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Full text of "Biochemische Zeitschrift 18.1909"

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COLLEGE OF AGRICULTURE 
DAVIS, CALIFORNIA 








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4. E 


Biochemische Zeitschrift. 


Beiträge 
zur chemischen Physiologie und Pathologie. 


Herausgegeben von 


£. Buchner-Berlin, P. Ehrlich-Frankfurt a. M., F. Hofmeister- 
Straßburg i. E., C. von Noorden-Wien, E. Salkowski- Berlin, 
N D Zuntz-Berlin. 


unter Mitwirkung von 


L. Asher-Bern, J. Bang-Lund, G. Bertzand-Paris, A. Biokel-Berlin, F. Blumenthal-Berlin, 
Chr. Bohr-Kopenhagen, A. Bonanni-Rom, F. Bottazzi-Neapel, &. Bredig-Heidelberg, A. 
Durig-Wien, F. Ehrlich-Berlin, 6. Embden-Frankfurt a. Main, 8. Flexner-New York, 8, 
Fränkel-Wien, E. Freund-Wien, U. Friedemaan-Berlin, E. Friedmann-Berlin, O.v. Fürth- 
Wien, G. Galeotti-Neapel, H. J. Hamburger-Groningen, A. Heffter-Berlin, V. Heari-Paris, 
W. Houbner-Göttingen, R. Höber-Kiel, M. Jacoby-Heidelberg, R. Kobert-Rostock, M. 
Kumagawa-Tokio, F. Landolf-Buenos-Aires, L. Langstein-Berlin, P. A. Levene-NewYork 
L. von Liebermann-Budapest, J. Loeb-Berkeley, W. Loeb-Berlin, A. Loewy-Berlin, A.Mag- 
nus-Leovy-Berlin, J. A. Mandel-New York, L. Marchlowski-Krakau, P, Mayer-Karlsbad, 
L. Michaelis-Berlin,J .Morgenroth-Berlin, W. Nernst-Berlin, W. Ostwald-Leipzig, W. Pale 
ladin-St. Petersburg, W. Pauli-Wien, R. Pfeiffer-Königsberg, E. P. Pick-Wien, J. Pobl- 
Prag, Ch. Poreher-Lyon, F. Roehmann-Breslau, P. Rona- Berlin, 8. Salaskin»St. Petersburg, 
N. Sieber-St. Petersburg, M. Siegfried-Leiprig, Zd. H. Skraup-Wien, 8. P. L. Sörensen- 
Kopenhagen, K. Spiro-Straßburg, E. H. Starling-London, F. Tangi-Budapest, H, vV. Tap- 
peiner-München, H. Thoms-Berlin, J. Traube-Charlottenburg, A. J.e d Vandevelde-Gent, 
A. Wohl-Danzig, J. Wohlgemuth-Berlin, 


Redigiert von 
C. Neuberg-Berlin. 


Achtzehnter Band. 





Berlin. 
Verlag von Julius Springer. 
1909. 


UNIVERSITY OF Cal IFORNI“ 
LIBRARY 
COLLEGE OF AGRICULTURE 
DAVIS 


Druck von Oscar Brandstetter, Leipzig. 


Inhaltsverzeichnis. 


Paul, Theodor. Der ehemische Reaktionsverlauf beim Absterben 

trockener Bakterien bei niederen Temperaturen. .. ..... 
Schloß, Ernst. Zur biologischen Wirkung der Salze. I. ...... 
Pehi, Julius. Zur Lehre von der Säurevergiftung. . . . ..... 
Morawitz, P. Zur Frage der Blutgerinnung . . .. 2 2 22.0. 
Fränkel, Sigmund. Über die Milch einer 62jährigen Frau... . . 
Linnert, Kurt und @. A. Pari. Über Lipoide. V. . .. 2.2.2... 
Fränkel, Sigmund und Rudolf Allers. Über eine neue charakteristische 

Adrenalinreaktion . 2 . 2 2 m en ren. 
Liebermann, Paul v. Eine Methode zur quantitativen Bestimmung 

der Phosphorsäure im Harne und in Alkaliphosphatlösungen . . 
Eicher, H. W. und ©. Bobertag. Über dab Ausfrieren von Gelen. . 
Rosenberg, Siegfried. Weitere Untersuchungen zur Frage des Duodenal- 

diabetes: 1 ee ee le en 
Baintner, Franz und Karl Irk. Beiträge zur Zusammensetzung ES 

Büffel een ër e Ae ee Era Re 
Vandevelde, A. J. J. Über die Wirkung der Erwärmung auf Proteolase 
Palladin, W. Uer das Wesen der Pflanzenatmung . . ..-.. 
Michaelis, L. und P. Rona. Bemerkung zu der Abhandlung von 

P. Rohland: ‚Über die Adsorption durch Tone“ . ...... 
Uppert, Kurt. Enthält Kaviar (Stör- resp. Hauseneier) Purinbasen ? 
Duchäcek, Franz. Einwirkung verschiedener Antiseptica auf die 

Enzyme des Hefepreßsaftes. . . . . 2. 2 2 22 2220. 
Wienbaus, Otto. Zur Biochemie des Phasins. . . . .. ... 


Schern, Kurt. Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion der Milch. 


Pagenstecher, A. Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben . . 
Itami, 8. und J. Pratt. Über Veränderungen der Resistenz und der 
Stromata roter Blutkörperchen bei experimentellen Anämien . . 
Michaelis, Leonor und Peter Bong, Elektrochemische Alkalinitäts- 
messungen an Blut und Serum `, . .. 2. 2: 2 2 2200. 
Pauli, Wolfgang und Hans Handovsky. Untersuchungen über physi- 
kalische Zustandsänderungen der Kolloide. VIIL.. ...... 


62869 


Emmerling, ©. Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee 
(Noctiluca miliaris) . - . . . 2 2 Co Er rn. 
Michaelis, L. und P. Rona. Untersuchungen über den Blutzucker. VI. 
Brasch, Walter. Über den bakteriellen Abbau primärer Eiweißspalt- 
Produkte 2 ee Eee 
Ehrlich, Felix. Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der alko- 
holischen Gñrunggg. ea en 
Neuberg, Carl und Cesare Cappezzuoll. Biochemische Umwandlung von 
Asparaginund Asparaginsäure in Propionsäure und Bernsteinsäure. 
Neuberg, Carl. Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis. 
Neuberg, Carl und Lázló Karezag. Verhalten von d l-a- Aminoiso- 
valeriansäure (d,1-Valin) bei der Fäulns . . .. 2.2 2.. 
Bang, Ivar. Kobragift und Hämolyse. DO. . .... 2.2 22.0. 
Schloßmann, Artur und Hans Murschhauser. Über den Einfluß des 
Alters und der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinges. 
Scaftidi, Vittorio. Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der 
SOlachier; L ` Ze 2.00.00 EEN re e ee 
Rona, P. und L. Michaelis. Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 


372 
375 


391 


431 


499 


614 


Der chemische Reaktionsverlauf beim Absterben trockener 
Bakterien bei niederen Temperaturen. Ä 


Von 
Theodor Paul. 


(Aus dem Laboratorium für angewandte Chemie an der Universität 
München.) 


(Eingegangen am 15. April 1909;) 
Mit 1 Figur im Text. 


$ 


Das Verhalten der Mikroorganismen beim Austrocknen ist 
wegen der praktischen Bedeutung dieser Vorgänge sehr häufig 
Gegenstand der Untersuchung gewesen. Leider haben diese 
Untersuchungen zu sehr verschiedenen Ergebnissen geführt, und 
zwar nicht nur bei verschiedenen Bakterienarten, sondern 
auch bei der gleichen Bakterienart, ja sogar bei den In- 
dividuen des gleichen Stammes und der gleichen Kultur.!) 
Die Ursache dieser Erscheinung, welche man bei biologischen 
Untersuchungen häufig beobachten kann, dürfte in erster Linie 
darauf zurückzuführen sein, daß die Versuche meist qualitativer 
Natur waren, wobei man sich im wesentlichen darauf beschränkte, 
die Zeitabschnitte zu ermitteln, nach welchen die an mikro- 
skopischen Deckgläsern, Glasscherben, Erde, Sand, Staub, Zeug- 
stücken, Seidenfäden, Wolle usw. angetrockneten Keime nicht 
mehr entwicklungsfähig waren, d. h. nach welchen die zur 
Prüfung benutzten Nährböden steril blieben. Obgleich die auf 
diese Weise gewonnenen Erfahrungen für die Bekämpfung der 
Infektionskrankheiten mehrfach von großer Bedeutung gewesen 


1) Vgl. u.a. die ausführliche Abhandlung von Martin Ficker, 
Über Lebensdauer und Absterben von pathogenen Keimen, Zeitschr. f. 
Hygiene 29, 1, 1893. In dieser Abhandlung befindet sich auch eine 
sorgfältige Zusammenstellung der Versuchsergebnisse anderer Forscher. 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 1 


2 Th. Paul: 


sind, so geben sie doch keinen Einblick in die Gesetzmäßigkeiten, 
welche dem Absterben oder der Lebenserhaltung der trockenen 
Bakterien zugrunde liegen. Diese Aufklärung läßt sich erst dann 
erwarten, wenn die Untersuchungen quantitativ unter Einhaltung 
der für das Studium der chemischen Reaktionen üblichen Ver- 
suchsbedingungen vorgenommen werden. 

Die Verhältnisse liegen hier ähnlich wie bei den Unter- 
suchungen über das Verhalten der Bakterien zu Desinfektions- 
mitteln. Solange man sich damit begnügte, die Bakterien in 
Desinfektionslösungen von verschiedenem Prozentgehalt bei der 
jeweiligen Temperatur der Umgebung zu bringen und fest- 
zustellen, nach welcher Zeit die Nährböden nach Überimpfung 
der so behandelten Keime steril blieben, konnte man ebenfalls 
keinen tiefergehenden Einblick in das Wesen dieser Giftwirkung 
erhalten. Erst nachdem man dazu übergegangen war, die Ver- 
suchsbedingungen auf einer exakten Grundlage aufzubauen, begann 
man bei Vergleichsversuchen eine befriedigende Übereinstimmung 
zu erzielen.) Im Jahre 1897 haben B. Krönig und ich in 
einer ausführlichen Abhandlung?) über quantitative Versuche 
berichtet, die wir anstellten, um die Beziehungen zwischen dem 
Lösungszustande einer großen Anzahl von Stoffen und ihrer 
Giftwirkung auf Bakterien zu ermitteln. Auf diese Versuche 
soll hier kurz eingegangen werden, weil die dabei benutzte Ver- 
suchsanordnung auch bei den in der vorliegenden Abhandlung 
besprochenen Versuchen zur Anwendung kam. 

Diese von B. Krönig und mir benutzte Versuchsanordnung 
bestand im wesentlichen darin, daß wir die Bakterien an sorg- 
fältig gereinigte böhmische Granaten, sog. Tariergranaten, an- 
trockneten, die Granaten eine bestimmte Zeit in die Des- 
infektionslösungen einlegten, nach dem Herausnehmen die Des- 


1) Vgl. u. a. Gruber, Über die Methoden der Prüfung von Des- 
infektionsmitteln. Referat vom VIL internationalen Kongreß für Hygiene 
und Demographie in London 1891. Centralbl. f. Bakt. 1892, Heft 11. 

2) B. Krönig und Th. Paul, Die chemischen Grundlagen der 
Lehre von der Giftwirkung und Desinfektion. Zeitschr. f. Hygiene 25, 
1, 1897. Die wesentlichsten Ergebnisse unserer Versuche haben wir vor- 
her unter besonderer Berücksichtigung der physikalisch-chemischen Ver- 
hältnisse in der Abhandlung veröffentlicht: Th. Paul und B. Krönig, 
Über das Verhalten der Bakterien zu chemischen Reagenzien. Zeitschr. 
f. physikal. Chem. 21, 414, 1896. 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 3 


infektionsmittel durch chemische Reagenzienunschädlich machten, 
hierauf die Bakterien durch kräftiges Schütteln mit Wasser von 
den Granaten loslösten und die Zahl der keimfähig gebliebenen 
Bakterien durch Anlegen von Agarkulturen feststellten. Um 
einen Vergleich der Desinfektionswirkung der verschiedenen Stoffe 
zu ermöglichen, benutzten wir nicht, wie dies meist früher ge- 
schehen war, Lösungen von gleichem Prozentgehalt, sondern 
äquimolekulare Lösungen und verwandten besondere Sorgfalt 
darauf, daß ihre Temperatur (4- 18°C) während des Versuchs 
konstant blieb. 

Auf diese Weise konnten wir u. a. nachweisen, daß die 
Desinfektionswirkung von Säuren, Basen und Salzen in hohem 
Grade von ihrer elektrolytischen Dissoziation abhängt. So des- 
infizieren die Säuren und Basen im allgemeinen nach Maßgabe 
ihres Dissoziationsgrades, d. h. entsprechend der Konzentration 
des in der Lösung enthaltenen Wasserstoff- oder Hydroxylions. 
Die stark giftigen Lösungen der Quecksilber-, Silber- und Gold- 
salze verlieren ihre Giftigkeit fast vollständig, wenn diese Metalle 
durch geeignete Zusätze in komplexe Verbindungen übergeführt 
werden. Die Giftwirkung einer Silbernitratlösung kann z. B. 
durch Zusatz von Natriumthiosulfat oder Cyankalium fast voll- 
kommen vernichtet und diejenige einer starken Sublimatlösung 
schon durch Zusatz von Kochsalz auf ein sehr geringes Maß 
herabgesetzt werden. Die Oxydationsmittel: Salpetersäure, Di- 
chromsäure, Chlorsäure, Überschwefelssäure und Übermangan- 
säure wirken entsprechend ihrer Stellung in der für Oxydations- 
mittel auf Grund ihres elektrochemischen Verhaltens aufgestellten 
Reihe. 

Im Anschluß an diese Versuche haben Th. Madsen und 
Max Nyman?) im Jahre 1907 gezeigt, daß die Abtötung der 
Keime bei der Sublimatdesinfektion durch die Reaktionsgleichung 
ausgedrückt werden kann, welche für die sog. monomolekularen 
Reaktionen gültig ist. Fast gleichzeitig hat Harriette Chick?) 
in einer im Jahre 1908: veröffentlichten umfangreichen Abhand- 
lung auf Grund zahlreicher Versuche, bei denen die Keime in 


1) Th. Madsen und Max Nyman, Zur Theorie der Desinfek- 
tion. Zeitschr. f. Hygiene 57, 388, 1907. 
2) Harriette Chiok, An Investigation of the Laws of Disinfoc- 
tion. The Journal of Hygiene 8, 92, 1908. 
1* 


d Th. Paul: 


der Desinfektionsflüssigkeit suspendiert waren, festgestellt, daß 
diese Gesetzmäßigkeit auch bei Anwendung einiger anderer Des- 
infektionsmittel auftritt. 

Diese weitgehende Übereinstimmung der Giftwirkung zahl- 
reicher Stoffe mit ihren chemischen Eigenschaften und die beim 
Desinfektionsvorgange beobachteten Gesetzmäßigkeiten machen 
es wahrscheinlich, daß es gelingt, auch in andere Vorgänge 
des Bakterienlebens einen Einblick zu gewinnen. 

Nachstehend soll versucht werden, die Lehren des chemi- 
schen Reaktionsverlaufes auf den Vorgang des Absterbens 
trockener Bakterien bei niederen Temperaturen anzuwenden. 
Hierzu sollen die Versuche benutzt werden, welche ich vor 
einigen Jahren in Gemeinschaft mit F. Prall veröffentlicht 
habe.!) 

Wie wir damals zeigten, kann man mit Hilfe der „Granaten- 
methode‘ auch den Verlauf des Absterbens der trockenen Bakte- 
rien studieren. Diese Versuche wurden zu dem Zwecke an- 
gestellt, um zu prüfen, wie lange die an Granaten angetrock- 
neten Staphylokokken (Staphylococcus pyogenes aureus) während 
des Aufbewahrens bei der Temperatur der flüssigen Luft lebendig 
und genügend widerstandsfähig gegen chemische Desinfektions- 
mittel bleiben. Den Anlaß zu diesen Versuchen gab der Um- 
stand, daß die bei Zimmertemperatur aufbewahrten vegetativen 
Formen der Bakterien im Trockenzustande verhältnismäßig 
schnell absterben und für vergleichende Desinfektionsversuche 
unbrauchbar werden. Dadurch blieb die „Granatenmethode‘“ 
auf die Benutzung von Sporen (Milzbrandsporen) beschränkt, 
deren Widerstandsfähigkeit gegen Desinfektionsmittel den Nach- 
teil hat, daß man genötigt ist, mit konzentrierten Lösungen 
zu arbeiten und bei schwächer wirkenden Desinfektionsmitteln 
die Einwirkungszeiten sehr groß zu machen. Beim Aufbewahren 
der in Glasröhren eingeschmolzenen Granaten in flüssiger Luft 
bleiben die angetrookneten Staphylokokken genügend lange halt- 
bar und gleich widerstandsfähig gegen Desinfektionsmittel. Auch 
nach monatelangem Verweilen in flüssiger Luft konnten wir 


1) Th. Paul und F. Prall, Die Wertbestimmung von Desinfek- 
tionsmitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur der flüssigen 
Luft aufbewahrt wurden. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte 
26, Heft 2, 1907. 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trook. Bakterien b. nied. Temp. 5 


innerhalb der Versuchsfehler keine Abnahme der keimfähigen 
Staphylokokken und keine Abnahme der Widerstandsfähigkeit 
gegen 512literige (0,053°/ ige) wässerige Quecksilberchloridlösung 
nachweisen. 

Bei dieser Gelegenheit stellten wir auch einige Vergleichs- 
versuche über die Lebensdauer der an Granaten angetrockneten 
und bei der Temperatur der flüssigen Luft aufbewahrten Sta- 
phylokokken mit denen an, welche gleichzeitig bei Zimmer- 
temperatur und im Eisschrank aufbewahrt wurden. Bevor wir 
auf die Besprechung dieser Versuche eingehen, soll hier kurz 
die bereits oben skizzierte Versuchsanordnung besprochen werden, 
um ein Urteil über deren Brauchbarkeit zu ermöglichen. Die 
Einzelheiten des Versuchs sind in der obenerwähnten Abhand- 
lung beschrieben. 

Die sorgfältig mit Salzsäure gereinigten Granaten von an- 
nähernd gleicher Größe wurden mit einer frisch bereiteten 
und filtrierten Staphylokokkenemulsion geschüttelt und naclı 
dem Abtropfen in einem geräumigen Exsiccator über ent- 
wässertem Chlorcalcium scharf getrocknet. Ein Teil dieser 
Granaten wurde in Glasgefäßen bei Zimmertemperatur, im Eis- 
schrank und bei der Temperatur der flüssigen Luft aufbewahrt. 
Die Feststellung der Zahl der nach den einzelnen Zeitabschnitten 
keimfähig gebliebenen Staphylokokken erfolgte in der Weise, 
daß dreimal je 5 Granaten in Reagensgläschen mit je 3 com 
Wasser 3 Minuten lang gleichmäßig geschüttelt wurden. Da 
die Menge der in das Wasser übergehenden Keime zu groß war, 
um ihre Zahl auf einer Plattenkultur festzustellen, so waren 
wir genötigt, diese Bakterienaufschwemmung zu verdünnen und 
einen bestimmten Teil der Verdünnung zur Aussaat zu bringen. 
Zu diesem Zwecke wurde der Inhalt der Röhrchen mit 6°/ „iger 
physiologischer Kochsalzlösung auf 100 ccm verdünnt und von 
dieser verdünnten Aufschwemmung wurden zweimal je 0,5 ccm 
mit 12 ocom Nähragar in einer Petrischen Schale gemischt und 
im Brutschranke bei 37° zum Auskeimen gebracht. 

Ein anschauliches Bild von dem Verhalten der trockenen 
Staphylokokken bei den drei Versuchstemperaturen gibt die 
Tabelle I, welche der Tabelle 6 jener Abhandlungvon Th. Paul 
und F. Prall entepricht. 


6 Th. Paul: 
Tabelle I. 


Einfluß der Aufbewahrungstemperatur auf die Zahl der an 
der StaphylokokkengranateIV angetrockneten entwicklungs- 
fähig bleibenden Staphylokokken. 








Zeit, welche| Zahl der lebenden Staphylokokken an 5 Granaten, aufbewahrt 
seit der An- 






3 3 3 3 Z 3 3 3 3 





Mittel 0,26 Mittel 0,15 


Aus der Tabelle geht hervor, daß die Zahl der keimfähig 
bleibenden Staphylokokken beim Aufbewahren im Zimmer und 
im Eisschrank innerhalb von 32 Tagen bis auf einen geringen 
Bruchteil der Anfangszahl abnimmt, während beim Aufbewahren 
bei der Temperatur der flüssigen Luft keine bemerkenswerte 
Abnahme zu beobachten ist. Außerdem sieht man deutlich, 
daß die Staphylokokken bei Zimmertemperatur schneller ab- 
sterben als bei Eisschranktemperatur. Hierzu sei noch bemerkt, 
daß diese Versuche nicht in der Absicht angestellt wurden, 
exakt vergleichbare Zahlenwerte für die verschiedenen Tempe- 
raturen zu erhalten. Die Versuche bei Zimmer- und Eisschrank- 
temperatur wurden nur nebenbei zur Orientierung ausgeführt, 
als es sich darum handelte, die Haltbarkeit der Staphylokokken 
bei der Temperatur der flüssigen Luft zu prüfen. Auch schon 
die Schwankungen der Temperatur im Zimmer und im Eis- 
schrank müssen einen Einfluß auf die Zahl der keimfähig 
bleibenden Staphylokokken ausüben, und infolgedessen werden 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 7 


die hier mitgeteilten Zahlen, abgesehen von den durch die 
Methode bedingten Mängeln, mit Fehlern behaftet sein. Daraus 
erklären sich auch die aus der Reihe fallenden Bakterien- 
zahlen bei der Aufbewahrung im Zimmer nach 10 und 16 Tagen. 

Auf Grund folgender Überlegung habe ich versucht, aus 
den Bakterienzahlen dieser Tabelle eine allgemeine Gesetzmäßig- 
keit in bezug auf die Lebensdauer der ausgetrockneten Sta- 
phylokokken bei verschiedenen Temperaturen abzuleiten. Wir 
wissen, daß die Lebenstätigkeit der aeroben und sehr wahr- 
scheinlich auch der anaeroben Bakterien ähnlich wie das Leben 
der Pflanzen an die Gegenwart von Sauerstoff gebunden ist. 
Sie nehmen den Sauerstoff auf und verbrennen ihn zu Kohlen- 
dioxyd, welches wieder abgeschieden wird.) Da die ausge- 
trockneten Staphylokokken, welche zu den aeroben Bakterien 
gehören, noch lange Zeit lebensfähig bleiben, so müssen jene 
Atmungsvorgänge, wenn auch in beschränktem Maße, im Trocken- 
zustande weiter vor sich gehen, und es muß in den Bakterien 
hierfür eine gewisse Menge von oxydierbaren Stoffen, die wir als 
Reservestoff bezeichnen wollen, vorhanden sein, welche durch den 
durch die Zellmembranen eindringenden Sauerstoff allmählich oxy- 
diert werden. Denken wir uns nun eine Granate, an welcher zu Be- 
ginn des Versuches zahlreiche Bakterien angetrocknet sind, so 
wird die Summe der Oberflächen aller dieser Bakterien eine 
gewisse Fläche darstellen, die der Summe der Zellmembranen 
der einzelnen Bakterien entepricht. Da der Vorgang der Oxy- 
dation zwischen Sauerstoff, einem Gas, und dem trockenen Re- 
servestoff, einem festen Stoff, stattfindet, so haben wir es hier 
mit einer chemischen Reaktion in einem heterogenen 
System zu tun. Jene Fläche stellt die wirksame Be- 
rührungsfläche dar, an welcher sich die Reaktion zwischen 
dem Luftsauerstoff und dem zu oxydierenden Reservestoff ab- 
spielt. In einem solchen heterogenen System ist die Reaktions- 
geschwindigkeit in jedem Augenblick abhängig von der Kon- 
zentration (= Dichte) der gasförmigen Phase und der wirksamen 
Berührungsfläche zwischen den beiden Phasen, dem Gase und 


1) Vgl. u.a. W. Hesse, Über die gasförmigen Stoffwechselprodukte 
beim Wachstum der Bakterien, Zeitschr. f. Hygiene 15, 17, 1893, sowie 
den Abschnitt XIII, Die Atmung der Bakterien, in den „Vorlesungen 
über Bakterien“ von Alfred Fischer, 2. Aufl., Jena 1903. 


8 Th. Paul: 


dem festen Stoff, und von der Temperatur. Wenn durch die 
Reaktion in der Nähe der Berührungsfläche eine Änderung der 
Konzentration des Gases stattfindet, so wird für die Reaktions- 
geschwindigkeit auch noch die Diffusionsgeschwindigkeit des Gases 
eine Rolle spielen. 

In unserem Falle bleibt bei konstanter Temperatur die 
Konzentration des Sauerstoffes mit genügender Annäherung un- 
verändert, da die verbrauchten Mengen sehr gering sind. Aus 
demselben Grunde werden auch die Diffusionsunterschiede bei 
verschiedenen Temperaturen für die Änderung der Reaktions- 
geschwindigkeit mit der Temperatur ohne Belang sein. Die 
Konzentration des Reservestoffes bleibt ebenfalls konstant, da 
die Konzentration eines festen Stoffes gleich der Dichte ist, die 
bei gleichbleibender Temperatur gleichbleibt. Das einzige, was 
sich im Laufe der Reaktion auch bei konstanter Temperatur 
ändert, ist die wirksame Oberfläche, welche infolge des Ab- 
sterbena der Bakterien im Laufe der Zeit abnimmt. Für die 
Reaktionsgeschwindigkeit v gilt demnach in jedem Zeitmoment 
die Gleichung: 

v=k 00O . ......W 


In dieser Gleichung bedeutet v die in diesem Zeitmoment 
umgesetzte Stoffmenge, C die sich gleichbleibende Konzentra- 
tion des Sauerstoffes, d. h. sein Partialdruck, O die zu diesem 
Zeitmoment bestehende wirksame Oberfläche und E eine Kon- 
stante, d. h. die umgesetzte molekulare Menge, wenn C und 
O = 1, d.h. gleich der gewählten Einheit sind!). Das Maß für v, 
d.h. für die Reaktionsgeschwindigkeit, stellt die in der Zeit- 
einheit abgestorbene Menge der Bakterien dar, und als Maß 
für O gilt nach den oben gemachten Ausführungen die Zahl 
der noch lebenden Bakterien. Bezeichnet man mit N die zu 
Beginn der Reaktion vorhandene Bakterienzahl und mit a die 
Zahl der nach t Tagen abgestorbenen Bakterien, so ist N — n, 


1) Wenn man beim Aufbewahren der trockenen Bakterien den 
Partialdruck des Sauerstoffes vermehrt, so muß nach den oben gemachten 
Annahmen auch die Reaktionsgeschwindigkeit vermehrt werden. Tat- 
sächlich konnte ich bei neueren mit A. Reuß angestellten Versuchen 
beobachten, daß die trockenen Bakterien in einer sauerstoffreicheren 
Atmosphäre viel schneller absterben, als bei Gegenwart von atmosphä- 
rischer Luft. 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trook. Bakterien b. nied. Temp. 9 


d.h. die Zahl der nach t Tagen noch lebenden Bakterien, = O. 
Wenn in einem sehr kleinen Zeitabschnitt A € die Bakterien- 
menge ^An abgetötet wird, so ist die Reaktionsgeschwindig- 
keit 

ôn 
At 


Setzen wir den Ausdruck = in die Gleichung (1) ein, 


so erhalten wir nach den Regeln der höheren Analysis die 
Gleichung: 


v 


2.2.) 


dn 
gi TEON — n) E akoe e a er (0) 
Da C eine Konstante ist, so können wir sie mit k zu einer 


Konstanten K vereinigen, und die Gleichung lautet: 








dn 

dt = K KR (N — n) e D e H e ° (4) 
Diese Gleichung gibt integriert: 
1 N 
K — zin N —n e D ° e e e (5) 
und nimmt für den Briggschen Logarithmus die Form an: 
1 N 

K = 72,302 log Non“ (6) 


Die in der Gleichung (6) vorkommenden Größen t, N und 
N — n finden sich in der Tabelle I, und sonach läßt sich die 
Konstante K für die dort angegebenen Aufbewahrungszeiten 
berechnen. Die auf diese Weise ermittelten Werte finden sich 
in den Rubriken 3 und 6. Mit Rücksicht auf die oben er- 
wähnten Versuchsfehler stimmen die K-Werte befriedigend mit- 
einander überein. Für K bei Zimmertemperatur ergibt sich 
der Mittelwert zu 0,26 und bei Eisschranktemperatur zu 0,15. 

Zur Erläuterung des Reaktionsverlaufes ist im nebenstehen- 
den Koordinatensystem das allmähliche Absterben der Staphylo- 
kokken (Staphylokokkengranate IV) beim Aufbewahren bei 
Zimmertemperatur graphisch dargestellt. Auf der Abszissen- 
achse ist die Aufbewahrungszeit in Tagen angegeben, wobei als 
Ausgangszeitpunkt der Kurve das Ende des ersten Tages ge- 
wählt wurde. Auf der Ordinatenachse sind die Zahlen der 
Bakterien aufgetragen, welche an den betreffenden Tagen noch 


10 Th. Paul: 


leben. Jedoch wurden, mit Ausnahme der Anfangsbakterien- 
zahl 90800, hierzu nicht die experimentell bestimmten Zahlen 
der Rubrik 2 in Tabelle I benutzt, sondern die Zahlen der 
Rubrik 4, welche nach Gleichung (6) berechnet wurden, indem 
für K der Mittelwert 0,26 und für N die Anfangsbakterienzahl 
gesetzt wurde. Die beobachteten Bakterienzahlen sind zum 
Vergleich als Punkte, die von einem kleinen Ring umgeben 
sind, eingetragen. Auch aus dieser graphischen Darstellung geht 
hervor, daß die Abweichungen zwischen Beobachtung und Be- 
rechnung nicht sehr groß sind. Diese durch die Berechnung 
ermittelten Bakterienzahlen sind in den Tabellen I und II zum 
Vergleich in den Rubriken 4 und 7 aufgeführt. 


ylohokken 


zoh 
Š 


D 
Š 


Zahl der lebenden Stø 
Lë a 





o 3 e 8 0 2 n s mm A 
Ayftewohrungszeit in Tagen 


Fig. 1. 


Da man die Zimmertemperatur im Durchschnitt zu un- 
gefähr 16 bis 18° und die Eisschranktemperatur zu 6 bis 8° 
annehmen kann, so dürfte der Unterschied zwischen den beiden 
Aufbewahrungstemperaturen ungefähr 10° betragen. Diesem 
Temperaturunterschied entspricht bei der Staphylokokken- 
granate IV in Tabelle I eine Steigerung der Reaktionsge- 
schwindigkeit von 0,15 auf 0,26, oder es findet in diesem Tem- 
peraturintervall von 10° eine Steigerung der Reaktionsgeschwin- 
0,26 
0,15 

Zum Vergleich wurde dieser Quotient der Reaktions- 
geschwindigkeit auch aus den Versuchen berechnet, welche der 


= 1,7fache statt. 





digkeit um das 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 11 


Tabelle 4 der oben genannten Abhandlung von Th. Paul und 
F. Prall entnommen wurden, obwohl die Zahl der Versuchs- 
zeiten nur gering ist und die Konstanten bei der gleichen 
Versuchstemperatur erheblich voneinander abweichen, wie aus 
Tabelle II hervorgeht. Der Quotient aus den Mittelzahlen der 
0,071 
0,042 
ten Quotienten überein, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Ver- 
suche der Tabellen I und II mit Staphylokokken verschiedener 
Züchtung angestellt wurden. Dadurch wird die Wahrschein- 
lichkeit der theoretischen Voraussetzungen, von denen wir bei 
diesen Betrachtungen ausgegangen sind, gestützt. 


= 1,7 stimmt indessen mit dem oben berechne- 





Konstanten 


Tabelle I. 


Einfluß der Aufbewahrungstemperatur auf die Zahl der an 
derStaphylokokkengranatelIlangetrockneten entwioklungs- 
fähig bleibenden Staphylokokken. 


Zeit, welche] Zahl der lebenden Staphylokokken an 5 Granaten, aufbewahrt 


seit der An- 
tzocknung | bei Zimmertemperatur 







kokken an 1 — 
die Granaten) beob- |X= 73,302. Big 
verflossen | achtet eg AN 
N —n 







667000| 667000 
5637700] 724.000 
476 500| 670000 





Mittel 0,071 Mittel 0,042 


Mit Hilfe der ermittelten Konstanten und Quotienten sind 
wir imstande, die Haltbarkeit der getrockneten Staphylokokken 
in Berührung mit Luft bei anderen Temperaturen zu berechnen. 
Hierbei müssen wir allerdings voraussetzen, daß der Quotient 
der Reaktionsgeschwindigkeit 1,7 für die nachstehend zum Ver- 
gleich herangezogenen Temperaturen konstant bleibt. Für diese 
Annahme spricht, soweit chemische Reaktionen in Betracht 
kommen und soweit es sich um tiefe Temperaturen handelt, 
folgender Umstand. Der Quotient der Reaktionsgeschwindigkeit 
wird durch die Wärmetönung geregelt, so daß eine Änderung 


12 Th. Paul: 


dieses Quotienten mit der Temperatur dann stattfindet, wenn 
sich die Wärmetönung mit der Temperatur ändert. Wie von 
verschiedener Seite nachgewiesen wurde, ist die Wärmetönung 
bei tiefen Temperaturen im allgemeinen von der Temperatur 
unabhängig. Infolgedessen wird auch der Quotient der Re- 
aktionsgeschwindigkeit bei tiefen Temperaturen im allgemeinen 
gleich bleiben. 

Nehmen wir den Unterschied zwischen der Temperatur der 
flüssigen Luft (ungefähr — 190°) und derjenigen des Eisschrankes 
(ungefähr 47°) zu rund 200° an, so beträgt die Reaktions- 
geschwindigkeitskonstante K bei der ersteren 0,15-1,7 2%, d.h. 
die trockenen Bakterien sterben bei der Temperatur der flüssigen 
Luft 1,72? mal langsamer ab wie im Eisschranke. 

Um eine Vorstellung von dieser verminderten Reaktions- 
geschwindigkeit zu erhalten, wollen wir die Zeit berechnen, 
welche bei der Temperatur der flüssigen Luft erforderlich ist, 
damit die Zahl der lebenden Bakterien auf die Hälfte ver- 
mindert wird. Dieser Zeitraum beträgt nach Tabelle I bei 
Eisschranktemperatur ungefähr 5,6 Tage, und infolgedessen sind 
bei der Temperatur der flüssigen Luft unter obigen Voraus- 
setzungen 5,6-40550 Tage oder 622 Jahre erforderlich. Da die 
Zahl der lebenden Bakterien bei Eisschranktemperatur nach 
32 Tagen von 88800 auf 848, also auf ungefähr den hundertsten 
Teil gesunken ist, so würde der entsprechende Zeitraum bei der 
Temperatur der flüssigen Luft 32.40550 — 3556 Jahre betragen. 
Ob die Bakterien bei dieser tiefen Temperatur tatsächlich so 
lange zu leben vermögen, soll dahingestellt bleiben. Jedenfalls 
ist bei der Beurteilung dieser Verhältnisse in Betracht zu ziehen, 
daß nach den von F. Prall und mir angestellten Versuchen!) 
die Zahl der lebenden Bakterien innerhalb der Versuchsfehler 
nach 100- und nach 125tägiger Aufbewahrung bei der Tem- 
peratur der flüssigen Luft keine Abnahme zeigte. 

Diese Berechnungen lehren ferner, daß man bei der Halt- 
barmachung der Staphylokokken zu vergleichenden Desinfek- 


1) Vgl. die Tabellen 7 und 8 der oben genannten Abhandlung 
von Th. Paul und F. Prall, Die Wertbestimmung von Desinfektions- 
mitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur der flüssigen Luft 
aufbewahrt wurden. Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte 26, 
Heft 2, 1907. 


Chem. Reaktionsverlauf b. Absterben trock. Bakterien b. nied. Temp. 13 


versuchen nicht bis zur Temperatur der flüssigen Luft herab- 
zugehen braucht, und daß man auch mit der Temperatur 
von ungefähr — 80° auskommt, die durch Mischen von 
fester Kohlensäure und Ather erhalten wird. Nach jener Be- 
rechnung stirbt bei — 83° die Hälfte der Keime erst nach 
662 Tagen ab. Wie Untersuchungen gezeigt haben, die ich 
in Gemeinschaft mit Anton Reuß ausführte, und über welche 
demnächst berichtet werden soll, kann man dieses Kälte- 
gemisch in einem großen Weinholdschen Gefäße beliebig lange 
aufbewahren, wenn man von Zeit zu Zeit die verdampfende 
Kohlensäure durch feste Kohlensäure ersetzt. Da die regel- 
mäßige, wochen- und monatelang dauernde Beschaffung von 
flüssiger Luft mit Schwierigkeiten verbunden ist, so versuchten 
wir, die Staphylokokkengranaten durch Aufbewahren in diesem 
billig und bequem zu beschaffenden Kohlensäureäthergemisch 
haltbar zu machen. Bei zahlreichen Vergleichsversuchen, die 
wir in dieser Richtung anstellten, zeigte es sich, daß die Zahl 
der lebenden Bakterien auch nach wochenlangem Aufbewahren 
innerhalb der durch die Versuchsanordnung bedingten Fehler- 
grenzen tatsächlich konstant blieb. 

Für das Absterben trockener Bakterien bei hohen 
Temperaturen kommen zum Teil andere Ursachen in Betracht 
wie bei niederen Temperaturen. Wie wir gesehen haben, kann die 
Temperatur mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln beliebig 
erniedrigt werden, ohne daß eine Abtötung der Staphylokokken 
stattfindet. Dagegen gehen die trockenen Bakterien beim Er- 
hitzen über eine bestimmte Temperatur, welche bei vegetativen 
Formen im allgemeinen unter 100° und bei Dauerformen (Sporen) 
nicht über 150° liegt, sehr schnell zugrunde. Es scheint jedoch 
eine gewisse Analogie zwischen dem langsamen Absterben in der 
Kälte und dem schnellen Zugrundegehen in der Hitze zu be- 
stehen. Aus einigen Versuchen, bei denen Milzbrandsporen 
durch Erhitzen auf 100° und 110° abgetötet wurden, schließen 
Th. Madsen und Max Nymann in der oben genannten Ab- 
handlung (S. 403), daß hierbei die Verminderung der Sporenzahl 
demselben Gesetz zu folgen scheine wie die Sublimatdesinfektion, 
d.h. analog einer monomolekularen Reaktion verlaufe. 


Zur biologischen Wirkung der Salze. 
I. Mitteilung. 
Einfluß der Salze auf die Körpertemperatur. 
Von 
Ernst Schloß. 
(Aus dem großen Friedrichs-Waisenhaus der Stadt Berlin, Rummelsburg.) 
(Eingegangen am 2. April 1909.) 
Mit 7 Figuren im Text. 


In Nr. 5 der Deutschen Medizinischen Wochenschrift dieses 
Jahres sind, in weiterer Verfolgung der von Finkelstein ent- 
deckten und einwandsfrei bewiesenen Tatsache des alimentären 
Fiebers, von Ludwig F. Meyer angestellte Untersuchungen 
veröffentlicht, die eine neue Wirkungsweise der Salze zeigen. 
Er fand, daß Neutralsalze, aber nur die Natriumverbindungen 
der Halogene imstande sind, auch oral schon in relativ geringer 
Dosis beim Säugling Fieber bis zu hohen Graden auszulösen. 
Auf Einzelheiten der Arbeit wird noch in unserer Darstellung 
des öfteren zurückzukommen sein. 

Bei Gelegenheit von Untersuchungen, die von mir im Laufe 
des letzten Winters über die Einwirkung der Salze auf den 
Säuglingsstoffwechsel angestellt wurden (sie werden demnächst an 
dieser Stelle erscheinen), ergab sich im ganzen eine Bestätigung 
der Resultate von Ludwig F. Meyer, daneben aber eine Reihe 
neuer — wie mir scheint — wichtiger Befunde, die mich ver- 
anlaßten, nochmals die klinische Wirkung der Salze zum Gegen- 
stand eines eingehenderen Studiums zu machen. 

Die Methodik meines Vorgehens war eine etwas andere 
wie die von Ludwig F. Meyer in Anwendung gebrachte. 
Während dieser die Salze in einer der 1°/,igen Kochsalzlösung 
isotonischen Lösung, und zwar stets dieselbe Flüssigkeitsmenge 


E. Schloß: Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 15 


auf zwei Male verteilt, verabfolgte, gab ich das Salz nach 
Vorversuchen, die eine höhere Bedeutung der Konzentrations- 
verhältnisse nicht ergaben, direkt in die Nahrung zu den ge- 
wöhnlichen Mahlzeiten. Das hatte den Vorteil, daß die Kinder 
das Salz anstandslos nahmen und der ganze Vorgang mehr 
unter physiologischen Sekretions- und Resorptionsverhältnissen 
stand. Auch wurde eine eventuelle durch das Salz verursachte 
Reizung des Verdauungstraktus von dem einhüllenden Medium 
hintangehalten. Ein zweimaliges Geben des Salzes ist an und 
für sich wenig zweckmäßig, da die Klarheit der Reaktion dadurch 
etwas leidet, erwies sich aber bei größeren Dosen im Interesse 
der Sicherheit des Versuches als unvermeidlich. 

Was die Dosierung der verschiedenen Salze anbetrifft, so 
erschien es mir angebracht, mich statt an die molekulare 
Konzentration lieber an die Atomgewichte zu halten und somit 
von den zu prüfenden Ionen stets gleiche Gewichtsmengen zu 
geben, doch wurde dies nur ganz grob durchgeführt, da es ja 
hier weniger auf quantitative Verhältnisse ankam. 

Bevor ich auf die Versuchsergebnisse zu sprechen komme, 
ist es vielleicht zweckmäßig, wenn ich noch kurz auf die 
Symptomatologie der beim Säugling eintretenden Reaktion 
eingehe. 

Das wichtigste Kriterium ist das Verhalten der Temperatur, 
das beim jungen Säugling viel mehr Aufmerksamkeit verdient 
wie beim Erwachsenen. Die Tagesschwankungen sind bei ihm 
erheblich kleiner; eine direkte Monothermie, wie früher an- 
genommen wurde, wird aber nur bei seltenen Messungen (zweimal 
am Tage) vorgetäuscht. Bei zweistündlichen Messungen treten 
stets etwas größere Ausschläge auf, die aber 5 Dezigrad normaler- 
weise nicht überschreiten sollen. Ich verweise in dieser Beziehung 
auf die Arbeit von Gofferj6 aus der Salgeschen Rink? 

Der Puls der Säuglinge ist seiner Qualität nach nicht recht 
zu verwerten, da hier selbst bei gesunden Kindern große 
Schwankungen vorkommen. Dagegen ist die Anzahl der Puls- 
schläge ein sehr wichtiges diagnostisches Merkmal, besonders 
aber ihre Verminderung. Es besteht ein weitgehender Paral- 
lelismus zwischen Temperatur- und Pulskurve, wie er ja auch 
auf unseren Kurven zutage tritt. 

1) Jahrb. f. Kinderheilk. 68, 131. 


16 E. Schloß: 


Als drittes, wichtiges Merkmal ist das psychische Ver- 
halten zu bezeichnen, das auch bei unseren Versuchen eine 
Rolle spielt. Es ist hier der Antagonismus von komatösen 
Zuständen jedes Grades, die im Gefolge von alimentärem Fieber 
meist mit Pulsfrequenz verbunden auftreten, und Aufregungs- 
zuständen, die meist mit Temperatur- und Pulsherabsetzung 
parallel gehen; auf der einen Seite das wichtigste Symptom der 
Intoxikation, auf der andern Seite das der Dekomposition 
nach Finkelstein, der beiden schwersten Formender Ernährungs- 
störungen der Säuglinge. Der Unterschied ist nur der, daß 
bei diesen Ernährungsstörungen die Erscheinungen sehr gefahr- 
drohend und nur schwer reparabel sind, während hier dieser 
Symptomkomplex nach kurzer Zeit verschwindet, ohne irgend- 
welche Folgen zu hinterlassen. 

Auch das Verhalten des Körpergewichtes ist sehr wichtig, 
kann aber hier noch nicht ausführlicher besprochen werden. 

Die Kinder wurden mehrere Tage vorher zweistündlich 
gemessen und, wenn ihre Temperatur das oben erwähnte Maß 
überschritt, ausgeschaltet. Mit der Salzdarreichung wurde lang- 
sam tastend vorgegangen, immer den Allgemeinzustand des 
Kindes berücksichtigend. Zur Sicherstellung der Versuche vor 
anderen Einflüssen war es hauptsächlich nötig, einen ev. Ein- 
fluß der Nahrung auszuschalten. Es war ja immerhin möglich, 
daß vorwiegend bei einer, an sich schon salzreichen Nahrung, 
oder bei einem Kinde mit reichlich zirkulierendem Salz die 
Mebreinfuhr eine Reaktion hervorrufen würde. Es wurden daher 
bei salzreicher und salzarmer Ernährungsweise Versuche angestellt, 
die aber keinen Unterschied ergaben. Brustkinder reagierten 
ebenso wie Buttermilchkinder. Dagegen spielt das Alter, worauf 
ja schon Ludwig F. Meyer aufmerksam macht, eine wichtige 
Rolle; je jünger die Kinder, um so stärker ist die Reaktion; 
deshalb wurden hauptsächlich auch Kinder des ersten und 
zweiten Lebensmonats zu diesen Versuchen herangezogen. 
Einen Einfluß der Darmfunktion, wie ihn Ludwig F. Meyer 
beobachtete, habe ich nicht weiter verfolgen können, da ich 
möglichst normale Säuglinge aussuchte. 

Was nun die Ergebnisse meiner Versuche angeht, so ist 
zunächst zu betonen, daß an der Tatsache der fiebererzeugenden 
Wirkung der Salze nicht mehr zu zweifeln ist. In dieser Be- 


Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 17 


ziehung kann ich nicht nur die Angaben von Ludwig F. Meyer 
bestätigen, sondern muß sie sogar noch erweitern. So wirkt 
von den Natriumverbindungen das Kochsalz, das wichtigste 
Salz der ganzen Reihe, nicht nur in einer Dosis von 1g schon 
stark fiebererzeugend, sondern selbst 0,5 g machen schon deutliche 
Reaktionen (Kurve la, b); daß aber auch bei hohen Dosen 


La 


——— 





einmal die Reaktion ganz ausbleiben kann, zeigt Kurve 3, auf 
die noch mehrfach zurückzukommen sein wird. 

Das zweite Natriumsalz, das nach meinen Erfahrungen sich 
am engsten an das Chlornatrium anschließt, das Jodnatrium, 
macht ebenfalls in denmeisten Fällen hohes Fieber, hier zeigten 
sich aber schon mehrmals (bei 5 unter 12 Versuchen) nach 
— VEEWBELEEEWRWBELECEHNELLEENUBELEETVEEEEENT 
"300.0. EE HERE "EHNNE 


GEBGNBEREENENHBGERZERENEE WIES EES SEN 
HAHH A HHHH 


39 










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e TE BESSER BEE REES e Sans 
3715 Nad 2*05 Nad 


Kurve 2. 


dem Fieber Temperatursenkungen, die nun in 2 Fällen ganz 
isoliert auftraten. (Kurve 2a, b, Kurve 3.) 

Das Bromnatrium fand ich in 3 Versuchen weniger wirk- 
sam nach der fiebererzeugenden Seite hin, dafür aber in einem 
Falle bei einer Dosis von nur (le stark temperaturherab- 
setzend. (Kurve 3.) 

Damit ist aber die Reihe der fiebererzeugenden Natrium- 


salze nicht erschöpft. ‚Schon das Natrium bicarbonicum erwies 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 2 


18 E. Schloß: 


sich bei den 3 Fällen seiner Anwendung stets sehr wirksam 
(Kurve lc) und ebenso das essigsaure Natrium in einem Falle. 
Hier könnte es sich ja auch um eine Chlornatriumwirkung 
handeln, da sich diese Salze innerhalb des Körpers mit der 
Salzsäure zu Kochsalz umsetzen werden. Das Monocarbonat, 
Soda, war das einzige Salz, welches nicht genommen resp. 
gleich wieder erbrochen wurde. 


[| I} je 








Sé ——— 
III CO DW 


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HM, 3*x1,5Nall 1,5 $ Naßr 8x15 NaJ 


HET 


BEur’SNERERU 


Zu einer Prüfung der Kaliumverbindungen kam ich aus 
der Vermutung heraus, daß durch eine akute Kochsalzentziehung, 
wie sie durch einige dieser Verbindungen möglich ist, sich 
Untertemperaturen erzeugen lassen müßten. 









003 KEEWUBZL LTLIZELTIEIZEZK LIZARRA] (RICK LO 
SRRSRRRRRRBRRRRRBRSSESRRRSSSR 
CTT TEE 
IRSRRRRRBSRRRRSRRRRBI LEBEN 
IR e BRZIN TI TI 
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B EEREEEHNREN EBENEN 
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za lin SSSBRSRSSBSSS 


G 8215 NJ 8x1,5 MJ 821,5 HBr 
Kurve 4. 


Bekanntlich setzt sich z. B. Kaliumoarbonat mit dem Natrium- 
chlorid zu Natriumcarbonat und Kaliumohlorid um; die beide ausge- 
schieden werden. 

Meine Annahme fand beim Kaliumoarbonat ihre Bestätigung 
in 3 von 4 Fällen, einmal trat aber auch Fieber auf, (Kurve 5, b, c). 
In viel stärkerem Maße war letzteres bei dem Bicarbonat der 
Fall, das in allen 4 untersuchten Fällen stets starke Fieber- 


Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 19 


reaktionen auslöste.e (Kurve 5a). Beide Verbindungen hat 
Ludwig F. Meyer nicht geprüft. 

Besonders wichtig war es, die Halogenkalium verbindungen, 
die bei den Versuchen Ludwig F. Meyers keine Reaktion 
gegeben hatten, zu prüfen, und wirklich waren auch in einem 
Falle, der auf Jodnatrium sehr stark reagiert hatte, dieselbe 
Dosis Jodkalium absolut ohne Wirkung, dagegen trat bei einem 


I T RER EE REES 
GLECK CC 












| 
KE EE EECH 
M UNENSSENGEDI EIEEBENEHERE UMERLEENENERNANENE 


75 ANCO Ma 8#10 h CO 





zweiten Falle nach der ersten Applikation eine Spätreaktion 
(Kurve 4a) und .2 Wochen später bei derselben Dosis eine 
ganz typische sofortige Reaktion mit allen Begleiterscheinungen 
wie bei den Halogennatriumverbindungen auf (Kurve 4b); 
auch Bromkalium (Kurve 4c) und Chlorkalium ergaben in 
einem Falle eine schwache Fieberreaktion, desgleichen Kalium- 
phosphat. 


zgod ES MUERSEWRIFEEMT 
BERBEABRRRRE ABBREE 





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CEET H OTIN ETT 
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H- Hanee 

HAHA HHHH BEERESLNE 

BEBSAFABAERERERHENE BER —— — 





L zech, | 37165 Ca Ch | S 32x15 la Oh 
Kurve 6. 


Es dürfte damit die pyretogene Wirkung auch der Kalium- 
salze sichergestellt sein. Man muß annehmen, da hier gerade 
die bestimmten Verbindungen am stärksten reagieren und die 
andern selten oder zögernd, daß gewöhnlich diese Verbindungen 
den Kreislauf verlassen, ohne in eine Reaktion mit dem Körper 


getreten zu sein. 
9e 


20 E. Schloß: 


Besonderes Interesse verdienen die Ergebnisse bei dem dritten 
Metall, dem Calcium. Auch hier hat Ludwig F. Meyer 
nie Fieberwirkungen beobachtet, Untertemperaturen wurden 
von ihm nicht gebührend berücksichtigt. 

Zunächst ist festzustellen, daß Calciumverbindungen ab und 
zu auch leichte Temperatursteigungen hervorrufen, so wurde das 
beim Chlorid, Carbonat, Acetat, Phosphat in 6 Fällen gefunden 
(Kurve 6a), dagegen tritt hier die temperaturerniedrigende 
Wirkung in den Vordergrund; besonders dem Calciumchlorid 
kommt diese Eigenschaft: in hervorragendem Maße zu. In 5 Fällen 
trat sie allein und einmal nach einer leichten Steigerung auf 
(Kurve 6 b, oi, Desgleichen erwiesen sich das Acetat und das 
Phosphat temperatursenkend (Kurve 7); da gerade hier mit der 
Dosierung nur äußerst vorsichtig vorgegangen werden durfte, 
sind die Ausschläge nicht sehr groß aber doch einwandsfrei. 





Age Ä EEREIEEEWTLEEELWRBIEEELEDDBDIEEENWNIZESELHUNLEEENN 
III! LI III! 
2’/BRER:-BBUEE EBEN EECH 
TDANTAND en "TI 
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TIL IT NIT N 
EEEEBENERERB GABEN = 
BESEBEBEREREEBER q 

AiE 
75 laflh; äi, 70 CaP Os 
Kurve 7. 


Es wäre nun vielleicht interessant gewesen, auch noch die 
anderen Verbindungen dieser Metalle (z. B. den Kalisalpeter 
auf seine angeblich temperaturherabsetzende Wirkung), und 
noch weitere Metalle zu prüfen. Aber diese Stoffe sind schon 
nicht mehr harmlos, und so verbot sich ihre Anwendung von 
selbst. Ich glaube auch, daß sich dabei nicht mehr viel Neues 
ergeben hätte. Wahrscheinlich gibt es noch viele Verbindungen, 
die beim Säugling in der nötigen Dosierung Fieber erzeugen, 
aber um typische Reaktionen wie bei den Natrium- und Kalium- 
verbindungen dürfte es sich da nicht handeln. Lohnender ist 
schon die Aufgabe, die Wirkung letzterer Verbindungen bei 
längerer Darreichung kleiner Dosen zu beobachten. Es sind 
auch schon Versuche in dieser Richtung im Gange, die aber 
ein absohließendes Urteil noch nicht gestatten. 

Überschauen wir unsere Resultate, so dürfte es zunächst 
gewagt erscheinen, sichere Schlüsse daraus zu ziehen oder 
gar eine bestimmte Regel aufzustellen. Alle 3 untersuchten 


— — — — — — 


Zur biologischen Wirkung der Salze. I. 21 


Metalle machen einmal Fieber, ein andermal Untertemperatur und 
manchmal auch keine Reaktion; wie läßt sich da etwas Be- 
stimmtes aussagen? Und doch ist dies möglich, wenn man nur 
zunächst einmal die individuellen Schwankungen ausschaltet und 
dann die Resultate richtig gruppiert. Erinnern wir uns aus 
der Lehre vom Fieber daran, daß die Wärmeregulation bei ver- 
schiedenen Individuen unter dem Einfluß desselben Reizes eine 
verschiedene ist. Jeder Fieber erzeugende Reiz ruft auch bei 
einzelnen Individuen Untertemperatur hervor; manche Substanzen 
sind in kleinen Dosen pyrethogen, in großen erzeugen sie Collaps; 
und endlich treten sehr oft vor oder nach Fieber Untertem- 
peraturen auf. Diese individuellen Schwankungen sind meines 
Erachtens wohl ausreichend, die Untertemperaturen bei den 
Natriumverbindungen zu erklären (bei 30 Versuchen nur zweimal 
bei demselben Falle und einmal bei einem zweiten). 

Anders schon bei den Kaliumverbindungen. Das dreimalige 
Auftreten von Untertemperaturen bei 5 Versuchen mit Kalium- 
carbonat ist schon nicht mehr zufällig, hier könnte ev. die 
oben erwähnte Vermutung zur Erklärung ausreichen, doch wäre 
es voreilig, ein Urteil darauf schon festzulegen. Es ist ebenso- 
gut möglich, daß die Kaliumverbindungen zu der dritten Gruppe 
überleiten, der Gruppe der Calciumverbindungen, wo die Fieber- 
wirkung so gering ist, und ganz gegen die temperaturherab- 
setzende Wirkung zurücktritt. Hier müssen wir schon eine 
spezifische, gesetzmäßige Reaktion annehmen. Es dürfte also 
der Satz aufgestellt werden, daß Natrium- und wohl auch Kalium- 
verbindungen vorwiegend temperatursteigernd, die Calciumver- 
bindungen meistens herabsetzend wirken. 

Soll der Versuch gemacht werden, ein Verstäudnis dieser 
Vorgänge anzubahnen, so dürfte es wohl am besten sein, sich 
zunächst eng an die Ausführungen Schmiedebergs über 
die Wirkung der anorganischen Verbindungen zu halten’). 
Danach könnten diese gefundenen Resultate entweder von den 
allgemeinen physikalischen Eigenschaften der betreffenden Sub- 
stanzen abhängen (allgemeine Ionenwirkung), oder von der 
specifischen Wirkung der Dissociationsprodukte (specifische Ionen- 
wirkung) oder endlich von gewöhnlichen chemischen Reaktionen 
(spezifische molekulare Wirkung). Letztere Wirkungsweise, die 

1) Grundriß der Arzneimittellehre. 


22 E. Schloß: 


mit der Ätzung identisch ist, dürfte in unseren Versuchen aum 
irgendwie bedeutungsvoll sein. Die erste Möglichkeit, daß es sich 
um rein physikalische Vorgänge, bedingt durch die Verschiedenheit 
des osmotischen Druckes der eingeführten Lösungen und der 
Körpersäfte handelt, ist sicher vorhanden, aber zur Erklärung 
nicht ausreichend, da ja Salze mit demselben osmotischen Druck, 
wie schon Ludwig F. Meyer gezeigt hat, ganz verschieden wirken. 
Die zweite Möglichkeit, daß es sich um spezifische Ionenwirkung 
handelt, ist wohl die hauptsächlich in Betracht kommende. Und 
zwar scheinen es die Kationen, die Metalle, zu sein, die die spezifische 
Reaktion veranlassen, welche aber noch von den Anionen 
modifiziert wird. 

Die einwertigen Kationen Natrium und Kalium 
sind, wie es scheint, die Träger der temperatursteigern- 
den, das zweiwertige Kation Calcium der Träger der 
temperaturherabsetzenden Funktion. 

Und damit kommen wir zu der allgemeineren Bedeutung 
dieser Tatsachen. Zu den bisherigen Befunden über den Ant- 
agonismus der zweiwertigen und der einwertigen Metalle, die 
von der Hofmeisterschen und Jacques Loebschen Schule 
begründet ist, tritt ein neues Moment, ein rein klinisches. 

Es ist wohl nicht zu weit gegangen, wenn man annimmt, 
daß die anderen zweiwertigen Metalle sich in diesen Rahmen 
einfügen, finden wir doch beim Calcium schon alle die klinischen 
Wirkungen vorgeahnt, die z. B. beim Magnesium stärker auf- 
treten und beim Barium (mit seiner stark lähmenden Eigen- 
schaft) in höchster Ausbildung vorhanden sind. 

Aber auch für unsere Erkenntnis des Stoffwechsels und 
für die Klinik kann die neue Forschungsrichtung fruchtbar 
werden, wie ich in den nächsten Mitteilungen zu zeigen hoffe. 


Notizen zu den Kurven: 


1. Sch. 15 Tage alt, Gewicht 3000, kräftiges Kind in gutem Er- 
nährungszustand, mit gutem Gewebsturgor, Nahrung molkenarme Milch. 

2. P. 17 Tage alt, Gewicht 3200, gesunder Säugling in guter Ge- 
wichtezunahme. Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch. 

3. T. 21/2 Monate alt, Gewicht 2600, ziemlich elendes Kind, dys- 
peptisch, Nahrung !/, Milch mit Nährzucker. 





Zur Biochemie der Salzwirkung. L 23 


4. K. 1. Di Monate alt, Gewicht 2900, etwas atrophisches, aber 
sonst kräftiges Kind mit gutem Stuhlgang, Nahrung ł/ Milch mit 
Nährzucker. | 

5. G. 31/, Monate alt, Gewicht 2900, ziemlich atrophisches Kind, 
seit 2 Monaten Brustnahrung, dabei gute Zunahme. 

6. F. ®/, Monate alt, Gewicht 3400, sehr kräftig, Luesverdacht, 
später nicht bestätigt, Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch. 

7. KS 3/, Monate alt, Gewicht 3400, kräftiges Kind, ohne Störung. 
Nahrung Allaitement mixte mit Buttermilch. 

8. L. ®/, Monate alt, Gewicht 3400, normales Kind, Nahrung 
Allaitement mixte mit Buttermilch. 

9. S. Di Monate alt, Gewicht 3500, kräftiges Kind in guter Zu- 
nahme, Nahrung !/, Milch mit Nährzucker. 

10. Pr. Di Monate alt, Gewicht 3200, kräftiges Kind, Nahrung 
Allaitement mixte. 


Zur Lehre von der Säurevergiftung. 
Von 
Julius Pohl, 
(Aus dem pharmakologischen Institut der deutschen Universität Prag.) 
(Eingegangen am 3. April 1909.) 


Ich habe schon einmal!) gegen die Meinung H. Eppingers, 
daß die Aminosäuren und Harnstoff Gegengifte unzerstörbarer 
Säuren in dem Sinne sind, daß sie für den Organismus zu 
Ammoniakquellen werden, Stellung genommen, und ich sehe 
mich durch die jüngst erschienene Mitteilung obigen Titels von 
H. Eppinger und F. Tedesko?), die diese Anschauung auf- 
recht erhält, bewogen, neuerliches Material in dieser Frage bei- 
zubringen, sowie die letzten Versuche der genannten Autoren 
kritisch zu beleuchten. 

In der zweiten Mitteilung Eppingers?) findet sich gegen 
unsere, die Erfolglosigkeit der Darreichung von Harnstoff gegen 
tödliche Säuredosen erweisenden Versuche der Einwand, daß wir 
den Harnstoff per os gegeben haben. ‚Denn daß der Harn- 
stoff per os nicht wirkt, das weiß ich auch.“ Nun ist es schon 
auffällig, daß Gegengift und Gift gleichzeitig gegeben giftiger 
sind als gesondert gereicht, trotzdem habe ich mich doch der 
Forderung, den Harnstoff subcutan reichen zu sollen, gefügt. 

Bevor ich meine neuen Versuche anführe, sei darauf hin- 
gewiesen, daß die Dosis 0,9 g HCl p. kg Kaninchen durchaus nicht 
die unbedingt tödliche Dosis ist, was auch Löwi*) angibt. 


1) J. Pohl und E. Münzer, Über Entgiftung von Mineralsäuren 
durch Aminosäuren und Harnstoff. Centralbl. f. Physiol. 20, 1906. 

2) Diese Zeitschr. 16, 207, 1909. 

8) Zeitschr. f. experim. Pathologie u. Therapie 3, 534, 1906. 

4) Centralbl. f. Physiol. 20, Nr. 10, 1906. 


J. Pohl: Zur Lehre von der Säurevergiftung. 25 


Schon in Walters grundlegender Arbeit!) findet sich, 
Seite 156, die Äußerung: ‚Überschritt man die Menge von 
0,9 HCI p. kg, so trat der Tod ein" Ich überschreite also diese 
Dosis und gebe in nachfolgenden Versuchen Igp.kg auf 
24 Stunden verteilt. Übrigens führt Eppinger in seiner Arbeit 
II, Seite 546 an, daß man bei Versuchen mit Harnstoffinjektionen 
bis auf das Doppelte der Säure steigen konnte, somit ist das 
Plus von 0,1 nicht von Bedeutung. 


Versuch 1. 


Kaninchen 1600 g. Die Salzsäure ?/, normal — 0,91°/, HCl. 
Von derselben sind zu reichen 175,9 com. 


+ 
18.3. 11è, 4+, 8b je 49 com der Säure -+ 3 g U subcutan. 
19.3. wird das Tier tot vorgefunden, nachdem es somit nur 
147 ccm HCI = 0,83 p. kg erhalten hat. 


Versuch 2. 


1750 g Kaninchen (nach Abpressen des Harns gewogen) 
Normaltemperatur 39,4. Es hat zu erhalten 192 ccm = 48 com 
Säure pro Dose. 27.3. 10, 330, 7615 je 48 ccm der Säure 
+ je 3g Ù suboutan in 20 ccm phys. NaCl-Lösung. 

25. 3. früh 7, Temperatur 37,6. Dann die vierte In- 
jektion. Allmählich wird das Tier traurig, läßt den Kopf auf 
die Unterlage sinken, der Cornealreflex bleibt aus und 8?/,h 
Tod des Tieres. Sektion zeigt vollkommen normalen Lungen- 
befund. 

Die Schutzwirkung des Harnstoffes ist somit auch 
bei subcutaner Darreichung am Hafertier — Null. 


Der Idee, Ù als Ammoniak-Quelle anzuwenden, widerspricht 
im übrigen schon von vornherein die Unangreifbarkeit dieses 
Stoffes. 

In weiterer Verfolgung der Anschauung, daß die Amino- 
säuren Ammoniak-Quellen für den Hund sind, soll in der letzten 
Arbeit von Eppinger und Tedesko gezeigt werden, daß Eiweiß- 
hunger, der die disponiblen Aminosäuremengen mindert, bei 
diesen Tieren den Schutz gegen Mineralsäuren aufhebt, daß sich 
somit im Hunger der Hund wie ein Pflanzenfresser verhält. 


1) Arch. f. experim, Pathol. u. Pharmakol. 7. 


26 J. Pohl: 


Das Urteil über die Beweiskraft der von Eppinger und Tedesko 
beigebrachten Versuche hängt nun von folgendem Gesichtspunkt 
ab: Säurevergiftung ist Alkali-Entziehung, und Säureentgiftung 
bedeutet Hemmung der Verarmung an fixen Alkalien (in diesem 
Falle mit Steigerung des ausgeschiedenen Ammoniaks). 

Als ich nun von diesem Gesichtspunkt aus die neuen Versuche 
und Tabelle I bis V, die die obige These stützen sollen, durch- 
rechnete, stieß ich auf analytische Merkwürdigkeiten, die mich 
zu ganz anderen Schlußfolgerungen führten als die Autoren. 
Nachdem zur Deutung der Versuche genaue Dosenangaben und 
Kenntnis des eingeschlagenen analytischen Verfahrens notwendig 
ist, habe ich mich zur Ergänzung der Daten der Arbeit direkt 
an Herrn Doz. Eppinger gewendet und lege die in freund- 
lichster Weise gegebenen Aufklärungen meinen Ausführungen 
zugrunde. 

Im ersten Versuch (Tabelle I und II) wird die Summe 
KO +- NaCl für sich bestimmt, anderseits das Chlor des Harns 
nach Volhardt titriert und der erhaltene Wert auf Kochsalz 
und HCl umgerechnet. Tatsächlich ist das Chlor im Harn an 
verschiedene Basen gebunden (siehe u. a. die Arbeiten von 
Allers und Bondi’), Granström?). Die Angaben der Tabelle I, 
daß Harne mit nur 0,9; 0,3; 0,23;0,54 HCI gleichzeitig (OI NaCl) 
im Werte von 3,75; 3,4; 4,2; 3,03 gegenüberstehen, sind unmöglich 
richtig; denn lassen wir z. B. 0,9 HCl ganz als KCl erscheinen, 
so ergibt dies nur 1,81, niemals 3,75 usw. Ferner ist hier fol- 
gende Merkwürdigkeit zu verzeichnen. Am Säuretag findet sich 
dem Normaltag gegenüber ein Plus von 2,04 NH, im Harn; 
lassen wir diese, einer Entgiftung entsprechend, an HO gebunden 
erscheinen, so entspricht dies, da 1 NH, = 2,14 HCl, dem Werte 
von 4,3 HCl. Nun sind für diesen Tag, wieder nach Abzug des vor- 
ausgehenden Normaltags, 4,47 HCI im Harne erschienen, somit 
allesChlordurch Ammoniak in Beschlag belegt. Trotzdem finden die 
Autoren außerdem noch 8,9 (NaCl -- KCl). Ich halte mich bei 
diesem Widerspruch in folgendem an den direkt bestimmten 
KO + NaCl-Wert. 

Während das mit Fleisch gefütterte Tier die als tödlich 
angenommene Salzsäuremenge verträgt, geht derim Eiweißhunger 

1) Diese Zeitschrift 6, 361, 1907. 

2) Zeitschr. f. physiol Chemie 58, 198. 


Zur Lehre von der Säurevergiftung: 27 


befindliche Hund auf 600 ocm al, HO = 5,46 HCI auf 9,8 kg 
=— 0,55 p. kg zugrunde. Bedenkt man, daß von der letzten um 
dh nachmittags gereichten Dosis kaum alles resorbiert wurde, 
da der Tod bereits um 6è eintrat, so ist die tödliche Dosis p. kg 
Hungerhund noch geringer. Diese Dosis ist fast halb so 
klein als für das gefütterte Kaninchen. Meiner Anschauung 
nach beweist dieses Resultat durchaus nicht, daß der Carnivore 
durch Eiweißhunger quoad Stoffwechsel in einen Herbivoren 
verwandelt wird, sondern es beweist, daß die Versuchsbedingung 
Hunger die Verhältnisse in solch eingreifender Weise stört, daß 
ein sicherer Rückschluß auf eine einheitliche Todesursache nicht 
gestattet erscheint. 

Wenden wir uns den Zahlen für KCI-+ NaCl dieses Ver- 
suches zu. Für das fleischgefütterte Tier ergibt sich nach Ab- 
zug des vorausgehenden Tages 8,96 — 3,03 — 5,93 in 24 Stunden; 
am Eiweißhungertier 7,35 — 2,02 — 5,33 in 23 Stunden. Somit 
besteht im letztern Fall durchaus keine Steigerung der Basen- 
ausfuhr gegenüber dem Ammoniak vorschiebenden fleischge- 
fütterten Hund. Hier muß ich auf einen wichtigen analytischen 
Irrtum dieses Versuchs aufmerksam machen, Ist in Tabelle II 
2,053 HO = 1,988 Cl richtig, so kann, da 1 HCI = 2,04 KCI ist, 
selbst dann, wenn alles Chlor an Kalium gebunden gerechnet 
wird, höchstens 4,18 (KCI + NaCl) vorhanden gewesen sein, 
niemals 7,3. Ist wiederum der Chlorwert richtig, so kann nur 
3,2 NaCl “vorhanden gewesen sein, nicht aber 5,12. 

Ein weiterer Versuch wird nicht mehr am Kaninchen, sondern 
am Schafe durchgeführt; er soll beweisen, daß auch beim Herbi- 
voren Nahrungseiweiß die Säurewirkung paralysiertt. Im Harn 
werden bloß die Chlorionen titriert. Das normale, mit Kohlen- 
hydraten gefütterte 18 kg-Tier geht (wie mir gütigst von 
Eppinger mitgeteilt wurde) nach 1500 ccm al, HO 13,65 HO 
= 0,7 p. kg zugrunde. Das zweite mit Eiweiß gefütterte Tier 
scheidet nun nach der Salzsäure-Darreichung tatsächlich eine 
größere Ammoniakmenge aus. Wie steht es aber mit dem Schutz 
gegenüber der Basenentziehung? Am ersten, zweiten, dritten Tag 
nach der Säurefütterung finden sich 34,85g als Kochsalz be- 
rechnete Basen im Harn. Nach Abzug der drei vorhergehenden 
Normaltage mit 8,68 bleibt ein Plus von 26,17 NaCl. Selbst 
dann, wenn wir die im Harn aufgetretenen Ammoniakwerte an 


28 J. Pohl: 


Salzsäure gebunden annehmen und in Abzug bringen, so bleibt 
noch immer eine die Normalbasenausscheidung um das Doppelte 
übersteigender Wert. Von einem Schutz des Basenbestandes 
kann nicht die Rede sein. Ein sicheres Urteil über die 
einschlägigen Verhältnisse ist aber um so weniger zu fällen, 
als mit der Art des verfütterten Eiweißes ein elementarer Ver- 
suchsfehler eingeführt wurde: es wurde nämlich Plasmon neben 
der Salzsäure gereicht. Plasmon ist mit Natriumcarbonat di- 
geriertes Casein mit 7 bis 8°/, stark alkalisch reagierender Asche 
(Na, Ca). Da Plasmon ein leicht resorbierbares Alkalieiweiß dar- 
stellt, das im Körper verbrennt, so bedeutet seine Einfuhr neben 
der Säure Neutralisation der letzteren. In welchem Maße durch 
Plasmon Säure gebunden werden kann, lehrt folgender 


Versuch 3. 


Je 2 g Plasmon werden verascht, die Asche 24 Stunden 
mit pl, HCl stehen gelassen und dann zurücktitriert. Als Mittel 
zweier derartigen Analysen ergibt sich pro Gramm Plasmon 
eine Bindung von 9,25 al, HCl. 

Da das Tier 240 g Plasmon an 2 Tagen bekam, so bedeutet 
dies die Möglichkeit einer Alkalibindung von 2220 ccm sl, HO = 
8,1g HCl. DasSchaf hat also nicht 15 g, sondern eine Gesamtresorp- 
tion des Plasmons angenommen, nur 6,9 HCl = 0,42 p. kg erhalten. 
Tatsächlich wird nun gewiß, wie von der Salzsäure, nur ein 
Teil des Plasmons aufgenommen worden sein, es genügt aber 
das Herabdrücken der Säuredosis pro Kilogramm um 0,1 bis 0,2, 
um das Überleben des Tieres zu erklären. Auf keinen Fall 
beweist somit ein Versuch mit Plasmonfütterung irgend etwas 
für die Lehre von der Säurevergiftung. 

Ein weiterer Versuch, Tabelle V, soll nun wie in der aller- 
ersten Arbeit die Schutzwirkung durch Harnstoff belegen. 


-+ 
Ein Tier von 17,5 kg erhält 120 g U in 4 Tagen subcutan; am 
dritten Tag 16 g HCl und kommt davon. Das Plus an Am- 
moniak an den Säuretagen ist ein äußerst geringes — 1,46 an 


2 Tagen. Dabei ruft Ù für sich allein schon eine Steigerung 
der Ammoniakausscheidung von 0,36 auf 0,68 hervor, und es 
ist durchaus nicht unmöglich, daß die Ammoniakbestimmungen 
im Harn bei Gegenwart großer Harnstoffmengen unsicher 


Zur Lehre von der Säurevergiftung. 29 


werden. Wenigstens haben wir diesbezüglich unangenehme Er- 
fahrungen gemacht. Dabei findet wieder, soweit man aus den 
Chlorwerten allein, ohne Bestimmung der einzelnen Basen, 
eine Basenbewegung erschließen kann, eine mächtige Basen- 
ausscheidung statt. Erwägt man, daß das in Tabelle III be- 
schriebene Säuretier von 12 Uhr bis 7 Uhr des nächsten Tages 
i.e. 31 Stunden 9,65 NaCl ausgeschieden hat, dann sind doch 
die 24stündigen Basenwerte des Harnstofftieres mit 9,6 und 
9,45 größere als beim nicht entgifteten Tier. Rechnet man diese 
Zahlen in der Weise um, daß man die im Harn gefundenen 
Ammoniakmengen von den Chlornatriumzahlen abzieht (das 
Ammoniak des Harns ist ja auch an Cl gebunden erschienen), 
so scheidet das Normalsäuretier in 24 Stunden 5,2, das mit Harn- 
stoff behandelte Tier am ersten Tage 5,2, am zweiten 7,2g aus, 
also sicher mehr Basen als das nur mit Säure behandelte 
Tier. Von einem Basenschutz kann also auch hier nicht die 
Rede sein. 

Um aber endgültig die Vorstellung einer Entgiftung der 
Mineralsäuren durch Ammoniak beim Herbivoren zu prüfen, 
die mir bei der Giftigkeit der Ammoniaksalze von Mineral- 
säuren für diese Spezies zwar ganz unlogisch erscheint, so habe 
ich noch einem Kaninchen, das 1g HClp.kg per os erhalten 
hat, suboutan essigsaures Ammoniak in einer Menge gegeben, 
daß 1g HCl auf die nicht tödliche Menge 0,8 hätte entgiftet 
werden können. Das Tier ging trotzdem unter den typischen 
Erscheinungen der Säurevergiftung nach der dritten Säuredosis 
zugrunde. | 

Ich halte somit die Lehre einer Entgiftung von Mineral- 
säuren beim Herbivoren durch Eiweißkörper, Aminosäuren und 
Harnstoff für völlig unbegründet. 


Zur Frage der Blutgerinnung. 
Von 
P. Morawitz, Heidelberg. 
(Eingegangen am 3. Apri 1909.) 


In den letzten Jahren sind eine Reihe von Arbeiten er- 
schienen, die sich mit der Lehre von der Blutgerinnung beschäf- 
tigen und sich besonders auf die erste Phase der Gerinnung, die 
Bildung des Fibrinferments, beziehen. Alexander Schmidt!) 
hatte sich die Entstehung des Fibrinfermentes so vorgestellt, 
daß er eine Aktivierung einer im Plasma vorhandenen Vorstufe 
des Fibrinferments, des Prothrombins, durch die zymoplastischen 
Substanzen der Gewebs- oder Blutzellen annahm. Später ist 
diese Hypothese auf Grund der Untersuchungen von Arthus?) 
und Pekelharing?) über die Rolle der Kalksalze bei der Ent- 
stehung des Fibrinferments wieder verlassen worden, und man 
nahm allgemein an, daß eine unwirksame Vorstufe des Fibrin- 
fermente durch ionisierte Kalksalze in den aktiven Zustand 
übergeführt wird. Von den zymoplastischen Substanzen war 
nicht mehr die Rede. 

Ein Versuch, diese einander widersprechenden Ansichten 
zu vereinigen, ist von Fuld und Spiro und mirt) unternommen 
worden. Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, daß min- 
destens drei Substanzen zur Entstehung aktiven Fibrinfermentes 
zusammenwirken müssen, nämlich ionisierte Kalksalze und zwei 
fermentähnliche Körper, die ich als Thrombogen und Thrombo- 
kinase bezeichnet habe. Das Thrombogen würde dem Proferment, 
die Thrombokinase den zymoplastischen Substanzen Alexander 
Schmidts entsprechen. Das Pekelharingsche Prothrombin 
wäre demnach ein Gemisch von Thrombogen und Thrombokinase. 


1) A. Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig 1892. 

2) Arthus, Arch. de physiol. 1896. 

3) Pekelharing, Intern. Beitr. f. Rud. Virchows Festschr. 1891. I. 
4) Vgl. Morawitz, Ergebn. d, Physiol. 4, 307, 1905. 


P. Morawitz: Zur Frage der Blutgerinnung. 31 


Zu ähnlichen Vorstellungen — wobei im einzelnen freilich noch 
manche Differenzen bestehen — sind später mehrere Autoren 
gekommen, besonders P. Nolf!), ferner Schittenhelm und 
Bodong*) und Walker,?) während Pekelharing*) seinen frühe- 
ren Standpunkt behauptetet und Leo Loeb°) der Ansicht ist, 
das manche Erscheinungen auch durch die neue Hypothese 
nicht genügend erklärt werden und die Verhältnisse der Ent- 
stehung des Fibrinfermentes vielfach noch undurchsichtig sind. 

Zu den Autoren, die eine Entstehung des Fibrinfermentes 

durch das Zusammenwirken dreier Faktoren, eines Prothrombins, 
der Thrombokinase und ionisierter Kalksalze annehmen, gesellt 
sich neuerdings auch J. Mellanby°). Er kommt zu ähnlichen 
Schlüssen wie Fuld und Spiro und ich, unterwirft aber meine 
früheren Untersuchungen einer auch in ihrer Form sehr absprechen- 
den Kritik, die geeignet ist, unrichtige Vorstellungen zu erwecken 
und die ich nicht unerwidert lassen möchte Mellanby kennt 
aber, wie aus seiner Arbeit hervorgeht, weder die Nachprüfungen 
meiner Untersuchungen durch Schittenhelm und Bodong, 
noch die ausgedehnten Untersuchungen von LeoLoeb u. P. Nolf, 
ja ihm sind offenbar auch die zusammenfassenden Übersichten über 
den Vorgang der Blutgerinnung entgangen, die L. Loeb vor 
1?/, und ich (l. ol vor 4 Jahren gegeben habe. Im anderen 
Falle hätte er es gewiß vermieden, Tatsachen als von ihm 
entdeckt zu publizieren, die schon seit 5 Jahren bekannt sind, 
wie das „Antithrombin“ des Vogelplasmas.’) 

An die Spitze seiner Ausführungen stellt Mellanby fol- 

genden Satz: 

„Morawitz gründet seine Theorie auf vier fundamentale Fest- 

stellungen. Dieses sind: 

1. daß Thrombokinase eine nach Hammarsten bereitete Fibrino- 
genlösung auch bei Gegenwart von Kalksalzen nioht zum Ge- 
rinnen bringt; 

ı) Nolf, Arch. intern. de physiol. 4 bis 6, 1906 bis 1908. 

2) Schittenhelm u. Bodong, Arch. f. experim. Pathol. u; 

Pharmakol. 54, 217, 1906. 

3) Walker, Journ. of Physiol. 33. 

4) Pekelharing, diese Zeitschr. 11, 1, 1908. 

5) Leo Loeb, Bioohem. Centralbl. 6, 1907. 

6) Mellanby, Journ. of Physiol. 38, 28. 


7) Vgl. Leo Loeb, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 534. 
Muraschew, Arch. f. klin. Med. 80, 187, 1904, 


32 P. Morawitz: 


2. daB Thrombokinase seröse Exsudate wie Hydrooeleflüssigkeiten 
nicht zum Gerinnen bringt; 

3. daß die gerinnungserzeugende Kraft des Serums durch Zusatz 
von Thrombokinase sehr erheblich verstärkt wird; 

4. daß Thromokinase Oxalat- und Fluoridplasma nicht zum Gerinnen 
bringen kann.“ 


Von diesen Sätzen erklärt Mellanby die ersten drei kurzer- 
hand für falsch. 

Einige Zeilen hinter der oben im Wortlaut wiedergegebenen 
Äußerung erklärt Mellanby aber, daß die Hammarstensche 
Methode zur Bereitung der Fibrinogenlösung zu eingreifend ist. Er 
stellt daher seine Fibrinogenlösungen durch Verdünnen von Vogel- 
plasma mit Wasser und Essigsäurefällung her und glaubt hiermit 
reine Fibrinogenlösung zu erhalten, da bisher keine Beweise dafür 
vorliegen, daß Blutplasma außer dem Fibrinogen noch andere 
Globuline enthält (!). Diese Fibrinogenlösung gerinnt nun 
regelmäßig auf Zusatz von Gewebssaft und Calcium. Miteiner 
nach Hammarsten bereiteten Lösung hat Mellanby 
keinen einzigen Versuch gemacht. Wohl aber haben 
andere Untersucher, deren Arbeiten Mellanby entgangen sind, 
meine Angaben nachgeprüft, so z. B. Schittenhelm und 
Bodong und Nolf. Die zuerst angeführten Autoren haben 
ebenso wie ich meist gar keine, zuweilen eine sehr langsam 
verlaufende Gerinnung durch Gewebsextrakte und Kalk in 
Hammarstenschen Fibrinogenlösungen beobachtet. Nolf fand, 
daß nach Hammarsten bereitete Fibrinogenlösungen, wenn 
sie stark konzentriert sind, noch mit Gewebssaft und Kalk 
gerinnen, in verdünntem Zustande aber nicht. Offenbar hängen 
die Differenzen, die über diese Frage vorliegen, mit Verschieden- 
heiten der Technik bei Zubereitung der Fibrinogenlösung zu- 
sammen. Mit Sicherheit geht aber aus den Befunden der oben 
angeführten Autoren hervor, daß man nach der Methode 
Hammarstens Fibrinogenlösungen erhalten kann, die durch 
Fibrinferment sehr leicht zum Gerinnen gebracht werden, wäh- 
rend blutfreie Gewebsextrakte trotz Anwesenheit von Kalk- 
salzen unwirksam bleiben. 

Zweitens behauptet Mellanby, daß alle fibrinogenhaltigen 
Ex- und Transsudate durch Gewebssäfte zum Gerinnen gebracht 
werden können. Er stützt diese Ansicht auf die Untersuchung 
einiger Exsudate und Hydroceleflüssigkeiten und erklärt es für 


Zur Frage der Blutgerinnung. 33 


schwer verständlich, wie ich eine gegenteilige Bemerkung machen 
kann. Die Feststellung, daß es in der Tat fibrinogenhaltige 
Transsudate gibt, die auf Zusatz von Gewebssaft flüssig bleiben, 
stammt nun keineswegs von mir, sondern von Alexander 
Schmidt (l. ol der sich mit Vorliebe dieser Flüssigkeiten, 
die er aus der Peritonealhöhle des Pferdes gewann, zur An- 
stellung von Gerinnungsversuchen bediente. Manche Hydro- 
celeflüssigkeiten zeigen auch diese Eigenschaft, wie Schmidt 
gezeigt hat und ich bestätigen konnte. Auch Arthus!) hat 
die Beobachtung gemacht, daß das fibrinogenhaltige Peritoneal- 
transsudat des Pferdes auf Zusatz von Gewebesaft nicht gerinnt. 
Mellanby hat zufällig kein solches Transsudat in Händen 
gehabt. Seine Behauptung steht im Widerspruch zu den Resul- 
taten mehrerer Untersucher. 

Was nun endlich die Tatsache betrifft, daß die gerinnungs- 
erzeugende Kraft von Blutserum durch Zusatz von Gewebssaft 
sehr erheblich verstärkt werden kann, so stehe ich auch hier 
keineswegs allein da. Die Erscheinung ist übrigens schon von 
Alexander Schmidt (l. c.) beschrieben worden. Ferner haben 
Muraschew, sowie Schittenhelm und Bodong ähnliche Be- 
obschtungen gemacht. Auch L. Loeb gibt an, daß in manchen 
Fällen die Wirkung einer Kombination von Serum und Gewebs- 
saft eine stärkere ist, als den Einzelfaktoren entspricht. Mel- 
lanby ignoriert die Angaben der anderen Autoren und bedient 
sich auch hier wieder einer Versuchsanordnung, die meiner 
absolut nicht entspricht und mir für diesen Zweck ungeeignet 
zu sein scheint. 

Auf weitere Einzelheiten der Arbeit von Mellanby möchte 
ich nicht eingehen. Mir genügt, festgestellt zu haben, daß er 
keinen einzigen meiner Versuche nachgeprüft hat und daß 
seine Behauptungen im Gegensatz stehen zu den Angaben 
anderer Untersucher, deren Arbeiten er nicht erwähnt. 


1) Arthus, Compt. rend. 56, 1904. 


Biochemische Zeitschrift Band 18. 3 


Über die Milch einer 62jährigen Frau. 
Von 
Sigmund Fränkel. 
(Aus dem Laboratorium der L. Spiegler-Stiftung, Wien.) 
(Eingegangen am 3. April 1909.) 


Dr. Anton Siding, Arzt am Versorgungsheim der Stadt 
Wien, beobachtete bei einer 62jährigen, an Tabes leidenden 
Frau, daß aus deren beiden Brüsten sich auf Druck Milch, 
in fünf bis sechs Strahlen spritzend, entleeren ließ. Die Frau 
litt überdies an Haematemesis und Herpes Zoster. Der Fall 
ist ausführlich beschrieben in der Wiener klinischen Wochen- 
schrift.?) | 

Diese Milch wurde mir von Dr. A. Siding zur Untersuchung 
übergeben. Die durchschnittliche Menge pro die beträgt 0,3 bis 
0,5ccm. Wurde die Milch nicht täglich abgezogen, so konnte man 
nach 8 Tagen 2 ccm auf einmal gewinnen. Für die chemische 
Untersuchung wurde Milch einen Monat lang gesammelt und 
in Eis-Kochsalzmischung, die man häufig erneuerte, im Eis- 
schrank konserviert. 

Die chemische Untersuchung wurde mit Rücksicht auf die 
geringen Mengen möglichst gewichtsanalytisch durchgeführt. 

Das spezifische Gewicht wurde im Pyknometer bestimmt. 

Bei 15°C ergab sich sp. G. 1026,4 in einem Pyknometer 
von 10 ccm Inhalt; die Wasserbestimmung ergab 88,19°/, Wasser, 
resp. 11,81°/, Trockensubstanz. 

Die Eiweißkörper wurden aus der Gesamt-Stickstoff-Bestim- 
mung nach Kjeldahl berechnet. 

3,2238g Milch geben nach Kjeldahl 7,9/0- NH, oder 
0,01106g N, bzw. 0,348°/, N = 2,175°/, Eiweißkörper. 


1) Wiener klin. Wochenschr. 1909, Nr. 9. 


S. Fränkel: Über die Milch einer 62jährigen Frau. 35 


Die Milch wurde mit Gips eingetrocknet und im Soxhlet- 
apparat mit Äther erschöpft. Sie enthielt in 2,8983g 0,12g 
oder 4,15°/, Rohfett. 

Der Michzucker wurde in der verdünnten und enteiweiß- 
ten Lösung durch Titration bestimmt. 3,4521 g Milch enthielten 
0,167232g Milchzucker oder 4,84°/, Milchzucker. 

Die feuerfeste Asche betrug 0,277°/,. 

Die Summe der bestimmten festen Bestandteile beträgt 
11,44°/,. Die gesamten festen Bestandteile 11,81°/,. 

Die Reaktion der untersuchten Sammelmilch war amphoter; 
die frisch entleerte Milch zeigte alkalische Reaktion. Beim 
Kochen gerinnt die frische Milch nicht. Mikroskopisch waren 
viele Fettkügelchen und wenige Colostrumkörperchen zu be- 
obachten. 

Nach den Angaben der Lehrbücher!) beträgt der Trocken- 
rückstand der Frauenmilch im Durchschnitt 11°/,, schwankt 
aber von 8bis18°/,. Der Aschengehalt beträgt 0,2 bis 0,25°/, 
und kann bis 0,4°/, ansteigen. Das spez. Gewicht wird von 
1026 bis 1036 angegeben, bewegt sich aber meist in den engeren 
Grenzen 1028 bis 1034. Der Eiweißgehalt schwankt von 1 bis 2°/, 
und ist oft nur 1,5 bis 1,7°/,; der Fettgehalt beträgt 3 bis 4°/,. 
Der Zucker geht selten unter 5°/,, im Mittel sind 6°/, vorhanden. 


Vergleichende Zusammenstellung des Analysen- 
resultates mit den Zahlen für normale Frauenmilch. 
Milch der 


62jähr. Frau Normale Frauenmilch 

Wasser . . 2.2.2.0. 88,19°/, im Durchschnitt 89°/, 
Trockensubstanz . . . . 11,81°/, (NA 
Spezifisches Gewicht . . 1026,4 1026 bis 1036 
Reaktion ` . . .... alkalisch alkalisch 
Eiweiß... 2.2... 2,175°/, l bis 2°), 

Fett. . 2.2 2220. 4,15°/, 3 n Ai 
Zucker. ....... 4,84°/, 5 „ BI, 

Asche . . ..... 0,2779), 0,20 bis 0,25 bis 0,4°/, 


Man ersieht aus dieser Zusammenstellung die gute Über- 
einstimmung der normalen Werte mit denen dieses Sekrets. 


1) Hammarsten, Lehrb. d. physiol. Chem., Fränkel, Deskriptive 
Biochemie. 
38% 


36 8S. Fränkel: Über die Milch einer 62jährigen Frau. 


Die Beobachtungen, daß alte Frauen Milch sezernieren, 
sind recht selten. In der Literatur finden sich Fälle, wo alte 
Frauen auf Saugen Milch produzieren, ferner im Postelimaoterium 
und nach einer, wenn auch viele Jahre vorangegangenen Geburt. 
Siding faßt diesen Fall in der Weise auf, daß die Milchsekretion 
in keinerlei Beziehung zu einer inneren Sekretion der Ovarien 
steht, sondern wahrscheinlich Folge einer Reflexneurose infolge 
tabischer Störungen im abdominellen sympathischen Geflechte, 
die sich klinisch in nervösen Magendarmblutungen, den aus- 
gedehnten Herpeszonen und möglicherweise in der hochgradigen 
Ovarienatrophie manifestieren. 

Das in solchen Fällen produzierte Sekret war noch nie 
Gegenstand einer chemischen Untersuchung, so daß bis jetzt 
die Diagnose dieses Sekretes als Milch nur auf dem äußeren 
Aspekt beruht. 

Diese Untersuchung zeigt, daß sich in unserem Falle die 
produzierte Milch chemisch in keiner Weise von der einer 
normal lactierenden Frau unterscheidet. 


Über Lipoide. 
Von 


Sigmund Fränkel, 


V. Mitteilung. 
Über die Phosphatide des Rinderpankreas. 


Von 
Kurt Linnert, Wien, und G. A. Pari, Padua, 
(Aus dem Laboratorium der L, Spiegler-Stiftung, Wien.) 
| (Eingegangen am 3. April 1909.) 


In der vorhergehenden Mitteilung über Lipoide!) hat einer 
von uns (P.) über ein aus Rinderpankreas gewonnenes unge- 
sättigtes Phosphatid von der Formel C,,H,,NPO,CdCi, berichtet, 
welches sich durch Hydrolyse in eine gesättigte Fettsäure vom 
Schmelzpunkte 54° (Myristinsäure), in eine ungesättigte Fett- 
säure von anscheinend geringerem Kohlenstoffigehalt als die 
Ölsäure und in eine Base aufspalten läßt. Bei der Methyl am 
N-Bestimmung nach Herzig und Meyer zeigte dieses, Vesal- 
thin benannte, Monaminomonophosphatid den Gehalt von je 
vier Methylgruppen auf ein N-Atom. Da aus Cholin resp. 
Lecithin bei dieser Bestimmung drei Methylgruppen abgespalten 
werden, so muß man annehmen, daß die dem Vesalthin zu- 
grunde liegende Base von Cholin verschieden ist. 

Es ist uns mit dem leider unzureichenden Material gelungen, 
das Platinsalz dieser Base darzustellen, ihren Schmelzpunkt, 
Platin- und Chlorgehalt zu bestimmen und zu finden, daß diese 
Platinverbindung mit dem Cholinplatinsalz in einigen Punkten 
übereinstimmt, in anderen aber von ihm wesentlich abweicht, 


1) Diese Zeitschr, 17, 68, 1909. 


38 S. Fränkel: 


und zwar in Schmelzpunkt, Gehalt an Chlor und Methyl am 
N-Gruppen. 

Hydrolysiert wurde Vesalthin in 5°/,iger alkoholischer Salz- 
säure durch 8 Stunden; hierauf wurde der Alkohol zum 
großen Teile abdestilliert, die Lösung mit Wasser verdünnt 
und zur Entfernung der Fettsäuren erschöpfend ausgeäthert. 
Die im Scheidetrichter vom Äther getrennte wässerige Lösung 
wird nun zunächst auf dem Wasserbade zur Entfernung der 
Salzsäure eingeengt, hierauf nach Befreiung von Cadmium durch 
Schwefelwasserstoff im Vakuum bis zum Sirup konzentriert. 
Dieser wird mit absolutem Alkohol aufgenommen und mit ab- 
solut alkoholischer Platinchloridlösung versetzt. Sofort scheidet 
sich das gelb gefärbte Platinat ab, welches, nachdem es im 
Vakuum völlig vom Alkohol befreit ist, aus wenig heißem Wasser 
umkrystallisiert wird, aus dem es — im Gegensatze zu Cholin — 
sofort wieder auskrystallisiert in orangegelben, glitzernden 
Krystallen, welche bei der optischen Untersuchung ein zwei- 
achsiges Achsenbild mit sehr kleinem Winkel — schätzungs- 
weise 10° — und optisch positivem Charakter zeigen, allem 
Anscheine nach rhombische — nicht ausgeschlossen hexagonale — 
Tafeln bildend, von Kanten begrenzt, welche die Winkel 124° 
bzw. 112° einschließen. 

Die Substanz, welche wir als Vesalthaminplatinat be- 
zeichnen wollen, schmilzt bei 254° unter Aufschäumen bei lang- 
samem, bei 249° bei schnellem Erhitzen. 


Platin- und Chlorbestimmung: 
0,1041 g 8 gaben 0,0331 g Pt = 31, 8°/, Pt, 
0,0991g S8 ,„ 0,1167g AgCl = 29, 12°/, Cl. 
Daraus ergibt sich das Verhältnis von 
Chlor zu Platin 5:1. 


Vergleicht man diese Resultate mit den von Gulewitsch?) 
für Cholinplatinchlorid gefundenen, so fällt zunächst die völlige 
Übereinstimmung der Platinwerte auf. Auch Gulewitsch findet 
als Platingehalt 31,81°/, gegen 31,64°/, berechnet für Cholin- 
platinchlorid. 


1) Gulewitsch, Über Cholin und einige Verbindungen desselben. 
Zeitschr. f. physiol. Chem. 24, 513, 1898, 


Über Lipoide. V. 39 


Als Krystallform erscheinen schiefe Prismen von monoklinem 
und triklinem Charakter, aber auch rhombische Blättchen und 
Tafeln, Nadeln und Oklaöder von orangeroter Farbe beschrieben. 

So verlockend es also wäre, unseren Körper als Cholin- 
platinchlorid aufzufassen, so sprechen doch folgende Unterschiede 
für eine andere, dem Cholin allerdings sehr nahestehende Ver- 
bindung: 

L Ist der Schmelzpunkt unseres Platinatse beträchtlich 
höher als der höchste der sehr variablen von Gulewitsch für 
das Cholinplatinat angeführten: 254° gegen 240° bis 241°; 

2. ist das Verhältnis von Chlor zu Platin im Cholinplatinat 
6:1, während sich die beiden Elemente in unserer Substanz 
wie 5:1 verhalten; 

3. entsprechen im Cholin drei Methyle einem Stickstoff, 
im Vesalthamin vier Methyle einem Stickstoff. 

Da man im hiesigen Laboratorium daran ist, Rinderpan- 
kreas in großem Maßstabe zu verarbeiten, so wird die Ergänzung 
der Formel des Vesalthamins sowie die Identifizierung der 
ungesättigten Fettsäure in einer der folgenden Arbeiten er- 
scheinen. 


Über eine neue charakteristische Adrenalinreaktion. 


Von 


Sigmund Fränkel und Rudolf Allers, München. 
(Aus dem Laboratorium der L. Spiegler-Stiftung, Wien.) 
(Eingegangen am 3. April 1909.) 


Das Adrenalin reagiert als o-Dioxybenzolderivat mit Eisen- 
chlorid unter vorübergehender Grünfärbung, ferner reduziert 
es ammoniakalische Silberlösung und reagiert mit chromsauren 
Salzen. Die Eisenchloridreaktion ist eine zu allgemeine Reaktion 
der Orthodioxybenzolderivate, um für sich allein charakteristisch 
zu sein, überdies kann Adrenalin mit Bilirubin verwechselt 
werden, da letzteres durch Oxydation mit Eisenchlorid in Bili- 
verdin übergeht und so die Grünfärbung des Adrenalins vor- 
getäuscht werden kann. Noch viel weniger charakteristisch 
erscheinen die beiden anderen Reaktionen, welohe sehr vielen 
Substanzen zukommen. 

Die Reaktion von G. Comessati!) beruht auf der Ein- 
wirkung von 1 bis 2°/ ‚iger Sublimatlösung bei Zimmertemperatur 
auf die zu prüfende Flüssigkeit. Es tritt bei Anwesenheit von 
Adrenalin nach 1 bis 3 Minuten eine diffuse Rotfärbung auf. Der 
Ansicht Comessatis zufolge beruht diese Färbung auf der 
Bildung von „Oxyadrenalin“, da der Farbenton der Reaktion 
identisch ist mit dem, welchen Adrenalinlösungen beim Stehen 
an der Luft annehmen. Comessatti untersuchte verwandte 
Substanzen mittels Sublimat und fand, daß Brenzkatechin mit 
Sublimat eine grünliohe Farbe liefert, Salicylsäure und Resorein 
andere rote Nüancen. Die Reaktion gestattet Adrenalin in 
einer Verdünnung von 0,0025 :1000 noch nachzuweisen. Dem- 


1) Münch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 37. 








S. Fränkel u. R. Allers: Über eine neue charakt. Adrenalinreaktion. 41 


gegenüber hat K. Boas?!) beobachtet, daß selbst bei größeren 
Konzentrationen, als den von Comessati genannten die Re- 
aktion nicht zustande kam. Hingegen trat sie ein, wenn man 
die Probe zum Sieden erhitzte. 

Wenn man auch bei längerem Stehen eine geringe rosarote 
Färbung wahrnehmen kann, so müssen wir darin Boas zu- 
stimmen, daß dieselbe beim Kochen bedeutend intensiver wird. 
Aber nicht nur mit Sublimat, sondern auch mit Kupfersulfat, 
Platinchlorid, chlorsaurem Kalium, sowie Wasserstoffsuperoxyd 
gelingt nach unseren Untersuchungen diese Reaktion. 

In der von Comessati angegebenen maximalen Ver- 
dünnung (1:400000) tritt in der Kälte überhaupt keine Fär- 
bung auf, nach längerem Kochen ein kaum merkliches Rosarot. 

Wir haben eine neue, sehr feine und oharakteristische 
Reaktion gefunden, welche darauf beruht, da8 Jodsäure, resp. 
Kaliumbijodat und verd. Phosphorsäure beim Anwärmen mit 
Adrenalinlösungen in der Weise sich umsetzt, daß eine prachtvolle 
rosenrote Färbung, bei Verwendung äußerst verdünnter Lösungen 
eine eosinrote Färbung eintritt. 

Diese Reaktion gibt in gleicher Weise keine von uns bis 
nun daraufhin untersuchte Substanz, welche mit dem Adrenalin 
verwechselt werden könnte: 

Wir prüften die verwandten: 


Brenzkatechin gibt Gelbfärbung (Jod), 
Guajacol reagiert mit Jodsäure unter Bindung von Jod; 
es entsteht ein braunes, schweres Öl, 

Protokatechualdehyd ebenso schwache Gelbfärbung, 

Tyrosin zeigt keine Farbenreaktion, 

Oxyphenyläthylamin ebenfalls keine. Die Piperonylbase 

0173 
( O 

CH(OH).CH,. NH, , 
welche wir synthetisch dargestellt, zeigt die Reaktion 


ebenfalls nicht, 
Oxyphenyläthylaminmethyl ebenfalls keine. 


1) Centralbl. f. Physiol. 1909, Nr. 26. 


42 S. Fränkel und R. Allers: 


Von nicht verwandten Substanzen wurden geprüft: Eiweiß, 
Pepton, Zucker, Harnstoff, Harnsäure, Oxalsäure, Leucin, Kreatin. 
All diese Substanzen reagieren nicht mit Bijodat. In alkalischer 
Lösung reduziert Zucker jodsaure Salze.”) In saurer Lösung 
aber tritt auch bei beträchtlichen Konzentrationen keine Re- 
duktion auf. 

Die Reaktion konnten wir noch deutlich mit einer */,,o0” 
Adrenalinlösung erzielen, welche also 0,00365°/, ig ist resp. 
1:300000 enthält. Sie steht in ihrer Feinheit der sehr emp- 
findlichen, aber rasch vergänglichen Eisenchloridgrünung nicht 
nach, ist aber ausschließlich für Adrenalin charakteristisch. 
In geringerer Verdünnung, etwa bis 1:20000, tritt die 
Reaktion bei mehrstündigem Stehen schon bei Zimmertem- 
peratur auf. 

Die rote Farbe der Reaktion schlägt bei Versetzen der 
Probe mit Ammoniak in Rostbraun um. 

Die Farbe der von uns gefundenen Jodatprobe erscheint 
etwa zweimal so intensiv als die mit Sublimat, sie ist deut- 
lich blaustichig, während das Rot der Comessatischen Reaktion 
mehr ins Braun spielt. Die Tatsache, daß die Comessati- 
sche Reaktion auch, wie wir geseben, mit Wasserstoffsuperoxyd 
gelingt, macht es wahrscheinlich, daß es sich hierbei in der 
Tat um eine Oxydation handelt, während unsere Reaktion auf 
der Bindung von Jod am Adrenalinmolekül beruht und daher 
Grundlage einer quantitativen Bestimmungsmethode werden 


kann. 
Die Umsetzungen zwischen Bijodat und Adrenalin scheinen 


nämlich in bestimmten stöchiometrischen Verhältnissen abzulaufen, 
worüber Untersuchungen noch im Zuge sind, die versprechen, 
diese Reaktion für die quantitative Auswertung von Adrenalin- 
lösungen benutzen zu können. 

Der Mechanismus dieser Reaktion beruht nicht etwa auf 
einer Reduktion der Jodsäure durch Adrenalin zu Jod (wie 
bei der bekannten Morphinreaktion), und ev. Reaktion des 
freien Jods mit Adrenalin, da in keinem Stadium der Reaktion 
freies Jod nachzuweisen ist, sondern es handelt sich wahrscheinlich 
um die Bildung einer Jodo- oder Jodosoverbindung des Adre- 
nalins, welcher die charakteristisch er Färbung zukommt. 


1) v. Lippmann, Chemie der Kohlenhydrate 1, 307. 


Über eine neue charakteristische Adrenalinreaktion. 43 


Tatsächlich wird ein Teil der verwendeten Jodsäure, wie wir 
experimentell festgestellt haben, verbraucht, und dieser ver- 
brauchte Anteil setzt im Gegensatz zur Jodsäure resp. zu der 
angesäuerten Bijodatlösung aus Jodkalium kein Jod mehr in 
Freiheit. — 

Bei der Anstellung dieser Reaktion selbst verfahren wir 
in Anbetracht der sehr verdünnten für die Untersuchung vor- 
liegenden Lösungen in der Weise, daß wir die zu prüfende 
Lösung mit dem gleichen Volumen einer ?/, ooo- Kaliumbijodat- 
lösung und einigen Tropfen verd. Phosphorsäure versetzen und 
bis zum beginnenden Sieden erwärmen. Man betrachte die 
Reaktion im auffallenden Lichte gegen einen weißen Hinter- 
grund. Eiweißhaltige Lösungen müssen natürlich vorher ent- 
eiweißt, farbige entfärbt werden. 

Diese neue Reaktion ist eine sehr empfindliche, 
für Adrenalin charakteristische Probe. 


Eine Methode zur quantitativen Bestimmung der 
Phosphorsäure im Harne und in Alkaliphosphatlösungen. 


Von 
Paul v. Liebermann. 
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Budapest.) 
(Eingegangen am 7. April 1909.) 


Im folgenden soll eine Methode beschrieben werden, in der 
das Prinzip der Volhardschen Halogenbestimmung auf die 
Phosphorsäure angewendet wird, was meines Wissens bisher 
nicht versucht worden ist. Es wird also der Phosphorsäurerest 
mit einer bekannten, überschüssigen Menge von Silber gefällt 
und im Filtrate das nicht gefällte Silber mit Alkalithiocyanat 
zurücktitriert. Um dies im Harn ausführen zu können, muß 
das PO, von den andern silberfällenden Harnbestandteilen erst 
getrennt werden, was durch Fällen mit Magnesiamischung und 
Auswaschen des Niederschlages geschieht. 


Ausführung. 

(Erläuternde Bemerkungen zu dieser Vorschrift finden sich auf S. 47 bis 51.) 

1. Die zu analysierende Menge des filtrierten Harnes 
(20 ccm)!) wird in ein 200 ccm fassendes Becherglas abgemessen, 
mit etwa einem Zehntel des Volumens einer ca. 10°/,igen 
(NH,),CO,-Lösung*) und hierauf mit überschüssiger Magnesia- 
mischung versetzt (7 bis 8ccm genügen in jedem Falle). Man 
fügt ein Drittel des Volumens Ammoniak vom spez. Gew. 0,96 
hinzu und läßt 12 Stunden (oder auch länger) stehen.?) 


1) Siehe Bemerkung 1, 8. 47. 
2) Siehe Bemerkung 2, S. 47. 
3) Siehe Bemerkung 3, S. 49. 


P. v. Liebermann: Meth. z. quantitat. Bestimm. d. Phosphorsäure usw. 45 


2. Man gießt die überstehende Flüssigkeit durch ein Filter 
und wäscht den Niederschlag mit ammoniakhaltigem Wasser 
(2!/:°/s NH,), dem auf 200 ccm etwa 5 com der Ammoncarbonat- 
lösung zugefügt werden, bis zum Verschwinden der Chloridreaktion 
aus, erst durch Dekantation (etwa 4mal), dann auf dem Filter. 
Es ist nicht nötig, den Niederschlag quantitativ aufs Filter zu 
bringen, da die später folgende Lösung des Niederschlages im 
selben Becherglase geschieht, nur müssen selbstverständlich mit 
jeder einzelnen Portion der Waschflüssigkeit erst die Wände des 
Becherglases abgespült werden. Um möglichst rasch filtrieren zu 
können, empfehlen sich die bekannten Trichter mit langem Ab- 
flußrohr und einer Erweiterung am obern Ende des Rohres 
(D. R. G. M. 205 487, O. M. 74086). 

3. Der Niederschlag wird auf dem Filter in 50 com einer 
2,5- bis 2,6-normalen, selbstverständlich chloridfreien Salpeter- 
säure aufgelöst. Man bringt den Niederschlag mit einigen 
Kubikzentimetern Säure in Lösung und verwendet den Rest 
zum Nachspülen. Die Lösung wird im selben Becherglase auf- 
gefangen, in dem man gefällt hatte.?) 

4. Zu dieser Lösung fügt man aus einer Pipette genau 
5 ccm einer einfach normalen Silbernitratlösung.*) Man über- 
zeugt sich bei dieser Gelegenheit, ob der Niederschlag gut aus- 
gewaschen war. Eine geringe Opalescenz gehört jedoch auch 
bei sorgfältigstem Auswaschen zur Regel. 

5. Die Lösung wird mit Ammoniak vom spez. Gew. 0,96 
(10°/, NH,) bis zur gleichmäßig amphoteren Reaktion neutra- 
lisiert, d. h. bis die Lösung beim Tüpfeln auf empfindliches 
Lackmuspapier (ich habe Mercksches verwendet) ebenso stark 
alkalisch als sauer zu reagieren scheint. Man setzt den größten 
Teil des Ammoniaks (ca. 20 ccm) auf einmal zu und fährt dann 
mit kleinen Dosen fort, bis etwas vom gelben Niederschlag 
nach dem Umrühren eben bestehen bleibt, was bei noch stark 
saurer Reaktion der Fall ist. Bis dahin ist es also unnötig, 
die Reaktion zu kontrollieren (siehe jedoch Bemerkung 6! S. 50). 
Man fährt nun je nach der Reaktion mit Zusätzen von einem 
oder mehreren Tropfen fort, bis die alkalische Reaktion ebenso 
stark wie die saure zu sein scheint. Ist man im Zweifel, ob 


1) Sollte Gasentwioklung zu sehen sein, so warte man sie ab, 
?) Siehe Bemerkung 5, S. 49. 


46 P. v. Liebermann: 


die alkalische Reaktion der sauren schon gleich ist, so setzt . 
man stets noch einen bis einige Tropfen Ammoniak zu und 
kontrolliert wieder; im Zweifelsfalle fährt man wieder mit dem 
Ammoniakzusatz fort usw. Auf diese Weise wird man kaum 
jemals die Grenze überschreiten; sollte dies dennoch der Fall 
sein, so gehe man mit einigen Tropfen Salpetersäure zurück. 
Ein starkes Überschreiten der Grenze ist unstatthaft; man er- 
hält dann auch nach genauem Wiederneutralisieren zu kleine 
Werte. Über die Art des Neutralisierens bei sehr kleinen Phos- 
phatmengen siehe Bemerkung 6 (8. 50). 

6. Man überträgt das Ganze in ein 200 ocm fassendes Meß- 
kölbchen,'!) indem man mit destilliertem Wasser quantitativ 
nachspült; man nehme auch so viel als möglich vom Nieder- 
schlag mit. Man füllt zur Marke auf, mischt gut durch und 
filtriert durch ein schwedisches Filter, wobei man trachtet, 
möglichst viel Niederschlag aufs Filter zu bringen, weil man 
so schneller ein klares Filtrat bekommt; eventuell hat man 
nochmals aufzugießen, wenn das Filtrat nicht ganz klar war. 

7. Dem klaren Filtrat entnimmt man mit der Pipette 
100 com, säuert mit Salpetersäure an (etwa 5 ccm 2!/,n Säure), 
fügt ca. 2 ccm Ferriammoniumsulfatlösung”*) zu und titriert mit 
a/o KSCN bis zur eben deutlichen Rosafärbung. (Der Titer 
der bekanntlich veränderlichen Rhodanlösung muß jedesmal 
bestimmt werden, indem man 20 ccm ?/ o-AgNO, titriert.) Hat 
man & Kubikzentimeter Rhodanlösung verbraucht, so ist 

50 — 2a 
10 
2,367 (50 — 2a) = P, O, in Milligrammen; 
in diesem Wert wird man die zweite Dezimale in der Regel 
als Korrektur nehmen; die Schwankung der ersten beträgt dann 
fast nie über 2 Einheiten (meist weniger). Die Formel gibt 
genaue Werte, wenn die analysierte Harnmenge 10 bis 
80 mg P,O, enthält. Bei einem Gehalt von 90 mg ist 
der gefundene Wert um ein halbes Milligramm zu ver- 
größern, bei noch größern Mengen wird auch die 





= PO, in Milligramm-Äquivalenten; 


1) Bei diesem Inhalt des Kölbchens kommt das Volum des Nieder- 
sohlages für die Rechnung nicht in Betracht. 

2) Die zur Volhardschen Titrierung gebräuchliche, kalt gesättigte 
und mit HNO, angesäuerte Lösung. 


Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 47 


Korrektur größer. Genaueres hierüber siehe in Be- 
merkung 1, diese S. Den Rechnungen liegen die auf O — 16,00 
bezogenen Atomgewichte zugrunde. 

Eine Bestimmung nimmt etwa 1!/, bis 2 Stunden in An- 
spruch. 

Bemerkungen. 

L Ich habe nach dieser Methode richtige Werte erhalten, 
wenn der P,O,-Gehalt der analysierten Harnmenge 10 bis 90 mg 
betrug. Am besten ist es jedoch, eine Menge zu wählen, die 
nicht unter 3 und nicht über 8 cg P,O, enthält. Bei kleinen 
Mengen verliert die Bestimmung an Bequemlichkeit und natür- 
lich auch an relativer Genauigkeit (siehe Bemerkung 6), bei 
großen ist der Wert, den die Formel ergibt, um eine kleine 
Größe zu korrigieren, und zwar hängt die Korrektur von der ge- 
fundenen Phosphorsäuremenge ab; für 90 mg ist der gefundene 
Wert um 0,5 mg zu vergrößern, d. h. wenn die Formel 89,5 
ergibt, so ist dies auf 90,0 zu korrigieren. Für noch größere 
Werte beträgt die Korrektur etwas mehr, statt 91,6 fand 
ich z. B. 90,8, statt 107,3 bloß 102,6. Man müßte also, um 
bei solchen Mengen noch genaue Werte zu bekommen, durch 
Versuche eine Korrektionstabelle zusammenstellen. Dies lohnt 
jedoch nicht der Mühe, da man nach einigen Bestimmungen 
schon aus dem Aussehen des mit Magnesiamischung erhaltenen 
Niederschlages den Phosphatgehalt ungefähr schätzen kann. 
Bei Harn von normalem Phosphatgehalt ist auch dies nicht 
nötig, da 20 ccm eines solchen etwa 3 bis 5 cg P,O, enthalten, 
also zur Bestimmung gut geeignete Mengen. Von verdünnterem 
Harn nimmt man also entsprechend mehr, von konzentrierterem 
weniger. Sollte die gewünschte Menge P,O, nur in einem un- 
bequem großen Volum Harn enthalten sein, so nimmt man am 
besten ein kleineres und setzt die erforderliche Menge einer 
Phosphatlösung von bekanntem Gehalt zu. Eine rasche Be- 
stimmung des Phosphatgehaltes reiner Na,HPO,-Lösungen findet 
sich auf S. 51. 

2. Ob es unbedingt nötig ist, dem Harne und der Wasch- 
flüssigkeit Carbonat zuzusetzen, ist mir aus den Versuchen nicht 
ganz klar geworden. Diese Vorschrift gründet sich nämlich 
auf folgende Versuche, die mit reinen Lösungen von Na,HPO, 
angestellt worden sind: 


48 P. v. Liebermann: 


20 com einer Lösung (C), die laut Gewichtsanalyse 40,0 mg 
P,O, enthielten, wurden nach der oben beschriebenen Methode 
analysiert, jedoch ohne Carbonatzusatz. Neun Parallelbestim- 
mungen ergaben folgende Werte: 


39,3 39,5 
39,4 39,5 
39,4 39,5 
39,4 39,6 
39,4 


Es wurden nun der Lösung vor dem Fällen mit Magnesia- 
mischung 2 ocm (NH,),CO,-Lösung zugesetzt. Der Wasch- 
flüssigkeit wurde kein Carbonat zugefügt. Es ergab sich der 
Wert: 

39,8 

Die Bestimmung wurde zweimal wiederholt, es wurde aber 
such die Waschflüssigkeit mit Carbonat versehen. So erhielt 
ich den genauen Wert 

40,0(0) 
40,0(0) 

20 com einer andern Lösung (A) enthielten 43,5 mg PO, 
(gravimetrisch bestimmt). Die Silbermethode ergab ohne jeden 
Carbonatzusatz ebenfalls 43,5. Zu dieser Bestimmung wurde 
eine andere Magnesiamischung verwendet als zu den Analysen 
der Lösung C, sowie auch anderes Ammoniak. Diese Reagenzien 
dürften also Carbonat enthalten haben. | 

Um diese Annahme zu prüfen, leitete ich in frisch bereitete 
Mg-Mischung reichlich CO, ein und analysierte 20ccm der Lösung C 
mit diesem Reagens. 

Es ergaben sich 

39,9(5) mg 
(Der Waschflüssigkeit war kein Carbonat zugesetzt worden.) 

Es schien also, daß es am einfachsten wäre, statt des 
Carbonatzusatzes CO, in die Magnesiamischung einzuleiten. Dies 
geht aber doch nicht gut an, denn diese Mischung, die beim 
Einleiten des Gases ganz klar geblieben war, zeigte nach einigen 
Stunden eine starke Fällung. 

Mit Harn habe ich keine besondern Versuche über den 
Einfluß des Carbonatse gemacht. Die unter den Beleganalysen mit- 
geteilten Bestimmungen mit Harn A (S. 53) und B (S. 55) wurden 


Meth, z. quant. Best. d, Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 49 


ohne, die übrigen mit Carbonatzusatz ausgeführt, da ich bei den 
ersteren von einem Einfluß des Carbonatgehaltes noch nichts 
wußte. Ich kann also nichts Bestimmtes hierüber aussagen; 
sicherer scheint es, stets Ammoniumcarbonat zuzusetzen. 


3. Für die gewichtsanalytische Bestimmung der Phosphor- 
säure als Magnesiumpyrophosphat lautet die Vorschrift dahin, 
daß der mit Mg-Mischung erhaltene Niederschlag 4 Stunden 
absitzen soll (vgl. z. B. Treadwells Lehrbuch, 2. Aufl., S. 299); 
in Lehrbüchern der Harnanalyse findet man 12 Stunden vor- 
geschrieben. Ich habe mich also an die letztere Vorschrift ge- 
halten, doch schien mir das Stehenlassen keinen großen Ein- 
fluß zu haben, wenigstens bei nicht zu verdünntem Harne. Ich 
erhielt z. B. folgende Werte: 


20 com Harn ergaben: 
nach 15 Minuten langem Absitzenlassen: 35,8 mg P,O, 


` 36,0] Parallel- 
nach über 12 Std. nm d el bestimmungen 


Das lange Stehen ergab also bloß 0,7°/, des Wertes mehr, 
was für rasche Bestimmungen, wo es nicht auf den höchsten 
Grad von Genauigkeit ankommt, jedenfalls zu beachten ist. 


4. Die in der Vorschrift angegebene Menge und Kon- 
zentration der Salpetersäure muß genau eingehalten werden, 
Das beim Neutralisieren entstehende Ammonnitrat hält nämlich 
einen Teil des Silberphosphates in Lösung. Es scheint also, 
als ob in Gegenwart von NH,NO, die Werte zu klein ausfallen 
müßten. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr werden die 
Werte erst dann zu klein, wenn mehr NH,NO, zugegen ist, 
als sich aus der vorgeschriebenen Menge HNO, bildet, während 
sie bei zu wenig NH,NO, zu groß ausfallen. Offenbar adsorbiert 
das Silberphosphat etwas Silbernitrat, und dieser Fehler wird durch 
die lösende Wirkung des Ammoniumnitrats kompensiert.!) 

5. Man verwende stets den angegebenen Überschuß von 
Silbernitrat, und zwar in Form der Normallösung. Für eine 
richtige Fällung scheint es nämlich auf die Massenwirkung des 
Silbers anzukommen. Hierfür spricht, daß bei großen Phosphat- 


1) Daß beim Fällen von Ag,PO, aus Natriumphosphatlösungen etwas 
AgNO, mitgerissen wird, hat Graham nachgewiesen (S. Dammers 
Handb. der anorg. Chem. 1894, II. Band, 2. Teil, S. 813). 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 4 


50 P. v. Liebermann: 


mengen die Werte zu klein werden (siehe Bemerkung 1); ferner 
auch der folgende Versuch: 

20 com eines Harnes ergaben bei vorschriftsmäßig ausge- 
führter Analyse (5 com al, AgNO,) 

42,9 mg P,O,. 
Dieselbe Harnmenge bei Verwendung von 10 ccm Silber- 
lösung 
43,9 mg (2/,°/, zu viel), 
50 ccm Harn, 5 com Silberlösung, P,O, auf 20 com umgerechnet: 
41,0 mg (5°/, zu wenig), 
50 ccm Harn, 10 com Silberlösung 
43,0 mg (richtig). 

Stets den großen Überschuß von Silber anzuwenden, geht 
also darum nicht an, weil dann anscheinend die Werte für 
kleinere Phosphatmengen zu groß werden. Es muß also die 
in Bemerkung 1 angegebene obere Grenze des P,O,-Gehaltes 
festgesetzt werden. 

6. In Punkt 5 der Vorschrift für die Ausführung der Ana- 
lyse ist bemerkt worden, daß beim Neutralisieren der salpeter- 
sauren Lösung des MgNH,PO, erst dann mit der Kontrolle 
der Reaktion begonnen werden muß, wenn schon etwas 
vom gelben Niederschlag bestehen bleibt. Bei sehr kleinem 
Phosphatgehalt der Lösung (unter 3cg P,O,) trifft dies nicht 
mehr zu. War also mit Magnesiamischung nur wenig Nieder- 
schlag erhalten worden und bilden sich nun beim Neutralisieren 
keine deutlichen Wolken von gelbem Niederschlag, so ist Vor- 
sicht geboten. Man muß dann mit der Kontrolle der Reaktion 
beginnen, bevor noch irgend etwas vom Niederschlag zu sehen 
ist. Hat man den amphoteren Punkt schon fast erreicht, so 
scheidet sich langsam (nicht momentan, wie bei größeren 
Mengen) etwas Niederschlag aus. Man prüft nun wieder mit 
Lackmus und setzt, wenn nötig, tropfenweise weiter Ammoniak 
zu, bis die gewünschte Reaktion erreicht ist. Der gleichmäßig 
amphotere Punkt soll stets durch ein Fortschreiten von sauer 
zu alkalisch erreicht werden, und zwar schließlich durch einen 
kleinen Zusatz von Ammoniak. Sollte man durch plötzlichen 
Zusatz einer größeren Menge von NH,OH einen amphoteren 
Punkt erreicht haben, wo die saure Reaktion nicht deutlich 
überwiegt, so setze man so viel HNO, zu, daß die Flüssigkeit 





-—— mn — 
— — — — 


Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 51 


etwas stärker sauer als alkalisch erscheine, und fahre nun tropfen- 
weise mit Ammoniak fort, bis die beiden Reaktionen gleich 
scheinen. 

Bei genauem Arbeiten braucht der Fehler auch bei eo 
kleinen Mengen 0,2 mg nicht zu überschreiten (siehe Beleg- 
analysen), doch verlieren die Bestimmungen an Sicherheit. 


Abgekürzte Methode zur Bestimmung der Phosphorsäure in 
reinen Alkaliphosphat-Lösungen. 


Hier kann die Fällung mit Magnesiamischung wegbleiben, 
man kommt daher viel rascher zum Ziele, indem man die ab- 
gemessene Menge der Phosphatlösung mit 12?/, ccm einer chlorid- 
freien Salpetersäure vom spez. Gew. 1,310 (zehnfach normal) 
versetzt und mit destilliertem Wasser auf ca. 50 com verdünnt. 
Nun fügt man die Silberlösung zu, wie in Punkt 4 der Vor- 
schrift für Harn angegeben und verfährt auch weiter genau auf 
dieselbe Art. 

Über die Phosphorsäuremenge, die zur Bestimmung zu 
wählen ist, gilt das in Bemerkung 1 gesagte. Die angegebene 
Menge und Konzentration der Salpetersäure ist genau einzu- 
halten, was oben in Bemerkung 4 schon begründet wurde. 

Die Resultate fallen ebenso genau aus wie nach voraus- 
gegangener Fällung mit Mg-Mischung.!) Sämtliche Versuche 
habe ich mit Lösungen umkrystallisierter Krystalle von Na,HPO, 
ausgeführt; sie enthielten weder K noch Cl oder SO,. 


Analytische Belege. 


Zunächst sollen die mit reinen Lösungen ausgeführten 
Analysen mitgeteilt werden, und zwar zuerst die nach der eben 
beschriebenen abgekürzten Methode. 

Zur Kontrolle der Ergebnisse mit reinen Lösungen von 
Na,HPO, standen mir besonders zwei ganz zuverlässige gewichts- 
analytische Methoden zur Verfügung. Die eine bestand darin, 
daß ich einige Kubikzentimeter Lösung zur Trockne eindampfte, 
ausglühte und das Natriumpyrophosphat wog. Die andere war 
die übliche Bestimmung als Magnesiumpyrophosphat. 


1) Für hohe Werte sind die in Bemerkung 1 erwähnten Korrekturen 


anzubringen. 
4* 


52 P, v. Liebermann: 


Lösung A. 


10 ccm Lösung gaben 0,0816 g Na,P,O,, entsprechend 
43,5 mg P,O,. Die Bestimmung als Mg PO. ergab 43,4. Die 
Silbermethode gab für 10ccm 43,5, für 15 ccm 65,2, also stets 
100,0°/, des gravimetrischen Wertes. 


Lösung B. 

Beem Lösung gaben 0,0580 g Na,P,O,, entsprechend 61,9 mg 
P,O, in 10 cem Lösung. 10ccm gaben nach der Ag-Methode 
61,7 oder 99,7°/, des gravimetrischen Wertes. (Die Gewichts- 
analyse wurde einen Monat später als die volumetrische aus- 
geführt, die Lösung konnte sich also etwas konzentriert haben.) 


Lösung C. 

20 com lieferten 0,0627 g Mg,P,O,, entsprechend 40,0 mg 
2.0. 

Von dieser Lösung wurden nun verschiedene Mengen mit 
der Ag-Methode analysiert, um die obere und untere Grenze 
der richtig bestimmbaren Phosphorsäuremenge zu finden und 
sich zu überzeugen, daß sich alle zwischenliegenden Werte 
richtig ergeben. 


Tabelle I. 

Unter- Se 
suchtes Gefunden nach meiner Prozente des gravimetrischen 
Volum Methode mg PO, Wertes 

ccm 

5 99,0 

10 101,0 

15 100,0 

20 100,0 

20 100,0 

25 100,2 

30 99,7 

40 100,0 

45 89,5 99,41) 

50 98,3 98,3 





1) Die in Bemerkung 1 besprochenen Korrekturen für hohe Werte 
sind hier nicht ausgeführt. 





Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös, 53 


Sieht man von den Analysen mit 5, 10, 45 und 50 ccm 
ab, über die das in Bemerkung 1. 8. 47 gesagte gilt, so er- 
geben sich als größter absoluter Fehler 0,2 mg, als größter re- 
lativer 0,3°/,. 

Es folgen die Analysen derselben Lösungen, die mit der 
Ag-Methode nach vorheriger Fällung als MgNH,PO, aus- 
geführt wurden. 

10 com der Lösung A ergaben 43,5 mg P,O,. 

20 ocm der Lösung C ergaben in zwei vollkommen überein- 
stimmenden Parallelbestimmungen 40,0 mg. Als Beispiel für 
die Genauigkeit, mit der die Bürette abzulesen und die Rech- 
nung anszuführen ist: Verbrauchte com KSCN = 15,83. Titer- 
stellung: 20 com einer ?/ „-AgNO,-Lösung, von der 10 com 0,1434 g 
AgCI liefern, verbrauchen 19,13 com KSCN. | 


Bestimmungen im Harn. 


Harn A. Normaler Menschenharn. Versuch 1. 10 com 
Harn wurden mit Mg-Mischung gefällt, das Filtrat mit weiterer 
Mg-Mischung versetzt, wobei keine Trübung entstand. Das so 
behandelte, also phosphatfreie Filtrat wurde nun zu 10 com der 
Lösung A gegossen und der Phosphorsäuregehalt der Mischung 
nach der Silbermethode, wie sie eingangs für Harn beschrieben 
worden ist, bestimmt. Dieser Versuch mußte also zeigen, ob 
die Harnbestandteile bei der Bestimmung eine Störung machen. 
Ich erhielt P,O, in mg: 

43,6 (43,58). 

Lösung A enthielt (S. 52): 

43,5 (43,52). 

Es wurden also 100,1°/, des theoretischen Wertes gefunden. 

Versuch 2. Gegen den Versuch 1 läßt sich einwenden, 
daß etwaige störende Harnbestandteile bei der Entfernung der 
Phosphorsäure mit Mg-Mischung mit entfernt werden konnten; 
daß das Filtrat keine solchen mehr enthielt, würde also nichts 
beweisen. Ich bestimmte also den Phosphorsäuregehalt des 
Harnes nach der Ag-Methode und setzte nun einer genau ab- 
gemessenen Harnmenge die Phosphatlösung zu und bestimmte 
den Gehalt der Mischung, um zu sehen, ob die Methode das 
Plus richtig ergibt. 


54 P. v, Liebermann: 


2% cem Harn ergaben 42,9 mg P,O,. 10ccm wurden mit 
Beem der Lösung A vermischt. Die Silbermethode ergab im 
Gemisch 48,2, also 100,0°/, des theoretischen Wertes. 

Versuch 3. Der vorstehende Versuch beweist, daß die 
Harnbestandteile keine störende Wirkung hatten, doch läßt er 
die Möglichkeit offen, daß dem für Harn gefundenen Wert (42,9) 
ein konstanter Fehler anhafte, der also für 10 ccm halb so 
groß wäre als für 20. 

Zur Entscheidung dieser Frage mußte der Wert, den die 
Ag-Methode ergeben hatte, mit einer andern, zuverlässigen 
Methode kontrolliert werden. Es ist klar, daß nur Methoden 
ohne Veraschung in Betracht kommen konnten. Es wurde die 
Molybdat-Magnesis-Methode von W oy gewählt (TreadwellsLehr- 
buch, 2. Aufl., 8.300), die im wesentlichen bekanntlich in einer dop- 
pelten Fällung mit Ammoniummolybdat und darauf folgender 
doppelter Fällung mit Magnesiamischung besteht; nach der 
vierten Fällung folgt Trocknen, Glühen und Wägen des 
Me BO, Da jedoch bei der Fällung mit Molybdat keine 
organischen Substanzen und nur wenig Chloride zugegen sein 
dürfen, so fällte ich aus dem Harne mit Mg-Mischung, wusch 
chloridfrei, löste auf dem Filter in Salpetersäure und nahm in 
der Lösung die erste Fällung mit Molybdat vor. Die Analysen 
zeigten, daß die Spuren organischer Substanz, die in der sal- 
petersauren Lösung des MgNH,PO, jedenfalls noch enthalten 
waren, keine störende Wirkung hatten. (Bei eiweißhaltigem 
Harne waren solche Störungen zu bemerken.) — Die zur 
Kontrolle dienende gewichtsanalytische Methode bestand somit 
der Hauptsache nach aus fünf Fällungen und soll im folgenden 
der Kürze halber als Mo-Methode bezeichnet werden. 

Wie schon erwähnt, ergab die Silbermethode für 20cm? 
des Harnes A 42,9 mg P,O, (zwei vollkommen übereinstimmende 
Pararallelbestimmungen). Zwei Parallelbestimmungen mit der 
Mo-Methode, ebenfalls mit je 20 com Harn ausgeführt, gaben 

42,2 
42,3, 
also um 0,6 bis 0,7 mg weniger. 

Es fragte sich nun, ob die Ag-Methode zu viel oder die 
Gewichtsanalyse zu wenig ergeben hatte. Um dies zu ent- 
scheiden, analysierte ich 10 eem der Lösung A, enthaltend fast 


Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u, in Alkaliphosphatlös. 55 


dieselbe Phosphorsäuremenge wie 20 ccm des Harnes A, mit der 
Mo-Methode. Es wurden gewogen 0,0671g Mg,P,0, ent- 
sprechend 42,8 mg P,O,. Da die ganz sicheren gewichts- 
analytischen Methoden (S. 52) 43,4 resp. 48,5 ergeben hatten, 
so bekam ich offenbar bei diesem Phosphatgehalte mit der Mo- 
Methode stets um 0,6 bis 0,7 mg zu wenig.*) Die im Harn mit 
dieser Methode erhaltenen Werte sind also um diese Größe zu 
korrigieren und stimmen dann vollkommen mit dem Silber- 
werte überein. 
Harn B (normaler Menschenharn). Zwei Parallelbestim- 
mungen nach der Ag-Methode mit je 10 cm? ergaben 
43,0 
43,1 


Zwei Parallelbestimmungen nach der Mo-Methode mit 10 
und 20 cm? ergaben 


mg P,O,. 


42,8 
84,6 

Der Wert 42,3 ist, wie oben ausgeführt, um -+ 0,6 oder 
-+0,7 mg zu korrigieren, was eine genaue Übereinstimmung mit 
dem Silberwerte ergibt. 

Harn C (normaler Menschenharn). 20 ccm gaben nach 
der Ag-Methode 30,5 (4). Auf 25ccm umgerechnet gibt dies 
88,2. 25 ccm gaben nach der Mo-Methode 37,7. Nun wurde 
die Lösung O zur Kontrolle herangezogen, enthaltend in 20 ccm 
fast dieselbe Menge P,O,, wie der Ham C in 25 eem, 20 ccm 
dieser Lösung ergaben nach der Mo-Methode 0,0619 g Mg,P,0,, 
entsprechend 89,5 mg P,O, Da der richtige Wert 40,0 be- 
trägt (S. 52), so ist der für Harn gefundene um 0,5 mg zu 
korrigieren und stimmt dann vollkommen mit dem Silberwerte. 

Harn D (nephritischer Menschenharn, Eiweißgehalt nach 
Esbach 11!/,°/,0). 20 cem gaben nach der Ag-Methode 40,0 mg 
P,O,. Die Mo-Methode hätte somit 39,5 geben müssen; anstatt 
dessen erhielt ich 40,4. Die Fällungen waren jedoch augen- 


mg. 


1) Für Nachprüfungen dieser Ergebnisse sei bemerkt, daß ich bei 
der ersten Fällung mit Molybdat 15 ccm der vorgeschriebenen 25°/,igen 
Salpetersäure verwendet habe, d. h. ich löste den ausgewaschenen Nieder- 
schlag von MgNH,PO, in dieser Menge; ferner nahm ich 25 com der 
NH,NO,-Lösung und 60 ccm des Molybdates. 


56 P. v. Liebermann: 


scheinlich gestört durch die Gegenwart des Eiweißes, das durch 
die erste Fällung mit Mg nicht vollkommen entfernt werden 
konnte (die salpetersaure Lösung des Niederschlages opalescierte 
stark). Die bei der vierten und bei der letzten Fällung erhaltenen 
Niederschläge von MgNH,PO, waren stark gelblich gefärbt, 
also verunreinigt, was die gefundene Abweichung von 0,9 mg 
genügend erklärt. Um aber sicherer zu gehen, löste ich den ge- 
glühten Niederschlag durch mehrstündiges Erwärmen mit Salz- 
säure als Orthophosphat auf und fällte nochmals durch Zusatz 
von einem Tropfen Mg-Mischung und viel Ammoniak. Der 
wie üblich weiter behandelte Niederschlag lieferte 0,0613 g 
Mg,P,0,, entsprechend 89,1 mg P,O,, also um 0,4 mg zu wenig. 
Da aber die Fällungen bei der störenden Wirkung des Eiweißes 
leicht mangelhaft sein konnten, so kann auch diese Bestim- 
mung als Beweis für die Richtigkeit der Silberwerte gelten. 
Es scheint also wahrscheinlich, daß die Ag-Methode auch bei 
Gegenwart von Eiweiß riohtige Werte gibt (vgl. die mit ver- 
schiedenen Mengen des Harnes C ausgeführten Analysen, Tab. 1I, 
S. 57.) 


Ermittelung der Grenzen der richtig bestimmbaren 
P,O,-Mengen im Harn. 


Es war zu erwarten, daß sich hier dieselben Werte ergeben 
werden, die für die abgekürzte Methode aus der Tabelle I 
hervorgehen, doch mußte dies durch Versuche nachgewiesen 
werden. Die diesbezüglichen Analysen mit sehr großen und 
sehr kleinen Mengen sind in der Tabelle II angeführt, wobei 
auch die für die zwischenliegenden Werte gefundenen, bereits 
mitgeteilten Zahlen zusammengestellt worden sind. Kolonne 3 
enthält die Werte in Prozenten der korrigierten gravimetrischen 
Werte. 
Für die Analysen des Eiweißharnes D sind diese Prozente 
nicht angegeben, da sich hier die gravimetrischen Werte nicht 
so genau bestimmen ließen. Diese letzteren Zahlen sind also 
untereinander zu vergleichen; sie sind richtige Multipla 
voneinander. 


— 


—— —— me O — — — gg 


Meth. z. quant. Best. d. Phosphorsäure im Harne u. in Alkaliphosphatlös. 57 







Tabelle II. 
mann der 
g orrigierten 
Untersuchtes Material Methode mg PO, gravimetrischen 
erte 


Boom Harn D ; .„ . 9,8 — 
5 com Han A . 4 . = Mittel: 10,6(5) 99,5 
20 eem Ham C. . z: : 30,5(4) 100,0 
20 com Harn D e e è? å 40,0 — 
20 ccm Ham A. .. e 42,9 100,0 
20 oom Ham A. . .; 42,9 100,0 
10 eem HamB. : .. = Mittel: 43,0(8) 99,8 
8 
10ccm Harn A - 5 com 
Lösung A : : : : 43,2 100,0 
Ca. 10 com phosphatfreies 
Filtrat von Harn A 100,1 
410 oom Lösung A . 43,6 (43,58) 
30 com Ham D . . . 60,2 — 
55 eem HamC. : : . 83,8 99,9 
60 com Ham C. .: . 90,8 99,1 
60 com Harn C :; : s E 90,8 99,1 
50 eem Ham A ; .. 102,6 95,6 


Es ergeben sioh somit die in Bemerkung 1, S. 47, be- 
sprochenen Verhältnisse. Die dort angegebenen Korrekturen 
sind, um das dort gesagte zu illustrieren, in der Tabelle nicht 
ausgeführt worden; daher die mangelhafte Genauigkeit der 
höhern Werte. 


Über das Ausfrieren von Gelen. 
Von 
H. W. Fischer und O. Bobertag. 
(Eingegangen am 30. März 1909.) 
Mit 9 Figuren im Text. 


Vor kurzem!) haben wir gemeinsam mit K. Feist einige 
Versuche beschrieben, die die Wirkung von Abkühlung ver- 
schiedenen Betrages unter den Gefrierpunkt des Lösungsmittels 
auf Sole zum Gegenstand hatten. Von jeder theoretischen 
Erklärung der beobachteten Erscheinungen haben wir uns 
damals fern gehalten, dagegen hat Lottermoser?) sie in An- 
lehnung an die jedem Kolloidforscher bekannten Vorstellungen 
der Capillaritätstheorie der Gele zu geben versucht. Man be- 
trachtet dabei das Gel als einen mikroskopischen oder ultra- 
mikroskopischen Schaum, etwa dem Seifenschaum vergleichbar, 
wobei die Luft die adsorbierte Flüssigkeit repräsentiert. Lotter- 
mosers Erklärung ist nun die, daß beim Gefrieren die feinsten 
Hohlräume auseinander gesprengt werden durch die beim Fest- 
werden eintretende Volumenvergrößerung. Auch wir sind ur- 
sprünglich von sehr ähnlichen Vorstellungen ausgegangen, nur 
in einem Punkte unterschied sich unsere Ansicht von der des 
ausgezeichneten Forschers, nämlich Lottermoser betont aus- 
drücklich, „daß die Größe der Temperaturerniedrigung nicht 
von ausschlaggebender Bedeutung ist für das Ausfallen der 
Kolloide aus ihren Hydrosolen“. Aber aus seiner Prämisse 
folgt eigentlich das Gegenteil: Bekanntlich wird nämlich der 
Gefrierpunkt von Wasser nicht unerheblich durch Druck er- 


1) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 41, 3675, 1908. 
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 14, 3976, 1908. 


H. W. Fischer u. B. Bobertag: Über das Ausfrieren von Gelen. 59 


niedrigt (0,007° pro Atmosphäre, wobei zugleich die Schmelz- 
wärme um 0,5 Calorien pro Grad abnimmt). Der ungeheure 
Druck, der beim Zersprengen dieser kleinsten Bläschen auftreten 
müßte, würde also den Gefrierpunkt des darin enthaltenen 
Wassers um viele Grade herabsetzen müssen. Dieser Druck 
müßte freilich nach der Capillaritätstheorie nicht erst beim 
Gefrieren eintreten, sondern von vornherein vorhanden sein — 
der Gasdruck im Innern einer Seifenblase ist um so größer, je 
kleiner ihr Radius ist — (siehe Höber, Physikalische Chemie 
der Zelle und der Gewebe, S. 60), so daß sich für Kolloid- 
partikelchen, die an der Grenze des Auflösungsvermögens der 
Ultramikroskope stehen, immerhin recht erhebliche Erniedrigungen 
des Gefrierpunktes ergeben müssen. Eine genauere Berechnung 
ist undurchführbar, weil die Oberflächenspannung des Kolloids 
gegen die Lösung unbekannt ist. Wir können also annehmen, 
daß von dem Kolloid eine Kraft auf die Flüssigkeit ausgeht, 
durch die diese unter starken Druck gesetzt und komprimiert wird. 
Daß solche komprimierenden Attraktionskräfte an Trennungs- 
flächen zweier Medien auftreten, ist eine Annahme, die gern zur 
Erklärung von anormalen Erscheinungen herangezogen wird 
und für die auch ganz zweifellos manches spricht. Auch die 
Adsorptionsgleichung kann man auf eine solche Attraktionskraft 
deuten, die mit wachsender Entfernung von der Oberfläche 
schnell geringer wird. Dann müßten die vom Kolloide ent- 
fernten, also unter geringem Drucke stehenden Mengen Wassers 
bei einer nur wenig von dem Schmelzpunkte des reinen Wassers 
entfernten Temperatur gefrieren. In Lottermosers Bild würde 
sich der Inhalt relativ großer Blasen genau so verhalten. Da- 
gegen würden die Schichten der höchsten Kompression — der 
Inhalt allerkleinster Bläschen — erst bei sehr viel niedrigeren 
Temperaturen erstarren. Das Wasser würde also bei stetig 
fallender Temperatur gefrieren, nicht scharf bei 0°. Ebenso 
würde sich natürlich auch die Schmelzwärme über das ganze 
Temperaturintervall, in dem das Gefrieren geschieht, verteilen. 
Aus der bei einer bestimmten Temperatur noch fehlenden 
Schmelzwärme müßte man also die Menge des noch nicht ge- 
frorenen Wassers und aus der Temperatur den Druck, unter 
dem dieses mindestens steht, berechnen können. Da nun aber 
der Druck nichts weiter ist, wie das Maß der Kraft, so müßte 


60 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


sich daraus und aus dem bekannten Volumen des Wassers das 
Dimensionsgesetz der Attraktionskraft ermitteln lassen. 

Wie wir aber im folgenden sehen werden, hat sich diese 
Anschauung leider ganz und gar nicht bestätigt. Die Ergeb- 
nisse einiger Versuche in dieser Richtung waren uns zur Zeit 
unserer vorigen Veröffentlichung bereits bekannt, und so erklärt 
sich wohl unser Schweigen über unseren leitenden theoretischen 
Gesichtspunkt. Jetzt, wo wir die Methode ausgearbeitet und 
eine große Zahl von Versuchen mit ihr durchgeführt haben, 
wollen wir ihre Ergebnisse veröffentlichen. 

Die Anordnung des Versuches ergibt sich aus einer ein- 
fachen Überlegung: 

Wie wir vorhin angegeben haben, wollen wir die Verteilung 
der Schmelzwärme über ein Temperaturintervall messend ver- 
folgen. Bezeichne ich nun mit dq eine aus unserer Substanz 
herausströmende Wärmemenge, mit dé die durch diesen Verlust 
hervorgebrachte Temperaturänderung, so ist ersichtlich 4 die 
gesuchte Größə. Im allgemeinen ist, wie bekannt, dieser Aus- 
druck konstant gleich s, der spezifischen Wärme, doch kann in 
unserm Falle s seinen Wert auch stetig oder unstetig ändern, 
und gerade solche stetige oder unstetige Änderungen wollen 
wir ja aufsuchen. Wir wollen also unter s im folgenden nur 


dq 


den numerischen Wert verstehen, den 15 in dem gerade be- 


trachteten Intervalle von 9 bis dä L dé eben gerade hat. Dazu 
können wir zwei Wege gehen. 

Erstens könnte man s direkt durch Ausführung einer sehr 
großen Anzahl von spezifischen Wärmebestimmungen bei ver- 
schiedensten Endtemperaturen bestimmen, was aber wegen der 
Schwierigkeit, das Calorimeter auf viele, wenig voneinander ver- 
schiedene Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes zu bringen, 
kaum ausführbar sein dürfte. 


Zweitens könnte man auch die Abkühlungszeit (2) messen 


und t als Maß für q verwenden. Nämlich, denken wir uns 
einen an allen in seinem Innern gelegenen Punkten auf gleicher 
Temperatur befindlichen Körper in ein Bad von konstanter 
Temperatur gebracht, z. B. einen Draht, so ist die durch die 


Über das Ausfrieren von Gelen. 61 


Flächeneinheit der Oberfläche in der Zeit di hindurchgehende 
Wärmemenge dq bekanntlich unabhängig von s und nur ab- 
hängig von dem Temperaturgefälle 9 — d, worin d die Tem- 
peratur des Körpers und d, die des Bades bedeuten soll und 
außerdem noch von der Wärmeleitfähigkeit L 


A —-1.0— 9) 
oder da 

dq=s-d) 

dd (9-8. 

d e ` 


Da nun die Temperatur nie tiefer fallen, resp. nie höher 
steigen kann wie die Temperatur des Bades, so kann ich 9, 
als 0-Punkt der Temperatur auffassen, mit 9 den Temperatur- 
unterschied bezeichnen, so daß meine Formel übergeht in 


d(Ind) L 
En 

Da wir, wie wir oben gesehen haben, den Unterschied 
zwischen einer Kolloidlösung und Wasser finden wollen, so folgt, 
daß wir eine Differentialmethode verwenden, d. h. mit einem 
Gefäße voll Wasser und einem voll Kolloidlösung arbeiten 
müssen. Da ich aber den Unterschied in s zwischen den beiden 
Flüssigkeiten bestimmen will, so müssen alle anderen Ver- 
schiedenheiten zwischen den Gefäßen beseitigt werden. Ihre 

Oberfläche und ihr Inhalt müssen gleich sein. 
Wir verwendeten etwa 16 cm lange Reagensgläser von zirka 
l cm Durchmesser aus dünnem Glase und stellten diese fol- 
gendermaßen her: Das Rohr wurde in der Mitte auseinander- 
gezogen, aus jeder der Ausziehstellen der Boden eines Reagens- 
glases geformt, die Rohre dann möglichst gleich lang abge- 
schnitten und der Rand umgelegt. So wird eine Gleichheit 
des Radius in den für die Füllung in Betracht kommenden 
Teilen gesichert und übrigens die Masse der Gläser bis auf 
einige Prozente gleichgemacht. Auf die Gleichmachung der 
Massen des Inhaltes kommen wir später zu sprechen. Nun 
müßten aber auch noch die Wärmeleitfähigkeiten für das Wasser 
und das Kolloid gleich sein. Das sind sie aber wohl zweifellos 
nicht. Denn wenn auch der Teil des Wärmetransportes, der 
durch die Bewegung der Moleküle besorgt wird, für beide 


62 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


ziemlich gleich sein mag — verlaufen doch ähnliche molekulare 
Vorgänge, die Diffusion und die Ionenwanderung, in beiden 
Medien etwa gleich schnell — können doch in einer Gallerte 
die Konvektionsströme nicht auftreten, die, wie bekannt, die 
Hauptmenge der Wärme transportieren. Die Wärmeleitfähigkeit 
der Gallerte wird also kleiner sein wie die des Wassers. Diese 
Schwierigkeit läßt sich aber dadurch umgehen, daß man die 
Wärmeleitfähigkeit des Systems überhaupt sehr klein macht, 
d. h. vor jede der Lösungen sozusagen einen so großen Wärme- 
widerstand einschaltet, daß die tatsächlich vorhandenen geringen 
Unterschiede dagegen vernachlässigt werden können. Dieser 
Widerstand ist natürlich wieder für beide Gefäße gleich. Wir 
haben ihn so realisiert, daß wir die beiden Gläser in ein dem 
Dewarschen ganz ähnliches, aber nicht ausgepumptes Gefäß 
durch Anschleifen von Flächen oben am Rande und unten am 
Boden stramm einpaßten. 

Wie wir gleich sehen werden, wird durch diese Anordnung 
noch ein weiterer Vorteil erreicht. Es sind jetzt, wenn die 
Reagensgläser auf verschiedener Temperatur sind, drei Tem- 
peraturgefälle vorhanden: 1. vom wärmeren, 2. vom kälteren 
Gefäße durch den großen Widerstand nach außen, 3. vom 
wärmeren nach dem kälteren Gefäße. Wenn wir uns später 
darauf beziehen, werden wir dieses immer als das „dritte Tem- 
peraturgefälle‘‘ bezeichnen. Dieses wird also versuchen, den 
Temperaturunterschied zwischen den beiden Gefäßen auszu- 
gleichen. Es wirkt dahin, daß sich kleine zufällige Ver- 
schiedenheiten weniger geltend machen und kleine Störungen 
sich ausgleichen können. 

Dieses unser Verfahren haben wir zuerst auf Gelatine 
angewandt, weil sie das einzige mir bekannte Kolloid ist, bei 
dem sich die letzte der experimentellen Bedingungen, die Gleich- 
heit der abkühlenden Massen befriedigend verwirklichen läßt. 
Bekanntlich quillt ein Blättchen Gelatine in kaltem Wasser 
nur ziemlich langsam auf. Schiebt man also ein Röllchen 
Gelatine in das Reagensglas und pipettiert die nötige Menge 
Wasser erst unmittelbar vor dem Einsenken in das Kältebad 
hinzu, so kann man annehmen, daß sich die Gelatine nicht 
erheblich verändert haben wird. Das andere Rohr enthält 
genau dieselbe Menge, aber durch Erhitzen gelöster Gelatine 





Über das Ausfrieren von Gelen. 63 


und Wasser, und wird vor dem Einsenken sorgfältig auf die 
Temperatur des anderen Röhrchens gebracht. 

Um die Massengleichheit nicht zu gefährden, muß man die 
Temperatur mit Thermoelementen messen, deren Masse ja leicht 
ziemlich gleich und vor allem klein gehalten werden kann. Sie 
werden durch einen in der halben Höhe im Innern des Glas- 
rohres befindlichen Korkstopfen zentriert. 

Als thermoelektrisches Paar benutzten wir Eisen-Konstanten, 
als Meßinstrument ein Millivoltmeter von Kaiser und Schmidt. 
Der Ausschlag pro Grad betrug etwa 0,05 Millivolt, so daß noch 
halbe Grade mit einiger Sicherheit geschätzt werden konnten. 
Die Fehler der Temperaturablesung sind so beträchtlich, dürften 
aber immer noch kleiner sein als die durch die Fehler der 
Methode selbst bedingte Unsicherheit. Die rasche Folge der 
Messungen bedingt, daß die Uhr von einem, das Millivoltmeter 
von dem anderen Beobachter abgelesen wird. 2) 

Die Ergebnisse bei 4,1 g Wasser und etwa 0,4 g Gelatine 
zeigen die Kurven 1. (Kühlung durch Alkohol und Kohlensäure). 
Ich will im folgenden die durch Erhitzen gelöste und dann 
wieder gelatinierte Flüssigkeit als die Gallerte, das Wasser 
-+ Gelatineblatt als Wasser bezeichnen. 


Tabelle I. 
I u 
i/o Millivolt t  1/,, Millivolt t Bemerkungen 
+4,8 0 +4,3 0,5 Nr. II enthält die Gelatine- 
— l1 +2,3 1,5 lösung. 
41,7 2 Los 2,5 
+0,7 3 —02 3,6 
— 0,1 4 — 0,7 4,5 Unterkühlung. 
0,0 5 0,0 6,5 
0,0 6 0,0 6,5 
0,0 7 0,0 7,5 
0,0 8 0,0 8,5 
0,0 9 0,0 9,5 
0,0 10 0,0 10,5 
0,0 11 0,0 11,5 
0,0 12 0,0 12,5 
— 0,1 13 0,0 13,5 


1) Den größten Teil der folgenden Messungen habe ich mit dem 
Mechaniker F. Schwarzbach zusammen ausgeführt. H. W. Fisoher. 


64 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


I II 
1/,o Millivolt t 1/Millivolt t Bemerkungen 
— 0,3 14 0,0 14,5 Bei den folgenden Zahlen 
—1,1 15 2 —0,3 15,5 sind die Minuszeichen 
3,1 16 0,8 16,5 weggelassen. 
5,8 17 1,7 17,5 
8,2 18 5,0 18,5 
11,1 19 9,7 19,5 


13,5 20 13,2 20,5 
16,3 21 15,8 21,5 
18,4 22 18,1 22,5 
20,3 23 20,3 23,5 
22,1 34 21,7 24,5 
23,5 25 23,2 25,5 
25,0 26 24,7 26,5 
27,2 27 26,8 27,5 
29,0 28 28,3 28,5 
30,4 29 29,8 29,5 
31,9 30 30,9 30,5 


Tabeile I gibt die Zahlen der Kurve a. 


Beim ersten Blick auf die Kurven fällt einem sofort auf, 
daß die beiden Kurven, die zu Anfang ineinander verlaufen 
(den O0-Punkt in leichter er unterschreiten, dann 





Ir] — 
Fig. 1. 


bei 0° ihre Schmelzwärme verlieren), sich gegen Ende des Aus- 
frierens wirklich trennen, um dann wieder zusammenzulaufen. 
Dieses Zusammenlaufen ist natürlich zu erwarten, weil die 
Kurven nach Erreichung der Temperatur des Bades wieder 
zusammenfallen müssen, es wird aber auch noch durch das 
dritte Temperaturgefälle beschleunigt. Diesem ist es übrigens 
auch noch zuzuschreiben, daß die Kurven nicht die gleich- 
mäßige Biegung der Logarithmalkurve zeigen, sondern im Ge- 
biete des stärksten Auseinandertretens wie ein S und sein 
Spiegelbild gegeneinander verbogen sind. Das wärmere Gefäß 


Über das Ausfrieren von Gelen. 65 


kühlt sich stärker, das kältere schwächer ab, wie es tun würde, 
wenn es allein da wäre. Wir werden diese Erscheinung bei 
allen Kurven, bei denen starke Temperaturdifferenzen auftreten, 
wiederfinden. 

Nach dem Herausheben aus dem Bade zeigte sich, daß der 
Inhalt der beiden Gefäße, die natürlich zersprengt worden 
waren, aus nur wenig verschiedenem Eise bestand, beim Auf- 
tauen lieferte die Gallerte einen zusammenhängenden Pfropfen, 
aus dem das Wasser wie aus einem Schwamme herauslief — 
was bekanntlich bei ungefrorener Gelatinegallerte keineswegs 
der Fall ist. Aus dem Gefäße mit Wasser ließ sich das nur 
wenig veränderte Gelatineröllchen wiedergewinnen. 

Wir kommen jetzt zum wichtigsten Punkte: 

Wie aus der angegebenen Darlegung folgt, müßte die 
Gefrierkurve der Gallerte unterhalb der des Wassers ver- 
laufen, wie aber ein Blick auf die Kurve zeigt, verläuft sie 
ganz im Gegenteil, und zwar bis etwa 10° oberhalb. Es 
folgt daraus, daß der Fehler entweder in den theoretischen 
Grundannahmen oder in der Methode liegen muß. So un- 
wahrscheinlich es auch von vornherein bei der vorzüglichen 
Übereinstimmung der Gelatinekurven untereinander erschien, 
daß ein zufälliger Fehler jedesmal in demselben Sinne das Re- 
sultat gefälscht haben sollte, so beschlossen wir doch, Blind- 
.versuche anzustellen, um die experimentelle Verläßlichkeit der 
Methode zu prüfen. Wasser ist für solche Versuche wenig 
günstig, weil es die lästige Eigenschaft hat, die Gefäße beim 
Gefrieren zu zersprengen. Bekanntlich ist der Gefrierpunkt 
des Benzols nur wenig von dem des Wassers entfernt. Wir 
füllten also die Reagensgläser mit gleichen Mengen (4,1 ccm) 
Benzol. Als Kältebad diente von jetzt an Chlorcalcium-Eis 
(der Billigkeit wegen). Man kann damit bequem eine Tempe- 
ratur von — 40° erreichen, die aber nur einige Zeit konstant 
bleibt und dann namentlich bei langer Dauer des Versuches 
erheblich, z. B. bis — 20 steigt. Das ist für eine rechnerische 
Verwertung des Kurvenmaterials natürlich ungünstig, be- 
einträchtigt aber, wie leicht zu sehen, die Verläßlichkeit der 
Differentialmethode nicht. Als Wärmebad diente ein mit Wasser 
gefüllter Thermostat von etwa 85bis90° Temperatur. Eine dünne 

Biochemische Zeitschrift Band 18, 5 


66 H.W. Fischer und B. Bobertag: 


Paraffinschicht verhütete das Verdunsten des Wassers. Die 
Resultate zeigt Fig. 2 u. Tabelle II. 

Zunächst wurde das Dewargefäß mit den Reagensgläsern 
in das Wärmebad gebracht und Kurve a erhalten. Dann wurde 
das heiße Gefäß in das Kältebad hineingestellt und b erhalten. 
Das Gefrieren tritt bei 0,24 Millivolt ein und dauert 18 Minuten. 
Kreuze und Punkte von a und b bilden mit großer Genauig- 
keit einen Kurvenzug. 


E 
Gë 
Eh 
E 
KE 
TEE 
Des 
EE 
bet 
EN 
W 





Das kalte Gefäß wurde wieder in das Wärmebad gestellt 
und c erhalten. Am Ende des Auftauens tritt eine Störung 
ein, die Kurven trennen sich für ein kurzes Stück, laufen dann 
aber wieder rasch zusammen. Diese Erscheinung ist, wie man 
sich durch Herausheben der Reagensgläser leicht überzeugen 
kann, einer ungleichmäßigen Verteilung von festem Benzol zu- 
zuschreiben. 


Tabelle II. 
1/, Benzol-Benzol. 
I u 
Ae Millivolt t  1/,ọ Millivolt € Bemerkungen 

10,8 0 11,2 0,5 _Kurvea: Benzol-Benzol mit 
12,8 1 14,0 1,5 steigender Temperatur. 
15,3 2 16,4 2,5 
17,8 3 19,4 3,5 





I 


1/ 30 Millivolt 


Über das Ausfrieren von Gelen. 67 


bei bel bei beet 
Go bi ra CH e OD ei ER EH Wë T 


D 


1 Millivolt 


21,0 


Bemerkungen 


Kurve b: Benzol-Benzolmit 
fallender Temperatur. 


Unterkühlung, 17 Minuten 
konstant auf 2,4. 


Kurve o: Benzol: mit wieder 
steigender Temperatur, 


5* 


68 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


I II 
1/,.Millivolt t  1/,Millivolt t Bemerkungen 

1,0 5 1,2 5,5 

1,3 6 2,0 6,5 

1,5 T 1,8 7,5 

1,8 8 2,1 8,5 Beide Gefäße enthalten 
3,5 9 — — schon viel Flüssigkeit: 
6,2 10 5,0 10,5 in beiden ein kleiner 
9,0 11 10,0 11,5 Rest Eis. Thermoelement 
12,7 12 12,9 12,5 von I längst ausge- 
14,8 13 15,5 13,5 schmolzen. 

17,5 14 18,7 14,5 

19,8 15 21,0 15,5 

22,1 16 23,2 16,5 

24,1 17 25,1 17,5 

26,1 18 27,0 18,5 

27,9 19 29,7 19,5 

29,3 20 30,0 20,5 


Die Benzol-Benzolkurven zeigen also deutlich, daß die 
Methode verläßlich arbeitet. Der Fehler muß also in den 
theoretischen Annahmen, d. h. in der Capillaritätstheorie der 
Gele zu suchen sein. 

Nun hatten wir vor einiger Zeit eine Arbeit veröffentlicht, ?) 
in der die Chloroform- und Amylalkoholgele des Myricylalkohols 
untersucht worden sind. Der Myricylalkohol ist für Unter- 
suchungen dieser Art besonders brauchbar, weil er ein — wahr- 
scheinlich — einheitlicher Körper bekannter chemischer Kon- 
stitution und leicht elektrolytfrei zu erhalten ist. 

Es war uns damals gelungen, den Nachweis zu führen, 
daß sich die aus den Myricylalkoholgelen durch Erwärmen 
entstehenden reversibelen Sole weitgehend als krystalline Lö- 
sungen theoretisch behandeln lassen, während rich andererseits 
die sehr eigentümlichen Löslichkeitsverhältnisse aus theoretischen 
Erwägungen über den Dampfdruck von mit gesättigter Lösung 
in Berührung stehenden Gelen herleiten ließen. 

Auf die Löslichkeitsverhältnisse werden wir im foigenden 
noch kommen. Wir beschlossen also, diesen einfachen und un- 
komplizierten Fall zu untersuchen, in der Hoffnung, dort viel- 
leicht einen Aufschluß über das rätselhafte Verhalten der Gela- 
tinegallerte zu gewinnen. Ein Massenausgleich ließ sich natür- 


1) Jahresber. d, vaterländ. Ges. f. schles. Kultur 1908. S. 40. 


Über das Ausfrieren von Gelen. 69 


lich bei diesen Versuchen nicht mehr bewerkstelligen, da sich 
natürlich in beiden Gefäßen der Myricylalkohol in gleichem 
Sinne hätte ändern müssen. Doch werden wir besonders an 
Erwärmungs- und Abkühlungskurven der Gelatine sehen, daß 
der Einfluß der Masse des Kolloides auf den Gesamtvorrat an 
Wärme nur ein kleiner zu sein scheint. Zunächst ist seine 
Masse nur klein im Verhältnis zu der des Lösungsmittels, anderer- 
seits treten aber auch durch den Nichtausgleich der Massen 
auch noch Veränderungen anderer Faktoren auf, z. B. der 
Oberfläche des Inhaltes, des spezifischen Gewichtes usw., so 
daß sieh die vielfachen, teilweise entgegengesetzt gerichteten 
Störungen ziemlich vollständig gegeneinander aufheben werden, 
eine Lage der Dinge, wie sie wohl häufig zugunsten des Ex- 
perimentstors vorkommt. 


SR eege FELL: 


LAE EE 
Ee E 
ERS 


agr | ++ 
SEBRIREBENE 
SSES 


Aë 5 75 M oi 7 AS 30 338 38 318 30 38,5 Sell 
Fig. A 

Ich will zunächst die Erwärmungskurven besprechen, also die 
Kurven a der Fig. 3 u. 4, wir stützen uns aber in unsern 
Bemerkungen nicht ausschließlich auf das hier veröffentlichte Ma- 
terial, sondern auf unser Gesamtmaterial. Bei einer Temperatur 
von etwa 1,5 Millivolt (ca. 30°) beginnen sich die Kreuze, die 
den Myricylalkohol bedeuten, von den Punkten zu trennen, die 
Trennung nimmt schließlich sehr beträchtlich zu, wobei die 
Kreuze immer unterhalb der Punkte bleiben, um dann bei 
höhererer Temperatur wieder zurückzugehen. 


Q "A Le Lei 


70 H.W. Fischer und B. Bobertag: 


Andererseits zeigen die Abkühlungskurven — die Kurven b 
der Fig. 3 u. 4 — die wir vorläufig bloß bis zu dem bei 
ca. 0,25 Millivolt gelegenen Gefrierpunkt verfolgen wollen, 
gleichfalls eine entsprechende Störung, indem sich diesmal ziem- 
lich scharf — zwischen 2,0 und 2,4 Millivolt (40—48°) — die 
Punkte von den Kreuzen trennen. Diesmal aber bleiben die 
Kreuze stets oberhalb der Punkte. Es ist also ganz klar, daß 
bei der Erwärmung ein Vorgang verläuft, der Wärme ver- 
braucht, bei der Abkühlung ein solcher, der Wärme liefert. 
Hebt man die Gefäße in diesem Temperaturintervall gelegentlich 
heraus, so kann man nicht im Zweifel sein, daß die Lösung 
resp. Abscheidung des Myricylalkohols die Ursache ist. Aus 
den Ergebnissen unserer schon zitierten Arbeit läßt sich der 
Verlauf der Kurven bis auf die kleinsten Einzelheiten er- 













klären. 
— 
2 
a EE ET — 
E E 
— 
EN RW 








Aë 58 75 © B5 5 pe Ae 33,5 35 Asa 


Fig: 4. 


Es gelang uns, dort den Nachweis zu führen, daß die 
Löslichkeit des Myricylalkohols in allen von uns verwandten 
Lösungsmitteln, z. B. Athyl- und Amylalkohol, Ather, Chloro- 
form, Benzol, ungeheuer schnell mit der Temperatur ansteigt, 
und im allgemeinen den Punkt der kritischen Löslichkeit vor 
dem Siedepunkte des Lösungsmittels erreichen dürfte. 


Über das Ausfrieren von Gelen. 71 


Zum Beleg geben wir die Löslichkeitskurve in Amylalkohol 
wieder (Fig. 5). Man sieht, daß hier die Löslichkeit bei 50° 
noch unter 1°/, liegt, während bei noch nicht 70° der Punkt 
der kritischen Löslichkeit schon beinahe erreicht ist. 





Hundertsiel Mole Myricylaliohel af 1Mol Amyiathobel 
Fig. 5. 


Bei den Erwärmungskurven bedeutet also die Trennung 
der Kreuze von den Punkten, die bei ca. 30° stattfindet, nichts 
weiter, als daß die Löslichkeit anfängt, sich geltend zu machen, 
und die Lösungswärme zu verschwinden. Die größte Trennung 
zwischen Kreuzen und Punkten, also die Stelle, von der an 
der Verlust an Lösungswärme nicht mehr ausreicht, um die 
über das dritte Temperaturgefälle zuströmende Wärme der 
Größe nach zu überbieten, liegt bei beiden Kurven bei un- 
gefähr 53°. | 

Man darf dabei nicht übersehen, daß die spezifisch schwe- 
rere Myricyalkoholgallerte am Boden des Gefäßes liegt und so 
tatsächlich für die Lösung des schwer diffundierenden Stoffes 
nur die in seiner unmittelbaren Nähe befindliche Flüssigkeit 
in Betracht kommt. Genau so erklärt sich auch das S der 
Kurve b. Hier ist die Trennung der Kreuze von den Punkten 
viel schärfer, die Kurve scheint einen Augenblick der t-Achse 
parallel zu laufen. Dieser Punkt liegt bei der konzentrierten 
Kurve bei ungefähr 2,4 Millivolt, entsprechend 48°, bei den 
verdünnteren etwas niedriger, bei 2,1 Millivolt (42°). Er liegt also 
von dem Punkte des weitesten Auseinandergehens der a-Kurven 
um etwa 10° entfernt und ein Blick auf die Löslichkeitskurve 


12 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


zeigt, wie erheblich sich in diesem Intervalle die Löslichkeit 
ändern kann. Daß die Biegung schärfer ist, wie die der a- 
Kurven, erklärt sich daraus, daß die Lösung bei der Abkühlung 
übersättigt worden ist, diese Übersättigung sich — bei der 
konzentrierteren Lösung zuerst — aufhebt und nun die Lösungs- 
wärme einer größeren, auf einmal ausfallenden Menge Myricyl- 
alkohols mit einem Schlage auftritt. 

Die Kurven o stellen dagegen den Verlauf einer aber- 
maligen Erwärmung dar. In den beiden dargestellten Fällen 
tritt die schon vorhin beim Benzol geschilderte Störung durch 
ungleichmäßige Verteilung des festen Benzols ein, und zwar 
bei 3 so, daß die Punkte anfangs unter den Kreuzen laufen, 
bei 4 umgekehrt. In beiden Fällen stellt sich aber binnen 
kurzem das Verhältnis ein, wie es nach dem Verlauf der a-Kurve 
zu erwarten wäre. Die Kreuze geraten unter die Punkte, bei 
III mehr wie bei IV, der Konzentration entsprechend. Man kann 
also wohl mit Recht annehmen, daß bei der abermaligen Er- 
wärmung keine weitere Veränderung des Myricylalkohols ein- 
tritt. Nun war in a der Myricylalkohol nur wenig verteilt 
und saß in seiner Hauptmenge am Boden, während bei o durch 
das vorhergehende Abkühlen die ganze Flüssigkeit gelatiniert 
war. Die beiden Zustände müssen also im wesentlichen iden- 
tisch sein. | 

Wir kommen nun jetzt zu unserem Hauptpunkte, nämlich 
zu dem Gefrierpunkte der Gallerte. 

Da Benzol sich beim Schmelzen erheblich ausdehnt, im 
entgegengesetzten Sinne wie Wasser sein Volumen um 10°/, 
ändert, so wird durch Druck der Schmelzpunkt des Benzols 
erhöht. Danach müßte dicht vor dem Schmelzpunkt eine 
abermalige Trennung der Kurve eintreten, und zwar so, daß 
die Kreuze über den Punkten laufen. Statt dessen sieht man 
bei 3, daß die Entfernung zwischen Punkten und Kreuzen 
stetig fällt, während bei 4 Punkte und Kreuze ineinander 
verlaufen, das ist auch bei unserem anderen Kurvenmaterial 
durchaus das Übliche. Von einer beträchtlichen Erhöhung des 
Schmelzpunktes eines Teiles des Benzols in der Myricylalkohol- 
gallerte kann also gar keine Rede sein. 

Dagegen zeigten die Kurven nach Beendigung des Ge- 
frierens eine Neigung, auseinanderzulaufen, bald im einen, bald 





Über das Ausfrieren von Gelen. 73 


im anderen Sinne, wie auch die von uns veröffentlichten Kurven 
zeigen. Das deutet auf einen experimentellen Fehler hin. Und 
zwar bestand dieser darin, daß wir in der Pause des Gefrierens, 
um die Temperatur des Bades konstanter zu halten, die ge- 
sättigte Chlorcaleiumlösung mittels eines Hebers abließen und 
neue Kältemischung nachfüllten. Da so durch ganz ungleich- 
mäßig verteilte Eisstücke gekühlt wurde, mußten die Gefäße 
auch ungleichmäßig beeinflußt werden, besonders da das unter- 
schiedausgleichende dritte Temperaturgefälle während des Ge- 
frierens nicht existiert. Wie wir das Nachfällen unterließen, 
hörten auch die Unregelmäßigkeiten auf. (Vgl. Tabelle VI.) 


Tabelle III. 
0,6 g Myricylalkohol auf 4,15 eem Benzol. 


I II 
1,0 Millivolt t ` Ae Millivolt t Bemerkungen 
10,2 0 11,3 0,5 Ienthält den Myricylalko- 
11,8 1 13,5 1,5 hol, Kurve a der Fig. 3. 
14,0 2 15,6 2,5 
16,1 3 18,0 3,5 
17,8 4 20,0 4,5 
19,5 5 22,0 5,5 
21,0 6 24,0 6,5 
22,2 7 25,5 7,5 
23,2 8 27,1 8,5 
— — 29,0 9,5 


25,0 10 30,0 10,5 Noch viel ungelöster M. 
25,5 11 30,5 11,5 

27,0 12 31,5 12,5 

28,8 13 32,0 13,5 Nur noch Spuren. 

31,0 14 32,8 14,5 

32,1 15 33,8 13,5 Lösung. 

33,0 16 34,5 16,5 

34,2 17 35,3 17,5 


32,5 0 31,0 0,5 Kurve b der Fig. 3. 
30,0 1 27,7 1,5 
27,0 2 25,0 2,5 
24,9 3 22,0 3,5 
23,5 4 20,2 4,5 
23,4 5 18,5 5,5 
22,3 6 15,5 6,5 
20,8 7 — — Vollkommen trübe. 
19,2 8 12,2 8,5 
17,5 9 11,0 9,5 


74 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


I II 
1/,o Millivolt t 1/1 Millivolt t Bemerkungen 
— = 10,0 10,5 | 
14,0 11 8,8 11,5 | 
12,0 12 7,8 12,5 | 
10 13 6,8 13,5 | 
9,4 14 6,0 14,5 
8,0 15 5,0 15,5 
7,0 16 4,0 16,5 
5,8 17 3,2 17,5 
42 18 22 18,5 
3,0 19 2,5 19,5 Gefriert während 21 M. 
1,8 40 2,1 40,5 
1,3 41 2,0 41,5 
1,0 42 1,7 42,5 
03. 43 1,2 43,5 
0,0 44 1,0 44,5 | 
— 0,5 45 0,5 45,5 | 
— 10 46 0,2 46,5 | 
—1,5 47 —0,5 47,5 
—1,8 48 —12 48,5 | 
— 2,5 49 —22 49,5 
— 32 50 —31 50,5 
— 7,2 0 —73 0,5 Kurve c. 
— 5,8 1 —40 1,5 | 
— 3,8 2 —12 2,5 | 
0,0 3 +08 3,5 | 
+1,5 4 1,8 4,5 | 
2,1 5 2,4 5,5 Taut in 5 Minuten auf. 
3,8 10 2,9 10,5 
6,8 11 6,0 11,5 
9,0 12 9,5 12,5 
11,2 13 12,5 13,5 LIenthält Pfropfen, aus dem 


16,2 14 16,5 14,5 Flüssigkeit quillt. 

17,0 15 19,2 15,5 

18,0 16 21,5 16,5 

20,5 17 24,2 17,5 Mehr Flüssigkeit, Pfropfen. 

22,2 18 25,8 18,5 ( 
23,6 19 27,5 19,6 

25,0 20 29,0 20,5 Hälfte Pfropfen. | 
26,6 21 30,0 21,5 | 
28,5 22 31,3 22,5 

30,2 23 32,0 23,5 Kein Pfropfen. 
31,3 24 33,1 24,5 

32,6 25 33,8 25,5 

33,6 26 34,8 26,5 


HI 
Ile Millivolt 
10,0 
11,8 


Über das Ausfrieren von Gelen. 75 


11 


a 


Tabelle IV. 
D 
1/,0Millivot t 

10,3 0,5 
12,0 1,5 
14,8 2,5 
17,2 3,5 
19,5 4,5 
21,3 5,5 
23,5 6,5 
25,1 7,5 
26,8 8,5 
28,2 9,5 
29,5 10,5 
30,7 11,5 
32,0 12,5 
33,1 13,5 
34,1 14,5 
35,2 15,5 
31,0 0,5 
28,1 1,5 
25,0 2,5 
21,9 3,5 
20,5 4,5 
19,5 6,5 
17,5 6,5 
15,0 7,5 
12,6 8,5 
10,6 9,5 
8,8 10,5 
7,2 11,5 
5,7 12,5 
4,2 13,5 
3,1 14,5 
2,6 15,5 
2,3 32,5 
1,9 33,5 
1,2 34,5 
0,8 35,5 
— 0,2 36,5 
— 1,2 37,5 
— 2,5 38,5 
— 3,0 39,5 
— 4,0 40,5 


Bemerkungen 
II enthält 2,2 g Myrioyl- 
alkohol. 
Kurve a der Fig. 4. 


Kurve b der Fig. 4. 


Gefriert in 15 Minuten. 


Die Sohwankungen gegen 
Ende der Kurve sind 
auf ungleichmäßige Ver- 
teilung des Eises zurüock- 
zuführen und zum Teile 
künstlich gemacht. 


76 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


> I II 

1/ o Millivolt t ` Ale Millivolt t Bemerkungen 

— 7,6 0 — 7,1 0,5 Kurve o der Fig: 4. 
— 6,3 1 => 6,0 1,5 
— 4,0 2 —35 2,5 
— — — 0,6 3,5 
1,2 4 1,3 4,5 
2,1 5 1,9 5,5 
2,2 6 2,2 6,5 
2,8 8 2,5 8,5 
3,2 H 2,5 9,5 
4,1 10 2,5 10,5 
6,2 11 5,0 11,5 
8,5 12 8,1 12,5 


11,2 13 11,3 13,5 
14,2 14 14,5 14,5 
16,8 15 17,0 15,5 
19,5 16 19,2 16,5 
21,8 17 21,2 17,5 
24,0 18 23,8 18,5 
25,8 19 26,0 20 

27,4 21 28,0 21,5 
28,9 22 29,5 22,5 


30,2 22 30,8 22,5 
31,7 23 32,5 23,5 
33,0 24 33,5 24,5 
Tabelle V. 
I II 
Aha Millivolt t Ae Millivolt t Bemerkungen 
9,0 0 91 0,5 IH enthält 0,33 g Myrioyl- 
9,9 1 10,1 1,5 alkohol. 
11,5 2 11,6 25  a-Kurre 
12,1 3 13,1 3,5 
14,0 4 14,8 4,5 
16,8 5 16,4 5,5 
18,0 6 17,9 6,5 
19,7 7 19,0 7,5 
21,1 8 20,2 8,5 
22,6 9 21,3 9,5 


23,8 10 22,3 10,5 

24,8 11 23,1 11,5 

25,7 12 24,0 12,5 Noch viel Substanz vor- 
26,5 13 24,7 13,5 handen. 

27,1 14 25,1 13,5 








I 
ı I 10 Millivolt 


t 


l\o@msauamun=-o BBESSEAFS 


Über das Ausfrieren von Gelen. 77 


II 
1 Le Millivolt 
26,0 


t 


Bemerkungen 


Kleiner Rest. 


Alles gelöst. 


l-Kurve 


II gelatiniert. 


I wird unterkühlt. 
I flüssig. 


I fest. 


Als Kältebad dient diesmal 
Eis-Kochsalz. 


78 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


I II 5 
1 Le Millivolt t ` Ae Millivolt t smerkungen 
— 2,0 641 — 2,5 61,5 
— 2,5 62  — 3,0 62,5 
— 3,0 63 — 3,3 63,5 
— 3,5 64  — 3,5 64,5 
— 4,0 65  — 3,8 65,5 
— — — 4,0 66,5 
— 4,5 67 — 4,0 67,5 
— 5,0 68 — 4,5 68,5 
— 5,2 69 — 4,9 69,5 
Tabelle VI. 
I as 
1/yMillivolt © Ae Millivolt ` $ Bemerkungen 
9,2 N) 10,5 0,6 22g Myrioylalkohol in I 
11,5 1 13,2 1,5  &-Kurve. 
13,8 2 15,2 2,5 I enthält den Mpricyl- 
16,2 3 17,0 3,5 alkohol. 
18,2 4 20,0 4,5 
20,8 5 21,8 5,5 I viel ungelöste Substanz. 
22,8 6 24,8 6,5 
24,8 7 26,5 7,5 I deutlich weniger S. 
26,6 8 28,2 8,5 
28,3 9 29,5 . 9,5 
29,7 10 30,8 10,5 
31,1 11 32,0 11,5 
7,5 1 6,8 0,5 b-Kurve. 
6,8 2 6,0 1,5 Diesmal nur das Stück kurz 
5,8 3 5,0 2,5 vor und hinter dem Ge- 
4,0 4 3,2 3,5 frierpunkte. 
3,2 5 2,4 4,5 
2,4 6 2,4 5,5 
1,8 23 2,4 6,5 
1,8 24 1,8 23,5 
1,8 25 1,5 24,5 
1,5 26 1,2 25,5 
1,0 27 0,9 26,5 
0,7 28 0,4 27,5 
0,1 29 0,0 28,5 
— 0,6 30 — 0,8 29,5 


Dieser Befund beim Myricylalkohol ließ es als möglich er- 
scheinen, daß bei der Gelatine der Punkt der maximalen Lös- 
lichkeit der a-, und der Abscheidungspunkt der b-Kurve durch 


Über das Ausfrieren von Gelen. 79 


ein größeres Temperaturintervall getrennt sind, und daß die 
beim Gefrieren auftretende überschüssige Wärme andererseits 
während des Erwärmens gewissermaßen aufgespeichert werden 
muß. Kurve a der Fig. 6 zeigt, daß von einer erheblichen 
Wärmebindung während des Erwärmens, wie sie nötig wäre, 
um die beträchtliche Wärmeabgabe während des Gefrierens 
zu erklären, keine Rede sein kann. Ebenso zeigt auch die 


> a d U © 
L 














| 


—— — 28 — D 
75 50 525 55 575Mım 


Fig. 6. 


b-Kurve erst am Ende des Gefrierens die schon bekannte Tren- 
nung der Kreuze von den Punkten. Dieses negative Ergebnis 
war nach den Versuchen von Wiedemann und Lüdeking?!) 
zu erwarten, die die Quellungswärme zu + 6, die Lösungswärme 
zu —3,7 Calorien pro Gramm Gelatine bestimmt haben. Da 
unsere Methode eben 1° Temperaturerhöhung, also 1 Calorie pro 
Gramm Lösung, nachzuweisen imstande ist und unsere 4 com 
Wasser nur 0,4 g Gelatine enthalten, so liegen die zu erwartenden 
Erwärmungen um 0,35, resp. —0,25° unter der Fehlergrenze 
unserer Methode. 

Daß die Gelatine die Wirkung haben sollte, die Krystalli- 
sation des Wassers zu verhindern, wie das J. Alexander?) 
annimmt, davon kann nach meinen Versuchen keine Rede sein. 

Es bleiben also drei Möglichkeiten der Erklärung: 

1. Könnte man, da die Gelatine sich genau umgekehrt 
verhält, wie wenn das Wasser in ihr unter einem Drucke stünde, 
an das Gegenteil einer Kompression, eine Auseinanderzerrung 


1) Annal. d. Physik (3), 35, 552, 1888. 
2) Zeitschr. f. Chem. u. Industrie d. Kolloide 4, 86, 1909. 


SO H.W. Fischer und B. Bobertag: 


der Wassermoleküle denken. Dagegen spricht, daß das Volumen 
einer Gallerte erheblich kleiner ist als die Summe der Volumina 
ihrer Bestandteile (Wiedemann und Lüdeking Lei 

2. Könnte man annehmen, daß die Gelatine aus zwei Be- 
standteilen besteht, deren einer die Gallerte bildet, während der 
zweite, der ‚Schutz‘, gelöst bleibt. Wenn nun der Punkt der 
kritischen Löslichkeit für den Schutz in Wasser unterhalb des 
Gefrierpunktes läge, so könnte seine Trennung von dem Lösungs- 
mittel wohl die beobachtete Wärme liefern. Bei gewöhnlicher 
Temperatur würde er dann natürlich in der bekanntlich stets 
etwas feuchten Gelatine längst gelöst sein, also sich beim Ein- 
senken in Wasser wenig oder gar nicht mehr durch Auftreten 
einer Wärmetönung bemerkbar machen. Wäre es nun möglich, 
die c-Kurve bei abermals steigender Temperatur aufzunehmen, 
so würde sich dieser Punkt wohl entscheiden lassen. Für diese 
Anschauung sprechen die Versuche von Menz.!) Das ist mir 
aber, weil die Reagensgläser beim Gefrieren stets zersprengt 
werden, leider nicht gelungen. 

3. Könnte die Gelatine beim oder durch das Gefrieren 
wohl irgendeine irreversible chemische oder physikalische Ände- 
rung erleiden, bei der Wärme frei wird, d.h. altern. Dafür 
spricht die von uns in dieser und der vorigen Arbeit geschilderte 
Veränderung der Gallerte nach dem Auftauen. 

Es wird uns sofort gelingen, die erste der drei Annahmen 
wenigstens sehr unwahrscheinlich zu machen, die Entscheidung 
zwischen den beiden anderen müssen wir der Zukunft über- 
lassen. 

Tabelle VII (zu Fig. 6). 


Gelatine Wasser 
I II 
1/,, Millivolt t 1/0 Millivolt t Bemerkungen 
9,8 0 10,8 0,5 I enthält 0,43g Gelatine. 
11,1 l 11,1 1,5 4Kurvo. 
12,8 2 13,8 2,5 
13,9 3 15,0 3,5 
15,8 4 16,8 4,5 
17,5 5 18,2 5,5 
18,5 6 19,4 6,5 
20,0 7 20,8 7,5 


1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 66, 129, 199. 





Gelatine 


I 
1/ 0 Millivolt 
21,1 
22,6 
23,5 
24,6 
25,6 


Über das Ausfrieren von Gelen. 


$ 
8 


9 
10 
11 
12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 
19 
20 


bi 
bel 


e oe l Auwm=-o ES EES 


21 


Wasser 
II 
Ile Millivolt t 

22,2 8,5 
23,2 9,5 
24,5 10,5 
25,3 11,5 
26,3 12,5 
27,2 13,5 
28,2 14,5 
29,3 15,5 
29,6 16,5 
30,8 17,5 
31,6 18,5 
32,1 19,5 
32,8 20,5 
33,1 21,5 
34,1 22,5 
34,9 23,5 
35,2 24,5 
35,7 25,5 
36,3 26,5 
36,9 27,5 
37,2 28,5 
37,9 39,5 
38,2 30,5 
38,3 31,5 
38,8 0,5 
36,8 1,5 
34,8 2,5 
32,8 3,5 
27,2 6,5 
25,0 7,5 
23,5 8,5 
22,2 9,5 
19,0 10,5 
18,0 11,5 
16,8 12,5 
15,8 13,5 
14,8 14,5 
13,8 15,5 
10,2 19,5 

9,7 20,5 

8,8 21,5 


Biochemische Zeitschrift Band 18. 


Bemerkungen 


b-Kurve. 


Gelatine dünnflüssig. 


I dünnflüssig. 


I nicht gelatiniert. 


81 


82 


Gelatine 
I 
Lea Millivolt 
9,2 
84 
7,0 
6,5 
5,8 
5,2 
4,8 
4,2 
3,7 
3,3 
2,2 
1,8 
1,2 
0,8 
0,4 
0,0 
— 0,3 


— 0,3 
— 0,3 
— 0,3 
— 0,4 
— 0,5 
— 0,6 
— 0,8 
— 0,9 
— 1,0 
— 1,1 
— 1,4 
— 2,0 
— 2,4 
— 3,0 
— 3,4 
— 3,8 
— 4,3 


Gelatine 
I 
1/0 Millivolt 
3,1 
3,6 
4,3 
5,2 


H. W. Fischer und B. Bobertag: 


t 
22 
23 
25 
2 


GP 


27 
28 
29 


t 
0 
1 
2 
3 


Wasser 
II 
Le Millivolt t 
8,0 22,5 
7,5 23,5 
6,0 25,5 
5,3 26,5 
5,0 27,5 
4,3 28,5 
3,8 29,5 
3,2 30,5 
2,8 31,5 
2,2 32,5 
1,6 33,5 
1,1 34,5 
0,6 35,5 
0,2 36,5 
0,0 37,5 
— 0,3 38,5 
— 0,5 39,5 
— 0,3 107.5 
— 0,5 108,5 
— 0,7 109,5 
— 0,8 110,5 
— 1,3 111,5 
— LR 112,5 
— 2,6 113,5 
— 3,0 114,5 
— 3,5 115,5 
— 3,9 116,5 
— 4,1 117,5 
— 4,5 118,5 
— 4,9 119,5 
— 5,1 120,5 
— 5,5 121,5 
— 5,7 122,5 
— 6,0 123,5 
Tabelle VIII. 
Wasser 
I 
Le Millivolt t 
3,4 0,5 
4,2 1,5 
4,9 2,5 
6,9 3,5 


Bemerkungen 


I zu Gallerte zu erstarrt. 


Bemerkungen 
I enthält 0,43 g Gelatine. 


Gelatine 


I 
Le Millivolt 
6,2 
7,3 
8,4 
9,6 
10,7 
11,8 
12,8 
13,9 
14,9 
15,9 
16,9 
17,9 
18,7 
19,2 
20,0 
20,6 
21,2 
22,0 
22,8 
23,3 
24,0 
24,5 
25,0 
25,5 
26,0 
26,6 
27,0 
27,4 
27,9 
28,2 
28,7 
29,0 
29,2 
29,8 
30,0 
30,2 
30,6 
30,9 
31,0 
31,2 
31,5 
31,9 
32,0 
32,1 


Über das Ausfrieren von Gelen. 


21 


Wasser 
D 
Le Millivolt 
6,9 
7,9 
8,9 
10,0 
11,0 
12,0 
13,0 
14,1 
15,1 
16,0 


Bemerkungen 


6* 


83 


84 


Gelatine 
I 
Le Millivolt 


33,0 
32,2 
31,4 
30,3 
29,2 
28,1 


7,8 
7,3 


H. W. Fischer und B. Bobertag: 


Wasser 
D 
Ale Millivolt 


32,9 
31,9 
30,7 
29,3 
28,1 


7,3 
7,1 


19,5 
20,5 
21,5 
22,5 
23,5 
24,5 
25,5 
26,5 
27,5 
28,5 
29,5 
30,5 
31,5 
32,5 
33,5 
34,5 
35,5 
36,5 
37,5 


Bemerkungen 


b-Kurve, Kältebad: Eis- 
Kochsalz. 


Steife Gallerte 


Die Kurve wird vor dem Gefrierpunkte abgebrochen, um 
die c-Kurve aufnehmen zu können. 


— — 


Über das Ausfrieren von Gelen; 85 


— "ër 
Le Millivolt t Ze Millivolt t Bemerkungen 

5,3 0 5,4 0,5 o-Kurve. 

5,8 1 6,0 1,5 

6,1 2 6,8 2,5 

7,1 3 7,6 3,5 

8,0 4 8,5 4,5 I noch gelatiniert. 

9,0 5 9,5 5,5 
10,0 6 10,6 6,5 
11,0 7 11,7 7,5 I beginnt zu erweichen 
12,0 8 12,8 8,5 und zähflüssig zu werden 
13,0 9 14,0 9,5 


Nämlich wenn die erste Annahme zuträfe, so müßte man 
als eine allgemeine Eigenschaft der Gele erwarten, daß sie im- 
stande sind, die Moleküle des Lösungsmittels auseinanderzu- 
ziehen. Von einer erheblichen Trennung der Kreuze von den 
Punkten kann aber bei den Kurven des Blattes VII, die mit 


MERAIEBESEENEREN 
RSR P EE EE E 
E EE 
ën lena JL EEE HE EU ZU HR ER HE BE 
TI Tel Bee, 1 LL. 
Fe = 













löslicher Stärke als Versuchssubstanz aufgenommen sind, keine 
Rede sein. (Das hinter dem Gefrierpunkt gelegene Stück der 
Kurve b ist, um Platz zu sparen, über diese gezeichnet worden.) 
Die Kreuze verlaufen mit sehr befriedigender Übereinstimmung 
in der Punktkurve. Die a- und b-Kurve sind deswegen inter- 


86 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


essant, weil Zsigmondy!) beobachtet hat, daß das in der 
Kälte von Submikronen wimmelnde Gesichtsfeld in der Wärme 
nur den Lichtkegel der Amikronen zeigt. Die Wärmetönung, 
die diese Veränderung begleitet, kann nach meinen Versuchen 
nur klein sein. Übrigens ist das Arbeiten mit löslicher Stärke 
schon recht unangenehm, weil man die Stärke in das heiße 
Wasser schütten muß, wobei erhebliche Mengen an den Wänden 
des Rohres kleben bleiben, die die Flüssigkeitesmenge beim Ab- 
spülen durch zähes Heften verringern. Diese hängengebliebenen 
Flüssigkeitereste stören auf alle Weise die Versuche, namentlich 
bei der Abkühlung, so daß den bei 1 und 2 entgegengesetzt 
liegenden Differenzen der Kurven keine Bedeutung beizu- 
messen ist. 


Tabelle IX (zu Fig. 7, Kurve I). 


Stärke Wasser 
I II 
A Millivolt t ` Ate Millivolt t Bemerkungen 
9,0 0 9,4 0,5 I enthält lösliche Stärke. 
10,2 1 10,5 1,5 
11,8 2 11,8 2,5 
13,0 3 185 3,5 
14,5 4 148 45 
15,7 5 16,1 5,5 
16,9 6 17,2 6,5 
17,8 7 18,2 7,5 
18,8 8 19,0 8,5 
19,6 9 19,9 9,5 
20,7 10 20,8 10,5 


21,6 11 21,8 11,5 
22,7 12 23,0 12,5 
23,7 13 24,0 13,5 
24,8 14 25,1 14,5 
25,7 15 26,0 15,5 
26,5 16 27,0 16,5 
27,6 17 28,1 17,5 
29,2 19 29,4 19,5 
30,2 20 30,0 20,5 
30,5 21 30,8 21,5 
31,1 22 31,2 22,5 
31,8 23 32,2 23,5 


1) Z. Erkenntn. d. Kolloide. Jena 1904, 174. 


Stärke 
I 
Ia Millivolt 
32,4 
32,9 
33,4 
34,1 
34,5 
35,0 


Über das Ausfrieren von Gelen. 


t 
24 
25 
26 
27 
28 


Wasser 
II 

be Millivolt 
32,8 
33,2 
33,8 
34,3 
34,8 
35,2 
35,7 
36,1 
36,5 
37,8 
37,8 
38,1 
38,4 
38,5 
38,8 
39,0 


37,3 
35,3 
33,7 
31,8 
30,0 
28,3 
26,2 
24,8 
23,5 
21,7 
20,2 
18,9 
18,0 
16,5 
15,2 
14,0 
13,0 
11,7 
10,5 

9,7 

8,9 

8,2 

7,3 

6,5 


t 
24,5 
25,5 
26,5 


12,5 
13,5 
14,5 
15,5 
16,5 
17,6 
18,5 
19,5 
20,5 
21,5 
22,5 
23,5 


Bemerkungen 


b-Kurve. 


87 


88 H. W. Fischer und B. Bobertag: 


Hier wird die Kurve abgebrochen, das Gefäß längere Zeit 
bei 0° sich selbst überlassen, dann in die Kältemischung ge- 
stellt. Nach Beendigung des Gefrierens: 


Stärke Wasser 
I np 
e Millivolt t ` Ae Mifecht t Bemerkungen 
— 0,5 o —02 0,5 
— 0,6 1 —02 Lë 
— 0,8 2 —03 2,5 
—10 3 —05 3,5 
— 10 4 —05 4,5 
=] 5 —07 5,5 
est 6 —08 6,5 
—1,5 7 —10 7,5 
—1,6 8 —14 8,5 
— 2,4 9 —20 9,5 


Tabelle X (zu Fig. 7, Kurve II). 


Stärke Wasser 
I II 
a Millivolt t ` Ae Millivolt t Bemerkungen 
10,1 0 10,8 0,5 I enthält die Stärke. 
11,0 1 11,7 1,5 
11,9 2 13,0 2,5 
13,3 3 14,4 3,5 
14,7 4 15,6 4,5 
16,0 5 17,0 5,5 
17,3 6 18,2 6,5 
18,6 7 19,5 7,5 
20,0 8 21,0 8,5 
21,0 9 22,0 9,5 
22,1 ` 10 23,1 10,5 
23,5 11 24,2 11,5 
24,3 12 25,2 12,5 I scheint dünnflüssiger. 
25,3 13 26,2 13,5 
26,5 14 27,3 14,5 
27,5 15 28,2 15,5 
28,3 16 28,8 16,5 I ist noch stark opalesoent. 
29,0 17 29,8 17,5 
30,2 18 30,8 18,5 
31,0 19 31,5 19,5 
31,8 20 32,2 20,5 
32,2 21 33,0 21,5 
33,0 22 33,8 22,5 
33,6 23 34,2 23,5 


Stärke 


I 
1/,. Millivolt 
34,2 


ooann eeben e SE E ER SÉ SS ES ES SS NS SÉ + 


Über das Ausfrieren von Gelen. 


Wasser 


II 
Le Millivolt 
35,0 
35,3 


t 


Bemerkungen 


Opalesoenz schwächer; 


b-Kurve, 


89 


90 H. W. Fisoher und B. Bobertag: 


Stärke Wasser 
I II 
1/0 Millivolt t 1, Millivolt € Bemerkungen 

5,0 28 3,8 28,5 

4,0 29 3,2 20,5 

3,2 30 2,3 30,5 

2,8 3l 1,8 31,5 

2,1 32 — — 

Gefriert in 75 Minuten. 

—0,3 0 —08 0,5 
— 0,5 1 —12 1,5 
— 0,8 2 —12 2,5 
— 09 3 —14 3,5 
— 1,0 4 = = 
Set — 7 5,5 
— 1,2 6 — 1,9 6,5 
— 12 7 — 2,0 7,5 
— 1,7 8 —20 8,5 
— 1,9 H — 2,3 9,5 
— 23 10 — 2,6 10,5 
— 2,9 11 — 3,2 11,5 


Dieselben Schwierigkeiten stellen sich auch beim Arbeiten 
mit Tannin ein, wobei noch hinzukommt, daß Tannin das Eisen 
der Thermoelemente angreift. So haben wir von Tannin die 
a-Kurven gar nicht und von den b-Kurven nur die um den 
Gefrierpunkt herum gelegenen Stücke aufgenommen. Diese sind 
aus folgendem Grunde recht interessant. Nämlich bei gewöhn- 
licher Temperatur löst sich Tannin in Wasser in allen Ver- 
hältnissen auf, während wenige Grade über Null seine Löslichkeit 
beträchtlich abzunehmen beginnt. 


WEE 
B a SS PR a 












Die Resultate zeigen die Kurven I und II des Blattes VIII. 
Die Abscheidung des Tannins ist mit einer deutlichen Abkühlung 
verbunden, die Kreuze trennen sich, je näher man an den 
0-Punkt herankommt, mehr und mehr von den Punkten, während 


Über das Ausfrieren von Gelen. 91 


sich oder sonst gerade in diesem Gebiete relativ geringen 
Temperaturgefälles Differenzen durch das dritte Temperatur- 
gefälle gern auszugleichen pflegen. Die Trennung bleibt auch 
nach Beendigung des Gefrierens bestehen. Von einer Anwendung 
der Capillaritätstheorie hierauf kann aber gar keine Rede sein, 
da die Trennung schon vor dem Gefrieren begonnen hat und 
von einem Ausfallen des Tannins begleitet wird. Die Lösung 
trübt sich zunächst, die Trübung wächst, und schließlich bildet 
sich ein Tanninniederschlag. Wir haben es in diesem Falle ` 
mit einer schwachen, aber deutlichen Wärmetönung zu tun. 


Tabelle XI. 
Tannin Wasser 
I II 
1/,, Millivolt t &/,Millivolt t Bemerkungen 
7,8 0 7,5 0,5  Ienthält das Tannin in0,6 g. 
6,8 1 6,8 1,5 
6,0 2 6,2 2,5 
5,3 3 5,5 3,5 
4,8 4 5,0 45 I klar. 
4,0 5 4,1 5,5 
3,3 6 3,6 6,5 
2,7 7 2,9 7,5 
2,2 8 2,2 8,5 
1,5 9 1,4 9,5 I sohwach trübe. 
1,1 10 0,8 10,5 
0,3 11 0,3 11,5 
0,0 12 0,0 12,5 
— 0,5 13 2—0,4 13,5 
— 0,8 4 —05 14,5 Abscheidung. 
— 1,0 15 — 0,0 15,5 
— 0 16 0,0 16,5 
— 0,3 73 — 0,2 73,5  Gefriert in 56 Minuten. 
— 0,3 74 —02 74,5 
— 0,4 75  —0,1 75,5 
— 0,5 76 — 0,0 76,5 
— 0,6 77 — 02 77,5 
— 0,7 78 —0,3 78,5 
— 0,7 79 — 0,2 79,5 
— 0,9 SO  —0,3 80,5 
— 0,7 8l — 0,3 81,5 
— 1,1 82 — 0,4 82,5 
— 1,2 83 —05 83,5 
— 1,3 84 — 0,6 84,5 


Bemerkungen 


Bemerkungen 


I enthält 0,9 g Tannin. 


Das Tannin hat sich in 
Massen abgeschieden. 


92 H. W. Fischer und B. Bobertag: 
Tannin Wasser 
I u 
1/,.Milivot t 1/Millivolt t 
— 1,5 SR —0,7 85,5 
— 1,6 886 —09 86,5 
— 1,7 87 — LA 87,5 
— 1,7 SR — 1.2 88,5 
— 1,8 88 —1,7 89,5 
— 21 90 —2,4 90,5 
— 25 HL — 3,0 91,5 
— 2,9 92 — 3,5 92,5 
— 3,3 93 — 3,8 93,5 
Tabelle XII (zu Fig. 8, Kurve II). 
Tannin Wasser 
I D 
le Millivolt t Te Millivolt t 
9,0 0 8,0 0,5 
8,5 1 7,2 1,5 
7,8 2 6,2 2,5 
1,2 3 6,8 3,5 
6,5 4 5,0 4,5 
5,8 5 4,0 5,5 
4,5 6 3,5 6,5 
— — 2,8 7,5 
3,8 8 2,0 8,5 
3,2 9 — — 
2,2 10 1,0 10,5 
1,8 LI 0,3 11,5 
1,3 12 0,0 12,5 
1,0 13 —0/7 13,5 
0,2 l4 —10 14,5 
0 15 — — 
— — — 1h,8 16,5 
— 1,0 17  — 2,0 17,5 
— 0,5 18 — 2,2 18,5 
— 0,8 19 — 0,0 19,5 
Gefriert in 52 Minuten. 
— 0,2 72  — 0,6 72,5 
— 0,0 73 — 0,8 73,5 
— 0,1 74 —1,0 74,5 
— 0,1l 75 —Ll]l 75,5 
— 0,1 76 —1,3 76,5 
— 0,2 77 —1,6 77,5 
— 0,3 8 —1/7 78,5 
— 0,4 79 —19 79,5 


Über das Ausfrieren von Gelen. 93 


Tannin Wasser 
I II 
1/oMilivolt E Abbe Millivolb t Bemerkungen 
— 0,5 80 Sr 2,0 80,5 
—08 8 —22 815 
— 1,1 82 — 2,5 82,5 


e 1,6 83 es 3,0 83,5 
— 22 8 —32 84,5 
— 3,2 85  — 3,9 85,5 
— 3,9 Sg — 4,4 86,5 


Um nun zum Ergebnis dieser Versuche zu kommen, so 
ist nunmehr klar, daß die Grundannahme, die wir in der Ein- 
leitung gemacht haben: nämlich, daß die in einem rever- 
siblen Gele auf die Flüssigkeit wirkenden Kräfte sehr 
große sind, vollkommen falsch sein muß. 

Das folgt aus der Zusammenstellung der Resultate: 

Die beim Tannin beobachtete Abweichung liegt zwar im 
Sinne der Theorie, kann aber auch — und nach unserer Ansicht 
mit mehr Recht — ganz anders erklärt werden. 

Beim Myricylalkohol und bei der Stärke ist ein Effekt 
nicht zu beobachten, was mit einer großen Wirkung unver- 
träglich ist. 

Bei der Gelatine ist das Ergebnis das umgekehrte, wie nach 
der Theorie zu erwarten wäre. 

Wir wollen hier noch eins bemerken. Man hört gelegent- 
lich davon sprechen, daß die Gegenwart von Kolloiden das Auf- 
treten von Unterkühlungen begünstigen müßte. Das haben 
wir aber nicht beobachten können, wir fanden die Unter- 
kühlungen nicht erheblich größer als die, wie sie auch beim 
Lösungsmittel vorkommen. 

Wenn nun bei der Trennung des Geles beim Ausfrieren 
in Substanz und Lösungsmittel keine bedeutenden Kräfte zu 
überwinden sind, so sollte man bei der anderen möglichen 
Trennungsart — nämlich durch Verdampfen des Lösungsmittels — 
dasselbe erwarten. Solche Versuche sind von Pauli „über die 
Verdampfungsgeschwindigkeit von Wasser in gequollener, ober- 
flächlich abgetrockneter Gelatine und Agarplatten in einem 
getrockneten Luftstrome angestellt worden. Es zeigte sich, daß 
der größte Teil des Wassers wie aus einer freien Fläche ent- 
wich und daß nur ein kleiner Rest mit großer Gewalt fest- 


94 H.W. Fischer u. B. Bobertag: Über das Ausfrieren von Gelen. 


gehalten wurde, der erst durch Trocknen bei 95° zu entfernen 
war“.1) Daraus folgt, daß bei diesen reversiblen Gelen die Kraft, 
mit der die überwiegende Menge des im Gel befindlichen Wassers 
festgehalten wird, nur klein sein kann. 








anth ogr 


N & 


My 
D 


Gage: 
~ 


Wir führten ähnliche Versuche mit einem stark gealterten 
Chloroformgel des Myricylalkohols aus. Dasselbe war durch 
langsames Abkühlen einer ziemlich verdünnten Myricylalkohol- 
lösung?) dargestellt und dann durch Umstürzen des zuge- 
schlossenen Rohres und längeres Stehen getrocknet worden. 
Kurz vor dem Versuch wurde die Röhre aufgesprengt, der 
Myricylalkohol in ein Wägegläschen getan, dieses auf eine ana- 
lytische Wage mit geöffneten Türen gestellt und die Zeit be- 
stimmt, zu der ein bestimmtes, schon vorher aufgelegtes Ge- 
wicht erreicht war. 

Die Ergebnisse zeigt die Kurve der Fig. 9. Sie stehen 
mit Paulis Befund in bester Übereinstimmung. 

Als Resultat dieser Arbeit möchten wir hinstellen, daß 
die Kräfte, die in reversiblen Gelen zwischen dem 
Kolloid und der adsorbierten Flüssigkeit auftreten, 
nur klein sein können. 

Bei irreversiblen Gelen mögen und werden die Verhältnisse 
wohl andere sein, wie schon die Zähigkeit beweist, mit der sie 
ihr Wasser beim Austrocknen festhalten. Diese und tierische 
und pflanzliche Gewebe werden demnächst untersucht werden. 


1) Müller, Allgemeine Chemie der Kolloide, Leipzig 1907, S. 106. 
2) Jahresber. d. vaterländ. Ges. f. schles. Kultur 1809. 


Weitere Untersuchungen zur Frage des Duodenaldiabetes. 
Von 


Siegfried Rosenberg, Berlin. 
(Aus dem tierphysiologischen Institut der Kgl. landwirtschaftlichen Hoch- 
schule zu Berlin.) 


(Eingegangen am 11. April 1909.) 


Im 121. Bande des Pflügerschen Archivs hatte ich vor 
etwas mehr als Jahresfrist über Duodenalresektionen berichtet, 
welche ich an Hunden ausgeführt hatte zur Prüfung der Frage, 
ob auch bei diesen Tieren der Duodenaldiabetes in die Er- 
scheinung trete, den E. Pflüger bei Fröschen beobachtet hatte. 
Es war nämlich von Pflüger behauptet worden, daß wenn man 
Fröschen das Duodenum herausschneidet, oder das Mesenterium 
zwischen Duodenum und Pankreas durchtrennt, oder die in 
diesem Mesenterialabschnitt verlaufenden Nerven funktions- 
unfähig macht, dann ein schwerer, bis zum Tode der Tiere an- 
haltender Diabetes sich einstellt, welcher den durch Pankreasexstir- 
pation erzeugten an Intensität noch übertreffen sollte. Das 
Zustandekommen dieses Duodenaldiabetes erklärt Pflüger durch 
die Annahme, daß einer in der Bauchspeicheldrüse gelegenen 
Arbeitskraft die Aufgabe zufalle, das Anwachsen des Zucker- 
gehaltes in den Gewebssäften zu hindern. Diese antidiabetische 
Kraft werde dem Pankreas durch Nerven verliehen, welche 
vom Duodenum herkommen; ihre vollkommene Zerstörung 
durch die angeführten Operationen hemme die Bildung von 
antidiabetischem Ferment und müsse daher eine dauernde 
Zuckerausscheidung zur Folge haben. 

Mit dieser Auffassung Pflügers standen die Resultate nicht 
in Einklang, welche Ehrmann-Lauwens und ich nach Duo- 
denalresektionen an Hunden erhalten hatten. Denn obwohl hier 
der Pflügerschen Forderung: alle nervösen Verbindungen 


96 S. Rosenberg: 


zwischen Darm und Drüse zu unterbrechen, vollkommen ge- 
nügt war, trat — abgesehen von vereinzelten Glykosurien vor- 
übergehender Natur — doch kein Diabetes auf, trotzdem 
verschiedene Tiere den Eingriff hinreichend lange überlebten, 
um den von Pflüger gegen Ehrmann erhobenen Einwand, 
daß nur ein vorzeitiger Tod der Tiere die Zuckerharnruhr 
nicht habe in die Erscheinung treten lassen, als ganz unzulänglich 
zu erweisen. Immerhin schien mir selber jedoch große Vor- 
sicht in der Beurteilung der ganzen Sachlage aus dem Grunde 
geboten, weil schon lange vor Pflüger von zwei italienischen 
Forschern, de Renzi und Reale, die Existenz eines Duodenal- 
diabetes behauptet worden war und auch durch entsprechende 
Operationen an Hunden gesichert erschien. Um zu einem 
endgültigen und abschließenden Urteil zu gelangen, war es also 
durchaus notwendig, die Frage noch weiter zu bearbeiten und 
sowohl die Behauptungen de Renzi’s und Reale’s, als auch 
die Pflüger’s selber einer Nachprüfung zu unterziehen. 

Inzwischen sind eine ganze Reihe von Duodenalresektionen 
an Hunden auch von anderen Forschern ausgeführt worden, die 
entsprechend Ehrmanns und meinen Befunden in bezug 
auf eine dauernde Zuckerausscheidung zu negativen Resultaten 
führten. So sah Minkowski bei zwei Hunden, denen er mit 
dem größten Teil des Pankreas das Duodenum total entfernte, 
nach einer vorübergehenden Glykosurie keine weitere Zuoker- 
ausscheidung eintreten, auch dann nicht, wenn die Tiere reichlich 
mit Kohlenhydraten gefüttert wurden. Als aber einem der Hunde 
4 Wochen nach der Darmresektion der Pankreaarest fort- 
genommen wurde, da war sofort ein Diabetes mit sehr erheb- 
licher Zuckerausscheidung vorhanden. 

Visentini machte an 8 Hunden Duodenalresektionen, die 
er zum Teil mit partiellen Pankreasexstirpationen kombinierte, 
und auch er konnte in keinem Falle einen dauernden Diabetes 
beobachten. 

Tiberti fand bei 9 Hunden, denen er das Duodenum 
fortgenommen hatte, niemals eine Zuckerharnruhr; doch läßt 
sich gegen seine Befunde der Einwand erheben, daß seine 
Versuchstiere zu schnell gestorben seien, als daß seinen Schlüssen 
eine Beweiskraft zugesprochen werden könnte. Dagegen blieben 
von 30 Hunden, denen Cimoroni nicht bloß das Duodenum, 





Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 97 


sondern auch ein Drittel des Magens reseziert hatte, 4 Tiere 
5 bis 12 Tage am Leben, ohne eine Spur von Zucker im Urin 
auszuscheiden. 

Gegen diese ausgedehnten Operationen könnte ein Einwand 
erhoben werden, den Pflüger angesichts der positiven Befunde 
de Renzi’s und Reale’s Minkowski gegenüber geltend macht, 
nämlich, daß „eine ungeheuer große Zahl von Organen verletzt 
und Nervenplexus zerschnitten“ worden seien, „die von de Renzi 
und Reale gar nicht berührt worden sind“. Die Verschieden- 
heit der Operationseingriffe soll also die Verschiedenheit der 
Wirkung erklären. Ein derartiger Einwand ist aber vollkommen 
unzulässig. Denn zunächst ist bisher noch von niemand, auch 
von Pflüger nicht, ein Beweis dafür erbracht worden, daß 
die Verletzung zahlreicher Organe und die Durchschneidung 
vieler Nervenplexus das Zustandekommen eines Diabetes ver- 
hindert. Daß dieses nicht geschieht, geht ja gerade aus der 
bei Minkowski’s erstem Hunde gemachten Beobachtung hervor, 
bei dem trotz aller dieser Läsionen ein Diabetes eintrat, als 
4 Wochen nach der Duodenalresektion der Pankreasrest ent- 
fernt wurde. Ferner ist ausschließlich und allein bei diesen 
ausgedehnten Operationen der Pflügerschen Forderung Genüge 
geleistet, alle zwischen Duodenum und Pankreas verlaufenden 
Nervenbahnen zu durchtrennen, nicht aber bei dem Verfahren 
von de Renzi und Reale, welche den Darm erst unterhalb 
der Einmündungsstelle des Wirsungschen Ganges resezierten, 
so daß alle oberhalb desselben zwischen Darm und Drüse 
verlaufenden Nerven vollkommen intakt und funktionsfähig 
blieben. Nun vertritt Pflüger den Standpunkt, daß ein 
Diabetes nicht eintreten könne, wenn das Pankreas Gelegenheit 
habe, sich mit den nervösen Zentren in Beziehung zu setzen. 
Das ist aber bei dem Öperationsverfahren von de Renzi und 
Reale sicher der Fall; also muß entweder Pflügers Theorie 
falsch sein, wenn die Beobachtung der italienischen Forscher 
richtig ist, oder aber Pflüger’s Theorie ist richtig, und dann 
muß ein Fehler in der Beobachtung de Renzi’s und Reale’s 
stecken. Jedenfalls also war esnotwendig von diesem Gesichtspunkt 
aus und weil diese Forscher ganz allein und im Gegensatz zu 
allen anderen Experimentatoren nach Duodenalresektion einen 


Diabetes gemeldet hatten, zu prüfen, ob eine unterhalb der 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 7 


98 S. Rosenberg: 


Einmündungsstelle des Wirsungschen Ganges vorgenommene 
Darmresektion tatsächlich zu einer dauernden Zuckerausscheidung 
führt. Eine derartige Nachprüfung war schon vor vielen Jahren 
von Weintraud vorgenommen worden, worüber Minkowski ° 
folgendes berichtet: „Unter zehn Versuchen, bei welchen der 
Dünndarm einschließlich des Duodenums in mehr oder weniger 
großer Ausdehnung (bis zur Länge von 3 bis 4 m) exstirpiert 
wurde, fand Weintraud nur 4 mal ganz vorübergehend gering- 
fügige, quantitativ nicht bestimmbare Zuckermengen im Harn. 
Ein Diabetes trat bei keinem dieser Tiere ein.“ 

Ich selber habe in bezug auf diese Frage folgenden Ver- 
such angestellt: 

Einer Terrierhündin von 8600 g Gewicht wird am 30. IV. 08 der 
Dünndarm von da an, wo der Processus uncinatus des Pankreas an den- 
selben herantritt, in einer Ausdehnung von ca. 40 cm reseziert. Die 
durchschnittenen Darmlumina werden durch doppelte Nahtreihe in sich 
geschlossen und die Darmkontinuität durch Seit- an Seitanastomose 
wiederhergestellt. Zur Hebung der Herzkraft erhält der Hund nach Be- 
endigung der Operation eine Subcutaninjektion von 0,75 ocm einer 19/0 
Epirenanlösung. Der am 1. V. entleerte erste Urin enthielt Zucker; von 
da an bis zur Beendigung der Beobachtung am 20. V. war er stets 
zuckerfrei. Die Untersuchungen auf Dextrose wurden stets mittels der 
Reduktionsmethode nach Fehling, mittels der Gärung und Polarisation 
vorgenommen, Am 20. V. werden dem Hunde im nüchternen Zustande 
nach vorangegangener Morphinisierung 50 ocm 10°/, NaOH -Lösung 
mittels Schlundsonde in den Magen gegossen. Es erfolgt Erbrechen, 
worauf der Einlauf sofort wiederholt wird. Am nächsten Morgen ist der 
Hund tot. Urin war nicht mehr gelassen worden, auch war die Blase 
leer und fest kontrahiert. Bei der Obduktion erwies sich der Magen 
und die daranstoßende obere Duodenalpartie als gangränös; die Resek- 
tionsstelle war mit der Nachbarschaft vielfach verwachsen; 

Pflüger selber hat drei gelungene Darmresektionen nach 
der Methode von de Renzi und Reale ausgeführt. Bei einem 
seiner Hunde, bei dem die Beobachtung über 28 Tage aus- 
gedehnt wurde, fand sich niemals eine Spur von Glykosurie, bei 
den beiden anderen wurden periodisch ganz geringfügige Zucker- 
ausscheidungen beobachtet. Es handelte sich also auch in den 
Pflügerschen Fällen nicht um Diabetes, sondern nur um vor- 
übergehende Glykosurien. Pflüger sieht hierin allerdings eine 
periodisch auf und ab schwankende diabetische Disposition, die 
mit antidisbetischer wechselt, und ist geneigt, diese Erscheinung 
zu erklären „aus dem Kampfe antagonistischer Kräfte, welche 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 99 


den Stoffwechsel der Kohlenhydrate regeln“. Nun ist dieser 
Kampf antagonischer Kräfte etwas sehr Hypothetisches, und es 
fragt sich, ob die beobachteten Erscheinungen sich nicht sehr 
viel einfacher erklären lassen. Das ist in der Tat der Fall, 
wie folgende Beobachtung lehrt. 

Am 29. III. 09 wird eine ganz normale, 8300 g schwere Hündin, an 
der noch nie ein operativer Eingriff vorgenommen worden war, in einen 
Stoffwechselkäfig gesetzt und mit dem aus Fleisch und Reis bestehenden 
Normalfutter unserer Laboratoriumshunde gefüttert. Am 30. III. zeigt 
der Urin dieses Hundes bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion 
deutliche Grünfärbung und scheidet innerhalb der nächsten 24 Stunden 
ein geringes Sediment von wenigen Körnchen roten Kupferoxyduls aus. 
Nach der Gärung bleibt die Grünfärbung bestehen, ein Sediment fällt 
aber nicht mehr aus. Am 31. III. zeigt der Harn abermals Grünfärbung 
und Ausfallen eines roten Sediments in Spuren; nach dem Vergären 
wird kein Sediment mehr ausgefällt und keine grüne Reaktion mehr er- 
zielt. Am 1. IV. wird kein Urin entleert; der am 2. IV. entleerte gibt 
mit dem Worm-Müllerschen Reagens wieder Grünfärbung, die nach der 
Gärung nicht verschwindet. 

Aus diesem Versuch ergibt sich — da die durch Vergärung 
zum Schwinden zu bringende Ausfällung von rotem Kupfer- 
oxydul sicherlich auf das Vorhandensein kleiner Zuckermengen 
im Harn zu beziehen ist — erstens, daß kleine Zuckermengen 
auch von einem normalen, nicht operierten Hunde aus- 
geschieden werden können, und zweitens, daß das Eintreten von 
Grünfärbung bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion 
nicht ohne weiteres auf das Vorhandensein von Zucker bezogen 
werden darf, da bei diesem Hunde, wie auch bei einem zweiten, 
die Grünfärbung nicht immer nach der Vergärung verschwand. 
Jedenfalls besteht nach dem Ausfall dieses Versuches gar keine 
Notwendigkeit, eine vorübergehende geringfügige Zuckeraus- 
scheidung beim Hunde als eine durch eine etwaige Darm- 
resektion bedingte diabetische Disposition zu betrachten, vielmehr 
ist danach auch für die Pflügerschen Hunde die Deutung 
zulässig, daß es sich auch bei ihnen lediglich um eine physio- 
logische Glykosurie gehandelt habe, die zu dem vorangegangenen 
operativen Eingriff in gar keiner Beziehung steht. — Wenn 
neuerdings de Renzi und Reale geneigt sind, die von ihnen 
gemeldeten Zuckerausscheidungen nach Duodenalresektion auf 
das Konto der dabei entstandenen multiplen Verwachsungen 
zu setzen, so geben sie damit doch selber zu, daß die Ent- 

7* 


100 B. Rosenberg: 


fernung des Duodenums an sich für die Entstehung des Diabetes 
gar nicht das Wesentlichste ist. Pflüger sucht ihre Position 
allerdings durch folgende Bemerkung zu halten: 

„Die italienischen Forscher legen ein besonderes Gewicht darauf, daß 
bei ihrem Verfahren eine bedeutende Verklebung der Darmschlingen 
unter sich und mit ihrer Nachbarschaft eintritt. Ich glaube in der Tat, 
daß hierin vielleicht der Schlüssel zum Verständnis der Ergebnisse zu 
suchen ist. Man muß daran denken, daB wegen der Verwachsungen bei 
den peristaltischen Bewegungen der Gedärme vielfache Zerrungen fort- 
während vorkommen, welche eine Mißhandlung der Nervengeflechte der 
Serosa, der Muscularis und der Mucosa bedingen. Es können hierbei 
die Funktionen von Hemmungs- und Erregungsnerven, d. h. verschieden- 
artige Kombinationen antagonistischer Kräfte sich geltend machen.“ 

Diese Spekulation steht mit den Tatsachen nicht in Ein- 
klang, wie jeder weiß, der wie ich Hunderte von Laparotomien 
am Hunde ausgeführt und in Dutzenden von Obduktionen das 
Vorhandensein von Verwachsungen konstatiert hat, ohne daß 
diese — wie de Renzi und Reale wollen — zu einem dauern- 
den Diabetes geführt hätten. Ich will aber zwei positive Bei- 
spiele anführen. Bei dem oben erwähnten Versuch, bei dem ich 
zur Nachprüfung der Behauptungen de Renzi’s und Reale’s 
einem Hunde nach der Methode der italienischen Forscher das 
Duodenum reseziert hatte, fand ich bei der ca. 3 Wochen nach 
der Operation ausgeführten Obduktion vielfache Verwachsungen 
zwischen der Resektionsstelle und den Nachbarorganen. Eine 
Zuckerausscheidung hatte aber nur am Tage nach der Operation 
stattgefunden, bei der noch dazu dem Hunde zur Hebung der 
Herzkraft eine Epirenaninjektion gemacht worden war, die allein 
schon die vorübergehende Glykosurie bedingt haben kann. Ferner, 
gelegentlich meiner Untersuchungen: „Über den Einfluß des 
Pankreas auf die Resorption der Nahrung“ ist bei Hund V ge- 
legentlich einer Relaparotomie vermerkt, daß ‚viele straffe Ad- 
häsionen zu lösen waren“. Und trotzdem war der Harn, 
wie aus den einzelnen Versuchsprotokollen hervorgeht, stets frei 
von Zucker gefunden worden. 


Ziehen wir aus den bisher besprochenen Versuchen und 
Betrachtungen die Summe, so ergibt sich, daß weder totale 
Resektionen des Duodenums, noch partielle nach de Renzi 
und Reale beim Hunde jemals einen Diabetes zur Folge gehabt 
hat, wie ihn Pflüger bei seinen Froschversuchen gesehen hat. 





Weitere Untersuohungen des Duodenaldisbetes. 101 


Eine klinische Beobachtung von E. Zack schien dann aber 
doch eine neue Stütze für das Vorhandensein eines Duodenal- 
diabetes auch beim Warmblüter abzugeben. Zack hatte näm- 
lich Gelegenheit, drei Selbstmörder zu beobachten und zu ob- 
duzieren, welche sich durch das Trinken ätzender Flüssigkeiten 
ums Leben gebracht hatten. Bei zweien von ihnen wurde im 
Urin Zucker ausgeschieden, und bei diesen beiden war neben 
Oesophagus und Magen auch das Duodenum verätzt. Bei dem 
dritten, bei dem das Duodenum intakt gefunden wurde, war 
der Urin auch frei von Zucker. Diese Beobachtung war die 
Veranlassung zu systematischen Untersuchungen, durch welche 
festgestellt werden sollte, ob durch Verätzung der Duodenal- 
schleimhaut eine Zuckerausscheidung herbeigeführt werden könne. 
Zunächst verätzten Eichler und Silbergleit Hunden mittels 
Lauge, beziehentlich mittels des Pacquelin die Duodenalschleim- 
haut, nach deren tiefgehender Zerstörung sie stets Zucker im 
Urin fanden. Sie beobachteten aber auch Glykosurie, wenn in 
analoger Weise die Schleimhaut tiefer gelegener Dünndarmpar- 
tien zerstört wurde, eine Beobachtung, die kurz darauf von 
Zack bestätigt wurde. Das Duodenum verhielt sich also nicht 
anders als andere Dünndarmabschnitte. Die Zuckerausscheidung 
trug nach Dauer und Intensität stets den Charakter einer vor- 
übergehenden Glykosurie; eine Pankreasschädigung lag ihr nach 
Maßgabe der Obduktionen nicht zugrunde, und die Autoren kommen 
zu dem Schluß, daß es sich bei ihren Versuchen nicht um einen 
Diabetes, sondern um eine hepatogene Glykosurie gehandelt habe, 
unter Hinweis auf die Tatsache, daß starke Reize des Nerven- 
systems die Leber zu einer Glykogenausschüttung veranlassen 
und so die Ursache für eine Zuckerausscheidung geben könnten. 
An dieser Auffassung der Autoren übt Pflüger eine überaus 
scharfe Kritik und sieht im Gegensatz zu Eichler und Silber- 
gleit in der der Verätzung folgenden Zuokerausscheidung nicht 
eine vorübergehende Glykosurie, sondern eine diabetische Mani- 
festation. Daß die Zuckerausscheidung keinen dauernden Charak- 
ter hat, erscheint ihm ganz natürlich. Denn — meint er — 
es ist doch zu beachten: 

„daß bei den bisher geübten Exstirpationeon oder den Ätzungen der 
Schleimhaut des Dünndarmes nur ungefähr !/,, derjenigen Region be- 


troffen wird, welche glykosurische Beziehungen besitzt, die wohl un- 
zweifelhaft durch die nervösen gangliösen Plexus der Darmwand vermittelt 


102 S. Rosenberg: 


werden. Fest steht aber das allgemeine Naturgesetz, daß der durch Zer- 
störung oder Schädigung eines Organes bedingte Funktionsausfall schnell 
ersetzt wird dadurch, daß andere Organe, welche dieselbe Funktion aus- 
üben, durch gesteigerte Arbeit den Schaden ausgleichen. Ist also ein 
kleiner Teil des Nervenorganes in der Darmwand geschädigt, kompensiert 
sofort der viel größere unbeschädigte Teil den entstandenen Verlust.‘ 

Ist diese Betrachtung richtig — und ihre Richtigkeit soll 
nicht angezweifelt werden —, so ergibt sich m. E. daraus mit 
Sicherheit, daß Ehrlich und Silbergleit in der Tat nur eine 
vorübergehende Glykosurie und keinen Diabetes vor sich gehabt 
haben. Denn der Diabetes stellt eine Stoffwechselstörung dar, 
bei welcher der Organismus die Fähigkeit, Zucker in normalem 
Ausmaß zu oxydieren, dauernd verloren hat. Kann er also 
die Anomalie durch irgend eine kompensatorische Einrichtung 
noch beseitigen, so treten wieder normale Verhältnisse ein, das 
heißt in diesem Falle, es ist kein Diabetes vorhanden. Ganz 
gleichgültig ist es ferner, daß — wie Pflüger anführt — Claude 
Bernard und auch andere, die nach dem Zuckerstich auf- 
tretende und meist innerhalb weniger Stunden abklingende Gly- 
kosurie als Diabetes bezeichnet haben. Das beweist nur, daß 
selbst hervorragende Autoren sich gewisse sprachliche Nach- 
lässigkeiten zuschulden kommen lassen, indem sie die Be- 
zeichnungen ‚„Glykosurie‘‘ und ‚Diabetes‘ promiscue gebrauchen, 
aber es beweist nicht, daß vorübergehende Zuckerausscheidungen 
und Diabetes identische Begriffe sind. 

Ferner macht Pflüger für das schnelle Abklingen der 
Glykosurie in den Fällen von Ehrlich und Silbergleit die 
Wahrscheinlichkeit geltend, daß nach der Atzung sehr schnell 
eine Restitutio ad integrum eingetreten sei; und in dieser Hin- 
sicht führt er an, daß er selbst einen Fall beobachtet habe, 
in welchem 10 Tage nach sehr energischer Höllensteinätzung die 
mikroskopische Untersuchung der geätzten Schleimhaut nirgends 
ein Fehlen der Zotten oder größere Narben erkennen ließ. Es 
liegt auch eine klinische Beobachtung vor, welche dafür spricht, 
daß die Zuokerausscheidung nur so lange andauert, als die Läsion 
vorhanden ist, nämlich ein Fall von Sohlern, der bei einem 
Patienten mit Duodenalgeschwür eine Glykosurie konstatierte, 
die mit der Heilung des Geschwüres verschwand. Aber ein 
solcher Fall stützt doch nur die Auffassung Eichlers und 
Silbergleits, daß die Zuckerausscheidung eine Folge der 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 103 


Reizung sensibler Nerven sei, also ein Reflexreiz, wie ihn Pflüger 
selber zur Erklärung der von ihm beobachteten vorübergehen- 
den Glykosurie nach Durchschneidung des Peritoneums zwischen 
Magen und Pankreas heranzieht. Wenn also Pflüger in diesen 
Versuchen, entgegen der Auffassung der Autoren selber, eine 
Stütze für die Lehre vom Duodenaldiabetes sieht, so kann dem 
schlechterdings nicht beigestimmt werden. 

Ebensowenig beweisend für die Pflügersche Lehre scheinen 
mir die Beobachtungen, welche R. Gaultier an zwei Hunden 
machte, denen er die Duodenalschleimhaut mittels des Höllen- 
steinstiftes verätzt hatte. Das eine Tier überlebte den Eingriff 
4 Tage, während welcher es dauernd Zucker ausschied. Der 
andere Hund, welcher sich nach dem Eingriff vollkommen er- 
holt hatte, war bis zu seiner Tötung 11 Tage lang glykosurisch. 
Was an diesen Beobachtungen wenig befriedigt, ist die große 
Ungenauigkeit der Mitteilung. Gaultier gibt mit keinem Worte 
an, auf welche Weise er das Vorhandensein von Zucker nach- 
gewiesen hat. Er schätzt seine Menge beim ersten Hunde auf 
„ungefähr“ 10 g im Liter Harn. Auffallend ist dabei die 
Bemerkung, daß die Zuckerausscheidung während der 4 Tage 
des Überlebens anhielt, während die Autopsie Heilung der 
geätzten Stelle ergab. Das stimmt nicht mit Pflügers An- 
schauung überein, nach welcher die Wiederherstellung normaler 
Verhältnisse an der Schleimhaut auch zu einem Aufhören der 
Glykosurie führt. — Auch über den zweiten Hund Gaultiers 
erfahren wir nichts Genaues. Er schied bis zu seiner Tötung 
dauernd Zucker aus, doch nahm die Menge immer mehr ab. 
Auf welche Weise die Zuckerdiagnose gesichert und die Zucker- 
menge bestimmt wurde, erfahren wir auch in diesem Falle nicht; 
es wird nur berichtet, daß die Zuckerausscheidung im Harn ‚‚unge- 
fähr 3 bis 4g im Liter“ betrug. Das Tier wird getötet, aber ein 
Obduktionsbericht nicht gegeben. — Oberflächlicher kann eine 
wissenschaftliche Mitteilung wahrlich nicht sein, und darum ist sie 
als Beweismaterial zur Lösung eines Problems auch wenig 
geeignet. 

Ich selber habe sieben Hunden mit 15°/, Natronlauge und 
zweien mit dem Höllensteinstift das Duodenum verätzt. Da die 
Versuche stets gleichsinnig ausfielen, so will ich nur einige 
als Beispiele anführen. 


104 S. Rosenberg: 


Am 16. VI. 08 wird ein Hund laparotomiert, der Magen an der Pars 
pylorica eröffnet und ein Gummiröhrchen durch den Pylones in das 
Duodenum eingeführt. Durch dieses Röhrchen werden in das distal- 
wärts zugeklemmte Duodenum 50 ccm 15°/, NaOH-Lauge eingegossen, nach 
ca. 5 Minuten die Abklemmung des Darmes aufgehoben und Magen- und 
Bauchwunde geschlossen. 

Am 17. VI. scheidet der Hund einen alkalisch reagierenden, eiweiß- 
haltigen Urin aus, der nach dem Enteiweißen Fehlingsche Lösung reduziert, 
optisch aber inaktiv ist und mit einer wirksamen Hefe keine Gärung ergibt. 

Am 18. VI. zeigt der Harn dieselben Eigenschaften, nur ist die 
Reduktion schwächer als tags zuvor. Gärung und Polarisation sind 
auch in dieser Harnportion negativ. An diesem Tage stirbt der Hund, 
und die Obduktion ergibt Nekrose des Darmes. 

Wenn in diesem Falle der reduzierende Körper im Harn als Zucker 
angesprochen werden soll, so war seine Menge jedenfalls so minimal, daß 
sie durch Gärung und Polarisation nicht nachgewiesen werden konnte, — 

Am 17. VI. 08 wird ein Hund genau in derselben Weise, wie der 
vorige verätzt. Er stirbt am 18. VI. infolge totaler Nekrose des Duo- 
denums. Der Harn, den er am Tage der Operation entleert hatte, sowie 
der in der Blase befindliche, ist blutig und reagiert alkalisch; Nach dem 
Enteiweißen reduziert er Fehlingsche Lösung, dreht aber die optische 
Ebene nicht und gibt mit einer wirksamen Hefe keine Gärung. Also 
auch in diesem Falle kann es sich allenfalls um nur minimale Zucker- 
spuren gehandelt haben. 

Am 17. II. 09 wird ein Hund laparotomiert, die Pars pylorica des 
Magens eröffnet, von der Magenwunde ein Höllensteinstift durch den Pylorus 
in das Duodenum eingeführt und hier mehrere Minuten hin und her 
bewegt. Ein ca. 2 om langes Stück des Argentumstiftes bricht ab und 
verschwindet im Darm. Am nächsten Morgen wird der Hund tot vor- 
gefunden. Bei der Obduktion erweist sich die Schleimhaut des Pylorus 
und des Duodenums in einer Ausdehnung von ca. 4 cm vollkommen ver- 
ätzt, ist grauweiß und lederhart. Die Blase ist strotzend mit ikterischem 
Urin gefüllt, der Worm-Müllersche Lösung lebhaft reduziert, aber 
weder optische Aktivität nooh Gärung erkennen läßt. — Auch hier 
kann es sich also höchstens um Zuckerspuren gehandelt haben, voraus- 
gesetzt, daß der reduzierende Körper überhaupt Zucker war. 

Am 2. IIL 09 wird ein kleiner Hund von 7000 g Gewicht laparoto- 
miert, das Duodenum unmittelbar hinter dem Pylorus eröffnet und die 
Schleimhaut mit dem Höllensteinstift mehrere Minuten lang touchiert. 
Der Darm wird sofort hart wie Leder, so daß bei der Naht die Darm- 
nadeln zerbrechen und schließlich mit gewöhnlichen dreikantigen Nadeln 
genäht werden muß. Da die Schnittränder sich infolge der Härte des 
Darmes nicht gut aneinander legen, wird die Nahtstelle durch Überpflanzen 
eines Netzstückes gesichert. 

Am 4. III. hat der Hund den ersten Urin entleert. Derselbe redu- 
ziert Worm-Müllersche Lösung, zeigt schwache Rechtsdrehung und 


geringfügige Gärung. 


— — 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 105 


Am 5. LI. fällt Polarisation und Gährung bereits negativ aus, 
während der Harn mit dem Worm-Müllerschen Reagens eine grüne 
Farbe annimmt und im Laufe der nächsten 24 bis 48 Stunden ein mini- 
males gelbrotes Sediment aus wenigen Körnchen Kupferoxydul und 
Kupferoxydulhydrat ausfallen läßt. Nach Vergärung gibt der Harn 
wieder mit Worm-Müller eine grüne Farbe, läßt aber kein Sediment 
mehr ausfallen. 

Dieses Verhalten zeigt der Urin bis zum 18. III. 

Am 19. III. werden dem Hunde beide Hoden exstirpiert. Der nach 
dieser Operation am 21. III. entleerte erste Urin reduziert Worm-Müller- 
sche Lösung sehr kräftig unter Ausfällung einer größeren Menge roten Sedi- 
ments, dreht die optische Ebene nach rechts und gibt mit Hefe eine 
deutliche Gärung. 

Vom 22. III. bis zum 2. IV., wo die Untersuchung abgebrochen 
wird, verhält sich der Harn genau so wie vor der Kastration. 

Bei diesem Hunde hat sich also nur im ersten Harn nach der Ver, 
ätzung eine Zuokermenge gezeigt, die durch Polarisation und Gärung 
nachweislich war. Aber die gleiche Erscheinung trat auch in der ersten 
nach der Kastration entleerten Urinportion auf. Und wenn man hier die 
Glykosurie ohne Zweifel als eine Folge der Reizung sensibler Nerven an- 
sehen muß, so steht niohte im Wege, auch die nach der Ätzung eintretende 
Zuckerausscheidung in gleichem Sinne zu deuten. 

Auch an den übrigen Beobachtungstagen enthielt der Harn zweifellos 
Zuckerspuren; das geht hervor aus der Tatsache, daß nach der Reduk- 
tion sich bei längerem Stehen Spuren von Kupferoxydul und Kupfer- 
oxydulhydrat absetzten, die in vergorenem Harn nicht zur Ausscheidung 
gelangten. Allein diese Mengen waren genau so minimal, wie ich sie 
auch — worauf oben schon hingewiesen wurde — bei einem ganz nor- 
malen, nicht operierten Tiere beobachten konnte. Und demgemäß halte 
ich es für zulässig, sie für den Ausdruck einer physiologischen Glykosurie 
zu halten, und das um so mehr, als sie einerseits eben nur durch die 
überaus empfindliche Worm-Müllersche Reaktion nachweisbar waren, 
und wir andrerseits durch Sohöndorff’s Untersuchungen darüber belehrt 
worden sind, daß physiologische Glykosurien viel häufiger und in viel 
weiteren Grenzen vorkommen, als man das bis dahin allgemein annahm. 


Aus der Summe aller mitgeteilten Ätzversuche ergibt sich 
also — soweit die Beschreibung eine Kontrolle gestattet —, 
daß die danach beobachteten Zuckerausscheidungen nur sehr 
geringfügig und schnell vorübergehend waren, daß es sich dabei 
aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Reflex auf die Reizung 
sensibler Nerven gehandelt habe, und daß sie schlechterdings 
nicht als Beweise für die Existenz eines Duodenaldiabetes an- 
gesprochen werden können. 

Es bleibt noch ein wichtiger Versuch zu besprechen, durch 


106 S. Rosenberg: 


welchen Herlitzkaeinen Beweis für die Richtigkeit der Pflüger- 
schen Lehre gebracht zu haben glaubt. In der Absicht, die 
Ganglienzellen des Darmes zu vergiften und funktionsunfähig zu 
machen, spritzte dieser Autor Fröschen vom Magen her ein Nicotin- 
Vaselingemisch in das Duodenum, welches an einer weiter 
abwärts gelegenen Stelle unterbunden war, so daß das Nicotin- 
gemisch an Ort und Stelle liegen bleiben mußte. Kontrolltiere 
erhielten reines Vaselin in den Darm gespritzt, anderen wurde 
nikotinhaltiges Vaselin unter die Rückenhaut injiziert. Während 
nun die Kontrolltiere nur ausnahmsweise geringe Zuckermengen 
ausschieden, geschah das von den Versuchsfröschen fast regel- 
mäßig und zum Teil in bedeutendem Maße, und Herlitzka 
kommt auf Grund dieser Versuchsergebnisse zu folgendem 
Schluß: „Was aus meinen Versuchen mit Sicherheit hervorgeht, 
ist die Notwendigkeit der Unverletztheit der Ganglienzellen, 
der Duodenumwand für die normale innere Sekretion der Pankreas, 
und damit habe ich die Pflügerschen Versuche sowie seine Lehre 
der Abhängigkeit der inneren Sekretion von dem Nervensystem 
vollkommen durch eine neue Methode bestätigt.“ Ein solcher Schluß 
würde allenfalls berechtigt sein, wenn das Nicotin lediglich 
lähmend auf die Ganglienzellen des Darmes einwirken würde. Wir 
wissen aber, daß es nur wenige Organe gibt, die von diesem Gift 
nicht beeinflußt werden. So steht es fest, daß durch Nicotin 
gerade beim Frosch die Atmung sehr schnell herabgesetzt wird, 
und daß das Blut mit Nicotin vergifteter Tiere die Eigenschaften 
des Erstickungsblutes zeigt. Daraus läßt sich schließen, daß das 
Gift die Sauerstoffversorgung des tierischen Körpers herabsetzt, 
und da Sauerstoffmangel bekanntlich zur Glykosurie führt, so 
wäre es denkbar, die von Herlitzka beobachteten Erscheinungen 
auf diese Weise zu erklären. Noch wahrscheinlicher erscheint 
es mir, daß das sehr stark reizende Gift auf die Darm- 
schleimhaut nach Art eines Ätzmittels gewirkt habe, und daß 
die nach seiner Einverleibung beobachtete Zuckerausscheidung 
die Folge einer Reflexwirkung ist. Falsch ist in jedem 
Falle Herlitzkas Meinung von der „Notwendigkeit der Un- 
verletztheit der Ganglienzellen der Duodenumwand für die 
normale innere Sekretion des Pankreas“. Das ergibt sich aus 
der nunmehr ganz sichergestellten Tatsache, daß man bei Warm- 
blütern das ganze Duodenum mit samt den Ganglien entfernen 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 107 


kann, ohne einen Diabetes zu erzielen. Es zeigt sich also, 
daß auch diese Versuche Herlitzkas für die Pflügersche 
Lehre ganz ohne Bedeutung sind. 

Es bleiben also nur Pflügers eigene Froschversuche als 
Stütze seiner Diabeteslehre übrig; aber auch diese Versuche 
wurden in eine ganz neue Beleuchtung gerückt durch die Fest- 
stellung Löwits, daß es auch beim Frosch einen Kältediabetes 
gibt. Pflüger hatte nämlich seine Frösche stets, um ihre 
Lebensdauer zu erhöhen, in eine Eiskammer gesetzt, underschildert 
das von ihm geübte Verfahren folgendermaßen: „Der für den 
Versuch bestimmte Frosch soll wenigstens 24 Stunden im Eis- 
schrank hinreichend abgekühlt worden sein. Nach vollzogener 
Operation wird das Tier in eine Eiskammer gesetzt, welche eine 
Metalltrommel von 30 om Durchmesser und 12cm Höhe dar- 
stellt. Der Boden und Deckel der Trommel besteht aus weit- 
löcherigem Metallnetz. Die Trommel wird ganz mit groben 
Eisstücken gefüllt, und der mit Urinal versehene Frosch zwischen 
diese gelegt. Nachdem der Deckel die Trommel geschlossen 
hat, schichtet man abermals große Eisklötze auf das Drahtnetz 
des Deckels. 

Die so beschickte Trommel wird nun auf eine große 
Porzellanschale gestellt, in welche das Schmelzwasser abfließt, 
so daß der Frosch immer auf Eis von 0°C liegen bleibt. Um 
die Schnelligkeit des Abschmelzens zu verkleinern, deckt man 
ein dickes mit Eiswasser getränktes Tuch über den Deckel. 
Steht der Apparat an einem kühlen Ort, so hält sich das Eis 
24 Stunden unter dem Frosch. Ist das nicht der Fall, muß 
die Trommel mehrmals am Tage mit frischen Eisstücken 
beschickt werden.“ Die auf diese Weise behandelten Frösche 
ergaben nach Exstirpation des Duodenums oder nach Spaltung 
des Peritoneums zwischen Duodenum und Pankreas bei An- 
stellung der Worm-Müllerschen Reaktion mit dem in Uri- 
nalen aufgefangenen Harn stets deutliche Zuckerreaktion; und 
Pflüger legte sich, eingedenk der bei Warmblütern beobach- 
teten Kälteglykosurie, selber die Frage vor, ob die Zuckeraus- 
scheidung bei seinen Fröschen nicht ebenfalls eine Folge der 
Kältewirkung sei. Zur Lösung dieser Frage legte er einen 
normalen, nicht operierten Frosch in seine Eistrommel und 
beobachtete ihn 6 Tage lang. Dieser Frosch schied keinen 


108 S. Rosenberg: 


Zucker aus, und so kam Pflüger auf Grund dieses einen 
Versuches zu der Auffassung, daß beim Frosche eine Kälte- 
glykosurie nicht existiert. Diese Meinung aber trifft nicht zu, 
denn neuerdings hat Löwit gezeigt, daß Kältewirkung auch 
beim Frosche eine Zuckerausscheidung zur Folge hat, und ich 
kann das durch eigene Versuche bestätigen, die ich gleich nach 
Löwits erster Mitteilung im Sommer 1908 und dann weiter im 
letzten Winter angestellt habe. Ich ging dabei so vor, daß 
ich normale Frösche in große Glasgefäße setzte, die ich mit 
etwas Wasser beschickte.e Diese Gefäße wurden im Sommer 
in den Eisschrank gestellt und rings mit großen Eisstücken 
umgeben. Im Winter wurden sie — nachdem wir unser neues 
Laboratorium bezogen hatten — in einen Kälteraum gebracht, 
in welchem durch eine Kältemaschine die Temperatur bis auf 
— 7° C herabgedrückt werden konnte. Nachdem mir aber einige 
Tiere erfroren waren, wurden die Froschgläser im Kältezimmer 
in eine Wasserwanne gestellt, in welcher dauernd Eis schmolz, 
so daß die Frösche sich in einer konstanten Temperatur von 
0°C befanden. Alle 24 Stunden wurde der Inhalt der Glas- 
gefäße in Porzellanschalen gespült, zur Ausfällung von etwa 
vorhandenem Eiweiß mit etwas ganz verdünnter Essigsäure 
versetzt, am Wasserbade auf ein ungefähres Volum von 5 ccm 
eingedampft und nach dem Filtrieren mittels Worm-Müller- 
scher Reaktion auf Zucker untersucht. Ich habe bei einer 
ganzen Anzahl normaler Frösche, die auf diese Weise abgekühlt 
waren, Zuckerauscheidungen gefunden, wenn auch nicht so 
häufig wie Löwit; jedenfalls aber seine Angaben über die 
Existenz einer Kälteglykosurie beim Frosche bestätigen können. 

' Es entstand nun die Frage, ob auch nicht abgekühlte 
Frösche, denen das Duodenum reseziert oder das Peritoneum 
zwischen Darm und Pankreas durchtrennt war, eine Zucker- 
ausscheidung erkennen ließen, und die Prüfung dieser Frage 
war um so notwendiger, als V. Diamare, einer der besten 
Kenner des Kaltblüterdiabetes, nach Durchschneidung des Mesen- 
teriums zwischen Darm und Drüse keine Glykosurie konstatieren 
konnte. Er äußert sich in bezug hierauf dahin, „daß die voll- 
ständige Verlagerung des Pankreas ohne Abtragung und infolge- 
dessen die Durchschneidung des Mesenteriums, der Gefäße und 
der Nerven des Duodenums nicht nur keine Glykosurie zur 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 109 


Folge hatte, sondern den Fröschen eine Überlebungszeit von 
recht 3 Monaten erlaubte‘“. 

Von meinen zahlreichen Versuchen, die in der oben ge- 
schilderten Weise ausgeführt wurden und stets gleichsinnig aus- 
fielen, will ich nur einige wenige als Beispiele anführen. 


Am 8. XIL 08 wird einem Frosch das Duodenum exstirpiert und eine 
Kommunikation zwischen Gallenblase und Jejunum hergestellt. Das 
Tier bleibt zunächst im warmen Zimmer, Am folgenden Tage zeigt sich 
bei Anstellung der Worm-Müllerschen Reaktion ein reichlicher Nieder- 
schlag von gelbem Kupferoxydulhydrat, dann bleibt die Reaktion stets 
negativ, auch als der Frosch am 15. XII. ins Kältezimmer gestellt 
wurde, wo er bis zum 19. beobachtet und sein Urin täglich untersucht 
wurde. 
Am 8. XII. 08 wird bei zwei Fröschen das Mesenterium zwischen 
Pankreas und Duodenum durchschnitten. Bis zum 15. bleiben die Tiere 
im warmen Zimmer, dann kommen sie in den Kälteraum, wo sie bis 
zum 19. XII. beobachtet werden. Die Reaktion war stets negativ. 

Am 9. XII. wird bei zwei Fröschen das Mesenterium zwischen Darm 
und Pankreas durchschnitten und beide Tiere sofort in den Kälteraum 
gestellt. Das eine von ihnen zeigte stets negativen Ausfall der Reaktion, 
bei dem anderen war sie am 10. XII. stark, am 11. deutlich, am 12. stark, 
am 13. und 14. deutlich, am 15. sehr stark positiv. Nunmehr wurden 
beide Tiere in ein warmes Zimmer gestellt und bis zum 19. XII. täglich 
beobachtet. Die Reaktion war jetzt bei beiden vollkommen negativ. 

Am 26. II. 09 werden vier Frösche operiert; Nr. 1 und 2 bleiben im 
warmen Raum, Nr. 3 und 4 kommen ins Kältezimmer. 

Am 27. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 schwach, bei 
4 stark positiv. 

` Am 28. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 und 4 schwach 
positiv. 

Am 1. III. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 sehr stark, 
bei 4 schwach positiv. 

Am 2. III. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ, bei 3 sehr stark, 
bei 4 stark positiv. 

Am 2. UL werden die Frösche 1 und 2 in den Kälteraum, 3 und A 
ins warme Zimmer gesetzt. 

Am 3. III. ist die Reaktion bei 1 schwach positiv, bei 2 negativ, 
bei 3 positiv, bei 4 negativ. Frosch 4 stirbt an diesem Tage. 

Am 4. III. ist die Reaktion bei allen drei Fröschen negativ, ebenso 
am 5. und 6. III. an welchem Tage Frosch 3 stirbt. 

Am 7. ist die Reaktion bei 1 und 2 negativ. Der Versuch wird 
nunmehr abgebrochen. 


Aus meinen Versuchen, und zwar ebensowohl aus den 
im Sommer wie aus den im Winter angestellten, geht ganz 


110 8. Rosenberg: 


eindeutig hervor, daß eine Durchschneidung des Mesenteriums 
zwischen Duodenum und Pankreas oder Resektion des Duo- 
denums an sich niemals zu einer dauernden Zuckeraus- 
scheidung führt. Wo eine solche eintrat, da handelte es 
sich stets um Frösche, welche der Kältewirkung ausgesetzt 
waren, und auch bei diesen konnte die Glykosurie alsbald zum 
Schwinden gebracht werden, wenn man die Tiere in einen warmen 
Raum brachte. Allerdings muß zugegeben werden, daß bei 
meinen Versuchstieren die Zuckerausscheidung nicht mit der- 
selben Regelmäßigkeit auftrat wie bei den Pflügerschen; allein 
da Löwit festgestellt hat, daß die Glykosurie unter Kältewirkung 
von der Jahreszeit und von der Art der zu den Versuchen 
benutzten Frösche in erheblichem Maße abhängig ist, so mögen 
Differenzen dieser Art imstande sein, den Unterschied zwischen 
meinen Befunden und denen Pflügers zu erklären. 

Mag dem aber sein wie ihm wolle, das allein Wichtige bleibt 
die Feststellung, daß es beim Frosch ebensowenig einen 
Duodenaldiabetes gibt, wie beim Hunde. 


Literatur. 


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referiert aus Lo Sperimentali Juli/August 1908 in Fortschritte der 
Medizin 1909, Heft 3, 126. 

2. Diamare, Vergleichende anatom. physiol Studien über d. Pankreas- 
diabetes. Centralbl. f£. Physiol. 1907, 863. 

3. Ehrmann, Über den Einfluß der Ausschaltung des Zwölffingerdarms 
auf die Zuckerausscheidung und über seine Beziehung zum experimen- 
tellen Pankreasdiabetes. Pflügers Archiv 119, Heft 5. 

4. Eichler u. Silbergleit, Über Glykosurie experimentell hervor- 
gerufen durch Verätzung u. Verschorfung der Innenfläche des Darmes. 
Berl. klin. Wochenschr 1908, Nr. 25. 

5. Gaultier, Glycosurie experim. par destruction étendue de la mu- 
queuse duodenale à laide d'un caustique. Compt. rend. de la soc. 
de biolog. 1908, Nr. 16, 826. 

6. Herlitzka, Ein Beitrag zur Kenntnis des Pflügerschen Duodenal- 
diabetes. Pflügers Archiv 123, 6./7. Heft, 331, u. Contribution à l’ötude 
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7. Lauwens, Exstirpation des Duodenums betreffender Brief an den 
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8. Löwit, Der Kältediabetes beim Frosch. Centralbl. f. Physiol. 
21, Nr. 26. 

9. Löwit, Diabetesstudien, I. der Kältediabetes beim Frosch. Arch. 
f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 60, 1/2 





10. 


11. 


26. 


27. 


Weitere Untersuchungen des Duodenaldiabetes. 111 


Minkowski, Die Totalexstirpation des Duodenum. Arch. f. experim. 
Pathol. u. Pharmakol. 58, 1908. 

Minkowski, Über d. Diabet. millit. nach Exstirpation d. Pankreas. 
Berl. klin. Wochenschr. 1892, Nr. 26. 


. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflügers 


Archiv 118, Heft 3/4. 


. Pflüger, Untersuchungen über den Pankreasdiabetes. Pflügers 


Archiv 118, Heft 5/7. 


. Pflüger, Über die Natur der Kräfte, durch welche das Duodenum 


den Kohlenhydratstoffwechsel beeinflußt. Pflügers Archiv 119, Heft 5. 


. Pflüger, Bemerkungen zu Rud. Ehrmanns Exstirpationen des Duo- 


denums. Pflügers Archiv 119, Heft 5. 


. Pflüger, Über d. Duodenaldiabetes der Warmblüter. Ein vorläufiges 


Wort. Pflügers Archiv 122, Nr. 4/6. 


. Pflüger, Durch neue Experimente gestützte Bemerkungen zu den 


jüngsten Arbeiten über den Duodenaldiabetes des Hundes. Pflügers 
Archiv 123, Heft 7/8. 


. Pflüger, Über die durch Resektion des Duodenums bedingten Gly- 


kosurien. Pflügers Archiv 124, Heft 1/2. 

Pflüger, Die Aufklärungen, welche Errico de Renzi u. Enrico Reale 
soeben (August 1908) über ihre den Duodenaldiabetes betreffenden 
Versuche gegeben haben. Pflügers Archiv 124, Heft 11/12. 


. de Renzi u. Reale, Über den Diabetes mellitus nach Exstirpation 


des Pankreas. Berl. klin. Wochenschr. 1892, Nr. 23, 560. 


. Rosenberg, Zur Frage des Duodenaldiabetes. Pflügers Archiv 


121, 358. 
Rosenberg, Über d. Einfluß des Pankreas auf d. Resorption d. 
Nahrung. Pflügers Archiv 70, 371. 


. Schöndorff, Untersuchungen über d. Ausscheidung von Zucker im 


Harn von gesunden Menschen, nebst einer Methode der quantitativen 
Bestimmung kleinster Zuokermengen im Harn. Pflügers Archiv 121, 572. 


. Sohlern, Ein Beitrag zur Diagnose des Duodenalgeschwüres. Med. 


Klinik 1908, Nr. 51. 


. Tiberti, Über d. Folgen der totalen Resektion des Duodenums, 


referiert aus Lo Sperimentali Juli/August 1908 in Fortschritte der 
Medizin 1909, Heft 3, 126. 

Visentini, Zur Frage der Duodenalglykosurie. Med. Klinik 1908, 
Nr. 42. 

Zack, Glykosurie bei Verätzung des Duodenumse. Wiener klin; 
Wochenschr. 1908, Nr. 3. 


. Zack, Bemerkungen zu der Arbeit von Eichler u. Silbergleit. Berl. 


klin. Wochenschr. 1908, Nr. 29. 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 


Von 
Franz Baintner und Karl Irk. 
(Aus dem ohemischen Laboratorium der landwirschaftlichen Akademie 
in Kolozsvär, Ungarn). 
(Eingegangen am 8. April 1909.) 


Das Colostrum. 


Jenes Sekret der Milchdrüse, das eventuell vor dem Kalben, 
aber besonders einige Tage nach demselben sezerniert wird, 
nennt man Colostrum. Dasselbe hat in dem Leben der Tiere 
einen doppelten Beruf: einesteils liefert es dem Neugeborenen 
eine am leichtesten verdauliche und am ehesten entsprechende 
Nahrung, anderenteils wird durch dasselbe der Verdauungstrakt 
von dem Meconium, dem Darmkot, gereinigt. Daher ist eine 
eingehende Untersuchung, bzw. die Bestimmung seiner che- 
mischen Zusammensetzung und jener Veränderungen, die sich 
in den gegenseitigen Gewichtsverhältnissen der Bestandteile 
zeigen, sowohl in praktischer als physiologischer Beziehung von 
bedeutender Wichtigkeit. 

Da das Colostrum die natürlichste Nahrung des neugebo- 
renen Tieres bildet, gewährt die Zusammensetzung desselben 
eine Orientierung bezüglich der Qualität und Quantität der zur 
Ernährung des jungen Tieres erforderlichen Stoffe. Diesbezüg- 
lich kann darauf aus der Veränderung der Gewichteverhältnisse 
der einzelnen Bestandteile geschlossen werden; letztere Daten 
liefern sogar in mehreren Beziehungen Aufklärungen auch in be- 
zug auf die Milchbildung. 

Das Wesen der Impulse der Milchsekretion ist mit voll- 
kommener Genauigkeit auch heute noch nicht bekannt. Nach 
neueren Forschungen ist es wahrscheinlich, daß der vom weib- 
lichen Eierstock sezernierte Enzymstoff in die Blutzirkulation ge- 
langt, in den verschiedenen Organen, namentlich in den Milch- 


F. Baintner u. K. Irk: Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 113 


drüsen einen Reiz hervorruft, der indenselben die Milchsekretion er- 
regt. Andernteils beweisen zahlreiche physiologische Versuche, daß 
die Milchsekretion unbedingt unter dem Einflusse der Nerven steht. 

Auch unsere Kenntnisse bezüglich des Mechanismus der 
Milchbildung sind unbekannt und in den Theorien einzelner Fach- 
leute sind betreffe der Milchbildung die auffallendsten Widersprüche 
zu treffen. Die Sistierung dieser Gegensätze ist erst nach einer 
genaueren Kenntnis der Colostra zu erhoffen, wenn auch die bis- 
herigen hypothetischen Theorien der Milchsekretion auf festeren 
Grundlagen ruhen werden, was schon deshalb erwünscht ist, da 
die gegenwärtig bestehenden Theorien immer mehr schwinden. 

Laut unseren gegenwärtigen Kenntnissen kann die Milch 
z. B. nicht mehr für ein filtriertes Sekret des Blutes gelten, 
wie ee Kemmerich und Martiny in den 70er Jahren be- 
haupteten; auch die Theorie von Virchow, Voit, Schmidt, 
Will und Fürstenberg kann als entkräftet betrachtet werden, 
wonach die Milch aus einem fettigen Zerfall der Drüsenzellen und 
aus einer Umstaltung derselben bestünde. Auch die Theorie von 
Rauber muß als irrig erklärt werden, die mit Annahme der 
Funktion der Drüsenzellen die Milch aus Leukocyten entstanden 
denkt, die zufolge einer Wanderung durch die Drüsenalveolen und 
vermöge ihrer Auflösung in denselben die Milch liefern werde. 

Die Theorie von Partsch und Heidenhain beruht be- 
reits auf sicherer Basis, wonach die Milch ein Produkt der 
aktiven Tätigkeit von Milchdrüsenzellen sei, bzw. das Resultat 
eines Zerfalles des zentralen, gegen den Alveolus gelegenen Teiles 
des Plasma. Laut Szabö, Sticker, Unger und anderen wird 
das Epithelgewebe nicht zerstört. Demgegenüber sind Coön, 
Niessen, Duckert, Michaelis und Ottolenghi der Meinung, 
daß die Milchsekretion mit einem mehr oder minder bedeutenden 
Zerfall des Epithelgewebes verbunden sei. Ottolenghi beruft sich 
außerdem auch darauf, daß während des ganzen Verlaufes der 
Lactation eine regelmäßige Störung der Lymphzellen und eosino- 
philen Leukocyten von dem interstitialen Bindegewebe durch das 
Epithel in die Alveolen, wo sie sich auflösen, eintritt und daß diese 
Erscheinung mit geringen Abweichungen der Theorie von Rauber 
entspricht und daher berufen wäre, derselben eine größere Be- 
deutung zu verleihen. In seinen letzteren Mitteilungen nähert 


sich Ottolenghi auf Grund seiner jüngsten Forschungen wieder 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 8 


114 F. Baintner und K. Irk: 


der Auffassung von Heidenhain, und er gelangt zu dem 
Schlusse, daß die Milchsekretion wohl ein Produkt der aktiven 
Tätigkeit der Milchdrüsenzellen sei, der Zerfall der Milchdrüsen- 
zellen ist aber keine notwendige Folgeerscheinung. Anderen- 
teils aber werden sie zufolge der bei der Milchsekretion ent- 
falteten lebhaften Tätigkeit rasch zerstört, und sie gehen auch 
zugrunde. Die zerstörten Zellen werden dann durch eine Karyo- 
kinese, bei einzelnen Tieren durch einfache Teilung ersetzt. 

Bei der Aufstellung dieser Theorien der Milchsekretion und 
in der Entwicklung unserer diesbezüglichen, der Wirklichkeit 
stets näher tretenden Kenntnisse gebührt den Forschungen, 
welche die Feststellung einer chemischen Zusammensetzung der 
Milch bezwecken, eine bedeutende Rolle. 

Diesbezüglich wollen wir es bloß beispielsweise erwähnen, 
daß in der Milch stets Milchzucker (Lactose) und Casein vor- 
handen sind, während sie im Blute fehlen, wodurch die Theorie 
von Martiny bereits ab ovo haltlos wird. Die Kenntnis der 
in der Milch von verschiedenen Tiergattungen befindlichen Ei- 
weiße, deren wechselseitige Gewichtsverhältnisse in Zusammen- 
hang mit dem Eiweißgehalte des die Milchdrüsen ernährenden 
Blutes, würde zu einer genaueren Bestimmung der bei der Milch- 
sekretion stattfindenden Transformationen beitragen. 

Nach dieser Richtung hin sind wir aber leider noch weit 
zurück. Unsere gegenwärtigen Forschungen beziehen sich auf 
diese Frage nicht, sondern befassen sich ausschließlich mit der 
allgemeinen Erörterung der Büffelcolostren; sie bezwecken die 
quantitaven Veränderungen der im Colostrum befindlichen Be- 
standteile klarzulegen und auf die feststellbare Gesetzmäßigkeit 
hinzuweisen. 

Auf Colostrenmilch bezügliche Untersuchungen gibt es über- 
haupt wenige, einesteils zufolge der Schwierigkeit, das zu den 
Forschungen erforderliche Material zu erhalten, anderenteils, 
weil sie als Nährmittel wegen des unangenehmen Geschmackes, 
Geruches, der zähen Beschaffenheit und infolge der Gerinnbar- 
keit kraft des Globulingehaltes in unserem Haushalte nicht vor- 
kommt. Auf das Colostrum des Büffels bezügliche Analysen 
haben wir in der Literatur überhaupt nicht gefunden. Diese 
Mängel haben uns bewogen, in Zusammenhang mit der che- 
mischen Analyse der Büffelmilch unsere Untersuchungen auch 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 115 


auf Büffelcolostren auszudehnen, um so mehr, da ein wesent- 
licher Unterschied zwischen den Colostren von Kuh und Büffel- 
kuh besteht, wie das durch folgende Untersuchungen bestätigt 
wird, nicht bloß in bezug auf das spezifische Gewicht und den 
Fettgehalt usw. der Milch, sondern auch hinsichtlich des gegen- 


seitigen Verhältnisses dieser Bestandteile. 

Zu diesem Behufe vollzogen wir bereits vom 1. Januar bis 8. Fe- 
bruar 1899 Untersuchungen!), als deren Ergänzung wir neuerdings fünf 
Colostren prüften mit dem Unterschiede, daß, während wir ehedem, um 
die Veränderungen der Zusammensetzung der Milch während der Lac- 
tation festzustellen, die Versuche in 24 stündigen Zeiträumen derart an- 
stellten, daß jedes Probequantum aus einer Mischung der Milch vom 
Abende des vorhergehenden und der Frühmilch des darauf folgenden 
Tages bestand, wir zu den gegenwärtigen Untersuchungen separate Milch- 
quanten von frühmorgens und abends verwendeten; ferner wurden die 
Proben in viel kürzeren Zeiträumen genommen. 

Die Büffelkuh namens „Kriska“, worauf sich die Daten der Ta- 
belle Nr. I beziehen, erhielt als Futter täglich 10 kg Ackerheu, 10 kg Stroh 
der im Frühjahr gesäten Frucht, 20 kg Rüben, 2 kg Kleie und 3 kg 
Spreu. Die Büffel „Bogár“, „Betta“ und „Märgyala“ bekamen früh und 
mittags Grünmais, abends Haferwicke und Luzerne; „Zsasa“ und „Zsuzsi“ 
bekamen das nämliohe Futter wie „Kriska“, 

Bereits im Jahre 1899, da wir uns zum ersten Male mit der Prüfung 
des Büffelcolostrum befaßten, fiel uns die regelmäßige Krümmung der 
Kurven auf, die auf dem Graphikon verzeichnet waren, das die quanti- 
tativen Schwankungen der Milchbestandteile darstellte und welche Be- 
obachtung es erforderte, die Proben behufs genauerer Bestimmung des 
Zusammenhanges zwischen den einzelnen Schwankungen in kürzeren Inter- 
vallen zu nehmen und jede einzelne Probe separat zu prüfen, um die 
zwischen den Abend- und Frühmilchen bestehenden Unterschiede, soweit 
möglich, festzustellen. Die Proben wurden tadellos, mit Hilfe vollkommen 
verläßlicher Personen entnommen, indem jene Proben, worauf sich die 
Tabellen Nr. II, III und IV beziehen, und die Tiere, denen sie entommen 
wurden, im folgenden mit diesen Nummern bezeichnet sind, von Herrn 
Alexander von Rosenberger aus seiner Domäne von Szäszfeues befind- 
lichen Molkerei entnommen wurden, während die Milch der Büffelkühe 
I, V und VI der Wirtschaft der Landwirtschaftlichen Akademie ent- 
stammt; diese Proben entnahmen wir selber. Die Entnahme der Milch- 
proben begann 1 Stunde nach dem Kalben, 5 Stunden später nahmen 
wir die zweite und nach 12 Stunden die dritte Probe. Dieses 12 stündige 
Intervall wurde 3 bis 4 Tage lang beibehalten, resp. so lange, bis die 
Milch geronnen war. Nachher nahmen wir 24 stündlich je eine Probe 
der Abend- und Frühmilch, bis die Milch eine beiläufig normale Zu- 
sammensetzung erhielt. In einigen Fällen mußten wir zufolge der Laune 


1) S.: Kiserletügyi Közlemények 6, 239, 1901. 
ugyi y : 
5 


116 F. Baintner und K. Irk: 


des Tieres von der als Probe bezeichneten Zeiteinteilung abweichen, wes- 
halb wir die Zahl der nach dem Kalben verstriohenen Stunden in jeder 
Tabelle separat geben. Die gelieferte Milch wurde sofort untersucht, um 
die beim Colostrum so rasch eintretenden Veränderungen zu vermeiden. 
Die Tabellen I bis VI verzeichnen die Zusammensetzung der untersuchten 
Milchquanten: 














Tabelle I. 
Name des Tieres: Kriska. 
GIS Les 5 |g | 83 Et 3 
= ick- 8 8 3 
e E$ Stick- (gen 3 4% |Protein 4428| #8 
E i E stoff dë 38 2 F: S S 
ei 38 CS E JEF 
3 GE ra 
in Prozenten 
1] 1 1,07445|3,3824 6. 300 2, 4620,010 31,528|21,5401)| 26,219| 16,8 
2| 24 |È 2 |1,03335|0,79632/6,035|4,013|0,887| 15,870| 5,073 | 9,835| 38,0 
3| 48 |, g |1,034270,75920/5,233|4,073/0,935| 14,778| 4,836 | 9,545 35,4 
4| 82 |S 5 |1,03532[0,79487|4,986|4,214|0,960| 15,130! 5,063 | 10,144| 32,9 
5| 106 * 1,03564]0,83440|6,13414,223|0,988| 16,742| 5,315 | 10,608| 36,6 
6| 130 |5 „, |1,03601|0,85470|6,385 4,369|0,982| 17,326) 5,445 | 10,941| 36,8 
7| 154 |.2 5 |1,03618j0,84340)6,802)4,525|0,979| 17,599) 5,372 | 10,797| 38,6 
s| 178 |Ë 1,0355010, 74657|7,031/4,885/0,914| 17,535| 4,799 | 10,504| 40,0 
Tabelle II. 
Name des Tieres: 49. Bogár. Geboren am 30. Juli 1900. 
KE 5 
Deg TE 
ojas 333 
EIER 387 
Site S 
Et 
Cla 
8 | — ItLogeng, 1220 7,4404|1,947|0,858 29,943 19,916 22,503 [24,849 


14 [mittag | 1,0450|2,254 | 7,856 |2,74210,847/25,866/14,359 19,0100, 372 
19 | abend 1,044912, 0394 10,001 12,957 0,825 26,807 12,992 16,806/37,304 
32 | früh |1,0355[1,151 | 7,137 3,9470,883 19,078 7,335 11,941:37,410 
1,033010,787 | 7,708 |4,138 ees 6,012 10,037143,435 
66 | früh |1,0340/0,956 | 6,433 |3,942|0,933:17,689 el 

68 | abend | 1,0335[0,9262| 6,154 3,870/0,920 16,827 erte la ee 

82 | früh | 1,0340|0,8793 7,413 14,259 0,959 ere 5,614 10,818 40, 661 

94 | abend 1, 034510, 0448 5,724 |4,00110,912 16,694 6,018 10,070 34, 288 
LOUIS) früh | 1,0345/0,6104| 6,957 4, 626 0,947 16, 1601 3,831| 9, 204 43, 048 
LULä0labend | 1,0355|0,8478| 5,571 4,245 0, 28 16, 1790 6, 401 10, 608 34,433 


SS OO si ep CH WG Ga äi Fa 
K 
2 
g 
D 
ef 








1) Protein = Stiokstoff >< 6,37. 





Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 


Tabelle III. 
Name des Tieres: 40. Betta. Geboren am 20. August 1899. 


117 





e 
= 
n 
g 
T 
E 
E 
© 
> 
a 
Q 
E 


Laufende Nr. 





1,0698|3,077 
1,0430[1,468 
1,0398|1,101 
1,0333|0,958011,012 
1,0340/0,9437| 5,602 
1,0338|0,7928| 6,449 
1,0345|0,8214| 5,371 


4,946 
7,686 
6,569 


abend 
früh 

abend 
früh 

abend 
früh 


1,0355|0,7143| 5,806 


abend 


pas 


101 


æ © © O ~ O CN e 


pæd 


113į früh | 1,0350/0,6886 —* 


© 
ei 


3 


in Prozenten 


Zucker 


3,181/0,81321,037 
4,315/0,858|17,804 


4,341|0,816 22,294 
4,022|0,896|16,679 
4,401 .0,921/16,864 
4,323|0,937|15,859 


4,743 0,922 
0,925 


16,092 
16,339 








Tabelle IV. 
Name des Tieres: 64. Märgyala. Geboren am 3. April 1904. 


| 


cH 
ville e 
Kall WE 59 © A 
leg 3H | 82 | con | Fett 
dE RE SE 
SlaëlëZ | 85 
Sizs < | a —— —— 
Q 
EE 








1,065012,595 |10,392 
1,0445]1,973 115,202 
1,0365/1,116 | 8,118 
1,03500,9123! 6,551 
1,0352[0,8976| 6,395 
1,033010,8004! 6,262 
1,0335]0,5399| 7,994 


1,0340|0,731 | 5,871 


1,0678|3,104 | 4,7597 












in 

ba =] 

CH © © 

dE 

[=] < 8 

EE 
in Prozenten 





Fettfreie 
Trocken- 
substans 
Fettgehalt der 
Trocken- 
substanz 





1,959:0,857|27,443|19,60322,497,18,023 


9,354 13,451/36,060 
7,014 12, 235 31,277 


6,103|11,282.49,392 
6,011/11,077133,578 
6,050 10,415 38,240 
5,232/10,488 33,870 


Verte 36,078 





4,387 — 


8 
g laan: 
8 EE TE 
O 18323 GEI 
d |883 SC: 
Ki 


2,778|1,041/28,484|19,773|23,524|16,330 


2,719,0,976'30,688,16,529 20,296/33,864 


3,255 0,869 32,063|12,570 16,861 


0,857 20,043 
0,866 17,431 
4,38210,871 17,440 
4,021 |0,878/16,270 
4,246 0,903 16,500 





3,881 
4,175 





4,561.0,918 


16,041 





1 
1 


| 


47,413 
7,110 11,925'40,502 
5,811 10,880.37,581 
5,718 11, 045 36,669 
5,099 10,008 38,491 
3,402| 8,506 48,450 





4,656 10,170 36,602 


118 F. Baintner und K. Irk: 


Tabelle V. Name des Tieres: Zsazsa. Geboren am 26. Oktober 1904. 
Zum erstenmal trächtig. 


| 



















TM a vi ı N ei RM 5 

APEE Stiok-| moel [8133| 8 (8831385 
© Fett| © SEKR 
= t: * 514188] 2 353 3f 
TEREE EE SR 
3 EN a een ! — 


in Prozenten 
1,07404 3,103 | 1,247 1,93 111,056 
1,0630 2,061 5,692 2,706 0,958 


— m — — — — 





24, 092 19, 166 766,22, m. 5, 189 


25,9 935.16, ‚528 23,229 21,9 946 
1, 0465 1 ‚592 6, 575 3, 151 0, 904 20,7 788 10, ‚142 14, ‚213 31,6: 627 
1,0375] 1,117 '6, ‚950 3, ‚83010, 908'18, ‚813! 7, iisii 863 36, 046 
1,0360] 1,167 ‚6, 366 3, 169,0,967.16,951| 7,453 11, 585,31,659 
1,0335] 1,013 ‚5,859 3, 442 0, 955 16,747, 6, 453 10,888, 34 ‚985 
1,03501 0 ‚6609 8, 8,937 4, ‚274.0, 961:18,414 4,210) 9,477. 49,663 
1,0350] 0,5055 9, 41114,003!0,971:17,608| 3,220; 8, 107153. 445 
l, ‚0360 0,9342| 6,008 4 332 0,988 17,285, 5,951'11,277:34,759 


Tabelle VI. Name des Tieres: Zsuzsi. 
























E 


Refraktion des 
Milchserums i 





substanz 
Fettfreie 
substanz 


Fettgehalt der : 
Trocken- 
Trocken- 


| 
| 


zus | 1,0695[3,668 3, 168 1, 675 0,829'29,644:22,728 10,672 26,476 58,0 


minag | 1,0545]2,465 |13,726|1,396 0,825 32,755 15,705,41,900,19,030 56,0 
abend 2, 29,259 13,975 41,259 17,187,62,0 
früh |1,0342lı,148 | 7.8980,874'0, 733 18832 7,314 41,941 10,934/52,0 
mitteg| 1,0330/0,9614! 7,489 3,247 0,813,17, ‚696| 6,124/42,330'10,207/54,0 
abend | 1,0332|0,6358| 7,850|3,630 0, 834.18,182| 5 854143, 172 10 332 610 
früh | 1,03580,8278, 5,428|4,274/0,895|15,917| 6.273 34, 10610, 180 — 
mittag] 1,034810,7483| 6,658/4,149/0,883/16,465| 4,754140,438| 9,807]45,0 
abend | 1,0341j0,8396| 6,061|3,915 0,872 16,202] 5,349134, ap ‚241 45,5 


oa S 
SS 

















(SES SG 


SE e d e dee eeh ee E 
mittag| 1,0331[0,8951| 4,982|3,856 0, 061 16,611 5,702|32,117 10,629)46,3 
abend | 1,03300,8072| 6,059|5,287|0,980116,493| 5,143 36,737 10,434|45,5 
ı-|- | — - | -|-/-/-|-|-|- |- 
14| 100 |» bend] 1,0332]0,8187| 7,30714,223 0,966 17,809| 5,215/41, ‚535,10, — 
15|112| früh | 1,0349)0,8430| 6,314.4,073.0,952 16,730| 5,370 37,742 10 416 45,2 
16| 124 | abend | 1,0346|0,8871| 7,877|4,068|0,951|18,560 5651 42 344110, 683145,0 
17|136| früh | 1,0345|1,0344| 5,7444,3910,913/17,656! 6,589132, tg 91245,1 
18| 172| abend | 1,0363[0,9620| 6,722/4,596/0,978|18,447| 6,128|36,439|11,725|46,0 
19! 184| früh | 1,03660,5458! 7,111 6,733/0,939 17,258| 3,477|41,20210,147,45,8 
20| 196| abend | 1,0380l0,8562 17 925| 5,454 39,444 10,855 45,0 


pá 

pt 
ell aJ 
a O 





























Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 119 


Das Büffeleolostrum bildet eine gelbliche, zähe, schleimige, klebrige 
Flüssigkeit, die an der Wand des Gefäßes in dicker Schichte haftet und 
an den Geruch des Büffels erinnert. Sie gerinnt nicht bloß beim Sieden, 
sondern auch bei geringem Erhitzen und konsolidiert sich zu einem 
Stücke Rahm gibt sie bloß schwer oder überhaupt nicht. Nach längerem 
Stehen erhärtet die der Luft ausgesetzte Fläche. 

Mikroskopisch wird das Colostrum durch Fettkügelchen und ge- 
wisse Gebilde cellulären Ursprungs charakterisiert, welch letztere von 
A. Donné (1836) „corps granuleux“ und von Henle (1839) „Colostrum- 
körperchen“ genannt wurden. Morphologisch war das Wesen dieser Körper 
lange Zeit hindurch strittig. Simon und Mandl erklären dieselben für 
ein Konglomerat feiner Fetttropfen, laut Reinhard, Will und anderen 
bilden die Colostrumkörper ganze Massen infolge Verfettung degenerierter 
Epithelzellen; gegenwärtig ist meist die Ansicht von Czerny angenommen, 
laut der dieselben mit Fett überfüllte Leukocyten (weiße Blutzellen) wären. 
Derselbe bewies nämlich durch Injektion von Milch in die Lymphblasen 
des Frosches experimentell, daß die Leukocyten die Fettkügelchen zu 
einer Emulsion umgestalten können. Zu demselben Resultate gelangten 
Michaelis und Unger. Demgemäß erklärt Czerny die Bildung der 
Colostrumkörper aus den Leukocyten derart, daß er eine Entwicklung 
von Colostrumkörperchen stets dort voraussetzt, wo eine ständige Milch- 
stauung erfolgt ist, und er nimmt es an, daß eine gewisse, durch die 
Milchstauung hervorgerufene Erweiterung der Milchdrüsen dazu nötig 
sei, daB die Leukocyten in die Alveolen der Drüse gelangen können. 
Cohn geht von der Erfahrung aus, daß bei Frauen, trotz der durch die 
Milchstauung hervorgerufenen bedeutenden Drüsenschwellung in der Milch 
keine zellenförmigen Gebilde zu finden sind; er erklärt das Entstehen der 
Colostrumkörper nicht auf mechanischem, sondern vielmehr auf chemo- 
taktischem Wege. L. W. Raudnitz und K. Basch, die die citierten 
Theorien gesammelt haben, betrachten die Colostrumkörper als ein Pro- 
dukt der unvollkommen funktionierenden Milchdrüsen und halten die 
Milchansammlung, die Nervenreize, die venöse Hyperämie für Ursachen 
ihrer Entstehung. Experimente beweisen, daß die Colostrumkörper 
desto rascher verschwinden, je energischer der Neugeborene saugt und 
je größer der Milchbedarf ist. Solche Colostrumkörper fanden wir auch 
im Colostrum des Büflels, und zwar 37 Stunden hindurch nach erfolgtem 
Kalben. Es sind das große, zellenförmige Gebilde, die oft auch keine 
Zellenform zeigen, aber stets von Fetttropfen erfüllt sind. Ihre Größe 
schwankt zwischen 14 bis 40 u (Mikron — 0,014 bis 0,040 mm), und ihre 
Zahl beträgt in beiläufig 1 cmm Colostrum 100 bis 200. 

Zur Messung der Colostrumkörper benützten wir ein Okularmikro- 
meter; zur Zählung diente der Blutzellen-Zählapparat von Thoma. Das 
zur Anwendung gelangte Verfahren erörtern wir an anderer Stelle, da 
das letztgenannte Instrument nicht unmittelbar verwendet werden konnte. 


120 F. Baintner und K. Irk: 


Bei Untersuchung der chemischen Zusammensetzung und der Ver- 
änderung des relativen Gewichtquantums der einzelnen Bestandteile wird 
dieses Stadium der Milchsekretion durch ein gewisses Streben nach einom 
Gleiohgewichtszustand charakterisiert, das durch die Ernährung des jungen 
Tieres und durch den zufolge der Geburt veränderten physiologischen 
Zustand der Milohdrüsen reguliert wird, und der nach Verlauf der ersten 
4 bis 7 Tage auf ein Minimum reduziert wird, wonach dann die Milch 
eine je nach dem Individuum mehr oder minder verschiedene, doch inner- 
halb gewisser Grenzen stabile Zusammensetzung gewinnt. Diese in dem 
relativen Gewichtsquantum der Bestandteile auftretenden Veränderungen 
erfolgen desto rascher nacheinander, je häufiger wir die Proben ent- 
nehmen, bzw. je häufiger der Neugeborene saugt. (Siehe Tabelle VI.) 


Der Proteingehalt des Colostrums. 


Das Verfahren von Kjeldahl, das wir behufs Bestimmung der 
stickstoffhaltigen Stoffe organischen Ursprungs verwendeten, ist allgemein 
bekannt, wir wollen bloß hinzufügen, daß wir die Stickstoffprozente mit 
6,37 multipliziert — zu Proteinen umrechneten. Die unter dem Kollektiv- 
namen Protein zusammengefaßten, nitrogenhaltigen Stoffe organischen 
Ursprungs werden von den einzelnen Autoren in drei Kategorien geteilt, 
und zwar in Caseine, Globulins und Albumine. Wohl leugnen einige 
(Grotenfeld und Lassaique usw.) das Vorhandensein des Caseins im 
Colostrum, ihre Behauptung ist aber mutmaßlich das Resultat einer un- 
richtigen Beobachtung. Tatsache ist es, daß die Quantität des Caseins 
gegenüber dem Globulin und Albumin im Verhältnis zur normalen Milch 
gering ist, was auf jene physiologische Ursache zurückzuführen ist, daß 
der Neugeborene das unter Einwirkung des Magensaftes gerinnende, 
schwer verdauliche Casein kaum verdauen könnte. Wie sich das Ver- 
hältnis dieser Proteinbestandteile in der Milch, resp. im Colostrum des 
Büffels gestaltet, bildet den Gegenstand unserer weiteren Forschung. 


In der folgenden Tabelle VII geben wir den bloß aus dem Stick- 
stoff umgerechneten Proteingehalt der einzelnen Milchsorten. 


Auf den ersten Blick ist es auffallend, wie außerordentlich der Pro- 
teingehalt — 21,546°/,, 19,776°/,, 19,6030/,, 22,7280/, — in den Proben 
der ersten Stunden ist; dann folgt eine anfangs allmähliche, später rapide 
Abnahme, so daß die Quantiät binnen 48 Stunden den normalen Wert 
erreicht, wobei das durch verschiedene Faktoren und Umstände bedingte 
Schwanken meist geringeren Grades ist. 


Was die Ursache des hohen Proteingehaltes der Colostralmilch sei 
und in welchem Zusammenhang diese Abnahme einesteils mit der bei der 
zweiten und den letzten Melkungen merkbaren Fettzunahme stehe, wie 
das bereits Schnorf bei Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit 
der Kuhmilch beobachtet hat, anderenteils mit der progressiven Zu- 
nahme des Milchzuckers, erklären wir auf Grund unserer Analyse folgender- 
maßen: 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 121 
Tabelle VII. 








Laufende Nr. 





19,766 | sogleich 22,728 





1 

2 — 3 |15,705 
3 — 5 13,975 
4 — 12 | 7,314 
5 16,528] — — 

6 — 20 | 6,124 
7 — 25 | 5,854 
8 — = — 

9 6,811 10,142| 37 | 6,273 





10 — 144| 7118| 45 | 4,754 
11 ı 5,718 |—| — 50 | 5,349 
12 — |56] 7,453] — | — 
13 — I-! -— I — | — 
14 — |68| 6,453] 70 | 5,702 
15 5,099|—| — | 75 | 5,143 
16 3,402| 80| 4210| — | — 
17 — le — I - | — 
18 — I-! — [10 | 5215 
19 108! 4,656|—| — | — | — 
20 — |—| — |112 | 5,370 
21 ' — be 3220| — | — 
22 — I-! — |124 | 5,651 
23 | — Wës 5951| — | — 
24 | — — — |136 | 5,589 
25 ee WEE E 
26 — |—]| — [172 | 6,128 
27 — I-| — 1184 | 3,477 





Von größtem Einfluß auf die Zusammensetzung der Colostralmilch 
sind unseres Erachtens nach abgesehen von den Rassen- und individuellen 
Eigenschaften, die infolge der Geburt aufgetretenen genitalen Reize. 
Diese unsere Behauptung wird durch den anatomischen Zusammen- 
hang der Genitalien und des Euters bestätigt; es ist ja bekannt, daß die 
genitalen Reize der Geschlechtsorgane die sekretorische Funktion der Euter 
beeinträchtigen können. 

Die Geflechte des vorderen Astes des Nervus ilio-inguinalis, der 
einen Zweig des Lenden-Kreuzsteingeflechtes (Plexus lumbosacralis) bildet, 


122 F. Bentner und K. Irk: 


innervieren den Hodensack; die Rami scrotales anteriores senden einzelne 
Fäden zum Euter. Der andere Ast des Plexus Jumbosacralis, der Nervus 
spermaticus externus, versieht auch das Euter. Der Nervus spermatious 
internus und dessen Hauptzweige, der Ramus medius und Ramus inferior 
nervi spermatici interni und die sich teilenden Rami glandulares halten 
die Milchgänge, die Hauptleitungen und Cysternen in Verbindung mit- 
einander. Wenn wir es außerdem in Betracht ziehen, daß die Acite 
des Plexus sacralis, resp. des Nerv. cutan. femoris posterior, die Nervi 
clunium inferiores und Rami perineales die Scheide und die Dammgegend 
innervieren, und daß der Nervus pudendus internus (der innere Scham- 
nerv) einen Ast als Nervus dorsalis clitoridis entsendet, ist es wohl kaum 
nötig, den bedeutenden Einfluß der durch die Geburt hervorgerufenen 
Nervenreize auf die Milchsekretion und in Zusammenhang damit auf 
die Zusammensetzung des Colostrums mit anderen Argumenten zu unter- 
stützen. 

Auf dieser Grundlage unterscheidet Pfister, gestützt auf die Ver- 
suche von Halbaus und Knauer außer genitomammalen Reflexen 
auch mammagenitale Reflexe, demnach solche, die durch Reizung der 
Mammae auf die Genitalien wirken. 

Daß die Nervenreize einen Einfluß auf die Milchsekretion üben, be- 
weisen ferner die Versuche von Meyer, der mittels Li Die (pen Strych- 
ninum nitricum die Milchsekretion der Ziegen in 5 Minuten von 10 Tropfen 
auf 34 Tropfen zu steigern vermochte. Röhrig erhöhte die Sekretion 
durch Reizung des Nervus spermaticus auf das 20fache und sistierte die- 
selbe plötzlich durch Unterbindung einer einzigen Arterie (Arteria pudenda 
externa): 

Bereits Herodot erwähnt es, daß die Scythen einen Stab in die 
Scheide der Kuh einführten, um die Milchsekretion zu erhöhen. Die 
Bauern der Pyrenäen führen noch heutzutage den Arm in die Scheide 
der Kuh ein, damit das Melken erfolgreicher sei. Die Hottentotten blasen 
aus dem nämlichen Grunde Luft in die Gechlechtsteile der Kuh ein. 

Während der Reizwirkungen des Kalbens, besonders unter dem Einfluß 
des Nervus spermaticus externus, beginnen die Capillaren der Arteria uberi, 
die die Wand der Alveolen umspinnen, ihre intensive Funktion. Trotz- 
dem nun die auf die Milchsekretion bezüglichen Ansichten grundverschieden 
sind, stimmen dennoch alle darin überein, daß die Grundsubstanz der 
Milch das Blutserum sei. Die Bestandteile dieses letzteren Stoffes bilden 
bekanntlich nitrogenhaltige, organische Stoffe (und zwar Globulin und 
Albumin), sehr wenig Fett, verschiedene Salze und Wasser. Es fehlen 
daher das für normale Milch oharakteristische Casein und der Milchzucker. 
Diese beiden Bestandteile sind ein Produkt der aktiven Tätigkeit der 
Milchdrüsenzellen. Wie es K. Basch auf Grund eingehender morphologi- 
scher und chemischer Untersuchungen erklärt, sei das Casein nichts 
anderes, als ein im Laufe der aktiven Tätigkeit der Milch sezernierenden 
Drüsenzellen entstehendes Gemisch von nitrogenhaltigen, organischen 
Stoffen des Blutserums, besonders des Albumins, mit dem in den Kernen 
der Milchdrüsenzellen befindlichen Nuclein. Es bildet daher ein Re- 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 123 


aktionsprodukt, und zwar ein Nuoleoalbumin oder Casein, das einer Ver- 
bindung der Nucleinsäure des Milchdrüsenzellkernes mit den Eiweiß- 
stoffen des Milchserums entstammt. 

Die Nuoleinsäure hat nämlich die Eigenschaft, mit den eiweiß- 
artigen Körpern, die im gegenwärtigen Falle den Drüsenzellen einesteils 
vom Chylus, anderenteils vom Blute geliefert werden, sich zu Nucleo- 
proteiden zu verbinden, und zwar derart, daß jedes Molekül der Nuclein- 
säure zwei Moleküle Eiweiß bindet, deren eines leicht abgespalten wird. 
Die Nucleinsäure des Zellkernes wird durch den Phosphorgehalt der ani- 
malen Eiweißstoffe, die Transformation des Albumins mittels Nuclein- 
säure zu Casein wird durch mehrere Experimente von Dünhart und 
Thierfelder bestätigt. 

Auf welche Weise das Fett und der Zucker im Laufe der aktiven 
Tätigkeit der Drüsenzellen zustande kommen, das wollen wir bei den 
einzelnen Bestandteilen näher erörtern, jetzt wollen wir bloß bemerken, 
daß das Fett meist Eiweißstoffen entstammt und dann möglicherweise 
ein Spaltungsprodukt der sich leicht abspaltenden Eiweißmoleküle sein 
kann. Der Milchzucker entwickelt sich laut neuesten Forschungen, wie es 
auch Tiegerstedt in seiner Physiologie für wahrscheinlich hält, unter 
der Einwirkung eines bisher unbekannten Enzyms ebenfalls aus Eiweiß. 

Die Colostralmilcharten sind an Proteinstoffen, und zwar an Globulin 
und Albumin sehr reich, Casein findet sich nur wenig, desgleichen sehr 
wenig Fett und Milchzucker. Sie gleichen daher hinsichtlich der chemi- 
schen Zusammensetzung dem Blutserum. Die Ursache dieser experi- 
mentell nachweisbaren Tatsache kann folgendermaßen erklärt werden: 

Das Netz der Leitungscapillaren der Arteria uberi läßt das zwischen 
ihren Wänden zirkulierende Blutserum zufolge der vasomotorischen (gefäß- 
bewegenden) Konstruktion des Nervus spermaticus externus unter Ein- 
wirkung der eingetretenen maximalen Reize, um dem jungen Tiere reich- 
liche Nahrung zu liefern, in so großer Menge durch, daß es von den 
Drüsenzellen zufolge des bedeutenden Druckes der Lösung nicht ver- 
arbeitet werden kann, es wird daher nahezu unverarbeitet in die Höhlen 
der Alveolen befördert. Demgemäß übt die angesammelte, bedeutend 
eiweißhaltige Lösung, deren Eiweißgehalt im Laufe der Osmose zufolge 
des Zerfalla von Hämoglobin noch zunehmen kann, einesteils auf osmo- 
tischem Wege, indem „bei Suspensionen der osmotische Druck auch durch 
gelöste Non-Elektrolyten beeinflußt werden kann“ (in reiner Lösung aber 
nicht)!), (Gehalt an Trockenstoffen 31,528%|,, 29,943°/,, 27,7430/,, 
28,4840/,, 24.092°/, und 29,644°/,), anderenteils in mechanischer Weise 
einen bedeutenden Druck auf die Heidenhainschen Epithelzellen, mit 
denen die Wände der Alveolen bekleidet sind. Diese werden zerdrückt, ver- 
flacht, der Alveolus der Elastizität seiner Wände gemäß erweitert, die 
Zellen auf den ursprünglichen, primären Zustand reduziert, was nach 
Heidenhain dem inaktiven Zustande entspricht. Die Drüsenzellen sind 
nämlich laut Heidenhain im ersten primären Stadium gegen die Wand 


1) E. Tezner und J. Roska, Math. term. tud., Ert. 1208, 259. 


124 F. Baintner und K. Irk: 


der Alveolen verflacht, ihre Gestalt wird jedoch im Laufe der aktiven 
Tätigkeit derart verändert, daß die Drüsenzellen unter Einwirkung des 
eindringenden Serums anschwellen, eine längliche, zylindrische Gestalt 
annehmen (II. Stadium), an den Enden Fetttropfen und Fettkügelchen 
ausscheiden (III. Stadium). Oft löst sich auch der plasmatische Endteil 
ab und gelangt in den Alveolus. 

Es dürfte die Einwendung gerechtfertigt scheinen, daß das Aus- 
scheiden der im Colostrum vorhandenen bedeutenden Eiweißquantität 
eine äußerst intensive Tätigkeit der Drüsenzellen voraussetzt und dem- 
gemäß eine zylindrische Umgestaltung der Zellen zu erwarten wäre. Die 
Sache verhält sich aber derart, daß in diesem Stadium der Lactation 
bloß ein äußerst geringer Teil vom Eiweiß des Blutserums transformiert 
wird, wie es aus der Untersuchung verschiedener Frauen- und Kühe- 
oolostren erhellt, die nebst viel Globulin und Albumin nur sehr wenig 
Casein enthalten. 

Schon auf Grund dessen müssen wir die Richtigkeit der Ansicht 
von Basch bekräftigen, wonach die Colostralmilch eine Folge der un- 
vollkommenen Tätigkeit der Milchdrüsen, resp. einer Innervationsver- 
änderung sei. 

Auf Grund des Gesagten können nun folgende Schlüsse gezogen 
werden: 

Die auf eine inaktive Tätigkeit beschränkten Drüsenzellen primären 
Zustandes können auf den Eiweißgehalt des durchdringenden Serums 
keine Wirkung entfalten. Die Fähigkeit der Zellkerne, zu zerfallen, wird 
reduziert, die geringe Nucleinsäure vermag bloß sehr wenig Albumin als 
Nucleoalbumin, demnach als Casein zu binden. Die Milch ist daher an 
Casein arm, an Globulin und Albumin jedoch, die im Serum bereits 
fertig zu treffen sind, reich, und da sie löslich, sind sie zur Ernährung 
des jungen Tieres eher geeignet. 

Wie bereits erwähnt, besitzen wir bisher keine Daten bezüglich der 
Verhältnisse der Proteinbestandteile und demnach der Caseinquantität 
des Büffelcolostrums; der niedere Caseingehalt der bisher untersuchten 
verschiedenen Colostrenmilch berechtigt aber zu einer analogen Annahme. 

Der erwähnte, von der Konzentrität des Sekretes abhängige, in- 
aktive Zustand verhindert auch meist die Entwicklung von Fett und 
Milchzucker, die dem Zerfalle der Eiweißstoffe entstammen. Das in den 
Zellen vorhandene und durch den bedeutenden osmotisohen Druck er- 
zeugte Plus der Bestandteile wirkt auf Grund der Massenwirkung hemmend 
auf die von der Vitalität der Zelle abhängigen, langsam eintretenden 
Reaktionen, demnach auch auf die Entwicklung von Fett und Milch- 
zucker. Das ist der Grund, weshalb die unmittelbar nach dem Kalben 
genommenen Proben an Fett und Milchzucker arm sind. Wenn dann 
die Reizwirkungen der Geburt im Schwinden begriffen sind, was beim 
Büffel bereits nach 24 Stunden eintritt, wird der Nervenreiz durch die 
Mattigkeit der Erschöpfung gemäßigt, auch die Sekretion wird langsamer, 
und der Proteingehalt der Milch nähert sich mittels allmählicher Abnahme 
der normalen Zusammensetzung. In den ersten 24 Stunden beträgt die 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 125 


Abnahme 3 bis 4°/,, in den darauffolgenden 24 Stunden ist sie bereits 
so bedeutend, daß die Zusammensetzung der Milch im Endresultate sich 
der normalen Milch nähert. Der Proteingehalt scheint auch 21,540°/, 
zu überschreiten, indem wir in der Milch von Zsuzsi (Tabelle VI) un- 
mittelbar nach dem Kalben 22,728°/, Protein vorfanden, welches Quan- 
tum binnen 24 Stunden auf 4,754°/, fie. Nach dem Kalben konstatierten 
wir 48 Stunden lang in sämtlichen Milchsorten eine regelmäßige Abnahme 
der Proteine, später zeigten sich schon die bei den normalen Milchsorten 
wahrnehmbaren täglichen Schwankungen. Diese Schwankungen sind 
unserer Erfahrung gemäß in Zusammenhang mit der Änderung des Fett- 
gehaltes, wovon weiter unten beim Fettgehalte die Rede sein wird. 


Der Fettgehalt. 


Es ist eine viel schwerere Aufgabe, einigen Zusammenhang zwischen 
dem Fettgehalt der nacheinander folgenden Milchproben festzustellen, 
weil das Fett den einzigen Bestandteil der Milch bildet, der — wie 
bereits Fleischmann bemerkte — in seinen Schwankungen den größten 
Maßstab erreicht, der weder durch die individuellen Eigenschaften der 
betreffenden Gattung oder des Individiums, noch durch die Qualität des 
Futters, oder durch den bekannten Einfluß der Melkungs- oder Laotations- 
periode erklärt werden kann. Und der Grund davon ist, daß die kleinste 
Erschütterung oder Kommunikationsstörung des Nervennetzes, von wel- 
ehem die sekretorischen Drüsen innerviert werden, auf den Fettgehalt 
den größten und empfindlichsten Eindruck ausüben. Besonders beim 
Büffel, dessen launenhafte Empfindlichkeit den Fachleuten, die sich mit 
Büffeln befassen, wohlbekannt ist, können die Grenzen der Schwankungen 
des Fettgehaltes sehr weit sein. Das Tier wurde beispielsweise einmal 
neben den Stier gestellt, wodurch die Zusammensetzung der Milch bereits 
in einem Tage folgende Veränderung aufwies: 

Bpeziflsches Fett Trocken Asche Stickstoff Protein Zucker Refraktion 
lo lo WË % lo %o Serums 
I. 1,0354 6,701 16,772 0,8222 0,6079 3,872 4,979 46,3 
TI. 1,0322 4,825 13,861 0,719 0,6735 4,291 4,424 45,0° 


Der Fettgehalt der Milch hat demnach um 2°/,, der Zuckergehalt 
um 0,5°%, abgenommen, der Proteingehalt ist um 0,5°/, gestiegen. 


Wenn nun die auf die Bildung der Milch bezüglichen Ansichten über- 
haupt variieren, so ist das in noch erhöhtem Maße bei den Hypothesen 
derAusscheidung und der Art der Ausscheidung des Fettes der Fall. So 
scheint die Frage noch unentschieden zu sein, ob das von den Brust- 
drüsen zu Miloh umgestaltete Fett hauptsächlich aus Protein, oder direkt 
aus dem Fette des Futters, oder gar indirekt aus dem Fette des Körpers 
entstehe und ob bei der Entstehung die Kohlenhydrate als unterstützende 
Faktoren figurieren?: Ferner ist der quantitative Einfluß der einzelnen 
erregenden Impulse auf die Tätigkeit der Drüsenzellen unbekannt, dessen 


126 F. Baintner und K. Irk: 


ererbte instinktive Disposition der konstante Faktor der den Nähr- und 
Transformationsstoffen entstammenden Fettbildung ist. Hier wollen wir 
uns bloß auf die Forschungen von Pettenkofer und Voit (Zeitschr. 
f. Biol. 1879) beziehen, weil es uns gelungen ist, auf Grund derselben 
eine gewisse Gesetzmäßigkeit festzustellen bezüglich des einzigen, dem 
Anscheine nach nicht regelmäßig wechselnden Bestandteiles, nämlich: des 
Fettes. Nach Caspari, Soxhlet und Hansen entstammt das Milch- 
fett einesteils direkt der Ausnützung des Fettgehaltes der Nahrungsstoffe, 
andernteils aus der indirekten Verwertung, indem im letzteren Falle der 
Körper ein entsprechendes, von der Individualität des Tieres abhängiges 
Quantum Fett der Milch übergibt, und der Fettgehalt des Nährstoffes 
ersetzt demnach das verbrauchte Körperfett. Letztere Ansicht bestätigte 
Caspari mit einem am Hunde angestellten Versuche, wobei 23°/, des 
verabreichten Jodfettes unverändert der Miloh übergeben wurden. Vom 
Standpunkte des Zweckes unserer Forschungen sind die Versuche Voits 
von viel größerer Bedeutung, laut welchen das Eiweiß im tierischen 
Körper unter normalen Verhältnissen zu Fett umgestaltet werden kann, 
und zwar derart, daß das Protein in zwei Teile, in einen stickstoffhaltigen 
und einen stiokstofffreien Teil gespalten wird, deren letzterer zu Fett 
umgeformt wird. 

Auf Grund seiner an Hunden und Kühen angestellten Versuche 
stellt Voit als Endresultat fest, daß infolge der erwähnten Trans- 
formation des Proteins ein entsprechendes Quantum eiweißreichen Futters 
vollkommen genüge, damit das Tier fettreiche Milch liefern könne, 
Jantzen (Centralbl. f. Physiol. 1901, 505) fütterte Ziegen mit Jodoasein 
und erhielt in der Milch Jodfett, durch welchen Umstand, resp. durch 
welche experimentelle Tatsache letztere Hypothese unterstützt wird, und 
so ist es erklärlich, daß ein Teil des sich auflösenden Eiweißes zu Fett 
umgeformt wird, wodurch das frei gewordene Jod sofort gebunden wird. 

Auf dieser Grundlage läßt sich die in den ersten 24 Stunden auf- 
tretende große Veränderung des Colostrums erklären und kann etwa mit 
der regelmäßigen Abnahme der Proteine in kausalen Nexus gebracht 
werden. 

Die folgende Tabelle VIII zeigt die Fettprozente der Colostren und 
Tabelle IX den Zusammenhang, der zwischen den quantitativen Schwan- 
kungen der beiden Bestandteile (Protein und Fett) besteht, und dessen 
Regelmäßigkeit auch bei den normalen Milchsorten, aber speziell bei den 
unmittelbar nach dem Kalben gewonnenen Proben auffallend ist. 

Das größte Schwanken des Fettgehaltes ist daher in den ersten 
15 bis 20 Stunden wahrzunehmen, da die mit nachträglichen Nerven- 
induktionen wechselnden Geburtsreize von der maximalen Oszillation bereits 
im Rückfall, im Wiederkehr zu dem normalen Ruhezustand begriffen 
sind. Im Anschlusse an diese Erfahrung dünkt uns auf Grund der 
herrschenden Theorien die relative Quantität der Colostrumbestandteile 
und deren Verhältnis zueinander auf folgende Weise erklärlich. 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 127 


Tabelle VIII. 











1] 1) 5,3001 — | — U 4946| 114,7597| 1 | 1,247 Isogleich' 3,168 
2i—ı — Jual — lz) — I-| — la — 3 13,726 
ln — 8 | 7,4404] — | — 5 10,392 | —| — 5 |12,072 
4|—| — |—| — I—| — 112:115202|— | — 12 7,898 
5I—| — |14| 7856| —| — ll — 1165| 5692 | — — 
6|—; — 11910001117 7,5861 — — la) — 20 7,489 
7124| 605I|—| — I—| — 14| 81183I—| — 25 7,850 
Su — I—| — 129i 5598! — | — I—| — — — 
9I—| — 132| 7,137|—| — 136) 6,551132| 6,575 37 5,428 
191I—ı — |44] 7,708]41 |11,012I—| — 1|44| 6,9501 45 6,658 
11148 5,233] —| — I—| — |48| 6,395| — | — 50 6,061 
121—| — 156| 6,433153| 5,602|— | — 156| 5,366 | — — 
131— | — I—! — 1651 6849| —| — I—| — — — 
14| —| — 168| 6154 — Juni — 168 5,859 | 70 4,982 
15I—| — I—| — 177| 5371172 62682 1 — 75 6,059 
16 | 82 | 4,986 | 82 | 7,413] — | — 184! 7,994 | 80 | 8,937] — — 
DI — 94| 5741— | — Lal — I—| — — — 
18I—| — I—| — [101 5,806|—] — I—|ı — 100 | 7,397 
191106! 6,134 | — | — I—| — [108 5871| — | — — — 
2I—| — I—| — 11136,3795 —| — I— — 112 | 6,314 
21 |—; — 1118| 6898857 I—| — I—| — 1116| 9411| — — 
2I—-ı — I—| — Jual — |—| — I1-| — 124 | 7,877 
23 1130| 6,385 |130| 58,571I— | — I—| — 1128| 680081 — — 
241 —— — I—-| — I-| — I-| — I—-| — 136 | 5,744 
25 154) 6,8021 —| — I—| — I—-| — I—| — — — 
261178; 7,031] — | — I—| — I-| — I2 — 172 | 6,722 
271—|ı — I—-| — I—| — Tei — ul — 184 | 7,111 
28 — — Lui — |—| — I1-| — Jl — 196 | 7,070 
Tabelle IX. 










8 

8 
GE 
e Gd 
55 
o © 
As 
bk? 
gr 
N > 






L| 19,916| 7,4404|19,603 ' 
IL] 14,359! 7,856 | 9,354 


4,946 19,773 4,7597| 19,766:1,247| 22,728; 3,168 
II. 12,992'10,001 7,014 


7,586| 16,529 10,392 | 16,528:5,692| 16,705, 13,725 
5,569] 12,570115,202 | 10,142|6,575| 13,975! 12,072 





l 


128 F. Baintner und K. Irk: 


Unter Einwirkung der bedeutenden Nervenreize während des Kalbens 
bedingt die unter dem vasomotorischen Einflusse des Nervus spermaticus 
internus auftretende rasche Serumsekretion ein rapides Zunehmen der 
Konzentration und des Gehaltes an Protein, soweit es der Umfang der 
Euterlumina (mechanische Rückwirkung) und die Lösbarkeit der Be- 
standteile gestatten. Dieser Zustand ist im ersten Stadium der Bildung 
von Colostralmilch vorherrschend. Der mechanische Druck der bedeu- 
tenden osomotischen Konzentration erweitert dann — wie wir es 
bereits gesehen — das Lumen des Alveolus, reduziert die Drüsenzellen 
auf das primäre Stadium, was auch der Ansicht von Bizzozero und 
Vassale entspricht, laut denen die Milohsekretion, resp. die Ausbildung 
des Heidenhainschen hohen Epithels von der Fülle der Alveolen ab- 
hängig wäre, indem die Epithelzellen gelegentlich der Kontraktion der 
Alveolen gedehnt, und mit Erweiterung derselben wieder erweitert werden. 
In letzterem Zustande ist die aktive Tätigkeit der Zellen auf das Mini- 
mum beschränkt, demnach wird auch die Ausscheidung von Fettkugeln 
auf das Minimum -reduziert. Daher stammt der relativ geringe Fett- 
gehalt der zuerst gemolkenen Colostralmilch. Hierauf kann auch der 
Umstand von Einfluß sein, daß sich die Zellen eigentlich in schlaffem 
Zustande, andernteils unter großem Drucke befinden. Außer der aktiven 
Tätigkeit der Zelle ist nämlich auch eine gewisse intracelluläre Spannung 
dazu nötig, damit die zufolge der Flächenspannung anhaftenden Fett- 
körper abgelöst werden können. 

Nachher folgt das erste Saugen des neugeborenen Tieres. Das Euter 
entleert sich, die Spannung der Milobgänge, der Cysternen hört auf. Die 
Alveolen kehren rasch von der infolge des Druckes eingetretenen Er- 
weiterung in die ursprüngliche Lage zurück, ihre aktive Tätigkeit beginnt, 
das in den Zellen angesammelte Serumeiweiß wird zu Fett rasch ver- 
arbeitet, und hierdurch, möglicherweise auch mit Zunahme des mit den 
Nährstoffen aufgenommenen Fettes, wird der Fettgehalt des Sekretes 
bedeutend erhöht. 

Dieser Prozeß geht infolge des raschen Schwindens des Druckes 
entgegen dem normalen Verlaufe so rasch von statten, daß der Gehalt 
an Trockenstoffen in manchen Fällen (z. B. die Milch von Märgyala) von 
28,4890/, auf 32,063°/, oder (z. B. die Milch von Zsuzsi) von 29,644°/, auf 
32,755°/, erhöht wird. Einesteils der osmotische Druck des in die Milch- 
höhlen gelangten größeren Quantums Fett, andernteils die gesteigerte Trans- 
formation der Proteine verursachen eine beträchtliche Verminderung des 
Proteingehaltes des Sekretes. Diese Annahme wird auch von der Er- 
fahrung bestätigt, daß das umgekehrte Verhältnis in der Änderung der 
erwähnten zwei Bestandteile des Sekretes in den meisten Fällen zu kon- 
statieren ist. 

Eine weitere Folge der aktiven Tätigkeit der Zellen ist auch die 
Zunahme von Milchzuoker, die mit dem Fette gleichzeitig ein, wenn auch 
allmähliches, aber stetes Steigen aufweist. Auch das Verhältnis der Protein- 
bestandteile erleidet eine Umänderung, indem das Casein auf Kosten des 
Albumins zunimmt, da ein Teil desselben vom Nuclein der Zellkerne 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmiloh. 129 


gebunden wird. So ist es erklärlich, daß die zweite Milch fettreich ist, 
der Zuckergehalt zunimmt, der Proteingehalt abnimmt, und daß die 
Quantität des Caseins auf Kosten des Albumins wächst. Das wiederholt 
sich auf obige Weise, bis die Milchbestandteile in labilen Gleichgewichts- 
übergängen die normale Zusammensetzung erreichen. 


Die Wahrscheinlichkeit unserer zuvor dargelegten Annahme wird 
durch die Untersuchungen von Erlenmeyer, Hendel und Mühlbach 
bestätigt, ferner durch die allgemein bekannte Tatsache, daß die Milch 
in kürzeren Zwischenräumen gemolken, an Gehalt an Trockenstoffen zu- 
nimmt, im entgegengesetzten Falle aber, wenn sie in dem Euter längere 
Zeit verbleibt, verdünnt wird (siehe Tabelle X und XI). Je öfter die 
Milchlagunen entleert werden, desto bedeutender ist die Bildung von 
Fett, Eiweiß und Zucker usw., da mit Verringerung des auf die Alveolen- 
wand geübten osmotischen und mechanischen Druckes auch der Druck 
schwindet, der auf die Tätigkeit der Epithelzellen hemmend wirkt; bei 
längerem Stehen hingegen übt das angesammelte Sekret einen mecha- 
nischen und zufolge der. Konzentration einen osmotischen, bzw. hemmen- 
den Einfluß auf die Milchdrüsen, die Transformation von Eiweiß, Fett, 
Zuoker usw. nimmt ab, und die Milch wird allmählich immer dünner. 








Tabelle X. 
(Hendelund Mühlbach, Landwirtschaftliche Versuchsstation 906, S. 455.) 
un E n E 
Das Melken abends | $ -© | Das Melken früh ck Das Melken früh 
8 Uhr £ E 4 Uhr £ 5 4 Uhr 
I. A Si II. A = IH. 
Milch Fett Milch Fett Milch Fett 





(Die I. Rubrik weist den Fettgehalt einer nach 4stündigem, kurzem 
Zwischenraume gemolkenen Milch; die darauf folgende II. Rubrik zeigt 
die Werte einer nach längerem, 8stündigen Intervalle gemolkenen Milch; 
die III. Rubrik zeigt wieder die entsprechenden höheren Werte eines 
4stündigen Intervalles auf, wie das auf Grund unserer oben erörterten 
Ansicht kausalerweise folgt.) 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 9 


130 F. Baintner und K. Irk: 








Tabelle XI. 
Der vom letzten Melken | ; |] K 
: S Feste Bestandteile Feste Bestandteile 
en | der ersten Milch der letzten Milch 
12 | 9,90 | 11,82 
6 12,80 i 16,06 
5 11,40 17,70 


Thanhoffer: Histologie 

Daß in der Frauen-, Kuh- und Büffelmilch bezüglich des Ver- 
hältnisses und der quantitativen Änderung der Bestandteile ähnliche Be- 
ziehungen obwalten, bestätigt nur die Richtigkeit unserer Annahme. Die- 
selbe wird durch jene Erfahrung keineswegs entkräftigt, wonach im Co- 
lostrum des Schafes und der Ziege der Fettgehalt anfangs hoch ist und 
später abnimmt, da die vielen Proteintrockenstoffe und wenig Zucker 
für dieselben charakteristisch sind. Diese im Fettgehalte der ersten 
Milchsorten obwaltende Differenz kann durch die abweichende chemische 
Konstitution des Blutserums, durch die Änderung der Konzentration 
des Sekretes und der dadurch bedingten Druckänderung und noch auf 
mehrere andere Weisen erklärt werden, und was die theoretische Grenze 
der einzelnen Werte sein mag, kann bloß durch entsprechende Experi- 
mente bzw. durch deren Resultate entschieden werden. 

Im Zusammenhang mit dem Fettgehalte der Milch bot sich als 
interessantes Experiment dar, die Größe der Fettkügelchen, ihre Zahl 
in L cmm Milch festzustellen, und besonders, von welchem Einflusse die 
Änderung des Fettgehaltes auf die Zahl der Fettkügelchen sei. Als Meß- 
instrument wurde das Okularmikrometer von Reichert verwendet, dessen 
Werte mit einem Objektivmikrometer verglichen — von Fall zu Fall 
der gebrauchten Vergrößerung entsprechend umgerechnet wurden. In der 
Büffelmilch fanden wir Fettkugeln im Durchmesser von 1 u (Mikron) = 
(0,001 mm) — 15 « Mikron (0,015 mm). 

In den ersten Milohsorten fanden sich sehr viele, kleine Fettkugeln 
von 2 bis 3 Mikron Durchmesser, später überwiegen entschieden die 
größeren im Durchmesser von 7 bis 9 Mikron und dieses Verhältnis ver- 
bleibt konstant mit kleineren oder größeren Schwankungen bis zu Ende. 

Etwas umständlicher war das Verfahren, das wir zur Zählung der 
in 1 omm vorhandenen Fettkugeln eingeschlagen haben. 

Der Apparat von Professor Thoma, der zur Zählung von roten 
und weißen Blutkörperchen dient, war nur mit einem gewissen Kniffe 
za verwenden. Die Fettkügelohen schwimmen nämlich im Gegensatz zu 
den Blutkörperchen auf der Oberfläche der Flüssigkeit, weshalb die- 
selben zufolge der verschiedenen Distanz von dem Focus, mittels des 
Zählnetzes, das auf den Boden der Zählkammer eingestochen ist, nicht 
beobachtet werden können. Die Fettkügelchen werden durch die zur 
Verdünnung der Milch verwendete Kochsalzlösung noch mehr vom Zähl- 
netze entfernt; die Kochsalzlösung wurde mit einem dem Serum ent- 
sprechenden spezifischen Gewichte zur Verdünnung der Milch verwendet, 








Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 131 


damit eine bedeutendere Änderung des osmotischen Druckes resp. des 
Dissoziationsgrades nicht etwa den Zerfall der Fettkugeln verursachen möge. 

Diese Schwierigkeit konnten wir durch Anwendung von Osmium- 
säure (OsO,) beheben, weil das spezifische Gewicht der Fettkugeln durch 
das von dem Fett reduzierte reine Osmium derart erhöht wurde, daß 
eich dieselben auf den Boden der Kammer, demnach auf das Zählnetz 
lagern, wodurch sie wahrgenommen und vermöge der dunkleren Färbung 
leichter gezählt werden können. 

Auf Grund des Gesagten bewerkstelligten wir die Zählung in fol- 
gender Weise: Von der Kochsalzlösung, die ein dem Serum entsprechendes 
spezifisches Gewicht besitzt, wurden 199 com abgemessen und in dieselbe 
L com der zu untersuchenden, gut aufgerüttelten Milch eingeträufelt, dann 
wurden die beiden Flüssigkeiten gut geschüttelt. Von dieser Mischung 
wurden 3 bis 6 com auf ein Uhrglas gegossen, mit einem anderen be- 
deckt, dessen Innenfläche mit einem Tropfen einer 1°/,igen Osmium- 
säurelösung benetzt wurde. Nach einstündigem Stehen wurde die Glas- 
kammer mit der den Osmiumdämpfen ausgesetzten Milch gefüllt, die 
vorher tüchtig geschüttelt wurde, damit sich die niedergeschlagenen Fett- 
kugeln gleichmäßig verteilen, dann wird die Objektivplatte darauf ge- 
gegeben, mit gehöriger Achtsamkeit, damit in der Kammer keine Luft- 
blase sei. Hierauf überzeugen wir uns mittels geringer (70facher) Ver- 
größerung davon, ob die Fettkugeln gleichmäßig verteilt sind, dann be- 
ginnen wir bei 450 bis 500facher Vergrößerung mit der Zählung der 
Feitkörper. Wir zählten stets den Inhalt von 9 bis 16 Quadraten und 
wiederholten 4 bis 5mal die Berechnung an einer stets anderen Stelle 
der Kammer, weil die Bestimmung desto verläßlicher ist, je mehr 
Quadrate gezählt werden. Die auf ein Quadrat entfallende Durchschnitte- 
zahl ist durch eine Division mit 9 bzw. 16 leicht zu berechnen. Wenn 
wir nun letztere Zahl mit 4000 und je nach dem Grade der Verdünnung 
noch mit 100 bis 200 multiplizieren, so entspricht das Produkt ungefähr 
der Zahl der in 1 cmm befindlichen Fettkugeln. Die folgende Tabelle 
weist den Fettgehalt und die Zahl der Fettkugeln von 1 omm Milch der 
Büffclkuh Zsuzsi während der ersten 8 Tage nach dem Kalben auf. 


Tabelle XII. 






233 

238 Zahl Zahl 

e Bu der Fettkugeln der Fettkugeln 

= = inlcmm Milch in 1 cmm Milch 
FE 









Owu a A Era Laufende Nr. 


| 


132 F. Baintner und K. Irk: 


Laut Ergebnis der mitgeteilten Daten besteht zwischen dem Fett- 
gehalte und den in 1 omm enthaltenen Fettkugeln nicht jener enge Zu- 
sammenhang, der etwa zu erwarten wäre, indem die Zahl der Fettkugeln 
in Milchsorten des nämlichen Fettgehaltes sehr verschieden sein kann. 
Das fällt besonders dann auf, wenn wir die 1 oder 2 Tage nach dem 
Kalben gewonnenen Milchsorten von diesem Standpunkt mit den letzthin 
gemolkenen Milchsorten vergleichen, während die Colostra und die nor- 
malen Milchsorten gleichen Fettgehaltes bezüglich der Zahl der Fett- 
kugeln untereinander geringere Differenzen aufweisen. Der Grund davon 
muß der verschiedenen Größe der Fettkugeln, ferner jenem Umstande 
zugeschrieben werden, daß, während die Fettkugeln in einem Falle, z. B. 
in dem Colostrum, nahezu ausnahmslos sehr klein sind, in der normalen 
Milch die größeren häufiger vorkommen, wenn auch das Verhältnis zwischen 
denselben nicht konstant ist; daher kommt es, daß die Zahl der Fett- 
kugeln in 1 omm Milch trotz zunehmenden Fettgehaltes oft abnimmt. 
Auf Grund obiger Tabelle kann überhaupt gesagt werden, daß in dem 
Colostrum des Büffels jedem Prozente Fett eine Million, in der normalen 
Milch aber ungefähr 0,5 Millionen Fettkugeln entsprechen. Die zwischen 
dem Colostrum und der normalen Milch auch diesbezüglich konstatierbare 
bedeutende Differenz dürfte ihre physiologischen Gründe haben. 


Wir wollen schließlich noch erwähnen, daß die ätherische Lösung 
des Fettes sich in zwei separate Schichten absondert, nämlich in eine 
dunkelgelbe, diekere untere Schicht von größerem zpezifischen Gewicht, 
und in eine über derselben schwimmende, hellere, gelbe Schicht. Im ge- 
sohmolzenen Fette befinden sich außerdem auffallend dunkelbraune 
Tropfen, die bald zusammenfließen, bald gesondert im Fette schwimmen. 
Ob sie bezüglich des chemischen Baues voneinander differieren, ist einer 
besonderen Untersuchung zu entscheiden vorbehalten. 


Gehalt an Trockenstoffen. 


Der Gehalt an Trockenstoffen der Colostralmilch ist anfangs zufolge 
der vielen Proteine, später zufolge des rasch zunehmenden Fettgehaltes 
außerordentlich hoch. Die Steigerung erreicht in den ersten 15 bis 20 
Stunden das Maximum (siehe Tabelle XIX), wie es unseren vorher- 
gehenden Erörterungen nach zu erwarten war. Das allmähliche Zu- 
nehmen des Zuckergehaltes entgegen dem rapiden Falle der sonstigen 
Bestandteile beeinträchtigt die Abnahme der Trockenstoffe keineswegs; 
Die Bestimmung derselben erfolgte mittels Quarzsand und Gips bei 
100 bis 150° C; übrigens wird der weißlich-gelbe Rest rasch gebräunt 
und gibt Anlaß zu Fehlern. 


ufende Nr. 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 


Trocken- 
substans 


Tabelle XIII. 









133 


Trocken. 
substanz 








ıl 1 31,528|—| — 1 128,484 | 1 (24,092 |sogleich 29,644 
=, el ee Jä Ze Ae 195 
3I—| — |8 129,93| —| — 5 30,688] —| — 5 129,259 
ar ee (tg 32,063 —| — | ı2 lıss32 
5I—| — {[14i2%,866|—| — I-, — l15:25,935|] — | — 
6i —| — 119 128,867 117 21,037I— | — I—| — 20 117,696 
7124 115,8701— | — li — (Sé 120,043| —| — 25 !18,182 
I) — |—| ee — |-| = | = — 
9I—| — [32 |19,078]—| — {36/17,431|32/'20,788| 37 15,917 
ol li — 144117745 |41 22,294 |—| — las 18,813) 45 [16,465 
11 las 114,778I— | — Li — Isslıza0|—| — | 50 [16,202 
al ji 156 17,689 | 53 116,679]|—| — 656 16,9611 — | — 
ı3I-| — I—-| — Isslıssel—| — -| - I — | — 
141—| — 168 l18327I—| — I—| — .les)16,747| 70 115,511 
15I—! — Lu — 177115,859 | 72 |16,270I1 — | — 75 116,493 
16 | 82 115,130 | 82 118,231 I— | — |s4lı6,500|80 184114] — | — 
ek =: 194166941 |): =. Je we ht | éen E vg 
ı8sI-| — I-| — horlısoe2|—-| — |—-! — | 100 !17,809 
19 [106 16742 | Li — hoslısoal—| — | — | — 
oul — I—-! — [m316,339|—| — I—-| — | 112 |16,730 
21I—| — 111816,161|—| — — — [116117,608]| — — 
2|—| — |—| ee — |—| — |—| — |124 18,560 
23 |130|17,326 {130,16,179 | — | — ll — 112817, 28s51 — — 
241 —) — I—| — le) — I—| — |—| — 136 17,656 
3115417,581—-| = J= — 
26 1178117,5355 1 — | — I—| — |—]| — I—| — 172 18,447 
Gah eg, desch ee ee zeg, ee ee 484 117,088 
28sI—| al — ll — al — |—]| — 196 |17,925 
Zuckergehalt. 


Die Bestandteile, wodurch die Fehlingsche Lösung reduziert wird, 
sind in den ersten Stunden am geringsten, sie nehmen aber allmählich 
und stufenweise zu (siehe Tabelle XIV) und erreichen schließlich nach 
ungefähr 37 bis 48 Stunden die normale Grenze (4,073%/,, 4,138°%/,, 
4,341°/,, 4,382°/,, 3,830°/, und 4,149°/,). Der Zucker bildet nebst dem 
Protein den am regelmäßigsten veränderlichen Bestandteil des Colostrums, 
er nimmt aber im Gegensatz zu demselben stufenweise zu, während das 
Protein stufenweise abnimmt. Der Zusammenhang zwischen dem regel- 


134 F. Baintner und K. Irk: 


mäßigen, aber entgegengesetzten Variieren dieser beiden Bestandteile ist 
mehr als wahrscheinlich; auf Grund unserer heutigen Kenntnisse ver- 
fügen wir aber kaum über eine akzeptable Hypothese. 


Tabelle XIV. 





4,214 


17I—| — |94| 201|—| — 
18I—| — I—| — DO 4743| — 
19 1106| 4,223 |—| — |—| — Ho 
2|—| — |—| — [113] 4,541 | — 
21l—| — [118 4,626|—| — I— 
21 — — — — — — — 
23 [130| 4,369 |130! 424651 | — |— 
DAN e, HE. Sa el oe as 
25 |154| 4,5851 —| — I—| — I- 
2611781 4,885 I — | — I-| len 
gi — I—| — el — I— 
98 fanl ui est et ze ee 


Laut Tierfelder geht der Vorgang auf fermentativem Wege von 
statten, indem das Ferment in den Drüsenzellen an dieselben gebunden 
verbleibt und bloß der transformierte Zuckerbestandteil frei wird. Diese 
Annahme wird durch das konstante Steigen des Zuckergehaltes entgegen 
der regelmäßigen Abnahme des Proteins unterstützt. Nach E. Fischer 
soll der Milchzucker aus dem Dextrosegehalte des Blutes durch eine 
stereochemische Umänderung entstehen. Nach dieser Richtung hin sind 


Experimente im Zuge. 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch: 135 


Welche Hypothese immer sich bewahrheiten sollte, sie steht zu 
unserem dargelegten Standpunkt im Endresultate in keinem Gegensatz. 

Die Bestimmung des Zuckers erfolgte in jedem Falle nach dem 
Verfahren von Ritthausen; es wurde nämlich nach erfolgtem Nieder- 
schlage des Proteins aus dem Gewichte des mit der Fehlingschen 
Lösung reduzierten Kupfers die reduzierende Lactose berechnet. 


Tabelle XV. 


e m eee e e — — 













, Laufende Nr. 


(ln — — 1,0605 
le sn Tl 1,0545 
3l—-! — | | 1,0687 5 1,0452 
lei ze Hei e 1,0342 
sl — 14) 1,0450 = 
6eļ—| — [19 1,0449 = 1,0330 
7124 1,03335|—| — |— 24 — 
sI-! — Lu — [2 10398|—| — 1,0332 
oi — [32|1,0355|—| — |36| 1,0350 1,0358 
10[—| — 14| 1,0330|41|1,0333|— | — 1,0348 
11 |48 1,0327 I—| — |—| — |ss| 1,0352 1,0341 
al TI 156[/1,0320[53|1,000|—, — = 
3|—-! — I-| — ļl65|10338|—| — = 
Wl — |I8110886]—-| ll — 1,0331 
15I—| ll — 177! 1,0345 | 72 | 1,0330 1,0330 
16 | 82 11,03632|82 | 1,0340 |— | — |s4 = 


—— 94 | 1,0345 | — | — 
1,0335]— | — 


| 
| 
bel 
© 
pat 


1,0332 








19 1106 1,03564 | —] — |I—-| — — 
20|—| — —— |l131,0350|—| — 1,0349 
21]—| — [118 1,0345 — 
21— — I|I-| — 1,0346 
23 [130 1,03601 U 301 1,0355 — 
24| —| — — — 1,0345 
25 |154 1,03618 | —| — — 
26 |178 1,03550 | — | — 172, 1,0363 
DI: — — — 184 1,0366 
281 — — — — 196 1,0380 








i 
Spezifisches Gewicht. 


Im Laufe unserer Forschungen erhielten wir das höchste bis jetzt 
im Colostrum festgestellte spezifische Gewicht, dessen Wert in einem 
Falle auf 1,07445 (siehe Tabelle XV) stieg; dann nähert es sich mit 


136 F. Baintner und K. Irk: 


konstantem Sinken dem Durohschaittswerte. Auffallend ist es, daß die 
Zunahme des Gehaltes an Trockenstoffen in mehreren Fällen (siehe z. B. 
die Milch von Märgyala, Tabelle IV) von keinem ähnlichen Einflusse 
auf das spezifische Gewicht der Milch ist, im Gegenteil, das spezifische 
Gewicht nimmt noch ab. Das erfolgt nämlich in solchen Fällen, wenn 
die Zunahme der Trockenstoffe durch eine Vermehrung des Fettquantums 
verursacht wird. Als Beweis hierfür dient, daß die Steigerung wie 
auch das Sinken des spezifischen Gewichtes den Änderungen der fett- 
freien Trockenstoffe getreu folgt, wie das aus dem Vergleiche der Rubriken 
von fettfreien Trockenstoffen und des N Gewichtes erhellt 
(s. Tabellen I bis IV). 


Gehalt an Asche. 


Der Aschengehalt der unmittelbar nach dem Kalben gemolkenen 
Milch ist am höchsten (s. Tabelle XVI), nachher folgt eine kurze Ab- 
nahme, dann wieder eine konstante Zunahme, schließlich verbleibt er 
innerhalb der Grenzen normaler Schwankungen konstant. Eigentümlich 
und erwähnenswert ist es, daß das Wechseln desselben von dem 
Quantum fettfreier Trockenstoffe und der Milchbestandteile unabhängig 
ist, so weist z. B. der Aschengehalt oft, wenn auch die fettfreien Trocken- 
stoffe eine Zunahme zeigen, eine Abnahme auf (s. Tabellen I bis VI). 


Die Refraktion des Colostralserums. 


In Ermangelung eines entsprechenden Apparates war Herr Ernst 
Losonczy, königlL Chemiker, so freundlich, in der staatlichen chemischen 
Versuchsstation zu Kolozsvär die Refraktion des Serums von Büffel- 
colostren mittels des C. Zeißschen ‚„Eintauchrefraktometers“ zu be- 
stimmen. Die Skala erstreckt sich von — 5 bis + 105 = n. D. 1,325 39 bis 
1,36640. Jede einzelne Bestimmung wurde bei 17,5°C vollzogen. Das 
destillierte Wasser hat bei 17,5° C = 15 Refraktiometergrade — 1,333 24 
n. D., welch letztere Zahl den „Refraktionsindex“* in bezug auf eine 
D-Strahlen- Beleuchtung bezeichnet. 


Die Daten der Tabelle XVII beziehen sich auf die Milch der 
Büffelkuh VI. Zsuzsi. 


Die Refraktion des Serums von normalen Büffelmilchen befindet 
sich daher zwischen 45 bis 50 Refraktometergraden. 


Letzthin hat Dr. C. Schnorf Kuhcolostren behufs Bestimmung der 
Leitungsfähigkeit, des Sinkens des Gefrierpunktes und der refrakto- 
metrischen Werte untersucht, und er beobachtete entsprechend der beim 
Büffelcolostrum konstatierbaren bedeutenden Änderung, daß die Leit- 
fähigkeit und das Sinken des Gefrierpunktes innerhalb der ersten 
8 Stunden, also meist bei dem Entnehmen der zweiten Probe abnormal 
hoch steigen (z. B. von 46,75 >< 10% auf 60,90, sogar auf 66,14 >< 104), 
dann sinken sie allmählich bis zum normalen Wert. Die zwischen beiden 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 


Tabelle XVI. 


137 














* 

2 

8 

£ 

3 

ılı !o910[—| — |1[/0,857| 1 | 1,041 | 1 | 1,056 |sogteich| 0,829 
lh, ee inr Jess, el ee 100 
3|—| — |sjoss|—| — [5 0.9706 | — | 5 | 0,87 
4|—| — I-| — — — Je|o889|—| — | 12 |0,733 
5|—| — [1/0871 — — ll — lis oess — | — 
6I-| — [1810,88 1710813 I—| — — — | » [0,813 
7{24| 0,887 |—| — I-| — [24|0,857|—| — | 25 | 0,834 
ser GG er ee 
9|—| — |s2!0,83]—| — 136 | 0,866 |32| 0,904 | 37 | 0,895 
10|—-| — |as| 0,896 |aı 0,816 |— | — |44|0,908] 45 | 0,883 
11 |48 | 0935 || — |— 48| 0,871 |—! — | 50 |0872 
12|—| — |se| 0,833 |53 | 0,886 |— | — 56 | 0967| — | — 
ile ër eat — 
14|—| — |es|0o,920|—-| — |-| — |es| 0,955 | 70 | 0,951 
15I—-| — |-| — [77] 0,87 |72|0,878|—-| — | 75 | 0,989 
16 | 82 | 0,960 | 82 | 0,958 |— | — |s#| 0,03 [so 0961| — | — 
171 o e en Jeck es. Ji ei A ep 
ıs|—-| — |-| — Wolongëi-t — |—| — | 100 | 0,966 
19 |106; 0,988 I— | — |—' — Jioslosıs|-| — | — — 
on) (Li Is 0,925|—! — |—| — |12 | 0,52 
21|—-| — [us 097|—-| li — meom] — | — 
E E EE EE GE CR 
23 |130| 0,982 |130! 0,928 |—; — = — |128 0988| — | — 
a= — I-! - ll ln Li — [| 186 | 0,913 
25 |154| 0,979 |—] — — le de = Zul Ae 
26 178 0,914 |—| — — — |—. — |—| — | 172 [0,978 
27 = Ze, el a = = =) — | 184 | 0,939 
Set — — je — |—! — |-| — | 1% | 0,92% 





Colostren herrschende Analogie ist sehr auffallend, nur besteht der Unter- 
schied, daß im Büffelcolostrum das plötzliche Steigen des Wertes nicht 
mit der Zahl der nach dem Melken verstrichenen Stunden, sondern mit 
der Zahl des Melkens in Zusammenhang steht. Der Salzgehalt des Colo- 
strums aus der Milch ist nahezu der nämliche; daß die Leitfähigkeit 
trotzdem so gering ist, ist dem Umstande zuzuschreiben, daß die Dis- 
soziation der Ionen durch das unverhältnismäßig große Quantum des 
nicht elektrolytischen Caseins und Albumins verringert wird. 


138 F. Baintner und K. Irk: 
Tabelle XVII. 











Zahl der 


S 5 E e 
s cb Stunden vom z e E Stunden vom ; 
Ge S Kalben Eis S Kalben Refraktion 
z SS gerechnet SE © | gerechnet 
N 
1 sogleich 58,0 11 70 46,3 
2 3 56,0 12 75 45,5 
3 5 62,0 13 — — 
4 12 52,0 14 100 46,4 
5 20 54,0 15 112 45,2 
6 25 51,0 16 124 45,0 
7 37 = 17 136 45,1 
8 45 45,0 18 172 46,0 
9 50 45,5 19 184 45,8 
10 — — 20 196 45,0 


Sohnorf erhielt keinen Zusammenhang einesteils zwischen den 
Werten der Leitfähigkeit und Sinken des Gefrierpunktes einerseits, zwischen 
den refraktometrischen Werten andererseits. Beim Büffelcolostrum offen- 
bart sich die bedeutende Veränderung der Zusammensetzung der Milch 
auch in der auffallenden Anderung der Refraktion des Serums. 

Auf die Bestimmung der Leitfähigkeit und des Sinkens des Ge- 
frierpunktes des Büffelcolostrums konnten wir in Ermangelung ent- 
sprechender Apparate nicht eingehen. 


Tabelle XVIII. Die durchschnittliche Zusammensetzung der Colostral- 
milch der Frau und einiger Tiere. 





































gl Ursprun 
Name Wasser Protein Fett |Zucker| Asche en ns B Sg der ana- 
| Me E lytischen 

Gehalt in Prozenten Daten 






| | | 
milch |84,30 2,942 0,340 15,70 | 















— 248 11,78 — — į Eugling!) 
Schafs- | 
milch 24,976 9,419 2,000 0,826 140,002 11,07982| Dr. Baintner 
Katzen- 
milch 81,63 | 9,08 13,33 14,91 :0,58 — — | König 
Büffel- 


1,07038 Dr. Baintner, 


milch [71,4777 20,5543 4,6448 2,1253 0,92518 28,5223 Dr. Irk 


| | | | 

1) Der oben besprochene Zusammenhang kann bezüglich der bisher 
genauer untersuchten Milchsorten für allgemein gelten, indem die in 
letzterer Zeit von Dr. M. Siegfeld (Colostrum-Analysen, Molkerei-Zeitg. 
908, 1293) publizierten Angaben: 





Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 139 


Resumé. 


Die physikalischen Eigenschaften und die chemische Zu- 
sammensetzung des Büffelcolostrums entsprechen im großen 
ganzen dem Colostrum der übrigen derzeit bereits untersuchten 
Wirbeltiere. Demnach ist der Proteingehalt der ersten Milch 
außerordentlich hoch (19 bis 22°/,), der Gehalt an Fett (l bis 
7°/,) und an Zucker (2°/,) hingegen gering; der Proteingehalt 
weist dann schon nach Verlauf von 24 Stunden eine rapide 
Abnahme (durohschnittlich 12°/,) auf; es ist ein kurzwährendes 
Steigen, dann Sinken des Fettes wahrzunehmen, während die 
Zunahme der Zuckerquantität konstant ist. Der Gehalt an 
Trockenstoffen ist nicht stets in der ersten Milch am höchsten 
(24 bis 31°/,), die Quantität kann in den dem Kalben folgenden 
24 Stunden noch zunehmen (z. B. in zwei Fällen: 32°/,), nach 
dieser Zeit erfolgt das Sinken rapid auf den konstanten Durch- 
schnitt 16 bis 17°/,. Das stufenweise Sinken des spezifischen 
Gewichtes (am höchsten 1,07445) kann abgesehen von sehr 
kleinen Schwankungen konstant genannt werden. Schließlich 
beträgt die nach dem Verbrennen der Milch zurückgebliebene 
Asche anfangs meist 0,8 bis 1,05°/,, hierauf folgt eine kurz 
währende bedeutende Abnahme, dann eine neuere Zunahme. 
Die höchste Anderung sämtlicher Milchbestandteile ist in den 
ersten 24 Stunden wahrzunehmen. Ein sehr getreues Bild der 
in der Zusammensetzung der Milch eintretenden Änderung er- 
halten wir in der Refraktion des Milchserums, es steht uns 


Kuh III. Gekalbt 20./X. 1/,9 Uhr morgens. 









Eiweiß- 
stoffe Asche 


Spezif. E Fett Casein |Zucker 

















Gehalt in Prozenten 


— — nn 
— — Seege 





4,70 | 5,42 | 3,38 | 3,20 | 0,92 


4,60 | 2,20 | 0,87 


morgens | 1,0310| 17,62 | 8,66 | 4,81 | 3,05 | 3,25 | 0,89 


mit den von uns festgestellten Schwankungen der Bestandteile überein- 
stimmen. Es wäre angezeigt, auch die Milch des Schafes und der Ziege 
auf dieser Grundlage zu untersuchen. 


140 F. Baintner und K. Irk: 


daher in dem Refraktometer ein leicht und schnell anwend- 
bares Instrument zur Konstatierung der Fälschung von Büffel- 
milch zur Verfügung. 

Die vorher erwähnte quantitative Änderung der Bestand- 
teile ist für die Colostra überhaupt charakteristisch, eine Aus- 
nahme bildet bloß das Schafs- und Ziegencolostrum, deren 
Fettgehalt im Gegensatz zu dem Colostrum der Frau, der Kuh 
und des Büffels nach den uns zur Verfügung stehenden Daten 
anfangs hoch ist (im Schafscolostrum +/, Stunde nach dem 
Kalben 25°/, nach König), dann rapid und konstant fällt. 
Abgesehen von letzterwähnter Ausnahme berechtigt uns die 
Gleichförmigkeit, die in. der Zusammensetzung und Veränderung 
der Colostralmilch bemerkbar ist, zu der Annahme, daß sich die 
Milch und die Bestandteile derselben auf identische Weise ent- 
wickeln. Unseres Erachtens nach wird der wesentliche Unter- 
schied zwischen Colostrum und Milch hauptsächlich durch die 
mit dem Kalben verbundenen Nervenreize verursacht, was durch 
den anatomischen Nexus der Genitalien und des Euters noch 
bestätigt wird. 

Die Grundsubstanz der Milch ist das DBlutserum, wo 
aber das für normale Milch charakteristische Casein und der 
Milchzucker fehlen; sie sind daher die Produkte der aktiven 
Tätigkeit der Milchdrüsenzellen, desgleichen das Milchfett, das 
in dem DBlutserum zwar vorkommt, doch im Verhältnis zur 
Milch in geringer Menge. Das Casein ist eine Verbindung der 
im Kerne der milchsezernierenden Drüsen befindlichen Nuclein- 
säure mit eiweißartigen Körpern (Nucleoproteiden), die vom Blut- 
serum geliefert werden. Das Fett stammt ebenfalls z. T. aus 
Eiweiß, desgleichen der Milchzucker, der sich wahrschein- 
lich unter Einwirkung eines bisher unbekannten Enzyms ent- 
wickelt. 

Der konstant hohe Proteingehalt der Colostralmilch wäre 
derart zu erklären, daß das Netz von Leitungscapillaren der 
Arteria uberi zufolge des vasomotorischen Baues des Nervus 
spermaticus externus unter Einwirkung der eingetretenen maxi- 
malen Reize das innerhalb der Gefäßwände zirkulierende Blut- 
serum zwecks reichlicher Ernährung des jungen Tieres in 
solchem Quantum durchdringen läßt, daß es von den Drüsen- 
zellen wegen des hohen Druckes der Lösung nicht verarbeitet 


Beiträge zur Zusammensetzung der Büffelmilch. 141 


werden kann, daher unverarbeitet in die Lakunen der Alveolen 
dringt. Auf diese Art übt die angesammelte starke Eiweiß- 
lösung, deren Eiweißgehalt im Laufe der Osmose, eventuell auch 
zufolge des Hämoglobinzerfalles noch zunehmen kann — eines- 
teils auf osmotischem Wege, andernteils auf mechanischem, 
einen hohen Druck auf die Heidenhainschen Epithelzellen, wo- 
mit die Alveolenwände bekleidet sind, und nötigen sie zur Un- 
tätigkeit. Die zur Untätigkeit gezwungenen Drüsenzellen können 
keine Wirkung auf die Menge des durchdringenden Serum- 
eiweißes entfalten, die Zerfallsfähigkeit der Zellkerne wird re- 
duziert, die geringe Menge Nucleinsäure vermag bloß wenig 
Albumin zu Casein zu binden. Die Milch ist daher an Casein 
arm, jedoch reich an dem im Serum bereits fertig vorhandenen 
Albumin. Dieser von der Konzentration des Sekretes abhängige, 
inaktive Zustand verhindert auch die Entstehung von Fett 
und Zucker, die meist dem Zerfalle von Eiweißstoffen entstammen. 
Das ist auch der Grund, weshalb die unmittelbar nach dem 
Kalben entnommenen Proben arm an Fett und Milchzucker sind. 

Schließlich besteht zwischen dem Fettgehalte der Milch 
und den in 1 cmm enthaltenen Fettkugeln nicht jener enge Zu- 
sammenhang, der etwa zu erwarten wäre, da die Zahl der Fett- 
kugeln in Milchsorten gleichen Fettgehaltes sehr verschieden sein 
kann. 


Über die Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 
Von 


A. J. J. Vandevelde, Gent. 


(Aus dem chemischen und bakteriologischen Untersuchungsamt in Gent.) 
(Eingegangen am 10. April 1909.) 


In Untersuchungen mit H. De Waele über das Bestehen 
einer Antikatalase!) habe ich feststellen können, daß bei Mischungen 
von lackfarben gemachtem Blut und Antiserum eine Erwärmung 
auf 55°C die Antiwirkung verzögern kann und daß dadurch 
die Enzymwirkungen beschleunigt werden. Meine Unter- 
suchungen über die Proteolase?) der Milch und des Serums ver- 
anlaßten mich nun, mittels der Einwirkung der Wärme auf diese 
Flüssigkeiten die Existenz einer Antiproteolase zu untersuchen. 


Es wurden zentrifugierte Kuhmilch, Rinderblutseerum und Pferde- 
blutseerum während 30 Minuten im Weasserthermostaten auf 45°, 55° 
und 650 C erwärmt. Dieses wurde auch mit Mischungen gleicher Mengen 
erwärmter oder nicht erwärmter Milch und erwärmten Serums ausgeführt. 

Die Flüssigkeiten wurden, wie ich früher?) beschrieben habe, mit 
dem zehntel Volum einer 3°/,igen Jodoformacetonauflösung versetzt, gut 
geschüttelt und im Brutschranke bei 37,5% C in gut mit Gummi geschlos- 
senen Flaschen aufbewahrt. 

Am ersten Tage, und dann nach 70 und 410 Tagen, wurden die 
Proteine mit Äthylalkohol gefällt Dabei wurden a) 10ccm der Milch 
oder des Serums mit 7 ccm 92 vol.-prozent. Alkohol versetzt; der Nieder- 
sohlag wurde von der 38 vol.-prozent. Alkohol enthaltenden Flüssigkeit be- 
freit, auf einem tarierten Filter gesammelt, dann mit 38 vol prozent, Alkohol 
ausgewaschen; b) I0 com der Milch oder des Serums mit20 com 92 vol.-prozent. 
Alkohol vermischt; dieser Niederschlag wurde von der 61 vol.-prozent. 
Alkohol enthaltenden Flüssigkeit auf gleiche Weise befreit, auf einem 


1) H. De Waele und A J. J. Vandevelde, Läßt sioh das Be- 
stehen einer Antikatalase nachweisen? Diese Zeitschr. 9, 264, 1908. 


2) A. J. J. Vandevelde, Über Löslichkeitsveränderungen bei - 


Milch- und Serumproteiden. Diese Zeitschr. 7, 396, 1908. 
DA J. J. Vandevelde, Über die Anwendung von Antiseptiken 
bei Untersuohungen über Enzyme. Diese Zeitschr. 8, 315, 1907. 


A. J. J, Vandevelde: Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 143 


tarierten Filter gesammelt und mit 61 vol.-prozent. Alkohol gewaschen. 
Dadurch wurde nicht allein der mit 38 vol.-prozent. Alkohol fällbare Pro- 
teinteil bestimmt, sondern die ganze nicbt proteolysierte Eiweißmenge. 

Bei Mischungen von Milch und Serum wurden für die Bestimmungen 
20 ccm benutzt, und folglich auch die doppelten Mengen Alkohol, näm- 
lich je 14 und 40 ccm 92 vol.-prozent. Alkohol. Die angeführten Ergebnisse 
sind in 100 com der Jodoformaceton enthaltenden Mischungen ausgedrückt. 


A. Untersuchungen mit einzelnen Flüssigkeiten. 
Probe 241A. Kuhmilch. 
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 


gefällte Proteinmengein g | gefällte Proteinmenge in g 
nach Tagen nach Tagen 














Milch 20°C 


„ 45°C 2,71 2,20 
„ 55°C 2,20 1,63 
» 65°C 2,19 1,56 


In Prozenten berechnete Proteolyse. 


nn 38 Vol.-Proz. Alkohol | 61 Vol-Proz. Alkohol 
70 Tage | 410 Tage 70 Tage | 410 Tage 











Milch 20° C 33 
„ 45°C 36 
» 550°C 50 
„ 650°C 52 





Das Erwärmen auf 55° C und auf 65° C beschleunigt die Proteo- 
lyse. Das Erwärmen auf 450C übt wenig Einfluß aus; am 70. Tage 
sind bei 38- und 61°/,igem Alkohol die proteolysierten Mengen deut- 
lich größer. Ferner sind die Ergebnisse mit 38- und 61°/,igem Alkohol 
wenig verschieden. 


Probe 241B. Pferdeblutserum. 
Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 








144 A. J. J. Vandevelde: 


In Prozenten berechnete Proteolyse. 


11 
15 
29 
26 





Wie diese Ergebnisse zeigen, werden durch ein Erwärmen auf 550 C 
und 650 C die Proteine leichter fällbar, schon mit 38 Vol.-Proz. Alkohol, 
da die Werte 7,44 und 7,41 (38 Vol.-Proz.), 7,59 und 7,33 (61 Vol.-Proz.) 
gleich genannt werden können. Die Proteolyse ist dagegen schneller in 
den mit 38 Vol.-Proz. Alkohol gefällten Portionen. 

Dieses stimmt überein mit der schon von verschiedenen Forschern, 
insbesondere von Pekelharing mitgeteilten Tatsache, daß bei Enzymein- 
wirkungen eine leichtere Fällbarkeit die Auflösungserscheinungen be- 
schleunigt. 

Wie bei der Kuhmilch wirkt das Erwärmen günstig bis 65° C, bei 
dieser Temperatur wird das Pferdeserum wenig geschädigt, und folglich 
ist eine geringe Verminderung der Proteolyse bei der auf 65° C erwärmten 
Flüssigkeit leicht verständlich. 

Sehr merkwürdig ist die geringe Proteolyse nach 70 Tagen der mit 
Alkoholkonzentrationen zwischen 38 und 61 Vol.-Proz. gefällten Proteine, 
was auch im Falle des Rinderserums gefunden wurde. 


Probe 241C. Rinderblutserum. 














Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol | Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 
gefëllte Proteinmenge in g | gefällte Proteinmenge in g 
nach Tagen nach Tagen 








6,50 






» 45°C 6,71 6,53 6,59 
» 55°C 6,92 6,41 6,69 
» 65°C 6,54 6,98 5,43 


In Prozenten berechnete Proteolyse. 





38 Vol.-Proz. Alkohol 61 Vol.-Proz. Alkohol 
70 Tage 410 Tage 70 Tage 410 Tage 








Serum 20°C 5 20 
» 4°C 3 17 
vw 55°C 7 17 
ge 65°C 8 | 17 


Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 145 


Die proteolytische Wirkung des Rinderserums ist minder ausgesprochen 
als die von Milch und von Pferdeserum. Durch das Erwärmen wird 
die Wirkung nicht beschleunigt, dagegen ein wenig geschädigt. Auch 
hier ist die merkwürdige Tatsache zu konstatieren, daß nach 70 Tagen 
die mit Alkohol zwischen 38 und 61 Vol.-Proz. gefällten Proteine resistenter 
als die anderen Portionen sind. 

Bei den zwei ersten Proben mit Milch und Pferdeblutserum wurde 
eine Erhöhung der proteolytischen Wirkung nach 410 Tagen nach dem 
Erwärmen festgestellt. Diese Beschleunigung stimmt gut überein mit der 
Hypothese des Bestehens einer Antiproteolase; durch die Erwärmung 
wird dieser echte „Antikörper“ geschwächt oder vernichtet, und damit 
wird die Proteolyse weniger oder gar nicht gehindert und folglich ver- 
mutlich beschleunigt. Bei Rinderserum dagegen scheint von einer Anti- 
proteolase keine Rede zu sein. 

Diese Erscheinungen können auf folgende Weise hypo- 
thetisch ausgelegt werden. Die proteolytische Wirkung ist die 
Resultante der Wirkungen eines Enzyms und eines Antienzyms. 
Da durch die Erhöhung der Temperatur die physiologischen 
Flüssigkeiten leicht leiden, können bei den Enzymen zwei An- 
teile unterschieden werden, ein bei erhöhter Temperatur be- 
ständiger und ein bei dieser Temperatur labiler. 

Die Wirkung der Enzyme ist ohne Erwärmung folglich 
durch die Formel auszudrücken: 

W = E; 4+ E — 4, 
in welcher W = enzymatische Wirkung, E; == Menge der be- 
ständigen Enzyme, E, — Menge der labilen Enzyme, 4 = Anti- 
enzyme ist. 

Durch das Erwärmen (z. B. auf 55°) sind Antienzyme und 
labile Enzyme vernichtet, und die Formel entspricht allein der 
Wirkung der beständigen Enzymenmenge: 

V. E, 

Wenn A = E; -+ E,, so ist die enzymatische Wirkung der 
antienzymatischen gleich, und es ist die Wirkung W =0. Im Falle 
A `> (E; + E;) hat die Wirkung die negativen Werte einer echten 
Antiflüssigkeit (Antiserum) ohne echte enzymatische Wirkung. 
Wenn A< (Eet EL so konstatiert man eine enzymatische 
Wirkung; wenn die Wirkung E, schwach und die Wirkung A 
stark ist, so bleibt nach der Erwärmung die Wirkung E: übrig, 
und es scheint die proteolytische Wirkung beschleunigt zu sein. 
(Fall der Milch und des Pferdeserums.) Wenn die Wirkung E: 


dagegen stark und die Wirkung A schwach ist, dann scheint 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 10 


146 A. J. J. Vandevelde: 


nach der Erwärmung der Teil Z, allein als proteolytisch wirk- 
sam, und dann ist die Resultantenwirkung verzögert. (Fall des 
Rinderserums.) 

Von Bordet und Gengou?) wurde die Tatsache gefunden, 
daß Antithrombase durch eine Temperaturerhöhung von 55° C 
nicht beeinflußt wird und gegenüber Erwärmung beständig ist; 
in meinen Untersuchungen mit De Waele wurde dasselbe bei 
gewissen antikatalytischen Seris festgestellt. 

Darum ist auch die Hypothese hier nicht ausgeschlossen, 
daß im Falle des Rinderserums die Antiproteolase nach der 
Erwärmung nicht, und der labile Teil des Enzyms E: allein 
verschwindet, wie es in folgender Formel ausgedrückt werden 


kann: W — Es A; 
Dann ist W, <W verständlich. 


B. Untersuchungen mit gemischten Flüssigkeiten. 
Probe 241D. 


Mischungen von Kuhmilch mit Pferdeblutserum; 


L Reihe. Die nicht erwärmte Milch wurde zu gleichen Volum- 
mengen des erst auf 45, 55 und 65° C gebrachten Serums zugefügt. 








Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 


Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 










In 100 ccm Mischung 










Milch 20° C + Serum 20° C 
„ 20° C -+ „ 450C 
„ Q°C+ „ 55°C 
„ 20°C „ 650°C 


5,48 | 5,44 | 4,56 
5,34 | 5,30 | 4,28 





61 Vol.-Proz. 
Alkohol 







38 Vol Drog, 
Alkohol 





Milch 20° C + Serum 20° C 





„ 20° C + 99 450 C 16 
» 2°C+ ,„ 55°C 17 
vw SU UL „ 65°C 19 


1) Recherches sur la coagulation du sang. Ann. de l’Inst. Pasteur 
15, 129, 1901. 





Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 147 


Eine Erhöhung der proteolytischen Wirkung ist bei diesen Mischungen 
nicht mehr nachzuweisen; die Anwesenheit von Serum hat die Miloch- 
proteolyse sehr stark verzögert derart, daß die Proteine nach 70 Tagen 
nicht oder sehr wenig und nach 410 Tagen weniger als bei den einzelnen 
Flüssigkeiten verändert sind. 

Dies rührt von der Gegenwart einer Antiproteolase in jeder 
Flüssigkeit: die Antiproteolase der einen Flüssigkeit übt auf die Pro- 
teine der anderen einen größeren Einfluß aus als auf die Proteine der 
eigenen Flüssigkeit. 

2. Reihe. Die Milch und das Serum zu gleichen Mengen wurden 
auf 45, 55 und 65°C erwärmt. 





Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 





Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 





In 100 com Mischung 







Milch 20°C -+ Serum 20° C 


» 65°C „ 45°C 4,46 


„ 55°C+ „ 55°C 4,37 
>» 65°C „ 650°C 4,30 
In Prozenten berechnete Proteolyse. 
u 38 Vol.-Proz. 61 Vol.-Proz. 
Alkohol 








Milch 20° C + Serum 20° C 


» 40C „ 45°C 17 
„ 550C+ „ 560C 19 
„ 650C „ 65°C 22 


Hier wurde dasselbe festgestellt wie im Falle der nicht erwärmten 
Milch; es läßt sich der Einfluß der Erwärmung auf die Milchantiproteo- 
lase bestätigen; die Resultantenwirkung ist bei auf 55 und 65°C er- 
wärmten Mischungen stärker als bei nicht erwärmten. 


Probe 241E. 


Mischungen von Kuhmilch mit Rinderblutserum. 


L Reihe. Wie mit Kuhmilch und Pferdeserum wurden gleiche 
Mengen nicht erwärmter Milch mit erwärmtem Serum gemischt. 
10* 


148 A. J. J. Vandevelde: 














Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 


Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 





In 100 com Mischung 






Milch 20° C + Serum 20° C 


» 2°C „ 85°C 3,98 
Sp 20° C+ TT 550 C 3,83 
wm 20°C „ 650°C 4,28 


In Prozenten berechnete Proteolyse. 


38 VoL-Proz. Alkoholl61 Vol.-Proz. Alkohol 
70 Tage | 410 Tage | 70 Tage | 410 Tage 


Milch 20°C + Serum 20° C 
%W0°C+ „ 450°C 
get „ 550C 
DICH „ 6°C 





20 
21 


Ganz verschieden ist die Wirkung des Rinderserums ; in den Mischungen 
mit diesem Serum ist die Erwärmung der Proteolyse schädlich; und 
dieses ist nicht allein im Falle von nicht erwärmter Milch, sondern auch 
von erwärmter zu konstatieren. Die Ergebnisse der folgenden Reihe 
stimmen mit denen der vorigen ganz überein. 

2. Reihe. Die Milch und das Serum zu gleichen Mengen wurden 
erwärmt. 









Bei 38 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 


Bei 61 Vol.-Proz. Alkohol 
gefällte Proteinmenge 
in g nach Tagen 






In 100 com Mischung 










Milch 20° C + Serum 20°C 
45°C „ C 
5°C „ 55°C 
65°C+ „ 65°C 


4,85 | 4,81 | 4,00 
4,92 | 4,71 | 4,21 
4,85 | 4,90 | 4,40 


In Prozenten berechnete Proteolyse. 


38 Vol-Proz. Alkoh01j61 Vol.-Proz. Alkohol 
70 Tage |410 Tage | 70 Tage 70 Tage | 410 Tage 410 Tage 


Milch "Milch 20° C- Serum 20° C 20° C 





450C+ „ 45°C i 17 
550C „ 55°C 4 14 
65°C+ „ 65°C 0 9 


Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 149. 


Bringen wir die Ergebnisse bei vollständiger Fällung der 
Proteine nach 410 Tagen in eine einzige Tabelle, so können 
wir sie zu folgendem Resultat zusammenfassen: 


Proteolytische Wirkungen in Prozenten nach 410 Tagen. 


| 20°C | 45°C | 55°C | 65°C 


Milch allein . . -. . 2 2 2 2 2.0. 






Rinderserum allein. ....... 17 
Nicht erwärmte Milch + Pferdeserum 19 
Erwärmte Milch + Pferdeserum . . 22 
Nicht erwärmteMilch 4 Rinderserum 12 
Erwärmte Milch 4 Rinderserum . . 9 


Eine antiproteolytische Wirkung läßt sich bei der Milch 
und bei dem Pferdeserum stark, bei dem Rinderserum dagegen 
nicht nachweisen. Bei Mischungen sind die proteolytischen 
Wirkungen nicht additiv, und zwar sind die Differenzen zwischen 
den erhaltenen Ergebnissen und den bei allein verwandten 
Flüssigkeiten berechneten Werte ziemlich groß, wie aus der 
folgenden Tabelle hervorgeht. 


Proteolytische Wirkungen in Prozenten nach 410 Tagen. 


2°C 450C 550°C 65°C 
Gef. | Ber. | Gef. | Ber. | Gef. | Ber. | Gef. | Ber. 


Nicht erwärmte Milch 
-+ Pferdeserum 
Erwärmte Milch 
-+ Pferdeserum 
Nicht erwärmte Milch 
—- Rinderserum 
Erwärmte Milch 
-+ Rinderserum 9 | 33,5 


Eine theoretische Erklärung im Sinne der Antikörpertheorien ist 
hier nicht leicht und nur teilweise zu geben. In der Wirkung einer 
Mischung von Serum und Milch sind nicht allein die spezifischen Wir- 
kungen anzunehmen, sondern auch die wohl bekannten Antieigenschaften 
des Serums gegen die Proteine der Milch. Ohne vorherige Erwärmung 
soll die Wirkung W wie folgt sein: 

W = Eg 4+ Eu A + Bet Ei — A —a 
Milch Serum Antiwirkung 
des Serums 
gegen Milch 





150 A, J.J, Vandevelde: Wirkung der Erwärmung auf Proteolase. 


Nach Erwärmung auf rund 55° C soll sein: 

W = Eg + Ep. | 

Daß die Antiwirkung a des Serums wirklich besteht, ist aus den 
Tatsachen zu schließen, daß in den Mischungen von nicht erwärmter 
Milch und Serum die proteolytische Wirkung stark verzögert ist. 

Die Formel W,, = Ep + E’g scheint hier dagegen nicht anwend- 
bar zu sein. Im Falle der Milch mit Pferdeserum ist die Erhöhung der 
Proteolyse sehr gering, und bei der Mischung Milch 4 Rinderserum ist 
sogar statt einer Erhöhung eine ziemlich große Verminderung festzu- 
stellen. Diese konstatierte Tatsache läßt sich theoretisch nicht erklären, 
wenn man nicht annimmt, daß die gegenüber Milch antienzymatische 
Wirkung a durch die Temperaturerhöhung nicht verzögert ist im Sinne 
der Befunde von Bordet und Gengou mit der Antithrombase; bei 
Rinderserum allein scheint diese Hypothese der beständigen Antiproteolase 
nicht unmöglich. 

Auf diese Weise ist dieser beständige Teil EZ’ infolge der Anwesen- 
heit einer großen Menge labiler Enzyme sehr klein, und kann mit de aus- 
gedrückt werden, Die Wirkungen W und He vor und nach Erwärmung 
muß man sich demnach wie folgt vorstellen: 

W = Ep 4 Eı — A 4 Eg + Ea — A — a. 
Was = Ep + eg — a. 

In dieser Hypothese kann W,, < W werden; selbst wenn Milch mit 
seiner überbleibenden proteolytischen Kraft in den Mischungen vorkommt. 

Im Falle der nioht erwärmten Milch soll die Formel 

Wis = Ee-L Ei A 4 eg—a 
sein, und bei der noch in der Milch überbleibenden Antiwirkung ist 
Wss < W leicht anzunehmen. Die bei den Mischungen mit nicht er- 
wärmter und erwärmter Milch gefundene Ahnlichkeit bleibt noch zu 
erklären. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 
Von 
W. Palladin. 
(Aus dem pflanzenphysiologischen Institut der Universität St. Petersburg.) 
(Eingegangen am 19. April 1909.) 
Mit 2 Figuren im Text. 


Es ist wohl kaum möglich einen physiologischen Vorgang 
zu bezeichnen, der enger mit dem Begriff des Lebens verknüpft 
wäre, als die Atmung. Obgleich schon vor alters die Über- 
zeugung bestand, daß ohne Atmung kein Leben möglich sei, 
blieb ihr Wesen doch lange unaufgeklärt. 

Vorliegende Arbeit stellt sich zur Aufgabe, auf Grund des 
vorhandenen umfangreichen Tatsachenmateriales eine einheit- 
liche Vorstellung über die Pflanzenatmung zu geben. Das er- 
scheint als unabweisbares Bedürfnis. Der Urheber der Lehre 
von der Verbrennung und Atmung sagte mit Recht: „Autanb 
Pesprit de système est dangereux dans les sciences physiques? 
autant il est & craindre qu’en entassant sans ordre une trop 
grande multiplicité d’experiences, on n’obscurcisse la science 
au lieu de l’Eclaircir; qu’on n’en rende l’acces difficile A ceux 
qui se presenteront pour en franchir l’entree; enfin qu’on 
n’obtienne, pour prix de longs et pénibles travaux, que dés- 
ordre et confusion.‘‘!) 

Schematisch kann die Atmung recht einfach dargestellt 
werden: 

C. H,:0, + 6 O, = 6 CO, + 6 H,O. 

Als Endprodukte erscheinen also Kohlensäure und Wasser. 
Aber ehe die zu oxydierenden Verbindungen diese Endprodukte 
ergeben, unterliegen sie einer Reihe intermediärer Zerspaltungen. 
Obschon jedoch letzteren viele Untersuchungen gewidmet sind, 
sind sie doch bis auf den heutigen Tag unaufgeklärt. 


1) Lavoisier, Oeuvres 2, 225, 1862. 


152 W. Palladin: 


Es zeigten schon Saussure!) und Bérard’), später 
Lechartier und Bellamy?), Pasteur*), Borodin°) und 
eine ganze Reihe späterer Forscher, daß die Pflanzen auch 
nach Sauerstoffentziehung fortfahren, Kohlensäure auszuscheiden. 
Folglich erscheint die unter diesen Bedingungen ausgeschiedene 
Kohlensäure von der Sauerstoffaufnahme unabhängig. Diese 
Tatsache führte Pfeffer, auf Grund von Betrachtungen 
Pflügers, zur Aufstellung einer Theorie der Atmung, nach 
welcher als primäre Atmungsvorgänge die von der 
Gegenwart des Sauerstoffs der Luft unabhängigen 
Spaltungsvorgänge erscheinen. Die Aufgabe des Sauer- 
stoffs schien in der weiteren Oxydation der Produkte dieser 
primären Vorgänge zu liegen. Und da nach Sauerstoffent- 
ziehung die Ausscheidung der Kohlensäure gewöhnlich von 
Alkoholbildung begleitet ist, so wurde als primärer Atmungs- 
vorgang die Alkoholgärung angenommen. Der Atmungsprozeß 
wurde schematisch durch folgende zwei Gleichungen dar- 
gestellt: 

1. primärer Vorgang C,H ,0,=2C,H,0 + 200, 
2. sekundärer „ 2C,H,O + 6 0O, = 4 CO, + 6 H,O. 


I. Primäre (anaerobe) Atmungsvorgänge. 


Fassen wir zunächst die primären Atmungsvorgänge ins 
Auge, d. h. die Vorgänge der Spaltung ohne Beteiligung des 
Sauerstoffs der Luft. 

Die weiteren durch die geistreiche Theorie Pfeffers ver- 
anlaßten Untersuchungen dieser Spaltungsvorgänge stießen 
auf solche Schwierigkeiten und Widersprüche, daß zeitweilig 
der Begründer der Theorie selbst an ihrer Richtigkeit zu 
zweifeln begann.) Viele Forscher?) suchten zu beweisen, daß 


1) Saussure, Recherches chimiques sur la végétation, 1804. 

2) Bérard, Annales de chimie et de physique 16, 1821. 

3) Lechartier et Bellamy, Compt. rend. 69, 1869; 75, 1872. 

t) Pasteur, Compt. rend. 75, 1872. 

D Borodin, Sur la respiration des plantes pendant la germina- 
tion 1875. 

DW. Pfeffer, Untersuchg. aus d. botan. Inst. zu Tübüngen 1, 
105, 1881—1885. 

7) Godlewski, Jahrb. f. wissensch. Botan. 13, 524, 1882. — 
Reinke, Botan. Zeitg. 1883, 65. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 153 


anaerobe Atmung nur eintrete, wenn die Pflanzen künstlich 
des Sauerstoffs beraubt würden; unter normalen Bedingungen 
gehe einfache Oxydation vor sich. In Widerspruch mit der 
Theorie des genetischen Zusammenhanges der anaeroben Kohlen- 
säurebildung mit den nachfolgenden Oxydationsvorgängen 
schienen besonders die im Laboratorium Pfeffers angestellten 
Versuche Diakonows!) zu stehen. 

Obschon Kostytschew?) bewiesen hatte, daß, entgegen 
der Meinung Diakonows die anaerobe Atmung der Schimmel- 
pilze nicht nur bei Ernährung durch Glucose, sondern auch 
durch Pepton, China- und Weinsäure möglich ist, waren den- 
noch die Einwände gegen die Theorie Pfeffers noch nicht 
beseitigt. Zu diesem Zwecke waren neue Untersuchungs- 
methoden notwendig. Unsere weiteren Errungenschaften auf 
dem Gebiete der Pflanzenatmung befanden sich in unmittel- 
barer Abhängigkeit von Untersuchungen auf dem Gebiete der 
Gärung, die diese neuen Methoden schufen. 

Sobald die hervorragenden Untersuchungen E. Buchners®) 
und seiner Mitarbeiter ergeben hatten, daß die Alkoholgärung 
ein enzymatischer durch ein besonderes Enzym ‚Zymase“ 
hervorgerufener Prozeß ist, verallgemeinerten Stoklasa*) und 
seine Mitarbeiter diese Tatsache auch in bezug auf die höheren 
Pflanzen. Zu denselben Ergebnissen gelangten Maximow°) und 
Kostytchew.®) Alle an höheren Pflanzen nach einer der 
Methoden E. Buchners (mit Preßsaft oder Acetonpräparaten) 
angestellten Untersuchungen zeigten aber, daß unter diesen 
Bedingungen im Vergleich mit lebenden Pflanzen geringe Mengen 
Kohlensäure ausgeschieden werden. Um diesen Mangel zu be- 


1) Diakonow, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1886, 1, 411. 

2) Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1902, 327; 1904, 
— 207. Jahrb. f. wissensch. Botan. 40, 563, 1904. 

21 E. Buchner, H. Buchner und M. Hahn, Die Zymase- 
gärung, 1903. 

4) Stoklasa u. Cerny, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 36, 622, 1903. 
Centralbl. f. Physiol. 16, 652, 1903. — Stoklasa, Jelinek u. Vitek, 
Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 3, 460, 1903. — Stoklasa, 
Pflügers Archiv 101, 311, 1904. Centralbl f. Bakt. 1904. 

5) Maximow, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1904, 225. 

6) Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1904, 207. Jahrb. 
f. wiss. Botan. 40, 563, 1904. Centralbl. f. Bakt. I. Abt. 22, 489, 1904. 


154 W. Palladin: 


seitigen, wandte ich die Methode der Abtötung der Pflanzen 
durch niedrige Temperaturen ohne Zerstörung der cellularen Struk- 
tur an. | 

Zum Erfrieren werden die Pflanzen ganz oder in kleine 
Teile zerschnitten dicht in große Reagensgläser von 100 ccm 
Inhalt gefüllt, die gut mit Kautschukpfropfen verschlossen 
werden. Letztere werden von oben mit Vaselin beschmiert, 
um das Eindringen der Salzlösungen ins Innere zu verhüten. 
Die Gläser werden in einen Eimer gelegt, in dem sich eine 
Mischung von Schnee oder fein zerhaktem Eis mit Chlornatrium 
und Ammoniumnitrat befindet, und der mit einem Filztuch 
bedeckt ist.) In einer Stunde sinkt die Temperatur in den 
Reagensgläsern auf — 20°. Der Eimer mit den Pflanzen wird 
bis zum nächsten Tage in einen kalten Raum gestellt; in Ab- 
hängigkeit von dessen Temperatur steigt die Temperatur der 
Mischung (nach ca. 20 Stunden) bis — 10° oder bis — 3°. 
Temperaturen von — 20° bis — 25° genügen zur Tötung der 
höheren Pflanzen während ihres tätigen Lebens, d. h. bei hohem 
Wassergehalt. 

Zur Bestimmung der von den erfrorenen Pflanzen aus- 
geschiedenen Kohlensäure werden sie unmittelbar aus den 
Reagensgläsern in eine U-förmige Röhre gebracht, in deren 
hinterem Ende oben ein mit 4 com Toluol befeuchteter Watte- 
pfropfen angebracht wird. Infolgedessen wird das in die U- 
förmige Röhre eintretende Gas (Luft oder Wasserstoff) mit 
Toluoldämpfen gesättigt, die keine Bakterien aufkommen lassen. 
Die Toluoldämpfe haben keinerlei Einfluß auf den Titer der 
Barytlauge, die zur Absorption der von den Pflanzen aus- 
geschiedenen Kohlensäure dient. 

Diese Methode hat erstens den Vorzug, daß die gefrorenen 
Pflanzen nach dem Auftauen bedeutend mehr Kohlensäure 
ausscheiden, als ihr Preßsaft oder Acetonpräparate. Besonders 
wenig geeignet ist für höhere Pflanzen die Acetonmethode 
infolge des großen Wassergehaltes der höheren Pflanzen und der 
Notwendigkeit, sie zu zerkleinern. 

Die Menge der von gefrorenen Pflanzen ausgeschiedenen 
Kohlensäure ist aus folgendem Versuche ersichtlich : 


1) Welter, Tiefe Temperaturen. 1895. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 155 


Etiolierte Blätter von Vicia Faba. 








Auf 100 g in 1 Stunde 
kam im Mittel CO, : 


mg 





Versuchsdauer 






Folglich scheiden die gefrorenen Blätter in den ersten 
Stunden des Versuchs etwa ebensoviel Kohlensäure aus wie 


die lebenden im Woasserstofistrom. 

Ein fernerer Vorzug des Verfahrens ist darin zu sehen, 
daß die Pflanzen ihm in unzerkleinertem Zustande unterworfen 
werden. Meine Versuche haben ergeben, daß nur in diesem 
Falle große Mengen Kohlensäure ausgeschieden werden. Selbst 
eine postmortale Zerstörung des cellularen Aufbaus hat auf 
die Wirksamkeit der Enzyme einen schädigenden Einfluß. 

Erst durch Untersuchungen an Pflanzen, die nach einer 
der oben beschriebenen Methoden abgetötet waren, wurde 
schließlich die Richtigkeit der Theorie Pfeffers dargetan. 
Meine!) Untersuchungen an gefrorenen Pflanzen haben gezeigt, 
daß sie bedeutende Kohlensäuremengen bei Abwesenheit von 
Sauerstoff ausscheiden. 

In einer zweiten, gemeinsam mit Kostytschew*) unter- 
nommenen Versuchsreihe wurde gezeigt, daß diese Kohlen- 
säureausscheidung oft von Bildung bedeutender Mengen Alkohol 
begleitet ist. Mit andern Worten: gefrorene Pflanzen sind zur 
typischen Alkoholgärung befähigt. Es schieden z. B. 200 ge- 
frorene Erbsensamen im Laufe von 98 Stunden in Wasserstoff 
(und Toluol) 775,2 mg CO, aus und bildeten 552,7 mg Alkohol. 
Diese Ergebnisse wurden von Stoklasa?) bestätigt. Solange 
derlei Beobachtungen nur an lebenden Pflanzen gemacht 
wurden, konnte man von ihrer Anpassungsfähigkeit an die 


1) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 407, 1906. 

2) W. Palladin u. S. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol Chem. 
48, 214, 1906. " 

3) J. Stoklasa, A. Ernst u. K. Chocensky, Zeitschr. f. physiol. 
Chem. 49, 303, 1907 


156 W. Palladin: 


veränderten Lebensbedingungen in sauerstofifreiem Medium reden 
und diesen Punkt gegen die Theorie Pfeffers einwenden. 

Über Anpassungsfähigkeit abgetöteter Pflanzen läßt sich 
natürlich nichts reden. Wenn abgetötete Pflanzen zu anaero- 
ben Zerspaltungsvorgängen nach Entziehung des Sauerstoffs 
der Luft fähig sind, so besagt das, daß diese Vorgänge auch 
während des Lebens unter Luftzutritt statt haben. 

Die verschwindend geringe Kohlensäuremenge, die von 
vielen lebenden Pflanzen nach Sauerstoffentziehung ausgeschie- 
den wird, findet in der Giftigkeit der Produkte der anaeroben 
Spaltung für diese Pflanzen ihre Erklärung.) Alkohol wirkt 
z. B. selbst auf Hefe giftig. In meinem Laboratorium an- 
gestellte Untersuchungen von Junitzky*) haben gezeigt, daß 
der Preßsaft von Aspergillus niger, einem typischen, die 
Entziehung des Sauerstoffs schlecht vertragenden Aeroben, 
nichtedestoweniger Zymase enthält und nicht nur Kohlensäure 
ausscheidet, sondern auch Alkohol bildet. 200 ccm Preßsaft 
haben z. B. in 24 Stunden 70,4 mg CO, ausgeschieden und 
63,1 mg Alkohol gebildet. 

Es kann also auf Grund der an getöteten Pflanzen ge- 
machten Untersuchungen als bewiesen gelten, daß: 

l. die Vorgänge der anaeroben Spaltung die pri- 
mären Vorgänge der Atmung bilden, daß: 

2. die Vorgänge der anaeroben Atmung durch 
Enzyme hervorgerufen werden. 

Zugunsten des enzymatischen Charakters der Atmung 
haben sich schon Claude Bernard?) und Wortmann‘) ge- 
äußert. 

Wenden wir uns dem genaueren Studium der Vorgänge 
der anaeroben Zerspaltung zu, so entstehen zwei Fragen: 


l. Was für Stoffe unterliegen dem anaeroben Zerfall ? 
2. Was für Stoffe werden bei anaerober Atmung gebildet? 


In der Mehrzahl der Fälle erscheint die anaerobe Atmung 
als Alkoholgärung, und wir fassen deshalb diese Art der anae- 


1) 8. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1907, 44. 

2) N. Junitzky, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1907, 210. 

3) Claude Bernard, Leçons sur les phénomènes de la vie etc. 

+) J. Wortmann, Untersuchg. aus d. botan. Institut d. Universität 
Würzburg II. 


Über das Wesen der Pflanzenstmung. 157 


roben Atmung zuerst ins Auge. Als Stoff, der der Zerspaltung 
unterliegt, erscheint dabei Glucose. Bereits Borodin?) zeigte, 
daß zur normalen Atmung Kohlenhydrate notwendig sind. Dessen- 
ungeachtet wurde an der Meinung festgehalten, daß das Material 
der Atmung von Eiweißstoffen geliefert werde und Kohlenhydrate 
nur für ihre Regeneration notwendig seien. 

Durch meine Versuche über die Atmung etiolierter Blätter 
von Vicia Faba?) habe ich gezeigt, daß Eiweißstoffe allein 
in welcher Menge auch immer für die normale Atmung nicht 
ausreichen. Diese Blätter enthalten viel Eiweiß (bis zu 45°/, 
des Trockengewichts) und nur Spuren von Kohlenhydraten und 
atmen sehr schwach. Gibt man ihnen aber Saocharose unter 
Lichtabschluß, so nimmt die Atmungsenergie bedeutend zu. 
So wurde von 100 g etiolierter Blätter bei Zimmertemperatur 
im Laufe 1 Stunde im Mittel ausgeschieden : 

ohne Saccharosefütterung 89,6 mg CO, 
nach së 147,8 „p » 

Durch Einführung von Saccharose wird nicht nur die At- 
mung unter Luftzutritt gesteigert, sondern in noch höherem 
Maße die anaerobe Atmung. Dabei tritt die Abhängigkeit von 
der Menge der Kohlenhydrate noch schroffer zutage.3) Bei 
Abwesenheit von Sauerstoff schieden etiolierte Blätter ohne 
Saccharosefütterung wenig Kohlensäure aus und starben in 
kurzer Zeit ab, dagegen blieben mit Saccharose gefütterte Blätter 
lange Zeit am Leben und schieden viel Kohlensäure aus. 

100 g etiolierter Blätter von Vicia Faba schieden z. B. 
in 1 Stunde folgende Mengen Kohlensäure aus: 


in 
ohne Saccharosefütterung — gg 
S= 0,185, 
nach Saccharosefütterung SE ) Geet 
Aen 


1) J. Borodin, Atmung der beblätt. Sprossen. St. Petersburg 1876 
(russisch). 

2) W. Palladin, Revue generale de botanique 5, 449, 1893. 

3) W. Palladin, Revue generale de botanique 4, 201, 1894. 


158 W. Palladin: 


Meine Versuche wurden von Godlewski!) bestätigt. 

Auf die wichtige Bedeutung der Kohlenhydrate hat noch 
Diakonow hingewiesen. Obschon seine Versuche, wie es 
Kostytschew zeigte, in den Einzelheiten sich als ungenau 
erwiesen und seine theoretischen Folgerungen nicht zutreffen, 
tritt die Bedeutung der Kohlehydrate für die anaerobe At- 
mung in seinen Versuchen klar zutage. 

Wenn als Ausgangsmaterial für die anaerobe Atmung 
Kohlenhydrate dienen, so erscheint als Endprodukt Alkohol. 
Zuerst begnügten sich die Forscher mit qualitativen Reaktionen 
auf Alkohol. Godlewski und Polzeniusz?) verdanken wir 
umfangreiche quantitative Untersuchungen, die gezeigt haben, 
daß die anaerobe Atmung in der Mehrzahl der Fälle als alko- 
holische Gärung erscheint. Erweitert wurden ihre Ergebnisse 
durch Nabokich?®). Ferner wurde, wie gesagt, durch mich 
und Kostytschew und durch Stoklasa und dessen Mit- 
arbeiter bewiesen, daß auch von getöteten Pflanzen Alkohol ge- 
bildet wird. Es war folglich die enzymatische Natur der 
anaeroben Atmung als Alkoholgärung bewiesen. Uns sind noch 
nicht alle die Alkoholgärung ausmachenden Vorgänge bekannt. 
Selbst in der typischen durch Hefe verursachten Alkoholgärung 
kennen wir nur die Endprodukte. 

Nach der Meinung von E. Buchner) und Stoklasa’) 
zerfallen die Vorgänge in zwei Phasen: 

1. C,H O, = 2C,H,0,, 
2. C,H,0,=0C,H,0 + CO, 

Zuerst zerfällt Glucose in zwei Moleküle Milchsäure, die 
weiter in Alkohol und Kohlensäure zerfallen. 

Nach der Meinung anderer Forscher können als Zwischen- 
produkte auch andere Köper erscheinen, z. B. Glycerinaldehyd 
und Methylglyoxal.°) 

1) E. Godlewski, Bulletin de l’Académie des sciences de Cracovie 


1904, 115. 

2) E. Godlewski und Polzeniusz, Bulletin de l’Académie des 
sciences de Cracovie 1897, 217; 1901, 227. 

3) A. Nabokich, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1903, 399, 467. 

4) E. Buchner, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 37, 417, 1904; 38, 
620, 1905. 

DJ Stoklasa, Zeitschr. f. physiol. Chem. 50, 303, 1907. 

6) Literatur bei A. Wohl, Die neueren Ansichten über den che- 
mischen Verlauf der Gärung. Diese Zeitschr. 5, 45, 1907. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 159 


Nach Untersuchungen von L. Iwanoff!) ist Triose 
Zwischenprodukt der Alkoholgärung. In einer kürzlich er- 
schienen vorläufigen Mitteilung hält B. Jensen?) Dioxyaceton 
für das Zwischenprodukt. 

Auch das Vorkommen von Katalase und Reduktase in 
der Hefe spricht zugunsten der Kompliziertheit der Gärungs- 
vorgänge. Gegenwärtig betrachtet man die Katalase als oxy- 
dierendes Ferment, obschon ihre Beteiligung an Oxydations- 
vorgängen unbekannt ist. Die Tatsache, daß sie in sehr großen 
Mengen in der Hefe vorkommt, d. h. in Organismen, dessen 
Oxydationsvorgänge aufs Minimum reduziert sind, spricht, wie 
mir scheint, zugunsten ihrer Beteiligung an den Vorgängen der 
anaeroben Zerspaltung. Die Reduktase beteiligt sich auch an 
dem anaeroben Zerfall von Glucose in Alkohol und Kohlen- 
säure, wie ich?) durch Versuche an durch Aceton abgetöteter 
Hefe (Zymin) gezeigt habe. Das Zymin zerlegt selenigsaures 
Natrium unter Ausscheidung von metallischem Selen nur in Ab- 
wesenheit von Stoffen, die in Alkohol und Kohlensäure zer- 
fallen. Diese Versuche rufen die alte Meinung Pasteurs in 
Erinnerung, daß der Sauerstoff bei der Alkoholgärung der Glucose 
entnommen werde, weil es unmöglich sei, ihn der Luft zu ent- 
nehmen. In der Tat beginnt erst in Abwesenheit von Glucose 
das Zymin den Sauerstoff dem minder geeigneten Nahrungs- 
mittel in Form von selenigszaurem Natrium zu entnehmen. 
Diese intracellulare Umsetzung des Sauerstoffs von einem Mole- 
kül zum andern, sowie die Umlagerung des Sauerstoffs inner- 
halb eines Moleküls, zeigt, wie glücklich der von Pfeffer ein- 
geführte Ausdruck ‚intramolekulare Atmung“: gewählt war. 

Die Gärungsvorgänge wurden schon von Liebig*) in 
höchst geistreicher Weise mit den Zersetzungen verglichen, die 
bei der trocknen Destillation vor sich gehen, wobei ein Teil 
des im organischen Körper enthaltenen Kohlenstoffs auf Kosten 
von im selben Stoff enthaltenen Sauerstoff verbrannt wird. 


1) L. Iwanoff, Arbeiten des 1. Mendelejewschen Kongresses 1909, 
388. Zeitschr. f. physiol. Chem. 50, 281. 

2) B. Jensen, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 666. 

3) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 56, 81, 1908. 

t) J. v. Liebig, Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur 
und Physiologie, 5. Aufl. 1843, 378. . 


160 W. Palladin: 


Ferner wies Hoppe-Seyler!) darauf hin, daß die intramole- 
kulare Umsetzung von Sauerstoff die für die physiologischen 
Prozesse nötige Energie liefern kann. Mit Recht spricht er 
von einer „fermentativen Umwandlung durch Wanderung von 
Sauerstoffatomen nach dem einen Ende des Moleküls (Carboxyl- 
bildung) bei gleichzeitiger Reduktion der andern Seite desselben‘. 
„Wenn auch z. B. bei der Alkohol- und Milchsäuregärung die 
Aufnahme von Wasser zur Bildung der Endprodukte unnötig 
scheint, ist sie doch wohl stets vorhanden und zugleich die 
Ursache der Wanderung des Sauerstoffs von den 
Wasserstoff- an die Kohlenstoffatome, welche für die 
große Klasse von wichtigen Prozessen das eigentlich Charak- 
teristische darstellt.‘ 

Bei solchem Sachverhalt erscheint der Unterschied zwischen 
den Gärungs- und den typischen Oxydationsvorgängen nicht 
mehr als sehr groß. Nach Liebig, Pasteur, Pfeffer und 
Hoppe-Seyler erscheinen die Vorgänge der Gärung eigent- 
lich als innere Verbrennung. 

Bodländer?) sagt z. B. auch: ‚Man kann aber auch 
solche Vorgänge zu den Verbrennungen rechnen, bei denen 
nicht freier Sauerstoff verschwindet, sondern bei denen nur 
gebundener Sauerstoff von einer Verbindung auf eine andere 
oder auf ein Element übertragen wird. So wird man es auch 
als Verbrennung bezeichnen, wenn die Kohle und der Schwefel 
des Schießpulvers durch den gebundenen Sauerstoff des Sal- 
peters in Oxydationsprodukte übergeführt werden.“ 

Als gutes Beispiel von großer Energieentwicklung auf 
Kosten von gebundenem Sauerstoff kann der „Termit‘‘ dienen, 
eine Mischung von pulverförmigem Aluminium mit zerkleinertem 
Eisenoxyd.*) Die Reaktion verläuft nach der Gleichung 


Fe,0,+2Al=AlLO,-+2Fe 
und entspricht dem Freiwerden von etwa 150000 Wärmeein- 


heiten auf 54 Gewichtseeinheiten Aluminium. 
Von allen angeführten Beispielen einer inneren Verbrennung 


1) F. Hoppe-Seyler, Pflügers Archiv 12, 8, 1876. 

2) G. Bodländer, Über langsame Verbrennung. Sammlung chem. 
u. chem.-technisch. Vorträge 8, 11. u. 12. Heft, 385, 1899. 

3) Mendelejew, Grundlag. d. Chem., 8. Aufl. 1906, 282 (russ.). 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 161 


scheint mir Liebigs Vergleich der Gärungsvorgänge mit den 
Zersetzungen bei der trocknen Destillation am gelungensten. 

Alle diese Erwägungen führen uns zum Schlusse, daß 

3. die Vorgänge der anseroben Atmung gleich den 
Vorgängen der trocknen Destillation, aus einer Reihe 
aufeinander folgender Vorgänge der Reduktion und 
Oxydation auf Kosten des gebundenen Sauerstoffs 
der in der Zelle enthaltenen organischen Stoffe be- 
stehen. Diese Vorgänge vollziehen sich mit Hilfe 
mehrerer Enzyme. 

Die anaerobe Atmung erscheint nicht immer als Alkohol- 
gärung. So konnte Hahn!) in vergorenem Saft von Arum 
maculatum reinen Alkohol finden. Als typisches Beispiel 
eines solchen Falles von anaerober Atmung erscheint die von 
Kostytschew°) untersuchte anaerobe Atmung der an Mannit 
reichen Fruchtträger des Pilzes Agaricus campestris. Weder 
die lebenden Pilze, noch ihr Preßsaft bilden selbst in Gegen- 
wart von Glucose auch nur Spuren von Alkohol, während 
Kohlensäure in großen Mengen ausgeschieden wird. 

Außer dem beschriebenen Fall kennen wir eine Reihe von 
Tatsachen, für die als natürlichste Erklärung die Annahme 
erscheint, daß als Material für die Atmung ebenfalls nicht 
Glucose dient, sondern andere Stoffe. Ich führte schon an, 
daß Saccharosefütterung die anaerobe Atmung der etiolierten 
Blätter von Vicia Faba stark steigert. Aber nicht nur ohne 
Zugabe von Zucker, sondern selbst nach einer 24stündigen 
Kultur auf destilliertem Wasser, d. h. nach einer Hungerperiode, 
fahren sie doch fort, in Abwesenheit von Sauerstoff Kohlen- 
säure, wenn auch in verschwindenden Mengen, auszuscheiden?). 

Kostytschew*) hat gezeigt, daß die anaerobe Atmung 
der Schimmelpilze im Gegensatz zur Meinung Diakonows auf 
Pepton, China- und Weinsäure möglich ist. Ferner zeigen 
die vorhandenen Bestimmungen des Verhältnisses der gebildeten 
Alkoholmenge zu der während der anaeroben Atmung aus- 


1) M. Hahn, Ber. d Deutsch. chem. Ges. 1907, 188. 
3) S. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 188, 1907. 
3) W. Palladin, Revue generale de botanique 5, 449, 1893. 
4) S. Kostytschew, Centralbl. f. Bakt. II. Abt. 13, 490, 1904. — 
Jahrb. f. wissensch. Botan. 40, 563, 1904. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. II 


162 W. Palladin: 


geschiedenen Kohlensäuremenge, daß dies Verhältnis bei weitem 
nicht immer gleich 1 ist, wie es bei der normalen Alkohol- 
gärung sein muß. Die an Kohlehydraten armen etiolierten 
Blätter von Vicia Faba können als Beispiel solcher Objekte 
dienen, die bei der anaeroben Atmung wenig Alkohol liefern. 

Die Blätter wurden in zwei Portionen à 63 g geteilt und 
im Weassertoffstrom belassen!). 


t? — 18,5 Versuchsdauer Kohlensäuremenge in mg 
1. Portion: 5 Stunden 114,8 
o n 30 256,8 


1. Portion: C,H,OH = 62,2 mg 

CO, : C,H,OH = 114,8 : 62,2 = 100 : 54,1 
2. Portion: C,H,OH = 68,3 mg 

CO, : C,H,OH = 256,8 : 68,3 — 100 : 26,5. 

Subtrahiertt man die Daten der ersten Portion von den 

entsprechenden Zahlen der zweiten, so erhält man: 
CO, — 256,8 — 114,8 — 142,0 
C,H,OH = 68,3 — 62,2 = 6,1 
CO, : C,H,OH = 142 : 6,1 = 100 : 4,3. 

In der zweiten Hälfte des Versuchs ist also nur Kohlen- 
säure ausgeschieden, aber kein Alkohol gebildet worden. 

Noch bestimmtere, aber bis dahin unaufgeklärte Resultate 
erhält man mit gefrorenen Pflanzen. Es schieden z. B. ge- 
frorene etiolierte Blätter von Vicia Faba auf 100 g, im ganzen 
183 mg Kohlensäure aus. Dieselben etiolierten Blätter, nach 
vorhergehender Saccharosefütterung erfroren, schieden nicht 
mehr, sondern etwas weniger Kohlensäure aus — im ganzen 
166 mg. Die auf die Atmung lebender Blätter einen so wohl- 
tätigen Einfluß ausübende Saccharosefütterung hat also keinen 
oder eher einen hemmenden Einfluß auf die Atmung gefrorener 
Blätter geübt. Bei Abwesenheit von Sauerstoff ist die Kohlen- 
säurebildung bei Vicia Faba und einigen anderen gefrorenen 
Pflanzen nicht von Alkoholbildung begleitet, so auch bei Samen 
und Keimlingen von Lupinus luteus. Das unter diesen 
Bedingungen Kohlensäure liefernde Enzym habe ich Carbonase 
genannt. Das Verhältnis ihrer Leistungen zur Alkoholgärung 
ist schwer zu bezeichnen. Es ist möglich, daß die durch einige 


1) Palladinu. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1907. 51. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 163 


Pflanzen ohne entsprechende Alkoholbildung ausgeschiedene 
‚Kohlensäure das Anfangsstadium der Alkoholgärung bildet. 
Es ist aber auch die andere Erklärung möglich, daß die nie- 
drigere Temperatur die Alkoholgärung unterbunden hat und 
daß nur andere Vorgänge der anaeroben Zerspaltung erhalten 
geblieben sind, die aber nicht Glucose, sondern andere Stoffe 
zum Material haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß bei 
der anaeroben Atmung gleichzeitig mit der Zerspaltung von 
Glucose auch andere Stoffe zerspalten werden, wie das auch 
bei durch Hefe hervorgerufene Alkoholgärung zu beobachten 
ist. Bekanntlich wird in die Nährlösung eingeführtes Leucin 
durch die Hefe unter Bildung von Fuselölen zerstört '). 

Aufgabe fernerer Forschungen ist es, aufzuklären, was für 
Produkte in den Fällen der anaeroben Atmung neben der Kohlen- 
säure statt des Alkohols entstehen, wo Glucose nicht zugegen 
ist oder nicht als alleiniges Atmungsmaterial dient. Von mir 
und Kostytschew®), von Stoklasa und Ernest?) und auch 
von Bialosuknia“) ist z. B. Aceton gefunden worden. Bei 
der Atmung von Wurzeln bei ungenügender Sauerstoffzufuhr, 
d. h. bei teilweiser Anaerobiose konnten Stoklasa und Ernest 
die Bildung einer Reihe von Säuren (Ameisen-, Essig-, Oxal- 
säure) konstatieren. Dagegen erscheint bei vollkommener Durch- 
lüftung Kohlensäure als einziges Atmungsprodukt bei Wurzeln. 

In den angegebenen Fällen wurden sowohl das Aceton 
als die Säuren auf Kosten von Glucose gebildet. Folglich er- 
scheint die anaerobe Atmung selbst auf Kosten von Glucose nicht 
immer als typische Akoholgärung. 

Die dargelegten Tatsachen führen zu folgenden Schlüssen : 

4. Außer der Glucose können auch andere Stoffe 
der anaeroben Atmung als Material dienen. 

5. Die anaerobe Atmung kann ohne Alkoholbildung, 
dagegen unter Bildung anderer organischer Stoffe 
verlaufen. 


1) H. Pringsheim, Diese Zeitschr. 8, 128, 1908. 
2) W. Palladin u. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol. Chem. 48, 
214, 1906. 
3) J. Stoklasa u. A. Ernest, Jahrb. f. wissensch. Botan. 46, 
55, 1908. 
t) W. Bialosuknia, Jahrb. f. wissensch. Botan. 45, 644, 1908. 
11° 


164 W. Palladin: 


Obschon uns die Produkte der anaeroben Atmung noch 
wenig bekannt sind, kann man auf Grund unserer gegenwärtigen 
Kenntnisse doch mit Bestimmtheit sagen, daß sie bei Luft- 
zutritt einer weiteren Oxydation unterliegen. Borodin!) sagte 
bereits ganz richtig: „Es wäre am einfachsten, sich die Sache 
etwa so vorzustellen, daß bei der Kohlensäurebildung, die auch 
bei Ausschluß von freiem Sauerstoff stattfindet, eine leicht 
oxydierbare, Sauerstoff anziehende Substanz gebildet werde; 
man könnte dann weiter erwarten, es werde sich diese Substanz 
während des Verweilens der Pflanze in einer sauerstofffreien 
Atmosphäre immer mehr anhäufen und bei abermaligem Zutritt 
von Sauerstoff eine (gegenüber der normalen) verstärkte Kohlen- 
säurebildung hervorrufen.“ Leider bestätigen die von ihm an 
einem Ast von Syringa vulgaris angestellten Versuche die 
ausgesprochene Mutmaßung nicht. Man darf nicht annehmen, 
daß nach zeitweiliger Anaerobiose stets eine Steigerung der 
Atmungsenergie zu beobachten ist. Selbst bei Zufuhr leicht 
oxydierbarer Produkte ruft die Anaerobiose manchmal (z. B. bei 
Aspergillus niger) eine Vergiftung durch diese Produkte 
hervor. Maquenne?) beobachtete bei vielen Pflanzen nach 
vierstündiger Anaerobiose eine manchmal sehr bedeutende 
Steigerung der Atmungsenergie. Dabei stieg sowohl die Menge 
der ausgeschiedenen Kohlensäure, als auch die Menge des auf- 
genommenen Sauerstoffs. Auch das Verhältnis E erfuhr ge- 
wöhnlich eine Steigerung. ` 

Einen besonders bemerkenswerten Fall konnte ich?) bei 
der in Rollkulturen auf verschiedenen Nährlösungen gezüchteten 
einzelligen Alge Chlorothecium saccharophilum beobachten. 
Eine besonders bedeutende Steigerung der Atmungsenergie war 
bei der Kultur auf Raffinose zu beobachten (Fig. 1). 

Hier stieg die Atmungsenergie nach einem 48!/,stündigen 
Aufenthalt im Wasserstoffstrom (nach der ausgeschiedenen 
Kohlensäuremenge berechnet) um 4!/,mal. Die an derselben 
Alge in meinem Laboratorium von Petraschewski*) aus- 


1) Borodin, Botan. Zeite. 1881, 127. 

23) Maquenne, Compt. rend. 119, 100, 697, 1894. 

3) W. Palladin, Centralbl. f. Bakt. II., 11, 146, 1903. 

4) L. Petraschewsky, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1904, 323. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 165 


CO, 
o haben 


für Raffinosekulturen nach einer zeitweiligen Anaerobiose eine 
Steigerung, dagegen bei Mannitkulturen eine Verminderung 
- ergeben. In beiden Fällen entstehen also verschieden oxydierte 
Spaltungsprodukte. Eine Steigerung der Atmungsenergie nach 


geführten Bestimmungen des Verhältnisses von 


zeitweiliger Anaerobiose wurde 


d 
von Fr. Krasnosselsky!) TIITIIIITiIIII 
und Frl. Leschtsch?) in ihren 44 
in meinem Laboratorium an- — 
NRALZERIARBE 


gestellten Versuchen beobachtet 
und zwar von Krasnosselsky 
beiMucorspinosusundAsper- 
gillus niger, von Leschtsch 
bei Saccharomyces mem- 
branaefaciens. Leschtsoh 
kam zum Schlusse, daß eine Stei- 
gerung der Atmungsenergie nach 
zeitweiliger Anaerobiose nur bei 
Aeroben zu beobachten ist; die 
Einführung von Luft in Wasser- 
stoffkulturen von Saccharo- 
mycescerevisiseundSaccha- 
romyces Pombe ergab nur eine 


















NO-FEHE 
EINES AR AE 







unbedeutende Steigerung der Hu 
Kohlensäureausscheidung für 7 — ES d 
kurze Zeit, was auch bei etio- — 


lierten Blättern von Vicia Faba 
zu beobachten ist. Kosty- 
tschews?) Untersuchungen über 
die Atmung verschiedener Mu- 


Ausgeschiedene Kohlensäuremenge 
bei normaler (O) und intramole- 
kularer (H) Atmung der Alge 
Chlorothecium saccharophilum. 


corarten haben gezeigt, daß nach zeitweiliger Anaerobiose das 


Verhältnis Co, sehr bedeutende Größen erreichen kann, so stieg 


dé 


bei Mucor tolonifer das Verhältnis co, bis 6,58. Diese Koef- 


0, 


1) T. Krasnosselsky, CentralbL f. Bakt. IL Abt., 13, 673, 1904. 
2) M. Leschtsch, Centralbl. f. Bakt. II. Abt. 12, 649, 1904. 
3) S. Kostytschew, Centralbl. f£. Bakt. II. Abt., 13, 490, 1904. 


166 W. Palladin: 


fizienten, sowie die von Petraschewsky erhaltenen zeigen, 
daß während der anaeroben Atmung stark oxydierte Verbindun- 
gen angehäuft werden. 

Durch Experimente, die an einer Reihe zu verschiedenen 
Gruppen gehöriger lebender Pflanzen angestellt worden sind, 
ist also erwiesen, daß nach Zuführung von Sauerstoff die Pro- 
dukte der anaeroben Zerspaltung oxydiert werden. 

Dasselbe konnte ich!) an durch niedrige Temperatur ge- 
töteten Pflanzen beobachten. So wurden von zwei Portionen 
etiolierter Blätter von Vicia Faba, die nach vorangehender 
Saccharosefütterung erfroren waren, folgende (auf 100 g Blätter 
berechnete) Kohlensäuremengen ausgeschieden: 


1. Luftstrom 





2. Wasserstoffstrom 






4 Stunden 
4 » 
15 






Die Ergebnisse des Versuchs sind in Fig. 2 dargestellt. 
Man sieht, daß getötete Blätter, die bei Luftzutritt 38,2 mg 
Kohlensäure in der Stunde ausschieden, es nach zeitweiliger 
Anaerobiose zu 54,3 mg CO, in der Stunde brachten. Folglich 
begünstigte der vorhergehende 23stündige Aufenthalt im Wasser- 
stoffstrom die Anhäufung leicht oxydierbarer Stoffe. Ferner 
folgt aus einem Vergleiche der gesamten von der ersten im 
Luftstrom befindlichen Portion (in der gleichzeitig anaerobe und 
Oxydationsvorgänge statt hatten) ausgeschiedenen Kohlensäure- 
menge mit der Gesamtmenge der von der zweiten Portion 
Blätter (wo zuerst im Wasserstoffstrom ausschließlich anaerobe 
Prozesse abliefen und die Produkte der anaeroben Zerspaltung 
erst nachher durch den durchgelassenen Luftstrom oxydiert 


1) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 412, 1906. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 167 


. wurden) ausgeschiedenen Kohlensäure, daß im ersten Falle 
343 mg, im zweiten 474 mg, d. i. um 131 mg oder 38,1°/, mehr 
` Kohlensäure ausgeschieden wurde. Dieser Überschuß in der 
zweiten Portion wurde ausschließlich dadurch ermöglicht, daß 
im Wasserstoffstrom große Mengen von Produkten der anaeroben 
Zerspaltung gebildet waren, die sodann oxydiert wurden. 
Solche an getöteten Pflanzen angestellte Versuche demonstrieren 
auf besonders anschauliche Weise die Abhängigkeit der Oxy- 
dationsvorgänge von den vorausgehenden 
Vorgängen der anaeroben Zerspaltung. 

Aus der Tatsache, daß der gleich- 
zeitige Verlauf von anaeroben und Oxy- 
dationsvorgängen bei getöteten Pflanzen 
für sie, wie aus der stark verminderten 
Mengeausgeschiedener Kohlensäurefolgt, 
ungünstig ist, kann gefolgert werden, daß 
die Oxydationsvorgänge einen schädigen- 
den Einfluß auf die anaeroben Prozesse 
ausüben. Das wird durch Versuche von 
Bach) bestätigt, bei denen die Gegenwart Fig. 2. 
von Peroxydase einen schädigenden Ein- Durch erfrorene etiolierte 
fluß auf die Zymase des Zymins ausübte. ehem Kohlen 

Alles Gesagte führt zur Annahme, säure e/ an der Luft, 
daß in der lebenden Zelle die anaeroben ed — zuerst im Wasser- 

stoff (ab) — dann an der 

und Oxydationsvorgänge nicht nur zeit- Luft (bcd). 
lich, sondern vielleicht auch räumlich 
getrennt sind, etwa dem Umstande analog, daß in der lebenden 
Zelle die Koexistenz von sauer reagierendem Zellsaft und 
alkalisch reagierendem Protoplasma möglich ist. Wenn aber 
eine solche räumliche Trennung fehlt, so muß die lebende 
Zelle über Mittel (Antifermente) verfügen, die die anaeroben 
Enzyme vor der schädlichen Einwirkung der Oxydasen be- 
wahren. Auch könnten beide Fälle zugleich in der lebenden 
Zelle Platz haben. 

Auch bei Tieren ist nach vorübergehender Anaerobiose ver- 
mehrte Kohlensäureausscheidung zu beobachten, wie das Weiß?) 





1) A. Bach, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 20. April 1906. 
23) G. Weiß, Bulletin soc. biologique de France 64, Nr. 11, 12, 
1908. Zitiert nach Biochem. Centralbi. 1908, 8111. 


168 W. Palladin: 


am Frosche feststellen konnte. Obschon dabei die Vermehrung 
der Kohlensäureausscheidung von bedeutender Sauerstoffabsorp- 
tion begleitet war, so war doch stets ein Steigen des Atmungs- 
koeffizienten zu vermerken. 

Die kürzlich angestellten Versuche Nabokichs!) können 
als weitere Stütze der Ansicht dienen, daß durch anaerobe Vor- 
gänge beständige Stoffe in höchst unbeständige übergeführt 
werden. Er wiederholte die früheren Versuche Brensteins?®) 
über die Kohlensäureausscheidung von durch überhitzten Dampf 
getöteten Pflanzen und stellte folgenden weiteren Versuch an. 
Von zwei Portionen Fruchtträger von Agaricus campestris 
wurde die eine durch überhitzten Dampf getötet und die Menge 
der von ihr danach ausgeschiedenen Kohlensäure bestimmt; 
die andere befand sich vorher 24 Stunden im sauerstofffreien 
Medium und wurde dann erst getötet. Die von der zweiten 
Portion ausgeschiedene Kohlensäuremenge überstieg die ent- 
sprechende Größe bei der ersten um mehrere Male. Die vor- 
ausgehende Anuerobiose hatte also eine große Menge Stoffe vor- 
bereitet, die an der Luft oxydiert werden konnten. 

Alle ausgeführten Versuche können wie folgt zusammen- 
gefaßt werden: 

6. Die Vorgänge der anaeroben Atmung führen be- 
ständige, keine unmittelbare Oxydation zulassende 
Pflanzenstoffe in höchst unbeständige leioht oxydier- 
bare Stoffe über. 

Es entsteht die fernere Frage, ob durch den Sauerstoff 
End- oder irgendwelche Zwischenprodukte der anaeroben Zer- 
spaltung oxydiert werden. 

Als Endprodukt der Vorgänge der anaeroben Atmung er- 
scheint in der Mehrzahl der Fälle Alkohol. Es entsteht die 
Frage, ob bei normalen Bedingungen bei Luftzutritt Alkohol 
. entsteht, oder ob dabei die Vorgänge der anaeroben Zerspaltung 
die Alkoholbildung nicht erreichen und nicht Alkohol, sondern 
dem Anfangstadium der anaeroben Zerspaltung näher stehende 
Stoffe oxydiert werden. Theoretisch betrachtet erscheint es 


1) A. Nabokich, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 324. 

2) Brenstein, Über die Produktion von Kohlensäure durch 
getötete Pflanzenteile. Inaug.-Diss., Kiel 1887. — Reinke, Botan. 
Zeitg. 1887, 216. 


— gp 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 169 


für die Pflanze vorteilhafter, unbeständige, labile Stoffe zu 
oxydieren, als beständige. 

Was für Stoffe sind nun weniger beständig: Alkohol oder 
uns unbekannte Zwischenprodukte, aus denen er später ge- 
bildet wird? Für den Gang ohemischer Reaktionen gibt Ost- 
wald folgende allgemeine Regeln an. Es entstehen „bei chemi- 
schen Vorgängen im weitesten Sinne von den möglichen Pro- 
dukten nicht die beständigsten zuerst“ . . . „sondern die unter 
den vorhandenen Umständen noch möglichen unbeständig- 
sten“!). Es wird „beim freiwilligen, d. h. infolge Eintritts 
in das labile Gebiet erfolgenden Verlassen eines Zustandes 
nicht die Form mit der kleinsten freien Energie erreicht,“ ... 
„sondern die Form, welche unter möglichst geringem Verlust 
an freier Energie erreicht werden kann, oder die Form mit 
der nächstgrößten freien Energie‘‘?). Selbst bei der Krystalli- 
sation aus übersättigten Lösungen konnte Ostwald beobachten, 
daß nicht zuerst dauerhafte, kein Wasser enthaltende Krystalle 
entstehen, sondern unbeständige wasserhaltige, im Wasser leichter 
lösliche Krystalle, die erst im weiteren Verlaufe der Krystalli- 
sation in solche übergehen, die kein Wasser enthalten. 

Auch bei der Alkoholgärung müssen also die Zwischen- 
produkte weniger beständig sein und der Oxydation leichter 
unterliegen, als das Endprodukt der Gärung, der Alkohol. Die 
von Godlewski’) und mir*) geäußerte Ansicht, daß es bei 
der normalen Atmung nicht zur Bildung von Alkohol zu kommen 
braucht, versuchte Kostytschew°) durch neue Tatsachen zu 
bestätigen. 

7. Alkohol wird nur bei anaerober Atmung gebildet. 

8. Bei normaler Atmung unter Luftzutritt führen 
die Vorgänge der anaeroben Zerspaltung nicht zur 
Bildung von Alkohol und anderer ihm analoger Pro- 
dukte, da der Oxydation frühere labile Zwischen- 
produkte der anaeroben Zerspaltung unterliegen. 


1) W. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 34, 252, 1900. 

2) W. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 22, 307, 1897. 

3) Godlewski, Bulletin de l’Acad. des sciences de Cracovie 1904, 115. 

4) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chemie 47, 407, 1906. 

8) S. Kostytschew, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 565. — 
Diese Zeitschr. 15, 164, 1908. 


170 W. Palladin: 


Gewöhnlich beurteilt man die Energie der anaeroben Zer- 
spaltung als einen das Leben in sauerstofffreien Medien unter- 
haltenden Prozeß nach der ausgeschiedenen Kohlensäure- 
menge, d.i. nach der Energie der anaeroben Atmung, indem 
man voraussetzt, daß die Bildung der übrigen Produkte der 
anaeroben Zerspaltung der ausgeschiedenen Kohlensäuremenge 
proportional verläuft. Eine solche Proportionalität besteht aber, 
wie Versuche zeigen, in der Tat nicht, und wir kennen solche 
Fälle von Leben ohne Sauerstoff, die beinahe von keiner 
Kohlensäureausscheidung begleitet sind. Ich will mich auf ein 
sehr bezeichnendes Beispiel beschränken: Raffinosekulturen der 
Alge Chlorothecium saccharophilum scheiden, in ein sauer- 
stofflloses Medium versetzt, im Laufe der ersten 24 Stunden 
minimale Mengen, im Laufe weiterer 24 Stunden gar keine 
Kohlensäure aus, so daß man versucht ist, die Pflanze für 
tot zu halten. In der Tat setzt sie aber ihr Leben fort, in- 
dem sie das Nährsubstrat ohne Ausscheidung von Kohlensäure 
spaltet, was dadurch bewiesen wird, daß sie im Luftstrom die 
Produkte der anaeroben Zerspaltung lebhaft zu oxydieren be- 
ginnt und bis zum Schlusse dieser Oxydation die Menge der 
ausgeschiedenen Kohlensäure um 4!/, mal gegenüber der Norm 
(Fig. 1, S. 165) erhöht. Folglich: 

9.können aerobe Pflanzen in sauerstofflosen Medien 
leben, ohne Kohlensäure auszuscheiden. 

Unter diesen Bedingungen findet eine sehr energische 
Spaltung zusammengesetzter organischer Verbindungen in ein- 
fachere statt. Zur Erforschung dieser Verbindungen hat man 
gerade solche Substanzen zu wählen, die in sauerstofffreien 
Medien wenig Kohlensäure ausscheiden, da man als Regel be- 
trachten kann, daß, je weniger Kohlensäure Pflanzen unter diesen 
Bedingungen ausscheiden, sie es desto energischer nach erneuter 
Sauerstoffzufuhr tun, da bei Sauerstoffentziehung in ihnen ja 
besonders viel leicht oxydable Stoffe angesammelt werden 
müssen. 

Während bei Chlorothecium das anaerobe Leben nur 
in den zweiten 24 Stunden ohne Kohlensäureausscheidung ver- 
läuft, ist manchmal auch die umgekehrte Erscheinung zu ver- 
zeichnen, daß das anaerobe Leben nur in den ersten Stunden ohne 
Kohlensäureausscheidung verläuft, wonach diese dann beginnt. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 171 


Ein solcher Fall wurde von Kostytschew!) an Peptonkulturen 
von Aspergillus niger beobachtet. Mit Recht weist Kosty- 
tschew darauf hin, daß darin eine Erklärung für den nega- 
tiven Befund Diakonows gegeben ist; Diakonow beließ seine 
Kulturen nur sehr kurze Zeit in Wasserstoff. Das Aufhören 
der Kohlensäureausscheidung kann noch nicht als Kriterium des 
Todes gelten. 

Ob die anaerobe Atmung von Wasserbildung begleitet ist, 
wissen wir ebenso wenig wie überhaupt etwas über den Vorgang 
der Wasserbildung während der Atmung. 

Die in der ersten Zeit nach dem Versetzen in ein sauer- 
stofffreies Medium von den Pflanzen ausgeschiedene Kohlen- 
säure kann nicht ausschließlich auf Rechnung der anaeroben 
Zerspaltung gesetzt werden, da es dank der Kompliziertheit der 
Oxydationsprozesse (s. unten) einiger Zeit bedarf, bis der von 
der Pflanze aufgenommene Sauerstoff sie in Form von Kohlen- 
säure und Wasser verläßt. 


II. Sekundäre (Oxydations-) Prozesse der Pflanzenatmung. 


Die Vorgänge der Oxydation der Produkte der anaeroben 
Zerspaltung erscheinen noch komplizierter und sind noch weniger 
erforscht als die anaerobe Zerspaltung selbst. Darauf, daß 
diese Vorgänge in den Pflanzen im höchsten Grade kompliziert 
sein müssen, weist der gegenwärtige Stand rein chemischer 
Untersuchungen über den Verlauf der Oxydationsprozesse hin.?) 
Der Physiologe hat bei Erforschung dieser Prozesse im Orga- 
nismus stets die wichtigsten von Chemikern gewonnenen Re- 
sultate im Auge zu behalten. Man unterscheidet zwei Kate- 
gorien von Oxydationserscheinungen, einmal Verbrennungen (mit 
Feuer) bei hohen, und Oxydationen bei niederen Temperaturen, 


1) S. Kostytsohew, Untersuchungen über anaerobe Atmung der 
Pflanzen. St. Petersburg 1907, S.40, 42 (russisch). Pringsheims Jahrb. f. 
wissensch. Botan. 40, 563, 1903. 

2) Literatur bei: C. Engler und J. WeißBberg, Kritische Studien 
über die Vorgänge der Autoxydation. Braunschweig 1904. — G. Bod- 
länder, Über langsame Verbrennung. Stuttgart 1899 (Sammilg. chem. 
und chem. techn. Vorträge). — W. Manchot, Über Sauerstoffakti- 
vierung. Würzburg 1908 (Verhandlungen der phys. med. Gesellsch. zu 
Würzburg, N. F. 89). 


172 W. Palladin: 


die langsam vor sich gehen und als „langsame Oxydation‘ oder 
„Autoxydation‘‘ bezeichnet werden. Zu den Vorgängen der 
Autoxydation gehören die Vorgänge der Pflanzenatmung. 

Untersuchungen über die Autoxydation haben ergeben, 
daß fast immer neben beständigen Oxydationsprodukten (z. B. 
Wasser bei Oxydation von Wasserstoff) noch andere Stoffe mit 
Peroxydcharakter entstehen, die ein größeres Oxydationsvermögen 
haben, als der Sauerstoff der Luft (z. B. bei Oxydation von 
Wasserstoff — Wasserstoffsuperoxyd).. Die Bezeichnung „Aut- 
oxydation‘“ ist von M. Traube eingeführt; als autoxydierende 
Stoffe werden solche bezeichnet, die der Oxydation durch Luft- 
sauerstoff unmittelbar fähig sind. Die Autoxydation wird durch 
Katalysatoren unterstützt. Da bei den Vorgängen der Aut- 
oxydation Stoffe mit Peroxydcharakter gebildet werden, können 
dabei auch solche Stoffe oxydiert werden, die durch den Sauer- 
stoff der Luft allein nicht oxydiert werden. Es hat also bei der 
Autoxydation gleichsam eine Stimulierung des Luftsauerstoffs 
stattgefunden, was von Schönbein als Sauerstoffaktivierung 
bezeichnet wurde. Zur Erläuterung einige Beispiele: 

1. Die Oxydation des Wasserstoffs verläuft wie folgt: 


—0O HO 
pi In | 
— 0 — 0 

H,0,+ H, — 2H,0 


H 
2. Die Oxydation des Oxanthranols RO „CH, 


hat den Verlauf: 


(Oxanthranol) BR — 0 
Anthrachinon = 4- | = Anthrachinon + H,0,. 


Manchot!) hatdurch quantitative Untersuchungen bewiesen, 
daß bei der Oxydation von Oxanthranol doppelt soviel Sauer- 
stoff absorbiert wird, als es dessen bedürfen würde, um als 
Reaktionsprodukt Wasser zu bilden. In beiden Fällen erfolgt, 
wie man sieht, eine Verbindung mit ganzen Molekülen Sauer- 
stoff. Die Oxydation wird in Gegenwart von Barytlauge aus- 
geführt, die zugleich als Katalysator dient und das entstehende 
Wasserstofisuperoxyd bindet. 


1) W. Manchot, Annal. d Chem. 314, 177, 1901. 


— — 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 173 


3. Der bei der Autoxydation entstandene Körper mit Per- 
oxydcharakter kann die Hälfte seines Sauerstoffs anderen 
Körpern B abgeben, die von Engler und Weißberg!) als 
Acceptoren bezeichnet worden sind: 

AO, + B —— AO +- BO. 

Der Stoff AO kann noch weiter oxydierend wirken: 

AO + B ——- A + BO, 
so daß als Reduktionsprodukt des Ausgangsstoffes A erhalten 
wird. In Gegenwart von Acceptoren gehen also Oxydations- 
und Reduktionsprozesse parallel. Wir haben es hier nach 
Ostwald mit einer „Reaktion mit Folgewirkungen“ zu tun. 
Die Gegenwart eines Acceptors kann sogar den Gang des Oxy- 
dationsvorganges beschleunigen. Es wird z. B. eine Lösung von 
Ferrosulfat an der Luft sehr langsam oxydiert; wenn man aber 
diese Lösung mit Atzkali vermengt, in dem viel arsenige Säure 
gelöst ist, und umschüttelt, so tritt bald die rotbraune Farbe 
des Ferrihydroxyds zutage. Dabei wird doppelt soviel Sauer- 
stoff aufgenommen, als zur Überführung der Ferro- in die 
Ferriverbindung nötig wäre; der Überschuß an Sauerstoff wird 
vom Acceptor — der arsenigen Säure — aufgenommen. 

Besonders geeignet zur Demonstration der Übertragung von 
Sauerstoff sind Cersalze. A.Job?) verfuhr dabei wie folgt: er 
nahm zwei Kolben A und B von je ca. 200 ccm Inhalt, goß 
in jeden je 50 ccm einer konzentrierten Kaliumcarbonatlösung 
und je 5 ccm einer pro Liter etwa 10 g Cer enthaltenden Cero- 
nitratlösung; ferner wurden in den Kolben A 20 ccm verdünnter, ` 
etwa 10 g arsenige Säure pro Liter enthaltender Kaliumcarbonat- 
lösung, in den Kolben B die gleiche Menge reiner Kalium- 
carbonatlösung gegeben und beide Kolben umgeschüttelt. Im 
Kolben B fiel rasch orangerotes, kohlensaures Cerperoxyd aus, 
was in A nur in geringem Maße zu beobachten war. Nach 
dem Schütteln blieb in B die rote Färbung bestehen, während 
sie in A vollständig verschwand und von einer gelben, für 
Cerisalze charakteristischen Färbung ersetzt wurde. Das anfangs 
farblose Salz des Ceroxyduls (Ce,O,) wurde also in beiden Kolben 
zum roten Salze des Cerperoxyds (CeO,) oxydiert; im Kolben A 


1) Engler und Weißberg, Le S. 40. 
2) A.Job, Compt. rend. 184, 1052, 1902. — Annales de chim. et 
de physique, 7. série, 20, 205, 1900. 


174 W. Palladin: 


wurde dann vom Acceptor (arsenige Säure) ein Teil des Sauer- 
stoffs fortgenommen und es entstand ein Cerisalz (CeO,). Letzteres 
vermag aus der Luft keinen Sauerstoff aufzunehmen. Nimmt 
man statt arseniger Säure Glucose, so erhält man beim Um- 
schütteln ebenfalls einen beim Stehen verschwindenden roten 
Niederschlag; dabei wird aber die Lösung nicht gelb, sondern 
infolge der Reduktion des Cerperoxydsalzes zum Cerosalz farb- 
los. In diesem Falle wird der gesamte, aus der Luft aufge- 
nommene Sauerstoff an die Glucose abgegeben und das Cero- 
salz wirkt wie ein oxydierendes Ferment. Auch Hydrochinon 
wurde von Job!) als Acceptor angewandt; die Übertragung 
des Sauerstoffs der Luft auf Glucose mit Hilfe von Indigo- 
schwefelsäure in alkalischer Lösung hat schon M. Traube be- 
obachtet.?) 

4. Zwei Stoffe, die einzeln zur Sauerstoffabsorption nicht 
befähigt sind, werden es bei ihrer Vermengung. Job?) nimmt 
z. B. eine Lösung von Ceriammoniumnitrat in kohlensaurem 
Kali. Diese Lösung nimmt ebensowenig wie eine Lösung von 
Glucose Sauerstoff auf. Wenn man sie jedoch vermengt, so 
tritt zuerst infolge der Bildung von Cerosalz Entfärbung ein; 
nach dem Umschütteln fällt ein roter Niederschlag von Cer- 
peroxyd aus, der beim Stehen infolge der Oxydation der Glu- 
cose von neuem farblos wird. Mit andern Worten ist zum Be- 
ginn der Oxydation Reduktion nötig; die Glucose hat das Ceri- 
salz aus dem Stadium eines Profermentes (Oxyd) ins Stadium 
eines Fermentes (Oxydul) übergeführt. 

5. Die oxydierenden Stoffe sind bessere Oxydatoren als der 
Sauerstoff der Luft. Viele Stoffe, die der Oxydation durch 
Luftsauerstoff unfähig sind, werden leicht durch Chromsäure, 
Kaliumpermanganat, Salpetersäure usw. oxydiert. Im pflanz- 
lichen Organismus werden ebenfalls Oxydatoren gebildet, die 
energischer oxydieren als der Sauerstoff der Luft. 

Aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, daß die Oxy- 
dationsvorgänge von einer Reihe von Nebenprozessen begleitet 
sind, u. a. von Reduktionsvorgängen. Auch in der Zelle wechseln 
Oxydations- und Reduktionsvorgänge ab. 


1) A. Job, Compt. rend. 136, 45, 1903. 
2) M. Traube, Theorie der Fermentwirkungen, 1858; S. 20. 
3) A. Job, Compt. rend, 184, 1054, 1903. 


Über das Wesen der Pflanzenstmung. 175 


Nach Ostwald!) besteht die Wirkung des Oxydators darin, 
daß positive Ionen gebunden oder negative geschaffen werden. 
Umgekehrt werden von reduzierenden Stoffen die negativen 
Ionen gebunden und die positiven gebildet. Nach Le Blanc?) 
kann man für elektrische Vorgänge die sog. Oxydations- und 
Reduktionserscheinungen scharf definieren. Man kann sagen, 
ein Stoff wird oxydiert, wenn er seine positive Ladung vermehrt 
(bzw. eine positive Ladung aufnimmt) oder seine negative ver- 
mindert, und er wird reduziert, wenn er seine negative Ladung 
vermehrt oder seine positive vermindert. Um eine wirkliche 
Oxydation, d. h. um eine Mitwirkung des Sauerstofis, an die 
man früher stets glaubte, handelt es sich hier vielfach nicht, 
sondern um einen Wechsel der Ionenladungen. Das Chlor er- 
scheint z. B. in Gegenwart von Wasser als Oxydator, da es die 
positiven Wasserstoffionen bindet und negative Hydroxylionen 
in Freiheit setzt, die dann auf andere Stoffe oxydierend wirken. 
Das Chlor erscheint also als indirekter Oxydator.?) 


901L2H_20H—201--2H-L20H 
Wasser Salzsäure 
Viele Metalle erscheinen in Wasser als indirekte reduzie- 
rende Mittel, indem sie positive Wasserstoffionen befreien. 


++ < + 
Zn + 20H + 2 H = Zn (0H), +4 H + H. 

Bei elektrolytischen Oxydationsprozessen bemerkt man eine 
Abhängigkeit mit vom Stoffe der Elektroden, so auch von einem 
kleinen Zusatz fremder Substanz. In beiden Fällen haben wir 
autolytische Prozesse. Der Zusatz eines Reduktionsmittels zum 
oxydierenden Stoffe beschleunigt den Gang des Prozesses.?) 
Schaer*) untersuchte aktivierende Wirkungen von reduzierenden 
Substanzen auf verschiedene oxydierende Verbindungen. 

Den Einfluß des Mediums auf den Gang der Reduktions- 
und Oxydationsprozesse beleuchten die Versuche von Job.°) 
Cersalze werden durch Wasserstoffsuperoxyd bei alkalischer Re- 
aktion oxydiert, bei saurer reduziert. 

1) W. Ostwald, Allgem. Chem. 3. Aufl., S. 439. 

2) M. Le Blanc, Lehrb. d. Elektrochem., 4 Aufl., 1906, S. 240. 

3) M. Le Blano, l. o. S. 263 bis 264. 


4) Ed. Schaer, Annal. d. Chem. 323, 32, 1002. 
6) A. Job, Annales de chim. et physique, 7. serie, 20, 234, 1900. 


176 W. Palladin: 


Auf Grund der erläuterten Beispiele kann man somit sagen, 
daß am Verlauf der Autoxydationsvorgänge beteiligt sind: 

l. der oxydierende Körper, 

2. ein Körper mit aktiviertem Sauerstoff (Wasserstofisuper- 
oxyd, zusammengesetzte Peroxyde), 

3. ein Katalysator (Oxydase), 

4. ein Acceptor, 

5. ein reduzierender Körper. 

Die Autoxydationsvorgänge erscheinen also schon im ein- 
fachsten Falle recht kompliziert. Was die Oxydationsvorgänge 
in den Pflanzen anbelangt, so müssen wir, in Anbetracht ihrer 
noch größeren Kompliziertheit, die Unmöglichkeit anerkennen, 
schon jetzt ihren Verlauf detailliert zu schildern, und uns 
darauf beschränken, einzelne Stufen des Prozesses ins Auge zu 
fassen. 

Auf Grund unserer gegenwärtigen Kenntnisse von den Oxy- 
dationsvorgängen in den Pflanzen müssen wir folgenden Satz als 
feststehend betrachten: 


10. Um sich den Sauerstoff der Luft anzueignen, 
genügt es nicht, von ihm umgeben zu sein. Man muß 
über einen komplizierten Apparat zu seiner Aufnahme 
verfügen. 


Wie es zur Assimilation der Kohlensäure und des Sonnen- 
lichtes nicht genügt, von ihnen umgeben zu sein und noch ein 
Chlorophyllapparat erforderlich ist, so ist auch zur Aufnahme 
von Sauerstoff ein Oxydationsapparat erforderlich. Seinen Be- 
stand bilden vor allem, als Katalysatoren der Oxydations- 
vorgänge, Oxydasen. Anaerobe Pflanzen entbehren ihrer. Nach 
Bach enthält Hefe keine Peroxydase; auf die Arbeit des Zymins 
hat Peroxydase einen nachteiligen Einfluß!) Grüss?) konnte 
in der Hefe Oxydasen nur in Spuren nachweisen. Die ver- 
schwindend geringe Menge der in der Hefe enthaltenen oxy- 
dierenden Enzyme erklärt die auf den ersten Blick befremd- 
liche Tatsache, daß Hefe bei vollem Luftzutritt zu gären ver- 
mag. Man kann also die Definition Pasteurs, Gärung sei 
Leben ohne Sauerstoff, erweitern, indem man sagt: 


1) A. Bach, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 1906, 1664. 
2) Grüss, Wochenschr. f. Brauerei 1899, 522; 1901, 310. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 177 


11. Die Gärung ist Leben ohne Sauerstoff, sei es 
aus Mangel desselben im umgebenden Medium (höhere 
Pflanzen), sei es aus Mangel zu seiner Aufnahme ge- 
eigneter Mittel (anaerobe Pflanzen). 

Hauptsächlich durch die Arbeiten von G. Bertrand und 
von Chodat und Bach ist die weite Verbreitung oxydierender 
Enzyme in Pflanzen nachgewiesen. H. Euler und J. Bolin?) 
sind der Meinung, daß ihre chemische Natur sehr einfach ist. 
Sie vertragen starke Temperaturerhöhung; ihr wirksames Prinzip 
bilden Salze organischer Säuren. Ihre Wirkung ist also eine 
rein katalytische. 

Nachdem Bach?) und gleichzeitig Engler?) gezeigt hatten, 
daß die Prozesse der Autoxydation von der Bildung von Per- 
oxyden begleitet sind, gaben Chodat und Bach eine Theorie 
der Oxydationsprozesse in den Pflanzen, nach welcher den oxy- 
dierenden Enzymen die Rolle zufiel, in den Pflanzen auf Kosten 
des Sauerstoffs der Luft zusammengesetzte Peroxyde zu bilden, 
die von ihnen Oxygenasen, d. h. Träger aktivierten Sauer- 
stoffs, genannt wurden, während für die oxydierenden Enzyme 
die alte Bezeichnung*) Peroxydasen, d. h. Peroxydbildner, bei- 
behalten wurde. 

Auf Grund der chemischen, auf die Prozesse der Autoxy- 
dation bezüglichen Tatsachen müssen wir auch in den Pflanzen 
Bildung von Peroxyden als Träger aktivierten Sauerstofis an- 
nehmen, aber unsere diesbezüglichen, auf Tatsachen beruhenden 
Kenntnisse sind minimal. Eine Aufgabe künftiger Forschungen 
wird die Beseitigung dieses Mangels bilden. Nach Bach und 
Chodat?) gibt die durch Behandlung des Saftes von Lathraea 
squammaria mit Barytwasser mit nachfolgender Zerlegung des 
erhaltenen Niederschlags gewonnene Lösung mit Titanschwefel- 
säure keine Reaktion auf Wasserstoffisuperoxyd, färbt aber mit 
Jodkali in intensiver Weise Stärke blau. Wahrscheinlich wird 


1) Hans Euler und Ivan Bolin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 57, 
80, 1908. 

2) Bach, Compt. rend. 124, 951, 1897. Moniteur scientifique 11, 
480, 1897. 

3) Engler, Verhandl. d. naturw. Ver. Karlsruhe, 13, 72, 1896. — 
Engler und Wild, Ber. d. Deutsch. ohem. Ges. 30, 1696, 1897. 

4) Linossier, Compt. rend. soc. biol 50, 373, 1898. 

H Bach und Chodat, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 85, 2466, 1902. 

Biochemische Zeitschrift Band 18, 12 


178 W. Palladin: 


in den Pflanzen auch Wasserstoffsuperoxyd gebildet, es ist aber 
infolge der Gegenwart von Katalase schwer nachzuweisen. Zu- 
gunsten des Vorhandenseins von Peroxyden in den Pflanzen 
spricht der Umstand, daß möglichst gereinigte Peroxydase ohne 
Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd gar keine Farbenreaktionen 
zeigt, d. h. keine oxydierenden Prozesse vollzieht. 

Das Oxydationsvermögen der Oxydasen ist selbst in Gegen- 
wart von Wasserstofisuperoxyd sehr beschränkt. G. Bertrands 
Untersuchungen haben gezeigt, daß Oxydasen den Sauerstoff 
der Luft ausschließlich auf aromatische Verbindungen von 
bestimmter Zusammensetzung zu übertragen befähigt sind. ‚Les 
corps nettement attaquables par la laccase sont ceux qui, appar- 
tenant & la serie benzenique, possedent au moins deux des 
groupements OH ou NH, dans leur noyau et dans lesquels 
ces groupements sont situés, les uns par rapport aux autres 
soit en position ortho, soit surtout en position para.‘‘!) Meta- 
Verbindungen werden äußerst schwer oxydiert. Z. B. haben 
Hydrochinon, Brenzkatechin und Resorein in Gegenwart von 
Laccase folgende Sauerstoffmengen absorbiert: 

Hydrochinon (Para-Diphenol) . . 32,0, 
Brenzkatechin (Ortho-Diphenol) . . 17,4, 
Resorein. . (Meta-Diphenol) . . 0,6. 


Dabei ist zu bemerken, daß selbst die durch Oxydasen 
oxydierbaren Stoffe durch sie niemals bis zu Kohlensäure und 
Wasser, sondern nur bis zur nächsten organischen Verbindung 
oxydiert werden, die dabei, wie es scheint, stets farbig, d. h. 
ein Pigment ist. So wird Hydrochinon unter Sauerstoff- 
absorption und Bildung von Wasser nur zu rotem Chinon oxy- 
diert: 

C,H,0,+0=C,H,0,+ H,O. 

Pyrogallol wird unter Sauerstoffabsorption und Kohlen- 
säureausscheidung nur zu rotem Purpurogallin oxydiert. Laccol 
wird zu schwarzem Lack oxydiert. Eine durch unvollständige 
Oxydation verschiedener organischer Verbindungen entstehende 
Pigmentbildung liegt endlich allen Farbenreaktionen der Oxy- 
dasen zugrunde. Aus allen bis heute bekannt gewordenen Tat- 


1) G. Bertrand, Compt. rend. 122, 1132, 1896; Annales de chim. 
et de physique, 7. serie, 12, 115, 1897. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 179 


sachen ist also ersichtlich, daß das Oxydationsvermögen der 
Atmungsoxydasen sehr beschränkt und zwar nur auf Pigment- 
bildung zurückzuführen ist. Eine Pigmentbildung bei der Ein- 
wirkung der tierischen Oxydasen z. B. auf Adrenalin und 
Tryptophan, sowie auf p-Oxyphenyläthylamin hat Neuberg!) 
beobachtet. 

12. Die Atmungsperoxydasen sind gewöhnlich 
pigmentbildende Enzyme. 

In einigen Fällen ist die umgekehrte Erscheinung zu be- 
obachten: als Resultat der Oxydation tritt Zerstörung des Pig- 
mentes ein. Das ist sehr gut am Karoten, einem Kohlenwasser- 
stoff, dem nach Willstätter?) die Formel C,,H,, zukommt, 
zu beobachten. In großen Mengen ist er in der Wassermelone 
(Citrullus vulgaris) vertreten. Das zerkleinerte Innere der Wasser- 
melone wird bei Autolyse mit Chloroform bei Luftzutritt in 
einigen Tagen vollständig entfärbt. Bei Autolyse ohne Luft- 
zutritt oder, in Gegenwart von Formalin°?), welches die enzy- 
matischen Prozesse zerstört, auch bei Luftzutritt bleibt die Fär- 
bung erhalten. 

Eine ähnliche Entfärbung des Karoten, wenn auch eine 
bedeutend langsamer eintretende, ist nach sehr langer Autolyse 
von Möhren zu beobachten. Auf Grund dieser Versuche muß 
auch das Karoten den Atmungspigmenten beigezählt werden. 

Versuche, mittels der Oxydasen aliphatische Verbindungen 
zu oxydieren, haben zu negativen Resultaten geführt. So ist 
Portier*) nach fruchtlosen Versuchen, Glucose mittels Laccase 


1) C. Neuberg, Diese Zeitschr, 8, 383, 1908. 

DR Willstätter, Annal. d. Chem. 355, 1, 1907. 

3) Das Formalin ist sehr wertvoll, wenn es sioh darum handelt, die 
in den Pflanzen enthaltenen (alle?) Enzyme zu töten, ohne dabei andere 
in den Pflanzen vorhandene, oft höchst unbeständige Stoffe zu zerstören. 
Formalinbehandlung gibt oft bessere Resultate, als das Kochen, welches 
nicht nur auf Enzyme, sondern auch auf andere Stoffe zerstörend wirkt. 
Zur Tötung setzt man es entweder zu bereits zerkleinerten Pflanzen hinzu 
oder man bringt ganze Pflanzenteile in Formalindämpfe unter Glas- 
glocken. Man erhält so abgestorbene Pflanzen mit getöteten Enzymen, 
während man in Chloroformdämpfen abgetötete Pflanzen mit wirk- 
samen Enzymen erhält (zur Bezeichnung „abgestorben‘‘ und „abgetötet‘ 
vgl. Trommsdorf, Centrabl. f. Bakt., II. Abt., 8, 87, 1902). 

4) Portier, Les oxydases dans la serie animale. Leur rôle physio- 
logique. Paris 1897. 

12* 


180 W. Palladin: 


zu oxydieren, zu dem nicht richtigen Schluß gekommen, daß 
den Oxydasen bloß eine schützende Rolle zukommt: bei Ver- 
wundungen bewirken sie Bildung von die Wunde überziehendem 
Lack.!) 

13. Die Atmungsenzyme können die Produkte der 
anaeroben Zerspaltung, soweit letztere zu den ali- 
phatischen Verbindungen gehören, nicht unmittelbar 
oxydieren. 

Die uns noch nicht bekannten labilen Produkte der an- 
aeroben Zerspaltung geben bei der Hefe schließlich Alkohol. 
Auch bei Aeroben wird nach zeitweiliger Sauerstoffentziehung 
in der Mehrzahl der Fälle Alkohol gebildet. Was geschieht 
aber mit den Produkten der anaeroben Zerspaltung bei Aeroben 
in normalen Verhältnissen an der Luft? Wenn die Produkte 
der anaeroben Zerspaltung bei ihnen aliphatische Verbindungen 
sind, so bedarf es zu ihrer Oxydation der Gegenwart eines neuen 
aromatischen Stoffes als Sauerstoffüberträger. Oder aber die 
Produkte der anaeroben Zerspaltung müssen selbst erst in aroma- 
tische Verbindungen verwandelt werden, um dann schon un- 
mittelbar durch Oxydasen oxydiert zu werden. In beiden Fällen 
ist eine Beteiligung aromatischer Verbindungen am Atmungs- 
prozeß der Pflanzen notwendig. In der Tat sind solche Ver- 
bindungen, wie ich in meinen letzten Arbeiten gezeigt habe, 
überall in den Pflanzen verbreitet. Sie verdienen vollkommen 
die Bezeichnung ‚Atmungspigment‘“. Reinke?) hat schon längst 
auf die wichtige physiologische Bedeutung dieser Pigmente, die 
er Autoxydatoren nennt, aufmerksam gemacht. „Daß derartige 
Stoffe, die, wenn sie auch nur in geringer Menge im Proto- 
plasma gebildet werden, durch ihre eigene Oxydation auch die 
Verbrennung schwieriger oxydierbarer Stoffe einleiten können, 
hat Moritz Traube zuerst hervorgehoben, und es bildet diese 
Tatsache die Grundlage der von ihm aufgestellten Theorie der 

1) Nur für tierische Oxydasen sind Angaben über die Fähigkeit zur 
Oxydation aliphatischer Verbindungen vorhanden. So wird von ihnen 
nach Batelli und Stern (diese Zeitschr. 9, 44, 1908) Ameisensäure oxy- 
dert, Sieber (Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 560, 1905) beobachtete 
Oxydation von Kohlenhydraten. Ich glaube, daß die Präparate von Sieber 
mehrere Enzyme, und nicht ausschließlich Oxydasen, enthielten. 

2) Reinke, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 263, 1882; Botan. Zeit. 
65, 1883. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 181 


Atmung.!) Im Anschluß daran habe ich die Vorstellung ent- 
wickelt, daß solche Stoffe, wie das Rhodogen, welche sich direkt 
mit dem Sauerstoff der Luft verbinden können, im Protoplasma 
entstehen und bei ihrer Oxydation, wie alle Autoxydatoren dies 
tun, zugleich atomistischen Sauerstoff erzeugen, der nun seiner- 
seits imstande ist, Kohlenhydrate, Fette oder Säuren direkt zu 
verbrennen. "721 Diese Ansicht Reinkes bedarf auf Grund un- 
seres gegenwärtigen Tatsachenmateriales einer Berichtigung nach 
drei Richtungen hin: erstens gehen diese Pigmentenicht direkt, 
sondern durch Vermittlung von Oxydasen mit dem Sauerstoff 
der Luft Verbindungen ein, zweitens werden von ihnen Kohlen- 
hydrate nicht direkt, sondern nur die primären Produkte 
deren anserober Zerspaltung oxydiert. Bei der Oxydation ent- 
steht, drittens, kein atomistischer Sauerstoff, sondern Peroxyde. 
A. Hansen hält die Nebenpigmente der Algen (Phykocyan, 
Phykoerythrin und Phykophäin) für Atmungspigmente. ‚Ich 
möchte hier einen ganz anderen Gedanken aussprechen, näm- 
lich, daß die Farbstoffe zwar zum Gaswechsel der Meeresalgen, 
aber zur Atmung in Beziehung stehen, daß sie die Bedeutung 
besitzen, den Sauerstoff anzuziehen, also als Atmungspigmente 
zu bezeichnen wären.‘“?) Nach Pfeffer*) „besitzen einzelne 
Bakterien, in analoger Weise wie das Blut (Hämoglobin) die 
Fähigkeit, ein erhebliches Quantum von Sauerstoff in der Art 
locker zu binden, daß die so aufgespeicherte Menge allmählich 
an einen sauerstofifreien Raum abgegeben wird.“ Nadson’?) 
hat die Mutmaßung ausgesprochen, daß die Chromogene der 
höheren Pilze durch Vermittlung eines Enzyms einer Oxydation 
durch den Sauerstoff der Luft unterliegen. Fahrion meint: 
„Die Gerbsäuren bedeuten für die Pflanze eine Art Reservoir, 
in welches sie jederzeit überschüssigen Sauerstoff ablagern und 
aus welchem sie im Bedarfsfall jederzeit Sauerstoff entnehmen 
kann. In beiden Fällen bedarf sie aber der Mitwirkung eines 
Ferments, welches einmal die Bildung der Superoxyde veranlaßt, 


1) M. Traube, Gesammelte Abhandlungen, S. 396 ff. 

2) J. Reinke, Einleitung in die theoretische Biologie, 1901, S. 281. 

3) A.Hansen, Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel 
11, 302, 1895. 

*) W. Pfeffer, Sitzungsber. Sächs. Gesellsch., 27. Juli 1896. 

5) Nadson, Die Pigmente der Pilze. St. Petersburg 1891 (russ.). 


182 W. Palladin: 


das andere Mal die Superoxyde aus den chinohydronartigen 
Doppelverbindungen, welche sie mit unoxydierter Gerbsäure- 
molekülen eingehen, wenn sie nicht zur Sauerstoffabgabe kommen, 
frei macht.“) 

Ungeachtet der eben angeführten Hinweise wurde den 
Atmungspigmenten fast keine Aufmerksamkeit geschenkt, was 
seine Erklärung darin findet, daß die Verbreitung der 
Chromogene sehr beschränkt zu sein schien. Nach der Be- 
tonung ihrer Bedeutung?) wies ich deshalb ihre weite Ver- 
breitung nach.?) Bei einer verhältnismäßig geringen Anzahl 
Pflanzen genügte es zum Nachweis des Chromogens, den Saft 
suszupressen, wobei das Chromogen durch Oxydation an der 
Luft ein Pigment lieferte. Als solche Objekte sind zu er- 
wähnen ` die weiße Zuckerrübe, Kartoffelknollen, Keimlinge von 
Vicia Faba, Fruchtkörper von Agaricus campestris. Bei 
anderen Pflanzen kann das Chromogen erst nach einer Auto- 
lyse (Selbstverdauung) von größerer oder geringerer Dauer unter 
sterilen Verhältnissen nachgewiesen werden. Zu diesem Zwecke 
können zwei Verfahren angewandt werden: nach dem einen 
werden die Pflanzen in einen Kolben gebracht, mit Wasser über- 
gossen und, nach Zusatz von Chloroform in geringem Über- 
schuß, der Kolben durch einen Pfropfen geschlossen. Dieses 
Verfahren ist zum Nachweis des Chromogens in Weizenkeimen 
vorzüglich geeignet. Während die ersten Tage über keinerlei 
Veränderungen zu beobachten sind, tritt nach 8 bis 10 Tagen 
eine Braunfärbung der Oberfläche der Flüssigkeit ein, die beim 
Umschütteln verschwindet. Die oxydierte Flüssigkeitsschicht 
wird also durch die Weizenkeime reduziert. Bei weiterer Auto- 
lyse unter häufigem Umschütteln wird die Flüssigkeit dunkel- 
rot und schließlich dunkelbraun. Autolyse unter Sauerstoff- 
abschluß liefert eine hellgelbe Lösung, die an der Luft rasch 
rot und dann schwarz wird. Beim anderen Verfahren wird die 
Autolyse in der Art ausgeführt, wie sie zuerst von Molisch*) 


1) Fahrion, Theorie der Lederbildung. Zeitschr. f. angew. Chem. 
1903, 677. 

2) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 55, 207, 1908. Ber. 
d. Deutsch. botan. Ges. 26a, 125, 1908. 

3) W. Palladin, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 26a, 378, 1908. 

4) H. Molisch, Sitzungsb. d. Wiener Akad. I. Abt. 102, 272, 1893. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 183 


zum Nachweise von Indigo in Indigopflanzen angewandt wurde; 
die Pflanzen werden unter Gilasglocken gebracht, in denen 
Schälchen mit Chloroform aufgestellt sind. Die Pflanzen werden 
rasch abgetötet und es beginnt die Oxydation des in ihnen ent- 
haltenen Chromogens. Wenn jedoch letzteres als Glykosid oder 
in einer anderen Verbindung (Weizenkeime) gebunden vorkommt, 
so hat in den getöteten Pflanzen zuerst eine enzymatische Spaltung 
dieser Verbindungen statt, und dann erst tritt Oxydation des frei ge- 
wordenen Chromogens ein. Bei dieser Versuchsanordnung werden 
in einigen von Molisch bezeichneten Fällen schöne Pigmente er- 
zielt, so bei Indigopflanzen, die eine blaue Färbung annehmen, 
welche besonders schön nach Extraktion des Chlorophylis durch 
Alkohol hervortritt; Blätter von Aloe soccotrina!) werden 
durch Oxydation des Aloins rot; auch bei Schenkia Blume- 
naviana?) tritt eine schöne Rotfärbung ein. 

Da bei der Mehrzahl der Chromogene die Zwischenstufen 
der Oxydation, welche rote oder blaue Pigmente bilden, rasch 
einer weiteren Oxydation zu schwarzbraunen Pigmenten unter- 
liegen, so ist in Chloroformdämpfen, wie es Frl. Junitzky?) 
gezeigt hat, fast stets die baldige Bildung schwarzbrauner Pig- 
mente zu beobachten. Bringt man einen Zweig von Prunus 
Padus mit jungen grünen Früchten in Chloroformdämpfe, so 
werden sowohl Blätter wie Früchte rasch braun, und unter der 
Glasglocke sammeln sich große Mengen durch Zerspaltung von 
Amygdalin entstandener Blausäure an. 

Zum Nachweis des Dipsacotins, des blauen Pigments der 
Dipsaceae, wurden von T. Tam mest) lebende Blätter in feuchte 
Luft gebracht oder zur Vermeidung des Austrocknens mit 
Filtrierpapier umwickelt und erhöhter Temperatur ausgesetzt. 
Bei 40° beginnt eine bedeutende Pigmentbildung, die bei 60° 
stark zunimmt. Da dieses Pigment in jungen Pflanzenteilen 
in großen Mengen vorkommt, muß es auch den Atmungs- 
pigmenten beigezählt werden. In T. Tammes Versuchen wurde 


1) H. Molisch, Milchsaft und Schleimsaft der Pflanzen 1901, S. 105. 

2) H. Molisch, Ber. d Deutsch. botan. Ges. 1901, 149. 

8) Nicht veröffentlichte Versuche. 

4) Tine Tammes, Dipsacan und Dipsacotin, ein neues Chromogen 
und ein neuer Farbstoff der Dipsaceae. Recueil des Travaux botaniques 
Néerlandais 5, 1908. 


184 W. Palladin: 


durch hohe Temperatur die Zerspaltung des Glykosids Dipsacan 
beschleunigt, und die Oxydationsprozesse erfuhren gegenüber den 
Reduktionsprozessen eine Steigerung. 

Außer den beschriebenen Verfahren benutzte ich zum raschen 
Nachweis von Chromogen noch folgendes. Die zu untersuchende 
Pflanze oder deren Teile werden zerkleinert, mit destilliertem 
Wasser versetzt und aufgekocht. Im Filtrat ist die Oxydase 
entweder zerstört oder doch stark geschwächt, man erhält des- 
halb eine vollkommen oder beinahe farblose Chromogenlösung. 
Da bei vielen Pflanzen schon bei der Zerkleinerung Oxydation 
des Chromogens eintritt, so ist man gewöhnlich genötigt, ziem- 
lich große Stücke nicht auf einmal, sondern nach und nach, 
um ein bedeutenderes Sinken der Temperatur zu vermeiden, in 
siedendes destilliertes Wasser zu werfen. Die gekochten Pflanzen 
werden dann zerkleinert. Bloß auf diese Weise gelingt es, bei vielen 
Pflanzen zu fast farblosen Chromogenlösungen zu gelangen. Zur 
Oxydation des erhaltenen Chromogens gab ich eine geringe 
Menge nach Chodat und Bach!) gewonnener Meerrettichperoxy- 
dase und einige Tropfen schwacher (0,5 bis 1°/,) Wasserstoff- 
superoxydlösung hinzu. Ist Chromogen in Lösung, so tritt bald 
Färbung ein. Meist ist sie rot (14. Ruber oder 13. Pur- 
pureus)?) und geht rasch in Dunkelbraun (19. Latericius oder 
20. Badius) über. Seltener ist lila oder violette Färbung (49. 
Lividus, 12. Atropurpureus oder 6. Fumosus) zu beobachten, 
die dann auch in Rot und später in Dunkelbraun übergeht. Zu- 
gabe von 1 bis 3 Tropfen schwacher Essigsäure begünstigt das 
Erscheinen der roten Färbung; Überschuß von Säure wirkt 
schädlich.?). Durch Zusatz von Soda wird die Reaktion stark 
stimuliert: es tritt gleich dunkelbraune Färbung auf. Zum 
Nachweis von Chromogen in höheren Pilzen hat man sich der 
Tyrosinase statt der Peroxydase zu bedienen, wie das Bour- 
quelot und Bertrand‘) gezeigt haben. 


1) Chodat et Boch, Archives des sciences physiques et naturelles, 
Genève 1904. 

2) P. A. Saccardo, Chromotaxia seu nomenclator colorum. Editio 
altera Patavii 1894. 

3) G. Bertrand, Compt. rend. 145, 340. Annal. de l'Inst. Pasteur 
21, 673, 1907. 

4) Bourquelotet G.Bertrand, Journal de pharm. et de chimie (6) 3, 
177, 1896. Bulletin de la société mycoL de France 1896, 18, 27. Bour- 
quelot, ebenda 1897, 65. Compt. rend. de la société de biologie 1896, 84. 


—— mme e 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 185 


Mit Hilfe von Peroxydase wurden von mir bisher Atmungs- 
chromogene in folgenden Pflanzen gefunden: 

Kryptogamen: Marchantia polymorpha, Mnium sp., Poly- 
podium nervifolium, P. leiorhizon, Asplenium viviparum, A. nidus, 
Salvinia auriculata, Selaginella Martensii. 

Gymnospermen: Abies nordmanniana, Araucaria brasi- 


liensis, Biota orientalis, Cycas revoluta, Picea alba, Thuja occi- 
dentalis. 


Monokotylen: Allium Cepa, Aloe arborescens, A. socco- 
trina Canna sp., Cymbidium aloefolium, Phoenix reclinata, Scilla 
cernua. 


Getrenntblumenblättrige Dikotylen: Aconitum vul- 
paria, Brassica oleracea, Cinnamomum Reinwardii, Euphorbia 
Gerardiana, Helleborus viridis, Heracleum sibiricum, Kochia 
trichophila, Levisticum officinale, Paeonia chinensis, Pisum sati- 
vum, Populus suaveoleus, P. tremula, Pyrus Malus, Raphanus 
sativus, Rheum palmatum, Rumex Patientia, Saxifraga orbi- 
culata, Schenkia Blumenaviana, Thea Bohea, Vicia Faba. 


Verwachsenblumenblättrige Dikotylen: Cynara Sco- 
lymus, Dahlia variabilis, Hyosciamus orientalis, Scorzonera hi- 
spanica, Serratula tinctoria, Tanacetum vulgare. 

Außer in den aufgeführten lebenden Pflanzen, habe ich 
auch in folgenden, von einer Drogenhandlung bezogenen ge- 
trockneten Pflanzen Chromogene gefunden: Cortex Chinae ruber, 
C. piscidiae, C. salicis; Flores Altheae, Fl. Lamii albi, Fl. Tiliae, 
Fl. Viburni Opuli; Folia Fraxini, F. Juglandis regiae, F. Pat- 
schouli; Herba Belladonnae, H. Ephedrae, H. Equiseti majoris, 
H. Ledi palustris, H. Polygoni avicularis, H. Uvae Ursi, H. Vi- 
burni; Radix Asari, R. Filicis maris, R. Jalapae. 

Famintzin!) fand ein Chromogen in den Samen von 
Helianthus ammus. Zu den Atmungschromogenen sind die- 
jenigen zu zählen, die Molisch?) fand in Lathraea Squammaria, 
Rhinanthus crista galli, Melampyrum nemorosum, M. silvaticum, 
Bartia alpina, Euphrasia officinalis, Utricularia vulgaris, Galium 
Mollugo und Monotropa Hypopytis. Hierher sind auch die 

1) A. Famintzin, Mémoiren der St. Petersburger Akad. 1893. 


2) H. Molisch, Sitzungsberichte der Wiener Akad., Abt. I, 102, 
289, 1893. 


186 W. Palladin: 


Pigmente höherer Pilze!) und der Flechten?) zu zählen. 
A. Hansen hielt, wie erwähnt, die Nebenpigmente der Meeres- 
algen für Atmungspigmente. Das findet seine Bestätigung in 
den Untersuchungen H. Molischs°?) über Braunalgen. M. hat 
gezeigt, daß in lebenden Algen kein Phykophäin vorkommt, 
und daß es erst nach dem Tode der Zellen aus dem Chromogen 
gebildet wird. Das Entstehen von Phykophäin auch nach dem 
Kochen spricht nicht gegen eine Teilnahme einer Oxydase bei 
seiner Bildung, da Oxydasen nicht immer durch Siedehitze zer- 
stört werden. Es ist anzunehmen, daß das Phäocyan Molischs 
bloß eine Zwischenstufe der Oxydation ein und desselben Chro- 
mogens bildet. 

Alle angeführten Tatsachen zeigen, daß 

14. die Atmungschromogene in den Pflanzen sehr 
weit verbreitet sind. 

Besonders reich an ihnen sind energisch atmende Organe: 
Blüten und junge Sprosse. Doch auch Speicherorgane sind reich 
daran. 

Die aus den Chromogenen entstehenden Pigmente lassen sich 
leicht wieder zu Chromogenen reduzieren, worauf schon Reinke*) 
hinwies. Es wurden z. B. Weizenkeime einer zweimonatigen Auto- 
lyse bei Luftzutritt in Chloroformwasser unterworfen und fil- 
triert; das dunkelbraune Filtrat wurde durch Ammoniumsulfit und 
schweflige Säure teilweise reduziert; besonders rasch verlief aber 
die Reduktion mit Zinkstaub in Gegenwart von Essigsäure, wo- 
bei eine strohgelbe Lösung erhalten wurde, deren Oberfläche 
sich an der Luft wieder bräunte.. Um zu entscheiden, ob in 
diesem Falle ein Autoxydator im Sinne Reinkes vorliegt, d.h. 
ein den Sauerstoff der Luft selbständig absorbierender Körper, 
wurde ein Teil des dunklen Filtrates aufgekocht und vom ent- 
standenen Eiweißniederschlag abfiltriert. Das gekochte Pigment 
zeigte gegenüber Ammoniumsulfit, schwefliger Säure und Zink- 
staub mit Essigsäure das gleiche Verhalten wie das ungekochte 
mit dem wesentlichen Unterschied, daß die gekochte und durch 
H in statu nascendi entfärbte Lösung, an der Luft nicht wieder 


1) J. Zellner, Chemie der höheren Pilze, 1907. 

2) Czapek, Biochemie d. Pflanzen 2, 501, 1905. 

3) H. Molisch, Botan. Zeitg. 1, 131, 1905. 

4) Reinke, Zeitschr. f. physiol. Chem. 6, 270, 1882. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 187 


oxydiert wurde. Oxydation trat erst nach Zusatz von Meerettich- 
peroxydase und Wasserstoffsuperoxyd ein, dabei wurde die Lösung 
rot; ein Schwarzwerden war nicht zu beobachten. Das gleiche 
gilt auch für Atmungschromogene anderer Pflanzen, wobei je- 
doch ein Unterschied nach zwei Richtungen hin zu bemerken 
ist. Bei einigen Pflanzen genügt kurzdauerndes Kochen, um 
ihre Oxydase untätig zu machen, bei anderen bleibt auch nach 
dem Kochen ein Teil der Oxydase tätig, und ihr Chromogen 
wird deshalb ohne Zusatz von Peroxydase an der Luft langsam 
oxydiert; Zusatz von Peroxydase beschleunigt die Oxydation 
stark. Es gibt aber auch Pflanzen, bei denen umgekehrt auch 
Zusatz von Peroxydase nach dem Kochen zu keiner Pigment- 
bildung verhilft, was darin seine Erklärung findet, daß die Oxy- 
dasen verschiedener Pflanzen verschieden sind. So werden durch 
Meerettichperoxydase die Chromogene der Kartoffelknollen, der 
weißen Zuckerrübe und des Agaricus campestris nicht oxy- 
diertt. Zur Oxydation der Chromogene der Pilze bedarf es der 
Tyrosinase. Das Chromogen der Weizenkeime wird nur durch 
eigene Oxydase gut, durch Meerettichperoxydase bedeutend 
schwächer oxydiert. Manchmal gelingt der Nachweis von Chro- 
mogen in gekochten pflanzlichen Extrakten durch Peroxydase 
und Wasserstoffsuperoxyd nicht, weil das Chromogen dieser 
Pflanzen nicht in freiem Zustand, sondern fast auschließlich in 
gebundenem, z. B. als Glukosid, auftritt. In diesen Fällen muß 
das Glykosid zuerst, sei es durch vorhergehende Autolyse, sei 
es durch Einwirkung von Emulsin gespalten werden. 


15. Die Atmungschromogene werden nicht unmittel- 
bar durch den Sauerstoff der Luft oxydiert. Zu ihrer 
Oxydation bedarf es einer Oxydase, die zur Oxydation 
des betr. Chromogens befähigt ist. 


Die Atmungspigmente können nicht nur durch chemische 
Reagenzien, sondern auch durch die Pflanzen selbst reduziert 
werden. So wird das dunkelbraune Pigment der Weizenkeime 
durch sie wieder reduziert. Zu diesem Zwecke werden Weizen- 
keime in Wasser aufgeweicht und in große Reagensgläser ge- 
bracht, darauf wird braunes Pigment zugegossen, das Ganze 
mit Chloroform versetzt und das Reagensglas so mit einem 
Kautschukpfropfen verschlossen, daß keine Luft darin bleibt. 


188 W. Palladin: 


Nach einigen Tagen haben die Weizenkeime dem Pigmente den 
Sauerstoff entzogen und es entfärbt. 

Die Leichtigkeit, mit der die Atmungspigmente ihren Sauer- 
stoff abgeben, kann als Erklärung dafür dienen, daß sie sich 
in der lebenden Pflanze gewöhnlich nicht ansammeln. Die Re- 
aktionen der Pigmentbildung sind also umkehrbar, d. h. das 
entstandene Pigment wird in der lebenden Zelle, indem es seinen 
Sauerstoff einem anderen Körper abgibt, gleich wieder reduziert 
und deshalb nicht angesammelt. 

16. Die in den Pflanzen gebildeten Atmungspig- 
mente werden gewöhnlich gleich wieder zu farblosen 
Chromogenen reduziert. 

Die Reduktion der Pigmente verläuft mit Hilfe besonderer 
Enzym-Reduktasen. Das Vorkommen von solchen in tierischen 
Geweben erscheint nach den Arbeiten Paul Ehrlichs!) 
und anderer Forscher als feststehende Tatsache. Die Reduk- 
tasen der Pflanzen fanden wenig Beachtung. Nur der redu- 
zierenden Arbeit der Bakterien sind ziemlich zahlreiche Unter- 
suchungen gewidmet worden.?) M. Hahn?) und dann Grüss*) 
haben die Gegenwart von Reduktase in der Hefe) nachgewiesen. 
Zum Nachweis von Reduktasen bediente ich mich verschiedener 
Stoffe, die ihren Sauerstoff leicht abgeben,®) wie Methylenblau, 
Alizarinblau S., Indigotin, Indigocarmin, Azolithmin, Häma- 
toxylin in alkalischer Lösung, Alkannin, essigsaures Rosanilin, 
selenigsaures Natrium. Alle diese Stoffe gaben bei Sauerstoff- 
abschluß ihren Sauerstoff an Weizenkeime ab. 

Wenn in den Pflanzen die Oxydationsprozesse von Re- 


1) Paul Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus. Eine 
farbenanalytische Studie. 1885. 

2) Beijerinok, Archives Néerlandaises, II série, 9, 131, 1904. 

3) E. Buchner, H. Buchner und M. Hahn, Die Zymasegärung, 
1903, S. 341. 

t) Grüss, Zeitschr. f. d. gesamt. Brauwesen 27, 1904. — Ber. d. 
Deutsch. botan. Ges. 1908, 191. 

5) Grüss (Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1908, 627) spricht sich 
gegen die Anwendung der Bezeichnung Reduktasen auf Hefe aus und 
besteht auf der Bezeichnung Hydrogenase; er vergißt aber, daß Hydro- 
genase, wenn eine solche überhaupt selbständig existiert, nur einen be- 
sonderen Fall der Reduktasen bildet, 

6, W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 55, 207, 1908. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 189 


duktionsprozessen überwogen werden, tritt stets durch Ansamm- 
lung der Atmungspigmente Färbung ein. Das ist z. B. im 
Frühjahr zu beobachten; die jungen Sprossen sehr zahlreicher 
Pflanzen zeigen rote oder violette Färbung. Diese Sprosse 
atmen sehr energisch, und deshalb haben ihre Pigmente nicht 
die Zeit, reduziert zu werden; das Licht fördert die Ansammlung 
von Pigmenten. Die Färbung der Blumenblätter ist auch das 
Resultat von ÖOxydationsprozessen; junge Blumenblätter ent- 
halten bloß Chromogene. Buscalioni und Pollacci!) halten 
die Bildung von Anthocyan für ein Resultat der Oxydasen- 
wirkung. Das Pigment der Trauben bildet sich aus dem 
Chromogen unter Mitwirkung eines oxydierenden Enzyms.?) 

Auch beim Absterben der Pflanzen ist Ansammlung von 
Atmungspigmenten zu beobachten. So wird im Herbste unsere 
Vegetation durch rote Pigmente bunt gefärbt. MarcelMirande?) 
beobachtete die Bildung von rotem Pigment an Blättern, deren 
Parenchym von verschiedenen Insekten durchbohrt war; längs 
der Gänge hatte die energische Arbeit der Oxydasen der ver- 
wundeten Zellen zur Pigmentbildung geführt.*) 


Die Oxydation der Atmungschromogene durch die Wirkung 
des Sonnenlichtes zu den verschiedenartig gefärbten Pigmenten 
gibt Anhaltspunkte für die Orientierung der künftigen Unter- 
suchungen betreffs des Einflusses des Lichtes auf die Atmung 
der Pflanzen. Die Rolle des Lichtes bei den biochemischen 
Prozessen des Pflanzenlebens beschränkt sich durchaus nicht 
einzig und allein auf die Kohlenstoffassimilation. Auf Grund 
der Untersuchungen von Ciamician, besonders aber der 
interessanten Arbeiten von C. Neuberg?) ist die Voraussetzung 
wohl berechtigt, daß die Abhängigkeit des Wachstums vom 
Lichte auf eine durch Lichtwirkung hervorgerufene Veränderung 


1) L. Buscalioni, G. Polacci, Atti dell’ Instituto botanico di 
Pavia 8, 135, 1904. 

2) Ph. Malkezin, Compt. rend. 147, 384, 1908. 

3) Marcel Mirande, Compt. rend. 145, 1300, 1907. 

4) Nach einer persönlichen Mitteilung W. Trauzschels sind durch 
Rostpilze verwundete Stellen bei Repräsentanten der Dipsaceae blau. 
Nach den Untersuchungen von T. Tammes ist Dipsacotin blau. 

5) C. Neuberg, Diese Zeitschr. 13, 315, 1908. 


190 W. Palladin: 


der intracellularen chemischen Reaktionen zurückzuführen ist.!) 
Neuberg sagt zutreffend: „Dieses schnell verlaufenden 
Lichtwirkungen sind im Gegensatz zu den langsam, über Jahr 
und Tag sich vollziehenden und deshalb physiologisch wenig 
bedeutungsvollen wohl imstande, ein Verständnis der beim 
Heliotropismus und beim Phototropismus sich abspielenden 
chemischen Vorgänge anzubahnen und vielleicht einen Einblick 
in den Chemismus der allgemeinen Wirkung des Sonnenlichtes 
auf den pflanzlichen und tierischen Organismus zu verstatten.“ 

Die chemische Natur der Atmungschromogene ist sehr ver- 
schieden, doch sind es, wie es scheint, ausschließlich aromatische 
Verbindungen. Das folgt einmal aus den Untersuchungen Ber- 
trands, die gezeigt haben, daß die Oxydasen nur zur Oxydation 
aromatischer Verbindungen von bestimmtem Bau befähigt sind, 
dann auch aus der Kenntnis einzelner Pigmente. Eine sehr 
große Anzahl Atmungspigmente gehört zu den Derivaten der 
Gerbsäuren. Letztere zeichnen sich durch leichte Oxydierbarkeit 
aus und gehen beim Verdampfen pflanzlicher Extrakte, besonders 
in Gegenwart von Säure, leicht in gefärbte Phlobaphene über. °) 
Die Mehrzahl der ihrer Zusammensetzung nach sehr verschie- 
denen aus Pflanzen extrahierten Farben sind wahrscheinlich 
den Atmungspigmenten beizuzählen und in den Pflanzen als 
Chromogene vertreten. In grünen Früchten von Juglans regia 
ist ein Chromogen (Juglon) gefunden worden, das ein Naphthalin- 
derivat darstellt. Tyrosin wird durch Tyrosinase im Reagens- 
glas oxydiert; ob es auch in den Pflanzen das Chromogen vor- 
stellt, auf welches von der Tyrosinase Sauerstoff übertragen 
wird, ist unbekannt. Der gegenwärtig verbreiteten Meinung, 
daß das Schwarzwerden von Pflanzensaft auf der Oxydation 
von Tyrosin beruht, ist E. Schulze?) entgegengetreten. Im 


1) Auch anderweitige Wachstumsprozesse der Pflanzen (z. B. Geo- 
tropismus) sind nicht als rein physikalische Erscheinungen aufzufassen: 
Wachstumsprozesse sind vielmehr hauptsächlich chemische Prozesse: 
Zugunsten dieser Anschauung sprechen auch die Untersuchungen von 
Czapek. 

2) Stähelin und Hofstetter, Annal. d. Chem. u. Pharm. 51; 
63, 1844. Das Phlobaphen der Kieferrinde hat nach ihren Ermittelungen 
die Zusammensetzung C = 62,78°/,, H = 4,30%/,, O = 32,92°/,, was der 
Formel Gales entspricht. 

3) E. Schulze, Zeitschr; f. physiol. Chem. 50, 508, 1907. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 191 


Safte der Zuckerrübe, welcher Tyrosinase enthält, konnte er 
weder Tyrosin noch Homogentisinsäure finden. Untersuchungen 
von Chodat und Staub!) und dann von Staub über die 
Wirkung von Tyrosinase auf verschiedene Abbauprodukte von 
Eiweißkörpern, auf einige Polypeptide und auch auf einige 
einfache aromatische Verbindungen haben gezeigt, daß ihre 
oxydierenden Fähigkeiten ziemlich umfangreich sind; selbst 
Kresole werden von ihr oxydiert. 

Die Mehrzahl der Glykoside gibt auch Material zur Bildung 
von Atmungschromogenen ab. Hierfür spricht der Umstand, daß 
die Mehrzahl der Glukoside*) Verbindungen verschiedener Zucker- 
arten mit aromatischen Verbindungen darstellt. So zerfällt z. B. 
Arbutin in Glykose und Hydrochinon.?) 


Aus den vorhandenen Tatsachen folgt also: 


17. Die Atmungschromogene gehören zu den aro- 
matischen Verbindungen. 


Es entsteht die weitere Frage, wie die Atmungschromogene 
in den Pflanzen gebildet werden. Das ist ein Spezialfall der 
allgemeineren Frage, wie in den Pflanzen aromatische Verbin- 
dungen überhaupt gebildet werden. Die Synthese organischer 
Stoffe aus anorganischen verläuft im Chlorophylikorn nach der 
Gleichung: CO, + H,O = CH,0 + 0,. Als erstes Assimilations- 
produkt erscheint Formaldehyd und ferner als Produkt dessen 
Polymerisation-Glucose, beides der aliphatischen Reihe angehörige 
Verbindungen. Die im Chlorophylikorn gebildete Glucose gibt 
dann die Muttersubstanz ab, aus der die verschiedenen pflanz- 
lichen Stoffe gebildet werden, sowohl aliphatische als aromatische. 
Den Physiologen fällt die Lösung der Frage zu, unter welchen 


Bedingungen d-Glucose 


1) Chodat et Staub, Archives des sciences physiques et na- 
turelles (4) 23, 1907; 24, 1907. — Staub, Bulletin de l Herbier Boissier, 
2. série, 8, Nr. 1, 1908. — S. auch: Abderhalden und Guggenheim, 
Zeitschr. f. physiol. Chem. 56, 331, 1908. — Bertrand, Compt. rend. 
145, 1352, 1907; 141, 304, 1908. 

2) van Rijn, Die Glykoside, 1900. 

3) Es ist interessant, daß die arbutinhaltigen Ericaceae auch 
Chinasäure enthalten, die bei Oxydation Hydrochinon liefert: 


Gah + O = Delles +00, + 3H,O 
(Czapek, Biochem. d. Pflanzen 2, 594). 


192 W. Palladin: 


OH OH H OH OH HOH 
—-C—C—c—c—tC, 
H OH H H 
ein Körper mit kettenförmiger Bindung der Bestandteile, in 
einen geschlossenen Ring übergeht und irgend ein Benzol- 
derivat liefert: 


Oben habe ich schon auf Liebigs Vergleich der Gärungs- 
vorgänge mit den Vorgängen der trocknen Destillation des 
Holzes aufmerksam gemacht. In beiden Fällen haben wir es 
nicht nur mit primären Vorgängen des Zerfalls, sondern auch 
mit sekundären synthetischen Vorgängen zu tun. Als Produkte 
der trocknen Destillation von Holz!) werden folgende Stoffe an- 
gegeben: Ameisen-, Essig-, Propion-, Butter-, Baldrian-, Capron-, 
Croton-, Angelicasäure, Aceton, Methyl- und Amylalkohol, Benzol, 
Toluol, Xylol, Naphthalin, Paraffin, Phenol, Kresol, Brenzkate- 
chin, Pyrogallol u. a., auch folgende Gase: Kohlendioxyd, Kohlen- 
oxyd, Wasserstoff, Methan, Acetylen, Äthylen, Propylen, Butylen. 
Bei den Coniferen kommt dazu noch Terpentin. Es findet 
sich also unter den Produkten der trocknen Destillation eine 
ganze Reihe aromatischer Verbindungen. Da jedoch die Möglich- 
keit vorliegt, daß sie, wenigstens zum Teil, in dem Holze vor- 
handen waren, so muß man die Produkte in Betracht ziehen, 
die bei der trocknen Destillation (oder analogen Prozessen) 
einzelner Kohlenhydrate erhalten werden. Leider ist in dieser 
Richtung noch wenig getan. Glucose gibt bei der trocknen 
Destillation Ameisen- und Essigsäure, Aldehyd, Aceton, Methyl- 
furan, Furan und Furol.) Beim Erhitzen einer wässerigen 
Glucoselösung im zugeschmolzenen Rohre auf 200° entsteht 
Brenzkatechin.?) Saccharose gibt bei der trocknen Destillation 


1) P.Dumesny et J. Nager, L'industrie chimique des bois Paris. 

2) E. von Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten. 3, Aufl. 
Braunschweig 1904, S. 301. 

3) 1. e. S. 305. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 193 


Furol und Benzaldehyd!); bei Destillation mit Atzkalk entsteht 
Benzol.?) Die gegenwärtig vorhandenen, freilich sehr ungenügen- 
den chemischen Tatsachen sprechen also dafür, daß cyclische 
Verbindungen aus Kohlenhydraten unschwer zu erhalten sind. 
Obschon diese Frage für die Physiologie von hoher Bedeutung 
ist, scheint sie auch von dieser Seite her kaum erst in Angriff 
genommen zu sein. Das hier vorhandene unbedeutende Ma- 
terial befindet sich mit den Tatsachen der Chemie in voll- 
kommenem Einklang. 

Ein in Pfanzen weit verbreiteter aromatischer Körper ist 
das Phloroglucin oder symmetrische Trioxybenzol C,H,(OH), 
(1.3.5). Waage?) untersuchte auf diesen Stoff hin sehr zahl- 
reiche Pflanzen und gab für seine Verbreitung in Samenpflanzen 
folgendes Schema: 

„@ymnospermen, ziemlich phloroglucinreich 


Ee Monokotylen, phloroglucinarm 
Angiopermen ee ziemlich 


Dikotylen [phloroglucinreich 


Sympetalen, phloroglucin- 
[arm 


Nach der Meinung Waages kann aus Glucose durch Ab- 

spaltung dreier Wassermoleküle Triketohexamethylen i 
EE 

gebildet werden, dem nach Bayer das sekundäre oder Pseudo- 
phloroglucin entspricht. Waage ist es gelungen, durch direkte 
Versuche in Blättern Bildung von symmetrischem Phloroglucin 
aus Glucose nachzuweisen. Zu diesem Zwecke legte er Blatt- 
hälften mit angeschnittenem Mittelnerv im Dunkelraum teils 
auf Wasser, teils auf Glucoselösung; nach 6 Tagen waren die 
Blätter auf der Glucoselösung bedeutend reicher an Phloroglucin. 
Es wurde interessanterweise nicht in den Chlorophyllikörnern, 
sondern direkt im Zellsaft gebildet, dabei vorzugsweise an Stellen 
mit erhöhter Lebenstätigkeit. Durch diese Versuche ist also 
die Möglichkeit der Bildung von Trioxybenzolen (Phloroglucin, 
Pyrogallol) aus Glucose erwiesen. Ferner nimmt das Phloro- 


1) 1. o. S. 1206. 

2) ]. o. S. 1215. 

3) Th. Waage, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 8, 250. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 13 


194 W. Palladin: 


glucin nach Waage die Elemente der Kohlensäure auf, und 
zwei Moleküle der entstandenen Phloroglucincarbonsäure werden 
unter Ausscheidung von Wasser zur Diphloroglucinoarbonsäure 
kondensiert, die dem Tannin isomer ist. 


C,H,H(OH), + CO, = C,H,(0H),COOH 





2C,H,(OH), . COOH — H,O =C,H, (OH),=C,H,- 
Nco 0 


Auf diese Weise wird ein Zusammenhang zwischen dem 
Phloroglucin und den Gerbstoffen, und zwischen letzteren und 
der Glucose festgestellt. Er wird durch Versuche Büsgens!) 
bestätigt, welcher zeigte, daß bei Kultur auf Glucose die Menge 
der Gerbstoffe in den Pflanzen zunimmt, und zwar nicht nur 
in den Blättern, sondern auch in jungen Organen. Waage 
hält Phloroglucin für ein Nebenprodukt, meint aber, daß aus 
ihm die Phlobaphene und Authocyane gebildet werden. 

Auf den genetischen Zusammenhang von Phloroglucin und 
Kohlenhydraten weisen Hazura und Benedikt?) hin: „Das 
Hexahydrotrichlorphloroglucin ist interessant dadurch, daß es 
zu den Zuckerarten in naher Beziehung zu stehen scheint. 
Gelänge es, sein Chlor gegen Hydroxyle auszutauschen, so er- 
hielt man nach der Gleichung 

C,H,C1,0, + 3H,0 = C,H, „0, 3HCl 
einen Körper von der Formel des Traubenzuckers.“ 

Die zwei anderen Trioxybenzole, das Pyrogallol (1. 2. 3) 
und das Oxyhydrochinon (1.2.4) kommen in Pflanzen nicht vor. 

Die in Pflanzen weit verbreiteten Gerbstoffe kann man 
nicht bloß deshalb für Nebenprodukte halten, weil sie sich oft 
in abgestorbenen Zellen angesammelt finden (Rinde). Auch in 
jungen wachsenden Organen werden Stoffe mit den Eigen- 
schaften von Gerbstoffen angesammelt,°?) die also an wichtigen 
physiologischen Prozessen teilnehmen; nach Büsgen und an- 
deren Forschern werden sie aus Kohlenhydraten gebildet. Es 
ist zu bemerken, daß weder zur Bildung von Phloroglucin noch 

1) Büsgen, Chem. Centralbl. 1890, I. Hälfte, S. 397; 1894, I. Hälfte, 
S. 284. 


3) Hazura und Benedikt, Monatsh. f. Chem. 6, 702, 1888. 
s) P. Rulf, Zeitschr. f. Naturwissensch. 57, 40, 1884, zit. nach: 
Botan. Centralbl. 20, 1884. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 195 


zur Bildung von Gerbstoffen Licht benötigt wird; sie erscheinen 
also nicht als unmittelbare Produkte der Kohlenstoffassimilation, 
obschon ihre Bildung durch Licht stimuliert werden kann. Ihre 
Bildung aus Kohlenhydraten kann entweder über das Phloro- 
glucin verlaufen, wie von Waage und Tsohirch!) angenommen 
wird, oder, nach der Meinung Niokels?), auch über die übrigen 
unsymmetrischen Trioxybenzole. 

Auch die Terpene der Pflanzen vermitteln den Übergang 
von den Kohlenhydraten zu aromatischen Verbindungen. Wie 
leicht der Übergang aliphatischer Verbindungen in aromatische 
in der pflanzlichen Zelle verläuft, zeigen Untersuchungen von 
Hans und Astrid Euler über den Wachsüberzug der Blätter 
von Alnus glutinosa. ‚Von allgemeinem Interesse scheint 
uns die Beziehung, welche zwischen diesen aller Wahrscheinlich- 
keit nach oyclischen Stoffen des Blattüberzuges und den in 
gleicher Weise auftretenden, sicher aliphatischen Wachsalkoholen 
besteht. Man dürfte bereohtigt sein, hier Übergänge anzunehmen, 
welche mit denjenigen zwischen aliphatischen Terpenalkoholen 
und cyclischen Terpenen vergleichbar end "7 

Durch zahlreiche Untersuchungen Tschirchs*) und dessen 
Mitarbeiter wird die Bildung pflanzlicher Harze auf Kosten von 
Kohlenhydraten aufgedeckt. 

Als Zwischenprodukt zwischen Kohlenhydraten und aro- 
matischen Verbindungen tritt in Pflanzen wie in Tieren Inosit 
auf, dessen weite Verbreitung?) für seine große Bedeutung in 
der Chemie der Zelle spricht; dazu kommt er vorzugsweise in 
jungen wachsenden Organen vor.) Für seine Bedeutung als 
Zwischenprodukt spricht der Umstand, daß er stets in geringen 
Mengen vorkommt und manchmal bei Autolyse’) auftreten soll. 
Neuberg?) erhielt bei trockner Destillation von Inosit Furfurol; 


1) Tachiroh, Pringsheims Jahrb. f. wissensch. Botan. 25, 370, 1893. 

2) E. Niokel, Botan. Centralbl. 45, 394, 1891. 

3) Hansu. Astrid Euler, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 4760, 1907. 

4) A. Tsohiroh, Die Harze und die Harzbehälter, II. Aufl., Leipzig 
1906; Die Chemie und Biologie der pflanzlichen Sekrete, Leipzig 1908. 

5) E. von Lippmann, Die Chemie der Zuckerarten, 3. Aufl., S. 1025. 
— Czapek, Biochemie der Pflanzen. 

6) Starkenstein, Biochem. Centralbl. 7, 817, 1908. 

?) Rosenberger, Biochem. Centralbl. 7, 817, 1908. 

8) Neuberg, diese Zeitschr. 9, 551, 1908. 

13* 


196 W. Palladin: 


dadurch werden nahe Beziehungen zur Glucose festgestellt, die 
unter gleichen Bedingungen ebenfalls Furfurol liefert. Als 
Reservestoff ist Inosit in dem von mir!) entdeckten Phytin 
enthalten. Ich bot E Schulze an, den von mir gefundenen 
Körper zu untersuchen, und in seinem Laboratorium fand 
Winterstein?®) in ihm Inosit. Untersuchungen von C. Neu- 
berg?) und N. Suzuki, K. Joshimura und M. Takaishi‘) 
haben die Auffassung des Phytins als Inositphosphorsäureester 
begründet. 

Daß Kohlenhydrate zur Bildung von Chlorophyll notwendig 
sind, ist von mir) gezeigt worden. In den Blättern mancher 
etiolierter Pflanzen (Vicia, Lupinus) sind fast gar keine Kohlen- 
hydrate enthalten und, von den Pflanzen getrennt, ergrünen sie 
nur auf Kohlenhydratlösungen. 

Alle über Bildung cyleischer Verbindungen in een 
angestellten Versuche zeigen also: ` 

18. Als erstes Produkt der Kohlenstoffassimilation 
gibt Glucose die Muttersubstanz zur Bildung aroma- 
tischer Verbindungen in der Pflanze ab. Sowohl bei 
der trocknen Destillation, als auch in der Zelle ent- 
steht aus Glucose der Benzolring. 

Es beruht natürlich nicht auf Zufall, daß Glucose wie 
Benzol 6 Kohlenstoffatome enthält. 

Fassen wir nun speziell die Atmungschromogene ins Auge, 
so sehen wir auch sie aus Kohlenhydraten entstehen. Die Bildung 
roter Pigmente bei Fütterung von Blättern mit Kohlenhydraten 
bildet den Gegenstand der umfangreichen Untersuchungen Over- 
tons), der bei einer sehr großen Anzahl Pflanzen diese Er- 
scheinung beobachten konnte. Meine”) Untersuchungen über 


1) W. Palladin, Zeitschr. f. Biol., N. F. 13, 191, 1895. 

2) E. Winterstein, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 30, 2299, 1897. — 
E. Schulze und E. Winterstein, Zeitschr. f. physiol. Chem. 22, 91. 

3) C. Neuberg und B. Brahn, Diese Zeitschr. 5, 443, 1907. — 
C. Neuberg, Diese Zeitschr. 9, 557, 1908. 

4) N. Suzuki, K. Joshimura und M. Takaisti, Bull. of the 
College of Agriculture, Tokyo, 7, 503, 1907. 

5) W. Palladin, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1891, 229; 1902, 224; 
Revue generale de botanique 1897, 385. 

€) E.Overton, Pringsheims Jahrb. f. wissensch. Botan. 38, 171, 1898. 

7) W. Palladin, Ber. d. Deutsch. botan. Ges. 1898, 389. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 197 


die Bildung von Atmungschromogenen an jungen Blättern von 
Rumex patientia im Fühjahr haben gezeigt, daß durch 
Saccharosefütterung die Menge des Chromogens stark gesteigert 
wird. Das Pigment der Portion auf Saccharoselösung entsprach 
Saccardos 19. Latericius, während das Pigment der Portion 
auf Wasser etwa 21. Aurantiacus war. Ersteres mußte etwa 
dreimal verdünnt werden, um die Farbe des letzteren zu erhalten. 

Der gleiche Versuch, an etiolierten Vicia Faba-Blättern 
(englische purpurrote) angestellt, hat auf den ersten Blick ab- 
weichende Resultate ergeben. Die Blätter werden in 12 Por- 
tionen & 8g geteilt und davon 11 in flachen Schalen mit ver- 
schiedenen Nährlösungen in den Dunkelraum (außer einer bei 
Tageslicht belassenen) gestellt; die zwölfte mit 150 ccm kochen- 
den Wassers begossen und aufgekocht, wonach die Blätter im 
Mörser zerrieben, mit dem von ihnen abgegossenen Wasser 
vermengt, nochmals aufgekocht und filtriert wurden. Zu einem 
bestimmten Quantum des Filtrats wurde Peroxydase und Wasser- 
stoffsuperoxyd zwecks Oxydation des Chromogens zum Pigment 
gegeben. Die übrigen Portionen wurden nach 3 Tagen in gleicher 
Weise verarbeitet. 

Wie bekannt, werden etiolierte Vicia Faba-Blätter beim 
Absterben sehr leicht schwarz, was auf eine große Menge in 
ihnen enthaltenen Chromogens deutet. Ich war nun erstaunt, 
bei Behandlung der Kontrollportion mit Peroxydase aus Meer- 
rettich oder der Wassermelone (Citrullus vulgaris) verschwindende 
Mengen des Pigments zu erhalten. Aus etiolierten Sprossen 
von Vicia Faba bereitete Peroxydase, von der Guajacol sehr 
energisch oxydiert wurde, bewirkte auch nur unbedeutende 
Pigmentbildung (Murinus 3). Und die auf solchen Lösungen 
kultivierten Bläter, von denen ich Förderung der Chromogen- 
bildung erwartete, ergaben im Gegenteil eine Verminderung. 
In absteigender Reihe war diese Verminderung bei Kulturen 
auf folgenden Nährlösungen zu verzeichnen: 


1. Saccharose 10°/,-salzsaures Chinin 0,2°/,!); 2. Saccharose 
10°/, + Hämoglobin 1°/,; 3. Saccharose 10°/, + Ammonium- 
phosphat 0,4°/,; 4. Saccharose 10°/,; 5. Saccharose 10°/, be- 


1) Chinin und Furfurol wurden am zweiten Tage zugesetzt, am 
ersten die Blätter auf Saccharose allein kultiviert. 


198 W. Palladin: 


leuchtet; 6. Saccharose 10°/, 4 Furfurol 1°/,'); 7. Saccharose 
10°/,+-Phloroglucin 0,4°/,°). 

Die drei letztgenannten Kulturen ergaben nach Zugabe von 
Peroxydase und Wasserstoffsuperoxyd beinahe farblose Lösungen. 

Eine geringe Zunahme an Chromogen war in folgenden, 
in aufsteigender Reihe angeführten Kulturen zu verzeichnen: 
L Produkte der Autolyse von Mercurialis perennis-Blättern?), 
2. Gärungsprodukte (mit nachfolgender Autolyse) der Hefe*), 
3. Kultur auf Wasser und 4. auf Arbutin 3°/,. Letzteres 
wurde gespalten und zu Chinon oxydiert; das Filtrat der 
Blätter gab nach der Oxydation die für Chinon charakte- 
ristische braunrote Färbung (Latericius 19). Auf Grund dieses 
Versuches ist anzunehmen, daß das Chromogen sich in den 
etiolierten Vicia Faba-Blättern in gebundenem Zustande vor- 
findet. Bei Kultivierung auf Saccharose wird auch die geringe 
Menge freien Chromogens gebunden. Bei Kultivierung auf 
Wasser nimmt die Menge des freien Chromogens zu. 

Das gebundene Chromogen läßt sich in folgender Weise 
nachweisen. Weizenkeime5) wurden in dünner Schicht in flache 
Glasschalen geschüttet und mit folgenden Extrakten aus etiolierten 
Blättern begossen: 

1. Kontrollportion, 

2. Gärungsprodukte der Hefe, 

3. Saccharose im Dunkelraum, 

4. Saccharose beleuchtet, 

5. Saccharose - Phloroglucin, 

6. Saccharose 4 Furfurol. 

Nach 24 Stunden waren die Weizenkeime (ausgenommen 
die untere Schicht) schwarz geworden, hatten also die chromogen- 
bindende Verbindung gespalten und das Chromogen oxydiert. 


1) Siehe Fußnote auf voriger Seite. 

2) Die Blätter dicser Portion hatten ein günstigeres Aussehen als 
diejenigen der reinen Saccharosekultur. 

3) Mercurialis perennis-Blätter geben bei der Autolyse eine intensiv 
violett-rot gefärbte Lösung. 

4) Preßhefe wurde in großer Menge in eine Saocharoselösung ge- 
geben, nach einigen Tagen Chloroform zugefügt, das Ganze ca. 1 Monat 
lang der Autolyse unterworfen und das gekochte Filtrat davon zur 
Kultur verwendet, 

5) Von Maggi, Zürich, Stadtmühle bezogen, 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 199 


Filtriert man die Lösung, bevor die Weizenkeime schwarz 
werden, von letzteren ab und setzt Wasserstoffsuperoxyd hinzu, 
so erhält man eine dunkelrote in Schwarz übergehende Färbung. 
In der Kultur mit Furfurol war die Färbung schwächer. Die 
Weizenkeime enthalten also ein das gebundene Chromogen ab- 
spaltendes Enzym.!) 

In einem zweiten Versuch wurden etiolierte Vicia Faba- 
Blätter in 9 Portionen à 10 g geteilt, jede Portion mit 150 ccm 
chloroformhaltiger Lösung begossen und einer 10 tägigen Autolyse 
unter Sauerstoffabschluß unterworfen; danach filtriert, die 
Filtrate gekocht und auf Chromogen, wie oben, untersucht, 
wobei in absteigender Reihe folgende Resultate erzielt wurden: 

L Bei der Autolyse in Wasser war die Chromogenmenge 
am größten; nach der Oxydation war die Lösung tintenschwarz. 
Durch die Autolyse war also das Chromogen in Freiheit gesetzt. 

2. Glycerin 10°/,. Eine bedeutend geringere Pigmentbildung 
(Olivaceus 39). 

. Milchzucker 10°/,. Fast wie im vorhergehenden Falle. 
. Glykose 20°/,. Doppelt so hell wie die Glycerinportion (2). 
. Glycerin 40°/,. Fast ebenso. 

. Glykose 40°/,. Melleus 30. 

7. Alte Gärungsprodukte der Hefe. Wie im vorher- 
gehenden Falle. 

8. Produkte einer weniger anhaltenden Hefegärung. Etwas 
heller als im vorhergehenden Falle. 

9. Produkte der trocknen Destillation von Glykose. Kein 
Pigment. Dieser Versuch zeigt, daß die Chromogenbildung bei 
der Autolyse durch Glukose, Glycerin, Milchzucker und Gärungs- 
produkte der Hefe gehemmt wird.?) 

Weizenkeime wurden mit folgenden Extrakten dieses Ver- 
suches begossen: 

1. Gärungsprodukte der Hefe, 

2. Glycerin 40°/» 


Cp CH mw 


1) Weizenkeime, nur mit Wasser begossen, geben nach 24 Stunden 
farblose Lösungen. 

2) Es ist interessant, daß in beiden Versuchen die Filtrate selbst, 
ungeachtet des Kochens, nach einigen Tagen dunkel wurden, die Oxydase 
also durch das Kochen nicht vollkommen zertört war. Je mehr freies 
Chromogen das Extrakt enthielt, desto intensiver färbte es sich. 


200 W. Palladin: 


3. Produkte der trocknen Destillation (neutralisiert). Nach 
24 Stunden waren die Weizenkeime schwarz geworden. Nur 
im letzten Falle war eine geringere Menge Chromogen zu be- 
obachten. 

In Form welcher Verbindung ist nun das Chromogen in 
den etiolierten Blättern enthalten? Etwa als Glykosid? 

Ein Teil der Extrakte (Versuch 2) wurde mit Emulsin 
versetzt und 2 Tage bei 34° gehalten; das hatte keine Ver- 
mehrung der Chromogenmenge zur Folge. Da aber nicht alle 
Glykoside durch Emulsin gespalten werden, so ist durch diesen 
Ausfall des Versuchs die glykosidische Natur des gebundenen 
Chromogens noch nicht in Abrede gestellt. Weitere Versuche 
sollen zur Aufklärung seiner Natur angestellt werden. Zu- 
gunsten der glykosidischen Natur spricht die leichte Spaltbarkeit 
durch Weizenkeime, durch welche mehrere Glykoside leicht 
gespalten werden, so Arbutin unter Bildung von Hydrochinose, 
das dann zu Chinose oxydiert wird. Ich habe bereits den Ge- 
danken ausgesprochen, daß Glykoside das Material zur Bildung 
von Atmungschromogenen abgeben. 

19. Für die Verbindungen, in deren Form die 
gebundenen Chromogene in der Zelle erscheinen, 
schlage ich die Bezeichnung Prochromogene vor. 

Die Funktion der Chromogene im Atmungsprozeß kann 
noch nicht als vollkommen aufgeklärt gelten. Wenn der Ver- 
lauf der Oxydationsvorgänge schon in den einfachsten, zu Be- 
ginn dieses Kapitels angeführten Fällen als sehr kompliziert 
erscheint, so müssen wir im Atmungsprozeß eine noch größere 
Kompliziertheit erwarten. Analog den geschilderten Oxydations- 
prozessen fungieren die Chromogene entweder als Autoxydatoren 
oder als Acceptoren. Im letzteren Falle würden die Chromogene 
als Material zur Bildung zusammengesetzter Peroxyde (Oxy- 
genasen) dienen, die nach Chodat und Bach theoretisch an- 
zunehmen, uns aber noch nicht bekannt sind. 

Schließlich ist noch die dritte Mutmaßung möglich, daß 
die aus Produkten der anaeroben Zerspaltung gebildeten Chro- 
mogene nicht nur Überträger von Sauerstoff wären, sondern 
zugleich auch selbst Brennmaterial abgäben. Inwieweit diese 
Mutmaßung zutrifft, müssen weitere Forschungen zeigen. Bei 
dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse müssen wir die 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 201 


Chromogene entweder als Autoxydatoren oder als Acceptoren 
betrachten. 

Alle Atmungspigmente, ungeachtet ihres chemischen Cha- 
rakters, schlage ich vor, zu der einen Gruppe von Phyto- 
hämatinen zu vereinigen, um auf ihre dem Hämatin des 
Blutes gleiche physiologische Bedeutung hinzuweisen. Auf diese 
Weise wird die Einheit der Atmungsprozesse der Pflanzen und 
der Tiere betont. Bis jetzt ist die Meinung verbreitet, 
daß bei höheren Tieren das Hämochromogen des Hämoglobins 
den Sauerstoff der Luft unmittelbar aufnimmt und in 
Hämatin übergeht. Nachdem im Blute Oxydasen aufgefunden 
sind, ist es wahrscheinlicher, daß sie als Überträger des Sauer- 
stoffs der Luft auf das Hämochromogen fungieren. So sagt 
Bredig: „Das Oxyhämoglobin spielt also bei den Oxydationen 
im Blutlauf nicht die Rolle des Sauerstoffkatalysators, sondern 
nur die des Sauerstoffispeichers, wie etwa das Wasserstoffsuper- 
oxyd bei der Oxydation des Indigos. Die eigentlichen Sauer- 
stoffüberträger sind nach dem heutigen Stande der Forschung 
die neben dem Oxyhämoglobin vorhandenen Oxydationsfermente, 
welche im Stroma und in den Geweben enthalten sind, und 
. welche dieselbe Rolle spielen wie das katalysierende Platin bei 
der Oxydation des Indigos‘‘.!) Den Pflanzen nach näher stehen 
die niederen Tiere.?) Ihr Blut ist farblos und färbt sich nur 
bei Luftzutritt, natürlich durch Vermittelung von Oxydasen. 
Zudem sind die Pigmente ihres Blutes, wie bei Pflanzen, ver- 
schieden gefärbt und von verschiedener chemischer Zusammen- 
setzung. Wir sind deshalb meiner Meinung nach vollkommen 
berechtigt, den Zellsaft der Pflanzen seiner Funktion nach für 
das Blut der Pflanzen zu halten. 


Ein Schema der Pflanzenatmung kann auf Grund des gegen- 
wärtigen Standes der Forschung in folgender Form gegeben 
werden: 


2) Bredig, Anorganische Fermente, 1901, S. 87. 
2) von Fürth, Vergleichende ohemische Physiologie der niederen 
Tiere. Jena 1903. 


202 W. Palladin: 


Primäre Prozesse: Sekundäre Prozesse: 


Luftsauerstoff 
Anaerobe Enzyme 
(Zymase, Katalase u. a.) Atmungsoxydasen 


«- Reduktase — Phytohämatine 


Gärungsprodukte +- Peroxyde (H,O, — Oxygenasen?) 
— — Atmungsprodukte (CO, H,O) 

Bringt man die Oxydationsprozesse der Pflanzenatmung 
unter eines der zu Beginn des Kapitels angeführten Oxydations- 
schemata, so wird man mit folgenden Möglichkeiten rechnen 
müssen: 

1. Die Oxydation verläuft nach dem von Manchot für 
die Oxydation von Oxanthranol zu Anthrachinon gegebenen 
Schema: 

Oxanthranol 4 O, = Anthrachinon 4 H,0,. 

In diesem Falle entspräche das Chromogen dem Oxanthranol, 
d. h. es wäre einfach ein Autoxydator, während als Überträger 
aktivierten Sauerstoffes das Weasserstofisuperoxyd fungieren 
würde. Letzteres ist freilich in Pflanzen noch nicht gefunden 
worden, daraus folgt aber noch nicht, daß es in ihnen nicht ge- 
bildet würde. 

2. Die Oxydation verläuft nach dem von Engler und 
Weißberg (S. 173) gegebenen Schema. Der im Verlauf der 
Autoxydation entstandene Körper mit Peroxydcharakter, kann 
die Hälfte seines Sauerstoffs einem anderen Körper B abgeben: 

AO, + B — AO + BO 
Der Körper AO kann auch fernerhin oxydierend wirken: 
HO -+B — A + BO 

In diesem Falle würde im Atmungsprozeß das Chromogen 
(A) als Acceptor fungieren. Das bei seiner Oxydation ent- 
standene Pigment (AO,) wäre dann das zusammengesetzte 
Peroxyd (Oxygenase), das sowohl nach Engler und Weißberg, 
als nach Chodat und Bach aktivierten Sauerstoff überträgt. 

Aufgabe fernerer Forschungen ist es also, aufzuklären, ob 
die Atmungschromogene bloß Autoxydatoren oder auch Accep- 
toren sind. Es muß mit anderen Worten entschieden werden, 
ob in den Pflanzen Wasserstoffsuperoxyd oder zusammengesetzte 
Peroxyde gebildet werden. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 203 


Welche Rolle das Chromogen auch spielen mag, jedenfalls 
wird das aus ihm entstandene Pigment gleich wieder zu Chromogen 
reduziertt. Diese Reduktion kann entweder mit Hilfe eines 
besonderen Enzyms Reduktase verlaufen, oder nach einem der 
oben beschriebenen Schemata ohne Hilfe von Enzymen. Der 
zu oxydierende Körper kann die Rolle des Reduktors auf sich 
nehmen; vgl. z. B.die Rolle der Glucose bei der Oxydation von 
Ceroxydsalzen. 

Somit genügen Oxydasen allein nach meiner Theorie der 
Atmung zur Oxydation nicht: 

20. Die Oxydationsprozesse in den Pflanzen er- 
fordern die Gegenwart von Atmungschromogenen. 

Außer dem durch anaerobe Prozesse gelieferten Oxydations- 
materisle und dem Sauerstoff der Luft sind also für die 
Oxydationsprozesse der Atmung Oxydasen, Chromogen und 
Peroxyde nötig; nur bei Vorhandensein dieser drei Körper 
werden die Produkte der anaeroben Zerspaltung durch den 
Luftsauerstoff oxydiert werden können. Das Fehlen einer von 
diesen Bedingungen wird die Oxydationsprozesse zum Stillstand 
bringen. Daraus folgt, daß das sekundäre (Oxydations-) Stadium 
der Atmung einen viel komplizierteren Prozeß darstellt als 
das primäre Stadium der anaeroben Spaltung, was durch das 
vorhandene Tatsachenmaterial vollkommen bestätigt wird. 

In meinen Versuchen über die Atmung durch niedrige 
Temperatur getöteter Pflanzen wurden sie erst im Wasserstoff- 
strom bis zum völligen Aufhören der Kohlensäureausscheidung 
gehalten. Die ausgeschiedene Kohlensäuremenge gab einen 
Begriff von der Energie der anaeroben Prozesse. Danach wurde 
durch den Apparat ein Luftstrom geleitet und nach der Menge 
der unter diesen Bedingungen ausgeschiedenen Kohlensäure 
über die Energie der ÖOxydationsprozesse geurteilt. Darauf 
wurden die Pflanzen zerkleinert und mit Pyrogallol versetzt, 
worauf wieder Kohlensäureausscheidung begann, die man schon 
nicht mehr als Atmung bezeichnen kann; sie deutet nur darauf 
hin, daß in der nicht mehr atmenden Pflanze noch Peroxydase 
und außerdem, nach der Theorie von Chodat und Bach, 
hypothetische Oxygenase vorhanden ist, da ja Peroxydase allein 
Pyrogallol nicht zu oxydieren vermag. Das nach einiger Zeit 
eintretende Aufhören der Kohlensäureausscheidung weist auf 


204 W. Palladin: 


den Verbrauch der hypothetischen Oxygenase hin. Darauf 
wurde Wasserstoffsuperoxydlösung zugesetzt, und von neuem 
begann die Ausscheidung von Kohlensäure, was darauf deutete, 
daß in der Pflanze noch Peroxydase vorhanden war. Das 
darauf eintretende Aufhören der Kohlensäureausscheidung war 
durch den Verbrauch der Peroxydase zu erklären. Die zu- 
gesetzten Mengen Pyrogallol und Weasserstoffsuperoxyd geben 
also ein Maß für die Peroxydasemenge ab. Diese Methode ist 
nach Stoklasa?) nicht ganz exakt, liefert aber bei aufmerk- 
samer Arbeit für vorläufige Versuche vollkommen ausreichend 
genaue Resultate. Folgende Tabelle gibt einen Begriff von den 
Kohlensäuremengen verschiedener Herkunft, die durch erfrorene 
Pflanzen ausgeschieden werden.?) 


Die Gesamtmenge der ausgeschiedenen Kohlensäure 
in Milligrammen auf 100g der Pflanzensubstanz. 


Ze | 3 allol 
Pflanzen Kee? Luft Pyrogaliol — 


I. Weizenkeime.. . . . ... 








. 0 ò> Ò% 8 8 o 


nahrung . ... a... 
4. Dieselben nach Saccharose- 
und Lichtnahrung. . . 
5. Alte Blätter von Plectogyne 
japonica . . . 2... 
6. Alte Blätter von Plectogyne 
japonica . . ..... 





Setzt man die im Wasserstoffstrom ausgeschiedene Kohlen- 
säuremenge in allen Versuchen gleich 100, so erhält man: 


1) F.Stoklasa, A. Ernest und K.Chocensky, Zeitschr. f. physiol. 
Chem. 49, 303, 1907. 
2) W. Palladin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 407, 1906. 


Über das Wesen der Pflanzenatmung. 205 


Pyrogallol 
J H30, 


W x 
Pflanzen SE Luft Pyrogallol 





1. Weizenkeime. . . .... 
2. Etiolierte Blätter von Vicia 
Faba . ... 22 .. 


nahrung . . . 2... 
4. Dieselben nach Saccharose- 


und Lichtnahrung. . . 
5. Alte Blätter von Plectogyne 
japonica . . ..... 





Betrachtet man diese Tabellen, so fällt vor allem die un- 
erwartete Tatsache auf, daß erfrorene Weizenkeime zu Oxy- 
dationsprozessen nicht befähigt sind, obschon sie sehr bedeutende 
Peroxydasemengen enthalten und mit Pyrogallol und Wasser- 
stoffsuperoxyd große Kohlensäuremengen ausscheiden. Auch 
aus Extrakten von Weizenkeimen habe ich stark wirkende 
Peroxydase gewonnen. Weizenkeime bilden keinen Ausnahme- 
fall: wie von mir und Kostytschew!) später gefunden wurde, 
sind auch erfrorene Erbsensamen zu Oxydationsprozessen beinahe 
gar nicht befähigt und bilden bei freiem Luftzutritt Alkohol. 

Daraus folgt: 

21. Die Peroxydase allein genügt zur Oxydation 
der Produkte der anaeroben Zerspaltung nicht. 

Was entbehren nun die erfrorenen Weizenkeime, oder mit 
anderen Worten, die Bildung welchen Stoffes wird durch die 
niedere Temperatur verhindert, da doch von lebenden Weizen- 
keimen Oxydationsprozesse ausgeführt werden. Aus der Tabelle 2 
ist ersichtlich, daß ohne Wasserstofisuperoxyd die Weizenkeime 
beinahe kein Pyrogallol oxydieren. Es fehlt ihnen also nach 
der Theorie von Chodat und Bach die Oxygenase. Nach 
meinen Untersuchungen fehlt ihnen das Chromogen, es sammelt 
sich erst nach der Autolyse in ihnen an. Was dagegen die 
etiolierten Blätter von Vicia Faba anbelangt, so scheiden sie, 
wie aus der Tabelle ersichtlich, mehr auf Rechnung der Oxy- 
dationsprozesse zu setzende Kohlensäure aus, als solche, die 
auf anaerobe Zerspaltung zurückzuführen wäre. Im Wasserstoff- 


1) W. Palladin und S. Kostytschew, Zeitschr. f. physiol. Chem. 
48, 214, 1906. 


206 W. Palladin: Über das Wesen der Pflanzenatmung. 


strom bleiben sie gelb, beginnen aber im Luftstrom rasch sich 
zu schwärzen; es geht also in erfrorenen Blättern von Vicia 
Faba eine rasche Oxydation des Chromogens vor sich. Durch 
Saccharose- und noch besser auch gleichzeitige Lichtnahrung wird 
die Chromogenmenge und deshalb auch die Menge der auf Oxy- 
dationsvorgänge zurückzuführenden Kohlensäure gesteigert, 
letztere von 142 auf 185 und 225. Die Gegenwart von Chro- 
mogen übt auch auf das Verhalten zu Pyrogallol ihren Einfluß: 
es wird von den erfrorenen Blättern ohne Zusatz von Wasser- 
stoffsuperoxyd unter Ausscheidung sehr großer Kohlensäure- 
mengen oxydiert. Die Saccharose- und Lichtnahrung, die die 
Chromogenmenge steigert, hat auch eine verstärkte Oxydation 
von Pyrogallol zur Folge. Durch diese Versuche wird also die 
Abhängigkeit sowohl der in der Zelle verlaufenden Oxydations- 
vorgänge, als auch der durch sie vollzogenen Oxydation von 
Pyrogallol von den Chromogenen festgestellt. 

22. Ohne Chromogene sind weder Oxydations- 
prozesse in Pflanzen möglich noch eine Oxydation 
von Pyrogallol durch sie. 

Bei der Oxydation von Pyrogallol ersetzen also die Chro- 
mogene das künstlich eingeführte Wasserstoffsuperoxyd. Da in 
alten Organen die Menge des Chromogens abnimmt, scheiden 
alte Blätter von Plectogyne im Luftstrom wenig Kohlensäure 
aus und oxydieren, trotz Vorhandensein großer Mengen Per- 
oxydase, Pyrogallol nur schwach; nach Zugabe von Wasserstoff- 
superoxyd beginnt aber reichliche Kohlensäureausscheidung. 

Die Betrachtung der Tabelle lehrt also, daß das Chromogen 
Wasserstoffsuperoxyd ersetzt, sei es, weil es selbst in ein 
Peroxyd (Oxygenase) übergeht, sei es, weil bei seiner Oxydation 
als Nebenprodukt Weasserstoffsuperoxyd oder ein zusammen- 
gesetztes Peroxyd entsteht, eine Frage, die durch fernere Unter- 
suchungen zu entscheiden ist. 

Die dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über 
Oxydationsprozesse vollkommen entsprechende Theorie von 
Chodat und Bach bedarf einer Ergänzung in der Beziehung, 
daß man statt der hypothetischen Oxygenase im Atmungs- 
prozeßB die Beteiligung der überall verbreiteten Atmungs- 
chromogene annimmt. Ihre Beteiligung an der Bildung von 
Peroxyden ist aber noch aufzuklären. 


Bemerkung zu der Abhandlung von P. Rohland: „Über 
die Adsorption durch Tone“. 


Von 


L. Michaelis und P. Rona. 
(Eingegangen am 4. Mai 1909.) 


P. Rohland!) zitiert einen Satz aus unserer Abhandlung ,Unter- 
suchungen über Adsorption‘“2) in sinnentstellender Weise. Er schreibt: 
L. Michaelis und P. Rona berichten, „daß Albumosen in vorzüglioher 
Weise von Kaolinen, die weder Essigsäure noch Aceton, noch einen 
anderen, die Oberflächenspannung erniedrigenden Stoff in irgendwie be- 
trächtlichen Mengen enthalten?), adsorbiert werden, und sind der An- 
sioht, daß die Adsorption der Albumosen durch Kaolin ein von der me- 
chanischen Adsorption wesensverschiedener Prozeß ist.“ In unserer Arbeit 
steht: „Wenn wir nun ferner wiederholen, daß Albumosen in vorzüglicher 
Weise von Stoffen adsorbiert werden, welche weder Essigsäure noch Aceton 
noch einen anderen, die Oberflächenspannung erniedrigenden Stoff in irgend- 
wie beträchtlicheren Mengen adsorbieren, so wird es uns zur Gewiß- 
heit, daß die Adsorption der Albumosen nicht nur durch Kaolin, sondern 
wenigstens zum Teil auch durch Kohle, überhaupt ein von der rein me- 
chanischen Adsorption wesensverschiedener Prozeß ist.“ — Unsere theo- 
retischen Ansichten über die Adsorption haben wir in mehreren Abhand- 
lungen niedergelegt*), und die Arbeit von P. Rohland gibt uns keine 
Veranlassung auf diese nochmals zurückzukommen. 


1) Diese Zeitschr. 17, 220, 1909. 

2) Diese Zeitschr. 15, 196, 1908. 

3) Im Original nicht gesperrt. 

4) Diese Zeitschr. 2, 219, 1906; 8, 109, 1907; 4, 11, 1907; 5, 365, 1907; 
6, 1,1907; 7, 329, 1908; 8, 356, 1908; 15, 196, 1908; 16, 489, 1909; ferner 
Leonor Michaelis; „Physikalische Chemie der Kolloide“; in Korányi- 
Richter, „Physikalische Chemie und Medizin, 2, 341 bis 453. — Über 
die kolloidalen Eigenschaften der Eiweißkörper vgl. auch Peter Rona, 
„Allgemeine Chemie der Eiweißkörper“; im Handbuch der Biochemie 
von Oppenheimer, 1, 226. 


Enthält Kaviar (Stör- resp. Hauseneier) Purinbasen? 
Von 


Kurt Linnert. 
(Aus dem Laboratorium der L. Spieglerstiftung, Wien.) 
(Eingegangen am 19. April 1909.) 


Prof. C. v. Noorden richtete an uns die Frage nach dem 
Gehalte des Kaviars an Purinbasen, resp. echter Nucleinsäure, 
eine Frage, deren Beantwortung theoretisch interessant und für 
die Ernährung gewisser Kranker praktisch wichtig ist. 

Kaviar ist der gesalzene Rogen von Hausen, Stör, Scherg 
und Sterlett. Überblicken wir die Arbeiten, die sich mit der 
Untersuchung von Eiern, speziell von Fischeiern auf ihren Ge- 
halt an Purinbasen, resp. Nucleinsäuren beschäftigen, so kon- 
statieren wir, daß ihre Zahl eine sehr geringe ist. Am ältesten 
sind wohl die Untersuchungen des Hühnereidotters. Schon 
Miescher'), der Entdecker des Nucleins, lehrte, daß von den 
15°/, Eiweißstoffen des Dotters 1 bis 1'/,°/, als Nuclein in 
Abrechnung zu bringen seien. Liebermann’), Kossel und 
Altmann?) beschäftigten sich mit dem Hühnereidotter und 
zeigten, daß die aus demselben dargestellte Nucleinsäure mit 
der aus Thymus oder Hefe stammenden identisch sei. 

Über die Chemie von Fischeiern erschienen Arbeiten von 
Hugouneng*), Hammarsten”), Levene und Mandel’), 
Walter’). Hammarsten beschäftigte sich nur mit den Pro- 
teinen. Hugounenq sowie Walter konnten weder aus Herings- 
ovarien noch aus dem Ichthulin der Karpfeneier Purinbasen 
darstellen. 


1) Hoppe-Seylers med. chem. Untersuchungen 1871, Heft 4. 
2) Dubois, Arch. f. Physiol. 1885, 346. 
3) Ebenda 1884, 529. 
4) Compt. rend. 138, 1062. 
5) Skand. Arch. f. Physiol. 17, 113. 
D Zeitschr. f. physiol. Chem. 49, 262. 
7) Ebenda 15, 477. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 14 


210 K. Linnert: Enthält Kaviar Purinbasen? 


Nur Levene und Mandel haben bei der Hydrolyse der 
Schellfischeier (Gadus aeglefinus) Purinbasen, und zwar Guanin 
und Adenin erhalten. 

Wir untersuchten den Kaviar nach der Methode für quan- 
titative Bestimmung von Purinbasen nach Burian und Walker 
Hait"), 

In zwei Versuchen wurden einmal 50g frischen, grobkörnigen, 
lichten, feinsten, das anderemal 80 g schwarzen gepreßten 
Kaviars mit der l10fachen Menge 0,5°/, Schwefelsäure durch 
12 Stunden hydrolysiert, filtriert und das Filtrat mit den durch 
zweimaliges Auskochen des unlöslichen Filterrückstandes gewonne- 
nen Filtraten vereinigt. Nachdem in denselben die Schwefelsäure 
mit Baryt, das überschüssige Barium durch Kohlensäure entfernt 
ist, wird die mit Essigsäure stark angesäuerte Lösung zuerst 
über freier Flamme, dann auf dem Wasserbade so weit eingeengt, 
daß sie so viele Kubikzentimeter mißt, als das Ausgangsmaterial 
Gramme wog. Es wird nun eine Mischung von gleichen Teilen einer 
33°/,igen Natronlauge und einer halbgesättigten Sodalösung 
zugesetzt bis zur deutlichen alkalischen Reaktion. Dabei fallen 
die letzten Reste von Bariumcarbonat heraus, von dem ab- 
filtriert wird. Das Filtrat wird mit Salzsäure angesäuert und 
mit konz. Ammoniak stark ammoniakalisch gemacht. Aus dieser 
ammoniakalischen Lösung nun fallen vorhandene Purinbasen 
auf Zusatz von ammoniakalischer Silberlösung als Silberver- 
bindungen aus. Man kann noch einen kleinen Anteil nach Blei- 
reinigung durch neuerliche Fällung gewinnen. 

Bei der versuchten Hauptfällung mit ammoniakalischer 
Silberlösung entstand auch nicht die Spur eines Niederschlages. 

Damit ist der Beweis erbracht, daß Kaviar keine Purin- 
basen, somit auch keine echte Nucleinsäure enthält. 

Ergänzend bestimmten wir noch den Wassergehalt und den 
Gesamtstickstoff von frischem Kaviar: 1,0606 g Substanz ver- 
loren beim Trocknen zur Konstanz 0,5854 g oder 55,2°/, Wasser. 
1,0750 g Substanz gaben bei der N-Bestimmung nach Kjeldahl 
32,2 "/ Ammoniak resp. 45,08 mg N oder 4,28 °/, N, was einem 
Eiweißgehalt von fast 27°/, gleichkommt. 


1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 336. 





Einwirkung verschiedener Antiseptica auf die Enzyme 
des Hefepreßsaftes. 


Von 
Franz Duchäcek. 


(Aus dem chemischen Laboratorium der Landwirtschaftlichen Hochschule 
zu Berlin.) 


(Eingegangen am 25. April 1909.) 


Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit dem Studium der 
Einwirkung des Chloroforms, Chloralhydrats, Phenols, der Essig-, 
Benzoe- und Salicylsäure auf den Hefepreßsaft, welcher nach der 
Methode von Buchner und Hahn!) aus der von der Schult- 
heißschen Brauerei, A.-G. in Berlin, gelieferten untergärigen 
Hefe ausgepreßt wurde. 

Zur Gärkraftbestimmung wurden immer 20 ccm dieses Saftes, 
welcher noch durch Zentrifugieren gereinigt war, benutzt und 
nach Zugabe des Antisepticums bei 22° aufgestellt. Für jede 
Konzentration wurden zwei gegenseitig sich kontrollierende Ver- 
suche durchgeführt. Die Höhe der schädlichen Einwirkung er- 
gab die Differenz, die aus dem Vergleiche mit den Versuchen 
ohne Zusatz eines Antisepticums resultiert. Zur weiteren Kon- 
trolle dienten noch die Doppelversuche mit der üblichen Zugabe 
von 0,2ccm Toluol. 

In dieser Weise wurden im ganzen 100 Versuche angestellt, 
deren Resultate in den Tabellen I bis VII enthalten sind. Die 
Tabellen I bis IV zeigen die Einwirkung der erhöhten Zugaben 
von Phenol, Chloroform und Chloralhydrat auf die Enzyme des 
Hefepreßsaftes an, und die Tabellen V bis VII liefern einen 
Beitrag zur Beurteilung der Wirkung der Benzoe- und Salicyl- 
säure, deren Carboxyl- und Phenolgruppe durch die dem Mole- 


1) E. u. H Buchner und M. Hahn, Die Zymasegärung, 1903, S. 58. 
14* 


212 F. Ducháček: 


kulargewicht entsprechende Menge Essig- und Carbolsäure kon- 
trolliert wurde. 

Die festen Antiseptica — Phenol, Chloralhydrat, Benzoe- 
und Salicylsäure — wurden in Wasser gelöst zugesetzt, nach- 
dem übereinstimmend mit Buchner und Hoffmann?) die 
Wahrnehmung gemacht worden war (Versuch Nr. 5, 6, 9 u. 10), 
daß die Körnchen der Antiseptica, die in Berührung mit dem 
Hefepreßsaft kommen, mit einer Schicht von gefälltem Eiweiß 
bedeckt werden, welche ihre gleichmäßige Verteilung in der 
Flüssigkeit verhindert und ein Sinken der Gärkraft verursacht, 
das bis 56°/, des Wertes betragen kann. Beim Studium der 
Einwirkung irgendeines Antisepticums erscheint es geboten, 
sich in den Grenzen zu halten, welche durch seine Löslichkeit 
im Hefepreßsaft bedingt sind; diese Grenze wurde nur beim 
Chloroform überschritten. Zur Zugabe des Antisepticums be- 
diente man sich immer eines zur Capillare ausgezogenen Glas- 
röhrchens, welches bewirkt, daß die Antiseptica oder ihre Lösungen 
nur in feinen Tropfen austreten, die dann durch kräftiges Schüt- 
teln schnell mit dem Safte durchgemischt wurden. In dieser 
Weise erzielte man, daß der Preßsaft auch bei erhöhten Zu- 
sätzen immer, wenigstens für den ersten Augenblick, klar blieb. 
Beim längeren Stehen im Thermostaten trübte sich der Saft 
um so stärker, je mehr seine Gärkraft geschädigt war. 


1. Phenol. Seine Einwirkung auf den Hefepreßsaft haben 
schon Buchner und Hoffmann?) studiert und gefunden, daß 
schon 0,5°/, des Phenols, wie es auch bereits der bedeutende 
Eiweißniederschlag von vornherein erwarten ließ, die Gärkraft 
merkbar schädigen (um 24,4 bzw. 28,3°/,). Dieser Konzentra- 
tion von 0,5°/, entspricht bei meinen Versuchen eine nur 
0,3°/ ige Zugabe; es wurden nämlich diesmal die Prozente des 
zugesetzten Antisepticums aus dem Gewichte des Saftes, ver- 
mehrt um jenes der zugesetzten Saccharose, des Wassers und 
des Antisepticums berechnet, wohingegen in der oben erwähnten 
Arbeit auf das Gewicht der anderen, zum Safte zugesetzten 
Substanzen, keine Rücksicht genommen worden war. Phenol 
in der Konzentration von 0,75°/, (richtiger berechnet 0,45°/,) 


1) Diese Zeitschr. 4, 227, 1907. 
Le 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes, 213 


hat die Gärkraft schon um 44,4 bzw. 56,6°/, erniedrigt und 
1°/, Phenol (richtiger berechnet 0,6°/,) vermindert sie sogar um 
64,4 bzw. 67°/, jenes Wertes, der sich beim üblichen Zusatz 
von 0,2ccm Toluol ergibt. 


Im Einklange mit diesen Versuchen sind die Angaben der 
Tabellen I, II und HI: 


Tabelle I. 


Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral- 
hydratzusatz und ohne jedes Antisepticum. 
de 20 ccm frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g 


Rohrzucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt zugesetzt; Tempe- 
ratur 22°, ` 


Die Mengen des Antisepticums sind so gewählt, daß Toluol mit 
Phenol und Chloroform mit Chloralhydrat im Molekularverhältnis steht. 
























1 ohne 1,32 | 1,65 | 1,66 
2 8 1.32 | 1.61 | 1,62 | 1090 | 100,0 
3 Toluol 1,20 | 1,47 | 1,48 
4 y 1,19 |1,47 |1,47| 9905| 902 
5 Phenol 0,178| 0,59 | 0,83 | 0,95 | 0,95 
6 8 0.178 0,59|0,80 0.931093] 91.7| 573 
7 Chloroform |0,15 | 0,50 | 1,30 | 1,65 | 1,66 
8 . ous |0.50| 131| 169/170] 989 | 102,4 
9 Chloralhydrat | 0,208| 0,69 | 1,16 | 1,55 | 1,57 878| 963 
10 n 0.208! 0,69 |1.16 11.66 | L59] Ei 












Tabelle II. 


Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral- 
hydratzusatz und ohne jedes Antiseptioum. 


Je 20 ocm frischer Preßeaft aus Berliner untergäriger Hefe -+ 8 g 
Rohrzucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser 
gelöst zugesetzt; Temperatur 22°. 

Toluol und Chloroform wurden direkt und Phenol und Chloral- 
hydrat in Form einer wässerigen Lösung in kleinen Mengen zugesetzt. 
Überall wurde die Menge der zugesetzten Flüssigkeit durch Zusatz von 


214 F. Ducháček: 


Wasser auf 4 bzw. 8 com erhöht. Bei allen Versuchen ist die Flüssig- 
keit nach Zusatz von Antisepticum klar geblieben, nur in den Versuchen 
17 und 18 hat sich bald nach dem Eintragen starker Niederschlag ge- 
bildet, so daß alles sich in dicken Brei umwandelte. Nach 3 Tagen hat 
man in den Versuchen 15, 16, 17, 18, 21, 22, 23, 24, 27, 28, 29 und 30 
sehr viel Niederschlag beobachten können. 







Nr.| Datum 




















27. Mai 08 obne 4 
12 A à — 4 
13 Toluol 0,174 | 0,51 4 97.9 
14 e = 0,174 | 0,51| 4 , 
15 5 Phenol 0,178 | 0,52 | 4 58.5 
16 8 S 0,178 | 0,52| 4 i 
17 e e 0712|190| 8 00 
18 5 j 0,712 | 1,90] 8 ' 
19 S Chloroform | 0,3 0,881 4 97.3 
20 á K 03 |0,88] 4 , 
21 ` 15 144 3 
22 r r 15 l44 | 3 91,2 
23 30 |88 2 
24 i g 30 |ss| 2 18,2 
25 > Chloralhydrat | 0,208 | 0,61 4 120.4 
26 g 8 0,208 | 0,61 | 4 
27 P 2 0,416 | 1,22| 4 99.8 
28 4 R 0,416 | 122| 4 
29 M 8 0,621 | 1,83| 4 — 
30 0,624 11831 4 d 





Tabelle III. 


Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Chloroform-, Chloral- 
hydratzusatz und ohne jedes Antisepticum. 


Je 20 com frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe 8 g 
Rohrzucker + verschiedene Mengen Antiseptioum direkt oder in wässerige- 
Lösung zugesetzt; Temperatur 22°. 

Bei den Versuoken 35, 36, 45 und 46 hat sich bald nach dem Ein 
tragen des Antisepticums starker Niederschlag gebildet, wogegen die 
übrigen Versuche keine Veränderung aufwiesen. Nach dem Verlaufe des 
Versuchs wurde überall viel Niederschlag beobachtet, hauptsächlich aber 
in den Versuchen Nr. 35, 36, 39, 40, 45 und 46, wo sich dicker Brei ge- 
bildet hat. 


Nr. 


31 
32 


33 
34 
35 
36 


37 
38 


39 
40 


41 
42 


43 
44 


45 
46 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 215 












Zusatz von Anti- el Kohlendioxyd in in g | Gärkraft in 
septicum Ss nach Tagen Prozenten 
Deem IT — PZ Ve i TN i 
| E e | | nac 
Art g | o/o 11.21 4 | 5,6 KE 
Kiche CZ leet "A E Ae " |Gärung 
25.Juni08| ohne BR, EN EI | 
n (E | — | — 4 
Toluol 0,174 0,51| 4 
$ e 0,174 0,51] 4 
P Phenol 04 | 12| 4 | Sach wm 
$ i 04 |12| 4 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 
= Chloroform 20 | 8,82] 2 0,57 0,81/0,93 0,98 1,02 40.6| 644 
e 5 3,0 | 8,82| 2 0,57 0,81 0,93 0,98 1,02 r ' 
S 3 60 1171| — 0,22 0,33 0,42 0.54 0,57 Moaz 
H S 60 17.1 | — [0,21 0,32 0.42 0,54 0,57 * 35,9 
= Chloralhydrat 0,208! 0,62| 4 |1,12 1,54 1,66 1,69 1,69 engl 106.90 
= J 0,208 0,62| 4 [1,13 1,54 1,651,67 1,67] "rh 
H e 10 !30| 4 [0,9711,3911,54| — |1,56| no» 
& $ 1,0 |30| 4 l0,961,381863|— Lë 6&7! 981 
| 
up H 1,5 | 4,5 | 4 |0,00.0,00 0,00 — 0,00) 00 00 
1,5 | 4,5 | 4 [0,00 0,00 0,00| — 0,00 > 


0,52 bzw. 0,59°/, Phenol (Versuch Nr. 15, 16 bzw. 5, 6) 
hat 41,5 bzw. 42,7°/, der ursprünglichen Gärwirkung vernichtet. 
Bei Steigerung der Konzentration des Phenols auf 1,2 bzw. 
1,9°/, (Versuch Nr. 35, 36 bzw. 17, 18) ergab sich, daß die Zy- 
mase nunmehr unwirksam geworden war, wie es auch Bokorny?) 
bei 1°/,iger Phenollösung nachgewiesen hat. | 

Mit der Einwirkung des Phenols auf die lebenden Hefe- 
zellen befaßten sich Knoesel und Bokorny. Knoesel?) fand, 
daß schon 0,25°/, Phenol das Gären verhindert und 0,5°/, Phenol 
die Hefe abtötet. Bokorny?) hat sich dann überzeugt, daß 
10 g Hefe nach 24stündigem Einwirken von 10 ccm der 1°/,igen 
Phenollösung die Vermehrungsfähigkeit verlieren und benannte 
diese 10 g Substanz tötende Giftmenge „letale Dosis‘; sie be- 
trägt für Phenol 0,05 bis ole In der vorliegenden Arbeit 
wurde mit weit größeren Giftmengen (0,178 g), welche nach der 
Arbeit Bokornys fast 20 g der Hefezellen vernichten könnten, 
gearbeitet, und trotzdem hatte die Gärung einen sehr lebhaften 


1) Chem.-Zeitg. 25. 365, 1901. 
2) Centralbl. f. Bakt., II. Abt., 8, 241, 1902, 
3) Chem.-Zeitg. 30, 554, 1906. 


216 F. Duchätek: 


Verlauf genommen. Diese Ergebnisse schließen die Vermutung 
aus, daß in dem Hefepreßsafte als Gärungsagens Fragmente des 
lebenden Protoplasma zugegen sein könnten. 

2. Chloroform. Bezüglich der Wirkung dieses Stoffes 
hat Buchner!) vorläufig nur festgestellt, daß mit Chloroform 
gesättigter Hefepreßsaft den Rohrzucker intensiv attackierte. 
Da nach Meyer-Jacobson?) 11 der gesättigten Lösung etwa 
7 g Chloroform enthält, betrug die angewendete Konzentration 
ungefähr 0,7°/,. 

Betrachten wir nun die in den Tabellen I, II und III ent- 
haltenen Ergebnisse. Wir sehen, daß kleine Chloroformmengen 
(0,5°/,) die Gärkraft des Preßsaftes (Versuch Nr. 7,8) um ein 
weniges erhöhen. Auf die Ursache dieser interessanten Er- 
scheinung, die sich noch merklicher beim Chloralhydrat wieder- 
holt, wird unten hingewiesen werden. Nachdem auch die größte, 
sich im Saft noch lösende Menge der Substanz (0,88°/,) ohne 
Einfluß auf die Gärkraft geblieben ist, wurde über die Löslich- 
keitsgrenzen hinausgegangen in der Meinung, daß dadurch die 
Gärkraft des Preßsaftes nicht beeinträchtigt werden kann. Es 
ergab sich aber, daß 4,4°/, Chloroform die Gärwirkung um 8,8°/, 
(Versuch Nr. 21, 22) und 8,8°/, des Antisepticums um 21,8, 
bzw. 35,6°/, (Versuch Nr. 23, 24, bzw. 37, 38) erniedrigt. Durch 
die weitere Steigerung des Zusatzes auf 17,1°/, wurde die Gär- 
kraft des Hefepreßsaftes sogar um 64,1°/, geschädigt (Versuch 
Nr. 39, 40). Die Zymase zerstörende Konzentration liegt daher 
noch höher, vielleicht zwischen 20 und 30°/,. Daß die erhöhte 
Zugabe von Chloroform ungemein schädigt, ist auch aus dem 
Umstande ersichtlich, daß im Safte sich sehr viel Niederschlag 
bildet, der bei 17,1°/, derart überhand nimmt, daß hierdurch 
der Saft in dicken Brei verwandelt wird. 

Interessant ist die Vergleichung der Wirkung der Anti- 
septica auf den Preßsaft am Anfange der Gärung und nach 
deren Beendigung. Das zugegebene Antisepticum wirkt fast in 
der Regel am Anfange besonders ungünstig, aber im weiteren 
Verlaufe werden die Differenzen vielfach annähernd ausgeglichen. 
Es scheint, daß der Zusatz anfangs einen Teil der Zymase ver- 


1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 30, 119, 1897; Buchner u. Hahn, 


Die Zymasegärung, 1903, S, 176. 
D Meyer-Jacobson, Organische Chemie, 1, 537, 1893. 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 217 


nichtet und somit die Erniedrigung der Gärkraft verursacht, 
aber auch auf die Endotryptase einwirkt, wodurch manchmal 
eine Steigerung der Gärwirkung im Verlaufe der Gärung er- 
möglicht wird. Eine ähnliche Erscheinung tritt auch bei Chloro- 
form ein. Schon bei 8,8°/, Chloroform (Versuch Nr. 37, 38) 
beträgt der Verlust der Gärkraft nach 24 Stunden 59,4°/, und 
bei einem Zusatz von 17,1 sogar 84,7°/, (Versuch Nr. 39, 40), 
mithin um 23,8 bzw. 20,6°/), mehr als nach Beendigung der 
Gärung. 

Wodurch läßt sich die ungewöhnlich schädigende Wirkung 
der erhöhten Zugaben von Chloroform, die sich im Hefepreß- 
saft nicht aufzulösen vermögen, erklären? Es bleibt nur die 
Möglichkeit, eine teilweise Zersetzung des Chloroforms in Pro- 
dukte anzunehmen, welche die Gärkraft des Hefepreßsaftes stark 
herabsetzen. Da Alkohole und Aldehyde (Formaldehyd) nach 
Buchner und Antoni!) keine sehr schädigende Wirkung aus- 
üben, muß man dabei in erster Linie an Salzsäure und Ameisen- 
säure denken. 


3. Chloralhydrat. Die Einwirkung dieser Substanz auf 
Hefepreßsaft wurde bis jetzt nicht untersucht. Hoyer, Conn- 
stein und Wartenburg?) empfehlen sie als das geeigneteste 
Desinfektionsmittel bei Versuchen über Lipasen. Zur voll- 
kommenen Desinfektion von 5 g Ricinussamen genügten 10 g 
einer 1°/,igen Chloralhydratlösung, demnach eine Konzentration 
von beiläufig 0,7°/,. 


Tabelle IV. 


Gärwirkung bei Toluol-, Chloralhydratzusatz und 
ohne jedes Antisepticum. 


Je 20 eem frischer Preßsaft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g 
Rohrzuoker + 0,2 cem Toluol bzw. die verschiedenen Mengen Chloral- 
hydratlösung (20°/,ig) + soviel Wasser, daß die Menge der zugesetzten 
Flüssigkeit im Ganzen 7 ocm ausmacht. 

Temperatur 22°, 

Nach Zusatz von antiseptischem Mittel war der Saft überall klar. 
Nach 24 Stunden wurden die Versuche 49 und 50 trüb und in den 
übrigen Versuchen hat sich viel weißer Niederschlag gebildet, der zu- 
gesetzten Chloralhydratmenge entsprechend. 


1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 226, 221, 1906. 
2) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 35, 3988, 1902. 


218 F. Ducháček: 


Zusatz von Antisepti- un Kohlendioxyd Görkraft in 
Nr.| Datum cum 3 d in g nach Tagen lo S 


ww | i nach "Schluß 
i | 8 i/o ccm] 1 |2 |3 |% |i Tageja. Gär, 














3 100,0 | 100,0 
ad n 1 ia Wm? —* 
— de deg d 100,0 187.5 
| : | = ass] 3 EE 
J 66 — 
58 ; ; E 33 f 3,7 E 
al ` ei um (o 





In den Versuchen Nr. 9, 10, 25, 26, 41, 42, 5l und 52 
wurde annähernd mit dieser Konzentration gearbeitet, und wir 
sehen, daß dadurch die Gärkraft des Saftes nicht nur un- 
beschädigt geblieben ist, sondern in den meisten Fällen noch 
deutlich verbessert wurde: Bei starkem Safte um 5,9°/, (Ver- 
such Nr. 41 u. 42), bei gärschwachen Säften um 20,4 bzw. 27,5°/, 
(Versuch Nr. 25 u. 26, bzw. 51 u. 52). Die förderliche Ein- 
wirkung kleiner Mengen Chloralhydrat ist daher besonders bei 
gärschwachen Säften gut zu bemerken. Bei dem Versuch Nr. 9 
u. 10 wurde zwar die Gärwirkung um 3,7°/, erniedrigt, doch 
liegt die Ursache hiervon in der Art der Zugabe des Antisep- 
ticums, welches hier nicht in Lösung, sondern direkt pulver- 
förmig zugesetzt wurde. 

Ein günstiger Einfluß eines Antisepticums auf den Ver- 
lauf der Gärung wurde bereits einige Male konstatiert. So 
gelang es Frl. O. Grigoriew!) und Frl. A. Gromow?) mit 
kleinen Zugaben von Chininchlorhydrat die Gärkraft der Aceton- 
dauerhefe zu erhöhen. Mit 0,5°/, wurde die Gärkraft eines 
gärsohwachen Präparates um 23°/, und bei einer stark ver- 
gärenden Dauerhefe um 5,3°/, aufgebessert. Bei einem Zusatz 


1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 323, 1904. 
2) Ebenda 42, 309, 1904. 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes.. 219 


von 1°/, wurde schon das Maximum der günstigen Einwirkung 
bei gärstarker, nicht aber bei einer gärschwachen Hefe über- 
schritten. Ähnliche, jedoch schwächere Einwirkung von Chinin- 
chlorhydrat auf den Hefepreßsaft haben E. Buchner und 
Antoni!) beobachtet. Auch 5°/, Äthylalkohol unterstützt nach 
Frl. Grigoriew*?) unter Umständen die Wirkung der Zymase. 

Beim Beginne der Gärung ist die Einwirkung des Chloral- 
hydrates immer eine schädliche, gestaltet sich aber im Verlaufe 
der Gärung günstiger. So wurde die Gärkraft bei den Ver- 
suchen Nr. 43, 44, 41, 42, 51, 52, 9 u. 10 nach 24 Stunden 
um 31,3; 20,0; 0,0 bzw. 12,2°/, vermindert, erfuhr aber im 
Verlaufe der Gärung eine Aufbesserung um 29,4; 25,9; 27,5 
bzw. 8,5°/,., Ähnlich verhält sich auch das Chininchlorhydrat. 
Nach den russischen Forscherinnen wurde durch 0,5 bzw. 1°/, 
Antisepticum die Gärwirkung einer gärschwachen Acetondauer- 
hefe im Verlaufe der Gärung um 20 bzw. 20,2°/, verstärkt. 

Die im ganzen günstige Einwirkung kleiner, vollständige 
Asepsis sichernder Zusätze von Chloralbydrat, insbesondere 
aber die allmähliche Verstärkung der Gärkraft im weiteren 
Verlaufe der Gärung läßt vermuten, daß kleine Mengen dieses 
Stoffes namentlich die schädliche Einwirkung des proteolytischen 
Enzymes auf die Zymase einschränken. 

Die gute Löslichkeit des Chloralhydrates ermöglichte die 
Steigerung der Konzentration bis zur Zerstörung der Zymase. 
Gegenüber den erhöhten Zusätzen erwiesen sich besonders die 
gärschwachen Säfte sehr empfindlich : 1,22 bzw. 1,83°/, Chloral- 
hydrat vernichtete in einem Falle 10,2 bzw. 51,7°/, der Gär- 
kraft (Versuch Nr. 27 u. 28 bzw. 29 u. 30), im anderen Falle 
sank durch eine Menge von 1,66 bzw. 2,77 bzw. 3,32°/, die Gär- 
kraft um 51,7 bzw. 75,6 bzw. 96,3°/, (Versuch Nr. 53 u. 54 bzw. 55 
u. 56 bzw. 57u.58). Die gärstarken Preßsäfte vertragen dagegen 
auch die erhöhten Konzentrationen, ohne daß ihre Gärkraft 
erheblich geschädigt wird; in den Versuchen Nr. 43 u. 44 wurde 
z. B. die Gärkraft durch 3°/, Chloralhydrat nur um 1,9°/, ver- 
mindert. Zur vollständigen Vernichtung der Gärwirkung ge- 
nügte bei gärschwachen Preßsäften 3,87 °/, (Versuch Nr. 59 u. 60) 
und bei starken Säften 4,5°/, Chloralhydrat (Versuch Nr. 45 u. 46). 

4) Ebenda 44, 206, 1904. 
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 42, 323, 1904. 


220 F. Ducháček: 


Diese Ergebnisse, namentlich aber die ausgiebige Stärkung 
der Zymasewirkung durch Chloralhydratzusätze, welche eine 
vollständige Asepsis verläßlich sichern, schließen abermals die 
Möglichkeit einer Mitwirkung von lebendigen Protoplasma- 
splittern bei der zellenfreien Gärung vollkommen aus. 

Die Versuche Nr. 61 bis 100, welche in den Tabellen V, 
VIu. VII enthalten sind, liefern einen Beitrag zur Beurteilung 
der Einwirkung der Benzoe- und Salicylsäure auf die En- 
zyme des Hefepreßsaftes. Da in den Molekülen dieser Säuren 
Phenol- und Carboxylgruppen vorkommen, wurden zur Kon- 
trolle Parallelversuche mit Essig- und Carbolsäure angestellt. 
Für die allgemeine Kontrolle dienten Versuche ohne Zusatz 
eines Antisepticums und mit der üblichen Toluolzugabe. Um 
die Wirksamkeit eines Moleküles der Substanzen vergleichen zu 
können, wurden dieselben im Molekularverhältnis angewandt. 

4. Essigsäure. Über die Einwirkung dieses Stoffes auf 
die Gärung durch lebende Hefe bemerkt Lafar!), daß bei 1°/, 
Säurezusatz die Gärung nur ausnahmsweise verläuft. Meißner?) 
erhielt später abweichende Ergebnisse ; es gelang ihm meisten- 
teils die Gärung schon durch 0,25 bis 0,375°/, Essigsäure zum 
Stillstande zu bringen. Nach Bokorny?) wirkt die Essigsäure 
viel schädlicher auf das Gärungsagens als auf das Plasma der 
Hefe, denn schon 0,2°/, Essigsäure genügen, um die Zymase 
binnen 24 Stunden vollständig zu vernichten. Später befaßte 
sich Bokorny*) mit der Ermittelung der sog. „letalen Dosis‘ 
und fand, daß 10 g Hefe durch die Einwirkung von 20 ccm 
2°/ iger Essigsäure ihr Vermehrungsvermögen gänzlich ein- 
büßen, wogegen durch 10 ccm dieser Lösung die Vermehrungs- 
fähigkeit unbeeinflußt bleibt. Die „letale Dosis“ liegt daher 
für Essigsäure zwischen 0,2 und 0,4 g. 

Angaben bezüglich der Einwirkung der Essigsäure auf den 
Hefepreßsaft stammen von E. Buchner’): Im Vergleiche zu 
der unter Zugabe von Toluol bestimmten Gärkraft des Saftes 
haben 0,07 bzw. 0,13°/, Essigsäure die Gärkraft um 8,1 bzw. 


1) Landw. Jahrb. 24, 445, 1895. 

2) Erlangener Dissert., Berlin 1897. 

3) Chem.-Zeitg. 25, 365, 1901. 

4) Ebenda, 80, 554, 1906. 

6) Buchner und Hahn, Die Zymasegärung, 1903, S. 145. 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes;, 221 


16,4°/, geschwächt (um 26,7 bzw. 40°/, nach 16 Stunden). Wie 
ungleich sich die Preßsäfte gegen die Essigsäure verhalten, ist 
daraus zu ersehen, daß in einem anderen Falle 0,1°/, Essig- 
säure eine Verminderung der Gärwirkung um nur 3,7°/, ver- 
ursachte und bei 0,3°/, die Zymase vollständig ungeschädigt 
blieb; auch bei diesem Safte konnte man anfangs eine weit 
schädlichere Einwirkung der Essigsäure als im weiteren Ver- 
laufe der Gärung wahrnehmen, denn nach 24 Stunden wurde 
ihre Gärkraft durch 0,1°/, Essigsäure um 14,9°/, und durch 
0,3°/, sogar um 25,6°/, vermindert. 


TabelleV. Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Benzoe- 
säure-, Salicylsäure-, Essigsäurezusatz und ohne jedes 
Antisepticum. 


Je 20 cem frischer Preßeaft aus Berliner untergäriger Hefe +8 g 
Rohrzucker + verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser 
gelöst zugesetzt; Temperatur 22°. Die Mengen Antisepticums wurden 
so gewählt, daß Phenol-, Benzoe-, Salicyl- und Essigsäure im Molekular- 
verhältnisse stehen. 

Abgewogene Mengen der Benzoe- und Salicylsäure wurden in 
2 ccm heißen Wassers gelöst und mit Hilfe eines in enge Capillare aus- 
gezogenen Reagensglases zugesetzt, dann mit 2 ccm Wasser nachgespült. 
Essigsäure und Phenol wurden in Form einer Lösung, die die ent- 
sprechende Menge Substanz in 4 ccm enthielt, dagegen Toluol direkt 
zugesetzt. Zu den Versuchen ohne jedes Antisepticum und mit Toluol 
hat man 4 ccm Wasser zugesetzt. 

Bei allen Versuchen ist die Flüssigkeit nach Zusatz von Antisepti- 
cum klar geblieben. Nach der Gärung war das Aussehen aller Flüssig- 
keiten das gleiche. 














Zusatz von Antisepti- R IR Kohlendioxyd Gärkraft in 

Nr.| Datum 3 @|in g nach Tagen /o = 
ehr Se Bad 

ccm .Gä 





























61 |20. Mai 08| ohne — |— | 4 [1,572,242,31|2,32 

el „ R — |=] 4 l5 226 26 2,32 2,33] 100,0 | 100,0 
el „ Toluol [0,1740,52| 4 1,522,04 2,09 2,10 DE 
al . R 0,174.0,52| 4 Las 052, 112,12] 962 D 
65 S Phenol ,0,023'0,07| 4 [1,57.2,21'2,26,2,26| 993 | 972 
66l >? S 0,023.0,07| 4 |1,552,212,2612,26| 993 | 97,2 
67| „| Benzoesäure 10,03 0,09] 4 |1,502,112,182,20| 043] 938 
el „ j 0,03 0,09] 4 [1,46 208215216] Bä 93 
69| „ | Salicylsäure 10,0340,1 | 4 |1,37)2,002,082,08| zen 898 
S i n 0,034.0,1 | 4 [136201 209 209| 866 | 89, 
d Essigsäure |0,015.0,04| 4 |1,63/2,25 2,31|2,32 

al . à 0,0150,04] 4 [1592 2,31] 1025| 99,6 

















222 F. Duchätek: 


Tabelle VI. 


Gärwirkung bei Toluol-, Phenol-, Benzoesäure-, Sali- 
cylsäure-, Essigsäurezusatz und ohne jedes Antisep- 
ticum. 


Je 20ccm frischer Saft aus Berliner untergäriger Hefe +8g Rohr- 
zucker 4 verschiedene Mengen Antisepticum direkt oder im Wasser ge- 
löst zugesetzt. Temperatur 22°. 

Um größere Menge Benzoe- und Salicylsäure nehmen zu können, 
mußte der Wasserzusatz entsprechend der Löslichkeit dieser Säuren auf 
10 eem erhöht werden. 

Im übrigen wurden die Versuche wie bei Tabelle V angestellt. 





Zusatz von Antisepti- 
Nr.| Datum OB on... 
Art |e e lh 
EE — — n 
i 

























— 1,3911,5011,65 
” — — 1,38 1 49 1,54 ⸗ 
Toluol 0, 1740,44 1,26 1,3911,44 2.6 
y 0,1740,44 1,2611,3911,43: ’ 
Phenol 10,046,0,12 1,2811,47/1,47 942 
0,046'0,12 1,30 1,46'1,47 
Benzoesäure 0,06 0,15 1,20 1,371,38 89.4 
iR 0,06 10,15 1,20/1,40/1,41 
Salioylsäure |0,064/0,16 1,11'1,30.1,31 84.3 
N 0,064.0,16 1,11'1,32 1,32 
Essigsäure 0,03 |0,08 1,30 1,42 1,44 oa 
e 10,03 !0,08 1,3211,40 1,41 ' 





Bei den in Tabelle V u. VI enthaltenen Versuchen wurde 
mit Preßsäften gearbeitet, die weit wirksamer waren als die 
von Buchner seinerzeit verwendeten, und das mag auch eine 
der Ursachen sein, daß die Differenzen, welche die Zusätze der 
Essigsäure, namentlich am Anfange der Gärung hervorgerüfen 
haben, so geringfügig sind. Bei den Versuchen Nr. 83 u. 84 
hat 0,08°/, Essigsäure nach 24 Stunden einen 5,4°/,igen Ver- 
lust der Gärwirkung verursacht, welcher im Verlaufe der Gärung 
auf 8,3°/, sich erhöhte, wogegen 0,04°/, (Versuch Nr. 71 u. 
72) überhaupt nicht mehr geschädigt haben, sondern im Gegen- 
teil nach 24stündiger Gärung eine kleine Aufbesserung (um 
2,5°/,) hervorriefen. Diese günstige Wirkung der Essigsäure 
dürfte nicht immer hervortreten, denn nach den Versuchen 


Einwirkung versch. Antiseptioa auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 223 


von M. Hahn und Gereot!) unterstützt gerade die saure 
Reaktion die Wirksamkeit der Endotryptase, wodurch indirekt 
die Zymase geschädigt werden muß. 

Betrachten wir weiter die Einwirkung kleiner Mengen 
Carbolsäure auf den Hefepreßsaft, so ersehen wir aus den Ver- 
suchen Nr. 65 u. 66, daß 0,07°/, Phenol die Gärung viel 
weniger schädigt als 0,2 ccm Toluol, denn nach 24 Stunden 
macht sich eine Abnahme der Gärkraft nur um 0,7°/, bemerk- 
bar (bei Toluol um 3,8°/,), welche nach 5 Tagen auf 2,8°/, (bei 
Toluol auf 9,3°/,) sich erhöht. Auch ein Zusatz von 0,12°/, 
Phenol (Versuch Nr. 77 u. 78) schädigt bei gärstarken Preßsäften 
das Gärungssagens weniger als Toluol; die Abnahme beträgt 
nach 24 Stunden 6,9°/, (bei Toluol 9,1°/,) und sinkt nach 
5 Tagen auf 5,8°/, (bei Toluol auf 7,4°/,). Beim Vergleiche 
mit der Essigsäure erweist sich letztere in der Konzentration 
von 0,04°/, als etwas weniger schädlich, bei 0,08°/, aber ist sie 
im Verhältnisse zum Phenol, soweit aus den wenigen Versuchen 
geschlossen werden kann, wohl schädlicher; wahrscheinlich unter- 
stützt die Essigsäure wirksamer die Endotryptase in ihrer ver- 
derblichen Einwirkung auf die Zymase. 

5. Benzoe- und Salicylsäure. Die Einwirkung beider 
Säuren auf den Hefepreßsaft wurde früher nicht untersucht. 
Zur Feststellung der die Zymase zerstörenden Konzentration 
beider Antiseptica konnte man aus dem Grunde nicht ge- 
langen, weil sie in Wasser zu wenig löslich sind. Da sich ein 
Teil Salicylsäure bei 22° in ca. 500 Teilen Wasser löst, betrug 
das Maximum der erreichbaren Konzentration der Salicylsäure 
beiläufig 0,2°/,. Diese Grenze konnte bei Benzoesäure infolge 
größerer Löslichkeit bei weitem überschritten werden. Die Lös- 
lichkeit beider Säuren wird in ausgiebiger Weise durch eine ganze 
Reihe im Preßsafte vorhandener Verbindungen (z. B. fette Öle, 
Alkalicarbonate, Acetate und Phosphate) unterstützt; man 
konnte deshalb noch ein wenig über die Grenze ihrer Löslich- 
keit in Wasser hinausgehen. Die angeführten Antiseptica wurden 
in kleiner Menge heißen Wassers gelöst und diese Lösung mittels 
eines zur Capillare ausgezogenen Reagensglases tropfenweise 
zugesetzt. 


1) Zeitschr. f. Biol, 40, 148, 1900. 


224 F. Ducháček: 


Durch die geringen Säuremengen, die in Wasser noch lös- 
lich sind, wird lebende Hefe sehr stark beeinflußt; es genügt 
z. B. nach H. Will?) und Heinzelmann?) 0,37 g Salicylsäure 
pro Liter, um Hefe unwirksam zu machen. Wehmer?) stellte 
fest, daß bei einer Konzentration von 0,1°/, beide Säuren die 
Entwicklung der Hefe, der Schimmelpilze und der Bakterien 
verhindern; manchmal ist es notwendig, eine doppelte Menge 
(0,2°/,) anzuwenden, die aber in den meisten Fällen zur dauernden 
Asepsis auch leicht zersetzlicher, an der Luft frei stehender 
Eiweißlösungen genügt. Die Ergebnisse der folgenden Versuche 
schließen daher die Mitwirkung von lebenden Protoplasma- 
splittern bei der zellfreien Gärung abermals vollkommen aus; 
das Gärungsagens muß enzymatischen Ursprungs sein. 


Tabelle VII. 
Gärwirkung bei Toluol-, Benzoe- und Salicylsäure- 
zusatz und ohne jedes Antisepticum. 


Je 20 com frischer Saft aus Berliner untergäriger Hefe + 8 g Roh: 
zucker 4 verschiedene Mengen Antiseptica, direkt oder in 10 ccm heißen 
Wassers gelöst zugesetzt. Temperatur 22°. 


Kohlendioxyd |Gärkraft in 






























































Nr. in g nach Tagen °/o 
—— T; Tr | ee eao 
3 u 
85 |21. Juli08| ohne — | — | 10 |1,.41l1,6511,71 1,72 
71 „ S — [10 1,39 1,63 1881,08) m 
87 F Toluol  10,1740,44| 10 |1,301,461,541,50| 90 ,| 92.9 
88 i KR 0,174.0,44| 10 [1,29'1,45 1,53 1,57 , ’ 
89 P Benzoesäure 0,06 019 10 [1,161,3711,421,49| 905 | en 
90 S S 0,06 \0,15| 10 11,15/1,36,1,4011,47| ° 
91 o e 0,08 |0,20| 10 |1,0711,2211,321,37| „g4| 80.3 
92 Se Ki 0,08 10,20 10 [1,07 1,2211,31,1,36| "` » 
| 
93 e e 0,10 oa 10 [0,93 1,12.1,221,27| 661 741 
94 9 8 0,10 '0,25| 10 0,921,10 1,20 1,25] 9> ’ 
95 R Salicylsäure ;0,064|0,16| 10 1,08 1,21 1,31,1.38| „94 | 80.9 
96 5 s 0,064/0,16| 10 108 12010 1,37] (e 
98 S i 0,085 0,21 10 0,85 1,06 1,19 1,21] °> 
99 e » 0,107:0,27| 10 I1. 10 1,11 053 
10) „ S 0,107/0,27| 10 0,85.0,97 1,10'1,11 


) Zeitschr. f. d. ges; Brauwesen 16, 151, 411, 1893; 17, 43, 1894. 
2) Zeitschr. f. Spiritusindustrie 5, 458, 1882. 
3) Chem.-Zeitg. 21, 73, 1897; 23, 163, 1899. 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 225 


Aus den Tabellen V, VI und VII sehen wir, daß die kleinste an- 
gewendete Konzentration — 0,09°/, Benzoesäure und 0,1 °/, Salicyl- 
säure — die Gärkraft des Hefepreßsaftes nur um 6,2 bzw. 10,2°/, 
(Versuch Nr. 67 u. 68 bzw. 69 u.70) schädigt. Der Zusatz von 
0,15°/, Benzoesäure und diesem entsprechend 0,16°/, Salicylsäure 
ruft schon deutlichere Schädigung des Gärungsagens hervor: 
um 10,6 bzw. 13°/, bei der Benzoesäure (Versuch Nr. 79 u. 80 
bzw. 89 u. 90) und um 15,7 bzw. 19,1°/, bei der Salicylsäure 
(Versuch Nr. 81 u. 82 bzw. 95 u. 96). Durch 0,2°/, Benzoesäure 
(Versuch Nr. 91 u. 92) und 0,21°/, Salicylsäure (Versuch Nr. 97 
u. 98) gehen 19,7 bzw. 27,9°/, der ursprünglichen Gärkraft ver- 
loren. 

Die höchstmöglichen Konzentrationen der beiden Säuren 
geben zwar auch die größten Verluste an Gärkraft, dennoch 
aber vermögen sie nicht die Gärung zum Stillstande zu bringen, 
obzwar es Konzentrationen sind, die jedes Leben im Hefepreß- 
saft ausschließen. Die ursprüngliche Gärkraft wurde durch 
0,25°/, Benzoesäure (Versuch Nr. 93 u. 94) um 25,9°/, und 
durch 0,27°/, Salicylsäure (Versuch Nr. 99 u. 100) um 34,7°/, 
erniedrigt. | 

Aus den angeführten Versuchen läßt sich im allgemeinen 
folgern, daß ein Molekül Salicylsäure die Gärkraft des Hefe- 
preßsaftes intensiver zu schädigen vermag als ein Molekül Benzoe- 
säure; es ist dies begreiflich, wenn wir erwägen, daß im Mole- 
kül Salicylsäure außer einer Carboxyl- auch noch eine Phenol- 
gruppe vorhanden ist. 

Durch die beiden Säuren wird die Gärkraft anfangs mehr 
geschädigt als nach der beendigten Gärung; aber diese Diffe- 
renzen sind nicht sehr bedeutend, 3 bis 5°/,, höchstens 8,0 
(Versuch Nr. 93 u. 94) bzw. 10,7°/, (Versuch Nr. 97 u. 98). 
Auffallenderweise ist diese Differenz bei Zusatz von 0,27°/, 
Salicylsäure (Versuch Nr. 99 u. 100) viel kleiner als bei einem 
Zusatze von 0,21°/, (Versuch Nr. 97 u. 98). Beim Vergleich 
der zwei letzten Doppelversuche zeigt sich, daß die Gärwirkung 
am Anfange fast gleich ist (61,4 bzw. 60,7°/,) und erst im Ver- 
laufe der Gärung die Differenz entsteht. Dies läßt sich viel- 
leicht folgenderweise erklären: Durch die angewendete Menge 
der Salicylsäure wurde die Grenze ihrer Löslichkeit im Hefe- 


preßsaft überschritten; somit konnte am Anfang nur jene Menge 
Biochemische Zeitchrift Band 18. 15 


226 F. Duchatek: 


zur Geltung kommen, welche sich im Safte löste; durch den 
im Verlauf der Gärung sich bildenden Alkohol, in welchem die 
Salicylsäure leicht löslich ist, wurde die. ungelöst gebliebene 
Säure in Lösung gebracht und dadurch ein neuerliches Sinken 
der Gärkraft herbeigeführt. 

Mit Freude ergreife ich die Gelegenheit, hiermit Herrn Prof. 
Dr. E. Buchner meinen herzlichsten Dank auszusprechen, welcher 
die Anregung zu dieser Arbeit gab und mich mit wertvollen 
Winken bereitwilligst unterstützte. 


Zusammenfassung. 


1. Kleine Mengen Phenol (0,1°/,), die noch nicht im- 
stande sind, die Mitwirkung lebender Protoplasmasplitter aus- 
zuschließen, schädigen die Gärwirkung des Hefepreßsaftes nur 
unbedeutend und viel weniger als die übliche Toluolzugabe von 
0,2 com. Die 0,5°/,ige Konzentration, welche im Preßsafte 
schon jedes Leben aufhebt, verhindert noch nicht die Gärung, 
setzt aber die Gärkraft beiläuffg um 40°/, der ursprünglichen 
herab. Durch eine 1,2°/ ige Konzentration des Antisepticums 
wurde die Zymase unwirksam gemacht. 

2. Die im Hefepreßsafte noch löslichen Zugaben von Chloro- 
form (0,8°/,) schwächen seine Gärkraft nur unbedeutend. Eine 
Erniedrigung dieser Konzentration (auf 0,5°/,) verursacht eine 
ausgiebige Erhöhung der Gärwirkung, wogegen stärkere Zusätze, 
trotzdem sie sich nicht gänzlich auflösen können, eine auffallende 
und unerwartete Abnahme der Gärkraft veranlassen (um 64°/, 
bei 17°/, Chloroform). Höchstwahrscheinlich wird das Chloro- 
form im Verlaufe der Gärung in Produkte zersetzt, die das 
Gärungsagens des Hefepreßsaftes schwer schädigen. 

3. Kleine Dosen Chloralhydrat (0,7°/,), die aber eine 
vollständige Asepsis gewährleisten, lassen eine merkliche Besse- 
rung der Gärkraft des Hefepreßsaftes wahrnehmen (manchmal 
bis um 27°/,). Dieser günstige Einfluß wird namentlich bei 
den gärschwachen Säften bemerkbar. Das Chloralhydrat schränkt 
hierbei den schädigenden Einfluß des proteolytischen Enzymes 
ein und unterstützt dadurch indirekt die Zymase. Demgegen- 
über vertragen die stark wirksamen Säfte erhöhte Zugaben des 
Chloralhydrates besser als die gärschwachen, die durch dieselben 


Einwirkung versch. Antiseptica auf die Enzyme des Hefepreßsaftes. 227 


sehr geschädigt werden. Die Zymase zerstörende Konzentration 
beträgt 3,5 bis 4,5°/,. 

4. Die Benzoe- und Salicylsäure in der Konzentration 
von 0,1°/,, welche schon eine vollständige Asepsis bewirkt, 
schädigt nicht allzusehr die Gärkraft des Hefepreßsaftes; erst 
die Zugabe von 0,2 bis 0,25°/, vernichtet 20 bis 35°/, der Gär- 
leistung. Dadurch, daß die Salioylsäure um eine Phenolgruppe 
reicher ist, wirkt sie immer viel verheerender. 

5. Bei der Mehrzahl der Versuche wurde die Beobachtung 
gemacht, daß die Antiseptica und darunter auch jene, welche 
den Gesamterfolg der Gärung erheblich aufbessern, anfangs un- 
günstig einwirken, d. h. die Zymase zerstören. Späterhin wird 
aber auch die Endotryptase geschädigt, wodurch die anfangs 
bedrohte Gärwirkung wieder eine Steigerung erfährt. Hierfür 
liefert das Chloroform und das Chloralhydrat die meisten Be- 
lege, bei welchen im Verlaufe der Gärung regelmäßig die Gär- 
kraft um 25 bis 30°/, aufgebessert wurde. 

6. Alle diese Versuche liefern einen neuen Beitrag zur 
Widerlegung der Behauptung einiger Autoren, daß das Gärungs- 
agens des Hefepreßsaftes lebendige Protoplasmasplitter seien, 
und beweisen neuerdings, daß die Gärung, die durch Hefepreß- 
saft hervorgerufen wird, enzymatischen Ursprungs ist. 


15* 


Zur Biochemie des Phasins. 


Von 
Otto Wienhaus. 


(Auns dem Institut für Pharmakologie und physiologische Chemie in Rostock.) 
(Eingegangen am 19. April 1909.) 


I. Einleitung. 


= Mehr als 20 Jahre sind verflossen seit der im Ko- 
bertschen Laboratorium erfolgten Entdeckung des ersten 
pflanzlichen Hämagglutinins, des giftigen Ricins?), an die sich 
dann später noch die Auffindung dreier weiterer solcher ag- 
glutinierenden, nebenbei auch toxisch wirkenden Substanzen 
anschloß: des Abrins*), Crotins?) und Robins*). Wenn auch 
von den verschiedensten Seiten im Laufe der Jahre zahlreiche 
Forschungen über diese Stoffe unternommen worden sind, 80 
hat die Zeitspanne von zwei Jahrzehnten doch nicht aus- 
gereicht, um endgültige Klarheit über das Wesen sowohl der 
Agglutination, als auch zumal der Agglutinine selbst zu ver- 
breiten. 

Zur Isolierung des Ricins glaubteJacoby°) in einem Prozesse, 
dessen wesentlichsten Faktor, abgesehen von dem fraktionierten 
Aussalzen mit Ammoniumsulfat, die Verdauung mit Trypsin 
bildet, endlich ein Mittel gefunden zu haben. Das nach seiner 
Methode gereinigte Ricin hatte seine typische Giftigkeit voll 


1) H. Stillmark, Über Ricin. Diss, Dorpat 1887; verbessert 
und vervollständigt enthalten in Arb. d. pharmakol. Inst. zu Dorpat 
8, 1889. 

2) H. Hellin, Der giftige Eiweißkörper Abrin und seine Wirkung 
auf Blut. Diss., Dorpat 1891. 

3) Elfstrand, Über blutkörperchenagglutinierende Eiweiße. 
Görbersdorfer Veröffentlichungen 1, 1, 1898. 

4) C. Lau, Über vegetabilische Blutagglutinine. Diss., Rostock 1901. 

5) Arch, f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 46, 28, 1901. 


O. Wienhaus: Zur Biochemie des Phasins. 229 


bewahrt, ebenso sein Agglutinationsvermögen für rote Blut- 
körperchen. Trotzdem die Lösung eine hohe Giftkonzentration 
besaß, gab sie keine Eiweißreaktionen; jedoch wurde anderer- 
seits merkwürdigerweise das gereinigte Ricin durch Trypsin 
schnell zerstört. 

Doch bald darauf traten wieder Verteidiger der Eiweißnatur 
des Ricins auf den Plan: die Amerikaner Osborne, Mendel und 
Harris!), die die Versuche Jacobys einer scharfen Kritik unter- 
zogen, besonders bezüglich der Reinheit seines Ausgangsmaterials 
und der negativen Eiweißreaktionen seiner reinen Ricinlösung, 
die nach ihrer Meinung, trotz Jacobys Gegenbehauptung, zu ver- 
dünnt war. Zur Reindarstellung ihres Ricins verzichteten sie auf 
die Verdauung und wandten nur umständliche, rein chemische Tren- 
nungsverfahren an. Als reines Ricin sprachen sie ein auf diesem 
Wege gewonnenes Albumin?) an, das, leicht löslich, überaus 
kräftige Gift- und Blutwirkungen entfaltete.e Schon 0,001 mg 
pro Kilo Kaninchen genügte als tödliche Dose; ferner riefen 
selbst noch Verdünnungen von 1:100000 in verdünnten Blut- 
suspensionen in einigen Augenblicken totale Agglutination her- 
vor. Dieses reine Ricin wurde bei der Koagulation durch Hitze 
(65°) unwirksam und war mit Trypsin schnell und völlig verdaubar. 

Unentschieden ist auch die Frage nach der Einheit- 
lichkeit der pflanzlichen Agglutinine, z. B. beim Riein, in 
welcher Beziehung die Giftwirkung zum Agglutinationsver- 
mögen steht. 

Daß es tatsächlich kräftig wirkende pflanzliche Hämagglutinine 
gibt, die einer toxischen Wirkung entbehren, daß also Agglutinin- 
toxoide ganz getrennt für sich vorkommen, geht aus zwei un- 
längst gemachten Entdeckungen hervor: zunächst wurde durch 
Landsteiner und Raubitschek?) das Vorhandensein von 
Stoffen agglutinierender Eigenschaft in den Samen von un- 
giftigen Papilionaceen, in Bohnen, Erbsen, Linsen, Wicken fest- 
gestellt; sodann wurden von v. Eisler und v. Portheim‘) 


1) Americ. Journ. of Physiol. 14, Nr. 1, 1908. 

2) Die Seroagglutinine scheinen dagegen nach verschiedenen Autoren 
mit den Serumglobulinen in Zusammenhang zu stehen. 

3) Centralbl. f. Bakt. 45, Heft 7, 1908. 

t) Zeitschr, f. Immunitätsforschung u. experim. Therapie 1. Teil; 
Abt. 1, 1908, 181. 


230 O. Wienhaus: 


analoge ungiftige Substanzen in den Samen einiger Datura- 
arten aufgefunden. Damit dürfte denn auch wohl die Frage 
nach der Einheitlichkeit jener zugleich mit toxischem Vermögen 
ausgestatteten pflanzlichen Agglutinine ihrer Beantwortung 
äußerst nahe gerückt sein. 

Diese Entdeckung von Landsteiner und Raubitschek 
gab nun zu der vorliegenden Arbeit die Veranlassung. Die 
Versuchsergebnisse der beiden Autoren werden darin einerseits 
bestätigt, andererseits nicht unwesentlich ergänzt und erweitert. 
Die zahlreichen Versuche, deren Protokolle ich hier nur zum 
kleinsten Teile wiedergebe, sind teils von Prof. Kobert, 
teils von mir selbst ausgeführt worden. Es sei mir gestattet, 
auch an dieser Stelle meinem hochverehrten Lehrer, Herrn 
Professor Kobert, für seine vielfachen Anregungen und für 
seine weitgehende liebenswürdige Unterstützung meinen er- 
gebensten Dank auszusprechen. 


II. Über die Untersuchungen von Landsteiner und 
Raubitschek.?) 

Landsteiner und Raubitschek stellten die Extrakte, 
welche die von ihnen in den Samen von Bohnen (Phaseolus), 
Erbsen (Pisum), Linsen (Ervum) und Wicken (Vicia) 
nachgewiesenen, dem Ricin verwandten Stoffe enthielten, in 
folgender Weise dar. 

Das aus den von ihren Schalen sorgfältig befreiten Samen durch 
möglichst feine Zerkleinerung erhaltene Pulver wurde mit dem ő fachen 
Volumen physiologischer Kochsalzlösung versetzt und 24 Stunden im 
Eiskasten belassen. Hierauf wurde koliert und filtriert, bis das Filtrat 
leicht getrübt und opalisierend erschien. Resultat eines Titrations- 


versuches: 
Art des Extraktes 
Biüitart. No oe a 
Bohnen | Erbsen | Linsen | Wicken 








1) Centralbl. f. Bakt. 45, Heft 7, 1908. 


Zur Biochemie des Phasins. 


231 


Die Zahlen drücken die Verdünnung aus, in der die verwendeten 
Extrakte (je 1,0 com) die betreffende Blutart (je 0,5 ocom einer 5°/,igen 
Aufschwemmung) eben noch deutlich (mikroskopisch) agglutinierten. 

Die beiden Autoren ermittelten ferner, daß aus den Ex- 
trakten 

l. bei schwachem Ansäuern ein Niederschlag ausfällt, der 
nur wenig Agglutinine enthält, während deren Hauptmenge im 
Filtrate sich findet; 

2. durch Alkohol die agglutinierenden Substanzen gefällt 
werden und bei ihrer Neulösung keine beträchtliche Einbuße 
an Wirksamkeit zeigen; 

3. die agglutinierenden Substanzen durch Ammoniumsulfat 
aussalzbar sind. Die Agglutinine dialysieren nur schwer, aber 
leichter als Ricin. Gegen Salzsäure und Soda scheinen die 
Stoffe ziemlich resistent zu sein. 

Das Bohnenextrakt übt eine präcipitierende Wirkung auf 
Serum aus: 


Bohnen- | Hühner- | Pferde- 
extrakt serum serum 


sehr starker Niederschlag | 
starker Niederschlag 
deutliche Trübung 








1,0 deutlich getrübt 
0,5 deutlicher Niederschlag 
0,1 deutlich getrübt 


Peritoneale Verabreichung 
lieferte folgendes Ergebnis: 


von Bohnenextrakt an Tiere 


5 Bohnen- ; 
Tier | Gewicht | Steet | Wirkung 





mittel 


überlebt“ 





Maus 2,0 
: ; 2,0 : 
: 2 20 |tot nach 48 Std. 
e S 1,0 überlebt 
. n 0,1 n 
Meerschweinchen | ca. 300g 2,0 = 
Ratte ca. 100g 20 S 
Kaninchen | oca. 1500 g 3,0 e 





Einträufeln der Extrakte in den Bindehautsack des Ka- 
ninchenauges brachte keine Reizerscheinungen hervor. 


232 O. Wienhaus: 


III. Eigene Prüfung verschiedener Papilionaceensamen auf 
ihren Gehalt an Hämagglutininen. 


Gewinnung der Extrakte. Von ihren Schalen nicht 
befreite Samen wurden in einer Handmühle möglichst fein zer- 
mahlen, mit dem fachen Volumen 0,9°/,iger Kochsalzlösung 
und, je nach der Menge, mit 1 bis 2ccm einer Konservierungs- 
flüssigkeit, gewöhnlich Toluol, versetzt; das Ganze tüchtig durch- 
geschüttelt und 18 bis 24 Stunden lang in kühlem Raume 
stehen gelassen. Sodann vorgenommene Filtration lieferte eine 
in der Regel ein wenig getrübte, opalisierende, je nach der 
Farbe der Samenschalen gefärbte Flüssigkeit (Stammlösung), 
zu deren eventueller Verdünnung physiologische NaCl-Lösung 
gebraucht wurde. 


Protokoll eines Agglutinationsversuches mit der Stamm- 
lösung von weißen Bohnen. Probeobjekt: Mit 0,9%/,iger NaCl-Lösung 
hergestellte 5°/,ige Aufschwemmung von defibriniertem Hundeblut. 

I. 5 com Suspension als Kontrolle ohne Zusatz 
+ 1 com Stammlösung 


I.5 „ Š 
IL 5 „ a +2 , z 
IV. 6 n n + 3 n n 
NB, n + Yo n n zu l com el 
VI. 5 n n + ?/10 n n n 2 n 2 
VII. 5 n n + ?/i0 n n n 3 n de 
VII. 5 » n + 1/60 n n n 1 n S 
IX. 5 n n + 1/30 n n n 2 H Sé 
X. 5 n n + 1/20 n n n 3 n ch 
XL 6 » n + Yıoo » n n l n 2 
XII. 5 n n + 3/100 n n n 1 ” * 


Beginn der Agglutination macht sich bei II bis IV sofort, bei 
V bis X nach 5 Minuten bemerkbar. Nach 4 Stunden folgender Be- 
fund: Bei II bis VII ist völlige Agglutination eingetreten: einzelne 
Klümpchen hängen an der Wand des Glases, der bei weitem größte Teil 
der Blutkörperchen ist am Boden zu einem kompakten Klumpen zu- 
sammengeballt, der sich beim Umkehren des Glases nicht wieder auflöst: 
Das Filtrat ist klar, mikroskopisch frei von einzelnen Blutkörperchen. 
Bei VIII bis XII ist, gradatim absteigend, die Agglutination partiell: 
der Bodensatz zerteilt sich beim Umkehren des Gläschens minder oder 
mehr wieder; das Filtrat ist leicht bis stark rot getrübt und enthält mikro- 
skopisch unverklebte Blutkörperchen. In I keine Spur von Agglutination. 

Bei allen Proben ist geringe Hämolyse eingetreten, jedoch ist diese 
nur als Fäulniserscheinung anzusehen, denn auch das Serum der Kon- 
trolle ist deutlich gerötet. (Das Blut war nicht mehr ganz frisch.) 


Zur Biochemie deg Phasins; 233 


Ergebnis: In einer 5°/,igen Hundeblutsuspension wird, 
berechnet auf Bohnensubstanz als Einheit, noch bei einer Ver- 
dünnung 1:300 innerhalb 4 Stunden totale Agglutination herbei- 
geführt. Die Grenze für die partielle Agglutination ist bei der 
Verdünnung 1:6000 noch nicht erreicht. Da doch nicht die 
ganze Bohnenmasse aus Agglutinin besteht, sondern da letzteres 
höchstens der Eiweißmenge (25°/,) entsprechen kann, ja wohl 
nur einen verschwindend kleinen Teil der Bohneneiweißsubstanz 
ausmacht, so ist durch vorstehenden Versuch erwiesen, daß 
dieses Gift in viel, viel größerer Verdünnung als 1:300>< 4 
noch totale und in einer größeren Verdünnung als 1:6000 4 
noch partielle Hämagglutination hervorruft. 


Gleichartige Untersuchungen wurden nun an folgen- 
den Samen mit folgenden Ergebnissen vorgenommen: 
(Siehe Tabelle S. 234 u. 235.) 


Es bedeutet: -+ Agglutination in geringem Maße; — Ausbleiben 
derselben auch trotz mehrstündigen Wartens; T totale, P partielle Ag- 
glutination. Die arabischen Ziffern geben die Verdünnungen berechnet 
auf ganze Samensubstanz als Einheit an; sie bedeuten keine Grenzwerte, 
d. h. maximale Verdünnungen, bis zu denen man überhaupt gehen kann, 
sondern sie drücken die mehr oder weniger weit vor den Grenzen liegen- 
den Werte aus, bei denen in den jeweiligen Versuchsreihen in 5°/,igen 
Blutsuspensionen noch totale bzw. partielle Agglutination beobachtet 
wurde. Die römischen Ziffern bezeichnen die Stundenzahl, nach deren 
Verlauf das betr. Resultat abgelesen wurde. 


Obgleich die Wartezeiten, nach deren Verlauf der Befund 
erhoben wurde, äußerer Umstände wegen nicht immer gleich 
lang waren und schon aus diesem Grunde der Wert der Ta- 
belle nur ein bedingter ist, so geht doch aus dieser mit Sicher- 
heit hervor, daß von sämtlichen Samen diejenigen von 
Phaseolus vulgaris am kräftigsten wirken, wie dies auch 
schon von Landsteiner und Raubitschek auf Grund ihrer 
Versuche hervorgehoben wurde. Im Gegensatz zu den beiden 
Autoren konnte für die Vicia-Arten bei Karpfenblut keine 
(allerdings wurde auch hier wie in den allermeisten anderen 
Fällen allein das makroskopische Bild in Rechnung gezogen), 
bei Hammelblut dagegen wohl eine, wenn auch nicht beträcht- 
liche Agglutination beobachtet werden. 

 Extrakte aus Hülsen von Scohotenerbsen, aus jungen 
grünen Bohnen, aus Leinsamen führten keine Veränderung 


O. Wienhaus: 


234 








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Zur Biochemie des Phasins. 


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236 O. Wienhaus: 


an Hühnerblutkörperchen herbei. Desgleichen zeigte sich ein 
Auszug aus den Samen von Cassia absus wirkungslos gegen- 
über dem Blut von Katze, Kaninchen, Huhn. Gelegentlich 
zum Vergleiche angestellte Versuche mit Extrakt aus Abrus 
precatorius lieferten, wie nicht anders zu erwarten war, ein 
positives Resultat für die geprüften Blutarten: Schwein, Katze, 
Rind, Huhn, Taube. Die Vermutung, daß die Samen von 
Cassia absus wie die von Abrus precatorius wirken würden, hat 
sich nicht bestätigt. 


IV. Darstellung und Prüfung des Phasins, d.h. des Bohnen- 
agglutinins!) in gereinigterer Form. 


1. Darstellung. 


Wegen der relativ bedeutendsten Wirksamkeit ihrer Ex- 
trakte wurden die weißen Bohnen (Phaseolus vulgaris) zu einem 
eingehenden Studium ausgewählt. Als Übelstand erwies sich 
einerseits die leichte Zersetzbarkeit der Auszüge durch Fäulnis- 
erreger trotz Zusatz des Antisepticums, andrerseits war mit 
einem ungleichmäßigen Agglutiningehalt der verschiedenen Aus- 
züge zu rechnen, da doch das Bohnenmehl nicht jedesmal vöillg 
gleich feinpulvrig gemahlen und außerdem die Extraktionszeit 
nicht immer gleich (18 bis 24 Stunden) bemessen werden konnte. 

Zwar ergab sich kein Unterschied im Wirkungswerte bei 
verschiedener Konzentration aber gleicher Einwirkungszeit der 
zum Auszug verwendeten NaCl-Lösung, wie aus folgendem Ver- 
suche hervorgeht: 

Je 10 g feingemahlener Bohnen werden mit 500 com einer 0,9°%/,igen 
und einer 11°/,igen Kochsalzlösung 24 Stunden lang extrahiert. Prüfung 
mit 5°/,iger Kaninchenblutsuspension; Beide Stammlösungen wirken 
stark und, wie es scheint, in gleichem Maße. Darauf wird 10fach verdünnt, 
d. h. der 11°/,ige Auszug mit Aq. dest., der 0,90/,ige mit 1°/,iger NaCl- 
Lösung. Von diesen zwei Verdünnungen (Bohnensubstanz 1:500) wirken 
in vollständig gleicher Weise je 2 com auf 5 ccm der Blutsuspension 
binnen 1 Stunde völlig agglutinierend (1:1750), je 1 com aber nicht ganz 
total (1:3000). 


1) Der Name „Phaseolin“ konnte dem agglutinierenden Prinzip der 
Bohnen nicht gegeben werden, da er schon von Osborne und Clapp 
(Americ. Journ. of Physiol. 18, Nr. 3, 1907 und Zeitschr. f. analyt. Chem. 
48, Heft 2, 1909) einem aus den Bohnen isolierten, von ihnen rein 
chemisch untersuchten, krystallisierbaren Eiweißkörper beigelegt 
worden ist. Ferner paßt Phasin besser zu Abrin, Ricin, Crotin. 


Zur Biochemie des Phasins. 237 


Nun ließ sich aber leicht ermitteln, daß eine mit physio- 
logischer Kochsalzlösung gewonnene Stammlösung das Bohnen- 
pulver natürlich nicht erschöpft, d. h. nur einen Bruchteil des 
in den Bohnen vorhandenen agglutinierenden Stoffes enthält. 
Es wurde nämlich der Filterrückstand, von dem die Stamm- 
lösung abfiltriert war, noch einmal ausgezogen, und zwar mit 
11°/,iger NaCl-Lösung (250 ccm auf ursprünglich 50 g Bohnen). 
Bei Prüfung auf 5°/,ige Suspension von Menschen-, Pferde-, 
Hundeblut zeigte sich innerhalb weniger Minuten selbst auf Zu- 
satz von nur !/ „ccm des Auszugs (+ °/io oom Aq. dest.) zu 5 ccm 
Blutaufschwemmung (Verdünnung 1:300) totale Agglutination. 

Auf eine quantitative Gewinnung des Phasins aus den 
Bohnen habe ich keine Mühe verwandt, da das Ausgangs- 
material ja billig ist. Wohl aber kam es mir darauf an, für 
viele Versuche ein gleichmäßig wirkendes Präparat zu erhalten. 
Infolgedessen wurden, um ein solches Präparat von einiger- 
maßen konstantem Gehalt an Agglutinin zu finden, folgende 
Trennungsverfahren durchgeprüft. 


A. Mit Säure 20 oom Bohnenstammlösung, welche mittels 
physiol. CINa-Lösung gewonnen worden war, -+- 3 Tropfen verdünnter 
Salzsäure geben einen voluminösen Niederschlag (N), der durch Filtrieren 
abgetrennt wird. Das Filtrat, neutralisiert, wirkt noch stark aggluti- 
nierend. Weitere Tropfen von Salzsäure fällen aber nichts mehr (und 
weniger als 3 Tropfen waren ungenügend). Wird nach der Salzsäure 
auch noch gesättigte NaCl-Lösung zugesetzt, so ergibt sich noch eine 
minimale Fällung. Diese muß also wohl eine wirksame Substanz ent- 
halten, eetzt jedoch nicht ab. Der Niederschlag (N), in physiol. Koch- 
salzlösung suspendiert, wirkt ebenfalls nooh agglutinierend, birgt also 
auch wirksame Stoffe in sich, aber wohl nur, weil jeder voluminöse 
Niederschlag unser Gift teilweise mit niederreißt. Immerhin geht bei 
dieser Methode der Abscheidung stets etwas von der wirksamen Sub- 
stanz verloren. Sie wird daher nicht weiter benutzt. 

B. Mit destilliertem Wasser. Die mit Aq. dest. im Verhält- 
nisse 1:2, 1:3 bis 1:10 versetzte mittels physiol. CINa-Lösung gewonnene 
Stammlösung gibt eine voluminöse Fällung. Selbst aber bei 1:10 findet 
sich sowohl im Filtrat als auch im Niederschlag reichlich Agglutinin. 
Es scheint also ein wirksames Globulin (im Niederschlag) und ein wirk- 
sames Albumin (im Filtrat) vorhanden zu sein; oder die wirksame 
Substanz hängt locker teilweise am Albumin und teilweise am Globulin 
der Bohnensubstanz. Wiederholung bestätigt diesen Befund. Dabei 
stellt sich ferner heraus, daß das Globulin ohne Albumin in 0,9°|,iger 
NaCl-Lösung schlechter löslich ist als in konzentrierter. Extrahiert man 
Bohnenpulver (oder das noch zu bespreohende Mercksche Präparat) 


238 O. Wienhaus: 


mit destilliertem Wasser und setzt diesem später die erforderliche Menge 
CINa zu, um eine 0,9°%/,ige Kochsalzlösung zu erhalten, so wirkt diese 
weniger stark als wenn man mit 0,99%’ ‚iger CINa-Lösung ausgezogen hat. 
Ferner läßt sich hinterher aus dem Filterrückstand noch mittels physiol. 
NaCl-Lösung Gift ausziehen. Letzteres fällt beim Verdünnen der Lösung 
mit der zehnfachen Menge Aq. dest. wieder aus. Damit ist ebenfalls 
bewiesen, daß ein Teil des Agglutinins sich als Albumin und ein anderer 
als Globulin gewinnen läßt. 

C. Mit Alkohol. 50 ccm Bohnenstammlösung + 50 ccm Alkohol 
(96°/,) geben eine voluminöse Fällung. Das klare Filtrat enthält nichts 
Wirksames; es zeigt nach Zusatz sowohl von Alkohol als von physiol; 
NaCl-Lösung leichte Opalescenz; nach Einengung läßt sich durch 
1. Mayers, 2. Millons, 3. Esbachs Reagens, 4. durch die Biuret- 
reaktion die Anwesenheit einer Eiweißsubstanz (wohl Albumose) nach- 
weisen, aber deren Menge ist minimal; sie erweist sich ferner als un- 
wirksam. Sie wird durch Alkohol und Äther nur schwer ausgefällt. 
Außerdem enthält das Filtrat, ebenfalls spärlich, Salze und Zucker. Auf 
jeden Fall kann man durch diese Methode gewisse unwirksame Stoffe 
wegreinigen. Daher wurde diese Methode der Abscheidung aus dem 
mittels physiol. CINa-Lösung gewonnenen wirksamen Auszug zur Dar- 
stellung der festen wirksamen Substanz benutzt. Die beiden (of. B.) 
wirksamen Stoffe sind im Niederschlage enthalten und bedingen, daß 
dieser, in 50 ccm physiol. NaCl-Lösung gelöst, gerade so stark aggluti- 
nierend wirkte wie die Stammlösung. Der Niederschlag löst eich aber 
selbst beim Verdünnen auf 100 com nicht mehr ganz, weil durch zwölf- 
stündiges Stehen unter Alkohol die Löslichkeit (nicht aber die Wirksam- 
keit) abgenommen hat. Zur weiteren Reinigung werden 90 ocm der 
„Suspension“ (entsprechend 45 com Stammlösung) wiederum ää mit 
Alkohol versetzt und nach 16 Stunden filtriert. 

Dieser Filterrückstand enthielt also nun die sämtlichen in der 
Stammlösung vorhanden gewesenen agglutinierend wirkenden Substanzen 
sowie eine nicht unbeträchtliche Menge von unwirksamen Eiweißestoffen. 
Die agglutinierenden, welche zunächst als ein Gemisoh eines 
Albumins und eines Globulins erscheinen, nenne ich zu- 
sammengenommen Phasin. 

Beim Trocknen des Filterrückstandes im Vakuum werden sie mit 
den unwirksamen Eiweißstoffen zusammen als feines weißes Pulver ge- 
wonnen. Löst man dieses jetzt in physiol. CINa-Lösung, so bleibt die 
Hauptmenge der unwirksamen Stoffe auf dem Filter, während das 
Phasin ins Filtrat übergeht. Wir werden weiter unten erfahren, daß 
es durch Abverdauung noch weiter vom anhaftenden Eiweiß gereinigt 
werden kann. 

Nachdem ich mittels obiger Methode C mir wiederholt 
Präparate von immer gleicher Wirksamkeit hergestellt hatte, 
hat Prof. Kobert durch die Firma Merck ein solches Bohnen- 


giftpräparat in den Handel bringen lassen, welches als Aus- 


Zur Biochemie des Phasins. 239 


gangsmaterial für die Gewinnung von reinem Phasin recht be- 
quem ist. Ich werde dieses Präparat sowie die von mir selbst 
in analoger Weise dargestellten Pulver im nachstehenden viel- 
fach zu erwähnen haben. 

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Wirksamkeit 
des reinen Phasins in allen unten folgenden Ver- 
suchen naturgemäß viel, viel stärker ist als die an- 
gegebenen Zahlen, weil diese sich ja stets auf das trocken 
gewogene Gemisch wirksamer und unwirksamer Substanz be- 
ziehen. 

Der Einfachheit halber bezeichne ich im folgenden jedes 
von mir benutzte phasinhaltige nach obiger Methode gewonnene 
Pulver kurz mit B-A-P (Bohnenagglutininpräparat). 


2. Wirkung auf verschiedene defibrinierte Blutarten. 


L Mensch. Sowohl frisches als bis zu 2 Tagen altes Blut von ge- 
sundon Menschen kam zur Verwendung. Aus verschiedenen Versuchs- 
reihen ergab sich, daß totale Agglutination noch nachweisbar ist bei 
einem Zusatze von 0,5 mg B-A-P (enthalten in l com Flüssigkeit) zu 
5 ccm Blutsuspension 1), also bei einer Verdünnung 1 B-A-P:12000. Die 
Grenze liegt zwischen 1:12000 und 1:24000. 

Für die partielle Agglutination konnte ein einheitlicher Grenzwert 
nicht konstatiert werden. Das eine Mal war schon bei Verdünnung 
1:35000 nichts mehr von Verkleben der Erythrocyten wahrzunehmen ; 
ein anderes Mal dagegen trat noch bei 1:48000 teilweise Aggluti- 
nation ein. 

Vielleicht beruht diese Verschiedenheit der Ergebnisse darauf, daß 
im ersten Falle B-A-P von Merck, das schon etwa 1/, Jahr lang ge- 
lagert hatte, im zweiten Falle ziemlich frisches, selbst dargestelltes 
BAD benutzt wurde. — Die Ergebnisse wurden erst nach 15 bis 
17 Stunden abgelesen ; möglicherweise wären sie schon nach 4 Stunden 
ebenso ausgefallen. 

Von Interesse war es auch, foetales Menschenblut zu prüfen. 
Es wurde gewonnen durch Auspressen aus den Gefäßen einer frischen 
menschlichen Placenta. In der Suspension ließ sioh auch hier noch bei 
einer B-A-P-Verdünnung 1:12000 vollständige Agglutination erzielen. 
Die partielle wurde nur bis 1:22000 verfolgt. 

2. Pferd. Eine vollständige Verklumpung der roten Blutkörperchen 
innerhalb 14 Stunden fand sich noch in der Probe, bei der zu 5 ccm 
Blutsuspension 1 ocm einer um das Sfache verdünnten 1°/,igen filtrierten 
frischen Lösung von B-A-P zugesetzt war, also bei einer 48000fachen 
Verdünnung des letzteren. 


1) Gemeint ist stets 5°/,ige, falls nicht anders angegeben. 


240 O. Wienhaus: 


Wie weit man in der Verdünnung gehen kann, um eben noch par- 
Gelle Agglutination hervorzurufen, wurde nicht ermittelt. 


3. Schwein. Totale Agglutination führten herbei: 3 mg (gelöst 
enthalten in 3 ccm) innerhalb 1 Stunde; Verdünnung 1:2666; — 1 mg 
(in 1 com) innerhalb 24 Stunden; Verdünnung 1:6000. Die Grenze der 
teilweisen Agglutination liegt bei 24stündiger Wartezeit noch weit jen- 
seite von 1:12000, denn 0,5 mg vermochten innerhalb dieser Zeit noch 
ein fast völliges Zusammenballen der roten Blutkörperchen in der Sus- 
pension hervorzurufen. 


4. Hund. Totale Agglutination brachten in 5 com der Blutsuspen- 
sion zuwego 
innerhalb weniger Minuten 10 mg B-A-P (in 1 com), 
„ spätestens 1 Stunde 2 „ Pa 0% re: 
„ längstens 2 Stunden] „ e Feb ech 


entsprechend also Verdünnungen 1:600; 1:3500; 1:6000. Die Grenze 
der partiellen Agglutination war noch nicht erreicht bei 1:24000. 


5. Katze. Totale Agglutination erfolgte fast sofort bei einer Ver- 
dünnung 1:300. Dieselbe Wirkung innerhalb 4!/, Stunden bei 1:6000; 
binnen 18 Stunden bei 1:11000 und binnen 23 Stunden sogar noch bei 
1:60000. 

Versuche, die Grenze für die teilweise Agglutination der Suspension 
ennähernd zu ermitteln, wurden nicht gemacht. 


6. Kaninchen. Bei Verdünnung 1:3500 nach kurzer Zeit, bei 
1:7000 innerhalb 15 Stunden totale Agglutination der Suspension. Nach 
20stündiger Wartezeit fand sich partielle Verklumpung noch bei 1:12000, 
nicht mehr bei 1:35000. 


7. Meerschweinchen. Zwei Versuchsreihen mit Lösungen von 
einerseits frischem, andrerseits 3 Monate altem, schlechter löslichem 
B-A-P. (Von letzterem wurde 48 Stunden nach dem Lösen das aus- 
gefallene Eiweiß vor dem Gebrauche abfiltriert.) Es zeigte sich kaum 
ein Unterschied: bei den Proben mit frischem Material wurde bei einer 
Verdünnung 1:6000 schon nach 3/, Stunden totale Agglutination kon- 
statiert; bei den anderen Proben wurde erst nach 5 Stunden abgelesen, 
und zwar dasselbe Resultat. Bei einer Wartezeit von 24 Stunden fand 
sich hier vollständige Agglutination sogar noch bei 1:11000. 


8. Hammel. Während die bisher geprüften Säugetierblutarten 
alle leicht agglutinierbar waren, zeigte sich bei Hammelblut ein anderes 
Verhalten. 

Ich prüfte zunächst an einer Suspension von 2 Tage altem 
Hammelblut mit einer 6 Wochen alten, etwas faulig riechenden 1°/,igen 
Lösung von B-A-P, und zwar mit 1, 2, 3, 10, 20 mg B-A-P entsprechen- 
den Zusätzen. Nach 9 Stunden hatte sich in allen Gläschen ein Boden- 
satz gebildet; jedoch nur in der mit 20 mg B-A-P versetzten Probe 
zerteilte sich dieser Bodensatz bei gelindem Schütteln nicht ganz, wie 
dies in den anderen Proben und in der Kontrolle geschah. Ob wirklich 


Zur Biochemie des Phasins. 241 


auch in jenem Falle Agglutination vorlag, erschien ziemlich zweifelhaft. 
Erst nach 24 Stunden ließ sich mit einiger Gewißheit partielle Aggluti- 
nation erkennen, aber eben auch ausschließlich in der Probe mit 20 mg. 


Wiederholung des Versuchens mit ganz frisch bereiteter 1°/, iger 
Lösung von B-A-P ergab ungefähr dasselbe. Nach Verlauf von 
Gi Stunden zeigte sich nur in der mit 20 mg (in 2 ocm) versetzten 
Blutaufschwemmung etwas von Agglutination, indem sich hier allein 
der Bodensatz bei einmaligem Umkehren des Gläschens nioht gänzlich 
auflöste. Nach 24 Stunden konnte denn auch bloß in dieser Probe von 
einer teilweisen Agglutination die Rede sein. 


Es reiohen demzufolge selbst verhältnismäßig hohe Dosen von 
B-A-P nicht aus, um 5 ocm einer Hammelblutsuspension völlig zu ag- 
glutinieren, obendrein erfordert die partielle Agglutination, die eben noch 
bei 350facher Verdünnung hervorgerufen werden konnte, eine ziemlich 
lange Inkubationszeit, 


9. Rind. Noch ausgeprägter war die Reaktionslosigkeit dieser 
Blutart. Trotz häufig wiederholter Versuche, selbst an noch warmem 
Blute, mit alten und mit frisch bereiteten Lösungen von B-A-P und 
Dosen bis zu 50 mg war es nicht möglich, in der Rinderblutsuspension 
mit einiger Sicherheit Agglutination hervorzurufen, wenn auch die Warte- 
zeit auf 24 Stunden ausgedehnt wurde. Kalbeblut zeigte die gleiche 
Erscheinung. (Von Abrusextrakt 1:50 genügte dagegen L ccm, um eine 
sofort einsetzende, nach 1 Stunde totale Agglutination im Rinderblute 
zu erzeugen.) 


10. Huhn. 10 mg B-A-P (enthalten in 1 com Lösung) machten 
innerhalb 20 Minuten 5 ccm Blutaufschwemmung blutkörperchenfrei 
filtrierbar (Verdünnung 1:600). Nach 20 Stunden fand sich noch bei 
12000 facher Verdünnung totale sehr feste Agglutination. Mit weiteren 
Verdünnungen wurde nicht geprüft. 


11. Taube. Auf Zusatz von 10 mg (1:600) ist aus 5 ccm Blut- 
suspension schon nach 5 Minuten ein klares Filtrat zu erhalten; bei 
L mg (1:6000) desgleichen nach 1 Stunde 0,1 mg (in 1 com) bewirkte 
in einem Falle bereits nach 2 bis 3 Stunden, bei einer Wiederholung 
erst nach mehr Stunden eine totale Agglutination in 5 com Suspension; 
das bedeutet also eine 60000fache Verdünnung. Bei einer solchen von 
1:120000 trat allerdings keine Spur mehr von einer Verklumpung auf, 
selbst nicht in 20 Stunden. 


12. Sperling. Bei Verdünnung 1:6000 rasch (15 Minuten) teil- 
weise, aber nur langsam (18 Stunden) totale Agglutination der Blut- 
suspension. 


13. Frosch. 9 ccm einer 2°/ igen Blutaufschwemmung 4 1 ccm 
(entsprechend 10 mg) B-A-P-Lösung (mithin Verdünnung 1:1000). Nach 
wenigen Sekunden begann zwar die Agglutination, führte aber innerhalb 
3 Stunden nicht zur Bildung eines zusammenhängenden Koagulums. 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 16 


242 O. Wienhaus: 


14. Fisch (Karpfen). Die Blutsuspension erwies sich als un- 
empfindlich gegen das Bohnenagglutinin, trotzdem sogar die geringe 
Verdünnung 1:350 gewählt wurde. Es stimmt in diesem Punkte somit 
das Karpfenblut mit dem des Rindes überein. 


3. Wirkung auf intakte rote Blutkörperchen. 


Intakte Erythrocyten wurden durch Absetzenlassen aus defibri- 
niertem Blute gewonnen, mit physiologischer Koohsalzlösung gewaschen 
und mit dieser dann aufgeschwemmt zu einer 21/,°/,igen Suspension, die 
ungefähr der 5°/,igen Suspension des defibrinierten Blutes entspricht. 


1. Pferdeblutkörperchen. In 5 com der Suspension bewirkten 
innerhalb 2 Stunden von B-A-P (in je 1 com gelöst enthalten) 1 mg 
totale, 1/ mg fast totale, 1,30 mg noch geringe Agglutination. 

Die Grenze für die völlige Verklumpung liegt danach zwischen 1: 6000 
und 1:12000, diejenige für partielle nahe bei 1:180000. Bei ver- 
längerter Inkubationszeit würde mit der größten Wahrscheinlichkeit auch 
hier, wie bei der 5°/,igen Blutsuspension nach 14 Stunden, noch eine 
Verdünnung 1:48000 Total-Agglutination herbeigeführt haben. 


2. Kaninchenblutkörperchen, Eine annähernde Grenzbestim- 
mung wurde nicht vorgenommen. 5 ccm der Aufschwemmung ergaben 
auf Zusatz von 1l com Lösung (entsprechend 1 mg B-A-P) nach 45 Minuten 
bereits ein klares Filtrat, d. h. die Agglutination war in diesem Falle 
total bei einer Verdünnung 1:6000. 


3. Hühnerblutkörperchen. Bei einer Versuchsreihe mit 2!/,- 
0/,iger Suspension wurde nach 5 Stunden abgelesen: Totale Agglutination 
noch bei 1:26666; Grenze für die partielle jenseits von 1:60000. In 
einer anderen Versuchsreihe mit 5°’ ‚iger Blutkörperchenaufschwemmung 
ließ sich nach 20 Stunden erkennen: Totale Agglutination noch bei 
1:12000; nicht unbeträchtliche partielle bei 1: 30000, ja sogar 1:60000. 
Auf zwischen 1:12000 und 1: 30000 liegende Werte wurde nicht ge- 
prüft. 

4. Karpfenblutkörperchen. Eine in 2 com physiol. Kochsalz- 
lösung enthaltene Menge von 20 mg B-A-P hatte nach 6 Stunden etwas 
Agglutinationähnliches in 5 com der Suspension hervorgebracht. Jedoch 
ließ sich durchaus nicht mit Bestimmtheit diese Veränderung als 
echte Agglutination deuten, da sich ganz und gar nicht, in der ge- 
wöhnlichen Weise ein fester Bodensatz gebildet hatte. Dem Fischblut- 
serum scheint demnach eine Agglutination verhindernde Kraft nicht 
innezuwohnen, sondern die Inagglutinabilität liegt in Eigenschaften der 
Karpfenblutkörperchen selbst begründet. 


4. Wirkung auf mit Formalin gehärtete Erythrocyten. 


Versuch 1. Katzenblutkörperchen, 2 >< 24 Stunden in einem 
großen Überschuß von 3,6°/,igem Formalin gehärtet, dann durch Waschen 
vom Formalin befreit und in physiol. NaCl-Lösung 21/,%/,ig. also etwa 
6°/,igem Blute entsprechend, suspendiert. Gläschen I: 10 com Suspen- 


Zur Biochemie des Phasins. 243 


sion als Kontrolle; Gläschen II: 10 com Suspension + 1 com eincr 1%/,igen 
B-A-P-Lösung. Nach 15 Stunden haben sich die Körperohen in II voll- 
ständig auf den Boden abgesetzt; in I sind sie auch gesenkt, aber weit 
weniger dicht. Nach Aufschütteln fallen sie in II binnen wenigen Minuten 
zu Boden, in I dagegen erst nach Stunden. Ein zusammenhängender 
Kuchen, zu welchem die intakten Erythrocyten zusammengeballt zu werden 
pflegen, hatte sich jedoch nicht gebildet. 


Versuch 2. Katzenblutkörperchen, 4 Monate hindurch unter 
3,6°%/,igem Formalin gehärtet; sie bilden am Grunde des Gefäßes einen 
braunen, festen Satz, von dem sich das Formalin bequem völlig ab- 
gießen läßt und der sodann durch kräftiges Schütteln und Losreiben mit 
einem Glasstabe mit physiol. Kochsalzlösung zu einer gleichmäßigen, 
etwa 21/,°/,igen Suspension aufgeschwemmt wird. 


I. 5 ccm dieser Suspension zur Kontrolle ohne Zusatz 


I.5 „ e S +4 com B-A-P-Lösung (entspr. 20 mg) 
I.5 vu 2 e +2 „ „ ( » ID wi 
IV. 5 en D „ +1 TT T ( 99 5 „ ) 
Vb», » e +2 „ „ ( » l») 
VI. 5 „ „ IT + l » „ ( II 0,5 „ ) 
VII. 5 9 s» np + 2 nm d ( nm 0,1 DW 


Bei II bis IV sofortiger Beginn einer Art von Agglutination be- 
merkbar; nach 10 Minuten hat sich der größte Teil der Blutkörperchen 
als flockiger Niederschlag am Boden dieser Gläschen abgesetzt, die über- 
stehende Flüssigkeit ist noch leicht bräunlich getrübt. Nach 3 Stunden 
hat sich in allen Gläschen, auch in der Kontrolle, ein Bodensatz gebildet, 
der sich durch einfaches Umkehren der Gläschen wieder vollständig löst, 
bei II bis IV darauf am schnellsten, in der Kontrolle am langsamsten, 
wieder sich zu Boden senkt. Nach 24 Stunden status idem. 


Versuch 3 Gleiche Blutkörperchen wie bei 2. 
L Beem der Suspension zusatzfrei, 
IL-6 ae g S +2 eem der B-A-P-Lösung (20 mg). 


Sehr bald sinken in II die Blutkörperchen zu Boden, eine nur 
leicht bräunlich getrübte Flüssigkeitsschicht über sich lassend. Nach 
1 Stunde werden beide Proben filtriert: Bei I wird das Filter schwach 
braun gefärbt, das Filtrat ist dunkelbraun, stark trübe, fast wie vor dem 
Filtrieren. Bei II erhält das Filter einen dicken, dunkelbraunen, glän- 
zenden Überzug; das Filtrat ist nur etwas hellbraun getrübt. Diese 
Trübung setzt bald ab; die darüberstehende Flüssigkeit ist klar. 


Ergebnis: Auch auf rote Blutkörperchen, die 2 Tage, ja 
auch auf solche, die 4 Monate lang mit 3,6°/,igem Formaldehyd 
gehärtet wurden, übt das Bohnenagglutinin eine Einwirkung 
aus. Diese zeigt sich namentlich in der Vermehrung der 


Senkungsgeschwindigkeit. Größere zusammenhängende Ko- 
16* 


244 O. Wienhaus: 


agula werden nicht gebildet,’) es kommt nur zu einer geringen 
Verklebung, infolge deren die Blutkörperchen durch die Filter- 
poren allergrößtenteils nicht mehr hindurchgehen können. 

Guyot?) fand u. a. auch für Bohnenagglutinin bezüglich 
der Agglutinabilität und des Agglutinationsmodus keinen Unter- 
schied zwischen normalen und 24 Stunden lang mit Formalin 
gehärteten Blutkörperchen. Für länger gehärtete Erythrocyten 
muß nach vorstehendem ein derartiges völliges Übereinstimmen 
von der Hand gewiesen werden. 


5. Wirkung auf Stromata der Erythrocyten. 


Die bereits von Stillmark (l. c.) festgestellte, von v. Lieber- 
mann?) und Guyot?) neuerdings bestätigte Tatsache, daß den 
Angriffspunkt des Ricin-Agglutinins die Stromata der roten Blut- 
körperchen bilden, ließ sich auch für das Bohnenagglutinin 
als gültig erwarten. In diesem Sinne wurden folgende Versuche 
ausgeführt. 


Versuch 1. Von defibriniertem Kaninchenblute wird das Serum 
soweit als möglich abpipettiert, die zurückbleibende Blutkörperchenmasse 
mit der zehnfachen Menge Aq. dest. versetzt, geschüttelt und einmal 
durch Papier filtriet. Da die Stromata der Blutkörperchen nur zum 
kleineren Teile von einem gewöhnlichen Filter zurückgehalten werden, 
während der größere Teil in das rote Filtrat übergeht, wurde meist von 
mir nicht filtriert, sondern der beim Stehen sich bildende weiße Boden- 
satz verwendet, nachdem er mit physiol. NaCl-Lösung gemischt worden 
war. Von diesem werden nun aufgestellt: 


I. 5 ccm als Kontrolle, 
11.5 „ -+2ccm B-A-P-Lösung (20 mg), 
111.5 „p +1 » e (10 „). 

Bei II und III sofort Bildung eines Niederschlages bemerkbar. 
Nach 24 Stunden in allen Gläschen ein Bodensatz, der sich bei I auf 
einmaliges Umkehren scheinbar gänzlich löst, so daß die Flüssigkeit ein 
vollständig homogenes Aussehen zeigt. Bei II und III wird durch die 
Prozedur der Bodensatz feinflockig in der Flüssigkeit verteilt und setzt sich, 
als diese verdünnt wird, ziemlich schnell wieder ab als voluminöse Masse. 
Durch Filtrieren gelingt es unschwer, den nahezu farblosen Niederschlag, 
d. h. die agglutinierten Stromata, zu isolieren. 


1) Dasselbe wurde von v. Liebermann (Sind Toxine Fermente? 
Deutsche med. Wochenschr. 1905, 1301) für Ricin beobachtet. | 

2) Centralbl. f. Bakt. 48, Heft 3, 1908. 

3) Aıchiv f. Hygiene 62, Heft 4, 1907. 

4) Centralbl. f. Bakt. 48, Heft 3, 1908. 


Zur Biochemie des Phasins. 245 


Versuch 2. Mit Bestandteilen des Hühnerblutes. 
I. 5ccm Serum als Kontrolle, 
I.5 „ » —-1com B-A-P-Lösung (10 mg), 

III. 5 „ einer unfiltrierten 5°/,igen Lösung von Blutkörperchen 

in Aq. dest. als Kontrolle, 

IV. 5ccm dieser Lösung + 1 com B-A-P-Lösung (10 mg). 

Nach 24 Stunden sind I und II unverändert klar, ohne Bodensatz; 
bei III ist das Stroma feinkörnig ausgefallen; bei IV liegt am Boden ein 
kompaktes, fast weißes Gerinnsel, bestehend also aus den agglutinierten 
Stromata. 

Versuch 3. Katzenblut wird durch Aq. dest. hämolysiert. Die 
dabei frei gewordenen Stromata werden isoliert und in Aq. dest. wieder 
suspendiert. I. 5 com dieser Suspension +- 1 com physiol. NaCl-Lösung: 
Keine siohtbare Veränderung innerhalb 1 Stunde. II. 5 com der Suspen- 
sion -- 20 mg gelöstes B-A-P: Sofort entsteht ein ganz weißer, keinen 
zusammenhängenden Klumpen bildender Niederschlag. IH. 5 ccm der 
Suspension + 1 mg B-A-P: Nach 1 Stunde ein voluminöser feinflockiger 
Niederschlag. Eine Wiederholung mit Suspension der Stromata in physiol 
NaCl-Lösung führt zu denselben Erscheinungen. In den Kontrollen (D 
fallen die Stromata auch schließlich aus, aber ungemein viel langsamer 
und weniger flockig. 

Versuch 4. Stromata von Katzenblutkörperchen werden 2 Tage 
lang mit 3,6°/ ,igem Formalin fixiert und dann in physiol. NaCl-Lösung 
suspendiert. Ein Zusatz von größeren Dosen B-A-P bewirkt, daß das 
Stroma schon nach 5 Minuten zu sichtbaren Flocken zusammengeballt 
ist, während es in der Kontrollprobe (Zusatz von l oom physiol. NaCl- 
Lösung) nach dieser Zeit noch vollkommen fein suspendiert ist. 

Ergebnis: In ganz gleicher Weise, wie bei den seither 
bekannten pflanzlichen Agglutininen, bildet auch für das Bohnen- 
agglutinin der in destilliertem Wasser unlösliche Teil der roten 
Blutkörperchen, d.h. das Stroma, den Angriffspunkt bei 
der Agglutination. lIsolierte Stromata zeigen jedoch gegen- 
über den intakten Erythrocyten den Unterschied, daß sie nicht 
zu einem kompakten Klumpen, sondern zu vielen kleinen Klümp- 
chen zusammengeballt werden. Durch Formalin gehärtete 
Stromata bleiben dem Einfluß des Agglutinins auch noch unter- 
worfen. — In Hühnerblutserum tritt keine Präcipitation in- 
folge der Anwesenheit kleiner Mengen von Bohnenagglutinin ein. 


6. Wirkung auf gelöstes Hämoglobin. 
In Lösungen von Hämoglobin, die vermittels Aq. dest. 
aus den roten Blutkörperchen dargestellt wurden, zeitigte ein 
Zusatz von B-A-P-Lösung niemals eine Wirkung; weder in Ge- 


246 O. Wienhaus: 


stalt einer Niederschlagsbildung, noch in irgendeiner anderen 
Weise. 

Ergebnis: Zu einer regelrechten Agglutination 
mit umfassender inniger Verklebung der Erythrocyten 
ist also deren Integrität erforderlich. Ob für die ab- 
weichende Erscheinung an den isolierten Stromata der Austritt 
des Hämoglobins verantwortlich zu machen ist, muß, zumal 
dieses auf Phasin nicht reagiert, als sehr fraglich hingestellt 
werden. Vielmehr ist wohl hierbei zu berücksichtigen, daß bei 
der Auflösung der roten Blutkörperchen nicht etwa eine quanti- 
tative Teilung in Hb und alles übrige (== Stroma) erfolgt, 
sondern daß wir bei dieser Auflösung drei Teile unterscheiden 
müssen: 1. das Hb, 2. das ausfallende Stromaeiweiß, 3. das in 
Lösung gehende Lecithin, welches wohl auch einen Teil des 
Cholesterins mit in Lösung hält. Das des Lecithins be- 
raubte Stromaeiweiß verhält sich aber den Aggluti- 
ninen gegenüber ganz anders als die in den intakten 
Blutkörperchen vorhandene chemische Verbindung 
von Lecithin -+ Cholesterin 4 Stromaeiweiß. Bei der 
Härtung mit Formalin bleiben Lecithin und Cholesterin un- 
verändert, aber das Stromaeiweiß geht eine chemische 
Verbindung mit dem Formalin ein, welche seine physi- 
kalischen Eigenschaften schwer alteriert. 


7. Wirkung auf Eiterkörperchen. 


Vom Menschen stammender, 1 Tag alter Eiter wird mit 
physiol. Kochsalzlösung gewaschen und dann in solcher Lösung 
5°/,ig suspendiert. Zusatz von 2 bis 0,5 mg BAD (gelöst) 
bewirkt innerhalb kurzer Zeit, nach deren Verlauf die Kontrolle 
noch unverändert ist, eine merkbare Zusammenballung der Eiter- 
körperchen und baldiges Absetzen der Klümpchen am Glas- 
boden. Aufschütteln beseitigt die Erscheinung; sie kehrt jedoch 
nach 15 bis 20 Minuten zurück. Also auch die Leukooyten 
werden durch das Phasin zu einer Art von Verklum- 
pung und zum schnellen Ausfallen aus der Suspen- 
sionsflüssigkeit gebracht. 


8. Wirkung auf Zellbrei von tierischen Organen. 


1. Leberzellen. Völlig blutfreie Leberzellen einer Katze werden 
in physiol Kochsalzlösung suspendiert und je 5 ccm dieses Gemisches in 


Zur Biochemie des Phasins; 247 


Gläschen gefüllt. Während 2 Gläschen als Kontrollen ohne Zusatz bleiben, 
werden zu drei anderen je 10, 2 und 1 mg B-A-P (gelöst) hinzugefügt. Nach 
5 Stunden haben sich in letzteren Proben die Zellen zu einem zusammen- 
hängenden Klumpen vereinigt, der durch mäßiges Schwenken nicht zu 
zerteilen ist; in den zwei Kontrollen ist jede Zelle einzeln geblieben 
Die Verklebung ist bei 10 mg sehr fest, bei 2 mg minder stark, bei 1 mg 
noch schwächer, hier auch nicht total. Energisches Umschütteln zerteilt 
die Klumpen zwar, aber sie kleben nach !/, Stunde am Boden wieder 
zusammen. Die mikroskopische Struktur dieser Zellen ist, im Gegensatz 
zu denen der Kontrollen, was die Peripherie der Zellen anlangt, gar nicht 
mehr zu erkennen, nur die Kerne sind noch erhalten. 

Ein analoger Versuch mit Hundeleberzellen (mit frischen so- 
wohl als auch mit 24 Stunden lang gehärteten) lieferte ein analoges 
Resultat. 

Bei einem Versuche mit Hühnerleberzellen erwies sich der Gly- 
kogengehalt als Hindernis gegen die Wirkung des Agglutinins. Erst als 
das Glykogen durch Auslaugen mit Wasser ziemlich beseitigt war, zeigten 
sich auch hier die eben beschriebenen Erscheinungen, jedoch nur auf 
Zusatz großer Mengen (50 mg in 5 ccm gelöst auf 5 ccm Zellsuspension) 
des B-A-P. (In diesem Falle gemachte Vergleichsversuche mit Lösungen 
von Ricin, Abrin, Crotin, Robin ließen das Bien wirksamer als das 
B-A-P erscheinen.) 

2. Nierenzellen. Ein junger Hund wird entblutet und aus den 
blutfreien Nierenzellen mit physiol. Kochsalzlösung eine Suspension her- 
gestellt. Davon je 5 com. Mit 2 und 1 ccm einer 1°/,igen B-A-P-Lösung 
versetzte Proben lassen nach 1!/, Stunden starke Agglutination erkennen; 
in den Kontrollen keine Veränderung. 


3. Dünndarmschleimhautzellen. Aus dem Dünndarm desselben 
Tieres gewonnene Mucosazellen, in physiol. NaCl-Lösung suspendiert, 
zeigen auf Zusatz von 10 und 20 mg B-A-P zu 5 com nicht die geringste 
Beeinflussung, selbst nicht nach Verlauf von 24 Stunden. 


Ergebnis: Analog wie durch Ricin, Abrin, Crotin, Robin!) 
werden die in physiol. NaCl-Lösung suspendierten Zellen ein- 
zelner Körperorgane durch Phasin agglutiniert und 
verändert. Dies wurde für Katzen-, Hunde-, Hühnerleber- 
zellen und für Hundenierenzellen ermittelt. Glykogengehalt 
der Leberzellen wirkt hindernd auf die Beeinflussung, 24stün- 
dige Härtung dagegen kaum. Auf Zellen der Dünndarmschleim- 
haut (des Hundes) vermag das B-A-P in vitro keine verändernde 
Wirkung auszuüben. Diese Resistenz des Darmepithels, die in 
anderer Weise für Abrin schon von R&pin*) dargetan worden 


!) Lau, Über veget. Blutagglutinine. Diss. Rostock 1901. 
23, Repin, Annales de l’Inst. Pasteur 9, 517, 1895. 





248 O. Wienhaus: 


ist, ist vielleicht auf den Gehalt an Mucin zurückzuführen, 
welcher somit eine von der Natur für diese funktionswichtigen 
Zellen und infolgedessen auch für den Gesamtorganismus ge- 
troffene Schutzeinrichtung bildet. 


9. Wirkung auf Milch. 


Von frischer roher Kuhmilch bleiben 5 com zur Kontrolle 
zusatzfrei; 3 andere Portionen von je 5 ccm werden mit 2, 1, 
0,5 mg B-A-P (in Lösung) versetzt und alle Gläschen in den 
Thermostaten (38°/,°C) eingesetzt. Innerhalb 1!/, Stunden 
zeigte sich keine Wirkung in Gestalt einer Gerinnung, wie diese 
nach Elfstrand und Lau auf Zusatz von Ricin, Crotin, Abrin 
zu der Milch eintritt. Ob gerade besonders die Milch der Kuh, 
deren Blutkörperchen als inagglutinabel erkannt worden sind, 
diese Resistenz gegen das Bohnenagglutinin besitzt, oder ob 
auch die Milch anderer Tiere sich ebenso verhält, muß vorläufig 
dahingestellt bleiben. 


10. Wirkung auf gelöste Eiweißstoffe. 


Versuch 1. Von je 3 com (a, b, c) einer anscheinend klaren, 
serösen, gelblich gefärbten Kniepunktionsflüssigkeit bleibt a ohne 
Zusatz, zu b wird l com physiol. NaCl-Lösung, zu o l ccm B-A-P- 
Lösung (entsprechend 10 mg) hinzugefügt. 

Nach 48 Stunden bei a und b ganz geringer, bei c stärkerer Boden- 
belag, sonst keine Veränderung. Die Prüfung der Bodensätze mit frischer 
Lösung von Guajaconsäure + H,O, liefert Blaufärbung; die Bodenbeläge 
bestehen demnach wohl nur aus Blutkörperchen, die bei e eine Aggluti- 
nation erfahren haben. 

Versuch 2. Zerrührtes Hühnereiweiß wird mit physiol. NaCl- 
Lösung auf das doppelte Volumen verdünnt und filtriert. Von diesem 
Filtrat bilden 5 cem die Kontrolle, weitere je 5 ccm werden mit 2 oom 
und Leem B-A-P-Lösung (entsprechend 20 und 10 mg) versetzt. Selbst 
nach Verlauf von 24 Stunden ist keine Veränderung erkennbar. 

Versuch 3. 1,0g Eukasin wird mit 100 com physiol. Kochsalz- 
lösung eine Zeitlang gekocht. Die Flüssigkeit erscheint gleichmäßig 
milchweiß getrübt ohne erkennbare Partikel; sie reagiert neutral. Von 
dieser Lösung bleiben 5 ccm als Kontrolle ohne Zusatz, zu je 5 oom 
werden 2 und Leem B-A-P-Lösung (entsprechend 20 und 10 mg) ge- 
fügt, weitere 5 ccm werden schwach alkalisch gemacht und dann mit 
2ccm (20 mg) B-A-P-Lösung versetzt, Nach 24 Stunden in keinem 
der Gläschen ein Niederschlag oder sonst irgendeine Veränderung. 


Ergebnis: Hatte schon das Hühnerserum (s. o.) sich als 
unbeeinflußbar durch Phasin erwiesen, so zeigten dasselbe nega- 


Zur Biochemie des Phasins: 249 


tive Verhalten ferner andere gelöste Eiweißstoffe enthaltende 
Flüssigkeiten: seröses Exsudat, Hühnereiweißlösung, 
Caseinlösung, indem hier weder eine Präcipitation noch 
eine Gerinnung eintrat. 


11. WirkungdesBohnenagglutinins aufdas Williamssche 
Froschherz. 

Frisch dargestellte Stammlösung 1:5 wird in einer Menge von 
3 com zu 150 com Ringerscher Lösung zugesetzt und durch das Herz 
länger als eine halbe Stunde durchgeleitet, ohne daß sich eine merkbar 
schädigende Wirkung zeigt. Eher werden die Bewegungen des Herzens, 
welches schon 11/, Stunden lang am Williamssohen Apparate geschlagen 
hatte, kräftiger. 

Ergebnis: Bohnenagglutinin in enormer Konzentration 
hat binnen ?/, Stunde auf dasblutfreidurchströmteFrosch- 
herz keinerlei schädigende Wirkung. (Nach Stillmark 
(l. ol ist auch Ricin ohne Einwirkung auf das blutfreie Frosch- 
herz). 


12. Wirkung auf den ganzen lebenden Organismus. 


Der allgemein bekannten und bereits besonders betonten 
Ungiftigkeit der Phaseolus-vulgaris-Samen entsprechen die Ver- 
suchsresultate von Landsteiner und Raubitschek (Lei 
nach denen weder durch Einträufeln der Extrakte in den Binde- 
hautsack des Kaninchenauges Reizerscheinungen, noch durch 
intraperitoneale Einverleibung von Gramm-Dosen bei verschie- 
denen Tieren Allgemeinsymptome veranlaßt wurden (nur eine 
Maus starb 48 Stunden nach der Injektion von Ze 

Bei unseren Versuchen mit B-A-P, gelöst in physiologischer 
NaCl-Lösung, zeigte sich folgendes: 

I. Großes Kaninchen (3200 g; gravid.). Injiziert intravenös (Ohr- 
randvene) am 1. Tag 40 mg (in 2 ccm), 2. und 3. Tag je 80 mg (in je 
4 ccm). 2 Stunden nach der letzten Injektion Tier noch normal. Am 
anderen Morgen tot. Sektionsbefund: In den Lungen zahllose schwarz- 
rote Stellen, die den Eindruck von Hämorrhagien (Embolien?) machen. 
Auch unter dem Perikard, entsprechend dem Verlauf der Koronargefäße 
solche Flecke. Nierenrinde blaurot geschwollen. Einzelne kleine, zum 
Teil anscheinend ältere Blutaustritte in der Magenschleimhaut. 

Herzblut, sorgfältig aufgefangen, wird prompt agglutiniert von relativ 
kleinen Dosen B-A-P-Lösung. 

II. Kleines Kaninchen (910 g). Mit einer Zwischenpause von 
19 Stunden je 10 ccm einer 1°/,igen B-A-P-Lösung, also im ganzen 


250 O; Wienhaus: 


200 mg B-A-P, subcutan. Tod des Tieres 12 bis 24 Stunden nach der 
letzten Injektion. Sektionsbefund: Makroskopisch in der Lunge; der 
Bauchmuskulatur, an der Mageninnenwand ganz beschränkte Hämorrhagien. 
Mesenterium intakt. Harn alkalisch, ohne Eiweiß, agglutiniert Schweine- 
blut nicht. 

III. Meerschweinchen (300 g). Subcutan 

am 1. Tage 5 com Lösung (entsprechend 5 mg B-A-P), 

„ 2. und 3 Tag je 5 com Lösung (entsprechend je 50 mg B-A-P), 

„ 4. Tag 10 ccm Lösung (entsprechend 100 mg B-A-P). 
Etwa 4 Stunden nach der zweiten Injektion 2 Foeten abortiert; All- 
gemeinbefinden aber anscheinend unverändert. Tod etwa 12 Stunden 
nach der letzten Einspritzung. Sektionsbefund: Im Mesenterium längs 
der Gefäße zahlreiche kleine Blutextravasate, desgleichen an der Innen- 
seite der Bauchwand. Sonst makroskopisch keine Veränderungen. 

IV. 2 Fröscohen (Eskulenten) werden gleichzeitig je 100 mg B-A-P 
subcutan injiziert. Nach Verlauf von 24 Stunden der eine tot. Sektions- 
befund: Keine Veränderungen an den Organen. Der überlebende Frosch er- 
hält wiederum 100 mg suboutan und ist nach 2 Stunden tot. Sektions- 
befund: Unter der Serosa des Dünndarms zahlreiche, senkrecht zur Längs- 
axe des Darmes gerichtete Blutaustritte (Gefäßverlegungen?). Mucosa des 
Darmes normal. 

V. Eine Kröte (Bufo cinereus) bekommt eine Subcutaneinspritzung 
von 150 mg B-A-P auf einmal, Nach 2 Stunden ist das Tier im Sterben; 
das Herz schlägt nur noch schwach. Sektionsbefund: Blut aller Organe 
ist agglutiniert; die unter die Rückenhaut gespritzte B-A-P-Lösung ist 
gänzlich resorbiert. 


Aus diesen 5 Versuchen ersieht man, daß durch enorme 
Dosen unserer Substanz sich wohl Giftwirkungen erzielen lassen, 
bei Warmblütern, namentlich bei direkter Einspritzung ins Venen- 
system und bei Kröten auch subcutan. Indessen können bei 
so großen Dosen auch Nebenumstände mitgewirkt haben, wie 
namentlich mechanische Gefäßverlegungen durch die trotz Fil- 
tration doch nicht immer völlig klaren Lösungen. Hier müssen 
durchaus noch weitere Versuche an recht verschiedenen Tier- 
arten gemacht werden. Über diese wird später publiziert. 

Daß trotz großer Dosen bei manchen Tieren keine Ver- 
giftung aber auch keine Bildung von Gegengift erfolgte, zeigen 
folgende Versuche: 

VI. Junge Katze (800 g). Subcutan an zwei aufeinander folgenden 
Tagen je 500 mg B-A-P. Der in dieser Zeit produzierte Urin ist klar, 
enthält weder Albumen noch Zucker und besitzt weder agglutinierende 
noch antiagglutinierende Eigenschaften. 2 Stunden nach der letzten In- 


jektion völliges Wohlbefinden; das Tier wird entblutet. Das Blut ver- 
hält sich dem Phasin gegenüber wie normales: in 5°/,iger Suspension 


Zur Biochemie des Phasins. 251 


bei 6000 facher Verdünnung des B-A-P innerhalb 5 Stunden alle Blut- 
körperchen total verklebt; diese auch durch Extrakt aus Abrus preca- 
torius und aus Vicia hybrida agglutinabel. 


VII. Taube (mittleres Gewicht) subcutan injiziert am 

1. Tag 40 mg B-A-P, 

2 8, , 

3. n 200 n n 

4. und 5. „ je 250 mg B-A-P. 
Tier bleibt gesund, wird durch Entbluten getötet. Blut wird ebenso wie 
normales leicht agglutiniert. | 
Ergebnis: Gerade Katze und Taube, deren Blutkörperchen 

in vitro ganz außerordentlich empfindlich gegen das Phasin sind, 
blieben, trotzdem gerade ihnen die höchsten Dosen (1000 bzw. 
620 mg) verabreicht wurden, durch diese unbeeinflußt. Auch die 
Bildung eines Antiagglutinins im Blute der Tiere zeigte 
sich nicht; ferner kam es nicht zu Ausscheidung von Agglutinin 
durch die Nieren. Und doch gelingt es selbst bei innerlicher Dar- 
reichung von Bohnen unter Umständen deren Giftigkeit zu er- 
weisen. Nach Geh.-Rat Kellner!) starb ein Schwein, welches 
ausschließlich mit Bohnen gefüttert wurde, innerhalb kurzer 
Zeit. Da indessen für gewöhnlich wohl nie ein Tier und noch 
weniger ein Mensch ausschließlich Bohnenkost — und noch da- 
zu roh — genießen wird, ist die Gefahr der Bohnenvergiftung 
der Haustiere und des Menschen fast Null. Selbst bei sub- 
cutaner Einverleibung sind heroische Dosen erforderlich, um 
toxisch zu wirken. Für die Landwirtschaftslehre ergibt sich 
von neuem die Richtigkeit gemischter Kost. 


13. Immunisierungsversuche nach Cornevin. 


Von Cornevin?) ist berichtet worden, daß man durch 
zweistündiges Kochen eines mit 10°/, (gem Salzwasser gewonnenen, 
filtrierten Extraktes aus Ricinusölkuchen eine Flüssigkeit erhält, 
die, Tieren subcoutan eingespritzt, diese gegen Ricin immun 
mache. Auf diesem Wege wäre also eine Immunisierung gegen 
Ricin, die nach der Ehrlichschen Methode doch immerhin 
schwierig und umständlich ist, geradezu spielend leicht gemacht ; 
indessen hat wohl bisher, soweit ich mich orientieren konnte, 


1) Mündliche Mitteilung an Herrn Prof. Kobert. 
D Annales agronomiques 23, 289; referiert in Biedermanns Centralbl. 
f. Agrikulturchemie 1898, 812. 


252 O. Wienhaus: 


keiner von den anderen Autoren, die über Ricin und Ricin- 
immunität gearbeitet haben, das Verfahren Cornevins nach- 
geprüft. Ich machte daher eigene Versuche. 


I. 1 g B-A-P wird mit 100 ccm allerdings nicht 10°/, iger, sondern 
physiologischer NaCl-Lösung 2 Stunden lang gekocht, dann zur Aus- 
schaltung des durch das Kochen ausgefällten Eiweißes filtriert. Das 
Filtrat (F) reagiert auf die verschiedenen vorgenommenen Eiweißproben 
positiv, enthält also einen modifizierten Eiweißkörper, der durch das 
Kochen nicht ausgefällt worden ist. Reagensgläschen mit je 5 ccm 
Kaninchenblutsuspension: 

I. Als Kontrolle ohne Zusatz, 
oO. +1 ccm von F, 
DL 4-1 „ „ F+1mg B-A-P (in 1l ocm), 
We a a Pa a mia 
V. +1 mg B-A-P (in 1 cem). 
Sehr bald ist in III bis V Agglutination zu bemerken; sie ist nach 
4 Stunden vollständig. Bei I und II keine Veränderung. 

II. Um einem eventuell zu erhebenden Einwande, daß doch ein 
Antiagglutinin gebildet sein könne, daß diesem aber Zeit gelassen werden 
müsse, sich in den Blutkörperchen zu verankern, zu begegnen, wurden 
je 5 com Bluteuspension versetzt mit 5 ccm F und dazu erst nach 
17 Stunden wirksame B-A-P-Lösung hinzugefügt. Es zeigte sich, daß 
die gekochte Lösung die Agglutination durch das ungekochte B-A-P auch 
in diesem Falle nicht hindert, ja sie sogar, nach einem Vergleiche mit 
Kontrollproben zu urteilen, etwas begünstigt. 

III. Einem Kaninchen (1600 g) werden im Laufe eines Vormittags 
30 com der gekochten Lösung F in 2 Portionen an verschiedenen Körper- 
stellen unter die Haut gespritzt. 20 Stunden nach der letzten Injektion 
wird das ganz normale Tier, welches nur geringe Mengen Eiweiß im Harn 
ausgeschieden hat, durch Entbluten getötet. Das Blut wird defibriniert 
und in 5°/, iger Suspension mit einer 1°/, igen filtrierten aktiven B-A-P- 
Lösung versetzt. Gleichzeitig werden zum Vergleiche Proben mit der 
Blutsuspension von einem anderen Kaninchen angesetzt. Selbst bei Ver- 
dünnung 1:3500 erfolgt anstandslos Agglutination, und zwar bei beiden 
Blutsuspensionen in gleichem Maße innerhalb gleicher Zeiträume. 

IV. Wie für Ricin, Abrin, Crotin bekannt ist, ruft das Immun- 
serum in einer Lösung des betreffenden Giftes eine flookige Ausfällung 
hervor. Eine derartige Erscheinung trat nicht ein, als 2 ccm Serum des 
Kaninchen (III) mit 1 ccm wirksamer 1°/, iger B-A-P-Lösung versetzt 
wurden. 

Ergebnis: Durch 2 stündiges Kochen einer 1°/, igen Lösung 
(in 0,9°/ iger NaCl-Lösung) von B-A-P wird letzteres unwirk- 
sam gemacht, ein agglutinationshemmender Stoff wurde 
durch das Kochen nicht erhalten. Ebenso wenig kann 


bei einem Kaninchen durch Injektion von 30 ccm der gekochten 


Zur Biochemie des Phasins. 053 


Lösung binnen 20 Stunden eine Immunität gegen das hämagglu- 
tinierende Prinzip der Bohnen erzielt werden. 

Eine in derselben Weise vorgenommene Prüfung mit Ricin- 
lösung (in physiologischer NaCl-Lösung) zeitigte ein analoges 
negatives Resultat. 


14. Verhalten des Phasins gegenüber der Erhitzung. 


Hier ist zu unterscheiden, ob trooknes oder feuchtes Erhitzen statt- 
findet. 

1. Lösung dee B-A-P, 1°/,ig in physiologischer Kochsalzlösung. 
Von dieser jedesmal eine Quantität im Reagensglase auf dem Wasser- 
bade erhitzt und nach dem Erkalten zu den Suspensionen von Blut oder 
Blutkörperchen gesetzt. Ich gebe aus einer Zahl von Versuchen folgende 
Zusammenfassung (+ bedeutet Agglutination, — keine Wirkung): 


90 Minuten auf 65° Kaninchen + 

60 S „ 74° bis 76° 2 + 
2 , n 15° „ 80° a + 

30 e „ 75° „ 80° Katze + 

30 d „ 720 „ 82° Schwein + 

30 j „ 840 „ 86° Katze — 

wm , „ 85° „ 870 , + 

10 j „ 850 „ 87° Meerschweinchen!) — 
10 a w 870 „ 880 Katze + 

30 5 „n 85° „ 90° Schwein + 

10 = „ 100° Schwein —, Kaninchen —, Katze — 


Ergebnis: Man sieht, daß erst bei über 90° die 
Grenze liegt, bei welcher Phasinlösungen ihre Wirk- 
samkeit innerhalb kurzer Zeit verlieren. Ein Wider- 
spruch findet sich insofern in den Versuchsergebnissen, als ein- 
mal schon nach !/, stündigem Erhitzen auf 84° bis 86° Katzen- 
blut nicht mehr agglutiniert wurde, während bei einer anderen 
Probe, bei der die Temperatur !/, Stunde lang zwischen 85° 
und 90° erhalten wurde, sich noch ein positiver Ausfall für 
Schweineblut ergab. Die Tatsache, daß nach 10 minutigem 
Erhitzen auf 85° bis 87° 1 ccm der unverdünnten Lösung (ent- 
sprechend 10 com B-A-P) innerhalb 15 Stunden Katzenblut noch 
total agglutinierte, wohingegen selbst 3 ccm der nur 10 fach ver- 
dünnten Lösung (also entsprechend 3 mg) innerhalb 24 Stunden 
Meerschweinchenblutkörperchen auch nicht einmal spurweise zur 
Verklebung brachten, lehrt, daß durch das Erhitzen die Wirk- 


1) Allerdings bei 1 bis 3 ccm der 10 fach verdünnten 1°/, igen Lösung. 


254 O. Wienhaus: 


samkeit allmählich herabgesetzt wird. Mit absoluter Sicherheit 
werden durch Siedetemperatur die gelösten Agglutinine in 
kurzer Zeit zerstört. 

2. Trockenes Erhitzen. 


nn m nn EE e 










Erhitzung Totale Agglutination 
nach wieviel | bei weloher 
‚pomperator | Daner Stunden | Verdünnung 


100° 1 Stunde Kaninchen 1: 6000 

110° Yi ap 1: 1200 
110° bis 113° 4 Tage — 

123° 25 Minuten 1: 600 
123° bis 130° : 21/3 Stunden 1: 200 


Ergebnis: Das B-A-P nahm zwar durch den Erhitzungs- 
prozeß einen braunen Farbenton an und erlitt mit steigender 
Temperatur an Löslichkeit und, wie aus der Tabelle hervor- 
geht, an Wirksamkeit allmählich Einbuße, ging aber selbst 
bei einer nicht allzu lange währenden Temperatur- 
steigerung auf 133° seiner Wirkung nicht ganz ver- 
lustig. Wohl hatte jedoch diesen Effekt eine 4 Tage hindurch 
fortgesetzte Erhitzung selbst auf 110° bis 113°. 


15. Verhalten des Phasins gegenüber verdauenden 
Enzymen. 

Pepsin, Trypsin und Papain, entweder in Aq. dest. oder in Gly- 
cerin 1°/,ig gelöst, auf Wirksamkeit geprüft durch Kontrollproben mit 
Fibrinflocken. Die Pepsinlösung wurde angesäuert mit HCl, die Trypsin- 
lösung alkalisch gemacht mit Alkalicarbonat. Gewöhnlioh wurde je 1 com 
der Fermentlösungen zu 9 oder 10 ccm B-A-P-Lösung gesetzt, die 9, bzw. 
90, bzw. 100 mg B-A-P entsprachen. Die Proben wurden bis zu 4 Tagen 
im Thermostaten (38° bis 39°) belassen; in einem Versuche wurden sie 
im Anschluß an 3tätigen Wärmebadaufenthalt noch weitere 4 Tage bei 
Zimmertemperatur dem Einflusse der Fermente ausgesetzt. Das Resultat 
wich von dem der übrigen Versuche nicht ab. 


Ergebnis: Es stellte sich heraus, daß in keinem Falle 
die Anverdauung durch Pepsin, Trypsin und Papain 
auf die agglutinierende Wirksamkeit des Phasins zer- 
störend einwirkt. Denn wurde von den Flüssigkeiten 
1 bis 2 ccm abgenommen und (die Trypsin und Pepsin ent- 
haltenden wurden vorher neutralisiert) zu 5 ccm Blutsuspension 
gesetzt, so ergab sich stets prompte und, den Mengen des B-A-P 


Zur Bioohemie des Phasins. 255 


entsprechend, kräftige Totalagglutination. Bei einer genaueren 
quantitativen Untersuchung ließ sich ermitteln, daß B-A-P, 
welches 4 Tage lang der Trypsinwirkung unterworfen war, noch 
in Verdünnung 1:13332 eine 5°/,ige Meerschweinchenblut- 
suspension binnen 24 Stunden total agglutinierte; desgleichen 
trotz 4tägiger Pepsineinwirkung bei 1:6666 völlig, bei 1:13332 
fast völlig. 

Der in dem B-A-P wirksame Phasinkomplex ist 
also bei Anwesenheit von überschüssigem Eiweiß ver- 
dauungsbeständig, so wie er sich auch bis zu einem 
gewissen Grade als relativ thermostabil dokumentiert 
hat. Die aktive Substanz konnte sogar aus der Verdauungs- 
flüssigkeit durch Fällung mit Alkohol (ää) wieder abgeschieden 
werden und erwies sich beim neuen Lösen in physiologischer 
Kochsalzlösung als wirksam auf Schweine- und Taubenblut, 
auch wenn man die Verdünnung 1:6000 (berechnet auf die 
ursprüngliche Menge von B-A-P) wählte. Falls man von Eiweiß 
völlig befreites Phasin Verdauungsenzymen aussetzt, wird der 
Ausfall vielleicht ein ganz anderer sein, da offenbar die ge- 
bildeten Eiweißverdauungsprodukte schützend wirken. Über 
diesen Punkt müssen neue Versuche gemacht werden, die ich 
hierdurch nur andeuten will. 

Es wäre wohl verfehlt, aus diesem Verhalten gegen Er- 
hitzung und Verdauung bindende Schlüsse für oder gegen die 
Eiweißnatur des Bohnenagglutinins zu zieben, widersprechen 
sich doch noch bei dem nach diesen Richtungen hin wesentlich 
eingehender untersuchten Ricin- und Abrinagglutinin die 
Meinungen. Wir können uns vorsichtig nur dahin aussprechen, 
daß das Phasin sich zwar stets bei der Darstellung 
wie ein Eiweiß verhält, in Wahrheit aber vielleicht 
entweder eine eiweißähnliche Substanz oder ein Enzym 
ist, das wie andere Enzyme sich leicht an Eiweißsubstanzen 
= anhaftet. 


16. Verhalten des Phasins gegenüber Konservierungs- 
mitteln, 


Ein schädigender Einfluß des Toluols, das in den meisten, 
und des Chloroforms, das in manchen Fällen angewandt 
wurde, um den Eintritt von Fäulnis hintanzuhalten, wurde 


256 O. Wienhaus: 


nicht beobachtet. Fluornatrium, welches die Wirkung von 
bakteriellen Agglutininen und Hämolysinen aufhebt, affizierte 
das Bohnenagglutinin ebensowenig. 

Versuoh: Katzenblut 10 ocm -+ physiologische NaCl-Lösung 165 ocm 
—+-4°/, Fluornatriumlösung 25 com. I. 10 com dieses Gemisches als 
Kontrolle; II. 10 com Gemisch + 1 ccm B-A-P-Lösung (10 mg). Nach 
15 Stunden in II totale Agglutination. 

Inwiefern durch Formalin die Agglutination leidet, wenn 
seiner Einwirkung die agglutinable Substanz, die Blutkörperchen, 
unterworfen wird, wurde oben ausgeführt. Bezüglich des 
Effektes des Formaldehyds auf das Phasin der Bohnen!) ergab 
sich folgendes: 

Versuch. 1°/,ige B-A-P-Lösung mit 3,6°/ ,igem Formalin ää ver- 
setzt; nach 3 Tagen geprüft. Innerhalb 20 Stunden vermochten rowohl 
Leem, als auch !/, und 1/, ccm dieser Flüssigkeit (entsprechend 5; 2,5; 1 mg 
BAD und 18; 9; 3,6 Formalin) in 5 ccm einer 21/,°/,igen Kaninchen- 
blutkörperchen-Suspension vollständige Agglutination hervorzubringen. 

Im Gegensatz zu diesen Resultaten stehen indessen die 
Ergebnisse eines anderen Versuches. Danach wurde mit einer 
B-A-P-Lösung, die mindestens 3 Wochen lang unter Formalin 
gestanden hatte, in Kaninchenblutsuspension selbst bei einem 
Verhältnisse 15 mg B-A-P: 5 ccm Suspension innerhalb 17 Stunden 
keine Agglutination erzielt. 

Wir dürfen aus dem Angeführten wohl schließen, daß 
kurzdauernde Einwirkung geringer Mengen von Form- 
aldehyd das Phasin nicht schädigt, langdauernde 
aber wohl. 


Verhalten gegenüber Wasserstoffsuperoxyd. 

Eine 1°/,ige B-A-P-Lösung wurde versetzt mit 3°/,igem H,O, ää; 
nach 4 Tagen hatte sich ein dickflockiger, weißer Niederschlag aus- 
geschieden, die Flüssigkeit erschien opalisierend und roch unangenehm, 
Die Wirksamkeit wurde geprüft an je 5 ocm einer 5°/,igen frischen 
Kaninchenblutsuspension, und zwar wurde einerseits 1 com aus der 
opalisierenden Flüssigkeit abgehebert, andrerseits 1 ccnı entnommen, 
nachdem durch Umschütteln der Niederschlag wieder fein in der Lösung 
verteilt war. Nach 16 Stunden fand sich in beiden Fällen totale Agglu- 
tination der Blutkörperchen. Wasserstoffsuperoxyd vermag danach die 
agglutinierende Wirkung des B-A-P nicht zu beseitigen und das Agglu- 
tinin nicht auszufällen. 


1) Nach Guyot (Centralbl. f. Bakt; 47, Heft 5, 1908) schädigt 
Formalin das Hämagglutinin von Bakterien nicht. 


Zur Biochemie des Phasins,. 257 


Eine Wiederholung, bei welcher eine 1°/,ige B-A-P-Lösung 
erst 2 Wochen und dann 6 Wochen lang mit der gleichen Menge 3°/,igen 
neutralisierten Wasserstoffsuperoxyds am Licht gestanden hatte, ergab 
keine Schädigung der Agglutinationskraft. 


Ergebnis: Toluol, Chloroform, Wasserstoffsuper- 
oxyd, ja selbst Fluornatrium und kurzdauernde Ein- 


wirkung von Formaldehyd (3,6°/,ig)schädigen das Phasin 
kaum. 


17. Einfluß verschiedener isotonischer Neutralsalz- 
lösungen auf die Wirkung des Phasins. 


Versuch 1. Katzenblut, je 1°/,ig suspendiert in 0,9°/,iger NaCl- 
Lösung (A) und in damit isotonischer Lithiumsulfatlösung (B): 
I. 20 ccm von A zur Kontrolle, 
I. 20 , „B, Z 
I. 19 „ sw A-1 cem B-A-P-Lösung (10 mg), 
IV.19 „ „ BEI, R (10 „). 

Bei 1II und IV fast gleichzeitig binnen 2 Stunden totale Agglu- 
tination. Bei I und II allmähliches Absetzen der Blutkörperchen ohne 
die geringste Hämolyse oder Agglutination. 

Versuch 2. 5°/,ige Katzenblutsuspension, teils mit physiologischer 
NaCl-Lösung (A), teils mit 2,55°/,iger Jodkaliumlösung hergestellt. 


I. 5ccm von A zur Kontrolle, 


I.5, B, e 

III. „ „ A-+1ccm B-A-P-Lösung (10 mg), 
IV. 5 n n B+ l n n (10 n )» 
v5, sw BEI: n A a) 


I und II setzen gleich langsam klar ab. Bei III und IV beginnt 
die Agglutination sofort und ist innerhalb gleicher Frist total. Bei V 
nach 3 Stunden nicht ganz völlige Agglutination. 


Ergebnis: Das Phasin entfaltet seine Wirksamkeit 
also auch, wenn das Blut statt mit physiologischer 
Chlornatriumlösung mit der isotonisch konzentrierten 
Lösung eines anderen Neutralsalzes aufgeschwemmt 
wird. . 


18. Abspaltung des Phasins aus dem Agglutinat. 


Versuch 1. Durch vollkommen neutral reagierende B-A-P-Lösung 
agglutinierte Erythrocyten aus 5 ccm einer 5°/,igen Kaninchenblut- 
suspension werden mit physiologischer Kochsalzlösung gewaschen und 
mit leicht durch HCl angesäuerter physiologischer NaCl-Lösung durch 
Schütteln zu einer braunen Flüssigkeit gelöst. Neutralisieren mit Kalium- 
carbonat bis zur spurweisen alkalischen Reaktion erzeugt in dieser einen 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 17 


258 O. Wienhaus: 


braunen Niederschlag, der abfiltriert wird. Das Filtrat wird zu gleichen 
Teilen zugesetzt zu 

I. 5 ccm Kaninchenblutsuspension Sait 

I. 5 „ Hühnerblutsuspension l loig. 

Bei I bald Agglutination bemerkbar. Nach 15 Stunden bei I totale, 

bei II partielle Verklumpung. 
| Wiederholung mit mehr Agglutinat lieferte ein Filtrat, nach dessen 
Zusatz auch bei Hühnerblutsuspension unmittelbar beginnende, nach 
1/, Stunde totale Agglutination eintrat. 


Versuch 2. Agglutinat von Kaninchenblut mit physiologischer 
NaCl-Lösung gewaschen, darauf mit Aq. dest. hämolysiert. Die Hämo- 
globinlösung, vom Stroma abfiltriert und mit einigen Tropfen konzen- 
trierter Kochsalzlösung versetzt, ergibt nichte von Agglutination auf 
Zusatz von Kaninchenblutkörperchen. Aus den fast entfärbten Stromata 
auf dem Filter mit angesäuerter Kochsalzlösung hergestellte Solution 
wirkt, neutralisiert, auf zugesetzte Kaninchenblutkörperchen augen- 
blicklich total agglutinierend. 


Versuch 3. Agglutinat von Kaninchenblut, gelöst in physio- 
logischer Kochsalzlösung, die 1 Tropfen Natronlauge enthält. Neutrali- 
sieren mit schwach saurer 0,9°/,iger NaCl-Lösung läßt einen braunen 
Niederschlag entstehen. Die von diesem abfiltrierte Flüssigkeit wirkt 
weder auf Hühnerblutsuspension noch, schwach alkalisch gemacht mittels 
Natriumoarbonat, auf zugesetzte Kaninchenblutkörperchen agglutinierend. 

Analoge Versuche wurden mit einem durchaus neutral reagierenden 
Ricinpräparat gemacht und zeitigten analoge Resultate. 


Ergebnis: v. Liebermanns!) Angabe, daß aus ricin- 
agglutinierten Blutkörperchen das Ricin durch Salzsäure vom 
Stroma wieder abspaltbar ist, wurde in jeder Hinsicht be- 
stätigt. Das zu benutzende Ricinpräparat braucht jedoch nicht, 
wie v. Liebermann für wichtig hält, von saurer Reaktion zu 
sein. Einem neutralen B-A-P entstammendes Phasin 
kann in ganz analoger Weise durch verdünnte Salz- 
säure aus seiner Verbindung mit dem Stroma wieder 
frei gemacht werden und erweist sich dann sowohl 
der betreffenden als auch einer beliebigen anderen 
Blutart gegenüber als wirksam. Damit ist bewiesen, 
daß das Phasin nicht spezifisch wirkt, denn sonst könnte 
aus dem Kaninchenkörperchenagglutinat nur Kaninchenphasin 
wieder herausgelöst werden. Durch Natronlauge kann das 
Agglutinin aus seiner Vereinigung mit dem Stroma nicht gelöst 
werden; dies hat v. Liebermann für das Ricin ganz richtig 


1) Arch. f. Hygiene 62, Heft 4, 1907. 


Zur Biochemie des Phasins. 259 


angegeben; es gilt genau ebenso auch für Phasin. Aus diesen 
Versuchen den Schluß zu ziehen, das Phasin könne 
kein Enzym sein, weil Fermente nicht in den von ihnen 
gebildeten Endprodukten enthalten sein dürfen, erscheint mir 
nicht richtig, da ja möglicherweise das Phasin, Ricin usw. 
nur adsorbiert und mechanisch mit niedergerissen werden. 
Solches Mitniedergerissenwerden gehört aber gerade 
zu den wesentlichen Eigenschaften der Enzyme. 


19. Anteil von Komplementen an der Agglutination. 


5 ccm frisches Meerschweinchenblut werden auf dem Wasserbade 
LL Stunde lang auf einer Temperatur von 56 bis 57° erhalten, um das 
in dem Serum befindliche Komplement unwirksam zu machen. Durch 
diese Prozedur sind nun gleichzeitig die roten Blutkörperchen affiziert 
worden, jedoch gelingt es, durch Zusatz von l ccm 1°/,iger B-A-P- 
Lösung zu 5 ccm einer 5°/,igen Aufschwemmung dieses Blutes eine fast 
momentan beginnende Koagulation der Stromata hervorzurufen. (Kontroll- 
versuch mit unerhitztem Blute liefert starke echte Agglutination.) War 
also schon vorher, zumal bei den Versuchen mit den gehärteten serum- 
freien Erythrocyten eine Beteiligung des Komplementes an dem Agglu- 
tinationsvorgang auszuschließen, so geht aus diesem Versuche mit Sicher- 
heit hervor, daB das Agglutinin der Bohnen zu seiner Ver- 
ankerung der im normalen Serum jederzeit enthaltenen 
Komplemente nicht bedarf. Das Phasin verankert sich ohne 
jedes Mittelstück direkt an die Blutkörperchen. Dazu stimmt, 
daß serumfreie mehrfach gewaschene Blutkörperchen z. B. von Kaninchen, 
Katze, Meerschweinchen usw. stets prompt agglutiniert wurden. 


20. Aus anderen Bohnen rein dargestellte phasinartige 
Pulver. 


Aus den Extrakten der Samen von Phaseolus vulgaris, 
Spielart Wachsbohne (Flageolet), ferner von Soja hispida 
und von Vicia Faba, Saubohne, wurden nach der für das 
B-A-P angewandten Methode Pulver gewonnen. Deren Agglu- 
tinationsvermögen läßt folgende Tabelle (S. 260) erkennen. 


a) Das Wachsbohnen-Agglutinin enthaltende Pulver wirkte 
also auf Kaninchenblut und Hammelblut kräftiger als B-A-P; außerdem 
agglutinierte es deutlich Kalbeblut, spurweise Karpfenblut. Auf letzteres 
wirkte es in hoher Konzentration hämolytisch. Es präcipitierte nicht 
seröses Exsudat, Hühnereiweißlösung, neutrale und alkalische Eukasin- 
lösung. Es verlor seine Wirksamkeit nicht durch 35tägiges Aufheben 
unter Formalin (3,6°/,) und unter Wasserstoffsuperoxyd (3°/,); monate- 
lange Trockenaufbewahrung schien es etwas zu schädigen. 

17* 


260 O. Wienhaus: Zur Biochemie des Phasins. 
































Pulver aus 
Blutart Dee EE 
Wachsbohne |Sojabohne| Saubohne 
— —— 1:7000 | P 1:12000 u 
Mensch | XVII | XVII 8. unten | 
zn T 1:60000 XV | | 
örperchen 
T 1:35000 P 1:70000 |P 1:3500|T 1:1200 
Kaninchen XVI XV | XV | XV 
Kaninchenblut- | T fast 1:6000 | P 1:35000 
körperchen VI | VI 
T1:12000 | P1:60000 Il 
Meerschweinchen XXIII E XXII | | 
H 1 "wu | "tom P 1:60000 | I _ 
nme XXIII XXIII | | 
Kalb P 1:6000 VI | SS 
E I 
Spur S A; :600 | Hämolyse 1:450! 
Karpfen Marten | SyS IV W — | 
Karpfenblut- E | SW 
körperohen | 








b) Das Sojapräparat war in physiologischer Kochsalzlösung recht 
wenig löslich. Die Suspension wirkte unfiltriert bei einem Versuche auf 
menschliches Placentarblut in 3 Stunden partiell agglutinierend bei Ver- 
dünnung 1:1100. Bei einem anderen Versuche agglutinierte sie weder 
filtriert noch unfiltriert Blut vom erwachsenen Menschen. Karpfenblut- 
körperchen mit und ohne Serum blieben unbeeinflußt. Kaninchenblut 
zeigte sich agglutinabel, und zwar auch durch eine Aufschwemmung, die 
4 Tage vorher mit H,O, ää versetzt worden war. 

c) Das ausSaubohnen bereitete Pulver versagte auf Hammel- und 
Kalbeblut vollständig, auf Kaninchenblut wirkte es einige Male nicht 
deutlich, in anderen Fällen indessen noch in Verdünnung 1:1100 total, 
auch wenn es 4 Tage lang unter H,O, gestanden hatte. 

Über die verschiedensten Spezies von Vicia und andere verwandte 
Pflanzen ist schon S. 234 bis 235 gesprochen worden; nur wurde aus 
ihnen das wirksame Prinzip nicht in reiner trookner Form dargestellt. 

Mit einer Fortsetzung der in vorstehender Arbeit enthaltenen Ver- 
suche nach verschiedenen Richtungen hin ist Prof. Kobert beschäftigt. 


Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion der Milch. 
Von 
Kurt Schern. 


(Aus der Abteilung für Tierhygiene des Kaiser -Wilhelm -Instituts für 
Landwirtschaft zu Bromberg.) 


(Eingegangen am 26. April 1909.) 


Gelegentlich einiger milchhygienischer Untersuchungen, die 
ich in der Abteilung für Tierhygiene des Kaiser-Wilhelms- 
Instituts zu Bromberg auszuführen hatte, sind verschiedene 
Beobachtungen über die Schardinger-Reaktion gemacht und 
im Anschluß daran einzelne Versuche angestellt worden, deren 
Ergebnisse im folgenden kurz mitgeteilt werden sollen, da sie 
ein weiteres allgemeines Interesse für sich in Anspruch nehmen 
dürften. 

Schardinger!) hat im Jahre 1902 versucht, auf bio- 
chemischem Wege die Bier- von der Getreidepreßhefe zu unter- 
scheiden. Dies ist ihm zwar nicht gelungen; aber bei seinen 
Versuchen konnte er feststellen, daß frische Milch ein eigen- 
tümliches und sehr auffälliges Verhalten gegen Methylenblau 
zeigt. Unter anderem verwendete Schardinger für die von 
ihm mitgeteilte Reaktion eine Methylenblau - Formalinlösung 
folgender Zusammensetzung: 5 com gesättigter, alkoholischer 
Methylenblaulösung -+ 5 com Formalin + 90 ccm Wasser. Das 
Verhalten der frischen Kuhmilch dieser Lösung gegenüber prüfte 
der Autor in der Weise, daß er 20 ccm Milch in einem Re- 
agensglas mit l com der Lösung mischte. Dieses Gemisch 
wurde im Wasserbad bei einer Temperatur von 45 bis 50° ge- 


1) Schardinger, Über das Verhalten der Kuhmilch gegen Methylen- 
blau und seine Verwendung zur Unterscheidung von ungekochter und 
gekochter Milch. Zeitschr. f. Nahrungs- u. Genußmittel 1902, 1113. 


262 K. Schern: 


halten. Hierbei entfärbte sich die frisch ermolkene Milch un- 
gefähr innerhalb 10 Minuten, dagegen behielt über 70° erhitzte 
Milch, mit der dieselbe Reaktion angestellt wurde, ihre nach 
dem Zusatz der Methylenblau-Formalinlösung erhaltene blaue 
Farbe bei. Die Entfärbung der frischen, rohen Milch soll nach 
Schardinger allmählich von unten nach oben vor sich gehen. 
Im ganzen sind von Schardinger 12 Milchproben auf die 
angegebene Weise untersucht worden. Es ist von gewisser 
Bedeutung, zu wissen, daß Schardinger die Reaktion nicht 
allein an ganz frischer, also noch ‚„kuhwarmer‘“ Milch beob- 
achten konnte, sondern auch an solcher, die einige Stunden 
gestanden hatte. Außer der Erwärmung über 70° soll auch 
Verdünnung mit Wasser die Entfärbung der Milch unter den 
angegebenen Bedingungen hemmen. Schardinger empfiehlt, 
seine Reaktion auf praktische Brauchbarkeit zu prüfen und 
sagt wörtlich zum Schluß: „Es bedarf wohl keiner aus- 
führlichen Darlegung, wie bedeutungsvoll es für den 
Haushalt, für die Verarbeitung der Milch zu den ver- 
schiedenen Molkereiprodukten wäre, wenn die vor- 
geschlagene Reaktion auch einen sicheren Anhalts- 
punkt für die Beurteilung der Frische der Milch ge- 
währen würde.“ 

Später sind von anderen Autoren, so von Smidt!), Brand?), 


Jensen®), Seligmann®), Oppenheimer), Trommsdorf®) u. a. 
Untersuchungen über die von Schardinger bei der Milch beobachtete 


1) Smidt, Über die Fähigkeit der Milch, Methylenblau zu re- 
duzieren. Aus dem Kgl. Institut f. experim. Ther. zu Frankfurt a. M. 
Hygienische Rundschau 1904, 1137. — Derselbe, Über die sog. Reduktase 
der Milch. Arch. f. Hygiene 58, 313, 1906. 

2) Brand, Über die praktische Bedeutung der Reduktionsfähigkeit 
der Milch. Aus dem Kgl. Institut f. experim. Ther. zu Frankfurt a. M. 
Münch. med. Wochenschr. 1907, 821. 

3) Jenson, Revue générale du lait 6, Nr. 2/3, 1906. 

4) Seligmann, Zeitschr. f. Hygiene 50, 97, 1905; 52, 161, 1, 1906; 
58, 1908. 

5) Oppenheimer, Arbeiten aus dem Institut f. experim. Ther. 
zu Frankfurt a. M. 1908. Fischer, Jena. 

D Trommsdorf, zitiert nach einem Manuskript, welches mir 
von T. in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt wurde. Die 
diesbezügliche Arbeit T.’s ist inzwischen im Centralbl. f. Bakt. Abteil. I; 
49, 1909 erschienen. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 263 


Reaktion angestellt worden. Alle diese Autoren haben die Angaben 
Schardingers im allgemeinen bestätigen können. Demnach soll nor- 
male frische Milch die Schardinger-Reaktion innerhalb einer Zeit von 
ungefähr 10 Minuten geben. Es erübrigt sich daher, auf die einschlägige 
Literatur hier näher einzugehen. Nur das sei an dieser Stelle hervor- 
gehoben, daß Brand (l. o.) im Gegensatz zu Schardinger, der seine 
Reaktion bei 45° ausgeführt wissen will, vorschlägt, die Reaktion bei 
einer Temperatur von ca, 70° vorzunehmen. Nach Brands Ansicht 
soll diese Temperatur die optimale für den Ablauf der Reaktion sein. 

Von Interesse ist es auch, zu wissen, daß einzelne Autoren in 
einigen Fällen bei der von ihnen untersuchten Milch die Schardinger 
Reaktion entweder gar nicht oder nicht innerhalb der normalen Zeit- 
grenzen haben verlaufen sehen. Smidt teilt mit (ol daß er bei 
frischer roher Ziegenmilch die Reaktion nicht hat beobachten können, 
ebenso wenig bei einer Probe von Frauenmilch. Dagegen hat der Rahm 
der Ziegenmilch die Schardinger-Reaktion schwach gegeben. Brand 
(l. c.) hat bei einer „größeren Anzahl“ von untersuchten Kühen zwei 
gefunden, deren Milch auch frisch ermolken die Schardinger-Reaktion 
nicht gab. Es sollen dies zwei Kühe einer Niederungsrasse gewesen sein, 
von denen eine bis zu 22 Liter einer fettarmen also „etwas minder- 
wertigen Milch“ gab. Trommsdorf (L c.) hat in einem einzigen 
Falle unter Dutzenden beobachtet, daß frische Milch die Formalin-Methylen- 
blaulösung nicht entfärbt. Hierzu bemerkt er: „Es handelte sich um 
eine keimfreie Probe frisch entnommener Milch aus einer Zitze einer 
gesunden Kuh, die aus sämtlichen Zitzen eine sterile Milch, die auch 
sonst als normal anzusehen war, lieferte. In der betreffenden Milchprobe 
waren mittels der Milchleukocytenprobe Zellen nicht wachweisbar. Die 
Proben aus drei Zitzen des Euters entfärbten Sohardingers Reagens 
in 20, 25 und 30 Minuten. Die Probe des vierten Viertels entfärbte 
Schardinger Reagens nach 2 Stunden nur ganz minimal. Die übrigen 
Enzymreaktionen der betreffenden Milchprobe waren normal.“ 

Bei meinen eigenen Untersuchungen, die ich speziell ge- 
legentlich der von Anders!) in der Abteilung für Tierhygiene 
des Kaiser-Wilhelms-Instituts für Landwirtschaft zu Bromberg 
vorgenommenen Untersuchungen über das Frischmilchendsein 
der Kühe ausgeführt habe, fiel es auf, daß die Milch einer 
Kuh die Schardinger-Reaktion nicht gab. Bei näheren 
Nachforschungen ließ sich feststellen, daß die Milch von einer 
frischmilchenden Kuh herrührte. Das gab Veranlassung, Unter- 
suchungen darüber anzustellen, 

a) wie sich die Milch altmilchender Kühe, 


b) wie sich die Milch frischmilchender Kühe, 


u 1) Anders, Die diesbezügliche Arbeit von Anders erscheint dem- 
nächst im Arch. f. Tierheilkunde. 


264 K. Schern: 


c) wie sich eine kranke Milch der Schardinger- Reaktion 
gegenüber verhält und 
d) bei welcher Temperatur die Reaktion für bestimmte 
Zwecke vorzunehmen ist. 
Nebenbei sollte versucht werden, das Wesen der Schar- 
dinger-Reaktion zu klären. 


Eigene Untersuchungen. 


Die Untersuchungen sind an der Milch von Kühen an- 
gestellt worden, die sich in den verschiedenen Stadien der 
Lactation befanden. 

Zunächst wurde festgestellt, ob altmilchende und frisch- 
milchende Kühe die Schardinger-Reaktion geben. Das Schar- 
dinger-Reagens hatte ich mir, wie folgt, zusammengesetzt: 
5 ccm gesättigter, alkoholischer Methylenblaulösung - 5 ccm 
Formalin, aufgefüllt auf 190 ccm Wasser. Von dem Reagens 
wurde je Leem mit je 10 ccm der Mischmilch je einer Kuh 
in einem Reagensröhrchen gemischt, und die Flüssigkeit je nach 
dem beabsichtigten Versuch im Wasserbad bei einer Temperatur 
von 45 bis 50° oder bei 65 bis 70° gehalten. Gemäß den An- 
gaben Brands (el die, wie bereits bemerkt, fast allseitig 
Bestätigung gefunden haben, sind die meisten der folgenden 
Versuche bei Temperaturen von 65 bis 70° angestellt worden. 

Bei Untersuchungen über den Einfluß verschiedener Tem- 
peraturen auf den Verlauf der Reaktion konnte die Beobachtung 
gemacht werden, daß die Vornahme der Reaktion bei 65 bis 
70° nicht immer einwandsfreie Resultate liefert und daß man 
diesem Umstande unter gewissen Verhältnissen Rechnung 
tragen muß. 

Wenn nicht in allen Fällen genauere Angaben über die 
Kühe, deren Milch untersucht wurde, gemacht werden, so liegt 
das daran, daß häufig die Milch von Kühen zur Untersuchung 
gelangte, welche sich vorübergehend in den Ställen von Händ- 
lern befanden, so daß nähere Angaben nicht erhältlich waren. 
Nur in einigen Fällen, in denen die Kühe dauernd bei einem 
Besitzer waren, ist es möglich gewesen, bezüglich der Kühe 
etwas Näheres zu ermitteln. 

Die Milch wurde meist zwischen 5 bis 6 Uhr abends ent- 
nommen, sofort darnach in das Laboratorium transportiert und 


Über die Scohardinger-Reaktion der Milch. 265 


hier noch denselben Abend, 1 bis 2 Stunden, spätestens 4 Stunden 
nach der Entnahme verarbeitet. Die Temperatur in den Kuh- 
ställen, welche die milchliefernden Kühe beherbergten, schwankte 
bei der Milchentnahme zwischen 10 bis 12°C. Die Temperatur 
beim Transport der Milch entsprach den jeweiligen Tempera- 
turen, die im Freien herrschten. Hierbei sei bemerkt, daß die 
Untersuchungen im Verlaufe des Winters vorgenommen wurden. 
Die Milch wurde direkt aus dem Euter in die Reagens- 
röhrchen gemolken und zwar meist nach Beendigung des Abend- 
melkgeschäftes im Stalle ohne besondere Kautelen. Bei ein- 
zelnen Kühen, bei denen das nicht geschah, finden sich spezielle 
Angaben hierüber. Im übrigen werden die einzelnen Protokolle 
besonderen Aufschluß über die Versuchsanordnung geben. 


a) Altmilchende Kühe. 


Es wird die Milch von 36 Milchkühen einer Molkerei unter- 
sucht. Die Kühe gehören sämtlich der Niederungsrasse an und 
waren nach den Angaben des Besitzers mit Sicherheit als alt- 
milchend anzusehen. Entnommen waren die Milchproben zwischen 
6 bis 7 Uhr abends. Die Reaktion wurde mit ihnen gegen 
9 Uhr abends bei 65 bis 70°C im Wasserbad angestellt. 


Tabelle I. 

Milch der Kuh 636, zum Versuch angesetzt 838 abends, entfärbt 810 abends 
Le 99 99 644 LI) Lo LE 833 H TE gr ” 
LU IA 99 632 LE H LA 838 LA ” Che „ 
» » » 664 „ y m 838 „, a 840 dé 
a? 99 99 639 UU LA LA 838 99 LA gt 9 
oe a » 652 ze e Se 833° „ 2 845 H 
» wn 638 „ e i 838 p e 842 
F be e 651 * F gi 838 Z s 810 Se 
F e * F a Si e 833 * 5 810 F 
o rn 642 o = Ge 833 p a 816 
a » 624, e = 838 y, i Cha x 
» nn 834 . ge e 833 „ 2 8+0 be 
99 99 Le 659 LA LE LÉI 833 99 LE gr „ 
99 H n 654 LÉI ” 99 838 LA LU Che Sg 
5 = > 660 es e Mr 833 4 843 F 
a » » 656 „ e = 83 p i 845 a 
e = = L = 2 S 838 F = gts z 
„” nm 9 657 (29 99 „ 858 „ en 859 nm 
99 9 99 64l 29 ” 99 8 LA LI? 900 Si 


99 38 9? 667 LA) LE IA) 858 9. Sp Chi DA 


266 K. Sobern: 


Milch der Kuh 637, zum Versuch angesetzt 858 abends, entfärbt 9° abends 


LH LA) A 643 H 39 38 858 29 (E 859 LE 
Se gn sob y a = 858 p PR 993 Sé 
9. LA LE 655 39 29 39 858 9 9 900 99 
zg 99 39 663 LE LU) 39 8585 9? 99 901 LI) 
IA) 99 LU) 658 99 DI 9 855 LU 39 859 UL 
D 9 LE 646 LE LE LA) 858 39 39 902 38 
38 LA 99 618 29 A LE) 858 29 LO goo IL 
9 9 LE 629 LC ” 39 858 99 A 859 LE 
T PR ee 653 * a e 858 S x 859 Ge 
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29 99 93 661 99 LE LA 858 H 99 gos IK 
M We 3 666 Sé F Se 858 D * CEA u 
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99 39 LA) 650 99 19 39 85* H LE 859 (EI 
a un » Nett, „ wë Se 909 `, 2 910 B 
Aus der vorstehenden Tabelle ist ersichtlich, daß die 
Milch dieser Kühe innerhalb sehr kurzer Zeit — in allen 


Fällen in weniger als 10 Minuten — die Sohardinger-Reaktion 
gegeben hat. 

Der Versuch wird 12 Tage nach der ersten Versuchsanstellung mit 
der Milch derselben Kühe wiederholt und zeitigt dasselbe Ergebnis. 

In einem folgenden Versuch ist die zwischen 5 bis 6 Uhr abends 
entnommene Milch von 13 Kühen untersucht worden. Die Reaktionen 
wurden bei 65 bis 70° im Wasserbad ausgeführt. In diesen Fällen konnten 
einzelne nähere Angaben über die Kühe vom Besitzer erhalten werden. 


Dieser Versuch bestätigt die bisherigen Ergebnisse. 


Abweichend von der Norm hat sich die Milch der Kuh Sr. und 
B. gezeigt. Während die Milch der Kuh Sr. die Schardinger- Reaktion 
verzögert gab, was vielleioht auf die leichte Verdauungsstörung der Kuh 
zurückzuführen war, konnte bei Kuh B. eine Entfärbung der Milch über- 
haupt nicht beobachtet werden. Wie diese Tatsache zu erklären ist, 
kann nicht gesagt werden. Jedenfalls ist es einer der wenigen Fälle, in 
denen altmilchende Kühe die Reaktion nicht geben. 

Das Ergebnis weiterer Versuche ließ die Vermutung entstehen, daß 
im vorliegenden Falle das Sekret des Euters verändert sei, da die 
Lactationsperiode zu Ende ging (Endcolostrum). Eine vergleichsweise 
bei einer anderen Kuh (s. unten, Kuh Ag.) ausgeführte diesbezügliche 
Untersuchung bestätigte jedoch nicht diese Auffassung. Bemerkenswert 
ist, daß die Milch der Kuh B. eine auffallend hellbläuliche Farbe hatte, 
während sich beim Stehen eine ebenso breite Fettschicht absetzte wie 
bei der Milch anderer Kühe, welche dieSchardinger-Reaktion gab, Im 
übrigen konnten Besonderheiten an dieser Milch nicht festgestellt 
werden. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 267 


Tabelle II. 
l — 








Vor j | | 
. Seit ‘Milch zum! Hat 
Bezeich- | wie langer wie langer: Versuch ` ent. ` 
nung | Kasse — Zeit | angesetzt | färbt — 
| 8 trächtig? | 
| | Monate ı abends abends 











Kuh O. | Niede- | 4 (Mona ss Im 
rungsrasse | | 








Kuh Ag. | Niede- 10 | 7 Monat 83%, SC | — 
— ⸗ | | | 
Kuh An Gebirgs- 2 nicht 830 838 — 
| rasse trächtig | 
Kuh At. | Niede- | 21), | nicht gto | gas er 
rungsrasse trächtig 
Kuh N. Niede- 8 6 Monat 819 822 — 
rungerasso | 
Kuh L. | Niede- 4 6 Wochen! 824 830 | — 
rungsrasse | 
Kuh Agt.| Gebirgs- 8 '5 Monat 827 831 — 
rasso | 
Kuh Al. Niede- 8 ‚ 5 Monat 822 gäe _ 
rungsrasse | | | | 
Kuh Bl. | Gebirgs- 2 nicht |; 93° 935 — 
rasse tragend | | | 
Kuh Sr. | Gebirge- | 10 8 Mont | 85” | gie | Die Kuh soll 
rasse | nicht gut fressen 
Kuh Ju. | Gebirgs- 8 6 Monat 835 | 8% | = 
Tasse | | 
Kuh Bb. | Niede- un- 6 Monat; 830 | 834 | — 
rungsrasse bekannt Die Milch dieser Kuh 








A , wurde an einem an- 

Kuh B. | Niede- | 10 | 6 Monat 830 lenttärbeverd Tage mit dem- 
i bis zum |,eiben Resnitat unter- 

näch- isucht,” Das gleiche 
sten Ergebnis batte die 
Mo n Untersuchung derEip- 
| zelmilchjedesßtriches 
an einem späteren 
Tage. Bald darauf 











stand dieKuh trecken 
und es konnte des- 

Bald ihre Milch nicht 
| mehr untersucht 





| | | i | werden. 

Es wurde später nochmals die Miloh der in der Tabelle II an- 
geführten Kühe einige Tage nach Anstellung des ersten Versuches unter- 
sucht. Das Resultat war dasselbe wie im ersten Versuch. 

Abweichend von der Regel verhielt sich bei dieser Untersuchung 
die Milch von der Kuh At. Die Milch dieser Kuh wird abends 99% Uhr 
in Versuch gesetzt. Um 11 Uhr abends ist die Milch etwas entfärbt, 
behält aber bis zum nächsten Morgen die hellblaue Färbung bei. Be- 
merkenswert ist es vielleicht, zu erwähnen, daß die Kuh zur Zeit, wie 
der Besitzer angab, nicht normalen Appetit hatte. Bei späteren Prü- 
fungen der Milch, nachdem die leichte Indigestion der Kuh vorüber war, 
verlief die Schardinger-Reaktion innerhalb der vorgeschriebenen Zeit. 


268 K. Schern: 


Die Milch der Kuh Ag., welche gleichzeitig mit der Milch der Kuh At. 
in Versuch gesetzt wurde, entfärbte innerhalb 4 Minuten. Die Kuh be- 
fand sich kurz vor dem Ende der Lactationsperiode, oder wie der Fach- 
ausdruck lautet, kurz vor dem Trockenstehen. Die Milch war nicht 
mehr genußtauglich (cf. Milch der Kuh B. in der Tabelle II). 

Aus den unter den erwähnten Bedingungen angestellten 
Versuohen läßt sich folgern, daß bei ca. 50 altmilchenden 
Kühen, mit deren Milch in Zwischenräumen von mehreren 
Tagen wiederholt die Reaktion nach Schardinger angestellt 
wurde, im allgemeinen die Entfärbung der Miloh in weniger 
als 10 Minuten erfolgte. 

Bei der Milch einer Kuh verlief ebenfalls die Reaktion positiv, aber 
verzögert, bei der Milch einer anderen Kuh war bei den zu verschiedenen 
Zeiten angestellten Untersuchungen das Resultat verschieden, während bei 
der Milch einer dritten Kuh die Reaktion überhaupt negativ verlief. Im 
letzteren Falle ist vielleicht dem Umstand, daß die Lactationsperiode zu 
Ende ging, eine gewisse Bedeutung beizumessen. Allerdings spricht hier- 
gegen der Befund bei der Milch einer anderen Kuh, die sich ebenfalls 
am Ende der Lactationsperiode befand. 


Mit Rücksicht auf die in der Literatur verzeich- 
neten Angaben läßt sich sagen, daß im großen und 
ganzen die Behauptung Schardingers und der anderen, 
bereits erwähnten Autoren, für die Milch altmilchender 
Kühe!) bezüglich der Entfärbung des Methylenblau- 
Formalingemisches zutrifft. 


b) Frischmilchende Kühe. 


Für die weitere Beurteilung der ganzen Frage ist es von 
Bedeutung, zu wissen, wie sich die Milch frischmilchender 
Kühe gegenüber der Schardinger-Reaktion verhält. 


Einerseits wurde die Milch solcher Tiere, von denen der Tag, 
an dem sie geboren hatten, genau bekannt war, in gewissen Abständen 
während einer längeren Beobachtungszeit untersucht, andererseits’ wurde 
die Schardinger-Reaktion mit der Milch solcher Kühe angestellt, von 
denen der derzeitige Besitzer (Händler) weiter nichts angeben konnte, 
als daß sie von einer frisohmilchenden Kuh herrühre. Die Milch dieser 
Tiere konnte nur einmal untersucht werden. 

Die Milchproben wurden meist 1 bis 2 Stunden, in einigen Fällen un- 
mittelbar und in einigen anderen Fällen 3 bis 4 Stunden nach der Entnahme 
aus dem Euter in Versuch gesetzt. Es sei nochmals erwähnt, daß die 
Milch nicht steril aus dem Euter, meist nach Beendigung des Abend- 


1) Bemerkt sei, daß „altmilchend‘“ und ‚frischmilchend‘“ hier nicht 
im forensischen Sinne verstanden werden soll. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 269 


melkgeschäftes entnommen und die Reaktionen im Wasserbad bei 65 bis 
70° angestellt wurden. 

Zur Kontrolle wurde in allen Versuohen die Milch einer sicher 
altmilchenden Kuh benutzt, welche auch stets die Reaktion innerhalb 
der geforderten Zeit gab, so daß eine Täuschung, welche vielleicht durch 
Unwirksamkeit des Formalin-Methylenblaugemisches bedingt wäre, mit 
Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. 


Versuch 1. 


Kuh L. Gebirgsrasse, kalbt am 28. 12. 07 abends. Der Verlauf der 
Geburt ist normal. Die Nachgeburt wird rechtzeitig abgestoßen. Das 
Kalb saugt am Euter der Kuh vom Tage der Geburt bis zum 20. 1. 08. 
Die Milch wird am 12. 1. 08 zum erstenmal untersucht. In Versuch 
gesetzt 821 Uhr abends, entfärbt innerhalb der nächsten 4 Stunden nicht 
eine Spur. 

Am 15.1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 8 Uhr 
abends, hat bis 11 Uhr abends nicht entfärbt. 


Am 20. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 1045 Uhr 
abends, hat bis zum nächsten Morgen nicht entfärbt, 


Am 22. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 92° Uhr 
abends, um 1215 Uhr abends ist das untere Drittel der Milch aufgehellt, 
die beiden oberen Drittel sind von völlig blauer Farbe. 


Am 25. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 99% Uhr 
abends, um 10 Uhr abends sind die beiden oberen Drittel der Milch 
ziemlich entfärbt. Das untere Drittel der Milch ist von blauer Farbe. 
Um 10% Uhr abends ist die Miloh bis auf eine Kuppe am Boden des 
Reagensglases völlig entfärbt. 


Am 26. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 75% Uhr 
abends. Um 92° Uhr abends ist die Milch aufgehellt, um 935 Uhr ist 
sie hellblau, um 102! Uhr sind die beiden unteren Drittel weiß, das 
obere hellblau. Um 114° Uhr ist oben nur noch ein ungefähr 1 cm 
breiter hellblauer Ring sichtbar. 


Am 28. 1. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 737 Uhr 
abends. Die Milch ist um 83° Uhr aufgehellt, um 9'° Uhr abends be- 
findet sich im unteren Drittel ein 1 om breiter weißer Ring. 1035 Uhr 
ist die untere Hälfte weiß, die obere hat eine blaue Farbe. 

Am 6. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 104° Uhr 
abends. Um 12 Uhr ist die Milch aufgehellt. 

Am 8. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 52° Uhr 
abends. Um 55° früh nächsten Tages ist die Milch fast entfärbt. 

Am 16. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt un 937 Uhr 
abends. Um 94° Uhr abends ist die Milch fast entfärbt. 

Am 17. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 93° Uhr 
abends. Um 955 Uhr ist die Milch fast entfärbt, sie behält aber einen 
ganz leicht bläulichen Farbenton bei. 


270 K. Schern: 


Am 20. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 6 Uhr 
abends. Um 1212 Uhr ist sie ganz leicht hellblau und behält diese 
Farbe bis zum nächsten Morgen bei. 

Am 26. 2. 08 wiederum die Milch in Versuch gesetzt um 102° Uhr 
abends. Die Milch hellt in einigen Minuten aus, behält aber einen ganz 
leicht hellbläulichen Farbenton bei. 

Die Milch dieser Kuh konnte in der Folgezeit nicht mehr unter- 
sucht werden. Leider ist es auch nicht möglich gewesen, die Milch un- 
mittelbar nach dem Partus auf ihre entfärbende Eigenschaft gegenüber 
dem Formalin-Methylenblaugemisch zu prüfen. 

Im übrigen ist aus dem Protokoll ersichtlich, daß die Milch dieser 
Kuh, obwohl sie unter dem von Schardinger und den anderen Autoren 
geforderten Bedingungen für das Zustandekommen der Entfärbung des 
Formalin-Methylenblaugemisches in den Versuch gesetzt wurde, die 
Schardinger-Reaktion in der ersten Zeit nach der Geburt überhaupt 
nicht, später nur verzögert, aber auch nicht vollständig gegeben hat, 
was wohl zweifellos mit der am 28. 12. 07 erfolgten Geburt in Zu- 
sammenhang zu bringen ist. Die Fähigkeit der Milch dieser Kuh, das 
Formalin-Methylenblaugemisch zu entfärben, hat im gleichen zeitlichen 
Verhältnis mit der Entfernung vom Geburtstermin zugenommen. 


Versuch 2. 


Kuh Law, Gebirgsrasse. Kalbt am 19. 1. 08 schwer. Das Kalb 
kommt tot zur Welt. Die Nachgeburt wird nicht zur rechten Zeit ab- 
gestoßen und muß deshalb manuell entfernt werden. Die Kuh magert 
nach dieser Geburt etwas ab, erholt sich aber bald und ist völlig munter. 
Zu beachten ist daß ein Kalb an dem Euter nicht gesaugt hat. Am 
20. 1. 08 wird die Milch zum ersten Male untersucht. Angesetzt 
in Versuch um 8 Uhr abends, ist bis um 11 Uhr abends völlig blau 
geblieben. 

Am 22. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr 
abends. Um 1225 Uhr abends ist die untere Hälfte heller als die obere. 

Am 25. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 99% Uhr 
abends. Um 11 Uhr abends ist die Milch etwas aufgehellt, bis 12 Uhr 
abends ist die Milch so geblieben. 

Am 26. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 754 Uhr 
abends, hat bis 11 Uhr abends nicht entfärbt. 

Am 28. 1. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 727 Uhr 
abends, um 83° Uhr abends ist die Milch etwas aufgehellt, um 91° Uhr 
abends ist ein 1 cm breiter, weißer Ring im unteren Drittel sichtbar, 
um 1035 Uhr ist die untere Hälfte weiß, die obere hellblau. 

Am 6. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 104 Uhr 
abends, hat bis 1 Uhr nachts etwas aufgehellt. 

Am 8.2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 5% Uhr 
nachmittag. Um 5645 Uhr nachmittags ist die Milch fast völlig ent- 
färbt, sie hat einen ganz zarten Stich ins Bläuliche. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 271 


Am 16. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 937 Uhr 
abends. Um 102° Uhr abends ist die Milch bis auf eine kleine blaue 
Kuppe am Boden des Reagensglases völlig entfärbt. 

Am 17. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr 
abends. Um 101° Uhr abends ist die Milch völlig entfärbt. 

Am 20. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 1208 Uhr 
nachts. Um 1221 Uhr ist die Milch bis auf einen blauen schmalen 
Längsstrich an der Seite des Röhrchens entfärbt. 

Am 26. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 102° Uhr 
abends, hellt in 15 Minuten auf und ist fast völlig entfärbt, aber ein 
ganz leicht bläulicher Farbenton bleibt bestehen. 

Bemerkenswert ist bei dieser Kuh vor allem das Verhalten der 
Milch während der Zeit unmittelbar nach dem Partus. Während dieser 
hat die der Kuh entnommene Milch das Formalin-Methylenblaugemisch 
nicht entfärbt. Im übrigen stimmt das Ergebnis dieses Versuches mit 
dem des Versuches 1 insofern überein, als die Milch dieser Kuh eben- 
falls nicht die Reaktion in der geforderten Zeit gegeben hat. Der die 
Schardinger- Reaktion auslösende Körper ist aber erheblich früher nach 
dem Partus in der Milch dieser Kuh wieder aufgetreten, als es bei der 
im Versuch 1 untersuchten Milch der Fall war. Diese Tatsache ist wahr- 
scheinlich auf das Fehlen des Saugens am Euter zurückzuführen. 


Versuch 3. 


Kuh Ag. Niederungsrasse. Kalbt am 3. 2, 08 leicht. Das Kalb 
stirbt 8 Tage nach der Geburt an einer vom Nabel ausgehenden 
Allgemeininfektion. Das Kalb hat einige Tage am Euter gesaugt. Am 
4. 2. 08 wird die Milch in der bekannten Weise untersucht. Angesetzt 
930 Uhr abends. Um 937 Uhr abends die Milch entfärbt. 

Am 6. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 10% Uhr 
abends. Bis um 12 Uhr nachts behält die Milch völlig den 
blauen Farbenton bei. 

Am 7. 2. 08 wird die Miloh wieder untersucht. Angesetzt 445 Uhr 
nachmittags (kuhwarm). Die Milch bleibt bis 12 Uhr nachts völlig blau 
gefärbt. 

Am 8. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 52° Uhr 
nachmittags (kuhwarm). Um 55° Uhr ist die Milch sehr hellblau. 

In der Zeit vom 8. 2. bis 16. 2. 08 ist das rechte hintere Euter- 
viertel erkrankt. Aus diesem Strich wird gesondert das Sekret ent- 
nommen, während die Milch der anderen drei Striche, wie bisher, ge- 
mischt zur Untersuchung gelangt. Das kranke Eutersekret ist besonders 
untersucht worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung findet sich 
weiter unten. 

16. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche untersucht. Angesetzt 
937 Uhr abends. Die Milch ist 945 Uhr abends entfärbt. 

17. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 920 Uhr 
abends, sie ist 921 Uhr entfärbt. 


272 K. Schern: 


20. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 12°06 Uhr 
nachts, sie ist 1209 Uhr nachts entfärbt. 

26. 2. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 102° Uhr 
abends, sie ist 102” Uhr abends entfärbt. 

5. 3. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 1223 Uhr 
abends, sie ist 1225 Uhr entfärbt. 

10. 3. 08 Milch der drei gesunden Striche angesetzt um 100% Uhr 
abends, sie ist 100% Uhr abends entfärbt. 

Das Verhalten der Milch dieser Kuh ist in verschiedener Be- 
ziehung interessant. Zunächst ist e3 auffällig, daB die Milch fast un- 
mittelbar nach der Geburt das Formalin-Methylenblaugemisch entfärbt 
hat. Es muß also zu dieser Zeit der die Entfärbung bedingende Körper 
in der Milch vorhanden gewesen sein. Einige Zeit später war dieser 
Körper nicht nachweisbar, aber am 13. Tage nach dem Kalben wird er 
wieder in der Milch gefunden. Mit Rücksicht auf die Tatsachen, welche 
bei der Miloh der Kuh des Versuches 1 festgestellt worden sind, ist das 
Verhalten dieser Milch ein abweichendes.. Dem Nichtsaugen am Euter 
der Kuh, bzw. der sehr kurzen Saugperiode ist wahrscheinlich eine Be- 
deutung in dieser Beziehung beizumessen. 


Versuch 4. 


Kuh N. Niederungsrasse. Hat am 10. 2.08 gekalbt. Die Ge- 
burt verläuft leicht. Das Kalb stirbt 6 Tage nach der Geburt an Septi- 
kämie. Das Kalb hat einige Tage am Euter der Kuh gesaugt. Am 
16.2 wird die Milch zum erstenmal untersucht. Angesetzt 937 Uhr 
abends. 1025 abends ist die untere Hälfte der Milch blau, die obere weiß. 

Am 17.2. 08 wird die Milch der Kuh untersucht. Angesetzt 9% Uhr 
abends. Um 955 abends ist bis auf einen, l cm blauen Streifen am 
Boden des Glases die Milch entfärbt. Um 100% abends ist die Milch 
völlig entfärbt. 

Am 20. 2. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt 
12% Uhr nachte. Um 12% Uhr ist die Milch hellblau geworden und um 
115 Uhr ist sie entfärbt. 

Am 26. 2, 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt 
102° Uhr abends. Die Milch ist 1022 Uhr entfärbt. 

Am 5. 3. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt 
1223 Uhr abends. Die Milch ist entfärbt 122% Uhr. 

Am 10. 3. 08 wird die Milch der Kuh wieder untersucht. Angesetzt 
10° Uhr abends. Die Milch ist entfärbt 1012 Uhr. 

Auch in der Milch dieser Kuh ist der Körper, welcher die Schar- 
dinger-Reaktion auslöst, auffallend früh nach der Geburt wieder vor- 
handen gewesen. Wahrscheinlich war dies durch die sehr kurze Saug- 
periode bedingt. 

Versuch 5. 


Kuh Agte. Gebirgsrasse. Kalbt am am 16. 2.08 leicht. Die 
Geburt verläuft normal. Das Kalb bleibt vom Augenblick der Geburt 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 273 


bis zum letzten Tag der Milchuntersuchung, 10. 3. 08, bei der Mutter 
und saugt am Euter. Nach dieser Zeit konnte die Milch nicht wieder 
untersucht werden. Die Milch der Kuh wird am 16. 2. 08 zum erstenmal 
untersucht. Angesetzt 937? Uhr abends. Die Miloh ist 102% abends entfärbt. 

Am 17. 2. 08 wird die Miloh wieder untersucht. Angesetzt 92° Uhr 
abends. Die Milch behält bis 12 Uhr ihre blaue Farbe. 

Am 20. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 12% Uhr 
nachts. Die Milch ist bis 5 Uhr früh nicht entfärbt. 

Am 26. 2. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 102° Uhr 
abends. Die Milch entfärbt bis zum nächsten Morgen nicht. 

Am 5. 3. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 1228 Uhr 
abends. Die Milch entfärbt bis zum nächsten Morgen nicht. 

Am 10. 3. 08 wird die Milch wieder untersucht. Angesetzt 100% Uhr 
abends. Die Milch ist nach 1 Stunde etwas aufgehellt, aber bleibt bis 
zum nächsten Morgen hellblau. 

Bei der Milch dieser Kuh, an deren Euter das Kalb längere Zeit 
gesaugt hat, ist es auffällig, daß in der Colostralmilch der die Ent- 
färbung des Schardingerschen Reagens bedingende Körper, wenn 
auch verzögert, seine Tätigkeit entfaltete, während er bereits einen Tag 
nach der Geburt in der Milch nicht mehr nachweisbar ist. 


Aus diesen Versuchen läßt sich folgern, daß die 
Schardinger-Reaktion der Milch bei den 5 längere 
Zeit hindurch untersuchten Kühen völlig anders ver- 
laufen ist, als bei der Milch der oben erwähnten 
altmilchenden Kühen und daß die Milch der 5 frisch- 
milchenden Kühe die Schardinger-Reaktion einige 
Zeit nach dem Partus nicht gab. 


Neben diesen Untersuchungen ist mit der Milch solcher 
Kühe, die mir zur Milchentnahme vorübergehend zur Verfügung 
standen, die Reaktion auf die Entfärbung des Formalin-Methylen- 
blaugemisches ausgeführt worden. 

Am 26. 1. 08 wird 6 Kühen eines Transportes früh zwischen 6 und 
7 Uhr etwas Milch entnommen. Die Kühe sollen sämtlich vor ca, 8 bis 
14 Tagen gekalbt haben. Ob an den Eutern der Kühe Kälber gesaugt 
haben, läßt sich nicht ermitteln. 

Die Milch dieser Kühe wird um 1048 Uhr vormittags bei 65 bis 70° 
angesetzt. Bis nachmittags um 6 Uhr hat die Milch nicht eine Spur 
entfärbt. 

Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß eine Kontrollmilch 
einer altmilchenden Kuh das Reagens in wenigen Minuten entfärbt. 

Dieser Versuch bestätigt die Ergebnisse früherer Ver- 
suche. 

Am 6. 2. 08 wurden drei Milchsorten ohne nähere Angabe zwecks 


Vornahme der Sohardinger-Reaktion abends übersandt; 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 13 


274 K. Schern: 


Kuh 1 soll vor 5 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird 1040 Uhr 
abends angesetzt bei 65 bis 70%. Die Milch ist 112° Uhr abends entfärbt. 

Kuh 2 soll vor 4 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird angesetzt 
um 10% Uhr abends bei 65 bis 70°. Milch bleibt bis 12 Uhr völlig 
dunkelblau gefärbt. 

Kuh 3 soll vor 10 Tagen gekalbt haben. Die Milch wird angesetzt 
um 104° Uhr abends bei 65 bis 70°. Die Milch bleibt bis 12 Uhr völlig 
dunkelblau gefärbt. 

Die Ergebnisse, die ich mit der Milch der Kühe 2 und 3 gehabt 
habe, bestätigen die bereits mitgeteilten Tatsachen. Etwas abweichend 
hat sich die Milch der Kub 1 verhalten, aber auch hier verlief die Ent- 
färbung des Sohardinger-Reagens nicht innerhalb der geforderten Zeit. 


Somit läßt sich sagen, daß die Milch der Kühe, 
welche in den vorstehenden Versuchen aufgeführt 
wurden, und welche als frischmilchend zu bezeichnen 
waren, die Reaktion nach Schardinger meist gar nicht 
oder doch nur verzögert gab. 


c) Das Verhalten einer kranken Milch gegenüber der 
Schardinger-Reaktion. 


Gelegentlich der Untersuchung der Milch der Kuh Ag. 
(cf. Versuch 3) wurde festgestellt, daß das rechte hintere Euter- 
viertel erkrankt war. Die Kuh lieferte aus dem entsprechenden 
Strich ein dünnflüssiges, fast gelbes, ziemlich transparentes 
Sekret. Bei längerem Stehen setzte sich ein voluminöser, aus 
gelbgrauen Massen bestehender Bodensatz ab. 


Mit dem Sekret werden folgende Versuche angestellt: 


16. 2. 08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 9%5 Uhr 
abends. Bis um 12 Uhr nachts ist das Sekret nicht entfärbt. 

17. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 92° Uhr 
abends, hellt um 1025 abends etwas auf, bleibt aber blau ge- 
färbt. 

20. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 120 Uhr 
nachts. Bis 6 Uhr früh ist die Farbe des Sekretes etwas aufgehellt, aber 
noch blau gefärbt. 

25. 2.08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 102° Uhr 
abends. Bis 12 Uhr nachts hat das Sekret sein: blaue Farbe behalten. 

5. 3. 08. Das Sekret des kranken Striohes angesetzt um 122° Uhr 
abends. Es ist innerhalb der vier nächsten Stunden nicht eine Spur 
entfärbt. 

10. 3. 08. Das Sekret des kranken Striches angesetzt um 10°% Uhr 
abends Es ist um 11'!? Uhr abends, also nach über eine Stunde, nicht 
eine Spur entfärbt. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 275 


Das Sekret des erkrankten Striches hat das Forma- 
lin-Methylenblaugemisch nicht entfärbt. 


Dieser Tatsache muß eine gewisse Bedeutung zuerkannt 
werden bei der Beurteilung der Milch auf Grund des Ausfalls 
der Schardinger-Reaktion. Wenn auch an der Hand der einen 
vorliegenden Beobachtung über eine kranke Milch ein allgemeiner 
Schluß ungerechtfertigt erscheint, so fordert doch alles dies 
dazu auf, öfter mit kranker Milch die Schardinger- Reaktion 
anzustellen. 

Das Aussehen des untersuchten kranken Eutersekretes ließ 
den Gedanken aufkommen, daß bei der Entzündung die lympha- 
goge Wirkung sehr stark und infolgedessen selır viel Flüssig- 
keit serumähnlicher Beschaffenheit in das Sekret übergetreten 
war. Somit lag die Möglichkeit vor, daß die bei der Entzün- 
dung abgeschiedene Flüssigkeit das Hindernis für den negativen 
Ablauf der Schardinger-Reaktion bildete. Bedingung für die 
Richtigkeit der gegebenen Anschauung im Verfolg dieser Über- 
legung war, daß das Blutserum des erkrankten Tieres ebenfalls 
das Formalin-Methylenblaugemisch nicht entfärbte. Das war 
auch tatsächlich der Fall, konnte aber als etwas besonders 
auffälliges nicht betrachtet werden, da sehr bald weitere Ver- 
suche lehrten, daß nicht nur die Sera von anderen Rindern, 
sondern auch von Pferden, Eseln, Schweinen, Ziegen, Schafen, 
Kaninchen, Meerschweinen, Tauben, Hühnern, Gänsen und 
anderen Tieren die Schardinger-Reaktion nicht gaben. Immer- 
hin war es trotzdem interessant, festzustellen, ob eine normale, 
mit normalem Rinderserum vermischte Milch in Parallele zu 
stellen ist mit dem bei einer Mastitis gelieferten Sekret. Um 
diese Frage zu klären, wird folgender Versuch im Wasserbad 
bei 65° angestellt. 


Tabelle I. 


N d | Angosetzt Entfärbt 


1 | 10 ccm normale Milch allein + 1 ccm Formalin- 
Methylenblaulösung . . . . 2». sensas’ 
2|9°/, ccm normale Milch 4 !/, com Rinder- 
serum 4 1 ccm Formalin-Methylenblau- 
gemisch. o yare 5 0.0. a ee a 






1218 Uhr | 1217 Uhr 


18* 








Nr. Angesetzt | Entfärbt 





Dia com normale Milch + !/, ccm Rinder- |1215 Uhr | 12! Uhr? 

serum 4 1l ccm Formalin-Methylengemisch 

4| 9ccm normale Milch + 1 ccm Rinderserum |1215 „ |1207 
+ Leem Formalin-Methylengemisch . . . | 

5| 8com normale Milch + 2 ccm Rinderserum |1215 „ 1217 „ 
+ 1 eem Formalin-Methylengemisch . . . 

6| 7 ccm normale Milch + 3 ccm Rinderserum | 12125 „ |1217 
+ 1l com Formalin-Methylengemisch . . . 

71 6ccm normale Milch + 4 cem Rinderserum |1215 „ '1217 „ 
-+ Leem Formalin-Methylengemisch . . . 

Bi Beem normale Milch + 5 com Rinderserum |1215 „ |1207 „ 
+ l ccm Formalin-Methylengemisch . . . 





9| 400m normale Milch + 6 ccm Rinderserum | 1235 1250 o 
+ lccm Formalin-Methylengemisch . . . 

10] 3ccm normale Milch + 7 ccm Rinderserum | 1235 _ 2 „ 
-+ 1 ccm Formalin-Methylengemisch . . . 

11] 2ccm normale Milch + 8 ccm Rinderserum | 145 „ 3 e 
+1 ccm Formalin-Methylengemisch . . . 

12 | 10 ccm Rinderserum allein + 1 ccm Formalin- |1215 „ ` entfärbt 
Methylengemisch . . . es 22 222.2. — 

nio 


Es ist aus der Tabelle ersichtlich, daß 4 Teile Milch mit 
6 Teilen Serum die Reaktion nicht in der geforderten Zeit ab- 
laufen lassen und daß diese Erscheinung bei einem noch größeren 
Gehalt der Milch an Serum noch mehr zutage tritt. Die be- 
obachteten Tatsachen lassen die bereits oben geäußerten An- 
schauungen als richtig erscheinen und geben bis zu einer gewissen 
Grenze eine Erklärung für den negativen Ausfall der Reaktion 
bei der Milch des erkrankten Euterviertels. Vergleichsweise 
habe ich das Sekret des kranken Striches dieser Kuh mit der 
normalen Milch der übrigen drei Striche vermischt und auch 
damit die Reaktion bei 65° angestellt. 


Tabelle II. 
Angesetzt Entfärbt 
1 Teil patholog. Milch + 3 Teile normaler Milch 1017 Uhr vorm, 1027 Uhr 
KE: S „ +1Teil = „p 100 „ „1088 
8 Teil „ „ +2 Teile 3 J TOU a a SE 


Trotz der großen Verdünnung, welche der die Entfärbung 
bedingende Körper der zugesetzten normalen Milch durch Bei- 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 277 


mischung des mastitischen Sekretes erfahren hat, entfaltete er 
doch, wenn auch verzögert, seine Tätigkeit und es konnten die 
erhaltenen Befunde in direkte Parallele gesetzt werden mit 
denen, die oben bei den Milchserumgemischen erhoben wurden. 
Der negative Ausfall der Reaktion ist bei einer Mastitis-Milch 
erst dann zu beobachten, wenn diese durch Beimischung 
der bei der Entzündung aus den Blutgefäßen austretenden 
Flüssigkeit so hochgradig verändert ist, daß sie bereits bei ein- 
facher Besichtigung als „krank“ erkannt wird. Infolgedessen 
wird man im allgemeinen die Reaktion für die Er- 
kennung derartiger entzündlicher Prozesse am Euter 
nicht heranziehen. Zum Vergleiche ist mit dem Sekret des 
erkrankten Striches unter anderem auch die Reaktion bei 45° 
angestellt. Diese Temperatur fordert bekanntlich Schardinger 
zur Ausführung der Reaktion. Aber auch bei dieser Tempe- 
ratur wurde das Formalin-Methylenblaugemisch nicht entfärbt, 
sobald von dem mastitischen Sekret der obere flüssige, serum- 
ähnliche Teil benutzt wurde. Stellte man dagegen die Reaktion 
mit dem flockenreichen, lumigen Bodensatz an, so entfärbt dieser 
sehr schnell innerhalb 10 Minuten das Reagens. Bei 65 bis 70° 
konnte der gleiche Versuch wegen Mangels an Material nicht 
angestellt werden. 


d) Versuche über die Temperatur, bei der die Schar- 

dinger-Reaktion ausgeführt wird, nebst einigen ande- 

ren Bemerkungen über den diese Reaktion auslösenden 
Körper der Milch. 


Von Schardinger (l. c.) ist angegeben worden, daß die 
Entfärbung des Formalin-Methylenblaugemisches durch eine 
Milch bei ungefähr 45° vorzunehmen ist. Brand (l. c.) hat, 
wie schon erwähnt, später als Optimaltemperatur für den Ab- 
lauf der Schardinger Reaktion ungefähr 65 bis 70° angegeben. 
Bei dieser von Brand angegebenen Temperatur haben auch 
fast alle Autoren später die Schardinger-Reaktion ausge- 
führt, und heutzutage steht diese Temperatur als Norm für die 
Reaktion fest. 

Da bei den bereits mitgeteilten Versuchen Tatsachen fest- 
gestellt wurden, die geeignet sind, die bisherigen Anschauungen 
über die Schardinger-Reaktion ins Wanken zu bringen, so 


278 K. Schern: 


lag es nahe, zu ermitteln, ob tatsächlich für alle Milcharten die 
Temperatur von 65 bis 70° die optimale ist oder ob die Milch 
frischmilchender Kühe sich in dieser Beziehung anders verhält. 

Um dies zu entscheiden, wurde mit je zwei Proben einer 
Milch die Schardinger-Reaktion sowohl bei 65 bis 70° als 
auch daneben bei 45° vorgenommen. Das Nähere ist aus den 
beigefügten Tabellen ersichtlich. 


Tabelle I. 
Versuch mit der Milch altmilchender Kühe. 








Kuh gesetzt bei 65 bis 70° um | gesetzt bei 45° um 245 Uhr 
N 245 Uhr nachmittags nachmittags 
F: 

















1 hat entfärbt um 246 Uhr hat entfärbt um 25t Uhr 
2 n „ e ZE, e n T a ZIL aw 
3 n H TE aa | mn nm mm ZC. 
4 n n — * d nm we SE 
5 5 n E d 1 ew SZT ajj 
6 nm ” E „ n — a 
7 D r e 29 „ | nm „ Fi SE 2 
8 n n n 2 „ | „ nm "E , 
9 n n w IT: | 1 n ee 
10 n n e 2 „ d „ e SÉ a 
11 d 1 e GE d d wm SE o 
12 n „ Pe | „ mn e. SS: A 
13 „ ” „2. | n d "E a 
14 mn d — d | „ d d H, 
16 d „ me SI. „ „ E an 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daf die Schar- 
dinger-Reaktion von der Milch altmilchender Kühe 
bei 65 bis 70° schneller gegeben wird als bei 45°. 


Tabelle II. 
Versuch mit der Milch frischmilchender Kühe. 








S | Die Kuh Die Milch wird in Die Milch ist in 
S A| hat ge- * Lagun Versuch gesetzt Versuch gesetzt 
©5| boren | ausgeführt | bei 65° bis 70° bei 45° 
bi * um 92° abends um 920 abends 
1 
2 















Ist entfärbt 926 abends 
TE 39 932 pe 


Ist entfärbt 101° abends 


Entfärbt nicht bis — 
nächsten Morgen 





Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 279 




















ES Die Milch wird in | Die Milch ist in 
f Z Versuch gesetzt Versuch gesetzt 
3 bei 65° bis 70° bei 45 
gm um 920 abends um 92° abends 
3| 19.1. | 10.3. |Hellt auf, aber bleibt|Ist entfärbt 9* abends 
hellblau bis z. nächsten 
Morgen 
4 3. 2. 17. 2. |Ist entfärbt 921 abends| , „ 939 Ss 
6 3. 2. 10.3. |, ~ 923 w a ee. -935 s 
6 28. 12 17. 2. ap ap 955 TT IT) TE 935 99 
71 10.2 17.2. |, vw. 109 ,.,l, vw 939 Ge 
8 | 10.2 26.2. |, np 923 » |» vm 928 „ 
9| 10.2 10.3. |, „ 926 » |» vm 938 ne 
10 | 16.2 17.2. |Die Milch hat bis 12%0|Die Milch hat bis 12% 
abends nicht eine Spurjabends nioht eine Spur 
entfärbt entfärbt 
(IR 16.2 20. 2. |Um 112° abends ist die Ist entfärbt 94° abends 
untere Hälfte blau, die 
obere weiß. Dies bleibt 
bis z. nächst. Morgen so 
12 | 16. 2. 26.2. |Die Milch ist bis zum| „ » 10% 
nächsten Morgen nicht 
entfärbt 
13 | 16. 2. 10. 3. |Die Milch ist am näch-| „ ja: "AER e 
sten Morgen hellblau, 
aber nicht entfärbt 
l4 | 28. 12. 26.2. |Die Milch ist am nächst.| „, e 94 „ 
Morgen nicht entfärbt 
15 | 12.2. 6.3. |Die Milch ist bis zum| „ — e 
nächsten Morgen nicht 
entfärbt 


Nach dieser Tabelle ist im allgemeinen der Schluß 
berechtigt, daß von der untersuchten Milch frisch- 
milchender Kühe mit geringen Ausnahmen die Schar- 
dinger-Reaktion besser bei einer Temperatur von 45° 
als bei einer Temperatur von 65 bis 70° gegeben wurde. 


In der Milch frischmilchender Kühe wird der den positiven 
Ausfall der Reaktion bedingende Körper bei einer Erhitzung 
über 45° anscheinend häufig zerstört. Es muß dies bei An- 
stellung der Reaktion berücksichtigt werden und es empfiehlt 
sich, die Milch stets bei 45° zu untersuchen, will man den 
die Schardinger-Reaktion auslösenden Körper nachweisen. 

Für künftige Untersuchungen über den Nachweis des die 
Schardinger Reaktion bedingenden Körpers, soweit es sich 
hierbei um die Untersuchung über die Natur dieses Körpers 


280 K. Schern: 


handelt, wird es sich daher empfehlen, die Reaktion zuerst 
bei 65 bis 70° anzustellen; zeigt sich hierbei eine Abweichung 
von der Norm, so ist der Versuch mit einer anderen Probe 
derselben Milch bei 45° zu wiederholen. 

Das Temperatur-Optimum für die Anstellung der Reaktion 
mit der Milch altmilchender Kühe liegt meist bei 65 bis 70°. 

Um das Wesen des das Formalin-Methylenblaugemisch 
entfärbenden Körpers näher kennen zu lernen und um zu ent- 
scheiden, ob dieser Körper in der Milch präformiert vorhanden 
ist, oder ob er später, vielleicht erzeugt durch Bakterien, in 
der mit der Außenwelt in Berührung gekommenen Milch auf- 
tritt, habe ich Milch steril von der Kuh entnommen. Die 
Entnahme aus dem Euter geschah unter anti- und aseptischen 
Kautelen mit Hilfe eines Melkröhrchens. Es wurde so stets 
die Einzelmilch der verschiedenen Striche erhalten. Ein Teil 
der Milch wurde während mehrerer Tage mit den bekannten 
Methoden auf Sterilität geprüft und blieb dauernd steril in 
dieser Zeit, während mit dem anderen, fast noch die Körpertempe- 
ratur aufweisenden, also völlig frisch ermolkenen Teil sofort die 
Reaktion angestellt wurde. Hierbei zeigte sich, daß bei der 
meisten Milch altmilchender Kühe die Reaktion bei 65 bis 70° 
sehr bald, innerhalb weniger Minuten ablief, während die Milch 
frischmilchender Kühe meist nicht entfärbte, auch nicht bei 
45°. Es mußte also der das Formalin-Methylenblaugemisch 
entfärbende Körper oft in der Milch altmilchender Kühe prä- 
formiert vorhanden sein, während er meist in der Milch frisch- 
milchender Kühe fehlt. Es handelt sich hiernach wahrschein- 
lich, wie das auch Trommsdorf (l. c.) angibt, um einen enzym- 
artigen Körper in der Milch, der mit Rücksicht auf seine ent- 
färbende Eigenschaft als Schardinger-Enzym bezeichnet 
werden kann. 

Es war bei diesen Untersuchungen der Milch jedes ein- 
zelnen Striches eines Euters interessant, festzustellen, daß bei 
frischmilchenden Kühen mitunter die Milch von drei Strichen 
bei der Reaktion nicht entfärbt, während die Milch des vierten 
Striches entfärbt. Auch das Umgekehrte konnte beobachtet 
werden. Eine derartige Mischmilch einer Kuh entfärbt aber 
trotzdem in der vorgeschriebenen Zeit das Schardinger-Re- 
agens. Ebenso war die Zeit bis zum Ablauf der Reaktion bei 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 281 


der Milch der einzelnen Striche frischmilchender Kühe oft ver- 
schieden lang. Diese Tatsachen habe ich später auch bei nicht 
steril entnommenen Einzelstrich-Milchproben bestätigen können. 


e) Schlußfolgerungen aus den angestellten Versuchen. 


Die Ergebnisse meiner Untersuchungen lassen sich kurz 
dahin zusammenfassen, daß die Angaben Schardingers be- 
treffs seiner Reaktion für Milch, welche in seinem Sinne be- 
stätigt und aus denen allgemein geltende Schlüsse gezogen worden 
sind, nicht für jede Milch zutreffen. Die Schardinger-Re- 
aktion ist nicht in jedem Falle geeignet, über die 
„Frische“ oder üher die Hitzedenaturierung oder 
über die Verfälschung einer Milch mit Wasser zu 
entscheiden. 

Was die Anstellung der Reaktion selbst anlangt, so ist es 
zweckmäßig, diese im allgemeinen in einem Wasserbad 
von 65 bis 70° vorzunehmen, wie es Brand (l. c.) an- 
gegeben hat. Verläuft aber die Reaktion bei dieser 
Temperatur negativ, so muß der Versuch, sofern man 
die Anwesenheit des die Formalin-Methylenblaulösung 
entfärbenden Enzyms nachweisen bzw. negieren will, 
mit einer anderen Probe derselben Milch im Wasser- 
bad bei 45° wiederholt werden. 

Fällt die Reaktion auch bei dieser Temperatur negativ 
aus, so wird man sagen können, daß das Schardinger- Enzym 
in der untersuchten Milch fehlt, im anderen Falle, daß es vor- 
handen ist. Diese Verhältnisse müssen genau berücksichtigt 
werden. 

Die Angaben Schardingers und der anderen, oben be- 
reits erwähnten Autoren treffen nur im allgemeinen für 
die Milch altmilchender Kühe?) zu. Derartige Milch ent- 
färbt das Formalin-Methylenblaugemisch ziemlich schnell in der 
bekannten Weise. Aber auch hier kommen scheinbar Aus- 
nahmen vor, wie die vorhandene Literatur beweist, wenn auch 
diese Angaben, abgesehen von einigen wenigen, mit einer ge- 
wissen Reserve zu beurteilen sind; denn keiner der Autoren, 


1) „Frischmilchend‘“ und ‚altmilchend‘“ soll in dieser Arbeit nicht 
im forensischen Sinne verstanden werden. Es soll damit nur der un- 
gefähre Zeitpunkt der Lactation bezeichnet werden. 


282 K. Schern: 


die sich bis dahin mit der Schardinger-Reaktion be- 
schäftigt haben, hat bei seinen Untersuchungen die 
Lactationsperiode berücksichtigt, in der sich die Kuh 
befand, von der die jeweils untersuchte Milch her- 
stammte. Das erscheint zunächst verwunderlich, ist aber er- 
klärlich, da die Schardinger- Reaktion bisher ausschließlich 
von Ärzten und Chemikern, niemals aber von einem Tierarzt 
zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht worden ist. So 
erklärt es sich auch, daß Brand (l.c.) den negativen Ausfall 
der Schardinger-Reaktion bei einer Kuh, die 221 Milch pro 
Tag gab, nicht anders als mit den oben bereits zitierten Worten 
zu erklären versucht hat. Und gerade dieser Fall von Brand 
hätte vielleicht schon damals Veranlassung zu Untersuchungen 
in der von mir eingeschlagenen Richtung geben können. 
Abgesehen hiervon aber kommen auch ganz vereinzelt Fälle 
vor, in denen die Schardinger-Reaktion sicher negativ aus- 
fällt, ohne daß hierfür gerade die Lactationsperiode stets mit 
Sicherheit verantwortlich gemacht werden kann. Diese Tat- 
sachen bedürfen noch einer weiteren Klärung, wenn sie auch 
bei der Beurteilung der ganzen Frage kaum jemals von weit- 
tragender Bedeutung sein werden. 

Ein ganz exzeptionelles Verhalten gegenüber der Schar- 
dinger-Reaktion zeigt die Milch solcher Kühe, welche vor 
nicht langer Zeit gekalbt haben. Die Colostralmilch soll hierbei 
ausgeschlossen sein. In der Regel gibt die frische, nicht 
mit Wasser verdünnte und nicht erhitzte Milch von 
solchen Kühen, welche vor einigen Tagen oder vor 
einigen Wochen geboren haben, die Schardinger-Reak- 
tion nicht. Es könnte daher der negative Ausfall der Reaktion 
bei solcher Milch, zieht man die bisher und zwar wieder in aller- 
letzter Zeit in der Literatur aufgezeichneten Angaben in Betracht, 
nach diesen zu bedauerlichen Irrtümern Veranlassung geben. 

Deshalb ist die Schardinger-Reaktion überhaupt 
nicht geeignet, ohne weiteres über die Qualität einer 
Milch Aufschluß zu geben. Die Reaktion ist vom prakti- 
schen Standpunkt aus in der Hinsicht, daß sie eine Hitze- 
denaturierung der Milch oder eine Verfälschung derselben mit 
Wasser nachweisen soll, mit allergrößter Vorsicht, z. B. bei 
einer Milchkontrolle, anzuwenden. 


Über die Schardinger-Reaktion der Milch. 283 


Die Milch in der allerersten Zeit nach der Geburt, also 
das makroskopisch als Colostralmilch erkennbare Eutersekret, 
hat bezüglich der Schardinger-Reaktion bei meinen Unter- 
suchungen ein verschiedenes Verhalten gezeigt. Mitunter ist 
das die Formalin-Methylenblaulösung entfärbende Enzym in 
dieser Milch vorhanden gewesen, manchmal hat es gefehlt, 
wohingegen es jedoch stets einige Tage nach der Geburt des 
Kalbes nicht nachzuweisen gewesen ist. Hierbei ist bemerkens- 
wert, daß das Schardinger-Enzym in der Milch der Kühe, 
an deren Euter ein Kalb gesaugt, auffallend spät und 
ziemlich lange nach der Geburt im Verhältnis zu der Milch 
der Kühe nachzuweisen war, an deren Euter ein Kalb nicht 
gesaugt hat. In den letzteren Fällen war stets das Enzym 
ziemlich früh nach der Geburt in der Milch vorhanden. Diese 
Tatsachen bedürfen jedoch noch weiterer Klärung. 
Hinsichtlich der Milch euterkranker Kühe kann in allen 
Punkten ein abschließendes Urteil über die Schardinger-Re- 
aktion nicht gegeben werden. Es wurde ein Fall beobachtet, 
bei dem die Milch eines erkrankten Striches die Schardinger- 
Reaktion überhaupt nicht gegeben hat, sobald man den serum- 
ähnlichen Teil des Eutersekretes zur Reaktion benutzte, wohin- 
gegen der mit dichten Flocken und Gerinnseln durchsetzte Teil 
des Sekretes die Reaktion prompt gab. 
Die Schardinger-Reaktion wird jedenfalls durch ein 
Enzym bedingt, wofür die Befunde sprechen, welche man an 
ganz frischer, noch fast die Körperwärme aufweisender, steril 
ermolkener Kuhmilch erheben kann. 
Ohne die näheren Einzelheiten der festgestellten Tat- 
sachen in Betracht zu ziehen, ist man berechtigt zu sagen: 
1. Die frische Milch „altmilchender Kühe“ ent- 
färbt in der allergrößten Mehrzahl der Fälle 
das Formalin-Methylenblaugemisch nach der 
Angabe Schardingers. 

2. Die frische Milch „frischmilchender Kühe“ ent- 
färbt das Formalin-Methylenblaugemisch nicht 
im Sinne der Angaben Schardingers und der 
anderen Autoren. Dies ist namentlich dann zu be- 
achten, wenn ein Kalb längere Zeit am Euter der 
fraglichen Kuh saugt, bzw. gesaugt hat. 


284 K. Schern: Über die Sohardinger-Reaktion der Milch. 


3. DieMengedesdieFormalin-Methylenblaulösung 
entfärbenden und sich in der Milch einer frisch- 
milchenden Kuh zeigenden Enzyms — aus- 
schließlich der Colostralmilch — steigt im 
gleichen Verhältnis mit der zeitlichen Ent- 
fernung vom Termin des Partus der Kuh all- 
mählich zur Norm an. 


Anmerkung. 


Koning hat in seinen „biologischen und biochemischen 
Studien über Milch“ (Leipzig 1908) auch ähnliche Tatsachen 
wie die vorstehenden veröffentlicht. Konings Studien sind 
mir erst nach Fertigstellung meiner Arbeit bekannt geworden, 
weshalb sie in der Literatur nicht berücksichtigt werden konnten. 
Koning hat seine Untersuchungen in etwas anderer Weise an- 
gestellt als ich. Vor allen Dingen fehlen bei ihm die systema- 
tischen Untersuchungen über das auffällige Verhalten der 
Milch frischmilchender Kühe gegenüber der Schardinger- 
Reaktion. Dem Saugen oder Nichtsaugen am Euter der Kuh 
mißt er scheinbar keine Bedeutung bei. Gerade diesen Punkt 
halte ich für sehr wichtig. Im allgemeinen aber darf ich an- 
nehmen, daß Koning schon einige Feststellungen meiner 
Arbeit durch seine Beobachtungen bestätigt hat. 

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind von mir bereits für die 
praktische Veterinärmedizin zur Erkennung des „Frisch- 
milchendseins‘ der Kühe im forensischen Sinne verwertet 
worden. Die diesbezügliche Veröffentlichung erfolgt demnächst 
in den Monatsheften für praktische . Tierheilkunde. 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 
Von 
A. Pagenstecher. 
(Aus der med. Universitäts-Poliklinik zu Heidelberg.) 
(Eingegangen am 29. April 1909.) 


Die Anwesenheit von fettspaltenden Fermenten im Darm- 
tractus ist schon lange festgestellt, neu dagegen und bislang 
nur in geringerem Maße durchgeführt sind Untersuchungen über 
das Vorkommen fettspaltender Elemente in den Geweben des 
Körpers. 

Eine größere Bedeutung wird erst neuerdings diesen Lipasen 
zugemessen, seitdem sich gewisse Analogien zwischen dem Ge- 
halt der Immunsera an Lipasen und den Immunkörpern ge- 
funden haben, wie dies aus den Arbeiten von Neuberg und 
Reicher!) und Neuberg und Rosenberg?) hervorging. Neu- 
berg und seine Mitarbeiter konnten damals feststellen, daß 
alle die von ihnen untersuchten Immunsersa imstande waren, 
Fette zu spalten, und es lag danach der Gedanke nahe, auch 
Organpreßsaft auf seinen Gehalt an Lipasen zu prüfen. Dieser 
Gedanke hatte um so mehr verlockendes für sich, als nach den 
Untersuchungen von Korschun und Morgenroth?) einer 
Reihe von Organextrakten eine sehr erhebliche hämolytische 
Wirkung zukommt, wenn sich auch dieselbe in der Art ihres 
Zustandekommens in wesentlichen Punkten von der Hämolyse 
durch Immunsera unterscheidet. Es mag gleich hier hervor- 
gehoben werden, daß diese Untersuchungen, die ich auf Ver- 
anlassung von Lefmann vornahm, auch mit Rücksicht darauf 


1) Diese Zeitschr. 4, 281, 1907; Münch. med. Wochenschr. 1907, 35. 
2) Berl. klin. Wochenschr. 1907, 44, 54. 
3) Berl. klin. Wochenschr. 1902, Nr. 37. 


286 A. Pagenstecher: 


stattgefunden haben, daß sich gewisse Ausblicke eröffneten 
für das Vorkommen und die Verteilung der Immunkörper, 
wenn es gelänge, nachzuweisen, daß der Gehalt eines Organs 
an Lipasen und an Immunkörpern stes parallel geht oder 
gar, daß mit dem Auftreten von Lipasen in einem Organ 
sich Immunkörper in demselben nachweisen ließen. Ehe man 
aber zu hierauf gerichteten Untersuchungen überging, mußte 
man sich erst über das Vorkommen von Lipasen in normalen 
Organen orientieren, und ich ging deshalb so vor, daß ich zu- 
nächst den Lipasengehalt der wichtigsten Organe an leicht zu- 
gänglichem Material bestimmte. Anfänglich benutzte ich die 
verschiedenen Organe des Rindes, Hammels und Schweines. 
Da sich aber dabei herausstellte, daß nicht nur die gleichen 
Organe verschiedener Tiergattungen Differenzen untereinander 
zeigten, sondern auch die gleichen Organe der gleichen Tier- 
gattung so verschieden untereinander hinsichtlich ihres Gehaltes 
an Lipasen waren, daß dadurch die Einheitlichkeit und die Über- 
sichtlichkeit der Versuche ungeheuer beeinträchtigt wurde, so 
beschränkte ich mich zunächst darauf, eine größere Versuchs- 
reihe unter Verwendung der verschiedenen Organe desselben 
Tieres aufzustellen und wählte zu diesem Zwecke aus äußeren 
Gründen die Organe des Rindes. 

Die Anordnung der Versuche war, abgesehen von einigen in ein- 
zelnen Fällen sich ergebenden Änderunzen, stets die gleiche. Das be- 
treffende Organ wurde in der Fleischhackmaschine sorgfältig zerkleinert, 
eine bestimmte Menge, gewöhnlich waren es 200 g, abgewogen und zu 
gleichen Teilen mit Kochsalzlösung versetzt. Um Fäulnis zu verhindern, 
wurden zu dieser Mischung 5 ccm Toluol zugesetzt. Dieselbe wurde 
dann auf der Schüttelmaschine ca. 24 Stunden digeriert und durch ein 
mittelgrobes Leintuch hindurchgepreßt. Von dem auf diese Weise ge- 
wonnenen Preßsaft wurden je 20 ocm in Meßkolben von 150 ocm 
Inhalt gebracht; auf diese Weise wurden acht Kolben mit PreBeaft ver- 
sehen und zu diesen jeweils 5 com Toluol zugesetzt. Die weitere Be- 
handlung war darnach verschieden. Während zwei Kolben ohne weiteren 
Zusatz blieben, wurde zwei anderen IOcem Olivenöl zugesetzt. Zwei weitere 
erhielten einen Zusatz von 25 ccm einer Emulsion von 2 Gelbeiern mit 
50 ccm Kochsalzlösung. Den beiden letzten Kolben wurde je 1 com 
Monobutyrin zugesetzt. Jeweils eine von diesen zwei Proben wurde im 
Wasserbade sofort gekocht. dann auf Eis gestellt und abgekühlt, die 
andere wurde nach 24stündigem Aufenthalt im Brutschranke demselben 
Verfahren unterworfen. Beide Proben wurden dann auf 150 ocm mit 
destilliertem Wasser aufgefüllt, filtriert und mit einer Pipette je 50 ocm 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 287 


jeder Probe entnommen. Diese 50 com wurden dann mit Phenolphthal- 
einlösung titriert, um ihren Säuregehalt festzustellen. Die Differenz 
zwischen den direkt nach dem Kochen gefundenen Werten und den nach 
24stündigem Brutschrankaufenthalt ermittelten ergab die Säureverschie- 
bung — Zu- oder Abnahme — für 50 oom. Für die Gesamtmengen — 
150 ccm — mußte man also das Dreifache rechnen. In einer zweiten 
Versuchsreihe wurde dann der Versuch gemacht, das Ferment zu iso- 
lieren. Zu diesem Zwecke wurde der durch das angegebene Verfahren 
gewonnene Preßsaft zu gleichen Teilen mit absolutem Alkohol versetzt 
und unter der Saugpumpe bis nahe zur Trockne von der suspendierten 
Flüssigkeit abgesogen. Diese getrocknete Masse wurde mit Kochsalz- 
lösung versetzt, entsprechend der Hälfte des verwendeten Preßsaftes, und 
unter Zusatz von weiteren 5 ccm Toluol 24 Stunden auf der Schüttel- 
maschine digeriert. Das so gewonnene Produkt wurde durch ein 
Faltenfilter filtriert und 20 ocm des klaren Filtrates in Kolben zu 
150 com in folgender Weise weiter verarbeitet. Zu dem Filtrat wurden 
zunächst je 5 ccm Toluol gesetzt. Ein Kolben wurde ohne Zusatz ge- 
kocht, aufgefüllt und filtriert, um die Säuremenge festzustellen. Drei 
weiteren Kolben wurden 25 ccm einer Emulsion von 3 Gelbeiern mit 
750cm Kochsalzlösung zugesetzt. Zwei von diesen Kolben wurden sofort 
gekocht, der eine sofort weiter verarbeitet und titriert, der andere kam 
mit dem dritten, nicht gekochten, auf den Brutschrank und verblieb 
dort 24 Stunden. Nach dieser Zeit wurde bei diesen die Säuremenge 
bestimmt. Die Differenz zwischen den Säuremengen des ersten und dritten 
Kolbens ergab die Säurevermehrung. Zu den beiden letzten Kolben wurde 
Leem Monobutyrin zugesetzt, der eine sofort gekocht, der andere nach 
24stündigem Verweilen im Brutschrank. Die Säuremengen wurden fest- 
gestellt, die Differenz berechnet. 


Nach Beendigung dieser Untersuchungen kam es uns darauf 
an, das Verhältnis der mittleren Fettspaltung zur Trockensubstanz 
der einzelnen Organe festzustellen. Zu diesem Zwecke machten 
wir eine Anzahl genauer Trockensubstanzbestimmungen von je 
10 g eines Organs. 

Gehen wir jetzt zu den Ergebnissen der nach den oben 
ausgeführten Gesichtspunkten gemachten Untersuchungen, und 
zwar zunächst bei der Milz, über, so ergibt sich folgendes: 

Milz. | Ä | 
20 com Preßsaft + 5 ccm 


Toluol, sofortgekochtund 
tient... . — | 5,98 


— — — — —— — — — — — — — — 


Dasselbe nach 24stündigem | 











Verweilen auf dem Brut- 
schrank `, . . 

















6,98 | 9,48 | 11,62 | 13,02 | 10,74 
— | — |-192|+1,68|48,22|—4,35 








288 A. Pagenstecher: 


20 ccm Preßsaft 4 5 ccm 
Toluol + 10 ccm Oliven- 
öl sofort gekocht und 
titriert . ... E 9,00 | 4,98 | 4,62 | 5,58 | 5,52 | 9,36 


_ Dasselbe nach 24stündigem 
Verweilen auf dem Brut- 




















































schrank... . 2... 10,8 7,32 | 12,30 | 8,58 | 13,56 | 18,42 
Differenz 222... + 1,8 |+ 3,34|4 7,68| + 3,0 |+ 8,04|+ 9,06 
20 ccm Preßsaft + 5 ccm 

Toluol + 25 ccm Gelbei- 

emulsion, sofort gekocht 

und titriert . 2... . 7,5 | 7,44 | 5,64 | 2,76 | 6,42! 10,92 

_ Dasselbe nach 24stündigem 

Verweilen auf dem Brut- 

schrank . e 13,32 | 15,18 | 14,34 | 15,18 | 16,98 | 15,90 
Differenz . 2.2.2... |+- 5,82|+ 7,74|+ 8,70/+12,42+10,56.- 4,98 


20 ccm Preßsaft + 5 ccm 
Toluol 4 1 ccm Mono- 
butyrin, sofort gekocht 








und titriertt . . . ... 10,38 
Dasselbe nach 24 stündigem | 
Verweilen auf dem Brut- 
schrank A 43,80 | 
Differenz . 2 2 22... |+33,42| | | | | 


Aus dieser Tabelle geht hervor, daB eine Abspaltung von 
Fettsäuren aus den verwendeten Fetten eingetreten ist. Während 
ohne Zusatz der Fette eine Säurevermehrung nur in ganz ge- 
ringem Maße stattfindet (durchschnittlich +- 0,726 ccm), trat 
eine Vermehrung des Säuregehaltes bei Anwesenheit von Fetten 
ein und zwar ergab sich bei Anwesenheit von Öl eine Säuremenge 
entsprechend 5,33 ccm, bei Anwesenheit von Eigelb eine Säure- 
menge entsprechend 8,02 ccm einer ?/ „-Natronlauge. Monobutyrin 
zeigte eine Vermehrung von 33,42 ccm Säure. Diese Spaltung ist 
wohl ausschließlich den Fermenten zuzuschreiben, zumal uns die 
Isolierung des Fermentes gelang. Die Versuche wurden auf die 
‚oben beschriebene Art gemacht. Der filtrierte Kochsalzextrakt 
des mit Alkohol gefällten Milzsaftes ergab folgendes Resultat: 

20 ccm des gekochten Milzsaftes ergeben eine Säuremenge von 
0,32 com. 

Drei Kolben wurden mit je 20 ccm Saft und 25 com Eigelbkoch- 
salzemulsion beschickt. Der eine Kolben wurde sofort gekocht und 


aufgefüllt. Es ergab sich eine Acidität von 0,5 com; ein anderer 
gekocht und in den Brutschrank gestellt, ergab 0,56 ccm, dagegen 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 289 


ergab der dritte Kolben, der nach der Brutschrankbehandlung gekocht 
wurde, 0,82 oom. Zwischen dem Titrationsergebnis des ersten und dritten 
Kolbens besteht demnach, auf 150 ocm berechnet, eine Differenz von 
0,78 com, eine Säurevermehrung, die der Fermentwirkung zuzuschreiben 
ist. Eine zweite Versuchsreihe ergab vor der Brutschrankbehandlung 
0,64 com, nachher 1,02 com, also eine Säurevermehrung von 1,14 ocm. 

Der Nachweis einer fermentativen Spaltung dürfte damit erbracht 
sein. Noch deutlicher wird dieselbe bei Verwendung von Monobutyrin, 
obwohl dabei anscheinend die Mengen des isolierten Fermentes stark 
schwanken, wie aus den folgenden Zahlen hervorgeht. In dem einen 
Versuch ergab sich eine Säurevermehrung von 0,6 ccm (1,48 ccm vor, 
1,68 ccm nach dem Brutschrank), im anderen Falle 3,75 ecm (1,68 com 
vor, 2,93 ocm nach dem Brutschrank). 

Daß in der Leber fettspaltende Fermente vorkommen, war 
bekannt; die folgenden Bestimmungen wurden hauptsächlich zu 
Vergleichszwecken vorgenommen. 

Die Bestimmungen wurden von sechs verschiedenen Rinderlebern 
gemacht, und zwar in gleicher Weise wie bei der Milz. Zwei Kolben 
wurden mit 20 com Lebersaft, zwei weitere mit Lebersaft und Öl, zwei 
mit 25 ccm Gelbeiemulsion, die letzten endlich mit Monobutyrin versetzt. 
Die Einzelresultate sind folgende: 


Leber. | 


20 com Preßsaft + 5 com 
Toluol, sofort gekocht 























und titriert . . .... 5,28 | 5,22 | 6,40 | 8,60 | 4,72 | 4,86 
Dasselbe nach 24stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank . . . . .. . 5,64 | 6,12 | 23,84 | 8,72 | 3,96 | 6,06 
Differenz . . ...... |+ 0,364 0,90|+17,44|+ 0,12! — 0,76|+ 1,20 





20 com Preßsaft + 5 ccm 
Toluol + 10 com Oliven- 
öl, sofort gekocht und 





























titriett . ee 5,40 | 4,86 | 6,36 | 6,36 | 5,76 | 4,32 
Dasselbe nach 24 stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank... ..... 7,02 | 7,50 | 27,30 | 8,10 | 85,82 | 6,57 
Differenz . . ...... + 1,624 2,64|+20,94|+ 1,74 4 0,06|+ 2,25 
20 ccm Preßsaft + 5 ocm 
Toluol + 25ccm Gelbei- 
emulsion, sofort gekocht 
und titriertt . . .... 3,24 | 7,32 | 6,78 | 24,00 | 6,24, 6,54 
Dasselbe nach 24 stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
6,96 | 19,80 | 61,98 | 61,20 | 14,52 | 18,39 























+ 3,72|+12,48|455,20|437,20j+ 8,28|+11,86 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 19 


290 A. Pagenstecher: 


20 com Preßeaft + 5 com | 
Toluol + 1 com Mono- | 
butyrin, sofort gekocht 
und titriertt `, . .... 17,10 


Dasselbe nach 24 stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank `, . .. 2... 27 








Bei der Betrachtung dieser Tabelle ergibt sich als Durch- 
schnittszahl: 


für Leber ohne Zusatz . . . 3,23 Säurevermehrung, 
e „ mi O . . . . 4,885 S 
a nu „ Gelbeiemulsion 21,455 5 
a i vn Monobutyrin . 10,74 a 


Bei der Betrachtung der Tabelle fällt zunächst auf, eine 
wie große Differenz zwischen den Lebern der verschiedenen 
Tiere herrscht. Nur daraus erklärt sich die geringe Spaltung, 
die das an sich am leichtesten spaltbare Monobutyrin erlitt. 
Es war eben eine Leber, die an sich wenig Ferment enthielt. 
Eine größere Menge von Monobutyrinversuchen unterblieb aus 
äußeren Rücksichten. Auf den Vergleich der Durchnittssäure- 
mengen wollen wir am Schluß der Arbeit eingehen. Nur sei 
hier noch hervorgehoben, daß, wie schon erwähnt, Ver- 
suche mit Leberextrakten schon früher angestellt wurden und 
zwar von Kastle und Loewenhart!), die Leberextrakte ver- 
schiedener Tiere mit Äthylessigester erfolgreich zu spalten ver- 
mochten. Weitere Versuche wurden von Nencki und seinem 
Schüler Lydie?) mit Leberbrei und Salol, resp. Tribenzoin mit 
Erfolg gemacht. Den theoretischen Schluß, den Nencki hierbei 
zog, daß alle Gewebe unter Umständen fettspaltende Eigen- 
schaften haben, hoffen wir im weiteren Verlaufe unserer Unter- 
suchung experimentell beweisen zu können. 

Was die Isolierung des Leberfermentes anlangt, so gingen 
wir dabei in derselben Weise vor, wie bei der Milz. Da es 
sich hier um eine größere Versuchsreihe handelt, lassen wir die 
Tabelle folgen. 


1) Chem. News 83, 64, 1901. 
2) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 20, 367. 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 291 





20 ocm Filtrat + 5 ccm 
Toluol, direkt gekocht 





| 
und titriert TE, 1,80 be? 0,9 


| 
-l- 
20 ccm Filtrat + 5 com | 
Toluol + 25 ccm Eigelb- 


emulsion, gekocht und 


titriert . ..... Së 318 | 2,34 | 2,34 | 3,30 | 3,00 | 1,68 
Dasselbe nach 24stündi- | 5 

gem Verweilen im Brut- | 

schrank gekocht und ti- 

triert er 3,18 | 8,14 | 2,52 | 4,92 | 3,90 | 2,16 
Differenz . ....... | o |+ 5,70. + 0,1814 Lol 0,9014 0,48 





20 com Filtrat + 5 com 
Toluol + 1 com Mono- 
butyrin, sofort gekocht 


und titriertt . . . .. . 6,76 | | 
Dasselbe nach 24stündi- | | 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
trieft . . - 2 2 2 2020. 6,06 
Differenz . . ...... -+ 0,30 | | | | 


Nach dieser Tabelle wurde also in fünf von sechs Fällen eine Fett- 
spaltung, eine Säurevermehrung durch das gewonnene Ferment erzielt, 
nur in einem Falle kam keine Spaltung zustande. Der mittlere Säure- 
vermehrungswert betrug 1,48. Die geringe Säurevermehrung, die die 
Spaltung des Monobutyrins anzeigte, ist wohl darauf zurückzuführen, 
daß es in diesem Falle zu einer Spaltung überhaupt nicht kam. 


Wenden wir uns nun den mit Muskelfleisch vom Rinde 
angestellten Versuchen zu, so ist hier, wie aus der Tabelle hervor- 
geht, nicht überall die Aciditätsvermehrung eingetreten. 


Nachstehend die Tabelle: 





20 ccm Preßeaft 4 5 oom 
Toluol sofort gekocht und 
Gtriert . e soc uas 8,70 


Dasselbe nach 24stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
triett. `, 2.2000. 8,88 | 5,76 | 6,08 | 8,32 | 7,44 | 7,68 


DECHE -O. is - o. i2 2,48| + 1,28|— 0,44|— 0,72 
19* 


Fleisch. | | 


6,88 ase | 7,04 | 7,88 | 8,40 





292 A. Pagenstecher: 





20 ccm Preßsaft -+ 5 ccm 
Toluol 4 10 com Olivenöl 




















sofortgekochtund titriert | 8,34 | 6,00 | 3,06 | 8,82 | 9,54 | 9,36 
Dasselbe nach 24stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
o a ege es 9,90 | 9,00 | 3,06 9,30 | 9,00 
ee ee + 1,564 3,00| — |+ 0,84!— 0,24|— 0,36 





20 ccm Preßsaft + 5 com 
Toluol + 25 com Gelbei- 
emulsion sofort gekocht 
und titriert .. .. . . 8.64 | 6,24 | 9,66 | 6,72 | 7,26 | 8,82 


Dasselbe nach 24stündi- | | | | 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
triert. ee 13,92 | 6,12 | 9,30 | 9,66 | 14,28 | 9,30 


+ 5,28|— 0,12|— 0,364 2,944 7,02|+ 0,48 











20 ccm Preßsaft + 5 ccm 
Toluol +- 1 oom Mono- 
butyrin sofort gekocht 


und titriert. ..... 9,24 
Dasselbe nach 24stündi- | | 
gem Verweilen im Brut- | 
schrank gekocht und ti- | 
triert. - - .» 2 as.. «| 12,00 | ol Jo O 
Differenz ........ | Has I poo + 2,76] | | | 


Aus dieser Tabelle geht hervor, daß zunächst eine Aciditäts- 
vermehrung des Fleischsaftes allein nach Brutschrankaufenthalt 
nicht zu beobachten war. Im Gegenteil fand in vier von sechs 
Fällen eine Verminderung statt. Nach Zusatz von Olivenöl fand eine 
Säurevermehrung in drei von sechs Fällen statt. Einmal blieben 
die Säureverhältnisse nach Olivenölzusatz trotz Brutschrankaufent- 
halts gleich. Zweimal nahm die Säure nach Brutschrankaufent- 
halt ab gegenüber den vorher gemachten Bestimmungen. Ein 
ähnlich wechselndes Verhältnis zeigt sich auch bei den mit 
Gelbeiemulsion versetzten Proben: hier war in vier von sechs 
Fällen eine Säurezunahme zu beobachten, in zweien eine Säure- 
verminderung. Es liegen hier kompliziertere Verhältnisse vor 
als bei anderen Organen, hauptsächlich wohl wegen der im 
Mus\elpreßsaft stattfindenden Milchsäurebildung, welche die 
Deutung der Untersuchungsergebnisse wesentlich erschwert. Es 
soll deshalb hier nur noch betont werden, daß eine eigentliche 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 293 


Isolierung des Fermentes ebenfalls nur für Monobutyrin gelang. 
Für 1 com Monobutyringehalt betrug die Säurevermehrung 
1,68 ccm nach Brutschrankaufenthalt. 


Auch Nencki und seinen Schülern gelang der Nachweis 
des fettspaltenden Fermentes im Muskelpreßsaft mit Mono- 
butyrin und Athylessigester. 

An die Versuche mit Fleischpreßsaft schlossen sich solche 
mit Nierenpreßsaft an. Betrachten wir zunächst die Tabelle: 





Niere. | 


20 com Preßsaft + 5 com 
Toluol gekocht und ti- 





tito e a a ere 4,74 | 1,08 | 2,92 | 3,78 | 3,18 | 3,60 
Dasselbe nach 24stündi- | | 

gem Aufenthalt im Brut- | | 

schrank gekocht und ti- 

triert. ..... n.. 4,44 | 3,48 | 4,24 | 4,14 | 3,96 | 4,62 










+ Beem 
Toluol + 100cm Olivenöl 
gekocht und titriert . . 


Dasselbe nach 24stündi- 
gem Aufenthalt im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
triert. .. 2 2 20.00] 3,68 | 3,54 | 6,48 | 6,54 | 4,32 | 4,68 


OO 0,12|+ 2,86|+ 2,58|+ 0,5414 1,74 








3,66 





3,62 





20 com Preßsaft + 5 oom 
Toluol +4 25 oom Gelbei- 
emulsion gekocht und ti- 
triert. . .. 2%. 0.00% 


Dasselbe nach 24stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
triert. 2 2 2% 2.00% 4,92 | 13,50 | 13,98 | 6,18 | 9,78 | 7,86 


— 0,54|+ 6,12|+10,26|-- 2,40|4 6,044 3,96 


6,46 | 7,38 | 3,72 | 3,78 | 4,74 | 3,90 








gé? 
Dasselbe nach 24stündi- 
gem Aufenthalt im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
iert een 28,62 | 


Differenz . . ...... | | |+20,64! 


294 A. Pagenstocher: 


Die Durchschnittswerte, die sich aus diesen sechs Werten 
ergeben, sind folgende: Für Nierensaft ohne Zusatz 0,9, für 
Nierensaft mit Öl 1,27, für Nierensaft mit Ei 4,66, für Nieren- 
saft mit Monobutyrin 20,64. Auffallend ist hierbei die ver- 
hältnismäßig große Aciditätsvermehrung ohne den Zusatz von 
Fetten. Sie ist also, wenn man die Wirkung des Fermentes 
betrachten will, in Abzug zu bringen. Immerhin bleibt doch 
noch eine genügende Spaltung, besonders für Eigelb, am meisten 
aber für Monobutyrin übrig, um auf die Anwesenheit eines 
fettspaltenden Fermentes schließen zu können. Spaltungen 
von Monobutyrinlösungen mit auf ähnliche Weise gewonnenem 
Nierensaft sind schon früher, aber nicht mit so erheblichem 
Erfolge, vorgenommen worden.?!) 

Versuche, das Ferment zu isolieren, sind bisher noch nicht 
gemacht worden. Unsere diesbezüglichen Versuche bei drei 
verschiedenen Nieren nach der oben angegebenen Methode 
Gelbeiemulsion zu spalten, erzielten folgendes Ergebnis: 20 ccm 
Saft + 5 com Toluol + 25 com Gelbeiemulsion gekocht und 
titriert 1,92, 1,56, 2,22 oom Natronlauge. Dasselbe nach 24- 
stündigem Verweilen im Brutschrank gekocht und titriert 2,3, 
1,82, 3,36. Differenz: 0,42, 0,36, 1,14. Im Durchschnitt also 
eine Säurezunahme von 0,64. Einen weiteren Versuch setzten 
wir mit Monobutyrin an, es ergab sich eine Spaltung von 0,44 
(1,50, 1,94). Danach läßt sich also eine Isolierung des Fer- 
mentes annehmen. 

Als fünftes Organ untersuchten wir das Hirn des Rindes. 
Auch hier war, wie die Tabelle zeigt, eine fermentative Wirkung 
des Organpreßsaftes auf Fette nachzuweisen. 





Hirn. | | | 

20 com Preßsaft + 5 com | 
Toluol sofort gekocht und 
titriert . 2 2 200. 252 | 2,68 | 1,82 | 2,70 | 3,00 | 6,84 


Dasselbe nach 24stündi- | 
gem Aufenthalt im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
triert. er AC ée 3,66 | 2,60 | 2,12 | 3,84 | 3,30 | 3,06 


+ 1,18|— 0,08|+ 0,30|+ 1,14|+ 0,30|— 3,78 








1) Garnier, Compt. rend., 25 juillet 1902, 04. — Battesti und 
Barreia, Compt. rend., 16 juin 1903, 820. 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 295 


3,00 | 3,84 | 3,54 
p 


20 com Preßsaft 4 5 ocm 
Toluol + 10 oom Öl sofort 
gekocht und titriert . . | 2,88 


3,18 | 2,64 
Dasselbe nach 24stündi- 
gem Aufenthalt im Brut- | 
schrank gekocht und ti- 
triert. ... E E 3,60 | 3,72 | 1,62 | 5,28 | 4,38 | 4,02 
DEENEN 0,72|+ 0,54|— 1,0214 2,28|+ 0,5414 0,48 


20 ocm Preßsaft + 5 oom 
Toluol + 25 eem Gelbei- | 
1,26 | 3,78 


emulsion sofort gekocht 
und titriett .. .. . . 
Dasselbe nach 24stündi- | 
schrank gekocht und ti- 
triert. . 22200. 4,02 | 7,50 | 5,82 11,10 | 6,96 | 6,04 
+ 0,9814 4,204 2,404 4,504 4,70|4 4,26 






























3,06 | 3,30 





3,42 | 6,60 
NW 








gem Aufenthalt im Brut- 














20 com Preßsaft + 5 ccm 
Toluol + 1 ccm Mono- 
butyrin sofort gekocht | 
und titriet . . .. . 3,42 | 

“Daseolbe much Dastündi | | | | 
gem Aufenthalt im Brut- | | | 
schrank gekocht und ti- | | 

tert... E EEN 10,14 | | Ä | | 

Differenz . . 2.2.2... D 6,72 | | | | 

Die Durchschnittswerte, die sich aus dieser Tabelle ergeben, 

sind folgende: Hirnsaft allein — [0,153], Hirnsaft mit Öl 0,69, 

Hirnsaft mit Gelbeiemulsion 3,50, Hirnsaft mit Monobutyrin 

6,72. Diese Säurevermehrung in den im Brutschrank gehaltenen 

Preßsäften ist wohl allein auf die Wirkung des fettspaltenden 

Fermentes zurückzuführen; eine Säurevermehrung in den nicht 

im Brutschrank gehaltenen Preßsäften kommt zwar vor, ist 

aber so minimal, daß sie nicht in Betracht gezogen zu werden 

braucht. Über das Vorkommen von Lipasen im Gehirn ist bisher 
nichte bekannt. Die Isolierung gelang uns nicht. Allerdings 
setzten wir nur zwei Versuche an, einen mit Ei, den andern mit 

Monobutyrin, aber in beiden war die Säurevermehrung so schwach 

(Ei 1,62, 1,92, Differenz 0,30; Monobutyrin 1,94, 2,28, Differenz 

0,34), daß sich bindende Schlüsse daraus nicht ziehen lassen. 

Schließlich wurde noch der Lungenpreßsaft des Rindes 
untersucht; die Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammen- 
gestellt. 


296 A. Pagenstecher: 





Lungen. 
20 com Preßsaft + 5 ccm 
Toluol direkt gekocht und 
titriett . . 2 2200 2,46 | 2,40 | 2,72 | 2,34 | 2,16 | 2,88 





Dasselbe nach 21stündi- 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
trioto o c e ae a 3,06 | 3,78 | 1,92 | 2,58 | 3,06 | 3,72 


E Br eat + 0,80|-+ 1,38|— 0,80|+ 0,244 0,9 |+ 0,56 


20 ccm Preßsaft 8 com 
Toluol + 10 com Öl sofort 
gekocht und titriert . . 3,12 | 2,70 | 2,64 | 2,88 


Dasselbe nach 24stündi- | 
gem Verweilen im Brut- 



















schrank gekocht und ti- | | 
Hiert. 4,02 | 3,12 | 2,88 | 4,14 3,42 | 3,18 








20 ccm Preßsaft -+ Beem 
Toluol + 25 ccm Gelbei- 
emulsion gekocht und ti- 
triert. - >» 2 2 2 20 3,48 | 2,82 | 4,08 | 2,82 | 3,36 | 3,60 


Dasselbe nach 24stündi- | 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- | 
trierb u. an 4,62 | 5,70 | 13,08 | 7,80 | 3,30 | 3,12 


+ 1,14|+ 2,88|+ 9,00+ 4,98|— 0,06|— 0,48 








20 com Preßsaft + 5 ccm 
Toluol + 1 com Mono- 
butyrin sofort gekocht 








und titriertt . . . ... 2,58 | | 
Dasselbe nach 24stündi- | J— 
gem Verweilen im Brut- 
schrank gekocht und ti- 
tritt - , 2 2 2 2 20. 12,42 
Differenz . ....... | |+ 9,84) | | | E 


Als Durchschnittswerte ergeben sich aus dieser Tabelle: 

Lungensaft 0,96 ccm, Lungensaft mit Öl 1,46 ccm, Lungen- 
saft mit Gelbeiemulsion 2,92 com, Lungensaft mit Monobutyrin 
9,84 ccm Säurevermehrung. 

Danach fand auch nach Zusatz von Lungensaft zu Fetten 
eine Säurevermehrung statt. 

Auffallende Ergebnisse zeigte der Versuch, das Ferment 
zu isolieren. Während die drei angesetzten Gelbeiproben ein 
positives Ergebnis zeigten (eine Säurevermehrung von 0,66; 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 297 


0,60; 0,30), verliefen die Spaltungen mit dem sonst am leich- 
testen spaltbaren Monobutyrin negativ (— 1,20 und — 0,54 ccm). 
Ein Grund für diese auffallende Tatsache läßt sich nicht finden. 
Die Isolierung des Fermentes ist als nicht gelungen zu be- 
trachten. 

Es sollen hier noch kurz einige Kontrollversuche Er- 
wähnung finden. Dieselben wurden in der Weise angestellt, 
daß eine Anzahl Kolben nur mit dem Saft des betreffenden 
Organes beschickt wurden, die eine Hälfte der Kolben wurde 
sofort gekocht, die andere im DBrutschrank weiter be- 
handelt. Es ergaben sich bei den verschiedenen Organen be- 
friedigende Resultate. Die verschiedene Anzahl der Versuche 
erklärt sich daraus, daß mit Rücksicht auf das vorhan- 
dene Material gearbeitet werden mußte. Bei der Milz miß- 
langen die Versuche im Anfang, da durch den Übergang von 
Blutfarbstoff in das Filtrat eine Rotfärbung entstand, die die 
Titration mit Phenophthalein sehr erschwerte. Die Versuche 
gelangen erst, als man durch Zusatz von 10 ccm einer Sa 
Oxalsäure eine genügende Fällung zu erreichen vermochte. 

Bei der Milz umfaßte die erste Versuchsreihe drei Parallel- 
versuche. Es ergab sich: 


1. Versuchsreihe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
8,34, 8,70, 8,16. 12,00, 12,00, 11,88. 
2. Versuchsreihe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
10,32, 10,02, 9,24, 10,68. 12,48, 12,12, 11,94, 11,24. 
Die Resultate stimmen so gut überein, daß die Berech- 
nung eines Mittels unnötig ist. 
Bei der Leber ergaben sioh folgende Resultate: 


1. Versuchsreihbe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
5,16, 4,98, 5,46. 8,04, 7,44, 7,74. 
2. Versuchsreihe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
4,80, 4,86, 3,78, 5,04. 5,52, 5,70, 5,40 5,64. 
Auch hier ergibt sich eine Übereinstimmung. 


298 A. Pagenstecher: 


Die Ergebnisse mit Fleischpreßsaft waren folgende. Die 
Titration der fast wasserklaren Lösung war hier am leichtesten 


ausführbar. 
1. Versuchsreihe. 


ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
8,46, 8,46, 7,92. 8,16, 9,24, 9,00. 
2. Versuchsreihe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
8,23, 8,34, 7,98, 8,64. 7,98, 8,34, 8,40, 8,28. 
Hier fällt vor allem die genaue Übereinstimmung zwischen 
den beiden zu diesen Versuchen verwendeten Fleischsorten auf. 
Ebenso genau stimmen die Versuche mit Niere. Aus 
äußeren Gründen wurden von der ersten Versuchreihe je zwei 
Kolben angesetzt, deren Resultate aber an sich übereinstimmen. 


1. Versuchsreihe. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
5,10, 5,22, 7,38, 6,30. 4,26, 4,56, 3,96, 4,44. 
2. Versuchsreibe. 


ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
2,64, 2,88, 2,10. 3,48, 3,12, 2,70. 
Die Kontrollversuche mit Hirn ergaben folgende Resultate: 


1. Versuch. 


ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
3,12, 3,84, 3,12. 3,00, 2,64, 2,88. 
2. Versuch. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
2,70, 2,46, 2,22. 3,84, 3,54 3,54. 
3. Versuch. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 


3,00, 3,90, 2,76. 3,30, 3,18, 3,30. 

Die Versuche ergaben eine Übereinstimmung sowohl der 
einzelnen Titrationen, wie auch der Organe untereinander. 

Ähnlich fielen die Versuche mit Lungensaft aus. Es er- 
gab sich: 

1. Versuch. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 
3,12, 2,64. 2,04, 2,23. 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 299 


2. Versuch. 
ohne Brutschrank: mit Brutschrank: 


2,52, 2,04, 2,70, 2,58, 2,64. 2,08, 3,00, 2,82, 2,88, 2,70. 
Auch hier fällt die Übereinstimmung zwischen den Er- 
gebnissen des ersten und zweiten Versuchs auf. 


Anschließend an diese Beobachtungen wollen wir kurz eine 
Übersicht über die durchschnittliche Fettspaltung resp. Säure- 
vermehrung der einzelnen Organe geben. Die Spaltung mit 
Monobutyrin muß hierbei außer acht gelassen werden, da die 
Versuche an den einzelnen Organen zu gering sind, um Durch- 
schnittswerte zu erzielen. 


Bei den Versuchen, die lediglich mit Preßsaft ohne Zusatz 
von Fett angestellt wurden, ergab sich in zwei Fällen eine 
Säureverminderung, Fleisch zeigte eine Abnahme von (0,38, 
Hirn von 0,153, die übrigen eine Zunahme und zwar: Milz um 
0,726, Nieren um 0,90, Lungen um 0,96, Leber um 3,28. 

Bei Zusatz von Öl ergab sich folgendes Resultat: Hirn- 
zunahme um 0,69, Fleisch um 0,8, Nieren um 1,27, Lungen 
um 1,46, Leber um 4,885, Milz um 5,33. 


Zusatz von Eigelbemulsion ergab die geringste Spaltung: 
bei Fleisch um 2,64, bei Hirn um 3,50, bei Nieren um 4,72, 
bei Lungen um 5,73, bei Milz um 8,02, bei Leber um 21,46. 

Zur Vervollständigung seien noch kurz die mit Mono- 
butyrin erzielten Spaltungen erwähnt: Fleisch 2,76, Hirn 6,72, 
Lungen 9,84, Leber 10,79, Nieren 20,64, Milz 33,42. 

Nehmen wir den Durchschnittswert der Säurevermehrung 
bei Öl, Ei und Monobutyrin bei den einzelnen Organen, so 
ergibt sich: Fleisch 1,73, Hirn 3,63, Lungen 5,69, Nieren 8,82, 
Leber 12,38, Milz 15,59. 

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist, daß Fleisch und 
Hirn am wenigsten fettspaltende Eigenschaften haben, an 
zweiter Stelle folgen Lungen und Nieren, während Leber und 
Milz die stärksten fettspaltenden Eigenschaften haben. 

Natürlich muß man, um einigermaßen vergleichbare Werte 
zu erhalten, die Organsäfte mit den Trockensubstanzen der 
Organe in Beziehung zu setzen suchen. Zu diesem Zwecke 
wurden Trockenbestimmungen der einzelnen Organe gemacht, 
die folgende Resultate ergaben: 


300 A. Pagenstecher: 


10g Milz ergaben 2,2323 g, 2,4001 g, 3,1406 g, 2,7028g, 2,6148 g. 
Dies entspricht einem Durchschnittswert von 2,628 42 g. 

10 g Leber ergaben 2,871 g, 2,7971 g, 2,9589 g, 2,8565 g, also 
im Durchschnitt 2,8709 g. 

10 g Fleisch ergaben 2,5910, 2,5620, 1,9976, 2,5176, also 
im Durchschnitt 2,417 g. 

10 g Nieren ergaben 2,2744, 2,2198, 2,1008, 2,0680, 2,0661, 
also im Durchschnitt 2,145 82. 

10 g Hirn ergaben 2,1247, 2,1898, 2,0186, 2,2959, also im 
Durchschnitt 2,157 25. 

10 g Lunge ergaben 2,3787, 2,1340, 2,2655, 2,0542, also 
im Durchschnitt 2,2081. 

Im ganzen erhielt man also folgende Durchschnittswerte: 
Nieren 2,14582g, Hirn 2,15725 g, Lungen 2,2081 g, Fleisch 
2,4170 g, Leber 2,8709 g, Milz 2,62824 g. 

Aus diesen Durchschnittswerten wurden dann die in 20 com 
Preßsaft enthaltenen Trockensubstanzmengen berechnet und 
mit den früher erhaltenen Werten in Parallele gesetzt. Man 
erhielt dabei folgende Resultate. 

L Für Milz: 

6,2568 g veranlassen bei Einwirkung auf Öl eine Säure- 
vermehrung von 5,33, auf Ei 8,02, auf Monobutyrin 33,42, im 
Durchschnitt also 15,59, also veranlassen 10 g Trockensubstanz 
eine Säurevermehrung von 29,67 ccm ®/ „-Na-Lauge. 

2. Für Leber: 

5,7418 g wirken auf Öl mit 4,89, auf Ei mit 21,46, auf 
Monobutyrin mit 10,79, also im Durchschnitt 12,38; 10 g Trocken- 
substanz bewirken also 21,56 ccm Säurevermehrung. 

3. Für Fleisch: 

4,834 g ergaben bei Einwirkung auf Öl 0,8, auf Ei 2,64, 
auf Monobutyrin 2,76, also im Durchschnitt 1,73; 10 g Trocken- 
substanz bewirken also 3,60 ccm Säurevermehrung. 

4. Für Niere: 

4,291 64 g veranlassen bei Einwirkung auf Öl eine Säure- 
vermehrung von 1,11, auf Ei von 4,72, auf Monobutyrin von 
20,64, also im Durchschnitt 8,82; 10 g Trockensubstanz bedürfen 
also 20,3 ccm ®/ „-Na-Lauge zur Neutralisation. 

6. Für Hirn: 

4,31450 g wirken auf Öl mit 0,69, auf Ei mit 3,50, auf 


Das Vorkommen von Lipasen in den Geweben. 301 


Monobutyrin mit 6,72, also im Durchschnitt 3,63; 10 g Trocken- 
substanz bewirken also 8,39 ccm Säurevermehrung. 

6. Für Lunge: 

4,4162 g spalten Öl mit 1,46, Ei mit 5,73, Monobutyrin mit 
9,89, also im Durchschnitt 5,69; 10 g Trockensubstanz bewirken 
also 10,9 ccm Säurevermehrung. 

Zusammen ergaben sich also folgende Resultate: 

10 g Fleisch 3,60, 10g Hirn 8,39, 10g Lungen 10,90, 
10 g Nieren 20,30, 10 g Leber 21,56, 10 g Mila 29,67 ccm al, 
Säurevermehrung. 

Es ist zwar nicht gelungen, das fettspaltende Ferment 
aus allen untersuchten Organen zu isolieren, trotzdem darf 
man wohl annehmen, daß alle untersuchten Organe fettspaltende 
Fermente enthalten. Dies geht allein schon aus der Tatsache 
hervor, daß nach Zusatz der einzelnen Organe zu dem betreffenden 
Testobjekt eine Säurevermehrung stattfand. Durch die Trocken- 
substanzbestimmungen ließ sich ein gewisser Rückschluß auf die 
Menge des in den einzelnen Organen vorhandenen fettspaltenden 
Fermentes ziehen. Dabei ergab sich die immerhin bemerkens- 
werte Tatsache, daß die Milz ein höheres fettspaltendes Vermögen 
als alle anderen untersuchten Organe besitzt. Ob dies irgend 
etwas mit der eonstigen Funktion der betreffenden Organe zu 
tun bat, oder ob es sich dabei um ein zufälliges Vorkommnis 
ohne größere Bedeutung handelt, darüber läßt sich natürlich 
nichts aussagen. Zunächst ist nur diese Tatsache festzustellen. 
Weitere Untersuchungen müssen festzustellen suchen, ob sich diese 
Verhältnisse unter pathologischen Bedingungen irgendwie ändern, 
besonders ob eine Veränderung des fettspaltenden Vermögens 
bei Milzschwellungen und am künstlich infizierten Organismus 
eintritt. Durch solche Untersuchungen ließe sich vielleicht 
einiges Licht in die größtenteils noch dunklen Funktionen der 
Milz bringen und feststellen, ob den Veränderungen, welche 
dieselbe unter zahlreichen pathologischen Bedingungen erleidet, 
noch andere Zweokmäßigkeitseinrichtungen entsprechen, als die 
bisher bekannten. Über die Ergebnisse unserer in dieser Rich- 
tung fortgesetzten Versuche soll seinerzeit berichtet werden. 


Über Veränderungen der Resistenz und der Stromata 
roter Blutkörperchen bei experimentellen Anämien. 


Von 
S. Itami, Tokio, und J. Pratt, Boston, Mass. 
(Aus der medizinischen Klinik zu Heidelberg.) 
(Eingegangen am 29. April 1909.) 


Vor einiger Zeit haben Morawitz und Pratt!) bei Ge- 
legenheit von Untersuchungen über experimentelle Anämien an 
Kaninchen gefunden, daß im Verlaufe der subchronischen, durch 
Injektionen von salzsaurem Phenylhydrazin hervorgerufenen 
Anämien schon sehr bald eine oft erhebliche Vermehrung der 
Resistenz der roten Blutkörperchen zu bemerken ist. 

Diese Vermehrung der Resistenz, der wahrscheinlich eine 
große Bedeutung für die ällmählich eintretende Gewöhnung der 
Tiere an das Blutgift zukommt, ist an die roten Blutkörper- 
chen selbst und nicht etwa an eine schützende Wirkung des 
Blutplasmas geknüpft; denn auch an gewaschenen Erythrocyten 
läßt sich eine oft sehr bedeutende Resistenzvermehrung gegen- 
über hypotonischen Salzlösungen und in etwas geringerem Grade 
auch gegen andere hämolytisch wirkende Körper, wie art- 
fremdes Serum, Saponin, Äther und Chloroform, nachweisen. 

Zwei Erscheinungen sind es, die beim Studium dieser Art 
der Resistenzschwankungen die Aufmerksamkeit besonders auf 
sich ziehen: das ist erstens der absolute Grad der Re- 
sistenzsteigerung, die im Verlaufe der experimentellen 
Anämie durch Phenylhydrazin zuweilen eine Höhe erreicht, 
wie sie unseres Wissens bisher noch nicht beschrieben worden 
ist. Es sei auf die unten folgenden Protokolle verwiesen. Diese 
ungemeine Intensität der Resistenzveränderung legte die Hoff- 


1) Morawitz und Pratt, Münch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 35. 


S. Itami u. J. Pratt: Veränd. rot. Blutkörperchen b. experim. Anämien. 303 


nung nahe, in diesen so ausgeprägten Fällen auch etwas über 
die Vorgänge erfahren zu können, die die Zunahme der Re- 
sistenz veranlassen, worüber bisher noch nichts bekannt zu sein 
scheint. 

Die zweite Tatsache, die unser Interesse in Anspruch nahm, 
war der schnelle Wechsel der Resigtenz unter verschie- 
denen experimentellen Bedingungen. So konnte beobachtet 
werden, daß nach Aussetzen der Injektionen von Phenylhydrazin 
schon in wenigen Tagen die bis dahin stark vermehrte Re- 
sistenz sich wieder der Norm näherte oder sie sogar erreichte. 

In der Mitteilung von Morawitz und Pratt ist bereits 
hervorgehoben, daß dieser starke Grad von Resistenzvermehrung 
sich nur im Verlaufe von Giftanämien bei Kaninchen nach- 
weisen läßt, während eine erheblichere Vermehrung der maxi- 
malen oder minimalen Resistenz bei den Kaninchen vermißt 
wurde, die allein durch Aderlässe anämisch gemacht worden 
waren. Nur in einem Falle konnte auch bei einem nur durch 
Aderlässe anämisierten Tiere eine erhebliche Steigerung der Re- 
sistenz nachgewiesen werden. Dabei ist indessen hervorzuheben, 
daß dieses Tier längere Zeit hiudurch intraperitoneale In- 
jektionen aufgelöster roter Blutkörperchen, die von anderen 
Kaninchen stammten, erhalten hatte. 

Die folgenden Zeilen sollen die bisher nur kurz mitgeteilten 
Tatsachen durch Wiedergabe der Protokolle belegen und einige 
sich daran anknüpfende Fragen berühren. Es handelt sich da- 
bei im wesentlichen um folgende Punkte: 

L Wie verändert sich die maximale und minimale Re- 
sistenz der Erythrocyten bei Giftanämien und posthämorrhagi- 
schen Anämien? 

2. Ist es für etwaige Resistenzänderungen bei posthämorrhagi- 
schen Anämien von Bedeutung, ob gleichzeitig lackfarbenes Blut 
intraperitoneal injiziert wird, ob also rote Blutkörperchen im 
anämischen Organismus zum Zerfall und zur Resorption kommen? 


3. Was ist die Ursache der Resistenzsteigerung? 

Indem wir betreffen der Technik der Resistenzuntersuchungen auf 
die gebräuchlichen Lehrbücher der Hämatologie, besonders auf die ein- 
gehende Darstellung bei Bezangon und Labb6!) und Nägeli?) ver- 


1) Bezancon und Labbé, Traité d’hematologie. Paris 1904, 
2) Nägeli, Blutkrankh. u. Blutdiagnostik, 1908, S. 47. 


304 S. Itami und J. Pratt: 


weisen, beschränken wir uns darauf, die von uns angeführte Teohnik kurz 
aufzuführen. 

Die Tiere — es wurden zu diesen Zwecken ausschließlich Kanin- 
chen verwandt — wurden durch täglich oder alle zwei Tage erfolgende 
Injektionen von Phenylhydrazin in langsam steigender Dosis im Verlauf 
von 2 bis 4 Wochen anämisch gemacht, bis ein Hämoglobingehalt von 
etwa 15°/, n. Sahli erreicht war. Andere Tiere wurden in ähnlicher 
Weise durch täglieh wiederholte Aderlässe aus den Ohrvenen anämisiert, 
und mehreren davon im Verlauf der Anämie lackfarbenes Blut intra- 
peritoneal injiziert. 

Zur Ausführung der Resistenzbestimmung haben wir zwei ver- 
schiedene Verfahren verwandt. In einer ersten Versuchsreihe bedienten 
wir uns einer 5°/,igen Emulsion gewaschener roter Blutkörperchen, die 
mit Salzlösungen verschiedener Konzentration und anderen hämolytisoh 
wirkenden Lösungen behandelt wurde. Zur Kontrolle diente eine in 
gleicher Weise bereitete und in 0,9°/,iger NaCl-Lösung aufgeschwemmte 
Emulsion von Erythrocyten normaler Tiere. 

Die zweite Methode, mit der die Mehrzahl aller Versuche ausge- 
führt wurde, schloß sich enger an das seit Hamburger und v. Lim- 
beok allgemeiner benutzte Verfahren an, mit dem besonders Vaquez 
und Ribierre und Viola die normalen Resistenzwerte für Kaninchen 
ermittelt haben. Vaquez und Ribierre füllen 9 Reagensgläschen mit 
0,32 bis 0,48°/,iger NaCl-Lösung (jeder Unterschied beträgt 0,02°/,) und 
setzen einen Tropfen Blut hinzu. Nach 5 Minuten wird zentrifugiert und 
untersucht, ob Hämolyse eingetreten ist. Nach dieser Methode beträgt 
der maximale, resp. minimale Resistenzwert bei ausgewachsenen Kanin- 
chen (2000 bis 2500 g) 0,28 bis 0,30, resp. 0,42°/, nach Paris und 
Salomon!) 0,30 bis 0,32°/, und 0,39 bis 0,42°/,. 

Wir haben die Methode von Vaquez und Ribierre ein wenig 
abgeändert: 14 Reagensgläschen von 5 ccm Inhalt werden mit 2 ccm 
NaCl-Lösung von 0,28 bis 0,54°/, gefüllt, wobei jeder Unterschied 
0,02°/, beträgt. Man setzt einen Tropfen mit Glasperlen defibrinierten 
Blutes hinzu, schüttelt tüchtig durch und setzt das Gestell für 24 Stunden 
in den Eisschrank. Die minimale Resistenzgrenze wird dort angenommen, 
wo die über dem Sediment stehende Flüssigkeit spurenweise rot gefärbt 
ist, also makroskopisch bestimmt. Zur Bestimmung der maximalen Re- 
sistenz haben wir im Laufe unserer Versuche aus bestimmten Gründen, 
die später erörtert werden sollen, die mikroskopische Untersuchung heran- 
ziehen müssen. Wir verfuhren dabei derart, daß wir vom Boden des 
Glases mit einer Capillare etwas Flüssigkeit aufsogen und mikroskopierten. 
Dort, wo keine wohl erhaltenen Erythrocyten mehr zu sehen waren, lag 
die Grenze der maximalen Resistenz. Durch einfache makroskopische 
Betrachtung ist es zwar in normalem, nicht immer aber in anämischem 
Blute möglich, die Grenze der maximalen Resistenz zu bestimmen. 


1) Die hier angeführte französische Literatur s; bei Bezangon und 
Labbé, Traité d’hematologie, 8. 309. 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 305 


Nach dieser Methode schwankt, wie uns zahlreiche Ver- 
suche zeigten, der maximale Wert bei normalen Tieren zwischen 
0,3 und 0,32°/,, der minimale zwischen 0,5 und 0,52°/,. Aus- 
nahmsweise sahen wir als maximale Grenze 0,28°/,, als mini- 
male 0,48 bis 0,54°/, Die Breite der Resistenzschwankungen 
im gleichen Blut ist also nach unserer Methode weit größer als 
nach Vaquez und Ribierre. Dabei ist zu bemerken, daß 
die maximale Resistenz nach beiden Verfahren ziemlich gut 
übereinstimmt, während die minimale bei Vaquez um mehr 
als 0,1°/, tiefer liegt. Daraus geht hervor, daß längere Ein- 
wirkung hypotonischer Salzlösungen, wie sie bei unserer An- 
ordnung in Betracht kam, auf den Grad der maximalen Re- 
sistenz ohne merkbaren Einfluß ist, während die minimale 
Grenze dadurch recht stark verschoben wird. Übrigens ge- 
nügte bei stark anämischen Kaninchen, wie sich bald heraus- 
stellte, eine 0,28°/,ige Salzlösung nicht mehr, um vollständige 
Hämolyse zu bewirken. Wir haben, wie aus den Tabellen sich 
ergibt, auch noch schwächer konzentrierte Salzlösungen, ja sogar 
destilliertes Wasser zur Bestimmung der Grenze der maximalen 
Resistenz verwenden müssen. 

Im folgenden sei zunächst über die mit gewaschenen Ery- 
throcyten ausgeführten Versuche berichtet. In der Tabelle I 
sind die Resultate eines Versuches zusammengestellt. Das 
anämische Blut stammte von einem Kaninchen, das durch eine 
etwa l4tägige Behandlung mit Phenylhydrazin anämisch ge- 
macht worden war und ca. 20°/, Hb n. Sahli hatte. Zeitweise 
waren noch tiefere Werte erreicht worden. Zur Kontrolle diente 
Blutkörperchenemulsion eines normalen Kaninchens. Beide Blut- 
arten waren in gleicher Weise defibriniert, dreimal mit physiol. 
NaCl-Lösung gewaschen und kamen in 5°/,iger Emulsion zur 
Anwendung. 

Es wurden noch mehrere Versuche mit derselben Anord- 
nung ausgeführt, die immer ähnliche Resultate zeigten, über 
die daher summarisch berichtet werden kann: Alle Kaninchen, 
die durch Phenylhydrazin anämisch gemacht worden waren, 
zeigten mehr oder weniger ausgesprochen die Erscheinung der 
vermehrten Resistenz der roten Blutkörperchen. Auch gegen- 
über Hundeserum und Saponinlösung war die Resistenz deut- 


lich vermehrt. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 20 


306 S. Itami und J. Pratt: 


Tabelle I. 





ı In. 1 0 
ə [A.s] ı 0 ) ohne Hämolyse 
3 | N. | 1 |0,5°/, NaCl-Lös. 1 Spur 
4 | A. 1 10,5°/, NaCl-Lös. 1 ohne 
5 | N. | 1 |0,3%/, NaCl-Lös. 1 + | total 
6 I A. | 1 |0,3°/, NaCl-Lös. 1 fast nicht 
7 N. | 1 |0,1°/, NaCl-Lös. 1 | vollständ.| -+ total 
hämolyt. 
8 | A. | 1 [0,1°/, NaCl-Lös. 1 + | wenig 
9|N.|1 a/s- -NaOH 1 |vollständ.| + 
hämolyt. | total 
101A.|ı 1 »/so-NaOH 1 
11 {N.| 1] ®/-NaOH A + total 
12 | A. | 1 | sie Ra Ais + | fast total 
13IN.|1| »/0-Na0H !/, + total 
14 | A. | 1 |  ”/so NaOH 1 + | ca ?/,hämolyt. 
15 IN. | 1 a/so-H2S0, 1 |vollständ.! + totale Hämo- 
hämolyt. lyse, aber 
161 A. | 1 2/s0-HsSO, 1 + normal 
17| N.| 1  "/so HS0, 1 + schneller als 
18 IA. |1 2/0. HsSO, 1 + anämisch 


Wir haben aber diese Methode, die nicht quantitativ ge- 
nug ist, bald verlassen. Es sollten diese Versuche nur zeigen, 
daß auch die vom Serum vollständig befreiten roten Blut- 
körperchen die Resistenzsteigerung aufweisen. 

Nach der zweiten Methode wurden eine größere Reihe von 
Versuchen durchgeführt. Die Tabelle II unterrichtet über den 
Verlauf eines solchen Versuches an einem durch Phenylhydrazin 
anämisch gemachten Kaninchen. 

Drei andere Versuche verliefen ganz ähnlich. Einmal haben 
wir aber auch beobachtet, daß die Grenze der minimalen 
Resistenz von 0,5°/, bis 0,38°/, herunterging, also nur ganz 
unwesentlich höher lag als die der normalen maximalen Re- 


1) N. — normales Blut. 
2) A. = anämisches Blut. 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 307 


sistenz. Es scheint also, daß die regelmäßig eintretende Re- 
sistenzsteigerung bei dieser Form der Anämie auch von indivi- 
duellen Faktoren mit beherrscht wird und daß nicht allein der 
Grad der Anämie, der in allen unseren Versuchen nahezu gleich 
war, ausschlaggebend ist. 


Tabelle II. 


Wer. Taass [Maximum] 
suchs- | nach m~m Bemerkungen 
tag |Sahli Resistenz 






0 Einspritzung von 1°/, salzsaurem 
l Phenylhydrazin, von Leem bis 2 ccm 
2 aufsteigend. 

3 

Selbst mit Aq. dest. nicht mehr voll- 

ständig lackfarbig zu machen. 

6 | Am 6. Versuchstag wird die Ein- 
N spritzung ausgesetzt. 

9 
10 
13 

15 

19 


Bei Betrachtung der Tabelle II fallen mehrere Tatsachen 
auf. Zunächst der absolute Grad der Resistenzvermehrung. Am 
5. bis 7. Versuchstage war es sogar mit destilliertem Wasser 
nicht möglich, eine vollständige Auflösung der roten Blutkörperchen 
zu bewirken, eine Erscheinung, die wohl bisher ohne Analogien 
dastehen dürfte. Die Steigerung der Resistenz betrifft in erster 
Linie den maximalen Grenzwert. Es sei das besonders hervor- 
gehoben, weil in der Literatur mehrfach sich die Ansicht ver- 
treten findet, daß Steigerungen der Resistenz hauptsächlich 
darauf zurückzuführen sind, daß die weniger widerstandsfähigen 
Blutkörperchen zerstört werden und nur die resistentesten übrig 
bleiben. Dann dürfte aber die Grenze der maximalen Resistenz 
nicht verschoben sein. Für unseren Fall kann also diese Er- 
klärung nicht zutreffen, wir müssen vielmehr annehmen, daß 
im Verlauf der Anämie Blutkörperchen mit besonderen chemi- 
schen oder physikalischen Eigenschaften auftreten, die im Blut 


unter normalen Verhältnissen nicht vorhanden sind. Auch die 
20* 


308 S. Itami und J. Pratt: 


minimale Resistenz ist deutlich erhöht, wenn auch nicht in dem 
Maße wie die maximale. Daß man indessen zuweilen auch 
sehr erhebliche Steigerungen der minimalen Resistenz sehen 
kann, haben wir oben bereits bemerkt. 

Die zweite Erscheinung, auf die man bei Betrachtung der 
Tabelle II aufmerksam wird, ist der schnelle Eintritt und das 
schnelle Verschwinden der Resistenzvermehrung. Schon am 
5. Tage nach Beginn der Behandlung mit Phenylhydrazin ist 
die maximale Resistenz der roten Blutkörperchen derart erhöht, 
daß sogar destilliertes Wasser nicht mehr imstande ist, kom- 
plette Hämolyse zu bewirken. Ebenso sinkt die Resistenz der 
Erythrocyten fast unmittelbar nach Aussetzen der Behandlung 
mit Phenylhydrazin, um in 13 Tagen bereits vollkommen nor- 
male Werte zu erreichen. 

Im allgemeinen scheint es — auch drei andere in derselben 
Weise ausgeführte Versuchsreihen sprechen in diesem Sinne —, 
daß mit der Zunahme der Anämie auch die Resistenz der roten 
Blutkörperchen eine Vermehrung erfährt. Indessen besteht 
doch kein Verhältnis direkter Proportionalität zwischen Hämo- 
globingehalt und Resistenz. Regelmäßig haben wir in unseren 
Versuchen bemerken können, daß bei gleichem Hämoglobin- 
gehalt im Zustande der fortschreitenden Anämie geringere Werte 
für die Resistenzsteigerung gefunden werden, als im Stadium 
der Regeneration. Das tritt auch mit genügender Schärfe in 
der Tabelle II hervor, z. B. wenn man den 3. und 9. Versuchs- 
tag miteinander vergleicht, in denen sich ein annähernd 
gleicher Gehalt an Hämoglobin fand. Etwas weniger ausge- 
prägt trat dasselbe Verhalten auch in den drei anderen Ver- 
suchen hervor. 

In einer weiteren Versuchsreihe haben wir festzustellen ge- 
sucht, ob der von Morawitz und Pratt (l. o.) bemerkte Unter- 
schied der Resistenzvermehrung, der zwischen Giftanämien mit 
starken und posthämorrhagischen Anämien mit leichter oder 
fehlender Resistenzsteigerung besteht, vielleicht auf den Zerfall 
und die Resorption roter Blutkörperchen bei der Giftanämie 
zurückzuführen ist. Morawitz und Pratt hatten nämlich in 
einem Falle eine Resistenzvermehrung der Erythrocyten eines 
Kaninchens gesehen, das nur durch Aderlässe anämisch gemacht 
worden war, dem aber gleichzeitig lackfarben gemachtes Blut 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anäm ien, 309 


intraperitoneal injiziert wurde. Es lag uns daran festzustellen, 
ob diese vereinzelte Beobachtung allgemeinere Gültigkeit hat. 


Tabelle III. 





1 O 60 0,52 0,30 
E 61 0,52 0,30 
o O 44 0,52 0,30 
E 43 0,54 0,28 
3 O 38 0,54 0,30 
E 36 0,54 0,28 
4 O 37 0,54 0,28 
E 34 0,54 0,24 
5 O 31 0,52 0,26 
E 32 0,52 0,22 
6 O 23 0,50 0,26 
E 24 | 0,50 0,20 
9 O 20 0,50 0,24 
E 19 0,46 0,28 Aderlaß aufgehört 
10 O 22 0,48 0,26 
E 24 0,46 0,22 
15 O 35 0,50 0,30 
E 41 0,48 0,26 
20 O 33 0,50 0,30 
E 43 0,48 0,26 
27 O 42 0,50 0,30 
E 45 0,48 0,26 | Einspritzung aufgeh. 
29 O 42 0,50 0,30 
E 47 0,48 0,28 
33 O 45 0,52 0,30 
E 66 0,52 0,30 


Über den Einfluß einmaliger oder häufiger wiederholter 
Aderlässe auf die Resistenz der roten Blutkörperchen liegen eine 
größere Anzahl älterer und neuerer Beobachtungen vor. Mara- 
gliano und Castellino*) und Viola und Jona?) haben dabei 
in der Regel eine Resistenzverminderung gesehen. Die zuletzt 
erwähnten Autoren haben an Hunden und Kaninchen experi- 


1) Maragliano und Castellino, Zeitschr. f. klin. Med. 21, 
415, 1892. 
2) Viola et Jona, Archives de physiologie 18995, 37. 


310 S. Itami und J. Pratt: 


mentiert. Smith und Brown!), die ausgedehnte Untersuchungen 
an Pferden anstellten, konnten einen konstanten Einfluß der 
Aderlässe auf die Resistenz der roten Blutkörperchen nicht fest- 
stellen. Wir haben es uns speziell zur Aufgabe gemacht zu 
vergleichen, wie sich Kaninchen verhalten, denen man nur Ader- 
lässe macht, und wie sich die Resistenz bei anderen Tieren 
ändert, denen zu gleicher Zeit lackfarbenes Blut anderer nor- 
maler Tiere injiziert wird. 

Es wurden im ganzen vier Versuche dieser Art ausgeführt. 
Zu jedem Versuch diente ein Paar Kaninchen von gleichem 
Wurf und möglichst gleichem Körpergewicht. Einem dieser 
Tiere wurde jeden Tag oder alle zwei Tage ein Aderlaß von 
etwa 20 com gemacht, dem anderen außerdem noch jeden Tag 
oder jeden zweiten Tag lackfarbenes Blut (20 com Blut 4 20 com 
Aq. dest. 40,18 g NaCl) intraperitoneal injiziert. Die Tabelle III 
unterrichtet über den Verlauf eines derartigen Versuches. 

Die anderen drei Versuche, die ein durchaus ähnliches Re- 
sultat ergaben, sollen nur erwähnt werden, um zu zeigen, daß es 
sich bei diesen Veränderungen in der Tat um regelmäßige Er- 
scheinungen handelt. 

Zunächst geht aus der Tabelle III wohl hervor, daß die 
reine Aderlaßanämie die Resistenz der Erythrocyten nur in sehr 
geringem Grade beeinflußt, jedenfalls nicht entfernt in dem 
Maße wie die Giftanämie. Die minimale Resistenz wird nur 
wenig verändert, ja sie war in den ersten Tagen des Versuches 
sogar ein wenig vermindert, in den späteren Tagen des Ver- 
suches unwesentlich erhöht. Etwas größer sind die Schwankungen 
der maximalen Resistenz. Aber auch da beträgt die größte 
Differenz nur 0,06°/,. Die Zunahme der maximalen Resistenz 
ist also unbedeutend, aber in allen Versuchsreihen konstant 
nachweisbar. 

Als wichtigstes Resultat dieser Versuchsreihe muß hervor- 
gehoben werden, daß bei den zu gleicher Zeit mit Blutkörper- 
emulsionen behandelten Kaninchen regelmäßig stärkere Ver- 
schiebungen der Resistenz sich finden, als bei den Kontroll- 
tieren, denen nur Aderlässe gemacht waren. Die Differenz 
schwankt bei gleichem Grade der Anämie zwischen 0,04 und 


1) Smith und Brown, Journ. of Med. Research. 15, Nr. 3, 1906. 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 311 


0,06°/, und ist in allen Versuchen auf der Höhe der Anämie 
nachweisbar. Es kann also wohl schwerlich daran gezweifelt 
werden, daß die intraperitoneale Injektion roter Blutkörperchen 
die Resistenz der zirkulierenden Erythrocyten bei anämischen 
Tieren steigert. Das bezieht sich besonders auf die maximale 
Resistenz. 

Mit noch größerer Sicherheit geht das daraus hervor, daß 
diese Resistenzsteigerung auch im Regenerationsstadium noch 
anhält, solange die Injektionen fortgesetzt werden. Erst nach 
Aussetzen der Einspritzung kehrt die Resistenzkurve schnell 
zur Norm zurück. 

Immerhin erreicht auch die durch Aderlässe und Injek- 
tionen bewirkte Resistenzsteigerung nicht entfernt die bei der 
Giftanämie beobachteten Veränderungen. Deswegen sind wir 
nicht geneigt, die Unterschiede, die wir zwischen der Anämie 
durch Phenylhydrazin und der Aderlaßanämie festgestellt haben, 
ausschießlich oder auch nur vornehmlich auf die Tatsache 
zurückzuführen, daß in dem einen Falle Erythrocyten im Orga- 
nismus selbst resp. in der Blutbahn zugrunde gehen, während 
sie dem Organismus im anderen Falle entzogen werden. Immer- 
hin ist der Einfluß der Blutinjektionen auf die Resistenzkurve 
unverkennbar. Wie man sich diesen Einfluß vorstellen soll, 
welcher Wirkungsmodus dabei in Frage kommt, ist vorerst 
nicht zu sagen. Wir vermeiden es, uns auf das Gebiet der 
Hypothesen zu begeben. 

Es wäre natürlich von Interesse zu untersuchen, ob das 
salzsaure Phenylhydrazin in ganz besonderer Weise die Fähig- 
keit hat, die Resistenz der roten Blutkörperchen zu erhöhen, 
oder ob es sich dabei um eine allgemeine Eigenschaft handelt, 
die auch anderen Blutgiften zukommt. Wir haben einige Ver- 
suche mit Sapotoxin, Toluylendiamin und Pyrogallol ausgeführt, 
leider ohne unser Ziel zu erreichen. Es gelang nämlich nicht, 
mit diesen Giften schwere, länger dauernde Anämien zu er- 
halten. Entweder erholten sich die Kaninchen trotz Weiter- 
behandlung oder sie gingen bei Injektionen größerer Dosen 
zugrunde. 

Die großen Differenzen in der Resistenzkurve der Erythro- 
cyten bei der Giftanämie einerseits, der posthämorrhagischen 
Anämie andererseits machen es nicht sehr wahrscheinlich, daß 


312 S. Itami und J. Pratt: 


lediglich das Alter der Erythrocyten für die Resistenz maß- 
gebend ist, wie man mehrfach vermutet hatte. Auch Smith 
und Brown lehnen auf Grund anderer Beobachtungen diesen 
Erklärungsversuch ab. Es sind offenbar andere Faktoren für 
die ungemeine Resistenzsteigerung der Erythrooyten bei der 
Anämie durch Phenylhydrazin maßgebend. Wir haben uns 
bemüht, der Ursache dieser Erscheinung nachzugehen und 
sind dabei auf einen bemerkenswerten Befund gestoßen: Es 
erschien uns nämlich möglich, daß die starke Vermehrung der 
Resistenz von einer Änderung des Stromagerüstes der roten 
Blutkörperchen herrühren könnte, das ja normalerweise nur 
einen sehr geringen Prozentsatz der Gesamtmasse des Blut- 
körperchens ausmacht. Bei dem starken Grade der Resistenz- 
vermehrung der Erythrocyten im Verlaufe der Phenylhydrazin- 
anämie bestand begründete Aussicht, eine Zunahme der Stroma- 
bestandteile quantitativ nachzuweisen, wenn eine solche über- 
haupt in erheblicherem Grade vorhanden war. 

Die Versuche wurden so ausgeführt, daß wir uns zwei Emulsionen 
von Blutkörperchen in physiologischer Kochsalzlösung herstellten, die 
genau gleich viel Erythrocyten enthielten. (Durch Zählungen kontrolliert.) 
Die eine Emulsion enthielt normale, die andere resistente Blutkörperchen 
eines anämischen Kaninchens. Kernhaltige Erythrocyten waren unter 
letzteren nur in sehr geringer Menge vorhanden (auf 100 Leukocyten 
etwa zwei Erythroblasten), auch die Anzahl der Leukooyten war in 
beiden Emulsionen nicht sehr verschieden. Zu diesen Emulsionen wurde 
soviel Sapotoxin in Lösung gesetzt, daß eine schnelle, totale Hämolyse 
in beiden Röhrchen erfolgte. Dann wurde das Blut in graduierten, 
spitz auslaufenden Zentrifugengläsern (Nißlsche Gläschen zum Zentri- 
fugieren von Cerebrospinalflüssigkeit) mehrere Stunden scharf zentri- 
fugiert. Die Höhe des aus den Stromasubstanzen roter Blutkörperchen 
bestehenden Sedimentes wurde dann gemessen. 

Es stellte sich nun das überraschende Resultat 
heraus, daß das aus den Stromabestandteilen sich 
zusammensetzende Sediment bei Giftanämien in den 
von uns untersuchten Fällen wenigstens 10mal, oft 
aber noch erheblich höher (bis oa. 15mal) war als das 
von normalen Erythrocyten. Schon vorher war uns auf- 
gefallen, da8 man durch Zusatz selbst sehr großer Mengen von 
Sapotoxin zum anämischen Blut zwar vollständige Hämolyse 
bekommt, die Lösung aber nicht völlig klar wird und getrübt 
bleibt. Das ist nach den oben aufgeführten quantitativen Be- 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 313 


stimmungen natürlich so zu erklären, daß das durch Sapotoxin 
nicht zerstörbare Stromagerüst im anämischen Blut eine ganz 
enorme Zunahme erfahren hat. 

Mikroskopisch setzt sich das Sediment des anämischen 
Blutes teils aus Körnchen (Blaukörnchen von Heinz?), teils 
aus Gebilden zusammen, die noch deutlich die Kontur von 
Erythrocyten erkennen lassen, aber hämoglobinfrei sind. 

Diese so sehr starke Vermehrung der Stromabestandteile 
machte es bei den früher erwähnten Hämolyseversuchen oft sehr 
schwer, die Grenze der totalen Hämolyse zu bestimmen, da stets 
ein umfangreiches Stromasediment den Boden des Hämolyse- 
röhrchens ausfüllte, von dem man makroskopisch schwer sagen 
konnte, ob es noch hämoglobinhaltige Erythrocyten enthält 
oder nur aus Stromateilen besteht. Deswegen haben wir zur 
Bestimmung der maximalen Resistenz stets die mikroskopische 
Prüfung vorgenommen. 

Die Vermehrung der Stromabestandteile ist bei den Phenyl- 
hydrazintieren nicht mehr nachweisbar, bei denen im Verlauf 
der Erholung die Resistenz bereits zur Norm zurückgekehrt 
ist. Es besteht also hier ein gewisser Parallelismus zwischen 
Stromamenge des einzelnen Blutkörperchens und Resistenz. 
Diese Proportionalität ist auch bei den posthämorrhagischen 
Anämien nicht zu verkennen. 

Unsere Versuche haben uns nämlich gezeigt, daß bei den 
Blutungsanämien, bei denen es ja zu keiner sehr wesentlichen 
Steigerung der Resistenz kommt, auch die Vermehrung der 
Stromata sich in recht bescheidenen Grenzen hält und niemals 
die hohen Werte erreicht, die bei der durch Phenylhydrazin 
bewirkten Anämie scheinbar regelmäßig beobachtet werden 
können. In den frühen Stadien der Aderlaßanämie ist eine 
Vermehrung der Stromasubstanz überhaupt nicht sicher fest- 
zustellen. Erst wenn der Hämoglobingehalt auf etwa 20 bis 
25°/, gesunken ist, stellt sich auch eine mäßige Vermehrung 
des Stromasedimentes ein. Dabei ist zu erwähnen, daß diese 
Vermehrung bei den Tieren höhere Werte erreicht, die im Ver- 
laufe ihrer Anämie lackfarbenes Blut intraperitoneal erhalten 
haben. Immerhin ist dieser Unterschied aber nicht sehr groß, 
was ja auch wiederum mit dem Grade der Resistenzvermehrung 
übereinstimmt. Auch bei den Aderlaßanämien verschwindet 


314 S. Itami und J. Pratt: 


im Stadium der Regeneration die Resistenzvermehrung und die 
Vermehrung der Stromasubstanz gleichzeitig. 

Daß die Vermehrung des Stromasedimentes nicht etwa 
nur durch die reichliche Anwesenheit von kernhaltigen Erythro- 
cyten oder Leukocyten im anämischen Blute vorgetäuscht wird, 
ergibt sich aus der direkten mikroskopischen Untersuchung des 
Sedimentes, von der oben bereits gesprochen wurde, sowie aus 
der Tatsache, daß kernhaltige Erythrocyten nur in verschwindend 
geringer, Leukocyten in kaum größerer Menge als beim nor- 
malen in den zum Versuch benutzten Blutkörperchenemulsionen 
sich fanden. 

Es ist also durch unsere Untersuchungen der Nachweis 
erbracht, daß die Resistenzveränderungen roter Blut- 
körperchen mit chemischen Veränderungen ihrer 
Zusammensetzung einhergehen. Soweit unsere Versuche 
bisher reichen, scheint regelmäßig eine starke Ver- 
mehrung der Resistenz mit einer oft enormen Zunahme 
der Stromasubstanz einherzugehen. Das scheint dafür 
zu sprechen, daß Stromavermehrung und Resistenzsteigerung 
zueinander in Beziehungen stehen, resp. daß letztere von ersterer 
abhängig ist. Immerhin wollen wir nicht behaupten, daß die 
Zunahme derStromata das einzige Moment ist, das die Resistenz der 
rote Blutkörperchen beherrscht. Es gibt da noch mehrere andere 
Möglichkeiten, die einer experimentellen Prüfung vorerst weniger 
zugänglich sind. Daß aber die starke Vermehrung der Gerüst- 
substanz einen der ausschlaggebenden Faktoren darstellt, darf 
man auf Grund dieser Beobachtung wohl mit hinreichender 
Sicherheit behaupten. 

Warum aber diese „pachydermen‘“ Erythrocyten, wenn 
der Ausdruck gestattet ist, in viel stärkerem Grade bei der 
Anämie durch Phenylhydrazin als bei den Aderlaßanämien ge- 
bildet werden, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. Vom 
teleologischen Standpunkte wäre die Erscheinung wohl zu ver- 
stehen, eine hinreichende Erklärung ist aber damit nicht 
gegeben. 

Offenbar haben die während der Vergiftung gebildeten 
stromareichen und resistenten Erythrocyten die Fähigkeit, 
sich ihrer überflüssigen Stromabestandteile schnell zu entledigen, 
da, wie oben erwähnt wurde, schon wenige Tage nach Aus- 


Veränderungen roter Blutkörperchen bei experim. Anämien. 315 


setzen der Injektion des Blutgiftes eine deutliche und sehr 
schnell zunehmende Verminderung des Stromasedimentes ein- 
tritt. Wir sind nicht der Ansicht, daß diese Erscheinung da- 
durch bedingt ist, daß nun alle resistenten Blutkörperchen 
einer schnellen Zerstörung anheimfallen und weniger resistente 
statt ihrer gebildet werden, sondern glauben, daß die Erythro- 
cyten in der Blutbahn chemischen Veränderungen unterworfen 
sind, die zu einer schnellen Reduktion des Stromagerüstes 
führen. Diese Annahme stützt sich auf die Beobachtung von 
Morawitz!), der einen sehr lebhaften respiratorischen Gas- 
wechsel kernloser Erythrocyten im Blute bei experimentellen 
Anämien, besonders stark bei der Phenylhydrazinanämie, nach- 
wies. Die Erythrocyten der anämischen Tiere haben also auch 
noch im kernlosen Zustande einen lebhaften Stoffwechsel und 
sind dabei wahrscheinlich weiteren chemischen Änderungen 
unterworfen. 

Die Versuche über die Zunahme der Stromata werden 
fortgesetzt, speziell soll die chemische Zusammensetzung der 
Stromata, die bei ihrer enormen Vermehrung in genügender 
Menge zugänglich sind, zum Gegenstand weiterer Untersuchungen 
gemacht werden. 


Zusammenfassung. 


1. Bei der subchronischen, durch Injektionen von salzsaurem 
Phenylhydrazin hervorgerufenen Anämie der Kaninchen tritt 
schon in kurzer Zeit eine starke Vermehrung der Resistenz 
der roten Blutkörperchen zutage. 

2. Die Resistenz ist gegen mehrere von uns geprüfte 
hämolytische Agenzien erhöht, am deutlichsten scheinbar gegen 
Schwankungen des osmotischen Druckes. 

3. Die Resistenzsteigerung betrifft die maximale Grenze 
der Resistenz in höherem Grade als die minimale. Zuweilen 
kann man sogar mit destilliertem Wasser das Blut nicht mehr 
lackfarben machen. 

4. Die Resistenzsteigerung nimmt nach Aussetzen der In- 
jektionen des Blutgiftes schnell wieder ab. 


1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 60, 1909. 


316 S. Itami u. J. Pratt: Veränd. rot. Blutkörperchen b. experim. Anämien: 


5. Bei der Aderlaßanämie des Kaninchens ist nur eine 
mäßige Resistenzvermehrung nachzuweisen. Sie ist regelmäßig 
deutlicher bei Tieren, denen während der Aderlaßanämie lack- 
farbenes Blut intraperitoneal injiziert wird, aber auch dort nie 
im entferntesten so stark, wie bei der Anämie durch Phenyl- 
= hydrazin. Immerhin ist ein deutlicher Einfluß der Resorption 
lackfarbenen Blutes auf den Grad der Resistenz anzunehmen. 

6. Mit der Resistenzsteigerung geht eine sehr starke Ver- 
mehrung der Stromabestandteile der Erythrocyten einher. Die 
Menge der Stromabestandteile kann bei der Giftanämie auf 
das Zehnfache oder noch höher gegenüber normalen Blut- 
körperchen gesteigert sein, wenn man die durch Zentrifugieren 
lackfarbenen Blutes gewonnenen Sedimente vergleicht. (Pachy- 
dermie der Erythrocyten.) 

Es besteht in allen unseren Versuchen ein Parallelismus 
zwischen Vermehrung der Stromata und Resistenzsteigerung. 


Elektrochemische Alkalinitätsmessungen an Blut 
und Serum. 


Von 
Leonor Michaelis und Peter Rona. 


(Aus den biologischen Laboratorien des städtischen Krankenhauses 
am Urban,) 


(Eingegangen am 3; Mai 1909.) 
Mit 1 Figur im Text. 
1. Methodisches. 


Bekanntlich herrschte noch vor wenigen Jahren eine große 
Unklarheit über den Grad der Alkalinität der Körperflüssig- 
keiten, insbesondere des Blutes. Alle Methoden, die in früherer 
Zeit zur Bestimmung der Alkalinität angewandt wurden und 
auf die acidimetrische Titration hinauskamen, hatten den 
prinzipiellen Fehler in sich, daß die Methode der Messung eine 
Verschiebung der natürlichen Reaktion mit sich brachte und 
daß es auf Grund dieser Bestimmungen nicht möglich war, den 
Grad der Alkalinität exakt zu definieren. Diese Definition ist 
allein durch die Konzentration der OH-, bzw. der H-Ionen ge- 
geben, und zu der Bestimmung dieser besitzen wir heute zwei 
Methoden, die der Konzentrationsketten und die der Indi- 
catorenskalen. Die Indicatorenmethode, für physiologische Pro- 
bleme zuerst von Friedenthal!) eingeführt, hat den Vorteil 
großer Einfachheit. Dabei ist zweifellos der Grad der Genauig- 
keit theoretisch recht groß, wenn auch in praxi noch nicht in 
der Form, in der die Methoden bisher vorliegen. Denn die 
bisherigen Indicatorenskalen nehmen keine Rücksicht auf den 

1) Friedenthal, Zeitschr. f. allg. Physiol. 1, 56, 1901; 4, 44, 


1904; Zeitschr. f. Elektrochem. 10, 113, 1904; Arch. f. Anat. u. Physiol. 
1903, 551; s. auch Salm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 57, 471, 1907. 


318 L. Michaelis und P. Rona: 


Gehalt und die Naturetwagleichzeitig vorhandener Neutralsalze, von 
denen wir erwiesen haben!), daß sie die Farbnuance gerade der 
besten Indicatoren stark mit beeinflussen. Wenn sich in Zukunft 
das alles wird mit berücksichtigen lassen, so hat doch immer 
die Indicatorenmethode nur den Vorteil größerer Einfachheit, 
während die größere Sicherheit und größere Genauigkeit zu- 
nächst wohl noch lange Zeit der Methode der Konzentrations- 
ketten vorbehalten sein wird. 

Die Methode der Konzentrationsketten ist in verschiedener 
Weise angewendet worden, je nach der Form der angewandten 
Elektroden. Die Wasserstoff-Konzentrationskette ist an Sicher- 
heit der Sauerstoffkette weit vorzuziehen. 

Höber, dem wir die erste Anwendung dieser Methode für 
dieses Gebiet verdanken, benutzte platinierte Platinelektroden, 
die zum Teil in die Elektrodenflüssigkeiten eintauchten, im 
übrigen aber in einer Wasserstoffatmosphäre sich befanden. 
Die Sättigung der Platinelektroden mit Wasserstoff wurde da- 
durch angestrebt, daß ein ständiger Strom von Wasserstoff 
durchgeleitet wurde. Diese Methode leidet an dem Übelstand, 
daß das ständige Durchleiten des Wasserstoffs durch das Serum 
bzw. Blut eine Verarmung desselben an Kohlensäure zur Folge 
hat, wodurch auch die ersten Messungen von Höber?) nicht 
Werte ergaben, die dem genuinen Blute entsprechen. Die zur 
Korrektion für diesen Übelstand später von ihm dafür vorge- 
schlagene Durchleitung eines Gemisches von Wasserstoff und 
Kohlensäure ist zu umständlich, um zu einer Standardmethode 
dienen zu können. 

Diese Übelstände werden mit der Methode vermieden, welche 
P. Fränkel?) angewendet hat; er vermeidet die Gasatmosphäre 
überhaupt und benutzt als Elektroden mit Wasserstoff gesättigte 
Metallelektroden. Als Metall wählte er wegen des höheren Ab- 
sorptionsvermögens für Wasserstoff das Palladium. Aber auch 
dieser Methode haftet ein Übelstand an; der Gehalt der Palla- 
diumelektrode an Wasserstoff nimmt mit der Zeit ab, und so- 
bald diese Abnahme an den beiden Elektroden nicht ganz 
gleichförmig erfolgt, ist die gemessene Potentialdifferenz nicht 

1) L. Michaelis und P. Rona, Zeitschr. f. Elektrochem. 1908, 251. 


2) R. Höber, Pflügers Arch. 81, 522, 1900; 99, 572, 1903. 
3) P. Fränkel, Pflügers Arch. 96, 601, 1903. 


Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 319 


allein von dem Gehalt der Flüssigkeit an H‘-Ionen, sondern auch 
noch von dem unkontrollierbaren Unterschied der Elektroden 
im Wasserstoffgehalt abhängig. 

Die dritte Modifikation vermeidet alle diese Übelstände. 
Sie ist nicht neu, und abgesehen von den ältesten Arbeiten auf 
diesem Gebiete, hat z. B. Smale?) sich ihrer schon vor längerer 
Zeit bedient. Sie besteht darin, daß, wie bei der von Höber 
getroffenen Anordnung, platinierte Platinelektroden nur zum 
Teil in die Flüssigkeiten eintauchen und zum größeren Teil in 
eine stehende Wasserstoffatmosphäre hineinragen, die während 
des ganzen Versuches nicht erneuert wird. Um dieses Prinzip 
zur Ausführung zu bringen, sind verschiedene Formen der Gas- 
kette vorgeschlagen worden. Die ursprünglich von Smale an- 
gegebene ist für den vorliegenden Zweck nicht brauchbar, weil 
sie Flüssigkeitsmengen erfordert, die dem Physiologen nicht zur 
Verfügung stehen. In dieser Beziehung ist die von Hamburger?) 
angegebene Form viel praktischer. Noch weniger Flüssigkeits- 
menge erfordert die Form von Farkas’). Wir bauten uns mit 
primitivsten Hilfsmitteln eine 
Miniaturform von Elektroden, 
welche es gestattet, mit 4 bis 
5 com Flüssigkeit, bei Bedarf 
mit noch weniger, absolut 
exakte Bestimmungen auszu- 
führen. Die nebenstehende 
Figur zeigt diese Elektrode ; 
in ?/, natürlicher Größe. Als | 
Gefäß diente ein spitzwinklig | 
umgebogenes Glasrohr von | 
nebenstehender Form, und die | 
Platinelektroden wurden auf 
folgende Weise hergestellt: 
Aus einem dünnen Pilatinblech 
wird ein längliches, rechteckiges Stück ausgeschnitten, so jedoch, 
daß die eine Schmalseite des Rechtecks sich in einen spitzen 
Zipfel verjüngt. Dieser Zipfel wird in das untere Ende eines 





1) Smale, Zeitschr. f. physikal. Chem. 14, 577, 1894; 
2) Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre 2, 347. 
3) Farkas, Pflügers Arch. 98, 551. 


320 L. Michaelis und P. Rona: 


dünnen Glasrohres eingeschmolzen, derart, daß er zur Festigung 
der Elektrode in einer Länge von etwa 2 mm allseitig von Glas 
umgeben ist, mit dem Zipfelende jedoch noch in die Lichtung 
der Glasröhre hereinragt. Die Glasröhre wird dann zu zwei 
Dritteln mit Quecksilber gefüllt und in dieses später der den 
Kontakt vermittelnde Zuleitungsdraht eingetaucht. Die Elek- 
troden werden in die Gefäße vermittels eines um das dünne 
Glasrohr gestreiften Gummiringes eingesteckt, den man sich aus 
einem passenden Gummischlauch schneidet. Die Gasdichtung 
ist, wie die Erfahrung zeigt, vollkommen. Derartiger Elektroden 
macht man zwei gleichartige und befestigt sie nebeneinander, 
indem man den kürzeren Schenkel eines jeden Glasrohres in 
einer Klemme befestigt. Die Platinierung des Platins geschieht 
in der üblichen Weise, am besten, indem vor jeder erneuten 
Platinierung das Platin leicht durchgeglüht wird. Die Ge- 
fäße werden mit den zu untersuchenden Flüssigkeiten gefüllt, 
durch geeignetes Kippen etwa vorhandene Luftblasen aus dem 
kürzeren Schenkel des Gefäßes entfernt und dann vermittels 
eines capillaren Zuleitungsrohres, welches man durch den 
längeren Schenkel einführt, mit Wasserstoff in hinreichender 
Menge gefüllt. Auf der Seite, auf der sich die Säurelösung 
von bekanntem Gehalt befindet, läßt man die Elektrode 1 bis 
2 mm tief eintauchen, auf der Seite, auf der sich das Serum 
befindet, ist es vorteilhaft, so viel Wasserstoff einzuleiten, daß 
die Elektrode den Flüssigkeitsspiegel nicht mehr oder kaum 
berührt. Der Wasserstoff bleibt anfangs in Form von ge- 
trennten Schaumblasen bestehen, und die Schaumwände ver- 
mitteln den Kontakt genügend. Die auf diese Weise armierten 
Ketten führen nach unserer Erfahrung rascher zu einer Kon- 
stanz der elektromotorischen Kraft, als wenn die Elektroden 
tiefer eingetaucht werden. | 

Auf diesen scheinbar ganz unbedeutenden Kunstgriff möchten 
wir mit aller Schärfe besonders hinweisen. Es ist durchaus 
notwendig so zu verfahren, daß die Platinelektrode kaum merk- 
lich in das Serum eintaucht. Die Erfahrung hat uns gelehrt, 
daß die Einstellung der elektromotorischen Kraft zum Gleich- 
gewicht hierbei fast augenblicklich, und also sehr viel schneller 
erfolgt, als wenn etwa, wie gewöhnlich angegeben, ein Drittel 
der Elektrode eintaucht. Kontrollversuche mit gewöhnlichen 


Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 321 


eiweißfreien Säurelösungen zeigten, daß es für das definitive 
Gleichgewicht völlig gleichgültig ist, ob die Elektroden ein wenig 
mehr oder weniger eintauchen, daß dagegen die Einstellung 
des Gleichgewichtes fast momentan erfolgt, wenn die Elek- 
troden die Flüssigkeit gerade knapp berühren. Deshalb braucht 
auch neuerdings noch z. B. Szili!) 6 Stunden bis zur Ein- 
stellung des Potentials und deshalb halten wir auch die Form 
der Elektrode, die Henderson?) beschreibt, nicht für geeignet, 
und so ist auch Henderson mit seinen Messungen nicht zu- 
frieden. Als zweite bekannte Voraussetzung für die prompte Ein- 
stellung des Gleichgewichtes möchten wir daran erinnern, daß die 
Platinierung der Platinelektroden, besonders der in das Eiweiß 
tauchenden, nicht zu alt sein darf. Die von anderen Autoren 
oft als lästig befundene Tatsache, daß die Elektroden gegen- 
einander schon bei gleicher Konzentration der Elektrolytlösungen 
mehrere Millivolt Potentialdifferenz zeigen, ist uns bei der 
Methode des geringen Eintauchens niemals begegnet, ohne daß 
auf besonders gleichmäßige Platinierung beider Elektroden Sorg- 
falt verwendet wurde. Theoretisch ist es ja übrigens auch nicht 
denkbar, daß das Gleichgewicht von der Art der Platinierung, 
ja selbst von der Natur der Elektrode — ob Platin, Palladium, 
Gold usw. — abhängt; es kommt in praxi nur darauf an, daß 
das definitive Gleichgewicht sich auch recht schnell und richtig 
einstellt, und das scheint bei frisch platinierten und wenig 
eintsuchenden Elektroden stets sehr rasch zu geschehen. Die 
Menge des gasförmigen Wasserstofis ist dann ganz belanglos, 
und die ca. 2ccm Wasserstoff, die in unserem Apparate über 
der Flüssigkeit stehen, sind vollkommen ausreichend. 

Die Verbindung zwischen beiden Elektroden geschah folgender- 
maßen: durch einen etwa 6 cm langen Gummischlauch von solcher 
Dicke, daß er in die offenen Enden der Elektrodengefäße hinein 
(nicht über sie herüber) luftdicht eingefügt werden konnte, wurde 


1) Al. Szili, Pflügers Arch. 115, 72, 1906. 

2) Lawrence J. Henderson, The Theory of Neutrality Regula- 
tion in the Animal Organism. Americ. Journ. of Physiol. 21, 427, 1908. 
— Lawrence J. Henderson and O. F. Black, A Study of the equi- 
librium between carbonio acid, sodium bicarbonate, mono-sodium-phos- 
phate and di-sodium-phosphate at body temperature. Americ. Journ. of 
Physiol. 21, 420, 1908. 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 21 


322 L. Michaelis und P, Rona: 


ein doppelter Baumwollfaden gezogen, mit der passenden Ver- 
bindungsflüssigkeit gut durchtränkt und dann zwischen die 
beiden Gefäße eingeschaltet. In den Fällen, wo der ganze 
Apparat unter Wasser versenkt wurde, wurde eine vollkommene 
Wasserdichtigkeit dadurch erreicht, daß vorher außerdem noch 
in jedes der beiden Schlauchenden ein kurzes Glasrohr von 
geeigneter Dicke eingeschoben wurde. 

Die Temperatur wurde in der Weise konstant gehalten, 
daß die Elektroden in ein Wasserbad versenkt wurden. 
Das Wasserbad wurde ohne Thermostaten durch gelegentliche 
Kontrollierung auf der gewünschten Temperatur (+ !/,°C) ge- 
halten. Wo die Messungen bei Zimmertemperatur gemacht 
wurden, wurde öfter vom Wasserbad abgesehen. 

Das eine Elektrodengefäß wurde stets mit der zu unter- 
suchenden Blutflüssigkeit gefüllt, das andere entweder nach dem 
Vorschlag von Höber mit »/,-HCl, und dann als Verbin- 
dungsflüssigkeit ”/ Nal benutzt, oder (meist) das Elek- 
trodengefäß wurde nach dem Prinzip von Bugarszky') mit 
einer Lösung von ?/,-NaCl+"/ „HCl gefüllt, und dann be- 
stand die Verbindungsflüssigkeit ebenfalls aus ®/,-CINa-Lösung. 
Die Kontaktpotentialdifferenz zwischen dem Serum und der 
»/,-CINa-Lösung ist stets zu vernachlässigen, wie Höber ge- 
zeigt hat. Bei der Bugarszkyschen Anordnung ist die Kontakt- 
potentialdifferenz im Groben zu vernachlässigen, weil die Salz- 
säure im Überschuß eines gleichionigen Neutralsalzes gelöst ist. 
Eine Berechnung mit Hilfe der Planckschen Formel ergibt 
jedoch immerhin eine Kontaktpotentialdifferenz von 0,0059 Volt 
im entgegengesetzten Sinne wie die Potentialdifferenz der Kon- 
zentrationskette. Sie wurde bei der Rechnung stets berück- 
sichtigt. Bezeichnen wir die in jedem Versuch gefundene 
elektromotorische Kraft mit x, so ist diese also um das Kon- 
taktpotential z, kleiner als der gesuchte Wert der Konzen- 
trationskette rn’, so daß sich ergibt 

EE E EE A 

Die Berechnung der H-Ionenkonzentration ergibt sich aus 
der Nernstschen Gleichung: 

, Ca, 
E z — 0,000198. T log On’ 
1) Bugarszky, Zeitschr. f. anorgan. Chem. 14, 145, 1897. 





Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 323 


wo T die absolute Temperatur, Cm, die Konzentration der 
H-Ionen in der Säurelösung, Ce, die Konzentration der H-Ionen 
in der Blutflüssigkeit bedeutet. Hieraus ergibt sich die ge- 
suchte H-Ionenkonzentration zu 


zl 
log Cn, = — 0,000198. T -+ log Ce, 


Die H-Ionenkonzentration der Säurelösung ist bekannt, 
oder kann doch dadurch berechnet werden, daß der Dissoziations- 
grad einer HCl-Lösung in überschüssigem CINa etwa der gleiche 
ist wie in einer HCl-Lösung von demjenigen Gehalt, wie ihn 
die CINa-Lösung hat; also bei der Anordnung 0,125 n -+ 0,01 n HO 
ist der Dissoziationsgrad der HO derselbe wie in einer 0,125 
norm. HCl1-Lösung, d. i. = ca. 0,95. Der H-Ionengehalt der 
„Bugarszkyschen Säurelösung‘‘ ergibt sich auf diese Weise zu 
0,0095 g Ion im Liter. 

Aus der H-Ionenkonzentration läßt sich nun die OH-Kon- 
zentration berechnen, da das Produkt beider, die Dissoziations- 
konstante des Wassers, bekannt ist. 

Die Messung der elektromotorischen Kraft der Kette ge- 
schah nach der Kompensationsmethode, deren Beschreibung 
überflüssig ist.) Als Nullinstrument wurde ein Capillarelektro- 
meter angewendet, dessen Empfindlichkeit für den vorliegenden 
Zweck vollkommen ausreicht, indem es, selbst im Zustande 
größerer Unempfindlichkeit, die ganzen Millivolts mit Sicher- 
heit, die Zehntel schätzungsweise zu messen gestattet, eine voll- 
kommen ausreichende Empfindlichkeit, deren Überschreitung 
die Genauigkeit der Messung nicht erhöht. Als Stromquelle 
wurde gewöhnlich ein Akkumulator, als Normalelement ein 
selbsthergestelltes, mit einem geeichten Element verglichenes 
Westonelement benutzt. An Stelle der Meßbrücke wurden zwei 
vollständige Widerstandssätze von je 1 bis 1110 Ohm benutzt, 
und es wurde der Stromkreis des Akkumulators ständig durch 
1110 Ohm geschlossen gehalten, welche bis zur Erreichung der 
Kompensation auf die beiden Widerstandskästen verschieden 
verteilt wurden. Es wurde etwa alle 10 Minuten eine Bestim- 
mung gemacht und dies mindestens 1'/, Stunden lang fortge- 
setzt. Das zusammengesetzte Element ändert seine elektro- 


1) Es sei auf Hamburger, Osmotischer Druck und Ionenlehre, 
als vorzügliche methodologische Anweisung hingewiesen. 
21* 


324 L. Michaelis und P. Rona: 


motorische Kraft, wenn man ihm keinen Strom entnimmt, 
innerhalb von 2 bis 3 Millivolt nicht im Laufe von 3 bis 4 Tagen, 
und selbst nach absichtlicher Stromentnahme von einigen 
Minuten Dauer stellt sich nach nicht langer Zeit in der Regel 
die elektromotorische Kraft wieder her. 


2. Kontrollmessungen. 


Als Einleitung zu unseren Versuchen, gleichzeitig zur Kon- 
trollierung unserer Methodik, führten wir nun eine Reihe von 
Messungen aus, welche die Bestimmung der Dissoziationskon- 
stanten des Wassers bei 18° zum Ziele hatten. Es wurde nach 
dem von Wilh. Ostwald zuerst gemachten Vorschlage die EMK 
einer Kette gemessen, deren eine Flüssigkeit eine Lauge, deren 
andere eine Säure von bekanntem Gehalt war. Diese Kette erlaubt 
daher eine Bestimmung der H-Ionenkonzentration der Lauge, 
deren OH-Konzentration ja bekannt ist. Als Verbindungs- 
flüssigkeit wurde in diesen Versuchen das Neutralsalz der be- 
treffenden Säure und Lauge in der gleichen Konzentration wie 
diese benutzt und die beiden Kontaktpotentiale berechnet und 
dem gefundenen Werte der EMK zugeschlagen. Zur weiteren 
Kontrolle führten wir aber auch Messungen derart sus, daß, 
wie bei der Serum-Anordnung, die Säure und die Lauge in einem 
Überschuß des betreffenden Neutralsalzes gelöst wurden, wodurch 
die Kontaktpotentiale erheblich verkleinert wurden. Diese Kon- 
taktpotentiale wurden für jede einzelne Versuchsanordnung mit 
Hilfe der Planckschen Gleichung berechnet. 

Als mittlerer Wert der Dissoziationskonstanten des Wassers 
für 18° ergibt sich (aus Tabelle I) 0,55.10-14, 

Vergleichen wir damit die von anderen Autoren gefundenen 
Werte, so fanden Kohlrausch und Heydweiller!) 0,59.10-14, 
Lundén?) 0,56-10-!* (durch geradlinige Interpolation des für 
15 und 25 gefundenen Wertes). Die anderen vorliegenden Be- 
stimmungen [vor allem von Löwenherz?)] sind bei anderen 
Temperaturen angestellt und gestatten keinen direkten Vergleich, 
da der Temperaturkoeffizient der Dissoziationskonstante des 
Wassers außerordentlich groß ist. 


1) Kohlrausch und Heydweiller, Wiedem. Ann. 53, 209, 1894. 
2) Harald Lundén, Journ. de Chim. physique 5, 574, 1907. 
3) Löwenherz, Zeitschr. f. physikal. Chem. 20, 283, 1896. 


Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 325 


Das Resultat dieser Messungen war folgendes: 
Tabelle I. 
Temperatur 18°. 


EECHER 
EE — 


Berech- | Daraus be- 

Gefun- netesKon- rechnete Dis- 
dene EMK) takt- soziations- 

in Volt |potential konstante des 
in Volt Wassers 








0,02 n KOH |/0,02nKClj| 0,02 n HCI 


0,0429 | 0,48.10—14 





0,2 n ClNa +! 110,2n CINa + 
0,02n NaOH jð ‚Zn en 0,02 n HCI 

0,47.10— 1+ 
0,8 n KC + 0,8 n KCI L 
0,02 n NaOH (Dn SO | 0,02 n HCI 0,47-10—14 








n KOH || nKCl | nHC 
n NaOH || nCiNa | nHCI 


0,1 n NaOH ||0,InNCl|| 0,1n HCl 0,62.10—14 
0,02n NaOH'0,02nCINaj| 0,02 n HCI 0,68.10—14 
Mittel 0,55-10—14 
Die Übereinstimmung zwischen diesen Resultaten kann als 
überraschend betrachtet werden, zumal es sich um Werte 
handelt, die mit drei verschiedenen, voneinander unabhängigen 
Methoden gefunden wurden [Kohlrausch und Heydweiller 
durch Bestimmung der Leitfähigkeit des Wassers, Lundén 
durch Bestimmung des Grades der Hydrolyse schwachsäuriger 
Salze, während die Konzentrationskettenmethode zuerst von 
W.Ostwald!) und Arrhenius?) angewendet und die richtige 
Berücksichtigung der Kontaktpotentiale von W. Nernst?) ge- 
lehrt wurde]. 


0,61.10— 14 
0,50.10— 14 


8. Messungen mit Blutserum. 
Es wurde nun dazu geschritten, die Konzentration der 
H-Ionen an einer Reihe von Blutseren zu bestimmen, die teils 
1) Wilh. Ostwald, Zeitschr. f. physikal. Chem. 11, 6521, 1893. 


2) Arrhenius, Zeitschr. f. physikal. Chem. 11, 805, 1893. 
3) W. Nernst, Zeitschr. f. physikalL Chem. 14, 155, 1894. 


326 L. Michaelis und P. Rona: 


vom Menschen, teils von verschiedenen Tieren stammten, teils 
frisch, teils alt waren. Die Aufbewahrung der Sera geschah in 
eingefrorenem Zustande. Die Resultate der Messungen sind 











lgende: 
SSES Tabelle II. 
2 Konzentration 
S å 
er 
Material E RB der H-Ionen op Lonen 
"E bi 
3 = [wenn (H+) x (OH )= 
fx] 0,56-10— 14] 
Frisches Pferde- | 
serum . .... 18° 0,3240 0,00591 0,18-10—7 |3,1-10—7 16 
24stünd. Hammel- 
serum ..... 18°| 0,3394 0,00591 0,11-10—-7 |6,1.10—7 46 
Frisches Hunde- 
serum . .... 21°| 0,3239| 0,0089] 0,20.10—7 |2,8-10—7 14 


serum (Typhus). [20,5° 0,3449 0,0059 0,085-10— 7 |6,6.10—7 18 
serum ..... 19°| 0,3338 | 0,0089 0,13-10— 7 |4,3.10— 34 


Hammelserum . |18°| 0,3456 0,0089] 0,077-10—7 |7,3-10—7 95 
8 Tage gefrorenes 

Hammelserum . {18° 0,3517| 0,00591 0,059-10— 7 |9,5-10—7| 160 
22 Tage gefrorenes 

Hammelserum . {18 °| 0,3518) 0,0059] 0,069. 10— 7 |9,5-10—7| 160 
Frisches Menschen- 

serum (chron. Ne- 


phritis) . . . . [18° 0,3437| 0,0059) 0,081.10— 7 |6,9-10—7 85 
Frisches Menschen- 


serum . ....» 18°| 0,3640: 0,0089] 0,036 .10— 7 |16-10 —7 440 


1) „Alkalinität“ wird hier definiert als das Verhältnis der 
OH-Konzentration zurH-Konzentration. In diesem Sinne hat 
die Alkalinität einer jeden Flüssigkeit einen positiven Wert; 
eine neutrale Flüssigkeit hat die Alkalinität 1, eine Base 
eine Alkalinität >|, eine Säure eine solohe <1. 

Es ist z. B, wenn wir die Dissoziationskonstante des 
Wassers rund — 10—14 setzen und die Dissoziation der Säuren 
und Basen vollkommen annehmen, die Alkalinität von 

3/ -HCl = 10—14 
Segoe HC = 10 
reinem Wasser == 10 
2/10 000- NaOH = 
a/ -NaOH = 104 
p 






1 


Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 327 


Um eine Vorstellung zu geben von der Geschwindigkeit 
der Einstellung der Kette und der Größe der definitiven Kon- 
stanz, sei ein willkürliches Beispiel gegeben: 

Zusammenstellung der Kette beendet um 11°% Uhr vorm. 


Zeit EMK in Volt 
112 07’ 0,3447 
11% 17° 0,3405 
11b 30/ 0,3372 
11» 55’ 0, 
12> 10 0,3376 
12 30 0,3338 1 Als konstant be- 
12 45’ 0,3338 } trachteter, end- 
2» 00’ 0,3335 ) gültiger Wert 
Nächster Tag 
vorm. 10% 00’ 0,3401 


Wie man sieht, ist schon 10 Minuten nach Zusammen- 
stellung der Kette der Wert so nahe dem definitiven, daß die 
Beobachtung ohne einen irgendwie in Betracht kommenden 
Fehler abgebrochen werden könnte. 

Obwohl die Messungen in jedem einzelnen Fall durchaus 
scharf und eindeutig waren, so ergibt sich doch eine wenn auch 
nicht erhebliche aber deutliche Abweichung der verschiedenen 
Fälle untereinander. Es fragt sich nun, ob diese Abweichungen 
auf einem unbekannten wesentlichen Grunde oder auf Zufällig- 
keiten beruhen. Als solche kam vor allem der zufällige Kohlen- 
säuregehalt des Serums in Betracht. Es wurde untersucht, ob 
geringfügige Änderungen des CO,-Gehaltes solche merklichen 
Ausschläge hervorrufen können. Dies wurde teils durch Ein- 
leiten von CO, in Serum, teils durch Austreiben der Kohlen- 
säure durch einen kürzeren oder längeren Luftstrom erreicht. 
Die Resultate waren folgende: 


K d K d Alkalinität 
EMK onz. d. onz. d. CoH 
Temp. 18°. Ht-Ionen OH—-Ionen CH 
Menschliches Serum, a 
frisch . . . . .. 0,3640 0,036-10-7 16:.10—? 440 


I.: Dasselbe nach Ein- 
leitung von CO, 


E unter Druck . . . 0,2723 LA. Io 0,4. 10—77 0,29 
Menschliches Serum, 
frisch ...... 0,3437 0,081.10—? 6,9.10—7 85 


Dasselbe, nachdem 
L Stunde lang ein 
gelinder Luftstrom 
durchgeleitet wurde 0,4007 0,0083:.10-7 68.10—7 8200 


LL 


328 L. Michaelis und P, Rona: 


Hammelserum, | 








Dasselbe 
H, | 1 Stunde lang 2 
MI. Pt | mitLuftdurch- | „Na —— Pt 
leitet 8 





Temp. 20°. EMK = 0,0298 Volt 
H-Ionen des frischen Serums 3,3 
H-Ionen des gelüfteten Serums 1 

IV. Eine gleiche Kette wie III. 

Temp. 18°. EMK = 0,0462 Volt 
H-Ionen des frischen Serums 6,3 
H-Ionen des gelüfteten Serums 1 








Es zeigt sich also, daß man frisches Serum durch Ein- 
leiten von CO, leicht um das 40fache in der H*-Ionenkonzen- 
tration erhöhen kann, und durch bloßes Lüften leicht um das 
3 bis 1Ofache vermindern kann. Geringe Änderungen im CO,- 
Gehalt werden entsprechend geringere Ausschläge machen, und 
es zeigt sich, daß es überhaupt kein Problem ist, die Reaktion 
des Blutserums allgemein bestimmen zu wollen, sondern daß 
das immer nur Sinn hat in bezug auf einen bestimmten CO,- 
Partialdruck, mit dem das Serum sich in Gleichgewicht ge- 
setzt hat. Dies hat Höber!) bereits genau auseinandergesetzt 
und experimentell verifiziert. 


4. Messungen an Blut. 


Von besonderem Interesse ist nun die Reaktion des zirku- 
lierenden Blutes, sowie die Frage, ob die physiologischen 
Schwankungen im CO,-Gehalt einen erkennbaren Einfluß auf 
die Reaktion haben. Höber hat berechnet, daß der Unter- 
schied des venösen und arteriellen Blutes etwa derart sein 
dürfte, daß das venöse Blut doppelt so viel H-Ionen enthält 
als das arterielle. 

Wir stellten uns nun die Aufgabe, den Unterschied des 
arteriellen und des venösen Blutes der direkten Messung zu- 
gänglich zu machen. Das Schlagen des Blutes zur Defibrinierung 
ist unter diesen Umständen natürlich unzulässig, wegen der 
dabei eintretenden Änderung des Gehaltes an Blutgasen. Die 
Messung mußte vielmehr an frischem, ungeronnenem Blut vor- 


1) R. Höber, Pflügers Arch. 99. 572, 1903. 


Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 329 


genommen werden, wie es direkt der Ader entströmt. Als 
einzig erlaubter Zusatz, um die Gerinnung zu unterdrücken, 
muß das auch schon von Höber für diesen Zweck angewendete 
Hirudin bezeichnet werden, welches die Reaktion des Blutes 
nicht ändert. Schon Höber hat diese Tatsache festgestellt, 
und auch der folgende Versuch beweist bei etwas anderer Ver- 
suchsanordnung das gleiche. Es wurde aus der stark blutenden 
Ohrvene des Kaninchens das Blut direkt in dem Elektroden- 
gefäß aufgefangen und sofort, ehe noch Gerinnung eintrat, 
Wasserstoff eingeleitet. Die gleich eintretende Gerinnung 
war dann weiter nicht störend. Ein zweites Mal wurde 
das ebenso gewonnene Blut mit etwas Hirudin (von Sachsse u. Co., 
Leipzig) versetzt, derart, daß in das trockene Elektroden- 
gefäßB vorher einige winzige Körnchen des Hirudins an den 
Wänden verteilt wurde. Dadurch ist die Handhabung sehr 
erleichtert, weil man bequem Zeit hat, den Wasserstoff einzuleiten. 
Sollte die Hirudinmenge etwas knapp bemessen sein, so daß 
verspätet noch Gerinnung eintritt, so schadet das nichts. Die 
mit und ohne Hirudin gewonnenen Werte sind identisch. In 
der Folge wurde dann nur noch mit Hirudin gearbeitet, und 
zwar einige Versuche mit venösem Blute vom Kaninchen aus 
der Ohrvene, andere mit arteriellem Blute aus der Carotis des 
Kaninchens. Die Entnahme aus der Vene geschieht in der 
Weise, daß zunächst das Ohr mit einem mit wenig Xylol be- 
feuchteten Läppchen eingerieben wird, wodurch sich die Venen 
mächtig erweitern, und dann mit einer kleinen Lanzette ein 
Schlitz in die Randvenen des Ohres geschnitten wird. Das 
Blut quillt dann rasch in dicken Tropfen hervor. Das Carotiden- 
blut wurde aus der durch Operation freigelegten Carotis ent- 
nommen; Narcotica wurden für die Operation nicht angewendet, 
um dem Blute nicht ein fremdes Gas beizumengen, welches 
den Partialdruck der Wasserstoffatmosphäre vermindern könnte. 


Es ergaben sich nun folgende Werte: 
Temperatur überall 18°. 


A. Venöses Kaninchenblut. 


EMK H-Ionen OH-Ionen 
1. Ohne Hirudin . . 0,3159 Volt 0,25-.10-? 22.1077 
2. Mit Hirudin. . . 0,3250 ,, 0,17:10° 3,2. 1077 
3. Mit Hirudin. . . 0,3164 ,, 0,25. 107 22.1077 


Mittel: 0,22. Ir" 


330 L. Michaelis und P Rona: 


B. Arterielles Kaninchenblut. 


H-Ionen 
1. Mit Hirudin . . . 0,3022 0,41-10” 
2. 29 92 D ° D 0,3230 0,18 2 107 


Mittel: 0,30 .10? 


Mit den bisher erreichten Grenzen der Genauigkeit ist es 
also nicht gelungen, einen sicheren Unterschied zwischen venösem 
und arteriellem Blut nachzuweisen. Die Werte selbst decken 
sich mit denen von Fränkel, Höber und Farkas gefunde- 
nen gut. 

Wir müssen nun noch die Fehlerquellen dieser Methode 
der direkten Messung des Blutes erwägen. Diese Fehler rühren 
von dem Gasgehalt des Blutes her, und zwar erstens von dem 
Gehalt an Sauerstoff, zweitens von dem Gehalt an CO,. Der 
Einfluß der Kohlensäure ist folgender: Nach der Zusammen- 
setzung der Gaskette entweicht etwas CO, aus dem Blute und 
mischt sich dem Gasraume bei. Dadurch wird erstens die 
Reaktion des Blutes etwas geändert, zweitens der elektrolytische 
Lösungsdruck der H,-Elektrode etwas vermindert. Diese 
Fehler können nur minimal sein, denn das Gleichgewicht 
zwischen Blut und Gasatmosphäre ist schon erreicht, wenn 
dem Wasserstoff wenige Prozente CO, beigemengt sind. Da 
der elektrolytische Lösungsdruck der Quadratwurzel aus dem 
Partialdruck des Wasserstoffes proportional ist, so ergibt sich 
durch einfache Berechnung, daß der dadurch geschaffene Fehler 
minimal ist. Eine eigene elektromotorisch wirkende Funktion 
kommt der entwichenen CO, nicht zu, wie Höber nachgewiesen 
hat. Dies ist von dem in den Gasraum entweichenden Sauer- 
stoff nicht ohne weiteres zu sagen; der Sauerstoff setzt nicht 
nur den Partialdruck des Wasserstofles herab, sondern er hat 
eine eigene potentialbestimmende Wirkung, die der des Wasser- 
stoffes gerade entgegengesetzt ist und die Potentialdifferenz 
der Elektrode kleiner machen muß, als sie sich aus der reinen 
H,-Elektrode berechnen läßt. 

Da die Potentialdifferenz der Elektrode durch die An- 
wesenheit von etwas O, erniedrigt wird, so wird dadurch die 
gemessene elektromotorische Kraft der Kette etwas vermindert 
werden, die berechnete Konzentration der H-Ionen wird etwas 


Elektrochem. Alkalinitätemessungen an Blut und Serum. 331 


zu groß ausfallen, das arterielle Blut wird saurer erscheinen 
als es wirklich ist.!) 

Jedenfalls könnte es sich nur um eine sehr geringfügige 
Differenz in der Alkalinität des venösen und arteriellen Blutes 
handeln. Um diese geringeren Differenzen auch experimentell 
sicher zu stellen, bedarf es noch besonderer, wohl durchführ- 
barer Vorsichtsmaßregeln, von denen wir aber in der vorliegenden 
Arbeit noch absehen mußten. 

Von besonderem Interesse ist nun noch die Reaktion 
des (gesamten) Blutes bei Körpertemperstur. Zur Er- 
mittelung derselben wurde das venöse Kaninchenblut mit etwas 
Hirudin direkt in dem Elektrodengefäß aufgefangen und die 
ganze Gaskette in ein Wasserbad von 38° versenkt. Es 


ergab sich: 

EMK in Volt Konz. d Ht-Ionen Konz, d. OH Ionen Alkalinität 
l. 0,3322 0,38. 10—77 6,8. 107” 18 
2. 0,3254 0,41 -10—77 GE Dm 15 


Es wurde hier der innerhalb der ersten halben Stunde der 
Beobachtung sich ergebende Wert genommen. Eine zeitlich sehr 
ausgedehnte Beobachtung gibt durchaus falsche Werte wegen der 
allmählich eintretenden irreversiblen Änderungen des Blutes 
und des Gasraumes. Aus demselben Grunde war es auch nicht 
möglich, die Änderungen der Reaktion innerhalb der physio- 
logischen Temperaturen von 38 bis 42° an einer Blutprobe zu 
studieren. Die Änderungen erwiesen sich nämlich als so gering- 
fügig, daß sie durch nicht auszuschaltende, spontane, irrever- 
sible Änderungen des Blutes verdeckt wurden. Es wurde in 
ähnlicher Weise wie später beim Serum versucht, das Blut 
innerhalb des Wasserbades wiederholt zwischen den Tempe- 
raturen von 38° bis 42° hindurchzuführen, jedoch kehrte die 
EMK bei der Rückkehr auf eine schon vorher eingestellt ge- 


1) Dem allmählichen Entweichen von O, in den Gasraum hinein 
ist es wohl auch zuzuschreiben, daß bei Ketten mit Blut (niemals mit 
Serum) der anfängliche Wert der EMK ganz allmählich im Laufe von 
24 Stunden beträchtlich fällt (z. B. von 0,332 Volt auf 0,274 Volt) und dann 
viele Tage, bis zum Eintritt der Fäulnis, innerhalb weniger Millivolt 
konstant bleibt, In Anbetracht der raschen Einstellung unserer Ketten 
wird man daher die früheren Ablesungen den späteren im Zweifelfalle 
stets vorziehen müssen. 


332 L. Michaelis und P. Rona: 


wesene tiefere Temperatur stets über den zuerst bei dieser 
Temperatur gemessenen Wert hinaus zurück. Es ließ sich da- 
her die Abhängigkeit der EMK von der Temperatur experi- 
mentell nicht sicher feststellen, nur ist es sicher, daß diese 
Abhängigkeit minimal ist. 

Wenn wir diese Zahlen mit denen bei 18° gewonnenen 
vergleichen, so können wir sagen, daß in weiten Grenzen 
die H-Ionenkonzentration des Blutes unabhängig von 
der Temperatur ist. Unter Berücksichtigung des Umstandes, 
daß die Dissoziationskonstante des Wassers mjt der Temperatur 
stark ansteigt, berechnet sich, wenn man die H-Ionenkonzen- 
tration von der Temperatur unabhängig als rund 0,35 - 10-7 zu- 
grunde legt, für die OH-Ionenkonzentration und für die Alkali- 
nität des Blutes: 


Dissoziationskonstante —— 
Temperatur dos Wassers en * un 
(nach Lundén) — 
180 0,56 - 10—14 Lë 107 4,6 
25° 1,05. 10—14 A0. Ir? 8,6 
38° interpol. 2,6. 10-1* 7,4. 1077 21 
40° 2,94. 10—24 RA. 1077 24 


Hiermit wird die von Henderson (l. c.) theoretisch ge- 
forderte Erhöhung der Alkalinität mit steigender Temperatur 
bestätigt. Die Änderungen innerhalb der physiologisch inter- 
essierenden Temperaturbreite sind aber äußerst gerinfügig. 


5. Die Neutralitätsregulierung im Serum. 


Um einen zahlenmäßigen Ausdruck für das neutralitäts- 
regulierende Vermögen des Serums zu gewinnen, stellten wir 
uns die Aufgabe, die wahre Reaktion von Serum zu messen, 
dem bekannte Mengen von HCl oder NaOH zugefügt wurden. 
Es wurde zu je 5,7 ccm Serum 0,3 ccm einer bestimmten Säure- 
oder Alkalilösung zugegeben und diese Flüssigkeit untersucht. 
Ein Serum, welches in gleichem Verhältnis mit destilliertem 
Wasser verdünnt wurde, zeigte nach Kontrollversuchen keinen 
Unterschied gegenüber dem ursprünglichen Serum. Es ergab 
sich dabei folgendes: 


Elektrochem. Alkalinitätamessungen an Blut und Serum; 333 


Hammelserum, mit einem Gehalt 


von...g Mol. HCI pro Liter Konz. der H+-Ionen 


0 a) 0,13- 1077 

b) 0,10.10- 

c) 0,07:10-” 
0,005 "ERT: 
0,0125 0,83-10-7 
0,025 2,87.10-7 
0,05 166-10— 


Dasselbe mit einem Gehalt 
von... g Mol. NaOH pro Liter 


0,00005 a) 0,046. 10-7 
0,0005 b) 0,064. 10-7 

0,030- 10—7 
0,005 0,034- 10-7 
0,05 0,00014. 10 


Überblicken wir diese Messungen, so springt das regu- 
lierende Vermögen für annähernd neutrale Reaktion stark in 
die Augen. Gröbere Änderungen der Reaktion finden zwischen 
einem Gehalt von 0,025 n HCl und 0,005 n NaOH überhaupt nicht 
statt. Bei weiterer Überschreitung dieser Grenze nimmt aller- 
dings die Änderung der Reaktion rapide zu. Betrachten wir 
nun innerhalb dieser Zone des höchsten Regulationsvermögens 
den Einfluß von Säure und Base genauer, so fällt zunächst 
auf, daß die Regulation gegenüber Säuren viel weiter geht als 
gegen Lauge. Zusatz von 0,005 g-Mol. HCI pro Liter hat über- 
haupt keinen merklichen Einfluß, während sich schon die aller- 
geringsten Mengen Lauge (0,00005 g-Mol. pro Liter) bemerkbar 
machen. Die genaue Neutralität besteht bei einem Gehalt von 
etwa 0,01 n HCl. 


6. Einfluß der Temperatur. 


Die bisherigen Messungen wurden fast alle um 18° herum 
vorgenommen. Es ist nun von Interesse den Verlauf der Re- 
aktion bei steigender Temperatur zu verfolgen. Dabei sollen 
nur diejenigen Temperaturen zunächst berücksichtigt werden, 
die keine irreversiblen Änderungen des Serumeiweißes hervor- 
vorrufen, also zwischen 0 und 50°. Unsere Form der Gaskette 
setzt uns direkt in den Stand, bei einer Serumprobe die Ände- 


334 L. Michaelis und P. Rona: 


rung der elektromotorischen Kraft mit steigender Temperatur 
zu beobachten. Zwar kann man bei der beschränkten Zeit der 
Beobachtung bei jeder einzelnen Temperaturstufe nicht die 
völlige Konstanz der Kette abwarten, jedoch sind die nach 
1/, Stunde Beobachtungszeit eintretenden Änderungen so un- 
erheblich, daß sie für das Resultat absolut nicht mehr in Be- 
tracht kommen. 


Die Anderungen der EMK mit der Temperatur sollten 


vollständig reversibel sein. Um sich davon zu überzeugen, 
wurden dieselben Serumproben mehrere Male hin und zurück 


über dieselben Temperaturgebiete -gebracht und gemessen. Es 
ergab sich folgendes: 
I. Frisches Hundeserum. 
Konz. Dissoziations- x — Alkalinität, 
Temp. EMK der =. de (,„ OH- 
H- Ionen Wassers!) OH-Ionen "nt 
21° 0,3239 0,20-10-”7 0,8-10-1* 40-107 20 
32° 0,3294 0,27.10” 1,8-.10-1* GH, Lu? 25 
38° 0,3316 0,32-10-7 2,6-10-1* 81-107 25 
42° 0,3331 0,35-10-7 3,2-.10-14 OI. 107 26 
48° 0,3371 0,40.10—7 GR 107140 12.10 30 
52° 0,3349 0, 49. 1077 ca.6-10-1* 12.107 25 
Wieder 
zurück 0,3150 0,31-107 0,8-10-1 2,6-10-” 8,4 
auf 21° 


II. Frisches Menschenserum (Typhus). 


Gang der Temperatur: a) 10,5°, 20,5°, 30,5°, 38,5°, 40,5°, 
44,0°; b) 20,5°, 40,5°; c) 20,5°, 40,5°; d) 20,5°, 40,6°. 
Das Serum befindet sich also z. B. 4mal auf 20,5°. 


10,5° 20,6 30,5° 38,5° 40,5? 44 
a) 0,3397 0,3449 0,3502 0,3506 0,3515 0,3544 
b) 0,3305 0,3479 
c) 0,3324 0,3493 
d) 0,3323 0,3497 


1) Berechnet nach den Angaben von Lundén (Loi, ev. mit 


Interpolation. 


Elektroohem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 335 


Aus dem letzten Wert berechnete H*+-Ionenkonzentration: 


Kan, groses K dni, Steeg 

——— H-—- Ionen des OH-Ionen Con - 
Wassers CH 
20,5° 0,15. 10-7 0,8. 10—14 Bä. 1077 35 
40,5° 0,18-.107 3,0. 10—14 17-10” 94 


III. Die Brauchbarkeit der Methode zeigt z. B. folgender 
Versuch. Die Kette 





Pt 2n CIK — ga CK Pt 
H, | +0,05nH0l +0,05nHl | H, 
zeigt bei 18° . . 2.2.2... . 0,0554 ber. 0,0576 
bo, 0,0517 58433 0,0841 
wieder bei 18° . 2... . . . 0,0054 33558 0,0576 


nach 48 Stunden wieder bei 18°. 0,0554 53.23 0,0576 


Es zeigt sich also, daß beim Serum die Schwankungen der 
EMK beim Temperaturwechsel sehr gering sind. Die Rückkehr 
zu den früheren Werten, wenn man die niedere Temperatur 
nach Durchgang durch die höhere wieder einstellt, ist keine 
ganz vollkommene, sondern wird etwas überschritten. Beim 
zweiten und dritten Mal des Hin- und Zurückgehens kehrt je- 
doch die EMK innerhalb der Versuchsfehler völlig zurück. Es 
hat also den Anschein, als ob durch die erste Erwärmung eine 
geringfügige irreversible Änderung eintritt, die man wohl als 
ein gewisses Entweichen von CO, in den Gasraum deuten darf, 
welches nicht rückgängig gemacht wird. 

Wir können also mit ungefährer Annäherung sagen, daß 
die EMK der Gasketten mit Serum sich mit der Temperatur 
kaum ändert. Daraus folgt, daß auch die H-Ionenkonzentration 
nur wenig von der Temperatur abhängig ist. Da aber die 
Dissoziationskonstante des Wassers stark mit der Temperatur 
steigt, so folgt daraus, daß die Konzentration der OH-Ionen 
im Serum mit der Temperatur zunimmt, und daß auch die 
„Alkalinität‘“‘ mit der Temperatur zunimmt, wenn wir die Al- 
kalinität definieren als das Verhältnis der OH-Ionen zu 
den H-Ionen. Aus Versuch I ergibt sich dieses Resultat 
natürlich nur, wenn wir als richtigen Wert für die niederen 
Temperaturen nicht den ersten, sondern den definitiven Wert 
nach der Abkühlung von der höheren Temperatur betraohten. 


336 L. Michaelis und P Rona: 


7. Denaturierung und Koagulation. 


Schon im vorigen Abschnitt streiften wir die Frage, ob 
die Reaktion des Serums durch Temperaturveränderungen eine 
irreversible Änderung erleidet. Wir mußten dies zum Teil be- 
jahen, konnten aber mit großer Wahrscheinlichkeit die Ände- 
rungen auf geringfügiges Entweichen von Kohlensäure zurück- 
führen. Jedenfalls können sie mit einer beginnenden irreversiblen 
Veränderung der Eiweißkörper nichts zu tun haben, da sie schon 
bei Erwärmen auf 42° eintraten. Es erhebt sich nunmehr die 
Frage, ob bei der irreversiblen Hitzeveränderung des Serums 
außerdem noch eine irreversible Änderung der Reaktion eintritt. 

Ee wurde Serum auf 55°, in anderen Fällen auf 100° eine 
halbe Stunde lang erwärmt, und seine Reaktion mit der des 
unerwärmten Serums verglichen. Wurde die Erwärmung ohne 
besondere Vorsichtsmaßregeln vorgenommen, so zeigt sich regel- 
mäßig eine sehr kleine Erhöhung der Alkalinität. Sie wurde 
zunächst vermutungsweise wieder auf das Entweichen von CO, 
zurückgeführt. Deshalb wurde in weiteren Versuchen die Er- 
wärmung in einem luftdicht abgeschlossenen Gefäß vorgenommen, 
welches nach der Abkühlung erst längere Zeit zur Einstellung 
des CO,-Gleichgewichtes sich selbst überlassen wurde, bevor es 
geöffnet wurde. In anderen Versuchen wurde außerdem zur 
Vermeidung von Lösung von Alkali aus dem Glase ein Kolben 
aus Jenenser Glas verwendet. Es wurde ferner Serum mit be- 
stimmten Mengen HCl versetzt. und die Reaktion der Flüssig- 
keit vor und nach dem Kochen verglichen. 


1. Pferdeserum . . . 10 
2a/,-CINa-Lösung . 90 $ — Mischung A. 
n Essigsäurelösung 0,5 
Zusammensetung der Kette: 
Mischung A || »/,-CiNa fal, HO 
— — 


Kontakt- Kontakt- 
0 0,032 Volt 


a) unerhitzt: EMK — 0,203 V.; (HT) =1,1.10~*, 
b) gekocht (fein koaguliert) EMK — 0,216 V.; (H+) = 0,65. 10>. 


Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum. 337 


2. Zehnfach mit destilliertem Wasser verdünntes Pferde- 


serum. 
Kette: 


Serumverdünnung || ?/,,-CINa || ®/, HO 
Kontaktpot. = 
0,032 Volt 
a) unerhitzt EMK — 0,320; (H+) = 0,089. 10”, 
b) gekocht = 0,324; = 0,082. 10°. 
3. 10 eem Pferdeserum 4 90 com n CIK-Lösung. 
Kette: 
Serumverdünnung || 0,9 n CIK || 0,9 n CIK, 
-+ 0,01 n OH 
wu u. 


Kontaktpotentiale = annähernd 0 
a) unerhitzt: 0,316 V.; (H+) = 0,57:10-”, 
b) gekocht (milchig, ohne grobe Flocken) 0,339 V. IC 
= 0,18. 10”. 
4. Kette: 
A. 
Das ungekochte Gemisch || „ LO 
von Versuch Nr. 3 | 


0,242 Volt. 
m, = — aus Versuch Nr. 3 ergibt sich durch Rechnung: SS 
Cup 2,6’ ' E? 
6. Pferdeserum, mit 9 Teilen »/,-CINa verdünnt. 
Kette: 
in verschlossener Druckflasche 
vorher gekochtes Gemisch. 
ungekocht 1,03 
EMK = 0,007 Volt; —— — 
6. Frisches Hammelserum; l 
gewöhnliche Kette: 
18°: EMK = 0,3401 V.; (H+) —=0,13-10-”, 
1/, Stunde auf 55° erhitzt; dann bei 18°:0,3498; (H+) 
— 0,092- 1077; 


B. 
Das gekochte Gemisch 
von Versuch Nr. 3 








ungekochtes Gemisch | 





Ca ungekocht 1,4 
Ge gekocht 1° 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 22 


338 L. Michaelis und P. Rona: 


7. Dieselben Serumproben. 
Kette: 
Erwärmtes Serum || genuines Serum 
EMK == 0,0086 V; 
Cu ungekocht 1,40 

Ca gekocht 1 
Es ist in allen Proben ein sehr geringfügiger Unterschied 
im H-Gehalt des ungekochten und des gekochten Serums. In 
der Probe, bei der das Kochen in verschlossenem Gefäß vor- 
genommen wurde, ist der H-Ionengehalt praktisch völlig gleich 
geblieben. Es läßt sich in den anderen Fällen die geringfügige 
Änderung zwanglos durch ein minimales Entweichen von CO, 
erklären, da wir ja früher sahen, daß energisches Austreiben 
der Kohlensäure viel stärkere Änderungen im Gefolge hat. Wir 
können nun daraus erstens schließen, daß die Reaktion des 
Serums beim Kochen sich nicht ändert, daß bei der Denaturie- 
rung, gleichgültig ob mit oder ohne Koagulation, eine Ände- 
rung der Reaktion nicht eintritt. Da aber auch bei vorhandenem 
Säureüberschuß eine Änderung der Reaktion beim Kochen nicht 
eintritt, so können wir ferner schließen, daß auch das Säure- 
bindungsvermögen des Eiweißes beim Kochen nicht geändert 
wird. Daraus folgt, daß die Koagulation nicht mit einer Auf- 
epaltung des Eiweißmoleküls verbunden sein kann, die saure 
oder basische Gruppen frei machte, wie es z. B. die Trypsin- 
verdauung?!) tut. Diese Feststellung verlohnte sich deshalb, 
weil häufig angegeben wird, daß Eiweiß beim Koagulieren die 

Acidität einer sauren Lösung vermindere. 





Zusammenfassung: 


Es wird eine einfach reproduzierbare Form der Gasketten 
beschrieben, die die Messung der H-Ionen in wenigen Kubik- 
zentimetern von Körperflüssigkeiten gestattet und in wenigen 
Minuten sich auf ihren Gleichgewichtszustand einstellt. Eine 
Reihe von Kontrollmessungen, die die Dissoziationskonstante 
des Wassers bestimmen sollen, zeigt die Verläßlichkeit der 
Methode. 

Die Reaktion des Blutserums wird zwischen 0,036 und 
0,20-10” normal in bezug auf H-Ionen gefunden. Die Schwan- 


1) S. P. L. Sörensen, Enzymstudien. Diese Zeitschr. 7, 45, 1908. 


Elektrochem. Alkalinitätsmessungen an Blut und Serum, 339 


kungen rühren von dem zufälligen jeweiligen Kohlensäure- 
gehalt her. 

Durch Einleiten von CO, ließ sich der H*-Gehalt des 
Serums leicht auf LA. IT, durch Austreiben von CO, ver- 
mittels eines Luftstromes leicht auf O, S IO? bringen. 

Das frische Blut, sei es mit oder ohne Hirudinzusatz, hat 
einen H+-Gehalt von 0,2 bis 0,4-10-7 bei 18°, also eine AL 
kalinität von rund 7; bei 38° den fast identischen H*-Gehalt 
von ca. 0,4.10— und eine Alkalinität von rund 20. 

„Alkalinität“ wird definiert als an 

Die Ionenkonzentration im Serum wird bestimmt, welchem 
verschiedene Mengen Säuren und Laugen bekannten Gehaltes 
zugesetzt werden, und so festgestellt, daß das neutralitätsregu- 
lierende Vermögen des Serums den Säuren gegenüber weiter 
geht als den Laugen gegenüber. 

Der Einfluß der Temperatur auf die Reaktion wird 
experimentell studiert. Die H-Ionen nehmen nur wenig mit 
steigender Temperatur zu. Da aber die Dissoziationskonstante 
des Wassers mit der Temperatur stark ansteigt, nimmt die 
Alkalinität des Serums mit der Temperatur etwas zu, z. B. von 
35 bei 20° auf 94 bei 40°. 

Beim Denaturieren des Serums durch Hitze mit oder ohne 
Gerinnung ändert sich, wenn man die Austreibung von CO, 
verhindert, die nach dem Erkalten bestimmte Reaktion nicht, 
und ebensowenig das Säurebindungsvermögen des Serums. 





298 


Untersuchungen über physikalische Zustandsänderungen 
der Kolloide. 


VIII. Mitteilung. 


Studien am Säureeiweiß. 
Von 
Wolfgang Pauli und Hans Handovsky. 
(Aus der biologischen Versuchsanstalt in Wien, physikalisch - chemische 
Abteilung.) 
(Eingegangen am 30. April 1909.) 
Mit 3 Figuren im Text. 


Das Studium der kolloiden Zustandsänderungen eröffnet 
Wege in die vielfach noch dunkle physikalisch-chemische Kon- 
stitution der Eiweißlösungen, und umgekehrt gestattet die Fest- 
stellung der letzteren gewisse Gesetzmäßigkeiten der Zustands- 
änderungen der Proteinkörper aufzuklären. Für die Fortschritte, 
welche sich durch das Zusammenfassen dieser Methoden in der 
physikalischen Chemie der Eiweißreaktionen erzielen lassen, 
sollen diese und die folgenden Mitteilungen über eine Reihe 
zum Teil seit langem in der Hauptsache abgeschlossener Ar- 
beiten an unserem Institute weitere Belege bringen. 

Versetzt man ein sorgfältig dialysiertes Serumeiweiß mit 
etwas Säure, so hat dasselbe die Fähigkeit erlangt, im elektri- 
schen Strome zum negativen Pole zu wandern, zugleich aber 
seine Koagulierbarkeit durch Alkohol und durch Hitze ein- 
gebüßt. Gleichzeitig hat seine innere Reibung eine mächtige 
Erhöhung erfahren. Durch Überschuß von Säure wird die 
Alkoholfällbarkeit restituiert (Schorr!) und die erhöhte Vis- 
cosität wieder herabgesetzt (siehe unten). Ebenso wirkt ein 


1) Zitiert nach Pauli, Kolloidohemische Studien am Eiweiß. Dres- 
den 1908. 


W. Pauliu. H. Handovsky: Untersuch. üb. phys. Zustandsänd. usw. VIIL: 341 


Zusatz von irgend einem Neutralsalz in bezug auf die Her- 
stellung der Gerinnbarkeit von Säureeiweiß durch Hitze?!) und 
Alkohol?) und auf die Abnahme der inneren Reibung (siehe 
unten). Schließlich besteht noch in dem Punkte eine Über- 
einstimmung zwischen reiner und mit Neutralsalzzugabe kom- 
binierter Säurewirkung auf Eiweiß, daß ein genügender Über- 
schuß von Säure allein oder ein Zusatz von Neutralsalz zu 
nicht fällenden Säuregaben schon in der Kälte eine irreversible 
Eiweißflockung herbeizuführen vermag. Es hat sich nun ge- 
zeigt, daß alle diese Erscheinungen in einfacher und gesetz- 
mäßiger Weise zusammenhängen. 


Experimenteller Teil. 
A. Innere Reibung von Säureeiweiß. 


In allen Versuchen wurden zumeist aus Rinderseren?) mittels 
sorgfältiger, bis zweimonatiger Dialyse gewonnene und durch 
mehrmonatiges Stehen und Abfiltrieren vollkommen geklärte 
Eiweißlösungen verwendet. Die Viscositäten wurden mit passen- 
den Viscosimetern nach Ostwald bei 25° C, die spezifischen 
Gewichte der Lösungen in 20 g fassenden Ostwald-Sprengel- 
schen Pyknometern bestimmt. Der exakten Temperaturregu- 
lierung, der Vermeidung von Schaum oder feinster Flöckchen- 
bildung wurde große Aufmerksamkeit gewidmet. Der Eiweiß- 
gehalt der gereinigten Sera schwankte zwischen 2,18 bis 2,32°/, 
(aus dem N-Gehalte berechnet). Diese Sera wurden mit gleichen 
Teilen der Elektrolytlösung gemischt, so daß der Eiweißgehalt 


1) Pauli, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 10, 53. 

2) Pauli, Beziehungen der Kolloidchemie zur Physiologie. Leipzig 
1906. 

3) Die verwendeten Rindersera (RS) und ein Pferdeserum (PfS) 
zeigten folgende Werte der spezifischen Gewichte S, Reibungskoeffizienten y 
und Eiweißgehalt (aus N-Gehalt nach Kjeldahl): 





rm | 














S. = 1,00240 | 1,00198 | 1,00284 
EE E 1,0409 | 1,0623 | 1,0684 
Eiweiß. . | 3,144°/,! 2,184°⁄%] — 2,315, 


i 


342 W. Pauli und H. Handovsky: 


der Mischung etwas über 1°/, betrug. Die angegebenen Elektro- 
Iytkonzentrationen zeigen den Gehalt der fertigen Mischungen an. 


Tabelle I. 
Salzsäureeiweiß. 


at und of sind die Reibungskoeffizienten von zweierlei Rinderseren, die 
mit HCl in wechselnder Konzentration versetzt wurden. 





HCI- | 

0,00 n 1,0409 1,0623 
0,005 „ 1,0832 1,1255 
0,01 „ 1,1660 1,2332 
0,012 , = 1,2744 
0,015 „ 1,2432 1,2937 
0,017 , 1,2432 1,2937 
0,02 „ 1,2323 1,2770 
0,03 „ 1,1647 1,2224 
00 „ 1,1356 1,1822 
0,05 „ 1,1206 | 1,6667 


Tabelle II. 


Versuche mit verschiedenen Säuren und demselben Eiweiß. 










Citronen- 8 Schwefel- . 
säure Oxalsäure säure 


H 





n 

S 1,1002 
0,04 „ 1,1112 1,0751 
0,05 „ 1,1408 1,0906 


Die Resultate von Tabelle I und II sind in Figur l gra- 
phisch wiedergegeben. 

Nach diesen Versuchen liegt bei etwa 0,016 n Salzsäuregehalt 
ein Maximum der inneren Reibung von Salzsäureeiweiß. Die 
Reibung steigt bis zum Maximum jäh an und fällt mit weiterem 
Salzsäurezusatz bis 0,05 n um mehr als die Hälfte ihres höchsten 
Wertes immer langsamer ab. Die Erscheinungen bei noch 
höherem Säuregehaltsind durch dasZusammenspiel von Quellungs-, 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d Kolloide. VIIL 343 


Abbau- und Fällungsvorgängen kompliziert, worauf von Schorr 
in einer vorläufigen Mitteilung!) aus dem Institute schon auf- 
merksam gemacht worden ist. 

Von dem Verhalten des Salzsäureeiweißes weichen die mit 
anderen Säuren?) hergestellten Eiweißmischungen mehr oder 
minder stark ab. Eine Steigerung der Reibung selbst ist wohl 
auch hier in einem verschieden großen Bereich, zumindest der 
Anfangskonzentrationen, regelmäßig vorhanden und übertrifft noch 
immer beträchtlich die aus Eiweiß- plus Säureviscosität berech- 
neten Werte. 

Ein steter Anstieg ohne Umschlag bis 0,05 n (und darüber) 
findet sich bei Zusatz von Essigsäure und Citronensäure zum 
Eiweiß. Ein Maximum zeigen »s 
die Oxalsäure (bei 0,04n) und 

die Trichloressigsäure und 
Schwefelsäure (bei 0,01 n). 
Das Maximum liegt bei den 
zwei letztgenannten Säuren 
sehr niedrig, wie überhaupt 
die reibungserhöhende Wir- 


kung derselben auf Eiweiß 

gering ist. In dieser Hinsicht ** EE — 
bleibt ihr Einfluß von etwas 
über 0,02 n an hinter dem —* — 
der anderen Säuren, selbst H 

der Essigsäure, zurück. Diese 

Besonderheiten sind weder I/IALL/ £ssigs. 
von der Stärke der Säuren 
noch von ihrem mehrbasi- 
schen Charakter bestimmt, 
wiederVergleich von Schwefel- `` 
säure mit der weit schwäche- — 
ren, aber die Eiweißreibung 
beträchtlich erhöhenden Oxalsäure, oder der Trichloressigsäure 
mit der schwachen Essigsäure lehrt (Fig. 1). 





1) Diese Zeitschr. 13, 173, 1908. 

2) Salpetersäure zeigt schon in Konzentrationen über 0,01 n zum 
Unterschiede von den anderen untersuchten Säuren bei 25° C sofort eine 
Trübung. Der Reibungsanstieg unter 0,01 n ist gut nachweisbar. 


344 W. Pauli und H. Handovaky: 


Die in einer Eiweißlösung durch geringen Säurezusatz 
hervorgebrachte Änderung der inneren Reibung erscheint am 
ausgiebigsten am Salzsäureeiweiß. Durch die grundlegende 
Arbeit von Laqueur und Sackur?!) an Caseinaten ist im 
höchsten Maße wahrscheinlich gemacht, daß die Eiweißionen 
die Träger der hohen Reibung von Eiweißsalzen sind. Wir 
dürfen deshalb auch nach unseren Versuchen zunächst von der 
Annahme ausgehen, daß unter allen Säureeiweißen das mit Salz- 
säure hergestellte am reichlichsten elektropositive Eiweißteilchen 
„Eiweißionen“ enthalten und daß dem Maximum der inneren 
Reibung — bei dem Gehalte von 0,016 n HCl — ein Maxi- 
malgehalt von elektrisch geladenen Eiweißteilchen entsprechen 
werde. In diesem Konzentrationsbereich gelegene Mischungen 
von Salzsäure und Eiweiß würden dann Veränderungen an 
ihrem ionischen Eiweiß durch ganz bedeutende Änderungen 
der inneren Reibung verraten. Von diesem Gesichtspunkte aus 
wurden die folgenden Versuche über Beziehungen von Säure- 
eiweiß zu neutralen Salzen mit Reibungsbestimmungen ein- 
geleitet. 


B. Säurceiweiß und Neutralsalze. 


Die Versuche sind mit Variation aller Versuchsbedingungen, 
mit verschiedenen Seren, Salzen und Säuren in verschiedenen 
Konzentrationen, ausgeführt. 

In der folgenden Tabelle III sind die vollständigeren Ver- 
suche, welche den späteren theoretischen Betrachtungen zu- 
grunde liegen, für Salzsäureeiweiß und das Salz einer starken 
Säure (NaNO,) und einer schwachen (HCOONa) wiedergegeben. 
Die zugehörigen Kurven zeigt Fig. 2. Unter n sind die Reibungs- 
koeffizienten, unter D deren Erniedrigung durch Salzzusatz an- 
geführt. 

Die untersuchten Salze bewirken ausnahmslos eine be- 
deutende Erniedrigung der inneren Reibung von Säureeiweiß. 
Diese Erniedrigung wächst mit zunehmender Salzkonzentration, 
und zwar bei niederen Salzkonzentrationen relativ stark, bei 
höheren immer schwächer. Das Salz der schwachen Ameisen- 
säure erniedrigt relativ mehr als das der Salpetersäure. Hier 
kommt die Verminderung der freien H-Ionenzahl durch Um- 


1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 3, 193, 1903. 


SS 


em 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII 345 


setzung in die schwächer ionisierte Ameisensäure zur Salzwirkung 
dazu. 


Tabelle II. 
Konzen-| 0,01 po | oopo | 0,03Hc1 g >z 0,02 HCL 
— + RSI +RSII + RSI EE -+ RSII 
NaNO,| n | Dla | oD/„ DMS | D 
0,0000 n| 1,2362 — 1,2662) — [1,2224 — 10,00001,324 — 
0,0006 „| — | — |124640,0188! — | — [0,0002]1,3267| 0,0047 
0,0008 „| 1,2018! 0,0344 1,2355 0,0307! — | — 10,0004]1,3342| 0,0018 


0,002 „| 1,1790| 0,05721,2079 0,0583 |1,1995'0,0229 | 0,0006[1,3428| 0,0204 
0,00% „| 1,1503; 0,0859|1,1757|0,0906 11,1839|0,0385 | 0,002 |1,2968| 0,0266 





0,006 „| 1,1276 0, 1086 1, 1574 0, 1os8s — | — [0,004 [1,2486 0,0738 
0,008 „| 1,1133 0, 1220 1, 1400 0, 1266 — | — 10,006 |1,2047' 0,1177 
0,01 „|1,1062 0,1300 1,13310,1331) — | — 10,01 11,1556 0,1668 
0,02 _ „[1,089610,1466 — | — |1,1247/0,09877|0,03 [1,0710] 0,2514 
0065 „| — | — l1097310,1689) — | — 
o1 „| — | — Inomsoıss| — | — 





j 
f 


0003 0006 4006 gosn NaNO; 


Mit zunehmendem Salzsäuregehalt des Säureeiweißes nimmt 
die relative Reibungserniedrigung durch den gleichen Salzzusatz 
bedeutend ab. 


346 W. Pauli und H. Handovsky: 


Ähnliches ergibt sich aus der folgenden Tabelle IV für 
verschiedene Salze, welche nicht die Reibungskoeffizienten, son- 
dern die für den Vergleich genügende Relation von Durch- 


strömungszeit für Wasser t, und der betreffenden Lösung t 
in 0,2” anführt. 










Tabelle IV. 
E Viscositäts- 
an erniedrigung 
on- von 
zentration Säureeiweiß 







0,1044 








0,1889 

2. 0,015 B | NaNO, | 0,00000 | 897 | 1,2851 = 

HCI 0,00002 | 897 | 1,2851 = 

0,00007 | 897 | 1,2851 = 
0,0002 | 886 | 1,2693 0,0158 
0,002 | s60 | 1,2321 0,0530 

3. 0,02 C | NaPO, | 0,00 | 1232 | 1,3193 = 
HO 0,01 | 1146 | 1,2270 0,0923 
0,03 | 1019 | 1,0910 0,2283 

4. 0,02 C |Ur.nitr.| 0,00 |1232 | 1,3193 eg 
HCI 0,01 |1137 | 1,2173 0,1020 
0,03 | 1057 | 1,1313 0,1880 

5. 0,02 C | NaSO. | 0,00 |1232 | 1,3193 = 
HO 0,01 | 1042 | 1,1156 0,2037 
0,03 | 1016 | 1,0878 0,2315 

6. 0,03 A | NaSO, | om |759 | 1,1659 — 
HO 0,002 | 756 | 1,1613 0,0046 
0,02 |691 | 1,0614 0,1045 

7. 0,08 B | NaNO, | 0,00 | 834 | 1,1948 en 
(COOH), 0,002 |816 | 1,1690 0,0258 


0,004 | 808 1,1576 0,0372 


Auch hier zeigt sich die Erscheinung, daß Salzzusatz bei 
höheren Säurekonzentrationen (0,03 n HCl) relativ weniger die 
Viscosität herabsetzt als bei niederem (0,01 n HCI) (Tabelle IV 
1 und 6). Bei der schwächer auf die Viscosität wirkenden 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL.: 347 


Oxalsäure ist die relative Reibungsabnahme durch Salzzusatz 
kleiner als bei der Chlorwasserstoffsäure. 

Als Minimum der Salzkonzentration, welche genügt, um 
eine gut nachweisbare Senkung der Viscosität von Salzsäure- 
eiweiß hervorzurufen, kann ”/ioooo angesehen werden (Ta- 
belle IV, 2). 

Die Rolle der Anionen und Kationen des Salzes ist aus 
den folgenden vergleichenden Versuchen an einem und dem- 
selben Serumeiweiß zu entnehmen. 








„  @Guanidinnitr. 1045 


Tabelle V. 
Serum C. 
Säure- 
konzentration Salzzusatz t t/to 
Anionenwirkung. 
1. 0,02 n HO — 1232 1,3193 
0,03 n NaCl 1018 1,0899 
to = 934 „ NaNO, 1048 l, 1220 
„ NaSO, 1016 1,0878 
„ NaPO, 1019 1,0910 
„  Naacet. 993 1,0632 
„Na form. 995 1,0653 
„Na benz. 995 1,0653 
2. 0,0l n HO — 769 1,1795 
0,01 n NaCl 737 1,1304 
to = 652 „ NaNO, 736 1,1289 
„ NaSCN 724 1,1104 
79 Na,SO, 713 1,0935 
„ Na acet. 695 1,0659 
3. 0,1 n C,H,O, — 752 1,1534 
0,01 n NaCl 702 1,0767 
tọ = 652 „ NaNO, 704 1,0797 
vw NaSCN 703 1,0782 
„ (NaCOO), 703 1,0782 
„ N&SO, 698 1,0706 
Kationenwirkung. 
1. 0,02 n HCI — 1232 1,3193 
0,03 n NaNO, 1048 1,1220 
to = 934 „ Up, nitr. 1067 1,1317 


318 W. Pauli und H: Handovsky: 





Säure- 

konzentration Balzzusatz S Hi 
2. 0,02n HO — 1,2762 
(RSB) 0,03 n Ba(NO,), 1,1074 
to = 698 n NaNO, 1,1103 

Nichtelektrolyte. 

0,02 n HCI — 1232 1,3193 
0,03 n Rohrzucker 1239 1,3266 
to = 934 „ Harnstoff 1225 1,3116 
„ Giykokoll 1106 1,1842 


Für die Anionen ergibt sich, daß der Hauptanteil der 
Unterschiede in der Reibungserniedrigung von Säureeiweiß auf 
die verschiedenen Affinitätskonstanten der im Salze vertretenen 
Säuren zu beziehen ist. Am stärksten erniedrigen die Salze 
der schwachen Essig-, Ameisen- und Benzoesäure. Die relativ 
starke Erniedrigung durch das Chlorid, verglichen mit der 
Wirkung des Nitrates, erklärt sich ungezwungen durch die 
Dissociationsherabsetzung von Säureeiweiß und Salzsäure infolge 
des gemeinsamen Chlorions. Damit würde auch stimmen, daß 
der Unterschied zwischen Chlorid und Nitrat bei schwachen 
Salz- und Säurekonzentrationen (0,01 n Tabelle V, 2) ver- 
schwindet. Hier folgt die Salzreihe in bezug auf die Reibungs- 
herabsetzung sehr gut der Abnahme der Säurestärke ihrer 
Anionen. Cl < NO, < SCN, <80, < C,H,0,. Daß aber be- 
sondere Umstände außerdem mitwirken können, darauf weisen 
schon die Reibungskurven verschiedener Säureeiweiße (Fig. 1) 
hin, deren Charakter nicht allein von der Stärke der Säuren 
bestimmt wird. 

Der Austausch des Kations hat einen verhältnismäßig ge- 
ringen Einfluß auf die durch ein Salz bewirkte Viscositäts- 
herabsetzung von Säureeiweiß. Ersatz des Natriums durch 
Barium oder Guanidin ist kaum merklich. 

Die übrigens geringe Differenz zwischen salpetersaurem Harn- 
stoff und Natrium findet ungezwungen in der starken Hydro- 
lyse des ersteren ihre Erklärung. 

Von den nicht ionisierten Stoffen Rohrzucker und Harn- 
stoff wird die Reibung von Säureeiweiß nicht merklich anders 
beeinflußt als die von reinem Wasser. Glykokoll wirkt als 





Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 349 


amphoterer Elektrolyt, indem es durch Bindung von Salzsäure 
die dem Eiweiß zur Verfügung stehende Säure einschränkt 
und dadurch die Reibung erniedrigt. 

Die durch Salzzusatz bewirkte starke Reibungsabnahme 
von Säureeiweiß, welche relativ um so beträchtlicher ist, je 
höher die Reibung des Säureeiweißes, je größer also die Zahl 
der vorhandenen Eiweißionen ist, führt zu der Vermutung, 
daß die Salzzugabe eine Verminderung der Zahl der Eiweiß- 
ionen herbeiführt. Diese Auffassung findet eine Stütze in der 
Änderung der elektrischen Leitfähigkeit von Säureeiweiß 
durch Salzzusatz. 


In der folgenden Tabelle sind die spezifischen Leitfähig- 
keiten von Säureeiweiß und Säureeiweiß- Salzen enthalten und 
daneben die spezifischen Leitfähigkeiten der Salze in wässeriger 
Lösung aus den Werten von Kohlrausch berechnet. Die 
Reinheit und richtige Herstellung unserer Salzlösungen wurde 
durch Bestimmung ihrer elektrischen Leitfähigkeit kontrolliert. 
Wir fanden bei 25° C, unserer Versuchstemperatur, die Leitfähig- 
keit einer ?/ oo- KBr-Lösung Kxp- = 0,001418 und nach Kohl- 
Trausch auf dieselbe Temperatur umgerechnet Rep, = 0,001 421. 
Für alc Natriumnitrat wurde von uns Kyano, = 0,0011238 
gefunden, während sich der Wert nach den Angaben von 
Kohlrausch auf Kyano, — 0,001 1246 stellte. 

Die Tabelle enthält nun neben den beobachteten Leit- 
fähigkeiten K, der Säureeiweiß-Salzmischungen, die aus der 
Summe von Säureeiweiß- und Salzleitfähigkeiten berechneten 
Werte K,’ und schließlich die Differenzen K’—K, dieser be- 
rechneten und der tatsächlich gefundenen Größen. 


Tabelle VI. 
Versuche mit Pferdeserum. 
0,01 n HO + PfS 4- KBr 


Salz- K von KBr K, K; KA K, 
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet Gë 













0,0009317 
0,004 4920 0,005 090 3 
0,0020797 0,002 3533 
0,0009830 0,001 0822 





0,03 n 
0,01 n 
0,001 n 


0,004 1586 
0,001 421 6 
0,000 1505 


0,000598 3(?) 
0,0002736 
0,0000992 








350 W. Pauli und H. Handovsky: 





0,01 n HCI+ PfS-- NH,NO, 


“ Salz- |KvonNH,NO, K, K, KK, 
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet | R 


















0,00 n 0,0009317 

0,03 n 0,0038847 0,004 3032 0,0048164 0,0005132 
0,01n 0,001 3432 0,001 9990 0,0022749 0,0002759 
0,001 n 0,0001401 0,000 9768 0,0010718 0,000 0950 


0,01n HCI + PfS + Ba(NO,), 





, 


dë 
beobachtet | berechnet K—K, 


0,0009317 
0,0032694 0,003 6848 0,004 201.08 0,000 5163 
0,001 1748 0,0018530 0,002 106 48 0,0002535 


= Salz- [K von Ba{NO,)g 


konzentr. in Wasser 








Versuche mit Rinderserum. 
0,016 n HCI + RS + NaNO, 





e E EE M o M 


Salz- K von NaNO, K, K, Ki E 
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet 


0,00 n 0,002489 
0,03 n 0,003262 4 0,005255 
0,0l n 0,001 1246 0,003 386 







0,005751 0,000 497 
0,003614 0,000 228 





0,016 n HCI + RS + KBr 


Salz- K von KBr K, RK Ki RK. 
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet E 





— 






















0,002 489 
0,03 n 0,004 1586 0,0061597 0,006 647 6 0,000488 
0,01 n 0,001 421 6 0,003 679 0,0039106 0,000 232 


Aus den Daten der Tabelle VI ist zu entnehmen, daß 
die bei der Mischung von Säureeiweiß mit Salz gefundenen 
Leitfähigkeitswerte regelmäßig und beträchtlich unter jenen 
liegen, welche für den Fall, daß keine Wechselwirkung zwischen 
den in einer Säureeiweißlösung vorhandenen Ionen und den 
angefügten Salzionen statthat, berechnet sind. Für die ge- 
wählten Salze starker Säuren und Alkalien, Kaliumbromid und 
Natriumnitrat, sind die Ks’ —K,-Werte trotz der verschiedenen 
Leitfähigkeiten dieser Salze nahezu identisch. Der große Unter- 
schied zwischen berechneten und gefundenen Leitfähigkeiten 


— — — — —— ëm 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 351 


von Säureeiweiß-Salzgemischen gestattet wohl die Annahme,!) 
daß der Salzzusatz zum Säureeiweiß zu einer Verminderung 
der freien Ionenzahl führt, und die Übereinstimmung der 
Ks — K,-Werte bei den verwendeten Salzen spricht dafür, 
daß diese Ionenverminderung unter den gewählten Versuchs- 
umständen von der Natur des benützten Salzes unabhängig ist. 
Diese Feststellungen sind für die theoretische Behandlung der 
Salz-Säureeiweiß-Beziehungen von Wichtigkeit. 


Der Salzzusatz zu Säureeiweiß ist mit einer Vermehrung 
der freien Wasserstoffionen verbunden. Diese interessante 
Erscheinung wurde zuerst am Säureglobulin von W.B. Hardy?) N 
mittels Methylorange festgestellt. 


Wir haben dieselbe für unser wasserlösliches Serumeiweiß 
bei verschiedenen Konzentrationen der Säure und bei zahl- 
reichen Neutralsalzen mit Hilfe verschiedener Indicatoren unter 
Anwendung der aufklärenden Untersuchungen von Frieden- 
thal?) und Salm“) regelmäßig wiedergefunden. Von den ge- 
prüften Farbstoffindicatoren: Methylviolett, Tropaeolin 00, 
Congorot, Cochenille, Rosolsäure, Mauvein, Dimethylamidoazo- 
benzol, alizarinsulfonsaures Natrium, Methylorange und Gallein, 
waren nur die letzten drei verwendbar, darunter Gallein am 
wenigsten. Methylorange und namentlich alizarinsulfonsaures 
Natrium zeigen die durch Salzzusatz in Lösung von Säureeiweiß 
hervorgerufene Vermehrung der Säuerung so deutlich, daß z. B. 
das letztere für einen Vorlesungsversuch geeignet ist. 


Die folgende Tabelle gibt einen Überblick der Resultate. 
Sämtliche Farbstoffe sind nach den Angaben von Salm be- 
reitet. In der Tabelle bedeutet M = Methylorange, A = alizarin- 
sulfonsaures Natrium. Kontrollversuche über die Reaktion 
wässeriger, neutraler und saurer Lösung sind überall beigefügt. 


1) Die von M. Levi zuerst beobachtete, von A. Dumanski näher 
untersuchte Tatsache, daß Salze in konzentrierter Gelatine eine geringere 
Leitfähigkeit zeigen als in Wasser, wird später im Zusammenhange mit 
der theoretischen Deutung unserer Befunde erörtert. 

2) Journ. of Physiol. 33, 201. 

3) Zeitschr. f. Elektrochem. 10, 114, 1904. 

4) Zeitschr. f. physik. Chem. 57, 471, 1906. 


352 W. Pauli und H. Handovsky: 
Tabelle VII. 












Wässerige Lösungen 


stoff| HCI- | Salz- 
Konz. konz. 


Serumhaltige Lösungen 



































0,02n — rosarot 0,02n — orangegelb 
Na,S0, | M „ |0,03n d 0,03n | orangerot 
0,02n| — 0,02n | — | orangegelb 
NaBr | M „ 10,03n P 0,03n| orangerot! 
0,02n| — zeisiggrün | 0,02n | — |bräunlichgelb 
Nabi | AI 0085 A „ |003n| gelb 
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb 
NaNO, | M „.10,03n m e 0,03n | orangerot 
0,02n — rosarot 0,02n — orangegelb 
Rat? M 8 0,03 n A e 0,03 n | orangerot 
0,02n| — rosarot 0,02n — orangegelb 
KBr M = 0,03n e s 0,03 n | orangerot 
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb 
NH,SCN| M »„ ,0,03n = = 0,03n | orangerot 
0,02n| — rosarot 0,02n | — | orangegelb 
Ca(NO,),| M » |0,03n > 0,03n| orangerot 
Nal M 0,02n| — rosarot 0,02 n — 'orangegelb 
»„ 10,03n| gelbbraun e 0,03n » Stichrot 
0,02n| — rosarot 0,02n — orangegelb 
NaSCN | M „ "Un o A 0,03n | orangerot! 
0,0075 n|) — | rotbraun 
A 0,01 n | gelblichgrün ! 
Z, 0,005n | — | bordeaurot 
QO j 0,0ln| rotbraun! 
É 0,0025 n| — violett 
2 = 0,01n| krapprot 
0,00ln | — rotviolett 
e 0,01n | himbeerrot 
S 0,02n| — rosarot 0,02n -— orangegelb 
CH „ |0,03n| gelbbraun P 0,03n | strohgelb 
SG 0,02n| — zeisiggrün 0,02n | — |gelblichbraun 
Z. » | 0,03 n | bräunlichgelb e '0,03n weinrot 
S 0,02n| — rosarot 0,02 n Be orangegelb 
O > 0,03n| gelbbraun z 0,03n| strohgelb 
č 0,02n| — zeisiggrün 0,02 n WS gelblichbraun 
Z, „ "Dän 3 w  |0,03n | weinrot 





Die durch Salzzusatz zum Säureeiweiß bewirkte Vermehrung 
der freien H-Ionen läßt sich mit den angeführten Farbstoffen 
sehr sicher für Säurekonzentrationen von 0,02 n bis 0,001 n und 
Salzzusätze von 0,01 n bis 0,03 n nachweisen. Die Schwankung 
der H-Ionenkonzentration würde sich dabei nach der Salm- 
schen Tabelle im Bereiche von 10-° bis 10—* bewegen. Dafür 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 353 


eprechen nicht nur diese positiven Indicatorversuche, sondern 
auch unsere negativen mit den übrigen Farbstoffen, deren Um- 
schlag nicht in diesen Grenzen des H-Ionengehaltes gelegen ist. 

Die Versuche mit Acetat und Formiat zeigen, daß hier 
eine H-Ionenverminderung durch den Umsatz in elektrisch- 
neutrale Ameisen- und Essigsäuremoleküle überwiegt. Die 
H-Ionenkonzentration bewegt sich dabei von 10-5 zu 10-®. 

Im folgenden soll die theoretische Vereinigung des ganzen 
Tatsachenmateriales mit einigen früheren und neueren Be- 
obachtungen über physikalische Zustandsänderungen von Säure- 
eiweiß versucht werden. 


Theoretischer Teil. 


Wie dies in früheren Mitteilungen über die Zustands- 
änderungen der Eiweißkörper stets festgehalten wurde, läßt sich 
eine strenge Scheidewand zwischen einer mehr chemischen und 
einer physikalischen oder elektrochemischen Auffassung der 
Kolloidreaktionen nicht aufrichten. Die Verbindung elektrisch 
entgegengesetzter Kolloide bietet alle Übergänge zur Bildung 
elektrisch neutraler Salzteilchen aus den Ionen, und der Kolloid- 
transport im elektrischen Felde ist von der elektrolytischen 
Stromleitung im Wesen nicht unterschieden. Die Erkenntnis, 
daß nur die Größe der geladenen Teilchen ein elektrisches 
Kolloid von einem Ion unterscheidet, ist von J. Billitzer?) 
angebahnt worden. 

Nachdem bei den Eiweißkörpern ein größeres Material von 
Beobachtungen über ihr physikalisches Verhalten und über ihre 
Gemeinsamkeiten und Gegensätze mit anderen Kolloiden ge- 
sammelt war, lag es nahe, mit der Theorie ihrer Zustands- 
änderungen gleichzeitig Anschluß an die indessen gut fort- 
geschrittenen chemischen Erfahrungen auf diesem Gebiete zu 
suchen. 

Bei seiner grundlegenden Aufstellung des Begriffes „am- 
photerer Elektrolyt“ hat Bredig*) zuerst (1899) ausgehend von 
Beobachtungen an einfachen Aminosäuren die Proteinstoffe in 


1) Sitzungsber. d Wien. Akad. 113, Abt. IIa. 
2) Zeitschr. f. Elektrochem. 1899, Nr.2.—K.Winkelblech, Zeitschr. 
f. physikal. Chem. 36, 546. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 23 


354 W. Pauli und H. Handovsky: 


die Klasse der amphoteren Elektrolyte eingereiht. Kurze Zeit 
darauf (1899) wurde von dem einen von uns (Pauli)!) der 
Versuch gemacht, das Verhalten von Globulin gegen Neutral- 
salze aus seiner Fähigkeit zu erklären, gleichzeitig mit positiven 
und negativen Ionen in Verbindung zu treten und auf die 
Analogie mit dem Verhalten einfacher Aminosäuren hingewiesen, 
nachdem vorher Spiro?) in seiner bekannten Arbeit mit Pemsel 
eine quantitative Untersuchung der ‚Säure- und Basenkapazität‘‘ 
der Eiweißkörper erfolgreich ausgeführt hatte. In den letzten 
Jahren hat vor allem W. B. Hardy’) in seinen Studien am 
Globulin im Anschluß an die älteren Arbeiten von Sjöquist*) 
sowie Bugarsky und v. Liebermann?) unter Anwendung ge- 
eigneter physikalisch-chemischer Methoden die Bindung von 
Säuren, Alkalien und Salzen an das Globulin genauer studiert 
und eine vornehmlich chemische Auffassung der gefundenen Tat- 
sachen in den Vordergrund gestellt. In einer Reihe von Unter- 
suchungen am Casein und Globulin hat sich Robertson‘) in 
der gleichen Richtung bewegt. 

Es scheint nun auch nach unseren Untersuchungen, daß 
nicht nur die schon lange als chemisch betrachteten Be- 
ziehungen der Eiweißkörper zu den Säuren, Basen und Salzen, 
sondern auch gewisse als eigenartige kolloide Zustandsänderungen 
angesehene Eiweißreaktionen wie die Hitzekoagulation, Alkohol- 
fällbarkeit und die Quellungsvorgänge bis zu einem gewissen 
Grade auch einer ohemischen Betrachtungsweise zugänglich ge- 
macht werden können. 

Zum besseren Überblick der folgenden Bemerkungen sei nur 
vorausgeschickt, daß die Hauptunterschiede in den Zu- 
standsänderungen von Eiweiß, von den nur durch feine 
physikalisch-chemische Methoden in dessen Lösungen nachweis- 
baren Veränderungen angefangen bis einerseits zur irreversiblen 
Fällung und andererseits zum hydrolytischen Abbau desselben 
durch starke Säuren und Basen, auf dem gegensätzlichen 


1) Pflügers Archiv 78, 315. 

2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 26, 233. 

3) Journ. of Physiol. 33, 251. 

4) Skandinav. Arch. 5, 277; 6, 255, Zeitschr. f. klin. Med. 82, 451. 
5) Pflügers Archiv 72, 51. 

€) Journ. of Biolog. Chem. 2, 317. — Journ. of physio. Chem. 12, 473. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 355 


Verhalten von elektrisch neutralem und von geladenem 
oder ionischem Eiweiß beruhen. 

Eine mit größter Sorgfalt dialysierte Serumeiweißlösung 
enthält fast nur elektrisch neutrale Teile, wie die Bestimmung 
der elektrischen Leitfähigkeit und die Untersuchung der elek- 
trischen Überführung zeigt (Pauli)!). 

Da solches Eiweiß zum überwiegenden Teile aus Mono- 
aminosäuren besteht, so kann auch sein Zustand in der Lösung 
dem einfacher Monoaminosäuren ähnlich angesehen werden. 
Chemische und physikalisch-chemische Gründe sprechen dafür, 
daß letztere in Lösung fast nur aus elektrisch neutralen Teilen 
eines cyclischen Ammoniumsalzes bestehen dürften entprechend 


NH 
dem Schema RCo | . Nach den bisherigen Untersuchungen ist 


— abgesehen vom Wasser — ein strenger amphoterer Elektrolyt 
in dem Sinne, daß seine Säure- (K,) und Basendissoziations- 
konstanten (Kr) gleich wären, nicht bekannt geworden. Ins- 
besondere zeigen die von mehreren Autoren?) untersuchten 
Monoaminosäuren eine größere Fähigkeit zur lIonisation von 
H-Ionen als von OH-Ionen. Ähnliches konnte vom Eiweiß 
erwartet werden. Das Eiweiß wird zu einem Teile unter Wasser- 
aufnahme nach dem Schema 


H 
3 — H,< 
R | + H,0,ZR OH 
SES COOH 
reagieren, und wenn nun für Eiweiß wie für einfache Amino- 
säuren K, > Ko gilt, dann wird, allerdings nur in sehr geringem 
Maße, eine Dissoziation nach 


H 
NH, HA 

RC "opge R NOH + H- 
COOH coo. 


erfolgen. Es wird also neben den elektrisch neutralen Eiweiß- 
teilen eine kleine Anzahl von elektronegativen Eiweißionen 
gebildet. 

Schon die früheren Untersuchungen ?) über die elektrische 


1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 7, 531; Naturw. Rundsch. 21, 9. 

2) Vgl. die Zusammenstellung bei A. Kanitz,Centralbl. £. Physiol. 22, 

493 und H. Lundén, Amphbotericelektrolytes, Mitteil.d. Nobelinstitute1,11. 
23% 


356 W. Pauli und H. Handovsky: 


Wanderung von sorgfältig dialysiertem Eiweiß hatten trotz der 
Unvollkommenheit der Methodik gezeigt, daß letzte Spuren 
einer elektronegativen Ladung kaum zu beseitigen sind, die 
sich in einer verschiedenen Umladung und Repulsion in den Pol- 
gefäßen verrieten. Neuere Versuche von Landsteiner und 
Pauli mit einem eigenen." später von L. Michaelis?) verwendeten 
Apparat zeigen, daß bei einer vollkommenen Versuchsanordnung 
eine schwache elektronegative Ladung selbst an einem sehr lange 
dialysierten Eiweiß regelmäßig gefunden werden kann. Eiweiß 
kann also nur als praktisch elektrisch neutral betrachtet werden, 
insofern es zum allergrößten Teile aus neutralen und in einem 
verschwindenden Anteile aus geladenen Partikeln besteht. Durch 
diesen Nachweis bleiben alle in bezug auf die Stabilität 
elektrisch neutraler Emulsionskolloide aus dem Verhalten von 
amphoterem Eiweiß gezogenen Konsequenzen unberührt, zumal 
sehr leicht die Spuren vorhandener negativer Ladung des 
Eiweißes ohne Stabilitätsänderung durch Zusätze weiter ver- 
mindert werden können. 

Die Reaktion von elektrisch neutralem Eiweiß mit Säure 
unter Bildung elektropositiver Teilchen kann (z. B. für HO) durch 
das Schema: 


H An BR 
De Con +HA RC Ka + H,O 
COOH COOH 


dargestellt werden, wobei Dissoziation des Eiweißsalzes in 
NH,‘ 
R< o und Cl’ erfolgt. Nach den Erfahrungen am Säure- 
H l 


eiweiß müssen wir nun diese elektropositiven Eiweißionen im 
Sinne von Abegg und Bodländer?) als Ionen besonders 
schwacher Elektroaffinität oder geringer wahrer Haftintensität 
ihrer elektrischen Ladung betrachten. Solche Ionen werden 
besonders leicht entladen und werden, wo es nur die Um- 
stände gestatten, unter Entstehung größerer Komplexe oder 
von elektrisch neutralen Molekülen reagieren. Sie werden also 


1) Verhdl. d. 25. Congr. f. inn. Med. 
2) Diese Zeitschr. 16, 81, 1909. 
3) Zeitschr. f. anorgan. Chem. 20, 453. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 357 


eine starke hydrolytische Dissoziation zeigen, sobald auf andere 
Weise ihre Verminderung unter Bildung elektrisch neutraler 
Partikel nicht möglich ist, und werden ihre Neigung zur 
Komplexbildung unter anderem in einer starken Hydratation 
verraten. 

Daß die Eiweißionen die Träger der starken inneren 
Reibung sind, haben zuerst Laqueur und Sackur!) bei den 
Alkalicaseinaten wahrscheinlich gemacht, und Hardy?) hat sioh 
dieser Anschauung nach seinen Versuchen am Globulin ange- 
schlossen. Auch unsere Beobachtungen am Säureeiweiß stimmen 
widerspruchslos zu dieser Auffassung. Die Reibungserhöhung 
von Säureeiweiß erscheint uns als Folge der starken Hydratation 
der Eiweißionen, welche (neben der elektrischen Ladung) auch 
deren Widerstandsfähigkeit gegen dehydrierende Zustandsände- 
rungen (Alkohol- und Hitzekoagulation) bedingt. Jede Beseitigung 
der elektrischen Ladung der Eiweißteilchen wird zu ihrer 
Dehydratation führen. Bei sehr geringem Säurezusatz (HCl-Kurve 
Fig. 1) werden durch die starke Hydrolyse des Säureeiweißes 
viele Eiweißionen zu amphoterem Eiweiß zurückgebildet, mit 
wachsendem Säuregehalt wird die Hydrolyse zurückgedrängt, 
die freien Eiweißionen werden vermehrt, und die Reibung wird 
zunächst ansteigen. Fortgesetzte Zugabe von Salzsäure über 
0,016 n wirkt nun durch das gemeinsame Cl-Ion unter Zurück- 
drängung der Ionisation des Eiweißsalzes unter Bildung der 


Cl 
elektrisch neutralen Teile vom Typus iR Dehydratation, 


Absinken der inneren Reibung sowie Wiedereintreten der 
Alkoholfällbarkeit (Schorr) vom Säureeiweiß sind die Folge.?) 

Der Gang der Reibungskurve für Salzsäureeiweiß stimmt 
im wesentlichen mit dem beim Natriumcaseinat von Laqueur 
und Sackur festgestellten überein. Die anderen Säuren zeigen 
ein mehr oder weniger abweichendes Verhalten. Am einfachsten ver- 
ständlioh ist das von Oxal-, Citronen- und Essigsäure. Mit abneh- 


1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 

2) Journ. of Physiol. 33. 

3) Bei weiterem Säurezusatz treten sowohl am ionischen Eiweiß 
wie am elektrisch neutralen Teil Veränderungen ein, die einerseits zum 
Abbau, andererseits zur irreversiblen Säurefällung führen, deren Be- 
sprechung gesondert erfolgen wird. 


358 W. Pauli und H. Handovaky: 


mender Dissoziationskonstanteder verwendeten Säure wird—gleiche 
Ionisation des Eiweißsalzes vorausgesetzt — dessen hydro- 
lytische Dissoziation zunehmen. Die Reibungskurve wird sich 
weniger steil erheben, das Maximum bei höherer Konzentration 
erreicht (OÖxalsäure). Wird schließlich die Säure sehr schwach und 
die Hyrolyse demgemäß noch bedeutender, dann reicht der Säure- 
zusatz gar nicht zu ihrer völligen Zurückdrängung aus und 
der Anstieg der Reibung wird noch mehr verlangsamt, das 
Maximum gar nicht erreicht werden (Citronen- und Essigsäure). 
Ein auffälliges Verhalten bieten Trichloressig- und Schwefelsäure. 
Bis ®/ 0o-Säuregehalt steigt hier die Reibung nahezu wie bei 
der Oxalsäure; dann folgt ein Abfall bis **/,,. zu Werten, die 
nur wenig über den von amphoterem Eiweiß liegen. Der dann 
bei Zusatz von Säure bis ®»/ eo erfolgende Anstieg ist so ge- 
ring, daß er ungefähr der zugefügten Säure entspricht. Wir 
dürfen demnach vermuten, daß trichloressigsaures und schwefel- 
saures Eiweiß nur sehr wenig ionisiert sind und vorwiegend 
in Form von elektrisch neutralen Komplexen existieren. Diese 
Vermutung findet auch in anderweitigen Versuchen!) eine 
Bekräftigung. 

In den Beziehungen zwischen Säure und Eiweiß kommen 
demnach neben der Stärke der Säuren noch besondere Um- 
stände in Betracht. Das zeigt sich deutlich, wenn zwei Säuren 
um das Eiweiß konkurrieren. Gleich konzentrierte Essigsäure 
und Schwefelsäure geben in den untersuchten Konzentrationen 
nur eine geringe, in beiden Fällen wenig verschiedene Reibungs- 
vermehrung von Eiweiß. Kombiniert man jede dieser Säuren 
mit Salzsäureeiweiß von hoher Viscosität, so wird aber das 
Ergebnis in beiden Fällen verschieden sein. Acetat- und 
Chlorideiweiß sind nahezu gleich ionisiertt. Wenn Salz- und 
Essigsäure um Eiweiß konkurrieren, so wird nach dem bekannten 
Verteilungsgesetz das Eiweiß nach Maßgabe ihrer Affinitäten 
auf die zwei Säuren verteilt. Es wird also nur ein verschwin- 
dender Anteil auf die Essigsäure entfallen und diese wird bei 
der genügenden lonisation ihres Eiweißsalzes in der Reibung 
nur eine geringe Änderung hervorrufen. Wenn jedoch Salz- 


1) Alkoholfällbarkeit und elektrische Leitfähigkeit vonSäureproteinen, 
worüber Herr K. Schorr berichten wird, 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 359 


und Schwefelsäure um das Eiweiß konkurrieren, so wird nicht 
nur infolge der stärkeren Affinität der Schwefelsäure viel Eiweiß 
auf diese entfallen, sondern dieser Anteil wird noch durch die 
Bildung der überwiegend elektrisch neutralen Eiweißsulfat- 
moleküle gesteigert. Dies wird sich in einem unverhältnis- 
mäßigen Rückgang der Reibung von Salzsäureeiweiß durch 
Schwefelsäurezusatz ausdrücken. Die folgende Tabelle zeigt 
einige solche Versuche, die keines weiteren Kommentars bedürfen. 


Tabelle VIII. 


Kombination von Säuren. (Serum A, B.) 


Konzentration Konzentration der 
von HCl zugesetzten Säuren 













0,000n C,H,0O, 1,3190 
0,005n , 1.3148 
(8.0 = 934 00n „ 1,3148 
0,02n D 1,3148 
A 0,03n i 1,3158 
0,03n 0,000n C,H,O, 1164 1,2463 
0,005n S 1152 1,2334 
0,01n D 1152 1,2334 
u A 0,020 „ 1152 1,2334 
0,04n 0,000n C,H,O, 1125 1,2045 
0,005n Së 1118 1,1907 
u A 0,0ln „ 1119 1,1917 
0,01n 0,00n H,SO, 861 1,2335 
tn,o—=698 B 0,01n „ 790 1,1317 
0,02n 0,00n H,SO, 888 1,2762 
B 0.01n „ 786 1,1298 

* a * 


Ein ganz besonderes Interesse beanspruchen die Beziehungen 
von Säureeiweiß zu Neutralsalzen. Die Neutralsalze vermindern 
regelmäßig die Reibung von Säureeiweiß und zwar um so aus- 
giebiger, je höher dieselbe ist. Den Angriffspunkt der Salz- 
wirkung bilden danach die Eiweißionen, deren Zahl eine Ver- 
minderung erfahren muß. Diese Reaktion ist von großer Emp- 
findlichkeit, sie ist im Reibungsmaximum (0,016n HCl) schon 
bei einem Gehalte von */ .o0.Alkalisalz gut nachweisbar. Sie 
geht stets mit einem Freiwerden von H-Ionen einher, was zuerst 


360 W. Pauli und H. Handovsaky: 


von Hardy (l.c.) am Säureglobulin beobachtet worden ist. 
Unsere Auffassung dieser Erscheinung ist allerdings von der 
dieses Autors gänzlich verschieden. Hardy meinte, daß die 
Reaktion etwa nach dem Beispiel 
Na 
BAG, Nano, — RH -+ HNO, 

verläuft, wobei ein Wasserstoff am Stickstoff durch ein Metall- 
ion substituiert würde. Wir halten diese Annahme nicht für 
zutreffend und auf Grund der hier mitgeteilten und weiterer 
Versuche am Alkali- und Salzeiweiß den Eintritt des Metall- 
ions an Stelle des Wasserstoffs der Carboxylgruppe 
für wahrscheinlicher. Wenn die Reaktion unserer Ansicht ge- 
mäß nach dem Schema 


H 
R <a -+ NaNO, er <a + HNO, 
OH OONa 
angenommen wird, dann erklärt sich nicht nur die Vermehrung 


freier H-Ionen, sondern auch die Bildung elektrisch neutraler 
Moleküle aus den Eiweißionen, die sowohl aus den Reibungs- 
versuchen, als auch mit voller Sicherheit aus den Leitfähigkeits- 
bestimmungen hervorgeht. Diese elektrische Neutralisierung 
läßt sich auf folgende Weise dem Verständnis näher bringen. 
Wie bei Säurezusatz das Eiweiß unter Dissoziation des Säure- 
anions zur Bildung elektropositiver Eiweißionen veranlaßt wird, 
so kommt es bei Alkalizugabe durch Eintritt des Metallions 
in die Carboxylgruppe zu einer Art Salzbildung unter Ent- 
stehung elektronegativer Protein- und Dissoziation der positiven 
Metallionen. Wenn aber gleichzeitig starke Anionen und Kat- 
ionen mit dem Eiweiß reagieren, dann werden sich die entgegen- 
gesetzten lIonisierungstendenzen fast vollständig das Gleich- 


gewicht halten und die Moleküle vom Typus RC werden 


‚NH,C 
\cooNa 
zum größten Teile!) in neutraler Form bestehen. Setzt man 

ei S e x NH,S: e 
zum Säureeiweiß von der allgemeinen Form R< OOH ein 


1) Eine sehr kleine Partie wird entsprechend dem etwas verschie- 
denen Ks und Kp des Eiweißes nach der einen Richtung mehr ionisieren, 
wie sich aus noch unveröffentlichten Versuchen von Pauli und Brüll 
ergibt. 


— — (u u — — — — 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL 361 


Salz MeSır dazu, so wird die Leitfähigkeitsänderung, abgesehen 
von der Dissoziation und den Ionenbeweglichkeiten von MeS1;, 
im negativen Sinne beeinflußt durch die Entstehung der elek- 


NH,S 
trisch neutralen Teile RC COON aus den Ionen des Eiweiß- 
e 


salzes, und im positiven durch den Ersatz der Me-Ionen des zu- 
gefügten Neutralsalzes durch das weit leichter bewegliche H-Ion 
unter Bildung der Säure Hp: Wählt man das Anion des 
Metall- und des Eiweißsalzes so, daß sowohl die anfänglich zu- 
gesetzte HS; als auch die sekundär gebildete Där eine starke 
Säure ist, dann wird die Leitfähigkeitssteigerung durch Säure- 
bildung aus dem Salze MeSıı immer den gleichen Wert aufweisen. 
Nimmt man das Kation Me des zugesetzten Salzes stets aus der 
Gruppe der stark elektroaffinen Metalle, dann wird auch die Bil- 
dung elektrisch-neutraler Teile aus dem Säureeiweiß immer in 
dem gleichen Ausmaße erfolgen. Unter diesen Verhältnissen 
muß die durch die Salzwechselwirkung mit Säureeiweiß hervor- 
gebrachte Leitfähigkeitsänderung von der Beweglichkeit der Salz- 
ionen unabhängig sein und in der Tat bleiben die Differenzen der 
theoretisch berechneten und der tatsächlich beobachteten Leit- 
fähigkeiten K, — K’, (Tab. VI) für Salze ganz verschiedener 
Leitfähigkeiten stets dieselben. Im Zusammenhange mit der 
von uns gefundenen relativen Leitfähigkeitsherabsetzung von 
Säureeiweiß durch Salzzusatz wäre zu erörtern, ob es sich hier 
nicht um eine Leifähigkeitsverminderung durch Verkleinerung 
des Querschnittes des Elektrolyten seitens der Eiweißteilchen 
handelt, wie sie von A. Dumanski!) in seinen Versuchen an 
salzhaltigen Gelatinen zur Erklärung der beobachteten bedeu- 
tenden Verminderung der Leitfähigkeit im Vergleiche mit kor- 
respondierenden wässerigen Salzlösungen herangezogen wird. 
Die von Dumanski verwendeten Gallerten sind allerdings we- 
sentlich höher konzentriert (mindestens ca. 5°/,) als unsere 
(ca. 1 bis 1,5°/,igen) Eiweißlösungen. 

Wir haben jedoch, um ein direktes Maß für die Quer- 
schnittsverringerung‘ eines Elektrolyten in unserem Eiweiß zu 
besitzen, die Leitfähigkeit einer Salzlösung in demselben be- 
stimmt und mit der Leitfähigkeit für den Fall, daß das Eiweiß 
einflußlos oder durch Wasser ersetzt wäre, verglichen. 


1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 60, 553. 


362 W. Pauli und H. Handovsky: 


1,05°/, Rinderserum + NaNO,. 


Salz |K von NaNO, Ks K’, K's — K, 
konzentr.| in Wasser beobachtet berechnet 8 


0,00n — 0,00006237 — = 
0,03n 0,0032624 0,0032227 0,0033248 0,0001021 


Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die durch Sub- 
stitution von Wasser durch unsere Eiweißlösung erzielte Leit- 
fähigkeitsabnahme von Neutralsalz, welche man zum Teil wenig- 
stens mit Dumanski auf die Querschnittseinschränkung des 
Elektrolyten durch die Eiweißteilchen beziehen kann, etwa den 
fünften Teil der in unseren parallelen Säureeiweißversuchen be- 
trägt. Nimmt man hinzu, daß einerseits beim Salzeiweiß in 
unserer Konzentration ein nicht unbeträchtlicher Teil des Salzes 
durch Bindung an das Protein der Elektrizitätsleitung entzogen 
wird und daß andererseits beim Säureeiweiß ~+- Salz durch Frei- 
machen von Wasserstoflionen ein Teil der Leitungsabnahme 
paralysiert wird, dann wird der Unterschied in beiden Fällen 
noch schlagender. Durch die Bestimmung der elektrischen 
Leitfähigkeit in der Kombination von Säureeiweiß und Neutral- 
salz scheint uns eine Bildung elektrisch neutraler Teilchen unter 
Verminderung ionischer erwiesen. 

Die miteinander verknüpfte elektrische Ladung und Hydra- 
tation der Eiweißteilchen werden zur Folge haben, daß die 
unter Dehydratation wirkenden Koagulationen durch Alkohol 
und Hitze gehemmt werden, was bekanntlich beim Säureeiweiß 
der Fall ist. Hingegen sind die infolge Salzzusatz zum Säure- 
eiweiß gebildeten elektrisch neutralen Teilchen durch Hitze und 
Alkohol koagulabel. So wurde beim Rinderserum (B) die in- 
folge des Säuregehaltes 0,01n HCl aufgeliobene Koagulierbarkeit 
durch Alkohol (75°/,) bei einem Salzzusatze von 0,02n KNO, 
wieder erkennbar und bei demselben Serum und der Säure- 
konzentration 0,02n HCl ergab der gleiche Alkohol nach Zu- 
fügung von O,InKNO, eine beginnende Trübung. 

Bei der genaueren Untersuchung der Hitzekoagulation von 
Säureeiweiß konnte Pauli!) bereits früher eine mit der obigen 
übereinstimmende quantitative Beziehung zwischen Salzzusatz 


1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol, 10, 53, 1907. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d Kolloide. VIIL 363 


und Bildung hitzekoagulabler Teilchen im Säureeiweiß und auch 
eine analoge Deutung dieses Vorganges ableiten. Es ergab 
sich aus den Koagulationsversuchen mit Sicherheit, daß eine 
direkte Wechselwirkung von Salz und Säureeiweiß stattfinden 
muß, daß in der Kombination von Salz, Säure und Eiweiß die 
Erhöhung der Salzsäurekonzentration über 0,015 bis 0,02n keine 
weitere Steigerung der Koagulationstemperstur (Hemmung der 
Hitzegerinnung) bewirkte, ganz entsprechend dem Reibungs- 
versuche, welcher anzeigt, daß über diese Konzentration hinaus- 
gehende Ansäuerung mit HCl keine weitere Vermehrung der Eiweiß- 
ionen veranlaßt. Andererseits fand sich, daß Sa'zzusatz von 
0,2 an zum Säureeiweiß (0,02n HCl) den Koagulationspunkt 
nicht weiter erniedrigt, in guter Übereinstimmung damit, daß 
von dieser Salzkonzentration ab die Reibung desselben Säure- 
eiweißes keinen weiteren Abfall zeigt. Auch wird die Höhe 
der nun erreichten konstanten Koagulationstemperatur nur un- 
bedeutend variiert durch Verwendung verschiedener Alkalisalze, 
zusammenfallend mit der angeführten weiten Unabhängigkeit 
der Leitfähigkeitsänderung des Säureeiweißes von der Natur 
des zugesetzten Alkalisalzes.. Wo. Ostwald?) hat aus den er- 
wähnten Versuchen?) über Hitzekoagulation von Säureeiweiß 
den Einfluß der Salzkonzentration auf die Gerinnungstemperatur 
mit guter Annäherung nach der bekannten Adsorptionsgleichung 
berechnen können. Infolge der exakten Methodik und der 
größeren Empfindlichkeit der Viscosität sind die Beziehungen 
zwischen Neutralsalz und Säureeiweiß aus den Reibungswerten 
viel genauer zu entnehmen wie aus der Änderung der Ge- 
rinnungstemperatur und ee lag nach den Resultaten Wo. Ost- 
walds nahe, die Giltigkeit der Adsorptionsgleichung für die 
Viscositätsänderung von Säureeiweiß bei verschiedenen Salz- 
zusätzen zu prüfen. Nimmt man als Ordinate die Logarithmen 
der Reibungserniedrigung, als Abszisse die Logarithmen der 
Salzkonzentration, so soll eine Gerade resultieren. Dies ist 
nun für höhere Salzkonzentrationen und die zugehörigen Reibungs- 
abnahmen der Fall, nicht aber für niedere (Fig. 3) und die Ab- 
weichung von der Geraden nimmt rasch mit sinkendem Salz- 
gehalt zu. Die Erklärung dafür ist einfach genug. Die Gleichung 


1) Kolloidzeitschr. 2, 108, 138. 1908. 
2) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 10, 53, 1907. 


364 W, Pauli und H. Handovsky: 


ig c, =K-+.nlgo, gilt nur für die Konzentrationen des auf- 
genommenen (c,) und des in der Lösung verbliebenen (c,) Salzes 
nach Herstellung des Adsorptionsgleichgewichtes. Die Reibungs- 
abnahme kann wohl proportional dem Gehalte an adsorbiertem 
Balz bzw. Salzion angenommen werden, dagegen ist zwar die 
Konzentration des zum Säureeiweiß zugesetzten Salzes bekannt, 
nicht aber die in der Lösung nach der Aufnahme eines Teiles 







ZB 
Payne 
A III 
1.070 III: 
GI II: 
LI HERE BE 
u 


0.0008 003 doe 0006 0008 601 d'e 


des Salzes durch das Eiweiß verbleibende Salzmenge. Da das 
Eiweiß mit einer verhältnismäßig geringen Salzmenge reagiert, 
so wird bei höherem Salzgehalt der Konzentrationsunterschied 
vor und nach der Salzbindung wenig ausmachen, daher ist hier 
die Gleichung der Geraden auch bei Verwendung der Anfangs- 
konzentrationen für C, erfüllt. Je weniger Salz zugesetzt wird, 
einen desto größeren Bruchteil desselben wird das Eiweiß 
binden und desto größer wird die Abweichung des tatsächlich 
kleineren Wertes der Salzkonzentration in der Lösung nach er- 
folgtem Adsorptionsgleichgewicht. Die Fig. 3 bringt diese Ver- 
hältnisse zum Ausdruck. Unter der Voraussetzung, daß die 


Untersuchungen über physik. Zustandeänderungen d. Kolloide. VIIL 365 


Adsorptionsgleichung ebenso für die niederen wie für die hohen 
Salzkonzentrationen Geltung besitzt, lassen sich die tatsächlich 
vom Eiweiß aufgenommenen Salzmengen aus der Differenz der 
gegebenen Anfangs- und berechneten Endkonzentration ableiten. 
Auf diese Weise sind z. B. die folgenden Werte gefunden worden. 


Tabelle IX. 
Salzbindung an Säureeiweiß (0,01n HCl, Rinderserum C). 


Verwendete Salzmenge | Adsorbierte Salzmenge | Restierende Salzmenge 





Aus dieser Tabelle würde hervorgehen, daß eine ca. 1°/,ige 
Eiweißlösung, welcher 0,01 n HCl] zugesetzt wurde, aus einer 0,01 n 
Neutralsalzlösung gegen 0,003n Metallionen unter Bildung von 
Salzeiweiß aufzunehmen vermag. Ein Versuch, diese Beziehung 
zu einem Rückschlusse auf das Molekulargewicht von Serum- 
eiweiß zu verwerten, scheint uns zurzeit nicht angebracht. 

In den Ausführungen dieser und auch der vorigen Ab- 
handlung wurde stets für die gefundene Form der Salzionen- 
bindung an Eiweiß die Bezeichnung Adsorption gewählt. Mit 
Rücksicht auf die Erörterungen, zu welchen die Frage der Ad- 
sorption in der jüngsten Zeit wieder Anlaß gegeben hat, ist 
es wohl notwendig, bei der Anwendung dieses von verschiedenen 
Forschern verschieden weit gefaßten Begriffes den eigenen Stand- 
punkt, soweit es für unseren Fall notwendig ist, zu präzisieren. 
Wir sind mit H. Freundlich!) der Anschauung, daß für 
die Zuteilung einer Gruppe von Erscheinungen zu den Ad- 
sorptionsvorgängen in erster Reihe das Zutreffen der bekannten 
Adsorptionsgleichung maßgebend bleiben muß. Diejenigen Vor- 
gänge, bei welchen Oberflächenkräfte die Verteilung zwischen 
Solvens und Adsorbens bestimmen, bilden anscheinend nur 
einen Typus von Adsorptionsvorgängen, aber durch die Gültig- 
keit der Adsorptionsgleichung in verschiedenen Fällen ist un- 
seres Erachtens die Identität der hier zugrunde liegenden Vor- 


1) Vgl. die letzte Äußerung in Kolloidzeitschr. 8, 212 anläßlich des 
Artikels von Robertson, ebenda, 5. 49. 


366 W. Pauli und H Handovsky: 


gänge ebensowenig festgelegt, wie etwa für die Natur der trei- 
benden Kräfte durch die formale Übereinstimmung der Gesetze 
für Wärme-, Diffusions- und Elektrizitätsströmung. Daß ins- 
besondere chemische oder elektrochemische Reaktionen nach 
dem Typus der Adsorptionsverbindungen verlaufen können, 
ist wiederholt, zuerst von Landsteiner'), betont worden. Der 
Wert und die Notwendigkeit einer Zusammenfassung der dem 
Adsorptionsgesetze folgenden Erscheinungen läßt sich auch an 
unseren Erfahrungen mit dem Eiweiß demonstrieren. Für die 
Suspensionskolloide hat H. Freundlich?) aus den Fällungs- 
gesetzen abgeleitet, daß sie mit den Elektrolyten Adsorptions- 
verbindungen eingehen; für ein „Emulsionskolloid‘“ (Eiweiß) 
haben wir auf verschiedene Weise zeigen können, daß dessen 
Bindungsvermögen für Salze dem Adsorptionsgesetze folgt. 
Ferner hat sich herausgestellt, daß Nichtelektrolyte, welche 
Suspensionskolloide bekanntlich nicht zu fällen vermögen, in 
einem weiten Konzentrationsbereich auch von Eiweißkörpern 
nicht merklich adsorbiert werden. Im wesentlichen liegen 
also in beiden Fällen die gleichen Beziehungen zu 
Elektrolyten und einer Gruppe von Nichtelektrolyten 
vor, und die Verschiedenheit ist nur in der Stabilität 
der gebildeten Produkte gegeben. Es erscheint uns des- 
halb die bisher ganz unerwartete Möglichkeit nicht ausgeschlossen, 
daß das Studium der chemisch zugänglicher gewordenen Zu- 
standsänderungen der Proteine auch unsere Erkenntnis von den 
Reaktionen der Suspensionskolloide wesentlich erweitern wird. 

Soweit das Tatsachenmaterial vorliegt, ist die Gültigkeit 
der hier mitgeteilten Beobachtungen am Serumeiweiß und der 
daran geknüpften theoretischen Betrachtungen auch für andere 
Eiweißkörper — wasserunlösliche (Casein, Globulin) und wasser- 
lösliche (Gelatine) — anzunehmen. Insbesondere dem Verhalten 
der Gelatine kommt mit Rücksicht auf die Quellungserschei- 
nungen ein großes Interesse zu. 

Während eine Reihe von Forschern (Bütschli, Hardy) 
die Anschauung vertreten, daß das Festwerden einer Gelatine 
mit der Ausbildung einer eigentümlichen Struktur — Waben- 
oder Kammergerüst — zusammenhänge, wird diese von zahl- 


1) Vgl. Kolloidzeitschr. 3, 221, daselbst Literatur. 
2) Kolloidzeitschr. 1, Heft 11. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 367 


reichen Chemikern und Biologen angenommene Lehre von Pauli 
auf das entschiedenste bekämpft. Nach diesem Autor bestünde 
nur ein gradueller Unterschied in der Wasserbindung zwischen 
einer festen und flüssigen Gallerte, und alle Schaumstrukturen 
würden als Gerinnungs- oder Eintrocknungsprodukte zu be- 
trachten sein. Eine Gallerte würde demnach nur einem dicken 
Sol entsprechen und durch alle Zwischenstufen mit einem 
flüssigen Eiweißsol verbunden sein. — In neueren Versuchen 
von W. Menz?) aus dem Institute Zsigmondys ist auch durch 
ultramikroskopische Untersuchung der stete Übergang zwischen 
flüssiger und fester Gelatine mit Sicherheit erwiesen worden.!) 
Ein Schaumstruktur kam nicht zur Beobachtung. Die gefundene 
Vermehrung von Ultramikronen mit der Verfestigung von Ge- 
latine ist nicht erst an das Festwerden geknüpft, sondern ist 
eine Löslichkeitsänderung durch Abkühlung und auch bei nicht 
erstarrenden Gallerten vorhanden. An Stelle von Menz möchten 
wir deshalb ausdrücklich hervorheben, daß seine Befunde mit den 
Annahmen von Bütschli und Hardy über Gallertstruktur 
nichts gemein haben. Nach der Auffassung der Gelatine als 
einem festen Sol ohne eigenartige Struktur wäre auch eine volle 
Übereinstimmung zwischen dem Verhalten von unserem Säure- 
eiweiß mit flüssiger oder fester Säuregelatine zu erwarten. Eine 
solche besteht in der Tat auf der ganzen Linie. 

Die Steigerung der Viscosität von flüssiger Gelatine durch 
Säure wurde von Schröder?) nachgewiesen. Er fand, daß die 
Viscosität dabei durch ein Maximum ging (bei ca. 0,015 n HO), 
um hierauf abzufallen. Die Übereinstimmung seiner Reibungs- 
kurve einer Salzsäuregelatine mit der unseres Serumeiweißes 
ist auffallend, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß dieser 
Gang der Reibung auch bei der Gelatine aus der Zurückdrängung 
der Hydrolyse und später der elektrolytischen Dissoziation des 
Eiweißsalzes im Sinne von Laqueur und Sackur abzuleiten 

1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 66, 129. Die Bemerkungen in dieser 
Arbeit, welche die Ansichten Paulis als gegen einen heterogenen Aufbau 
einer Leimgallerte in dem Sinne, wie ihn alle Eiweißsole besitzen, ge- 
richtet auffassen, beruhen auf einem Mißverständnis. Die Gegnerschaft 
Paulis bezog sich stets auf die in der nativen Gallerte supponierte 
mikroskopische Wabenstruktur. Vgl. Naturwiss. Rundschau 1902, 


Nr. 25, 26, 27 (Aus der Zeit vor Erfindung des Ultramikroskops). 
2) Zeitschr. f. physikal. Chem. 45, 106. 


368 W. Pauli und H. Handovsky: 


ist und nicht aus einer von Schröder auch für so niedere Säure- 
konzentrationen und Temperaturen angenommenen verseifenden 
(peptisierenden) H-Ionenwirkung. Wir haben oben die Reibungs- 
zunahme von Säureeiweiß auf die starke Hydratation der Eiweiß- 
ionen bezogen, und da unseres Erachtens ein prinzipieller Unter- 
schied zwischen Hydratation und Quellung hier nicht besteht, 
so kann auch von einer vermehrten Quellung der geladenen 
Eiweißteilchen gesprochen werden. Ist ein Sol fest, so wird 
sich die Ionisation seiner Teilchen durch Säurezusatz in einer 
mächtigen Quellungszunahme ausdrücken. Diese Quellungs- 
zunahme haben für Säuregelatine Spiro?!) und Wo. Ostwald?) 
unabhängig durch Wägungsversuche nachgewiesen. Die quanti- 
tative Untersuchung der Erscheinung durch letzteren Autor 
ergab einen vollständigen Parallelismus zwischen der Quellungs- 
kurve und der von Schröder ermittelten Reibungskurve von 
Säuregelatine. Die starke Hydratation der Eiweißionen muß 
sich, wenn die Gelatine von einer kolloidimpermeablen Membran 
(z. B.Celloidin) umgeben ist, in einem mächtigen Wasseranziehungs- 
vermögen äußern. In seiner ergebnisreichen Arbeit über den 
Einfluß der Elektrolyte auf den osmotischen Druck von Kolloid - 
lösungen konnte R. 8. Lillie?) ein mächtiges Ansteigen des 
Druckes mit seinem einfachen und zweckmäßigen Osmometer 
nachweisen, sobald Gelatine mit Säure versetzt wurde. Mit 
zunehmendem Säuregehalt wuchs dieser Druck anfangs rasch, 
später langsamer. Leider überschreiten die mitgeteilten Säure- 
gelatineversuche nicht die Konzentration 0,003 n, so daß der nach 
unseren Versuchen am Serumeiweiß sicher zu erwartende Umschlag 
in eine Abnahme des Druckes im Osmometer bei wachsendem 
Säuregehalt nicht mehr zur Beobachtung kam. Die Druck- 
steigerung der Säuregelatine (von 6,2 bis 33,2 mm Hg) bezieht 
Lillie auf eine feinere Zerteilung der Kolloidpartikel durch 
den Säurezusatz und die daraus folgende Oberflächenvermehrung. 
Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß die von Lillie 
beobachtete beträchtliche Druckvermehrung in ihrem Wesen mit 
der von uns an Eiweißionen beobachteten starken Hydratation 
identisch ist. Wir möchten uns deshalb im Gegensatze zu 


1) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 276, 1904. 
3) Pfiügers Archiv 108, 563. 
3) Americ. Journ. of Physiol. 20, 127. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIII. 369 


diesem Forscher für eine strenge Scheidung dieser Art Wasser- 
bindung von der beim osmotischen Druck auftretenden aus- 
sprechen, welcher durch die Analogie mit den Gasgesetzen scharf 
charakterisiert ist. In diesem Sinne können Lillies interessante 
Beobachtungen nicht als osmotische Druckbestimmungen an 
Kolloiden einheitlich zusammengefaßt werden. 

Auch für den Parallelismus zwischen Neutralsalzwirkung 
auf flüssige und feste Säuregelatine und auf unser Eiweiß, die 
wir als eine mit einer Dehydratation verbundene elektrische Neu- 
tralisierung der Eiweißionen betrachten, liegen bereits beweisende 
gelegentliche Versuche in der Literatur vor. So fand W. Frey!), 
daß die Viscosität von Säuregelatine durch Neutralsalze stark 
herabgesetzt wird, und Procter?) fand das entsprechende Kor- 
relat in Quellungsversuchen von Säuregelatine, deren Quellung 
durch zugesetzte Neutralsalze kräftig vermindert wird. W.Frey 
gibt seine wenigen aber sicheren Beobachtungen ohne Erklärung, 
während bei Procter, soweit wir sehen konnten, einige all- 
gemeine aber nicht klare Bemerkungen über die Bedeutung des 
Chlorions für die Quellung der HCl-Gelatine angeführt werden. 
Die Zugehörigkeit aller dieser Beobachtungen zu dem von uns 
oben dargestellten Verhalten von Säureeiweiß scheint uns außer 
Frage zu stehen. Wir haben diese Versuche überdies noch 
ergänzt durch Bestimmungen der elektrischen Leitfähigkeit von 
Säuresalzgelatine, durch den Nachweis einer Vermehrung der 
freien H-Ionen und des Wiederauftretens der Alkoholfällbarkeit 
von Säuregelatine bei Salzzusatz. 

Die folgende Tabelle X zeigt, daß dieselben Gesetzmäßig- 
keiten für die Leitfähigkeitsänderung von Säureglutin durch 
Salzzugabe Geltung haben, wie sie oben beim Säureserum fest- 
gestellt worden sind. Als Versuchsmaterial wurde eine durch 
5 Tage in destilliertem Wasser gewaschene feine Handelsgelatine 
verwendet, deren Aschengehalt in 100 g 1,5°/,iger Lösung auf 
0,002 g gesunken war. In 0,35°/,iger Lösung betrug ihre elek- 
trische Leitfähigkeit 3,69. 10. 

1) The Transvaal medical journal, August 1908 (Sep.). 

2) Kolloidohemie (Vortrag in der British Association for the advance- 
ment of science, 1908); nur im Referate zugänglich. Kolloidzeitschr. 3, 307. 


Biochemische Zeitschrift Band 18. 24 


370 W. Pauli und H Handovsky: 


Tabelle X. 
1. 0,35°/, Gelatine + 0,01 n HCI + NaN(),. 


Salz- |K von NaNO, K, K,' Kr 
konzentr. in Wasser beobachtet berechnet K, 


0,00n 0,0027998 
0,03 n 0,003262 4 0,005 8033 0,0060622 0,000258 9 
0,01 n 0,001 1246 0,003 8012 0,003 924 4 0,000 120 2 


2. 0,35%), Gelatine + 0,01 HCI -+ KBr. 














_ Salz- | K von KBr 





konzentr. in Wasser 


K | Ki — 
beobachtet berechnet | K—-K 





0,002 7998 
0,0067009 0,0069584 0,000257 5 
0,004 1001 0,004221 4 0,000 121 3 


3. 0,35%/, Gelatine + NaNO,. 


"ae [K von NaNO, K, | K 
konzentr. in Wasser : beobachtet berechnet K’ -K. 


0,00 n 0,0000369 
0,03 n 0,003 262 4 0,0032702 0,003299 3 0,000029 1 






0,03 n 
0,0l n 


0,004 1586 
0,001 421 6 











Auch bei der Säuregelatine liegt die elektrische Leitfähig- 
keit nach Salzzusatz regelmäßig beträchtlich unter der berech- 
neten, und ebenso ist hier die Differenz (Kg — Kal für ver- 
schiedene Salze starker Säuren nahe die gleiche. 

Daß auch hier nicht eine Querschnittsverminderung im 
Sinne von Dumanski (l. c.) die Herabsetzung der Leitfähigkeit 
in Gelatine gegenüber der wässerigen Lösung bedingt, zeigt der 
Versuch (Tabelle X, 3) mit Gelatine und Salz, bei dem der 
Wert von Ka — Kg nur den achten Teil des korrespondierenden 
Wertes bei Säuregelatine erreicht. 

Bei der Säuregelatine erfolgt gleichfalls durch Neutralsalz- 
zusatz der Eintritt des Metallions in die Aminosäure unter Heraus- 
drängen von Wasserstoflionen, wie uns Versuche mit Farbstoff- 
indicatoren beweisen. So zeigt Mau veinin mit0,01 n und 0,02n HCl 
versetzter Gelatine (3,5°/,) bei Zufügung von KNO, (0,3 — 0,4 n) 
einen deutlichen Umschlag im Sinne einer Aciditätssteigerung an. 

Schließlich konnte auch durch dasWiederauftretender Alkohol- 
fällbarkeit in Säuregelatine die Bildung der elektrisch neutralen 
dehydratierten Teilchen nach Salzzugabe bekräftigt werden. 


Untersuchungen über physik. Zustandsänderungen d. Kolloide. VIIL. 371 


Unsere reine Gelatine (3,5°/,) gibt mit 0,01n HO nach Alkohol- 
zusatz (75°/,) eine zarte Opalescenz, mit 0,02n HO eine klare Mischung, 
durch Zugabe von 0,3 bis 0,4n KNO, kommt es zu einer vollständigen 
feinfaserigen Ausflockung des Glutins aus diesen sauren Lösungen bei 
Alkoholzusatz. Das Wiederauftreten der Alkoholfällbarkeit ist schon be 
viel tieferem Salzgehalt nachzuweisen. 


Somit besteht eine sehr vollkommene Analogie zwischen 
gallertartigen und flüssigen Eiweißsolen hinsichtlich jener physi- 
kalisch-chemischen Zustandsänderungen, welche durch Säure- 
zusatz hervorgerufen werden. 

Durch die Untersuchungen über das Verhalten von Eiweiß bei 
Alkalizugabe und bei reinem Salzzusatz, welche Gegenstand der 
unmittelbar folgenden Mitteilungen sein werden, haben die hier 
angeführten Beobachtungen und Erörterungen eine wichtige Aus- 
dehnung und Ergänzung erfahren und es darf angenommen werden, 
daß denselben einige Bedeutung für unser schärferes Verständnis 
jener Rolle zukommen dürfte, welche die Elektrolyte bei der 
Wasserbindung in den Zellen und Geweben des Organismus spielen. 

In der Tat sind in jüngster Zeit von M. H. Fischer!) 
bemerkenswerte Untersuchungen über Quellung und Ent- 
quellung ganzer Organe (Muskeln, Augen) unter dem Einflusse 
von Säuren und Alkalien und ihrer Kombination mit Salzen 
veröffentlicht worden, welche vollständig unseren Beobachtungen 
am Eiweiß entsprechen und ohne Zweifel in der gleichen Weise 
theoretisch zu betrachten sind. M. H. Fischer hat nach- 
gewiesen, daß durch Zusatz von Basen oder Säuren mächtige 
Organschwellungen entstehen, welche durch Hinzufügung von 
Neutralsalzen, nicht aber von Nichtelektrolyten zur Rückbildung 
gebracht werden können. Ein gleiches Verhalten konnte am 
Fibrin von diesem Autor?) nachgewiesen werden. 

Durch die Versuche an Eiweißkörpern und Organen wird 
die Wichtigkeit des von den Elektrolyten modifizierbaren Zu- 
standes der Biokolloide für die Regulierung des Wassergehaltes 
der Gewebe immer mehr in den Vordergrund gerückt und es 
ist in hohem Maße wahrscheinlich, daß diese Verhältnisse, wie 
dies schon von M. H. Fischer versucht worden ist, auch für 
‘pathologische Prozesse in Rücksicht gezogen werden müssen. 


1) Pflügers Archiv 124, 69; 125, 396; 127, 1. 
2) Pflügers Archiv 125, 99. 


24* 


Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee 
(Noctiluca miliaris). 
Von 
0. Emmerling. 


. (Aus dem chemischen Institut der Universität Berlin.) 


(Eingegangen am 3. Mai 1909.) 


Über die Eiweißkörper einzelliger Organismen wissen wir 
noch verhältnismäßig wenig, selbst die so leicht in beliebiger 
Menge zugängliche Hefe macht darin keine Ausnahme. Andere 
Mikroben in größerer Menge zu erhalten, ist mit Schwierigkeiten 
verknüpft. Es war mir daher erfreulich und erwünscht, daß 
ich durch Vermittelung der Königl. biologischen Station auf 
Helgoland im Sommer vorigen Jahres in den Besitz einer ge- 
nügenden Menge der das Meeresleuchten in unseren nordischen 
Gewässern hervorrufenden Noctiluca miliaris gelangte, welche 
im Juli und August dort in großen Massen auftritt. 

Der Inhalt mehrerer Ballons, welche mir zugesandt wurden, 
bestand aus Meereswasser, auf dessen Oberfläche die Infusorien 
als dicker Brei schwammen. Zur Konservierung war reichlich 
Toluol zugesetzt worden, welches die Organismen durchaus 
frisch erhalten hatte; es war nicht der geringste Fäulnisgeruch 
bemerkbar, und mikroskopisch erschienen die zu den Flagellaten 
gehörenden Infusorien völlig intakt. 

Das Meerwasser wurde zunächst durch Abheben entfernt, 
der Infusorienbrei mit reichlich Alkohol gemischt, auf Filtern 
gesammelt und mit Alkohol und Äther ausgewaschen. Nach 
dem Trocknen auf Tontellern bei gewöhnlicher Temperatur 
wurde zerrieben, im Vakuum über Schwefelsäure völlig ge- 
trocknet und mittels Ather heiß extrahiert. Dadurch konnte 
eine salbenartige Masse mit den Reaktionen des Cholesterins 


O. Emmerling: Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee. 373 


entfernt werden. Die nunmehr grauschwarze Masse betrug 
125 g, zeigte die Millonsche und Biuretreaktion sehr schön, 
ergab einen Aschengehalt von 8,7°/, und enthielt 7,07°/, Stick- 
stoff, berechnet auf aschefreie Substanz 7,74°/, Die Haupt- 
menge der Asche bestand aus fein zerriebenen Gesteinstrümmern, 
wie sie das Meer in der Nähe Helgolands erfüllen, und war außer- 
dem reich an Phosphorsäure. Zu der Hydrolyse wurden 109,5 g, 
entsprechend 100 g aschefreier Substanz, verwendet. Die Hydro- 
lyse erfolgte durch 20stündiges Kochen mit verdünnter (25°/,) 
Schwefelsäure am Rückflußkühler. Bis auf eine sehr geringe 
Menge einer schmierigen Substanz war alles zu einer braunen 
Flüssigkeit gelöst. 

Nach gehöriger Verdünnung wurde mit Phosphorwolfram- 
säure gefällt. Die bekannte Methode der Verarbeitung des 
Niederschlags auf Diaminosäuren soll hier nicht überflüssiger- 
weise beschrieben werden, ebenso werde ich mich bezüglich der 
Isolierung der Monoaminosäuren auf die in den letzten Jahren 
so vielfach beschriebenen Arbeitsweisen beziehen dürfen. Eine 
ausführliche Beschreibung findet man in C. Oppenheimers 
Biochemie von Abderhalden zusammengestellt. 


Es wurden gefunden und durch Analyse festgestellt: 


Lysin . . . 0,2120 
Arginin . . 1,6492 
Histidin . . 3,4762 


Das Filtrat vom Phosphorwolframsäureniederschlag wurde 
mittels Baryt vom Überschuß dieser Säure, dann vom Baryt 
quantitativ durch Schwefelsäure befreit und auf ein geringes 
Volum im Vakuum verdampft. Nach mehreren Tagen war eine 
Menge von 0,5271 g Rohtyrosin auskrystallisiert. In be- 
kannter Weise wurde die vom Tyrosin getrennte Mutterlauge 
zum Sirup konzentriert, mit Alkohol und gasförmiger Salz- 
säure behandelt, mit Glykokollesterchlorhydrat geimpft, wo- 
durch die ganze Masse zum Eirstarren gebracht wurde. Die 
Menge des Glykokollesterchlorhydrats betrug im Rohzustande 
28,06 g. 

Durch Ausziehen der Ester und Fraktionieren im Vakuum 
zunächst bei 12mm Druck im Wasserbad, dann bei 0,3 bis 
0,4 mm im Ölbad bis 180° wurden isoliert: 


374 O. Emmerling: Hydrolyse der Meerleuchtinfusorien der Nordsee. 


Glykokollesterchlorhydrat . . . 1,5g 
Alanin . 2. 2. 2 2 2 . . . 24g 
Leucin . . . 2 . . . . . 042g 
Prolin . . 2 2 2 22020. 460g 
Asparaginsäure . . 0,17g 


Doch geben diese Zahlen mur EE da eine 
völlige Trennung nicht möglich war. Außerdem verblieb beim 
Destillieren der Ester eine nicht unbeträchtliche Menge Rückstand. 

Die Resultate der Hydrolyse, bei der auch wegen der ge- 
ringen Menge der zur Verfügung stehenden Substanz auf 
schwefelhaltige Substituenten keine Rücksicht genommen werden 
konnte, sind demnach folgende: 100 g der aschefreien Substanz 
mit 7,74 g Stickstoff lieferten 


Lysin . . . 0,212 mit 0,040g N 
Arginin . . 1,6492 „ 0,432, ,„ 
Histidin . . 3,4762 „ 0,938, » 
Tyrosin . . 0,5271 „ 0,04l, „ 
Glykokoll . . 15,80  ,„ 2,956 , „ 
Alanin. . . 2,40 „» 0,378, » 
Leucin , . 0,42 „ 0,044, „ 


Prolin š J 4,60 an 0,556 » nu 
Asparaginsäure 0,17 , 0,020, „ 
Summa 5,405g N 


Es waren demnach in den Spaltungsprodukten ca. 71°/, 
des Stickstoffs wiedergefunden. 


Untersuchungen über den Blutzucker. VL 
Von 
L. Michaelis und P. Rona. 


Über die Verteilung des Zuckers im Blute bei Hyperglykämie. 


(Aus dem biochemischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am 
Urban, Berlin). 


(Eingegangen am 4. Mai 1909.) 


Wie wir in unserer letzten Mitteilung!) nachgewiesen haben, 
enthalten die Blutkörperchen des Hundes, entgegen der gang- 
baren Anschauung, nennenswerte Mengen von Traubenzucker. 
Es gelang uns, diesen in den Blutkörperchen direkt zu bestimmen. 
Aber schon aus der bloßen Zusammenstellung des Zuckergehaltes 
des Plasmas und des Gesamtblutes ergibt sich deutlich, daß 
die Blutkörperchen nicht unbeteiligt an dem Zuckergehalt sein 
können. Dies zeigt die folgende Tabelle, in welcher auch die 
in der vorigen Mitteilung erwähnten acht Fälle mit verwertet sind. 

Wie ausden Zahlen ersichtlich ist, ist die Ungleichheit zwischen 
dem Zuckergehalt des Plasmas und dem des Gesamtblutes in 
den meisten Fällen (etwa */, der Fälle) eine die Fehlerquellen der 
Methodik nicht, bzw. nicht mit voller Sicherheit überschreitende, in 
zwei Fällen (Hund 6 und 19) übersteigt sogar der Zuckergehalt des 
Gesamtblutes den des Plasmas.*) In anderen Fällen (vgl. Hund 9, 


1) Diese Zeitschr. 16, 60, 1909. 

2) Denselben Befund konnte kürzlich auch A. Hollinger, diese 
Zeitschr. 17, 1, 1909, mit anderer Methodik und unabhängig von uns 
erbeben. Es ist fraglich, ob man berechtigt ist, das Gesamtvolumen der 
Blutkörperchen für die Lösung des Zuckers in Betracht zu ziehen. Spielt 
nur das Wasser in den Blutkörperchen die Rolle des Lösungsmittels, so 
müßte das Volumen der ‚festen Gerüstsubstanz“ von dem des Gesamt- 
blutes abgezogen werden. Dadurch würde die Zuckerkonzentration im 
Gesamtblute höher als die oben berechnete sein, und die Übereinstimmung 
mit dem Zuckergehalt des Plasmas wäre noch größer. 


376 L. Michaelis und P. Rona: 


IL, 13, 17) ist die Differenz jedoch sicher größer, insofern 
nämlich die in sich gut stimmenden Doppelanalysen von Blut 
und Plasma sich um etwas mehr als 20°/, unterscheiden, 
während der relative Fehler unserer Methode, nach der Über- 
einstimmung der Doppelanalysen zu urteilen, nur in wenigen, 
den ungünstigsten Fällen an 10°/, heranreicht. Dies weist 
entschieden auf eine selbständige Rolle der Blutkörperchen in 
Hinblick auf ihren Zuckergehalt. Diese Frage ist von prin- 
zipieller Bedeutung. Ihre Lösung schien uns zunächst am 
ehesten durch das Studium derjenigen Zustände möglich zu 
sein, bei denen ein die physiologischen Grenzen bedeutend über- 
steigender Zuckergehalt im Blute vorhanden ist. Die Verteilung 
des Zuckers auf Plasma und auf Gesamtblut mußte bei diesen 
Schwankungen Aufschluß über das Verhalten der Blutkörperchen 
bei Änderung des Zuckergehaltes in ihrer Umgebung geben. 









































Zuckergehalt | Zuckergehalt Zuckergehalt | Zuckergehalt 
des des des des 
Blutplasmas Gesamtblutes Blutplasmas ‘ Gesanitblutes 
in 100 ccn | in 100 cem in 100 cem in 100 ccm 
BEE | Mittel | Mittel Mittel . Mittel 
0,186, 0, em 0,215 0,156 
Hund 1 REG — nal? Zens DI ue 
0,196 nom OITO A uo 0,157 Aen | 0,136 
Hund 2 | 0.205) 0200 | 0,1843 & 0,177 ||Hund d 0,198) 287 Aas 
0,169 aan 0,154 a 0,253 -0,200 
Hund 3 | 0171) 9170 eau 9154 54 [Hund 2] 0,2059 0259 | 0,1923 0196 
EIS Gei Ge 0,141 A aan OS) ran 
Hund 4 | * SIN 0'185, 0176 T6 pain 0.15) 0147 |0140) 0140 
0,254 a oga ET 0,162 A Aen " DISI nun 
Hund 5 | 02:9 Geh 0,220 |lHund 15 0,150) 156 0.1301 146 
5 dg 193 = (oan SSC 
Hund 6 | WE 0,177. oul 0,195 ||Hund 16| 0'307) 0,205 at Lu 0,170 
„Jens, 0,103, 1-| 02511 A aa 0200 m 
Hund 7 | Séi 0,115 Dova 0098 ID 0'267, 925 oe 0,197 
1% | 0.1251 4105 0.1081, O,LSN nar 0,1251 
Hund 8 | 0.1203 0,122 0.1005 0,107 Hund 1 0.1514 0,151 0,1109 0,117 
Hund 9 | 0,254 ma 0,191 ||Hund H 0,137 0,158 
D DEN i Ho — DS EEN 
0,2071 "o II e | 
Hund 10 0.2075 0,207 | o wer 0,168 "und 20 0,225 Ä 0,185 








Untersuchungen über den Blutzucker. VI. 377 


Wir untersuchten zunächst einige Fälle von Diabetes melli- 
tus beim Menschen. Die Methode war dieselbe wie in der vor- 
herigen Mitteilung. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle 
ET _ 


= Zuckergebalt 
i |in den Blut- 
r. |Datum| Fall | im Bi im Plasma im Blut | Beh 
| ir éi Gs FS 


0,314 0,332 
| 
| 
| 
| 
| 
| 























6 0,306 0.339 0,190 
‚311 0,290 
2 3 8 314 0.282 0,183 
0,250 0,2151 
3 0,12 0.261 0.226 = 








0,317 | 0256 
0,310 | 0247 

191 | 0,200 
Spuren | 0.201 0.217 


0,179 0,161 


Seit 5 Tagen , , 
* | zuckerfrei 0,104 0,113 | 


Aus den mitgeteilten Fällen läßt sich bereits der Schluß 
ziehen, daß bei der Erhöhung des Blutzuckergehaltes Plasma und 
Blutkörperchen einigermaßen gleichmäßig in Mitleiden- 
schaft gezogen werden. Dies zeigt die nahe Übereinstimmung 
der Zuckerwerte des Plasmas und des Gesamtblutes; nur im 
Falle R. ist die Differenz nennenswert, hingegen im Falle B. 
ist der Zuckergehalt des Gesamtblutes noch größer als der des 
Plasmas.) Die direkte Bestimmung des Zuckers in den Blut- 
körperchen ist anscheinend mit zu großen Fehlerquellen behaftet, 
um für die quantitativen Verhältnisse verwertbar zu sein. 
Außerdem ist eine klinisch höchst beachtenswerte Tatsache 
diesen Zahlen zu entnehmen. Vergleichen wir den Blutzucker- 
gehalt bei einem und demselben Diabetiker vor Beginn der 
Behandlung, in einem Stadium mit reichlicher Zuckerausscheidung 
und in einem späteren Stadium verminderter oder ganz ge- 


1) Ähnliche Beobachtungen teilt auch A. Hollinger l. c. mit. 


378 L. Michaelis und P. Rona: 


schwundener Zuckerausscheidung, so finden wir bei Fall B. und R., 
daß der Blutzuckergehalt an der Veränderung des Krankheits- 
bildes nicht teilgenommen hat. Vor wie nach der Entzuckerung 
des Harnes finden wir einen übernormalen Zuckergehalt im 
Blut. Auf den Zusammenhang dieses Befundes mit der Frage 
der Zuckerdichtigkeit der Diabetikernieren!) sowie auf die 
prognostische Bedeutung dieses Befundes wollen wir an dieser 
Stelle vorläufig nur hinweisen. 

IH. Von großem Interesse mußte es für die vorliegende 
Frage sein, wie sich die Verteilung des Zuckers bei plötzlicher 
Überschwemmung des Organismus mit großen Zuckermengen 
gestaltet. Wir machten zu diesem Zwecke eine Reihe von 
Hunden durch Einführung großer Traubenzuckermengen (100 bis 
150 g) mit der Schlundsonde hyperglykaemisch und bestimmten 
ca. 4 Stunden nach der Zufuhr des Zuckers den Blutzucker- 
gehalt. Eine Blutzuckerbestimmung ca. 1 Woche vor diesem 
Eingriff bei demselben Hund diente als Grundlage zum Ver- 
gleich mit dem normalen Zustand. 

Das Ergebnis der Versuche zeigt die — Tabelle: 





Zucker- J Zueker- 
gehalt gehalt 
bei bei 
Zuckergchalt unter normalen alimen- Zuckergehalt unter normalen alimen- 
Verhältnissen in Proz. tärer Verhältnissen in Proz. tårer 


Gly- 
kämie 
in ı Proz. 





| 





— E -— 





im Plasma 0,254 m > z im Plasma Ge | Wë 108 
Hund 4 

e 0,180 !,0,236 . 0,171: 

ım Blut 0.201 10; SEL im Blut d 166 | 0,261 


— — — — —— ——— — -— — — 


‚0,125 |/0,207 


0,251 ı ‚0,517 
im Plasma voie 10.207 


im Plasma 10,967 | \0.518 








Hund 2 Hund 5 
0,108 |,0,163 0,196 | 
im Blut 0.106 10174 im Blut o 194 0,473 
i l 0,142 150,345 , 0,151 | ‚0,464 
— im Plasma {0,154 10.350 u im Plasma {0'151 | 10451 
un im Blut 50152 wé 282 und 6 im Blug 50.110 | 70,422 
0,140 |10,28 g 0,120 | 10,414 





Betrachten wir die gewonnenen Zahlen, so ist in allen Fällen 
eine bedeutende Steigerung des Blutzuckergehaltes zu konstatieren, 
bis auf die doppelte oder dreifache Menge des ursprünglichen 


1) Vgl. hierzu: C. v. Noorden, Diabetes mellitus im Handb. d. 
Pathol. d. Stoffw. von C. v. Noorden, 2. Aufl. 2, 8 u. 9, 1907. 


Untersuchungen über den Blutzucker. VI. 379 


Wertes. In der Verteilung dieser Vermehrung bestehen jedoch 
bemerkenswerte Unterschiede in den einzelnen Fällen.!) So 
sind in den Fällen 5 und 6 an den bedeutenden Erhöhungen 
des Zuckerwertes (die höchsten in der Reihe) Plasma und Ge- 
samtblut fast gleichmäßig beteiligt; ist der Zuckergehalt in 
beiden auch nicht ganz gleich, so kann die Zunahme unmög- 
lich bloß auf den vermehrten Zuckergehalt im Plasma bezogen 
werden. 

Anders verhält es sich in den anderen Fällen (vgl. nament- 
lich Fall 4). Hier kann von einer erheblichen Beteiligung der Blut- 
körperchen an der Zunahme des Zuckers nicht die Rede sein. Der 
„Austausch“, der in den zwei letzten Fällen zwischen Blutkörper- 
chen und Blutflüssigkeit angenommen werden muß, ist in diesen 
Fällen nicht eingetreten. Ob die besondere Höhe des Blut- 
zuckergehaltes im Falle 5 und 6 die ‚‚Durchlässigkeit‘‘ der Blut- 
körperchen bedingt, ist vorläufig nicht sicher zu entscheiden. 
Es ist auch möglich, daß die zeitlichen Verhältnisse in der 
Resorption des eingeführten Traubenzuckers, wie auch die 
Schnelligkeit seiner Ausscheidung, entscheidend sind, Vorläufig 
genügt uns die Feststellung, daß bei der alimentären Hyper- 
glykämie wenigstens zeitweilig ein erheblicher Unterschied im 


Zuckergehalt innerhalb und außerhalb der Blutkörperchen mög- 
lich ist. 


1) Die direkte Bestimmung des Zuckers in den gewaschenen und 
abzentrifugierten Blutkörperchen wurde in sämtlichen Fällen ebenfalls 
vorgenommen. Überall wurde Zucker gefunden und bei den Fällen, wo 
es zu erwarten war, in einer mehr als normalen Menge. Jedoch sind die 
erhaltenen Zahlen sichtlich nicht quantitativ, so daß wir sie nicht mit 
verwerten. 


Über den bakteriellen Abbau primärer Eiweiß- 
spaltprodukte. 
Von 
Walter Brasch. 


(Aus der I. medizinischen Klinik der Universität München.) 
(Eingegangen am 6. April 1909.) 


Abbau der Glutaminsäure. 


Vor einiger Zeit zeigten Neuberg!) sowie Neuberg und 
Rosenberg?), welche die bei der Fäulnis der Proteine, speziell 
des Caseins und Leims, auftretenden freien Fettsäuren, einer 
fraktionierten Trennung unterwarfen, daß mehr als ein Drittel 
der gesamten flüchtigen Fettsäuren aus der normalen Butter- 
säure bestand und nahmen an der Hand quantitativer Über- 
legung an, daß als Muttersubstanz dieser Mengen n-Buttersäure in 
erster Reihe die Glutaminsäure zu gelten habe. Durch weitere 
Untersuchungen von Brasch und Neuberg?) konnte dann mit 
Sicherheit festgestellt werden, daß Buttersäure aus der bei der 
Fäulnis freiwerdenden Glutaminsäure entsteht. Es findet also 
an demselben C-Atom Desamidierung und Kohlensäureabspaltung 
statt, ein Vorgang, welcher sich in folgender Formel ausdrückt: 


COOH — CH, — CH, — CHNH, — COOH — 
COOH — CH, — CH, — CH, 


Diese beiden Prozesse wiederholten sich regelmäßig in allen 
Versuchen. Wir ließen in unserer damaligen Publikation die 
Frage des zeitlichen Ablaufes der Reaktionen unentschieden; 
ein Zwischenprodukt wurde nicht gefunden, was mit Rücksicht auf 


1) Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. vom 16. Mai 1907. 
2) Diese Zeitschr. 7, 178, 1907. 
3) Diese Zeitschr. 13, 299, 1908. 


W. Brasch, Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 381 


später mitzuteilende Tatsachen jedoch nicht so gedeutet werden 
darf, daß beide Prozesse gleichzeitig eintreten. Da die Zer- 
setzung der Glutaminsäure bei der Fäulnis mit dem Salkowski- 
schen Fäulnisgemisch'), welches natürlich eine Reihe ver- 
schiedener Bakterienarten enthält, immer in derselben Art er- 
folgte, so liegt der Gedanke nahe, anzunehmen, daß überhaupt 
der Abbau bestimmter primärer Eiweißspaltungsprodukte durch 
die Fäulniserreger immer nach demselben Typus verläuft. Bis- 
her glaubte man nach den Untersuchungen von Bienstock?), 
daß nur die Spaltung des Eiweißmoleküls selbst in stets be- 
stimmter Weise geschehe und daß das Auftreten der sekundären 
Spaltungsprodukte von der Wirkung der accidentell mitwirkenden 
Mikroben abhänge. 

Die Versuche von Bienstock gaben die Erklärung für 
dieses gesetzmäßige Verhalten beim Abbau der Eiweißkörper 
durch Fäulnis. Es stellte sich nämlich heraus, daß die aeroben 
bzw. fakultativ anaeroben Bakterien (unter ihnen auch die ge- 
wöhnlichen pathogenen Arten: Staphylococcus pyogenes, Strepto- 
coccus pyogenes, Proteus, Subtilisarten, fluorescierende, farb- 
stoffbildende Bakterien, Typhus-Colibacillen) bei Zutritt von 
Luft keine Eiweißfäulnis bewirken konnten. Es trat jedoch 
gleichmäßig Fäulnis ein, d. h. Eiweißspaltung unter Auftreten 
übelriechender Zersetzungsprodukte, wenn anaerobe Bakterien 
unter anaeroben Bedingungen tätig waren, und bei diesen Unter- 
suchungen fand und beschrieb Bienstock den Bacillus putri- 
ficus als den hauptsächlichsten und häufigsten Erreger der 
Fäulnis. Auch andere Anaerobier, Bac. anthrac. symptomat. 
und Bac. oedemat. malig. wirken in gleicher Weise ein, während 
der Tetanusbacillus sich indifferent verhält. Bienstock stellte 
weiter fest, daß Anaerobier auch für sich allein, also in Rein- 
kultur wirksam sein können, und schreibt den übrigen zahlreichen, 
bei der Fäulnis auftretenden Bacillen nur eine untergeordnete 
Wirkung zu. Nach diesen Untersuchungen wäre die Gesetz- 
mäßigkeit beim Abbau der Eiweißkörper durch Fäulnis voll- 
kommen verständlich, es wäre lediglich ein Bakterium, welches 
das Eiweißmolekül sprengt, und der Weg, den es wählt, wird wohl 
stets der gleiche sein. 


1) E. Salkowski, Praktikum, 3. Aufl., 1906, S. 227. 
2) Bienstock, Arch, f. Hygiene 36, 334, 1899 u. 39, 390, 1901. 


382 W. Brasch: 


Es ergab sich nun von selbst die Frage, welche Bakterien 
den weiteren Abbau der primären Spaltungsprodukte über- 
nehmen und welche Rolle die einzelnen Bakterien bei den 
weiteren Veränderungen, die der Eiweißkörper bei der Fäulnis 
erleidet, spielen. Gleichzeitig versprachen diese Untersuchungen 


gewisse Einblicke in das biologische Verhalten der Mikro- 
organismen zu gewähren. 

5,0 g Glutaminsäure wurden in 400 om Wasser gelöst, mit Soda 
alkalisch gemacht und mit einigen Tropfen einer Fäulnislösung!) ver- 
setzt. Es gelang 14 Tage später nachzuweisen, daß die Glutaminsäure 
zum Teil in Buttersäure abgebaut war, es ergab sich ein Silbersalz, von 
welchem 0,1007 g Substanz geglüht wurden und 0,0559 g Ag ergaben. 

Berechnet für C,H,0,Ag: Ag 55,38%, 
Gefunden: Ag 55,61°0/. 

Ich hatte also eine Fäulnislösung, in welcher die wirksamen Mikro- 
organismen vorhanden waren, und es galt nun die einzelnen in ihr vor- 
handenen Bakterien zu isolieren und ihr Verhalten auf Glutaminsäure 
zu prüfen. 

Ich züchtete durch die Verdünnungsmethode und Plattengießen 
aerob folgende Arten: 

Bao. subtilis, 

Bact. coli, 

Bact. megatherium, 
Bac. proteus vulgar. 

Anaerob wuchsen mehrere Streptokokken-Arten, welche sich als 
fakultativ anaerob erwiesen, und es gelang zuletzt durch streng anaerobe 
Züchtung in hoch geschichteten Agarröhrchen einen anaeroben Bacillus 
zu züchten, welcher morphologisch und biologisch alle Eigenschaften des 
von Bienstock beschriebenen Bacillus putrificus zeigte. 

Es wurden zunächst mit den so gewonnenen Bakterien Versuche 
angestellt. 5 g Glutaminsäure oder ihr Chlorhydrat wurden jedesmal in 
ea. 400 ccm einer Flüssigkeit angesetzt, welche 

0,5°/, Chlornatrium, 

0,2°/, Kaliumbiphosphat, 

0,05°/, krystal. Magnesiumsulfat 
enthielt. Wurde das Chiorhydrat der Säure verwerfdet, so ließ ich das 
Chlornatrium aus der Nährflüssigkeit fort. Die Flüssigkeit wurde dann 
jedesmal mit Sodalösung auf Lackmus neutralisiert und dann durch Zusatz 
von etwas mehr Sodalösung gerade schwach alkalisch gemacht, da die 
Wachstums- und Zersetzungsvorgänge der Bakterien in alkalischer Lösung 
besser in die Wege geleitet werden können. Dann wurde durch mehr- 
maliges Aufkochen sterilisiert und die Lösung nach dem Erkalten mit 
der betreffenden Bakterienart versetzt. Bei den Anaerobiern wurde statt 


1) Siehe oben. 


Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 383 


eines Wattepfropfens ein doppelt durchbohrter Gummistopfen aufgesetzt, 
welcher mit Glasröhrchen wie eine Gaswaschflasche versehen war. Diese 
Röhrchen waren in der Mitte des wagrechten Schenkels dünn ausgezogen. 
Die Kölbeben wurden nach der Neutralisation im Dampftopf sterilisiert, 
da durch einfaches Aufkochen das längere Steigrohr nicht genügend 
sterilisiert werden konnte. Nach dem Erkalten wurden die Kölbohen 
geimpft, und dann wurde ca. eine halbe Stunde lang ein Wasserstoffstrom 
dürchgeleitet. Zuletzt wurde an den ausgezogenen Stellen das Glas- 
röhrchen zugeschmolzen und der Kolben in den Brutschrank gestellt; 
Eine schon nach wenigen Tagen sich einstellende feine Trübung zeigte, 
daß die verimpften Bakterien gewachsen waren. War der Inhalt des 
Kolbens nach 8 Tagen noch völlig klar, so war die Flüssigkeit, wie 
Kulturversuche ergaben, steril geblieben. Da es sich herausstellte, daß 
namentlich bei Anaerobiern nach einfachem Impfen mit der Platinnadel 
oder -öse die Bakterien häufig nicht wuchsen, so ging ich in der 
Weise vor, wie Nawiasky!) es empfiehlt, daß ich zuerst ev. natürlich 
anaerob auf Petrischalen züchtete und dann von diesen die Bakterien 
mit dem Spatel abstrich, ohne Teile des Nährbodens mitzureißen. 

Die Kölbchen standen durchschnittlich 3 bis 4 Wochen im Brut- 
schrank. Dann wurde durch Kultur auf Agar geprüft, ob keine Ver- 
unreinigung entstanden war und dann erst der Inhalt des Kolbens 
weiter verarbeitet. Es wurde mit verdünnter Schwefelsäure angesäuert 
und unter wiederholter Wasserzugabe abdestilliert. Das Destillat 
wurde dann, um Entweichen der Fettsäure zu vermeiden, mit etwas 
überschüssiger ?”/jọ-Lauge versetzt und eingeengt, dann in salpetersaurer 
Lösung mit stark verdünnter Silbernitratlösung vorsichtig versetzt, bis 
die beim Destillieren fast immer mit übergegangene Salzsäure als AgCl 
gerade ausgefällt war. Dann wurde mit NH, alkalisiert und das über- 
schüssige Ammoniak auf dem Wasserbade verjagt, filtriert und nunmehr 
die Buttersäure als Silbersalz niedergeschlagen. Da indes in vielen 
Fällen in der Fällung des Silberbutyrats Schwarzfärbung auftrat, wie es 
ja auch bei Brasch und Neuberg der Fall war, so wurde das Filtrat 
vom Chlorsilber in verdünnt schwefelsaurer Lösung mit Merourisulfat ge- 
kocht oder auch die Silberfällung für sich mit Wasser gekocht. Durch 
das Ausfallen von Quecksilberoxydulsalz bzw. eines schwarzen Silber- 
niederschlages ergab sich die Anwesenheit von Ameisensäure. 

Ich betone eigens, daß ich das Auftreten der Ameisen- 
säure in der großen Mehrzahl der Fälle beobachten konnte, 
während Borchard?) in seiner soeben erschienenen Arbeit das Auf- 
treten von Ameisensäure bei Fäulnisversuchen mit Glutaminsäure vermißte. 

Die von der Ameisensäure befreite Flüssigkeit wurde dann auf ein 
geringes Volumen gebracht und mit konzentrierter AgNO,-Lösung gefällt. 
In den meisten Fällen fiel der Niederschlag nicht ganz weiß aus, so daß 
umkrystallisiert werden mußte, ein Verfahren, das bei den geringen 


1) Nawiasky, Arch. f. Hygiene 66, 209, 1908. 
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 96, 1909. 


384 W. Brasch: 


Ausbeuten zu unangenehmen Verlusten führte. In der Regel gelangte 
man nach einmaligem Umkrystallisieren zu einem rein weißen Pulver, 
welches zur Analyse verwandt werden konnte. 

Verschiedene Male wurde der Rückstand ausgeäthert, um zu er- 
fahren, ob es wie bei den von Brasch und Neuberg angewandten 
Mischkulturen gelänge, Bernsteinsäure nachzuweisen, ich erhielt jedoch 
nur einmal nach dem Verdunsten des Äthers eine kleine Menge einer 
durch harzige Beimengungen verunreinigten Substanz, welche zu einer Be- 
stimmung nicht ausreichend erschien. 


Versuche mit den aus der Fäulnislösung gezüchteten Bakterien: 


Bacillus subtilis. 


Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat. 
Erhaltenes Silbersalz 0,05 g; 
0,0314 g Substanz ergaben 0,0170 g Ag. 
Berechnet für C,H.0,Ag: Ag 55,38 °/.. 
Gefunden Ag: KREMER 
Ätherextrakt des Rückstandes schwach sauer. 
Zurückgewonnenes Glutaminsäurechlorhydrat 2,56 g. 


 Baoterium coli. 
Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat. 
Erhaltenes Silbersalz 0,13 g; 
0,0910 g Substanz ergaben 0,0579 g Ag: 
Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,, 
Gefunden: Ag 63,60°%/,- 
Atherauszug schwach sauer. 
Zurückgewonnene Glutaminsäurechlorhydrat 2,1 g. 


Bacterium megatherium 
ergibt ein sehr schwach saures Destillat und dementsprechend nur Spuren 
eines Silbersalzes, welches sich gleich nach dem Ausfallen schwarz färbt. 
Von 6 g Glutaminsäurechlorhydrat wurden 4,6 g zurückgewonnen. 


Bacillus proteus vulgaris. 
Erhaltenes Silbersalz 0,08 g; 
0,0121 g Substanz ergaben 0,0087 g Ag. 
Berechnet für Ameisensäure: Ag 70,58%. 
Gefunden: Ag 71,98°/%- 
Die drei Streptokokkenarten ergaben weder bei der aeroben noch bei 
der anaeroben Versuchsanordnung ein Silbersalz der Buttersäure, sie 
vermochten anscheinend die Glutaminsäure überhaupt nicht erheblich 
anzugreifen, da über 90°/, der verwandten Säure zurückerhalten 
werden konnte. 
Bacillus putrificus. 
Verwendet 5 g Glutaminsäurechlorhydrat. 
Erhaltenes Silbersalz 0,2394 g; 
0,1079 g Substanz ergaben 0,0603 g Ag. 





Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 385 


Berechnet für C,H,O,Ag: Ag 585,38°/,, 
. Gefunden: Ag 55,88 °/,. 

Von den aus dem Fäulnisgemisch gezüchteten Bakterien haben die 
seroben Arten nur sehr geringe Ausbeute ergeben, und die so gewonnenen 
Salze gehören verschiedenen Säuren an. Der Versuch mit Bao. prot, 
vulgar. ist nicht eindeutig ausgefallen, allerdings ist bei den geringen 
angewandten Mengen aus den erhaltenen Zahlen kein sicherer Schluß zu 
ziehen. Ganz einwandfrei ist dagegen nachgewiesen, daß der Bacillus 
putrificus aus der Glutaminsäure Buttersäure abespaltet, und zwar in 
Mengen, welche weitaus größer sind als die durch die aeroben Bakterien 
erhaltenen. Es ist also wohl sicher, daß von ihm die Hauptaufgabe bei 
Abbau der Glutaminsäure mit dem Fäulnisgemisch geleistet worden war. 

Außer diesen Versuchen, welche sämtlich mit solchen Bakterien, 
die aus der Fäulnislösung gezüchtet werden konnten, angesetzt waren, 
habe ich eine Reihe von anderen, mir zugänglichen Bakterien auf ihr 
Verhalten gegen Glutaminsäure geprüft. 

Aerobier (Bacillus proteus vulgaris). 

Erhaltenes Silbersalz 0,11 g; 
0,1024 g Substanz ergaben 0,0658 g Ag. 

Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,, 

Gefunden: Ag 64,34°/,. 
Erhaltenes Silbersalz 0,15 g. (Gewogen vor dem Umkrystallisieren.) 
0,0372 g Substanz ergaben 0,0240 g Ag. 

Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67°/,, 

Gefunden: Ag 64,52°/,. 

Restierend Glutaminsäurechlorhydrat 2,8 g von BO g, die ver- 
wendet wurden. 

Hierbei fand sich im Ätherextrakt eine braune harzige Masse von 
saurer Reaktion, deren Menge für eine Bestimmung nicht ausreichend war. 

Nawiaskyt) hat eine größere Untersuchungsreihe über die Bin- 
wirkung des Bac. proteus vulgaris auf Aminosäuren veröffentlicht und 
hierbei auch die Veränderungen der Glutaminsäure zu erforschen gesucht. 
Er erhielt Silbersalze, aus deren Silbergehalt er nicht auf eine bestimmte 
Säure schließen konnte und nahm deshalb das Vorhandensein von Säure- 
gemischen an. Auch meine Versuche lassen die Wirkung des Proteus 
vulgaris auf die Glutaminsäure nicht deutlich erkennen. 

Bacillus proteus Zenkeri. 

In einem Versuch mit Proteus Zenkeri wurde die Glutaminsäure 
überhaupt nicht angegriffen, in einem anderen erhielt ich 0,023 g eines 
Silbersalzes, welches ich vielleicht noch als Silberbutyrat ansprechen 
kann, es trat bei der Destillation starker Geruch nach Buttersäure auf. 

Berechnet: Ag 55,38°/,. 
Gefunden: Ag 58,83°/,. 

Der Wert für Ag liegt also zwischen dem buttersauren und propion- 

sauren Silbersalz. 


1) Siehe oben. 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 25 


386 W. Brasch: 


Bacillus mesentericus vulgatus. 


Bei den Versuchen mit diesem Baoterium erwartete ich eine 
energische Spaltung mit Rücksicht auf die Untersuchungen von Abder- 
halden und Emmerling!), welche gefunden hatten, daß es Gliadin, 
den Eiweißkörper, aus dem ich die Glutaminsäure hergestellt hatte, bis 
zu freien Fettsäuren zu zerlegen vermag. Sie schlossen aus den relativ 
kleinen Ausbeuten an Glutaminsäure bei ihrem Versuch, daß diese weiter 
abgebaut worden sei. In drei von mir angestellten Versuchen mit 
Mesentericus vulgatus erhielt ich nur in einem Falle ein Silbersalz in 
geringen Mengen, welches sich sehr schnell zersetzte, in den beiden 
anderen Malen wurde die Glutaminsäure überhaupt nicht angegriffen: 
Welche Umstände das abweichende Verbalten dieses Bacillus in meinen 
Versuchen bedingt haben, hoffe ich später feststellen zu können. 

Von großem Interesse war es, das Verhalten des Bacterium coli 
commune genauer zu untersuchen. Das aus der Fäulnislösung gezüchtete 
Bacterium der Coligruppe hatte aus der Glutaminsäure Essigsäure in 
kleinen Mengen entstehen lassen, und es war deshalb zu untersuchen, 
ob dieser Abbau regelmäßig eintritt. Die chemische Aktivität des 
Bacterium coli commune ist eingehend studiert und hat sich als recht 
beträchtlich herausgestellt. Abgesehen davon, daß dieser Darmparasit 
Kohlenhydrate glatt zu zerlegen vermag, welche für die Hefezelle 
gänzlich und für den tierischen Organismus fast unangreifbar sind, ver- 
mag es, ohne ein eigentliches proteolytisches Bacterium zu sein, aus 
Eiweißkörpern Indol unter anaeroben Bedingungen abzuspalten. Diese 
Tatsache bildet ja ein wesentliches diagnostisches Merkmal im Vergleich 
mit dem chemisch bedeutend trägeren Typhusbacillus.. Bemerkenswert 
ist, worauf Pfaudler?) aufmerksam machte, daß bei nativen Eiweiß- 
substanzen das Bacterium coli einen Abbau nicht einzuleiten vermag, 
daß aber Peptonkörper für es angreifbar sind. Blumenthal?) hat bei 
den Zersetzungen von Pepton durch Coli dann noch das Auftreten von 
Fett- und Oxyfettsäuren festgestellt. In vier Versuchen mit dem 
Bacterium coli commune, welches aus Faeces gezüchtet war, habe ich 
nur noch in einem Falle Essigsäure erhalten. Die Menge des erhaltenen 
Silbersalzes betrug jedoch nur 0,0538 g. 

Berechnet für Essigsäure: Ag 64,67%/ 
Gefunden: Ag 65,12°/,. 

Schloßmann®) wies auf Verschiedenheit des chemischen Ver- 
haltens des Bacterium coli unter anaeroben und aeroben Bedingungen 
hin. Aus diesen Gründen ließ ich Coli unter Wasserstoff auf Glutamin- 
säure einwirken. In einem Falle erhielt ich ein Silbersalz in kleinen 
Mengen, in einem zweiten 0,0428 g, welches 66,34°/, Ag enthielt. Es 


1) Abderhalden und Emmerling, Zeitschr. f. physiol. Chem. 
51, 394; 

2) Pfaudler, Centralbl. f. Bakt. 81, 113. 

3) Blumenthal, Virchows Archiv 146, 65, 1896. 

4) Schloßmann, Jahrb. f. Kinderheilk. 1898. 


Ka 


Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 387 


zeigt sich also weder qualitativ noch quantitativ ein anderes Verhalten 
wie bei Zutritt von Sauerstoff. 

Der Typhusbacillus erwies sich gegenüber Glutaminsäure chemisch 
ebenso wirksam wie das Bacterium coli. Ich erhielt unter gleichen 
Versuchsbedingungen 0,07 g eines Silbersalzes, dessen Silbergehalt 
63,91°/, betrug, also essigsaures Silber war. 

Eine mit Paratyphus B versetzte Glutaminsäurelösung ergab 
0,106 g eines Silbersalzes, dessen Silbergehalt 63,99 °/, ebenfalls auf essig- 
saures Silber schließen läßt. 

Von Aerobiern untersuchte ich noch den Bacillus subtilis und den 
Bac. lact. aerogenes aus unserer Sammlung. Ersterer gab in zwei Ver- 
suchen im Gegensatz zu dem oben mitgeteilten Versuch kein Resultat, 
bei letzterem blieb die erste Untersuchung ebenfalls völlig ergebnislos, 
bei dem zweiten Versuch erhielt ich Spuren eines Silbersalzes und deut- 
lichen Geruch nach Buttersäure. 


Anaerobier. 


Aus den Untersuchungen mit den Bakterien, welche aus 
der Fäulniskultur gezüchtet waren, geht schon hervor, daß das 
angewandte anaerobe Bacterium eine viel intensivere Spaltung 
der Glutaminsäure zu bewirken vermag, als die untersuchten 
Aerobier. Dieses Verhalten ist wenigstens für den Bacillus 
putrificus ein gesetzmäßiges. Einige andere mir zugängliche 
obligate Anaerobier vermochten ebenfalls die Glutaminsäure 
anzugreifen und Ammoniak und Kohlensäure abzuspalten, je- 
doch bei weitem nicht in dem Grade wie der Bacillus putri- 
ficus. Ich untersuchte die Einwirkungen folgender Bakterien: 

Bacillus botulinus (aus der letzten Darmstädter Wurst- 
vergiftung gewonnen), | 

Bacillus oedemat. maligni, 

Bacillus anthrac. symptomatici, 

Bacillus tetani, 

Bacillus putrificus. 

Bei den Untersuchungen mit Tetanus- und Rauschbrand- 
bacillus erhielt ich bei je drei Kolben überhaupt kein Resultat, 
die Kulturen wuchsen sehr langsam und schlecht, vielleicht daß 
es sich um stark abgeschwächte Stämme gehandelt hat. 

Ein Resultat ergab der Versuch mit dem Bacillus oedemat. 
maligni: 

Die Ausbeute an Silbersalz betrug 0,042 g; 


0,0218 g ergaben 0,0126 g Ag. 
25* 


388 W. Brasch: 


Berechnet für Buttersäure: Ag 55,38 91, 
Gefunden: Ag 57,709,. 

Noch unklarer sind die Resultate, welche mit dem Bacillus botulinus 
erhalten wurden. In einem Versuch betrug die Menge des erhaltenen 
Silbersalzes 0,1706 g, in einem zweiten 0,0049 g. Von der ersteren Menge 
wurden 0,0982 g verbrannt, und sie ergaben 0,0681 g Silber; das entspricht 
einem Silbergehalt von 69,34°/,, kommt also der Ameisensäure ziemlich 
nahe. Die Menge von 0,0049 wurde ebenfalls geglüht und enthielt 
63,29°%/, Ag, würde also mehr der Essigsäure entsprechen. 

So unsicher die Resultate mit den genannten Anserobiern sind; 
ebenso eindeutig fielen die Versuche mit dem Bacillus putrifious Bienstook 
(von Kral bezogen) aus. Schon 6 Tage nach der Impfung trat bei der 
Destillation der Geruch nach Buttersäure auf und in Versuchen, die 
d Wochen im Brutschrank gestanden hatten, ließ sich jedesmal das 
Silberbutyrat herstellen. Dabei waren die Ausbeuten um das Fünf- bis 
Sechsfache größer wie die mit den anderen Kulturen erhaltenen. Die Re- 
sultate einiger Versuche sind: 


I. Erhaltene Substanz 0,24 g, 


davon 0,1079 verbrannt ergaben 0,0603 Ag. 

Berechnet für butterssures Silber: Ag 54,38), 

Gefunden: Ag 55,88°/,. 
II. Erhaltene Substanz 0,37 g, 


davon verbrannt 0,1306 g ergaben 0,0728 g Ag. 
Gefunden: Ag 55, 74 MI 


III. Erhaltene Substanz 0,21 g, 


davon verbrannt 0,0782 g ergaben 0,0436 g Ag. 
Gefunden: Ag 55,75°/,. 

Die Ausbeuten mit dem Bacillus putrificus sind die größten, die 
ich erhalten habe, und wenn sie nicht so groß sind wie die bei der 
Fäulnis gewonnenen, so ist das wiederum ein Beispiel für die bekannte 
Tatsache, daß man mit Bakteriengemischen eine viel ergiebigere Umsetzung 
erzielen kann wie mit Reinkulturen. 

Bienstock hatte darauf hingewiesen, daß sich bei Versuchen mit 
Mischkulturen interessante Differenzen ergäben, je nach der Art der mit- 
wirkenden aeroben Bakterien. Er konnte im wesentlichen zwei Gruppen 
unterscheiden: der eine Teil der Aerobier erleichtert dem Putrificus durch 
Verbrauch des Sauerstoffes die Fäulnis, und zu dieser Gruppe gehört die 
weitaus größte Zahl der aeroben Bakterien. Die andere Gruppe, welche 
die Coli- und Aerogenesarten umfaßt, wächst zwar in der Mischkultur 
gemeinsam mit dem Putrificus, übt jedoch auf die chemische Tätigkeit 
desselben eine hemmende Wirkung aus: Die Fäulnis bleibt aus. Dieser 
Antagonismus, der nicht auf einer Säuerung des Substrats beruht, da 
der gleichfalls säurebildende Proteus entgegengesetzt wirkt, ist spezifisch 
für die Coli- und Aerogenesarten. Auf eine Reihe von wichtigen Tat- 
sachen, welche sich aus diesem Antagonismus erklären lassen: geringe 


Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 389 


Neigung der rohen Milch zu faulen, Beziehung zur Darmfäulnis, ist 
schon vor längerer Zeit hingewiesen worden.!) 

Von diesen Erfahrungen ausgehend setzte ich ebenfalls eine Reihe 
von Versuchen mit Mischkulturen an. Da bei gleichzeitiger Impfung 
von Anaerobiern und Aerobiern die letzteren sich später nicht mehr 
nachweisen ließen, impfte ich zuerst mit dem Aerobier und 1 bis 2 Tage 
später mit Putrificus, und so gelang es mir in allen Fällen, beide Bak- 
terienarten am Schlusse des Versuches wieder zu züchten. 

Bac. prot. vulgaris und Bac: putrifious. 

Erhaltene Menge 0,0974 g, 

0,0261 g Substanz ergaben 0,0151 g Ag, 

Ag 657,85 Ki o 

Der Wert liegt also zwischen Buttersäure und Propionsäure, kommt 

der letzteren aber näher. 


Bac. mesentericus vulgatus und Bac. putrifious. 

1. Erhaltene Menge Silbersalz 0,185 g, 

0,0562 g Substanz ergaben 0,0320 g Ag. 
Berechnet: Ag 56,96°/,. 

2. Erhaltene Menge 0,2710 g, 

0,1162 g Substanz ergaben 0,0648 g Ag. 
Berechnet: Ag 55,76°/,. 
Baot. coli commune und Bao, putrifious. 

Erhaltenes Silbersalz 0,0129 g, 

0,0129 g Substanz ergaben 0,0072 g Ag. 

Berechnet: Ag 55,81°/,. 
Bac. lact. aerogen. und Bac. putrifious. 

Es wurden nur Spuren eines Silbersalzes erhalten, welche gur Ana- 
lyse nicht ausreichten. Bei der Destillation trat der Geruch naoh Butter- 
säure auf. 

Es treten auch hier Unterschiede in ähnlicher Weise, wie Bienstock 
sie beschrieben hat, auf, und wenn sie auch nicht so charakteristisch 
vorhanden sind wie in den Versuchen des genannten Autors, so ist dooh 
der graduelle Unterschied bei den Ausbeuten sehr erheblich. 

Weitere Untersuchungen stellte ich darüber an, wie viel von dem 
bei der Desamidierung freiwerdenden Ammoniak nachweisbar und ob 
vielleicht ein Teil desselben von den Bakterien zu Wachstumszwecken 
benutzt worden sei. Bei einem Versuch wurden von angewandten 5 g 
reiner Glutaminsäure 3,32 g Glutaminsäurechlorhydrat zurückerhalten. 
Dann sind reine Glutaminsäure verbraucht 2,35 g. Dieser entspricht 
eine NH,-Menge von 0,270g. Es wurden aber gefunden 0,0979 g NH,. 

Die bei diesem Versuche erhaltene Menge von Silberbutyrat betrug 
0,2805 g. Ein anderer Versuch ergab ein ähnliches Resultat, Es findet 
sich demnach eine erhebliche Menge des abgespaltenen Ammoniaks wieder. 


1) Flügge, Zeitechr. f. Hygiene u. Infekt. 17, 272. — Weber, 
Arb. des Kaiserl. Gesundheitsamtes 17, Nr. 1. — Bienstook, L. o. 





⸗ 


390 W. Brasoh: Bakterieller Abbau primärer Eiweißspaltprodukte. 


Bemerkt sei noch, daß sich in einzelnen Fällen kurz nach der 
Destillation kleine weiße Flocken ausschieden, die mikroskopisch aus 
feinen Nädelchen bestanden und sich in verdünnter Natronlauge lösten. 
Vielleicht hat es sioh dabei um höhere Fettsäuren gehandelt. 

Das Resultat des Abbaues der Glutaminsäure mit Bakterien- 
Reinkulturen ist im wesentlichen dasselbe, das Brasch und 
Neuberg früher mit Mischkulturen erzielten, und es steht auch 
mit den Befunden im Einklang, die Bienstock bei den Ver- 
suchen mit nativen Eiweißkörpern erhielt. Die Hauptrolle bei 
der Zerlegung der Eiweißkörper durch Fäulnis spielt der Ba- 
cillus putrificus, und er ist auch der am stärksten wirksame 
bei dem weiteren Abbau der primären Eiweißspaltprodukte. 
Den bei der Fäulnis wirksamen aeroben Bakterien kommt wohl 
im wesentlichen nur eine unterstützende Rolle zu. Der Ba- 
cillus putrificus baut die Glutaminsäure zu Butter- 
säure ab, und die letztere scheint ihm gegenüber eine ziem- 
liche Resistenz zu besitzen, denn es wurde das Auftreten von 
kohlenstoffärmeren Säuren in der Regel vermißt. Kompliziertere 
chemische Vorgänge, wie z. B. die Bildung von Bernsteinsäure, 
scheint er allein nicht anzuregen, wenigstens konnte im Äther- 
extrakt des Destillationsrückstandes diese Säure nicht sicher 
nachgewiesen werden. Die von Bienstock beschriebene anta- 
gonistische Wirkung zwischen dem Bacillus putrificus und Ba- 
cillus lactis aerogenes und Bacterium coli ist bei den Versuchen 
mit Glutaminsäure auch zutage getreten, wenn auch nicht in 
dem Maße wie bei der Zerlegung des Fibrins. Die Wirkungs- 
weise der seroben Bakterien ist qualitativ und quantitativ eine 
wesentlich andere wie die des Bacillus putrificus. Wenn durch 
sie Buttersäure gebildet worden ist, wurde sie zu niederen Fett- 
säuren wieder abgebaut, und die bei diesen Umsetzungen ent- 
stehenden Mengen waren stets nur sehr gering. Ob neben den 
bakteriellen Zersetzungen auch noch synthetische Prozesse ver- 
laufen, kann ich nach den mitgeteilten Erfahrungen jetzt nur 
vermuten, hoffe aber später darüber sicheres mitteilen zu können. 

Diese Versuche mit der leicht zugänglichen Glutaminsäure 
sollten nur zur Orientierung dienen. Ich habe begonnen, die 
bier gesammelten Erfahrungen auf andere Eiweißspaltprodukte 
anzuwenden und werde wohl bald in der Lage sein, die Re- 
sultate dieser Untersuchungen mitteilen zu können. 


Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der 
alkoholischen Gärung.?) 


Von 
Felix Ehrlich. 
(Aus dem Institut für Zuckerindustrie in Berlin.) 
(Eingegangen am 15. April 1909.) 


Die Frage, in welche Abbauprodukte der Zucker bei der 
Vergärung durch Hefe zerfällt, hat die Biologen und Chemiker 
seit langer Zeit beschäftigt, ihre endgültige Beantwortung ist 
aber trotz zahlreicher Untersuchungen auf diesem Gebiet auch 
heute noch nicht vollständig gelungen. 

Solange man nur Alkohol und Kohlensäure als Gärungs- 
produkt kannte, mußte man annehmen, daß das Zuckermolekül 
durch die Hefe eine quantitative Aufspaltung in zwei Moleküle 
Athylalkohol und zwei Moleküle Kohlendioxyd erfährt ent- 
sprechend der zuerst von Gay-Lussac formulierten Gärungs- 
gleichung: Ä 

CH ,0,=2C0,+2C,H,0. 

Die Auffassung der alkoholischen Gärung als eines derartig 
einfachen und sich einheitlich vollziehenden Vorganges schien 
indes unhaltbar, als Pasteur?) in den Jahren 1858 bis 1860 


1) Vorläufig mitgeteilt bereits am 22. Juli 1907 in einem Vor- 
trage vor der Deutschen ohemischen Gesellschaft in Berlin. Vgl. das 
ausführliche Referat darüber von J. Meisenheimer im Biochem. Cen- 
tralbl. 6, 621, 1907, ferner den vorläufigen Bericht in der Wochenschrift 
für Brauerei 24, 393, 1907, sowie F. Ehrlich, Die Rolle des Eiweißes 
und der Eiweißabbauprodukte bei der Gärung, Jahrbuch der Versuchs- 
und Lehranstalt für Brauerei in Berlin 10, 515, 1907. — Die ursprüng- 
liche Absicht, das Thema noch in verschiedenster Richtung erschöpfend 
zu behandeln, hat die Veröffentlichung dieser Arbeit verzögert. 

2) Compt. rend. 46, 179, 1858; 47, 224, 1858; 48, 1149, 1859. — 
Annal. chim. phys. [3] 58, 323, 1860. 


392 F. Ehrlich: 


in seinen berühmten Arbeiten über die Gärung bewies, daß 
hierbei außer Alkohol und Kohlensäure noch mehrere andere 
chemische Körper auftreten, unter diesen besonders das Gly- 
cerin und die Bernsteinsäure. Die Bildung von Bernsteinsäure 
war allerdings schon früher (1818) von Beißenhirtz!) und 
(1847) von C. Schmidt?) bei der alkoholischen Gärung sowie 
von E. Schunck?) bei der Gärung des Zuckers durch ein im 
Krapp enthaltenes Ferment beobachtet worden. Doch waren 
diese vereinzelten Befunde nicht besonders beweiskräftig, da es 
sich hier auch um Bakterienwirkungen handeln konnte. Erst 
Pasteur zeigte einwandafrei, daß auch bei normaler reiner 
Hefegärung Glycerin und Bernsteinsäure als regelmäßige 
Produkte entstehen, deren Mengenverhältnisse er auch zuerst 
durch zahlreiche vielfach variierte Versuche näher ermittelte. 
Pasteur fand dabei, daß die Menge dieser Produkte innerhalb 
bestimmter Grenzen schwankte, und zwar erhielt er im Durch- 
schnitt ca. 2,5 bis 3,6°/, Glycerin und 0,4 bis 0,7°/, Bern- 
steinsäure vom Gewicht des vergorenen Zuckers. Damit schien 
der Beweis erbracht, daß die Gay-Lussaosche Gärungs- 
gleichung nicht zu Recht besteht, und es war erklärlich, daß 
man nunmehr für die Entstehung dieser beiden regelmäßig auf- 
tretenden Substanzen, die sich nach Pasteurs Theorie durch 
Zersetzung des Zuckers bilden, nach einer neuen chemischen 
Formulierung suchte, die in ihrer Kompliziertheit allerdings von 
vornherein den Stempel der Unwahrscheinlichkeit an sich trug.*) 

Seitdem hat man sich gewöhnt, Glycerin und Bernstein- 
säure gleichwertig mit dem Alkohol und der Kohlensäure als 
reguläre Spaltprodukte des Zuckers bei der Gärung anzusehen, 
und diese Ansicht hat sich im wesentlichen bis heute erhalten 


1) Vgl. v. Lippmann , Chemie der Zuckerarten, 3. Aufl., S.378 u. folg. 

3) Annal. Chem. Pharm. 61, 168, 1847. — Handwörterbuch d, Che- 
mie 3, 224, 1848. 

3) Phil. Mag. [4] 8, 161, 1854. — Ann. 66, 174. 

4) Die erste Gleichung für die Entstehung der Bernsteinsäure und 
des Glycerins aus dem Zuoker rührt von Pasteur selbst her, sie lautete: 
49 C,H,30, + 30 H,O = 12 C,H,0, + 72 CH0; + 30 CO;: 
Monoyer hat ihr dann später in der Annahme, daß bei der Gärung auch 

Sauerstoff frei wird, eine etwas einfachere Form gegeben: 
4 Gest + 3 H20 = C,H,0, + 6 CH0, +2C0, + O. 
Siehe v. Lippmann, Chemie der Zuckerarten a. a. O. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 393 


und findet sich auch jetzt noch in den meisten Lehrbüchern 
vertreten. 

Unter den von Pasteur entdeckten Nebenprodukten der 
Gärung hat nun die Bernsteinsäure ein ganz besonderes Interesse 
erregt, da sie aus jedem Gärsubstrat durch Atherextraktion 
stets leicht zu isolieren und rein darzustellen ist und da sie als 
Dicarbonsäure von den andern Gärprodukten chemisch und 
physiologisch sehr abweichende Eigenschaften besitzt. 

Man versuchte daher schon früh ihre merkwürdige Ent- 
stehungsweise bei der alkoholischen Gärung genauer aufzuklären, 
wobei man zunächst an die Pasteurschen Arbeiten anknüpfte. 
Pasteur hatte bereits festgestellt, daß die von ihm zuerst be- 
obachteten an sich geringen Schwankungen der Mengenverhält- 
nisse der Bernsteinsäure zu den übrigen Gärprodukten von den 
äußeren Bedingungen des Gärungsverlaufes merklich abhängig 
sind. So konnte er bei seinen Gärversuchen z. B. zeigen, daß 
eine sehr langsam verlaufende Gärung das Auftreten von Bern- 
steinsäure ebenso wie von Glycerin begünstigte, und weiterhin, 
daß in neutralen Gärmedien, die für das Gedeihen der Hefe weniger 
günstig sind als saure, diese Nebenprodukte in größeren Mengen 
auftraten. In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen 
Pasteurs fand später Effront!), daß Bernsteinsäure besonders 
gegen Ende der Gärung sich bildet, wenn die Hefe nur noch 
wenig lebenskräftig ist, und analog wies dann Brefeld*) nach, 
daß bei schwachen Gärprozessen, wie sie z. B. durch Mucor 
eingeleitet werden, Bernsteinsäure auch meist in größeren Mengen 
vorhanden ist. Im Widerspruch mit diesen Befunden schienen 
allerdings die Angaben Thylmanns und Hilgers?) zu stehen, 
die gerade bei günstigen Wachstumsbedingungen der Hefe und 
intensiv verlaufender Gärung bedeutend mehr Bernsteinsäure 
entstehen sahen. So viel ging jedenfalls aus den Resultaten aller 
dieser Untersuchungen*) mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, 


1) Compt. rend. 119, 92, 1894. 

2) Landwirtsch. Jahrb. 1876, 281. 

3) Arch. f. Hygiene 8, 451, 1889. 

4) Die sehr umfangreiche Literatur über das Auftreten der Bern- 
steinsäure bei der Gärung, die hier nur so weit besprochen werden kann, 
als sie für die Entstehungsweise der Substanz von Bedeutung ist, siehe 
bei v. Lippmann, Chemie der Zuckerarten, 3. Auflage, 1904, S. 378 


394 F. Ehrlich: 


daß bei der Bildung der Bernsteinsäure die Rasse der Hefe, 
die Art des Zuckers, die Menge und Beschaffenheit der Nähr- 
stoffe, die Konzentration der Lösungen, Temperatur, Lüftung, 
Geschwindigkeit und Phase der Gärung usw. eine hervorragende 
Rolle spielen. Da sich außerdem zeigte, daß die Menge der 
Bernsteinsäure zwar annähernd proportional der Gärdauer wächst, 
aber zur Menge des gebildeten Alkohols und Glyoerins über- 
haupt in keiner zahlenmäßigen Beziehung steht, 7) so wurde 
auch bald die Vermutung laut, daß das Auftreten der Bern- 
steinsäure mit der eigentlichen Zuckerspaltung gar nichts zu 
tun hat, sondern daß diese einer Art Nebengärung des Zuckers 
ihre Entstehung verdankt. Einzelne Forscher?) gingen in ihren 
Folgerungen noch weiter, indem sie die Bernsteinsäure direkt 
als ein Stoffwechselprodukt der Hefe bezeichneten. Doch konnten 
die bis dahin mit lebender Hefe angestellten Versuche nicht 
als schlüssige Beweise für oder wider diese Ansicht gelten. 
Erst die Untersuchungen über die Zymase ließen die sichere 
Deutung zu, daß die Bernsteinsäure kein normales Zerfall- 
produkt des Zuckers sein kann, sondern auf andere Weise ent- 
stehen muß. Buchner?) und seine Mitarbeiter fanden näm- 
lich bei der zellfreien Gärung, auch wenn große Quantitäten 
Zucker und Hefepreßsaft vergoren wurden, gegenüber der Gärung 
mit lebender Hefe keine Bernsteinsäure. Neuerdings glaubt 
zwar R. Kunz‘) im Gegensatz zu Buchner diese Säure auch 
bei der Zymasegärung nachgewiesen zu haben, doch hat er die 





bis 380; Ad. Mayer, Gärungschemie, 6. Auflage, 1906, S. 26 bis 31; 
C.Oppenheimer, Die Fermente und ihre Wirkungen, 2. Auflage, 1903, 
S. 310 bis 313; E. und H. Buchner und Hahn, Die Zymasegärung, 
1903, S. 216 bis 223; F. Lafar, Handbuch der Technischen Mykologie 
2. Anflage; K. Windisch, Die chemischen Vorgänge beim Werden des 
Weines, Stuttgart 1906, 8. 47 bis 49. 

1) Müller-Thurgau, 10. Generalversrammlung des Weinbauvereins 
Geisenheim 1884. Chem.-Zeitg. 19, 1593. — Effronta.a.0.— A. Mayer 
a. a. O. 

2) Rau, Arch. f. Hygiene 14, 225. 1892. — Straub, Chem.-Ztg. 19, 
R. 405. — Müller-Thurgau a. a O. — C. Oppenheimer a. a. O. 

3) E. Buchner und R. Rapp, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 84, 
1529, 1901. — E. und H. Buchner und Hahn, Zymasegärung, 8. 220: 
E. Buchner und Meisenheimer, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 39, 
3201, 1906. 

4) Zeitschr. f. Nahrungs-Genußmittel 12, 641, 1906. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 395 


Substanz nicht isoliert, sondern nur indirekt bestimmt nach 
einer Methode, die derartig geringe Ausschläge gab, daß damit 
seine Ansicht, die Bernsteinsäure entstehe bei der Gärung aus 
der Hefe durch einen fermentativen autolytischen Prozeß, keines- 
wegs bewiesen erscheint. 


In ein ganz neues Stadium ihrer Entwicklung trat die 
Frage nach der Entstehung der Gärungsnebenprodukte, als der 
Nachweis gelang, daß ein wichtiger Teil derselben nicht zu den 
Spaltungssubstanzen des Zuckers, sondern zu den normalen 
Eiweißstoffwechselprodukten der lebenden Hefe gehört. Im 
Jahre 1905 konnte ich zuerst zeigen"), daß die im Fuselöl vor- 
kommenden höheren Alkohole, insbesondere die beiden Amyl- 
alkohole, deren Herkunft aus Zucker man seit Pasteur irr- 
tümlich meist als bewiesen angenommen hatte, sich bei der 
Gärung durch eine assimilierende eiweißaufbauende Tätigkeit 
der Hefezellen bilden aus den entsprechenden um ein Kohlen- 
stoffatom reicheren Aminosäuren des Nährbodens oder der Hefe 
selbst. Diese zunächst beim Leucin, Isoleucin und Valin auf- 
gefundene Reaktion erwies sich dann als allgemein gültig. 
Sämtliche bisher untersuchten a-Aminosäuren unterliegen bei 
Einwirkung von Hefe, wenn gleichzeitig Zucker zugegen ist, 
einer alkoholischen Gärung, die stets neben der Zuckergärung 
verläuft und unter Abspaltung von Kohlensäure und Ammoniak, 
das von der Hefe sofort für ihre Eiweißsynthese benutzt wird, 
zu dem entsprechenden Alkohol führt im Sinne der allgemeinen 
Gleichung: 


R.CHNH,.CO,H+H,0=R.CH,OH + NH, + CO,. 

Neben den Alkoholen bilden sich bei der Gärung der 
Aminosäuren, wenn auch in viel geringeren Mengen, meist auch 
die zugehörigen Aldehyde und Fetteäuren, z. B. aus dem Leucin 
neben Amylalkohol Valeraldehyd und Valeriansäure. 


ı) F. Ehrlich, Über die Entstehung des Fuselöls. Zeitschr. d. 
Vereins d. Deutsch. Zuckerind. 55, 539, 1905. — Die chemischen Vor- 
gänge bei der Hefegärung. Diese Zeitschr. 2, 52, 1906. — Zur Frage der 
Fuselölbildung der Hefe. Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 89, 4072, 1906. — 
Über die Bedingungen der Fuselölbildung und über ihren Zusammenhang 
mit dem Eiweißaufbau der Hefe. Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 1027, 
1907. 


396 F. Ehrlich: 


Es lag daher der Gedanke nahe, daß vielleicht auch die 
Bernsteinsäure bei der Hefegärung ähnlichen Vorgängen wie die 
Fuselölbildung ihre Entstehung verdankt. Darauf schienen be- 
reits manche bisherigen Beobachtungen hinzudeuten. So mußte 
es auffallen, daß die Bernsteinsäure sich ganz analog dem Fuselöl 
gerade dann am meisten bildet, wenn die Gärung sehr in- 
tensiv verläuft oder aber wenn sie nur sehr schwach vor sich 
geht und die Hefe im Absterben begriffen ist. Auch war in 
dieser Hinsicht bemerkenswert, daß bei der Selbstgärung und 
Autolyse der Hefe ebenso wie die höheren Alkohole auch stets 
Bernsteinsäure!) in nicht unbeträchtlichen Quantitäten auf- 
gefunden wurde. Schließlich war es trotz unzähliger Varia- 
tionen der Gärungsbedingungen niemals gelungen, die Ausbeute 
der Bernsteinsäure in allen diesen Fällen über den schon von 
Pasteur beobachteten relativ geringen Betrag zu steigern, was 
doch möglich sein müßte, wenn die Bernsteinsäure ein normales 
Zuckerspaltungsprodukt gleichwertig dem Alkohol und der 
Kohlensäure wäre. 

Angesichts der großen Ähnlichkeit ihrer chemischen Kon- 
stitution schienen nun als Muttersubstanzen der bei der Gärung 
auftretenden Bernsteinsäure in erster Linie die Aminodioarbon- 
säuren in Betracht zu kommen, unter ihnen besonders die 
Asparaginsäure. 

Von dieser Aminosäure hatte ich früher in meiner ersten 
Arbeit über die Entstehung des Fuselöls®) angenommen, daß 
sie ebenso wie das Leucin bei Einwirkung der Hefe einer alko- 
holischen Gärung im Sinne der obigen allgemeinen Gleichung 
unterliegt, wobei sich sehr wahrscheinlich auch aus der zweiten 
Carboxylgruppe Kohlendioxyd abspalten mußte: 


CO,H.CH,.CH(NH,).CO,H + H,O 
— CH, .CH,OH + 2 CO, + NH,. 
Demnach hätte also aus der Asparaginsäure Athylalkohol 


und aus der in der Natur nicht minder verbreiteten Glutamin- 
säure Propylalkohol entstehen müssen: 


1) E. Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 13, 506, 1889; 54, 
398, 1908. — M. Schenk, Wochenschr. f. Brauerei 22, 221, 19085. 

2) F. Ehrlich, Zeitschr. d. Vereins d. Deutsch. Zuckerind. 55, 
566, 1905. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 397 


C0,H.CH,.CH,.CH(NH,).CO,H + H,O 
—CH,.CH,.CH,OH -+ 2 C0, + NH,. 

Damit schien auch eine plausible Erklärung der Entstehung 
des n-Propylalkols gegeben, der in Mengen von 4 bis 7°/, 
regelmäßig im Fuselöl zu finden ist. 

Meine weiteren Untersuchungen haben nun für einen in 
derartiger Richtung verlaufenden Abbau der beiden Amino- 
säuren bei der Gärung keine Anhaltspunkte gegeben, so daß 
also die richtige Deutung der Bildung des Propylalkohols durch 
die Hefe vorläufig noch aussteht. Alle Anzeichen wiesen viel- 
mehr darauf hin, daß die Vergärung der Asparagin- und Glut- 
aminsäure abweichend von der der Aminomonocarbonsäuren 
vor sich geht. Da die Hefe die Aminosäuren spaltet, um ihr 
Stickstoffbedürfnis zu befriedigen, so war es nicht unwahrschein- 
lich, daß in diesem Fall nur eine einfache Desamidierung er- 
folgte, während die beiden Carboxylgruppen intakt blieben, daß 
sich also aus der Asparaginsäure Bernsteinsäure: 

CO,H.CH,.CH(NH,).CO,H-+H, 
—=(C0,H.CH,.CH,.CO,H + NH, , 
aus der Glutaminsäure Glutarsäure bildete: 
CO,H.CH,.CH,.CH(NH,).CO,H-+-.H, 
= C0,H.CH,.CH,.CH,.CO,H + NH,. 

Eine solche einfache Ammoniakabspaltung aus Aminosäuren 
ist bisher im wesentlichen nur bei Fäulnisvorgängen beobachtet, 
und man nimmt ja schon seit längerer Zeit an, daß gerade die 
bei der Fäulnis und ähnlichen Bakteriengärungen sowie bei der 
Autolyse aufgefundene Bernsteinsäure!) durch eine derartige 
Desamidierung aus der Asparazinsäure entsteht. Da nun auch 
bei der Selbstgärung der Hefe Asparaginsäure?) neben Bern- 
steinsäure isoliert worden ist, so erschien die Bildung dieses 
Gärungsproduktes aus der entsprechenden Aminosäure durchaus 


1) E. u. H. Salkowski, Ber. d Deutsch. chem. Ges. 12, 650, 1879. — 
E. Salkowski, Zeitschr. f. klin. Med. 17, Suppl 77, 1890. — F. Blumen- 
thal, Virchows Archiv 137, 539, 1884. — Magnus-Levy, Beiträge z. chem. 
Physiol. u. Pathol. 2, 261, 1902; Magnus-Levy, Physiologie des Stoff- 
wechsels. Handb. d Pathol. d Stoffw. von C. v. Noorden, 1, 90. 

2) Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32, 59, 180L — M. Schenk, 
2.2.0. 


398 F. Ehrlich: 


im Bereich der Möglichkeit liegend, und ich!) hatte deshalb 
schon in einer im Jahre 1906 in dieser Zeitschrift veröffent- 
lichten Arbeit „Über die ohemischen Vorgänge bei der Hefe- 
gärung‘‘ dahingehende Gärversuche mit Asparaginsäure und 
Glutaminsäure angekündigt und mir ihre weitere Ausführung 
ausdrücklich vorbehalten. 

Die bereits im selben Jahre angestellten Vorversuche er- 
gaben nun ein sehr überraschendes Resultat. Es zeigte sich 
nämlich, daß bei der Vergärung von Zucker und Hefe unter 
Zusatz von Asparaginsäure keine Erhöhung der Ausbeute an 
Bernsteinsäure eintritt, sondern eine Erniedrigung gegenüber 
dem Versuch ohne Zusatz. Bei Zufügung von Glutaminsäure 
ließ sich keine Spur Glutarsäure nachweisen, dagegen waren 
bei alleinigem Zusatz dieser Aminosäure aus der vergorenen 
Lösung stets sehr beträchtliche, den normalen Gehalt weit über- 
steigende Mengen von Bernsteinsäure zu isolieren. Daraus ging 
schon klar hervor, daß die Glutaminsäure die Mutter- 
substanz der bei der Hefegärung entstehenden Bern- 
steinsäure bildet. Dieses Resultat wurde voll bestätigt durch 
meine weiteren Untersuchungen, die ferner bewiesen, daß die 
Bernsteinsäurebildung vollkommen analog der Fusel- 
ölbildung verläuft und daß demnach auch die Bernstein- 
säure kein normales Zuckerspaltungsprodukt, sondern 
ein Eiweißstoffwechselprodukt der Hefe darstellt. Über 
die Ergebnisse dieser Untersuchungen und mehrere damit in Zu- 
sammenhang stehende Fragen, die den Chemismus des Eiweiß- 
aufbaues der Hefe betreffen, sei im folgenden eingehender be- 
richtet. 


Versuchsanordnung. 


Die Versuche wurden in ähnlicher Weise angestellt, wie 
ich dies in den Arbeiten über meine Methode der Spaltung 
racemischer Aminosäuren durch Hefe beschrieben habe. *®) 

Um möglichst viel Stickstoffsubstanz umzusetzen und größere 
Quantitäten Bernsteinsäure entstehen zu lassen, wurden relativ 
beträchtliche Mengen von Zucker und Hefe vergoren. Die 
Zuckerlösungen gelangten meist in einer Konzentration von 


1) F. Ehrlich, diese Zeitschr. 2, 75, 1906. 
2) F. Ehrlich, diese Zeitschr. 1, 8, 1906; 8, 438, 1908. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 399 


10°/, zur Vergärung. Gewöhnlich wurden 100 bis 200 g Zucker 
mit 1 bis 10 g der betreffenden Stickstoffverbindung in 1 bis 21 
destilliertem oder Leitungswasser gelöst und mit 50 bis 100 g 
Hefe angesetzt.!) Die Vergärung geschah bei Zimmertemperatur 
in großen 3 bis 4 l fassenden Glaskolben, die mit einem Schwefel- 
säuregärverschluß versehen waren. Um bessere Vergleichsresul- 
tate zu erzielen, wurden die Versuche in jedem Fall so lange 
fortgeführt, bis eine unter Zusatz von Tonerdebrei abfiltrierte 
wasserklare Probe der Flüssigkeit die Naphtholreaktion auf Zuoker 
nicht mehr gab. Nach beendeter Gärung wurde die Hefe durch 
Absaugen über Tonfilter von der Lösung getrennt, wiederholt 
gründlich mit Wasser nachgewaschen und das gesammelte hefe- 
freie Filtrat in Porzellanschalen zuerst über freier Flamme, dann 
auf dem Wasserbade vorsichtig zum Sirup eingeengt. Dieser 
Sirup diente nunmehr zur Bestimmung der bei der Gärung ent- 
standenen Bernsteinsäure. 

Bernsteinsäurebestimmung. Daes für die Entscheidung 
der vorliegenden Frage wichtig war, bei jedem Gärversuch den 
exakten chemischen Nachweis der Bernsteinsäure durch die 
Analyse oder zum mindesten durch den Schmelzpunkt zu er- 
bringen, so glaubte ich von allen indirekten Bestimmungs- 
methoden absehen zu müssen, die meist infolge der Anwendung 
von oxydierenden Mitteln besonders bei Gegenwart organischer 
Stiokstoffverbindungen leicht zu irrtümlichen Annahmen über 
den Bernsteinsäuregehalt führen können. Es wurde daher in allen 
Fällen eine direkte Isolierung der Säure durch Ätherextraktion 
vorgenommen, die wie im folgenden beschrieben gereinigte Sub- 
stanz durch Wägung bestimmt und näher identifiziert. Wenn 
dieses Verfahren auch auf absolute Genauigkeit keinen Anspruch 
erheben kann, so liefert es doch für die Zwecke der vorliegenden 
Untersuchung, bei der es sich in erster Linie um relative Ver- 
gleichsresultate handelt, hinreichend exakte Werte. 

Zur Bestimmung der Bernsteinsäure wurde der aus der 
vergorenen Flüssigkeit gewonnene Sirup mit 300 bis 500 ccm 


D Als Hefen dienten wieder obergärige Hefe, vorwiegend Rasse XII 
neben II und M, und untergärige Bierhefe, die mir sämtlich vom Ber- 
liner Institut für Gärungsgewerbe in liberalster Weise zur Verfügung ge- 
stellt waren. Die Hefe wurde bei fast allen Versuchen stets frisch be- 
reitet angewandt. 


400 F. Ehrlich: 


Wasser aufgenommen, mit 30 ccm 10°/,iger Schwefelsäure ver- 
setzt und mit Äther erschöpfend extrahiert. Infolge der un- 
gemein starken Emulsionsbildung der vergorenen Lösungen war 
ein quantitatives Ausäthern derselben im Schütteltrichter voll- 
kommen unmöglich. Die Extraktion wurde daher unter An- 
wendung von viel Äther in dem von Zelmanowitz!) kon- 
struierten Apparat vorgenommen, der sich hierfür ausgezeichnet 
bewährt hat. Der Apparat gestattete auch bei weitgehender 
Emulsion der wässerigen und ätherischen Schicht ein vollstän- 
diges Herauslösen der Bernsteinsäure, die bei einem durch- 
schnittlichen Volumen der wässerigen Lösung von 500 com und 
des darüber geschichteten Athers von 1 bis 1!/, 1 gewöhnlich 
in ca. 48 Stunden quantitativ gewonnen wurde. Um ganz sicher 
zu gehen, wurde die Extraktion in jedem Falle 72 Stunden 
durchgeführt. Aus dem gesammelten Ätherextrakt wurde der 
Äther auf dem Wasserbade verdampft, der Rückstand mit 
100 bis 200 ccm Wasser aufgenommen, die Lösung zur Ent- 
fernung öliger und trübender Bestandteile mit reiner Tierkohle 
einige Zeit gekocht, dann filtriert und die Kohle auf dem Filter 
wiederholt mit heißem Wasser ausgewaschen. Das wasserklare 
Filtrat zusammen mit den Waschwässern in einer Porzellan- 
Schale auf dem Wasserbade eingedampft ergab einen meist 
bräunlich gefärbten, gewöhnlich sofort krystallisierenden Sirup, 
der zur vollständigen Abscheidung der Bernsteinsäure 24 Stunden 
kühl aufbewahrt wurde. Das Krystallgemisch wurde dann direkt, 
ev. nach Verrühren mit einigen Tropfen eiskalten Wassers, 
in dünner Schicht auf quantitative Tonplatten gestrichen und 
bis zum vollständigen Einziehen der Mutterlauge getrocknet. 
Die zurückbleibenden Krystalle waren meist fast vollkommen 
farblos. Im Falle sie noch eine Färbung von anhaftender Mutter- 
lauge zeigten, war es möglich, diese durch Aufbringen von wenigen 
Tropfen Wasser völlig in den Ton einziehen zu lassen, ohne 
daß die Bernsteinsäure dabei gelöst wurde. Die schließlich von 
dem Ton vorsichtig heruntergenommene Substanz wurde im 
Trockenschrank bei 110° vollständig getrocknet und dann als 
Bernsteinsäure zur Wägung gebracht. Sie zeigte fast stets so- 
fort den für Bernsteinsäure charakteristischen Schmelzpunkt 


1) Diese Zeitschr. 1, 253, 1906. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 401 


und war in allen Fällen nach einmaligem Umkrystallisieren 
chemisch absolut rein, wie auch die Verbrennungsanalyse be- 
stätigte. 

Die folgenden beiden Kontrollversuche ergeben außer der 
Arbeitsweise des Extraktionsapparates die relative Genauigkeit 
der beschriebenen Bestimmungsmethode: 

I. Die vergorene Lösung von 200 g Zucker mit 100 g Hefe 
wurde nach Filtration der Hefe und Eindampfen auf ca. 200 ccm 
nach Zusatz von verdünnter Schwefelsäure im Zelmanowitz- 
schen Extraktionsapparat erschöpfend mit Äther extrahiert, so 
daß auch nach Erneuerung des vorgelegten Äthers und weiterer 
24 stündiger Extraktion keine Spur Bernsteinsäure zu isolieren 
war. Darauf wurde die wässerige Schicht im Apparate mit einer 
Lösung von genau 1,0 g reiner Bernsteinsäure vermischt und 
die gesamte Lösung nun wie beschrieben mit Ather extrahiert 
und auf Bernsteinsäure verarbeitet, wobei der vorgelegte Äther 
alle 24 Stunden erneuert wurde. Die Extraktion lieferte 


in den ersten 24 Stunden 0,67 g Bernsteinsäure 
» on folgenden 24 e 0,30 g F 
IT TT „ 24 „ 0,04 g TT 


— F 24 ge 0,00 g F 
Wiedergefunden Sa. 1,01 æ Bernsteinsäure. 

Der Versuch zeigt also, daß schon in den ersten 24 Stunden 
2/, der Gesamtmenge Bernsteinsäure durch den Apparat extra- 
hiert waren und daß die Extraktion nach 48 Stunden bereits 
so gut wie beendet, nach 72 Stunden quantitativ durchgeführt ist. 

II. Eine mit Hefe vergorene Zuckerlösung wurde nach dem 
Eindampfen zum Sirup mit Wasser zu 11 Gesamtflüssigkeit auf- 
gefüllt. In 500 com dieser Lösung wurde der Bernsteinsäure- 
gehalt nach der beschriebenen Methode bestimmt (72stündige 
Extraktion). Er betrug 0,34 g Bernsteinsäure. In den anderen 
500 ccm der Lösung wurde 1,0 g reine Bernsteinsäure aufgelöst 
und dann die Bestimmung genau so ausgeführt. Zurückgewinnen 
ließen sich in diesem Fall 1,32 g Bernsteinsäure. 


Bernsteinsäurebildung bei Vergärung von Zucker mit Hefe 
unter Zusatz verschiedener Aminosäuren. 
Da es sich in erster Linie darum handelte, Anhaltspunkte 


für die Muttersubstanz der Bernsteinsäure bei der Hefegärung 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 26 


402 F. Ehrlich: 


zu gewinnen, wurde zunächst eine Reihe von Versuchen‘) 
mit verschiedenen Aminosäuren angestellt, die in ähnlichen 
Mengenverhältnissen wie bei meinen Arbeiten über die Fusel- 
ölbildung gärender Zuckerlösungen zugesetzt wurden. Zur An- 
wendung kam frisch bereitete und abgepreßte obergärige Hefe, 
Rasse XII, von der eine größere Portion auf sämtliche Flüssig- 
keiten zu gleicher Zeit zur Einwirkung gelangte. Als Amino- 
säuren dienten reinste Kahlbaumsche Präparate. Die Glut- 
aminsäure war vorwiegend aus Dessauer Melasseschlempe nach 
dem Andrlikschen Verfahren?) dargestellt, sie zeigte den von 
E. Fischer?) angegebenen Schmelzpunkt 208° und in salz- 
saurer Lösung das spezifische Drehungsvermögen et = + 31,4° 
(E. Fischer -+ 30,85°). Die Flüssigkeiten wurden sofort nach 
beendeter Gärung auf Bernsteinsäure verarbeitet. 
Es wurden vergoren in Lösung von 21 Wasser: 








Schmelz- 


Gebildete — 


Dauer der Menge isolierten 
Unter Zusatz von | Gärung |Bernstein- Bernstein- 
e A ure nic 
n Tagen gedoe amkrystalli- 
sie 





183—1840 
0,24 |182-—1830 
0,28 1830 

0,31 |183—1840 
0,24 WK 


10g Glutaminsäure 184 9 





Die Resultate der Versuche zeigen deutlich, daß bei Zu- 
satz von Alanin und Leucin eine Verminderung der Bernstein- 
säuremenge fast um die Hälfte gegenüber der bei der Vergärung 
von Zucker mit Hefe für sich stattfindet. Fast genau dieselbe 
Erniedrigung der Ausbeute an Bernsteinsäure beobachtet man : 
aber bei Zusatz sowohl von Asparaginsäure wie von Aspa- 


1) Einzelne Resultate dieser Versuche sind bereite in einem Referat 
über meinen Vortrag vor der Deutschen ohemischen Gesellschaft in Berlin 
am 22. Juli 1907 in der Wochenschr. f. Brauerei 1907, Nr. 30, 393 
veröffentlicht. 

2) Zeitschr. d. Ver. d. Deutsch. Zuckerind. 53, 829, 1903; Ber. d 
V. intern. Kongr. f. angew. Chem., Berlin 3, 450, 1903. 

3) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2470, 1899. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 403 


ragin, so daß schon aus diesen Befunden ohne weiteres zu er- 
sehen ist, daß aus letzteren beiden Verbindungen Bernsteinsäure 
bei der Gärung sicher nicht entsteht. 

Dagegen läßt sich auf Zusatz von Glutaminsäure in Ver- 
such Nr. 6 ein enormes Ansteigen der Bernsteinsäuremenge um 
mehr als das Zehnfache gegenüber den Versuchen mit allen 
anderen Aminosäuren feststellen. Es kann daher schon auf 
Grund dieses Resultats kein Zweifel mehr darüber bestehen, 
daß die Glutaminsäure die Muttersubstanz der Bern- 
steinsäure bei der Hefegärung bildet. Die in diesem 
Falle gefundene Menge Bernsteinsäure von 3,1 g entspricht 
theoretisch 3,9 g umgesetzter Glutaminsäure. Daß es sich hier 
wirklich um fast absolut reine Bernsteinsäure handelt, zeigt die 
weitere Untersuchung der Substanz. 

Zu diesem Zwecke wurden die zuerst isolierten 3,1 g fast 
farbloser Säure aus wenig Wasser unter Behandlung mit Tier- 
kohle umkrystallisiert. Es gelang auf diese Weise durch ein- 
maliges Umlösen 2,85 g reine Bernsteinsäure zu gewinnen, die 
bei 110° getrocknet scharf bei 184° schmolz. Ihre Reinheit 
wird durch die Elementaranalyse der Substanz und die Analyse 
ihres Silbersalzes bestätigt. 


0,1260 g Substanz: 0,1895 g CO,, 0,0559 g H,O. 
C,H,0O, Ber. C 40,68 H 5,08 
Gef. C 41,02 H 4,97 


Das über das Ammoniaksalz dargestellte Silbersalz der 
Säure wurde nach dem Trocknen bei 100° analysiert. 


0,5738 g Substanz: 0,3700 g Ag. 
G,H,0,Ag, Ber. Ag 65,06 
Gef. Ag 64,48. 


Bernsteinsäurebildung bei Vergärung von Zucker und Hefe 
ohne Zusatz, 


Nachdem auf diese Weise festgestellt war, daß die Bern- 
steinsäure bei der Gärung aus Glutaminsäure entsteht, erhob 
sich weiterhin die Frage, wie diese Bildung im einzelnen zu- 
stande kommt und ob sie namentlich ähnlich der des Fuselöls 
verläuft. Hierfür schien es zunächst wichtig zu untersuchen, 


welche Mengen Bernsteinsäure sich bei der Vergärung von Zucker 
26° 


404 F. Ehrlich: 


mit der angewandten Hefe allein bilden, da diese Zahlen für 
die späteren Untersuchungen als Vergleichswerte dienen mußten. 

Die folgenden Gärversuche wurden mit wechselnden Quanti- 
täten von Zucker und Preßhefe angestellt, die zu verschiedenen 
Zeiten sowohl in frischem wie in altem Zustande entnommen 
waren. Der Zuoker wurde stets in 21 Wasser aufgelöst und 
ebenso wie bei den vorigen Versuchen ohne Zufügung von 
Nährsalzen mit Hefe vollständig bis zum Verschwinden der 
Naphtholreaktion vergoren. 






Me Zucker Hefe 


Nr. 


Art der Hefe 






7 | 200 | 100 2 | 0,80 | Rasse II 

8 | 200 | 100 3 | 0,47 

9 100 | 200 1 0,42 | | Rasse XII, von verschiedenen Be- 
10 | 200 40 5 | 0,50 | | reitungenherstammendeHefeproben 
11 200 | 100 3 1,20 

12 200 50 4 0,86 | >) Rasse XII, ein und derselben Probe 
13 | 200 75 4 | 0,78 | entnommen und zu gleicher Zeit 
14 200 | 100 4 0,79 | ) angesetzt 

15 | 200 | 100 3 | 0,67 | Rasse XII ganz frisch 

16 | 200 | 100 3 | 0,71 | Von derselben Probe nach 3 Tagen 
17 200 | 100 3 0,60 | Von derselben Probe nach 4 Woohen 
18 I 300 50 7 | 0,89 | Untergärige Bierhefe abgepreßt 


Bei der Vergärung von reinen Zuckerlösungen mit Rein- 
zuchthefe für sich entstehen also, wie aus den vorstehenden 
Zahlen zu ersehen ist, sehr stark wechselnde Mengen von Bern- 
steinsäure, die je nach der angewandten Quantität und dem 
Mengenverhältnis von Hefe und Zucker, je nach der Art der Zu- 
sammensetzung und Bereitung der Hefe schwanken. Auf das Ge- 
wicht des vergorenen Zuckers berechnet, betrug die Ausbeute an 
Bernsteinsäure 0,24 bis 0,60°/,, während Pasteur früher für diese 
Zahl 0,4 bis 0,7°/, angegeben hat. Doch ist zu beachten, daß 
Pasteur meist mit Würzen oder künstlich zusammengesetzten 
Nährlösungen arbeitete, in denen die spurenweise eingeimpfte 
Hefe sich langsam unter Gärung fortentwickelte, während die hier 
vorliegenden Versuche der Einfaehheit und des besseren Ver- 
gleichs wegen mit einem großen Überschuß bereits fertig ge- 
bildeter Hefe ohne Anwendung von Nährsalzen in der Lösung 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 405 


angestellt wurden. Im übrigen erscheint die Berechnung der 
bei der Gärung entstandenen Bernsteinsäure auf Zucker jetzt 
von geringerer Bedeutung, nachdem festgestellt ist, daß Kohlen- 
hydrate nicht das Ausgangsmaterial für dieses Gärprodukt sind. 

Für die Bildung von Bernsteinsäure aus Zucker und Hefe 
ist leicht eine Erklärung zu geben, wenn man sie unter den 
früher für die Fuselölbildung entwickelten Gesichtspunkten?) 
betrachtet. Im Eiweiß der Hefe ist neben Leucin und anderen 
Aminosäuren auch Glutaminsäure enthalten. Ihre Anwesenheit 
ist gerade in den hier benutzten Hefen des Instituts für Gärungs- 
gewerbe von M. Schenck?) nachgewiesen, der auch gezeigt hat, 
daß diese Aminosäure besonders bei der Autolyse der Hefe auf- 
tritt. Wenn nun Hefe in Zuckerlösungen eingetragen wird, die 
keine Stickstoffnahrung enthalten, so vermag die Hefe wohl 
den Zucker zu vergären, es findet aber zunächst keine Fort- 
entwicklung der Zellen statt, da diesen die notwendigsten Nähr- 
mittel fehlen. Infolgedessen wird ein großer Teil der Hefezellen 
geschwächt werden und schließlich allmählich absterben, wobei 
die aus den absterbenden Zellen austretenden Inhaltsstoffe in 
Lösung gehen und nun anderen noch lebenden Zellen zur Nahrung 
dienen. Bei diesem Vorgang muß nun stets auch eine Auto- 
lyse des Hefeeiweißes stattfinden, die schon eintreten kann, wenn 
die Hefezellen durch irgendwelche äußere Einwirkung in ihrer 
Tätigkeit gehemmt oder geschädigt sind, und die naturgemäß 
um so intensiver sein wird, je weiter die Hefe im Absterben 
begriffen ist. Die bei der Selbstverdauung der Hefe aus dem 
Eiweiß abgespaltenen Aminosäuren, darunter die Glutaminsäure, 
wandern in die umgebende Flüssigkeit und von hier weiter 
durch die Zellmembran noch frischer Hefezellen, von denen 
sie zur Assimilation verwendet werden. Dieser Assimilations- 
prozeß verläuft nun, wie ich in früheren Arbeiten auseinander- 
gesetzt habe, nicht in der Weise, daß das ganze Molekül der 
Aminosäuren an das schon vorhandene Eiweiß der Hefe an- 
gelagert wird, sondern es tritt eine Spaltung der Aminosäuren 
in Ammoniak und einen stiokstofffreien Komplex ein, der even- 
tuell nach weiterer Umwandlung (Oxydation oder Reduktion) 
als Stoffwechselendprodukt die Hefezelle verläßt, während das 


1) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 1027, 1907. 
2) Wochensohr. f. Brauerei 22. 221, 1905. 


406 F. Ehrlich: 


Ammoniak zusammen mit Bruchstücken des Zuckers von der 
Hefe zu Körperprotein aufgebaut wird. So spaltet sich aus 
dem durch Abbau des Hefeeiweißes entstandenen Leucin, wie 
früher gezeigt, Amylalkohol, aus der auf demselben Wege neben- 
her gebildeten Glutaminsäure in noch näher zu erörternder 
Weise Bernsteinsäure ab, die dann durch die Membran der 
Hefezellen in die äußere Flüssigkeit diffundieren und sich hier, 
da sie von der Zelle nicht weiter angegriffen und verwertet 
werden können, allmählich anreichern. Der geschilderte Vor- 
gang wird sich im Verlaufe der Gärung fortwährend wieder- 
holen, ständig werden aus absterbenden Zellen des Pilzes durch 
Autolyse Aminosäuren abgespalten, die von noch assimilations- 
fähigen Zellen weiter zerlegt werden, wobei neues Eiweiß auf- 
gebaut wird, während immer mehr Stoffwechselprodukte in die 
äußere Flüssigkeit übergehen. 

Infolge dieses eigentümlichen Kreislaufes des Stickstofis 
können also schließlich sehr beträchtliche Mengen von Bern- 
steinsäure ebenso wie von Fuselöl auch bei der Vergärung von 
reinen Zuckerlösungen mit Reinzuchthefe entstehen, besonders wenn 
man sich vorstellt, daß die Zerlegung des Hefeeiweißes durch 
die Autolyse nicht auf einmal, sondern sukzessive erfolgt und 
daß dabei Aminosäuren, wie die Glutaminsäure und das Leucin, 
gerade anfangs abgespalten und sofort nach ihrer Abspaltung 
weiter abgebaut werden. Genau so wie die Fuselöl- muß die 
Bernsteinsäurebildung ihr Ende erreichen, wenn entweder alle 
Hefezellen abgestorben sind oder der Zucker vollständig ver- 
goren ist, dessen Anwesenheit und Zerfall für die Entstehung 
dieser Gärungsnebenprodukte, ohne daß er sich selbst direkt 
daran beteiligt, wie später gezeigt wird, unbedingt erforder- 
lich ist. 

Die vorstehende Betrachtungsweise macht die verhältnis- 
mäßig großen Schwankungen der bei der Vergärung von Zucker 
und Hefe für sich entstehenden Mengen Bernsteinsäure ohne 
weiteres verständlich. Denn da die zu diesen Versuchen be- 
nutzte, im großen fabrikmäßig hergestellte Preßhefe in Würzen 
verschiedenster Herkunft und der verschiedensten Zusammen- 
setzung hinsichtlich ihres Gehalts an Salzen, Stickstoff usw. 
aufgezüchtet wird und da die weitere Behandlung der fertigen 
Hefe in bezug auf ihre Abpressung, Aufbewahrung usw. nie 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 407 


ganz gleichmäßig erfolgt, so ist es klar, daß die zu verschie- 
denen Zeiten gewonnenen Hefen sehr große Unterschiede in 
ihrem Gehalt an Trockensubstanz, Stickstoff, Asche usw. auf- 
weisen. Diese Unterschiede machen sich dann bei der Gärung 
u.a. dahin geltend, daß auch bei gleichbleibenden Gärungs- 
bedingungen infolge des verschiedenen Stickstoffgehalts die Auto- 
lyse und Assimilationsfähigkeit der Hefen eine sehr verschiedene 
ist, daß dementsprechend größere oder geringere Mengen Glut- 
aminsäure aus dem Hefeeiweiß in Lösung gehen und wieder 
assimiliert werden, so daß schließlich auch bei Einwirkung des 
gleichen Gewichts zu verschiedenen Zeiten bezogener Hefe auf 
dieselbe Menge Zucker unter Umständen sehr stark wechselnde 
Mengen Bernsteinsäure entstehen können. So erklärt ee sich, 
daß in den Versuchen 8 und 11 der obigen Tabelle, bei denen 
auf 200 g Zucker jedesmal 100 g Preßhefe derselben Rasse, 
aber von verschiedenen Chargen der Fabrikation herrührend, 
zur Anwendung kamen, in einem Falle nur 0,47 g, im anderen 
dagegen 1,20 g Bernsteinsäure erhalten wurden. Dagegen zeigte 
es sich, daß, wenn die Hefe ein und derselben größeren Probe 
entnommen war, bei gleichmäßig angesetzten Parallelversuchen 
auch fast immer ungefähr dieselbe Ausbeute an Bernsteinsäure 
erzielt wurde (Versuch 15 bis 17), was für die späteren Ver- 
gleichsversuche von Wichtigkeit erscheint. Von allgemeinerer 
Bedeutung ist noch, daß sich aus den Gärversuchen mit Zucker 
und Hefe ergeben hat, daß die Bildung der Bernsteinsäure pro- 
portional der alkoholischen Gärung des Zuckers verläuft. Diese 
Erscheinung war früher irrtümlich immer als Beweis für die 
Entstehung der Bernsteinsäure aus dem Zucker gedeutet worden. 
Sie ist aber vollkommen mit den Anschauungen der hier ent- 
wickelten Theorie vereinbar, wenn man bedenkt, daß der Ei- 
weißstoffwechsel der Hefe normalerweise nur vor sich geht, 
wenn Zucker zugegen ist, und dementsprechend um so mehr 
Aminosäurestickstoff umgesetzt und Bernsteinsäure ausgeschieden 
wird, je mehr Zucker die Hefe vergären kann. Hiermit stimmt 
auch überein, daß bei vollständiger Vergärung ein und desselben 
Gewichtes Zucker mit verschiedenen Mengen derselben Hefe 
stets ungefähr dieselbe Quantität Bernsteinsäure resultieren muß 
(Versuch 12 bis 14), da offenbar unabhängig von der Anzahl 
der vorhandenen Hefezellen die totale Zerlegung des Zuckers 


408 F. Ehrlich: 


in allen Fällen die Umsetzung der gleichen Menge Aminosäure 
herbeiführt. 

Daß die Bernsteinsäurebildung der Hefe sicher mit ihrer 
Stickstoffernährung in Zusammenhang steht, läßt sich übrigens 
schon aus den ersten hier mitgeteilten Versuchen (Nr. 1 bis 5) 
folgern. In diesen Fällen war eine deutliche Erniedrigung der 
Ausbeute an Bernsteinsäure fast um die Hälfte zu konstatieren, 
wenn vor der Gärung außer Zucker noch Aminosäuren wie 
Alanin, Leucin, Asparaginsäure usw. in der Flüssigkeit aufgelöst 
waren. Man muß annehmen, daß bei Gegenwart derartiger 
leicht assimilierbarer Stickstoffverbindungen die Hefe genügende 
Stickstoffnahrung vorfindet und infolgedessen ihr eigenes Eiweiß 
bedeutend weniger angreifen und entsprechend weniger Glut- 
aminsäure und Bernsteinsäure ausscheiden wird. Das geht auch 
aus den folgenden Versuchen hervor, die fernerhin zeigen, daß 
ein Zusatz von Ammonsalzen zu gärenden Zuckerlösungen eben- 
falls in diesem Sinne auf das Hefeeiweiß schützend wirken und 
zugleich mit der Selbstverdauung der Hefe auch die Bernstein- 
säurebildung erheblich einschränken kann. 

Die Versuche wurden mit je 21 10°/,iger Zuckerlösung zu 
gleicher Zeit angesetzt. 






Dauer der Bernstein- 


Versuch | Zucker Hefe |Zugesetze Stickstoff- 


substanz 

















5g Asparagin 
2,5g Ammonium- 
a. 99 phosphat 
4 g Ammonium- 
200 p9 carbonat 


20 


21 


Wenn die Bernsteinsäurebildung selbst durch Zugabe von 
sehr großen Mengen assimilierbarer Stickstoffsubstanzen nicht 
vollständig unterdrückt werden kann, wie die Zahlen der Tabelle 
zeigen, so ist die Ursache darin zu suchen, daß die in sehr 
großem Überschuß vorhandenen, sich gegenseitig beeinflussenden 
Hefezellen auch bei bester Ernährung oder vielleicht gerade 
infolge einer gewissen Übersättigung doch zu einem kleinen Teil 
absterben und dadurch anderen Zellen das Material für die Ent- 
stehung dieser relativ geringen Mengen Bernsteinsäure liefern. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 409 


Die Verhältnisse liegen in dieser Hinsicht ganz ähnlich wie bei 
der Fuselölbildung. 


Bernsteinsäurebildung bei Zusatz von Glutaminsäure und 
ihre Beeinflussung durch andere Stickstoffsubstanzen. 


Es war nun weiter zu untersuchen, bis zu welchem Grade 
gärenden Zuckerlösungen zugesetzte Glutaminsäure von der Hefe 
umgesetzt und zu Bernsteinsäure verarbeitet wird. In dem 
ersten oben mitgeteilten Versuch (Nr. 6), bei dem 200 g Zucker 
mit 100 g Preßhefe unter Zusatz von 10 g Glutaminsäure ver- 
goren waren, betrug die Ausbeute an Bernsteinsäure 3,1 g, d. h. 
also nur 39°/, der Theorie. Offenbar war bei diesem Versuch 
die angewandte Quantität Hefe und Zucker zur Bewältigung so 
großer Mengen der Aminosäure nicht genügend, so daß ein 
großer Teil derselben unangegriffen blieb, von dem sich dann 
auch die Hauptmenge aus der wässerigen mit Äther extrahierten 
Gärungsflüssigkeit nach Entfernung der Schwefelsäure und Ein- 
dampfen wieder zurückgewinnen ließ (ca. 4 g). 


Prozente der 









La ` 8 l, 

© | Lë | wFj8 2 |theoret. Aus- 

E 8 BEI E 93,3 beute auf zu- 

N 3 IEN | Da | gesetzte Glut- 
= |80.9 M | aminsäure 





Heferasse XII frisch 


Dieselbe Hefeprobe nach 
3tägigem Stehenlassen in 
2 1l Wasser ausgewaschen 

und abgesaugt 


Dieselbe Hefeprobe wie Nr. 22 
nach vorheriger Vergärung 
von 200 g Rohzucker (mit 
anhängender Melasse) aus- 
gewaschen und abgesaugt 


a | Versuch Nr. 


25120011001 3| 2 1215 89,6 
261200| 50) 5| 6 12,08 50,8 Rasso XII frisch 
27 |200|100) 1| 3 |105 131 
28|200|100) UI 4 1,18) 148 

20011001 — | 3 11,20 
29 | 200| 100 1 2 11,67 209 Von derselben Probe Rasse 
30 | 200/100) 1 2 11,65 206 XII zu gleicher Zeit parallel 
31l200)100| 2| 2 aan 139 angesetzt 
32]200/1ı00| 3| 2 |37 113 

300| 50| — | 7 10,89 ein Bierhefe ab- 
33|300| 50! 5| 10 |1,8 gepreßt 


410 F. Ehrlich: 


In der vorstehenden Versuchsreihe wurden wechselnde Mengen 
von Glutaminsäure wieder in 21 Wasser mit Zucker und Hefe 
vergoren, die zu verschiedenen Zeiten entnommen und in ein- 
zelnen Fällen, wie nebenbei bemerkt, besonders vorbehandelt war. 

Wie die Resultate der Versuche zeigen, erhält man bei 
der Vergärung von Zucker mit Hefe unter Zusatz von Glutamin- 
säure sehr unregelmäßig schwankende Ausbeuten an Bern- 
steinsäure, was in ähnlicher Weise, wie früher erörtert, vor 
allem auf die Beschaffenheit der jeweilig angewandten Hefe 
zurückzuführen ist, da die Versuche sonst vollkommen gleich- 
mäßig angesetzt waren. Als wichtigste Tatsache ist jedenfalls 
festzustellen, daß bei Gegenwart von viel Glutaminsäure als 
einziger Stickstoffsubstanz in gärenden Zuckerlösungen gegen- 
über den Versuchen ohne Zusatz immer eine deutliche Steigerung 
der Bernsteinsäuremenge eintritt. Sehen wir von den ersten 
drei Versuchen (Nr. 22 bis 24) ab, bei denen im Verhältnis zur 
Glutaminsäure zu wenig Zucker und Hefe angewandt wurde, so 
beträgt in den übrigen Fällen aus der entstandenen Quantität 
Bernsteinsäure berechnet die scheinbare Ausnutzung der vor- 
gelegten Glutaminsäure 50,8 bis 209°/, Bei allen Versuchen, 
wo eine relativ geringe Menge Glutaminsäure mit einer hierzu 
genügenden Menge Zucker und Hefe vergoren wurde, ist 
also, besonders wenn die Hefe stickstoffarm war und einen 
dementsprechend großen „Stickstoffhunger‘‘ besaß, sehr wahr- 
scheinlich die chemische Umwandlung der Aminosäure in Bern- 
steinsäure durch die Hefe vollkommen quantitativ verlaufen. 
Wenigstens ließ sich in keinem dieser Versuche aus der ver- 
gorenen Lösung Glutaminsäure wieder isolieren, was immer 
möglich war, wenn die Ausbeute an Bernsteinsäure die theo- 
retisch berechnete wesentlich unterschritt. Die Tatsache, daß 
bei Zusatz von relativ geringen Mengen Glutaminsäure eine 
Ausbeute von über 100°/,, ja bis 209°/, der Theorie zu ver- 
zeichnen war (Versuche Nr. 27 bis 32), ist nicht, wie man erst 
annehmen könnte, dahin zu deuten,’ daß in diesen Fällen eine 
mehrfache Ausnutzung ein und derselben vorgelegten Menge 
Glutaminsäure stattgefunden hat. Vielmehr muß man sich vor- 
stellen, daß die Hefe erst diese kleine vorgesetzte Quantität 
Aminosäure verarbeitet, dann aber infolge Stickstoffmangels 
gezwungen ist, ihr eigenes Eiweiß genau so anzugreifen, als 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 411l 


wenn von vornherein kein Stickstofizusatz zur Gärflüssigkeit 
erfolgt ist. Die hierbei entstehende Bernsteinsäure addiert sich 
zu der aus der zugefügten Glutaminsäure abgespaltenen, und so 
kann es kommen, daß in der fertig vergorenen Lösung schließlich 
das Doppelte oder mehr der theoretisch zu erwartenden Quantität 
Bernsteinsäure vorhanden ist. Die bei derartigen Versuchen 
beobachteten Mehrausbeuten sind also nur scheinbare und 
erklären sich leicht aus dem eigenartigen Stickstoffumsatz der 
gärenden Hefe, besonders wenn man die entsprechenden Gär- 
versuche mit Zucker und derselben Hefe allein ohne Zusatz 
zum Vergleich heranzieht. Besonders hervorzuheben sind in 
dieser Hinsicht die Resultate der Versuche Nr. 29 bis 32, die 
sämtlich mit gleichen Mengen Zucker und derselben frisch be- 
zogenen Hefe zu gleicher Zeit angestellt waren. Diese Hefe 
besaß zufällig die Eigenschaft schon bei Vergärung mit Zucker 
für sich sehr beträchtliche Mengen Bernsteinsäure abzuscheiden 
(1,2 g). Bei Zufügung von Glutaminsäure (1,2 und 3 g) ließ 
sich zwar deutlich ein ungefähr proportionales Ansteigen der 
Bernsteinsäure beobachten, doch muß bei allen diesen Versuchen 
aus dem Eiweiß der Hefe autolytisch abgespaltene Glutamin- 
säure mitgewirkt haben, da selbst bei dem Maximalzusatz der 
Aminosäure (3 g) die Ausbeute an Bernsteinsäure immer noch 
die theoretisch berechnete übersteigt (113°/,). Daß es sich hier 
nicht um Versuchsfehler handelt, zeigen die beiden parallel mit 
je 1g Glutaminsäure angesetzten Gärversuche (Nr. 29 und 30), 
bei denen jedesmal die fast genau gleiche Ausbeute an Bern- 
steinsäure gewonnen wurde (1,65 und 1,67 g). 

Um festzustellen, ob etwa in dem der Preßhefe noch an- 
hängenden Wasser oder im Innern ihrer Zellen gelöste Stoffe 
sich befinden, welche die Bernsteinsäurebildung aus Glutamin- 
säure beeinflussen könnten, wurden 100 g der benutzten Hefe, 
bevor sie auf 10 g Glutaminsäure zur Einwirkung kamen, in 
21 destilliertem Wasser suspendiert, 3 Tage unter wiederholtem 
Schütteln aufbewahrt, dann abgesaugt und mit viel Wasser 
nachgewaschen (Versuch 22 und 23). Die nach dieser Operation 
mit 200 g Zucker angesetzte Hefe lieferte bei der Gärung fast 
genau dieselbe Menge Bernsteinsäure wie die direkt benutzte 
(1,90 resp. 1,92 g). Wesentlich weniger Bernsteinsäure erhält 
man aber, wenn man Glutaminsäure mit einer Hefe vergärt, 


412 F. Ehrlich: 


die vorher schon eine beträchtliche Gärarbeit geleistet hat, wie 
z. B. im Versuch 24, wo dieselbe vorher zur Vergärung von 
200 g Rohzucker, der ungefähr 10°/, Melasse enthielt, verwendet 
war. Ob in diesem Falle die geringere Assimilationsfähigkeit 
der Hefe für Glutaminsäure darauf beruht, daß sie sich bereite 
mit Stickstoff aus der Melasse angereichert hatte, bleibt unent- 
schieden. 

Besonders wichtig erscheint die Beeinflussung der Bernstein- 
säurebildung aus zugesetzter Glutaminsäure durch die Gegenwart 
von andern Stickstoffsubstanzen. Fügt man außer Glutaminsäure 
zu einer mit Hefe gärenden Zuckerlösung noch lösliche, leicht 
assimilierbare Stickstoffverbindungen, so wird stets ganz bedeutend 
weniger Bernsteinsäure gebildet, als wenn man die Glutaminsäure 
für sich in der betreffenden Flüssigkeit löst. Bei Zugabe von 
Substanzen mit leicht verseifbarem Stickstoff, wie Asparagin, oder 
von einfachen Ammoniaksalzen kann man selbst bei Anwesenheit 
von viel Glutaminsäure die Entstehung der Bernsteinsäure bei 
der Gärung auf einen minimalen Betrag ähnlich wie bei den 
Versuchen ohne Glutaminsäure zurückdrängen: 


Außerdem zugesetzte | Bernstein- 





Stickstoffsubstanz säure 
8 — 
— 2,03 
Be Asparagin 0,29 
4 g Ammoniumcarbonat 0,13 


| 5 g Ammoniumphosphat 0,21 


Die Bernsteinsäurebildung bei der alkoholischen Gärung 
verläuft also auch in dieser Hinsicht vollkommen analog der 
Entstehung des Fuselöls. Zugleich sind die Resultate dieser 
Versuche ein erneuter Beweis dafür, daß die Assimilation der 
Aminosäuren durch die Hefe in der Weise erfolgt, daß erst 
Ammoniak daraus abgespalten wird und dieses, nicht das ganze 
Molekül der Aminosäure, zum Eiweißaufbau verwendet wird, 
daß aber der dabei abgesprengte stickstofffreie Teil als unver- 
wertbar aus dem Stoffwechselprozeß ausscheidet. Denn wenn 
man der Hefe neben Aminosäuren Stickstoffverbindungen mit 
leicht verseifbarem Stickstoff oder Ammonsalze, bei denen eine 
Spaltung überhaupt nicht erforderlich ist, darbietet, so bevorzugt 





Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 413 


sie diese und läßt die Aminosäuren fast unberührt, was auch 
aus den obigen Versuchen mit Sicherheit zu folgern ist. 


Die Notwendigkeit der Gegenwart des Zuckers für die 
Bernsteinsäurebildung. 


Weiterhin war nun noch die Frage zu prüfen, ob die Re- 
aktion der Bernsteinsäurebildung bei der Hefegärung auch in 
Abwesenheit von Zucker erfolgen kann und ob auch durch 
direkte Einwirkung von Hefe auf Glutaminsäure Bernsteinsäure 
in nennenswerten Mengen auftritt. 

Zu diesem Zwecke wurde frische Preßhefe Rasse XII in 
21 Wasser, das durch mehrstündiges Kochen sterilisiert war, in 
einem Kolben mit Schwefelsäuregärverschluß suspendiert und 
längere Zeit bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Ein gleicher 
Versuch wurde mit einer Lösung von 5g Glutaminsäure in 2] 
Wasser angestellt. Beide Flüssigkeiten wurden mit und ohne 
Zusatz von 10 ccm Chloroform als Antisepticum angesetzt. Nach 
Beendigung der Versuche geschah die Verarbeitung auf Bern- 
steinsäure in der üblichen Weise. 








Die ohne Chloroform aufbewahrten Lösungen zeigten un- 
gefähr 1 Woche lang normales Aussehen, dann trübte sich die 
über der abgelagerten Hefe befindliche Flüssigkeit unter schwacher 
Gasentwicklung allmählich und nahm gegen Ende der Versuche 
einen schwach fauligen Geruch an. Die entstandene Menge 
Bernsteinsäure ist in allen Lösungen äußerst minimal. Man kann 
sich die Bildung dieser Spuren Substanz, die außerdem nur 
stark verunreinigt erhalten werden konnten (Smp. 170 bis 180°), 
so erklären, daß das Glykogen der Hefe in diesem Falle den 
für die Bernsteinsäurebildung erforderlichen Zucker geliefert hat, 


414 F. Ehrlich: 


durch dessen Gärung die bei der Autolyse der Hefe in kleinsten 
Mengen abgespaltene Glutaminsäure weiter zerlegt wurde. Auch 
aus künstlich zugesetzter Glutaminsäure bildete sich nur sehr 
wenig Bernsteinsäure mehr (Versuch 39). Vielleicht sind auch 
bei diesen Versuchen Spuren Bernsteinsäure durch Fäulnis ent- 
standen, wie dies bei der DI Jahre aufbewahrten Lösung, nach 
dem Aussehen und Geruch zu schließen, sicher der Fall war. 
Etwas größere Mengen Bernsteinsäure wurden aus der mit 
Chloroform angesetzten Hefe erhalten, doch scheinen diese im 
wesentlichen ein Produkt der Autolyse allein zu sein, bei der, 
wie früher erwähnt, Bernsteinsäure häufig beobachtet ist. 
Wahrscheinlich wird auch bei der Autolyse die Bernsteinsäure 
aus Glutaminsäure gebildet, doch ist hier immer noch die 
Möglichkeit gegeben, daß auch andere Aminosäuren bei ihrer 
Entstehung im Spiel sind. Darauf könnte vielleicht hindeuten, 
daß in dem Versuch mit Zusatz von Glutaminsäure (Versuch 42) 
nicht mehr, sondern weniger Bernsteinsäure aufgetreten ist.!) 

Allgemein läßt sich meiner Ansicht nach aus diesen Unter- 
suchungen analog den bei der Fuselölbildung gemachten Be- 
obachtungen herleiten, daß der Zucker für die Entstehung der 
Bernsteinsäure bei der alkoholischen Gärung unentbehrlich ist 
und daß die Hefe bei Abwesenheit von Zucker nicht imstande 
ist, Glutaminsäure zu Bernsteinsäure zu vergären. Denn wenn 
man zu derselben Menge Hefe (100 g), bei deren Einwirkung 
auf 5 g Glutaminsäure allein nach 4 Wochen im günstigsten 
Falle 0,05 g Bernsteinsäure entstehen, 200 g Zucker setzt und 
diese zusammen mit der angegebenen Menge Glutaminsäure 
vergärt, so wird innerhalb von 3 Tagen 2,03 g derselben Säure 
gebildet. Gerade aus den Resultaten dieser Versuche scheint 


1) E. Salkowski nimmt neuerdings (Zeitschr. f. physiol. Chem. 
54, 400, 1908) an, daß die bei der Autolyse der Hefe entstehende Bern- 
steinsäure sich vielleicht aus Arginin durch Oxydation bildet. Wenn 
auch ein solcher Vorgang bei der Autolyse wohl möglich wäre, so glaube 
ich doch, daß bei normaler Gärung das Arginin einen Abbau in wesent- 
lich anderer Richtung erleidet, nämlich zu Butylenglycol CH,(OH).CH, 
.CH,.CH,(OH), indem CO, abgespalten und der Guanidin- und Amid- 
gruppe durch OH ersetzt wird. Butylenglycole CH, al sind bei der 
Hefegärung schon mehrmals nachgewiesen worden. (Claudon und 
Morin, Compt. rend. 104, 1109, 1887; HenningerundSanson, Journ. 
pharm. chim. 15, 628, 1887.) 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 415 


mir im Verein mit anderen Befunden die notwendige Folgerung 
hervorzugehen, daß die für die Eiweißsynthese der Hefe 
erforderlichen kohlenstoffhaltigen Bausteine im Zucker 
zu suchen sind und bei seiner Vergärung sich abspalten, 
und daß die alkoholische Gärung vielleicht überhaupt 
nur den Zweck hat, die nötige Energie und das Kohlen- 
stoffmaterial für den Eiweißaufbau der Hefe zu liefern. 


Versuche mit Aceton-Dauerhefe. 


Es blieb noch die Beantwortung der Frage übrig, ob die 
Bernsteinsäurebildung aus Glutaminsäure als eine enzymatische 
Reaktion der Hefezellen ähnlich der alkoholischen Gärung auf- 
zufassen ist, die sich von der lebenden Hefezelle abtrennen 
läßt oder ob sie mit dieser unlösbar verbunden ist und zugleich 
mit dem Absterben des Hefeplasmas aufhört.' 

Zur Entscheidung dieser Frage wurden einige Gärversuche 
mit Buchnerscher Acetondauerhefe ‚„Zymin‘ angestellt, der 
neben Zucker in steigenden Mengen Glutaminsäure zugefügt 
wurde. Die Versuche wurden mit 1, 2 und be Glutaminsäure 
ausgeführt, die zusammen mit je 80 g Zucker in je 200 ccm 
destilliertem Wasser aufgelöst und mit 40 g Zymin unter Zusatz 
von je eem Toluol bei Zimmertemperatur 3 bis 4 Wochen lang 
vergoren wurden. Nach Beendigung der Versuche wurden die 
einzelnen Gemische mit Wasser verdünnt, filtriert, der Rück- 
stand gut ausgewaschen, das Filtrat aufgekocht, mit Alkohol 
zur vollständigen Fällung der Eiweißstoffe versetzt, wieder fil- 
triert, eingedampft, mit Wasser aufgenommen und aus der an- 
gesäuerten Flüssigkeit mit Äther die Bernsteinsäure extrahiert. 
In ähnlicher Weise wurden außerdem 40 g Zymin für sich 
mit 1 l] heißem Wasser längere Zeit aufgekocht, das Gemisch 
dann filtriert und nach sorgfältigem Auswaschen das gesammelte 
Filtrat auf Bernsteinsäure untersucht. Die in allen Versuchen 
in nur sehr geringen Mengen isolierte Bernsteinsäure war stets 
durch Verunreinigungen bräunlich gefärbt und schmolz unregel- 
mäßig zwischen 176 bis 184°. 

Die Versuche lassen zunächst eine sehr erhebliche Schä- 
digung der Zymasegärung proportional der zugesetzten Menge 
Glutaminsäure erkennen. Diese ungünstige Beeinflussung, deren 


416 F. Ehrlich: 


Ursache in der Wirkung der starken Acidität der Glutamin- 
säure auf die Zymase zu suchen und die auch ähnlich schon 
bei andern Säuren beobachtet ist!), steigert sich bei dem Maxi- 
malzusatz von 5 g Glutaminsäure derartig, daß die Gärung 
schon in ca. 14 Tagen aufhörte und daß sich im ganzen über- 
haupt nur 0,58 g CO, bildeten. Immerhin war die ungefähr 
4 Wochen andauernde Gärung bei den Versuchen mit Zusatz 
von 1 und 2 g Glutaminsäure derartig intensiv verlaufen, daß 
man die hierbei erhaltenen Resultate wohl mit denen des Ver- 
suchs ohne Aminosäurezusatz in Vergleich ziehen kann. 






Entwiokeltes . 
Kohlen- |Bernstein- 


dioxyd Säure 


Versuch |Zucker Glutamin- Dauer der 
säure |Gärung in 





Als Ergebnis der Gärversuche kann man ansehen, daß 
die abgetötete Hefezelle, die noch Gärvermögen be- 
sitzt, nicht imstande ist, Glutaminsäure in Bernstein- 
säure überzuführen und auch selber bei der Gärung 
keine Bernsteinsäure bildet. Denn in allen Versuchen 
ließen sich innerhalb der Fehlergrenzen jedesmal nur dieselben 
Spuren Bernsteinsäure abscheiden, die auch aus der gleichen 
Quantität Zymin direkt durch Extraktion mit Wasser und Äther 
zu erhalten waren. Dieses Resultat steht vollkommen im Ein- 
klang mit den Angaben E. Buchners*) und seiner Mitarbeiter, 
daß bei der Gärung von Hefepreßsaft Bernsteinsäure nicht 
auftritt, und mit den analogen Beobachtungen über das Verhalten 
des Leucins, die gezeigt haben, daß Acetondauerhefe auch bei 
Vergärung von Zucker zur Fuselölbildung nicht befähigt ist und 
Leucin überhaupt nicht angreift. °) 

Daß auf andre Weise abgetötete Hefe selbst bei Gegen- 
wart von Zucker ebenfalls nicht Glutaminsäure in Bernstein- 


1) Buchner und Hahn, Die Zymasegärung 1903, 144. 

23) E. Buchner mit Rapp und Meisenheimer a. a. O. 

3) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem; Ges. 39, 4072, 1906. — 
H. Pringsheim; ebenda 39, 3713, 1906. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 417 


säure verwandeln kann, zeigt der folgende Versuch. 100 g 
Preßhefe wurden in einer Lösung von 3 g Glutaminsäure in 
21 Wasser, die mit 20 com Chloroform versetzt waren, 3 Tage 
bei Zimmertemperatur aufbewahrt. Darauf wurden 200 g 
Zucker in der Flüssigkeit aufgelöst und die Lösung in dem- 
selben Kolben unter Verschluß mit einem Wattebausch noch 
10 Tage stehen gelassen. Eine Gärung war in dieser Zeit nicht 
zu beobachten. In der wie üblich verarbeiteten Lösung wurden 
0,12 g Bernsteinsäure gefunden, also nicht mehr als auch bei 
gleich langer Aufbewahrung derselben Menge Hefe in Chloro- 
formwasser zu erhalten ist. 

Demnach muß man ebenso wie bei der Fuselölbildung 
annehmen, daß die Entstehung der Bernsteinsäure wahrschein- 
lich auf sehr empfindliche Enzyme zurückzuführen ist, die den 
Eiweißaufbau der Hefe vermitteln und die man mit den bisher 
gebräuchlichen Methoden von der lebenden Hefezelle nicht ab- 
trennen kenn. 7 


Der chemische Verlauf der Bernsteinsäurebildung aus 
Glutaminsäure. 


Was den chemischen Verlauf der Reaktion der Bernstein- 
säurebildung aus Glutaminsäure anbetrifft, so erscheint dieser 
zunächst sehr auffallend, wenn man dabei das Schema in Be- 
tracht zieht, nach dem die Hefe die bisher untersuchten Mono- 
aminosäuren bei der Gärung abbaut. Zufolge der früher ent- 
wickelten allgemeinen Gleichung für die alkoholische Gärung 
der Aminosäuren hätte man erwarten sollen, daß aus Glut- 
aminsäure neben Ammoniak und Kohlensäure y-Oxybuttersäure 
entsteht : 

CO, H. CH, . CH, -.CH(NH,).CO,H + H,O 
Glutaminsäure 

-+ C0,H.CH,.CH,.CH,OH-- NH, + CO, 
y-Oxybuttersäure 


1) Die neueren Angaben Effronts (Compt. rend. 146, 779, 1908); 
daß man durch Alkali bei 40° aus Hefe eine ammoniak- und fettsäure- 
bildende ,„„Amidase“ abscheiden kann, sind nicht zutreffend. Die beobach- 
teten Wirkungen sind auf Fäulnisvorgänge zurückzuführen, wie ich in 
einer späteren Arbeit zeigen werde. 

Biochemische Zeitschrift Band 18. 27 


418 F. Ehrlich: 


Statt dessen bildet sich bei der Vergärung der Glutamin- 
säure, und zwar unter geeigneten Bedingungen in so gut wie 
quantitativer Ausbeute, Bernsteinsäure, indem die scheinbar 
intermediär abgespaltene y-Oxybuttersäure weiter oxydiert wird: 

CO,H.CH,.CH,.CH,OH +20, 

= C0,H.CH,.CH,.C0O,H + HO 
Wenn ein solcher Reaktionsverlauf auch im Bereich der Mög- 
lichkeit liegt, so fehlt es doch an Beispielen für eine derartige 
physiologische Oxydation einer y-Oxysäure zu der entsprechen- 
den Dicarbonsäure, die man hiermit in Parallele setzen könnte. 
Auch ist nicht recht einzusehen, warum die Reaktion beim 
Leucin fast quantitativ zum entsprechenden Alkohol und nur 
in geringsten Mengen zur Valeriansäure führt, wenn man nicht 
etwa annehmen will, daß die Anwesenheit der zweiten Carb- 
oxylgruppe den Abbau der Glutaminsäure zu einer Dicarbon- 
säure begünstigt. Schließlich sei erwähnt, daß bisher trotz 
vielfacher Versuche in den vergorenen Lösungen der Glutamin- 

säure y-Oxybuttersäure nicht nachzuweisen war. 

Ich glaube nun Anhaltspunkte dafür zu haben, daß ein 
anderer chemischer Verlauf nicht allein der Bernsteinsäurebildung, 
sondern der alkoholischen Aminosäurengärung allgemein viel 
größere Wahrscheinlichkeit besitzt. 

Schon in der ersten Arbeit über die Fuselölbildung!) im 
Jahre 1905 und in einer späteren Arbeit in dieser Zeitschrift 
war auf die chemisch so leicht eintretende Spaltung der 
Milchsäure in Acetaldehyd und Ameisensäure 

CH,.CHO:H.CO,H 

hingewiesen worden und darauf aufmerksam gemacht, daß der 
Abbau des Leucins zu Amylalkohol durch die Hefe sich viel- 
leicht analog vollzieht, indem zuerst durch Ammoniakabspaltung 
unter Wasseranlagerung aus Leucin Leucinsäure entsteht. Die 
Leucinsäure spaltet sich dann in Ameisensäure und Valer- 
aldehyd, der zum größten Teil von reduzierenden Enzymen der 
Hefe zu Amylalkohol reduziert, zu einem kleinen Teil von 
Oxydasen zu Valeriansäure oxydiert wird entsprechend dem 
Schema : 


1) F. Ehrlich, Zeitschr. d. Ver. Deutsch. Zuckerind. 55, ae 1908. 
— Diese Zeitsohr. 2, 52, 1906. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung 419 


Leucin 


CH, 
m0" .CH,.CH(NH,).CO,H 


Leucinsäure | 
CH, 
CH.CH,.CHO H.CO,H 
CH, a 


3 : 
Valeraldehyd : Ameisensäure 


Te von _"\CH.CH,.00,H 
Dee s cH/ OH, OO, 
Amylalkohol Valeriansäure 

Tatsächlich sind auch sowohl Ameisensäure wie Valer- 
aldehyd und Valeriansäure, wenn auch in geringen Mengen häufig 
bei der Gärung beobachtet worden. Im Einklang mit dieser 
Theorie steht ferner, daß es mir gelang, bei der Vergärung der 
Phenylamidoessigsäure C,H,. CH(NH,).CO,H die Entstehung von 
Benzaldehyd nachzuweisen. ?) 

Es spricht nun sehr viel dafür, daß ganz analog auch der 
Abbau der Glutaminsäure durch die Hefe vor sich geht, und 
vielleicht bietet gerade die Bernsteinsäurebildung eine sehr 
wesentliche Stütze für die hier entwickelte Ansicht von dem 
Verlauf der Aminosäurengärung. Nimmt man nämlich an, daß 
aus der Glutaminsäure von der Hefe zuerst Ammoniak ab- 
gespalten und Wasser angelagert wird, so würde die Oxyglutar- 
säure entstehen. Es wäre nun denkbar, daß diese sich in 
Ameisensäure und den Halbaldehyd der Bernsteinsäure spaltet, 
dessen äußerst leichte Autoxydation aus der Arbeit mehrerer 
Forscher?) bekannt ist und der intermediär bei der Gärung 
auftretend sofort durch die Einwirkung von Hefeoxydasen und 
des Luftsauerstofls quantitativ zu Bernsteinsäure oxydiert würde, 
so daß sich also der Verlauf der Glutaminsäure-Gärung durch 
folgendes Schema darstellen ließe: 


1) F. Ehrlich, Ber. d. Deutsch. chem. Ges, 40, 1047, 1907. 
2) Perkin jun. und Sprankling, Journ. Chem. Society 75, 11, 
1399. — Harries und Alefeld, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 42; 159, 1909; 
27° 


420 F. Ehrlich: 


CO,H CO,H HCO,H 

| | Ameisensäure 

CHNH, CHOH CHO ae 

| | | 

CH, —> CH, — CH, — CH, 

| l | 

CH, CH, CH, CH 

| | 

CO,H . C0,H CO,H CO,H 
Glutaminsäure Oxyglutarräure Bernsteinsäure- Bernsteinsäure 

halbaldehyd 


Ein derartiger Reaktionsverlauf würde auch erklären, daß der 
Abbau der Glutaminsäure vollkommen einseitig verläuft und 
Nebenprodukte, wie der Aldehyd und die Oxysäure, nicht auf- 
treten. 

Wendet man das gleiche Schema auf das nächst niedere 
Homologe der Glutaminsäure, die Asparaginsäure, an, so wäre 
zu erwarten, daß auch diese in analoger Weise über die ent- 
sprechende Oxysäure, die Äpfelsäure, von der Hefe abgebaut 
wird, wobei Malonsäure entstehen müßte: 

Apfelsäure ` 
CO,H.CH,.CHO :H.CO,H 
Halbaldehyd der Malonsäure : Ameisensäure 


CO,H.CH,.CO,H 
Malonsäure 

Trotz vielfacher Versuche gelang es nun bisher nicht, diese 
Säure bei der Vergärung der Asparaginsäure zu isolieren. Aus 
dem Ätherextrakt schied sich vielmehr stets nur ein eigentüm- 
‚lich riechendes, in Wasser unlösliches und wachsartig erstarrendes 
Öl ab, dessen Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Es 
erscheint nicht unmöglich, daß in diesem ein der Cumalinsäure 
ähnliches Kondensationsprodukt des theoretisch zu erwartenden 
Malonsäurehalbaldehyds vorliegt, dessen äußerst leichte Neigung 
zur Ringschließung aus den Untersuchungen v. Pechmanns!) 
bekannt ist. 

Es sei noch erwähnt, daß auch bereits von anderer Seite 
Arbeiten vorliegen, die für die hier entwickelte Theorie über 
den chemischen Verlauf der Aminosäurengärung sprechen und 
sie als sehr wahrscheinlich hinstellen. So hat bereite vor 


1) v. Pechmann, Liebigs Annalen 264, 261, 1891. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 421 


längerer Zeit unabhängig von mir H. Schade!) für den che- 
mischen Vorgang der alkoholischen Gärung selbst die Ansicht 
entwickelt, daß die intermediär aus Zucker entstandene Milch- 
säure zunächst in Acetaldehyd und Ameisensäure zerfällt. 
Schade nimmt aber dann weiterhin an, daß diese beiden Ver- 
bindungen durch gegenseitige Oxydation und Reduktion nur 
Alkohol und Kohlensäure liefern: 


CH,.CHOH.CO,H —CH,CHO + HCO,H — 
CH,CH,OH -+ CO, 


Noch beweisender erscheint mir, daß es neuerdings auch gelungen 
ist, Aminosäuren auf chemischem Wege genau so, wie ich zuerst 
für die Hefe angenommen habe, zu spalten. So beobachtete 
C. Neuberg, daß Aminosäuren durch die katalytische Wirkung 
des Sonnenlichtes?) sowie durch den elektrischen Strom?) in 
Aldehyd, Ameisensäure und Ammoniak zerfallen, und dieselbe 
Spaltung konnte D Dakin*) durch Oxydation mit Wasserstoff- 
superoxyd erzielen. 

Es sei noch in dieser Hinsicht hervorgehoben, daß auch 
bei der Vergärung von Aminosäuren sich stets Ameisensäure 
in den vergorenen Lösungen nachweisen läßt. Ihre Menge ist 
aber nur sehr gering, und zwar bedeutend geringer als nach 
der Theorie zu erwarten wäre, auch entsteht ungefähr die 
gleiche Quantität bei der Vergärung von Hefe und Zucker ohne 
Zusatz, so daß vorläufig nicht ohne weiteres anzugeben ist, 
welchen Anteil die Aminosäuren an dem Auftreten von Ameisen- 
säure bei der Gärung haben. Ein Licht auf diese eigentüm- 
lichen Verhältnisse wirft aber die Tatsache, daß ich im Verfolg 
einer schon von Duclaux°) angekündigten Beobachtung nach- 
weisen konnte, daß die Hefe für sich und bei der Gärung 
nicht unbeträchtliche Mengen zugesetzter Ameisensäure zer- 


1) H. Schade, Die Bedeutung der Katalyse für die Medizin, Kiel 
1907, S. 108. 

s) C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 306, 1908. 

3) C. Neuberg, diese Zeitschr. 17, 270, 1909: 

*) Journ. of Biolog. Chem, 4, Nr. 1, 63, 1908. — Die Bildung von 
Valeraldehyd allein bei der Oxydation von Leucin mit H,O, haben schon 
früher C.Neuberg und F. Blumenthal, Deutsche med. Wochenschr. 1901; 
Nr. 1; Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 2, 238, 1902, beobachtet, 

5) Duclaux, Annales de l’Inst. Pasteur 6, 593, 1892. 


422 F. Ehrlich: 


legt, und zwar wahrscheinlich in Kohlendioxyd und Wasser. 
Hierüber werde ich demnächst Näheres mitteilen. Es er- 
scheint also wohl möglich, daß die Hefe, die übrigens an und 
für sich gegen größere Mengen Ameisensäure ziemlich empfind 
lich ist, die bei der Vergärung der Aminosäuren sukzessiv sich 
abspaltende Ameisensäure weiter zerlegt, so daß also bei be- 
endigter Gärung von dieser Säure stets nur geringe Mengen 
übrig bleiben. Vielleicht bildet diese ‚„Ameisensäuregärung‘“ 
neben der alkoholischen Gärung für den Eiweißaufbau der Hefe 
eine besondere Energiequelle. 

Zum Schluß möchte ich noch als Hauptresultat dieser 
Arbeit betonen, daß der Vorgang der Bernsteinsäure 
bei der alkoholischen Hefegärung in voller Analogie 
mit der Fuselölbildung verläuft, so daß also die für 
den letzteren Vorgang früher abgeleiteten Bedingungen 
durch die vorliegenden Untersuchungen eine erneute 
Bestätigung erfahren haben. Daß das Auftreten dieser 
Gärungsnebenprodukte in den natürlichen Maischen genau so 
zu erklären ist wie bei künstlichen Gemischen, unterliegt wohl 
keinem weiteren Zweifel. Gerade die Glutaminsäure ist ja ein 
weitverbreitetes Eiweißspaltungsprodukt, das sich besonders in 
Pfianzenstoffen, die als Rohmaterial für die Gärung dienen, 
vorfindet und das z. B. aus dem Gliadin des Weizens und 
Roggens und dem Hordein der Gerste bis zu 36°/, isoliert 
worden ist.!) Es ist sehr wahrscheinlich, daß auch für die 
meisten andern Bernsteinsäure produzierenden Pilze und Bak- 
terien, besonders auch bei der Fäulnis, Glutaminsäure das Aus- 
gangsmaterial bildet. 

Es bleibt noch übrig darauf hinzuweisen, daß durch den 
jetzt sicher geführten Nachweis, daß das Fuselöl und die Bern- 
steinsäure Eiweißstoffwechselprodukte der Hefe und nicht Zer- 
fallprodukte des Zuckers sind, das chemische Bild der alko- 
holischen Zuckerspaltung durch die Hefe resp. die Zymase ein 
wesentlich einfacheres geworden ist. Da es neuere Beobach- 
tungen ebenfalls zweifelhaft gemacht haben, ob die Entstehung 
von Milchsäure?) und flüchtigen Säuren auf normale Gärung 


1) E. Abderhalden, Neuere Ergebnisse auf dem Gebiete der 
speziellen Eiweißchemie. Jena 1909. 
2) Slator, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 40, 123, 1907. 


Über die Entsteh. der Bernsteinsäure bei der alkohol. Gärung. 423 


des Zuckers zurückzuführen ist, so kommt neben Kohlen- 
dioxyd und Alkohol eigentlich nur das Glycerin noch als 
Gärungsprodukt in Betracht. E. Buchner und Meisen- 
heimer!) haben nun zwar nachgewiesen, daß Glycerin bei der 
Gärung des Hefepreßsaftes in Mengen von 3 bis 8°/, des ver- 
gorenen Zuckers auftritt. Angesichts der Erfahrungen aber, 
wie sie jetzt bei der Untersuchung der Fuselöl- und Bernstein- 
säurebildung gewonnen sind, erscheint der Schluß nicht ganz 
unberechtigt, daß auch das Glycerin einen anderen Ursprung 
haben kann und nicht aus dem Zucker, sondern wie ich glauben 
möchte, vielleicht aus Nucleinsubstanzen der Hefe entsteht, 
die auch im Preßsaft in nicht geringen Mengen enthalten sind. 
Sollte sich diese Vermutung bei den weiteren Untersuchungen 
der Frage bestätigen, so würde, wenn wir von den Zucker- 
resten abseben, die zum Eiweißaufbau der Hefe dienen, die 
alte, einst von Pasteur gestürzte Gay-Lussacsche Gärungs- 
gleichung 
C,H, ,0, = 2 C0, + 2 C,H,0 

von neuem Gültigkeit erlangen und wäre demnach in ihre 
früheren Rechte wieder einzusetzen. 


1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 39, 3203, 1906. 


Biochemische Umwandlung von Asparagin und Aspara- 
ginsäure in Propionsäure und Bernsteinsäure. 
Von 
Carl Neuberg, Berlin und Cesare Cappezzuoli, Florenz. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der 
Universität zu Berlin.) 


Im Verlaufe verschiedener Untersuchungen über die Fäul- 
nis von Eiweißkörpern und Aminosäuren war es dem einen!) 
von uns gelungen, Klarheit über den bisher unbekannten Abbau 
der Aminodicarbonsäuren (Glutaminsäure, Asparaginsäure) 
durch Fäulniserreger zu gewinnen. Das prinzipiell wichtige 
Resultat jener Arbeiten war, daß diese Gruppe von Eiweiß- 
spaltungsprodukten durch ubiquitäre Bakterien in der Weise 
verändert wird, daß dieselben sowohl eine Desamidierung als 
Carboxylabspaltung erfahren, zwei Umwandlungen, die bei den 
übrigen Aminosäuren in der Regel getrennt verlaufen, indem 
entweder eine hydrierende Desamidierung (Übergang der Amino- 
säuren in Fettsäuren) oder die Loslösung von Kohlensäure 
(Bildung von Aminen) stattfindet. 

Speziell für die natürlich vorkommende Glutaminsäure 
(d-a-Aminoglutarsäure) haben W. Brasch und C. Neuberg?) 
gezeigt, daß sie durch die gewöhnlichen Fäulniserreger haupt- 
sächlich in die normale Buttersäure übergeführt wird: 

COOH — CH, — CH, — OH RH. — COOH — 
COOH — CH, — CH, — CH. 
wobei Ammoniak, Ameisensäure und Bernsteinsäure als Neben- 
produkte auftraten. 


1) C. Neuberg, diese Zeitschr. 1, 368, 1906. — Sitzungsber. der 
Kgl. Preuß, Akad. d. Wissensch. 24, 1907. — Diese Zeitschr. 7, 178, 1907, 
— Diese Zeitschr. 13, 299, 1908. 

2) W. Brasch und C. Neuberg, diese Zeitschr. 18, 299, 1903. 


C. Neuberg u. C. Cappezzuoli: Umwandlung von Asparagin usw. 425 


Daß die Asparaginsäure wahrscheinlich eine analoge Um- 
wandlung erleidet, wobei die Propionsäure entsteht, 


COOH — CH, — CH NR. — COOH — 

COOH — CH, — CH. 
haben bereits vor mehreren Jahren C. Neuberg und E. Rosen- 
berg?!) angegeben und besondere Untersuchungen über die Fäulnis 
von isolierter Asparaginsäure?) ausdrücklich in Aussicht gestellt. 

Inzwischen haben sich andere Autoren dieses Gebietes be- 
mächtigt. So teilte vor kurzem L. Borchardt?) Fäulnis- 
versuche mit Glutamin- und Asparaginsäure mit; er bestätigte 
den von uns formulierten Mechanismus des Abbaues, der in 
der Hauptsache unter NH,- und CO,-Abspaltung zu der 
um ein Kohlenstoffatom ärmeren Fettsäure führt. Von den 
allerdings unwesentlicheren Nebenprodukten hat Borchardt im 
Falle der Glutaminsäure Ameisensäure nur in Spuren und Bern- 
steinsäure überhaupt nicht gefunden. Ferner hat sich J.Effront*) 
mit demselben Gegenstande beschäftigt; er beschrieb z. B. die 
Umwandlung der Glutaminsäure in Buttersäure, die unter Am- 
moniakabspaltung bei der Einwirkung von Bakterien der Blumen- 
erde sowie von Hefe in alkalischer Lösung stattfindet, als 
einen prinzipiell neuen Vorgang. Tatsächlich ist dieser völlig 
analog den entsprechenden, von uns früher mitgeteilten Beob- 
achtungen; außerdem ist aus Effronts Hefeversuchen nicht 
ersichtlich, wie er bei mehrtägiger Einwirkung von Hefe auf 
alkalische Lösungen von Aminosäuren oder Proteinstoffen Bak- 
terienwirkung ausgeschlossen hat, so daß es sich auch dabei 
vermutlich um nichts anderes als Fäulnisvorgänge°) gehandelt 
hat, die bekanntlich in alkalischen Hefesuspensionen besonders 
leicht eintreten. 

Wir berichten im folgenden über die früher angekündigten 
Versuche mit Asparaginsäure und über solche mit Asparagin. 
Dieselben zeigen, daß der Reaktionsverlauf (auch bezüglich 
der Entstehung der Nebenprodukte entgegen den Angaben 


1) Diese Zeitschr. 7, 183, 1907. 

2) Diese Zeitschr. 7, 181, 1907. 

3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 96, 1909. 

4) Compt. rend. 148, 238, 1909. — Monit. scient. 23, I, 145, 1909. 

6) Vgl, hierzu die Mitteilung von F. Ehrlich, diese Zeitschr. 15, 
417, 1909. 


426 C. Neuberg und C. Cappezzuoli: 


Borchardts) den Befunden von Brasch und Neuberg ent- 
spricht, und daß geringfügige Veränderungen, wie Verwendung 
des Asparagins (Asparaginsäureamids) an Stelle der Asparagin- 
säure, die Resultate nicht unerheblich beeinflussen können. 

Unverkennbar tritt auch zutage, daß sich die Asparagin- 
säure in ihrem Verhalten bei der Fäulnis z. T. den Amino- 
monocarbonsäuren nähert, indem außer der Kohlenstoffketten- 
verkürzung, die Propionsäure ergibt, die gewöhnliche 
hydrierende Desamidierung eintritt, die hier zur Bernstein- 
säure führt, wie die Fäulnis des Tyrosins zur p-Oxyphenyl- 
propionsäure. 

I. Asparaginsäure. 

a) 5,0 g l-Asparaginsäure wurden in 500 ccm Wasser gelöst, 
mit Soda ganz schwach alkalisch gemacht und mit einigen Tropfen 
Fäulnissolution!) versetzt. Nach einer Woche zeigte eine Probe 
beim Erhitzen mit verdünnter Schwefelsäure deutlichen Fettsäure- 
geruch und eine mit Salzsäure schwach angesäuerte Probe beim 
Erwärmen mit Magnesia Ammoniakentwicklung. Nach 34tägigem 
Verweilen im Brutschranke bei 38° wurde mit verdünnter 
Schwefelsäure angesäuert und unter gleichzeitigem direktem 
Kochen mit Wasserdampf destilliert. Es wurden 6,11 Destillat 
aufgefangen, die zur Neutralisation 40,1 ccm al, NaoH ver- 
brauchten. Zur Vermeidung von Verlusten durch Dissoziation 
wurden vor dem Einengen noch 10,0 ccm #/,-NaOH zugefügt 
und die Flüssigkeit dann auf dem Wasserbade auf etwa 50 ccm 
konzentriert. 

Durch das Verhalten zu Quecksilber- sowie zu Silber- 
lösung war Ameisensäure?) leicht nachweisbar. Da diese 
die beabsichtigte Darstellung des propionsauren Silbers stören 
konnte, wurde sie durch Behandlung mit Mercurisulfat in 
schwach schwefelsaurer Lösung zerstört.?) Unter Kohlensäure- 
entwicklung schied sich schwerlösliches Mercurosulfat aus. Nach 
Ausfällung des gelösten Quecksilbers durch Schwefelwasserstoff 


1) Nach E. Salkowski, Practicum, 3. Aufl. 1906, S. 227. 

2) Ihre Menge ist in einem in der folgenden Mitteilung (S. 434) 
beschriebenen Fäulnisversuche mit racemischer Glutaminsäure quantitativ 
bestimmt. 

3) Siehe die angewendete Methodik bei Brasch und Neu- 
berg, l. o. 


Umwandl von Asparagin u. Asparaginsäure in Propionsäure usw. 427 


usw., der Schwefelsäure durch Barytwasser und dessen Über- 
schuß durch Kohlensäure wurde eingeengt, vom ausgeschiedenen 
Bariumcarbonat abfiltriert und durch Zugabe von einigen 
Tropfen verdünnter Silbernitratlösung eine Spur von Chlorionen 3) 
entfernt. Nach Konzentration auf etwa 15 com wurde nunmehr 
mit starker Silbernitratlösung ausgefällt. 

Es entstand ein reichlicher feinkrystallinischer Niederschlag, 
der nach 6stündigem Stehen unter Lichtabschluß abgenutscht, 
nacheinander mit eisgekühltem Wasser, absolutem Alkohol und 
getrocknetem Äther ausgewaschen und im Vakuum getrocknet 
wurde. Er bestand aus rein weißem Silberpropionat, und 
seine Menge betrug 0,4864 g. 

0,1236 g Substanz ergaben 0,0739 g Ag, 
0,2011 g Substanz lieferten 0,1445 g CO, und 0,0453 g H,O. 

Berechnet für C,H,O, Ag: 

C= 19,89°/,; H = 2,76°/,; Ag = 59,67°/,. 

Gefunden: 

C = 19,58°/,; H = 2,50°/,; Ag = 59,79°|,. 

b) Die nicht flüchtigen Fäulnisprodukte mußten sich in 
dem mit Schwefelsäure angesäuerten Rückstande der Dampf- 
destillation befinden. Diese Flüssigkeit wurde auf etwa 100 ccm 
eingeengt, mit festem Ammonsulfat beinahe gesättigt und im 
Zelmanowitzschen Apparat?) erschöpfend mit Äther aus- 
gezogen. Die nach 48stündiger Extraktion erhaltene Ather- 
lösung wurde filtriert?) und der freiwilligen Verdunstung über- 
lassen. Es hinterblieb eine von wenig Sirup durchsetzte 
Krystallmasse, die nach mehrtägigem Stehen auf Ton abgepreßt 
und aus heißem Wasser umkrystallisiert wurde. Es wurden 
so 0,3366 g reine Bernsteinsäure erhalten, die bei 182° bis 
183° schmolz. 

Außer durch den Schmelzpunkt und die höchst intensive 
Pyrrolprobe*) wurde das Vorliegen der Bernsteinsäure durch 
Analyse der im Vakuum bis zur Gewichtskonstanz getrockneten 
Substanz sichergestellt: 


1) Sie entstammten den benutzten Reagenzien. 

2) Diese Zeitschr. 1, 253, 1906. 

D Es hatte sich Schwefel abgeschieden, der aus den vulkanisierten 
Kautschukverbindungen des Apparates herrührt. 

IC Neuberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 81, 574, 1901. 


428 C. Neuberg und C. Cappezzuoli: 


0,1828 g Substanz gaben: 0,2739 g CO, und 0,0857 g H,O. 

Berechnet für C,H,O,: 

C = 40,87°/,; H = 5,08°/,- 

Gefunden: C = 40,82°/,; H = 5,20°/,. 

c) Um einen Anhaltspunkt für den Umfang zu gewinnen, 
in dem die Asparaginsäure der Umwandlung unterliegt, sind 
weder die Zahlen für propionsaures Silber noch die für Bern- 
steinsäure recht geeignet, da die Isolierung beider Verbindungen 
mit unvermeidlichen Verlusten verknüpft ist. Ein zuverlässigeres 
Bild erhält man durch die Bestimmung der durch Desami- 
dierung losgelösten Ammoniakmenge. 

Dieselbe kann natürlich nicht in einer der Dampfdestillation 
bei schwefelsaurer Reaktion unterworfenen Portion geschehen. 
Sie wurde in einem besonderen Fäulnisversuche ermittelt, der 
unter denselben Bedingungen gleichfalls mit 5,0 g Asparagin- 
säure in 500 ccm Wasser usw. angesetzt war und 30 Tage ge- 
dauert hatte. 

Von der auf 550,0 ccm aufgefüllten Flüssigkeit wurden 
220,0 ccm mit Magnesia destilliert. 

Die übergegangene Ammoniakmenge betrug 0,1355 g. Daraus 


berechnet sich, daß 0,1355 >< = = 0,33875 g NH,, entsprechend 


2,641 g zersetzter Asparaginsäure gebildet oder rund 52°/, zer- 
legt worden waren. 


d) Kontrolliert wurde diese Zahl durch Bestimmung der 
unangegriffenen Asparaginsäure. Dieselbe wurde in Sub- 
stanz isoliert, um zugleich ein Urteil darüber zu erhalten, ob 
etwa unter der Wirkung der Fäulnisbakterien durch CO,-Ab- 
spaltung ein Übergang von Asparaginsäure in Alanin statt- 
gefunden hätte: 

COOH — CH, — OH NH. — COOH — 
CH, — OH NB, — COOH. 

Für einen Eintritt dieser wichtigen und vielleicht auch aus- 
führbaren Reaktion hat sich jedoch bisher kein Anhalt ergeben. 

Die restierenden 330,0 com Fäulnisflüssigkeit wurden mit 
Schwefelsäure angesäuert, Smal mit Äther ausgeschüttelt, mit 
Barytwasser genau von der Schwefelsäure befreit, auf ungefähr 
40 ccm eingeengt und dann nach Zusatz von Ammoniak weiter auf 
etwa 15 ccm konzentriert, wobei der Ammoniaküberschuß entwich. 


Umwandl. von Asparagin u. Asparaginsäure in Propionsäure usw. 429 


Nach Zugabe von konzentrierter Kupferacetatlösung schied 
sich das von Hofmeister?!) beschriebene Kupfersalz aus, das 
nach dem Auswaschen durch Schwefelwasserstoff in wässeriger 
Suspension anfangs in der Kälte, schließlich in der Wärme 
zerlegt wurde. Nach dem Eindampfen resultierten 1,188 g 


Se > 1,188 


unveränderte Asparaginsäure; dieselben entsprechen 330 


— 1,98 g oder rund 40°/, des Ausgangsmaterials. 

Diese Menge wiedergefundener Substanz steht mit dem 
Wert für zersetzte, der sich aus der Quantität des abgespaltenen 
-Ammoniaks ergibt, in angenäherter Übereinstimmung. 


II. Asparagin. 

Die Fäulnisversuche mit Asparagin sind ganz ebenso wie 
die mit der Asparaginsäure vorgenommen worden. Benutzt war 
das gewöhnliche 1-Asparagin. 

Es wurden nach 32tägiger Fäulnis von 5,0 g Asparagin 

a) 0,9582 g propionsaures Silber und 
b) 1,1010 g Bernsteinsäure 
gewonnen, Ameisensäure war qualitativ ebenfalls nachweisbar. 

a) 0,2007 g Substanz gaben 0,1196 g Silber, 

0,2404 g Substanz lieferten 0,1762 g CO, und 0,0627 g H,O. 

Berechnet für 0,H,O, Ag: 

C = 19,89°/,; H = 2,76°/,; Ag = 59,67°],, 

Gefunden: C = 20,01 °/,; H = 2,89°/,; Ag = 59,59°/,. 

b) 0,1650 g Substanz gaben 0,2445 g CO, und 0,0774 g H,O. 

Berechnet für C,H,0,: 

C = 40,67°/,; H = 5,08°/,. 

Gefunden: C= 40,40°/,; H = 5,21°/» 

Unter gleichen Bedingungen ist bei Verwendung von Aspa- 
ragin statt Asparaginsäure, die beinahe ein identisches Mole- 
kulargewicht (132 bzw. 133) besitzen, die Menge der Propion- 
säure rund doppelt und die der Bernsteinsäure ungefähr 3!/, mal 
so groß. 

Falls man nicht etwa eine zufällige Verschiedenheit der 
gewöhnlichen Fäulnisbakterien?) annehmen will, muß man 
schließen, daß das Amid Asparagin für die Fäulniserreger ein 

1) Ann. 189, 6, 1877. 

2) Siehe W. Brasch; diese Zeitschr. 18, 380, 1909. 


430 C. Neuberg u. C. Cappezzuoli: Umwandlung von Asparagin usw. 


besseres Nährmaterial als die Asparaginsäure darstellt. Jeden- 
falls zeigen diese Versuche, welch geringe Unterschiede bereits 
einen erheblichen Einfluß auf die qualitativen!) und quanti- 
tativen Ergebnisse haben können. 

Die Menge der Bernsteinsäure, die bei der Fäulnis von 
Asparaginsäure gebildet wird, ist sehr viel größer als die, welche 
Neuberg und Brasch bei der bakteriellen Zersetzung der 
Glutaminsäure beobachteten. Dafür ist die Quantität der 
flüchtigen Fettsäure (Propionsäure), die durch Zerlegung 
der Asparaginsäure entsteht, geringer als die, welche bei der 
Fäulnis von Glutaminsäure auftritt (Buttersäure).. Schon vor 
30 Jahren hat F. Hoppe-Seyler*) Bernsteinsäure bei der 
Fäulnis des Asparagins gefunden, eine gleichzeitige Bildung von 
Propionsäure jedoch nicht angegeben. Fäulnisversuche mit 
Asparaginsäure selbst scheinen nicht angestellt worden zu sein, 
obgleich doch diese und nicht das Asparagin ein Eiweißspal- 
tungsprodukt ist. Erst jetzt ist man berechtigt, für die wohl 
bei allen Fäulnisvorgängen beobobachtete Bernsteinsäure eine 
der Hauptquellen in der Asparaginsäure zu erblicken, wie das 
E. u. H. Salkowski’) schon vor 30 Jahren als Vermutung aus- 
gesprochen haben. 


1) So dürfte sich u. a. erklären, daß Borohardt bei der Fäulnis 
der Glutaminsäure die geringen Mengen Bernsteinsäure nicht gefunden 
hat, die Brasch und Neuberg erhalten haben. Allerdings hat er mit 
Ather nicht erschöpfend extrahiert, wie es für die Gewinnung kleiner 
Mengen Bernsteinsäure unerläßlich ist. Bezüglich der Entstehung von 
Bernsteinsäure aus Glutaminsäure sei auch auf Ehrlichs Versuche 
(diese Zeitschr. 18, 391, 1909) über die Einwirkung der Hefepilze auf 
Glutaminsäure verwiesen, die eine glatte Überführung in Bernsteinsäure 
zuwege bringen. — Ein Vorhandensein größerer Mengen von Ameisen- 
säure glaubte Borchardt bei der Glutaminsäurefäulnis ausschließen zu 
sollen, obgleich sein Silberpropionat „als schmutziggraues Salz ausfiel, 
das sich beim Stehen im Dunkeln noch etwas dunkler färbte“. Nach 
unseren Erfahrungen ist Ameisensäure ein fast konstantes Produkt bei 
der Fäulnis von Proteinen und isolierten Aminosäuren, ganz entsprechend 
ihrem Auftreten bei anderen einfachen Spaltungen von Aminosäuren, 
z. B. durch Licht (C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 305, 1908) oder durch 
den elektrischen Gleichstrom (C. Neuberg, diese Zeitschr. 17, 270, 1908). 
Übrigens hat auch W. Brasch (diese Zeitschr. 18, 383, 1909) bei der Fäul- 
nis der Glutaminsäure mit Reinkulturen die Ameisensäure fast nie vermißt. 

2) Zeitschr, f. physiol; Chem. 2, 13, 1879. 

3) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 12, 648, 1879. 


Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis. 


Von 
Carl Neuberg. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Instituts der 
Universität Berlin.) 


Durch Versuche von E. Schulze und E. Boßhard!), 
E. Fischer?), C. Neuberg und P. Mayer?) ist festgestellt, 
daß racemische Aminosäuren durch Pilze in aktive Formen 
verwandelt werden können, und F. Ehrlich‘) hat gezeigt, daß 
dieses Verfahren hei Anwendung des Hefepilzes in vielen 
Fällen geradezu die präparativ bequemste Methode bildet. 
Über das Verhalten von racemischen Aminosäuren gegen Bak- 
terien scheinen keine Untersuchungen vorzuliegen. 

Bei der besonderen biologischen Bedeutung, welche die 
„Fäulnis‘“ besitzt, ist das Verhalten racemischer Aminosäuren 
gegen die gewöhnlichen Fäulniserreger von Interesse. 

Bekanntlich verläuft die Fäulnis isolierter Aminosäuren 
nicht quantitativ, d. h. sie ist meistens nach mehreren Wochen 
noch nicht vollständig. Daher muß mit der Möglichkeit ge- 
rechnet werden, daß die Bakterien an sich eine asymmetrische 
Zerlegung der Aminosäure bewirken, der zunächst entstandene 
optische Antipode bei der langen Versuchsdauer jedoch gleich- 
falls zersetzt wird. Schulze und Boßhard°), A. McKenzie 
und A. Harden®), Ehrlich®), Euler, Herzog u. a. haben 
Beobachtungen an Pilzen mitgeteilt, aus denen hervorgeht, daß 


1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 10, 134, 1886. 
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2451, 1899. 
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 44, 508, 1904. 

4) Diese Zeitschr. 1, 30, 19086; 

6) l. c. S.: 141. 

6) Proc. chem. Soc. 19. 48, 1903. 


432 C. Neuberg: 


eine absolute Resistenz einer optisch aktiven Form gegen die 
Einwirkung der betr. Mikroorganismen nicht besteht; es handelt 
sich nur um ungleiche Reaktionsgeschwindigkeiten bei der Zer- 
legung der beiden Antipoden. 

Auch wirklich symmetrisch verlaufende enzymatische Pro- 
zesse sind andererseits bekannt, z. B. die Bildung von r-Milch- 
säure bei der Vergärung des Zuckers mit Milchsäurebakterien 
(E. Buchner und J. Meisenheimer?), der gleichartige Angriff 
der verschiedenen Raumformen des Tyrosins durch die Tyro- 
sinase aus Russula Queletii (G. Bertrand und M. Rosen- 
blatt?) und die Wirkungsweise der peptolytischen Fermente 
verschiedener Pilze. (E. Abderhalden und H. Pringsheim’). 

In Rücksicht auf die erwähnten Verhältnisse wurde die 
Prüfung auf Aktivität in kürzeren Zwischenräumen vorge- 
nommen. 

Zur Anwendung kam reinste d, lI-Glutaminsäure, die nach 
dem Verfahren von Michael und Wing“) dargestellt war. 

a) Der Ansatz zur Fäulnis geschah nach den Angaben von 
Brasch und Neuberg?) für die aktive Glutaminsäure, nur 
wurde eine dreimal größere Menge, 15,0 g in 1500,0 ccm schwach 
alkalisiertem Wasser, der bakteriellen Zersetzung überlassen. 

Zur Bestimmung eines sich etwa einstellenden Drehungs- 
vermögens dienten 200,0 ccm — entsprechend 2,0 g ursprünglich 
angewandter d, l-Glutaminsäure —, die 


nach 1 Tage nach 15 Tagen 
„ 3 Tagen » 2 p 
IL 5 29 29 32 (LEI 


dem Fäulnisgemische entnommen wurden. Jede Probe wurde 
mit einigen Tropfen rauchender Salzsäure angesäuert und bei 
40° auf etwa 10 com eingeengt, wobei ein starker Geruch 
nach flüchtigen Fettsäuren auftrat. Die zurückbleibende salzsaure 
Lösung war schwach gelb, gestattete aber die polarimetrische 
Prüfung. 

1) E. Buchner und J. Meisenheimer,; Liebigs Annalen 349, 
125, 1906. 

2) Compt. rend. de l’Acad. des sciences 146, 304, 1908. 

3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 59, 247, 1909. 


4) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 17, 2984, 1884. 
6) Diese Zeitschr. 13, 299, 1908. 


Verhalten von racemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis. 433 


Vom ersten Tage ab war gleichmäßig eine minimale Links- 
drehung zu konstatieren (schwankend zwischen — 5’ und — 12’); 
sie war jedoch so gering, daß sie unmöglich auf etwa ent- 
standene 1-Glutaminsäure zu beziehen war. Denn das Rotations- 
vermögen der letzteren ist recht erheblich, nach E. Fischer?) 
besitzt sie in salzsaurer Lösung die spezifische Drehung 

[a] = — 30,05°. 

Die geringe Menge der optisch aktiven Substanz entstammt 
wohl dem zugesetzten Impfmaterial. (Die angewandte d,l- 
Glutaminsäure war selbst völlig inaktiv und aus natürlicher 
d-Glutaminsäure dargestellt). Für eine asymmetrische Spaltung 
hat sich also kein Anhalt ergeben. 

b) In einem anderen Versuche wurde geprüft, ob die bak- 
terielle Zersetzung der d, l-Glutaminsäure in demselben Sinne 
wie die der d-Säure verläuft. 

Der Geruch nach flüchtigen Fettsäuren, der beim Ein- 
dampfen der auf ihr Drehungsvermögen untersuchten Proben 
unverkennbar war, deutete bereits auf den früher?) bei der 
aktiven Form festgestellten Übergang: 

COOH — CH, — CH, — CH-NH, — COOH — 
COOH — CH, — CH, — CH, 
in Buttersäure hin, der von einer Bildung von Ammoniak, Kohlen- 
säure, Ameisensäure sowie Bernsteinsäure begleitet ist. 

Des Vergleiches halber wurde, genau den Angaben ent- 
sprechend, die Brasch und Neuberg?) für die d-Glutamin- 
säure gemacht haben, ein Fäulnisversuch mit 5,0 g Racemkörper 
ausgeführt und bei 38° auf vier Wochen ausgedehnt. 

Die Menge des innerhalb 36 Stunden erhaltenen Waaser. 
dampfdestillates betrug 3080 com, die zur Neutralisation 77,4 com 
n/ -NaOH erforderten. 

Die dadurch angezeigte Menge der flüchtigen Säuren stimmt 
innerhalb der Fehlergrenze mit der früher erhaltenen Quantität 
(81,0 ccm zl, NaOH) überein. Die Buttersäure wurde als 
Silbersalz identifiziert; es wurden davon 1,32 g (bei der d-Form 


1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 32, 2451, 1899. 
2) C. Neuberg, Sitzungsber. der Kgl. Preuß. Akad. d. Wissensch. 
1907; Sitzung vom 16. Mai. Diese Zeitschr. 7, 183, 1907. 
3) Lo 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 28 


434 CG Neuberg: Verhalten v. raoemischer Glutaminsäure bei der Fäulnis 


1,93 g) gewonnen. Die Menge der Ameisensäure wurde in 
bekannter Weise durch Abscheidung der äquivalenten Menge 
Calomel ermittelt; sie ergab sich daraus zu 0,145 g, gleich etwa 
10°/, der Theorie. Diese Quantität ist etwas geringer als die, 
welche bei der aktiven Form aus der Differenz der Daten für 
die Gesamtacidität und das isolierte Silberbutyrat schätzungs- 
weise angenommen war. Bernsteinsäure ist qualitativ in dem 
durch 4tägige Extraktion gewonnenen Ätherauszuge der nicht 
flüchtigen Fäulnisprodukte ebenfalls nachgewiesen worden, die 
quantitative Bestimmung ging verloren. 

Demnach verläuft der Abbau der racemischen Glutamin- 
säure durch die gewöhnlichen Fäulniserreger nicht merklich ver- 
schieden von der Zerlegung der natürlichen rechtsdrehenden 
Säure. Das Auftreten einer optisch-aktiven Form konnte dabei 
zu keiner Zeit nachgewiesen werden. 


Verhalten von d, l-a-Aminoisovaleriansäure (d, 1-Valin) 
bei der Fäulnis. 
Von 


Carl Neuberg, Berlin und Läzlö Karczag, Szolnok. 


(Aus der chemischen Abteilung des Pathologischen Institus der 
Universität Berlin.) 


Vor einiger Zeit haben C. Neuberg und E. Rosenberg!) 
gezeigt, daß unter den bei der Eiweißfäulnis auftretenden Fett- 
säuren rechtsdrehende Valeriansäure (d-Methyläthylessigsäure) 
in ziemlicher Menge vorhanden ist. Wie damals ausführlich dar- 
gelegt wurde, ist die Herkunft dieser Substanz wie der sie be- 
gleitenden isomeren Valeriansäuren nicht mit Sicherheit anzugeben. 

Bei den jetzt ausgeführten Versuchen über diese Frage 
haben wir das Schicksal der d, lI-«-Aminoisovaleriansäure 

CH, 
/CH—CH . NH,— COOH 
H, 
bei der Fäulnis nach verschiedenen Richtungen verfolgt, da 
über den Abbau der «-Aminovaleriansäuren durch Bakterien 
überhaupt nichts bekannt zu sein scheint. 

Das Ausgangsmaterial wurde nach der Vorschrift von 

M. D. Slimmer?) dargestellt. 


Anstatt die a-Bromisovaleriansäure mit Ammoniak und Ammonium- 
carbonat im Autoklaven auf 5 bis 6 Atmosphären Druck zu erhitzen, 
kann man das Gemisch auch 6 bis 7 Tage in einer Glasstöpselflasche bei 
40° im Brutschranke digerieren. Die Ausbeuten sind ungefähr dieselben, 


Der Gang der Untersuchung war folgender: 
10,0 g racemische Aminoisovalerisnsäure wurden in 450 ccm 
heißem Wasser gelöst, bis zur schwach alkalischen Reaktion 


1) Diese Zeitschr. 7, 178, 1907. 
2) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 85, 400, 1902. 
28* 


436 C. Neuberg und L. Karozag: 


mit Natriumcarbonat versetzt und nach Zusatz einer kleinen 
Quantität Nährsubstanz (je eines Tropfens einer gesättigten 
Lösung von Chlorkalium, Dinatriumphosphat und Magnesium- 
sulfat) mit einigen Tropfen nach E. Salkowskis Angaben be- 
reiteter Fäulnismischung geimpft. Nach etwa 8 Tagen gab eine 
kleine Probe, mit Schwefelsäure gekocht, nach flüchtigen Fett- 
säuren riechende Dämpfe, und eine andere Probe zeigte eine 
Abspaltung von Ammoniak. 

a) Nach vierwöchentlichem Stehen im Brutschranke — wo- 
bei wir durch mehrfachen Zusatz von Soda dafür Sorge 
trugen, daß die Reaktion alkalisch blieb —, wurde die Lösung 
mit 30 com Schwefelsäure von 20°/, angesäuert und im Dampf- 
strome 36 Stunden lang destilliert. — Das Destillat verbrauchte 
8,8 com ®/,-NaOH zur Neutralisation. — Um Verluste durch 
Dissoziation zu vermeiden, wurden noch 10,0 ccm "»/,-Natron- 
lauge zugesetzt und bis auf ein Volum von 40 com eingedampft. 
Eine kleine Probe gab deutlich positive Reaktion auf Ameisen- 
säure, weshalb die gebildete Säure in der früher angegebenen 
Weise!) mit Mercurisulfat zerstört wurde. Nach dem Erkalten 
und Abfiltrieren vom ausgeschiedenen Quecksilberoxydulsalz 
wurde die Flüssigkeit zur Entfernung des Quecksilbers mit 
Schwefelwasserstoff behandelt, vom Mercurisulfid abfiltriert, die 
Schwefelsäure durch Baryt und dessen Überschuß durch Kohlen- 
säure entfernt. 

Die Flüssigkeit wurde dann auf dem Wasserbade eingeengt; 
beim Verdunsten erstarrte der Rückstand krystallinisch. Da er 
einen geringen Chlorgehalt?) aufwies, wurde er zunächst bei 
schwach verdünnter salpetersaurer Reaktion mit Silbernitratlösung 
behandelt. Das Filtrat vom Chlorsilber wurde ammoniakalisch 
gemacht, eingeengt, wobei der Ammoniaküberschuß entwich, 
filtriert und dann mit konzentriertem Silbernitrat ausgefällt; der 
Niederschlag wurde nach 12stündigem Stehen unter Lichtabschluß 
abgesaugt, nacheinander mit kaltem Wasser, absolutem Alkohol 
und trocknem Äther ausgewaschen und sodann bis zur Gewichts- 
konstanz im Dunkelexsiccator aufbewahrt. Die Analyse ergab 
folgendes: 

1) W. Brasch und C. Neuberg, diese Zeitschr. 13, 299, 1908. 


2) Ein solcher ist schwer zu vermeiden, er ist stets vorhanden, 
wenn gewöhnliches Wasser zur Dampfdestillation dient, 


Verhalten v. d, 1-x-Aminoisovaleriansäure (d, 1-Valin) b. d. Fäulnis. 437 


0,1164 e Substanz gaben 0,0608 g Ag, 

0,1396 g = » 0,1463 g CO, und 0,0559 g H,O, 

C,H,0, Ag. Ber. C = 28,70°/,; H = 4,31°/,; Ag = 51,67°/,. 
Gef. C = 28,58°/,; H = 4,45°/,; Ag = 52,24°/.. 

Es lag also valeriansaures Silber vor. 


ß) Die Verarbeitung des Destillationsrückstandes ge- 
schah folgendermaßen: 


Die Schwefelsäure wurde mit Barytwasser entfernt und 
die schwach alkalische Lösung mit Äther ausgeschüttelt. Der 
ätherische Auszug wurde mit Salzsäure angesäuert, dann der 
Äther abdestilliert. Eine Probe des Rückstandes gab bei einem 
Vorversuche ein in siedendem Wasser lösliches Chloroplatinat. 
Daraufhin wurde der gesamte ÄAtherrückstand mehrmals mit 
heißem absolutem Alkohol extrahiert, die alkoholischen Aus- 
züge vereint und verdunstet, der Rückstand in wenig Wasser 
aufgenommen und mit einer konzentrierten Platinchloridlösung 
versetzt. Es entstand bald ein Niederschlag, die Krystalle ver- 
mehrten sich beim Einengen im Exsiccator. Sie wurden dann 
abgesaugt und aus siedendem Wasser umkrystallisiert, woraus 
sie bei langsamer Verdunstung in prächtigen Formen ausfielen. 

Die Menge des zur Gewichtskonstanz getrockneten orange- 
roten Platinchloriddoppelsalzes betrug 0,424 g; sein Zersetzungs- 
punkt lag bei 226 bis 227°. 

Bei der Analyse wurde der Gehalt an Chlor und Platin 
an derselben Substanzmenge nach dem sehr bequemen Ver- 
fahren von O. Wallach!) ermittelt (ersteres wurde titrimetrisch, 
letzteres als Metall bestimmt). 


0,2148 g Substanz verbrauchten 23,4 ccm "/, ‚-Silberlösung 
= 0,0831 g Cl und lieferten 0,0749 g Pt. 


Ferner ergab die Stickstoffbestimmung nach Dumas mit 
0,1958 g Substanz 8,4 ccm N (bei 16,8° und 758 mm). 


Aus diesen Daten folgt, daß es sich hier um Butylamin- 
chloroplatinat handelt. 


Berechnet für (C,H,NH,),-H,PtCl;: 
N = 5,03°/,; Pt = 35,07; Cl = 38,31 °],, 
Gef. N = 4,95°/,; Pt = 34,85; Cl = 38,67°/,. 


1) Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 14, 753, 1881. 


438 C. Neuberg und L. Karczag: 


Das Material reichte nicht aus, die Natur des zugrunde- 
liegenden Butylamins zu ermitteln. Bei Abstammung aus der 
«-Aminoisovaleriansäure dürfte ihm die Struktur des Isobutylamins 


CH, 
CH, /CH — CH,.NH, 
zukommen. 

y) Die durch Wasserdampfdestillation von flüchtigen Säuren, 
durch Atherextraktion bei barytalkalischer Reaktion von Basen 
befreite Lösung wurde auf einen Gehalt an dem Ausgangs- 
material, an Aminoisovaleriansäure, untersucht. Zu diesem 
Zwecke wurde zunächst mit verdünnter Schwefelsäure an- 
gesäuert, vom Bariumsulfat abfiltriert und mehrmals mit Ather 
ausgeschüttelt, um eventuell gebildete saure, nicht flüchtige Pro- 
dukte zu entfernen. Der ätherische Auszug hinterließ beim 
Verdunsten nur Spuren eines Rückstandes. 

Die extrahierte Flüssigkeit wurde dann mit Barytwasser 
von der Schwefelsäure befreit und zur Entfernung überschüssigen 
Bariumhydroxyds mit Kohlensäure behandelt. Das Filtrat vom 
Bariumcarbonat wurde eingedampft, nochmals filtriert und nach 
dem Einengen auf ein kleines Volumen mit etwas Alkohol ver- 
setzt. Nach einigen Tagen wurden die ausgefallenen Krystalle 
abgesaugt und aus heißem Wasser umkrystallisiert. Sie hatten 
das Aussehen von Aminoisovaleriansäure. 

Es zeigte sich nun, daß die wässerige Lösung derselben 
optisch aktiv war, während die angewandte Aminosäure inaktiv 
gewesen war (vor Ansatz der Fäulnis wurde die Aminoisovalerian- 
säure auf Aktivität polarimetrisch untersucht). Die Gesamt- 
menge des Rückstandes betrug 1,10 g; davon wurde 1,0 g in 
10 ccm 20°/ iger DO gelöst und polarisiert. Lösung dreht nach 
links, und zwar war [a]p,, = — 3° 04. — Das spezifische 
Drehungsvermögen des l-Valins ist in salzsaurer Lösung nach 
E. Fischer?) 

[a] = — 28,4°. 


Daraus ergibt sich, daß die zurückgewonnene Aminoiso- 
valeriansäure rund 11°/, der -Komponente enthält; sie ist der 
optische Antipode des als Eiweißspaltungsprodukt aufgefundenen 


1) Ber. d Deutsch. chem. Ges. 39, 2326, 1906. 


Verhalten v. d, l-x-Aminoisovaleriansäure (d, I-Valin) b. d. Fäulnis. 439 


d-Valins [E. Schulze), E. Fischer?), E. Fischer und 
Th. Dörpinghaus?), A. Kossel und H. D. Dakin*)] und 
dieselbe Raumform, die bei der Spaltung des racemischen 
Valins durch Hefepilze entsteht IR Ehrlich®°)]. 

Die zur Polarisation verwendete salzsaure Aminoisovalerian- 
säurelösung wurde nebst dem übrig gebliebenen kleinen Rest 
freier Aminosäure eingedampft, mit Wasser aufgenommen und 
mit Bleicarbonat bis zum Verschwinden der Halogenreaktion 
gekocht. Die erkaltete Lösung wurde abfiltriert, durch 
Schwefelwasserstoff entbleit und bis zur Krystallisation ein- 
gedampft.e. Um die noch anhaftende Spur salzsaurer Amino- 
säure zu entfernen, wurden die Krystalle in verdünntem Alkohol 
auf dem Wasserbade gelöst und der langsamen Verdunstung 
überlassen, worauf reines Valin in schönen Krystallen ausfiel. 
Diese wurden abgesaugt, mit Alkohol gewaschen und im Ex- 
siccator bis zur Gewichtskonstanz getrocknet. 


0,1856 g Substanz gaben 0,3478 g CO, und 0,1602 g H,O. 
Für C,H,,0,N. Ber. C= 51,29°/,; H = 9,40°/,, 
Gef. C = 51,07°/,; H = 9,65°/,. 

Die mitgeteilten Versuche zeigen, daß d, l-Aminoisovalerian- 
säure bei der Fäulnis z. T. desamidiert wird und eine Valerian- 
säure, vermutlich Isovaleriansäure, liefert. Ein kleiner Teil der 
Aminosäure geht — offenbar unter Kohlensäureverlust — in 
Butylamin über. Es läßt sich ein asymmetrischer Angriff der 
Bakterien nachweisen, da der zurückgewonnene Teil der Amino- 
isovaleriansäure in salzsaurer Lösung lävogyr war. 


1) Journ. f. prakt. Chem. 27, 337. — Zeitschr. f. physiol. Chem. 12, 
405, 1888, 

2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 33, 159, 1901. 

8) Zeitschr. f. physiol. Chem. 36, 469, 1902. 

4) Zeitschr. f. physiol Chem. 40, 565, 1904. 

5) Diese Zeitschr. 1, 28. 1906. 


Kobragift und Hämolyse. 


II. Mitteilung. 
Von 
Ivar Bang. 
(Aus dem med.-chemischen Institut der Universität Lund.) 


(Eingegangen am 4. Mai 1909.) 


Vor einiger Zeit habe ich Untersuchungen über die Kobra- 
gifthämolyse mitgeteilt,!) welche darin gipfelten, daß 1. Kyes’ 
sogenanntes Kobralecithid nicht existieren kann und daß 2. 
Lecithin auch nicht als Aktivator bei der Kobragifthämolyse 
fungiert und überhaupt nichts damit zu tun hat. Wenn 
Handelslecithin das Kobragift zu aktivieren vermag, muß ein 
anderer Körper als Lecithin den wirksamen Bestandteil dar- 
stellen. 3. Weiter zeigten meine Untersuchungen, daß es jeden- , 
falls zweifelhaft ist, ob überhaupt Phosphatide Aktivatoren 
sind, als sicher anerkannte Aktivatoren kommen nur die unge- 
sättigten Fettsäuren bzw. deren Seifen in Betracht. 

Es fragt sich dann zunächst, wie diese Aktivatoren wirken. 
Es ist selbstverständlich a priori nicht unmöglich, daß der 
Aktivator mit dem Gifte in ähnlicher Weise betrefis Hämolyse 
reagieren könnte, wie nach P. Ehrlich (und entgegen des Ver- 
fassers Anschauung) Immunkörper und Komplement. Anderseits 
wäre denkbar, daß der hämolytische Effekt von Aktivator und 
Gift eine Summation der Einzelwirkungen von beiden darstellen 
könnte. Es ist sicher kein Zufall, daß nur die Stoffe als Akti- 
vatoren fungieren können, welche an und für sich in etwas 
größerer Menge Hämolyse bewirken. Andere Möglichkeiten 
stehen auch offen. 


1) Diese Zeitschr. 11, 521, 1908. 
Biochemische Zeitschrift Band 12. 29 


442 I. Bang: 


Selbstverständlieh lassen sich alle diese Möglichkeiten durch 
die Experimentalforschung näher studieren. Nach meiner Über- 
zeugung ließ sich aber hierdurch kaum ein tieferer Einblick in 
die Vorgänge gewinnen, da man in diesem Falle mit vielen 
Unbekannten auf einmal arbeitet: Blutkörperchen, Kobragift, 
Aktivatoren und Salzen. Daß die Salze keineswegs gleichgültig 
sind, zeigen die Beobachtungen von Noguchi u. a., nach denen 
die Salze der zweiwertigen Metalle schon in sehr kleiner 
Menge die Kobragifthämolyse vollständig verhindern können. 
Die Möglichkeit steht demgemäß offen, daß auch die Salze der 
einwertigen Metalle oder in casu NaCl eine ähnliche Wirkung 
vielleicht besitzen. 

Für eine solche Möglichkeit spricht der Umstand, daß 
das Kobragift Blutkörperchen in Rohrzuckerlösung direkt ohne 
irgendwelchen Aktivator auflöst. 

Ich habe deswegen als meine erste Aufgabe das Studium 
der Kobragifthämolyse des Rohrzuckerblutes be- 
trachtet. Mit der Erledigung dieser Frage kam die Bedeutung 
der Salze zur Untersuchung. Erst wenn diese zwei Faktoren 
aufgeklärt waren, konnte man zur Untersuchung der Bedeutung 
der Aktivatoren übergehen, und zwar sowohl für die Hämolyse 
des Rohrzuckerblutes als des Kochsalzblutes. 

Die vorliegende Abhandlung soll nur die Hämolyse des 
Rohrzuckerblutes und die Bedeutung der Salze umfassen, und 
es bleibt einer folgenden Abhandlung die Aufklärung der Rolle 
des Aktivators vorbehalten. 


1. Methodik. 


Das Blut war in den meisten Versuchen Rinderblut, an- 
fangs von erwachsenen Tieren, später beinahe ausschließlich 
von Kälbern. (Doch sind die Ergebnisse durch Versuche an 
Ochsenblut bestätigt.) Gelegentlich wurden auch Versuche 
mit Schweineblut, Schafblut und Kaninchenblut angestellt. 
(Die Ergebnisse mit den letztgenannten Blutsorten sollen hier 
nicht besprochen werden. Es waren nur orientierende Versuche, 
welche übrigens zeigten, daß keine prinzipiellen Unterschiede 
gegenüber Kobragift zwischen empfindlichem und unempfind- 
lichem Rohrzuckerblute existieren.) 


Kobragift und Hämolyse. II. 443 


Das Blut wurde als 5°/,ige Aufschwemmung in 8°/,iger 
Rohrzuckerlösung verwendet. Zuerst wurde zweimal mit 
Rohrzuckerlösung ausgewaschen. Die Notwendigkeit des Aus- 
waschens von Serumbestandteilen illustriert folgende, besonders 
darauf gerichtete Untersuchung. 

Kalbsblut (welches in Zuckerlösung nicht agglutiniert) 
wurde teils direkt mit Rohrzuckerlösung verdünnt, teils damit 
ein-, zwei- und dreimal ausgewaschen und dann bis zu einer 
5°/,igen Blutaufschwemmung verdünnt. 


Tabelle I. 
0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm 
EE 0% 006 008 0,10 
Direkt m. Rohrzucker verdünnt -+ + + u 
lmal ausgewaschen . . . . total total total total 
2 mal S 0000. total total total total 


In diesem und den folgenden Versuchen bedeutet 0 = keine 
Hämolyse, — = schwache, +, mäßige, LL starke und total = 
komplette Hämolyse. 

Die Gegenwart von Serum hat also in diesem Versuche 
die Hämolyse verhindert, trotzdem bekanntlich beim Kochsalz- 
blut das Serum einen Aktivator des Kobragiftes darstellt. 

Auch durch Zusatz von Serum an ausgewaschenen Blut- 
körperchen kann man die Hemmung zeigen. Hierzu lassen 
sich auch andere Blutsorten wie Kaninchenserum verwenden. 
Eine Hemmung der Hämolyse von Kochsalzblut mit Kobragift 
und „Lecithin‘ durch Kaninchenserum haben bereits Reen und 
Sachs nachgewiesen. 

Schon eine einmalige Auswaschung genügt jedoch, um diesen 
Einfluß zu eliminieren. In sämtlichen folgenden Versuchen wurde 
aber das Blut zweimal mit Zuckerlösung ausgewaschen, und 
wir können demgemäß von dieser Fehlerquelle absehen. 

Da sowohl Ochsenblut wie Kalbsblut erhebliche Variationen 
gegen die Einwirkung von Kobragift zeigten, war es absolut 
notwendig, die Ergebnisse durch zahlreicheKontrolluntersuchungen 
mit anderem Blute zu prüfen. Wie aus den folgenden Übersichts- 
tabellen ersichtlich ist, ist dies auch überall geschehen. Aus 
Gründen, die später erwähnt werden sollen, war es weiter not- 
wendig, sämtliche Versuche an einem und demselben Tage an- 


zustellen. Sonst sind nämlich die Ergebnisse nicht vergleichbar. 
29* 


444 I. Bang: 


Ferner behält das Blut, im eigenem Serum aufbewahrt, nicht 
immer eine unveränderte Empfindlichkeit bei, was auch be- 
rücksichtigt werden mußte. 

Um technische Fehler beim Abmessen usw. vermeiden zu 
können, war es notwendig, Doppelversuche anzustellen, was auch 
meistens geschehen ist. (In den letzten 20 Versuchsserien 
wurden jedoch gewöhnlich nur Einzelversuche vorgenommen.) 

Bei der Anstellung der Versuche wurde erst die Giftlösung 
in die Röhrchen eingeführt und dann mit Rohrzuckerlösung 
bis 0,2 ccm ergänzt (das letztere jedoch in den 20 letzten Ver- 
suchsserien unterlassen). Hierzu wurden dann im Strahle 
2 ccm BIL iges Rohrzuckerblut hinzugefügt. Wenn Salze usw. zur 
Verwendung kamen, wurden diese gewöhnlich zuerst, nachher die 
Kobralösung und zuletzt das Blut hinzugesetzt. Durch besonders 
darauf gerichtete Versuche habe ich mich übrigens überzeugt, 
daß die Reihenfolge gleichgültig ist. Nach der Mischung wurde 
umgeschüttelt und die Proben in einen Thermostaten bei 37° ge- 
stellt. Nach einer Stunde wurden die Proben herausgenommen, 
umgeschüttelt und in den Eisschrank gestellt. Nach 16 Stunden 
im Eisschrank wurden die Ergebnisse protokolliert. 

Weiter ist es selbstverständlich wichtig, wenn man zahl- 
reiche Versuchsserien anstellen will, daß man über eine unver- 
änderliche Stammlösung verfügt. Die Giftlösung war ge- 
wöhnlich ein 0,1°/,iges Kobragift in Wasser und Glycerin 
(ana partes), wie die meisten Forscher es benutzen. Weil un- 
begrenzt haltbar, ist diese Form sehr vorteilhaft, besonders wenn 
man — wie ich selbst — nur über geringe Giftquantitäten ver- 
fügt. Die meisten Versuche sind auch hier mit solchen 
Giftlösungen angestellt. Ich habe hierbei stillschweigend an- 
genommen, daß das Glycerin ohne Bedeutung sei. Als 
permeabel dürfte das Glycerin sich gleichmäßig auf Blut- 
körperchen und Flüssigkeit verteilen, was auch von mir direkt 
nachgewiesen wurde. Trotzdem habe ich nicht versäumt, ver- 
gleichende Untersuchungen mit rein wässerigen Kobralösungen 
anzustellen. In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse hier- 
mit zusammengestellt. 


Kobragift und Hämolyse. II. 445 


Tabelle II. 
0,1 °/,ige Kobralösung in cem 
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
728 0 0 4 +— 
b 0 0 0 ++-+— 
73 a 0 0 0 0 
b 0 0 0 0 
74 a 0 0 +4 total 
b 0 0 0 -+ 
75 a 0 0 -H — total 
b 0 0 0 Kuppe 
76 a ++ total total total 
b 0 0 d d 
77% 0 0 + total 
b 0 0 total 
78 a +--+ total total total 
b ++ total total total 
GË tt ++ ++ 
b 0 ++ 0 total 
80 a +-+- total total total 
b 0 total total total 
sa — ++ ++- 
b d d 0 0 
82 a +++ total total total 
b 0O +++ +++ total 
83 a 0 0 0 0 
b 0 0 0 +++ 


& — wässerige, b = glyoerinhaltige Kobralösung. 


Wie ersichtlich, sind die Blutkörperchen gegenüber wässeriger 
Kobralösung im allgemeinen etwas empfindlicher. (Besonders 
ist Versuch Nr. 76, welcher mit demselben Resultate wiederholt 
wurde, deutlich.) Anderseits kommt auch das entgegengesetzte 
Verhältnis bisweilen vor (Nr. 72, 83 u. ol, Und endlich zeigen 
die Blutkörperchen in einigen Versuchen (wie Nr. 77, 78, .79, 
80, 82) dieselbe Empfindlichkeit gegen beide Giftlösungen. Ich 
möchte die Unterschiede auf eine verschiedene Permeabilität 
der Blutkörperchen gegenüher Glycerin erklären. Wenn sie 
weniger permeabel sind, bewirkt das Glycerin einen Überdruck, 
welcher die Hämolyse verhindert. Ich habe gefunden, daß 
solche Blutkörperchen nach Glycoerinbehandlung besonders resistent 
gegen Verdünnung sind, was mit einer geringen Diosmose von 
Glycerin zusammenhängen kann. Übrigens lege ich auf diese 
Erklärung keinen besonderen Wert. 

Jedenfalls geht aus den Versuchen hervor, daß es sehr 
notwendig war, die Ergebnisse durch Verwendung von glycerin- 


446 I. Bang: 


haltiger Giftlösung mit Kontrolluntersuchungen von rein wässe- 
rigen Kobralösungen zu verifizieren. Dies ist auch überall 
geschehen. 


2. Das Rohrzuckerblut wird von Kobragift allein hämolysiert. 

In meinen ersten Versuchen wurde Ochsenblut, welches 
24 Stunden im Eisschranke zur Deglutination gestanden hatte, 
verwendet. Die Ergebnisse waren indessen nicht besonders er- 
munternd, indem die Resistenz gegen Kobragift ganz erheblich 
variierte, wie die folgende Tabelle zeigen kann. 


Tabelle III. 
0,1°/,ige Kobralösung in ccm 
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
2 0 0 d +++ 
8 LL total total total 
9b!) total total total total 
10 0 Kuppe TT — 
11 0 0 +++ total 
12 0 +++ +++ total 
13 — total total 
36 0 0 0 0 
54 d total total total 
902) Se total total total 
92 0 +++ total total 
93 0 0 Kuppe 
94 0 0 d Kuppe 


In einigen Versuchen wurden die Bestimmungen nach 
24 Stunden wiederholt. Es zeigte sich dann, daß in einigen 
Fällen die Empfindlichkeit erheblich vermindert worden war. 
Tabelle IV kann darüber unterrichten. 


Tabelle IV. 
Blut 0,10%/,iges Kobragift in com 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
9 Gleich nach Deglutination total total total total 
24 Stunden später . 0 0 0 0 
10 Gleich nach Deglutination 0 Kuppe ++ ++ 
24 Stunden später . 0 0 0 ++ 
13 Gleich nach Deglutinatin - ++ total total 
24 Stunden später . + ++ total total 
48 Stunden später . d 0 0 ++ 
92 Gleich nach Deglutination 0 +-+- total total 
24 Stunden später . 0 — — — 


1) 9a = Kalbsblut, 9b = Oohsenblut. Beide wurden an demselben 
Tage verarbeitet. 


2) Die Nummern 90 bis 94 stellen die ersten Versuchsserien dar. 


Kobragift und Hämolyse. IL 447 


In anderen Versuchsserien war die Resistenz nach 24 Stun- 
den unverändert geblieben (Nr. 8, 11 und 13), in der letzteren 
wurde jedoch die verminderte Empfindlichkeit nach 48 Stunden 
nachgewiesen. 

Da also das Ochsenblut sich weniger geeignet erwies, wurden 
Versuche mit Kalbsblut angestellt, und zwar mit dem bemerkens- 
werten Erfolg, daß dasselbe nicht in Rohrzuckerlösung agglu- 
tiniert, weshalb man hier die Deglutination nicht abzuwarten 
brauchte. Die Veränderungen, welche beim Stehen mit Rohr- 
zuckerlösung eintreten, ließen sich deswegen hier vermeiden, und 
man konnte deshalb hoffen, durch Verwendung von Kalbsblut 
gleichmäßigere Resultate zu erzielen. Inwieweit diese Hoff- 
nungen erfüllt worden sind, kann die folgende Tabelle illustrieren. 


Tabelle V. 
0,1°/ ige Kobralösung in ccm 
Blut Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
1 — total total total 
3 d 0 IT HT 
4 = Se ee total 
5 +-+- total total total 
6 Kuppe T e ee 
7 total total total total 
8 0 — + + 
14 0 -4- total total 
15 + LL LL pA 
16 0 0 — — 
17 + +++ total total 
18 O0 444 +++ total 
19 total total total total 


Ein Vergleich der 13 Rinderblutsorten mit den 13 Kalbs- 
blutsorten, welche beide von derselben Jahreszeit her- 
stammen, zeigt, daß vom Rinderblut 62°/,, von dem Kalbsblut 
aber 77°/, empfindlich waren. (Vom Kalbsblut sind weiter zirka 
80 Blutsorten untersucht worden; über die Ergebnisse wird 
später berichtet werden.) 

Indessen sind die Versuchsserien vielleicht nicht zahlreich 
genug, daß den Schlußfolgerungen größerer Wert beigelegt 
werden kann, und die gefundenen Unterschiede sind auch 
nicht besonders groß. Einen weit besseren Überblick bekommt 
man aber, wenn man die Ergebnisse gleich nach der Dar- 
stellung des Rohrzuckerblutes mit denjenigen von Kalbsblut, 


448 L Bang: 


welches 24 Stunden im Eisschrank gestanden hat, vergleicht. 
Solches Blut hat also genau dieselbe Zeit gestanden, welche 
zur Deglutination des Ochsenblutes notwendig ist. 


Tabelle VI. 
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in cem 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
l Gleich nach Mischuug +--+ total total total 
Nach 24 Stunden d 0 + ++ 
Nach 48 3 0 0 0 — 
4 Gleich nach Mischung + ++ +++ total 
Nach 24 Stunden 0 0 0 d 
5 Gleich nach Mischung +++ total total total 
Nach 24 Stunden 0 0 d ++ 
7 Gleich nach Mischung total total total total 


0 0 0 
+ ++ 
— — 
total total 


Nach 24 Stunden 

9 Gleich nach Mischung 
Nach 24 Stunden 

14 Gleich nach Mischung 


Bä 
Nach 24 Stunden SE ++ +++ 
15 Gleich nach Mischung +++ +++ total 


d 

0 

0 

d 

0 

cb 
Nach 24 Stunden +-+ +++ +++ total 
17 Gleich nach Mischung -+ +++ total total 
Nach 24 Stunden 0 +++ total total 

0 

0 


18 Gleich nach Mischung +++ +++ total 
Nach 24 Stunden ++ +++ total 

Wie ersichtlich, wird auch das Kalbsblut beim Stehen oft 
erheblich verändert, jedoch nicht immer, da das Blut in 
ca. 40°/, eine unveränderte Empfindlichkeit beibehalten hat 
(wahrscheinlich ist diese Ziffer etwas zu hoch; bei den übrigen 
Blutsorten war die unveränderte Empfindlichkeit nur ausnahms- 
weise zu finden). Jedenfalls ist es vorteilhaft, das Blut 
unmittelbar nach der Mischung zu benutzen; denn man kann 
unmöglich die Ergebnisse bei Verwendung gestandenen Blutes 
mit denjenigen von frischem Rohrzuckerblut vergleichen. 

Es fragt sich dann weiter, ob das Blut dieselbe Empfind- 
lichkeit vor und nach der Koagulation und nach Aufbewahrung 
während einiger Zeitim eigenen Serum beibehält. Während nur ein- 
mal das Kalbsblut vor und nach der Koagulation (das Blut 
spritzte direkt von der Ader in die Rohrzuckerlösung bzw. wurde 
ca. 1 Stunde nach der Koagulation damit verdünnt usw.) unter- 
sucht wurde (wobei kein Unterschied gefunden wurde), ist öfter 
das Blut 1 bis 2 Stunden nach der Koagulation und 24 Stun- 


u’ 


Kobragift und Hämolyse. II. 449 


den später zur ‚Darstellung von Rohrzuckerblut verwendet 
worden. Einige solche Versuche sind in der folgenden Tabelle zu- 
sammengestellt. 


Tabelle VII. 
0,1°/,ige Kobragiftlösung in com 


Blut Nr. 0,04 0,06 0.08 0,10 
44 a 0 total total total 
b + — — total 
45 a total total total total 
b 0 total total total 
47 a ++ total total total 
b 0 +++ total total 
48 a total total total total 
b 0 0 ++ total 
52 a 0 0 0 total 
b 0 0 — total 

59 a 0 0 0 0 
b + +++ total total 
60 a 0 total total total 
b — total total total 
74 a 0 -+ EE total 
b 0 0 +++ total 


a — frisches Blut, b— 24 Stunden altes Blut mit Rohrzuckerlösung ver- 
dünnt usw. 

Die Tabelle VII zeigt, daß das Blut zwar oft eine un- 
veränderte Empfindlichkeit beibehält, jedoch nicht immer, 
da man nicht selten eine deutlich verminderte Empfindlich- 
keit, ausnahmsweise aber auch eine größere Empfindlichkeit 
beobachten kann. Aus diesen Gründen ist es nicht erlaubt, die 
Ergebnisse mit frischem und altem Blute direkt miteinander 
zu vergleichen. 

Zuletzt hat sich herausgestellt, daß das Kalbsblut zu ver- 
schiedenen Jahreszeiten recht bedeutende Variationen der 
Empfindlichkeit aufweist. Da diese Tatsache bis jetzt unbekannt 
ist und ihr zudem eine gewisse Bedeutung zukommt, erlaube ich 
mir, die Ergebnisse ausführlich zu besprechen. Sie sind in der 
folgenden Tabelle zusammengestellt. Hier sind jedoch einige Blut- 
sorten vom Kalb nicht mit aufgenommen, bei welchen nur das 
Rohrzuckerblut nach 24 Stunden untersucht wurde. Diese Ver- 
suche wurden in den Monaten Mai und Juni ausgeführt. Sie 
zeigen gewöhnlich eine recht große Empfindlichkeit gegen 
Kobragift. 


g 
e 
k 


8885 
Get elt A E 
3 3 3 3 


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OND 
3 


16. IX. 


Pils sus» 


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SC? 


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bt 
m 
a 2 a a a a a a a 





I. Bang: 
Tabelle VIII. 
0,1°/,ige Kobralösung in ccm 
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
+++ total total total 
+++ total total total total 
— ++ +++ ++ 
total total total total 
0 - + ++ 
0 + total total 
p3 Te SET — 
GE +++ total total 
d 0 +++ +++ total 
+++ total total total total 
0 — +++ total total 
0 — -+ total total 
0 ++ total total total 
0 — total total total 
0 total total total total 
++ total total total total 
0 0 — — 0 
el total total total total 
0 0 total total total 
0 — total total total 
0 0 u E 
+ +++ total total 
0 0 +H — 
-+ total Sg Si Se 
total total total total total 
0 +++ ++ total total 
total total total total total 
+++ total total total total 
0 < a tte Ge 
0 0 total total 
-L total total We total 
+ total total total total 
0 +++ total total total 
total total total total total 
0 0 Jk it 
0 EE Län FE: 
d — — EE total 
-L total total total total 
0 0 0 0 Tea 
0 - total total total 
0 0 0 0 total 





1) Die Kontrollproben ohne Gift zeigten hier — --. 


Kobragift und Hämolyse. II. 


0,1°/,ige Kobralösung in ccm 


0,02 0,04 
0 0 
0 
0 


4 
-+ 


oeooooo00/o0+ 


S 


total 


d 
oJloooo-ooo0] 
| 


0,06 


KEE 


total 


S o 
E, 


‚IV. 0 0 


u. Tag Nr. 
ll. „ 55 
14. „ 56 
Eier. s 57 
20. „ 59 
23. 5 60 
2.L 65 
3. „ 64 
8. „ 67 
IL. „ 68 
15. „ n 
18. „ 12 
20. „ 73 
22., 74 
25. „ 76 
27. „ 77 
30. „ 78 
17. II. 79 
19. „ 80 
21. „ 8l 
24. „ 82 
26. „ 83 
27.5 340 

6. III. 85 

8. „ 86 
10. „ 87 
12. „ 88 
15. „ 89 
18. „ 100 
19. „ 101 
23. „ 102 
26., 103 
29. „ 104 
3l. „ 105 

1.IV 106 
3. „ 107 
Do. 108 
13. „ 110 
14. „ 111 
16. „ 112 
19. „ 113 
20. „ 114 
24. „ 115 
26. „ 116 
SR 3 117 
30. „ 118 


oo-oo0]| sooo, 


451 
0,08 0,10 
total total 
+++ ++ 
total total 
0 0 
0 0 
0 total 
0 0 
0 0 
0 total 
0 0 
— + 
0 0 
++ +++ 
total total 
-+ — total 
total total 
++ Lt 
total total 
+ +++ 
total total 
0 E 
0 0 
total total 
total total 
0 0 
Kuppe T 
total total 
total total 
total total 
0 0 
0 0 
Kuppe Kuppe 
0 0 
total total 
+ +++ 
Kuppe ii 
— total 
++ +++- 
++ +++- 
Kuppe — 
++-+— total 
total total 
++-+— total 
+++ total 


Vergleicht man die Empfindlichkeit des Kalbsblutes zu den 
verschiedenen Jahreszeiten, so wird man bemerken, daß das Blut 


452 I. Bang: 


im Sommer und Herbst eine große und regelmäßige Empfind- 
lichkeit zeigt, während es im Frühjahr und Winter sich oft 
refraktär erwiesen hat. Im Mai 5 Blutsorten (4mal empfindlich) 
—=80°/,, Juni 4 (3)—=?75°/,, September 6 (6) = 100°/,, Okto- 
ber 12 (9) = 75°/» November 13 (12) — 90°/,, während im 
Dezember 8 (3)—=50°/,, Januar 11 (5)=45°/,, Februar 6 (3) 
= 50°/,, März 11 (5) — 45°/, und April 12 (9) =75°/,. Da 
das Alter. der Kälber ohne Bedeutung war (gewöhnlich waren 
sie 6 Wochen bis 2 Monate alt), hat man zur Erklärung der 
verschiedenen Empfindlichkeit in den verschiedenen Jahreszeiten 
wohl in erster Linie an den Temperaturunterschied zu denken. 
Hiermit stimmt überein, daß ich besonders im Frühjahr bei 
eingetretener Kälteperiode immer eine verminderte Empfind- 
lichkeit vorfand. Die Kälber kamen vom Lande mit der Eisen- 
bahn und haben wahrscheinlich ohne Nahrung relativ lange in 
dem ungeheizten Wagen gestanden. 


Obwohl eine Übereinstimmung zwischen Temperatur und 
Empfindlichkeit des Blutes im großen und ganzen vor- 
kommt, ist diese doch keine absolute, was man andrerseits 
kaum erwarten konnte. Unter diesen Umständen und da die 
Tatsachen auch für andere Blutuntersuchungen nicht ohne 
Interesse sind, bin ich Prof. Charlier dankbar, daß er für 
mich die korrespondierenden Werte mathematisch berechnet hat. 
Aus dem gefundenen Korrelationskoeffizienten (+- 0,55) geht nach 
Charlier ‚„unzweideutig hervor, daß ein Zusammenhang zwischen 
den beiden Erscheinungen stattfindet“. 


Durch die Freundlichkeit meines Kollegen Prof. Charlier 
bin ich über die durchschnittliche Lufttemperatur in Lund 
(8 Uhr morgens) in den Monaten Mai 1908 bis April 1909 orien- 
tiert und stelle hier dieselben zum Vergleich der Blutempfind- 
lichkeit zusammen: 


Lufttemperatur Empfindlich- Lufttemperatur Empfindlich- 
(Lund) keit d. Blutes (Lund) keit d. Blutes 
1908 Mai — 9,7°C Son, 1908 Dez. —0,1°C 50°/, 
„ Juni +15,0°C 75°/, 1909 Jan. —0,9°C 45°), 
„ Sept. +11,4°C 100°), „ Febr. —3,9°C 50°/, 
„ Okt. 4 7,6°C 75%, „ März—12°0 Apel, 
„ Nov. + 11°C 90°, „ April +3,3°C 75°/, 


Kobragift und Hämolyse. II. 453 


Ist die gegebene Erklärung richtig — und hierfür werden 
später Beweise geliefert — so muß man auch die klimatischen 
Verhältnisse berücksichtigen. Die hier für das südliche Schweden 
gefundenen Ergebnisse treffen deswegen wahrscheinlich nicht für 
ein wärmeres (oder kälteres) Klima genau zu. | 

Aus dem Angeführten geht ganz unzweideutig hervor, daß 
die Blutkörperchen vom Rind eine recht veränderliche Empfind- 
lichkeit gegenüber Kobragift besitzen, wenn sie in Rohrzucker- 
lösung aufgeschwemmt sind. Diese Tatsache zeigt, daß recht 
komplizierte Verhältnisse vorliegen müssen, deren Erklärung 
voraussichtlich mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist. Es 
ist aber ganz klar, daß die Verhältnisse erklärt werden müssen, 
wenn wir das Wesen der Kobragifthämolyse von Rohrzuckerblut 
verstehen wollen, welche andererseits die Voraussetzung der Er- 
klärung von der Wirkung des Aktivators bilden soll. Ehe wir 
aber hierauf näher eingehen, ist es notwendig, die Wirkung der 
Salze auf die Kobragifthämolyse zu besprechen. Zuerst soll 
jedoch eine Vorfrage berücksichtigt werden: 

Ist die Rohrzuckerlösung ein indifferentes Medium, in welcher 
das Gift und die Blutkörperchen unbehindert miteinander rea- 
gieren können oder stellt der Rohrzucker einen Aktivator bzw. 
ein Co-Enzym dar, welches mit dem Gifte zusammen die 
Hämolyse bewirkt? 

Diese Frage läßt sich in der Weise beantworten, daß man 
statt Rohrzucker einen andern Nicht-Elektrolyten zur Darstellung 
der isotonischen Verdünnungsflüssigkeit benutzt. Als solchen 
habe ich Mannit verwendet. 


Tabelle IX. 
Blut 0,1°/,iges Kobragift in ccm 
Nr. 0,04 0,06 0,08 
mm 0 +++ — 


Das Mannitblut wurde also von Kobragift allein hämolysiert. 
Das betreffende Ochsenblut wurde auch in Mannitlösung ag- 
glutiniert und nach einem 24 stündigem Aufenthalt auf Eis de- 
glutiniert, wie Rohrzuckeraufschwemmung desselben Blutes. Das 
Mannitblut verhält sich infolgedessen in jeder Beziehung wie Rohr- 
zuckerblut. (Von demselben Blute wurde auch Rohrzuckerblut 
dargestellt. Es zeigte gute Übereinstimmung in bezug auf 


454 L Bang: 


Hämolyse durch Kobragift mit dem Mannitblute.) Es ist dem- 
gemäß sehr wahrscheinlich, daß Rohrzucker ein indifferentes 
Medium darstellt oder jedenfalls nicht als Aktivator wirkt. 


8. Die Hämolyse des Rohrzuckerblutes wird von Salzen 
verhindert. 


Wir werden uns hier ausschließlich mit Kochsalz beschäftigen, 
und es soll nur erwähnt sein, daß viele andere Salze sich ebenso 
verhalten. (In dem folgenden Kapitel wird über das Verhalten 
anderer Salze näher berichtet.) Die betreffenden Versuche wurden 
in dem einen Falle so ausgeführt, daß verschiedene Quantitäten 
der Giftlösung zu einer bestimmten Menge Kochsalzlösung — ge- 
wöhnlich 0,08 ccm einer ?/, molaren NaCl-Lösung — zugefügt 
wurden. Nach Ergänzung bis auf 0,2 ccm mit Rohrzuckerlösung 
wurde das Blut hinzugefügt. In diesen Versuchen war der 
Kochsalzgehalt der ganzen Mischung 0,11°/, oder ca. !/,, Mol NaCl. 
An dem anderen Falle wurden auch zu einer bestimmten Menge 
Kobragift variierende Quantitäten derselben Kochsalzlösung ge- 
setzt. Da die letztgenannten Versuche mit den zuerst erwähnten 
völlig übereinstimmten, brauchen diese hier nicht ausführlich 
angeführt zu werden. 


Tabelle X. 
Blut 0,1°/,ige Kobralösung in com 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 Blutart 
l ohne NaCl +-+-+ total total total Kalb 
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ +++ 
2 ohne Salz 0 0 0 +++-— Ochs 
mit 0,08 ccm NaCl + +— ++ ++ 
3 ohne Salz 0 0 +-+ ++ Kalb 
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ +-+ 
5 ohne Salz +++ total total total e 
mit 0,08 ccm NaCl 0 ++ +++ total 
6 ohne Salz Kuppe ++ +++ 444» 
mit 0,08 cem NaCl 0 0 -+-+ -++ 
7 ohne Salz total total total total = 
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 4 total 
8 ohne Salz +++ total total total Ochs 
mit 0,08 cem NaCl ++ +++ total total 
9a ohne Salz 0 — + —+ Kalb 
mit 0,08 com NaCl 0 0 0 0 
15 ohne Salz + +++ EL total a 
mit 0,08 ccm NaCl 0 ++ +++ +++ 


Kobragift und Hämolyse. II 455 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm 

Nr. 0,04 0,06 0,08 0.10 Bilutart 

16 ohne Salz 0 0 — — 2 
mit 0,08 com NaCl 0 0 0 0 

17 ohne Salz + +++ total total 2 
mit 0,08 ccm NaCl + ++ +++ total 

25 ohne Salz total total total total 7 
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 +-+- total 

26 ohne Salz + total total total 
mit 0,08 eem NaCl 0 + + +++ 

27 ohne Salz total total total total S 
mit 0,08 ccm NaCl 0 0 ++ total 

28 ohne Salz total total total total m 
mit 0,08 ccm NaCl bs ++ total total 

29 ohne Salz 0 + 


++ 0 

mit 0,08 com NaCl 0 SE — 

Von den 16 Versuchsserien war das Blut 11Imal empfind- 
lich und 5mal unempfindlich gegen Kobragift. Von den 11 emp- 
findlichen Blutsorten wurde in 6 Fällen (1, 7, 25, 26, 27, 28) 
eine starke Hemmung des Kochsalzes, in 5 Fällen aber (5, 6, 
8, 15, 17) eine weit geringere Hemmung (wenn überhaupt eine) 
nachgewiesen. Von den 5 unempfindlichen bzw. wenig emp- 
findlichen Blutsorten konnte 2mal eine Hemmung nachgewiesen 
werden. In den übrigen 3 Fällen war das Kochsalz entweder 
ohne Wirkung oder zeigte im Gegensatz eine befördernde. 
Trotzdem also auch hier keine konstante Wirkung des Salzes 
vorliegt, findet man doch, wenn man von dem wenig emp- 
findlichen Blute absieht, überall sonst (mit einer Ausnahme, 
Nr. 17) bei 0,04 com Kobragift eine vollständige Hemmung 
durch das Salz und bei 0,06 ccm beinahe konstant eine Hem- 
mung, obwohl diese in einigen Fällen (8, 15, 17) wenig aus- 
gesprochen war. Besonders bei 0,08 und 0,10 ccm Kobragift ist 
aber der hemmende Einfluß des Salzes nur ausnahmsweise zu 
finden. Wir dürfen deswegen folgern, daß bei empfindlichem 
Blute etwa 0,05 com Kobragift von 0,08ccm 1/, molarer NaCl- 
Lösung im Gleichgewicht gehalten werden. 

Für das Studium des Gleichgewichtes zwischen Gift und 
Salz ist es aber notwendig, auch solche Versuche anzustellen, 
in welchen das Gift konstant und die Salzquantität variabel 
ist. Weiter mußte man auch mit größeren Salzquantitäten 
arbeiten. Die Tabelle XI gibt hierüber einen Überblick. 


456 I. Bang: 


Tabelle XI. 


Salzlösung in ccm 


Blut , 

Nr. NaCl-Konzentration 0,04 0,06 0,08 0,10 

3  1amolare lung +++ ++ ++ + 
Yı n n ++ Zu — 0 

5 1 y J total total total total 
total +++ tt + 

ZE EE total total +++ +++ 


Die Giftquantität war überall 0,1 com einer 0,1°/ igen 
Lösung. Ein Vergleich der Tabellen X und XI wird das über- 
einstimmende Ergebnis zeigen, daß man bei steigenden Gift- 
mengen verhältnismäßig mehr Salz hinzufügen muß, um den- 
selben Hemmungsprozeß zu erzielen. (Beim Blute Nr. 3, vgl. 
Tabelle XI, hat die !/, molare NaCl-Lösung so gut wie keine 
Wirkung.) Bei Blut Nr. 5 entsprachen 0,06 ccm Kobragift und 
0,08 ccm 1/, molare NaCl-Lösung mäßiger Hämolyse (Tabelle X), 
während 0,10 cem Kobragift 0,08 bis 0,10 ccm TI, molare Lösung 
forderten. Beim Blut Nr. 7 ergaben 0,08 ccm Gift und 0,08 ccm 
1/, molare NaCl-Lösung — +, während 0,10 ccm Gift und 0,10 ccm 
1/ molare Lösung starke Hämolyse (+-+--+-) ergab. 

Man konnte deswegen erwarten, daß, wenn mit steigenden 
Mengen Gift die Progression des Salzes zur Beseitigung der Gift- 
wirkung noch größer ist, man sehr bald zu einem Punkte kommen 
müßte, bei welchem die Hämolyse durch Kobragift auch in 
reiner isotonischer Kochsalzlösung stattfinden würde. Z.B. ent- 
spricht in Versuch Nr. 5 0,08ccm TI. molare NaCl-Lösung in 
2,2 ccm Mischung etwa 0,2°/, NaCl der ganzen Aufschwemmung. 
Wenn diese schon von 0,1 ccm 0,1°/,iger Kobralösung stark 
hämolysiert wird, dürfte 0,4 ccm Kobragift auch Blutkörperchen 
in 0,8°/,iger NaCl-Lösung auflösen können. Der allgemeinen 
Auffassung nach ist aber Rinderblut in NaCl-Lösung gegen 
Kobragift ganz unempfindlich. Die Versuchsergebnisse sind 
nicht mit größeren Versuchsfehlern behaftet, da sämtliche 
Proben doppelt ausgeführt worden sind. (Übrigens wurde bei 
Blut Nr. 5 noch eine Serie mit 0,05 ccm Kobragift und variieren- 
den Quantitäten */,molarer NaCl-Lösung angestellt: 0,05 ccm 
Kobragift und 0,08 ccm NaCl ergab hier +--+ und stimmt also 
ganz mit Tabelle X überein.) Es wurden deswegen Versuche 
mit noch größeren Kochsalzquantitäten angestellt. Giftquantität 
= 0,10 ccm. NaCl = gesättigte Lösung. 


Kobragift und Hämolyse. IL 457 


Tabelle XII. 
Blut NaCl (gesättigte Lösung) in ccm 


Nr. 002 004 0,06 0,08 
15 +o + — — 
17 a 0 0 0 
18 St 0 0 0 


19 ++ 0 0 


Diese sämtlichen Blutproben waren sehr empfindlich gegen 
Kobragift. Trotzdem hier die NaCl-Konzentration in der Mischung 
nicht größer ist als ca. 0,2°/, (= 0,02 ccm) wird doch bei 
der Verwendung gesättigter Salzlösung die Hämolyse überall 
beinahe vollständig unterdrückt, während bei den Blutsorten 
Nr. 15 und 17 0,08 com Kobragift und 0,08 cem !/, molare NaCl- 
Lösung (=0,11°/,) starke Hämolyse ergaben. Beim Blute 
Nr. 5 war bei 0,2°/, NaCl noch starke Hämolyse vorhanden, 
wenn 1/, molare NaCl-Lösung verwendet wurde, während bei 
gesättigter Salzlösung dieselbe Salzquantität nur schwache Hä- 
molyse ergab. 

Besonders genau ist die Salzwirkung bei Blut Nr. 41 studiert 
worden. Ich erlaube mir, die Ergebnisse anzuführen: 


Tabelle XIII. 


Kobragift Salzlösung in ccm 
0,1 ccm 0,1°/,ige Lösg. 0,02 004 0,06 0,08 0,10 
002 n hd NaCl-Lög. +— +++ ++ +o + 
0,05 „ „+i » total total total +-— 


0,10, „+ e tell, 80/0) total total total — Se 
0,1 „1% + gesätt. „(=26%/,) total total total 

Hier entspricht 0,05 ccm 0,1°/,iges Kobragift etwa 5 mgr 
NaCl oder in der ganzen Mischung 0,20°/,; 0,10 ccm Kobragift 
etwa 9 mg NaCl oder 0,36°/,. Vermehrt man aber die Kobra- 
giftquantität um das 10fache, so ist die Grenze der kompletten 
Hämolyse nur bis 10,4 mg oder 0,47°/, NaCl verschoben. Wir 
kommen also bald zu einem Punkte, wo selbst durch 
eine große Vermehrung des Giftes nichts mehr zu 
erzielen ist. Bei den Blutsorten Nr. 38 und 39, wo der Rohr- 
zucker durch 0,8°/,ige NaCl-Lösung ganz ersetzt wurde, erzielte 
man auch durch 0,1 bis 0,2 eem 1°/,igen Kobragiftes keine Hä- 
molyse, obwohl z. B. beim Blute Nr. 38 0,05 ccm 0,1°/,igen 
Kobragiftes und 0,06 ccm !/, molaren NaCl-Lösung starke Hä- 


molyse ergab (NaCl-Gehalt der Mischung = 0,15°/,). 
Biochemische Zeitschrift Band 18, 30 


458 I. Bang: 


Beim Blute Nr. 41 entsprach 0,1 ccm 1°/,igen Kobragiftes 
etwa 0,47°/, NaCl der Mischung. Man konnte deswegen erwarten, 
daß man vielleicht bei Kochsalzblut Hämolyse erhalten würde, 
wenn man statt 2ccm 5°/,iger Blutkörperchen 1 eem 10°/ iger 
Blutkörperchen verwendete. Bei noch geringerer NaCl-Quantität 
dürfte auch eine 0,1°/ ige Kobragiftlösung hämolytisch wirken. 

Es wurden deswegen Rohrzuckerblutproben zentrifugiert und 
mit 1,5 ccm, 1,0 ccm und 0,5 ccm 0,8°/,iger NaCl-Lösung ver- 
setzt. Trotzdem hier nur 16 resp. 11 und 5 mg NaCl zugegen 
waren, bewirkte 0,1 ccm 1°/,igen Kobragiftes keine Hämolyse. 
Bessere Resultate erhielt man natürlich nicht mit der 0,1°/, igen 
Lösung. 

Wurden dagegen 0,06, 0,08 und 0,10 ccm 0,8°/,iger NaCl- 
Lösung (aus Rohrzuckerblut dargestellt) mit Rohrzuckerlösung 
auf 2ccm verdünnt, so bewirkte schon 0,1 ccm 0,1°/,iger Kobra- 
giftlösung wieder Hämolyse. 

Hieraus läßt sich folgern, daß nicht allein die absolute 
NaCl-Quantität, sondern in erster Linie die Konzen- 
tration des Salzes von wesentlicher Bedeutung ist. 

Es fragt sich dann betrefis der Salzwirkung: Ist die Hem- 
mung eine Kation-, Anion- oder reine Salzwirkung, und weiter: 
Wird die Hämolyse durch Einwirkung auf das Gift, auf die 
Blutkörperchen oder auf alle beide aufgehoben. 


4. Die Hemmung des Salzes auf die Hämolyse des Rohr- 
zuckerblutes ist eine Kationwirkung. 


Die Untersuchungen zur Aufklärung dieser Frage wurden 
in der bekannten Weise ausgeführt, daß einerseits Versuche 
mit verschiedenen Salzen mit demselben Kation und auf der 
andern Seite solche mit demselben Anion angestellt wurden. 
Die Salzlösungen wurden in molarer bzw. Bruchteilen von mo- 
larer Lösung verwendet. Zum Vergleiche wurden Versuche mit 
Kochsalz angestellt. Hier wie überall wurde die Empfindlich- 
keit des Blutes gegen Kobragift festgestellt. 

Wir werden zuerst die Versuchsserien der Salze mit ge- 
meinsamem Kation besprechen. Die Ergebnisse sind in Ta- 
belle XIV zusammengestellt. 





Kobragift und Hämolyse. II. 459 


Tabelle XIV. 
Blut Kobra- Salzlösung in ccm 
Nr. gift com 0,02 0,04 0,06 008 0,10 
5 0,05 +1/, mol NaCl - Lösg. total 444 ZE > 
5 op Li „ NaSO, n Jp e E 0 
5 0,05+1/; „ NasHPO, „ — F — 0 


35 0,1 41, „ NaCl „ ++- total total n ze 


35 0,1 41%, „ Bett „ total total ++ 

35 Ol Eia n Nat p FEH EE E 
35 0,1 +1!/, „Seignettesalzisg. total 

3 0,1 41), „ N&%HPO,-Le. total * Bi er Sr 
35 0,1 41, „ KHCO, „ total total total total total 


36 0,061 „ NaCl „ total e total + Sek 
36 0,06 SC 1/ 2 n K,0r0, n Si GR 

3 Ai Na A Her o o 
36 0,0641/, „Seignettesalisg. +++ +++ ++ 0 0 
36 0,06--1/, „NaHPO,-Leg. total total total total -++ 
36 0,06-+1/, „ KHCO, „ total total total total —+ 


Die Blutsorten Nr. 5 und 35 sind Kalbsblut, Nr. 36 Ochsen- 
blut. Ähnliche Serien wurden bei den Blutsorten Nr. 32, 34, 
38, 39, 90, 91, 92, 93, 94 und 95 angestellt. Die Ergebnisse 
stimmten mit den angeführten überein. 

Aus den Versuchen geht hervor, daß Phosphate und Carbo- 
nate der Alkalien mit Natriumchlorid dieselben Ergebnisse liefern. 
In anderen Versuchsserien zeigten sie eine etwas geringere 
Hemmung. Das Acetat steht auch dem Chloride recht nahe. 
Dagegen besitzen Seignettesalz und Chromat eine entschieden 
größere Hemmungswirkung als Kochsalz. (Es sei erwähnt, daß 
K- und Na-Salze übereinstimmen.) In anderen Versuchen wurde 
versucht, die Proportion zwischen Chromat und Chlorid näher 
festzustellen, wie z. B. im Blute Nr. 38. 


Tabelle XV. 
Blut Salzlösung in ccm 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 


38 ii molare NaCl-Lösung total total total 0 d 
3 1⁄4  » KCrO, „ total total + 0 0 


Die Giftquantität war überall 0,06 ccm 0,1°/,iger Lösung. 
Das Chromat besitzt infolgedessen ungefähr 4mal so große 
Hemmungswirkung wie das Chlorid. Gegen diese Erklärung 
liegt der Einwand nahe, daß das Chromat das Gift zerstört 
habe, da bekanntlich das Gift von oxydierenden Substanzen 


vernichtet werden soll. Aus diesem Grunde wird eben die Chrom- 
30* 


460 I. Bang: 


säure zur Zerstörung des Giftes an der Bißstelle injiziert. Daß 
jedenfalls diese Eventualität hier nicht in Betracht kommt, 
wurde in der Weise bewiesen, daß eine weit größere Chromat- 
menge keine Schutzwirkung bei Gegenwart von Lecithin 
(Aandelspräparat) ausübt. 

Die Versuche geben sonst keine ganz unzweideutige Ant- 
wort. Wenn die Hemmungswirkung eine reine Kationwirkung 
war, sollte man überall den gleichen Effekt gefunden haben. 
War andererseits das Anion der wirksame Bestandteil, sollte 
man jedenfalls nicht bei der schwachen Chromsäure die stärkste 
Hemmung finden. Eben die Versuche mit Chromsäure, Seignette- 
salz und Acetat sprechen aber entschieden für die Möglichkeit, 
daß hier eine Kationwirkung vorhanden ist. Wahrscheinlich 
hat also das Anion eine entgegengesetzte Wirkung. Dies wurde 
auch durch die folgenden Versuche bestätigt, welche verschiedene 
Kationen mit demselben (Cl) oder dem ungefähr gleich wirk- 
samem (GO) Anion aufweisen. 


Tabelle XVI. 


Blut Kobragift Salzlösung in ccm 

Nr. in ccm 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
92 0,1 1/, molare NaCl-Lösg. total total total — 
92 0,1 1/3 »„ NaSO, „ total LEE ++ 0 d 
92 0,1 la „ KO , total total total +— 
92 01 Mio „n Cal, „ 0 0 0 


92 01 Yo » Bal, „ 0 0 0 
92 0,1 (ie „ MgSO, „ 0 d 0 

In mehreren anderen Versuchen wurde !/ , molare MgSO,- 
Lösung verwendet. Bei dem Blute Nr. 92 ergaben 0,01 ccm 
BaCl, und CaCl, totale Hämolyse. Folglich entsprechen 0,04 ccm 
TL molare NaCl-Lösung hier 0,01 ccm ?/,, CaCl,. Die Wirkung 
des Kalkes wurde in zahlreichen Serien bestätigt. 

Besonders instruktiv ist Blut Nr. 39. 


Tabelle XVII. 
Blut Kobragift Salzlösung in com 
Nr. in ccm 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
39 0,05 1/ı molare NaCl-Lösg. total total -+++ 0 0 
39 0,05 2 ew NaCl „ +-+- total 0 0 0 
39 0,05 Yon Cal, „ — 0 0 0 0 
39 005 go „ Al(SO3n, +++ 0 0 0 0 


Aus diesem Versuche, welcher kontrolliert worden ist, geht 
hervor, daß die Hemmungswirkung des dreiwertigen Al-Kations 


Kobragift und Hämolyse. II. 461 


6mal größer als die des zweiwertigen Ca-Kations und diese 
60 mal größer als die Wirkung des einwertigen Na-Ions ist. Die 
molare Konzentration ist beim Kochsalz etwa '/,., beim CaCl, 
Hanne und beim Al,(SO,), */14000: 

Aus den angeführten Versuchen geht also hervor, 
daß die Hemmung der Salze eine Kationwirkung ist, 
und daß die Wertigkeit der Kationen für diese Wir- 
kung maßgebend ist. 

Gehen wir jetzt zur Beantwortung der zweiten Frage über; 
hier haben die Versuche folgende Antwort ergeben: 


ö. Die Hemmungswirkung ist nicht gegen die Blut- 
körperchen, wohl aber gegen das Gift gerichtet. 


Die Versuchsanordnung war sehr einfach. Blutkörperchen in 
Rohrzuckerlösung wurden zentrifugiert, die Zuckerlösung abge- 
gossen und mit der Salzlösung ersetzt. Nach kürzerer oder längerer 
Zeit wurde die Salzlösung entfernt und das Blut wieder in Rohr- 
zuckerlösung aufgeschwemmt. Dies Blut zeigte genau dieselbe 
Empfindlichkeit wie das ursprüngliche. Von den einwertigen 
Kationen wurde nur Kochsalz verwendet. Von den zweiwertigen 
Salzen wurden sowohl Ba- als Ca- und Mg-Salze benutzt. Diese 
Versuche wurden derartig angestellt, daß variierende Salz- 
quantitäten (wie oben) zum Rohrzuckerblut gesetzt wurden. 
Nach Aufenthalt von einer Stunde im Thermostaten wurden die 
Proben zentrifugiert und mit Kobragift und Rohrzucker versetzt. 
Dann trat Hämolyse ein. Die Proben mit dreiwertigem Kation 
(Alt*?) ergaben keinen guten Erfolg, indem schon ein kleiner 
Zusatz selbst dann Hämolyse bewirkte, wenn die Blutkörperchen 
in reine Rohrzuckerlösung übergeführt wurden. 

Die erwähnten Versuche zeigen, daß die Blutkörperchen 
durch Behandlung mit Salzlösungen nicht resistenter werden 
als sonst. Die Hemmungswirkung der Salze ist demgemäß in 
erster Linie nicht auf die Blutkörperchen gerichtet. 

Damit ist aber wahrscheinlich gemacht, daß die Salzwirkung 
gegen das Kobragift gerichtet ist. Zwei Möglichkeiten sind 
hier denkbar. Entweder kann das Salz die Aufnahme des 
Giftes durch die Blutkörperchen verhindern, oder aber die kobra- 
giftbeladenen Blutkörperchen werden in Gegenwart der Salze 


462 | L Bang: 


nicht hämolysiert. Die Versuchsanordnung, welche zur Lösung 
dieser Frage gemacht wurde, erforderte recht viele Vorarbeit. 

Es war nämlich denkbar, daß in Übereinstimmung mit 
den Verhältnissen bei dem immunisatorisch erzeugten Hämo- 
lysin das Kobragift zwar in der Kälte von den Blutkörperchen 
aufgenommen wurde, daß aber bei niedriger Temperatur dessen- 
ungeachtet keine Hämolyse stattfinden konnte. Wäre dies der 
Fall, so konnte man nach der Fixierung des Giftes untersuchen, 
inwieweit dann eine Salzbehandlung das Kobragift herauslösen 
konnte oder nicht. Würde das Gift herausgelöst, so war hiermit 
bewiesen, daß die Salze die Fixierung desselben auf den 
Erythrocyten hinderten. 

Zuerst soll also festgestellt werden, ob das Kobragift 
Rohrzuckerblut in der Kälte hämolysiert oder nicht. Es zeigte 
sich, daß selbst sehr empfindliche Blutkörperchen jedenfalls im 
Verlaufe von mehreren Stunden nicht im geringsten hämolysiert 
wurden. Bei einem Blute (Nr. 43) wurden sogar erst nach 
16 Stunden im Eisschrank die Blutproben beobachtet. 


Tabelle XVIII. 
0,1°/,iges Kobragift in com 
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 


1 St. 370, 16 St. Eisschrank 0 — ++- total total 
16 St. Eisschrank 0 0 Kuppe Kuppe Kuppe 


In der Kälte wird also Rohrzuckerblut nicht oder nach 
längerer Zeit nur spurenweise aufgelöst. 

Es fragt sich dann, ob das Gift überhaupt in der Kälte 
aufgenommen wird. Bei den Versuchen hierüber ließ ich das 
Gift eine Stunde in der Kälte auf das Blut einwirken, zentri- 
fugierte das Blut und versetzte die Blutkörperchen mit 2ccm 
Rohrzuckerlösung und den farblosen Abguß mit Blutkörperchen 
aus 2ccm Rohrzuckerblut. Die Mischungen kamen dann nach 
Schütteln wie gewöhnlich 1 Stunde in den Thermostaten und 
nachher 16 Stunden in den Eisschrank. Ich führe einige Ver- 
suche hier an. Zum Vergleich sind die gewöhnlichen Rohr- 
zucker-Kobraproben angeführt. 


Kobragift und Hämolyse. II. 463 
Tabelle XIX. 
Blut 0,1%/,iges Kobragift in ocom 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
41 Rzblut total total total total total 
Bl, + Rz total total total total total 


Abguß + Bl, Ss Sek ër Eeer Ee 


44 Rzblut 0 0 total total total 
Bl, + Rz o 0 + ++ +++- 
Abguß — Bl, 0 0 0 0 0 

45 Rzblut 0 0 total total total 
Bl, + Rz 0 0 +++ total total 
Abguß + Bl, 0 A 0 0 0 

51 Rzblut 0 0 0 0 ++ 
Bl, + Rz 0 0 0 + +-+ 
Abguß + BL 0 0 0 0 0 

53 Rzblut 0 0 0 0 total 
Bl, + Rz 0 0 0 0 0 
Abguß + BL 0 0 0 0 0 


Bl, = die mit Kobragift in der Kälte digerierten Blutkörperchen. 
Rz = Rohrzuckerlösung (2ccm). Bl, = neue Blutkörperchen aus 2 ccm 
Rohrzuckerblut. Rzblut — Rohrzuckerblut. 

Aus den Versuchen geht hervor, daß Kobragift in der 
Kälte von den Blutkörperchen aufgenommen wird, ohne daß 
Hämolyse auftritt. Hieraus läßt sich die wichtige Folgerung 
ziehen, daß die Aufnahme des Giftes nicht an sich Hämolyse 
bewirkt, sondern daß später gewisse Umsetzungen mit Gift und 
Blutkörperchenbestandteilen behufs Hämolyse stattfinden müssen. 

Das Gift wird weiter nicht vollständig aufgenommen, son- 
dern verteilt sich auf Blutkörperchen und Flüssigkeit. Die 
empfindlichsten Blutkörperchen nehmen wahrscheinlich mehr 
Gift auf als die weniger empfindlichen. Bei den unempfindlichen 
wird überhaupt nichts oder nur sehr wenig Gift fixiert, da 
auch nicht nach Zusatz von „Lecithin“ Hämolyse eintritt. 
Auf der anderen Seite kann man die beladenen Blutkörperchen 
mit Rohrzuckerlösung wiederholt ohne Giftverlust auswaschen. 
Der zweite Abguß enthält keine Spur von Kobragift (auch mit 
Lecithin keine Hämolyse). 

Nachdem wir also gefunden haben, daß empfindliches Blut 
in der Kälte das Kobragift ohne Hämolyse aufnehmen kann, 
ist hiermit die Möglichkeit gegeben festzustellen, inwieweit das 
Gift durch Salze aus beladenen Blutkörperchen entfernt wer- 
den kann. 


464 L Bang: 


Beim Blute Nr. 49 wurden Blutproben mit Kobragift in 
der Kälte (1 Stunde im Eisschrank) digeriert und die Lösung 
abzentrifugiert. Die Blutkörperchen wurden mit 0,9°/, NaCl- 
Lösung behandelt und diese nach einigem Umschütteln ab- 
zentrifugiert. Die Blutkörperchen in Rohrzuckerlösung mit 
„Lecithin‘ wurden wie gewöhnlich in den Thermostaten ge- 
stellt usw. Keine Hämolyse. Die abzentrifugierte Kochsalzlösung 
mit neuen Blutkörperchen und „Lecithin‘“ wurde vollstänfiig 
hämolysiert. 

Ganz überzeugend ist auch der folgende Versuch. 


Tabelle XX. 
Blut Kobragift in ccm 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
45a Rzblohen+Rz 0 — ++ total total 


45a Abguß-+-Bichen 0 0 0 0 0 


0,02 0,04 0,06 0,08 0,10ccm = NaCl-Lögg. 


45b Rzblut—+0,1Kobra total total 4 0 0 


45c Rzblchen+.0,1Kobra 
Rz 0 0 0 0 


+ 0 
450 Abguß+Bicken ++ ++ +— 0 0 


a Rzblut mit Kobragift 1 Stunde im Eisschrank zentrifugiert Blchen 
FL Rz, Abguß + neue Bichen. c Rzblut mit 0,1 Kobra + „0,02 — 0,10“ ccm 


7 NaCl-Lösung wie a behandelt. 


Der Abguß c bedingt beinahe ebenso starke Hämolyse wie 
das b-Blut oder mit anderen Worten, das Gift ist bei der 
Gegenwart von NaCl nicht fixiert worden. Die Serie a zeigt, 
daß Rzblut währene einer Stunde viel Gift aufgenommen hat. 

In einem Versuche wurde NaCl-Rzblut mit Kobragift di- 
geriert und die aufgenommene und in Lösung gebliebene Gift- 
menge durch „Lecithin‘ bestimmt. Während der Abguß mit 
neuen Blutkörperchen überall starke Hämolyse ergab, wurde bei 
den Blutkörperchen nur eine Spur bzw. schwache Hämolyse ge- 
funden, und wenn die Blutkörperchen einmal mit Rohrzucker- 
lösung ausgewaschen wurden, trat keine Hämolyse mehr ein (bei 
0,10 ccm Gift jedoch ziemlich starke Hämolyse, was beweist, 
daß doch etwas, obwohl wenig Gift aufgenommen wurde). 
NaCl-Rzblut mit Kobragift gab überall 0. 

Es kann also kein Zweifel darüber sein, daß das Kochsalz 
das beladene Gift wieder herauslöst. (Ich habe auch mehrere Ver- 


Kobragift und Hämolyse. IL 465 


suche über diese Wirkung des Kochsalzes ausgeführt, stehe aber 
von der Publikation ab, da die angeführten Versuche beweisend 
sind.) Andere Salze verhalten sich ebenso. 


Tabelle XXI. 


Blut Kobralösung in ccm 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
82a Bichen + Rz +0,05 L +++ total total total 
82a Abguß + Bichen + 0,05L 0 0 0 0 
82b Bichen + Rz + 0,05 L 0 0 0 Kuppe 
83a Blehen + Rz — e — total 


83b Bichen—+ Rz = + 
83b Abguß-+- Bichen 4 0,05 L + — m ++ — 

82a — Rzblut 1 St. mit Gift im Eisschrank, zentrifugiert usw. 
82b = Rzblut mit Kobra im Eisschrank, einmal mit Chromatlösung 
ausgewaschen und mit Rohrzuckerlösung aufgefüllt. 83a Rzblut mit 
Kobra im Eisschrank usw. 83b Rzblut mit Kobra im Eisschrank mit 
Rohrzuckerlösung - O, Leem Soda (1°/,) digeriert. Bichen + Rz. Abguß 
nach kurzer CO,-Durchleitung mit Blchen und „Lecithin“ (L) versetzt. 
Kontrolle = 0. 

Wir sehen also, daß alle untersuchten Salze — Ca-Salze 
verhalten sich wie Kochsalz — das Gift ausgezogen haben. 

Dies hat von einem anderen Gesichtspunkt Interesse. Als 
Gegengift bei Vergiftungen durch Schlangen wurde das Ammoniak 
schon im 18. Jahrhundert als eines der sichersten Mittel ge- 
rühmt und wird auch in neuerer Zeit zur innerlichen und 
lokalen Anwendung an der Bißstelle empfohlen (Faust). Nach 
Faust soll es auch in manchen Fällen nützlich sein. Es liegt 
nahe, diese entgiftende Wirkung mit der Schutzwirkung der 
Salze auf Blutkörperchenhämolyse zu vergleichen. Ebenfalls 
läßt sich die Schutzwirkung der Chromate ungezwungen in 
derselben Weise erklären. 


II. 


Wir haben bis jetzt verschiedene Verhältnisse beim Rohr- 
zuckerblut studiert und haben überall das Blut direkt mit 
Zuckerlösung behandelt. In dem folgenden Abschnitte 
werden wir uns hauptsächlich mit Blut beschäftigen, welches 
zuerst mit physiologischer Kochsalzlösung behandelt 
worden ist und nachher in Rohrzuckerlösung über- 
geführt wurde. Solches Blut soll mit dem Namen NaCl- 
Rzblut bezeichnet werden. 


466 


L Bang: 


Man konnte a priori denken, daß solches Blut keinen 
Unterschied gegenüber gewöhnlichem Rohrzuckerblut (Rzblut) 
zeigen könnte und die Überraschung des Verfassers ist ver- 
ständlich, als sich große Unterschiede zwischen beiden zeigten. 
Das NaCl-Rzblut ist deswegen eingehend studiert worden. Der 
Gegensatz zwischen NaCl-Rzblut und Rzblut geht aus der fol- 
genden Übersichtstabelle sehr deutlich hervor. | 


Blut 

Nr. 

15 Rzblut 

15 NaCl-Rzblut 
17 Rzblut 

17 NaCl-Rzblut 
18 Rzblut 

18 NaCl-Rzblut 
19 Rzblut 

19 NaCl-Rzblut 
25 Rzblut 

25 NaCl-Rzblut 
26 Rzblut 

26 Na0l-Rzblut 
28 Rzblut 

28 NaCl-Rzblut 
31 Rzblut 

31 NaCl-Rzblut 
32 Rzblut 

32 NaCl-Rzblut 
32 NaCl-Rzblut 
34 Rzblut 

34 NaCl-Rzblut 
35 Rzblut 

35 NaCl-Rzblut 
40 Rzblut 

40 NaCl-Rzblut 
41 Rzblut!) 

41 NaCl-RzBlut 
42 Rzblut?) 

42 NaCl-Rzblut 
44 Rzblut 

44 NaCl-Rzblut 


Tabelle XXII. 
Giftlösung in oom 
0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
+ +++ +++ +++ 
0 0 0 0 


+- +--+} total total 
0 0 0 0 
o Ak HHH ki 
0 0 0 — — 
+++ total total total total 
0 0 0 0 0 
0 ++ total total total 
0 0 0 0 0 
0 4 total total total 
0 0 0 0 0 
+4- total total total total 
0 0 0 0 0 
0 0 total total total 
0 0 0 0 total 
0 E total total total 
0 0 0 0 0 
0 0 0 0 0 
++ +++ total 0 total 
0 0 0 total total 
000 Ett kt 
0 0 0 0 total 
0 +++ +4+4— total total 
0 0 0 0 0 
total total total total total 
0 0 0 0 0 
++ — total total total total 
0 0 0 0 0 
0 0 total total total 
0 0 0 0 0 


Die angeführten Versuche zeigen, daß das NaCl-Rzblut nur 
ausnahmsweise (bei 15 Blutsorten nur 3mal bei 0,1 ccm Kobra) 


1) Kontrolle = 


— 


2) Kontrolle = EL 





Kobragift und Hämolyse. II. 467 


von Kobragift hämolysiert wird und daß also ein sehr präg- 
nanter Unterschied zwischen Rohrzuckerblut und NaCl-Rzblut 
besteht, da das Rzblut überall sehr empfindlich war. Beim 
unempfindlichen Rzblut war NaCl-Rzblut ebenfalls refraktär. 

Es fragt sich dann natürlich, ob der früher formulierte 
Satz, daß das Salz auf das Gift und nicht auf die Blutkörper- 
chen einwirkt, unrichtig ist. Es ist also notwendig, neues 
Tatsachenmaterial vorzubringen, und da der einzige Unterschied 
gegenüber den früheren Versuchen darin besteht, daß hier das 
Blut gleich mit NaCl-Lösung versetzt wurde, während früher 
das Blut zuerst mit Rohrzuckerlösung behandelt wurde, hat 
man also die Frage zu berücksichtigen, inwieweit dieser Unter- 
schied für die Anderung der Empfindlichkeit maßgebend ist. 
Hiermit ist auch die Versuchsmethodik gegeben. 


Tabelle XXIII. 




















Blut 0,1°/,iges Kobragift in ccm 

Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
17 Rzblut + —+-4-2 total total 
17 NaQl-Rzblut d 0 d 0 
17 Rz-NaCl-Rzblut ++ ++ total total 
26 Rzblut 0 + total total total 
26 NaCl-Rzblut 0 0 d 0 0 
26 Rz-NaCl-Rzblut d d total total total 
28 Rzblut | EL total total total total 
28 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0 
28 Rz-NaCl-Rzblut + total total total total 
30 Rzblut — total total total total 
30 Rz-NaCl-Rzblut 0 +-+ total total total 


Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß das Kochsalz 
an sich nicht die betreffende Resistenz der Blukörperchen im 
NaCl-Rzblut bewirkt hat, da Rzblut bei Behandlung mit 
Kochsalz seine Empfindlichkeit unverändert beibehält. Wir 
haben dann zwei Möglichkeiten zu berücksichtigen: 1. Die 
Rohrzuckerlösung ist, obwohl isotonisch, vielleicht kein indiffe- 
rentes Medium, oder 2. die primäre NaCl-Behandlung läßt im 
Gegensatz zur sekundären NaCl-Behandlung die Blutkörperchen 
nicht unverändert. Die erste Möglichkeit liegt unzweifelhaft 
am nächsten. Denn auf der einen Seite haben wir ja gesehen, 
daß die Blutkörperchen beim Stehen in Rohrzuckerlösung ver- 


468 L Bang: 


ändert werden, und es wäre dann ganz plausibel, daß auch 
andere Änderungen gleich eintreten können. Wir wissen doch 
nach Gürbers Untersuchungen, daß die Blutkörperchen der 
meisten Tiere sich direkt in Rohrzuckerlösung auflösen und die 
Empfindlichkeit des frischen Rohrzuckerblutes vom Rind gegen- 
über Kobragift dürfte dementsprechend vielleicht das erste 
Stadium zur spontanen Hämolyse (welche bisweilen vorkommt), 
darstellen. Anderseits wäre schwer begreiflich, warum die se- 
kundäre NaCl-Behandlung des Rohrzuckerblutes keinen Erfolg 
bietet. Allerdings konnte die primäre NaCl-Behandlung eine 
gewisse „Gerbung‘‘ der Blutkörperchen bewirken, welche aber 
natürlich nicht stattfinden könnte, wenn die deletäre Rohr- 
zuckerwirkung vorangegangen war. Das genauere Studium ergab 
aber für eine solche Auffassung keine Stütze, zeigte vielmehr 
im Gegenteil folgendes: 

1. die primäre NaCl-Behandlung ist für die Unempfind- 
lichkeit der Blutkörperchen verantwortlich. 

Die Tatsache, daß das NaCl-Rzblut sich refraktär gegen- 
über Kobragift verhält, gab zu der Untersuchung Veranlassung, 
inwieweit die Verhältnisse bei der Kobragifthämolyse mit den- 
jenigen des immunisatorisch erzeugten Hämolysins überein- 
stimmten. Nach den Untersuchungen von Girard-Mangin 
und Henri und Sachs und Teruuchi soll das Komplement 
allein Rohrzuckerblut auflösen, während Kochsalzblut die Gegen- 
wart von Immunkörpern erfordert. Da nun der gewöhnlichen 
Auffassung nach das Kobragift die Rolle des Komplements 
spielt (mit „Lecithin“ als Immunkörper), war es denkbar, daß 
in der Tat die unempfindlichen mit NaCl-behandelten Blutkörper- 
chen durch den Immunkörper die ursprüngliche Empfindlich- 
keit wieder erwerben können, in dieser Beziehung also dem Rohr- 
zuckerblut gleichstehen. 

Beim Blut Nr. 18 wurden deswegen Proben von 2ccm 
NaCl-Blut mit 0,05 ccm Immunserum 1 Stunde bei 37° be- 
handelt, zentrifugiert und mit Rohrzuckerlösung bis 2ccm auf- 
gefüllt. Die Proben wurden dann mit 0,08 ccm bzw. 0,10 ccm 
0,1°/ igem Kobragift versetzt usw. Beide Proben wurden voll- 
ständig hämolysiert, während, wie aus Tabelle XXII er- 
sichtlich, das betreffende NaCl-Rzblut gegen Kobra- 
gift absolut refraktär war. 


kee at” 


DA, 
Wen" 


Kobragift und Hämolyse. II. 469 


Unsere Vermutung war also glänzend bestätigt worden und 
die Ergebnisse sind sowohl für die Auffassung der Kobragift- 
hämolyse als auch für die Wirkungsweise des Immunkörpers 
bei der Komplementärhämolyse von größter Bedeutung. 

Fortgesetzte Untersuchungen ergaben aber etwas anderes. 
Wider Erwarten zeigten sich immunkörperbeladene Blut- 
körperchen in Kochsalzlösung gegen Kobragift refraktär, 
während sie hier vom Komplement aufgelöst wurden, wie Versuche 
mit Blut Nr. 20 (und 21) zeigten: 2ccm NaCl-Blut -+ 0,05 ccm 
bzw. 0,10 ccm Immunserum nach 1 Stunde bei 37° zentrifugiert, 
dekantiert, mit NaCl-Lösung aufgefüllt und mit 0,1 com Kobra- 
giftlösung versetzt: keine Hämolyse. Dagegen ergab 0,05 ccm 
Immunserum -+ 0,3 Normalserum totale Hämolyse desselben 
Blutes. Versuch Nr. 21 bestätigte das Ergebnis. Das Immun- 
serum hatte also die Empfindlichkeit des NaCl-Rzblutes re- 
generiert. Dagegen war die Wirkung bei der Kobragifthämolyse . 
sicher von derselben bei der Komplementärhämolyse verschieden 
und es fragt sich dann zunächst, ob diese Wirkung nur dem 
Immunserum zukommt, oder ob auch andere Sera dieselbe 
Eigenschaft besitzen. Beim Blut Nr. 23 wurde Schweineserum 
hierzu verwendet. a = Rzblut, b = NaCl-Rzblut, ce = 25 ccm 
NaCl-Blut mit 4 ccm Schweineserum 1 Stunde digeriert, zentri- 
fugiert, mit Rohrzuckerlösung ausgewaschen und auf 25 ccm 
damit ausgefüllt. 


Tabelle XXIV. 


Blut 0,10°/ iges Kobragift in ccm 
Nr. 0,02 004 006 0,08 0,10 
a 0 — + total total 
b 0 
c — — total total total 


Schweineblutserum war also ebenso wirksam wie Immun- 
serum. 

Es blieb noch übrig, festzustellen, ob auch Rinderserum 
dieselbe Fähigkeit besitzt. Beim Blut Nr. 22 wurden 100 ccm 
NaCl-Blut mit 3 ccm des eigenen Serums versetzt und nach 
3!/, Stunden in Rohrzuckerlösung übergeführt; bei den Blut- 
sorten Nr. 27 und 28, 25 NaCl-Blut 4 2 Serum usw. 








470 L Bang: 
Tabelle XXV. 


Blut 0,1°/,iges Kobragift in com 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0.10 
22 Rzblut 0 — +++ +++ total 
22 NaCl-Rzblut 0 0 
22 NaCl-Ser.-Rzblut — ++ +++ total total 
27 Rzblut 0 total total total total 
27 NaCl-Rzblut 0 0 0 + ++ 
27 NaCl-Ser.-Rzblut ++ total total total total 
28 Rzblut!) ++ +++ total total total 
28 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 +++ 
28 NaCl-Ser.-Rzblut 0 0 +++ -+-+-+ total 


Aus den Versuchen geht ganz unzweideutig hervor, daß 
Kochsalzblut nach Überführung in eigenes Serum dieselbe Emp- 
findlichkeit wiedergewinnt, wie das ursprüngliche Blut. Die 
Inaktivierung durch NaCl ist also reversibel. Hiermit 
ist bewiesen, daßdie Empfindlichkeit des Rohrzucker- 
blutes keiner sekundären Veränderung des Blutes ent- 
spricht, sondern daß das Kochsalz für die Inaktivie- 
rung verantwortlich ist. Hieraus läßt sich aber weiter 
die Folgerung ziehen, daß Kochsalzblut nicht dem 
lebendigen Blute entspricht. Und folglich istesnicht 
erlaubt, die Erfahrungen, die man an solchem Blut 
gemacht hat, ohne weiteres auf die Verhältnisse des 
zirkulierenden Blutes direkt überzuführen, wie es be- 
kanntlich besonders in der Immunitätslehre bis jetzt 
überall geschehen ist. 

Es fragt sich weiter, welcher Bestandteil des Normalserums 
die Realitivierung bedingt. Weitgehend hängt hiermit die Frage 
zusammen, wodurch die Inaktivierung durch das Kochsalz be- 
dingt ist. Meine Untersuchungen hierüber haben folgende Ant- 
wort gegeben: 

2. Die Reaktivierung des Kochsalzblutes ist eine Wir- 
kung der Serumsalze und die Inaktivierung durch Kochsalz 
eine Wirkung des Säurekomponenten. 

Wenn Normalserum eine Reaktivierung bewirkt, hat man 
zuerst an das Komplement zu denken. Beim Blute Nr. 23 
wurden Proben mit gewöhnlichem, und durch Erhitzen inakti- 
viertem Kalbsserum angestellt. Da hier keine Unterschiede zu 


1) 24 Stunden altes Blut genommen. 


— 


Kobragift und Hämolyse. II. 471 


finden waren, konnte man von einer Wirkung des Komplements 
absehen. 

Von den übrigen Serumbestandteilen nahm ich zuerst die 
Salze zur Untersuchung heraus. Es wurden zahlreiche Versuchs- 
serien mit vielen verschiedenen Salzen angestellt, hauptsächlich 
bei den Blutsorten 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38 und 39. 
Da sämtliche Versuche völlig übereinstimmende Resultate er- 
gaben, brauche ich sie nicht alle anzuführen. In allen Ver- 
suchen wurde das ursprüngliche Blut mit den betreffenden 
isotonischen Salzlösungen versetzt und später in Rohrzucker- 
lösung übergeführt. Hieraus läßt sich ersehen, welche Salze 
eine Inaktivierung bewirkten. In der folgenden Tabelle 
führe ich drei Versuche mit Blut von verschiedener Empfind- 
lichkeit an. 


Tabelle XXVI. 


Blut 0,1 °/,iges Kobragift in ccm 

Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
31 Rzblut 0 0 total total total 
dl NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0 
31 KNO,-Rzblut 0 d 0 0 total 
31 K,SO,-Rzblut 0 0 0 0 0 
31 NaA-Rzblut 0 0 0 0 total 
31 KNaT-Rzblut 0 total total total total 
31 Na,HPO,-Rzblut 0 total total total total 
31 KHCO,-Rzblut 0 total total total total 
31 K,CrO,-Rzblut 0 total total total total 
32 Rzblut 0 4 total total total 
32 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 0 
32 KNO,-Rzblut 0 0 0 0 0 
32 K,SO,-Rzblut 0 0 0 d + 
32 NaA-Rzblut 0 0 0 0 0 
32 KNaT-Rzblut — total total total total 
32 Na,HPO,-Rzblut total total total total total 
32 KHCO,-Rzblut — total total total total 
32 K,C,0,-Rzblut — total total total total 
33 Rzblut 0 0 -+ +- ++ 
33 NaCl-Rzblut 0 0 0 total 0 
33 KNO,-Rzblut 0 0 0 0 0 
33 K,SO,-Rzblut 0 0 0 0 0 
33 NaA-Rzblut 0 0 0 0 
33 Na,HPO,-Rzblut + total total total total 
33 KHCO,-Rzblut 4 total total total total 
33 K,CrO,-Rzblut 0 0 0 total total 
33 KNaT-Rzblut 0 0 0 total total 


472 I. Bang: 


Die Kontrollen waren überall negativ. 

Aus den angeführten Serien geht sehr überzeugend her- 
vor, daß alle Salze der starken Säuren und der Essig- 
säure Inaktivierung bewirken, während die Salze der 
schwachen Säuren, wie Kohlensäure, Chromsäure und 
Phosphorsäure keine Inaktivierung, eher aber das ent- 
gegengesetzte verursachen. Einen scheinbaren Unterschied 
macht die Weinsäure, welche zwar eine stärkere Säure als 
Essigsäure ist, aber trotzdem im Gegensatz zur Essigsäure als 
Seignettesalz keine Inaktivierung hervorruft. Man muß sich 
aber hierbei erinnern, daß die beiden Säuregruppen gesättigt 
sind. Interessant ist in dieser Beziehung, daß Mononatrium- 
phosphat eine Inaktivierung bewirkt, während das Dinatrium- 
phosphat dagegen die Empfindlichkeit eher vergrößert. ` 

Im ersten Abschnitte, Tabelle XIV, haben wir die Ein- 
wirkung von verschiedenen Salzen auf Rohrzuckerblut stu- 
diert und gefunden, daß z. B. das Chromat und Seignettesalz 
eine starke Hemmung der Hämolyse ausüben, wenn sie in kleiner 
Menge hinzugefügt wurden, während Kochsalz, die Nitrate, Sulfate 
und zum Teil die Acetate der Alkalien eine weit geringere 
Hemmungswirkung ausübten. Tabelle XV zeigte, daß die 
Hemmung des Chromates etwa viermal größer war als diejenige 
des Kochsalzes. Hier begegnen wir dem damit diametral ent- 
gegengesetzten Verhältnis. Also: zum Rohrzuckerblut hinzu- 
gefügt, wirkt Chromat viel stärker hemmend als Kochsalz, zum ur- 
sprünglichen Blute hinzugesetzt und später abzentrifugiert, ist 
Kochsalz viel wirksamer als Chromat, welch letzteres die Emp- 
findlichkeit sogar erhöht. Diese Tatsachen sind durch zahl- 
reiche Kontrolluntersuchungen festgestellt und Versuchsfehler 
sind demgemäß ausgeschlossen. Auch nicht die verschiedene 
Empfindlichkeit des Blutes kann hierfür verantwortlich gemacht 
werden, da in mehreren Versuchsserien bei einem und dem- 
selben Blute sowohl Rohrzuckerblut mit den Salzen zusammen 
als auch Blut nach vorangegangener Behandlung mit Salzlösungen 
und folgender Überführung in Rohrzuckerlösung dargestellt und 
untersucht wurden. Beim Blute Nr.33 sind solche Serien aus- 
geführt worden. Zum Vergleich der Ergebnisse in Tabelle XXVI 
sind die Resultate hier zusammengestellt. 


— — — — — 


Kobragift und Hämolyse. II. 473 


Tabelle XXVII. 


Blut Kobragift Salzlösung in ccm 
Nr. incom 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
33 0,1-+1/, molare NaCl-Lös. total total +-+ +++ ui: 


3 O0l+1 » Bet „ SE — 0 
3 0141, „ Kar, „ 0 e 


33 0,1+!/,  » Seign.-Salz , — PEN -+ 5 0 0 
33 0,1 + 1/2 „NaHPO, „ total total total total total 
33 0141, „ KHCO, „ total total total total total 


Kontrolle = 0. 

Der Gegensatz zwischen K,SO, und K,CrO, tritt hier 
scharf hervor. In Tabelle XXVI war K,SO,-Rzblut inaktiv, 
während K,CrO,-Rzblut sehr empfindlich sich erwies. 

Die nächste Aufgabe war, zu untersuchen, inwieweit eine 
folgende NaCl-Behandlung z. B. des Chromatblutes, eine ln- 
aktivierung bewirkte, oder ob das Chromatblut sich in dieser 
Beziehung wie Rohrzuckerblut verhält. In Tabelle XXIII haben 
wir ja gesehen, daß eine präliminäre Rohrzuckerlösung die In- 
aktivierungswirkung der folgenden Kochsalzlösung verhindert. 
Solche Untersuchungen sind zweimal ausgeführt worden. Ich 
führe sie hier an. 

Tabelle XVIII. 


Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm 

Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 

35 NaCl-Rzblut 0 0 0 0 total 
Chromat-NaCl-Rzblut 0 total total total total 

36 NaCl-Rzblut 0 0 0 -H 0 
Chromat-NaCl-Rzblut total total total total total 


Eine voraufgehende Behandlung mit Chromatlösung hebt eben- 
so wie Rohrzucker die inaktivierende Wirkung des Kochsalzes auf. 

Es fragt sich dann weiter, ob Chromat und ähnlich wirkende 
Salze das von Kochsalz inaktivierte Blut wieder zu reaktivieren 
vermögen, wie dies mit Serum der Fall war. 


Tabelle XXIX. 


Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm 

Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 

28 NaCl Bun 0 0 0 d 0 
NaCl ent 1) total total total total total 

62 en pi ar total total total total total 

63 NaCl-Phosphat-Rzblut 0 0 total total total 

71 NaCl-Chromat-Rzblut 0 0 0 ++ 
NaCl-Soda-Rz-Rzblut?) +++ total total total 
NaCl-Soda-NaCl-Rzblut 0 0 +-+ total 


1) NH, = 0,02 oom 5°/,ige Lösung; Kontrolle = 0. 

2) Kontrolle = 0. 

3) 0,1 ccm 1°/,iger Sodalösung ; Kontrolle = 0. 
Biochemische Zeitschrift Band 13. 31 


474 I. Bang: 


Die Alkalisalze der schwächeren Säuren besitzen also das- 
selbe Vermögen der Reaktivierung wie das Serum selbst; und 
einmal reaktiviert, wird das Blut nicht wieder von Kochsalz 
inaktiviert. Dasselbe war nach Behandlung mit Serum der 
Fall. Da nun weiter Serum tatsächlich solche Salze, in 
erster Linie Natriumcarbonat enthält, ist hiermit 
jedenfalls hauptsächlich die reaktivierende Wirkung 
des Serums erklärt worden. In gewissen Fällen bewirken 
die Salze jedoch keine Empfindlichkeit gegen Kobragift (wenn 
das Blut überhaupt refraktär ist, kommt dies ausnahmsweise 
vor). In solchen Fällen ist auch das Serum ohne eine 
Wirkung. 

Die reaktivierende Wirkung der Salze ist also als eine 
Kation- oder Alkaliwirkung definiert worden. Da die freien 
Alkalien dieselbe Wirkung besitzen, ist die letzte Erklärung 
die richtige, wie auch später exakt bewiesen werden soll. Die- 
selbe reaktivierende Wirkung kommt auch den Erdalkalien zu. 


Diese reaktivierende Wirkung des Alkalis bzw. der wirk- 
samen Salze ist also scharf von der Hemmungswirkung dieser 
Salze auf die Kobragifthämolyse zu trennen. Im ersten Falle 
findet eine Einwirkung auf die Blutkörperchen statt, im letzten 
ist die Wirkung gegen Gift gerichtet. Z.B. ist Chromat-Rz- 
Blut (sc. Blut mit Chromatlösung digeriert und in Rohrzucker- 
lösung übergeführt) empfindlich. Trotzdem wird die Hämolyse 
solchen Blutes durch Kobragift von kleinen Quantitäten Kalium- 
chromat verhindert. 


Ill. 


In den zwei vorhergehenden Abschnitten haben wir die 
Wirkung von verschiedenen Salzen auf die Hämolyse von Rohr- 
zuckerblut mit Kobragift kennen gelernt. Es steht aber das 
wichtigste zurück : eine exakte Erklärung dieser Erscheinungen, 
welche uns zugleich einen Überblick über das Wesen der Gift- 
wirkung selbst verschaffen und vielleicht auch die variable 
Empfindlichkeit des Rohrzuckerblutes gegenüber Kobragift ver- 
ständlicher machen kann. 

Wir haben hierbei folgende Verhältnisse zu berücksichtigen: 

L Die inaktivierende Wirkung einiger Salze. 2. Die reakti- 
vierende Wirkung anderer Salze, bzw. der Alkalien und 3. die 


— — 


~- <- -ag ~ . 


Kobragift und Hämolyse. II. 475 


Hemmungswirkung der Salze. 4. Die variable Empfindlichkeit 
des frischen Rohrzuckerblutes. 5. Die Inaktivierung des Rohr- 
zuckerblutes beim Stehen. 


1. Die inaktivierende Wirkung von Salzen. 


Wie bekannt enthält sowohl venöses wie auch arte- 
rielles Blut regelmäßig Kohlensäure, welche zwischen Plasma 
und Blutkörperchen verteilt ist. Sie ist teils physikalisch ab- 
sorbiert, teils chemisch gebunden, und zwar als dissoziable Ver- 
bindung. 

Bei Verdünnung und Auswaschen der Blutkörperchen mit 
Rohrzuckerlösung fängt augenblicklich die physikalisch absor- 
bierte ebenso wie die leicht dissoziable chemisch gebundene 
Kohlensäure an fortzudiffundieren. Ist der Kohlensäure- 
gehalt wie im arteriellen Blute nur gering, so wird die Diffusion 
bald beendet. Bei dem größeren CO,-Gehalt des venösen Blutes 
erfordert die Diffusion viel längere Zeit und die CO,-beladenen 
Blutkörperchen werden agglutiniert. Mit der mehr oder weniger 
vollständigen Fortdiffusion der CO, tritt Deglutination ein. 
Werden die CO,-beladenen Blutkörperchen in Salzlösungen auf- 
geschwemmt, so diffundiert auch hier die CO, fort, wird aber von 
der betreffenden Säure des Salzes ersetzt, und die Blutkörperchen 
werden demgemäß mit einer äquivalenten Menge der reinen 
Säure beladen, wie aus den Untersuchungen von Hamburger 
u. a exakt hervorgeht. Wenn aber die Blutkörperchen durch 
Behandlung mit Rohrzuckerlösung die gesamte oder fast die 
gesamte Kohlensäure schon verloren haben, nehmen sie selbst- 
verständlich nach Überführung in Salzlösung keine neue Säure 
auf. Es ist ferner ganz klar, daß eine Säurebeladung nur dann 
stattfinden kann, wenn die Säure überhaupt permeabel ist und 
weiter wenn kein Überschuß von Alkali der Außenflüssigkeit 
vorliegt. 

Bei alkalisch reagierenden Salzen wird die CO, einfach 
von dem überschüssigen Alkali aufgenommen, und hier braucht 
keine entsprechende Säuremenge frei gemacht zu werden. Bei 
den normalen Salzen der mehrwertigen Säuren wird auch 
nicht oder nur zum geringsten Teil eine Säure gebildet, wenn 


die Kohlensäuremenge nicht sehr groß ist; und beim Chromat 
31* 


476 I. Bang: 


bildet sich aus dem 2 K,CrO, -+ CO, = K,Cr,0, + K,C0,. Es 
ist also klar, daß solche Salzlösungen sich wie Rohrzucker- 
lösung verhalten müssen. (Die Verhältnisse sind hier mit Ab- 
sicht etwas schematisch dargestellt, da es in erster Linie wichtig 
ist, über die prinzipiellen Verhältnisse klar zu werden. Tat- 
sächlich ist aber der Kohlensäuregehalt sehr variabel, und 
quantitative Verhältnisse spielen selbstverständlich eine nicht 
zu unterschätzende Rolle, welche die Ergebnisse etwas weniger 
prägnant machen können. Z. B. habe ich ausnahmsweise 
(vgl. die Tabellen) Blutsorten gefunden, welche nicht von 
Kochsalzlösung inaktiviert wurden. Solches Blut kann jeden- 
falls nur Spuren von Kohlensäure enthalten. — Anderseits 
kommt es bei größerem CO,-Gehalte vor, daß so viel CO, per- 
sistiert, daß auch eine sekundäre NaCl-Behandlung inaktivierend 
wirkt. Dies ist beim venösen Ochsenblut immer, beim Kalbs- 
blut ausnahmsweise der Fall.!) In diesen Fällen verhindert 
aber eine vorgehende Chromatbehandlung die NaCl-Wirkung: 
Aus Chromatlösung diffundiert die CO, schneller fort.) 

Aus diesen allgemeinen Bemerkungen über die Wirkung 
der Salze auf Blutkörperchen geht schon mit erwünschter Deut- 
lichkeit hervor, in welcher Richtung wir die inaktivierende Wirkung 
derselben auf die Empfindlichkeit des Blutes gegen Kobragift 
zu suchen haben. Und die Versuchsmethodik ist hiermit auch 
gegeben: wenn der ursprüngliche CO,-Gehalt für die Salzwirkung 
maßgebend ist, muß eine neue Beladung der Blutkörperchen mit 
CO, das ursprüngliche Verhältnis wiederherstellen können oder mit 
anderen Worten: wenn nach einer voraufgegangenen Rohrzucker- 
behandlung die Salzlösung keine inaktivierende Wirkung be- 
sitzt, muß man durch eine sekundäre CO,-Beladung die folgende 
Salzbehandlung wieder wirksam machen. Nach Überführung 
in Rohrzuckerlösung soll demgemäß solches Blut sich refraktär 
verhalten, wie die Versuche auch in der Tat bestätigen. 


1) Zuletzt bin ich bisweilen solchem Blut begegnet, bei welchem 
dieCO, nur langsam fortdiffundiert, auch dann, wenn der Kohlensäure- 
gehalt relativ gering ist. Bei solchen Blutsorten diffundieren die Salze 
auch viel langsamer als gewöhnlich fort. 


Kobragift und Hämolyse. II. 477 
Tabelle XXX. 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ocm 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
30 Rzblut — +++ total total total 
Rz-NaCl-Rzblut O0 +— total total total 
Rz-CO,-NaCl-Rz- 
Blut d 0 0 0 0 
39 Bzblut total total total total total 
Rz-CO,-NaCl-Rz 0 0 0 0 0 


Beide Versuchsserien zeigen eine komplette Inaktivierung. 
Doch läßt sich gegen die Versuchsanordnung anführen, daß 
vielleicht die Einwirkung von Kohlensäure an sioh die In- 
ektivierung bedingt und daß es also gleichgültig ist, ob diese 
CO, später gegen HCl ausgetauscht wird. Tatsächlich zeigten 
auch besonders darauf gerichtete Versuche, daß empfindliches 
Blut nach kurzer Durchleitung von Kohlensäure refräktär gegen 
Kobragift wird, wie die Tabelle XXXI zeigen kann. 


Tabelle XXXI. 


Blut Kobragift in ccm 

Nr. 002 0,04 0,06 0,08 0,10 

39 Rzblut total total total total total 
Rz-C0,-Blut 0 0 

652 Phosphat-Rzblut 0 0 +++ total 
Phosphat-Rz-C0,-Blut 0 0 0 0 

569 Bz-Blut 0 + +4 total total 
Rz-C0,-Rz-Rzblut 0 0 0 0 0 

60 Chromat-Rzblut 0 0 total total total 
Chromat-Rz-CO,-Blut 0 0 0 d 0 

61 Chromat-Rzblut!) total total total total total 
Chromat-Rz-C0,-Blut O0 0 0 0 0 


An und für sich ist es wichtig, feststellen zu können, 
daß die Kohlensäurebildung die Hämolyse verhindert. Da man 
ferner beim Blute Nr. 59 trotz zweimaligen Auswaschens mit 
Rohrzuckerlösung nicht die aufgenommene CO, entfernen konnte, 
fragt es sich, ob diese Kohlensäure vielleicht die Blutkörperchen 
chemisch verändert, vergiftet hat, da js bekanntlich die 
Kohlensäure ein Zellgift ist, oder ob die Gegenwart der CO, 
an sich die Kobragiftaufnahme zu verhindern vermag. Im 
letzteren Falle müßte man durch Behandlung mit reaktivierend 
wirkenden Salzen die ursprüngliche Empfindlichkeit wiederher- 
stellen können, wie es auch tatsächlich der Fall war. 


1) Kontrolle =0. 


478 I. Bang: 
Tabelle XXXII. 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in com 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 

61 Chromat-Rz-CO,-Blut 0 0 0 0 
a men 0 total total total 


Bei der Durchleitung von Kohlensäure wird also die CO, 
in so reichlicher Menge aufgenommen, daß hierdurch die Kobra- 
gifthämolyse verhindert wird, da diese reichlich aufgenommene 
CO, nicht oder richtiger nur relativ langsam fortdiffundiert. 
Dagegen dürfte man erwarten, daß eine Beladung mit wenig 
CO,, also eine kurze Durchleitung, die Empfindlichkeit des 
Rohrzuckerblutes verhältnismäßig wenig herabsetzen, während 
eine folgende Kochsalzbehandlung eine Inaktivierung bewirken 
sollte. Dies müßte aus dem Grunde geschehen, da die CO, eine 
leicht dissoziable, die Salzsäure eine schwer dissoziable Ver- 
bindung mit Bestandteilen der Blutkörperchen und der Lipoid- 
membran eingeht, wie ich ausführlich anderswo auseinander ge- 
setzt habe.) Die folgenden Versuche bestätigen diese Auf- 
fassung. 

Tabelle XXXIII. 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in oom 
Nr 0,04 0,06 0,08 0,10 


85 Rz-CO,-Blut SE ++ +++ total 
Rz-CO,-NaCl-Rz-Blut 0 0 0 0 


Die Voraussetzung trifft also zu, und wir haben hiermit 
bewiesen, daß die Beladung der Blutkörperchen mit 
Salzsäure oder Kohlensäure die Ursache der Inakti- 
vierung ist. Weiter ist bewiesen, daß eine geringe Menge CO,» 
welche an sich keine Inaktivierung zu bewirken vermag, durch 
Kochsalzbehandlung eine Inaktivierung herbeiführt, da die ent- 
sprechende Menge HCl aufgenommen wird. 

Wie man auch erwarten konnte, ließ sich Rohrzuckerblut 
von Salzsäure direkt inaktivieren. 


Tabelle XXXIV. 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm 
Nr. 0,02 0,04 0,06 0,08 0,10 
48 Rzblut total total total total total 
Rzblut + HCl d 0 0 O 
63 Rzblut 0 0 0 — total 
Rzblut + HCl 0 0 0 0 0 


1) Diese Zeitschr. 16, 255. 


Kobragift und Hämolyse. II. 479 


Die HCl war "/,.. und wurde mit dem Gifte und in der- 
selben Quantität zugesetzt. 

Wenn also die Beladung mit Säuren für die Inaktivierung 
der Blutkörperchen verantwortlich ist, so fragt es sich weiter, ob 
hierdurch die Aufnahme des Giftes verhindert wird oder nicht. 
Wir haben ja früher gesehen, daß das Gift in der Kälte ohne 
Hämolyse aufgenommen wird, und die Aufnahme und die Wirkung 
des Giftes sind also vielleicht zwei verschiedene Erscheinungen; 
es wäre demgemäß denkbar, daß die Säuren wohl die hämo- 
lytische Wirkung, nicht aber die Giftaufnahme verhinderten. 

Zur Entscheidung dieser Fragen habe ich die Versuchsan- 
ordnung gebraucht, daß das Rohrzuckerblut erst mit Gift in der 
Kälte gesättigt wurde, dann das überschüssige Gift abzentrifugiert 
und die Blutkörperchen mit Salzsäure (0,1 ccm al, HCl in 2 com 
Rohrzuckerlösung) digeriert wurden. Nach dem Abzentrifugieren 
wurde der Abguß mit Rohrzuckerblutkörperchen und ‚Lecithin‘ 
(0,1°/ ‚ige Lösung) versetzt und die Blutkörperchen mit Rohrzucker- 
lösung und „Lecithin‘‘ als Aktivator, da die Salzsäure die Hämolyse 
verhindert. AlsKontrolle wurden kobragiftbeladeneBlutkörperchen 
wie oben aber ohne Säurezusatz verarbeitet. 


Tabelle XXXV. 


Blut 0,1°/,ige Kobragiftlösung in ccm 
Nr. 0,04 0,06 0,08 0,10 
79a (Rzblut)-Blutkörperchen + Rz 0 0 - + 
a „ Abguß + 0,05 L. 1) + 
Blutkörperchen . . , ++ 0 d d 
b (Rzblut + HCI) - Blutkörper- 
chea + Rz . . 0 0 0 0 


b (Rzblut + HCI)- Abguß 


0,05 L. + Blutkörperohen -++ +— +++ ++- 
c (Rzblut + ale -Blutkörper- 


chen 0 0 0 
c (Rzblut + C0,) - Abguß-+0, 05 
L. + Blutkörperchen . 0 d Kuppe Kuppe 
Ge (Rzblut)- Blutkörperchen+Rz 0 0 ⸗ + 
— Abguß -+ 0,05 L. + 
Blutkörperchen. . . 0 d 0 0 
b (Rzblut + HCI) - Blutkörper-- 
chen -+ Rz : 0 0 0 0 
b (Rzblut HCI)- Abguß-10,08 L. 
+ Blutkörperchen . . . 0 -+ total total 
c (Rzblut + CO,)-Blutkörper- 
chen + Rz 0 0 d 0 
c en +(C0,) - Abguß-t 0 ‚05 
L. -+ Blutkörperchen . . 0 0 0 0 


u 1) 0,1°/,ige „Lecithin“-Lösung. 


480 I. Bang: 


Die Versuche zeigen, daß man durch Behandlung mit 
Salzsäure das Kobragift wieder entfernen kann. Wenn 
das CO, wenig überzeugende Resultate ergeben hat, so ist zu 
bedenken, daß man nicht die Quantität genau dosieren kann. 
Bei einer größeren CO,-Menge kann auch nicht der Aktivator 
helfen. 

Die Tatsache, daß man durch Salzsäure das Kobragift 
aus den Blutkörperchen extrahieren kann, hat ein besonderes 
Interesse, wenn man berücksichtigt, daß Morgenroth durch 
Salzsäure das Gift aus inaktiven neutralisierten Mischungen von 
Gift und Antivenenin wieder frei machen konnte. Es liegt 
auf der Hand, anzunehmen, daß in beiden Fällen eine 
chemische Verbindung des Giftes mit Antivenenin, bzw. Blut- 
körperchenbestandteilen vorliegt, welche von der Salzsäure zer- 
legt wird. Da nun weiter das Antivenenin und der Blut- 
körperchenbestandteil obwohl kaum identische, ja vielleicht nicht 
einmal verwandte Verbindungen sind, jedoch aller Wahrscheinlich 
keit nach in derselben Weise mit dem Gifte reagieren, und da nun 
weiter bei den Blutkörperchen die Salzsäure durch die Be- 
ladung die Giftaufnahme verhindert, bzw. dasselbe wieder heraus- 
löst, ist die einzig mögliche Erklärung die folgende: die Salz- 
säure, bzw. dieSäuren gehen mit demselben Bestand- 
teil eine Verbindung ein, mit welchem das Kobragift bei 
der Aufnahme reagiert. Es ist weiter anzunehmen, daß dieser 
Bestandteil von basischer Natur ist und mit den Säuren und 
dem Gifte eine salzartige Verbindung eingeht. Und die Fol- 
gerung ist dann berechtigt, daß das Gift selbst eine Säure 
darstellt. Unter dieser Annahme ist es verständlich, daß die 
stärkere Salzsäure die sicher sehr schwache Kobragiftsäure 
austreibt. Es ist weiter klar, daß die schwache Kohlensäure 
durch Massenwirkung das Gift wieder austreiben kann, bzw. 
dessen Fixation verhindert, während eine kleine Menge CO, 
ihrerseits vom Gifte ausgetrieben wird, indem die Verbindung 
des Giftes wahrscheinlich schwerer dissoziabel ist als diejenige 
der Kohlensäure. 

Auch andere Eigenschaften des Giftes sprechen für dessen 
Säurenatur : Kobragiftbeladene Blutkörperchen agglutinieren, 
und wie ich bewiesen habe, ist die Agglutination eine Wirkung 
von Säurebeladung. 


dënstes 
⸗ — — — H - 


— i 


Kobragift und Hämolyse. II. 481 


Weiter haben Arrhenius, Landsteiner u. a. erwiesen, 
daß andere Säuren, wie Kieselsäure, Borsäure, Essigsäure, Salz- 
säure u. a., von „Lecithin‘ in genau derselben Weise wie das 
Kobragift aktiviert werden. 

Zuletzt hat Faust für das reine Ophiotoxin die Säurenatur 
direkt erwiesen. Das Ophiotoxin reagiert mit Lackmuspapier 
sauer, zerlegt aber nicht Natriumcarbonat. Es geht mit 
Metalloxyden Verbindungen ein. 


2. Die reaktivierende Wirkung der Salze. 


Einen wichtigen Beitrag zur Auffassung von der Säure- 
natur des Kobragiftes und überhaupt zur Bestätigung der oben 
entwickelten Auffassung bildet die nähere Analyse der Wirkung 
von den reaktivierenden Salzen. 

Wenn die säurebeladenen Blutkörperchen durch Einwirkung 
von Phosphaten, Chromaten und Carbonaten der Alkalien oder 
von freien Alkalien und Ammoniak wieder empfindlich gemacht 
werden können, so besteht diese Wirkung, wie ich in meiner 
Abhandlung über die physiko-chemischen Eigenschaften der 
Blutkörperchen bewiesen habe, darin, daß die aufgenommene 
Säure den Blutkörperchen entzogen und von dem überschüssigen 
Alkali neutralisiert wird. In der erwähnten Abhandlung ist 
dies zwar nur bei salzsäurebeladenen Blutkörperchen mit Soda 
festgestellt. Es ist aber einleuchtend, daß diese Tatsachen eine 
ganz allgemeine Gültigkeit besitzen. Übrigens habe ich mich 
von der identischen Wirkung des Kaliumchromats und der Soda- 
wirkung überzeugt. Wenn also die aufgenommene Säure wieder 
‘ entfernt wird, sind die Blutkörperchen wieder empfindlich ge- 
worden. Hieraus läßt sich als Bestätigung der oben erwähnten 
Hypothese folgern, daß die von den Säuren besetzte Verbindung 
der Lipoidmembran — wenn man will der ,Receptor“ — auch 
den Angriffspunkt des Kobragiftes darstellt. Daß sowohl 
die Salzsäure wie die Kohlensäure dieselbe Stelle in Anspruch 
nehmen, geht daraus hervor, daß die eine Säure durch die 
andere ausgetauscht werden kann, und daß CO,- und HCI-be- 
ladene Blutkörperchen von denselben Salzen reaktiviert werden 
können. Der Mechanismus ist also überall derselbe. 


482 I. Bang: 


3. Die Hemmungswirkung der Salze. 


Davon ausgehend, daß das Kobragift selbst eine Säure 
herstellt, dürfte man auch erwarten, daß sie denselben Gesetzen 
gehorchen sollte wie diese. Bei kobragiftbeladenen Blutkörperchen 
sollte man demgemäß durch Behandlung mit basischen Salzen 
oder freien Alkalien die ‚„Kobrasäure‘‘ wieder entziehen können. 
Man dürfte ebenso bei kohlensäurebeladenen Blutkörperchen 
nach Überführung in Kochsalzlösung einen Austausch der Säuren 
mit Salzsäurebeladung der Blutkörperchen und bei kobra- 
beladenen Blutkörperchen einen ähnlichen Austausch finden: 
Salzsäurebeladung der Blutkörperchen unter Bildung der 
Alkaliverbindung des Giftes in der Außenflüssigkeit. Wie 
im ersten Abschnitte erwiesen, treffen diese beiden Voraus- 
setzungen auch tatsächlich zu, und hiermit ist also die 
Wirkung dieser Salze auf die Kobragifthämolyse erklärt. Dem- 
entsprechend ist auch erwiesen, warum eine Hämolyse des 
Kochsalzblutes nicht stattfinden kann — gleichgültig ob man 
zuerst die Kohlensäure durch voraufgehende Rohrzuckerbe- 
handlung entfernt hat oder nicht. 

Es ist ferner in diesem Zusammenhang interessant, an die 
proportionale Hemmungswirkung der verschiedenen Salze zu 
erinnern. Wenn man z. B. zur Aufhebung der Hämolyse von 
0,06 ccm 0,1°/,igen Kobragifts Kochsalz bis ca. !/,, Mol der 
Lösung zusetzen muß, tritt also erst bei dieser Salzkonzentration 
Gleichgewicht mit ziemlich vollständiger Auslösung des Giftes 
ein. Die individuellen Unterschiede der verschiedenen Blut- 
sorten in dieser Beziehung dürften wahrscheinlich von dem sicher 
variablen Gehalt der Blutkörperchen, bzw. der Lipoidmembran 
an kobragiftfixierender Substanz abhängen. Dieser variable 
Gehalt von Receptor spielt auch eine wichtige Rolle bei der 
Inaktivierung der kohlensäurehaltigen Blutkörperchen. Es ist 
klar, daß hierbei die Proportion zwischen der Kohlensäure- 
(bzw. Salzsäure-) Menge und der existierenden Receptormenge 
für die eventuelle Kobragiftaufnahme bestimmend ist. Bei 
einem geringen Gehalt von fixierender Substanz genügt eine 
kleine Salzsäuremenge, um die Giftaufnahme und folgende 
Hämolyse zu verhindern, eine Säurequantität, welche bei einer 
größeren Receptorquantität unzureichend ist. 


eege, n — — —— — a — 
— —— E AE ——— — 


Kobragift und Hämolyse. II. 483 


Wenn das Kobragift von Salzen herausgelöst wird, kommt 
jedoch nicht allein der Austausch von den Säurekomponenten in 
Betracht; auch die Affinität des Giftes (und der Säure) 
zum basischen Bestandteil des Salzes ist von wesentlicher Be- 
deutung. Dies geht ganz überzeugend aus der Hemmungswirkung 
der Salze der zwei- und dreiwertigen Metalle hervor. Wenn 
z. B. eine CaCl,-Quantität von ca. "Joe Mol dieselbe Hemmung 
wie Il Mol NaCl ausübt, ist es ganz klar, daß der größere 
Gehalt der CaCl, an HCl (selbstverständlich als Lösung) diesen 
großen Unterschied lange nicht erklären kann. Im Gegenteil 
darf man sicher davon ausgehen, daß das Kobragift eine größere 
Affinität zum Kalk als zum Receptor besitzen muß. (Die- 
selbe Möglichkeit, obwohl im geringeren Grade, ist auch bei 
den Alkalisalzen denkbar). Eine ganz andere Erklärung der 
Kalkwirkung geben Noguchi u. a., welche die Auffassung ver- 
teidigen, daß der Kalk mit denjenigen Verbindungen — Lipoiden — 
sich verbindet, welche die Kobrafixation bedingen, und 
hierdurch also die Aufnahme des Giftes verhindern. 

Daß aber eine solche Auffassung ganz unzutrefiend ist, 
geht aus der von mir durch mehrere Versuche sichergestellten Be- 
obachtung hervor, daß die Blutkörperchen nach dem Abzentri- 
fugieren der kalkhaltigen Rohrzuckerlösung und Überführung in 
reine Rohrzuckerlösung für Kobragift empfindlich bleiben. Die 
in den vorhergehenden Abschnitten gefundenen Tatsachen, 
daß die Basenkomponente auf das Gift, die Säurekomponente 
auf die Blutkörperchen einwirkt, ist hiermit zufriedenstellend 
erklärt. 


4. Die variable Empfindlichkeit des frischen Rohrzucker- 
blutes. 


Mit der Erkenntnis der Wirkung von Salzen auf Rohr- 
zuckerblut ist anscheinend der Weg gebahnt worden, welcher 
uns die Erklärung der verschiedenen Empfindlichkeit des 
frischen Rohrzuckerblutes geben kann. Wir haben ja gefunden, 
daß auch das artielle Blut gewöhnlich mehr oder weniger Kohlen- 
säure enthält; weiter haben wir ja gesehen, daß man durch 
Beladung mit reichlicher Kohlensäure empfindliches Rohrzucker- 
blut refraktär machen kann, und es liegt deswegen auf der 
Hand, anzunehmen, daß die verschiedene Empfindlichkeit des 


484 I. Bang: 


Blutes mit einem entsprechenden Kohlensäuregehalt überein- 
stimme, was auch leicht zu beweisen oder zu widerlegen wäre. 
Man braucht ja nur eine Behandlung mit Chromat oder ähnlich 
wirkenden Salzen vorhergehen zu lassen; dann muß das kohlen- 
säurebeladene Blut nachher die gewöhnliche Empfindlichkeit 
zeigen. 

Gegen die Annahme eines variablen Kohlensäuregehaltes 
spricht nun die Tatsache, daß auch das unempfindliche Kalbs- 
blut so gut wie niemals agglutiniert. Dies zeigt aber unzwei- 
deutig, daß es sich hier nicht um sehr große Kohlensäurequantitäten 
handeln kann. Anderseits habe ich gefunden, daß man beim 
vorsichtigen Zusatz von Kohlensäure zum Razblut 
keine Agglutination zu bekommen braucht, und trotz- 
dem genügt die aufgenommene Kohlensäure, um die 
Hämolyse zu verhindern. 

Leider habe ich es versäumt, konsequent jedes unempfind- 
liche Blut derartig zu untersuchen, obwohl ich, wie aus der 
folgenden Tabelle ersichtlich, doch so viele Blutsorten geprüft 
habe, daß man einigermaßen die Verhältnisse übersehen kann. 


Tabelle XXXV. 


Blut 0,1°/,ige Kobralösung in ccm 
Nr. Datum 02 "on 0,06 0,08 0,10 
36 22.X. Rzblut 0 0 — total 0 
36 22. „ Chromat-Rzblut total total total total total 
63 7. XII. Rzblut 0 0 0 0 total 
53 7., NaClI-Phosphat-Rzblut 0 0 total total total 
59 20. „  Rzblut!) 0 + +++ total total 
59 20. „ Chromat-Rzblut total total total total 
59 21. „ Rzblut?) 0 0 0 0 
60 23. „ Rzblut 0 0 0 0 0 
60 23. „  Chromat-Rzblut 0 — total total total 
61 29. „ Rzblut?) 0 0 0 0 total 
61 29. „ Chromat-Rzblut + total total total total 
67 8. L  Rzblut 0 0 0 0 
67 8. „ Chromat-Rzblut®) d + —++— total 


1) Frisches Blut. 

2) Dasselbe Blut nach 24 Stunden. Hier ist ausnahmsweise die 
Empfindlichkeit mit der Zeit größer geworden. 

3) Blut hat 24 Stunden gestanden (im eigenen Serum). 

t) 1 Stunde mit Kobragift im Eisschrank zentrifugiert, Robrzucker- 
lösung zugesetzt, im Thermostaten 1 Stunde usw. 


Kobragift und Hämolyse. II. 485 


Blut 0,1°/, ige Kobralösung in com 
Nr. Datum 0,64 0,06 0,08 0,10 
71 15. I. Rzblut 0 0 0 0 
71 15. „ NaCl-Soda + Rz-Rz- 

blut 4-4 total total total 
71 15. „ NaClI-Chromat-Rzblut d 0 0 ++ 
73 20. „ Rzblut 0 0 0 0 
73 20. „ Chromat-Rzblut ++ +++ total total 
72 18. „ Rzblut 0 0 Kupe + 
72 18. „ Chromat-Rzblut 0 0 0 E 


Von den neun Blutsorten, welche sämtlich unempfindlich oder 
wenig empfindlich sind, haben acht durch die Chromatbehand- 
lung eine ungefähr gleich große Empfindlichkeit bekommen, wie 
es bei den ursprünglich sehr empfindlichen Blutsorten sonst der Fall 
ist. Es war nur eine Ausnahme festzustellen, wo die Chromatbe- 
handlung absolut unwirksam war. Hieraus geht mit großer Deut- 
lichkeit hervor, daß die Empfindlichkeit des Rohrzuckerblutes 
auch von anderen Faktoren abhängig sein muß als nur von 
dem Säuregehalt. Die Richtigkeit dieser Folgerung wird auch 
durch die Tatsache bewiesen, daß eine sogar reichliche Kohlen- 
säurebehandlung ausnahmsweise (nur in einem Falle, wo CO, 
durch das defibrinierte Blut durchgeleitet wurde; das NaCl-Rz- 
blut war auch hier refraktär) unwirksam ist, und daß also 
das Blut nachher (trotz Agglutination!) eine große Empfindlich- 
keit zeigt. 

Nach dem, was oben entwickelt worden ist, darf diese 
Eventualität nicht befremden. Es ist nämlich nicht die ab- 
solute Säuremenge, welche hier in erster Linie in Betracht 
kommt, sondern vor allem die fixierende Substanz. Kommt 
dieselbe nur in kleiner Menge vor oder fehlt sie ganz, so muß die 
Chromatbehandlung unwirksam bleiben. Und andrerseits, exi- 
stiert eine größere Quantität des Receptors, wird selbstver- 
ständlich nach dem Massenwirkungsgesetz so viel Kobragift trotz- 
dem aufgenommen werden, daß es für das Zustandekommen der 
Hämolyse genügt. Dies ist auch der Fall, wenn eine Salzsäure- 
beladung vorliegt, wie aus der Tabelle XXII ersichtlich ist, ob- 
wohl es nur ausnahmsweise vorkommt. Weiter steht auch die 
Möglichkeit offen, daß die Kohlensäure mit verschiedener Ge- 
schwindigkeit fortdiffundiert. 

Es geht aber aus den angeführten Versuchen hervor, 
daß die Blutkörperchen gewöhnlich eine ungefähr konstante 


486 I. Bang: 


Empfindlichkeit gegen Kobragift zeigen, und daß die oft ge- 
fundene Unempfindlichkeit bzw. geringe Empfindlichkeit ge- 
wöhnlich von einer Kohlensäurebeladung herrührt. Nur 
ganz ausnahmsweise dürfte eine sehr große oder sehr geringe 
Empfindlichkeit vorkommen. 

Wenn also die Unempfindlichkeit gewöhnlich von einer 
Kohlensäurebeladung abhängig ist (und daß dies besonders im 
Winter öfter vorkommt, ist interessant, aber gut verständlich), 
darf man erwarten, daß eben die Giftaufnahme hier ganz 
fehlt oder jedenfalls stark herabgesetzt ist. So war es auch tat- 
sächlich der Fall, wie in einigen Versuchen exakt bewiesen 
worden ist, in denen solche Blutkörperchen (nach Aufenthalt mit 
Kobragift im Eisschrank — bisweilen sogar im Thermostaten — 
und nach Abzentrifugieren der Flüssigkeit, Auswaschen und Zusatz 
von Rohrzuckerlösung) auch nicht bei Gegenwart von ‚„Leci- 
thin“ hämolysiert werden, während nach Chromatbehandlung das 
Blut von Kobragift allein glatt hämolytisch wurde. 

Weiter wurden die zeitlichen Unterschiede der Hämolyse 
hierdurch vollkommen erklärlich. Während CO,-armes (chromat- 
behandeltes oder a priori CO,-armes) Blut schon im Thermostaten 
mehr oder weniger vollständig hämolysiert wird, tritt die Hämo- 
lyse des CO,-haltigen Blutes, wie beinahe immer im Winter, nur 
langsam nach mehreren Stunden im Eisschrank ein. Wird solches 
Blut, nachdem es 1 Stunde zusammen mit Kobragift im Eisschrank 
gestanden hat, zentrifugiert usw., so läßt sich zeigen, daß nur wenig 
Gift aufgenommen worden ist. Die Kohlensäure verhindert die 
Giftaufnahme und erst nach der Diffusion derselben kann das 
Gift sich geltend machen. Bei solchem Blute kann es auch 
vorkommen, daß Rz-NaCl-Blut nach Überführung in Rohrzucker- 
lösung unempfindlich ist, während auch in diesem Falle eine 
Chromatbehandlung die Empfindlichkeit wieder herstellt. 

Von einem solchen Gesichtspunkte aus ist auch die Er- 
klärung der bisweilen gefundenen verminderten Empfindlichkeit 
des Blutes beim Stehen in eigenem Serum mit Wahrscheinlich- 
keit gegeben: „Die alkalische Reaktion (des Blutes) nimmt außer- 
halb des Körpers an Intensität ab. Dies rührt von einer in 
dem Blute stattfindenden Säurebildung her, an welcher die roten 
Blutkörperchen in irgend einer Weise beteiligt zu sein scheinen‘‘ 
(Hammarstens Lehrbuch, 6. Aufl., S. 223). 


Kobragift und Hämolyse. II. 487 


5. Die Inaktivierung des Blutes beim Stehen in Rohrzucker- 
lösung. 


Wie in den Tabellen IV und VI bewiesen ist, kann man 
bisweilen eine verminderte Empfindlichkeit des Blutes nach dem 
Stehen in Rohrzuckerlösung beobachten. Diese Erscheinung 
kommt sogar viel öfter vor, als die recht wenigen Versuche 
zeigen, und dürfte überhaupt eine ziemlich konstante Tatsache 
darstellen, welche ihre Erklärung fordert. Außer den schon er- 
wähnten Fällen sollen hier einige andere Versuche aufgenommen 
werden, welche mit den erwähnten sämtliche bis dahin an- 
gestellte Versuche darstellen. 


Tabelle XXXVI. 


0,10/,ige Kobragiftlösung in com 
— 0,04 0,06 0,08 0,10 
59 a — +-+- total total 
b 0 0 0 0 
65 a 0 0 0 total 
b 0 0 0 0 
71 & 0 0 0 + 
b 0 0 0 0 
80 a ++ total total total 
b 0 0 0 Jer 
85 a total total total total 
b d 0 0 0 
86 & — +-+ total total 
b d 0 0 
88 a 0 Kuppe Kuppe + 
b d — + 
101 a -+ — total total total 
b 0 0 In Fr 
107 & +— total total total 
b 0 0 0 
108 & 0 0 + +++ 
b 0 0 0 d 
110 & 0 Kuppe Kuppe +++— 
b 0 0 0 d 
114 & 0 — — total 
b d 0 0 0 


&— frisches Blut; b= 16 Stunden gestandenes Rzblut. 


In 10 von 12 Versuchen ist also nach 16 Stunden eine 
vollständige Inaktivierung eingetreten und in einem Versuche 
eine sehr verminderte Empfindlichkeit. Wie früher bemerkt, 
kann man nach etwas längerer Zeit — etwa 48 Stunden — 


488 I. Bang: 


eine noch größere Veränderung vorfinden. Diese Inaktivierung 
schreitet also wahrscheinlich mit der Zeit immer fort. 

Es fragt sich dann, welche Veränderungen in diesem in- 
aktivierten Blute stattgefunden haben. Erstens hat man wohl 
an eine deletäre Wirkung der Rohrzuckerlösung zu denken. 
Zweitens wäre möglich, daß die oben erwähnte Säurebildung, 
welche von den Blutkörperchen ausgehen soll, mit im Spiele 
ist. Von dieser letzten Möglichkeit dürfte man indessen ab- 
sehen können, da eine Chromatbehandlung bei solchem 
Blute wirkungslos ist. Hieraus ist auch ersichtlich, 
daß wir anderen Verhältnissen gegenüberstehen, als 
sie bis jetzt besprochen worden sind. 

Wir haben also in erster Linie die Möglichkeit zu berück- 
sichtigen, daß die Rohrzuckerlösung für die Inaktivierung verant- 
wortlich ist. Um diese Möglichkeit näher untersuchen zu können, 
fragt es sich, ob dieselbe Inaktivierung bei Kochsalzblut statt- 
findet. Man kann ja bequem das Kochsalzblut durch Chromat- 
behandlung reaktivieren, was mit dem durch Stehen in- 
aktivierten Rohrzuckerblut nicht geht. Tatsächlich wird auch 
Kochsalzblut selbst nach 48 Stunden glatt von Chromat re- 
aktiviert, auch dasjenige, welches in Rohrzuckerlösung mit 
der Zeit inaktiviert wird. Eine ähnliche Inaktivierung kommt 
also beim Kochsalzblut nicht vor. e 

Es fragt sich dann weiter, inwieweit das Kochsalz eine 
Schutzwirkung ausübt oder nicht, oder mit anderen Worten, 
ob man durch Zusatz von Kochsalz zur Rohrzuckerlösung die 
Inaktivierung verhindern kann oder nicht. Tabelle XXXV gibt 
die Antwort. 


Tabelle XXXV. 


Blut Nr. 0,1°/,ige Kochsalzlösung in ccm 


e , j 0,10 

101 & ++— total total total 
b 0 0 ++ +++ 

c 0 +++ total total 

d + total total total 


a = frisches Blut, b= 16 Stunden altes Rzblut, c= frisches Rzblut in 

Kochsalzlösung übergeführt und nach 16 Stunden untersucht (dieselbe 

Zeit wie altes Rzblut), d = frisches Rzblut mit NaCl bis 0,8°/, versetzt 

(2 ccm Rzblut -+ 0,3 ccm 2/, Mol NaCl-Lösung) und nach 16 Stunden 
durch Überführung in Rohrzuckerlösung untersucht, 


Kobragift und Hämolyse. IL 489 


Ein Zusatz von Kochsalz verhindert also die In- 
aktivierung des Rohrzuckerblutes, und es bleibt demnach 
die Möglichkeit zu berüchsichtigen, inwieweit das Kochsalz ein 
schon inaktiviertes Rohrzuckerblut zu reaktivieren vermag. 
Hierüber wird die Tabelle XXXVI unterrichten. 


Tabelle XXXVI. 


0,01°/,ige Kobragiftlösung in ccm 
Blut Nr. 0, Kik — Age 0.10 
6 a ohne Salz 0 ++ +++ +++ 
0,08 com 1/3 Mol NaCl 0 0 ++ ++ 
b ohne Salz 0 0 0 ++ 
0,08 cem NaCl -+ 4 ++ +++ 
7 a ohne Salz total total total total 


0,08ccm NaCl 0 
b ohne Salz 0 0 0 
0,08 ccm NaCl 0 


25 a ohne Saiz ++ total total total 
0,08 cem NaCl d 0 — total 
b ohne Salz 0 0 0 0 
0,08 cem NaCl d _ + total 
26 a ohne Salz ⸗ total total total 
0,08ccm NaCl 0 0 + +++ 
b ohne Salz d d 0 0 


0,08ccm NaCl 4- ++ ++ 
a — frisches Rohrzuckerblut, b = dasselbe Blut nach 16stündigem Stehen. 


Wie aus der Tabelle XXXVI ersichtlich, bewirkt das Koch- 
salz eine Hemmung der Hämolyse bei dem frischen Blute, 
während bei dem alten Blute eine entgegengesetzte, reaktivie- 
rende Wirkung stattgefunden hat. Wenn man aber die Hämo- 
lyse des frischen und alten, mit Kochsalzlösung versetzten Blutes 
vergleicht, wird man die übereinstimmenden Werte von beiden 
bemerken. Die Folgerung ist deswegen berechtigt, daß beim 
alten Blute durch das Salz erst eine restitutio ad integrum 
stattgefunden hat und dann das Kochsalz auf das re- 
aktivierte Blut, oder richtiger auf das Gift seine Hemmungs- 
wirkung ausgeübt hat. Das Kochsalz hat also das inakti- 
vierte Rohrzuckerblut reaktiviert, ebenso wie es, zum frischen 
Blute gesetzt, die Inaktivierung verhindern kann. Man muß 
aber hierzu bemerken, daß diese reaktivierende Wirkung des 
Kochsalzes keine konstante Erscheinung darstellt, da 


ich beobachtet habe, daß das alte Rohrzuckerblut auch nach 
Biochemische Zeitschrift Band 18. 32 


490 L Bang: 


Salzbehandlung fortwährend inaktiv blieb. Dagegen ist es eine 
interessante Tatsache, daß hier das Kochsalz, nicht aber das 
Chromat die Reaktivierung bewirken kann, gerade im Gegensatze 
zu den Verhältnissen bei dem säurebeladenen Blute. 

Wenn wir eine Erklärung dieser Inaktivierung geben sollen, 
so ist es klar, daß das Kochsalz auf die eine oder andere 
Weise damit in Verbindung steht. Es ist weiter ganz klar, 
daß das Kochsalz, um eine Inaktivierung verhindern zu können, 
auf die Blutkörperchen selbst einwirken muß und andererseits, 
um die Reaktivierung bewirken zu können, wahrscheinlich den 
Blutkörperchen eine verlorengegangene Eigenschaft zuführen muß. 
Es liegt dann nahe, zu denken, daß diese Eigenschaft das Salz 
selbst darstellt. 

Wenn das Rohrzuckerblut durch Stehen inaktiv wird, 
könnte dies möglicherweise mit der Diffusion des intra- 
cellulären Kochsalzes in Verbindung stehen. Wenn 
weiter das Kochsalz die Inaktivierung verhindert, müßte das 
Kochsalz auch die Diosmose des Kochsalzes verhindern, und 
wenn das Kochsalz zuletzt die Reaktivierung bewirken kann, 
dürfte dementsprechend bei salzfrei bzw. salzarm gewordenen 
Blutkörperchen nach Überführung in Salzlösung eine Einwande- 
rung — Endosmose — von Salz stattfinden. Wie in meiner 
Arbeit über die physiko-chemischen Eigenschaften der Blut- 
körperchen!) bewiesen ist, treffen diese sämtlichen Voraus- 
setzungen in der Tat (die oben entwickelte Auffassung hat zu 
einem solchen Studium die Anregung gegeben) zu. 

Es kann auch nicht befremden, daß das Kochsalz mit der 
Affinität des Kobragiftes zu den Blutkörperchen in Ver- 
bindung stehen kann (und in der Tat bleibt die Fixation des 
Giftes bei dem inaktivierten Rohrzuckerblut aus). Denn wir 
haben ja vorher gesehen, daß man durch Kochsalzlösung das 
schon fixierte Kobragift wieder aus den Blutkörperchen ex- 
trahieren kann, und wir haben dort ausdrücklich bemerkt, daß 
man diese Tatsache nicht allein aus einem Austausch der Salz- 
säure mit der Kobrasäure erklären kann, sondern daß sicher 
auch die Basenkomponente durch seine Affinität zum Gifte von 
Bedeutung ist, was auch die Versuche mit Kalksalzen ganz 
überzeugend zeigten. 


1) L o. 


Kobragift und Hämolyse. II. 491 


Wir kommen also zu der Folgerung, daß die in der 
Lipoidmembran und im Zellinnern befindliche Salz- 
quantität für die Aufnahme des Kobragiftes von 
wesentlicher Bedeutung sein muß. 

Die Wichtigkeit dieser Schlußfolgerung erfordert aber ein 
genaueres Studium. Es ist ganz klar, daß, wenn die Basen- 
komponente in dieser Beziehung von überragende Bedeutung 
ist, solche Salze, welche eine schwache Säurekomponente ent- 
halten, sich als besonders für eine Reaktivierung befähigt er- 
weisen müssen. Das war auch tatsächlich der Fall. Sowohl 
Ammonium- wie Natriumcarbonat sind hierzu geeignet. 

In den folgenden Versuchen war die Am,CO,-Lösung 5°/,ig, 
die Na,CO,-Lösung 1°/,ig. Nach dem Zusatz des Carbonats 
wurde gleich zentrifugiert und die Blutkörperchen in reine 
Rohrzuckerlösung übergeführt. 


Tabelle XXXVII. 


0,1 ccm Kobragiftlösung in com 
SE 0,04 006 0,08 0,10 


69 a altes Rz-Blut 0 0 0 0 
b do.+0,1com Am,CO, + +++ total total 
63 a altes Blut 0 0 0 0 
b do.-+0,1ocm Am,CO, 0 0 — 4 
65 a altes Blut 0 0 0 0 
b do.+0,1ccm Am,CO, 0 LEE total 
66 a altes Blut 0 0 0 0 
b do.+0,1ccm Soda total total total total 
85 a altes Blut 0 0 0 0 
b do.-+0,1ccm Soda 0 0 0 0 
86 a altes Blut 0 0 0 0 
b do.+ 0,1 eem Soda 0 0 0 0 
107 a altes Blut 0 0 d d 
b do.+0,1ccm Soda 0 0 0 0 
c do. 40,2 oom Soda 0 0 0 d 
108 a altes Blut d 0 0 0 
b do.—+0,1ccm Soda 0 0 — 4 
109 a altes Blut 0 d 0 0 
b do.-+0,1com Soda 0 0 0 0 
c do.+0,locm Am,C0,!) 0 Bä +— —— 
IIO a altes Blut 0 0 0 0 
b do. -4+ 0,1 ocm Soda 0 0 Kuppe LE 
c do.+0,1ccm Am,C0,1) O0 0 +— +++ 
111 a altes Blut 0 0 0 
b do.—+0,1com Soda 0 0 — +++- 


Die Kontrollen waren überall negativ. 


1) Diese Am,CO,-Lösung war 10°/,ig. 
32* 


492 I. Bang: 


In 50°/, ließ sich also das durch Stehen inaktivierte Blut 
durch Soda reaktivieren, während es überall, wo Ammonium- 
carbonat zur Verwendung kam, reaktiviert wurde. Nun ist 
aber zu bemerken, daß die Einwirkungszeit der Sodalösung (und 
Am,CO,-Lösung) eine ganz kurze war, da unmittelbar nach dem 
Zusatz das Blut zentrifugiert und mit reiner Rohrzuckerlösung 
versetzt wurde. In einem Versuche (Blut Nr. 109) wurde das 
inaktivierte Blut 6 Stunden mit Soda digeriert. Hier ließ sich 
dann eine allerdings schwache Reaktivierung nachweisen (Kon- 
trolle =0). Weiter soll erwähnt werden, daß die meisten Ver- 
suche zu einer Jahreszeit ausgeführt wurden, in welcher das 
Blut überhaupt recht unempfindlich (CO,-reich) war, was viel- 
leicht nicht ohne Einfluß ist. 

Wenn wir die gefundenen Ergebnisse zusammenstellen, so 
sehen wir, daß Rohrzuckerblut beim Stehen inaktiv wird, daß 
aber das Kochsalzblut (nach Chromatbehandlung, welche für 
Rzblut hier ohne Wirkung ist) seine Empfindlichkeit unver- 
ändert beibehält und daß weiter das inaktivierte Rohrzucker- 
blut durch Behandlung mit Kochsalz, Soda oder Ammonium- 
carbonat wieder reaktiviert wird, und wenn wir ferner daran 
erinnern, daß die Salze beim Stehen des Rohrzuckerblutes fort- 
diffundieren, wird die Bedeutung der intracellulären Salze für 
die Kobragifthämolyse ersichtlich. 

Ebenso wie man durch Zusatz von Salzen zur Blutkörper- 
chenaufschwemmung die Giftaufnahme verhindern, bzw. das auf- 
genommene Gift wieder ausziehen kann, kann man in derselben 
Weise durch Beladung der salzarm gewordenen Blutkörperchen 
mit Salzen die Affinität zum Gift vergrößern. Und ebenso wie 
die Basenkomponente bei der Salzwirkung zur Aufhebung der 
Hämolyse verantwortlich war, ist hier die Alkalibeladung der 
Blutkörperchen das wesentliche. (Es läßt sich auch eine Reakti- 
vierung durch Verwendung der freien Alkalien und des 
Ammoniaks hervorrufen.) Das Alkali, bzw. die Salze diffun- 
deren mehr oder weniger schnell — die NH,-Salze besonders 
schnell — hinein und ziehen nun das Gift mit hinein, ähnlich 
wie sie es außerhalb der Zelle heraus ausziehen können. 

Hierdurch ist auch der Unterschied zwischen Chromat und 
Soda erklärt; das Chromat diffundiert nicht hinein und kann 
demgemäß keine Reaktivierung bewirken. 


Kobragift und Hämolyse. II. 493 


Diese Reaktivierung ist demgemäß von derjenigen säure- 
beladener Blutkörperchen scharf zu trennen. Z. B. bei salz- 
säurebeladenen Blutkörperchen bewirken sowohl Soda wie 
Chromat eine Reaktivierung durch Beseitigung der Salzsäure, 
dagegen ist der Wirkungsmodus der Soda bei salzarmen Blut- 
körperchen davon ganz verschieden, indem hier keine Neu- 
tralisation stattfindet und die Soda als solche hineindiffundiert. 

Wir sind hiermit zu der Folgerung gekommen, daß die 
Salze und besonders ihre Basenkomponente den Angriffs- 
punkt des Kobragiftes in den Blutkörperchen dar- 
stellen. Sie sind also als „Receptor“ zu betrachten.?) 

Von einer solchen Voraussetzung aus müssen wir uns 
das Vorkommen der Salze in der Lipoidmembran derart er- 
klären, daß sie entweder in der Membran gelöst oder mit 
Lipoidbestandteilen chemisch verbunden sind. Nun aber zeigten 
die Kälteversuche, daß eine Aufnahme des Giftes ohne Hämo- 
lyse stattfinden kann, und erst wenn man die kobragiftbeladenen 
Blutkörperchen bis auf Körpertemperatur erwärmt, tritt die 
Hämolyse ein. Ebenfalls lassen sich diese zwei Stadien bei 
höherer Temperatur, sogar bei 37° nachweisen. Es ist auch 
ganz unbegreiflich, daß eine Giftbindung an das Alkali der 
Blutkörperchen an sich notwendig eine Hämolyse herbeiführen 
soll. Es ist demgemäß viel verständlicher, anzunehmen, ent- 
weder daß das Alkali, wie der Acceptor bei der Oxydation, 
als ein Sauerstoffüberträger fungiert: das Gift wird von Alkali 
aufgenommen und schlägt sich von dieser Verbindung auf 
andere spezifische Lipoidbestandtele der Membran nieder, 
welche also für eine direkte Fixation nicht zugänglich wären, 
oder auch kann man sich vorstellen, daß das Alkali selbst 
eine solche Anderung der Membranbestandteile bewirkt. Stellen 
wir uns einmal vor, daß solche Bestandteile von saurem und 
basischem Charakter miteinander als neutrale Verbindungen vor- 
kommen, dann könnte das Alkali durch die Zerlegung von diesen 
und durch Neutralisation der sauren Komponente den basischen 
Bestandteil frei und für das Gift disponibel machen. Als eine 
dritte Möglichkeit wäre denkbar, daß den imtracellulären 


1) Daß die Inaktivierung nichts mit einen O-Verlust zu tun hat, 
wurde duroh Versuche sichergestellt. Ebensowenig kann man das Blut 
durch Überführung in neue Rohrzuckerlösung wieder reaktivieren; 


494 I. Bang: 


Salzen wesentliche Bedeutung zukäme, und daß also das Gift 
sowohl auf die Membran als auch intracellulär wirkte. 

Ob diese oder andere Eventualitäten tatsächlich vorliegen, 
entzieht sich vorläufig der Beurteilung. So viel geht jedoch mit 
Evidenz hervor, daß wir mit der Erkenntnis der Salzwirkungen 
keineswegs am Ende stehen, sondern daß im Gegenteil auch 
andere Unbekannte noch vorliegen, welche der Untersuchung 
bedürfen. Ich glaube auch, daß die übrigens seltenen Fälle, 
wo das Blut refraktär ist und bleibt, hierdurch eine vorläufige 
Erklärung finden können. (Eine Erklärung in Übereinstimmung 
mit der Seitenkettentheorie ist aber ganz unmöglich. Die Basen 
fungieren sicher nicht als Immunkörper.) 

So viel geht jedoch mit großer Deutlichkeit 
hervor, daß die extracellulären Salze, bzw. deren 
Alkalikomponente (ich sehe von der Säurewirkung hier 
ab) das Gift den Blutkörperchen entziehen, und daß 
umgekehrt die intracellulären Salze (die in der Lipoid- 
membran existierenden mitgenommen) für die Auf- 
nahme des Giftes von wesentlicher Bedeutung sind. 

Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte man erwarten, 
daß man durch Beladung der Blutkörperchen vom Rind mit 
Salzen bzw. Alkalien oder Basen überhaupt ihre Affinität zum 
Kobragift derartig vermehren könnte, daß eine Beladung mit 
darauffolgender Hämolyse auch bei Aufschwemmung in Kochsalz- 
lösung stattfinden könnte. Meine recht zahlreichen Versuche 
hierüber, in welchen ich die Blutkörperchen mit Alkali, Am- 
moniak, Soda, Calciumsalzen usw. behandelte, haben ein wechselndes 
Ergebnis gehabt. In sämtlichen Versuchen wurde Rohrzucker- 
blut mit den Salzen digeriert und dann die Zuckerlösung durch 
isotonische Kochsalzlösung ersetzt. Es war — wegen der Salz- 
säurebeladung — keine Möglichkeit, hierzu Kochsalzblut direkt zu 
verwenden. 

Zwarsind die meisten Versuche mißgelungen, dagegen habe ich 
sowohl mit Kalksalzen wie mit Soda bisweilen eine Empfindlich- 
keit gegen sogar kleine Mengen Kobragift in Kochsalzlösungen 
ohne Aktivator nachweisen können, und eben die positiven 
Versuche sind beweisend. (Ich brauche kaum anzuführen, daß 
Kochsalzblut und Rz-NaCl-Blut auch hier ganz unempfindlich 
waren). Allerdings zeigten bei Verwendung von Soda die Kontrollen 


Kobragift und Hämolyse. IL 495 


auch schwache Hämolyse, während die Proben mit Gift starke 
bzw. totale Hämolyse ergaben. Dasselbe findet man aber auch 
oft beim „Lecithin“ allein. Übrigens wurden die Versuche in 
der kalten Jahreszeit angestellt, wo das Blut, wie bemerkt, eine 
geringere Empfindlichkeit zeigte. 

Die Kobragiftquantität war wie gewöhnlich 0,04 bis 0,10 ccm 
einer 0,1°/,igen Lösung, also 0,4 bis 0,1 mg. Vergleicht man 
hiermit die Giftquantitäten, welche zur Auflösung empfindlicher 
Blutkörperchen notwendig sind, so ist nach Versuchen von 
Kyes und Sachs für Schweineblutkörperchen 0,25 mg und für 
Kaninchenblut 1 mg gefunden worden, also eine bedeutend 
größere Quantität, als unter Umständen zur Hämolyse von alkali- 
beladenen Ochsenblutkörperchen in Kochsalzlösung genügt. 


Wir kommen dann zuletzt zu der Frage, inwieweit viel- 
leicht die empfindlichen Blutarten ihre Empfindlichkeit gegen 
Kobragift ihren Gehalt an Salzen bzw. Alkali verdanken. In der 
folgenden Tabelle habe ich nach Abderhaldens Analysen 
(für das Pferdeblut jedoch nach denen von Gürber) den 
Gehalt der verschiedenen Blutarten an Alkali und Chlor an- 
geführt. (Die Werte der Phosphorsäure sind weniger brauch- 
bar, da man wahrscheinlich unter der anorganischen Phosphor- 
säure etwas Phosphatid-P mitgenommen hat. Die schwierige 
Entfernung dieses P war unbekannt, als die Bestimmungen aus- 
geführt wurden.) Zum Vergleich ist die Empfindlichkeit der 
Blutarten gegen Kobragift beigefügt (nach K yes und Sachs?). 


Tabelle XXXVIII. 
Zur kompletten 
o Überschußvon Hämolyse not- 
K +- Na 


Blutart Na K wendige Menge 


Kobragift in mg 
Rind 2,2 0,7 1,8 0,7 + 1,0 o 
Schaf 2,1 0,7 1,8 0,7 + 0,9 ~ 
Ziege 2,2 0,7 1,5 0,7 + 1,2 oe 
Pferd 0,3 3,2 1,7 1,3 40,3 1,0 
Kaninchen 0 5,2 1,3 3,5 1,0 
Schwein 0 5,0 1,5 3,3 0,25 


Hund 29 03 14 0,3+20 0,05 


1) Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 2 bis 4. 


496 I. Bang: 


Aus der Tabelle geht mit großer Deutlichkeit hervor, 
daß die Empfindlichkeit mit dem Alkaligehalt in Proportion 
steht: die unempfindlichen Blutkörperchen besitzen einen ge- 
ringeren Gehalt an Alkali als die empfindlichen. Die absoluten 
Werte sind dagegen von keiner entscheidenden Bedeutung, 
da die notwendige Giftmenge sehr variiert. Z. B. fanden 
Keen und Sachs für Kaninchenblut Differenzen von l mg bis 
0,05 mg Kobragift bei der Hämolyse. Der Salzgehalt ist auch 
keine absolut konstante Größe. Für das Hundeblut ist zu be- 
merken, daß 2,0 Na 3,2 K entsprechen. 

Aus meinen vorläufigen Untersuchungen über das Schweine- 
und Kaninchenblut geht weiter mit Bestimmtheit hervor, daß 
diese Blutarten gegenüber Salzen usw. sich wie Ochsenblut ver- 
halten, was für die Bedeutung der intracellulären Salze spricht. 
Zuletzt ist zu bemerken, daß Kyes und Sachs keine Rück- 
sicht auf den variablen Säuregehalt der Blutkörperchen ge- 
nommen haben (vielleicht sind die großen individuellen Unter- 
schiede des Kaninchenblutes dadurch zu erklären). 

Wenn ich die Verhältnisse richtig beurteile, sind die an- 
geführten Ergebnisse dazu geeignet, außer der Erklärung der Kobra- 
gifthämolyse einen Ausgangspunkt zur Erforschung der Wirkung 
verschiedener anderer Hämolytika zu bilden. Besonders für - 
das immunisatorisch erzeugte Hämolysin ist man bekannt- 
lich gewöhnlich von der Ehrlichschen Theorie ausgegangen. 
Nach dieser Theorie bildet der Immunkörper das Zwischen- 
glied zwischen den Blutkörperchen und dem Komplement, 
dem eigentlichen Ilytischen Faktor. Da nun aber Rohrzucker- 
blut vom Komplement allein ohne Immunkörper gelöst wird 
und da weiter auch bei Gegenwart von Immunkörpern die 
Komplementhämolyse von Säuren, Alkalien und besonders 
Kalksalzen verhindert wird, und da zuletzt diese Inaktivierung 
durch Neutralisation der Säuren oder Alkalien bzw. CaOx-Bildung 
aufgehoben wird, so liegt die Analogiefolgerung der Komplement- 
hämolyse mit der Kobragifthämolyse auf der Hand. Wenn 
man sich aber auf den Ehrlichschen Standpunkt stellt, daß 
das Komplement nur mit dem Immunkörper — dessen haptophorer 
Gruppe — reagiert, so liegt überhaupt keine Veranlassung zu Unter- 
suchungen mit ähnlicher Methodik vor. Es wäre aber die reine 


Kobragift und Hämolyse. IL 497 


Scholastik, wegen einer unbewiesenen und in mehreren Be- 
ziehungen recht unwahrscheinlichen Hypothese von solchen 
Versuchen Abstand zu nehmen. Persönlich bin ich weit davon 
entfernt, solche Untersuchungen nach der oben mitgeteilten 
Methodik zu monopolisieren und will im Gegenteil zur Mit- 
arbeit auffordern. 

Zuletzt einige Worte über das Neurotoxin. Gegen die 
dualistische Auffassung über das Neurotoxin und Hämotoxin 
lassen sich schwerwiegende Argumente anführen, und andrer- 
seits sind besonders die Beweise von Kyes für eine solche 
Auffassung hinfällig. Es ist in dieser Beziehung interessant, 
daran zu erinnern, daß eben die Salze Kaliumchromat und 
Kalksalze als Gegengift gegen Kobragiftintoxikation vorgeschlagen 
worden sind. Daß hierbei keine Vernichtung des Giftes statt- 
findet, geht aus meinen obigen Untersuchungen hervor. Ich 
habe auch einige Versuche angestellt, um nachzusehen, inwieweit 
besonders Kalk- und Aluminiumsalze Kaninchen gegen tödliche 
Vergiftungen mit Kobragift schützen können. Bei sehr schwachen 
Kobragiftdosen, welche die Tiere in 5 bis 6 Stunden töteten 
(ca. 0,5 mg Kobragift pro Kilo Tier), konnte eine Einspritzung 
von 0,5 bis 0,1 g CaCl, das Leben 5 bis 6 Stunden verlängern. 
Und durch 35 mg Aluminiumsulfat ließ sich ein Tier gegen 
die nämliche Giftquantität retten. Da nun weiter das Gift 
und die Salze jedes für sich auf verschiedenen Stellen subcutan, 
obwohl zur selben Zeit injiziert wurden, ist eg ganz unwahr- 
scheinlich, daß eine Vernichtung des Giftes stattgefunden hatte. 
Übrigens waren die Ergebnisse durchaus dieselben, wenn Salz 
und Gift zusammen eingespritzt wurden. Diese Tatsachen 
sprechen entschieden für die Identität zwischen Neurotoxin 
und Hämotoxin. Sie besitzen aber leider keine praktische Be- 
deutung, da keine Schutzwirkung bei etwas größerer Gift- 
quantität gefunden wurde, auch dann nicht, wenn die Salzmengen 
vergrößert wurden. 

Da man besonders Permanganat als Antidot gegen Kobra- 
gift empfohlen hat, war es von Interesse, nachzusehen, wie dieses 
Salz sich gegen die hämolytische Giftwirkung verhält. Leider 
sind solche Versuche unmöglich, da das Permanganat selbst 
die Blutkörperchen auflöst. 


498 I. Bang: Kobragift und Hämolyse. TI. 


Eine Frage bleibt zu erwähnen, nämlich der Mechanismus 
der Auflösung von kobragiftbeladenen Blutkörperchen. Findet 
hier eine Auflösung von Zellenbestandteilen, besonders der 
Lipoidmembran, statt, oder hat man an andere Möglichkeiten 
zu denken. Hierüber läßt sich nichts aussagen, und die Frage 
wird überhaupt nicht von den mitgeteilten Tatsachen ernstlich 
berührt, sondern erfordert besonders darauf gerichtete Unter- 
suchungen. 


Über den Einfluß des Alters und der Größe auf den 
Gasstoffwechsel des Säuglinges. 


Von 
Artur Schloßmann und Hans Murchhauser. 
(Aus der akademischen Klinik für Kinderheilkunde in Düsseldorf.) 
(Eingegangen am 12. Mai 1909.) 


Es ist neuerdings als eine feststehende Tatsache angenommen 
worden, daß das Kind einen respiratorischen Stoffwechsel sui 
generis habe; derselbe soll beträchtlich reger und energischer 
als der des Erwachsenen sein. Natürlich ist dabei nicht die 
Gewichtseinheit des Kindes der des Erwachsenen gegenüber- 
gestellt; denn daß pro Kilo gerechnet das wesentlich leichtere 
jugendliche Individuum mehr CO, produziert und mehr O 
konsumiert, als ein älteres und schwereres, ist ja selbstver- 
ständlich. Man hat aber auch gemeint, daß bei Zugrunde- 
legung gleicher Oberflächeneinheiten das Kind einen regeren 
Gasaustausch bewerkstelligt als der Erwachsene. So sagt 
A. Loewy!): ‚Der Stoffumsatz ist im Kindes- und Entwick- 
lungsalter nicht nur pro Kilo Körpergewicht, sondern auch, 
und das ist allein maßgebend, für die Oberflächeneinheit 
höher als der des Erwachsenen.“ Auch Magnus-Levy steht 
in seiner „Physiologie des Stoffwechsels‘‘*) auf demselben Stand- 
punkt. ‚Der Gaswechsel des Kindes‘, so heißt es daselbst, „ist 
viel lebhafter als der des Erwachsenen. Der Umsatz pro 
Quadratmeter war bei den Kindern von Magnus-Levy und 
E. Falck um 1,1 bis 1,6 mal höher als bei erwachsenen Per- 
sonen.“ In der auf S. 287 angegebenen Tabelle der Magnus- 


1) Der respiratorische und der Gesamtumsatz, Handbuch der Bio- 
chemie von C. Oppenheimer. Literatur siehe daselbst. 
2) Handb. d. Pathol. d. Stoffw. von C. v. Noorden. 


500 A. Schloßmann und H. Murchhauser : 


Levyschen Physiologie des Stoffwechsels sieht man die Rela- 
tionszahlen des Sauerstoffes für Kinder und Erwachsene auf 
l qcm Oberfläche berechnet völlig dem zunehmenden Alter ent- 
sprechend sinken. Dem gegenüber stehen die allerdings nur 
andeutungsweise publizierten Untersuchungen von Staehelin 
und Gigan!), die Erwachsene von Zwergwuchs verglichen mit 
Kindern gleicher Größe: der O-Verbrauch war bei beiden Ka- 
tegorien von Individuen völlig analog pro Quadratmeter Ober- 
fläche. 

Nun haben wir?) bereits früher die Meinung ausgesprochen, 
daß die CO,-Ausscheidung des ruhenden Säuglings mit derjenigen 
des Erwachsenen auf gleiche Oberfläche berechnet parallel geht. 
Wir hatten ja gefunden, daß 1 qm ruhender Säugling S. im 
Durchschnitt pro Stunde 11,0 g O verbraucht und 13,78 CO, 
produziert. Es beträgt dagegen die CO,-Ausscheidung beim ruhen- 
den Erwachsenen im Durchschnitt aus 5 Versuchen von Rubner 
und Lewaschew°) 15,85 g, ist hier also nicht nur nicht ge- 
ringer, sondern sogar größer als beim Säugling. Rubner und 
Heubner erklären dies damit, daß der Säugling in ihrem Ver- 
suche im wachenden und schlafenden Zustande untersucht ist, 
die Erwachsenen nur bei Wachsein, und daß ferner die Luft- 
temperatur in den Versuchen bei letzteren meist nicht unerheb- 
lich niedriger war als bei den Säuglingsversuchen. 

Auch die von Atwater*) angegebenen Werte lassen jeden- 
falls die Deutung nicht zu, daß die CO,-Ausscheidung beim 
ruhenden Erwachsenen geringer sei als wir sie beim ruhenden 
Säugling gefunden haben. Er gibt als Durchschnitt 16,11 g 
pro Quadratmeter an. Nun können zweckmäßig diese Fragen 
nur dann beantwortet werden, wenn die Untersuchungen von 
denselben Beobachtern, mit derselben Apparatur, nach der- 


1) Sitzungsber. der Physiol. Ges. in Basel 29, 1, 1909. Ref. i. med. 
Klinik 1909, Nr. 8. 

2) Schloßmann, Zur Frage des respiratorischen Stoffwechsels beim 
Säugling. Verhandlungen der Gesellschaft für Kinderheilkunde 25, Ver- 
lag von G. F. Bergmann, S. 52ff. und: Sohloßmann, Oppenheimer 
und Murchhauser, diese Zeitschr. 14, 393. 

3) Rubner und Lewaschew, Arch. f. Hygiene 29, 47 und Rubner 
und Heu bner, Zeitschr. f. Biol. 36, 25. 

4) Atwater, Neue Versuche über Stoff- und Kraftwechsel im mensch- 
lichen Körper. Ergebnisse der Physiologie 3, 1. Abt., 584. 


Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinge. 501 


selben Methode und unter ganz denselben Bedingungen aus- 
geführt sind. Nachdem Kettner!) durch seine auf unsere 
Veranlassung hin unternommenen Versuche am Meerschwein 
erwiesen hatte, daß offenbar die ursprüngliche Ansicht Rub- 
ners ganz zu Recht besteht, nach der der Gasweochsel der 
Körperoberfläche nahezu proportional einhergeht, erschien es 
uns angezeigt, am wachsenden Säugling festzustellen, ob mit 
Alter, Oberflächen- und Gewichtszunahme sich Veränderungen 
im respiratorischen Stoffwechsel zeigen. Derselbe Säugling S., 
der uns zu den ersten Versuchen gedient hatte, wurde nunmehr 
wieder dem früher?) geschilderten nächtlichen Achtstundenversuch 
unterworfen. Im Alter von 144 Tagen, bei einem Gewichte 
von 5790 g und mit einer Oberfläche von 38,4 qdem hatte S. 
im Schlafe im Durchschnitt von 8 Stunden pro Stunde 13,78 g 
CO, produziert und 11,0g O konsumiert (Durchschnitte aus 
6 Versuchen vom 14. August bis 2. September. Siehe diese 
Zeitschr. 14, 389). 

Am 9. Januar war das Versuchskind 284 Tage alt, also 
fast doppelt so alt als im Durchschnitt der ersten Versuche, 
es wog 8450 g und hatte eine Oberfläche von 49,63 qdem. Das 
Kind wurde noch ausschließlich gestillt; der Versuch verlief genau 
wie die vorhergehenden. Er ergab pro Quadratmeter Ober- 
fläche und Stunde einen O-Verbrauch von 11,05 g und eine 
CO,-Ausscheidung von 13,99 g. 

Am 15. April ist endlich ein letzter Versuch, wieder ganz 
analog den früheren, gemacht worden. Das Kind, jetzt 380 Tage 
alt und immer noch reines Brustkind, läuft jetzt schon allein 
herum und hat in der letzten Zeit weniger zugenommen. Sein 
Gewicht beträgt 8930 g, seine Oberfläche 51,50 qdem. Pro Stunde 
und Quadratmeter ergab sich ein O-Verbrauch von 11,41 g und 
eine CO,-Ausscheidung von 13,49 g. 

Wir stellen der Übersicht halber die Befunde tabellarisch 
zusammen: 

Wir sehen aus den angeführten Zahlen, daß die CO,-Aus- 
scheidung pro Quadratmeter Oberfläche in allen 3 Versuchen 
vollkommen übereinstimmt. Dabei hatte unser Versuchskind 


1) Die Beziehungen der Körperoberfläche zum respiratorischen Stoff- 
wechsel. (Erscheint demnächst in dieser Zeitschrift.) 
2) Literatur s. vorige Seite, Fußnote 2. 


502 


Tabelle. 


Op ver- 
braucht 





und Stunde wurde 


CO, aus- 
geschieden 





ProKilo Kind und Stunde Dro Quadratmeter Kind 








g E 
guano 
338 
A d 


Nr. 










A. Schloßmann und H Murchhauser: 


7,698 1 
== 110g 
7,733 1 
11,05 g 
7,985 1 
11418 


13,78 g 
7,140 1 

13,99 g 
6,885 1 

13,49 g 








53 
E S 
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11) | 24. August 1908 
22)| 9. Januar 1909 
32)| 15. April 1909 





1) Siehe Tabelle auf Seite 389 des 14. Bandes dieser Zeitschrift und die Protokolle auf Seite 394 des 14. Bandes. 


2) Protokolle zu den beiden Versuchen am Schlusse dieser Arbeit. 


im 2. Versuche fast genau das 
doppelte Alter wie im 1., und 
im 3. Versuche war es 2,6 mal 
so alt wie im 1. und 1,7 mal 
so alt wie im 2. Versuch. 
Trotzdem kann nicht die Rede 
davon sein, daß die CO,-Aus- 
scheidung heruntergegangen 
sei, wenn man dieselbe auf die 
Öberflächeneinheit berechnet. 
Auch in bezug auf den Sauer- 
stoffverbrauch gilt ein gleiches. 
Derselbe ist im 3. Versuche 
sogar eine Kleinigkeit höher 
als im 1l. und 2., die absolut 
genau übereinstimmen. Doch 
ist die Differenz immer noch 
so gering, daß es sich er- 
übrigt, nach einer besonderen 
Erklärung hierfür zu suchen. 

Wir glauben aber mit 
Sicherheit annehmen zu dür- 
fen, daß unsere Versuche einen 
Ausschlag hätten ergeben 
müssen, wenn wirklich das 
ältere Individuum einen ge- 
ringeren Gasaustausch auf die 
Öberflächeneinheit berechnet 
zeigen würde als das jüngere. 
Die Übereinstimmung der 
Werte deuten wir aber in der 
Richtung, daß wir aus der- 
selben die Richtigkeit der 
Rubnerschen Anschauung 
schließen, nach der die 

Stoffwechselvorgänge 

sich proportional der 
Öberflächenentwicklung 
halten. 


Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglings. 503 


Protokolle. 


Bei dem zunächst folgenden Versuch vom 9. Januar 1909 wurde 
aus bei anderer Gelegenheit zu erörternden Gründen nach der 1. Stunde 
eine Luft- und Laugenprobe aus dem Respirationsraume entnommen. 
Die entnommenen Volumina an Gas und Lauge mußten für den 8stün- 
digen Versuch in Rechnung gezogen werden und sind deshalb in das 
Protokoll mit aufgenommen; j 


Versuch vom 9. Januar 1909. 


Versuchsobjekt: Sutholt, Fritz. Alter: 284 Tage. 
Gewicht Gewicht der Bekleidung 
des Kindes und des Bettzeuges Ta Ernährung 
vorher: nachher: vorher: nachher: 


8449 g 8240 g 3010 g 3200 g 8 Stunden 170g Miloh 
Anfangswerte: Temp: 19,39 Bar. corr. 760,3 Man. + 0,08 Thermobar. -+ 0,95 
Endwerte: „ 192 „ „» 7614 „ +0,14 e -+ 0,23 
Anfangsvolumen: 204,575 1 bei 19,30 und 759,43 mm Hg — 186,081 1 
Endvolumen: 204,575 1 „ 19,30 „ 760,39 „ „ = 186,325 I. 


Analyse 
der Anfangsluft der Endluft des Sauerstoffs 
CO = 0,10%, 0,36 2/9 0,22 0/9 
O3 = 20,77 Di 19,55°/, 95,13%/, 
N, = 79,13°/, 80,09%), 4,65°%/, 
100,00°/, 100,00°/, 100,009), 


Das nach der 1. Stunde entnommene Gasvolumen betrug be- 
rechnet auf 0° und 760 mm = 337 com; die Analyse der Luftprobe ergab: 
CO, = 0,27%, 

0, = 20,29 0/9 

N, = 79,44°/, 
es wurden folglich entnommen: 1 com CO, 

68 com O, 

268 com N, 

337 com 
die entnommene Laugenprobe betrug 137 ccm und enthielt im ganzen 
0,8495 g COs- 





Sauerstoffbilanz. 
Vorher vorhanden: 38,650 
nachher vorhanden: 36,427 
nach der 1. Stunde entnommen: -4 0,068 
2,155. 
Anfangsgewicht des Gasometers = 21,10 kg bei 108,32 Thermobar. 
Endgewicht Aë H = 53,70 kg bei 109,07 


Sauerstoff aus Gasometer — 30,026 1 
davon ab N, in O, = 1,396 1 

” zg CO, in O, = 0,066 1 

dazu: 2,1561 
Nettosauerstoffverbrauch: 30,718 1 
Pro kg und Stunde = 0,460 1. 


504 A. Schloßmann und H. Murchhauser: 


Kohlensäurebilanz. 


Vorher vorhanden: 0,186 1 
nachher vorhanden: 0,671 1 
F 0,4851 ` 
nach der 1. Stunde entnommen: 0,001 I 
0,486 1. 
Endlauge: 58,5760 g 
nach der 1. Stunde entnommen: 0,8495 g 
59,4255 g 
Anfangslauge: 4,8000 g 
54,6255 g CO, 
— 27,878 1 
+ 0,486 
Gesamt-CO,-Produktion: 28,364 l in 8 Stunden 
Pro Stunde und kg — 0,424 |. 
Respiratorischer Quotient = 0,923. 


Stiokstoffbilanz. 


Vorher vorhanden: 147,245 1 
nachher vorhanden: 149,228 1 
nach der 1.Stundeentnommen: 0,268 1 
al 
N, aus O, (4,65°%/,) = 1,396 1 
Fehler: + 0,855 1. 





Versuch vom 15. April 1909. 


Versuchsobjekt: Sutholt, Fritz. Alter: 380 Tage. 
Gewicht Gewicht der Bekleidung 
des Kindes und des Bettzeuges us Ernährung 
vorher: nachher: vorher: nachher: 


8930 g 8745 g 2935 g 3060 g 8 Stunden 200 g Milch 
Anfangswerte: Temp. 20,4° Bar. corr. 759,5 Man. + 0,08 Thermobar. + 0,00 
Endwerte: wm 2049 „ „ 7605 „ +3,40 * + 1,05 
Anfangsvolumen: 204,190 1 bei 20,4° und 759,58 mm Hg = 184,745 1 
Endvolumen: 204,190 1 „ 20,4% „ 761,85 „ „ = 185,309 L 


Analyse 
der Anfangsluft der Endluft des Sauerstoffs 
CO, = 0,13 0/9 0,31 Die 0,18°/, 
Oz = 20,81 °/9 18,91°/, 95,07 D 
N, = 79,06%), 80,78 0/9 4,75°/, 
100,00 dÉ 100,00 Vë 100,00 %/o 
Sauerstoffbilanz. 


Vorher vorhanden: 38,445 1 
nachher vorhanden: 35,042 | 
3,403 1 


Einfluß des Alters u. der Größe auf den Gasstoffwechsel des Säuglinge. 505 


Anfangsgewicht des Gasometere — 25,37 kg bei 109,06 Thermobar 
Endgewicht a H — 59,15 kg bei 108,92 e 
Sauerstoff aus Gasometer — 31,033 1 
davon ab N, in O = 1,4741 
» a CO, in O, = 0,0561 
dazu: 3,403 1 
Nettosauerstoffverbrauch: 32,906 1 
Sauerstoffverbrauch pro kg und Stunde = 0,465 1. 





Kohlensäurebilanz. 


Vorher vorhanden: 0,240 1 
nachher vorhanden: 0,574 1 
0,334 1 
Aus Lauge: 28,024 1 
Gesamtkohlensäureproduktion — 28,358 1 
Kohlensäure pro kg und Stunde = 0,401 1 
Respiratorischer Quotient: 0,862. 


Stiokstoffbilanz. 


Vorher vorhanden: 146,060 1 

nachher vorhanden: 149,693 1 

3,633 1 

N, aus O, (4,75°/,) = 1,474 1 
Fehler — + 2,1591. 





Biochemische Zeitschrift Band 18. 33 


Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der 
Selachier. 


I. Über das Harnsäurezerstörungsvermögen der Leber von 
Seyllium catulüs. 


Von 
Vittorio Scaffidi. 


(Aus der physiologischen und der chemischen Abteilung der zoologischen 
Station in Neapel.) 


(Eingegangen am 12. Mai 1909.) 


Die ersten Untersuchungen über das Harnsäurezerstörungs- 
vermögen der Leber stammen von Stokvis!) welcher fand, 
daß Harnsäure, dem Brei von Hunde- oder Pferdeleber zu- 
gesetzt, nach einigen Stunden beträchtlich abnimmt oder ganz 
verschwindet. Auf Grund dieser Untersuchungen und der Be- 
obachtung von Hahn und Nencki’), daß im Harne von 
Hunden mit Eckscher Fistel das 4 bis 5fache, ja manchmal 
sogar das 9fache der vor der Operation vorhandenen Harn- 
säuremenge auftritt, gelangte man schon vor Jahren zu dem 
Schlusse, daß der Hundeleber die Fähigkeit zukommt, Harn- 
säure zu zerstören. 

Auch Chassevant und Richet?°) fanden, daß Preßsaft von Hunde- 
leber starke urioolytische Fähigkeiten besitzt, und zu demselben Resul- 
tate kam M. Jakobyt), während er bei Kalbsleber keine uricolytischen 
Eigenschaften nachzuweisen vermochte. 


Noch auf einem anderen Wege wurde das Harnsäurezerstörungs- 
vermögen der Hundeleber festgestellt, und zwar von Ascolid). Dieser 


1) Arch. f. d. holländ. Beiträge 2, 1860. 

2) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 32, 1893. 
3) Compt. rend. Soc. biologie (X), 4, 1897. 

4) Virchows Archiv 157, 1898. 

5) Pflügers Archiv 72, 1898. 


V.Soaffidi: Untersuchungen üb. d. Purinstoffwechsel der Selachier. I. 507 


Autor löste Harnsäure (zu 0,02 bis 0,080/,) in defibriniertem Blute und 
durchströmte mit dieser Lösung überlebende Hundelebern : hierbei er- 
folgte stets eine erhebliche Verminderung der Harnsäure in der zirku- 
lierenden Flüssigkeit. 

Späterhin haben sich besonders Wiener!), Burian?) und Schitten- 
helm®) mit dem Studium der harnsäurezerstörenden Eigenschaften von 
Organbreien beschäftigt; sie führten ihre Versuche außer an Leber auch 
an zahlreichen anderen Organen und bei verschiedenen Säugetierarten 
aus, und trachteten überdies, Aufklärungen über das Wesen der Uricolyse 
zu gewinnen. In allen diesen Versuchen wurde eine völlig einwandsfreie 
Methodik angewandt, speziell wurde dafür gesorgt, daß die zu den 
Organbreien zugesetzten Harnsäurelösungen nur ganz schwach alkalisch 
reagierten, daß Bakterienwirkung ausgeschlossen blieb und daß die 
Digestion der Harnsäure mit dem Brei niemals allzu lange (nur etwa 
4 Stunden lang) fortgesetzt wurde. 

Aus den Untersuchungen von Wiener geht hervor, daß die urico- 
lytische Fähigkeit der Organextrakte (Leber, Nieren und Muskeln) beim 
Kochen verschwindet, dagegen bei Anwendung von Antisepticis, wie 
Chloroform, Toluol und Fluornatrium, erhaltem bleibt. Man kann also auf 
die Gegenwart eines Enzymes schließen und ihm mit Schittenhelm den 
Namen „uricolytisches Enzym“ geben. Burian zufolge vollzieht sich 
die Uricolyse nur bei Gegenwart von Sauerstoff, und zwar nach dem 
Typus der vollständigen monomolekularen Reaktion. 

Es ergibt sich weiter aus allen neueren Untersuchungen, daß, 
während bei den Carnivoren (Hund und Katze) das größte Harnsäure- 
zerstörungsvermögen der Leber zukommt, bei den Herbivoren (Rind, 
Pferd, Kaninchen) die Nieren das am stärksten mit dieser Eigenschaft 
ausgestattete Organ sind. Almagiät) glaubt zwar konstatiert zu haben, 
daß auch beim Pferd die Leber am meisten uricolytisches Ferment pro- 
duziertt; Burian) bemerkt jedoch hierzu, daß die Menge des an- 
gewandten Organbreis zu klein war (3 bis 5 g Leberbrei), weshalb 
Almagiä sich auch genötigt sah, seine Versuche auf mehrere Tage aus- 
zudehnen. Bei einer so lange fortgesetzten Digestion aber ist es einer- 
seits sehr schwer, eine bakterielle Zersetzung der Harnsäure vollständig 
auszuschließen, anderseits könnte es dabei auch zur Bildung von Sub- 
stanzen kommen, welche die Ausfällung und den Nachweis der Harn- 
säure verhindern und so eine Uricolyse vortäuschen. 


Für niedrige Wirbeltiere liegen Angaben über eine uricoly- 
tische Wirksamkeit der Organe bisher nicht vor. 


1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 42. 
2) Zeitschr. f. physiol. Chem. 43, 1906. 
3) Zeitschr. f. physiol. Chem. 45. — Zeitschr. f. experim. Pathol. 
u. Ther. 4. 
4) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 7. 
5) Medizinische Klinik 1906. 
33* 


508 V. Scaffidi: 


In meinen eigenen Versuchen achtete ich darauf, 7. daß 
das Gemisch von Organbrei und Harnsäurelösung vor Beginn 
der Digestion neutral oder doch nur ganz schwach alkalisch 
war — bei höheren Alkalescenzgraden unterliegt die Harnsäure 
bekanntlich auch ohne Mitwirkung uricolytischer Organfermente 
leicht einer oxydativen Zerstörung — und 2. daß die für jedes 
Experiment verwendete Menge von Leberbrei hinreichte, um auch 
bei kurzdauernder Digestion ein ganz bestimmtes Resultat zu geben. 

Ich befolgte genau die von Burian in seinen Unter- 
suchungen über das Harnsäurezerstörungsvermögen der Ochsen- 
leber benützte Methode. 


Die Leber von mehreren Haifischen wurde mit einer Fleisch- 
maschine fein zerkleinert und der Brei sorgfältig gemischt, sodann 
wurden gleich große Teile des Breies in mehrere Gefäße verteilt, zu 
jeder Portion ein bestimmtes Volum Chloroformwasser und eine ab- 
gemessene Menge frisch bereiteter Harnsäurelösung hinzugefügt, und das 
Gemisch hierauf eine bestimmte Zeit lang meist unter Sauerstofidurch- 
leitung, im Wasserthermostaten bei konstanter Temperatur digeriert. 

Die Lösung der Harnsäure wurde hergestellt, indem man letztere 
mit einer aus metallischem Natrium bereiteten Lauge von bekanntem 
Gehalte erwärmte, so daß sich die Menge des nach der Auflösung der 
Harnsäure übriggebliebenen NaOH berechnen ließ; hierauf wurden so 
viel Kubikzentimeter einer Salzsäure von bekanntem Titer hinzugefügt, 
daß fast der ganze NaOH-Überschuß neutralisiert wurde. Die zahlen- 
mäßigen Verhältnisse waren folgende: es wurden für jeden Versuch 
0,5 g Harnsäure in 100 ccm Silent gelöst, sodann 60 ocm Sie HO 
zugesetzt und das Gemisch mit warmem Wasser auf ein Volum von 
200 ccm aufgefüllt. Man hatte so eine leicht alkalische Lösung von 
saurem Natriumurat, mit einer geringfügigen Beimengung von neutralem 
Natriumurat. Die Lösung blieb auch nach dem Erkalten ganz klar, und 
ihre unbedeutende Alkalescenz wurde durch die leichte Acidität des Leber- 
breies vollends korrigiert. Je 40 ocm der Lösung entsprachen 0,1 g 
Harnsäure. 

Nach Beendigung der Digestion schüttete man das Gemenge von 
Leberbrei und Harnsäurelösung in eine große Quantität (1000 bis 1500 ccm) 
kochenden Wassers, säuerte leicht mit Essigsäure an, ließ noch für einige 
Minuten kochen und filtrierte siedend. Der Rückstand wurde mehrmals 
mit kochendem Wasser gewaschen und das Filtrat samt den Waschwässern 
auf dem Wasserbade auf ca. 50 ccm eingeengt; zu dieser Flüssigkeit fügte 
man behufs Auflösung etwa ausgefallener Harnsäure in der Wärme 
Natriumhydrat e natrio hinzu und filtrierte. Das Filtrat wurde mit Salz- 
säure angesäuert, hierauf mit NH, übersättigt!) und sodann die Harn- 


1) Über den Zweck dieser Maßnahmen s. Burian und Walker 
Hall, Zeitschr. f. physiol. Chem. 32. 


—— 





Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 809 


säure als Silbermagnesiumdoppelsalz nach der Methode von Salkowski 
gefällt. 

Zur Zerlegung des Harnsäuresilberniederschlages benützte ich ein 
von dem Burianschen abweichendes Verfahren ; denn filtrierte man 
nach der Zerlegung mit Natriumsulfhydrat direkt die alkalische Zer- 
legungsflüssigkeit von der Schwefelsilberfällung ab, so kam es bei dem 
nachträglichen Zusatze von Salzsäure zur Zerlegungsflüssigkeit stets zur 
Abscheidung von Stoffen (kolloidales Schwefelsilber?), die sich von 
der auskrystallisierenden Harnsäure auf keine Weise trennen ließen. 

Ich verfuhr deshalb bei der Zersetzung der Harnsäuresilberver- 
bindung folgendermaßen : ich ließ die Fällung mit ca. 400 bis 500 ccm 
Wasser in einem größeren Gefäße kochen, fügte hierauf eine hinreichend 
große Menge von Natriumsulfhydrat hinzu, säuerte sofort mit Essigsäure 
an und ließ weiter kochen, bis die Flüssigkeit klar wurde. Dann filtrierte 
ich die siedende Flüssigkeit sehr rasch ab, setzte zu dem Filtrate 1 ccm 
Salzsäure zu und ließ es am Wasserbade bis auf 10 com eindampfen. 
Die ausgeschiedene Harnsäure wog ich, nachdem ich sie dem Reinigungs- 
verfahren von Horbaczewski!) unterzogen hatte. 

Vor Beginn der Uricolyseexperimente prüfte ich (Versuch 1), ob und 
in welchem Maße sich bei der Autolyse der Haifischleber Harnsäure 
bildet, 


Versuch 1. 


Der aus den Lebern von zwei Scyllium catulus erhaltene Brei 
wurde in zwei (ungleiche) Portionen geteilt. Die erste Portion wurde 
sofort, die zweite erst nachdem sie nach Zusatz von Chloroformwasser 
4 Stunden lang bei 38° C der Autolyse unter Sauerstoffdurchleitung 
überlassen worden war, in siedendes Wasser gegossen. Im Koagulum 
wurde der N der gebundenen Purinbasen nach der von Burian?) für 
diesen Zweck angegebenen Methode, im Filtrat die Harnsäure und der 
N der freien Purinbasen bestimmt. 

Resultate. Erste Portion des Leberbreies, 143 g, ohne voraus- 
gehende Autolyse verarbeitet: 

Im Filtrat Harnsäure = 0g 
Purinbasen-N = 0,0053 g 
Im Koagulum Purinbasen-N — 0,03376 g 
Gesamt-Purinbasen-N — 0,03906 g, entsprechend 0,0273°/,. 

Zweite Portion des Leberbreies, 103 g, nach 4stündiger Autolyse 
verarbeitet: 

Im Filtrat Harnsüure = 0 g 

Purinbasen-N = 0,01066 g 
Im Koagulum Purinbasen-N = 0,01552 g 
Gesamt-Purinbasen-N —= 0,02618 g, entsprechend 0,0254 °/,: 


1) Zeitschr. f. physiol. Chem. 18. 
2) Burian und Walker Hall, Le 


610 V. Soaffidi: 


Es ergibt sich also, daß bei 4stündiger Autolyse von Haifischleber 
bei 38° C unter Sauerstoffdurchleitung zwar eine Umwandlung von ge- 
bundenen in freie Purinbasen, aber keine oder nur eine minimale Zer- 
störung der Purinbasen und keine Bildung von Harnsäure stattfindet. 


Versuch 2. 


Der Brei dreier Scylliumlebern wurde in 3 Portionen, a, b und e, von 
je 60 g geteilt, und zu jeder Portion 0,1 g Harnsäuere (= 40 com der 
früher erwähnten Lösung) hinzugefügt; a wurde sofort nach dem Zusatze 
der Harnsäure aufgekocht, b und c dagegen mit je 60 ccm Chloroform- 
wasser versetzt und 3 Stunden lang unter Sauerstoffdurchleitung di- 
geriert, und zwar b im Thermostaten bei 38°C, e bei Zimmertemperatur 
(15°C). 

Resultate. Harnsäure (nach Reinigung mittels des Horbaczewski- 
schen Schwefelsäureverfahrens) 

in a 0,0993 g, 
WAT: 
„ € 0,0274 g. 

Aus diesem Experiment geht hervor, daß die Leber von Soyllium ein 
starkes Harnsäurezerstörungsvermögen besitzt; denn von der der Portion b 
uze setzten Harnsäure war nach 3stündiger Digestion keine Spur mehr 
vorhanden. Es zeigt sich ferner, daß die für die Uricolyse günstigste 
Temperatur nicht bei 15° C liegt, obwohl dies die Temperatur ist, bei 
der die Tiere leben; das Optimum scheint sich vielmehr in jenem Tem- 
peraturbereiche zu befinden, in welchem auch die Fermente der Warm- 
blüter ihre stärkste Wirksamkeit entfalten. — Die Probe a des Breies, 
in welcher die ganze zugesetzte Harnsäure wiedergefunden wurde, dient 
gleichzeitig zur Kontrolle der angewandten Methode. 


Versuch 3. 


Leberbrei von drei Scyllien wurde in vier Portionen zu je 40g ge- 
teilt. Die Portionen a, b und c wurden unter Zusatz von je 40 oom 
Chloroformwasser im Thermostaten auf 39° C erwärmt. Sobald sie diese 
Temperatur erreicht hatten (nach ca. !/, Stunde), fügte man zu jeder 
Probe 0,1 g Harnsäure (40 com Natriumuratlösung) hinzu, leitete Sauer- 
stoff durch und ließ a 30 Minuten, b 1 Stunde und e 2 Stunden lang 
bei 39° C digerieren. 

Der vierte Teil, Portion d, wurde 25 Minuten gekocht. Dann ließ 
man ihn auskühlen, fügte 40 ccm Chloroformwasser zu und erwärmte ihn, 
wie die vorhergehenden Portionen, im Thermostaten auf 39° C. Nach- 
dem auch d diese Temperatur angenommen hatte, setzte man 0,1l g 
Harnsäure zu und ließ 2 Stunden lang unter Sauerstoffdurchleitung bei 


39° digerieren. 
Resultate. 


a 30 Minuten lang digeriert; Harnsäure = 0,0146 g; 

bundc. 1 bzw. 2 Stunden lang digeriert: Harnsäure — 0; 

d nach vorausgehendem Kochen des Breies 2 Stunden lang dige- 
riert: Harnsäure — 0,0984 g. 





Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 511 


Die Harnsäure von a und d wurde dem Horbaozewskischen 
Reinigungsverfahren unterzogen. 

Dieser Versuch beweist eine auffallend große uricolytischa Fähig- 
keit der Haifischleber, denn 40 g Leberbrei vermochten schon in 30 Mi- 
nuten von 0,1 g Harnsäure 0,0854 g oder 85,4°/, zu zerstören. Überdies 
lehrt das Experiment, daß das Harnsäurezerstörungsvermögen der Hai- 
fischleber durch Kochen vernichtet wird, also wohl auf der Wirksamkeit 
eines Enzymes beruht, denn in Probe d wurden von 0,1 g Harnsäure 
selbst nach 2stündiger Digestion noch volle 0,0984 g wiedergefunden, 
was, nebenbei bemerkt, auch zeigt, daß die in den Digestionsgemischen 
vorhandenen Spuren freien Alkalis unter den eingehaltenen Versuchs- 
bedingungen an und für sich keine merkliche Zersetzung der Harnsäure 
bewirken. 


Versuch 4. 


Der Leberbrei von drei Scyllien wurde in 4 Teile, a, b, ©, d, zu je 
50 g geteilt, deren jedem 0,1 g Harnsäure und 60 ccm Chloroformwasser 
zugesetzt wurden. Hierauf ließ man alle bei einer Temperatur von 
16°C digerieren, und zwar a, b, c, wie im vorigen Versuch, 30 Minuten, 
1 Stunde und 2 Stunden lang unter Durchleitung von Sauerstoff, die vierte 
Portion, d, ebenfalls 2 Stunden lang, aber ohne Sauerstofidurchleitung 
und unter einer dicken Ölschicht, die sie gegen das Hineindiffundieren 
des Luftsauerstoffes schützte. 


Resultate. 
a nach 30 Min.: Harnsäure — 0,0838 g; Harnsäure zerstört: 0,0162 g; 
b „1 Std.: nn — 0,070 8; 3 nm 0,03 8; 
GD „ 2 Std.: j = 0,0544 g; e » 0,0456 g; 
d , 2Std. ohne Sauerstoffstrom: Harnsäure — 0,0904 g; Harnsäure 


zerstört: 0,0096 g. 

Die Harnsäure wurde stets dem Horbaczewskischen Reinigungs- 
verfahren unterzogen. 

Dies Experiment ergibt in Übereinstimmung mit dem vorhergehenden 
abermals, daß sich die Urioolyse in der Haifischleber bei Zimmertempe- 
ratur langsamer vollzieht als bei 39° C. In letzterem Falle spielt sich 
der Prozeß so rasch ab, daß es kaum möglich ist, seinen Verlauf messend 
zu verfolgen, während dies bei 16° C, wie aus der unten folgenden Be- 
rechnung des vorliegenden Versuches hervorgeht, unschwer gelang. Ferner 
lehrt das Experiment, daß wie in den Organen der Säugetiere (vgl. 
Burian), so auch in der Leber des Haifisches für die Uricolyse die 
Gegenwart von Sauerstoff erforderlich ist, denn in Probe d fanden sich 
nach 2stündiger Digestion bei Sauerstoffarmut — es war hier nur der 
von vornherein in der Leber enthaltene Sauerstoff zugegen — von 0,1 g 
Harnsäyre noch volle 0,0904 g, wogegen in e nach ebenso lange dauern- 
der Digestion bei Sauerstoffdurchleitung nur mehr 0,0544 g Harnsäure 
enthalten waren. 


512 V. Soaffidi: 


Versuch 5. 


80 g Leberbrei wurden mit 350 ccm Chloroformwasser versetzt, das 
Gemisch nach kräftigem Umschütteln, mit Toluol bedeckt, 24 Stunden 
lang stehen gelassen und hierauf durch Watte filtriert. Von dem Fil- 
trate, dessen Volum 300 ccm betrug, wurden gleichgroße Portionen; a 
und b, in 2 Gefäße verteilt. Jede der beiden Portioncn wurde mit 
0,1 g Harnsäure (40 ocm der Natriumuratlösung) versetzt und nach Hin- 
zufügung von ca. 10 ccm Chloroform unter Sauerstoffdurchleitung im 
Thermostaten bei 39° C digeriert und zwar a 2 Stunden, b 3 Stunden lang. 


Resultate. 
a nach 2 Stunden: Harnsäure — 0,0288 g; Harns. zerst.: 0,0712 g; 
b nm 3 nm IT zs D 


Auch der wässerige Extrakt der Leber besitzt also die Fähigkeit 
der Harnsäurezerstörung, wiewohl weniger intensiv als der Organbrei 
selbst. Die Isolierung des uricolytischen Fermentes der Haifischleber 
erscheint hierdurch in den Bereich der Möglichkeit gerückt. 

Fassen wir die Resultate der vorstehenden fünf Experi- 
mente zusammen, so können wir zunächst aussagen, daß der 
Leber von Scyllium catulus eine äußerst kräftige uri- 
colytische Fähigkeit zukommt, die zu ihrer Betätigung 
des Sauerstoffs bedarf und bei 38 bis 39° C höchst energisch 
wirksam ist. Diese Eigenschaft wird durch Kochen vollständig 
vernichtet. Ich halte es deshalb für wahrscheinlich, daß die 
geringfügige Uricolyse, die Schittenhelm?) in Versuchen mit 
gekochten uricolytischen Fermenten beobachtete, nicht, wie er 
meint, auf einer physiologischen Ursache, sondern auf irgend einem 
Nebenumstande beruht. 

Die Uricolyse vollzieht sich in der Scyllium-Leber 
mit so großer Geschwindigkeit, wie sie die Uricolyse in 
keinem anderen bisher darauf untersuchten Wirbel- 
tierorgan aufweist, und der Verlauf des Vorganges läßt 
sich dementsprechend nur bei niedriger Temperatur messend 
verfolgen. 

Berechnet man aus Versuch 4, in welchem die Uricolyse bei 
16° C erfolgte, die Geschwindigkeitskonstante nach der Formel 


1 a 
k=-—In ; 





d. h. also unter der Voraussetzung, daß es sich um eine vollständige 
monomolekulare Reaktion handelt, so kommt man zu folgenden Werten: 


1) S. Künzel und Schittenhelm, Zeitschr. f. exper. Pathol. u. 
Ther. 5, S. 390. 


Untersuchungen über den Purinstoffwechsel der Selachier. I. 513 


Temp.: 16° C aC?) in Grammen = 0,1. 
t (a—x) C!) 
in Stunden in Grammen k 
WÉI 0,0838 0,3535 
1 0,0700 0,3567 
2 0,0544 0,3044. 


Trotz der geringfügigen Abweichung des dritten Wertes dürfte hier- 
nach der Schluß berechtigt sein, daß ebenso wie in der Rinderleber 
(Burian), auch in der Leber des Haifisches die Uricolyse nach dem 
Typus der vollständigen monomolekularen Reaktion verläuft, voraus- 
gesetzt, daß die Konzentration des Sauerstoffes (als der zweiten Reaktions- 
komponente) während der ganzen Reaktionsdauer konstant bleibt, wie 
dies in meinen Versuchen, in denen die Flüssigkeit dauernd mit Sauer- 
stoff gesättigt blieb, stets der Fall war. 


1) Statt der molekularen Konzentrationen kann man direkt die je- 
weils vorhandenen absoluten Harnsäuremengen (in Grammen) in die 
Rechnung einsetzen, da alle Proben das gleiche Volum V (100 ccm 
Flüssigkeit + 50 g Leberbrei) besaßen; a und a— x erscheinen dann ein- 
fach in allen Fällen mit dem gleichen Faktor 

o 100 
— V.168 
(168 ist das Molekulargewicht der Harnsäure) multipliziert. 


Untersuchungen über den Blutzucker. VIL 
Die Permesabilität der Blutkörperchen für Traubenzueker. 


Von 


P. Rona und L. Michaelis. 


(Aus dem biochemischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am 
Urban in Berlin.) 


(Eingegangen am 28. Mai 1909.) 


Aus unseren beiden letzten Arbeiten über den Blutzucker 
geht hervor, daß erstens die Blutkörperchen Zucker enthalten, 
daß zweitens Schwankungen des Zuckergehaltes im Blutplasma 
von den Blutkörperchen oft in gleichem Sinne mitgemacht 
werden, ohne daß jedoch immer und zu allen Zeiten eine völlige 
Übereinstimmung im Zuckergehalt zwischen Plasma und Blut- 
körperchen besteht. Das führt uns nun unmittelbar auf die 
wichtige Frage der Permeabilität der Blutkörperchen für Zuoker, 
die eine Teilfrage der Permeabilität der Zellen überhaupt ist. 

Bekanntlich gehört nach den Untersuchungen von Ham- 
burger!), Gryns®), Hedin?), Overton*), Koeppe?) u. a. der 
Zucker zu denjenigen Substanzen, die nicht in die Blutkörperchen 
eindringen, und die sich daher wie das CINa dazu eignen, in 
geeigneter Konzentration in reiner wässeriger Lösung als Kon- 
servierungsmittel für Blutkörperchen zu dienen in demselben 


1) Hamburger, Zeitschr. f. Biol. 26, 414, 1890; 28, 405, 1891 u. a.; 
s. Hamburger, „Osmot. Druck usw.‘ 1, 202, 1902. 

2) Greng, Pflügers Archiv 63, 86, 1896. 

3) Hedin, Pflügers Archiv 68, 229, 1897; 78, 525, 1898. 

4) Overton, Vierteljahrsschr. d. Naturf.-Ges. Zürich, 1895, 159 
und Zeitschr. f. physikal, Chem. 22, 189, 1895. 

5) Koeppe, Arch. f. (Anat. u.) Physiol. 1895, 154 und Pflügers 
Archiv 78, 525, 1898. 


P. Rona u. L. Michaelis: Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 515 


Sinne (und mit derselben Einschränkung) wie die physiologische 
Kochsalzlösung und im Gegensatz zu Stoffen wie Harnstoff, 
die in die Blutkörperchen eindringen und daher keinen osmoti- 
schen Gegendruck auf die Blutkörperchen von außen ausüben 
können. 

Vergleichen wir diese feststehende Tatsache mit unseren 
Befunden von dem bald mehr, bald weniger vollständigen Aus- 
gleich der Zuckerkonzentration innerhalb und außerhalb der 
Blutkörperchen im lebenden Tiere bei hyperglykämischen Zu- 
ständen, so stoßen wir auf einen Widerspruch. Um zur Klärung 
desselben beizutragen, stellten wir zunächst einige Versuche an, 
die die Permeabilität der Blutkörperchen für Zucker unter ver- 
schiedenen Bedingungen beleuchten sollten. 

Der Versuch, gewaschene Blutkörperchen in einer Lösung 
von ca. 4°/, Traubenzucker in Wasser zu halten, ist so ein- 
deutig, daß wir ihn nur kurz erwähnen wollen. 

Nun ist allerdings die Bedingung, unter der sich die Blut- 
körperchen in diesem Versuch befinden, eine sehr unnatürliche. 
Es wäre denkbar, daß die an sich vielleicht permeablen Blut- 
körperchen durch die Entfernung der Elektrolyte oder des 
Serumeiweißes und Einsetzens in die stark zuckerhaltige Lösung 
erst ihre Impermeabilität für Zucker erlangen. Zur Entschei- 
dung dieser Frage wurden Versuche angestellt, bei denen die 
Blutkörperchen sich unter natürlicheren Bedingungen befanden. 
Erstens wurde isotonische oder fast isotonische CINa-Lösung 
mit einer bekannten, die Isotonie nicht störenden und sich von 
physiologisch in Betracht kommenden Mengen nicht zu weit 
entfernenden Mengen Traubenzucker versetzt, gewaschene Blut- 
körperchen zugefügt und nach 24 Stunden der Zuckergehalt 
der abzentrifugierten Flüssigkeit bestimmt. Dies geschah, in- 
dem die mit Kaolin von Eiweißspuren und Trübungen gereinigte 
Flüssigkeit polarisiert wurde. Es fragte sich, ob die gefundene 
Zuckerkonzentration derart war, als wenn der Zucker sich 
gleichmäßig auf Flüssigkeit und Blutkörperchen verteilt hätte, 
oder so, als wenn der Zucker allein in der Flüssigkeit gelöst 
vorhanden wäre. 

Der Versuch ergibt, daß auch unter diesen Bedingungen 
der Zucker die Wand des Blutkörperchens nicht durchdringt. 

Auch hier kann man immer noch an unnatürliche Be- 


516 P. Rona und L. Michaelis: 


dingungen denken, da die Flüssigkeit eiweißfrei ist. Es wurde 
deshalb weiterhin zu Blut, dessen Zuckergehalt vorher bestimmt 
war, eine bekannte Menge Zucker zugesetzt und der Versuch 
wie oben wiederholt; es wurde nach 24 Stunden untersucht, 
ob dieser Zucker in die Blutkörperchen eingedrungen war. Als 
Blut wurde in einer Versuchsreihe fluoriertes Hundeblut, in 
einer anderen, um auch das Fluor noch auszuschalten, ge- 
schlagenes Hammelblut verwendet. 

In Übereinstimmung mit früheren Angaben ergibt sich nun 
zunächst als wichtiges Nebenresultat, daß bei 24stündigem Auf- 
enthalt des Blutes im Eisschrank, ja selbst bei Zimmertemperatur, 
der Zuckergehalt des mit FNa versetzten Blutes und des Plas- 
mas sowie der Blutkörperchen sich in irgendwie nennenswerter 
Weise nicht vermindert. Im Versuch 8 ist der Zuckerwert auch 
des nicht mit FNa versetzten, geschlagenen Hammelblutes bis 
zum nächsten Tag der gleiche geblieben. Auf die damit ge- 
streifte Frage der Glykolyse soll vorläufig nicht weiter ein- 
gegangen werden. 

1. Versuch. 50 g gewaschene, mäßig stark zusammenzentrifugierte 
Blutkörperchen werden mit einer Lösung von 0,55°/, ClINa, 0,3°/, FNa, 
Lë, Traubenzucker auf 100 ccm Gesamtvolumen aufgefüllt. Ein Teil 
der Flüssigkeit wird sofort zentrifugiert und abpipettiert, ein zweiter erst 


nach 24stündigem Aufenthalt im Eisschrank, und in beiden Proben (zu 
gleicher Zeit) der Zucker bestimmt. 


Es wird gefunden 


in der sofort entnommenen Probe. . . .. . 0,799%/, Zucker, 
in der nach 24 Std. entnommenen Probe . . 0,50°%/, 


Berechnet unter Annahme der Permeabilität . . 0,50%, 


2. Versuch. 35 ccm fast auf konstantes Volumen zusammencentri- 
fugierter Blutkörperchenbrei vom Hammel werden mit 100 ccm einer 
Lösung von 0,6°/, ClNa, 0,3%/, FNa und 1°/, Zucker versetzt. Es wird 
weiter wie in Versuch 1 verfahren. 


Sofort gefunden . . 2. s s 2 22 22200. 0,90°/, Zucker, 
Nach 24 Std. gefunden . . .. 2.220020. 0,92 0/9 
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 0,74°/, 


3. Versuch. 42 g eines Breies von sehr gut gewaschenen Hammel- 
blutkörperchen wird mit einer Lösung von 0,6°/, CINa, 0,3°/, FNa und 
1°/, Zucker auf 64 ccm aufgefüllt, dann wie oben verfahren. 

Zuckergehalt in dem sofort abzentrifugierten Teil. . . . 0,77%), 
» p„ Dach 24 Std. zentrifugierten Teil . 0,77°/, 
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . .... 0,36°/, 


Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 517 


4. Versuch. 40 g gewaschene, mäßig stark zusammenzentrifugierte 
Blutkörperchen werden mit 2 ccm einer 38,6°/,igen Zuckerlösung versetzt 
und mit zuckerfreier CINa-Lösung auf 60 com aufgefüllt. Nach 24 Std. 


wird in der abzentrifugierten Flüssigkeit gefunden . 2,12°/, Zucker, 
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 1,290/, 


5. Versuch. 60 g gewaschene und nicht sehr energisch zusammen- 
zentrifugierte Blutkörperchen werden mit 2 ccm einer 38,5°/ ,igen Zucker- 
lösung versetzt und mit einer Lösung von 0,6°/, CINa und 0,3°/, FNa 
auf 90 com aufgefüllt. 


Nach 24 Std. gefunden. .... 2.2.2200. 1,50°/, Zucker, 
Berechnet bei Annahme der Permeabilität . . . . 0,86°/, 


Resümee: Wenn man eine Blutkörperchenaufschwem- 
mung mit Zucker versetzt, so enthält die Zwischenflüssig- 
keit unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Blut- 
körperchenbrei nur 80 bis 90°, des Gesamtvolumens an Blut- 
körperchen enthält, so viel Zuoker, auch noch nach 24 Stun- 
den, daß keine merklicohe Menge von Zucker in die Blutkör- 
perchen eingedrungen sein kann. 


6. Versuch. Zu 150 ccm Hundeblut, das im Plasma einen Zucker- 
gehalt von 0,135°/,, im Gesamtblut 0,158°/, Zucker enthält, werden 
1,5 ccm einer 38,5°/,igen Traubenzuckerlösung und 0,3°/, FNa hinzu- 
gelügt und das Gemisch 24 Stunden im Eisschrank aufbewahrt. Es 
werden dann 


gefunden im Plasma 0,626°/, im Gesamtblut 0,574°;, Zucker, 
berechnet unter der Annahme, ber. 0,543 01, 
daß das Blut 33 Volumprozente 
Blutkörperchen enthält unter An- 
nahme völliger 
a) Permeabilität. . . . . 0,52%), 
b) Impermeabilität . . . 0,71%, 

7. Versuch. Zu 100 ccm Hundeblut, das im Plasma 0,225°/,, im 
Gesamtblut 0,188°/, Zucker enthält, werden l ccm einer 68,15°/,igen 
Traubenzuckerlösung, ferner 0,30/, FNa hinzugefügt. Nach 24 Stunden 
Aufenthalt im Eisschrank werden 


gefunden im Plasma 1,22%, im Gesamtblut 0,869°/, Zucker, 
berechnet wie Versuch 6 
8) bei Permeabilität 0,87 9/9 ber. 0,869 0/9 


b) bei Impermeabilität 1,36°/, 
(Blutkörperchenvolumen — 33 Volumprozente des Blutes.) 

| 8. Versuch. 100 ccm geschlagenes, 2 Tage altes Hammelblut mit 

einem Zuckergehalt im Serum von 0,021°/,, im Gesamtblut 0,023°/,, 
werden mit l ocm einer 58,2°/,igen Zuckerlösung versetzt. Nach 24stün- 
digem Aufenthalt im Eisschrank werden 
gefunden im Serum 0,901°/, im Blut 0,559, 
berechnet 


518 P. Rona und L. Michaelis: 


a) bei Permeabilität 0,80°/, ber. 0,6050/, 
b) bei Impermeabilität 0,86°/, 

(Blutkörperchen — 33 Volumprozente des Blutes.) 

Ferner wurde untersucht, ob die Differenz des Zucker- 
gehaltes im Plasma und im Gesamtblut, die bei der alimentären 
Glykämie zu konstatieren ist, sich ausgleicht, wenn man das 
Blut einfach 24 Stunden stehen läßt: 

9. Versuch. Blut von Hund mit alimentärer Glykämie. 

Im Plasma Im Gesamtblut 


Bofort ia u 0,518°%/, 0,473%/, 
Nach 20stündigem Stehen mit 0.30/, FNa 
bei Zimmertemperatur . . . ..... 0,6526°/, 0,490°/, 
Ebenso im 
10. Versuch. Im Plasma Im Blut 
Sofort aa 0. u 0,4000), 0,244 %/, 
Nach 48stündigem Stehen mit 0,3°/, FNa 
im Eisschrank . . . . . : 2 2 220. 0,385 0/9 0,251°/, 
und im 
11. Versuch. Im Plasma Im Blut 
Solo Lë dÉ te ee er e ee 0,457 0/9 0,418 gie 
Nach 24stündigem Stehen mit 0,3°/ FNa 
im Eisschrank `, 2 2 2202. 0,453 0/9 dE "EN 


Im Versuch 9 und 11 mag man die ursprüngliche Differenz 
zwischen dem Zuckergehalt von Plasma und Blut zu gering 
halten, um ganz sichere Schlüsse zu ziehen, obwohl die Zahlen 
stark für die Unveränderlichkeit der Zuckerverteilung sprechen. 
Dafür ist Versuch 10 ein schlagender Beweis, daß das hyper- 
glykämische Blut, wenn es ungleiche Zuckerverteilung im Körper 
hatte, beim Aufbewahren die Zuckerverteilung nicht ausgleicht. 

Eine gewisse Unsicherheit haftet der Berechnung der Ver- 
suche 6 bis 8 an, auf welche auch schon frühere Untersucher hin- 
wiesen. Um den zu erwartenden Zuckerwert zu berechnen, muß 
man eine bestimmte Annahme machen über die Volumprozente, 
die die Blutkörperchen im Blute einnehmen. Das wechselt 
nun nicht nur bei verschiedenen Tierarten, sondern auch bei 
den einzelnen Hunderassen merklich. Immerhin kann es sich 
nur um einen engen Bereich handeln; wir nehmen etwa 33 Volum- 
prozente an, indem wir zu unseren Ungunsten rechnen wollen. 
Diese Unsicherheit bringt es mit sich, daß wir mit diesen Ver- 
suchen nicht sicher beweisen können, daß überhaupt keine 
Spur Zucker in die Blutkörperchen hineindiffundiert; aber die 
Tatsache, daß auch nicht im entferntesten ein völliger Aus- 


Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 519 


gleich der Konzentrationen eintritt, wird dadurch nicht ins 
Wanken gebracht. 

Die Möglichkeit eines teilweisen Eindringens des Zuckers 
läßt sich nach Versuch 6 nicht sicher ausschließen, während 
sämtliche anderen Versuche nicht für diese Möglichkeit sprechen. 

Aber auch die Frage, ob nicht ein wenig Zucker all- 
mählich eindringt, läßt sich auf Grund dieser Vorversuche durch ` 
folgende Versuchsanordnung entscheiden. Wir wuschen die 
Blutkörperchen mehrere Male mit derjenigen CINa-Zuckerlösung, 
in welcher die Blutkörperchen dann suspendiert wurden. Nach 
24 Stunden wurde dann der Zuckergehalt der abzentrifugierten 
Flüssigkeit bestimmt. Ohne unsere vorhergehenden Versuche 
hätten wir nicht wissen können, ob nicht während des Waschens 
schon ein Ausgleich der Zuckerkonzentration stattgefunden habe. 
Da wir aber auf Grund der früher mitgeteilten (und anderer, 
nicht weiter beschriebener) Versuche mit Sicherheit sagen können, 
daß während der Zeit des Waschens keine oder jedenfalls keine 
merkliche Menge Zucker eindringt, können wir diesen Versuch 
zur Entscheidung der Frage benutzen, ob von dem Zucker der 
Außenflüssigkeit während der 24stündigen Versuchsdauer 
ein kleiner Anteil oder gar nichts eindringt. 

Die Blutkörperchen aus je 25 bis 30 ccm geschlagenen Hammel- 
blutes werden 4 mal mit einer Lösung von 0,85°/, CINa + 0,560°/, Trauben- 
zucker gewaschen, dann mit je 12 ccm derselben Lösung aufgeschwemmt. 
Nach 24 Stunden Aufenthalt im Eisschrank wird die Flüssigkeit ab- 
zentrifugiert und nach Entfernung der Eiweiß- und Hämoglobinspuren 
durch Kaolin polarisiert. 

12. Versuch. 0,562°/, Zucker. 

13. Versuch. 0,556°/, Zucker. 

Die ursprüngliche Lösung: 0,560°/, Zucker. 

Es ist also in 24 Stunden nicht die allergeringste 
Menge Zucker eingedrungen und auch (bei Eisschrank- 
temperatur) trotz Gegenwart der roten Blutkörperchen keine 
Spur Zucker zerstört worden. | 

Wir streifen hier wieder die Frage der Glykolyse, auf die 
wir zunächst noch nicht .näher eingehen wollen. 

Ferner ergibt sich für die von uns aufgeworfene Frage, 
daß unter keinen Umständen eine nachweisbare Menge 
des zugegebenen Zuckers in die Blutkörperchen ein- 
dringt, sondern daß sich auch nach 24 Stunden der gesamte 
zugegebene Zucker in der Außenflüssigkeit wiederfindet. 


520 P. Rona u. L. Michaelis: Untersuchungen über den Blutzucker. VII. 


Außerhalb des Organismus war also auf keine der ange- 
wandten Weisen der Zuckergehalt der Blutkörperchen zu erhöhen. 

Im Gegensatz hierzu steht die von uns gefundene Tatsache, 
daß im lebenden Organismus bei erhöhtem Zuckergehalt des 
Plasmas auch der Zuckergehalt der Blutkörperchen erhöht sein 
kann, ja sogar in den meisten Fällen es wirklich ist. In allen 
Fällen von diabetischer Hyperglykämie wäre diese Tatsache 
allenfalls noch durch einen Umweg zu erklären. Man könnte 
meinen, daß die reifen Blutkörperchen zwar undurchgängig für 
Zucker seien, daß aber die Blutkörperchen in ihren kernhaltigen 
Jugendstadien sich mit Zucker beladen hätten. Diese aus verschie- 
denen anderen Gründen schon gezwungen erscheinende Annahme 
wird aber dadurch noch unwahrscheinlicher, daß auch häufig bei alt. 
mentärer Hyperglykämie bei völlig gesunden Hunden im Laufe 
weniger Stunden der Zuckergehalt der Blutkörperchen stark 
anstieg und in einigen Fällen geradezu fast die Konzentration 
des Plasmas erreichte. Es läßt sich also nicht wegleugnen, daß 
unter natürlichen Verhältnissen die Permeabilität eine andere 
ist als unter noch so gut nachgeahmten künstlichen Bedingungen. 
Dabei ist es fraglos, daß diese Permeabilität im Leben nicht 
auf einer einfachen Diffusion beruht. Wäre das der Fall, so 
müßte in Anbetracht des kurzen Diffusionsweges, der ja nur 
die halbe Dicke eines roten Blutkörperchens beträgt, der Aus- 
gleich viel rascher und regelmäßiger erfolgen. 

Auch mit der Annahme einer chemischen Bindung des Blut- 
körpercheneiweißes mit dem Zucker kommen wir nicht ohne wei- 
teres zur Erklärung, denn auch dann wäre der Gegensatz zwischen 
dem Blutkörperchen in vitro und in vivo nicht zu verstehen. 

Da wir so diese oben geschilderten Wege, auf denen der Zucker 
in die Blutkörperchen eindringen könnte, ausschließen können, 
so halten wir dieses unzweifelhafte Beispiel einer unerklärlichen 
Permeabilität in vivo für beachtenswert genug, um es auch 
ohne Aufklärung als bloße Tatsache festzulegen. Wir werden 
uns weiterhin bemühen, die Bedingungen für diese Permeabilität 
auch beim Experiment in vitro nach Möglichkeit aufzuklären. 

Außerhalb des Organismus ist bis jetzt also unter keiner 
von den vielen angewandten Versuchsbedingungen eine Per- 
meabilität der Blutkörperchen für Traubenzucker nachweisbar 
gewesen, während im strömenden Blut eine Permeabilität besteht. 


Berichtigungen. 


Elektrochemische Alkalinitätsmessungen an Blut 
und Serum. 
Von 
Leonor Michaelis und Peter Rona. 
In diesem Bande S. 326, Fußnote, ist 


statt 2/0000. HO == 10—10 zu lesen: 2 0000. HO = 10— 
und statt a/,0000-NaOH = 10-10 Blue 0o0oo-NaOH = 106. 


R 


Über die Entstehung der Bernsteinsäure bei der 
alkoholischen Gärung. 
Von 
Felix Ehrlich. 
In diesem Bande S. 422, 12. Zeile von oben muß es statt „Vorgang 
der Bernsteinsäure“ heißen: 
„Vorgang der Bernsteinsäurebildung“. 


Biochemische Zeitschrift Band 18. 34 


Autorenverzeichnis. 


Allers, Rudolf siehe Fränkel und 
Allers. 

Baintner, Franz und Karl Irk. 
Beiträge zur Zusammensetzung 
der Büffelmilch. S. 112. 

Bang, Ivar. Kobragift und Hämo- 
lyse. II. S. 441. 

Bobertag, O. siehe Fischer und 
Bobertag. 

Brasch, Walter. Über den bakte- 
riellen Abbau primärer Eiweiß- 
spaltprodukte. S. 380. 

Capezzuoli, Cesare siehe Neu- 
berg und Capezzuoli. 

Ducháček, Franz. Einwirkung 
verschiedener Antiseptica auf die 

des Hefepreßsaftes. 


Ehrlich, Felix. Über die Ent- 
stehung der Bermsteinsäure bei 
der alkoholischen Gärung. S. 391. 

Emmerling, O. Hydrolyse der 
Meerleuchtinfusorien der Nord- 
see (Noctiluca miliaris). S. 372. 

Fischer, H. W. und O. Bober- 


tag. Über das Ausfrieren von 
Gelen. S. 58. 
Fränkel, Sigmund. Über die 


Milch einer 62 jährigen Frau. S. 34. 

— — und Rudolf Allers. Über 
eine neue charakteristische Adre- 
nalinreaktion. S. 40. 

Handovsky, Hans siehe 
und Handovsky: 

Irk, Karl siehe Baintner und Irk. 

Itami, S. und J. Pratt. Über 
Veränderungen der Resistenz und 
der Stromata roter Blutkörper- 
chen bei experimentellen Anämien. 
S. 302. 

Karczag, Lázló siehe Neuberg 
und Karczag. 


Pauli 


Liebermann, Paul v. Eine Me- 
thode zur quantitativen Bestim- 
mung der Phosphorsäure im 
Harne und in Alkaliphosphat- 
lösungen. S. 44. 

Linnert, Kurt. Enthält Kaviar 
(Stör- resp. Hauseneier) Purin- 
basen? S. 209. 

— — und G. A. Pari. Über Li- 
poide. V. S. 37. 

Michaelis, L. und P. Rona. Be- 
merkung zu der Abhandlung von 
P. Rohland: „Über die Adsorp- 
tion durch Tone“. S. 207. 

Elektrochemische Alka- 
linitätsmessungen an Blut und 
Serum. 8. 317. 

— — — — Untersuchungen über 
den Blutzucker. VI. S. 375. 

— — siehe Rona und Michaelis. 


Morawitz, P. Zur Frage der 
Blutgerinnung. S. 30. 
Murschhauser, Hans siehe 


Schloßmann und Murschhauser. 

Neuberg, Carl. Verhalten von 
racemischer Glutaminsäure bei der 
Fäulnis, 8. 431. 

— — und Cesare Capezzuoli. 
Biochemische Umwandlung von 
Asparagin und Asparaginsäure in 
Propionsäure und Bernsteinsäure. 
S. 424. 

— — und Läzlö Karczag. Ver- 
halten der d, l-a-Aminoisovale- 
riansäure (d, en) bei der 
Fäulnis. S. 43 

Palladin, W. Dber das Wesen 
der Pflanzenatmung. S. 151. 

Pari, G. A. siehe Linnert u. Pari. 

Pagenstecher, A. Das Vor- 
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weben, S. 285 


Autorenverzeichnis,. 


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Reaktionsverlauf beim Absterben 
trookener Bakterien bei niederen 
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Pauli, Poeng und Hans 
Handovsky. ntersuchungen 
über physikalische Zustandsände- 
rungen der Kolloide. VIII. 8. 340. 

Pohl, Julius.. Zur Lehre von 
der Säurevergiftung. S. 24. 

Pratt, J. siehe Itami und Pratt. 

Rona, Peter siehe Michaelis und 
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— — und L. Miohaelis. Unter- 
suchungen über dən Blutzuoker. 
VII. S. 514. 

Rosenberg, Siegfried. Weitere 
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623 


Schern, Kurt. Beobach 
über die Schardinger - Reaktion 
der Miloh. S. 261. 

Schloß, Ernst. Zur biologischen 
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Schloßmann, Artur und Hans 
Murschhauser. Überden Ein- 
fluß des Alters und der Größe 


auf den Gasstoffwechsel des Säug- 
lings. S. 499. 
Soaffidi Vittorio. Unter- 


suchungen über den Purinstoff- 
wechsel der Selachier. I. S. 506. 
Vandevelde, A. J. J. Über die 
Wirkung der Erwärmung auf 
Proteolase. S. 142. 
Wienhaus, Otto. Zur Biochemie 
des Phasins. S. 228. 








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