diesem Versuche erhaltene Menge von Silberbutyrat betrug
0,2805 g. Ein anderer Versuch ergab ein ähnliches Resultat, Es findet
sich demnach eine erhebliche Menge des abgespaltenen Ammoniaks wieder.
1) Flügge, Zeitechr. f. Hygiene u. Infekt. 17, 272. — Weber,
Arb. des Kaiserl. Gesundheitsamtes 17, Nr. 1. — Bienstook, L. o.
⸗
390 W. Brasoh: Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte.
Bemerkt sei noch, daß sich in einzelnen Fällen kurz nach der
Destillation kleine weiße Flocken ausschieden, die mikroskopisch aus
feinen Nädelchen bestanden und sich in verdünnter Natronlauge lösten.
Vielleicht hat es sioh dabei um höhere Fettsäuren gehandelt.
Das Resultat des Abbaues der Glutaminsäure mit Bakterien-
Reinkulturen ist im wesentlichen dasselbe, das Brasch und
Neuberg früher mit Mischkulturen erzielten, und es steht auch
mit den Befunden im Einklang, die Bienstock bei den Ver-
suchen mit nativen Eiweißkörpern erhielt. Die Hauptrolle bei
der Zerlegung der Eiweißkörper durch Fäulnis spielt der Ba-
cillus putrificus, und er ist auch der am stärksten wirksame
bei dem weiteren Abbau der primären Eiweißspaltprodukte.
Den bei der Fäulnis wirksamen aeroben Bakterien kommt wohl
im wesentlichen nur eine unterstützende Rolle zu. Der Ba-
cillus putrificus baut die Glutaminsäure zu Butter-
säure ab, und die letztere scheint ihm gegenüber eine ziem-
liche Resistenz zu besitzen, denn es wurde das Auftreten von
kohlenstoffärmeren Säuren in der Regel vermißt. Kompliziertere
chemische Vorgänge, wie z. B. die Bildung von Bernsteinsäure,
scheint er allein nicht anzuregen, wenigstens konnte im Äther-
extrakt des Destillationsrückstandes diese Säure nicht sicher
nachgewiesen werden. Die von Bienstock beschriebene anta-
gonistische Wirkung zwischen dem Bacillus putrificus und Ba-
cillus lactis aerogenes und Bacterium coli ist bei den Versuchen
mit Glutaminsäure auch zutage getreten, wenn auch nicht in
dem Maße wie bei der Zerlegung des Fibrins. Die Wirkungs-
weise der seroben Bakterien ist qualitativ und quantitativ eine
wesentlich andere wie die des Bacillus putrificus. Wenn durch
sie Buttersäure gebildet worden ist, wurde sie zu niederen Fett-
säuren wieder abgebaut, und die bei diesen Umsetzungen ent-
stehenden Mengen waren stets nur sehr gering. Ob neben den
bakteriellen Zersetzungen auch noch synthetische Prozesse ver-
laufen, kann ich nach den mitgeteilten Erfahrungen jetzt nur
vermuten, hoffe aber später darüber sicheres mitteilen zu können.
Diese Versuche mit der leicht zugänglichen Glutaminsäure
sollten nur zur Orientierung dienen. Ich habe begonnen, die
bier gesammelten Erfahrungen auf andere Eiweißspaltprodukte
anzuwenden und werde wohl bald in der Lage sein, die Re-
sultate dieser Untersuchungen mitteilen zu können.
Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der
alkoholischen Gärung.?)
Von
Felix Ehrlich.
(Aus dem Institut für Zuckerindustrie in Berlin.)
(Eingegangen am 15. April 1909.)
Die Frage, in welche Abbauprodukte der Zucker bei der
Vergärung durch Hefe zerfällt, hat die Biologen und Chemiker
seit langer Zeit beschäftigt, ihre endgültige Beantwortung ist
aber trotz zahlreicher Untersuchungen auf diesem Gebiet auch
heute noch nicht vollständig gelungen.
Solange man nur Alkohol und Kohlensäure als Gärungs-
produkt kannte, mußte man annehmen, daß das Zuckermolekül
durch die Hefe eine quantitative Aufspaltung in zwei Moleküle
Athylalkohol und zwei Moleküle Kohlendioxyd erfährt ent-
sprechend der zuerst von Gay-Lussac formulierten Gärungs-
gleichung: Ä
CH ,0,=2C0,+2C,H,0.
Die Auffassung der alkoholischen Gärung als eines derartig
einfachen und sich einheitlich vollziehenden Vorganges schien
indes unhaltbar, als Pasteur?) in den Jahren 1858 bis 1860
1) Vorläufig mitgeteilt bereits am 22. Juli 1907 in einem Vor-
trage vor der Deutschen ohemischen Gesellschaft in Berlin. Vgl. das
ausführliche Referat darüber von J. Meisenheimer im Biochem. Cen-
tralbl. 6, 621, 1907, ferner den vorläufigen Bericht in der Wochenschrift
für Brauerei 24, 393, 1907, sowie F. Ehrlich, Die Rolle des Eiweißes
und der Eiweißabbauprodukte bei der Gärung, Jahrbuch der Versuchs-
und Lehranstalt für Brauerei in Berlin 10, 515, 1907. — Die ursprüng-
liche Absicht, das Thema noch in verschiedenster Richtung erschöpfend
zu behandeln, hat die Veröffentlichung dieser Arbeit verzögert.
2) Compt. rend. 46, 179, 1858; 47, 224, 1858; 48, 1149, 1859. —
Annal. chim. phys. [3] 58, 323, 1860.
392 F. Ehrlich:
in seinen berühmten Arbeiten über die Gärung bewies, daß
hierbei außer Alkohol und Kohlensäure noch mehrere andere
chemische Körper auftreten, unter diesen besonders das Gly-
cerin und die Bernsteinsäure. Die Bildung von Bernsteinsäure
war allerdings schon früher (1818) von Beißenhirtz!) und
(1847) von C. Schmidt?) bei der alkoholischen Gärung sowie
von E. Schunck?) bei der Gärung des Zuckers durch ein im
Krapp enthaltenes Ferment beobachtet worden. Doch waren
diese vereinzelten Befunde nicht besonders beweiskräftig, da es
sich hier auch um Bakterienwirkungen handeln konnte. Erst
Pasteur zeigte einwandafrei, daß auch bei normaler reiner
Hefegärung Glycerin und Bernsteinsäure als regelmäßige
Produkte entstehen, deren Mengenverhältnisse er auch zuerst
durch zahlreiche vielfach variierte Versuche näher ermittelte.
Pasteur fand dabei, daß die Menge dieser Produkte innerhalb
bestimmter Grenzen schwankte, und zwar erhielt er im Durch-
schnitt ca. 2,5 bis 3,6°/, Glycerin und 0,4 bis 0,7°/, Bern-
steinsäure vom Gewicht des vergorenen Zuckers. Damit schien
der Beweis erbracht, daß die Gay-Lussaosche Gärungs-
gleichung nicht zu Recht besteht, und es war erklärlich, daß
man nunmehr für die Entstehung dieser beiden regelmäßig auf-
tretenden Substanzen, die sich nach Pasteurs Theorie durch
Zersetzung des Zuckers bilden, nach einer neuen chemischen
Formulierung suchte, die in ihrer Kompliziertheit allerdings von
vornherein den Stempel der Unwahrscheinlichkeit an sich trug.*)
Seitdem hat man sich gewöhnt, Glycerin und Bernstein-
säure gleichwertig mit dem Alkohol und der Kohlensäure als
reguläre Spaltprodukte des Zuckers bei der Gärung anzusehen,
und diese Ansicht hat sich im wesentlichen bis heute erhalten
1) Vgl. v. Lippmann , Chemie der Zuckerarten, 3. Aufl., S.378 u. folg.
3) Annal. Chem. Pharm. 61, 168, 1847. — Handwörterbuch d, Che-
mie 3, 224, 1848.
3) Phil. Mag. [4] 8, 161, 1854. — Ann. 66, 174.
4) Die erste Gleichung für die Entstehung der Bernsteinsäure und
des Glycerins aus dem Zuoker rührt von Pasteur selbst her, sie lautete:
49 C,H,30, + 30 H,O = 12 C,H,0, + 72 CH0; + 30 CO;:
Monoyer hat ihr dann später in der Annahme, daß bei der Gärung auch
Sauerstoff frei wird, eine etwas einfachere Form gegeben:
4 Gest + 3 H20 = C,H,0, + 6 CH0, +2C0, + O.
Siehe v. Lippmann, Chemie der Zuckerarten a. a. O.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 393
und findet sich auch jetzt noch in den meisten Lehrbüchern
vertreten.
Unter den von Pasteur entdeckten Nebenprodukten der
Gärung hat nun die Bernsteinsäure ein ganz besonderes Interesse
erregt, da sie aus jedem Gärsubstrat durch Atherextraktion
stets leicht zu isolieren und rein darzustellen ist und da sie als
Dicarbonsäure von den andern Gärprodukten chemisch und
physiologisch sehr abweichende Eigenschaften besitzt.
Man versuchte daher schon früh ihre merkwürdige Ent-
stehungsweise bei der alkoholischen Gärung genauer aufzuklären,
wobei man zunächst an die Pasteurschen Arbeiten anknüpfte.
Pasteur hatte bereits festgestellt, daß die von ihm zuerst be-
obachteten an sich geringen Schwankungen der Mengenverhält-
nisse der Bernsteinsäure zu den übrigen Gärprodukten von den
äußeren Bedingungen des Gärungsverlaufes merklich abhängig
sind. So konnte er bei seinen Gärversuchen z. B. zeigen, daß
eine sehr langsam verlaufende Gärung das Auftreten von Bern-
steinsäure ebenso wie von Glycerin begünstigte, und weiterhin,
daß in neutralen Gärmedien, die für das Gedeihen der Hefe weniger
günstig sind als saure, diese Nebenprodukte in größeren Mengen
auftraten. In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen
Pasteurs fand später Effront!), daß Bernsteinsäure besonders
gegen Ende der Gärung sich bildet, wenn die Hefe nur noch
wenig lebenskräftig ist, und analog wies dann Brefeld*) nach,
daß bei schwachen Gärprozessen, wie sie z. B. durch Mucor
eingeleitet werden, Bernsteinsäure auch meist in größeren Mengen
vorhanden ist. Im Widerspruch mit diesen Befunden schienen
allerdings die Angaben Thylmanns und Hilgers?) zu stehen,
die gerade bei günstigen Wachstumsbedingungen der Hefe und
intensiv verlaufender Gärung bedeutend mehr Bernsteinsäure
entstehen sahen. So viel ging jedenfalls aus den Resultaten aller
dieser Untersuchungen*) mit großer Wahrscheinlichkeit hervor,
1) Compt. rend. 119, 92, 1894.
2) Landwirtsch. Jahrb. 1876, 281.
3) Arch. f. Hygiene 8, 451, 1889.
4) Die sehr umfangreiche Literatur über das Auftreten der Bern-
steinsäure bei der Gärung, die hier nur so weit besprochen werden kann,
als sie für die Entstehungsweise der Substanz von Bedeutung ist, siehe
bei v. Lippmann, Chemie der Zuckerarten, 3. Auflage, 1904, S. 378
394 F. Ehrlich:
daß bei der Bildung der Bernsteinsäure die Rasse der Hefe,
die Art des Zuckers, die Menge und Beschaffenheit der Nähr-
stoffe, die Konzentration der Lösungen, Temperatur, Lüftung,
Geschwindigkeit und Phase der Gärung usw. eine hervorragende
Rolle spielen. Da sich außerdem zeigte, daß die Menge der
Bernsteinsäure zwar annähernd proportional der Gärdauer wächst,
aber zur Menge des gebildeten Alkohols und Glyoerins über-
haupt in keiner zahlenmäßigen Beziehung steht, 7) so wurde
auch bald die Vermutung laut, daß das Auftreten der Bern-
steinsäure mit der eigentlichen Zuckerspaltung gar nichts zu
tun hat, sondern daß diese einer Art Nebengärung des Zuckers
ihre Entstehung verdankt. Einzelne Forscher?) gingen in ihren
Folgerungen noch weiter, indem sie die Bernsteinsäure direkt
als ein Stoffwechselprodukt der Hefe bezeichneten. Doch konnten
die bis dahin mit lebender Hefe angestellten Versuche nicht
als schlüssige Beweise für oder wider diese Ansicht gelten.
Erst die Untersuchungen über die Zymase ließen die sichere
Deutung zu, daß die Bernsteinsäure kein normales Zerfall-
produkt des Zuckers sein kann, sondern auf andere Weise ent-
stehen muß. Buchner?) und seine Mitarbeiter fanden näm-
lich bei der zellfreien Gärung, auch wenn große Quantitäten
Zucker und Hefepreßsaft vergoren wurden, gegenüber der Gärung
mit lebender Hefe keine Bernsteinsäure. Neuerdings glaubt
zwar R. Kunz‘) im Gegensatz zu Buchner diese Säure auch
bei der Zymasegärung nachgewiesen zu haben, doch hat er die
bis 380; Ad. Mayer, Gärungschemie, 6. Auflage, 1906, S. 26 bis 31;
C.Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen, 2. Auflage, 1903,
S. 310 bis 313; E. und H. Buchner und Hahn, Die Zymasegärung,
1903, S. 216 bis 223; F. Lafar, Handbuch der Technischen Mykologie
2. Anflage; K. Windisch, Die chemischen Vorgänge beim Werden des
Weines, Stuttgart 1906, 8. 47 bis 49.
1) Müller-Thurgau, 10. Generalversrammlung des Weinbauvereins
Geisenheim 1884. Chem.-Zeitg. 19, 1593. — Effronta.a.0.— A. Mayer
a. a. O.
2) Rau, Arch. f. Hygiene 14, 225. 1892. — Straub, Chem.-Ztg. 19,
R. 405. — Müller-Thurgau a. a O. — C. Oppenheimer a. a. O.
3) E. Buchner und R. Rapp, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 84,
1529, 1901. — E. und H. Buchner und Hahn, Zymasegärung, 8. 220:
E. Buchner und Meisenheimer, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 39,
3201, 1906.
4) Zeitschr. f. Nahrungs-Genußmittel 12, 641, 1906.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 395
Substanz nicht isoliert, sondern nur indirekt bestimmt nach
einer Methode, die derartig geringe Ausschläge gab, daß damit
seine Ansicht, die Bernsteinsäure entstehe bei der Gärung aus
der Hefe durch einen fermentativen autolytischen Prozeß, keines-
wegs bewiesen erscheint.
In ein ganz neues Stadium ihrer Entwicklung trat die
Frage nach der Entstehung der Gärungsnebenprodukte, als der
Nachweis gelang, daß ein wichtiger Teil derselben nicht zu den
Spaltungssubstanzen des Zuckers, sondern zu den normalen
Eiweißstoffwechselprodukten der lebenden Hefe gehört. Im
Jahre 1905 konnte ich zuerst zeigen"), daß die im Fuselöl vor-
kommenden höheren Alkohole, insbesondere die beiden Amyl-
alkohole, deren Herkunft aus Zucker man seit Pasteur irr-
tümlich meist als bewiesen angenommen hatte, sich bei der
Gärung durch eine assimilierende eiweißaufbauende Tätigkeit
der Hefezellen bilden aus den entsprechenden um ein Kohlen-
stoffatom reicheren Aminosäuren des Nährbodens oder der Hefe
selbst. Diese zunächst beim Leucin, Isoleucin und Valin auf-
gefundene Reaktion erwies sich dann als allgemein gültig.
Sämtliche bisher untersuchten a-Aminosäuren unterliegen bei
Einwirkung von Hefe, wenn gleichzeitig Zucker zugegen ist,
einer alkoholischen Gärung, die stets neben der Zuckergärung
verläuft und unter Abspaltung von Kohlensäure und Ammoniak,
das von der Hefe sofort für ihre Eiweißsynthese benutzt wird,
zu dem entsprechenden Alkohol führt im Sinne der allgemeinen
Gleichung:
R.CHNH,.CO,H+H,0=R.CH,OH + NH, + CO,.
Neben den Alkoholen bilden sich bei der Gärung der
Aminosäuren, wenn auch in viel geringeren Mengen, meist auch
die zugehörigen Aldehyde und Fetteäuren, z. B. aus dem Leucin
neben Amylalkohol Valeraldehyd und Valeriansäure.
ı) F. Ehrlich, Über die Entstehung des Fuselöls. Zeitschr. d.
Vereins d. Deutsch. Zuckerind. 55, 539, 1905. — Die chemischen Vor-
gänge bei der Hefegärung. Diese Zeitschr. 2, 52, 1906. — Zur Frage der
Fuselölbildung der Hefe. Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 89, 4072, 1906. —
Über die Bedingungen der Fuselölbildung und über ihren Zusammenhang
mit dem Eiweißaufbau der Hefe. Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 1027,
1907.
396 F. Ehrlich:
Es lag daher der Gedanke nahe, daß vielleicht auch die
Bernsteinsäure bei der Hefegärung ähnlichen Vorgängen wie die
Fuselölbildung ihre Entstehung verdankt. Darauf schienen be-
reits manche bisherigen Beobachtungen hinzudeuten. So mußte
es auffallen, daß die Bernsteinsäure sich ganz analog dem Fuselöl
gerade dann am meisten bildet, wenn die Gärung sehr in-
tensiv verläuft oder aber wenn sie nur sehr schwach vor sich
geht und die Hefe im Absterben begriffen ist. Auch war in
dieser Hinsicht bemerkenswert, daß bei der Selbstgärung und
Autolyse der Hefe ebenso wie die höheren Alkohole auch stets
Bernsteinsäure!) in nicht unbeträchtlichen Quantitäten auf-
gefunden wurde. Schließlich war es trotz unzähliger Varia-
tionen der Gärungsbedingungen niemals gelungen, die Ausbeute
der Bernsteinsäure in allen diesen Fällen über den schon von
Pasteur beobachteten relativ geringen Betrag zu steigern, was
doch möglich sein müßte, wenn die Bernsteinsäure ein normales
Zuckerspaltungsprodukt gleichwertig dem Alkohol und der
Kohlensäure wäre.
Angesichts der großen Ähnlichkeit ihrer chemischen Kon-
stitution schienen nun als Muttersubstanzen der bei der Gärung
auftretenden Bernsteinsäure in erster Linie die Aminodioarbon-
säuren in Betracht zu kommen, unter ihnen besonders die
Asparaginsäure.
Von dieser Aminosäure hatte ich früher in meiner ersten
Arbeit über die Entstehung des Fuselöls®) angenommen, daß
sie ebenso wie das Leucin bei Einwirkung der Hefe einer alko-
holischen Gärung im Sinne der obigen allgemeinen Gleichung
unterliegt, wobei sich sehr wahrscheinlich auch aus der zweiten
Carboxylgruppe Kohlendioxyd abspalten mußte:
CO,H.CH,.CH(NH,).CO,H + H,O
— CH, .CH,OH + 2 CO, + NH,.
Demnach hätte also aus der Asparaginsäure Athylalkohol
und aus der in der Natur nicht minder verbreiteten Glutamin-
säure Propylalkohol entstehen müssen:
1) E. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 506, 1889; 54,
398, 1908. — M. Schenk, Wochenschr. f. Brauerei 22, 221, 19085.
2) F. Ehrlich, Zeitschr. d. Vereins d. Deutsch. Zuckerind. 55,
566, 1905.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 397
C0,H.CH,.CH,.CH(NH,).CO,H + H,O
—CH,.CH,.CH,OH -+ 2 C0, + NH,.
Damit schien auch eine plausible Erklärung der Entstehung
des n-Propylalkols gegeben, der in Mengen von 4 bis 7°/,
regelmäßig im Fuselöl zu finden ist.
Meine weiteren Untersuchungen haben nun für einen in
derartiger Richtung verlaufenden Abbau der beiden Amino-
säuren bei der Gärung keine Anhaltspunkte gegeben, so daß
also die richtige Deutung der Bildung des Propylalkohols durch
die Hefe vorläufig noch aussteht. Alle Anzeichen wiesen viel-
mehr darauf hin, daß die Vergärung der Asparagin- und Glut-
aminsäure abweichend von der der Aminomonocarbonsäuren
vor sich geht. Da die Hefe die Aminosäuren spaltet, um ihr
Stickstoffbedürfnis zu befriedigen, so war es nicht unwahrschein-
lich, daß in diesem Fall nur eine einfache Desamidierung er-
folgte, während die beiden Carboxylgruppen intakt blieben, daß
sich also aus der Asparaginsäure Bernsteinsäure:
CO,H.CH,.CH(NH,).CO,H-+H,
—=(C0,H.CH,.CH,.CO,H + NH, ,
aus der Glutaminsäure Glutarsäure bildete:
CO,H.CH,.CH,.CH(NH,).CO,H-+-.H,
= C0,H.CH,.CH,.CH,.CO,H + NH,.
Eine solche einfache Ammoniakabspaltung aus Aminosäuren
ist bisher im wesentlichen nur bei Fäulnisvorgängen beobachtet,
und man nimmt ja schon seit längerer Zeit an, daß gerade die
bei der Fäulnis und ähnlichen Bakteriengärungen sowie bei der
Autolyse aufgefundene Bernsteinsäure!) durch eine derartige
Desamidierung aus der Asparazinsäure entsteht. Da nun auch
bei der Selbstgärung der Hefe Asparaginsäure?) neben Bern-
steinsäure isoliert worden ist, so erschien die Bildung dieses
Gärungsproduktes aus der entsprechenden Aminosäure durchaus
1) E. u. H. Salkowski, Ber. d Deutsch. chem. Ges. 12, 650, 1879. —
E. Salkowski, Zeitschr. f. klin. Med. 17, Suppl 77, 1890. — F. Blumen-
thal, Virchows Archiv 137, 539, 1884. — Magnus-Levy, Beiträge z. chem.
Physiol. u. Pathol. 2, 261, 1902; Magnus-Levy, Physiologie des Stoff-
wechsels. Handb. d Pathol. d Stoffw. von C. v. Noorden, 1, 90.
2) Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 59, 180L — M. Schenk,
2.2.0.
398 F. Ehrlich:
im Bereich der Möglichkeit liegend, und ich!) hatte deshalb
schon in einer im Jahre 1906 in dieser Zeitschrift veröffent-
lichten Arbeit „Über die ohemischen Vorgänge bei der Hefe-
gärung‘‘ dahingehende Gärversuche mit Asparaginsäure und
Glutaminsäure angekündigt und mir ihre weitere Ausführung
ausdrücklich vorbehalten.
Die bereits im selben Jahre angestellten Vorversuche er-
gaben nun ein sehr überraschendes Resultat. Es zeigte sich
nämlich, daß bei der Vergärung von Zucker und Hefe unter
Zusatz von Asparaginsäure keine Erhöhung der Ausbeute an
Bernsteinsäure eintritt, sondern eine Erniedrigung gegenüber
dem Versuch ohne Zusatz. Bei Zufügung von Glutaminsäure
ließ sich keine Spur Glutarsäure nachweisen, dagegen waren
bei alleinigem Zusatz dieser Aminosäure aus der vergorenen
Lösung stets sehr beträchtliche, den normalen Gehalt weit über-
steigende Mengen von Bernsteinsäure zu isolieren. Daraus ging
schon klar hervor, daß die Glutaminsäure die Mutter-
substanz der bei der Hefegärung entstehenden Bern-
steinsäure bildet. Dieses Resultat wurde voll bestätigt durch
meine weiteren Untersuchungen, die ferner bewiesen, daß die
Bernsteinsäurebildung vollkommen analog der Fusel-
ölbildung verläuft und daß demnach auch die Bernstein-
säure kein normales Zuckerspaltungsprodukt, sondern
ein Eiweißstoffwechselprodukt der Hefe darstellt. Über
die Ergebnisse dieser Untersuchungen und mehrere damit in Zu-
sammenhang stehende Fragen, die den Chemismus des Eiweiß-
aufbaues der Hefe betreffen, sei im folgenden eingehender be-
richtet.
Versuchsanordnung.
Die Versuche wurden in ähnlicher Weise angestellt, wie
ich dies in den Arbeiten über meine Methode der Spaltung
racemischer Aminosäuren durch Hefe beschrieben habe. *®)
Um möglichst viel Stickstoffsubstanz umzusetzen und größere
Quantitäten Bernsteinsäure entstehen zu lassen, wurden relativ
beträchtliche Mengen von Zucker und Hefe vergoren. Die
Zuckerlösungen gelangten meist in einer Konzentration von
1) F. Ehrlich, diese Zeitschr. 2, 75, 1906.
2) F. Ehrlich, diese Zeitschr. 1, 8, 1906; 8, 438, 1908.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 399
10°/, zur Vergärung. Gewöhnlich wurden 100 bis 200 g Zucker
mit 1 bis 10 g der betreffenden Stickstoffverbindung in 1 bis 21
destilliertem oder Leitungswasser gelöst und mit 50 bis 100 g
Hefe angesetzt.!) Die Vergärung geschah bei Zimmertemperatur
in großen 3 bis 4 l fassenden Glaskolben, die mit einem Schwefel-
säuregärverschluß versehen waren. Um bessere Vergleichsresul-
tate zu erzielen, wurden die Versuche in jedem Fall so lange
fortgeführt, bis eine unter Zusatz von Tonerdebrei abfiltrierte
wasserklare Probe der Flüssigkeit die Naphtholreaktion auf Zuoker
nicht mehr gab. Nach beendeter Gärung wurde die Hefe durch
Absaugen über Tonfilter von der Lösung getrennt, wiederholt
gründlich mit Wasser nachgewaschen und das gesammelte hefe-
freie Filtrat in Porzellanschalen zuerst über freier Flamme, dann
auf dem Wasserbade vorsichtig zum Sirup eingeengt. Dieser
Sirup diente nunmehr zur Bestimmung der bei der Gärung ent-
standenen Bernsteinsäure.
Bernsteinsäurebestimmung. Daes für die Entscheidung
der vorliegenden Frage wichtig war, bei jedem Gärversuch den
exakten chemischen Nachweis der Bernsteinsäure durch die
Analyse oder zum mindesten durch den Schmelzpunkt zu er-
bringen, so glaubte ich von allen indirekten Bestimmungs-
methoden absehen zu müssen, die meist infolge der Anwendung
von oxydierenden Mitteln besonders bei Gegenwart organischer
Stiokstoffverbindungen leicht zu irrtümlichen Annahmen über
den Bernsteinsäuregehalt führen können. Es wurde daher in allen
Fällen eine direkte Isolierung der Säure durch Ätherextraktion
vorgenommen, die wie im folgenden beschrieben gereinigte Sub-
stanz durch Wägung bestimmt und näher identifiziert. Wenn
dieses Verfahren auch auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch
erheben kann, so liefert es doch für die Zwecke der vorliegenden
Untersuchung, bei der es sich in erster Linie um relative Ver-
gleichsresultate handelt, hinreichend exakte Werte.
Zur Bestimmung der Bernsteinsäure wurde der aus der
vergorenen Flüssigkeit gewonnene Sirup mit 300 bis 500 ccm
D Als Hefen dienten wieder obergärige Hefe, vorwiegend Rasse XII
neben II und M, und untergärige Bierhefe, die mir sämtlich vom Ber-
liner Institut für Gärungsgewerbe in liberalster Weise zur Verfügung ge-
stellt waren. Die Hefe wurde bei fast allen Versuchen stets frisch be-
reitet angewandt.
400 F. Ehrlich:
Wasser aufgenommen, mit 30 ccm 10°/,iger Schwefelsäure ver-
setzt und mit Äther erschöpfend extrahiert. Infolge der un-
gemein starken Emulsionsbildung der vergorenen Lösungen war
ein quantitatives Ausäthern derselben im Schütteltrichter voll-
kommen unmöglich. Die Extraktion wurde daher unter An-
wendung von viel Äther in dem von Zelmanowitz!) kon-
struierten Apparat vorgenommen, der sich hierfür ausgezeichnet
bewährt hat. Der Apparat gestattete auch bei weitgehender
Emulsion der wässerigen und ätherischen Schicht ein vollstän-
diges Herauslösen der Bernsteinsäure, die bei einem durch-
schnittlichen Volumen der wässerigen Lösung von 500 com und
des darüber geschichteten Athers von 1 bis 1!/, 1 gewöhnlich
in ca. 48 Stunden quantitativ gewonnen wurde. Um ganz sicher
zu gehen, wurde die Extraktion in jedem Falle 72 Stunden
durchgeführt. Aus dem gesammelten Ätherextrakt wurde der
Äther auf dem Wasserbade verdampft, der Rückstand mit
100 bis 200 ccm Wasser aufgenommen, die Lösung zur Ent-
fernung öliger und trübender Bestandteile mit reiner Tierkohle
einige Zeit gekocht, dann filtriert und die Kohle auf dem Filter
wiederholt mit heißem Wasser ausgewaschen. Das wasserklare
Filtrat zusammen mit den Waschwässern in einer Porzellan-
Schale auf dem Wasserbade eingedampft ergab einen meist
bräunlich gefärbten, gewöhnlich sofort krystallisierenden Sirup,
der zur vollständigen Abscheidung der Bernsteinsäure 24 Stunden
kühl aufbewahrt wurde. Das Krystallgemisch wurde dann direkt,
ev. nach Verrühren mit einigen Tropfen eiskalten Wassers,
in dünner Schicht auf quantitative Tonplatten gestrichen und
bis zum vollständigen Einziehen der Mutterlauge getrocknet.
Die zurückbleibenden Krystalle waren meist fast vollkommen
farblos. Im Falle sie noch eine Färbung von anhaftender Mutter-
lauge zeigten, war es möglich, diese durch Aufbringen von wenigen
Tropfen Wasser völlig in den Ton einziehen zu lassen, ohne
daß die Bernsteinsäure dabei gelöst wurde. Die schließlich von
dem Ton vorsichtig heruntergenommene Substanz wurde im
Trockenschrank bei 110° vollständig getrocknet und dann als
Bernsteinsäure zur Wägung gebracht. Sie zeigte fast stets so-
fort den für Bernsteinsäure charakteristischen Schmelzpunkt
1) Diese Zeitschr. 1, 253, 1906.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 401
und war in allen Fällen nach einmaligem Umkrystallisieren
chemisch absolut rein, wie auch die Verbrennungsanalyse be-
stätigte.
Die folgenden beiden Kontrollversuche ergeben außer der
Arbeitsweise des Extraktionsapparates die relative Genauigkeit
der beschriebenen Bestimmungsmethode:
I. Die vergorene Lösung von 200 g Zucker mit 100 g Hefe
wurde nach Filtration der Hefe und Eindampfen auf ca. 200 ccm
nach Zusatz von verdünnter Schwefelsäure im Zelmanowitz-
schen Extraktionsapparat erschöpfend mit Äther extrahiert, so
daß auch nach Erneuerung des vorgelegten Äthers und weiterer
24 stündiger Extraktion keine Spur Bernsteinsäure zu isolieren
war. Darauf wurde die wässerige Schicht im Apparate mit einer
Lösung von genau 1,0 g reiner Bernsteinsäure vermischt und
die gesamte Lösung nun wie beschrieben mit Ather extrahiert
und auf Bernsteinsäure verarbeitet, wobei der vorgelegte Äther
alle 24 Stunden erneuert wurde. Die Extraktion lieferte
in den ersten 24 Stunden 0,67 g Bernsteinsäure
» on folgenden 24 e 0,30 g F
IT TT „ 24 „ 0,04 g TT
— F 24 ge 0,00 g F
Wiedergefunden Sa. 1,01 æ Bernsteinsäure.
Der Versuch zeigt also, daß schon in den ersten 24 Stunden
2/, der Gesamtmenge Bernsteinsäure durch den Apparat extra-
hiert waren und daß die Extraktion nach 48 Stunden bereits
so gut wie beendet, nach 72 Stunden quantitativ durchgeführt ist.
II. Eine mit Hefe vergorene Zuckerlösung wurde nach dem
Eindampfen zum Sirup mit Wasser zu 11 Gesamtflüssigkeit auf-
gefüllt. In 500 com dieser Lösung wurde der Bernsteinsäure-
gehalt nach der beschriebenen Methode bestimmt (72stündige
Extraktion). Er betrug 0,34 g Bernsteinsäure. In den anderen
500 ccm der Lösung wurde 1,0 g reine Bernsteinsäure aufgelöst
und dann die Bestimmung genau so ausgeführt. Zurückgewinnen
ließen sich in diesem Fall 1,32 g Bernsteinsäure.
Bernsteinsäurebildung bei Vergärung von Zucker mit Hefe
unter Zusatz verschiedener Aminosäuren.
Da es sich in erster Linie darum handelte, Anhaltspunkte
für die Muttersubstanz der Bernsteinsäure bei der Hefegärung
Biochemische Zeitschrift Band 18. 26
402 F. Ehrlich:
zu gewinnen, wurde zunächst eine Reihe von Versuchen‘)
mit verschiedenen Aminosäuren angestellt, die in ähnlichen
Mengenverhältnissen wie bei meinen Arbeiten über die Fusel-
ölbildung gärender Zuckerlösungen zugesetzt wurden. Zur An-
wendung kam frisch bereitete und abgepreßte obergärige Hefe,
Rasse XII, von der eine größere Portion auf sämtliche Flüssig-
keiten zu gleicher Zeit zur Einwirkung gelangte. Als Amino-
säuren dienten reinste Kahlbaumsche Präparate. Die Glut-
aminsäure war vorwiegend aus Dessauer Melasseschlempe nach
dem Andrlikschen Verfahren?) dargestellt, sie zeigte den von
E. Fischer?) angegebenen Schmelzpunkt 208° und in salz-
saurer Lösung das spezifische Drehungsvermögen et = + 31,4°
(E. Fischer -+ 30,85°). Die Flüssigkeiten wurden sofort nach
beendeter Gärung auf Bernsteinsäure verarbeitet.
Es wurden vergoren in Lösung von 21 Wasser:
Schmelz-
Gebildete —
Dauer der Menge isolierten
Unter Zusatz von | Gärung |Bernstein- Bernstein-
e A ure nic
n Tagen gedoe amkrystalli-
sie
183—1840
0,24 |182-—1830
0,28 1830
0,31 |183—1840
0,24 WK
10g Glutaminsäure 184 9
Die Resultate der Versuche zeigen deutlich, daß bei Zu-
satz von Alanin und Leucin eine Verminderung der Bernstein-
säuremenge fast um die Hälfte gegenüber der bei der Vergärung
von Zucker mit Hefe für sich stattfindet. Fast genau dieselbe
Erniedrigung der Ausbeute an Bernsteinsäure beobachtet man :
aber bei Zusatz sowohl von Asparaginsäure wie von Aspa-
1) Einzelne Resultate dieser Versuche sind bereite in einem Referat
über meinen Vortrag vor der Deutschen ohemischen Gesellschaft in Berlin
am 22. Juli 1907 in der Wochenschr. f. Brauerei 1907, Nr. 30, 393
veröffentlicht.
2) Zeitschr. d. Ver. d. Deutsch. Zuckerind. 53, 829, 1903; Ber. d
V. intern. Kongr. f. angew. Chem., Berlin 3, 450, 1903.
3) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2470, 1899.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 403
ragin, so daß schon aus diesen Befunden ohne weiteres zu er-
sehen ist, daß aus letzteren beiden Verbindungen Bernsteinsäure
bei der Gärung sicher nicht entsteht.
Dagegen läßt sich auf Zusatz von Glutaminsäure in Ver-
such Nr. 6 ein enormes Ansteigen der Bernsteinsäuremenge um
mehr als das Zehnfache gegenüber den Versuchen mit allen
anderen Aminosäuren feststellen. Es kann daher schon auf
Grund dieses Resultats kein Zweifel mehr darüber bestehen,
daß die Glutaminsäure die Muttersubstanz der Bern-
steinsäure bei der Hefegärung bildet. Die in diesem
Falle gefundene Menge Bernsteinsäure von 3,1 g entspricht
theoretisch 3,9 g umgesetzter Glutaminsäure. Daß es sich hier
wirklich um fast absolut reine Bernsteinsäure handelt, zeigt die
weitere Untersuchung der Substanz.
Zu diesem Zwecke wurden die zuerst isolierten 3,1 g fast
farbloser Säure aus wenig Wasser unter Behandlung mit Tier-
kohle umkrystallisiert. Es gelang auf diese Weise durch ein-
maliges Umlösen 2,85 g reine Bernsteinsäure zu gewinnen, die
bei 110° getrocknet scharf bei 184° schmolz. Ihre Reinheit
wird durch die Elementaranalyse der Substanz und die Analyse
ihres Silbersalzes bestätigt.
0,1260 g Substanz: 0,1895 g CO,, 0,0559 g H,O.
C,H,0O, Ber. C 40,68 H 5,08
Gef. C 41,02 H 4,97
Das über das Ammoniaksalz dargestellte Silbersalz der
Säure wurde nach dem Trocknen bei 100° analysiert.
0,5738 g Substanz: 0,3700 g Ag.
G,H,0,Ag, Ber. Ag 65,06
Gef. Ag 64,48.
Bernsteinsäurebildung bei Vergärung von Zucker und Hefe
ohne Zusatz,
Nachdem auf diese Weise festgestellt war, daß die Bern-
steinsäure bei der Gärung aus Glutaminsäure entsteht, erhob
sich weiterhin die Frage, wie diese Bildung im einzelnen zu-
stande kommt und ob sie namentlich ähnlich der des Fuselöls
verläuft. Hierfür schien es zunächst wichtig zu untersuchen,
welche Mengen Bernsteinsäure sich bei der Vergärung von Zucker
26°
404 F. Ehrlich:
mit der angewandten Hefe allein bilden, da diese Zahlen für
die späteren Untersuchungen als Vergleichswerte dienen mußten.
Die folgenden Gärversuche wurden mit wechselnden Quanti-
täten von Zucker und Preßhefe angestellt, die zu verschiedenen
Zeiten sowohl in frischem wie in altem Zustande entnommen
waren. Der Zuoker wurde stets in 21 Wasser aufgelöst und
ebenso wie bei den vorigen Versuchen ohne Zufügung von
Nährsalzen mit Hefe vollständig bis zum Verschwinden der
Naphtholreaktion vergoren.
Me Zucker Hefe
Nr.
Art der Hefe
7 | 200 | 100 2 | 0,80 | Rasse II
8 | 200 | 100 3 | 0,47
9 100 | 200 1 0,42 | | Rasse XII, von verschiedenen Be-
10 | 200 40 5 | 0,50 | | reitungenherstammendeHefeproben
11 200 | 100 3 1,20
12 200 50 4 0,86 | >) Rasse XII, ein und derselben Probe
13 | 200 75 4 | 0,78 | entnommen und zu gleicher Zeit
14 200 | 100 4 0,79 | ) angesetzt
15 | 200 | 100 3 | 0,67 | Rasse XII ganz frisch
16 | 200 | 100 3 | 0,71 | Von derselben Probe nach 3 Tagen
17 200 | 100 3 0,60 | Von derselben Probe nach 4 Woohen
18 I 300 50 7 | 0,89 | Untergärige Bierhefe abgepreßt
Bei der Vergärung von reinen Zuckerlösungen mit Rein-
zuchthefe für sich entstehen also, wie aus den vorstehenden
Zahlen zu ersehen ist, sehr stark wechselnde Mengen von Bern-
steinsäure, die je nach der angewandten Quantität und dem
Mengenverhältnis von Hefe und Zucker, je nach der Art der Zu-
sammensetzung und Bereitung der Hefe schwanken. Auf das Ge-
wicht des vergorenen Zuckers berechnet, betrug die Ausbeute an
Bernsteinsäure 0,24 bis 0,60°/,, während Pasteur früher für diese
Zahl 0,4 bis 0,7°/, angegeben hat. Doch ist zu beachten, daß
Pasteur meist mit Würzen oder künstlich zusammengesetzten
Nährlösungen arbeitete, in denen die spurenweise eingeimpfte
Hefe sich langsam unter Gärung fortentwickelte, während die hier
vorliegenden Versuche der Einfaehheit und des besseren Ver-
gleichs wegen mit einem großen Überschuß bereits fertig ge-
bildeter Hefe ohne Anwendung von Nährsalzen in der Lösung
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 405
angestellt wurden. Im übrigen erscheint die Berechnung der
bei der Gärung entstandenen Bernsteinsäure auf Zucker jetzt
von geringerer Bedeutung, nachdem festgestellt ist, daß Kohlen-
hydrate nicht das Ausgangsmaterial für dieses Gärprodukt sind.
Für die Bildung von Bernsteinsäure aus Zucker und Hefe
ist leicht eine Erklärung zu geben, wenn man sie unter den
früher für die Fuselölbildung entwickelten Gesichtspunkten?)
betrachtet. Im Eiweiß der Hefe ist neben Leucin und anderen
Aminosäuren auch Glutaminsäure enthalten. Ihre Anwesenheit
ist gerade in den hier benutzten Hefen des Instituts für Gärungs-
gewerbe von M. Schenck?) nachgewiesen, der auch gezeigt hat,
daß diese Aminosäure besonders bei der Autolyse der Hefe auf-
tritt. Wenn nun Hefe in Zuckerlösungen eingetragen wird, die
keine Stickstoffnahrung enthalten, so vermag die Hefe wohl
den Zucker zu vergären, es findet aber zunächst keine Fort-
entwicklung der Zellen statt, da diesen die notwendigsten Nähr-
mittel fehlen. Infolgedessen wird ein großer Teil der Hefezellen
geschwächt werden und schließlich allmählich absterben, wobei
die aus den absterbenden Zellen austretenden Inhaltsstoffe in
Lösung gehen und nun anderen noch lebenden Zellen zur Nahrung
dienen. Bei diesem Vorgang muß nun stets auch eine Auto-
lyse des Hefeeiweißes stattfinden, die schon eintreten kann, wenn
die Hefezellen durch irgendwelche äußere Einwirkung in ihrer
Tätigkeit gehemmt oder geschädigt sind, und die naturgemäß
um so intensiver sein wird, je weiter die Hefe im Absterben
begriffen ist. Die bei der Selbstverdauung der Hefe aus dem
Eiweiß abgespaltenen Aminosäuren, darunter die Glutaminsäure,
wandern in die umgebende Flüssigkeit und von hier weiter
durch die Zellmembran noch frischer Hefezellen, von denen
sie zur Assimilation verwendet werden. Dieser Assimilations-
prozeß verläuft nun, wie ich in früheren Arbeiten auseinander-
gesetzt habe, nicht in der Weise, daß das ganze Molekül der
Aminosäuren an das schon vorhandene Eiweiß der Hefe an-
gelagert wird, sondern es tritt eine Spaltung der Aminosäuren
in Ammoniak und einen stiokstofffreien Komplex ein, der even-
tuell nach weiterer Umwandlung (Oxydation oder Reduktion)
als Stoffwechselendprodukt die Hefezelle verläßt, während das
1) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 1027, 1907.
2) Wochensohr. f. Brauerei 22. 221, 1905.
406 F. Ehrlich:
Ammoniak zusammen mit Bruchstücken des Zuckers von der
Hefe zu Körperprotein aufgebaut wird. So spaltet sich aus
dem durch Abbau des Hefeeiweißes entstandenen Leucin, wie
früher gezeigt, Amylalkohol, aus der auf demselben Wege neben-
her gebildeten Glutaminsäure in noch näher zu erörternder
Weise Bernsteinsäure ab, die dann durch die Membran der
Hefezellen in die äußere Flüssigkeit diffundieren und sich hier,
da sie von der Zelle nicht weiter angegriffen und verwertet
werden können, allmählich anreichern. Der geschilderte Vor-
gang wird sich im Verlaufe der Gärung fortwährend wieder-
holen, ständig werden aus absterbenden Zellen des Pilzes durch
Autolyse Aminosäuren abgespalten, die von noch assimilations-
fähigen Zellen weiter zerlegt werden, wobei neues Eiweiß auf-
gebaut wird, während immer mehr Stoffwechselprodukte in die
äußere Flüssigkeit übergehen.
Infolge dieses eigentümlichen Kreislaufes des Stickstofis
können also schließlich sehr beträchtliche Mengen von Bern-
steinsäure ebenso wie von Fuselöl auch bei der Vergärung von
reinen Zuckerlösungen mit Reinzuchthefe entstehen, besonders wenn
man sich vorstellt, daß die Zerlegung des Hefeeiweißes durch
die Autolyse nicht auf einmal, sondern sukzessive erfolgt und
daß dabei Aminosäuren, wie die Glutaminsäure und das Leucin,
gerade anfangs abgespalten und sofort nach ihrer Abspaltung
weiter abgebaut werden. Genau so wie die Fuselöl- muß die
Bernsteinsäurebildung ihr Ende erreichen, wenn entweder alle
Hefezellen abgestorben sind oder der Zucker vollständig ver-
goren ist, dessen Anwesenheit und Zerfall für die Entstehung
dieser Gärungsnebenprodukte, ohne daß er sich selbst direkt
daran beteiligt, wie später gezeigt wird, unbedingt erforder-
lich ist.
Die vorstehende Betrachtungsweise macht die verhältnis-
mäßig großen Schwankungen der bei der Vergärung von Zucker
und Hefe für sich entstehenden Mengen Bernsteinsäure ohne
weiteres verständlich. Denn da die zu diesen Versuchen be-
nutzte, im großen fabrikmäßig hergestellte Preßhefe in Würzen
verschiedenster Herkunft und der verschiedensten Zusammen-
setzung hinsichtlich ihres Gehalts an Salzen, Stickstoff usw.
aufgezüchtet wird und da die weitere Behandlung der fertigen
Hefe in bezug auf ihre Abpressung, Aufbewahrung usw. nie
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 407
ganz gleichmäßig erfolgt, so ist es klar, daß die zu verschie-
denen Zeiten gewonnenen Hefen sehr große Unterschiede in
ihrem Gehalt an Trockensubstanz, Stickstoff, Asche usw. auf-
weisen. Diese Unterschiede machen sich dann bei der Gärung
u.a. dahin geltend, daß auch bei gleichbleibenden Gärungs-
bedingungen infolge des verschiedenen Stickstoffgehalts die Auto-
lyse und Assimilationsfähigkeit der Hefen eine sehr verschiedene
ist, daß dementsprechend größere oder geringere Mengen Glut-
aminsäure aus dem Hefeeiweiß in Lösung gehen und wieder
assimiliert werden, so daß schließlich auch bei Einwirkung des
gleichen Gewichts zu verschiedenen Zeiten bezogener Hefe auf
dieselbe Menge Zucker unter Umständen sehr stark wechselnde
Mengen Bernsteinsäure entstehen können. So erklärt ee sich,
daß in den Versuchen 8 und 11 der obigen Tabelle, bei denen
auf 200 g Zucker jedesmal 100 g Preßhefe derselben Rasse,
aber von verschiedenen Chargen der Fabrikation herrührend,
zur Anwendung kamen, in einem Falle nur 0,47 g, im anderen
dagegen 1,20 g Bernsteinsäure erhalten wurden. Dagegen zeigte
es sich, daß, wenn die Hefe ein und derselben größeren Probe
entnommen war, bei gleichmäßig angesetzten Parallelversuchen
auch fast immer ungefähr dieselbe Ausbeute an Bernsteinsäure
erzielt wurde (Versuch 15 bis 17), was für die späteren Ver-
gleichsversuche von Wichtigkeit erscheint. Von allgemeinerer
Bedeutung ist noch, daß sich aus den Gärversuchen mit Zucker
und Hefe ergeben hat, daß die Bildung der Bernsteinsäure pro-
portional der alkoholischen Gärung des Zuckers verläuft. Diese
Erscheinung war früher irrtümlich immer als Beweis für die
Entstehung der Bernsteinsäure aus dem Zucker gedeutet worden.
Sie ist aber vollkommen mit den Anschauungen der hier ent-
wickelten Theorie vereinbar, wenn man bedenkt, daß der Ei-
weißstoffwechsel der Hefe normalerweise nur vor sich geht,
wenn Zucker zugegen ist, und dementsprechend um so mehr
Aminosäurestickstoff umgesetzt und Bernsteinsäure ausgeschieden
wird, je mehr Zucker die Hefe vergären kann. Hiermit stimmt
auch überein, daß bei vollständiger Vergärung ein und desselben
Gewichtes Zucker mit verschiedenen Mengen derselben Hefe
stets ungefähr dieselbe Quantität Bernsteinsäure resultieren muß
(Versuch 12 bis 14), da offenbar unabhängig von der Anzahl
der vorhandenen Hefezellen die totale Zerlegung des Zuckers
408 F. Ehrlich:
in allen Fällen die Umsetzung der gleichen Menge Aminosäure
herbeiführt.
Daß die Bernsteinsäurebildung der Hefe sicher mit ihrer
Stickstoffernährung in Zusammenhang steht, läßt sich übrigens
schon aus den ersten hier mitgeteilten Versuchen (Nr. 1 bis 5)
folgern. In diesen Fällen war eine deutliche Erniedrigung der
Ausbeute an Bernsteinsäure fast um die Hälfte zu konstatieren,
wenn vor der Gärung außer Zucker noch Aminosäuren wie
Alanin, Leucin, Asparaginsäure usw. in der Flüssigkeit aufgelöst
waren. Man muß annehmen, daß bei Gegenwart derartiger
leicht assimilierbarer Stickstoffverbindungen die Hefe genügende
Stickstoffnahrung vorfindet und infolgedessen ihr eigenes Eiweiß
bedeutend weniger angreifen und entsprechend weniger Glut-
aminsäure und Bernsteinsäure ausscheiden wird. Das geht auch
aus den folgenden Versuchen hervor, die fernerhin zeigen, daß
ein Zusatz von Ammonsalzen zu gärenden Zuckerlösungen eben-
falls in diesem Sinne auf das Hefeeiweiß schützend wirken und
zugleich mit der Selbstverdauung der Hefe auch die Bernstein-
säurebildung erheblich einschränken kann.
Die Versuche wurden mit je 21 10°/,iger Zuckerlösung zu
gleicher Zeit angesetzt.
Dauer der Bernstein-
Versuch | Zucker Hefe |Zugesetze Stickstoff-
substanz
5g Asparagin
2,5g Ammonium-
a. 99 phosphat
4 g Ammonium-
200 p9 carbonat
20
21
Wenn die Bernsteinsäurebildung selbst durch Zugabe von
sehr großen Mengen assimilierbarer Stickstoffsubstanzen nicht
vollständig unterdrückt werden kann, wie die Zahlen der Tabelle
zeigen, so ist die Ursache darin zu suchen, daß die in sehr
großem Überschuß vorhandenen, sich gegenseitig beeinflussenden
Hefezellen auch bei bester Ernährung oder vielleicht gerade
infolge einer gewissen Übersättigung doch zu einem kleinen Teil
absterben und dadurch anderen Zellen das Material für die Ent-
stehung dieser relativ geringen Mengen Bernsteinsäure liefern.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 409
Die Verhältnisse liegen in dieser Hinsicht ganz ähnlich wie bei
der Fuselölbildung.
Bernsteinsäurebildung bei Zusatz von Glutaminsäure und
ihre Beeinflussung durch andere Stickstoffsubstanzen.
Es war nun weiter zu untersuchen, bis zu welchem Grade
gärenden Zuckerlösungen zugesetzte Glutaminsäure von der Hefe
umgesetzt und zu Bernsteinsäure verarbeitet wird. In dem
ersten oben mitgeteilten Versuch (Nr. 6), bei dem 200 g Zucker
mit 100 g Preßhefe unter Zusatz von 10 g Glutaminsäure ver-
goren waren, betrug die Ausbeute an Bernsteinsäure 3,1 g, d. h.
also nur 39°/, der Theorie. Offenbar war bei diesem Versuch
die angewandte Quantität Hefe und Zucker zur Bewältigung so
großer Mengen der Aminosäure nicht genügend, so daß ein
großer Teil derselben unangegriffen blieb, von dem sich dann
auch die Hauptmenge aus der wässerigen mit Äther extrahierten
Gärungsflüssigkeit nach Entfernung der Schwefelsäure und Ein-
dampfen wieder zurückgewinnen ließ (ca. 4 g).
Prozente der
La ` 8 l,
© | Lë | wFj8 2 |theoret. Aus-
E 8 BEI E 93,3 beute auf zu-
N 3 IEN | Da | gesetzte Glut-
= |80.9 M | aminsäure
Heferasse XII frisch
Dieselbe Hefeprobe nach
3tägigem Stehenlassen in
2 1l Wasser ausgewaschen
und abgesaugt
Dieselbe Hefeprobe wie Nr. 22
nach vorheriger Vergärung
von 200 g Rohzucker (mit
anhängender Melasse) aus-
gewaschen und abgesaugt
a | Versuch Nr.
25120011001 3| 2 1215 89,6
261200| 50) 5| 6 12,08 50,8 Rasso XII frisch
27 |200|100) 1| 3 |105 131
28|200|100) UI 4 1,18) 148
20011001 — | 3 11,20
29 | 200| 100 1 2 11,67 209 Von derselben Probe Rasse
30 | 200/100) 1 2 11,65 206 XII zu gleicher Zeit parallel
31l200)100| 2| 2 aan 139 angesetzt
32]200/1ı00| 3| 2 |37 113
300| 50| — | 7 10,89 ein Bierhefe ab-
33|300| 50! 5| 10 |1,8 gepreßt
410 F. Ehrlich:
In der vorstehenden Versuchsreihe wurden wechselnde Mengen
von Glutaminsäure wieder in 21 Wasser mit Zucker und Hefe
vergoren, die zu verschiedenen Zeiten entnommen und in ein-
zelnen Fällen, wie nebenbei bemerkt, besonders vorbehandelt war.
Wie die Resultate der Versuche zeigen, erhält man bei
der Vergärung von Zucker mit Hefe unter Zusatz von Glutamin-
säure sehr unregelmäßig schwankende Ausbeuten an Bern-
steinsäure, was in ähnlicher Weise, wie früher erörtert, vor
allem auf die Beschaffenheit der jeweilig angewandten Hefe
zurückzuführen ist, da die Versuche sonst vollkommen gleich-
mäßig angesetzt waren. Als wichtigste Tatsache ist jedenfalls
festzustellen, daß bei Gegenwart von viel Glutaminsäure als
einziger Stickstoffsubstanz in gärenden Zuckerlösungen gegen-
über den Versuchen ohne Zusatz immer eine deutliche Steigerung
der Bernsteinsäuremenge eintritt. Sehen wir von den ersten
drei Versuchen (Nr. 22 bis 24) ab, bei denen im Verhältnis zur
Glutaminsäure zu wenig Zucker und Hefe angewandt wurde, so
beträgt in den übrigen Fällen aus der entstandenen Quantität
Bernsteinsäure berechnet die scheinbare Ausnutzung der vor-
gelegten Glutaminsäure 50,8 bis 209°/, Bei allen Versuchen,
wo eine relativ geringe Menge Glutaminsäure mit einer hierzu
genügenden Menge Zucker und Hefe vergoren wurde, ist
also, besonders wenn die Hefe stickstoffarm war und einen
dementsprechend großen „Stickstoffhunger‘‘ besaß, sehr wahr-
scheinlich die chemische Umwandlung der Aminosäure in Bern-
steinsäure durch die Hefe vollkommen quantitativ verlaufen.
Wenigstens ließ sich in keinem dieser Versuche aus der ver-
gorenen Lösung Glutaminsäure wieder isolieren, was immer
möglich war, wenn die Ausbeute an Bernsteinsäure die theo-
retisch berechnete wesentlich unterschritt. Die Tatsache, daß
bei Zusatz von relativ geringen Mengen Glutaminsäure eine
Ausbeute von über 100°/,, ja bis 209°/, der Theorie zu ver-
zeichnen war (Versuche Nr. 27 bis 32), ist nicht, wie man erst
annehmen könnte, dahin zu deuten,’ daß in diesen Fällen eine
mehrfache Ausnutzung ein und derselben vorgelegten Menge
Glutaminsäure stattgefunden hat. Vielmehr muß man sich vor-
stellen, daß die Hefe erst diese kleine vorgesetzte Quantität
Aminosäure verarbeitet, dann aber infolge Stickstoffmangels
gezwungen ist, ihr eigenes Eiweiß genau so anzugreifen, als
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 411l
wenn von vornherein kein Stickstofizusatz zur Gärflüssigkeit
erfolgt ist. Die hierbei entstehende Bernsteinsäure addiert sich
zu der aus der zugefügten Glutaminsäure abgespaltenen, und so
kann es kommen, daß in der fertig vergorenen Lösung schließlich
das Doppelte oder mehr der theoretisch zu erwartenden Quantität
Bernsteinsäure vorhanden ist. Die bei derartigen Versuchen
beobachteten Mehrausbeuten sind also nur scheinbare und
erklären sich leicht aus dem eigenartigen Stickstoffumsatz der
gärenden Hefe, besonders wenn man die entsprechenden Gär-
versuche mit Zucker und derselben Hefe allein ohne Zusatz
zum Vergleich heranzieht. Besonders hervorzuheben sind in
dieser Hinsicht die Resultate der Versuche Nr. 29 bis 32, die
sämtlich mit gleichen Mengen Zucker und derselben frisch be-
zogenen Hefe zu gleicher Zeit angestellt waren. Diese Hefe
besaß zufällig die Eigenschaft schon bei Vergärung mit Zucker
für sich sehr beträchtliche Mengen Bernsteinsäure abzuscheiden
(1,2 g). Bei Zufügung von Glutaminsäure (1,2 und 3 g) ließ
sich zwar deutlich ein ungefähr proportionales Ansteigen der
Bernsteinsäure beobachten, doch muß bei allen diesen Versuchen
aus dem Eiweiß der Hefe autolytisch abgespaltene Glutamin-
säure mitgewirkt haben, da selbst bei dem Maximalzusatz der
Aminosäure (3 g) die Ausbeute an Bernsteinsäure immer noch
die theoretisch berechnete übersteigt (113°/,). Daß es sich hier
nicht um Versuchsfehler handelt, zeigen die beiden parallel mit
je 1g Glutaminsäure angesetzten Gärversuche (Nr. 29 und 30),
bei denen jedesmal die fast genau gleiche Ausbeute an Bern-
steinsäure gewonnen wurde (1,65 und 1,67 g).
Um festzustellen, ob etwa in dem der Preßhefe noch an-
hängenden Wasser oder im Innern ihrer Zellen gelöste Stoffe
sich befinden, welche die Bernsteinsäurebildung aus Glutamin-
säure beeinflussen könnten, wurden 100 g der benutzten Hefe,
bevor sie auf 10 g Glutaminsäure zur Einwirkung kamen, in
21 destilliertem Wasser suspendiert, 3 Tage unter wiederholtem
Schütteln aufbewahrt, dann abgesaugt und mit viel Wasser
nachgewaschen (Versuch 22 und 23). Die nach dieser Operation
mit 200 g Zucker angesetzte Hefe lieferte bei der Gärung fast
genau dieselbe Menge Bernsteinsäure wie die direkt benutzte
(1,90 resp. 1,92 g). Wesentlich weniger Bernsteinsäure erhält
man aber, wenn man Glutaminsäure mit einer Hefe vergärt,
412 F. Ehrlich:
die vorher schon eine beträchtliche Gärarbeit geleistet hat, wie
z. B. im Versuch 24, wo dieselbe vorher zur Vergärung von
200 g Rohzucker, der ungefähr 10°/, Melasse enthielt, verwendet
war. Ob in diesem Falle die geringere Assimilationsfähigkeit
der Hefe für Glutaminsäure darauf beruht, daß sie sich bereite
mit Stickstoff aus der Melasse angereichert hatte, bleibt unent-
schieden.
Besonders wichtig erscheint die Beeinflussung der Bernstein-
säurebildung aus zugesetzter Glutaminsäure durch die Gegenwart
von andern Stickstoffsubstanzen. Fügt man außer Glutaminsäure
zu einer mit Hefe gärenden Zuckerlösung noch lösliche, leicht
assimilierbare Stickstoffverbindungen, so wird stets ganz bedeutend
weniger Bernsteinsäure gebildet, als wenn man die Glutaminsäure
für sich in der betreffenden Flüssigkeit löst. Bei Zugabe von
Substanzen mit leicht verseifbarem Stickstoff, wie Asparagin, oder
von einfachen Ammoniaksalzen kann man selbst bei Anwesenheit
von viel Glutaminsäure die Entstehung der Bernsteinsäure bei
der Gärung auf einen minimalen Betrag ähnlich wie bei den
Versuchen ohne Glutaminsäure zurückdrängen:
Außerdem zugesetzte | Bernstein-
Stickstoffsubstanz säure
8 —
— 2,03
Be Asparagin 0,29
4 g Ammoniumcarbonat 0,13
| 5 g Ammoniumphosphat 0,21
Die Bernsteinsäurebildung bei der alkoholischen Gärung
verläuft also auch in dieser Hinsicht vollkommen analog der
Entstehung des Fuselöls. Zugleich sind die Resultate dieser
Versuche ein erneuter Beweis dafür, daß die Assimilation der
Aminosäuren durch die Hefe in der Weise erfolgt, daß erst
Ammoniak daraus abgespalten wird und dieses, nicht das ganze
Molekül der Aminosäure, zum Eiweißaufbau verwendet wird,
daß aber der dabei abgesprengte stickstofffreie Teil als unver-
wertbar aus dem Stoffwechselprozeß ausscheidet. Denn wenn
man der Hefe neben Aminosäuren Stickstoffverbindungen mit
leicht verseifbarem Stickstoff oder Ammonsalze, bei denen eine
Spaltung überhaupt nicht erforderlich ist, darbietet, so bevorzugt
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 413
sie diese und läßt die Aminosäuren fast unberührt, was auch
aus den obigen Versuchen mit Sicherheit zu folgern ist.
Die Notwendigkeit der Gegenwart des Zuckers für die
Bernsteinsäurebildung.
Weiterhin war nun noch die Frage zu prüfen, ob die Re-
aktion der Bernsteinsäurebildung bei der Hefegärung auch in
Abwesenheit von Zucker erfolgen kann und ob auch durch
direkte Einwirkung von Hefe auf Glutaminsäure Bernsteinsäure
in nennenswerten Mengen auftritt.
Zu diesem Zwecke wurde frische Preßhefe Rasse XII in
21 Wasser, das durch mehrstündiges Kochen sterilisiert war, in
einem Kolben mit Schwefelsäuregärverschluß suspendiert und
längere Zeit bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Ein gleicher
Versuch wurde mit einer Lösung von 5g Glutaminsäure in 2]
Wasser angestellt. Beide Flüssigkeiten wurden mit und ohne
Zusatz von 10 ccm Chloroform als Antisepticum angesetzt. Nach
Beendigung der Versuche geschah die Verarbeitung auf Bern-
steinsäure in der üblichen Weise.
Die ohne Chloroform aufbewahrten Lösungen zeigten un-
gefähr 1 Woche lang normales Aussehen, dann trübte sich die
über der abgelagerten Hefe befindliche Flüssigkeit unter schwacher
Gasentwicklung allmählich und nahm gegen Ende der Versuche
einen schwach fauligen Geruch an. Die entstandene Menge
Bernsteinsäure ist in allen Lösungen äußerst minimal. Man kann
sich die Bildung dieser Spuren Substanz, die außerdem nur
stark verunreinigt erhalten werden konnten (Smp. 170 bis 180°),
so erklären, daß das Glykogen der Hefe in diesem Falle den
für die Bernsteinsäurebildung erforderlichen Zucker geliefert hat,
414 F. Ehrlich:
durch dessen Gärung die bei der Autolyse der Hefe in kleinsten
Mengen abgespaltene Glutaminsäure weiter zerlegt wurde. Auch
aus künstlich zugesetzter Glutaminsäure bildete sich nur sehr
wenig Bernsteinsäure mehr (Versuch 39). Vielleicht sind auch
bei diesen Versuchen Spuren Bernsteinsäure durch Fäulnis ent-
standen, wie dies bei der DI Jahre aufbewahrten Lösung, nach
dem Aussehen und Geruch zu schließen, sicher der Fall war.
Etwas größere Mengen Bernsteinsäure wurden aus der mit
Chloroform angesetzten Hefe erhalten, doch scheinen diese im
wesentlichen ein Produkt der Autolyse allein zu sein, bei der,
wie früher erwähnt, Bernsteinsäure häufig beobachtet ist.
Wahrscheinlich wird auch bei der Autolyse die Bernsteinsäure
aus Glutaminsäure gebildet, doch ist hier immer noch die
Möglichkeit gegeben, daß auch andere Aminosäuren bei ihrer
Entstehung im Spiel sind. Darauf könnte vielleicht hindeuten,
daß in dem Versuch mit Zusatz von Glutaminsäure (Versuch 42)
nicht mehr, sondern weniger Bernsteinsäure aufgetreten ist.!)
Allgemein läßt sich meiner Ansicht nach aus diesen Unter-
suchungen analog den bei der Fuselölbildung gemachten Be-
obachtungen herleiten, daß der Zucker für die Entstehung der
Bernsteinsäure bei der alkoholischen Gärung unentbehrlich ist
und daß die Hefe bei Abwesenheit von Zucker nicht imstande
ist, Glutaminsäure zu Bernsteinsäure zu vergären. Denn wenn
man zu derselben Menge Hefe (100 g), bei deren Einwirkung
auf 5 g Glutaminsäure allein nach 4 Wochen im günstigsten
Falle 0,05 g Bernsteinsäure entstehen, 200 g Zucker setzt und
diese zusammen mit der angegebenen Menge Glutaminsäure
vergärt, so wird innerhalb von 3 Tagen 2,03 g derselben Säure
gebildet. Gerade aus den Resultaten dieser Versuche scheint
1) E. Salkowski nimmt neuerdings (Zeitschr. f. physiol. Chem.
54, 400, 1908) an, daß die bei der Autolyse der Hefe entstehende Bern-
steinsäure sich vielleicht aus Arginin durch Oxydation bildet. Wenn
auch ein solcher Vorgang bei der Autolyse wohl möglich wäre, so glaube
ich doch, daß bei normaler Gärung das Arginin einen Abbau in wesent-
lich anderer Richtung erleidet, nämlich zu Butylenglycol CH,(OH).CH,
.CH,.CH,(OH), indem CO, abgespalten und der Guanidin- und Amid-
gruppe durch OH ersetzt wird. Butylenglycole CH, al sind bei der
Hefegärung schon mehrmals nachgewiesen worden. (Claudon und
Morin, Compt. rend. 104, 1109, 1887; HenningerundSanson, Journ.
pharm. chim. 15, 628, 1887.)
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 415
mir im Verein mit anderen Befunden die notwendige Folgerung
hervorzugehen, daß die für die Eiweißsynthese der Hefe
erforderlichen kohlenstoffhaltigen Bausteine im Zucker
zu suchen sind und bei seiner Vergärung sich abspalten,
und daß die alkoholische Gärung vielleicht überhaupt
nur den Zweck hat, die nötige Energie und das Kohlen-
stoffmaterial für den Eiweißaufbau der Hefe zu liefern.
Versuche mit Aceton-Dauerhefe.
Es blieb noch die Beantwortung der Frage übrig, ob die
Bernsteinsäurebildung aus Glutaminsäure als eine enzymatische
Reaktion der Hefezellen ähnlich der alkoholischen Gärung auf-
zufassen ist, die sich von der lebenden Hefezelle abtrennen
läßt oder ob sie mit dieser unlösbar verbunden ist und zugleich
mit dem Absterben des Hefeplasmas aufhört.'
Zur Entscheidung dieser Frage wurden einige Gärversuche
mit Buchnerscher Acetondauerhefe ‚„Zymin‘ angestellt, der
neben Zucker in steigenden Mengen Glutaminsäure zugefügt
wurde. Die Versuche wurden mit 1, 2 und be Glutaminsäure
ausgeführt, die zusammen mit je 80 g Zucker in je 200 ccm
destilliertem Wasser aufgelöst und mit 40 g Zymin unter Zusatz
von je eem Toluol bei Zimmertemperatur 3 bis 4 Wochen lang
vergoren wurden. Nach Beendigung der Versuche wurden die
einzelnen Gemische mit Wasser verdünnt, filtriert, der Rück-
stand gut ausgewaschen, das Filtrat aufgekocht, mit Alkohol
zur vollständigen Fällung der Eiweißstoffe versetzt, wieder fil-
triert, eingedampft, mit Wasser aufgenommen und aus der an-
gesäuerten Flüssigkeit mit Äther die Bernsteinsäure extrahiert.
In ähnlicher Weise wurden außerdem 40 g Zymin für sich
mit 1 l] heißem Wasser längere Zeit aufgekocht, das Gemisch
dann filtriert und nach sorgfältigem Auswaschen das gesammelte
Filtrat auf Bernsteinsäure untersucht. Die in allen Versuchen
in nur sehr geringen Mengen isolierte Bernsteinsäure war stets
durch Verunreinigungen bräunlich gefärbt und schmolz unregel-
mäßig zwischen 176 bis 184°.
Die Versuche lassen zunächst eine sehr erhebliche Schä-
digung der Zymasegärung proportional der zugesetzten Menge
Glutaminsäure erkennen. Diese ungünstige Beeinflussung, deren
416 F. Ehrlich:
Ursache in der Wirkung der starken Acidität der Glutamin-
säure auf die Zymase zu suchen und die auch ähnlich schon
bei andern Säuren beobachtet ist!), steigert sich bei dem Maxi-
malzusatz von 5 g Glutaminsäure derartig, daß die Gärung
schon in ca. 14 Tagen aufhörte und daß sich im ganzen über-
haupt nur 0,58 g CO, bildeten. Immerhin war die ungefähr
4 Wochen andauernde Gärung bei den Versuchen mit Zusatz
von 1 und 2 g Glutaminsäure derartig intensiv verlaufen, daß
man die hierbei erhaltenen Resultate wohl mit denen des Ver-
suchs ohne Aminosäurezusatz in Vergleich ziehen kann.
Entwiokeltes .
Kohlen- |Bernstein-
dioxyd Säure
Versuch |Zucker Glutamin- Dauer der
säure |Gärung in
Als Ergebnis der Gärversuche kann man ansehen, daß
die abgetötete Hefezelle, die noch Gärvermögen be-
sitzt, nicht imstande ist, Glutaminsäure in Bernstein-
säure überzuführen und auch selber bei der Gärung
keine Bernsteinsäure bildet. Denn in allen Versuchen
ließen sich innerhalb der Fehlergrenzen jedesmal nur dieselben
Spuren Bernsteinsäure abscheiden, die auch aus der gleichen
Quantität Zymin direkt durch Extraktion mit Wasser und Äther
zu erhalten waren. Dieses Resultat steht vollkommen im Ein-
klang mit den Angaben E. Buchners*) und seiner Mitarbeiter,
daß bei der Gärung von Hefepreßsaft Bernsteinsäure nicht
auftritt, und mit den analogen Beobachtungen über das Verhalten
des Leucins, die gezeigt haben, daß Acetondauerhefe auch bei
Vergärung von Zucker zur Fuselölbildung nicht befähigt ist und
Leucin überhaupt nicht angreift. °)
Daß auf andre Weise abgetötete Hefe selbst bei Gegen-
wart von Zucker ebenfalls nicht Glutaminsäure in Bernstein-
1) Buchner und Hahn, Die Zymasegärung 1903, 144.
23) E. Buchner mit Rapp und Meisenheimer a. a. O.
3) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem; Ges. 39, 4072, 1906. —
H. Pringsheim; ebenda 39, 3713, 1906.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 417
säure verwandeln kann, zeigt der folgende Versuch. 100 g
Preßhefe wurden in einer Lösung von 3 g Glutaminsäure in
21 Wasser, die mit 20 com Chloroform versetzt waren, 3 Tage
bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Darauf wurden 200 g
Zucker in der Flüssigkeit aufgelöst und die Lösung in dem-
selben Kolben unter Verschluß mit einem Wattebausch noch
10 Tage stehen gelassen. Eine Gärung war in dieser Zeit nicht
zu beobachten. In der wie üblich verarbeiteten Lösung wurden
0,12 g Bernsteinsäure gefunden, also nicht mehr als auch bei
gleich langer Aufbewahrung derselben Menge Hefe in Chloro-
formwasser zu erhalten ist.
Demnach muß man ebenso wie bei der Fuselölbildung
annehmen, daß die Entstehung der Bernsteinsäure wahrschein-
lich auf sehr empfindliche Enzyme zurückzuführen ist, die den
Eiweißaufbau der Hefe vermitteln und die man mit den bisher
gebräuchlichen Methoden von der lebenden Hefezelle nicht ab-
trennen kenn. 7
Der chemische Verlauf der Bernsteinsäurebildung aus
Glutaminsäure.
Was den chemischen Verlauf der Reaktion der Bernstein-
säurebildung aus Glutaminsäure anbetrifft, so erscheint dieser
zunächst sehr auffallend, wenn man dabei das Schema in Be-
tracht zieht, nach dem die Hefe die bisher untersuchten Mono-
aminosäuren bei der Gärung abbaut. Zufolge der früher ent-
wickelten allgemeinen Gleichung für die alkoholische Gärung
der Aminosäuren hätte man erwarten sollen, daß aus Glut-
aminsäure neben Ammoniak und Kohlensäure y-Oxybuttersäure
entsteht :
CO, H. CH, . CH, -.CH(NH,).CO,H + H,O
Glutaminsäure
-+ C0,H.CH,.CH,.CH,OH-- NH, + CO,
y-Oxybuttersäure
1) Die neueren Angaben Effronts (Compt. rend. 146, 779, 1908);
daß man durch Alkali bei 40° aus Hefe eine ammoniak- und fettsäure-
bildende ,„„Amidase“ abscheiden kann, sind nicht zutreffend. Die beobach-
teten Wirkungen sind auf Fäulnisvorgänge zurückzuführen, wie ich in
einer späteren Arbeit zeigen werde.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 27
418 F. Ehrlich:
Statt dessen bildet sich bei der Vergärung der Glutamin-
säure, und zwar unter geeigneten Bedingungen in so gut wie
quantitativer Ausbeute, Bernsteinsäure, indem die scheinbar
intermediär abgespaltene y-Oxybuttersäure weiter oxydiert wird:
CO,H.CH,.CH,.CH,OH +20,
= C0,H.CH,.CH,.C0O,H + HO
Wenn ein solcher Reaktionsverlauf auch im Bereich der Mög-
lichkeit liegt, so fehlt es doch an Beispielen für eine derartige
physiologische Oxydation einer y-Oxysäure zu der entsprechen-
den Dicarbonsäure, die man hiermit in Parallele setzen könnte.
Auch ist nicht recht einzusehen, warum die Reaktion beim
Leucin fast quantitativ zum entsprechenden Alkohol und nur
in geringsten Mengen zur Valeriansäure führt, wenn man nicht
etwa annehmen will, daß die Anwesenheit der zweiten Carb-
oxylgruppe den Abbau der Glutaminsäure zu einer Dicarbon-
säure begünstigt. Schließlich sei erwähnt, daß bisher trotz
vielfacher Versuche in den vergorenen Lösungen der Glutamin-
säure y-Oxybuttersäure nicht nachzuweisen war.
Ich glaube nun Anhaltspunkte dafür zu haben, daß ein
anderer chemischer Verlauf nicht allein der Bernsteinsäurebildung,
sondern der alkoholischen Aminosäurengärung allgemein viel
größere Wahrscheinlichkeit besitzt.
Schon in der ersten Arbeit über die Fuselölbildung!) im
Jahre 1905 und in einer späteren Arbeit in dieser Zeitschrift
war auf die chemisch so leicht eintretende Spaltung der
Milchsäure in Acetaldehyd und Ameisensäure
CH,.CHO:H.CO,H
hingewiesen worden und darauf aufmerksam gemacht, daß der
Abbau des Leucins zu Amylalkohol durch die Hefe sich viel-
leicht analog vollzieht, indem zuerst durch Ammoniakabspaltung
unter Wasseranlagerung aus Leucin Leucinsäure entsteht. Die
Leucinsäure spaltet sich dann in Ameisensäure und Valer-
aldehyd, der zum größten Teil von reduzierenden Enzymen der
Hefe zu Amylalkohol reduziert, zu einem kleinen Teil von
Oxydasen zu Valeriansäure oxydiert wird entsprechend dem
Schema :
1) F. Ehrlich, Zeitschr. d. Ver. Deutsch. Zuckerind. 55, ae 1908.
— Diese Zeitsohr. 2, 52, 1906.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung 419
Leucin
CH,
m0" .CH,.CH(NH,).CO,H
Leucinsäure |
CH,
CH.CH,.CHO H.CO,H
CH, a
3 :
Valeraldehyd : Ameisensäure
Te von _"\CH.CH,.00,H
Dee s cH/ OH, OO,
Amylalkohol Valeriansäure
Tatsächlich sind auch sowohl Ameisensäure wie Valer-
aldehyd und Valeriansäure, wenn auch in geringen Mengen häufig
bei der Gärung beobachtet worden. Im Einklang mit dieser
Theorie steht ferner, daß es mir gelang, bei der Vergärung der
Phenylamidoessigsäure C,H,. CH(NH,).CO,H die Entstehung von
Benzaldehyd nachzuweisen. ?)
Es spricht nun sehr viel dafür, daß ganz analog auch der
Abbau der Glutaminsäure durch die Hefe vor sich geht, und
vielleicht bietet gerade die Bernsteinsäurebildung eine sehr
wesentliche Stütze für die hier entwickelte Ansicht von dem
Verlauf der Aminosäurengärung. Nimmt man nämlich an, daß
aus der Glutaminsäure von der Hefe zuerst Ammoniak ab-
gespalten und Wasser angelagert wird, so würde die Oxyglutar-
säure entstehen. Es wäre nun denkbar, daß diese sich in
Ameisensäure und den Halbaldehyd der Bernsteinsäure spaltet,
dessen äußerst leichte Autoxydation aus der Arbeit mehrerer
Forscher?) bekannt ist und der intermediär bei der Gärung
auftretend sofort durch die Einwirkung von Hefeoxydasen und
des Luftsauerstofls quantitativ zu Bernsteinsäure oxydiert würde,
so daß sich also der Verlauf der Glutaminsäure-Gärung durch
folgendes Schema darstellen ließe:
1) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem. Ges, 40, 1047, 1907.
2) Perkin jun. und Sprankling, Journ. Chem. Society 75, 11,
1399. — Harries und Alefeld, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 42; 159, 1909;
27°
420 F. Ehrlich:
CO,H CO,H HCO,H
| | Ameisensäure
CHNH, CHOH CHO ae
| | |
CH, —> CH, — CH, — CH,
| l |
CH, CH, CH, CH
| |
CO,H . C0,H CO,H CO,H
Glutaminsäure Oxyglutarräure Bernsteinsäure- Bernsteinsäure
halbaldehyd
Ein derartiger Reaktionsverlauf würde auch erklären, daß der
Abbau der Glutaminsäure vollkommen einseitig verläuft und
Nebenprodukte, wie der Aldehyd und die Oxysäure, nicht auf-
treten.
Wendet man das gleiche Schema auf das nächst niedere
Homologe der Glutaminsäure, die Asparaginsäure, an, so wäre
zu erwarten, daß auch diese in analoger Weise über die ent-
sprechende Oxysäure, die Äpfelsäure, von der Hefe abgebaut
wird, wobei Malonsäure entstehen müßte:
Apfelsäure `
CO,H.CH,.CHO :H.CO,H
Halbaldehyd der Malonsäure : Ameisensäure
CO,H.CH,.CO,H
Malonsäure
Trotz vielfacher Versuche gelang es nun bisher nicht, diese
Säure bei der Vergärung der Asparaginsäure zu isolieren. Aus
dem Ätherextrakt schied sich vielmehr stets nur ein eigentüm-
‚lich riechendes, in Wasser unlösliches und wachsartig erstarrendes
Öl ab, dessen Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Es
erscheint nicht unmöglich, daß in diesem ein der Cumalinsäure
ähnliches Kondensationsprodukt des theoretisch zu erwartenden
Malonsäurehalbaldehyds vorliegt, dessen äußerst leichte Neigung
zur Ringschließung aus den Untersuchungen v. Pechmanns!)
bekannt ist.
Es sei noch erwähnt, daß auch bereits von anderer Seite
Arbeiten vorliegen, die für die hier entwickelte Theorie über
den chemischen Verlauf der Aminosäurengärung sprechen und
sie als sehr wahrscheinlich hinstellen. So hat bereite vor
1) v. Pechmann, Liebigs Annalen 264, 261, 1891.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 421
längerer Zeit unabhängig von mir H. Schade!) für den che-
mischen Vorgang der alkoholischen Gärung selbst die Ansicht
entwickelt, daß die intermediär aus Zucker entstandene Milch-
säure zunächst in Acetaldehyd und Ameisensäure zerfällt.
Schade nimmt aber dann weiterhin an, daß diese beiden Ver-
bindungen durch gegenseitige Oxydation und Reduktion nur
Alkohol und Kohlensäure liefern:
CH,.CHOH.CO,H —CH,CHO + HCO,H —
CH,CH,OH -+ CO,
Noch beweisender erscheint mir, daß es neuerdings auch gelungen
ist, Aminosäuren auf chemischem Wege genau so, wie ich zuerst
für die Hefe angenommen habe, zu spalten. So beobachtete
C. Neuberg, daß Aminosäuren durch die katalytische Wirkung
des Sonnenlichtes?) sowie durch den elektrischen Strom?) in
Aldehyd, Ameisensäure und Ammoniak zerfallen, und dieselbe
Spaltung konnte D Dakin*) durch Oxydation mit Wasserstoff-
superoxyd erzielen.
Es sei noch in dieser Hinsicht hervorgehoben, daß auch
bei der Vergärung von Aminosäuren sich stets Ameisensäure
in den vergorenen Lösungen nachweisen läßt. Ihre Menge ist
aber nur sehr gering, und zwar bedeutend geringer als nach
der Theorie zu erwarten wäre, auch entsteht ungefähr die
gleiche Quantität bei der Vergärung von Hefe und Zucker ohne
Zusatz, so daß vorläufig nicht ohne weiteres anzugeben ist,
welchen Anteil die Aminosäuren an dem Auftreten von Ameisen-
säure bei der Gärung haben. Ein Licht auf diese eigentüm-
lichen Verhältnisse wirft aber die Tatsache, daß ich im Verfolg
einer schon von Duclaux°) angekündigten Beobachtung nach-
weisen konnte, daß die Hefe für sich und bei der Gärung
nicht unbeträchtliche Mengen zugesetzter Ameisensäure zer-
1) H. Schade, Die Bedeutung der Katalyse für die Medizin, Kiel
1907, S. 108.
s) C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 306, 1908.
3) C. Neuberg, diese Zeitschr. 17, 270, 1909:
*) Journ. of Biolog. Chem, 4, Nr. 1, 63, 1908. — Die Bildung von
Valeraldehyd allein bei der Oxydation von Leucin mit H,O, haben schon
früher C.Neuberg und F. Blumenthal, Deutsche med. Wochenschr. 1901;
Nr. 1; Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 2, 238, 1902, beobachtet,
5) Duclaux, Annales de l’Inst. Pasteur 6, 593, 1892.
422 F. Ehrlich:
legt, und zwar wahrscheinlich in Kohlendioxyd und Wasser.
Hierüber werde ich demnächst Näheres mitteilen. Es er-
scheint also wohl möglich, daß die Hefe, die übrigens an und
für sich gegen größere Mengen Ameisensäure ziemlich empfind
lich ist, die bei der Vergärung der Aminosäuren sukzessiv sich
abspaltende Ameisensäure weiter zerlegt, so daß also bei be-
endigter Gärung von dieser Säure stets nur geringe Mengen
übrig bleiben. Vielleicht bildet diese ‚„Ameisensäuregärung‘“
neben der alkoholischen Gärung für den Eiweißaufbau der Hefe
eine besondere Energiequelle.
Zum Schluß möchte ich noch als Hauptresultat dieser
Arbeit betonen, daß der Vorgang der Bernsteinsäure
bei der alkoholischen Hefegärung in voller Analogie
mit der Fuselölbildung verläuft, so daß also die für
den letzteren Vorgang früher abgeleiteten Bedingungen
durch die vorliegenden Untersuchungen eine erneute
Bestätigung erfahren haben. Daß das Auftreten dieser
Gärungsnebenprodukte in den natürlichen Maischen genau so
zu erklären ist wie bei künstlichen Gemischen, unterliegt wohl
keinem weiteren Zweifel. Gerade die Glutaminsäure ist ja ein
weitverbreitetes Eiweißspaltungsprodukt, das sich besonders in
Pfianzenstoffen, die als Rohmaterial für die Gärung dienen,
vorfindet und das z. B. aus dem Gliadin des Weizens und
Roggens und dem Hordein der Gerste bis zu 36°/, isoliert
worden ist.!) Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch für die
meisten andern Bernsteinsäure produzierenden Pilze und Bak-
terien, besonders auch bei der Fäulnis, Glutaminsäure das Aus-
gangsmaterial bildet.
Es bleibt noch übrig darauf hinzuweisen, daß durch den
jetzt sicher geführten Nachweis, daß das Fuselöl und die Bern-
steinsäure Eiweißstoffwechselprodukte der Hefe und nicht Zer-
fallprodukte des Zuckers sind, das chemische Bild der alko-
holischen Zuckerspaltung durch die Hefe resp. die Zymase ein
wesentlich einfacheres geworden ist. Da es neuere Beobach-
tungen ebenfalls zweifelhaft gemacht haben, ob die Entstehung
von Milchsäure?) und flüchtigen Säuren auf normale Gärung
1) E. Abderhalden, Neuere Ergebnisse auf dem Gebiete der
speziellen Eiweißchemie. Jena 1909.
2) Slator, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 123, 1907.
Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 423
des Zuckers zurückzuführen ist, so kommt neben Kohlen-
dioxyd und Alkohol eigentlich nur das Glycerin noch als
Gärungsprodukt in Betracht. E. Buchner und Meisen-
heimer!) haben nun zwar nachgewiesen, daß Glycerin bei der
Gärung des Hefepreßsaftes in Mengen von 3 bis 8°/, des ver-
gorenen Zuckers auftritt. Angesichts der Erfahrungen aber,
wie sie jetzt bei der Untersuchung der Fuselöl- und Bernstein-
säurebildung gewonnen sind, erscheint der Schluß nicht ganz
unberechtigt, daß auch das Glycerin einen anderen Ursprung
haben kann und nicht aus dem Zucker, sondern wie ich glauben
möchte, vielleicht aus Nucleinsubstanzen der Hefe entsteht,
die auch im Preßsaft in nicht geringen Mengen enthalten sind.
Sollte sich diese Vermutung bei den weiteren Untersuchungen
der Frage bestätigen, so würde, wenn wir von den Zucker-
resten abseben, die zum Eiweißaufbau der Hefe dienen, die
alte, einst von Pasteur gestürzte Gay-Lussacsche Gärungs-
gleichung
C,H, ,0, = 2 C0, + 2 C,H,0
von neuem Gültigkeit erlangen und wäre demnach in ihre
früheren Rechte wieder einzusetzen.
1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 39, 3203, 1906.
Biochemische Umwandlung von Asparagin und Aspara-
ginsäure in Propionsäure und Bernsteinsäure.
Von
Carl Neuberg, Berlin und Cesare Cappezzuoli, Florenz.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der
Universität zu Berlin.)
Im Verlaufe verschiedener Untersuchungen über die Fäul-
nis von Eiweißkörpern und Aminosäuren war es dem einen!)
von uns gelungen, Klarheit über den bisher unbekannten Abbau
der Aminodicarbonsäuren (Glutaminsäure, Asparaginsäure)
durch Fäulniserreger zu gewinnen. Das prinzipiell wichtige
Resultat jener Arbeiten war, daß diese Gruppe von Eiweiß-
spaltungsprodukten durch ubiquitäre Bakterien in der Weise
verändert wird, daß dieselben sowohl eine Desamidierung als
Carboxylabspaltung erfahren, zwei Umwandlungen, die bei den
übrigen Aminosäuren in der Regel getrennt verlaufen, indem
entweder eine hydrierende Desamidierung (Übergang der Amino-
säuren in Fettsäuren) oder die Loslösung von Kohlensäure
(Bildung von Aminen) stattfindet.
Speziell für die natürlich vorkommende Glutaminsäure
(d-a-Aminoglutarsäure) haben W. Brasch und C. Neuberg?)
gezeigt, daß sie durch die gewöhnlichen Fäulniserreger haupt-
sächlich in die normale Buttersäure übergeführt wird:
COOH — CH, — CH, — OH RH. — COOH —
COOH — CH, — CH, — CH.
wobei Ammoniak, Ameisensäure und Bernsteinsäure als Neben-
produkte auftraten.
1) C. Neuberg, diese Zeitschr. 1, 368, 1906. — Sitzungsber. der
Kgl. Preuß, Akad. d. Wissensch. 24, 1907. — Diese Zeitschr. 7, 178, 1907,
— Diese Zeitschr. 13, 299, 1908.
2) W. Brasch und C. Neuberg, diese Zeitschr. 18, 299, 1903.
C. Neuberg u. C. Cappezzuoli: Umwandlung von Asparagin usw. 425
Daß die Asparaginsäure wahrscheinlich eine analoge Um-
wandlung erleidet, wobei die Propionsäure entsteht,
COOH — CH, — CH NR. — COOH —
COOH — CH, — CH.
haben bereits vor mehreren Jahren C. Neuberg und E. Rosen-
berg?!) angegeben und besondere Untersuchungen über die Fäulnis
von isolierter Asparaginsäure?) ausdrücklich in Aussicht gestellt.
Inzwischen haben sich andere Autoren dieses Gebietes be-
mächtigt. So teilte vor kurzem L. Borchardt?) Fäulnis-
versuche mit Glutamin- und Asparaginsäure mit; er bestätigte
den von uns formulierten Mechanismus des Abbaues, der in
der Hauptsache unter NH,- und CO,-Abspaltung zu der
um ein Kohlenstoffatom ärmeren Fettsäure führt. Von den
allerdings unwesentlicheren Nebenprodukten hat Borchardt im
Falle der Glutaminsäure Ameisensäure nur in Spuren und Bern-
steinsäure überhaupt nicht gefunden. Ferner hat sich J.Effront*)
mit demselben Gegenstande beschäftigt; er beschrieb z. B. die
Umwandlung der Glutaminsäure in Buttersäure, die unter Am-
moniakabspaltung bei der Einwirkung von Bakterien der Blumen-
erde sowie von Hefe in alkalischer Lösung stattfindet, als
einen prinzipiell neuen Vorgang. Tatsächlich ist dieser völlig
analog den entsprechenden, von uns früher mitgeteilten Beob-
achtungen; außerdem ist aus Effronts Hefeversuchen nicht
ersichtlich, wie er bei mehrtägiger Einwirkung von Hefe auf
alkalische Lösungen von Aminosäuren oder Proteinstoffen Bak-
terienwirkung ausgeschlossen hat, so daß es sich auch dabei
vermutlich um nichts anderes als Fäulnisvorgänge°) gehandelt
hat, die bekanntlich in alkalischen Hefesuspensionen besonders
leicht eintreten.
Wir berichten im folgenden über die früher angekündigten
Versuche mit Asparaginsäure und über solche mit Asparagin.
Dieselben zeigen, daß der Reaktionsverlauf (auch bezüglich
der Entstehung der Nebenprodukte entgegen den Angaben
1) Diese Zeitschr. 7, 183, 1907.
2) Diese Zeitschr. 7, 181, 1907.
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 96, 1909.
4) Compt. rend. 148, 238, 1909. — Monit. scient. 23, I, 145, 1909.
6) Vgl, hierzu die Mitteilung von F. Ehrlich, diese Zeitschr. 15,
417, 1909.
426 C. Neuberg und C. Cappezzuoli:
Borchardts) den Befunden von Brasch und Neuberg ent-
spricht, und daß geringfügige Veränderungen, wie Verwendung
des Asparagins (Asparaginsäureamids) an Stelle der Asparagin-
säure, die Resultate nicht unerheblich beeinflussen können.
Unverkennbar tritt auch zutage, daß sich die Asparagin-
säure in ihrem Verhalten bei der Fäulnis z. T. den Amino-
monocarbonsäuren nähert, indem außer der Kohlenstoffketten-
verkürzung, die Propionsäure ergibt, die gewöhnliche
hydrierende Desamidierung eintritt, die hier zur Bernstein-
säure führt, wie die Fäulnis des Tyrosins zur p-Oxyphenyl-
propionsäure.
I. Asparaginsäure.
a) 5,0 g l-Asparaginsäure wurden in 500 ccm Wasser gelöst,
mit Soda ganz schwach alkalisch gemacht und mit einigen Tropfen
Fäulnissolution!) versetzt. Nach einer Woche zeigte eine Probe
beim Erhitzen mit verdünnter Schwefelsäure deutlichen Fettsäure-
geruch und eine mit Salzsäure schwach angesäuerte Probe beim
Erwärmen mit Magnesia Ammoniakentwicklung. Nach 34tägigem
Verweilen im Brutschranke bei 38° wurde mit verdünnter
Schwefelsäure angesäuert und unter gleichzeitigem direktem
Kochen mit Wasserdampf destilliert. Es wurden 6,11 Destillat
aufgefangen, die zur Neutralisation 40,1 ccm al, NaoH ver-
brauchten. Zur Vermeidung von Verlusten durch Dissoziation
wurden vor dem Einengen noch 10,0 ccm #/,-NaOH zugefügt
und die Flüssigkeit dann auf dem Wasserbade auf etwa 50 ccm
konzentriert.
Durch das Verhalten zu Quecksilber- sowie zu Silber-
lösung war Ameisensäure?) leicht nachweisbar. Da diese
die beabsichtigte Darstellung des propionsauren Silbers stören
konnte, wurde sie durch Behandlung mit Mercurisulfat in
schwach schwefelsaurer Lösung zerstört.?) Unter Kohlensäure-
entwicklung schied sich schwerlösliches Mercurosulfat aus. Nach
Ausfällung des gelösten Quecksilbers durch Schwefelwasserstoff
1) Nach E. Salkowski, Practicum, 3. Aufl. 1906, S. 227.
2) Ihre Menge ist in einem in der folgenden Mitteilung (S. 434)
beschriebenen Fäulnisversuche mit racemischer Glutaminsäure quantitativ
bestimmt.
3) Siehe die angewendete Methodik bei Brasch und Neu-
berg, l. o.
Umwandl von Asparagin u. Asparaginsäure in Propionsäure usw. 427
usw., der Schwefelsäure durch Barytwasser und dessen Über-
schuß durch Kohlensäure wurde eingeengt, vom ausgeschiedenen
Bariumcarbonat abfiltriert und durch Zugabe von einigen
Tropfen verdünnter Silbernitratlösung eine Spur von Chlorionen 3)
entfernt. Nach Konzentration auf etwa 15 com wurde nunmehr
mit starker Silbernitratlösung ausgefällt.
Es entstand ein reichlicher feinkrystallinischer Niederschlag,
der nach 6stündigem Stehen unter Lichtabschluß abgenutscht,
nacheinander mit eisgekühltem Wasser, absolutem Alkohol und
getrocknetem Äther ausgewaschen und im Vakuum getrocknet
wurde. Er bestand aus rein weißem Silberpropionat, und
seine Menge betrug 0,4864 g.
0,1236 g Substanz ergaben 0,0739 g Ag,
0,2011 g Substanz lieferten 0,1445 g CO, und 0,0453 g H,O.
Berechnet für C,H,O, Ag:
C= 19,89°/,; H = 2,76°/,; Ag = 59,67°/,.
Gefunden:
C = 19,58°/,; H = 2,50°/,; Ag = 59,79°|,.
b) Die nicht flüchtigen Fäulnisprodukte mußten sich in
dem mit Schwefelsäure angesäuerten Rückstande der Dampf-
destillation befinden. Diese Flüssigkeit wurde auf etwa 100 ccm
eingeengt, mit festem Ammonsulfat beinahe gesättigt und im
Zelmanowitzschen Apparat?) erschöpfend mit Äther aus-
gezogen. Die nach 48stündiger Extraktion erhaltene Ather-
lösung wurde filtriert?) und der freiwilligen Verdunstung über-
lassen. Es hinterblieb eine von wenig Sirup durchsetzte
Krystallmasse, die nach mehrtägigem Stehen auf Ton abgepreßt
und aus heißem Wasser umkrystallisiert wurde. Es wurden
so 0,3366 g reine Bernsteinsäure erhalten, die bei 182° bis
183° schmolz.
Außer durch den Schmelzpunkt und die höchst intensive
Pyrrolprobe*) wurde das Vorliegen der Bernsteinsäure durch
Analyse der im Vakuum bis zur Gewichtskonstanz getrockneten
Substanz sichergestellt:
1) Sie entstammten den benutzten Reagenzien.
2) Diese Zeitschr. 1, 253, 1906.
D Es hatte sich Schwefel abgeschieden, der aus den vulkanisierten
Kautschukverbindungen des Apparates herrührt.
IC Neuberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 81, 574, 1901.
428 C. Neuberg und C. Cappezzuoli:
0,1828 g Substanz gaben: 0,2739 g CO, und 0,0857 g H,O.
Berechnet für C,H,O,:
C = 40,87°/,; H = 5,08°/,-
Gefunden: C = 40,82°/,; H = 5,20°/,.
c) Um einen Anhaltspunkt für den Umfang zu gewinnen,
in dem die Asparaginsäure der Umwandlung unterliegt, sind
weder die Zahlen für propionsaures Silber noch die für Bern-
steinsäure recht geeignet, da die Isolierung beider Verbindungen
mit unvermeidlichen Verlusten verknüpft ist. Ein zuverlässigeres
Bild erhält man durch die Bestimmung der durch Desami-
dierung losgelösten Ammoniakmenge.
Dieselbe kann natürlich nicht in einer der Dampfdestillation
bei schwefelsaurer Reaktion unterworfenen Portion geschehen.
Sie wurde in einem besonderen Fäulnisversuche ermittelt, der
unter denselben Bedingungen gleichfalls mit 5,0 g Asparagin-
säure in 500 ccm Wasser usw. angesetzt war und 30 Tage ge-
dauert hatte.
Von der auf 550,0 ccm aufgefüllten Flüssigkeit wurden
220,0 ccm mit Magnesia destilliert.
Die übergegangene Ammoniakmenge betrug 0,1355 g. Daraus
berechnet sich, daß 0,1355 >< = = 0,33875 g NH,, entsprechend
2,641 g zersetzter Asparaginsäure gebildet oder rund 52°/, zer-
legt worden waren.
d) Kontrolliert wurde diese Zahl durch Bestimmung der
unangegriffenen Asparaginsäure. Dieselbe wurde in Sub-
stanz isoliert, um zugleich ein Urteil darüber zu erhalten, ob
etwa unter der Wirkung der Fäulnisbakterien durch CO,-Ab-
spaltung ein Übergang von Asparaginsäure in Alanin statt-
gefunden hätte:
COOH — CH, — OH NH. — COOH —
CH, — OH NB, — COOH.
Für einen Eintritt dieser wichtigen und vielleicht auch aus-
führbaren Reaktion hat sich jedoch bisher kein Anhalt ergeben.
Die restierenden 330,0 com Fäulnisflüssigkeit wurden mit
Schwefelsäure angesäuert, Smal mit Äther ausgeschüttelt, mit
Barytwasser genau von der Schwefelsäure befreit, auf ungefähr
40 ccm eingeengt und dann nach Zusatz von Ammoniak weiter auf
etwa 15 ccm konzentriert, wobei der Ammoniaküberschuß entwich.
Umwandl. von Asparagin u. Asparaginsäure in Propionsäure usw. 429
Nach Zugabe von konzentrierter Kupferacetatlösung schied
sich das von Hofmeister?!) beschriebene Kupfersalz aus, das
nach dem Auswaschen durch Schwefelwasserstoff in wässeriger
Suspension anfangs in der Kälte, schließlich in der Wärme
zerlegt wurde. Nach dem Eindampfen resultierten 1,188 g
Se > 1,188
unveränderte Asparaginsäure; dieselben entsprechen 330
— 1,98 g oder rund 40°/, des Ausgangsmaterials.
Diese Menge wiedergefundener Substanz steht mit dem
Wert für zersetzte, der sich aus der Quantität des abgespaltenen
-Ammoniaks ergibt, in angenäherter Übereinstimmung.
II. Asparagin.
Die Fäulnisversuche mit Asparagin sind ganz ebenso wie
die mit der Asparaginsäure vorgenommen worden. Benutzt war
das gewöhnliche 1-Asparagin.
Es wurden nach 32tägiger Fäulnis von 5,0 g Asparagin
a) 0,9582 g propionsaures Silber und
b) 1,1010 g Bernsteinsäure
gewonnen, Ameisensäure war qualitativ ebenfalls nachweisbar.
a) 0,2007 g Substanz gaben 0,1196 g Silber,
0,2404 g Substanz lieferten 0,1762 g CO, und 0,0627 g H,O.
Berechnet für 0,H,O, Ag:
C = 19,89°/,; H = 2,76°/,; Ag = 59,67°],,
Gefunden: C = 20,01 °/,; H = 2,89°/,; Ag = 59,59°/,.
b) 0,1650 g Substanz gaben 0,2445 g CO, und 0,0774 g H,O.
Berechnet für C,H,0,:
C = 40,67°/,; H = 5,08°/,.
Gefunden: C= 40,40°/,; H = 5,21°/»
Unter gleichen Bedingungen ist bei Verwendung von Aspa-
ragin statt Asparaginsäure, die beinahe ein identisches Mole-
kulargewicht (132 bzw. 133) besitzen, die Menge der Propion-
säure rund doppelt und die der Bernsteinsäure ungefähr 3!/, mal
so groß.
Falls man nicht etwa eine zufällige Verschiedenheit der
gewöhnlichen Fäulnisbakterien?) annehmen will, muß man
schließen, daß das Amid Asparagin für die Fäulniserreger ein
1) Ann. 189, 6, 1877.
2) Siehe W. Brasch; diese Zeitschr. 18, 380, 1909.
430 C. Neuberg u. C. Cappezzuoli: Umwandlung von Asparagin usw.
besseres Nährmaterial als die Asparaginsäure darstellt. Jeden-
falls zeigen diese Versuche, welch geringe Unterschiede bereits
einen erheblichen Einfluß auf die qualitativen!) und quanti-
tativen Ergebnisse haben können.
Die Menge der Bernsteinsäure, die bei der Fäulnis von
Asparaginsäure gebildet wird, ist sehr viel größer als die, welche
Neuberg und Brasch bei der bakteriellen Zersetzung der
Glutaminsäure beobachteten. Dafür ist die Quantität der
flüchtigen Fettsäure (Propionsäure), die durch Zerlegung
der Asparaginsäure entsteht, geringer als die, welche bei der
Fäulnis von Glutaminsäure auftritt (Buttersäure).. Schon vor
30 Jahren hat F. Hoppe-Seyler*) Bernsteinsäure bei der
Fäulnis des Asparagins gefunden, eine gleichzeitige Bildung von
Propionsäure jedoch nicht angegeben. Fäulnisversuche mit
Asparaginsäure selbst scheinen nicht angestellt worden zu sein,
obgleich doch diese und nicht das Asparagin ein Eiweißspal-
tungsprodukt ist. Erst jetzt ist man berechtigt, für die wohl
bei allen Fäulnisvorgängen beobobachtete Bernsteinsäure eine
der Hauptquellen in der Asparaginsäure zu erblicken, wie das
E. u. H. Salkowski’) schon vor 30 Jahren als Vermutung aus-
gesprochen haben.
1) So dürfte sich u. a. erklären, daß Borohardt bei der Fäulnis
der Glutaminsäure die geringen Mengen Bernsteinsäure nicht gefunden
hat, die Brasch und Neuberg erhalten haben. Allerdings hat er mit
Ather nicht erschöpfend extrahiert, wie es für die Gewinnung kleiner
Mengen Bernsteinsäure unerläßlich ist. Bezüglich der Entstehung von
Bernsteinsäure aus Glutaminsäure sei auch auf Ehrlichs Versuche
(diese Zeitschr. 18, 391, 1909) über die Einwirkung der Hefepilze auf
Glutaminsäure verwiesen, die eine glatte Überführung in Bernsteinsäure
zuwege bringen. — Ein Vorhandensein größerer Mengen von Ameisen-
säure glaubte Borchardt bei der Glutaminsäurefäulnis ausschließen zu
sollen, obgleich sein Silberpropionat „als schmutziggraues Salz ausfiel,
das sich beim Stehen im Dunkeln noch etwas dunkler färbte“. Nach
unseren Erfahrungen ist Ameisensäure ein fast konstantes Produkt bei
der Fäulnis von Proteinen und isolierten Aminosäuren, ganz entsprechend
ihrem Auftreten bei anderen einfachen Spaltungen von Aminosäuren,
z. B. durch Licht (C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 305, 1908) oder durch
den elektrischen Gleichstrom (C. Neuberg, diese Zeitschr. 17, 270, 1908).
Übrigens hat auch W. Brasch (diese Zeitschr. 18, 383, 1909) bei der Fäul-
nis der Glutaminsäure mit Reinkulturen die Ameisensäure fast nie vermißt.
2) Zeitschr, f. physiol; Chem. 2, 13, 1879.
3) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 12, 648, 1879.
Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis.
Von
Carl Neuberg.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der
Universität Berlin.)
Durch Versuche von E. Schulze und E. Boßhard!),
E. Fischer?), C. Neuberg und P. Mayer?) ist festgestellt,
daß racemische Aminosäuren durch Pilze in aktive Formen
verwandelt werden können, und F. Ehrlich‘) hat gezeigt, daß
dieses Verfahren hei Anwendung des Hefepilzes in vielen
Fällen geradezu die präparativ bequemste Methode bildet.
Über das Verhalten von racemischen Aminosäuren gegen Bak-
terien scheinen keine Untersuchungen vorzuliegen.
Bei der besonderen biologischen Bedeutung, welche die
„Fäulnis‘“ besitzt, ist das Verhalten racemischer Aminosäuren
gegen die gewöhnlichen Fäulniserreger von Interesse.
Bekanntlich verläuft die Fäulnis isolierter Aminosäuren
nicht quantitativ, d. h. sie ist meistens nach mehreren Wochen
noch nicht vollständig. Daher muß mit der Möglichkeit ge-
rechnet werden, daß die Bakterien an sich eine asymmetrische
Zerlegung der Aminosäure bewirken, der zunächst entstandene
optische Antipode bei der langen Versuchsdauer jedoch gleich-
falls zersetzt wird. Schulze und Boßhard°), A. McKenzie
und A. Harden®), Ehrlich®), Euler, Herzog u. a. haben
Beobachtungen an Pilzen mitgeteilt, aus denen hervorgeht, daß
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 134, 1886.
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2451, 1899.
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 508, 1904.
4) Diese Zeitschr. 1, 30, 19086;
6) l. c. S.: 141.
6) Proc. chem. Soc. 19. 48, 1903.
432 C. Neuberg:
eine absolute Resistenz einer optisch aktiven Form gegen die
Einwirkung der betr. Mikroorganismen nicht besteht; es handelt
sich nur um ungleiche Reaktionsgeschwindigkeiten bei der Zer-
legung der beiden Antipoden.
Auch wirklich symmetrisch verlaufende enzymatische Pro-
zesse sind andererseits bekannt, z. B. die Bildung von r-Milch-
säure bei der Vergärung des Zuckers mit Milchsäurebakterien
(E. Buchner und J. Meisenheimer?), der gleichartige Angriff
der verschiedenen Raumformen des Tyrosins durch die Tyro-
sinase aus Russula Queletii (G. Bertrand und M. Rosen-
blatt?) und die Wirkungsweise der peptolytischen Fermente
verschiedener Pilze. (E. Abderhalden und H. Pringsheim’).
In Rücksicht auf die erwähnten Verhältnisse wurde die
Prüfung auf Aktivität in kürzeren Zwischenräumen vorge-
nommen.
Zur Anwendung kam reinste d, lI-Glutaminsäure, die nach
dem Verfahren von Michael und Wing“) dargestellt war.
a) Der Ansatz zur Fäulnis geschah nach den Angaben von
Brasch und Neuberg?) für die aktive Glutaminsäure, nur
wurde eine dreimal größere Menge, 15,0 g in 1500,0 ccm schwach
alkalisiertem Wasser, der bakteriellen Zersetzung überlassen.
Zur Bestimmung eines sich etwa einstellenden Drehungs-
vermögens dienten 200,0 ccm — entsprechend 2,0 g ursprünglich
angewandter d, l-Glutaminsäure —, die
nach 1 Tage nach 15 Tagen
„ 3 Tagen » 2 p
IL 5 29 29 32 (LEI
dem Fäulnisgemische entnommen wurden. Jede Probe wurde
mit einigen Tropfen rauchender Salzsäure angesäuert und bei
40° auf etwa 10 com eingeengt, wobei ein starker Geruch
nach flüchtigen Fettsäuren auftrat. Die zurückbleibende salzsaure
Lösung war schwach gelb, gestattete aber die polarimetrische
Prüfung.
1) E. Buchner und J. Meisenheimer,; Liebigs Annalen 349,
125, 1906.
2) Compt. rend. de l’Acad. des sciences 146, 304, 1908.
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 247, 1909.
4) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 17, 2984, 1884.
6) Diese Zeitschr. 13, 299, 1908.
Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis. 433
Vom ersten Tage ab war gleichmäßig eine minimale Links-
drehung zu konstatieren (schwankend zwischen — 5’ und — 12’);
sie war jedoch so gering, daß sie unmöglich auf etwa ent-
standene 1-Glutaminsäure zu beziehen war. Denn das Rotations-
vermögen der letzteren ist recht erheblich, nach E. Fischer?)
besitzt sie in salzsaurer Lösung die spezifische Drehung
[a] = — 30,05°.
Die geringe Menge der optisch aktiven Substanz entstammt
wohl dem zugesetzten Impfmaterial. (Die angewandte d,l-
Glutaminsäure war selbst völlig inaktiv und aus natürlicher
d-Glutaminsäure dargestellt). Für eine asymmetrische Spaltung
hat sich also kein Anhalt ergeben.
b) In einem anderen Versuche wurde geprüft, ob die bak-
terielle Zersetzung der d, l-Glutaminsäure in demselben Sinne
wie die der d-Säure verläuft.
Der Geruch nach flüchtigen Fettsäuren, der beim Ein-
dampfen der auf ihr Drehungsvermögen untersuchten Proben
unverkennbar war, deutete bereits auf den früher?) bei der
aktiven Form festgestellten Übergang:
COOH — CH, — CH, — CH-NH, — COOH —
COOH — CH, — CH, — CH,
in Buttersäure hin, der von einer Bildung von Ammoniak, Kohlen-
säure, Ameisensäure sowie Bernsteinsäure begleitet ist.
Des Vergleiches halber wurde, genau den Angaben ent-
sprechend, die Brasch und Neuberg?) für die d-Glutamin-
säure gemacht haben, ein Fäulnisversuch mit 5,0 g Racemkörper
ausgeführt und bei 38° auf vier Wochen ausgedehnt.
Die Menge des innerhalb 36 Stunden erhaltenen Waaser.
dampfdestillates betrug 3080 com, die zur Neutralisation 77,4 com
n/ -NaOH erforderten.
Die dadurch angezeigte Menge der flüchtigen Säuren stimmt
innerhalb der Fehlergrenze mit der früher erhaltenen Quantität
(81,0 ccm zl, NaOH) überein. Die Buttersäure wurde als
Silbersalz identifiziert; es wurden davon 1,32 g (bei der d-Form
1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2451, 1899.
2) C. Neuberg, Sitzungsber. der Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch.
1907; Sitzung vom 16. Mai. Diese Zeitschr. 7, 183, 1907.
3) Lo
Biochemische Zeitschrift Band 18. 28
434 CG Neuberg: Verhalten v. raoemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis
1,93 g) gewonnen. Die Menge der Ameisensäure wurde in
bekannter Weise durch Abscheidung der äquivalenten Menge
Calomel ermittelt; sie ergab sich daraus zu 0,145 g, gleich etwa
10°/, der Theorie. Diese Quantität ist etwas geringer als die,
welche bei der aktiven Form aus der Differenz der Daten für
die Gesamtacidität und das isolierte Silberbutyrat schätzungs-
weise angenommen war. Bernsteinsäure ist qualitativ in dem
durch 4tägige Extraktion gewonnenen Ätherauszuge der nicht
flüchtigen Fäulnisprodukte ebenfalls nachgewiesen worden, die
quantitative Bestimmung ging verloren.
Demnach verläuft der Abbau der racemischen Glutamin-
säure durch die gewöhnlichen Fäulniserreger nicht merklich ver-
schieden von der Zerlegung der natürlichen rechtsdrehenden
Säure. Das Auftreten einer optisch-aktiven Form konnte dabei
zu keiner Zeit nachgewiesen werden.
Verhalten von d, l-a-Aminoisovaleriansäure (d, 1-Valin)
bei der Fäulnis.
Von
Carl Neuberg, Berlin und Läzlö Karczag, Szolnok.
(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Institus der
Universität Berlin.)
Vor einiger Zeit haben C. Neuberg und E. Rosenberg!)
gezeigt, daß unter den bei der Eiweißfäulnis auftretenden Fett-
säuren rechtsdrehende Valeriansäure (d-Methyläthylessigsäure)
in ziemlicher Menge vorhanden ist. Wie damals ausführlich dar-
gelegt wurde, ist die Herkunft dieser Substanz wie der sie be-
gleitenden isomeren Valeriansäuren nicht mit Sicherheit anzugeben.
Bei den jetzt ausgeführten Versuchen über diese Frage
haben wir das Schicksal der d, lI-«-Aminoisovaleriansäure
CH,
/CH—CH . NH,— COOH
H,
bei der Fäulnis nach verschiedenen Richtungen verfolgt, da
über den Abbau der «-Aminovaleriansäuren durch Bakterien
überhaupt nichts bekannt zu sein scheint.
Das Ausgangsmaterial wurde nach der Vorschrift von
M. D. Slimmer?) dargestellt.
Anstatt die a-Bromisovaleriansäure mit Ammoniak und Ammonium-
carbonat im Autoklaven auf 5 bis 6 Atmosphären Druck zu erhitzen,
kann man das Gemisch auch 6 bis 7 Tage in einer Glasstöpselflasche bei
40° im Brutschranke digerieren. Die Ausbeuten sind ungefähr dieselben,
Der Gang der Untersuchung war folgender:
10,0 g racemische Aminoisovalerisnsäure wurden in 450 ccm
heißem Wasser gelöst, bis zur schwach alkalischen Reaktion
1) Diese Zeitschr. 7, 178, 1907.
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 85, 400, 1902.
28*
436 C. Neuberg und L. Karozag:
mit Natriumcarbonat versetzt und nach Zusatz einer kleinen
Quantität Nährsubstanz (je eines Tropfens einer gesättigten
Lösung von Chlorkalium, Dinatriumphosphat und Magnesium-
sulfat) mit einigen Tropfen nach E. Salkowskis Angaben be-
reiteter Fäulnismischung geimpft. Nach etwa 8 Tagen gab eine
kleine Probe, mit Schwefelsäure gekocht, nach flüchtigen Fett-
säuren riechende Dämpfe, und eine andere Probe zeigte eine
Abspaltung von Ammoniak.
a) Nach vierwöchentlichem Stehen im Brutschranke — wo-
bei wir durch mehrfachen Zusatz von Soda dafür Sorge
trugen, daß die Reaktion alkalisch blieb —, wurde die Lösung
mit 30 com Schwefelsäure von 20°/, angesäuert und im Dampf-
strome 36 Stunden lang destilliert. — Das Destillat verbrauchte
8,8 com ®/,-NaOH zur Neutralisation. — Um Verluste durch
Dissoziation zu vermeiden, wurden noch 10,0 ccm "»/,-Natron-
lauge zugesetzt und bis auf ein Volum von 40 com eingedampft.
Eine kleine Probe gab deutlich positive Reaktion auf Ameisen-
säure, weshalb die gebildete Säure in der früher angegebenen
Weise!) mit Mercurisulfat zerstört wurde. Nach dem Erkalten
und Abfiltrieren vom ausgeschiedenen Quecksilberoxydulsalz
wurde die Flüssigkeit zur Entfernung des Quecksilbers mit
Schwefelwasserstoff behandelt, vom Mercurisulfid abfiltriert, die
Schwefelsäure durch Baryt und dessen Überschuß durch Kohlen-
säure entfernt.
Die Flüssigkeit wurde dann auf dem Wasserbade eingeengt;
beim Verdunsten erstarrte der Rückstand krystallinisch. Da er
einen geringen Chlorgehalt?) aufwies, wurde er zunächst bei
schwach verdünnter salpetersaurer Reaktion mit Silbernitratlösung
behandelt. Das Filtrat vom Chlorsilber wurde ammoniakalisch
gemacht, eingeengt, wobei der Ammoniaküberschuß entwich,
filtriert und dann mit konzentriertem Silbernitrat ausgefällt; der
Niederschlag wurde nach 12stündigem Stehen unter Lichtabschluß
abgesaugt, nacheinander mit kaltem Wasser, absolutem Alkohol
und trocknem Äther ausgewaschen und sodann bis zur Gewichts-
konstanz im Dunkelexsiccator aufbewahrt. Die Analyse ergab
folgendes:
1) W. Brasch und C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 299, 1908.
2) Ein solcher ist schwer zu vermeiden, er ist stets vorhanden,
wenn gewöhnliches Wasser zur Dampfdestillation dient,
Verhalten v. d, 1-x-Aminoisovaleriansäure (d, 1-Valin) b. d. Fäulnis. 437
0,1164 e Substanz gaben 0,0608 g Ag,
0,1396 g = » 0,1463 g CO, und 0,0559 g H,O,
C,H,0, Ag. Ber. C = 28,70°/,; H = 4,31°/,; Ag = 51,67°/,.
Gef. C = 28,58°/,; H = 4,45°/,; Ag = 52,24°/..
Es lag also valeriansaures Silber vor.
ß) Die Verarbeitung des Destillationsrückstandes ge-
schah folgendermaßen:
Die Schwefelsäure wurde mit Barytwasser entfernt und
die schwach alkalische Lösung mit Äther ausgeschüttelt. Der
ätherische Auszug wurde mit Salzsäure angesäuert, dann der
Äther abdestilliert. Eine Probe des Rückstandes gab bei einem
Vorversuche ein in siedendem Wasser lösliches Chloroplatinat.
Daraufhin wurde der gesamte ÄAtherrückstand mehrmals mit
heißem absolutem Alkohol extrahiert, die alkoholischen Aus-
züge vereint und verdunstet, der Rückstand in wenig Wasser
aufgenommen und mit einer konzentrierten Platinchloridlösung
versetzt. Es entstand bald ein Niederschlag, die Krystalle ver-
mehrten sich beim Einengen im Exsiccator. Sie wurden dann
abgesaugt und aus siedendem Wasser umkrystallisiert, woraus
sie bei langsamer Verdunstung in prächtigen Formen ausfielen.
Die Menge des zur Gewichtskonstanz getrockneten orange-
roten Platinchloriddoppelsalzes betrug 0,424 g; sein Zersetzungs-
punkt lag bei 226 bis 227°.
Bei der Analyse wurde der Gehalt an Chlor und Platin
an derselben Substanzmenge nach dem sehr bequemen Ver-
fahren von O. Wallach!) ermittelt (ersteres wurde titrimetrisch,
letzteres als Metall bestimmt).
0,2148 g Substanz verbrauchten 23,4 ccm "/, ‚-Silberlösung
= 0,0831 g Cl und lieferten 0,0749 g Pt.
Ferner ergab die Stickstoffbestimmung nach Dumas mit
0,1958 g Substanz 8,4 ccm N (bei 16,8° und 758 mm).
Aus diesen Daten folgt, daß es sich hier um Butylamin-
chloroplatinat handelt.
Berechnet für (C,H,NH,),-H,PtCl;:
N = 5,03°/,; Pt = 35,07; Cl = 38,31 °],,
Gef. N = 4,95°/,; Pt = 34,85; Cl = 38,67°/,.
1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 14, 753, 1881.
438 C. Neuberg und L. Karczag:
Das Material reichte nicht aus, die Natur des zugrunde-
liegenden Butylamins zu ermitteln. Bei Abstammung aus der
«-Aminoisovaleriansäure dürfte ihm die Struktur des Isobutylamins
CH,
CH, /CH — CH,.NH,
zukommen.
y) Die durch Wasserdampfdestillation von flüchtigen Säuren,
durch Atherextraktion bei barytalkalischer Reaktion von Basen
befreite Lösung wurde auf einen Gehalt an dem Ausgangs-
material, an Aminoisovaleriansäure, untersucht. Zu diesem
Zwecke wurde zunächst mit verdünnter Schwefelsäure an-
gesäuert, vom Bariumsulfat abfiltriert und mehrmals mit Ather
ausgeschüttelt, um eventuell gebildete saure, nicht flüchtige Pro-
dukte zu entfernen. Der ätherische Auszug hinterließ beim
Verdunsten nur Spuren eines Rückstandes.
Die extrahierte Flüssigkeit wurde dann mit Barytwasser
von der Schwefelsäure befreit und zur Entfernung überschüssigen
Bariumhydroxyds mit Kohlensäure behandelt. Das Filtrat vom
Bariumcarbonat wurde eingedampft, nochmals filtriert und nach
dem Einengen auf ein kleines Volumen mit etwas Alkohol ver-
setzt. Nach einigen Tagen wurden die ausgefallenen Krystalle
abgesaugt und aus heißem Wasser umkrystallisiert. Sie hatten
das Aussehen von Aminoisovaleriansäure.
Es zeigte sich nun, daß die wässerige Lösung derselben
optisch aktiv war, während die angewandte Aminosäure inaktiv
gewesen war (vor Ansatz der Fäulnis wurde die Aminoisovalerian-
säure auf Aktivität polarimetrisch untersucht). Die Gesamt-
menge des Rückstandes betrug 1,10 g; davon wurde 1,0 g in
10 ccm 20°/ iger DO gelöst und polarisiert. Lösung dreht nach
links, und zwar war [a]p,, = — 3° 04. — Das spezifische
Drehungsvermögen des l-Valins ist in salzsaurer Lösung nach
E. Fischer?)
[a] = — 28,4°.
Daraus ergibt sich, daß die zurückgewonnene Aminoiso-
valeriansäure rund 11°/, der -Komponente enthält; sie ist der
optische Antipode des als Eiweißspaltungsprodukt aufgefundenen
1) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 39, 2326, 1906.
Verhalten v. d, l-x-Aminoisovaleriansäure (d, I-Valin) b. d. Fäulnis. 439
d-Valins [E. Schulze), E. Fischer?), E. Fischer und
Th. Dörpinghaus?), A. Kossel und H. D. Dakin*)] und
dieselbe Raumform, die bei der Spaltung des racemischen
Valins durch Hefepilze entsteht IR Ehrlich®°)].
Die zur Polarisation verwendete salzsaure Aminoisovalerian-
säurelösung wurde nebst dem übrig gebliebenen kleinen Rest
freier Aminosäure eingedampft, mit Wasser aufgenommen und
mit Bleicarbonat bis zum Verschwinden der Halogenreaktion
gekocht. Die erkaltete Lösung wurde abfiltriert, durch
Schwefelwasserstoff entbleit und bis zur Krystallisation ein-
gedampft.e. Um die noch anhaftende Spur salzsaurer Amino-
säure zu entfernen, wurden die Krystalle in verdünntem Alkohol
auf dem Wasserbade gelöst und der langsamen Verdunstung
überlassen, worauf reines Valin in schönen Krystallen ausfiel.
Diese wurden abgesaugt, mit Alkohol gewaschen und im Ex-
siccator bis zur Gewichtskonstanz getrocknet.
0,1856 g Substanz gaben 0,3478 g CO, und 0,1602 g H,O.
Für C,H,,0,N. Ber. C= 51,29°/,; H = 9,40°/,,
Gef. C = 51,07°/,; H = 9,65°/,.
Die mitgeteilten Versuche zeigen, daß d, l-Aminoisovalerian-
säure bei der Fäulnis z. T. desamidiert wird und eine Valerian-
säure, vermutlich Isovaleriansäure, liefert. Ein kleiner Teil der
Aminosäure geht — offenbar unter Kohlensäureverlust — in
Butylamin über. Es läßt sich ein asymmetrischer Angriff der
Bakterien nachweisen, da der zurückgewonnene Teil der Amino-
isovaleriansäure in salzsaurer Lösung lävogyr war.
1) Journ. f. prakt. Chem. 27, 337. — Zeitschr. f. physiol. Chem. 12,
405, 1888,
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 159, 1901.
8) Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 469, 1902.
4) Zeitschr. f. physiol Chem. 40, 565, 1904.
5) Diese Zeitschr. 1, 28. 1906.
Kobragift und Hämolyse.
II. Mitteilung.
Von
Ivar Bang.
(Aus dem med.-chemischen Institut der Universität Lund.)
(Eingegangen am 4. Mai 1909.)
Vor einiger Zeit habe ich Untersuchungen über die Kobra-
gifthämolyse mitgeteilt,!) welche darin gipfelten, daß 1. Kyes’
sogenanntes Kobralecithid nicht existieren kann und daß 2.
Lecithin auch nicht als Aktivator bei der Kobragifthämolyse
fungiert und überhaupt nichts damit zu tun hat. Wenn
Handelslecithin das Kobragift zu aktivieren vermag, muß ein
anderer Körper als Lecithin den wirksamen Bestandteil dar-
stellen. 3. Weiter zeigten meine Untersuchungen, daß es jeden- ,
falls zweifelhaft ist, ob überhaupt Phosphatide Aktivatoren
sind, als sicher anerkannte Aktivatoren kommen nur die unge-
sättigten Fettsäuren bzw. deren Seifen in Betracht.
Es fragt sich dann zunächst, wie diese Aktivatoren wirken.
Es ist selbstverständlich a priori nicht unmöglich, daß der
Aktivator mit dem Gifte in ähnlicher Weise betrefis Hämolyse
reagieren könnte, wie nach P. Ehrlich (und entgegen des Ver-
fassers Anschauung) Immunkörper und Komplement. Anderseits
wäre denkbar, daß der hämolytische Effekt von Aktivator und
Gift eine Summation der Einzelwirkungen von beiden darstellen
könnte. Es ist sicher kein Zufall, daß nur die Stoffe als Akti-
vatoren fungieren können, welche an und für sich in etwas
größerer Menge Hämolyse bewirken. Andere Möglichkeiten
stehen auch offen.
1) Diese Zeitschr. 11, 521, 1908.
Biochemische Zeitschrift Band 12. 29
442 I. Bang:
Selbstverständlieh lassen sich alle diese Möglichkeiten durch
die Experimentalforschung näher studieren. Nach meiner Über-
zeugung ließ sich aber hierdurch kaum ein tieferer Einblick in
die Vorgänge gewinnen, da man in diesem Falle mit vielen
Unbekannten auf einmal arbeitet: Blutkörperchen, Kobragift,
Aktivatoren und Salzen. Daß die Salze keineswegs gleichgültig
sind, zeigen die Beobachtungen von Noguchi u. a., nach denen
die Salze der zweiwertigen Metalle schon in sehr kleiner
Menge die Kobragifthämolyse vollständig verhindern können.
Die Möglichkeit steht demgemäß offen, daß auch die Salze der
einwertigen Metalle oder in casu NaCl eine ähnliche Wirkung
vielleicht besitzen.
Für eine solche Möglichkeit spricht der Umstand, daß
das Kobragift Blutkörperchen in Rohrzuckerlösung direkt ohne
irgendwelchen Aktivator auflöst.
Ich habe deswegen als meine erste Aufgabe das Studium
der Kobragifthämolyse des Rohrzuckerblutes be-
trachtet. Mit der Erledigung dieser Frage kam die Bedeutung
der Salze zur Untersuchung. Erst wenn diese zwei Faktoren
aufgeklärt waren, konnte man zur Untersuchung der Bedeutung
der Aktivatoren übergehen, und zwar sowohl für die Hämolyse
des Rohrzuckerblutes als des Kochsalzblutes.
Die vorliegende Abhandlung soll nur die Hämolyse des
Rohrzuckerblutes und die Bedeutung der Salze umfassen, und
es bleibt einer folgenden Abhandlung die Aufklärung der Rolle
des Aktivators vorbehalten.
1. Methodik.
Das Blut war in den meisten Versuchen Rinderblut, an-
fangs von erwachsenen Tieren, später beinahe ausschließlich
von Kälbern. (Doch sind die Ergebnisse durch Versuche an
Ochsenblut bestätigt.) Gelegentlich wurden auch Versuche
mit Schweineblut, Schafblut und Kaninchenblut angestellt.
(Die Ergebnisse mit den letztgenannten Blutsorten sollen hier
nicht besprochen werden. Es waren nur orientierende Versuche,
welche übrigens zeigten, daß keine prinzipiellen Unterschiede
gegenüber Kobragift zwischen empfindlichem und unempfind-
lichem Rohrzuckerblute existieren.)
Kobragift und Hämolyse. II. 443
Das Blut wurde als 5°/,ige Aufschwemmung in 8°/,iger
Rohrzuckerlösung verwendet. Zuerst wurde zweimal mit
Rohrzuckerlösung ausgewaschen. Die Notwendigkeit des Aus-
waschens von Serumbestandteilen illustriert folgende, besonders
darauf gerichtete Untersuchung.
Kalbsblut (welches in Zuckerlösung nicht agglutiniert)
wurde teils direkt mit Rohrzuckerlösung verdünnt, teils damit
ein-, zwei- und dreimal ausgewaschen und dann bis zu einer
5°/,igen Blutaufschwemmung verdünnt.
Tabelle I.
0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm
EE 0% 006 008 0,10
Direkt m. Rohrzucker verdünnt -+ + + u
lmal ausgewaschen . . . . total total total total
2 mal S 0000. total total total total
In diesem und den folgenden Versuchen bedeutet 0 = keine
Hämolyse, — = schwache, +, mäßige, LL starke und total =
komplette Hämolyse.
Die Gegenwart von Serum hat also in diesem Versuche
die Hämolyse verhindert, trotzdem bekanntlich beim Kochsalz-
blut das Serum einen Aktivator des Kobragiftes darstellt.
Auch durch Zusatz von Serum an ausgewaschenen Blut-
körperchen kann man die Hemmung zeigen. Hierzu lassen
sich auch andere Blutsorten wie Kaninchenserum verwenden.
Eine Hemmung der Hämolyse von Kochsalzblut mit Kobragift
und „Lecithin‘ durch Kaninchenserum haben bereits Reen und
Sachs nachgewiesen.
Schon eine einmalige Auswaschung genügt jedoch, um diesen
Einfluß zu eliminieren. In sämtlichen folgenden Versuchen wurde
aber das Blut zweimal mit Zuckerlösung ausgewaschen, und
wir können demgemäß von dieser Fehlerquelle absehen.
Da sowohl Ochsenblut wie Kalbsblut erhebliche Variationen
gegen die Einwirkung von Kobragift zeigten, war es absolut
notwendig, die Ergebnisse durch zahlreicheKontrolluntersuchungen
mit anderem Blute zu prüfen. Wie aus den folgenden Übersichts-
tabellen ersichtlich ist, ist dies auch überall geschehen. Aus
Gründen, die später erwähnt werden sollen, war es weiter not-
wendig, sämtliche Versuche an einem und demselben Tage an-
zustellen. Sonst sind nämlich die Ergebnisse nicht vergleichbar.
29*
444 I. Bang:
Ferner behält das Blut, im eigenem Serum aufbewahrt, nicht
immer eine unveränderte Empfindlichkeit bei, was auch be-
rücksichtigt werden mußte.
Um technische Fehler beim Abmessen usw. vermeiden zu
können, war es notwendig, Doppelversuche anzustellen, was auch
meistens geschehen ist. (In den letzten 20 Versuchsserien
wurden jedoch gewöhnlich nur Einzelversuche vorgenommen.)
Bei der Anstellung der Versuche wurde erst die Giftlösung
in die Röhrchen eingeführt und dann mit Rohrzuckerlösung
bis 0,2 ccm ergänzt (das letztere jedoch in den 20 letzten Ver-
suchsserien unterlassen). Hierzu wurden dann im Strahle
2 ccm BIL iges Rohrzuckerblut hinzugefügt. Wenn Salze usw. zur
Verwendung kamen, wurden diese gewöhnlich zuerst, nachher die
Kobralösung und zuletzt das Blut hinzugesetzt. Durch besonders
darauf gerichtete Versuche habe ich mich übrigens überzeugt,
daß die Reihenfolge gleichgültig ist. Nach der Mischung wurde
umgeschüttelt und die Proben in einen Thermostaten bei 37° ge-
stellt. Nach einer Stunde wurden die Proben herausgenommen,
umgeschüttelt und in den Eisschrank gestellt. Nach 16 Stunden
im Eisschrank wurden die Ergebnisse protokolliert.
Weiter ist es selbstverständlich wichtig, wenn man zahl-
reiche Versuchsserien anstellen will, daß man über eine unver-
änderliche Stammlösung verfügt. Die Giftlösung war ge-
wöhnlich ein 0,1°/,iges Kobragift in Wasser und Glycerin
(ana partes), wie die meisten Forscher es benutzen. Weil un-
begrenzt haltbar, ist diese Form sehr vorteilhaft, besonders wenn
man — wie ich selbst — nur über geringe Giftquantitäten ver-
fügt. Die meisten Versuche sind auch hier mit solchen
Giftlösungen angestellt. Ich habe hierbei stillschweigend an-
genommen, daß das Glycerin ohne Bedeutung sei. Als
permeabel dürfte das Glycerin sich gleichmäßig auf Blut-
körperchen und Flüssigkeit verteilen, was auch von mir direkt
nachgewiesen wurde. Trotzdem habe ich nicht versäumt, ver-
gleichende Untersuchungen mit rein wässerigen Kobralösungen
anzustellen. In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse hier-
mit zusammengestellt.
Kobragift und Hämolyse. II. 445
Tabelle II.
0,1 °/,ige Kobralösung in cem
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
728 0 0 4 +—
b 0 0 0 ++-+—
73 a 0 0 0 0
b 0 0 0 0
74 a 0 0 +4 total
b 0 0 0 -+
75 a 0 0 -H — total
b 0 0 0 Kuppe
76 a ++ total total total
b 0 0 d d
77% 0 0 + total
b 0 0 total
78 a +--+ total total total
b ++ total total total
GË tt ++ ++
b 0 ++ 0 total
80 a +-+- total total total
b 0 total total total
sa — ++ ++-
b d d 0 0
82 a +++ total total total
b 0O +++ +++ total
83 a 0 0 0 0
b 0 0 0 +++
& — wässerige, b = glyoerinhaltige Kobralösung.
Wie ersichtlich, sind die Blutkörperchen gegenüber wässeriger
Kobralösung im allgemeinen etwas empfindlicher. (Besonders
ist Versuch Nr. 76, welcher mit demselben Resultate wiederholt
wurde, deutlich.) Anderseits kommt auch das entgegengesetzte
Verhältnis bisweilen vor (Nr. 72, 83 u. ol, Und endlich zeigen
die Blutkörperchen in einigen Versuchen (wie Nr. 77, 78, .79,
80, 82) dieselbe Empfindlichkeit gegen beide Giftlösungen. Ich
möchte die Unterschiede auf eine verschiedene Permeabilität
der Blutkörperchen gegenüher Glycerin erklären. Wenn sie
weniger permeabel sind, bewirkt das Glycerin einen Überdruck,
welcher die Hämolyse verhindert. Ich habe gefunden, daß
solche Blutkörperchen nach Glycoerinbehandlung besonders resistent
gegen Verdünnung sind, was mit einer geringen Diosmose von
Glycerin zusammenhängen kann. Übrigens lege ich auf diese
Erklärung keinen besonderen Wert.
Jedenfalls geht aus den Versuchen hervor, daß es sehr
notwendig war, die Ergebnisse durch Verwendung von glycerin-
446 I. Bang:
haltiger Giftlösung mit Kontrolluntersuchungen von rein wässe-
rigen Kobralösungen zu verifizieren. Dies ist auch überall
geschehen.
2. Das Rohrzuckerblut wird von Kobragift allein hämolysiert.
In meinen ersten Versuchen wurde Ochsenblut, welches
24 Stunden im Eisschranke zur Deglutination gestanden hatte,
verwendet. Die Ergebnisse waren indessen nicht besonders er-
munternd, indem die Resistenz gegen Kobragift ganz erheblich
variierte, wie die folgende Tabelle zeigen kann.
Tabelle III.
0,1°/,ige Kobralösung in ccm
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
2 0 0 d +++
8 LL total total total
9b!) total total total total
10 0 Kuppe TT —
11 0 0 +++ total
12 0 +++ +++ total
13 — total total
36 0 0 0 0
54 d total total total
902) Se total total total
92 0 +++ total total
93 0 0 Kuppe
94 0 0 d Kuppe
In einigen Versuchen wurden die Bestimmungen nach
24 Stunden wiederholt. Es zeigte sich dann, daß in einigen
Fällen die Empfindlichkeit erheblich vermindert worden war.
Tabelle IV kann darüber unterrichten.
Tabelle IV.
Blut 0,10%/,iges Kobragift in com
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
9 Gleich nach Deglutination total total total total
24 Stunden später . 0 0 0 0
10 Gleich nach Deglutination 0 Kuppe ++ ++
24 Stunden später . 0 0 0 ++
13 Gleich nach Deglutinatin - ++ total total
24 Stunden später . + ++ total total
48 Stunden später . d 0 0 ++
92 Gleich nach Deglutination 0 +-+- total total
24 Stunden später . 0 — — —
1) 9a = Kalbsblut, 9b = Oohsenblut. Beide wurden an demselben
Tage verarbeitet.
2) Die Nummern 90 bis 94 stellen die ersten Versuchsserien dar.
Kobragift und Hämolyse. IL 447
In anderen Versuchsserien war die Resistenz nach 24 Stun-
den unverändert geblieben (Nr. 8, 11 und 13), in der letzteren
wurde jedoch die verminderte Empfindlichkeit nach 48 Stunden
nachgewiesen.
Da also das Ochsenblut sich weniger geeignet erwies, wurden
Versuche mit Kalbsblut angestellt, und zwar mit dem bemerkens-
werten Erfolg, daß dasselbe nicht in Rohrzuckerlösung agglu-
tiniert, weshalb man hier die Deglutination nicht abzuwarten
brauchte. Die Veränderungen, welche beim Stehen mit Rohr-
zuckerlösung eintreten, ließen sich deswegen hier vermeiden, und
man konnte deshalb hoffen, durch Verwendung von Kalbsblut
gleichmäßigere Resultate zu erzielen. Inwieweit diese Hoff-
nungen erfüllt worden sind, kann die folgende Tabelle illustrieren.
Tabelle V.
0,1°/ ige Kobralösung in ccm
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
1 — total total total
3 d 0 IT HT
4 = Se ee total
5 +-+- total total total
6 Kuppe T e ee
7 total total total total
8 0 — + +
14 0 -4- total total
15 + LL LL pA
16 0 0 — —
17 + +++ total total
18 O0 444 +++ total
19 total total total total
Ein Vergleich der 13 Rinderblutsorten mit den 13 Kalbs-
blutsorten, welche beide von derselben Jahreszeit her-
stammen, zeigt, daß vom Rinderblut 62°/,, von dem Kalbsblut
aber 77°/, empfindlich waren. (Vom Kalbsblut sind weiter zirka
80 Blutsorten untersucht worden; über die Ergebnisse wird
später berichtet werden.)
Indessen sind die Versuchsserien vielleicht nicht zahlreich
genug, daß den Schlußfolgerungen größerer Wert beigelegt
werden kann, und die gefundenen Unterschiede sind auch
nicht besonders groß. Einen weit besseren Überblick bekommt
man aber, wenn man die Ergebnisse gleich nach der Dar-
stellung des Rohrzuckerblutes mit denjenigen von Kalbsblut,
448 L Bang:
welches 24 Stunden im Eisschrank gestanden hat, vergleicht.
Solches Blut hat also genau dieselbe Zeit gestanden, welche
zur Deglutination des Ochsenblutes notwendig ist.
Tabelle VI.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in cem
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
l Gleich nach Mischuug +--+ total total total
Nach 24 Stunden d 0 + ++
Nach 48 3 0 0 0 —
4 Gleich nach Mischung + ++ +++ total
Nach 24 Stunden 0 0 0 d
5 Gleich nach Mischung +++ total total total
Nach 24 Stunden 0 0 d ++
7 Gleich nach Mischung total total total total
0 0 0
+ ++
— —
total total
Nach 24 Stunden
9 Gleich nach Mischung
Nach 24 Stunden
14 Gleich nach Mischung
Bä
Nach 24 Stunden SE ++ +++
15 Gleich nach Mischung +++ +++ total
d
0
0
d
0
cb
Nach 24 Stunden +-+ +++ +++ total
17 Gleich nach Mischung -+ +++ total total
Nach 24 Stunden 0 +++ total total
0
0
18 Gleich nach Mischung +++ +++ total
Nach 24 Stunden ++ +++ total
Wie ersichtlich, wird auch das Kalbsblut beim Stehen oft
erheblich verändert, jedoch nicht immer, da das Blut in
ca. 40°/, eine unveränderte Empfindlichkeit beibehalten hat
(wahrscheinlich ist diese Ziffer etwas zu hoch; bei den übrigen
Blutsorten war die unveränderte Empfindlichkeit nur ausnahms-
weise zu finden). Jedenfalls ist es vorteilhaft, das Blut
unmittelbar nach der Mischung zu benutzen; denn man kann
unmöglich die Ergebnisse bei Verwendung gestandenen Blutes
mit denjenigen von frischem Rohrzuckerblut vergleichen.
Es fragt sich dann weiter, ob das Blut dieselbe Empfind-
lichkeit vor und nach der Koagulation und nach Aufbewahrung
während einiger Zeitim eigenen Serum beibehält. Während nur ein-
mal das Kalbsblut vor und nach der Koagulation (das Blut
spritzte direkt von der Ader in die Rohrzuckerlösung bzw. wurde
ca. 1 Stunde nach der Koagulation damit verdünnt usw.) unter-
sucht wurde (wobei kein Unterschied gefunden wurde), ist öfter
das Blut 1 bis 2 Stunden nach der Koagulation und 24 Stun-
u’
Kobragift und Hämolyse. II. 449
den später zur ‚Darstellung von Rohrzuckerblut verwendet
worden. Einige solche Versuche sind in der folgenden Tabelle zu-
sammengestellt.
Tabelle VII.
0,1°/,ige Kobragiftlösung in com
Blut Nr. 0,04 0,06 0.08 0,10
44 a 0 total total total
b + — — total
45 a total total total total
b 0 total total total
47 a ++ total total total
b 0 +++ total total
48 a total total total total
b 0 0 ++ total
52 a 0 0 0 total
b 0 0 — total
59 a 0 0 0 0
b + +++ total total
60 a 0 total total total
b — total total total
74 a 0 -+ EE total
b 0 0 +++ total
a — frisches Blut, b— 24 Stunden altes Blut mit Rohrzuckerlösung ver-
dünnt usw.
Die Tabelle VII zeigt, daß das Blut zwar oft eine un-
veränderte Empfindlichkeit beibehält, jedoch nicht immer,
da man nicht selten eine deutlich verminderte Empfindlich-
keit, ausnahmsweise aber auch eine größere Empfindlichkeit
beobachten kann. Aus diesen Gründen ist es nicht erlaubt, die
Ergebnisse mit frischem und altem Blute direkt miteinander
zu vergleichen.
Zuletzt hat sich herausgestellt, daß das Kalbsblut zu ver-
schiedenen Jahreszeiten recht bedeutende Variationen der
Empfindlichkeit aufweist. Da diese Tatsache bis jetzt unbekannt
ist und ihr zudem eine gewisse Bedeutung zukommt, erlaube ich
mir, die Ergebnisse ausführlich zu besprechen. Sie sind in der
folgenden Tabelle zusammengestellt. Hier sind jedoch einige Blut-
sorten vom Kalb nicht mit aufgenommen, bei welchen nur das
Rohrzuckerblut nach 24 Stunden untersucht wurde. Diese Ver-
suche wurden in den Monaten Mai und Juni ausgeführt. Sie
zeigen gewöhnlich eine recht große Empfindlichkeit gegen
Kobragift.
g
e
k
8885
Get elt A E
3 3 3 3
bai Feat Fei
OND
3
16. IX.
Pils sus»
KI
SC?
Ki Ri Ki m
© g m o| SG
bt
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a 2 a a a a a a a
I. Bang:
Tabelle VIII.
0,1°/,ige Kobralösung in ccm
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
+++ total total total
+++ total total total total
— ++ +++ ++
total total total total
0 - + ++
0 + total total
p3 Te SET —
GE +++ total total
d 0 +++ +++ total
+++ total total total total
0 — +++ total total
0 — -+ total total
0 ++ total total total
0 — total total total
0 total total total total
++ total total total total
0 0 — — 0
el total total total total
0 0 total total total
0 — total total total
0 0 u E
+ +++ total total
0 0 +H —
-+ total Sg Si Se
total total total total total
0 +++ ++ total total
total total total total total
+++ total total total total
0 < a tte Ge
0 0 total total
-L total total We total
+ total total total total
0 +++ total total total
total total total total total
0 0 Jk it
0 EE Län FE:
d — — EE total
-L total total total total
0 0 0 0 Tea
0 - total total total
0 0 0 0 total
1) Die Kontrollproben ohne Gift zeigten hier — --.
Kobragift und Hämolyse. II.
0,1°/,ige Kobralösung in ccm
0,02 0,04
0 0
0
0
4
-+
oeooooo00/o0+
S
total
d
oJloooo-ooo0]
|
0,06
KEE
total
S o
E,
‚IV. 0 0
u. Tag Nr.
ll. „ 55
14. „ 56
Eier. s 57
20. „ 59
23. 5 60
2.L 65
3. „ 64
8. „ 67
IL. „ 68
15. „ n
18. „ 12
20. „ 73
22., 74
25. „ 76
27. „ 77
30. „ 78
17. II. 79
19. „ 80
21. „ 8l
24. „ 82
26. „ 83
27.5 340
6. III. 85
8. „ 86
10. „ 87
12. „ 88
15. „ 89
18. „ 100
19. „ 101
23. „ 102
26., 103
29. „ 104
3l. „ 105
1.IV 106
3. „ 107
Do. 108
13. „ 110
14. „ 111
16. „ 112
19. „ 113
20. „ 114
24. „ 115
26. „ 116
SR 3 117
30. „ 118
oo-oo0]| sooo,
451
0,08 0,10
total total
+++ ++
total total
0 0
0 0
0 total
0 0
0 0
0 total
0 0
— +
0 0
++ +++
total total
-+ — total
total total
++ Lt
total total
+ +++
total total
0 E
0 0
total total
total total
0 0
Kuppe T
total total
total total
total total
0 0
0 0
Kuppe Kuppe
0 0
total total
+ +++
Kuppe ii
— total
++ +++-
++ +++-
Kuppe —
++-+— total
total total
++-+— total
+++ total
Vergleicht man die Empfindlichkeit des Kalbsblutes zu den
verschiedenen Jahreszeiten, so wird man bemerken, daß das Blut
452 I. Bang:
im Sommer und Herbst eine große und regelmäßige Empfind-
lichkeit zeigt, während es im Frühjahr und Winter sich oft
refraktär erwiesen hat. Im Mai 5 Blutsorten (4mal empfindlich)
—=80°/,, Juni 4 (3)—=?75°/,, September 6 (6) = 100°/,, Okto-
ber 12 (9) = 75°/» November 13 (12) — 90°/,, während im
Dezember 8 (3)—=50°/,, Januar 11 (5)=45°/,, Februar 6 (3)
= 50°/,, März 11 (5) — 45°/, und April 12 (9) =75°/,. Da
das Alter. der Kälber ohne Bedeutung war (gewöhnlich waren
sie 6 Wochen bis 2 Monate alt), hat man zur Erklärung der
verschiedenen Empfindlichkeit in den verschiedenen Jahreszeiten
wohl in erster Linie an den Temperaturunterschied zu denken.
Hiermit stimmt überein, daß ich besonders im Frühjahr bei
eingetretener Kälteperiode immer eine verminderte Empfind-
lichkeit vorfand. Die Kälber kamen vom Lande mit der Eisen-
bahn und haben wahrscheinlich ohne Nahrung relativ lange in
dem ungeheizten Wagen gestanden.
Obwohl eine Übereinstimmung zwischen Temperatur und
Empfindlichkeit des Blutes im großen und ganzen vor-
kommt, ist diese doch keine absolute, was man andrerseits
kaum erwarten konnte. Unter diesen Umständen und da die
Tatsachen auch für andere Blutuntersuchungen nicht ohne
Interesse sind, bin ich Prof. Charlier dankbar, daß er für
mich die korrespondierenden Werte mathematisch berechnet hat.
Aus dem gefundenen Korrelationskoeffizienten (+- 0,55) geht nach
Charlier ‚„unzweideutig hervor, daß ein Zusammenhang zwischen
den beiden Erscheinungen stattfindet“.
Durch die Freundlichkeit meines Kollegen Prof. Charlier
bin ich über die durchschnittliche Lufttemperatur in Lund
(8 Uhr morgens) in den Monaten Mai 1908 bis April 1909 orien-
tiert und stelle hier dieselben zum Vergleich der Blutempfind-
lichkeit zusammen:
Lufttemperatur Empfindlich- Lufttemperatur Empfindlich-
(Lund) keit d. Blutes (Lund) keit d. Blutes
1908 Mai — 9,7°C Son, 1908 Dez. —0,1°C 50°/,
„ Juni +15,0°C 75°/, 1909 Jan. —0,9°C 45°),
„ Sept. +11,4°C 100°), „ Febr. —3,9°C 50°/,
„ Okt. 4 7,6°C 75%, „ März—12°0 Apel,
„ Nov. + 11°C 90°, „ April +3,3°C 75°/,
Kobragift und Hämolyse. II. 453
Ist die gegebene Erklärung richtig — und hierfür werden
später Beweise geliefert — so muß man auch die klimatischen
Verhältnisse berücksichtigen. Die hier für das südliche Schweden
gefundenen Ergebnisse treffen deswegen wahrscheinlich nicht für
ein wärmeres (oder kälteres) Klima genau zu. |
Aus dem Angeführten geht ganz unzweideutig hervor, daß
die Blutkörperchen vom Rind eine recht veränderliche Empfind-
lichkeit gegenüber Kobragift besitzen, wenn sie in Rohrzucker-
lösung aufgeschwemmt sind. Diese Tatsache zeigt, daß recht
komplizierte Verhältnisse vorliegen müssen, deren Erklärung
voraussichtlich mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist. Es
ist aber ganz klar, daß die Verhältnisse erklärt werden müssen,
wenn wir das Wesen der Kobragifthämolyse von Rohrzuckerblut
verstehen wollen, welche andererseits die Voraussetzung der Er-
klärung von der Wirkung des Aktivators bilden soll. Ehe wir
aber hierauf näher eingehen, ist es notwendig, die Wirkung der
Salze auf die Kobragifthämolyse zu besprechen. Zuerst soll
jedoch eine Vorfrage berücksichtigt werden:
Ist die Rohrzuckerlösung ein indifferentes Medium, in welcher
das Gift und die Blutkörperchen unbehindert miteinander rea-
gieren können oder stellt der Rohrzucker einen Aktivator bzw.
ein Co-Enzym dar, welches mit dem Gifte zusammen die
Hämolyse bewirkt?
Diese Frage läßt sich in der Weise beantworten, daß man
statt Rohrzucker einen andern Nicht-Elektrolyten zur Darstellung
der isotonischen Verdünnungsflüssigkeit benutzt. Als solchen
habe ich Mannit verwendet.
Tabelle IX.
Blut 0,1°/,iges Kobragift in ccm
Nr. 0,04 0,06 0,08
mm 0 +++ —
Das Mannitblut wurde also von Kobragift allein hämolysiert.
Das betreffende Ochsenblut wurde auch in Mannitlösung ag-
glutiniert und nach einem 24 stündigem Aufenthalt auf Eis de-
glutiniert, wie Rohrzuckeraufschwemmung desselben Blutes. Das
Mannitblut verhält sich infolgedessen in jeder Beziehung wie Rohr-
zuckerblut. (Von demselben Blute wurde auch Rohrzuckerblut
dargestellt. Es zeigte gute Übereinstimmung in bezug auf
454 L Bang:
Hämolyse durch Kobragift mit dem Mannitblute.) Es ist dem-
gemäß sehr wahrscheinlich, daß Rohrzucker ein indifferentes
Medium darstellt oder jedenfalls nicht als Aktivator wirkt.
8. Die Hämolyse des Rohrzuckerblutes wird von Salzen
verhindert.
Wir werden uns hier ausschließlich mit Kochsalz beschäftigen,
und es soll nur erwähnt sein, daß viele andere Salze sich ebenso
verhalten. (In dem folgenden Kapitel wird über das Verhalten
anderer Salze näher berichtet.) Die betreffenden Versuche wurden
in dem einen Falle so ausgeführt, daß verschiedene Quantitäten
der Giftlösung zu einer bestimmten Menge Kochsalzlösung — ge-
wöhnlich 0,08 ccm einer ?/, molaren NaCl-Lösung — zugefügt
wurden. Nach Ergänzung bis auf 0,2 ccm mit Rohrzuckerlösung
wurde das Blut hinzugefügt. In diesen Versuchen war der
Kochsalzgehalt der ganzen Mischung 0,11°/, oder ca. !/,, Mol NaCl.
An dem anderen Falle wurden auch zu einer bestimmten Menge
Kobragift variierende Quantitäten derselben Kochsalzlösung ge-
setzt. Da die letztgenannten Versuche mit den zuerst erwähnten
völlig übereinstimmten, brauchen diese hier nicht ausführlich
angeführt zu werden.
Tabelle X.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in com
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 Blutart
l ohne NaCl +-+-+ total total total Kalb
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ +++
2 ohne Salz 0 0 0 +++-— Ochs
mit 0,08 ccm NaCl + +— ++ ++
3 ohne Salz 0 0 +-+ ++ Kalb
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ +-+
5 ohne Salz +++ total total total e
mit 0,08 ccm NaCl 0 ++ +++ total
6 ohne Salz Kuppe ++ +++ 444»
mit 0,08 cem NaCl 0 0 -+-+ -++
7 ohne Salz total total total total =
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 4 total
8 ohne Salz +++ total total total Ochs
mit 0,08 cem NaCl ++ +++ total total
9a ohne Salz 0 — + —+ Kalb
mit 0,08 com NaCl 0 0 0 0
15 ohne Salz + +++ EL total a
mit 0,08 ccm NaCl 0 ++ +++ +++
Kobragift und Hämolyse. II 455
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm
Nr. 0,04 0,06 0,08 0.10 Bilutart
16 ohne Salz 0 0 — — 2
mit 0,08 com NaCl 0 0 0 0
17 ohne Salz + +++ total total 2
mit 0,08 ccm NaCl + ++ +++ total
25 ohne Salz total total total total 7
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 +-+- total
26 ohne Salz + total total total
mit 0,08 eem NaCl 0 + + +++
27 ohne Salz total total total total S
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ total
28 ohne Salz total total total total m
mit 0,08 ccm NaCl bs ++ total total
29 ohne Salz 0 +
++ 0
mit 0,08 com NaCl 0 SE —
Von den 16 Versuchsserien war das Blut 11Imal empfind-
lich und 5mal unempfindlich gegen Kobragift. Von den 11 emp-
findlichen Blutsorten wurde in 6 Fällen (1, 7, 25, 26, 27, 28)
eine starke Hemmung des Kochsalzes, in 5 Fällen aber (5, 6,
8, 15, 17) eine weit geringere Hemmung (wenn überhaupt eine)
nachgewiesen. Von den 5 unempfindlichen bzw. wenig emp-
findlichen Blutsorten konnte 2mal eine Hemmung nachgewiesen
werden. In den übrigen 3 Fällen war das Kochsalz entweder
ohne Wirkung oder zeigte im Gegensatz eine befördernde.
Trotzdem also auch hier keine konstante Wirkung des Salzes
vorliegt, findet man doch, wenn man von dem wenig emp-
findlichen Blute absieht, überall sonst (mit einer Ausnahme,
Nr. 17) bei 0,04 com Kobragift eine vollständige Hemmung
durch das Salz und bei 0,06 ccm beinahe konstant eine Hem-
mung, obwohl diese in einigen Fällen (8, 15, 17) wenig aus-
gesprochen war. Besonders bei 0,08 und 0,10 ccm Kobragift ist
aber der hemmende Einfluß des Salzes nur ausnahmsweise zu
finden. Wir dürfen deswegen folgern, daß bei empfindlichem
Blute etwa 0,05 com Kobragift von 0,08ccm 1/, molarer NaCl-
Lösung im Gleichgewicht gehalten werden.
Für das Studium des Gleichgewichtes zwischen Gift und
Salz ist es aber notwendig, auch solche Versuche anzustellen,
in welchen das Gift konstant und die Salzquantität variabel
ist. Weiter mußte man auch mit größeren Salzquantitäten
arbeiten. Die Tabelle XI gibt hierüber einen Überblick.
456 I. Bang:
Tabelle XI.
Salzlösung in ccm
Blut ,
Nr. NaCl-Konzentration 0,04 0,06 0,08 0,10
3 1amolare lung +++ ++ ++ +
Yı n n ++ Zu — 0
5 1 y J total total total total
total +++ tt +
ZE EE total total +++ +++
Die Giftquantität war überall 0,1 com einer 0,1°/ igen
Lösung. Ein Vergleich der Tabellen X und XI wird das über-
einstimmende Ergebnis zeigen, daß man bei steigenden Gift-
mengen verhältnismäßig mehr Salz hinzufügen muß, um den-
selben Hemmungsprozeß zu erzielen. (Beim Blute Nr. 3, vgl.
Tabelle XI, hat die !/, molare NaCl-Lösung so gut wie keine
Wirkung.) Bei Blut Nr. 5 entsprachen 0,06 ccm Kobragift und
0,08 ccm 1/, molare NaCl-Lösung mäßiger Hämolyse (Tabelle X),
während 0,10 cem Kobragift 0,08 bis 0,10 ccm TI, molare Lösung
forderten. Beim Blut Nr. 7 ergaben 0,08 ccm Gift und 0,08 ccm
1/, molare NaCl-Lösung — +, während 0,10 ccm Gift und 0,10 ccm
1/ molare Lösung starke Hämolyse (+-+--+-) ergab.
Man konnte deswegen erwarten, daß, wenn mit steigenden
Mengen Gift die Progression des Salzes zur Beseitigung der Gift-
wirkung noch größer ist, man sehr bald zu einem Punkte kommen
müßte, bei welchem die Hämolyse durch Kobragift auch in
reiner isotonischer Kochsalzlösung stattfinden würde. Z.B. ent-
spricht in Versuch Nr. 5 0,08ccm TI. molare NaCl-Lösung in
2,2 ccm Mischung etwa 0,2°/, NaCl der ganzen Aufschwemmung.
Wenn diese schon von 0,1 ccm 0,1°/,iger Kobralösung stark
hämolysiert wird, dürfte 0,4 ccm Kobragift auch Blutkörperchen
in 0,8°/,iger NaCl-Lösung auflösen können. Der allgemeinen
Auffassung nach ist aber Rinderblut in NaCl-Lösung gegen
Kobragift ganz unempfindlich. Die Versuchsergebnisse sind
nicht mit größeren Versuchsfehlern behaftet, da sämtliche
Proben doppelt ausgeführt worden sind. (Übrigens wurde bei
Blut Nr. 5 noch eine Serie mit 0,05 ccm Kobragift und variieren-
den Quantitäten */,molarer NaCl-Lösung angestellt: 0,05 ccm
Kobragift und 0,08 ccm NaCl ergab hier +--+ und stimmt also
ganz mit Tabelle X überein.) Es wurden deswegen Versuche
mit noch größeren Kochsalzquantitäten angestellt. Giftquantität
= 0,10 ccm. NaCl = gesättigte Lösung.
Kobragift und Hämolyse. IL 457
Tabelle XII.
Blut NaCl (gesättigte Lösung) in ccm
Nr. 002 004 0,06 0,08
15 +o + — —
17 a 0 0 0
18 St 0 0 0
19 ++ 0 0
Diese sämtlichen Blutproben waren sehr empfindlich gegen
Kobragift. Trotzdem hier die NaCl-Konzentration in der Mischung
nicht größer ist als ca. 0,2°/, (= 0,02 ccm) wird doch bei
der Verwendung gesättigter Salzlösung die Hämolyse überall
beinahe vollständig unterdrückt, während bei den Blutsorten
Nr. 15 und 17 0,08 com Kobragift und 0,08 cem !/, molare NaCl-
Lösung (=0,11°/,) starke Hämolyse ergaben. Beim Blute
Nr. 5 war bei 0,2°/, NaCl noch starke Hämolyse vorhanden,
wenn 1/, molare NaCl-Lösung verwendet wurde, während bei
gesättigter Salzlösung dieselbe Salzquantität nur schwache Hä-
molyse ergab.
Besonders genau ist die Salzwirkung bei Blut Nr. 41 studiert
worden. Ich erlaube mir, die Ergebnisse anzuführen:
Tabelle XIII.
Kobragift Salzlösung in ccm
0,1 ccm 0,1°/,ige Lösg. 0,02 004 0,06 0,08 0,10
002 n hd NaCl-Lög. +— +++ ++ +o +
0,05 „ „+i » total total total +-—
0,10, „+ e tell, 80/0) total total total — Se
0,1 „1% + gesätt. „(=26%/,) total total total
Hier entspricht 0,05 ccm 0,1°/,iges Kobragift etwa 5 mgr
NaCl oder in der ganzen Mischung 0,20°/,; 0,10 ccm Kobragift
etwa 9 mg NaCl oder 0,36°/,. Vermehrt man aber die Kobra-
giftquantität um das 10fache, so ist die Grenze der kompletten
Hämolyse nur bis 10,4 mg oder 0,47°/, NaCl verschoben. Wir
kommen also bald zu einem Punkte, wo selbst durch
eine große Vermehrung des Giftes nichts mehr zu
erzielen ist. Bei den Blutsorten Nr. 38 und 39, wo der Rohr-
zucker durch 0,8°/,ige NaCl-Lösung ganz ersetzt wurde, erzielte
man auch durch 0,1 bis 0,2 eem 1°/,igen Kobragiftes keine Hä-
molyse, obwohl z. B. beim Blute Nr. 38 0,05 ccm 0,1°/,igen
Kobragiftes und 0,06 ccm !/, molaren NaCl-Lösung starke Hä-
molyse ergab (NaCl-Gehalt der Mischung = 0,15°/,).
Biochemische Zeitschrift Band 18, 30
458 I. Bang:
Beim Blute Nr. 41 entsprach 0,1 ccm 1°/,igen Kobragiftes
etwa 0,47°/, NaCl der Mischung. Man konnte deswegen erwarten,
daß man vielleicht bei Kochsalzblut Hämolyse erhalten würde,
wenn man statt 2ccm 5°/,iger Blutkörperchen 1 eem 10°/ iger
Blutkörperchen verwendete. Bei noch geringerer NaCl-Quantität
dürfte auch eine 0,1°/ ige Kobragiftlösung hämolytisch wirken.
Es wurden deswegen Rohrzuckerblutproben zentrifugiert und
mit 1,5 ccm, 1,0 ccm und 0,5 ccm 0,8°/,iger NaCl-Lösung ver-
setzt. Trotzdem hier nur 16 resp. 11 und 5 mg NaCl zugegen
waren, bewirkte 0,1 ccm 1°/,igen Kobragiftes keine Hämolyse.
Bessere Resultate erhielt man natürlich nicht mit der 0,1°/, igen
Lösung.
Wurden dagegen 0,06, 0,08 und 0,10 ccm 0,8°/,iger NaCl-
Lösung (aus Rohrzuckerblut dargestellt) mit Rohrzuckerlösung
auf 2ccm verdünnt, so bewirkte schon 0,1 ccm 0,1°/,iger Kobra-
giftlösung wieder Hämolyse.
Hieraus läßt sich folgern, daß nicht allein die absolute
NaCl-Quantität, sondern in erster Linie die Konzen-
tration des Salzes von wesentlicher Bedeutung ist.
Es fragt sich dann betrefis der Salzwirkung: Ist die Hem-
mung eine Kation-, Anion- oder reine Salzwirkung, und weiter:
Wird die Hämolyse durch Einwirkung auf das Gift, auf die
Blutkörperchen oder auf alle beide aufgehoben.
4. Die Hemmung des Salzes auf die Hämolyse des Rohr-
zuckerblutes ist eine Kationwirkung.
Die Untersuchungen zur Aufklärung dieser Frage wurden
in der bekannten Weise ausgeführt, daß einerseits Versuche
mit verschiedenen Salzen mit demselben Kation und auf der
andern Seite solche mit demselben Anion angestellt wurden.
Die Salzlösungen wurden in molarer bzw. Bruchteilen von mo-
larer Lösung verwendet. Zum Vergleiche wurden Versuche mit
Kochsalz angestellt. Hier wie überall wurde die Empfindlich-
keit des Blutes gegen Kobragift festgestellt.
Wir werden zuerst die Versuchsserien der Salze mit ge-
meinsamem Kation besprechen. Die Ergebnisse sind in Ta-
belle XIV zusammengestellt.
Kobragift und Hämolyse. II. 459
Tabelle XIV.
Blut Kobra- Salzlösung in ccm
Nr. gift com 0,02 0,04 0,06 008 0,10
5 0,05 +1/, mol NaCl - Lösg. total 444 ZE >
5 op Li „ NaSO, n Jp e E 0
5 0,05+1/; „ NasHPO, „ — F — 0
35 0,1 41, „ NaCl „ ++- total total n ze
35 0,1 41%, „ Bett „ total total ++
35 Ol Eia n Nat p FEH EE E
35 0,1 +1!/, „Seignettesalzisg. total
3 0,1 41), „ N&%HPO,-Le. total * Bi er Sr
35 0,1 41, „ KHCO, „ total total total total total
36 0,061 „ NaCl „ total e total + Sek
36 0,06 SC 1/ 2 n K,0r0, n Si GR
3 Ai Na A Her o o
36 0,0641/, „Seignettesalisg. +++ +++ ++ 0 0
36 0,06--1/, „NaHPO,-Leg. total total total total -++
36 0,06-+1/, „ KHCO, „ total total total total —+
Die Blutsorten Nr. 5 und 35 sind Kalbsblut, Nr. 36 Ochsen-
blut. Ähnliche Serien wurden bei den Blutsorten Nr. 32, 34,
38, 39, 90, 91, 92, 93, 94 und 95 angestellt. Die Ergebnisse
stimmten mit den angeführten überein.
Aus den Versuchen geht hervor, daß Phosphate und Carbo-
nate der Alkalien mit Natriumchlorid dieselben Ergebnisse liefern.
In anderen Versuchsserien zeigten sie eine etwas geringere
Hemmung. Das Acetat steht auch dem Chloride recht nahe.
Dagegen besitzen Seignettesalz und Chromat eine entschieden
größere Hemmungswirkung als Kochsalz. (Es sei erwähnt, daß
K- und Na-Salze übereinstimmen.) In anderen Versuchen wurde
versucht, die Proportion zwischen Chromat und Chlorid näher
festzustellen, wie z. B. im Blute Nr. 38.
Tabelle XV.
Blut Salzlösung in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
38 ii molare NaCl-Lösung total total total 0 d
3 1⁄4 » KCrO, „ total total + 0 0
Die Giftquantität war überall 0,06 ccm 0,1°/,iger Lösung.
Das Chromat besitzt infolgedessen ungefähr 4mal so große
Hemmungswirkung wie das Chlorid. Gegen diese Erklärung
liegt der Einwand nahe, daß das Chromat das Gift zerstört
habe, da bekanntlich das Gift von oxydierenden Substanzen
vernichtet werden soll. Aus diesem Grunde wird eben die Chrom-
30*
460 I. Bang:
säure zur Zerstörung des Giftes an der Bißstelle injiziert. Daß
jedenfalls diese Eventualität hier nicht in Betracht kommt,
wurde in der Weise bewiesen, daß eine weit größere Chromat-
menge keine Schutzwirkung bei Gegenwart von Lecithin
(Aandelspräparat) ausübt.
Die Versuche geben sonst keine ganz unzweideutige Ant-
wort. Wenn die Hemmungswirkung eine reine Kationwirkung
war, sollte man überall den gleichen Effekt gefunden haben.
War andererseits das Anion der wirksame Bestandteil, sollte
man jedenfalls nicht bei der schwachen Chromsäure die stärkste
Hemmung finden. Eben die Versuche mit Chromsäure, Seignette-
salz und Acetat sprechen aber entschieden für die Möglichkeit,
daß hier eine Kationwirkung vorhanden ist. Wahrscheinlich
hat also das Anion eine entgegengesetzte Wirkung. Dies wurde
auch durch die folgenden Versuche bestätigt, welche verschiedene
Kationen mit demselben (Cl) oder dem ungefähr gleich wirk-
samem (GO) Anion aufweisen.
Tabelle XVI.
Blut Kobragift Salzlösung in ccm
Nr. in ccm 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
92 0,1 1/, molare NaCl-Lösg. total total total —
92 0,1 1/3 »„ NaSO, „ total LEE ++ 0 d
92 0,1 la „ KO , total total total +—
92 01 Mio „n Cal, „ 0 0 0
92 01 Yo » Bal, „ 0 0 0
92 0,1 (ie „ MgSO, „ 0 d 0
In mehreren anderen Versuchen wurde !/ , molare MgSO,-
Lösung verwendet. Bei dem Blute Nr. 92 ergaben 0,01 ccm
BaCl, und CaCl, totale Hämolyse. Folglich entsprechen 0,04 ccm
TL molare NaCl-Lösung hier 0,01 ccm ?/,, CaCl,. Die Wirkung
des Kalkes wurde in zahlreichen Serien bestätigt.
Besonders instruktiv ist Blut Nr. 39.
Tabelle XVII.
Blut Kobragift Salzlösung in com
Nr. in ccm 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
39 0,05 1/ı molare NaCl-Lösg. total total -+++ 0 0
39 0,05 2 ew NaCl „ +-+- total 0 0 0
39 0,05 Yon Cal, „ — 0 0 0 0
39 005 go „ Al(SO3n, +++ 0 0 0 0
Aus diesem Versuche, welcher kontrolliert worden ist, geht
hervor, daß die Hemmungswirkung des dreiwertigen Al-Kations
Kobragift und Hämolyse. II. 461
6mal größer als die des zweiwertigen Ca-Kations und diese
60 mal größer als die Wirkung des einwertigen Na-Ions ist. Die
molare Konzentration ist beim Kochsalz etwa '/,., beim CaCl,
Hanne und beim Al,(SO,), */14000:
Aus den angeführten Versuchen geht also hervor,
daß die Hemmung der Salze eine Kationwirkung ist,
und daß die Wertigkeit der Kationen für diese Wir-
kung maßgebend ist.
Gehen wir jetzt zur Beantwortung der zweiten Frage über;
hier haben die Versuche folgende Antwort ergeben:
ö. Die Hemmungswirkung ist nicht gegen die Blut-
körperchen, wohl aber gegen das Gift gerichtet.
Die Versuchsanordnung war sehr einfach. Blutkörperchen in
Rohrzuckerlösung wurden zentrifugiert, die Zuckerlösung abge-
gossen und mit der Salzlösung ersetzt. Nach kürzerer oder längerer
Zeit wurde die Salzlösung entfernt und das Blut wieder in Rohr-
zuckerlösung aufgeschwemmt. Dies Blut zeigte genau dieselbe
Empfindlichkeit wie das ursprüngliche. Von den einwertigen
Kationen wurde nur Kochsalz verwendet. Von den zweiwertigen
Salzen wurden sowohl Ba- als Ca- und Mg-Salze benutzt. Diese
Versuche wurden derartig angestellt, daß variierende Salz-
quantitäten (wie oben) zum Rohrzuckerblut gesetzt wurden.
Nach Aufenthalt von einer Stunde im Thermostaten wurden die
Proben zentrifugiert und mit Kobragift und Rohrzucker versetzt.
Dann trat Hämolyse ein. Die Proben mit dreiwertigem Kation
(Alt*?) ergaben keinen guten Erfolg, indem schon ein kleiner
Zusatz selbst dann Hämolyse bewirkte, wenn die Blutkörperchen
in reine Rohrzuckerlösung übergeführt wurden.
Die erwähnten Versuche zeigen, daß die Blutkörperchen
durch Behandlung mit Salzlösungen nicht resistenter werden
als sonst. Die Hemmungswirkung der Salze ist demgemäß in
erster Linie nicht auf die Blutkörperchen gerichtet.
Damit ist aber wahrscheinlich gemacht, daß die Salzwirkung
gegen das Kobragift gerichtet ist. Zwei Möglichkeiten sind
hier denkbar. Entweder kann das Salz die Aufnahme des
Giftes durch die Blutkörperchen verhindern, oder aber die kobra-
giftbeladenen Blutkörperchen werden in Gegenwart der Salze
462 | L Bang:
nicht hämolysiert. Die Versuchsanordnung, welche zur Lösung
dieser Frage gemacht wurde, erforderte recht viele Vorarbeit.
Es war nämlich denkbar, daß in Übereinstimmung mit
den Verhältnissen bei dem immunisatorisch erzeugten Hämo-
lysin das Kobragift zwar in der Kälte von den Blutkörperchen
aufgenommen wurde, daß aber bei niedriger Temperatur dessen-
ungeachtet keine Hämolyse stattfinden konnte. Wäre dies der
Fall, so konnte man nach der Fixierung des Giftes untersuchen,
inwieweit dann eine Salzbehandlung das Kobragift herauslösen
konnte oder nicht. Würde das Gift herausgelöst, so war hiermit
bewiesen, daß die Salze die Fixierung desselben auf den
Erythrocyten hinderten.
Zuerst soll also festgestellt werden, ob das Kobragift
Rohrzuckerblut in der Kälte hämolysiert oder nicht. Es zeigte
sich, daß selbst sehr empfindliche Blutkörperchen jedenfalls im
Verlaufe von mehreren Stunden nicht im geringsten hämolysiert
wurden. Bei einem Blute (Nr. 43) wurden sogar erst nach
16 Stunden im Eisschrank die Blutproben beobachtet.
Tabelle XVIII.
0,1°/,iges Kobragift in com
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
1 St. 370, 16 St. Eisschrank 0 — ++- total total
16 St. Eisschrank 0 0 Kuppe Kuppe Kuppe
In der Kälte wird also Rohrzuckerblut nicht oder nach
längerer Zeit nur spurenweise aufgelöst.
Es fragt sich dann, ob das Gift überhaupt in der Kälte
aufgenommen wird. Bei den Versuchen hierüber ließ ich das
Gift eine Stunde in der Kälte auf das Blut einwirken, zentri-
fugierte das Blut und versetzte die Blutkörperchen mit 2ccm
Rohrzuckerlösung und den farblosen Abguß mit Blutkörperchen
aus 2ccm Rohrzuckerblut. Die Mischungen kamen dann nach
Schütteln wie gewöhnlich 1 Stunde in den Thermostaten und
nachher 16 Stunden in den Eisschrank. Ich führe einige Ver-
suche hier an. Zum Vergleich sind die gewöhnlichen Rohr-
zucker-Kobraproben angeführt.
Kobragift und Hämolyse. II. 463
Tabelle XIX.
Blut 0,1%/,iges Kobragift in ocom
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
41 Rzblut total total total total total
Bl, + Rz total total total total total
Abguß + Bl, Ss Sek ër Eeer Ee
44 Rzblut 0 0 total total total
Bl, + Rz o 0 + ++ +++-
Abguß — Bl, 0 0 0 0 0
45 Rzblut 0 0 total total total
Bl, + Rz 0 0 +++ total total
Abguß + Bl, 0 A 0 0 0
51 Rzblut 0 0 0 0 ++
Bl, + Rz 0 0 0 + +-+
Abguß + BL 0 0 0 0 0
53 Rzblut 0 0 0 0 total
Bl, + Rz 0 0 0 0 0
Abguß + BL 0 0 0 0 0
Bl, = die mit Kobragift in der Kälte digerierten Blutkörperchen.
Rz = Rohrzuckerlösung (2ccm). Bl, = neue Blutkörperchen aus 2 ccm
Rohrzuckerblut. Rzblut — Rohrzuckerblut.
Aus den Versuchen geht hervor, daß Kobragift in der
Kälte von den Blutkörperchen aufgenommen wird, ohne daß
Hämolyse auftritt. Hieraus läßt sich die wichtige Folgerung
ziehen, daß die Aufnahme des Giftes nicht an sich Hämolyse
bewirkt, sondern daß später gewisse Umsetzungen mit Gift und
Blutkörperchenbestandteilen behufs Hämolyse stattfinden müssen.
Das Gift wird weiter nicht vollständig aufgenommen, son-
dern verteilt sich auf Blutkörperchen und Flüssigkeit. Die
empfindlichsten Blutkörperchen nehmen wahrscheinlich mehr
Gift auf als die weniger empfindlichen. Bei den unempfindlichen
wird überhaupt nichts oder nur sehr wenig Gift fixiert, da
auch nicht nach Zusatz von „Lecithin“ Hämolyse eintritt.
Auf der anderen Seite kann man die beladenen Blutkörperchen
mit Rohrzuckerlösung wiederholt ohne Giftverlust auswaschen.
Der zweite Abguß enthält keine Spur von Kobragift (auch mit
Lecithin keine Hämolyse).
Nachdem wir also gefunden haben, daß empfindliches Blut
in der Kälte das Kobragift ohne Hämolyse aufnehmen kann,
ist hiermit die Möglichkeit gegeben festzustellen, inwieweit das
Gift durch Salze aus beladenen Blutkörperchen entfernt wer-
den kann.
464 L Bang:
Beim Blute Nr. 49 wurden Blutproben mit Kobragift in
der Kälte (1 Stunde im Eisschrank) digeriert und die Lösung
abzentrifugiert. Die Blutkörperchen wurden mit 0,9°/, NaCl-
Lösung behandelt und diese nach einigem Umschütteln ab-
zentrifugiert. Die Blutkörperchen in Rohrzuckerlösung mit
„Lecithin‘ wurden wie gewöhnlich in den Thermostaten ge-
stellt usw. Keine Hämolyse. Die abzentrifugierte Kochsalzlösung
mit neuen Blutkörperchen und „Lecithin‘“ wurde vollstänfiig
hämolysiert.
Ganz überzeugend ist auch der folgende Versuch.
Tabelle XX.
Blut Kobragift in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
45a Rzblohen+Rz 0 — ++ total total
45a Abguß-+-Bichen 0 0 0 0 0
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10ccm = NaCl-Lögg.
45b Rzblut—+0,1Kobra total total 4 0 0
45c Rzblchen+.0,1Kobra
Rz 0 0 0 0
+ 0
450 Abguß+Bicken ++ ++ +— 0 0
a Rzblut mit Kobragift 1 Stunde im Eisschrank zentrifugiert Blchen
FL Rz, Abguß + neue Bichen. c Rzblut mit 0,1 Kobra + „0,02 — 0,10“ ccm
7 NaCl-Lösung wie a behandelt.
Der Abguß c bedingt beinahe ebenso starke Hämolyse wie
das b-Blut oder mit anderen Worten, das Gift ist bei der
Gegenwart von NaCl nicht fixiert worden. Die Serie a zeigt,
daß Rzblut währene einer Stunde viel Gift aufgenommen hat.
In einem Versuche wurde NaCl-Rzblut mit Kobragift di-
geriert und die aufgenommene und in Lösung gebliebene Gift-
menge durch „Lecithin‘ bestimmt. Während der Abguß mit
neuen Blutkörperchen überall starke Hämolyse ergab, wurde bei
den Blutkörperchen nur eine Spur bzw. schwache Hämolyse ge-
funden, und wenn die Blutkörperchen einmal mit Rohrzucker-
lösung ausgewaschen wurden, trat keine Hämolyse mehr ein (bei
0,10 ccm Gift jedoch ziemlich starke Hämolyse, was beweist,
daß doch etwas, obwohl wenig Gift aufgenommen wurde).
NaCl-Rzblut mit Kobragift gab überall 0.
Es kann also kein Zweifel darüber sein, daß das Kochsalz
das beladene Gift wieder herauslöst. (Ich habe auch mehrere Ver-
Kobragift und Hämolyse. IL 465
suche über diese Wirkung des Kochsalzes ausgeführt, stehe aber
von der Publikation ab, da die angeführten Versuche beweisend
sind.) Andere Salze verhalten sich ebenso.
Tabelle XXI.
Blut Kobralösung in ccm
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
82a Bichen + Rz +0,05 L +++ total total total
82a Abguß + Bichen + 0,05L 0 0 0 0
82b Bichen + Rz + 0,05 L 0 0 0 Kuppe
83a Blehen + Rz — e — total
83b Bichen—+ Rz = +
83b Abguß-+- Bichen 4 0,05 L + — m ++ —
82a — Rzblut 1 St. mit Gift im Eisschrank, zentrifugiert usw.
82b = Rzblut mit Kobra im Eisschrank, einmal mit Chromatlösung
ausgewaschen und mit Rohrzuckerlösung aufgefüllt. 83a Rzblut mit
Kobra im Eisschrank usw. 83b Rzblut mit Kobra im Eisschrank mit
Rohrzuckerlösung - O, Leem Soda (1°/,) digeriert. Bichen + Rz. Abguß
nach kurzer CO,-Durchleitung mit Blchen und „Lecithin“ (L) versetzt.
Kontrolle = 0.
Wir sehen also, daß alle untersuchten Salze — Ca-Salze
verhalten sich wie Kochsalz — das Gift ausgezogen haben.
Dies hat von einem anderen Gesichtspunkt Interesse. Als
Gegengift bei Vergiftungen durch Schlangen wurde das Ammoniak
schon im 18. Jahrhundert als eines der sichersten Mittel ge-
rühmt und wird auch in neuerer Zeit zur innerlichen und
lokalen Anwendung an der Bißstelle empfohlen (Faust). Nach
Faust soll es auch in manchen Fällen nützlich sein. Es liegt
nahe, diese entgiftende Wirkung mit der Schutzwirkung der
Salze auf Blutkörperchenhämolyse zu vergleichen. Ebenfalls
läßt sich die Schutzwirkung der Chromate ungezwungen in
derselben Weise erklären.
II.
Wir haben bis jetzt verschiedene Verhältnisse beim Rohr-
zuckerblut studiert und haben überall das Blut direkt mit
Zuckerlösung behandelt. In dem folgenden Abschnitte
werden wir uns hauptsächlich mit Blut beschäftigen, welches
zuerst mit physiologischer Kochsalzlösung behandelt
worden ist und nachher in Rohrzuckerlösung über-
geführt wurde. Solches Blut soll mit dem Namen NaCl-
Rzblut bezeichnet werden.
466
L Bang:
Man konnte a priori denken, daß solches Blut keinen
Unterschied gegenüber gewöhnlichem Rohrzuckerblut (Rzblut)
zeigen könnte und die Überraschung des Verfassers ist ver-
ständlich, als sich große Unterschiede zwischen beiden zeigten.
Das NaCl-Rzblut ist deswegen eingehend studiert worden. Der
Gegensatz zwischen NaCl-Rzblut und Rzblut geht aus der fol-
genden Übersichtstabelle sehr deutlich hervor. |
Blut
Nr.
15 Rzblut
15 NaCl-Rzblut
17 Rzblut
17 NaCl-Rzblut
18 Rzblut
18 NaCl-Rzblut
19 Rzblut
19 NaCl-Rzblut
25 Rzblut
25 NaCl-Rzblut
26 Rzblut
26 Na0l-Rzblut
28 Rzblut
28 NaCl-Rzblut
31 Rzblut
31 NaCl-Rzblut
32 Rzblut
32 NaCl-Rzblut
32 NaCl-Rzblut
34 Rzblut
34 NaCl-Rzblut
35 Rzblut
35 NaCl-Rzblut
40 Rzblut
40 NaCl-Rzblut
41 Rzblut!)
41 NaCl-RzBlut
42 Rzblut?)
42 NaCl-Rzblut
44 Rzblut
44 NaCl-Rzblut
Tabelle XXII.
Giftlösung in oom
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
+ +++ +++ +++
0 0 0 0
+- +--+} total total
0 0 0 0
o Ak HHH ki
0 0 0 — —
+++ total total total total
0 0 0 0 0
0 ++ total total total
0 0 0 0 0
0 4 total total total
0 0 0 0 0
+4- total total total total
0 0 0 0 0
0 0 total total total
0 0 0 0 total
0 E total total total
0 0 0 0 0
0 0 0 0 0
++ +++ total 0 total
0 0 0 total total
000 Ett kt
0 0 0 0 total
0 +++ +4+4— total total
0 0 0 0 0
total total total total total
0 0 0 0 0
++ — total total total total
0 0 0 0 0
0 0 total total total
0 0 0 0 0
Die angeführten Versuche zeigen, daß das NaCl-Rzblut nur
ausnahmsweise (bei 15 Blutsorten nur 3mal bei 0,1 ccm Kobra)
1) Kontrolle =
—
2) Kontrolle = EL
Kobragift und Hämolyse. II. 467
von Kobragift hämolysiert wird und daß also ein sehr präg-
nanter Unterschied zwischen Rohrzuckerblut und NaCl-Rzblut
besteht, da das Rzblut überall sehr empfindlich war. Beim
unempfindlichen Rzblut war NaCl-Rzblut ebenfalls refraktär.
Es fragt sich dann natürlich, ob der früher formulierte
Satz, daß das Salz auf das Gift und nicht auf die Blutkörper-
chen einwirkt, unrichtig ist. Es ist also notwendig, neues
Tatsachenmaterial vorzubringen, und da der einzige Unterschied
gegenüber den früheren Versuchen darin besteht, daß hier das
Blut gleich mit NaCl-Lösung versetzt wurde, während früher
das Blut zuerst mit Rohrzuckerlösung behandelt wurde, hat
man also die Frage zu berücksichtigen, inwieweit dieser Unter-
schied für die Anderung der Empfindlichkeit maßgebend ist.
Hiermit ist auch die Versuchsmethodik gegeben.
Tabelle XXIII.
Blut 0,1°/,iges Kobragift in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
17 Rzblut + —+-4-2 total total
17 NaQl-Rzblut d 0 d 0
17 Rz-NaCl-Rzblut ++ ++ total total
26 Rzblut 0 + total total total
26 NaCl-Rzblut 0 0 d 0 0
26 Rz-NaCl-Rzblut d d total total total
28 Rzblut | EL total total total total
28 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0
28 Rz-NaCl-Rzblut + total total total total
30 Rzblut — total total total total
30 Rz-NaCl-Rzblut 0 +-+ total total total
Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß das Kochsalz
an sich nicht die betreffende Resistenz der Blukörperchen im
NaCl-Rzblut bewirkt hat, da Rzblut bei Behandlung mit
Kochsalz seine Empfindlichkeit unverändert beibehält. Wir
haben dann zwei Möglichkeiten zu berücksichtigen: 1. Die
Rohrzuckerlösung ist, obwohl isotonisch, vielleicht kein indiffe-
rentes Medium, oder 2. die primäre NaCl-Behandlung läßt im
Gegensatz zur sekundären NaCl-Behandlung die Blutkörperchen
nicht unverändert. Die erste Möglichkeit liegt unzweifelhaft
am nächsten. Denn auf der einen Seite haben wir ja gesehen,
daß die Blutkörperchen beim Stehen in Rohrzuckerlösung ver-
468 L Bang:
ändert werden, und es wäre dann ganz plausibel, daß auch
andere Änderungen gleich eintreten können. Wir wissen doch
nach Gürbers Untersuchungen, daß die Blutkörperchen der
meisten Tiere sich direkt in Rohrzuckerlösung auflösen und die
Empfindlichkeit des frischen Rohrzuckerblutes vom Rind gegen-
über Kobragift dürfte dementsprechend vielleicht das erste
Stadium zur spontanen Hämolyse (welche bisweilen vorkommt),
darstellen. Anderseits wäre schwer begreiflich, warum die se-
kundäre NaCl-Behandlung des Rohrzuckerblutes keinen Erfolg
bietet. Allerdings konnte die primäre NaCl-Behandlung eine
gewisse „Gerbung‘‘ der Blutkörperchen bewirken, welche aber
natürlich nicht stattfinden könnte, wenn die deletäre Rohr-
zuckerwirkung vorangegangen war. Das genauere Studium ergab
aber für eine solche Auffassung keine Stütze, zeigte vielmehr
im Gegenteil folgendes:
1. die primäre NaCl-Behandlung ist für die Unempfind-
lichkeit der Blutkörperchen verantwortlich.
Die Tatsache, daß das NaCl-Rzblut sich refraktär gegen-
über Kobragift verhält, gab zu der Untersuchung Veranlassung,
inwieweit die Verhältnisse bei der Kobragifthämolyse mit den-
jenigen des immunisatorisch erzeugten Hämolysins überein-
stimmten. Nach den Untersuchungen von Girard-Mangin
und Henri und Sachs und Teruuchi soll das Komplement
allein Rohrzuckerblut auflösen, während Kochsalzblut die Gegen-
wart von Immunkörpern erfordert. Da nun der gewöhnlichen
Auffassung nach das Kobragift die Rolle des Komplements
spielt (mit „Lecithin“ als Immunkörper), war es denkbar, daß
in der Tat die unempfindlichen mit NaCl-behandelten Blutkörper-
chen durch den Immunkörper die ursprüngliche Empfindlich-
keit wieder erwerben können, in dieser Beziehung also dem Rohr-
zuckerblut gleichstehen.
Beim Blut Nr. 18 wurden deswegen Proben von 2ccm
NaCl-Blut mit 0,05 ccm Immunserum 1 Stunde bei 37° be-
handelt, zentrifugiert und mit Rohrzuckerlösung bis 2ccm auf-
gefüllt. Die Proben wurden dann mit 0,08 ccm bzw. 0,10 ccm
0,1°/ igem Kobragift versetzt usw. Beide Proben wurden voll-
ständig hämolysiert, während, wie aus Tabelle XXII er-
sichtlich, das betreffende NaCl-Rzblut gegen Kobra-
gift absolut refraktär war.
kee at”
DA,
Wen"
Kobragift und Hämolyse. II. 469
Unsere Vermutung war also glänzend bestätigt worden und
die Ergebnisse sind sowohl für die Auffassung der Kobragift-
hämolyse als auch für die Wirkungsweise des Immunkörpers
bei der Komplementärhämolyse von größter Bedeutung.
Fortgesetzte Untersuchungen ergaben aber etwas anderes.
Wider Erwarten zeigten sich immunkörperbeladene Blut-
körperchen in Kochsalzlösung gegen Kobragift refraktär,
während sie hier vom Komplement aufgelöst wurden, wie Versuche
mit Blut Nr. 20 (und 21) zeigten: 2ccm NaCl-Blut -+ 0,05 ccm
bzw. 0,10 ccm Immunserum nach 1 Stunde bei 37° zentrifugiert,
dekantiert, mit NaCl-Lösung aufgefüllt und mit 0,1 com Kobra-
giftlösung versetzt: keine Hämolyse. Dagegen ergab 0,05 ccm
Immunserum -+ 0,3 Normalserum totale Hämolyse desselben
Blutes. Versuch Nr. 21 bestätigte das Ergebnis. Das Immun-
serum hatte also die Empfindlichkeit des NaCl-Rzblutes re-
generiert. Dagegen war die Wirkung bei der Kobragifthämolyse .
sicher von derselben bei der Komplementärhämolyse verschieden
und es fragt sich dann zunächst, ob diese Wirkung nur dem
Immunserum zukommt, oder ob auch andere Sera dieselbe
Eigenschaft besitzen. Beim Blut Nr. 23 wurde Schweineserum
hierzu verwendet. a = Rzblut, b = NaCl-Rzblut, ce = 25 ccm
NaCl-Blut mit 4 ccm Schweineserum 1 Stunde digeriert, zentri-
fugiert, mit Rohrzuckerlösung ausgewaschen und auf 25 ccm
damit ausgefüllt.
Tabelle XXIV.
Blut 0,10°/ iges Kobragift in ccm
Nr. 0,02 004 006 0,08 0,10
a 0 — + total total
b 0
c — — total total total
Schweineblutserum war also ebenso wirksam wie Immun-
serum.
Es blieb noch übrig, festzustellen, ob auch Rinderserum
dieselbe Fähigkeit besitzt. Beim Blut Nr. 22 wurden 100 ccm
NaCl-Blut mit 3 ccm des eigenen Serums versetzt und nach
3!/, Stunden in Rohrzuckerlösung übergeführt; bei den Blut-
sorten Nr. 27 und 28, 25 NaCl-Blut 4 2 Serum usw.
470 L Bang:
Tabelle XXV.
Blut 0,1°/,iges Kobragift in com
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0.10
22 Rzblut 0 — +++ +++ total
22 NaCl-Rzblut 0 0
22 NaCl-Ser.-Rzblut — ++ +++ total total
27 Rzblut 0 total total total total
27 NaCl-Rzblut 0 0 0 + ++
27 NaCl-Ser.-Rzblut ++ total total total total
28 Rzblut!) ++ +++ total total total
28 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 +++
28 NaCl-Ser.-Rzblut 0 0 +++ -+-+-+ total
Aus den Versuchen geht ganz unzweideutig hervor, daß
Kochsalzblut nach Überführung in eigenes Serum dieselbe Emp-
findlichkeit wiedergewinnt, wie das ursprüngliche Blut. Die
Inaktivierung durch NaCl ist also reversibel. Hiermit
ist bewiesen, daßdie Empfindlichkeit des Rohrzucker-
blutes keiner sekundären Veränderung des Blutes ent-
spricht, sondern daß das Kochsalz für die Inaktivie-
rung verantwortlich ist. Hieraus läßt sich aber weiter
die Folgerung ziehen, daß Kochsalzblut nicht dem
lebendigen Blute entspricht. Und folglich istesnicht
erlaubt, die Erfahrungen, die man an solchem Blut
gemacht hat, ohne weiteres auf die Verhältnisse des
zirkulierenden Blutes direkt überzuführen, wie es be-
kanntlich besonders in der Immunitätslehre bis jetzt
überall geschehen ist.
Es fragt sich weiter, welcher Bestandteil des Normalserums
die Realitivierung bedingt. Weitgehend hängt hiermit die Frage
zusammen, wodurch die Inaktivierung durch das Kochsalz be-
dingt ist. Meine Untersuchungen hierüber haben folgende Ant-
wort gegeben:
2. Die Reaktivierung des Kochsalzblutes ist eine Wir-
kung der Serumsalze und die Inaktivierung durch Kochsalz
eine Wirkung des Säurekomponenten.
Wenn Normalserum eine Reaktivierung bewirkt, hat man
zuerst an das Komplement zu denken. Beim Blute Nr. 23
wurden Proben mit gewöhnlichem, und durch Erhitzen inakti-
viertem Kalbsserum angestellt. Da hier keine Unterschiede zu
1) 24 Stunden altes Blut genommen.
—
Kobragift und Hämolyse. II. 471
finden waren, konnte man von einer Wirkung des Komplements
absehen.
Von den übrigen Serumbestandteilen nahm ich zuerst die
Salze zur Untersuchung heraus. Es wurden zahlreiche Versuchs-
serien mit vielen verschiedenen Salzen angestellt, hauptsächlich
bei den Blutsorten 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38 und 39.
Da sämtliche Versuche völlig übereinstimmende Resultate er-
gaben, brauche ich sie nicht alle anzuführen. In allen Ver-
suchen wurde das ursprüngliche Blut mit den betreffenden
isotonischen Salzlösungen versetzt und später in Rohrzucker-
lösung übergeführt. Hieraus läßt sich ersehen, welche Salze
eine Inaktivierung bewirkten. In der folgenden Tabelle
führe ich drei Versuche mit Blut von verschiedener Empfind-
lichkeit an.
Tabelle XXVI.
Blut 0,1 °/,iges Kobragift in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
31 Rzblut 0 0 total total total
dl NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0
31 KNO,-Rzblut 0 d 0 0 total
31 K,SO,-Rzblut 0 0 0 0 0
31 NaA-Rzblut 0 0 0 0 total
31 KNaT-Rzblut 0 total total total total
31 Na,HPO,-Rzblut 0 total total total total
31 KHCO,-Rzblut 0 total total total total
31 K,CrO,-Rzblut 0 total total total total
32 Rzblut 0 4 total total total
32 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0
32 KNO,-Rzblut 0 0 0 0 0
32 K,SO,-Rzblut 0 0 0 d +
32 NaA-Rzblut 0 0 0 0 0
32 KNaT-Rzblut — total total total total
32 Na,HPO,-Rzblut total total total total total
32 KHCO,-Rzblut — total total total total
32 K,C,0,-Rzblut — total total total total
33 Rzblut 0 0 -+ +- ++
33 NaCl-Rzblut 0 0 0 total 0
33 KNO,-Rzblut 0 0 0 0 0
33 K,SO,-Rzblut 0 0 0 0 0
33 NaA-Rzblut 0 0 0 0
33 Na,HPO,-Rzblut + total total total total
33 KHCO,-Rzblut 4 total total total total
33 K,CrO,-Rzblut 0 0 0 total total
33 KNaT-Rzblut 0 0 0 total total
472 I. Bang:
Die Kontrollen waren überall negativ.
Aus den angeführten Serien geht sehr überzeugend her-
vor, daß alle Salze der starken Säuren und der Essig-
säure Inaktivierung bewirken, während die Salze der
schwachen Säuren, wie Kohlensäure, Chromsäure und
Phosphorsäure keine Inaktivierung, eher aber das ent-
gegengesetzte verursachen. Einen scheinbaren Unterschied
macht die Weinsäure, welche zwar eine stärkere Säure als
Essigsäure ist, aber trotzdem im Gegensatz zur Essigsäure als
Seignettesalz keine Inaktivierung hervorruft. Man muß sich
aber hierbei erinnern, daß die beiden Säuregruppen gesättigt
sind. Interessant ist in dieser Beziehung, daß Mononatrium-
phosphat eine Inaktivierung bewirkt, während das Dinatrium-
phosphat dagegen die Empfindlichkeit eher vergrößert. `
Im ersten Abschnitte, Tabelle XIV, haben wir die Ein-
wirkung von verschiedenen Salzen auf Rohrzuckerblut stu-
diert und gefunden, daß z. B. das Chromat und Seignettesalz
eine starke Hemmung der Hämolyse ausüben, wenn sie in kleiner
Menge hinzugefügt wurden, während Kochsalz, die Nitrate, Sulfate
und zum Teil die Acetate der Alkalien eine weit geringere
Hemmungswirkung ausübten. Tabelle XV zeigte, daß die
Hemmung des Chromates etwa viermal größer war als diejenige
des Kochsalzes. Hier begegnen wir dem damit diametral ent-
gegengesetzten Verhältnis. Also: zum Rohrzuckerblut hinzu-
gefügt, wirkt Chromat viel stärker hemmend als Kochsalz, zum ur-
sprünglichen Blute hinzugesetzt und später abzentrifugiert, ist
Kochsalz viel wirksamer als Chromat, welch letzteres die Emp-
findlichkeit sogar erhöht. Diese Tatsachen sind durch zahl-
reiche Kontrolluntersuchungen festgestellt und Versuchsfehler
sind demgemäß ausgeschlossen. Auch nicht die verschiedene
Empfindlichkeit des Blutes kann hierfür verantwortlich gemacht
werden, da in mehreren Versuchsserien bei einem und dem-
selben Blute sowohl Rohrzuckerblut mit den Salzen zusammen
als auch Blut nach vorangegangener Behandlung mit Salzlösungen
und folgender Überführung in Rohrzuckerlösung dargestellt und
untersucht wurden. Beim Blute Nr.33 sind solche Serien aus-
geführt worden. Zum Vergleich der Ergebnisse in Tabelle XXVI
sind die Resultate hier zusammengestellt.
— — — — —
Kobragift und Hämolyse. II. 473
Tabelle XXVII.
Blut Kobragift Salzlösung in ccm
Nr. incom 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
33 0,1-+1/, molare NaCl-Lös. total total +-+ +++ ui:
3 O0l+1 » Bet „ SE — 0
3 0141, „ Kar, „ 0 e
33 0,1+!/, » Seign.-Salz , — PEN -+ 5 0 0
33 0,1 + 1/2 „NaHPO, „ total total total total total
33 0141, „ KHCO, „ total total total total total
Kontrolle = 0.
Der Gegensatz zwischen K,SO, und K,CrO, tritt hier
scharf hervor. In Tabelle XXVI war K,SO,-Rzblut inaktiv,
während K,CrO,-Rzblut sehr empfindlich sich erwies.
Die nächste Aufgabe war, zu untersuchen, inwieweit eine
folgende NaCl-Behandlung z. B. des Chromatblutes, eine ln-
aktivierung bewirkte, oder ob das Chromatblut sich in dieser
Beziehung wie Rohrzuckerblut verhält. In Tabelle XXIII haben
wir ja gesehen, daß eine präliminäre Rohrzuckerlösung die In-
aktivierungswirkung der folgenden Kochsalzlösung verhindert.
Solche Untersuchungen sind zweimal ausgeführt worden. Ich
führe sie hier an.
Tabelle XVIII.
Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
35 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 total
Chromat-NaCl-Rzblut 0 total total total total
36 NaCl-Rzblut 0 0 0 -H 0
Chromat-NaCl-Rzblut total total total total total
Eine voraufgehende Behandlung mit Chromatlösung hebt eben-
so wie Rohrzucker die inaktivierende Wirkung des Kochsalzes auf.
Es fragt sich dann weiter, ob Chromat und ähnlich wirkende
Salze das von Kochsalz inaktivierte Blut wieder zu reaktivieren
vermögen, wie dies mit Serum der Fall war.
Tabelle XXIX.
Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
28 NaCl Bun 0 0 0 d 0
NaCl ent 1) total total total total total
62 en pi ar total total total total total
63 NaCl-Phosphat-Rzblut 0 0 total total total
71 NaCl-Chromat-Rzblut 0 0 0 ++
NaCl-Soda-Rz-Rzblut?) +++ total total total
NaCl-Soda-NaCl-Rzblut 0 0 +-+ total
1) NH, = 0,02 oom 5°/,ige Lösung; Kontrolle = 0.
2) Kontrolle = 0.
3) 0,1 ccm 1°/,iger Sodalösung ; Kontrolle = 0.
Biochemische Zeitschrift Band 13. 31
474 I. Bang:
Die Alkalisalze der schwächeren Säuren besitzen also das-
selbe Vermögen der Reaktivierung wie das Serum selbst; und
einmal reaktiviert, wird das Blut nicht wieder von Kochsalz
inaktiviert. Dasselbe war nach Behandlung mit Serum der
Fall. Da nun weiter Serum tatsächlich solche Salze, in
erster Linie Natriumcarbonat enthält, ist hiermit
jedenfalls hauptsächlich die reaktivierende Wirkung
des Serums erklärt worden. In gewissen Fällen bewirken
die Salze jedoch keine Empfindlichkeit gegen Kobragift (wenn
das Blut überhaupt refraktär ist, kommt dies ausnahmsweise
vor). In solchen Fällen ist auch das Serum ohne eine
Wirkung.
Die reaktivierende Wirkung der Salze ist also als eine
Kation- oder Alkaliwirkung definiert worden. Da die freien
Alkalien dieselbe Wirkung besitzen, ist die letzte Erklärung
die richtige, wie auch später exakt bewiesen werden soll. Die-
selbe reaktivierende Wirkung kommt auch den Erdalkalien zu.
Diese reaktivierende Wirkung des Alkalis bzw. der wirk-
samen Salze ist also scharf von der Hemmungswirkung dieser
Salze auf die Kobragifthämolyse zu trennen. Im ersten Falle
findet eine Einwirkung auf die Blutkörperchen statt, im letzten
ist die Wirkung gegen Gift gerichtet. Z.B. ist Chromat-Rz-
Blut (sc. Blut mit Chromatlösung digeriert und in Rohrzucker-
lösung übergeführt) empfindlich. Trotzdem wird die Hämolyse
solchen Blutes durch Kobragift von kleinen Quantitäten Kalium-
chromat verhindert.
Ill.
In den zwei vorhergehenden Abschnitten haben wir die
Wirkung von verschiedenen Salzen auf die Hämolyse von Rohr-
zuckerblut mit Kobragift kennen gelernt. Es steht aber das
wichtigste zurück : eine exakte Erklärung dieser Erscheinungen,
welche uns zugleich einen Überblick über das Wesen der Gift-
wirkung selbst verschaffen und vielleicht auch die variable
Empfindlichkeit des Rohrzuckerblutes gegenüber Kobragift ver-
ständlicher machen kann.
Wir haben hierbei folgende Verhältnisse zu berücksichtigen:
L Die inaktivierende Wirkung einiger Salze. 2. Die reakti-
vierende Wirkung anderer Salze, bzw. der Alkalien und 3. die
— —
~- <- -ag ~ .
Kobragift und Hämolyse. II. 475
Hemmungswirkung der Salze. 4. Die variable Empfindlichkeit
des frischen Rohrzuckerblutes. 5. Die Inaktivierung des Rohr-
zuckerblutes beim Stehen.
1. Die inaktivierende Wirkung von Salzen.
Wie bekannt enthält sowohl venöses wie auch arte-
rielles Blut regelmäßig Kohlensäure, welche zwischen Plasma
und Blutkörperchen verteilt ist. Sie ist teils physikalisch ab-
sorbiert, teils chemisch gebunden, und zwar als dissoziable Ver-
bindung.
Bei Verdünnung und Auswaschen der Blutkörperchen mit
Rohrzuckerlösung fängt augenblicklich die physikalisch absor-
bierte ebenso wie die leicht dissoziable chemisch gebundene
Kohlensäure an fortzudiffundieren. Ist der Kohlensäure-
gehalt wie im arteriellen Blute nur gering, so wird die Diffusion
bald beendet. Bei dem größeren CO,-Gehalt des venösen Blutes
erfordert die Diffusion viel längere Zeit und die CO,-beladenen
Blutkörperchen werden agglutiniert. Mit der mehr oder weniger
vollständigen Fortdiffusion der CO, tritt Deglutination ein.
Werden die CO,-beladenen Blutkörperchen in Salzlösungen auf-
geschwemmt, so diffundiert auch hier die CO, fort, wird aber von
der betreffenden Säure des Salzes ersetzt, und die Blutkörperchen
werden demgemäß mit einer äquivalenten Menge der reinen
Säure beladen, wie aus den Untersuchungen von Hamburger
u. a exakt hervorgeht. Wenn aber die Blutkörperchen durch
Behandlung mit Rohrzuckerlösung die gesamte oder fast die
gesamte Kohlensäure schon verloren haben, nehmen sie selbst-
verständlich nach Überführung in Salzlösung keine neue Säure
auf. Es ist ferner ganz klar, daß eine Säurebeladung nur dann
stattfinden kann, wenn die Säure überhaupt permeabel ist und
weiter wenn kein Überschuß von Alkali der Außenflüssigkeit
vorliegt.
Bei alkalisch reagierenden Salzen wird die CO, einfach
von dem überschüssigen Alkali aufgenommen, und hier braucht
keine entsprechende Säuremenge frei gemacht zu werden. Bei
den normalen Salzen der mehrwertigen Säuren wird auch
nicht oder nur zum geringsten Teil eine Säure gebildet, wenn
die Kohlensäuremenge nicht sehr groß ist; und beim Chromat
31*
476 I. Bang:
bildet sich aus dem 2 K,CrO, -+ CO, = K,Cr,0, + K,C0,. Es
ist also klar, daß solche Salzlösungen sich wie Rohrzucker-
lösung verhalten müssen. (Die Verhältnisse sind hier mit Ab-
sicht etwas schematisch dargestellt, da es in erster Linie wichtig
ist, über die prinzipiellen Verhältnisse klar zu werden. Tat-
sächlich ist aber der Kohlensäuregehalt sehr variabel, und
quantitative Verhältnisse spielen selbstverständlich eine nicht
zu unterschätzende Rolle, welche die Ergebnisse etwas weniger
prägnant machen können. Z. B. habe ich ausnahmsweise
(vgl. die Tabellen) Blutsorten gefunden, welche nicht von
Kochsalzlösung inaktiviert wurden. Solches Blut kann jeden-
falls nur Spuren von Kohlensäure enthalten. — Anderseits
kommt es bei größerem CO,-Gehalte vor, daß so viel CO, per-
sistiert, daß auch eine sekundäre NaCl-Behandlung inaktivierend
wirkt. Dies ist beim venösen Ochsenblut immer, beim Kalbs-
blut ausnahmsweise der Fall.!) In diesen Fällen verhindert
aber eine vorgehende Chromatbehandlung die NaCl-Wirkung:
Aus Chromatlösung diffundiert die CO, schneller fort.)
Aus diesen allgemeinen Bemerkungen über die Wirkung
der Salze auf Blutkörperchen geht schon mit erwünschter Deut-
lichkeit hervor, in welcher Richtung wir die inaktivierende Wirkung
derselben auf die Empfindlichkeit des Blutes gegen Kobragift
zu suchen haben. Und die Versuchsmethodik ist hiermit auch
gegeben: wenn der ursprüngliche CO,-Gehalt für die Salzwirkung
maßgebend ist, muß eine neue Beladung der Blutkörperchen mit
CO, das ursprüngliche Verhältnis wiederherstellen können oder mit
anderen Worten: wenn nach einer voraufgegangenen Rohrzucker-
behandlung die Salzlösung keine inaktivierende Wirkung be-
sitzt, muß man durch eine sekundäre CO,-Beladung die folgende
Salzbehandlung wieder wirksam machen. Nach Überführung
in Rohrzuckerlösung soll demgemäß solches Blut sich refraktär
verhalten, wie die Versuche auch in der Tat bestätigen.
1) Zuletzt bin ich bisweilen solchem Blut begegnet, bei welchem
dieCO, nur langsam fortdiffundiert, auch dann, wenn der Kohlensäure-
gehalt relativ gering ist. Bei solchen Blutsorten diffundieren die Salze
auch viel langsamer als gewöhnlich fort.
Kobragift und Hämolyse. II. 477
Tabelle XXX.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ocm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
30 Rzblut — +++ total total total
Rz-NaCl-Rzblut O0 +— total total total
Rz-CO,-NaCl-Rz-
Blut d 0 0 0 0
39 Bzblut total total total total total
Rz-CO,-NaCl-Rz 0 0 0 0 0
Beide Versuchsserien zeigen eine komplette Inaktivierung.
Doch läßt sich gegen die Versuchsanordnung anführen, daß
vielleicht die Einwirkung von Kohlensäure an sioh die In-
ektivierung bedingt und daß es also gleichgültig ist, ob diese
CO, später gegen HCl ausgetauscht wird. Tatsächlich zeigten
auch besonders darauf gerichtete Versuche, daß empfindliches
Blut nach kurzer Durchleitung von Kohlensäure refräktär gegen
Kobragift wird, wie die Tabelle XXXI zeigen kann.
Tabelle XXXI.
Blut Kobragift in ccm
Nr. 002 0,04 0,06 0,08 0,10
39 Rzblut total total total total total
Rz-C0,-Blut 0 0
652 Phosphat-Rzblut 0 0 +++ total
Phosphat-Rz-C0,-Blut 0 0 0 0
569 Bz-Blut 0 + +4 total total
Rz-C0,-Rz-Rzblut 0 0 0 0 0
60 Chromat-Rzblut 0 0 total total total
Chromat-Rz-CO,-Blut 0 0 0 d 0
61 Chromat-Rzblut!) total total total total total
Chromat-Rz-C0,-Blut O0 0 0 0 0
An und für sich ist es wichtig, feststellen zu können,
daß die Kohlensäurebildung die Hämolyse verhindert. Da man
ferner beim Blute Nr. 59 trotz zweimaligen Auswaschens mit
Rohrzuckerlösung nicht die aufgenommene CO, entfernen konnte,
fragt es sich, ob diese Kohlensäure vielleicht die Blutkörperchen
chemisch verändert, vergiftet hat, da js bekanntlich die
Kohlensäure ein Zellgift ist, oder ob die Gegenwart der CO,
an sich die Kobragiftaufnahme zu verhindern vermag. Im
letzteren Falle müßte man durch Behandlung mit reaktivierend
wirkenden Salzen die ursprüngliche Empfindlichkeit wiederher-
stellen können, wie es auch tatsächlich der Fall war.
1) Kontrolle =0.
478 I. Bang:
Tabelle XXXII.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in com
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
61 Chromat-Rz-CO,-Blut 0 0 0 0
a men 0 total total total
Bei der Durchleitung von Kohlensäure wird also die CO,
in so reichlicher Menge aufgenommen, daß hierdurch die Kobra-
gifthämolyse verhindert wird, da diese reichlich aufgenommene
CO, nicht oder richtiger nur relativ langsam fortdiffundiert.
Dagegen dürfte man erwarten, daß eine Beladung mit wenig
CO,, also eine kurze Durchleitung, die Empfindlichkeit des
Rohrzuckerblutes verhältnismäßig wenig herabsetzen, während
eine folgende Kochsalzbehandlung eine Inaktivierung bewirken
sollte. Dies müßte aus dem Grunde geschehen, da die CO, eine
leicht dissoziable, die Salzsäure eine schwer dissoziable Ver-
bindung mit Bestandteilen der Blutkörperchen und der Lipoid-
membran eingeht, wie ich ausführlich anderswo auseinander ge-
setzt habe.) Die folgenden Versuche bestätigen diese Auf-
fassung.
Tabelle XXXIII.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in oom
Nr 0,04 0,06 0,08 0,10
85 Rz-CO,-Blut SE ++ +++ total
Rz-CO,-NaCl-Rz-Blut 0 0 0 0
Die Voraussetzung trifft also zu, und wir haben hiermit
bewiesen, daß die Beladung der Blutkörperchen mit
Salzsäure oder Kohlensäure die Ursache der Inakti-
vierung ist. Weiter ist bewiesen, daß eine geringe Menge CO,»
welche an sich keine Inaktivierung zu bewirken vermag, durch
Kochsalzbehandlung eine Inaktivierung herbeiführt, da die ent-
sprechende Menge HCl aufgenommen wird.
Wie man auch erwarten konnte, ließ sich Rohrzuckerblut
von Salzsäure direkt inaktivieren.
Tabelle XXXIV.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10
48 Rzblut total total total total total
Rzblut + HCl d 0 0 O
63 Rzblut 0 0 0 — total
Rzblut + HCl 0 0 0 0 0
1) Diese Zeitschr. 16, 255.
Kobragift und Hämolyse. II. 479
Die HCl war "/,.. und wurde mit dem Gifte und in der-
selben Quantität zugesetzt.
Wenn also die Beladung mit Säuren für die Inaktivierung
der Blutkörperchen verantwortlich ist, so fragt es sich weiter, ob
hierdurch die Aufnahme des Giftes verhindert wird oder nicht.
Wir haben ja früher gesehen, daß das Gift in der Kälte ohne
Hämolyse aufgenommen wird, und die Aufnahme und die Wirkung
des Giftes sind also vielleicht zwei verschiedene Erscheinungen;
es wäre demgemäß denkbar, daß die Säuren wohl die hämo-
lytische Wirkung, nicht aber die Giftaufnahme verhinderten.
Zur Entscheidung dieser Fragen habe ich die Versuchsan-
ordnung gebraucht, daß das Rohrzuckerblut erst mit Gift in der
Kälte gesättigt wurde, dann das überschüssige Gift abzentrifugiert
und die Blutkörperchen mit Salzsäure (0,1 ccm al, HCl in 2 com
Rohrzuckerlösung) digeriert wurden. Nach dem Abzentrifugieren
wurde der Abguß mit Rohrzuckerblutkörperchen und ‚Lecithin‘
(0,1°/ ‚ige Lösung) versetzt und die Blutkörperchen mit Rohrzucker-
lösung und „Lecithin‘‘ als Aktivator, da die Salzsäure die Hämolyse
verhindert. AlsKontrolle wurden kobragiftbeladeneBlutkörperchen
wie oben aber ohne Säurezusatz verarbeitet.
Tabelle XXXV.
Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10
79a (Rzblut)-Blutkörperchen + Rz 0 0 - +
a „ Abguß + 0,05 L. 1) +
Blutkörperchen . . , ++ 0 d d
b (Rzblut + HCI) - Blutkörper-
chea + Rz . . 0 0 0 0
b (Rzblut + HCI)- Abguß
0,05 L. + Blutkörperohen -++ +— +++ ++-
c (Rzblut + ale -Blutkörper-
chen 0 0 0
c (Rzblut + C0,) - Abguß-+0, 05
L. + Blutkörperchen . 0 d Kuppe Kuppe
Ge (Rzblut)- Blutkörperchen+Rz 0 0 ⸗ +
— Abguß -+ 0,05 L. +
Blutkörperchen. . . 0 d 0 0
b (Rzblut + HCI) - Blutkörper--
chen -+ Rz : 0 0 0 0
b (Rzblut HCI)- Abguß-10,08 L.
+ Blutkörperchen . . . 0 -+ total total
c (Rzblut + CO,)-Blutkörper-
chen + Rz 0 0 d 0
c en +(C0,) - Abguß-t 0 ‚05
L. -+ Blutkörperchen . . 0 0 0 0
u 1) 0,1°/,ige „Lecithin“-Lösung.
480 I. Bang:
Die Versuche zeigen, daß man durch Behandlung mit
Salzsäure das Kobragift wieder entfernen kann. Wenn
das CO, wenig überzeugende Resultate ergeben hat, so ist zu
bedenken, daß man nicht die Quantität genau dosieren kann.
Bei einer größeren CO,-Menge kann auch nicht der Aktivator
helfen.
Die Tatsache, daß man durch Salzsäure das Kobragift
aus den Blutkörperchen extrahieren kann, hat ein besonderes
Interesse, wenn man berücksichtigt, daß Morgenroth durch
Salzsäure das Gift aus inaktiven neutralisierten Mischungen von
Gift und Antivenenin wieder frei machen konnte. Es liegt
auf der Hand, anzunehmen, daß in beiden Fällen eine
chemische Verbindung des Giftes mit Antivenenin, bzw. Blut-
körperchenbestandteilen vorliegt, welche von der Salzsäure zer-
legt wird. Da nun weiter das Antivenenin und der Blut-
körperchenbestandteil obwohl kaum identische, ja vielleicht nicht
einmal verwandte Verbindungen sind, jedoch aller Wahrscheinlich
keit nach in derselben Weise mit dem Gifte reagieren, und da nun
weiter bei den Blutkörperchen die Salzsäure durch die Be-
ladung die Giftaufnahme verhindert, bzw. dasselbe wieder heraus-
löst, ist die einzig mögliche Erklärung die folgende: die Salz-
säure, bzw. dieSäuren gehen mit demselben Bestand-
teil eine Verbindung ein, mit welchem das Kobragift bei
der Aufnahme reagiert. Es ist weiter anzunehmen, daß dieser
Bestandteil von basischer Natur ist und mit den Säuren und
dem Gifte eine salzartige Verbindung eingeht. Und die Fol-
gerung ist dann berechtigt, daß das Gift selbst eine Säure
darstellt. Unter dieser Annahme ist es verständlich, daß die
stärkere Salzsäure die sicher sehr schwache Kobragiftsäure
austreibt. Es ist weiter klar, daß die schwache Kohlensäure
durch Massenwirkung das Gift wieder austreiben kann, bzw.
dessen Fixation verhindert, während eine kleine Menge CO,
ihrerseits vom Gifte ausgetrieben wird, indem die Verbindung
des Giftes wahrscheinlich schwerer dissoziabel ist als diejenige
der Kohlensäure.
Auch andere Eigenschaften des Giftes sprechen für dessen
Säurenatur : Kobragiftbeladene Blutkörperchen agglutinieren,
und wie ich bewiesen habe, ist die Agglutination eine Wirkung
von Säurebeladung.
dënstes
⸗ — — — H -
— i
Kobragift und Hämolyse. II. 481
Weiter haben Arrhenius, Landsteiner u. a. erwiesen,
daß andere Säuren, wie Kieselsäure, Borsäure, Essigsäure, Salz-
säure u. a., von „Lecithin‘ in genau derselben Weise wie das
Kobragift aktiviert werden.
Zuletzt hat Faust für das reine Ophiotoxin die Säurenatur
direkt erwiesen. Das Ophiotoxin reagiert mit Lackmuspapier
sauer, zerlegt aber nicht Natriumcarbonat. Es geht mit
Metalloxyden Verbindungen ein.
2. Die reaktivierende Wirkung der Salze.
Einen wichtigen Beitrag zur Auffassung von der Säure-
natur des Kobragiftes und überhaupt zur Bestätigung der oben
entwickelten Auffassung bildet die nähere Analyse der Wirkung
von den reaktivierenden Salzen.
Wenn die säurebeladenen Blutkörperchen durch Einwirkung
von Phosphaten, Chromaten und Carbonaten der Alkalien oder
von freien Alkalien und Ammoniak wieder empfindlich gemacht
werden können, so besteht diese Wirkung, wie ich in meiner
Abhandlung über die physiko-chemischen Eigenschaften der
Blutkörperchen bewiesen habe, darin, daß die aufgenommene
Säure den Blutkörperchen entzogen und von dem überschüssigen
Alkali neutralisiert wird. In der erwähnten Abhandlung ist
dies zwar nur bei salzsäurebeladenen Blutkörperchen mit Soda
festgestellt. Es ist aber einleuchtend, daß diese Tatsachen eine
ganz allgemeine Gültigkeit besitzen. Übrigens habe ich mich
von der identischen Wirkung des Kaliumchromats und der Soda-
wirkung überzeugt. Wenn also die aufgenommene Säure wieder
‘ entfernt wird, sind die Blutkörperchen wieder empfindlich ge-
worden. Hieraus läßt sich als Bestätigung der oben erwähnten
Hypothese folgern, daß die von den Säuren besetzte Verbindung
der Lipoidmembran — wenn man will der ,Receptor“ — auch
den Angriffspunkt des Kobragiftes darstellt. Daß sowohl
die Salzsäure wie die Kohlensäure dieselbe Stelle in Anspruch
nehmen, geht daraus hervor, daß die eine Säure durch die
andere ausgetauscht werden kann, und daß CO,- und HCI-be-
ladene Blutkörperchen von denselben Salzen reaktiviert werden
können. Der Mechanismus ist also überall derselbe.
482 I. Bang:
3. Die Hemmungswirkung der Salze.
Davon ausgehend, daß das Kobragift selbst eine Säure
herstellt, dürfte man auch erwarten, daß sie denselben Gesetzen
gehorchen sollte wie diese. Bei kobragiftbeladenen Blutkörperchen
sollte man demgemäß durch Behandlung mit basischen Salzen
oder freien Alkalien die ‚„Kobrasäure‘‘ wieder entziehen können.
Man dürfte ebenso bei kohlensäurebeladenen Blutkörperchen
nach Überführung in Kochsalzlösung einen Austausch der Säuren
mit Salzsäurebeladung der Blutkörperchen und bei kobra-
beladenen Blutkörperchen einen ähnlichen Austausch finden:
Salzsäurebeladung der Blutkörperchen unter Bildung der
Alkaliverbindung des Giftes in der Außenflüssigkeit. Wie
im ersten Abschnitte erwiesen, treffen diese beiden Voraus-
setzungen auch tatsächlich zu, und hiermit ist also die
Wirkung dieser Salze auf die Kobragifthämolyse erklärt. Dem-
entsprechend ist auch erwiesen, warum eine Hämolyse des
Kochsalzblutes nicht stattfinden kann — gleichgültig ob man
zuerst die Kohlensäure durch voraufgehende Rohrzuckerbe-
handlung entfernt hat oder nicht.
Es ist ferner in diesem Zusammenhang interessant, an die
proportionale Hemmungswirkung der verschiedenen Salze zu
erinnern. Wenn man z. B. zur Aufhebung der Hämolyse von
0,06 ccm 0,1°/,igen Kobragifts Kochsalz bis ca. !/,, Mol der
Lösung zusetzen muß, tritt also erst bei dieser Salzkonzentration
Gleichgewicht mit ziemlich vollständiger Auslösung des Giftes
ein. Die individuellen Unterschiede der verschiedenen Blut-
sorten in dieser Beziehung dürften wahrscheinlich von dem sicher
variablen Gehalt der Blutkörperchen, bzw. der Lipoidmembran
an kobragiftfixierender Substanz abhängen. Dieser variable
Gehalt von Receptor spielt auch eine wichtige Rolle bei der
Inaktivierung der kohlensäurehaltigen Blutkörperchen. Es ist
klar, daß hierbei die Proportion zwischen der Kohlensäure-
(bzw. Salzsäure-) Menge und der existierenden Receptormenge
für die eventuelle Kobragiftaufnahme bestimmend ist. Bei
einem geringen Gehalt von fixierender Substanz genügt eine
kleine Salzsäuremenge, um die Giftaufnahme und folgende
Hämolyse zu verhindern, eine Säurequantität, welche bei einer
größeren Receptorquantität unzureichend ist.
eege, n — — —— — a —
— —— E AE ——— —
Kobragift und Hämolyse. II. 483
Wenn das Kobragift von Salzen herausgelöst wird, kommt
jedoch nicht allein der Austausch von den Säurekomponenten in
Betracht; auch die Affinität des Giftes (und der Säure)
zum basischen Bestandteil des Salzes ist von wesentlicher Be-
deutung. Dies geht ganz überzeugend aus der Hemmungswirkung
der Salze der zwei- und dreiwertigen Metalle hervor. Wenn
z. B. eine CaCl,-Quantität von ca. "Joe Mol dieselbe Hemmung
wie Il Mol NaCl ausübt, ist es ganz klar, daß der größere
Gehalt der CaCl, an HCl (selbstverständlich als Lösung) diesen
großen Unterschied lange nicht erklären kann. Im Gegenteil
darf man sicher davon ausgehen, daß das Kobragift eine größere
Affinität zum Kalk als zum Receptor besitzen muß. (Die-
selbe Möglichkeit, obwohl im geringeren Grade, ist auch bei
den Alkalisalzen denkbar). Eine ganz andere Erklärung der
Kalkwirkung geben Noguchi u. a., welche die Auffassung ver-
teidigen, daß der Kalk mit denjenigen Verbindungen — Lipoiden —
sich verbindet, welche die Kobrafixation bedingen, und
hierdurch also die Aufnahme des Giftes verhindern.
Daß aber eine solche Auffassung ganz unzutrefiend ist,
geht aus der von mir durch mehrere Versuche sichergestellten Be-
obachtung hervor, daß die Blutkörperchen nach dem Abzentri-
fugieren der kalkhaltigen Rohrzuckerlösung und Überführung in
reine Rohrzuckerlösung für Kobragift empfindlich bleiben. Die
in den vorhergehenden Abschnitten gefundenen Tatsachen,
daß die Basenkomponente auf das Gift, die Säurekomponente
auf die Blutkörperchen einwirkt, ist hiermit zufriedenstellend
erklärt.
4. Die variable Empfindlichkeit des frischen Rohrzucker-
blutes.
Mit der Erkenntnis der Wirkung von Salzen auf Rohr-
zuckerblut ist anscheinend der Weg gebahnt worden, welcher
uns die Erklärung der verschiedenen Empfindlichkeit des
frischen Rohrzuckerblutes geben kann. Wir haben ja gefunden,
daß auch das artielle Blut gewöhnlich mehr oder weniger Kohlen-
säure enthält; weiter haben wir ja gesehen, daß man durch
Beladung mit reichlicher Kohlensäure empfindliches Rohrzucker-
blut refraktär machen kann, und es liegt deswegen auf der
Hand, anzunehmen, daß die verschiedene Empfindlichkeit des
484 I. Bang:
Blutes mit einem entsprechenden Kohlensäuregehalt überein-
stimme, was auch leicht zu beweisen oder zu widerlegen wäre.
Man braucht ja nur eine Behandlung mit Chromat oder ähnlich
wirkenden Salzen vorhergehen zu lassen; dann muß das kohlen-
säurebeladene Blut nachher die gewöhnliche Empfindlichkeit
zeigen.
Gegen die Annahme eines variablen Kohlensäuregehaltes
spricht nun die Tatsache, daß auch das unempfindliche Kalbs-
blut so gut wie niemals agglutiniert. Dies zeigt aber unzwei-
deutig, daß es sich hier nicht um sehr große Kohlensäurequantitäten
handeln kann. Anderseits habe ich gefunden, daß man beim
vorsichtigen Zusatz von Kohlensäure zum Razblut
keine Agglutination zu bekommen braucht, und trotz-
dem genügt die aufgenommene Kohlensäure, um die
Hämolyse zu verhindern.
Leider habe ich es versäumt, konsequent jedes unempfind-
liche Blut derartig zu untersuchen, obwohl ich, wie aus der
folgenden Tabelle ersichtlich, doch so viele Blutsorten geprüft
habe, daß man einigermaßen die Verhältnisse übersehen kann.
Tabelle XXXV.
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm
Nr. Datum 02 "on 0,06 0,08 0,10
36 22.X. Rzblut 0 0 — total 0
36 22. „ Chromat-Rzblut total total total total total
63 7. XII. Rzblut 0 0 0 0 total
53 7., NaClI-Phosphat-Rzblut 0 0 total total total
59 20. „ Rzblut!) 0 + +++ total total
59 20. „ Chromat-Rzblut total total total total
59 21. „ Rzblut?) 0 0 0 0
60 23. „ Rzblut 0 0 0 0 0
60 23. „ Chromat-Rzblut 0 — total total total
61 29. „ Rzblut?) 0 0 0 0 total
61 29. „ Chromat-Rzblut + total total total total
67 8. L Rzblut 0 0 0 0
67 8. „ Chromat-Rzblut®) d + —++— total
1) Frisches Blut.
2) Dasselbe Blut nach 24 Stunden. Hier ist ausnahmsweise die
Empfindlichkeit mit der Zeit größer geworden.
3) Blut hat 24 Stunden gestanden (im eigenen Serum).
t) 1 Stunde mit Kobragift im Eisschrank zentrifugiert, Robrzucker-
lösung zugesetzt, im Thermostaten 1 Stunde usw.
Kobragift und Hämolyse. II. 485
Blut 0,1°/, ige Kobralösung in com
Nr. Datum 0,64 0,06 0,08 0,10
71 15. I. Rzblut 0 0 0 0
71 15. „ NaCl-Soda + Rz-Rz-
blut 4-4 total total total
71 15. „ NaClI-Chromat-Rzblut d 0 0 ++
73 20. „ Rzblut 0 0 0 0
73 20. „ Chromat-Rzblut ++ +++ total total
72 18. „ Rzblut 0 0 Kupe +
72 18. „ Chromat-Rzblut 0 0 0 E
Von den neun Blutsorten, welche sämtlich unempfindlich oder
wenig empfindlich sind, haben acht durch die Chromatbehand-
lung eine ungefähr gleich große Empfindlichkeit bekommen, wie
es bei den ursprünglich sehr empfindlichen Blutsorten sonst der Fall
ist. Es war nur eine Ausnahme festzustellen, wo die Chromatbe-
handlung absolut unwirksam war. Hieraus geht mit großer Deut-
lichkeit hervor, daß die Empfindlichkeit des Rohrzuckerblutes
auch von anderen Faktoren abhängig sein muß als nur von
dem Säuregehalt. Die Richtigkeit dieser Folgerung wird auch
durch die Tatsache bewiesen, daß eine sogar reichliche Kohlen-
säurebehandlung ausnahmsweise (nur in einem Falle, wo CO,
durch das defibrinierte Blut durchgeleitet wurde; das NaCl-Rz-
blut war auch hier refraktär) unwirksam ist, und daß also
das Blut nachher (trotz Agglutination!) eine große Empfindlich-
keit zeigt.
Nach dem, was oben entwickelt worden ist, darf diese
Eventualität nicht befremden. Es ist nämlich nicht die ab-
solute Säuremenge, welche hier in erster Linie in Betracht
kommt, sondern vor allem die fixierende Substanz. Kommt
dieselbe nur in kleiner Menge vor oder fehlt sie ganz, so muß die
Chromatbehandlung unwirksam bleiben. Und andrerseits, exi-
stiert eine größere Quantität des Receptors, wird selbstver-
ständlich nach dem Massenwirkungsgesetz so viel Kobragift trotz-
dem aufgenommen werden, daß es für das Zustandekommen der
Hämolyse genügt. Dies ist auch der Fall, wenn eine Salzsäure-
beladung vorliegt, wie aus der Tabelle XXII ersichtlich ist, ob-
wohl es nur ausnahmsweise vorkommt. Weiter steht auch die
Möglichkeit offen, daß die Kohlensäure mit verschiedener Ge-
schwindigkeit fortdiffundiert.
Es geht aber aus den angeführten Versuchen hervor,
daß die Blutkörperchen gewöhnlich eine ungefähr konstante
486 I. Bang:
Empfindlichkeit gegen Kobragift zeigen, und daß die oft ge-
fundene Unempfindlichkeit bzw. geringe Empfindlichkeit ge-
wöhnlich von einer Kohlensäurebeladung herrührt. Nur
ganz ausnahmsweise dürfte eine sehr große oder sehr geringe
Empfindlichkeit vorkommen.
Wenn also die Unempfindlichkeit gewöhnlich von einer
Kohlensäurebeladung abhängig ist (und daß dies besonders im
Winter öfter vorkommt, ist interessant, aber gut verständlich),
darf man erwarten, daß eben die Giftaufnahme hier ganz
fehlt oder jedenfalls stark herabgesetzt ist. So war es auch tat-
sächlich der Fall, wie in einigen Versuchen exakt bewiesen
worden ist, in denen solche Blutkörperchen (nach Aufenthalt mit
Kobragift im Eisschrank — bisweilen sogar im Thermostaten —
und nach Abzentrifugieren der Flüssigkeit, Auswaschen und Zusatz
von Rohrzuckerlösung) auch nicht bei Gegenwart von ‚„Leci-
thin“ hämolysiert werden, während nach Chromatbehandlung das
Blut von Kobragift allein glatt hämolytisch wurde.
Weiter wurden die zeitlichen Unterschiede der Hämolyse
hierdurch vollkommen erklärlich. Während CO,-armes (chromat-
behandeltes oder a priori CO,-armes) Blut schon im Thermostaten
mehr oder weniger vollständig hämolysiert wird, tritt die Hämo-
lyse des CO,-haltigen Blutes, wie beinahe immer im Winter, nur
langsam nach mehreren Stunden im Eisschrank ein. Wird solches
Blut, nachdem es 1 Stunde zusammen mit Kobragift im Eisschrank
gestanden hat, zentrifugiert usw., so läßt sich zeigen, daß nur wenig
Gift aufgenommen worden ist. Die Kohlensäure verhindert die
Giftaufnahme und erst nach der Diffusion derselben kann das
Gift sich geltend machen. Bei solchem Blute kann es auch
vorkommen, daß Rz-NaCl-Blut nach Überführung in Rohrzucker-
lösung unempfindlich ist, während auch in diesem Falle eine
Chromatbehandlung die Empfindlichkeit wieder herstellt.
Von einem solchen Gesichtspunkte aus ist auch die Er-
klärung der bisweilen gefundenen verminderten Empfindlichkeit
des Blutes beim Stehen in eigenem Serum mit Wahrscheinlich-
keit gegeben: „Die alkalische Reaktion (des Blutes) nimmt außer-
halb des Körpers an Intensität ab. Dies rührt von einer in
dem Blute stattfindenden Säurebildung her, an welcher die roten
Blutkörperchen in irgend einer Weise beteiligt zu sein scheinen‘‘
(Hammarstens Lehrbuch, 6. Aufl., S. 223).
Kobragift und Hämolyse. II. 487
5. Die Inaktivierung des Blutes beim Stehen in Rohrzucker-
lösung.
Wie in den Tabellen IV und VI bewiesen ist, kann man
bisweilen eine verminderte Empfindlichkeit des Blutes nach dem
Stehen in Rohrzuckerlösung beobachten. Diese Erscheinung
kommt sogar viel öfter vor, als die recht wenigen Versuche
zeigen, und dürfte überhaupt eine ziemlich konstante Tatsache
darstellen, welche ihre Erklärung fordert. Außer den schon er-
wähnten Fällen sollen hier einige andere Versuche aufgenommen
werden, welche mit den erwähnten sämtliche bis dahin an-
gestellte Versuche darstellen.
Tabelle XXXVI.
0,10/,ige Kobragiftlösung in com
— 0,04 0,06 0,08 0,10
59 a — +-+- total total
b 0 0 0 0
65 a 0 0 0 total
b 0 0 0 0
71 & 0 0 0 +
b 0 0 0 0
80 a ++ total total total
b 0 0 0 Jer
85 a total total total total
b d 0 0 0
86 & — +-+ total total
b d 0 0
88 a 0 Kuppe Kuppe +
b d — +
101 a -+ — total total total
b 0 0 In Fr
107 & +— total total total
b 0 0 0
108 & 0 0 + +++
b 0 0 0 d
110 & 0 Kuppe Kuppe +++—
b 0 0 0 d
114 & 0 — — total
b d 0 0 0
&— frisches Blut; b= 16 Stunden gestandenes Rzblut.
In 10 von 12 Versuchen ist also nach 16 Stunden eine
vollständige Inaktivierung eingetreten und in einem Versuche
eine sehr verminderte Empfindlichkeit. Wie früher bemerkt,
kann man nach etwas längerer Zeit — etwa 48 Stunden —
488 I. Bang:
eine noch größere Veränderung vorfinden. Diese Inaktivierung
schreitet also wahrscheinlich mit der Zeit immer fort.
Es fragt sich dann, welche Veränderungen in diesem in-
aktivierten Blute stattgefunden haben. Erstens hat man wohl
an eine deletäre Wirkung der Rohrzuckerlösung zu denken.
Zweitens wäre möglich, daß die oben erwähnte Säurebildung,
welche von den Blutkörperchen ausgehen soll, mit im Spiele
ist. Von dieser letzten Möglichkeit dürfte man indessen ab-
sehen können, da eine Chromatbehandlung bei solchem
Blute wirkungslos ist. Hieraus ist auch ersichtlich,
daß wir anderen Verhältnissen gegenüberstehen, als
sie bis jetzt besprochen worden sind.
Wir haben also in erster Linie die Möglichkeit zu berück-
sichtigen, daß die Rohrzuckerlösung für die Inaktivierung verant-
wortlich ist. Um diese Möglichkeit näher untersuchen zu können,
fragt es sich, ob dieselbe Inaktivierung bei Kochsalzblut statt-
findet. Man kann ja bequem das Kochsalzblut durch Chromat-
behandlung reaktivieren, was mit dem durch Stehen in-
aktivierten Rohrzuckerblut nicht geht. Tatsächlich wird auch
Kochsalzblut selbst nach 48 Stunden glatt von Chromat re-
aktiviert, auch dasjenige, welches in Rohrzuckerlösung mit
der Zeit inaktiviert wird. Eine ähnliche Inaktivierung kommt
also beim Kochsalzblut nicht vor. e
Es fragt sich dann weiter, inwieweit das Kochsalz eine
Schutzwirkung ausübt oder nicht, oder mit anderen Worten,
ob man durch Zusatz von Kochsalz zur Rohrzuckerlösung die
Inaktivierung verhindern kann oder nicht. Tabelle XXXV gibt
die Antwort.
Tabelle XXXV.
Blut Nr. 0,1°/,ige Kochsalzlösung in ccm
e , j 0,10
101 & ++— total total total
b 0 0 ++ +++
c 0 +++ total total
d + total total total
a = frisches Blut, b= 16 Stunden altes Rzblut, c= frisches Rzblut in
Kochsalzlösung übergeführt und nach 16 Stunden untersucht (dieselbe
Zeit wie altes Rzblut), d = frisches Rzblut mit NaCl bis 0,8°/, versetzt
(2 ccm Rzblut -+ 0,3 ccm 2/, Mol NaCl-Lösung) und nach 16 Stunden
durch Überführung in Rohrzuckerlösung untersucht,
Kobragift und Hämolyse. IL 489
Ein Zusatz von Kochsalz verhindert also die In-
aktivierung des Rohrzuckerblutes, und es bleibt demnach
die Möglichkeit zu berüchsichtigen, inwieweit das Kochsalz ein
schon inaktiviertes Rohrzuckerblut zu reaktivieren vermag.
Hierüber wird die Tabelle XXXVI unterrichten.
Tabelle XXXVI.
0,01°/,ige Kobragiftlösung in ccm
Blut Nr. 0, Kik — Age 0.10
6 a ohne Salz 0 ++ +++ +++
0,08 com 1/3 Mol NaCl 0 0 ++ ++
b ohne Salz 0 0 0 ++
0,08 cem NaCl -+ 4 ++ +++
7 a ohne Salz total total total total
0,08ccm NaCl 0
b ohne Salz 0 0 0
0,08 ccm NaCl 0
25 a ohne Saiz ++ total total total
0,08 cem NaCl d 0 — total
b ohne Salz 0 0 0 0
0,08 cem NaCl d _ + total
26 a ohne Salz ⸗ total total total
0,08ccm NaCl 0 0 + +++
b ohne Salz d d 0 0
0,08ccm NaCl 4- ++ ++
a — frisches Rohrzuckerblut, b = dasselbe Blut nach 16stündigem Stehen.
Wie aus der Tabelle XXXVI ersichtlich, bewirkt das Koch-
salz eine Hemmung der Hämolyse bei dem frischen Blute,
während bei dem alten Blute eine entgegengesetzte, reaktivie-
rende Wirkung stattgefunden hat. Wenn man aber die Hämo-
lyse des frischen und alten, mit Kochsalzlösung versetzten Blutes
vergleicht, wird man die übereinstimmenden Werte von beiden
bemerken. Die Folgerung ist deswegen berechtigt, daß beim
alten Blute durch das Salz erst eine restitutio ad integrum
stattgefunden hat und dann das Kochsalz auf das re-
aktivierte Blut, oder richtiger auf das Gift seine Hemmungs-
wirkung ausgeübt hat. Das Kochsalz hat also das inakti-
vierte Rohrzuckerblut reaktiviert, ebenso wie es, zum frischen
Blute gesetzt, die Inaktivierung verhindern kann. Man muß
aber hierzu bemerken, daß diese reaktivierende Wirkung des
Kochsalzes keine konstante Erscheinung darstellt, da
ich beobachtet habe, daß das alte Rohrzuckerblut auch nach
Biochemische Zeitschrift Band 18. 32
490 L Bang:
Salzbehandlung fortwährend inaktiv blieb. Dagegen ist es eine
interessante Tatsache, daß hier das Kochsalz, nicht aber das
Chromat die Reaktivierung bewirken kann, gerade im Gegensatze
zu den Verhältnissen bei dem säurebeladenen Blute.
Wenn wir eine Erklärung dieser Inaktivierung geben sollen,
so ist es klar, daß das Kochsalz auf die eine oder andere
Weise damit in Verbindung steht. Es ist weiter ganz klar,
daß das Kochsalz, um eine Inaktivierung verhindern zu können,
auf die Blutkörperchen selbst einwirken muß und andererseits,
um die Reaktivierung bewirken zu können, wahrscheinlich den
Blutkörperchen eine verlorengegangene Eigenschaft zuführen muß.
Es liegt dann nahe, zu denken, daß diese Eigenschaft das Salz
selbst darstellt.
Wenn das Rohrzuckerblut durch Stehen inaktiv wird,
könnte dies möglicherweise mit der Diffusion des intra-
cellulären Kochsalzes in Verbindung stehen. Wenn
weiter das Kochsalz die Inaktivierung verhindert, müßte das
Kochsalz auch die Diosmose des Kochsalzes verhindern, und
wenn das Kochsalz zuletzt die Reaktivierung bewirken kann,
dürfte dementsprechend bei salzfrei bzw. salzarm gewordenen
Blutkörperchen nach Überführung in Salzlösung eine Einwande-
rung — Endosmose — von Salz stattfinden. Wie in meiner
Arbeit über die physiko-chemischen Eigenschaften der Blut-
körperchen!) bewiesen ist, treffen diese sämtlichen Voraus-
setzungen in der Tat (die oben entwickelte Auffassung hat zu
einem solchen Studium die Anregung gegeben) zu.
Es kann auch nicht befremden, daß das Kochsalz mit der
Affinität des Kobragiftes zu den Blutkörperchen in Ver-
bindung stehen kann (und in der Tat bleibt die Fixation des
Giftes bei dem inaktivierten Rohrzuckerblut aus). Denn wir
haben ja vorher gesehen, daß man durch Kochsalzlösung das
schon fixierte Kobragift wieder aus den Blutkörperchen ex-
trahieren kann, und wir haben dort ausdrücklich bemerkt, daß
man diese Tatsache nicht allein aus einem Austausch der Salz-
säure mit der Kobrasäure erklären kann, sondern daß sicher
auch die Basenkomponente durch seine Affinität zum Gifte von
Bedeutung ist, was auch die Versuche mit Kalksalzen ganz
überzeugend zeigten.
1) L o.
Kobragift und Hämolyse. II. 491
Wir kommen also zu der Folgerung, daß die in der
Lipoidmembran und im Zellinnern befindliche Salz-
quantität für die Aufnahme des Kobragiftes von
wesentlicher Bedeutung sein muß.
Die Wichtigkeit dieser Schlußfolgerung erfordert aber ein
genaueres Studium. Es ist ganz klar, daß, wenn die Basen-
komponente in dieser Beziehung von überragende Bedeutung
ist, solche Salze, welche eine schwache Säurekomponente ent-
halten, sich als besonders für eine Reaktivierung befähigt er-
weisen müssen. Das war auch tatsächlich der Fall. Sowohl
Ammonium- wie Natriumcarbonat sind hierzu geeignet.
In den folgenden Versuchen war die Am,CO,-Lösung 5°/,ig,
die Na,CO,-Lösung 1°/,ig. Nach dem Zusatz des Carbonats
wurde gleich zentrifugiert und die Blutkörperchen in reine
Rohrzuckerlösung übergeführt.
Tabelle XXXVII.
0,1 ccm Kobragiftlösung in com
SE 0,04 006 0,08 0,10
69 a altes Rz-Blut 0 0 0 0
b do.+0,1com Am,CO, + +++ total total
63 a altes Blut 0 0 0 0
b do.-+0,1ocm Am,CO, 0 0 — 4
65 a altes Blut 0 0 0 0
b do.+0,1ccm Am,CO, 0 LEE total
66 a altes Blut 0 0 0 0
b do.+0,1ccm Soda total total total total
85 a altes Blut 0 0 0 0
b do.-+0,1ccm Soda 0 0 0 0
86 a altes Blut 0 0 0 0
b do.+ 0,1 eem Soda 0 0 0 0
107 a altes Blut 0 0 d d
b do.+0,1ccm Soda 0 0 0 0
c do. 40,2 oom Soda 0 0 0 d
108 a altes Blut d 0 0 0
b do.—+0,1ccm Soda 0 0 — 4
109 a altes Blut 0 d 0 0
b do.-+0,1com Soda 0 0 0 0
c do.+0,locm Am,C0,!) 0 Bä +— ——
IIO a altes Blut 0 0 0 0
b do. -4+ 0,1 ocm Soda 0 0 Kuppe LE
c do.+0,1ccm Am,C0,1) O0 0 +— +++
111 a altes Blut 0 0 0
b do.—+0,1com Soda 0 0 — +++-
Die Kontrollen waren überall negativ.
1) Diese Am,CO,-Lösung war 10°/,ig.
32*
492 I. Bang:
In 50°/, ließ sich also das durch Stehen inaktivierte Blut
durch Soda reaktivieren, während es überall, wo Ammonium-
carbonat zur Verwendung kam, reaktiviert wurde. Nun ist
aber zu bemerken, daß die Einwirkungszeit der Sodalösung (und
Am,CO,-Lösung) eine ganz kurze war, da unmittelbar nach dem
Zusatz das Blut zentrifugiert und mit reiner Rohrzuckerlösung
versetzt wurde. In einem Versuche (Blut Nr. 109) wurde das
inaktivierte Blut 6 Stunden mit Soda digeriert. Hier ließ sich
dann eine allerdings schwache Reaktivierung nachweisen (Kon-
trolle =0). Weiter soll erwähnt werden, daß die meisten Ver-
suche zu einer Jahreszeit ausgeführt wurden, in welcher das
Blut überhaupt recht unempfindlich (CO,-reich) war, was viel-
leicht nicht ohne Einfluß ist.
Wenn wir die gefundenen Ergebnisse zusammenstellen, so
sehen wir, daß Rohrzuckerblut beim Stehen inaktiv wird, daß
aber das Kochsalzblut (nach Chromatbehandlung, welche für
Rzblut hier ohne Wirkung ist) seine Empfindlichkeit unver-
ändert beibehält und daß weiter das inaktivierte Rohrzucker-
blut durch Behandlung mit Kochsalz, Soda oder Ammonium-
carbonat wieder reaktiviert wird, und wenn wir ferner daran
erinnern, daß die Salze beim Stehen des Rohrzuckerblutes fort-
diffundieren, wird die Bedeutung der intracellulären Salze für
die Kobragifthämolyse ersichtlich.
Ebenso wie man durch Zusatz von Salzen zur Blutkörper-
chenaufschwemmung die Giftaufnahme verhindern, bzw. das auf-
genommene Gift wieder ausziehen kann, kann man in derselben
Weise durch Beladung der salzarm gewordenen Blutkörperchen
mit Salzen die Affinität zum Gift vergrößern. Und ebenso wie
die Basenkomponente bei der Salzwirkung zur Aufhebung der
Hämolyse verantwortlich war, ist hier die Alkalibeladung der
Blutkörperchen das wesentliche. (Es läßt sich auch eine Reakti-
vierung durch Verwendung der freien Alkalien und des
Ammoniaks hervorrufen.) Das Alkali, bzw. die Salze diffun-
deren mehr oder weniger schnell — die NH,-Salze besonders
schnell — hinein und ziehen nun das Gift mit hinein, ähnlich
wie sie es außerhalb der Zelle heraus ausziehen können.
Hierdurch ist auch der Unterschied zwischen Chromat und
Soda erklärt; das Chromat diffundiert nicht hinein und kann
demgemäß keine Reaktivierung bewirken.
Kobragift und Hämolyse. II. 493
Diese Reaktivierung ist demgemäß von derjenigen säure-
beladener Blutkörperchen scharf zu trennen. Z. B. bei salz-
säurebeladenen Blutkörperchen bewirken sowohl Soda wie
Chromat eine Reaktivierung durch Beseitigung der Salzsäure,
dagegen ist der Wirkungsmodus der Soda bei salzarmen Blut-
körperchen davon ganz verschieden, indem hier keine Neu-
tralisation stattfindet und die Soda als solche hineindiffundiert.
Wir sind hiermit zu der Folgerung gekommen, daß die
Salze und besonders ihre Basenkomponente den Angriffs-
punkt des Kobragiftes in den Blutkörperchen dar-
stellen. Sie sind also als „Receptor“ zu betrachten.?)
Von einer solchen Voraussetzung aus müssen wir uns
das Vorkommen der Salze in der Lipoidmembran derart er-
klären, daß sie entweder in der Membran gelöst oder mit
Lipoidbestandteilen chemisch verbunden sind. Nun aber zeigten
die Kälteversuche, daß eine Aufnahme des Giftes ohne Hämo-
lyse stattfinden kann, und erst wenn man die kobragiftbeladenen
Blutkörperchen bis auf Körpertemperatur erwärmt, tritt die
Hämolyse ein. Ebenfalls lassen sich diese zwei Stadien bei
höherer Temperatur, sogar bei 37° nachweisen. Es ist auch
ganz unbegreiflich, daß eine Giftbindung an das Alkali der
Blutkörperchen an sich notwendig eine Hämolyse herbeiführen
soll. Es ist demgemäß viel verständlicher, anzunehmen, ent-
weder daß das Alkali, wie der Acceptor bei der Oxydation,
als ein Sauerstoffüberträger fungiert: das Gift wird von Alkali
aufgenommen und schlägt sich von dieser Verbindung auf
andere spezifische Lipoidbestandtele der Membran nieder,
welche also für eine direkte Fixation nicht zugänglich wären,
oder auch kann man sich vorstellen, daß das Alkali selbst
eine solche Anderung der Membranbestandteile bewirkt. Stellen
wir uns einmal vor, daß solche Bestandteile von saurem und
basischem Charakter miteinander als neutrale Verbindungen vor-
kommen, dann könnte das Alkali durch die Zerlegung von diesen
und durch Neutralisation der sauren Komponente den basischen
Bestandteil frei und für das Gift disponibel machen. Als eine
dritte Möglichkeit wäre denkbar, daß den imtracellulären
1) Daß die Inaktivierung nichts mit einen O-Verlust zu tun hat,
wurde duroh Versuche sichergestellt. Ebensowenig kann man das Blut
durch Überführung in neue Rohrzuckerlösung wieder reaktivieren;
494 I. Bang:
Salzen wesentliche Bedeutung zukäme, und daß also das Gift
sowohl auf die Membran als auch intracellulär wirkte.
Ob diese oder andere Eventualitäten tatsächlich vorliegen,
entzieht sich vorläufig der Beurteilung. So viel geht jedoch mit
Evidenz hervor, daß wir mit der Erkenntnis der Salzwirkungen
keineswegs am Ende stehen, sondern daß im Gegenteil auch
andere Unbekannte noch vorliegen, welche der Untersuchung
bedürfen. Ich glaube auch, daß die übrigens seltenen Fälle,
wo das Blut refraktär ist und bleibt, hierdurch eine vorläufige
Erklärung finden können. (Eine Erklärung in Übereinstimmung
mit der Seitenkettentheorie ist aber ganz unmöglich. Die Basen
fungieren sicher nicht als Immunkörper.)
So viel geht jedoch mit großer Deutlichkeit
hervor, daß die extracellulären Salze, bzw. deren
Alkalikomponente (ich sehe von der Säurewirkung hier
ab) das Gift den Blutkörperchen entziehen, und daß
umgekehrt die intracellulären Salze (die in der Lipoid-
membran existierenden mitgenommen) für die Auf-
nahme des Giftes von wesentlicher Bedeutung sind.
Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte man erwarten,
daß man durch Beladung der Blutkörperchen vom Rind mit
Salzen bzw. Alkalien oder Basen überhaupt ihre Affinität zum
Kobragift derartig vermehren könnte, daß eine Beladung mit
darauffolgender Hämolyse auch bei Aufschwemmung in Kochsalz-
lösung stattfinden könnte. Meine recht zahlreichen Versuche
hierüber, in welchen ich die Blutkörperchen mit Alkali, Am-
moniak, Soda, Calciumsalzen usw. behandelte, haben ein wechselndes
Ergebnis gehabt. In sämtlichen Versuchen wurde Rohrzucker-
blut mit den Salzen digeriert und dann die Zuckerlösung durch
isotonische Kochsalzlösung ersetzt. Es war — wegen der Salz-
säurebeladung — keine Möglichkeit, hierzu Kochsalzblut direkt zu
verwenden.
Zwarsind die meisten Versuche mißgelungen, dagegen habe ich
sowohl mit Kalksalzen wie mit Soda bisweilen eine Empfindlich-
keit gegen sogar kleine Mengen Kobragift in Kochsalzlösungen
ohne Aktivator nachweisen können, und eben die positiven
Versuche sind beweisend. (Ich brauche kaum anzuführen, daß
Kochsalzblut und Rz-NaCl-Blut auch hier ganz unempfindlich
waren). Allerdings zeigten bei Verwendung von Soda die Kontrollen
Kobragift und Hämolyse. IL 495
auch schwache Hämolyse, während die Proben mit Gift starke
bzw. totale Hämolyse ergaben. Dasselbe findet man aber auch
oft beim „Lecithin“ allein. Übrigens wurden die Versuche in
der kalten Jahreszeit angestellt, wo das Blut, wie bemerkt, eine
geringere Empfindlichkeit zeigte.
Die Kobragiftquantität war wie gewöhnlich 0,04 bis 0,10 ccm
einer 0,1°/,igen Lösung, also 0,4 bis 0,1 mg. Vergleicht man
hiermit die Giftquantitäten, welche zur Auflösung empfindlicher
Blutkörperchen notwendig sind, so ist nach Versuchen von
Kyes und Sachs für Schweineblutkörperchen 0,25 mg und für
Kaninchenblut 1 mg gefunden worden, also eine bedeutend
größere Quantität, als unter Umständen zur Hämolyse von alkali-
beladenen Ochsenblutkörperchen in Kochsalzlösung genügt.
Wir kommen dann zuletzt zu der Frage, inwieweit viel-
leicht die empfindlichen Blutarten ihre Empfindlichkeit gegen
Kobragift ihren Gehalt an Salzen bzw. Alkali verdanken. In der
folgenden Tabelle habe ich nach Abderhaldens Analysen
(für das Pferdeblut jedoch nach denen von Gürber) den
Gehalt der verschiedenen Blutarten an Alkali und Chlor an-
geführt. (Die Werte der Phosphorsäure sind weniger brauch-
bar, da man wahrscheinlich unter der anorganischen Phosphor-
säure etwas Phosphatid-P mitgenommen hat. Die schwierige
Entfernung dieses P war unbekannt, als die Bestimmungen aus-
geführt wurden.) Zum Vergleich ist die Empfindlichkeit der
Blutarten gegen Kobragift beigefügt (nach K yes und Sachs?).
Tabelle XXXVIII.
Zur kompletten
o Überschußvon Hämolyse not-
K +- Na
Blutart Na K wendige Menge
Kobragift in mg
Rind 2,2 0,7 1,8 0,7 + 1,0 o
Schaf 2,1 0,7 1,8 0,7 + 0,9 ~
Ziege 2,2 0,7 1,5 0,7 + 1,2 oe
Pferd 0,3 3,2 1,7 1,3 40,3 1,0
Kaninchen 0 5,2 1,3 3,5 1,0
Schwein 0 5,0 1,5 3,3 0,25
Hund 29 03 14 0,3+20 0,05
1) Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 2 bis 4.
496 I. Bang:
Aus der Tabelle geht mit großer Deutlichkeit hervor,
daß die Empfindlichkeit mit dem Alkaligehalt in Proportion
steht: die unempfindlichen Blutkörperchen besitzen einen ge-
ringeren Gehalt an Alkali als die empfindlichen. Die absoluten
Werte sind dagegen von keiner entscheidenden Bedeutung,
da die notwendige Giftmenge sehr variiert. Z. B. fanden
Keen und Sachs für Kaninchenblut Differenzen von l mg bis
0,05 mg Kobragift bei der Hämolyse. Der Salzgehalt ist auch
keine absolut konstante Größe. Für das Hundeblut ist zu be-
merken, daß 2,0 Na 3,2 K entsprechen.
Aus meinen vorläufigen Untersuchungen über das Schweine-
und Kaninchenblut geht weiter mit Bestimmtheit hervor, daß
diese Blutarten gegenüber Salzen usw. sich wie Ochsenblut ver-
halten, was für die Bedeutung der intracellulären Salze spricht.
Zuletzt ist zu bemerken, daß Kyes und Sachs keine Rück-
sicht auf den variablen Säuregehalt der Blutkörperchen ge-
nommen haben (vielleicht sind die großen individuellen Unter-
schiede des Kaninchenblutes dadurch zu erklären).
Wenn ich die Verhältnisse richtig beurteile, sind die an-
geführten Ergebnisse dazu geeignet, außer der Erklärung der Kobra-
gifthämolyse einen Ausgangspunkt zur Erforschung der Wirkung
verschiedener anderer Hämolytika zu bilden. Besonders für -
das immunisatorisch erzeugte Hämolysin ist man bekannt-
lich gewöhnlich von der Ehrlichschen Theorie ausgegangen.
Nach dieser Theorie bildet der Immunkörper das Zwischen-
glied zwischen den Blutkörperchen und dem Komplement,
dem eigentlichen Ilytischen Faktor. Da nun aber Rohrzucker-
blut vom Komplement allein ohne Immunkörper gelöst wird
und da weiter auch bei Gegenwart von Immunkörpern die
Komplementhämolyse von Säuren, Alkalien und besonders
Kalksalzen verhindert wird, und da zuletzt diese Inaktivierung
durch Neutralisation der Säuren oder Alkalien bzw. CaOx-Bildung
aufgehoben wird, so liegt die Analogiefolgerung der Komplement-
hämolyse mit der Kobragifthämolyse auf der Hand. Wenn
man sich aber auf den Ehrlichschen Standpunkt stellt, daß
das Komplement nur mit dem Immunkörper — dessen haptophorer
Gruppe — reagiert, so liegt überhaupt keine Veranlassung zu Unter-
suchungen mit ähnlicher Methodik vor. Es wäre aber die reine
Kobragift und Hämolyse. IL 497
Scholastik, wegen einer unbewiesenen und in mehreren Be-
ziehungen recht unwahrscheinlichen Hypothese von solchen
Versuchen Abstand zu nehmen. Persönlich bin ich weit davon
entfernt, solche Untersuchungen nach der oben mitgeteilten
Methodik zu monopolisieren und will im Gegenteil zur Mit-
arbeit auffordern.
Zuletzt einige Worte über das Neurotoxin. Gegen die
dualistische Auffassung über das Neurotoxin und Hämotoxin
lassen sich schwerwiegende Argumente anführen, und andrer-
seits sind besonders die Beweise von Kyes für eine solche
Auffassung hinfällig. Es ist in dieser Beziehung interessant,
daran zu erinnern, daß eben die Salze Kaliumchromat und
Kalksalze als Gegengift gegen Kobragiftintoxikation vorgeschlagen
worden sind. Daß hierbei keine Vernichtung des Giftes statt-
findet, geht aus meinen obigen Untersuchungen hervor. Ich
habe auch einige Versuche angestellt, um nachzusehen, inwieweit
besonders Kalk- und Aluminiumsalze Kaninchen gegen tödliche
Vergiftungen mit Kobragift schützen können. Bei sehr schwachen
Kobragiftdosen, welche die Tiere in 5 bis 6 Stunden töteten
(ca. 0,5 mg Kobragift pro Kilo Tier), konnte eine Einspritzung
von 0,5 bis 0,1 g CaCl, das Leben 5 bis 6 Stunden verlängern.
Und durch 35 mg Aluminiumsulfat ließ sich ein Tier gegen
die nämliche Giftquantität retten. Da nun weiter das Gift
und die Salze jedes für sich auf verschiedenen Stellen subcutan,
obwohl zur selben Zeit injiziert wurden, ist eg ganz unwahr-
scheinlich, daß eine Vernichtung des Giftes stattgefunden hatte.
Übrigens waren die Ergebnisse durchaus dieselben, wenn Salz
und Gift zusammen eingespritzt wurden. Diese Tatsachen
sprechen entschieden für die Identität zwischen Neurotoxin
und Hämotoxin. Sie besitzen aber leider keine praktische Be-
deutung, da keine Schutzwirkung bei etwas größerer Gift-
quantität gefunden wurde, auch dann nicht, wenn die Salzmengen
vergrößert wurden.
Da man besonders Permanganat als Antidot gegen Kobra-
gift empfohlen hat, war es von Interesse, nachzusehen, wie dieses
Salz sich gegen die hämolytische Giftwirkung verhält. Leider
sind solche Versuche unmöglich, da das Permanganat selbst
die Blutkörperchen auflöst.
498 I. Bang: Kobragift und Hämolyse. TI.
Eine Frage bleibt zu erwähnen, nämlich der Mechanismus
der Auflösung von kobragiftbeladenen Blutkörperchen. Findet
hier eine Auflösung von Zellenbestandteilen, besonders der
Lipoidmembran, statt, oder hat man an andere Möglichkeiten
zu denken. Hierüber läßt sich nichts aussagen, und die Frage
wird überhaupt nicht von den mitgeteilten Tatsachen ernstlich
berührt, sondern erfordert besonders darauf gerichtete Unter-
suchungen.
Über den Einfluß des Alters und der Größe auf den
Gasstoffwechsel des Säuglinges.
Von
Artur Schloßmann und Hans Murchhauser.
(Aus der akademischen Klinik für Kinderheilkunde in Düsseldorf.)
(Eingegangen am 12. Mai 1909.)
Es ist neuerdings als eine feststehende Tatsache angenommen
worden, daß das Kind einen respiratorischen Stoffwechsel sui
generis habe; derselbe soll beträchtlich reger und energischer
als der des Erwachsenen sein. Natürlich ist dabei nicht die
Gewichtseinheit des Kindes der des Erwachsenen gegenüber-
gestellt; denn daß pro Kilo gerechnet das wesentlich leichtere
jugendliche Individuum mehr CO, produziert und mehr O
konsumiert, als ein älteres und schwereres, ist ja selbstver-
ständlich. Man hat aber auch gemeint, daß bei Zugrunde-
legung gleicher Oberflächeneinheiten das Kind einen regeren
Gasaustausch bewerkstelligt als der Erwachsene. So sagt
A. Loewy!): ‚Der Stoffumsatz ist im Kindes- und Entwick-
lungsalter nicht nur pro Kilo Körpergewicht, sondern auch,
und das ist allein maßgebend, für die Oberflächeneinheit
höher als der des Erwachsenen.“ Auch Magnus-Levy steht
in seiner „Physiologie des Stoffwechsels‘‘*) auf demselben Stand-
punkt. ‚Der Gaswechsel des Kindes‘, so heißt es daselbst, „ist
viel lebhafter als der des Erwachsenen. Der Umsatz pro
Quadratmeter war bei den Kindern von Magnus-Levy und
E. Falck um 1,1 bis 1,6 mal höher als bei erwachsenen Per-
sonen.“ In der auf S. 287 angegebenen Tabelle der Magnus-
1) Der respiratorische und der Gesamtumsatz, Handbuch der Bio-
chemie von C. Oppenheimer. Literatur siehe daselbst.
2) Handb. d. Pathol. d. Stoffw. von C. v. Noorden.
500 A. Schloßmann und H. Murchhauser :
Levyschen Physiologie des Stoffwechsels sieht man die Rela-
tionszahlen des Sauerstoffes für Kinder und Erwachsene auf
l qcm Oberfläche berechnet völlig dem zunehmenden Alter ent-
sprechend sinken. Dem gegenüber stehen die allerdings nur
andeutungsweise publizierten Untersuchungen von Staehelin
und Gigan!), die Erwachsene von Zwergwuchs verglichen mit
Kindern gleicher Größe: der O-Verbrauch war bei beiden Ka-
tegorien von Individuen völlig analog pro Quadratmeter Ober-
fläche.
Nun haben wir?) bereits früher die Meinung ausgesprochen,
daß die CO,-Ausscheidung des ruhenden Säuglings mit derjenigen
des Erwachsenen auf gleiche Oberfläche berechnet parallel geht.
Wir hatten ja gefunden, daß 1 qm ruhender Säugling S. im
Durchschnitt pro Stunde 11,0 g O verbraucht und 13,78 CO,
produziert. Es beträgt dagegen die CO,-Ausscheidung beim ruhen-
den Erwachsenen im Durchschnitt aus 5 Versuchen von Rubner
und Lewaschew°) 15,85 g, ist hier also nicht nur nicht ge-
ringer, sondern sogar größer als beim Säugling. Rubner und
Heubner erklären dies damit, daß der Säugling in ihrem Ver-
suche im wachenden und schlafenden Zustande untersucht ist,
die Erwachsenen nur bei Wachsein, und daß ferner die Luft-
temperatur in den Versuchen bei letzteren meist nicht unerheb-
lich niedriger war als bei den Säuglingsversuchen.
Auch die von Atwater*) angegebenen Werte lassen jeden-
falls die Deutung nicht zu, daß die CO,-Ausscheidung beim
ruhenden Erwachsenen geringer sei als wir sie beim ruhenden
Säugling gefunden haben. Er gibt als Durchschnitt 16,11 g
pro Quadratmeter an. Nun können zweckmäßig diese Fragen
nur dann beantwortet werden, wenn die Untersuchungen von
denselben Beobachtern, mit derselben Apparatur, nach der-
1) Sitzungsber. der Physiol. Ges. in Basel 29, 1, 1909. Ref. i. med.
Klinik 1909, Nr. 8.
2) Schloßmann, Zur Frage des respiratorischen Stoffwechsels beim
Säugling. Verhandlungen der Gesellschaft für Kinderheilkunde 25, Ver-
lag von G. F. Bergmann, S. 52ff. und: Sohloßmann, Oppenheimer
und Murchhauser, diese Zeitschr. 14, 393.
3) Rubner und Lewaschew, Arch. f. Hygiene 29, 47 und Rubner
und Heu bner, Zeitschr. f. Biol. 36, 25.
4) Atwater, Neue Versuche über Stoff- und Kraftwechsel im mensch-
lichen Körper. Ergebnisse der Physiologie 3, 1. Abt., 584.
Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinge. 501
selben Methode und unter ganz denselben Bedingungen aus-
geführt sind. Nachdem Kettner!) durch seine auf unsere
Veranlassung hin unternommenen Versuche am Meerschwein
erwiesen hatte, daß offenbar die ursprüngliche Ansicht Rub-
ners ganz zu Recht besteht, nach der der Gasweochsel der
Körperoberfläche nahezu proportional einhergeht, erschien es
uns angezeigt, am wachsenden Säugling festzustellen, ob mit
Alter, Oberflächen- und Gewichtszunahme sich Veränderungen
im respiratorischen Stoffwechsel zeigen. Derselbe Säugling S.,
der uns zu den ersten Versuchen gedient hatte, wurde nunmehr
wieder dem früher?) geschilderten nächtlichen Achtstundenversuch
unterworfen. Im Alter von 144 Tagen, bei einem Gewichte
von 5790 g und mit einer Oberfläche von 38,4 qdem hatte S.
im Schlafe im Durchschnitt von 8 Stunden pro Stunde 13,78 g
CO, produziert und 11,0g O konsumiert (Durchschnitte aus
6 Versuchen vom 14. August bis 2. September. Siehe diese
Zeitschr. 14, 389).
Am 9. Januar war das Versuchskind 284 Tage alt, also
fast doppelt so alt als im Durchschnitt der ersten Versuche,
es wog 8450 g und hatte eine Oberfläche von 49,63 qdem. Das
Kind wurde noch ausschließlich gestillt; der Versuch verlief genau
wie die vorhergehenden. Er ergab pro Quadratmeter Ober-
fläche und Stunde einen O-Verbrauch von 11,05 g und eine
CO,-Ausscheidung von 13,99 g.
Am 15. April ist endlich ein letzter Versuch, wieder ganz
analog den früheren, gemacht worden. Das Kind, jetzt 380 Tage
alt und immer noch reines Brustkind, läuft jetzt schon allein
herum und hat in der letzten Zeit weniger zugenommen. Sein
Gewicht beträgt 8930 g, seine Oberfläche 51,50 qdem. Pro Stunde
und Quadratmeter ergab sich ein O-Verbrauch von 11,41 g und
eine CO,-Ausscheidung von 13,49 g.
Wir stellen der Übersicht halber die Befunde tabellarisch
zusammen:
Wir sehen aus den angeführten Zahlen, daß die CO,-Aus-
scheidung pro Quadratmeter Oberfläche in allen 3 Versuchen
vollkommen übereinstimmt. Dabei hatte unser Versuchskind
1) Die Beziehungen der Körperoberfläche zum respiratorischen Stoff-
wechsel. (Erscheint demnächst in dieser Zeitschrift.)
2) Literatur s. vorige Seite, Fußnote 2.
502
Tabelle.
Op ver-
braucht
und Stunde wurde
CO, aus-
geschieden
ProKilo Kind und Stunde Dro Quadratmeter Kind
g E
guano
338
A d
Nr.
A. Schloßmann und H Murchhauser:
7,698 1
== 110g
7,733 1
11,05 g
7,985 1
11418
13,78 g
7,140 1
13,99 g
6,885 1
13,49 g
53
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11) | 24. August 1908
22)| 9. Januar 1909
32)| 15. April 1909
1) Siehe Tabelle auf Seite 389 des 14. Bandes dieser Zeitschrift und die Protokolle auf Seite 394 des 14. Bandes.
2) Protokolle zu den beiden Versuchen am Schlusse dieser Arbeit.
im 2. Versuche fast genau das
doppelte Alter wie im 1., und
im 3. Versuche war es 2,6 mal
so alt wie im 1. und 1,7 mal
so alt wie im 2. Versuch.
Trotzdem kann nicht die Rede
davon sein, daß die CO,-Aus-
scheidung heruntergegangen
sei, wenn man dieselbe auf die
Öberflächeneinheit berechnet.
Auch in bezug auf den Sauer-
stoffverbrauch gilt ein gleiches.
Derselbe ist im 3. Versuche
sogar eine Kleinigkeit höher
als im 1l. und 2., die absolut
genau übereinstimmen. Doch
ist die Differenz immer noch
so gering, daß es sich er-
übrigt, nach einer besonderen
Erklärung hierfür zu suchen.
Wir glauben aber mit
Sicherheit annehmen zu dür-
fen, daß unsere Versuche einen
Ausschlag hätten ergeben
müssen, wenn wirklich das
ältere Individuum einen ge-
ringeren Gasaustausch auf die
Öberflächeneinheit berechnet
zeigen würde als das jüngere.
Die Übereinstimmung der
Werte deuten wir aber in der
Richtung, daß wir aus der-
selben die Richtigkeit der
Rubnerschen Anschauung
schließen, nach der die
Stoffwechselvorgänge
sich proportional der
Öberflächenentwicklung
halten.
Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglings. 503
Protokolle.
Bei dem zunächst folgenden Versuch vom 9. Januar 1909 wurde
aus bei anderer Gelegenheit zu erörternden Gründen nach der 1. Stunde
eine Luft- und Laugenprobe aus dem Respirationsraume entnommen.
Die entnommenen Volumina an Gas und Lauge mußten für den 8stün-
digen Versuch in Rechnung gezogen werden und sind deshalb in das
Protokoll mit aufgenommen; j
Versuch vom 9. Januar 1909.
Versuchsobjekt: Sutholt, Fritz. Alter: 284 Tage.
Gewicht Gewicht der Bekleidung
des Kindes und des Bettzeuges Ta Ernährung
vorher: nachher: vorher: nachher:
8449 g 8240 g 3010 g 3200 g 8 Stunden 170g Miloh
Anfangswerte: Temp: 19,39 Bar. corr. 760,3 Man. + 0,08 Thermobar. -+ 0,95
Endwerte: „ 192 „ „» 7614 „ +0,14 e -+ 0,23
Anfangsvolumen: 204,575 1 bei 19,30 und 759,43 mm Hg — 186,081 1
Endvolumen: 204,575 1 „ 19,30 „ 760,39 „ „ = 186,325 I.
Analyse
der Anfangsluft der Endluft des Sauerstoffs
CO = 0,10%, 0,36 2/9 0,22 0/9
O3 = 20,77 Di 19,55°/, 95,13%/,
N, = 79,13°/, 80,09%), 4,65°%/,
100,00°/, 100,00°/, 100,009),
Das nach der 1. Stunde entnommene Gasvolumen betrug be-
rechnet auf 0° und 760 mm = 337 com; die Analyse der Luftprobe ergab:
CO, = 0,27%,
0, = 20,29 0/9
N, = 79,44°/,
es wurden folglich entnommen: 1 com CO,
68 com O,
268 com N,
337 com
die entnommene Laugenprobe betrug 137 ccm und enthielt im ganzen
0,8495 g COs-
Sauerstoffbilanz.
Vorher vorhanden: 38,650
nachher vorhanden: 36,427
nach der 1. Stunde entnommen: -4 0,068
2,155.
Anfangsgewicht des Gasometers = 21,10 kg bei 108,32 Thermobar.
Endgewicht Aë H = 53,70 kg bei 109,07
Sauerstoff aus Gasometer — 30,026 1
davon ab N, in O, = 1,396 1
” zg CO, in O, = 0,066 1
dazu: 2,1561
Nettosauerstoffverbrauch: 30,718 1
Pro kg und Stunde = 0,460 1.
504 A. Schloßmann und H. Murchhauser:
Kohlensäurebilanz.
Vorher vorhanden: 0,186 1
nachher vorhanden: 0,671 1
F 0,4851 `
nach der 1. Stunde entnommen: 0,001 I
0,486 1.
Endlauge: 58,5760 g
nach der 1. Stunde entnommen: 0,8495 g
59,4255 g
Anfangslauge: 4,8000 g
54,6255 g CO,
— 27,878 1
+ 0,486
Gesamt-CO,-Produktion: 28,364 l in 8 Stunden
Pro Stunde und kg — 0,424 |.
Respiratorischer Quotient = 0,923.
Stiokstoffbilanz.
Vorher vorhanden: 147,245 1
nachher vorhanden: 149,228 1
nach der 1.Stundeentnommen: 0,268 1
al
N, aus O, (4,65°%/,) = 1,396 1
Fehler: + 0,855 1.
Versuch vom 15. April 1909.
Versuchsobjekt: Sutholt, Fritz. Alter: 380 Tage.
Gewicht Gewicht der Bekleidung
des Kindes und des Bettzeuges us Ernährung
vorher: nachher: vorher: nachher:
8930 g 8745 g 2935 g 3060 g 8 Stunden 200 g Milch
Anfangswerte: Temp. 20,4° Bar. corr. 759,5 Man. + 0,08 Thermobar. + 0,00
Endwerte: wm 2049 „ „ 7605 „ +3,40 * + 1,05
Anfangsvolumen: 204,190 1 bei 20,4° und 759,58 mm Hg = 184,745 1
Endvolumen: 204,190 1 „ 20,4% „ 761,85 „ „ = 185,309 L
Analyse
der Anfangsluft der Endluft des Sauerstoffs
CO, = 0,13 0/9 0,31 Die 0,18°/,
Oz = 20,81 °/9 18,91°/, 95,07 D
N, = 79,06%), 80,78 0/9 4,75°/,
100,00 dÉ 100,00 Vë 100,00 %/o
Sauerstoffbilanz.
Vorher vorhanden: 38,445 1
nachher vorhanden: 35,042 |
3,403 1
Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinge. 505
Anfangsgewicht des Gasometere — 25,37 kg bei 109,06 Thermobar
Endgewicht a H — 59,15 kg bei 108,92 e
Sauerstoff aus Gasometer — 31,033 1
davon ab N, in O = 1,4741
» a CO, in O, = 0,0561
dazu: 3,403 1
Nettosauerstoffverbrauch: 32,906 1
Sauerstoffverbrauch pro kg und Stunde = 0,465 1.
Kohlensäurebilanz.
Vorher vorhanden: 0,240 1
nachher vorhanden: 0,574 1
0,334 1
Aus Lauge: 28,024 1
Gesamtkohlensäureproduktion — 28,358 1
Kohlensäure pro kg und Stunde = 0,401 1
Respiratorischer Quotient: 0,862.
Stiokstoffbilanz.
Vorher vorhanden: 146,060 1
nachher vorhanden: 149,693 1
3,633 1
N, aus O, (4,75°/,) = 1,474 1
Fehler — + 2,1591.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 33
Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der
Selachier.
I. Über das Harnsäurezerstörungsvermögen der Leber von
Seyllium catulüs.
Von
Vittorio Scaffidi.
(Aus der physiologischen und der chemischen Abteilung der zoologischen
Station in Neapel.)
(Eingegangen am 12. Mai 1909.)
Die ersten Untersuchungen über das Harnsäurezerstörungs-
vermögen der Leber stammen von Stokvis!) welcher fand,
daß Harnsäure, dem Brei von Hunde- oder Pferdeleber zu-
gesetzt, nach einigen Stunden beträchtlich abnimmt oder ganz
verschwindet. Auf Grund dieser Untersuchungen und der Be-
obachtung von Hahn und Nencki’), daß im Harne von
Hunden mit Eckscher Fistel das 4 bis 5fache, ja manchmal
sogar das 9fache der vor der Operation vorhandenen Harn-
säuremenge auftritt, gelangte man schon vor Jahren zu dem
Schlusse, daß der Hundeleber die Fähigkeit zukommt, Harn-
säure zu zerstören.
Auch Chassevant und Richet?°) fanden, daß Preßsaft von Hunde-
leber starke urioolytische Fähigkeiten besitzt, und zu demselben Resul-
tate kam M. Jakobyt), während er bei Kalbsleber keine uricolytischen
Eigenschaften nachzuweisen vermochte.
Noch auf einem anderen Wege wurde das Harnsäurezerstörungs-
vermögen der Hundeleber festgestellt, und zwar von Ascolid). Dieser
1) Arch. f. d. holländ. Beiträge 2, 1860.
2) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 32, 1893.
3) Compt. rend. Soc. biologie (X), 4, 1897.
4) Virchows Archiv 157, 1898.
5) Pflügers Archiv 72, 1898.
V.Soaffidi: Untersuchungen üb. d. Purinstoffwechsel der Selachier. I. 507
Autor löste Harnsäure (zu 0,02 bis 0,080/,) in defibriniertem Blute und
durchströmte mit dieser Lösung überlebende Hundelebern : hierbei er-
folgte stets eine erhebliche Verminderung der Harnsäure in der zirku-
lierenden Flüssigkeit.
Späterhin haben sich besonders Wiener!), Burian?) und Schitten-
helm®) mit dem Studium der harnsäurezerstörenden Eigenschaften von
Organbreien beschäftigt; sie führten ihre Versuche außer an Leber auch
an zahlreichen anderen Organen und bei verschiedenen Säugetierarten
aus, und trachteten überdies, Aufklärungen über das Wesen der Uricolyse
zu gewinnen. In allen diesen Versuchen wurde eine völlig einwandsfreie
Methodik angewandt, speziell wurde dafür gesorgt, daß die zu den
Organbreien zugesetzten Harnsäurelösungen nur ganz schwach alkalisch
reagierten, daß Bakterienwirkung ausgeschlossen blieb und daß die
Digestion der Harnsäure mit dem Brei niemals allzu lange (nur etwa
4 Stunden lang) fortgesetzt wurde.
Aus den Untersuchungen von Wiener geht hervor, daß die urico-
lytische Fähigkeit der Organextrakte (Leber, Nieren und Muskeln) beim
Kochen verschwindet, dagegen bei Anwendung von Antisepticis, wie
Chloroform, Toluol und Fluornatrium, erhaltem bleibt. Man kann also auf
die Gegenwart eines Enzymes schließen und ihm mit Schittenhelm den
Namen „uricolytisches Enzym“ geben. Burian zufolge vollzieht sich
die Uricolyse nur bei Gegenwart von Sauerstoff, und zwar nach dem
Typus der vollständigen monomolekularen Reaktion.
Es ergibt sich weiter aus allen neueren Untersuchungen, daß,
während bei den Carnivoren (Hund und Katze) das größte Harnsäure-
zerstörungsvermögen der Leber zukommt, bei den Herbivoren (Rind,
Pferd, Kaninchen) die Nieren das am stärksten mit dieser Eigenschaft
ausgestattete Organ sind. Almagiät) glaubt zwar konstatiert zu haben,
daß auch beim Pferd die Leber am meisten uricolytisches Ferment pro-
duziertt; Burian) bemerkt jedoch hierzu, daß die Menge des an-
gewandten Organbreis zu klein war (3 bis 5 g Leberbrei), weshalb
Almagiä sich auch genötigt sah, seine Versuche auf mehrere Tage aus-
zudehnen. Bei einer so lange fortgesetzten Digestion aber ist es einer-
seits sehr schwer, eine bakterielle Zersetzung der Harnsäure vollständig
auszuschließen, anderseits könnte es dabei auch zur Bildung von Sub-
stanzen kommen, welche die Ausfällung und den Nachweis der Harn-
säure verhindern und so eine Uricolyse vortäuschen.
Für niedrige Wirbeltiere liegen Angaben über eine uricoly-
tische Wirksamkeit der Organe bisher nicht vor.
1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 42.
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 1906.
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 45. — Zeitschr. f. experim. Pathol.
u. Ther. 4.
4) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 7.
5) Medizinische Klinik 1906.
33*
508 V. Scaffidi:
In meinen eigenen Versuchen achtete ich darauf, 7. daß
das Gemisch von Organbrei und Harnsäurelösung vor Beginn
der Digestion neutral oder doch nur ganz schwach alkalisch
war — bei höheren Alkalescenzgraden unterliegt die Harnsäure
bekanntlich auch ohne Mitwirkung uricolytischer Organfermente
leicht einer oxydativen Zerstörung — und 2. daß die für jedes
Experiment verwendete Menge von Leberbrei hinreichte, um auch
bei kurzdauernder Digestion ein ganz bestimmtes Resultat zu geben.
Ich befolgte genau die von Burian in seinen Unter-
suchungen über das Harnsäurezerstörungsvermögen der Ochsen-
leber benützte Methode.
Die Leber von mehreren Haifischen wurde mit einer Fleisch-
maschine fein zerkleinert und der Brei sorgfältig gemischt, sodann
wurden gleich große Teile des Breies in mehrere Gefäße verteilt, zu
jeder Portion ein bestimmtes Volum Chloroformwasser und eine ab-
gemessene Menge frisch bereiteter Harnsäurelösung hinzugefügt, und das
Gemisch hierauf eine bestimmte Zeit lang meist unter Sauerstofidurch-
leitung, im Wasserthermostaten bei konstanter Temperatur digeriert.
Die Lösung der Harnsäure wurde hergestellt, indem man letztere
mit einer aus metallischem Natrium bereiteten Lauge von bekanntem
Gehalte erwärmte, so daß sich die Menge des nach der Auflösung der
Harnsäure übriggebliebenen NaOH berechnen ließ; hierauf wurden so
viel Kubikzentimeter einer Salzsäure von bekanntem Titer hinzugefügt,
daß fast der ganze NaOH-Überschuß neutralisiert wurde. Die zahlen-
mäßigen Verhältnisse waren folgende: es wurden für jeden Versuch
0,5 g Harnsäure in 100 ccm Silent gelöst, sodann 60 ocm Sie HO
zugesetzt und das Gemisch mit warmem Wasser auf ein Volum von
200 ccm aufgefüllt. Man hatte so eine leicht alkalische Lösung von
saurem Natriumurat, mit einer geringfügigen Beimengung von neutralem
Natriumurat. Die Lösung blieb auch nach dem Erkalten ganz klar, und
ihre unbedeutende Alkalescenz wurde durch die leichte Acidität des Leber-
breies vollends korrigiert. Je 40 ocm der Lösung entsprachen 0,1 g
Harnsäure.
Nach Beendigung der Digestion schüttete man das Gemenge von
Leberbrei und Harnsäurelösung in eine große Quantität (1000 bis 1500 ccm)
kochenden Wassers, säuerte leicht mit Essigsäure an, ließ noch für einige
Minuten kochen und filtrierte siedend. Der Rückstand wurde mehrmals
mit kochendem Wasser gewaschen und das Filtrat samt den Waschwässern
auf dem Wasserbade auf ca. 50 ccm eingeengt; zu dieser Flüssigkeit fügte
man behufs Auflösung etwa ausgefallener Harnsäure in der Wärme
Natriumhydrat e natrio hinzu und filtrierte. Das Filtrat wurde mit Salz-
säure angesäuert, hierauf mit NH, übersättigt!) und sodann die Harn-
1) Über den Zweck dieser Maßnahmen s. Burian und Walker
Hall, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32.
——
Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 809
säure als Silbermagnesiumdoppelsalz nach der Methode von Salkowski
gefällt.
Zur Zerlegung des Harnsäuresilberniederschlages benützte ich ein
von dem Burianschen abweichendes Verfahren ; denn filtrierte man
nach der Zerlegung mit Natriumsulfhydrat direkt die alkalische Zer-
legungsflüssigkeit von der Schwefelsilberfällung ab, so kam es bei dem
nachträglichen Zusatze von Salzsäure zur Zerlegungsflüssigkeit stets zur
Abscheidung von Stoffen (kolloidales Schwefelsilber?), die sich von
der auskrystallisierenden Harnsäure auf keine Weise trennen ließen.
Ich verfuhr deshalb bei der Zersetzung der Harnsäuresilberver-
bindung folgendermaßen : ich ließ die Fällung mit ca. 400 bis 500 ccm
Wasser in einem größeren Gefäße kochen, fügte hierauf eine hinreichend
große Menge von Natriumsulfhydrat hinzu, säuerte sofort mit Essigsäure
an und ließ weiter kochen, bis die Flüssigkeit klar wurde. Dann filtrierte
ich die siedende Flüssigkeit sehr rasch ab, setzte zu dem Filtrate 1 ccm
Salzsäure zu und ließ es am Wasserbade bis auf 10 com eindampfen.
Die ausgeschiedene Harnsäure wog ich, nachdem ich sie dem Reinigungs-
verfahren von Horbaczewski!) unterzogen hatte.
Vor Beginn der Uricolyseexperimente prüfte ich (Versuch 1), ob und
in welchem Maße sich bei der Autolyse der Haifischleber Harnsäure
bildet,
Versuch 1.
Der aus den Lebern von zwei Scyllium catulus erhaltene Brei
wurde in zwei (ungleiche) Portionen geteilt. Die erste Portion wurde
sofort, die zweite erst nachdem sie nach Zusatz von Chloroformwasser
4 Stunden lang bei 38° C der Autolyse unter Sauerstoffdurchleitung
überlassen worden war, in siedendes Wasser gegossen. Im Koagulum
wurde der N der gebundenen Purinbasen nach der von Burian?) für
diesen Zweck angegebenen Methode, im Filtrat die Harnsäure und der
N der freien Purinbasen bestimmt.
Resultate. Erste Portion des Leberbreies, 143 g, ohne voraus-
gehende Autolyse verarbeitet:
Im Filtrat Harnsäure = 0g
Purinbasen-N = 0,0053 g
Im Koagulum Purinbasen-N — 0,03376 g
Gesamt-Purinbasen-N — 0,03906 g, entsprechend 0,0273°/,.
Zweite Portion des Leberbreies, 103 g, nach 4stündiger Autolyse
verarbeitet:
Im Filtrat Harnsüure = 0 g
Purinbasen-N = 0,01066 g
Im Koagulum Purinbasen-N = 0,01552 g
Gesamt-Purinbasen-N —= 0,02618 g, entsprechend 0,0254 °/,:
1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 18.
2) Burian und Walker Hall, Le
610 V. Soaffidi:
Es ergibt sich also, daß bei 4stündiger Autolyse von Haifischleber
bei 38° C unter Sauerstoffdurchleitung zwar eine Umwandlung von ge-
bundenen in freie Purinbasen, aber keine oder nur eine minimale Zer-
störung der Purinbasen und keine Bildung von Harnsäure stattfindet.
Versuch 2.
Der Brei dreier Scylliumlebern wurde in 3 Portionen, a, b und e, von
je 60 g geteilt, und zu jeder Portion 0,1 g Harnsäuere (= 40 com der
früher erwähnten Lösung) hinzugefügt; a wurde sofort nach dem Zusatze
der Harnsäure aufgekocht, b und c dagegen mit je 60 ccm Chloroform-
wasser versetzt und 3 Stunden lang unter Sauerstoffdurchleitung di-
geriert, und zwar b im Thermostaten bei 38°C, e bei Zimmertemperatur
(15°C).
Resultate. Harnsäure (nach Reinigung mittels des Horbaczewski-
schen Schwefelsäureverfahrens)
in a 0,0993 g,
WAT:
„ € 0,0274 g.
Aus diesem Experiment geht hervor, daß die Leber von Soyllium ein
starkes Harnsäurezerstörungsvermögen besitzt; denn von der der Portion b
uze setzten Harnsäure war nach 3stündiger Digestion keine Spur mehr
vorhanden. Es zeigt sich ferner, daß die für die Uricolyse günstigste
Temperatur nicht bei 15° C liegt, obwohl dies die Temperatur ist, bei
der die Tiere leben; das Optimum scheint sich vielmehr in jenem Tem-
peraturbereiche zu befinden, in welchem auch die Fermente der Warm-
blüter ihre stärkste Wirksamkeit entfalten. — Die Probe a des Breies,
in welcher die ganze zugesetzte Harnsäure wiedergefunden wurde, dient
gleichzeitig zur Kontrolle der angewandten Methode.
Versuch 3.
Leberbrei von drei Scyllien wurde in vier Portionen zu je 40g ge-
teilt. Die Portionen a, b und c wurden unter Zusatz von je 40 oom
Chloroformwasser im Thermostaten auf 39° C erwärmt. Sobald sie diese
Temperatur erreicht hatten (nach ca. !/, Stunde), fügte man zu jeder
Probe 0,1 g Harnsäure (40 com Natriumuratlösung) hinzu, leitete Sauer-
stoff durch und ließ a 30 Minuten, b 1 Stunde und e 2 Stunden lang
bei 39° C digerieren.
Der vierte Teil, Portion d, wurde 25 Minuten gekocht. Dann ließ
man ihn auskühlen, fügte 40 ccm Chloroformwasser zu und erwärmte ihn,
wie die vorhergehenden Portionen, im Thermostaten auf 39° C. Nach-
dem auch d diese Temperatur angenommen hatte, setzte man 0,1l g
Harnsäure zu und ließ 2 Stunden lang unter Sauerstoffdurchleitung bei
39° digerieren.
Resultate.
a 30 Minuten lang digeriert; Harnsäure = 0,0146 g;
bundc. 1 bzw. 2 Stunden lang digeriert: Harnsäure — 0;
d nach vorausgehendem Kochen des Breies 2 Stunden lang dige-
riert: Harnsäure — 0,0984 g.
Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 511
Die Harnsäure von a und d wurde dem Horbaozewskischen
Reinigungsverfahren unterzogen.
Dieser Versuch beweist eine auffallend große uricolytischa Fähig-
keit der Haifischleber, denn 40 g Leberbrei vermochten schon in 30 Mi-
nuten von 0,1 g Harnsäure 0,0854 g oder 85,4°/, zu zerstören. Überdies
lehrt das Experiment, daß das Harnsäurezerstörungsvermögen der Hai-
fischleber durch Kochen vernichtet wird, also wohl auf der Wirksamkeit
eines Enzymes beruht, denn in Probe d wurden von 0,1 g Harnsäure
selbst nach 2stündiger Digestion noch volle 0,0984 g wiedergefunden,
was, nebenbei bemerkt, auch zeigt, daß die in den Digestionsgemischen
vorhandenen Spuren freien Alkalis unter den eingehaltenen Versuchs-
bedingungen an und für sich keine merkliche Zersetzung der Harnsäure
bewirken.
Versuch 4.
Der Leberbrei von drei Scyllien wurde in 4 Teile, a, b, ©, d, zu je
50 g geteilt, deren jedem 0,1 g Harnsäure und 60 ccm Chloroformwasser
zugesetzt wurden. Hierauf ließ man alle bei einer Temperatur von
16°C digerieren, und zwar a, b, c, wie im vorigen Versuch, 30 Minuten,
1 Stunde und 2 Stunden lang unter Durchleitung von Sauerstoff, die vierte
Portion, d, ebenfalls 2 Stunden lang, aber ohne Sauerstofidurchleitung
und unter einer dicken Ölschicht, die sie gegen das Hineindiffundieren
des Luftsauerstoffes schützte.
Resultate.
a nach 30 Min.: Harnsäure — 0,0838 g; Harnsäure zerstört: 0,0162 g;
b „1 Std.: nn — 0,070 8; 3 nm 0,03 8;
GD „ 2 Std.: j = 0,0544 g; e » 0,0456 g;
d , 2Std. ohne Sauerstoffstrom: Harnsäure — 0,0904 g; Harnsäure
zerstört: 0,0096 g.
Die Harnsäure wurde stets dem Horbaczewskischen Reinigungs-
verfahren unterzogen.
Dies Experiment ergibt in Übereinstimmung mit dem vorhergehenden
abermals, daß sich die Urioolyse in der Haifischleber bei Zimmertempe-
ratur langsamer vollzieht als bei 39° C. In letzterem Falle spielt sich
der Prozeß so rasch ab, daß es kaum möglich ist, seinen Verlauf messend
zu verfolgen, während dies bei 16° C, wie aus der unten folgenden Be-
rechnung des vorliegenden Versuches hervorgeht, unschwer gelang. Ferner
lehrt das Experiment, daß wie in den Organen der Säugetiere (vgl.
Burian), so auch in der Leber des Haifisches für die Uricolyse die
Gegenwart von Sauerstoff erforderlich ist, denn in Probe d fanden sich
nach 2stündiger Digestion bei Sauerstoffarmut — es war hier nur der
von vornherein in der Leber enthaltene Sauerstoff zugegen — von 0,1 g
Harnsäyre noch volle 0,0904 g, wogegen in e nach ebenso lange dauern-
der Digestion bei Sauerstoffdurchleitung nur mehr 0,0544 g Harnsäure
enthalten waren.
512 V. Soaffidi:
Versuch 5.
80 g Leberbrei wurden mit 350 ccm Chloroformwasser versetzt, das
Gemisch nach kräftigem Umschütteln, mit Toluol bedeckt, 24 Stunden
lang stehen gelassen und hierauf durch Watte filtriert. Von dem Fil-
trate, dessen Volum 300 ccm betrug, wurden gleichgroße Portionen; a
und b, in 2 Gefäße verteilt. Jede der beiden Portioncn wurde mit
0,1 g Harnsäure (40 ocm der Natriumuratlösung) versetzt und nach Hin-
zufügung von ca. 10 ccm Chloroform unter Sauerstoffdurchleitung im
Thermostaten bei 39° C digeriert und zwar a 2 Stunden, b 3 Stunden lang.
Resultate.
a nach 2 Stunden: Harnsäure — 0,0288 g; Harns. zerst.: 0,0712 g;
b nm 3 nm IT zs D
Auch der wässerige Extrakt der Leber besitzt also die Fähigkeit
der Harnsäurezerstörung, wiewohl weniger intensiv als der Organbrei
selbst. Die Isolierung des uricolytischen Fermentes der Haifischleber
erscheint hierdurch in den Bereich der Möglichkeit gerückt.
Fassen wir die Resultate der vorstehenden fünf Experi-
mente zusammen, so können wir zunächst aussagen, daß der
Leber von Scyllium catulus eine äußerst kräftige uri-
colytische Fähigkeit zukommt, die zu ihrer Betätigung
des Sauerstoffs bedarf und bei 38 bis 39° C höchst energisch
wirksam ist. Diese Eigenschaft wird durch Kochen vollständig
vernichtet. Ich halte es deshalb für wahrscheinlich, daß die
geringfügige Uricolyse, die Schittenhelm?) in Versuchen mit
gekochten uricolytischen Fermenten beobachtete, nicht, wie er
meint, auf einer physiologischen Ursache, sondern auf irgend einem
Nebenumstande beruht.
Die Uricolyse vollzieht sich in der Scyllium-Leber
mit so großer Geschwindigkeit, wie sie die Uricolyse in
keinem anderen bisher darauf untersuchten Wirbel-
tierorgan aufweist, und der Verlauf des Vorganges läßt
sich dementsprechend nur bei niedriger Temperatur messend
verfolgen.
Berechnet man aus Versuch 4, in welchem die Uricolyse bei
16° C erfolgte, die Geschwindigkeitskonstante nach der Formel
1 a
k=-—In ;
d. h. also unter der Voraussetzung, daß es sich um eine vollständige
monomolekulare Reaktion handelt, so kommt man zu folgenden Werten:
1) S. Künzel und Schittenhelm, Zeitschr. f. exper. Pathol. u.
Ther. 5, S. 390.
Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 513
Temp.: 16° C aC?) in Grammen = 0,1.
t (a—x) C!)
in Stunden in Grammen k
WÉI 0,0838 0,3535
1 0,0700 0,3567
2 0,0544 0,3044.
Trotz der geringfügigen Abweichung des dritten Wertes dürfte hier-
nach der Schluß berechtigt sein, daß ebenso wie in der Rinderleber
(Burian), auch in der Leber des Haifisches die Uricolyse nach dem
Typus der vollständigen monomolekularen Reaktion verläuft, voraus-
gesetzt, daß die Konzentration des Sauerstoffes (als der zweiten Reaktions-
komponente) während der ganzen Reaktionsdauer konstant bleibt, wie
dies in meinen Versuchen, in denen die Flüssigkeit dauernd mit Sauer-
stoff gesättigt blieb, stets der Fall war.
1) Statt der molekularen Konzentrationen kann man direkt die je-
weils vorhandenen absoluten Harnsäuremengen (in Grammen) in die
Rechnung einsetzen, da alle Proben das gleiche Volum V (100 ccm
Flüssigkeit + 50 g Leberbrei) besaßen; a und a— x erscheinen dann ein-
fach in allen Fällen mit dem gleichen Faktor
o 100
— V.168
(168 ist das Molekulargewicht der Harnsäure) multipliziert.
Untersuchungen über den Blutzucker. VIL
Die Permesabilität der Blutkörperchen für Traubenzueker.
Von
P. Rona und L. Michaelis.
(Aus dem biochemischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am
Urban in Berlin.)
(Eingegangen am 28. Mai 1909.)
Aus unseren beiden letzten Arbeiten über den Blutzucker
geht hervor, daß erstens die Blutkörperchen Zucker enthalten,
daß zweitens Schwankungen des Zuckergehaltes im Blutplasma
von den Blutkörperchen oft in gleichem Sinne mitgemacht
werden, ohne daß jedoch immer und zu allen Zeiten eine völlige
Übereinstimmung im Zuckergehalt zwischen Plasma und Blut-
körperchen besteht. Das führt uns nun unmittelbar auf die
wichtige Frage der Permeabilität der Blutkörperchen für Zuoker,
die eine Teilfrage der Permeabilität der Zellen überhaupt ist.
Bekanntlich gehört nach den Untersuchungen von Ham-
burger!), Gryns®), Hedin?), Overton*), Koeppe?) u. a. der
Zucker zu denjenigen Substanzen, die nicht in die Blutkörperchen
eindringen, und die sich daher wie das CINa dazu eignen, in
geeigneter Konzentration in reiner wässeriger Lösung als Kon-
servierungsmittel für Blutkörperchen zu dienen in demselben
1) Hamburger, Zeitschr. f. Biol. 26, 414, 1890; 28, 405, 1891 u. a.;
s. Hamburger, „Osmot. Druck usw.‘ 1, 202, 1902.
2) Greng, Pflügers Archiv 63, 86, 1896.
3) Hedin, Pflügers Archiv 68, 229, 1897; 78, 525, 1898.
4) Overton, Vierteljahrsschr. d. Naturf.-Ges. Zürich, 1895, 159
und Zeitschr. f. physikal, Chem. 22, 189, 1895.
5) Koeppe, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, 154 und Pflügers
Archiv 78, 525, 1898.
P. Rona u. L. Michaelis: Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 515
Sinne (und mit derselben Einschränkung) wie die physiologische
Kochsalzlösung und im Gegensatz zu Stoffen wie Harnstoff,
die in die Blutkörperchen eindringen und daher keinen osmoti-
schen Gegendruck auf die Blutkörperchen von außen ausüben
können.
Vergleichen wir diese feststehende Tatsache mit unseren
Befunden von dem bald mehr, bald weniger vollständigen Aus-
gleich der Zuckerkonzentration innerhalb und außerhalb der
Blutkörperchen im lebenden Tiere bei hyperglykämischen Zu-
ständen, so stoßen wir auf einen Widerspruch. Um zur Klärung
desselben beizutragen, stellten wir zunächst einige Versuche an,
die die Permeabilität der Blutkörperchen für Zucker unter ver-
schiedenen Bedingungen beleuchten sollten.
Der Versuch, gewaschene Blutkörperchen in einer Lösung
von ca. 4°/, Traubenzucker in Wasser zu halten, ist so ein-
deutig, daß wir ihn nur kurz erwähnen wollen.
Nun ist allerdings die Bedingung, unter der sich die Blut-
körperchen in diesem Versuch befinden, eine sehr unnatürliche.
Es wäre denkbar, daß die an sich vielleicht permeablen Blut-
körperchen durch die Entfernung der Elektrolyte oder des
Serumeiweißes und Einsetzens in die stark zuckerhaltige Lösung
erst ihre Impermeabilität für Zucker erlangen. Zur Entschei-
dung dieser Frage wurden Versuche angestellt, bei denen die
Blutkörperchen sich unter natürlicheren Bedingungen befanden.
Erstens wurde isotonische oder fast isotonische CINa-Lösung
mit einer bekannten, die Isotonie nicht störenden und sich von
physiologisch in Betracht kommenden Mengen nicht zu weit
entfernenden Mengen Traubenzucker versetzt, gewaschene Blut-
körperchen zugefügt und nach 24 Stunden der Zuckergehalt
der abzentrifugierten Flüssigkeit bestimmt. Dies geschah, in-
dem die mit Kaolin von Eiweißspuren und Trübungen gereinigte
Flüssigkeit polarisiert wurde. Es fragte sich, ob die gefundene
Zuckerkonzentration derart war, als wenn der Zucker sich
gleichmäßig auf Flüssigkeit und Blutkörperchen verteilt hätte,
oder so, als wenn der Zucker allein in der Flüssigkeit gelöst
vorhanden wäre.
Der Versuch ergibt, daß auch unter diesen Bedingungen
der Zucker die Wand des Blutkörperchens nicht durchdringt.
Auch hier kann man immer noch an unnatürliche Be-
516 P. Rona und L. Michaelis:
dingungen denken, da die Flüssigkeit eiweißfrei ist. Es wurde
deshalb weiterhin zu Blut, dessen Zuckergehalt vorher bestimmt
war, eine bekannte Menge Zucker zugesetzt und der Versuch
wie oben wiederholt; es wurde nach 24 Stunden untersucht,
ob dieser Zucker in die Blutkörperchen eingedrungen war. Als
Blut wurde in einer Versuchsreihe fluoriertes Hundeblut, in
einer anderen, um auch das Fluor noch auszuschalten, ge-
schlagenes Hammelblut verwendet.
In Übereinstimmung mit früheren Angaben ergibt sich nun
zunächst als wichtiges Nebenresultat, daß bei 24stündigem Auf-
enthalt des Blutes im Eisschrank, ja selbst bei Zimmertemperatur,
der Zuckergehalt des mit FNa versetzten Blutes und des Plas-
mas sowie der Blutkörperchen sich in irgendwie nennenswerter
Weise nicht vermindert. Im Versuch 8 ist der Zuckerwert auch
des nicht mit FNa versetzten, geschlagenen Hammelblutes bis
zum nächsten Tag der gleiche geblieben. Auf die damit ge-
streifte Frage der Glykolyse soll vorläufig nicht weiter ein-
gegangen werden.
1. Versuch. 50 g gewaschene, mäßig stark zusammenzentrifugierte
Blutkörperchen werden mit einer Lösung von 0,55°/, ClINa, 0,3°/, FNa,
Lë, Traubenzucker auf 100 ccm Gesamtvolumen aufgefüllt. Ein Teil
der Flüssigkeit wird sofort zentrifugiert und abpipettiert, ein zweiter erst
nach 24stündigem Aufenthalt im Eisschrank, und in beiden Proben (zu
gleicher Zeit) der Zucker bestimmt.
Es wird gefunden
in der sofort entnommenen Probe. . . .. . 0,799%/, Zucker,
in der nach 24 Std. entnommenen Probe . . 0,50°%/,
Berechnet unter Annahme der Permeabilität . . 0,50%,
2. Versuch. 35 ccm fast auf konstantes Volumen zusammencentri-
fugierter Blutkörperchenbrei vom Hammel werden mit 100 ccm einer
Lösung von 0,6°/, ClNa, 0,3%/, FNa und 1°/, Zucker versetzt. Es wird
weiter wie in Versuch 1 verfahren.
Sofort gefunden . . 2. s s 2 22 22200. 0,90°/, Zucker,
Nach 24 Std. gefunden . . .. 2.220020. 0,92 0/9
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 0,74°/,
3. Versuch. 42 g eines Breies von sehr gut gewaschenen Hammel-
blutkörperchen wird mit einer Lösung von 0,6°/, CINa, 0,3°/, FNa und
1°/, Zucker auf 64 ccm aufgefüllt, dann wie oben verfahren.
Zuckergehalt in dem sofort abzentrifugierten Teil. . . . 0,77%),
» p„ Dach 24 Std. zentrifugierten Teil . 0,77°/,
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . .... 0,36°/,
Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 517
4. Versuch. 40 g gewaschene, mäßig stark zusammenzentrifugierte
Blutkörperchen werden mit 2 ccm einer 38,6°/,igen Zuckerlösung versetzt
und mit zuckerfreier CINa-Lösung auf 60 com aufgefüllt. Nach 24 Std.
wird in der abzentrifugierten Flüssigkeit gefunden . 2,12°/, Zucker,
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 1,290/,
5. Versuch. 60 g gewaschene und nicht sehr energisch zusammen-
zentrifugierte Blutkörperchen werden mit 2 ccm einer 38,5°/ ,igen Zucker-
lösung versetzt und mit einer Lösung von 0,6°/, CINa und 0,3°/, FNa
auf 90 com aufgefüllt.
Nach 24 Std. gefunden. .... 2.2.2200. 1,50°/, Zucker,
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 0,86°/,
Resümee: Wenn man eine Blutkörperchenaufschwem-
mung mit Zucker versetzt, so enthält die Zwischenflüssig-
keit unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Blut-
körperchenbrei nur 80 bis 90°, des Gesamtvolumens an Blut-
körperchen enthält, so viel Zuoker, auch noch nach 24 Stun-
den, daß keine merklicohe Menge von Zucker in die Blutkör-
perchen eingedrungen sein kann.
6. Versuch. Zu 150 ccm Hundeblut, das im Plasma einen Zucker-
gehalt von 0,135°/,, im Gesamtblut 0,158°/, Zucker enthält, werden
1,5 ccm einer 38,5°/,igen Traubenzuckerlösung und 0,3°/, FNa hinzu-
gelügt und das Gemisch 24 Stunden im Eisschrank aufbewahrt. Es
werden dann
gefunden im Plasma 0,626°/, im Gesamtblut 0,574°;, Zucker,
berechnet unter der Annahme, ber. 0,543 01,
daß das Blut 33 Volumprozente
Blutkörperchen enthält unter An-
nahme völliger
a) Permeabilität. . . . . 0,52%),
b) Impermeabilität . . . 0,71%,
7. Versuch. Zu 100 ccm Hundeblut, das im Plasma 0,225°/,, im
Gesamtblut 0,188°/, Zucker enthält, werden l ccm einer 68,15°/,igen
Traubenzuckerlösung, ferner 0,30/, FNa hinzugefügt. Nach 24 Stunden
Aufenthalt im Eisschrank werden
gefunden im Plasma 1,22%, im Gesamtblut 0,869°/, Zucker,
berechnet wie Versuch 6
8) bei Permeabilität 0,87 9/9 ber. 0,869 0/9
b) bei Impermeabilität 1,36°/,
(Blutkörperchenvolumen — 33 Volumprozente des Blutes.)
| 8. Versuch. 100 ccm geschlagenes, 2 Tage altes Hammelblut mit
einem Zuckergehalt im Serum von 0,021°/,, im Gesamtblut 0,023°/,,
werden mit l ocm einer 58,2°/,igen Zuckerlösung versetzt. Nach 24stün-
digem Aufenthalt im Eisschrank werden
gefunden im Serum 0,901°/, im Blut 0,559,
berechnet
518 P. Rona und L. Michaelis:
a) bei Permeabilität 0,80°/, ber. 0,6050/,
b) bei Impermeabilität 0,86°/,
(Blutkörperchen — 33 Volumprozente des Blutes.)
Ferner wurde untersucht, ob die Differenz des Zucker-
gehaltes im Plasma und im Gesamtblut, die bei der alimentären
Glykämie zu konstatieren ist, sich ausgleicht, wenn man das
Blut einfach 24 Stunden stehen läßt:
9. Versuch. Blut von Hund mit alimentärer Glykämie.
Im Plasma Im Gesamtblut
Bofort ia u 0,518°%/, 0,473%/,
Nach 20stündigem Stehen mit 0.30/, FNa
bei Zimmertemperatur . . . ..... 0,6526°/, 0,490°/,
Ebenso im
10. Versuch. Im Plasma Im Blut
Sofort aa 0. u 0,4000), 0,244 %/,
Nach 48stündigem Stehen mit 0,3°/, FNa
im Eisschrank . . . . . : 2 2 220. 0,385 0/9 0,251°/,
und im
11. Versuch. Im Plasma Im Blut
Solo Lë dÉ te ee er e ee 0,457 0/9 0,418 gie
Nach 24stündigem Stehen mit 0,3°/ FNa
im Eisschrank `, 2 2 2202. 0,453 0/9 dE "EN
Im Versuch 9 und 11 mag man die ursprüngliche Differenz
zwischen dem Zuckergehalt von Plasma und Blut zu gering
halten, um ganz sichere Schlüsse zu ziehen, obwohl die Zahlen
stark für die Unveränderlichkeit der Zuckerverteilung sprechen.
Dafür ist Versuch 10 ein schlagender Beweis, daß das hyper-
glykämische Blut, wenn es ungleiche Zuckerverteilung im Körper
hatte, beim Aufbewahren die Zuckerverteilung nicht ausgleicht.
Eine gewisse Unsicherheit haftet der Berechnung der Ver-
suche 6 bis 8 an, auf welche auch schon frühere Untersucher hin-
wiesen. Um den zu erwartenden Zuckerwert zu berechnen, muß
man eine bestimmte Annahme machen über die Volumprozente,
die die Blutkörperchen im Blute einnehmen. Das wechselt
nun nicht nur bei verschiedenen Tierarten, sondern auch bei
den einzelnen Hunderassen merklich. Immerhin kann es sich
nur um einen engen Bereich handeln; wir nehmen etwa 33 Volum-
prozente an, indem wir zu unseren Ungunsten rechnen wollen.
Diese Unsicherheit bringt es mit sich, daß wir mit diesen Ver-
suchen nicht sicher beweisen können, daß überhaupt keine
Spur Zucker in die Blutkörperchen hineindiffundiert; aber die
Tatsache, daß auch nicht im entferntesten ein völliger Aus-
Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 519
gleich der Konzentrationen eintritt, wird dadurch nicht ins
Wanken gebracht.
Die Möglichkeit eines teilweisen Eindringens des Zuckers
läßt sich nach Versuch 6 nicht sicher ausschließen, während
sämtliche anderen Versuche nicht für diese Möglichkeit sprechen.
Aber auch die Frage, ob nicht ein wenig Zucker all-
mählich eindringt, läßt sich auf Grund dieser Vorversuche durch `
folgende Versuchsanordnung entscheiden. Wir wuschen die
Blutkörperchen mehrere Male mit derjenigen CINa-Zuckerlösung,
in welcher die Blutkörperchen dann suspendiert wurden. Nach
24 Stunden wurde dann der Zuckergehalt der abzentrifugierten
Flüssigkeit bestimmt. Ohne unsere vorhergehenden Versuche
hätten wir nicht wissen können, ob nicht während des Waschens
schon ein Ausgleich der Zuckerkonzentration stattgefunden habe.
Da wir aber auf Grund der früher mitgeteilten (und anderer,
nicht weiter beschriebener) Versuche mit Sicherheit sagen können,
daß während der Zeit des Waschens keine oder jedenfalls keine
merkliche Menge Zucker eindringt, können wir diesen Versuch
zur Entscheidung der Frage benutzen, ob von dem Zucker der
Außenflüssigkeit während der 24stündigen Versuchsdauer
ein kleiner Anteil oder gar nichts eindringt.
Die Blutkörperchen aus je 25 bis 30 ccm geschlagenen Hammel-
blutes werden 4 mal mit einer Lösung von 0,85°/, CINa + 0,560°/, Trauben-
zucker gewaschen, dann mit je 12 ccm derselben Lösung aufgeschwemmt.
Nach 24 Stunden Aufenthalt im Eisschrank wird die Flüssigkeit ab-
zentrifugiert und nach Entfernung der Eiweiß- und Hämoglobinspuren
durch Kaolin polarisiert.
12. Versuch. 0,562°/, Zucker.
13. Versuch. 0,556°/, Zucker.
Die ursprüngliche Lösung: 0,560°/, Zucker.
Es ist also in 24 Stunden nicht die allergeringste
Menge Zucker eingedrungen und auch (bei Eisschrank-
temperatur) trotz Gegenwart der roten Blutkörperchen keine
Spur Zucker zerstört worden. |
Wir streifen hier wieder die Frage der Glykolyse, auf die
wir zunächst noch nicht .näher eingehen wollen.
Ferner ergibt sich für die von uns aufgeworfene Frage,
daß unter keinen Umständen eine nachweisbare Menge
des zugegebenen Zuckers in die Blutkörperchen ein-
dringt, sondern daß sich auch nach 24 Stunden der gesamte
zugegebene Zucker in der Außenflüssigkeit wiederfindet.
520 P. Rona u. L. Michaelis: Untersuchungen über den Blutzucker. VII.
Außerhalb des Organismus war also auf keine der ange-
wandten Weisen der Zuckergehalt der Blutkörperchen zu erhöhen.
Im Gegensatz hierzu steht die von uns gefundene Tatsache,
daß im lebenden Organismus bei erhöhtem Zuckergehalt des
Plasmas auch der Zuckergehalt der Blutkörperchen erhöht sein
kann, ja sogar in den meisten Fällen es wirklich ist. In allen
Fällen von diabetischer Hyperglykämie wäre diese Tatsache
allenfalls noch durch einen Umweg zu erklären. Man könnte
meinen, daß die reifen Blutkörperchen zwar undurchgängig für
Zucker seien, daß aber die Blutkörperchen in ihren kernhaltigen
Jugendstadien sich mit Zucker beladen hätten. Diese aus verschie-
denen anderen Gründen schon gezwungen erscheinende Annahme
wird aber dadurch noch unwahrscheinlicher, daß auch häufig bei alt.
mentärer Hyperglykämie bei völlig gesunden Hunden im Laufe
weniger Stunden der Zuckergehalt der Blutkörperchen stark
anstieg und in einigen Fällen geradezu fast die Konzentration
des Plasmas erreichte. Es läßt sich also nicht wegleugnen, daß
unter natürlichen Verhältnissen die Permeabilität eine andere
ist als unter noch so gut nachgeahmten künstlichen Bedingungen.
Dabei ist es fraglos, daß diese Permeabilität im Leben nicht
auf einer einfachen Diffusion beruht. Wäre das der Fall, so
müßte in Anbetracht des kurzen Diffusionsweges, der ja nur
die halbe Dicke eines roten Blutkörperchens beträgt, der Aus-
gleich viel rascher und regelmäßiger erfolgen.
Auch mit der Annahme einer chemischen Bindung des Blut-
körpercheneiweißes mit dem Zucker kommen wir nicht ohne wei-
teres zur Erklärung, denn auch dann wäre der Gegensatz zwischen
dem Blutkörperchen in vitro und in vivo nicht zu verstehen.
Da wir so diese oben geschilderten Wege, auf denen der Zucker
in die Blutkörperchen eindringen könnte, ausschließen können,
so halten wir dieses unzweifelhafte Beispiel einer unerklärlichen
Permeabilität in vivo für beachtenswert genug, um es auch
ohne Aufklärung als bloße Tatsache festzulegen. Wir werden
uns weiterhin bemühen, die Bedingungen für diese Permeabilität
auch beim Experiment in vitro nach Möglichkeit aufzuklären.
Außerhalb des Organismus ist bis jetzt also unter keiner
von den vielen angewandten Versuchsbedingungen eine Per-
meabilität der Blutkörperchen für Traubenzucker nachweisbar
gewesen, während im strömenden Blut eine Permeabilität besteht.
Berichtigungen.
Elektrochemische Alkalinitätsmessungen an Blut
und Serum.
Von
Leonor Michaelis und Peter Rona.
In diesem Bande S. 326, Fußnote, ist
statt 2/0000. HO == 10—10 zu lesen: 2 0000. HO = 10—
und statt a/,0000-NaOH = 10-10 Blue 0o0oo-NaOH = 106.
R
Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der
alkoholischen Gärung.
Von
Felix Ehrlich.
In diesem Bande S. 422, 12. Zeile von oben muß es statt „Vorgang
der Bernsteinsäure“ heißen:
„Vorgang der Bernsteinsäurebildung“.
Biochemische Zeitschrift Band 18. 34
Autorenverzeichnis.
Allers, Rudolf siehe Fränkel und
Allers.
Baintner, Franz und Karl Irk.
Beiträge zur Zusammensetzung
der Büffelmilch. S. 112.
Bang, Ivar. Kobragift und Hämo-
lyse. II. S. 441.
Bobertag, O. siehe Fischer und
Bobertag.
Brasch, Walter. Über den bakte-
riellen Abbau primärer Eiweiß-
spaltprodukte. S. 380.
Capezzuoli, Cesare siehe Neu-
berg und Capezzuoli.
Ducháček, Franz. Einwirkung
verschiedener Antiseptica auf die
des Hefepreßsaftes.
Ehrlich, Felix. Über die Ent-
stehung der Bermsteinsäure bei
der alkoholischen Gärung. S. 391.
Emmerling, O. Hydrolyse der
Meerleuchtinfusorien der Nord-
see (Noctiluca miliaris). S. 372.
Fischer, H. W. und O. Bober-
tag. Über das Ausfrieren von
Gelen. S. 58.
Fränkel, Sigmund. Über die
Milch einer 62 jährigen Frau. S. 34.
— — und Rudolf Allers. Über
eine neue charakteristische Adre-
nalinreaktion. S. 40.
Handovsky, Hans siehe
und Handovsky:
Irk, Karl siehe Baintner und Irk.
Itami, S. und J. Pratt. Über
Veränderungen der Resistenz und
der Stromata roter Blutkörper-
chen bei experimentellen Anämien.
S. 302.
Karczag, Lázló siehe Neuberg
und Karczag.
Pauli
Liebermann, Paul v. Eine Me-
thode zur quantitativen Bestim-
mung der Phosphorsäure im
Harne und in Alkaliphosphat-
lösungen. S. 44.
Linnert, Kurt. Enthält Kaviar
(Stör- resp. Hauseneier) Purin-
basen? S. 209.
— — und G. A. Pari. Über Li-
poide. V. S. 37.
Michaelis, L. und P. Rona. Be-
merkung zu der Abhandlung von
P. Rohland: „Über die Adsorp-
tion durch Tone“. S. 207.
Elektrochemische Alka-
linitätsmessungen an Blut und
Serum. 8. 317.
— — — — Untersuchungen über
den Blutzucker. VI. S. 375.
— — siehe Rona und Michaelis.
Morawitz, P. Zur Frage der
Blutgerinnung. S. 30.
Murschhauser, Hans siehe
Schloßmann und Murschhauser.
Neuberg, Carl. Verhalten von
racemischer Glutaminsäure bei der
Fäulnis, 8. 431.
— — und Cesare Capezzuoli.
Biochemische Umwandlung von
Asparagin und Asparaginsäure in
Propionsäure und Bernsteinsäure.
S. 424.
— — und Läzlö Karczag. Ver-
halten der d, l-a-Aminoisovale-
riansäure (d, en) bei der
Fäulnis. S. 43
Palladin, W. Dber das Wesen
der Pflanzenatmung. S. 151.
Pari, G. A. siehe Linnert u. Pari.
Pagenstecher, A. Das Vor-
kommen von Lipasen in den Ge-
weben, S. 285
Autorenverzeichnis,.
Paul, Theodor. Der ohemische
Reaktionsverlauf beim Absterben
trookener Bakterien bei niederen
Temperaturen. S. 1.
Pauli, Poeng und Hans
Handovsky. ntersuchungen
über physikalische Zustandsände-
rungen der Kolloide. VIII. 8. 340.
Pohl, Julius.. Zur Lehre von
der Säurevergiftung. S. 24.
Pratt, J. siehe Itami und Pratt.
Rona, Peter siehe Michaelis und
Rona.
— — und L. Miohaelis. Unter-
suchungen über dən Blutzuoker.
VII. S. 514.
Rosenberg, Siegfried. Weitere
Untersuchungen zur Frage des
Duodenaldiabetes. S. 95.
623
Schern, Kurt. Beobach
über die Schardinger - Reaktion
der Miloh. S. 261.
Schloß, Ernst. Zur biologischen
Wirkung der Salze. TI. S. 15.
Schloßmann, Artur und Hans
Murschhauser. Überden Ein-
fluß des Alters und der Größe
auf den Gasstoffwechsel des Säug-
lings. S. 499.
Soaffidi Vittorio. Unter-
suchungen über den Purinstoff-
wechsel der Selachier. I. S. 506.
Vandevelde, A. J. J. Über die
Wirkung der Erwärmung auf
Proteolase. S. 142.
Wienhaus, Otto. Zur Biochemie
des Phasins. S. 228.
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